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5 Dias
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Andere Zeiten
andere Menſchen.
Roman in vier Bänden.
Bon
Moris Zolni.
Erfter Band,
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Druderei des „Athenäum'“.
1869.
Berlin. Berlag von Otto Janke.
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E25N0V. 1933
OF OXFORD &
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ritſchtratſch
Es gibt eine berühmte Stadt in unſerem
Baterlande, über deren Schickſal einft, trokdem
dag fie heute Hein und arm, die meiften Tele: .
gramme in die Welt flogen, deren Ruhm aber
niht zugleid ihr Glück geweſen.
Zur Zeit, wo unſer Geſchichtchen beginnt,
hatte fie nod) mehr Antheil am Glück als am
Ruhm; diefe Stadt ift Komorn.
Der Fremde, welcher zufällig an einem
Sonntage zur Stadt Fam, könnte fi) über
den Neihthum der Bewohner gute Begriffe
Ihaffen, wenn er die aus den Kirchen ftrömende,
ſonntaͤglich gepußte Menge betrachtete. Die Männer
trugen ſämmtlich filberne Knöpfe an ihren Klei—
dern, das ſchwache Geihleht goldene Ohrgehänge
und jeidene Roben. Mander blaue Dolmany
prangte mit einer breiten filbernen Kette, welche
von einer Achſel zur anderen reihte, und durch
große römishe Schnallen, verihiedene Thierlöpfe
vorftellend, gehalten wurde. Die dunfelblauen
1*
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Dolmanys hatten Ichnedenartig gedrehte, die lidht-
blauen flache, die ſchwarzen endlich durchbrochene
Knöpfe von Ihönfter Filigranarbeit. In den dun-
felblauen Dolmanys ftaden die Schiffer, in den
lihtblauen die Müller, in den ſchwarzen endlich)
die Honoratioren. Von Leßteren trugen die Ma-
gijtratsperionen und Tablabir6s bei feierlihen
Anläffen Säbel und klingende Sporen an dein
glänzenden Korbovanitiefeln, und all’ dies : Knöpfe,
Ketten, Sporen und die Säbeliheiden it wirkliches
echtes Silber, und nicht gelogenes, nahgeahmtes,
fein Chinafilber. Das Geld, welches auf dem
Markte zirkulirt, ift lauter Silber, blanke Zwanzi—
ger, harte Thaler, und außer dem Markte in
jenen ſchlichten, ebenerdigen Häuſern, beſitzt ein
jeder vom Herren bis zum Knechte und zur Magd
herab, Silber.
Es iſt ein wirklich ſilbernes Zeitalter; keine
prunkende, prahlende goldene Aera, ſondern eine
echte, ſolide, ernſte ſilberne Zeit, von welcher wir
nur mehr in Ovbid's Erzählungen leſen.
In einer zum. Hauptplake führenden Gaſſe
dieſes Silbern - Städthens Tonnte man an einem
derartigen Feiertage zweier Kaleſchen gewahr
werden, wie diejelben von der Kirche kommend,
unter der Wölbung zweier fid) gegenüber befind—
liher Thore verſchwanden. Am Bode der einen
hatten Kutiher und Bedienter hohe Eylinder und
blaue Livree mit jilbernen Borten; am Bode der
— —
anderen ſaß ein Kutſcher mit rundem Hut und ein
rothbeſchnürter Hußär als Diener.
Nachdem die Flügel beider Thore geſchloſ—
ſen worden, konnte man auch an denſelben Stu—
dien anſtellen. Das eine war gelb angeſtrichen,
und dehnte ſich auf dem gelben Grunde ein rie—
ſiger Doppeladler bis zu den beiden Angeln; der
Adler hielt in ſeinen beiden Schnäbeln ein ſich
ſchlängelndes weißes Band; auf dieſem weißen
Band ſtand mit großen blauen Buchſtaben ge—
ſchrieben: „SALVA QVARDIA“. Das gegen—
überliegende Thor hatte dunkelgrünen Anſtrich, in
der Mitte der Thorflähe prangte das nationale
Wappen mit dem Ihiefen Kreuze, ober der Krone
und über dem Ganzen jtanden in weißrothen La—
pidarlettern die Worte: „NEMES TELEK*“ (zu
deutſch: Mdeliger Grund).
Dieſe Fresten waren aber nit blos als
Zierde an den Thoren angebradt, oder daß Die
Befiger dieſer Häufer an nebeligen Tagen nad
Haufe finden mögen, fie hatten einſt eine tiefere,
ſtaatsrechtliche Bedeutung.
Dieſer Ausdrud: „Nemes telek“ (adeliger
Grund) oder wie man fid) zu Zeiten Leopold des
II. deflen bediente „Salva guardia“ bedeutet,
daß die Schwelle dieſes Thores durch die jtädtiiche
Behörde nicht überfchritten werden darf, weder um
Militär einzuquartieren, oder eine Hausfteuer zu:
erheben, nod aber um ein gerichtliches Urtheil zu
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vollziehen; es iſt dieß eine adelige Curie
unabhängig von der Stadtbehörde, und. frei bon
Steuer und Einquartierung ; fie unterfteht un=
mittelbar der Botmaͤßigkeit des Komitates, ift auf
Komitats- und nicht auf ſtädt. Grunde erbaut,
folglich darf auf dieſem Grunde fein Jude wohnen,
eine Schenke öffnen und Fleiſch ausfchrotten ; wep-
halb auch der Miethzins eines ſolchen Haufes,
deffen Thor unter dem Schuke eines jo mächtigen
Wappens fteht, ein doppelt höherer ift, al3 jener _
der Nahbarhäufer. |
Die erwähnten zwei Häufer waren aber
weder AQudenquartiere, noch Wirthshaus oder
Fleiſchbank; fie wurden von ihren eigenen Be:
fißern bewohnt, was auf den Reichthum der Leg-
teren ſchließen läßt, da ſelbſt die Luft eines ſol—
hen Haufes theurer zu ftehen kümmt.
Das Haus mit dem doppelküpfigen Adler
am Thore wird von der Witwe und der Familie
eines reihen Produftenhändlers von Holdväry
bewohnt, während in jenem mit dem National-
wappen Herr von Hargitay ſammt feiner ehr-
baren Familie hauft.
Aber diefe Thore hatten felbft dann, wenn
fie geöffnet wurden, ihre verihiedenen Eigenthüm—
lichleiten. Durch das gelbe Thor gingen Offiziere
aus und ein, die zu jenen Zeiten außer dem
Dienfte feine Uniformen trugen, fondern in mo-
dernen Frads und mit hoben Eylindern, im Re—
— 7 —
genwetter aber in ſchwarzen Karbonarimänteln
einhergingen, und konnte man fie blos an ihren
glattrafirten Gefihtern mit den vorihriftsmäßigen -
balbmondförmigen Badenbärten vom Zivile un:
teriheiden.
Am grünen Thore zeigten fi) dagegen jene-
ftolzen jugendlichen Geftalten, die man zu jener
Zeit „Patvariften” und „Komitatsherren“ zu
nennen pflegte, mit flaumendem Schnurbart über
den Lippen, und ftolzem, ſelbſtbewußtem Ausdruck
im Gefihte. Wenn aber Einer oder der Andere
erihien, um mit dem ehernen Klopfer, welcher
von den Zähnen eines Löwenkopfes gehalten wurde,
an jener Stelle des Wappens, wo über dem drei-
faden grünen Hügel am Fuße des Kreuzes die
Krone angebraht war, dreimal anzuſchlagen, fo
mußte es ein jehr unerfahrenes Auge fein, wel-
ches nicht alljogleih erkannte, daß der Klopfende
weder ein Geiftliher, noh ein Soldat, jondern
ein Schauſpieler ſei.
Beide Familien führten einen gewiſſen hö—
heren Ton in verſchiedenen Theilen der Stadt.
Beide beſaßen eine ledige Tochter, welche auf
den betreffenden Bällen und Kränzchen bewußt
oder unbewußt die Rolle einer Ballkönigin fpielte.
Auf diefe Art vertraten die beiden Thore
zwei bollftändig organifirtte Parteien, die ihre
Kortesführer und rohen Maflen, ihre Fahnen und
Zirailleurs, ihre Kämpfe, Siege und Niederlagen,
8 —
und troß der damals beſchränkten belletriſtiſchen
Literatur jelbit ihre Moniteurs hatten; beide ver—
fügten über einen zum Rang eines Provinz-Korre—
Ipondenten erhobenen Literaten, welder im
„Peſti Divatlap’’ oder „Honderü“ die privats und
öffentlihen Unterhaltungen, Dilettantenvorftellun-
gen, die Reize und Toiletten der Mitwirkenden
mit großer Ausführlichkeit beſchreiben mußte, und
weder mit der Hochpreifung feiner Partei, noch
mit den Seitenhieben auf die Gegner geizen durfte.
Auf Grund der in den Modejournalen ent:
haltenen Daten fonnte man die Ueberzeugung
ihöpfen, daß die Partei des gelben Thores bei
glänzenden Bällen, gemüthlihen Piqueniques und
den unvergehlihen Hausunterhaltungen fiegreich
aus dem Kampfe gegangen, während die Partei
des grünen Thores ſtets dort den Sieg davon—
trug, wo es jih um Unterſtützung wandernder
Schauſpieler, Dilettantenvorftellungen, wohlthätige
Verloſungen und andere patriotifche Unterhaltun-
gen handelte.
Dieſe Errungenidaften trachtete zwar eine
jede der Parteien nad Kräften mit Gegenargus
menten zu ſchwächen; aber vor dem ernſten und
unbefangenen Beihauer bleibt es doch eine un:
verleugbare Thatjache, Daß, als der Herzog bon
*** ein Verwandter des Königs von Portugal,
durd) die Stadt an dem zu feinen Ehren veran=
ftalteten glänzenden Ball mit Fräulein Seraphine
a A se
Holdvary den Tauz eröffnete, und ihr zum An—
gedenken einen Schönen Opalring verehrte, in deſſen
Mitte ein natürliches Kreuz geformt war, wäh:
rend es andererſeits eine hiſtoriſch Feftgeftellte
Thatiache bleibt, daß im Jahre des Schußvereins
(vedegylet) e3 der Frau von Hargitay gelang,
die Schönen der Stadt ohne Ausnahme dahin zu
terrorijiren, daß ſie am Schußgvereinsballe ſämmt—
ih in vaterländiihe Stoffe gekleidet erſchienen.
In legterer Zeit mußte ſich aber das grüne Thor
plöglih mit bedeutendem Berlufte zurüdziehen,
weiches um jo nicderihlagender auf die Getreuen
wirken mußte, als es ganz unerwartet kam. Die
Kataftrophe rührte daher, daß Frau von Hargitay,
troß ihrer auf Alles ſich erſtreckenden Aufmerk—
ſamkeit, an einem jchönen Tage die Entdedung
machte, daß die in der Stadt fih befindlichen
Bettler der Regel nah zwar alle, aber in jehr
unregelmäßig von einander abweichenden Baria-
tionen zerlumpt jeien. — Nachdem man es aber
mit menschlichen Verſtande nicht verhindern kann,
daß e3 Bettler auf der Welt gebe (denn wenn
die beitehenden durch irgend eine Macht plötzlich
in einen andern Stand verjegt würden, träten
morgen ſchon andere in die erledigten Stellen ein),
jo fünnen die Beftrebungen der menjchenfreundti-
hen Theilnahme nur darin konzentrirt werden,
daß man in das Elend eine gewiſſe Organifation
einführt. Demnach dachte Frau von Hargitay
A:
fo: dab, wenn man jämmtlihe Bettler uni—
formiren würde, jo wäre dies ſowohl für den
Bettler etwas Schidliheres, als auch bequemer
für das Publitum, weil es auf diefe Art Die
wahren Bettler von den Stümpern unterjcheiden
könnte.
Die Idee war ganz dazu angethan, um zu
deren Ausführung eine Dilettantenvorſtellung zu
arrangiren, deren Reinertrag dem frommen Zwecke
zugeführt werden ſolle.
Die bei derartigen Unternehmungen auf⸗
tauchenden Schwierigleiten wurden glücklich nieder—
gefämpft. Es gelang auch ein Drama zu ent—
deden, worin jedem Mitwirkenden eine gewünjchte
Rolle zufiel; die Rollen wurden vertheilt, gelernt,
die bezüglihen Proben abgehalten und jelbft der
Tag der Vorſtellung ſchon feitgeftellt, als gerade am
Tage vor der Aufführung, die Hauptanregerin
und Ordnerin jelbft, die Befehlshaberin des
grünen Thors, feierlihft erklärte, daß ihre Tochter
Judith nicht auftreten werde. Und damit fie
allen Ueberredungen, Einwendungen und Auf:
klaͤrungen entgehe, begab fie fih noch am jelben
Tage fammt ihrer Familie aufs Land, mit dem
Entſchluſſe nicht eher zurüdzufehren, als bis der
hieraus entftandene Sturm ſich gelegt hätte; Die
Bettler aber mögen ihretwegen auch ferner zer-
lumpt berumlaufen. |
Diefer Entihlug ſchien räthſelhaft genug ;
— 11 —
da gibt es kein Geheimniß ſo tief vergraben, daß
es von den Nachbarn nicht aufgeſcharrt werden
ſollte.
Ein arabiſches Sprichwort ſagt: „Wenn Du
Dich ſelbſt kennen willſt, entzwei Dich mit Dei—
nen Nachbarn und ſie werden Dir ſagen, wer
Du ſeiſt!“
Wenn wir daher unumgänglich erfahren
müfſen, was bei den Hargitay's vorging, traten
wir ins Nachbarhaus, dort wird man uns Alles
erzählen.
Im Haufe mit dem gelben Thore feiert man ge—
rade ein heiteres Feſt der Melonenleje ; die Geſell—
ſchaft iſt erquifit ; fo vieldürfen wir, ohne den Anftand
zu verlegen, willen. Nachdem es ji aber nicht
geziemt, uns an das Fenftergitter zu klammern,
um zu laufhen, was es im Haufe zu hören und
zu ſehen gäbe; ziehen wir mittlerweile unjere
ftrohgelben Handihuhe an und erwarten wir jenen
Bekannten, der gerade um die Gaffenede biegt,
der wird uns einführen, wie es einem honetten
Beſuche geziemt.
Wir konnen zwar mit dieſem — Freunde
ein wenig blamirt werden, da er ein ſehr zer—
ſtreuter Menſch iſt, und es ihm erſt im Vorzim—
mer einfallen wird, daß er ſeine Handſchuhe zu
Hauſe vergeſſen, worauf er davon rennt und uns
im Vorzimmer zwiihen dem Gefinde jtehen läßt,
welches mit den Mantilles feiner Herrſchaften
— 12 —
am Arme herumgafft, und ein homeriſches Ge—
lächter uber das Kommen und Verſ ſchwinden des
Gaſtes anſchlägt.
— Was kann dieſem Wunderlinge wider—
fahren ſein, daß er jo davonläuft? kichert Jaͤnos
der Frau Perflex von Blum zu. Damit ſich nicht
etwa Jemand denke, daß das Wort ‚Perflex“
irgend ein ſzitiſcher Taufname ſei, oder eine Be—
ziehung zur Perplexität habe, müſſen wir an
dieſer Stelle erklären, daß das Wort eine Ab—
kürzung von „Verpflegs-Kommiſſär“ iſt, und der
Frau Blum, als der Gattin eines ſolchen, als
Bezeichnung ihres Ranges gebührt.
— Gewiß hatte er jetzt erſt bemerkt, daß
er nicht hieher, ſondern in die Nachbarſchaft gehen
wollte, — erwiderte Joͤſska der Baraczky'ſche
Lakai, ſeine fünf Finger in die großen geſtrickten
Handſchuhe ſtreckend, als wären ſie ihm zu enge.
— Dorthin wird er gewiß nicht mehr
kommen: man hat ihm ja das Haus verboten.
— Na freilich! Ich weiß es vom Stuben—
mädchen, daß er mit dem Fräulein verlobt iſt.
— Dagegen weiß ich es aber vom Hußären,
daß er Befehl Hat, Herrn Laͤvay, wenn er fäme,
zu Sagen, es fei Niemand zu Haufe.
Die Debatte wird unterbroden durch das
Eintreten Wenzi's, de3 Hausdieners, welder aus
den inneren Gemächern kommt, woher großes Ge-
— 13 —
lächter ſchallt. Selbſt der’ breite Mund Wenzi's
ift zu einem fröhlichen Laden verzogen, jo daß
beide Zähnereihen aus demfelben lugen, gerade
wie jene der zu todt gefigelten Gattin Blaubart's
im Wadhsfigurenfabinet. Er hält eine große mit
Melonenihalen beladene Taſſe weit von jid)
weg, um feine vothe Livree nit zu beihmugen.
— Ueber was fihert man da drinn? frug
der Diener die Frau Perflex.
Wenzi hörte auf zu lächeln und nahm eine
ernfte Miene an; dies aber mit fo raſchem
Uebergang, daß es einem Wunder nehmen mußte,
wie diefe breitgezogene Fratze fih jo plüßlid) ver—
längern fonnte. Wenzi hat nämlich die unſchätz—
bare Tugend, daß er jelbjt niht aus Scherz je
die Wahrheit jagt, was eine goldwerthe Eigen-
Ihaft iſt bei emem inneren Diener, dem man
frägt: was drinnen geihähe ?
Jetzt frägt man zwar nur: über was ge-
laht wird? Aber man fünnte ein anderes Mal
fragen: was drinnen geflüftert, weshalb gejeufzt,
geweint, oder gezankt wird? Und warum Jollte
er aud) dieſen Bauern die Wahrheit jagen? Er
hatte jchnell feine Lüge bei der Hand.
— Wie ſollten fie auch nicht lachen, wenn der
Dffizier mit den blauen Aufihlägen, als id die
Wafjermelone jervirte, Frug: Nicht wahr, daß tt
ein Kürbiß mit Zibeben !
— 14 —
Wenzi dachte: das iſt gut genug für euch!
Es war auch gut, denn alle lachten, Wenzi mit
ihnen.
— Und über was habt ihr da draußen
gelaͤchelt? Man hörte es bis hinein.
— Ueber Herrn Lavbay, welcher eintrat,
hinausging, und davon lief mit dem Rufe, daß
er wiederlehren werde.
— Hoho! — dachte Wenzi, fein Geficht
abermals in die Länge ziehend; das muß ich
drinn beachten, man lacht ja oben über ihn.
Damit begab er fi) hinein, und kam nad
wenigen Minuten zurüd.
— Nun können wir, weiter lachen, ſagte er,
aber die Herrihaft läßt Euch jagen, daß es nicht
laut geihehen dürfe. Alſo los darauf! ..
MWenzi gibt nun eine Probe davon, wie
man aufladen, in Ertafe verfallen, fih mit of-
fenen Kinnladen vor lauter Lachen auf den Rüden
werfen kann — ohne einen einzigen Ton bon id
zu geben; morüber das übrige Gefinde beinahe
zerplagt, da es noch nit gewohnt ift, ftumm zu
laden.
Während dieſer Szene wurde es bei den
Herrſchaften ruhig, fein Ton drang aus dem
Saale, wo man fid) eben mit dem Verzehren
praͤchtiger Kantaloups befaßte. |
Laͤvay kehrte nad einigen Minuten behand-
ſchuhet zurüd; er fand aber nit die leifefte
u >
Spur deffen, da man über fein Mißgeſchick ge:
lat. Im Vorzimmer beeilen fid) die Diener
feinen Stod zu übernehmen, und bewundern an
deſſen Knopf die wunderlihen Schnigereien. Wenzi
öffnet mit vertraulihem Lächeln die Flügel der
Saalthüre.
Im Saale iſt Alles überrajht über fein Er-
ſcheinen; Fräulein Seraphine ſchwebt ihm ent=
gegen und reicht ihm beide Hände, dieſe feinen,
jeidenweihen Händchen, mit den rofafarbenen
Nägeln, fie neigt fih jo nahe an ihn, daß ihre
wunderblonden Locken beinahe jein Gefiht be-
rühren, und bewilllommt ihn mit ihrem bezau=
berndjten Lächeln. |
— Willkommen. Ih babe bereits an
Ihrem Erſcheinen gezweifelt.
— Ich habe eben das zu Haus vergeſſen,
weshalb ich kommen ſollte, — ſprach der junge
Mann, dem Fräulein ein ſchoön gebundenes Bud
überreihend.
— %, mas Sie mir veriproden: Puß—
. tafy’s Gedichte. Ich danke Shnen vom Herzen.
* — Herr Labay kommt halt immer jo fpät,
— rief. eine bornehm affeftirende Stimme von
der bejegten Tafel herüber. Bon der Befikerin
diefer Stimme wäre es ſchwer zu errathen, daß
fie die Mutter Seraphinens jei, jo verſchieden find
Beide. Die Mama ift eine Heine, runde Ge-
ftalt mit ſchwarzem Haar und Heinen blinfenden
— 16 —
ſchwarzen Augen. Trotz ihres Embonpoints ſchien
ſie dem Schönſeinwollen noch nicht entſagt zu ha—
ben, wofür ihre geſuchte Toilette und phantaſtiſch
geformte Friſur ſprechen. Dagegen hat Seraphine
eine ſchlanke Sylphidengeſtalt mit blaßroſigem
Teint, blitzenden blauen Augen, geiſtreich geform—
ten Mund, feinem Kinn, ſarkaſtiſchen Augenbrauen
und eine in jeder Tonart ergreifende Stimme.
— Herr Laävay kommt zu uns immer zu
pät! — rief dieſelbe vorwurfsvolle Stimme ;
worauf Laͤvay, fein einziges Wort der Entſchul—
digung findend , e3 für gerathen hält, fi vor
diefer gut zuſammengeſchulten Geſellſchaft nicht zu
blamiven. Seraphine fam ihm jedoh zu Hilfe.
Ich bitte, Lavay ift heute mein, und nicht
Mamas Saft. Deshalb follen Sie aud nicht
die Ehre feiner Geſellſchaft genießen, denn ich
nehme ihn mit mir; wir haben Wichtiges zu ber:
handeln. -
Ah! .. tünte es mit einem ſpöttiſchen Halb-
lächeln von allen Lippen.
Sit Diefes Verhältnig alt? rief ein junger
Dberlieutenant vorwärts voltigirend. .
— Sie haben zu Diejer Frage zwar fein
Net, doch wenn Sie es durchaus willen wollen,
jo it sein jehr altes. Es fing in unferer
Kindheit an; gab Seraphine zur Antwort.
— Danı muß Herr Läavay ein noch jehr
junger Mann fein...
—u ._17 —
— a freilich! fällt eine Damenftimme da=
zwiihen. Herr Oberlieutenant konnen es glauben,
daß fie mit einander in die Schule gingen.
Diefe Stimme gehörte der Frau v. Blum,
der liebenswürdigften WVerläumderin zwiſchen den
zwei Wäſſern. |
— Inſofern ich das Kräulein leſen lehrte ;
beeilte ſich Laͤvay zu erklären. |
— Einft lejen, jetzt deklamiren; bemerkte
die Blum mit womihen Lächeln.
— Dh, Herr Läavay iſt ein berühmter De-
Hamator . . .! ſprach ein hoher, martialiih aus-
ſehender Mann, dem das glattrafirte Geſicht mit
dem Kleinen, ſpitzen Schnurbarte, feine ſchon vor—
wärts gefämmten Haare, die zwar im Verdachte
einer gewiſſen Unechtheit ftehen, ein noch jugend-
liches Anjehen zu geben traten. Dieſer Herr
iſt Balthaſar Fertöi.
— Ein ſehr berühmter Deklamator! Wie—
derholte Herr Balthaſar. — Als er neulich im
Komitatsſaale ſprach, hat er ſelbſt Anſchütz über—
troffen! ..
Das war dann ein Nadelſtich. Einen Ko—
mitatsredner mit einem Schauſpieler zu vergleichen.
Dieſer Vergleich weckte ſelbſt eine tiefe
Baßſtimme, welche in der Kehle eines alten Herrn
ſchlummerte. Dieſer alte Herr war der penſio—
nirte Major Kolbay. Ein hoher, dürrer Geſelle,
der ſich in- und auswendig noch immer an die
Andr. Zeiten, andr. M. 2
——
Mode des Jahres 1816 hält, in welcher er zu—
rückgeblieben. Er trägt noch immer dieſelbe
weichſelfarbige Hußaͤrenuniform, dieſelben hohen
Stiefel, obwohl er fie ſelbſt mehr weder an-, noch
auszuziehen im Stande ift; dieſelbe Kravatte von
Roßhaar, welde feinen Kopf fo ſchön, fteif aufredht-
hält; feinen Schnurbart, feinen Schopf wichſt er
nod immer jo jpig und fteif , daß beide gegen
den Himmel ftehen. Selbſt mit der Geſchichte
blieb er dort ftchen, wo die legten Rafeten des
zu Ehren der Monarchen , welche zum Wiener
Kongreſſe gefommen waren, veranftalteten Feuer:
werfes verfnallten. Bon dieſem Tage an gibt's
für unſern Alten feine Geſchichte, feine Ideen,
feine Mode, dort ftand die Welt mit ihm ftille.
— Wahrrllich — begann der alte Herr,
einen jeden Mitlaut doppelt betonend, al3 würde
er heute noch feine Eskadron kommandiren — es
it nit gar lange her, daß Ste mir al3 kleiner
Student beim Examen ein Ererzitium machten,
und fiehe, heute exerzirt er ſchon die Angelegen-
heiten des Komitates. Erinnern Sie ſich noch,
wie fie fih vor dem alten Juden in der Nach—
barihaft fürchteten, daß er den Kindern das Blut
nimmt, und jiehe da, heute ſpricht er ſchon von
der Judenemanzipation ! — Die Rokokobemerkung
des alten Herrn fand allgemeinen Beifall, jelbft
Lavay lächelte. Ein junges Gemüth fühlt e3 nicht
io leicht heraus, was verlekend iſt.
— 19 —
Zu dem früheren Oberlieutenant geſellte
ſich nun auch ein Hauptmann von robuftem Kör—
perbau und fremdartigen Aeußern, ſein Geſicht
iſt ſtark von den Blattern zerriſſen, doch leuchtet
aus ſeinen Augen bloße, ungeſchickte Gutmü—
thigkeit.
— Stellen Sie uns doch einander vor! —
drängte der DOberlieutenant das Fräulein.
— Dberlientenant Robert Zeleji; Haupt-
mann Artman, Bela Laͤvay! — war die Bor:
ftellung.
Zelejt und Laͤvay drüdten ſich die Hände,
während der Hauptmann, welcher eine ungeheure
Portion Ananasgefrornes mittels eines großen
Eplöffel3 vernichtet, die freundlihe Bemerkung
macht:
— Dieſer Name iſt mir ſehr lieb, auch ich
habe eine theure Verwandte, die ſich Bella nennt,
aber ſie iſt ein Mädchen.
Alles lachte hell auf.
— Ich weiß eigentlich gar nicht, wie Sie
zu dem Namen Bela kommen, — polterte der
Veteran — meines Wiſſens find fie „Albert“ ge—
tauft worden.
— Bela — heißt auf ungariih To viel:
als „Albert“, — entgegnete Laͤvay.
Seraphine nahm den Arm des Jünglings.
— Kommen Sie von hier; die da find
ſaͤmmtlich Ihre Feinde: der Eine möchte Ihnen
2*
u OO. A
Ihre Jahre, der Zweite Ihren guten Ruf, der
Dritte Ihren Namen, der Vierte Ihren Man:
nestitel nehmen, wenn fie es fünnten.
— Zählen Sie aud) mid) unter dieſe Räu-
ber? — frug Zeleji. |
— Auch Ste würden ihn Eines berau—
ben, was man aber durdaus nicht mit bewaffne—
ter Hand erobern kann! ...
— Das it viel für ein oberlieutenantliches
Herz, — rief der Hauptmann, fi mit komiſchem
Mitleid an Zeleji wendend.
— Und Dürfen wir uns nit in die Ge—
heimniffe diefer Verihwörung drängen? — in—
terpellirte die Blum das Fräulein.
— Dh weshalb niht? E3 wäre ein armer
Ränfeihmied derjenige, welcher auf jede Frage
niht ſogleich mit zwei Antworten bereit wäre.
Pußtafy wird dieſer Tage unfere Stadt beſuchen:
wir berathen eben über den Empfang, den wir
ihm bereiten wollen ?
— Wer ijt diefer Pußtafy? — frug Major
Kolbay mit inquifitoriihem Gefichte.
— Traurig, dab es einen Ungar gibt,
welder Dielen Namen nicht fennt. Er ift in un-
jerer Zeit der erfte Dichter der Nation.
— Ah! ein Reimfhmied? Wie es dieſer
Csokonay geweſen, den kannte ih: war aud ein
großer &... Er ging aud da herum, denn
bier liebt man die Poeten, diefe aber lieben den
in BE
guten Wein, und Nepmely iſt nicht weit von hier.
Nun, wenn er Ihon fommt, jo wäre e3 am beiten,
er käme bei Gelegenheit der Durdreiie des
Palatins; da könnte man ihn zu etwas ver—
werden. Er könnte fogleid ein Feftgedicht machen,
3. B. ein Ihönes Afroftifon, welches vorn und
hinten .mit großen Buchftaben ausgeht, wenn er
es verſteht.
Das. bisher ruhige Gefiht Laͤbays er-
glühte.
— Ich glaube faum, daß er es verſteht; —
erwiderte Lavan lähelnd, — denn Pußtafy ift
Republikaner.
Waaßß! — rief der Veteran mit hohem
Pathos — Ein Reppubbllikkanner?! .. Und
diefes wüthende Thier geht frei herum; hält man
e3 nicht angebunden ? |
— Das iſt ja nur eine Theorie: — erklärte
Laͤvay, eine innere Ueberzeugung; fo, wie wenn
Jemand Rationalift ift; deshalb aber. doch ein
Chriſtenmenſch bleibt.
— Ich meinerjeit3 bitte mir ſolche Theorien
aus. Möge der Franzoſe mit ihnen feinen
Spaß, ſeine Narrheiten treiben, für uns paſſen
fie nit. Und id ſag' es heraus, der Menſch
möge mir einmal jo vor die Augen kommen,
DIE 2
— Geben Sie adt, Kolbaybäci, damit
Sie nicht mit etwas Großem herausplagen, —
— 22 —
unterbrach ihn Seraphine, — denn er wird in einigen
Tagen hier ſein, und wird auch uns beſuchen.
— Na — dann werde ich nicht hier jet.
— Das iſt ſchon etwas Anderes! ..
— Juſt werde id) hier ſein! ..
Die Jugend lachte über den Eifer des
alten Herrn, nur Lavay lachte nicht; weshalb ihn
der alte Herr auch anſchnarrte.
Wenn alle Welt lat. und Sie niht mit-
laden, it es fein gutes Zeihen! Sie zerbreden
fih den Kopf über ſehr ernſte Dinge. Solche
Menſchen liebe ih nicht. Seine Gedanken ſind
nicht dort, wo die der Anderen. Ueberhaupt
frommt der rvepublifaniihe Umgang nicht; Ihrem
Herzen hat er ſchon Gefahr gebradt, es kann
Ihrem Kopfe aud jo ergehen.
Gehen wir, — rate Seraphine ihrem
Saite zu, — hören Sie nidht auf diefe Menichen,
— und führte ihn in den anftogenden Saal, wo
jie auf eme Couſeuſe Pag nahmen; ihnen
gegenüber nahm Charlotte Pla, die ihnen auf
den Fuß gefolgt mar.
Charlotte war ein ganz angenehmes Welen,
die ewig wache Hüterin des Hauſes, die Seraphine
nie verlieh, und To lange diefe nicht schlief, Fein
Auge zudrückte.
Sie hat aber guten Grund, ihre Augen
offen zu halten; denn das gute Kind it Seit
zwanzig Jahren ftocdtaub, fein einziger Ton ver—
un 39:
mag durch ihr Ohr zu dringen. Dieß hindert fie
aber durchaus nicht an allen Geiellihaften Theil
zu nehmen, und von den Zügen der Leute herab
zu lauſchen, wovon die Rede it; und dann lacht
fie um die Wette mit den Lahenden, als ver:
jtünde fie Alles.
Dabei verläßt fie ihre Hädelnadel nie. Es
möge weld) immer Beſuch kommen, To figt fie dort
in der Fenftervertiefung, von wo aus fie Alles
beobadıten kann, und hädelt eine unermeßliche
Menge von Spigen, Vorhängen, und derlet un—
nügem Zeuge.
Seraphine kann daher ipreden was ihr
beliebt, dem Anftande it jedoh genug gethan,
denn Seraphine tft nie allein. Charlotte wacht
über fie, und wenn diefe auch ihre Worte nicht
hören kann, So liest fie doch aus ihren Zügen,
aus ihren Augen.
Ein jeder junge Mann, welder mit Sera—
phine in Berührung kommt, wird von Charlotte
als Bräutigam hingeftellt. Zrifft fie mit der
Blum zufammen, wispelt fie geheimnivoll: id)
babe es ſchon heraus, du wirft fehen, Seraphine
wird den X heirathen. Freilich kommen morgen
Y. 3. u. ſ. w. auf die Kandidatenlifte, aber des—
halb it Charlotte von der Untrüglifeit ihrer
Bermuthungen doch ftets überzeugt.
Auch Laͤvay gehörte zu den Kandidirten,
— Er war zwar halb. und halb dem Nachbar:
— BE —
hauſe ſchon verpflichtet, doch glaubte Charlotte,
daß es Seraphinen nur ein Lächeln koſten würde,
um ihn für das grüne Thor zu erobern. Es
waͤre kein erſter Fall.
Als Seraphine im Nebenſalon an der Seite
Laävay's Platz nahm, ergriff fie feine Hand und
ſah ihm mit tiefem Blicke in's Auge. Nach kurzer
Weile ſprach fie:
— Werden Sie mir das glauben, was id)
Ihnen jetzt jagen werde ?
— Unbedingt.
— Werden Sie Ihren Feinden das glauben,
mas Diele über ihre guten Freunde ſprechen? —
— Ich habe jeft feine guten Freunde.
— Meinem Beripreden gemäß, mill ih
Ihnen aufrihtig erklären, weshalb Sie jo plüß-
lich und vorfäglid von den Hargitay's gemieden
werden. Haben Sie e3 noch nicht errathen ?
— Es überfteigt dies all meine Ber:
muthungstraft.
— Haben Sie feine theuren Baifionen ?
— Sie willen es am Beften, dag ih niht
einmal Raucher bin, vom Kartenipiel aber ebenio:
viel, wie gar nichts verjtehe.
— Sind Sie niht in Geldverlegenheiten ?
— Meine Mutter lebt, jomit befike ich
fein eigenes Vermögen, aber aud) feine Schulden,
das Leben iteht mir offen, an meiner Seite Man-
delt die Arbeitsluſt. |
— 23) —
— Iſt man nicht hinter eines Ihrer älteren
Liebesperhältniffe gefommen ?
— Ich hatte nie eines.
— Kein ſchmeichelhaftes Kompliment für
mid; — lachte Seraphine heiter, — hatten Sie
Ihon vergeflen, daß Ste mir, als wir nod) Kinder
waren, ftet3 drohten, mich nicht heivathen zu wollen,
wenn id ſchlimm ſei; war das fein Verhältnig ?
— Ah Seraphine, — murmelte Yavan düſter,
— Sie haben nie und Niemanden geliebt.
Seraphine hatte auf Dielen treffenden Vor:
wurf traurig ihr Haupt gebeugt.
— Dod, jagte fie nad) einer Weile; — Ih -
liebte meinen Vater.
— Das jagen Sie deshalb, weil er bereits
geitorhen iſt.
— Nein, Sondern weil... . Na, deshalb
brauden Sie nicht zu fterben, ſprechen wir von
etwas Anderem,
— Nachdem Sie e3 jelbit nicht errathen, was
Sie verihuloet haben, jo will ich's Ahnen jagen.
Ihr Verhältniß zu Judith ift unanknüpfbar
zerriffien worden, durch jene Ihre Rede, melde
Sie im Komitatshauje in Bezug auf die Frohn-
freiheit hielten.
— Ah! — madte Lavbay.
— Sie können mir Dies mit Gewißheit
glauben. Ich Telbit war anweſend auf der Frauen-
galerie, und werde erzählen, melden Eindrud
— —
Ihre Rede auf mich machte. Ich, die ich mich
an Ihr ſanftes, aufmunterndes Geſicht, welches
durch Nichts zum Zorn gereizt werden konnte, ge—
wöhnt hatte, ſah dasſelbe allmälig in einen lei—
denſchafltich erregten, blitzenden Ausdruck ſich ver—
wandeln; Ihre bekannte weiche Stimme erhob ſich
zu einem nie geträumten Donner, welcher dro—
hend, mit ſich reiſſend von Dingen ſprach, die zu
erwähnen man ſich bisher nicht getraute, .
von den zehn Millionen Stieffindern der Na:
tion... . . von der furdtbaren Volksſouveränität
. .. das Blut gerann mir in Den Adern, und
falter Schauer überlief meine Glieder ; jehen Sie,
wie ich jegt noch) zittere, wenn ich darauf zurüd-
denke. . . Ä
Ah wie furdtbar jahen Ste damals aus!
. .. Und was erft ihrer Rede folgte... . , jener
enthufiaftiiher Sturm, dem man nit entnehmen
konnte, ob er Widerſpruch, ob er Begeifterung
jet? und als ji) dieſer gelegt, jene blaffe Ver—
blüfftheit auf den Geſichtern der ernfteren Män-
nern, welche gleich Todten ſtumm, und mit fahlen
Zügen um pen grünen Tiſch herum ſaßen! ..
Sie hatten eine ſchmale rothe Binde um den
Hals; es ſchien mir in jenem Augenblid, als
jtünde vor mir ein Mann, deſſen beveitS abge—
hauener Kopf abermals an feine Stelle geſetzt
wurde,
Zu. SB 2
— Sie beſitzen eine ftarfe Einbil dungs-
kraft, Seraphine, aber was hat die Oeffentlichkeit
mit meinem Privatleben zu thun ?
— Sie Sollen es gleih erfahren. Frau
von Hargitay — bejitt, wie Sie es gut willen,
ehr erregbare Nerven, und was einmal auf diefe
gewirkt, wird bei ihr zudem, was bei anderen
Leuten Veberzeugung heißt.
Es iſt unbeftreitbar,, daß man Sie bei
Hargitay's ftet3 gerne ſah, nicht nur als Beſuch—
oder Hofmacher, Sondern auch als — Braut:
werber. Ihre Bekannten äußerten fid) entichieden
günftig über Ihre Fähigkeiten. Sie hatten Bro—
Ihüren veröffentlicht über ſtaatsrechtliche Fragen,
Sie haben in gerihtlihen Sachen plaidirt: wor:
auf Herren von hohem Range ſagten: der wird's
weit: bringen, er iſt eine große Kapazität, kann
nod Vizekanzler werden. . . Nachdem Sie aber
dieſe, Ihre Rede gehalten, hatte ein hochgeftellter
Herr Ihre Broihüre, „über die Reform der vater:
ländiihen Gefängniſſe“, in welcher er ſoeben ge—
blättert, mit den Worten Herrn Hargitay über:
reiht: es Icheint, daß Cicero für fein Haus ges
torgt habe! .
— Der Wis iſt nicht ſchlecht.
— Ein anderer Herr rief aber feinem
Tiſchnachbar zu: Glaubt Du es noch, daß er
zu etwas Höherem bejtimmt ſei? . . Zu etwas
ſehr Hohem! . . meinte der Gefragte, indem er
— 28 —
mit der Hand eine gewiſſe Bewegung gegen den
Hals machte. Dies hat nicht nur Herr Hargitay
gehört, ſondern jene unheimliche Bewegung auch
ſeine Gattin von der Galerie aus geſehen. Am
jelben Nachmittag kam Fertdi zu Hargitay's, und
berichtete ganz im Geheimen, daß Sie bereits
bei der Kanzlei denunzirt worden feien, worauf
Hargitay zu feiner Gattin ſagte: der wird's dort
enden, wo Martinovits.
— Das find aber nur lauter kindiſche
Reden.
— Möglih. Aber bei Frau Hargitay be—
wirkten ſie einen fürmlih klimakteriſchen Um—
ihmwung ihrer Natur. In jener Naht günnte fie
Niemanden Ruhe im Haufe. Die arme Judith
hatte die ganze Naht zu hören: „Einen folden
Menſchen willſt vu heirathen, über deſſen Haupte
Ihon das Schwert ſchwebt. Der das ganze Land
ummälzen und Millionen von Menſchen unglüd-
lid maden will. Der den Bauer gegen die
Herren hegt, deſſen Name einjt verfluht jein
wird, wie jener Georg Doͤzsa's .. .. Dielen
Namen willſt du führen? Seine Schande, jein
Elend tragen. Und wenn ihn jein Schidjal er:
reiht... . . willft du die Witwe eines Hinge—
richteten werden; oder wenn dich der Himmel
mit Kindern heimiucht, willft du, dag man mit
den Fingern auf jie weile und ausrufe: Das
find Die Wailen des Hingeridhteten! .. — Sie
a 0:
jehen, daß ich felbit die Worte weiß, die man
geiprohen. Ich habe gute Quellen. Das Stu:
. benmädchen der Hargitay erzählte e8 dem Blum—
ihen Bedienten, dieler feiner Herrin, und Frau
Blum hatte die Gefälligkeit fünf Minuten vor
Ihrer Ankunft die Geſellſchaft damit zu un—
terhalten.
— Und was that Judith? Was antwor-
tete fie?
0 — Audith ſchwieg.
— Das war aub das Vernünftigite,
Wie der Sturm kam, fo wird er auch vergehen.
— Glauben Sie das nidt; denn niht nur
die Nerven der Frau Hargitay haben fih gegen
Sie empört, aud der Gatte hat fi gegen Sie
gewendet. Gut unterrihtete Menſchen behaupten,
daß der größte Theil feines Grundbefiges aus
Urbarialien befteht, und die Berrüdung jenes
Steines, an welden Site rütteln, wirde den Zu—
Tammenfturz feines Hauſes herbeiführen.
— AH! — Man veriteht mid nicht. Es
wird ja von Niemanden ein Privatopfer verlangt.
Es ift dies eine Landesangelegenheit, das Dpfer
muß die Gejammtheit der Nation zum Griage
des Privatverluftes bringen.
— Bu dem verftehe ih mich nicht, Lieber
Bela. Aber das weiß ich entichieden, daß, wenn
Sie Jemanden beleidigt, Ste denielben verſöh—
nen, fihb mit ihm Schlagen und wieder gut
Freund werden fünnen; wenn Sie Ihrer Gelieb—
ten untreu geworden, fünnen Ste fih abermals
in ihr Herz einihmeicheln und Verzeihung erlan=
gen; aber wenn Sie Jemanden erihredt
haben, den find Sie nit im Stande, mehr dahın
zu fapazitiren, daß er fih vor Ihnen nicht fürch—
ten möge. — Ihre Sade tft bei den Hargitan's
entichteden verdorben. Ich weiß noch mehr. Es
it beichloffen, Judith je eher zu verheirathen, —
an einen Andern, |
— 650?
— GErrathen Sie, an wen? Denken Sie
jid) Etwas, den größten Unfinn, die größte Lächer-
lichkeit.
— Ich denke mir gar nichts, denn aus dem
Ganzen wird nichts.
— Man mill fie an Herrn Bärling ver—
heirathen.
— Haha! — madte Lavay. Es war dies
fein Lachen, fondern nur der Ton desjelben. Die
Gefihtszüge des jungen Mannes behielten -ihren
traurigen Ausdruck bei.
— Das hat aber aud) jeinen plaufiblen
Grund. Hargitay, welcher bei Berührung feiner
eigenen Intereſſen ftet3 fonfervativ ift, wird ſeinem
Rufe, al3 liberale Zelebrität, welchen er ſich im
Komitatsleben erworben, in der Deffentlidhfeit nie
entjagen wollen. Wenn .er daher einerjeit3 mit
Ihnen, dem Führer der Komitatsjugend, bricht,
wu BE
wird er Sorge tragen, diefe Scharte durch einen
eflatanten Tauſch auszuwetzen. Wie Sie willen,
iſt Barfing nit vom Adel. Er liebt es zwar,
jeinen Namen mit dem ariftofratiihen „gh“ zu
ihreiben, während Sie das „y“ von dem Ihrigen
längft mwegließen ; trogdem mwird man viel Rumor
darüber machen, daß der ftolze Hargitay einen
Bauernsjohn zum Schwiegerjohn genommen.
— Aber Judith... Weiter fonnte Laͤvay
nit ipreden ...
— ...... Verachtet dieſen Menſchen, wollten
Sie ſagen. Glauben Sie mir, lieber Béla, daß
für's Heirathen, wenn man es ſchon thun muß,
ein Mann, den man verachten kann, ein ſehr vor—
theilhafter Gegenſtand iſt.
— Ach, Seraphine, Sie wiſſen es ſelbſt nicht,
was Sie da ſprechen. |
— Sie meinen, daß ih ein Mädden,
welches Sie lieben, arg verleumde; daß id Ihnen
Geheimniffe enthülle, welche es Ihnen nunmehr
unmöglidy machen, die Schwelle des Nahbarhaufes
je wieder zu überſchreiten. Ich weiß es, daß ich)
dies thue, ich weiß es aber aud, warum ?
Das war eine in befter Form gegebene
Gelegenheit, um den günftigen Moment zu er:
taffen. Allein Bela ſchien der Menih zu fein,
welcher das herabgefallene Sacktuch einer Dame
ruhig am Boden liegen läßt.
Seraphine wurde durch das ‚Schweigen
Lavay's derart aus der Faflung gebracht, daß fie
ihre Hand auf deilen Schultern legend, im hef—
tigen Tone begann:
— Sie denken jett jehr tief über etwas
nach, worüber ih Ahnen jagen fanı, das Nichts
daraus wird, denn .. . diefes Gedicht iſt in
Herametern verfaßt, dieſe Versgattung verftehe
ih nicht zu deklamiren.
Bela fuhr erihroden über dieſe Worte,
welhe feinen Zufammenhang mit den früheren
hatten, empor, und begriff erſt die Urſache Der
Ihnellen Wendung, als er die Stimme des jun-
gen Dberlieutenants vernahm, welcher, den Kopf
durch die halbgeöffnete Thüre ſteckend, rief:
— Darf man Shre VBerihwörung nicht be—
lauſchen?
Seraphine hielt bereits das geöffnete Ge—
dichtbuch in den Händen, und rief, dasſelbe ne
Bend, mit naivem Schred :
— Nein, nein, und abermal nein. Gie
dürfen es nicht willen, weldes es iſt. . . Sehen
Sie Lavay, dieſer hinterliſtige Menſch Hat uns
belauſcht, um zu erfahren, welches Gedicht ich für
den Empfang Pußtafy's einftudire,
Robert betheuerte bei Himmel und Erde,
daß er fein Wort belaufht habe.
Und jeinem offenen, glatten Gefiht konnte
man es aniehen, das er beim beiten Willen
feiner Züge fähig war.
Die Unterhaltung über den berührten Gegen-
ſtand konnte nicht mehr fortgejegt werden. Auch
Bela begab jih zur übrigen Gejellihaft, welde
ih nun um das Klavier gruppirte, oder an ven
Whiſttiſchen Play nahm; aber zu jeinem Staunen
mußte er vernehmen, daR, wohin er immer trat,
man das Geipräh allſogleich abbrach ... . Lavay
dachte ſich nun, die bejte Unterhaltung Sei bier,
zu gehen, und er ging.
Seraphine erhaſchte einen Augenblick, um ihm
die Hand zu drüden und zu flüftern:
— Morgen werde id Ihnen mehr jagen
fünnen !
Kaum Hatte Lavay die Thüre des Vor:
zimmers hinter ſich geſchloſſen, als das Gelächter
im Saale von Neuem ausbrad, und Wenzi,
welcher eben mit einer Taſſe aus dem Saale ge-
fommen war, mußte die Neugierde jeiner
Kollegen abermals mit einem plump exlogenen
Scherz auf den deutihen Hauptmann befriedigen.
Im Saale aber ging der Tritiehtratich über
den vor die Thüre gejegten Bräutigam, welder
jeine Braut am grünen Tiih wegdellamirt hatte,
abermals los. |
Seraphine nahm den Verlachten in Schus,
worauf ein Jeder der Anweſenden jih bemühte,
üntiere Zeiten, and. Menden 1, 8, 3
— BE
all’ das auszuframen, was er gegen das Braut:
pächen wußte. „Willſt Du Jemanden, der in
einer Gejellichaft verleumdet wird, noch mehr
verleumden laſſen, jo werfe Dih einfach zu
feinem Vertheidiger auf, und Du haft Dein Ziel
erreicht. “
Seraphine unterhielt ih den Umſtänden
nad, gut, fie ließ fih von Robert mit den einzu=
lernenden Vers neden, und machte ihm zu guter
Lebt die großartige Konzeifion, daß er aus den
Gedichten Pußtafi's das zu Deklamirende wählen
möge.
Robert war glüdlih, daß er diefen Auftrag
erhielt. Aber aud) Seraphine war glücklich, denn
num mußte fie nicht das ganze Buch durdlefen,
um zu wählen.
Miaͤdchen, die viel von eigenen Ideen geplagt
werden, find feine beionderen Freundinnen des
Leſens.
Als die Geſellſchaft in der Auflöfung be—
griffen war, fixirte Herr Fertoi Seraphine und
ihre Anbeter durch ſein Monocle, während er in—
zwiſchen die Blum mit trivialen Komplimenten
regalirte, und riskirte an letztere folgende Frage:
— Was glauben Em. Gnaden, welcher von
den Beiden wird der Gatte Seraphinens : Laͤvay oder
Robert?..
— Derjenige, welcher ſich von beiden zuerf
erklaͤrt, — beeilte ſich die kleine, lebhafte Frau zu
— —
erwiedern, welche ſo klein und beweglich war, wie
ein Kanarienvogel, aber auch ebenſo unerſchoöpflich
im Schwaßen:es wäre nur zu konſtatiren, ob auch
die Kanarienvögel ſtets ihre Nachbarsleute aus—
richten, wenn ſie ſo eifrig ſchwatzen.
— Der Zweite wird als Hausfreund ver—
bleiben, — ſetzte Fertdi mit einem maliziöfen Lächeln
hinzu. |
— Und der Dritte auch; — jagte die Blum
noch boshafter.
Seraphine bemerkte gut, das man von ihr
ſprach, und nahm, jobald Fertöi gegangen, die
Blum ind Verhör.
— Ihr habt mid) zuvor mit Kertöi ver—
feumbdet.
— So iſt es. Wir haben darüber gegrü-
belt, wer von den Beiden Dein Gatte wird.
— Liegen allo nur zwei Namen in der
- Wahlurne ?
— Wir meinten Lävay und Nobert.
— Eben von diejen wird'3 feiner.
— Ach! .. Und weshalb nicht ?
— Der Eine kann es nicht werden, weil
er eine Andere ſehr liebt; der Andere kann es
nicht werden, weil er mich zu ſehr liebt.
— Nun, ift das etwas Sclimmes ?
— a, denn wer als Hofmacher jehr liebt,
wird als Hatte eiterlüchtig, und das iſt ein gro=
Bes Unglück.
3*
zu 36 ze
— Ueberhaupt bei Dir.
— Verzeihe, id) iprede exit aus der Theo-
tie, von der praftiihen Anwendung dieſer Lehre
fönnteft Du ſchon mehr erzählen.
Die Blum lachte herzlich darüber, das man
fie jo ins Lebendige getroffen. Sie pflegte für
die Revanchen, die fie erhielt, nie zu zürnen, fie
machte es, wie gute Fechtme iſter, welche ſich jtets
freuen, einen gejunden Hieb von dem Schüler
auf das Plaſtran befommen zu haben. |
— Menn es aber weder der erfte, noch
der zweite wird, wer wird's dann ?
Seraphine zudte leiht mit den Achſeln.
— Am eheften Fertöt ſelbſt.
Die Blum ihlug ihre Heine Katzenpfoten
zweimal ineinander.
— Ad! was Du ſagſt, den kannſt Du ja
nicht leiden.
— Na, und? ...
— Ich mag ihn au nicht leiden.
— Braucht ihn auch nicht zu heiraten.
— Aber es mag ‚ihn die ganze Welt nicht.
Seraphine ihaute einige Minuten ſtillſchwei—
gend in die Augen der Blum, als würde fi.
berlegen, ob fie weiter ſprechen toll, oder nichte
— Und doch kenne ih Femanden, der ihn
nur zu gut leiden mag.
Die Blum ftierte Serahpine mit großen
— =
Augen an, wie Jemand, bei den es zu dämmern
anfängt. ‚
— Du fürdtejt, er wird Deine Mutter
heiraten.
— Das wäre für uns ein großes Unglück,
weil er fie binnen Jahr und Tag zu Grunde
rihten würde.
— Wenn aber Du ihn beirateft, jo kann er
Di zu Grunde richten? .. .
— Glaubſt Du das ?— antwortete Seraphine,
mit falten Stolz das Mintaturweibhen meffend,
welches, jih an ihren Arm hängend, trog ihrer
hohen Friſur kaum bis an die Achſeln des Mäd—
Als ſie geſchieden, ſchüttelte die Blum noch
immer das unruhige Köpfchen mit den zahlloſen
zitternden Locken, und da ſie auf dem Heimwege
mit Niemanden ſprechen konnte, ſo ſprach ſie mit
den Augen, mit den Geſichtszügen zu unſichtbaren
Geſellſchaften, und jagte wiederholt zu dem beglei-
tenden Diener: „Warum haft, Du mir feinen wär:
meren Shawl gebracht, Johann, es ift mir jo falt.“
Es war ihr in der That kalt, wenn fie der
Worte Seraphinens gedadhte: „Dann fennit Du
mich noch nicht!“
Einer, der „gegangen“ wird.
Am andern Tage traf Laͤvay am Dampf:
Iihiff-Landungsplage mit den Holdvary's zuſammen.
Mutter, Tochter und Zeleji promenirten
eben dort. In Heinen Städten it die An—
kunft des Dampfichiffes ein Ereigniß, und das
Warten darauf zählt aud) zu den Vergnügungen, .
heute umſomehr, als für Die morgige große Feit-
lichkeit viele Fremde und Belannte zu erwarten find.
Ueberdies iſt der Landungsplag ein gar
liebes Dertchen, gelegen an der Spike einer Heinen
Inſel, welche von ſchlanken ttalieniihen Pappeln
umſäumt ift. Der Warteiaal und deſſen Umgebung
ift von lachend grünen Bignonien beſchattet, der
Raſen ijt troß des ipäten Sommers jr und
elaftüch‘, und die Gräben nod) voll der Blumen,
Heute herrſcht hier eine ungewöhnliche Rüh—
rigkeit . . . da werden aus friihem Pappelreiſig
Pyramiden gebaut; dort ein Triumphbogen aus
grünen Tannen und Dahlien errichtet, Niemand;
frägt, weshalb ? . . die ganze Welt weiß es ja,
— —
und wer's nicht weiß, braucht nur einen flüchtigen
Blick auf jene aus trikoloren Buchſtaben zuſam—
mengeſetzte Bewillkommsſprüche und Chronoſtika
zu werfen, und wird aus deren Anhalt erfahren
dag für morgen ein hoher Haft erwartet wird:
der Palatin, der erite MWürbdenträger des
Landes, deilen Name noch aus jener Zeit
populär it, wo er al3 vierjähriger Knabe mit
den Bauernbuben zu Alchuth geiptelt und ihr
ſchwarzes Brod getheilt hatte.
Heute Ipriht man, wie natürlih, von
nichts Anderem. als von den Vorbereitungen zu
dem Feſte; dies gab auch Seraphinen den Vor—
‚wand, Labay über die Hargitay's zu ſprechen.
Ich kenne bereit3 das ganze Programın.
Die Hargitay's find gejtern angefommen ; der alte
Herr wird den Palatin bei feiner Ankunft em=
pfangen. . . . Welch' ein Triumph für die Fa—
milie! ... Wird das Fiasko der Dilettanten-.
Borftellung gänzlich vergeſſen machen. . . . Damit
iſt es übrigens nicht abgethan, daß Hargitay ſo
lange an der Landungsbrücke beneventirt, bis der
Palatin ſein Gabelfrühſtück verzehrt, ſondern es
werden nach dem Plane der Frau v. Hargitay,
und unter ihrer Führung die Damen der Stadt
in feftlihen Toiletten unter einem auf der Brüde
errihteten Baldachin den Feſtzug erwarten, und eine
derjelben dem Palatin einen Kranz überreichen,
Diele eine wird wahriheinlic Judith fein. Uns
= AG
hat man aus diefer Szene feierlich ausgeſchloſſen.
— 68 iſt ein ſchlechter Plan, — ſprach
Lävay — die ftürmende Volksmenge wird , dert
die Damen evdrüden. ü
— Dafür ift aud gelorgt; an jedem Ende
der Brüde wird ein Komitatshukar mit dem
blanfen Säbel in der Kauft und feiner Mente
über die Achſeln ſtehen; diefe wird das ſouve—
väne Volk doch reſpektiren; überhaupt wenn jie
den Federbuih an die Tſchako's ſtecken. . . . ..
Welche Rolle fiel Ihnen zu?
— Die des Zuſchauers. Beim Fackelzug
hätte ich die Rede halten ſollen, geſtern ſagte ich
jedoch ab. |
— Damit haben Sie die Betreffenden jehr
verpflichtet, die feit drei Tagen ſchon berathen,
auf welche Art man es Ihnen zu willen geben
fünnte, daß man geſonnen ift, einen älteren
Herrn von veifem Berftande zu dieſem Zwecke
aufzufordern ? . .
— &?... Um to beiler. . .
Während dieſes Geſpräches landete der
Dampfer. Eine Menge Paſſagiere famen an;
ihweißtriefende Männer in Reiſekleidern, beladen
mit Ihweren Padtaihen und Paradeſäbeln im
(edernen Futteral; feuchende Damen mit Kartan-
deln am Arme, welde alle nad ihren Ver:
wandten und Bekannten herumſchauen. . . . Bei
— ME O3 u
ſolchen Gelegenheiten it es ſchwer Jemanden zu
erfennen . .
— Sehen Sie Pußtafi Ihon?. . frug
Seraphine Lavan.
— Dort koͤmmt er! . vief diejer und
verließ Die vornehme Geſellſchaft, um dem Freunde
entgegen zu eilen.
Der Dichter iſt eine hohe, robuſte Geſtalt,
mit braunem, loſe hängendem Lockenhaar, feinem
Schnurbart und einem bei uns damals unge—
wöhnlichen ſpaniſchen Knebelbart. Sein Anzug
beſteht aus einem Dolmany mit dichten Knopf—
reihen, einen beihnürten Ueberwurf, ungariſchen
Holen und befranzten Csismen; auf dem Sopfe
figt ein Hut mit aufgeftülpten Rändern... ..
Ganz die Mode von 1861... Nur das Hals—
tuch fehlt vom Halſe, weldyen der Be
gene Hemdkragen offen läßt.
Wir- ſchrieben zu jener Zeit das Jahr
1847, trugen Fracks. Pantalons und glänzende
| wie jet — weshalb ein
Mann, welder der Mode um vierzehn Jahre voran
zueilen wagte, allgemein begafft wurde.
Bevor der Dichter ſeinem ihn entgegen-
eilenden Freunde die Hand gereicht hatte, frug er
diefen haſtig:
— Haft Du Deinem Plane, morgen eine
Rede zu —— entſagt?
— 42 —
— Dann Servus .. Hier meine Hand...
Hätteft Du „nein“ gefagt, wäre ic augenblicklich
ungefehrt und weiter nad) Raab gefahren.
— Komm, id) will Did) den Holdvary'3 vor—
ftellen ; jagte. Labay und zog den Freund mit jic)
Pußtafi schritt ftolz, als hätte die große
Bollsmenge nur ihm erwartet, durch die. halbfer-
tigen Triumphbögen, und Denen ev vorgeftellt
wurde, reichte er die Hand mit unverhehlter Her—
ablaſſung.
Als er den Namen Zeleji's vernahm, blickte
er dieſen an, und rief in freudigem Tone:
— Ach! wir ſind ja alte Bekannte.
— Mir dünkt es auch jo; — gab der Offi—
zier zaudernd zur Antwort. |
— Wir find in Linz mitſamm' Soldaten ge:
weſen, traten zugleih ein; Du haft es, wie ich
jehe, weit gebracht; mich hat man als Gemeinen
verabichiedet.
— Nur führteft Du damals einen andern
Kanten. | |
— Weil mir mein Vater den feinigen zu
tragen verbot, da ich mid) einem liederlichen Leben
gewidmet, indem id) Poet geworden. Jetzt hat
er mic gebeten, ich möge ihm erlauben den mei=
nigen zu tragen, jenen, den ich mir telbit er:
roorben. |
— Das glaub’ ih Dir, Du bift ſchon General.
Seraphine, welche die Gefichtszüge der
a YA
beiden Freunde . mit Aufmerkſamkeit gemuftert
hatte, machte, an Laͤvay gewendet, folgende Be—
merfung :
— Finden Ste nit, daß. ſich Pußtafi und
Zeleji ſehr gleich ſehen? Wenn der erjtere jeinen
Bart herabnehme, oder Beide ſich einen Vollbart
wachen ließen, könnte man fie verwechieln.
Pußtafi war bis zur Unhöflichkeit mit
feinem zufällig entdedten Freunde beſchäftigt, To
dag ihn die Holdvary'S zum Zentrum der Geſell—
ſchaft zurüdztehen mußten.
— Herr Pußtafi wird uns morgen zu
Mittag die Ehre geben, Lavay hat uns dies be-
veit3 in Ihrem Namen veriprodhen.
— Auch Ew. Gnaden nehmen feinen An-
theil an dem offiziellen Bankett ?!. vier Pußtafi
freudig . . . Daß ih doch Jemanden in diefer
Stadt finde, der ſich nicht um ——
ra uft.
Lavay hätte gerne ſeinem Freunde den
Mund zugejtopft, denn die Holdvary's haben
Alles aufgeboten, um Karten zu bekommen, aber
ohne jeden Erfolg, deren Arrangeure waren ja die
Familie Hargitay. |
Die Männer begleiteten die Damen nad)
Haufe; am Thore nahmen fie von Zeleji Ab-
ihied, welcher in die Feſtung gehen mußte ;
Pußtafi dagegen nahm Laͤvay am Arm, und ging
mit ihm in feine Wohnung.
u
Nach der eriten Begrüßung in Béla's Ar-
beitszimmer, zündete fih Pußtafi eine Zigarre
an, und ſprach:
— Alſo, Brüderchen, Du biſt verliebt. Das
kommt zur ſchlechteſten Zeit; dieſe iſt nicht für
verliebte Leute geſchaffen, Bruder, ein großer
Kampf harrt unſer, und wird heranrücken, ehe
wir es vermuthen.
So wie man die Wahlen für den Reichs—
tag vorbereitet, it es zu erwarten, daß es
einen Kampf auf Leben und Tod geben wird.
Das wirft Du bereits wiſſen, was Ludwig
Battyani dem Palatin antwortete, als diefer ihn
frug, welche Hoffnungen er für den naächſten
Landtag hege? — „Wir werden die Pecſovics'
ſchlagen, daß es kracht, Hoheit!" .. . . In
ſolchen Zeiten iſt es nicht gut, wenn Jemand mit
ſeinem Herzen zu thun hat.
— Als Dichter mußt Du es wiſſen, daß es
hier kein Gegenmittel gibt.
— Es gibt eines. Die Liebe muß befrie—
digt werden; dann wird nicht ſie über uns herr—
ſchen. Mit verheirateten Männern läßt ſich ſchon
reden: aber Brautleute, unglücklich Liebende jind
zu nichts Beſſerem gut, als fie in. die Donau zu
ſchmeißen, wenn fie nicht von ſelbſt hineinfpringen.
— Ich brauche nicht viel Anipornung dazu.
— Wenn ih Spree, haft Du zu ſchweigen,
Brüderhen. Bin nit gefommen, um Eure
us AR ie
Triumphbögen zu begaffen, oder mih nad dei
Befinden Eurer Fräuleins zu erkundigen, ſondern
um etwas Entihiedenes auszuführen, Du jollteft
ſchon längſt in Peſt fein; unſere Freunde fragen
in einem fort, wohin Du gelommen ? Ich aber
zittere jeden Augenblid, dag man Did) pii Klich zum
Domänenfisfal ernennt, wo Du dann jelig im Herrn
entſchlafen fannft. Ih fam daher jest, um Dich)
mitzunehmen.
— Werde ein wenig ſchwer ſein. . . ..
— Auch der Traumſichtige iſt ſchwer, und
dennoch zieht ihn der Mond. Ich werde Dich mit
Deinem Monde ziehen. Du mußt dieſes Mädchen
heiraten, und damit ſei es mit der Privatſchwär—
merei zu Ende. Folgen höhere Schwärmereien,
denen wir gehorchen müffen.
— Die Eltern wiefen mid ab.
— Laß’ fie. Das Mädchen liebt Did), —
biſt Du überzeugt.
— Wie von meinem Tode.
— Dann nehme ſie, trotz ihrer Eltern.
— Werde es thun; muß mir aber früher
eine. ſelbſtſtändige materielle Exiſtenz gründen.
— Liebe3 Brüderchen, - derjenige, welcher -
fein Herz zu befriedigen wünſcht, ißt Kartoffeln,
und fühlt ſich glüdlih dabei, wern aber Jeman-
mehr jeinem Magen jhmeihelt, dann bleiben die
Kartoffeln für das Herz... Wenn es Deine erfte
Sorge ift, daß Deine Frau eine Dame jet, dann
— 46 —
gebe ich Dir einen Rath: In der zwei Adlergafſe
gibt es eine Seifenfiederin, die hat drei Töchter,
alle drei find häßlich und dumm, jede befommt
aber hunderttauiend Gulden; .. jet Hug und ums
jihtig, heirate Die Mutter, dann haft Du alle
dreimalhunderttaufend , . . . wenn Du Dir aber eine
Gattin wünſcheſt, die, wenn es jein muß, mit Div
ſelbſt das bittere Brot der Verbannung theilt,
dann, und wenn Alles wahr ift, was du mir in
Deinen Briefen über deine Geliebte gejchrieben,
dann heirate Dein Mädden, und wenn ſie baar-
füßig ins Haus kömmt; hr werdet ſelbſt auf
dem Eile leben fünnen..... Ad, die Liebe hat
Ihon Manchen zur Lebenstähigkeit gezwungen.
‚— Kannit überzeugt jein, daß ich jeder
Entbehrung,; jeder Arbeit fähig bin, aber ich ‚habe
den Muth nicht, fie zu fragen, ob fie im Stande
ift, einen gleihen Entihluß zu faflen.
— Das wußte ih im Voraus, dag Dir
der Muth Hiezu fehlen wird, deshalb befrug
ich fie,
— Wie?
— Kennſt Du bier einen jungen Manır,
Namens Barzfing ? |
Das Geiiht Lavay's wurde feuerroth, Wes-
halb erwähnt er auch dieſen Namen jeßt.
— Ich weiß eg, wer er ift.
— Du weißt e8 niht!.. Ach weiß es
Ueberhaupt weißt Du nie etwas, wenn Du es nicht
di — |
bon mir .erfährft. Du bift der Meinung, dieſer
Barzling ſei ein Advokat, während er ein gehei-
mer Dramaturg ift. Er war eben in Peft, ja
mir zwei Tage am Naden, und lag mir zwei
jeiner räuberichen Dramen vor, umfonit jagte ih
ihm, das es Eieleien, Verrücktheiten ſeien; nußte
Alles nichts; er kam am dritten Tage, und brachte
ein Luftipiel; von dem befam id) das Fieber...
Uebrigens gehört dies nicht zu Deiner Sache ...
Aber bei dieſem Eſel erkundigte id mich über
Deine und Judith's Angelegenheiten ; der Büffel
erzählte, was zu erzählen war... Ich habe be-
merkt, daß auch er in Judith verliebt ift, der
Narr; den legten Tag beihied ic) ihn zu mir und
ſprach: ‚Hören Sie, wilder Stier“...
— So wirft Du ihn doch nicht genannt
haben?...
— Was fallft mir in die Nede? Freilich
nannte ic ihn jo. Pflege ich denn mit den Ti—
tulaturen wähleriich zu fein, oder joll id Zemanden
einen gnädigen Herrn nennen, der mich Drei
Tage hindurch mit feinen niederträdtigen Dramen
quält? .. Er nahm dies jogar als große Ber:
traulichkeit von mir dahin. Alſo ih ſagte: Sie
haben midy drei Tage hindurh mit Ihren Dra-
men gefoltert; jegt thue ih Ihnen den Gefallen,
daß ih Ihr Machwerk dem Dramenbeurtheilungs-
fomit& bringe, und dasſelbe eriuche, damit...
einzubeizen. (Baͤrzſing bielt das für einen Witz
— ei
und bedankte fih dafür.) . . . . Aber auch Sie
müfen mir eine Freundlichkeit erweiſen. Sie
wiſſen, daß ich meine ſämmtlichen Gedichte zu
veröffentlichen gedenfe. Ein Verleger läßt ji
hiezu ſchwer auftreiben, ausgenommen, wenn id)
mid nod verbindlich. made, alle Tag jeine Stie-
rel zu pußen; ih made mid daher jelbit zu
jenem Geichäfte der Wegelagerung auf, wmeldes
man „pränumeriren laffen“ nennt. Hiezu braude
ih Patrioten von großem Einfluß, die das
Herumlaufen nicht ſcheuen, und fid nicht Tobald
vom Halfe ichütteln laſſen; auch braud)e ich be—
geifterte Patriotinnen, die ihre Hofmacher einzeln
füdern, und es fih zur Ehre anrechnen, wenn fie
den Bogen vollgezeichnet zurückſenden. Als ſolche
ericheint mir die erwähnte Patriotin.
— Der Narr Ihwor mir bei Himmel und
Erde, daß ich's getroffen habe... Nun bat ih
ihn, er möge einen derartigen Pränumerations-
bogen für das Fräulein übernehmen, id) werde
noch einen jchmeidhelhaften Brief beilegen, in.
welchem ich fie erſuche, ſie möge mir ihre hohe
Protektion angedeihen laffen.
— Du?. . frug Bela verwundert.
— Said. . . Aus dieſem kannſt du meine
vaͤterliche Liebe zu Dir ermeſſen, wenn Du be—
denkſt, daß ich für Dich jene ungeheuere Selbſt—
verleugnung begann, daß ich Thorſites erſuchte,
mich bei Deiner Penaloge zu zupatroziniren.
zu Ag.
— Ich veritehe. |
— So Ihweige doch! . Es wäre beſſer,
anftatt mich alle Augenblide zu unterbrehen —
was in Anbetracht Deiner Jugend (bift wenig-
ſtens um zwei Jahre jünger) nicht einmal Tchid:
jam tft — wenn Du mir Streichhölzchen herbei:
ſchaffteſft. . . Ein furchtbares Ding, ſolch' ein
Nichtraucher, man kann im ganzen Haus kein
Hölzchen finden! . . . Und nun weiter . „ der
junge Mann erbot ſich, zu meinen Befehlen zu
ſtehen. Ich ſchrieb (während er mit dem Hute
in der Hand vor mir ſtand) einen Brief an
Judith, welcher woͤrtlich lautet:
„Sehr geehrte Patriotin!
Ein junger Mann, den ich überaus liebe,
da er mein einziger Freund, und der deshalb
mein einziger Freund iſt, weil ich ihn überaus
achte, hat das Glück ihren Brautring zu tragen.
Wie ftarf er Sie liebt, ermefje id) daraus, daß
er, ſeitdem er in Ihrer Nähe, ift, jelbit meiner
vergißt, Umſomehr habe ih an ihn gedacht.
Heute erfuhr ich. von diefen Menſchen, der Ihnen.
meinen Brief einhändigt, daß Sie, die beffere
Hälfte der Seele meines Freundes, in. Folge
elterliher Willkür und politiſcher Meinungspiffe-
venzen wegen, von dem Ihnen anverwandten
Geiſte losgerifjen, Ihre Hand einem jener Thiere
reihen müſſen, welche ein Spiel der: Natur in
menſchliche Form gegoſſen hatte. —
Andere Zeiten. and. M. 4
as: So
Sch, der ih der geihmorenjte Feind
jeder Tyrannei bin, zähle auch die elterliche
Willkür dazu; und wenn die Eltern, denen Gott
eine föniglihe Gewalt über ihre Kinder cinge-
räumt, dieſelbe in Tyrannei ausarten laffen, fo
stelle ich ihnen das Recht der Empörung, des
Aufftandes gegenüber ; und ſowie die Worte der
Schrift beiagen: „Ehre Bater und Mutter, damit
du lange lebeſt auf Erden“, — to Sage id:
‚Ehre Sohn und Tochter, damit du glücklich
werdeft im Himmel.” Denn der Vater, welder
hier jeinem Kinde eine Hölle bereitet, hat ſchlecht
für jein Seelenheil gelorgt. Ohne Liebe ift das
Leben eine Hölle. . . Sie müſſen flühten. . . .
Alles, was der Menſch zu verlieren im Stande
ift, die Freundlichkeit feiner Belannten, die Theil-
nahme der Verwandten, der Belik, die weltliche
Stellung, jelbit das Heiligfte, der gute Ruf, find
Nichts gegen das verlorne Glück der Liebe... .
Ich weiß nidt, ob Sie die Kraft bejigen, zu
thun, wozu id) Sie auffordere ? . . . Aber id)
ſag's Ihnen einfach. Nach einigen Tagen, wird
in Folge einer gewiffen Aundreiie, in Ihrem
Mohnorte eine große Feitlichleit arrangirt.
Abends feierlihe Belendtung, fenne das Pro—
gramm.
Ich werde als Beiftand meines Freundes
fommen. Während der Sllumination treffen wir
am Hauptplage zuſammen. Sie werden am
= Bl: Se
Arme jenes Mannes gehen, welchen Ihre Eltern
zu Shrem Gatten erforen, es wird Ahnen ein
Leichtes, dev Gejellihaft um einige Schritte vor:
anzueilen, man wird Sie in fiherer Begleitung
glauben. Wenn ih dann zu diefem Menichen
einige Worte iprede, wird er Sie vorlaffen, um
zu mir zu eilen. In dieſem Augenblid ericheint
mein Freund, Ihr Getrener, reiht Ahnen den
Arm, das Boll ruft dem jid) nähernden Palatin
jeine obligaten „Eljen’s“ zu, jeder Blick haftet
an jeinem Antlig; — Sie eilen durch ein Geis
tengäßchen zur Donau, dort finden Sie einen
Kahn, mweldyer Sie über die Donau in das ge=
genüber liegende Dürfen führt. Der Seeljorger
war unſer Schullamerad; er wartet bereits mit
mit den nöthigen Zeugen; und in einer Stunde
find Sie vor Gott und den Menihen Mann
und Weib. ’
Wenn Sie diejen Plan.gutheigen und an-
nehmen, geben Sie es mir folgendermaßen zu
wiffen: Sagen Sie nad) Leſung des Briefes je=
nem Wanne: „Es thut mir leid, kann das Sam—
meln nicht übernehmen; bin nidt in der Lage,
id) ſelbſt unterichreibe ein Exemplar.“ Damit jen=
den Sie den unterzeihneten Bogen an mid).
Wenn Sie aber den Plan für unpaſſend halten,
dann werten Sie den Bogen weg, oder machen
Sie nihts mit ihm, feine Antwort wird aud)
eine ſein.“
4*
2. FRE oa
Diefen Brief übergab ih zur Bejorgung
dem Herrn Bärzfing, mwelder ihn aud ficdher
beforgen wird.
Bela Ihaute betroffen jeinen Freund au,
als wüßte er nicht, ob das Erzählte Scherz oder
Mahrheit fei.
— Du jpielft Komödie? ...
— Pflege es zu thun, Du weißt es. —
Ad, hab’ dod ein Zündhölzchen endlich erwiſcht,
bier am Dfen! ...
Hiermit zündete der Didter feine Zi:
garre an, und ſetzte jid) nieder.
— Nun, wie gefällt Dir meine Intrigue ?
— Sprichſt Du im Ernft ?
— Glaube feine Maske vor dem Gefichte
zu haben.
— Das war ja aber eine unſinnige Narr=
heit von Dir ?
— Ich wußte es, das Du erichreden wirit,
weshalb ih Did nit im Voraus gefragt babe,
ob Du einwilligſt? . . .. Die Frage ift nur:
Liebſt Du fie? ja, oder nein? .. Liebt jie Did),
ja, oder nein? . . Wenn auf beide Fragen die
Antwort mit „ja“ lautet, dann gehört fie Dir,
und Du ihr. Gibt man fie Dir nit, nimmſt Du
fie mit Gewalt. |
— Wohin denfft Du! — rief Bela mit
Entrüftung. | | |
— Was ich denke? —rief Pußtafi aut. —
= Eh a
Sch denke, daß Du ein Tablabirö bift, der bald
einen Schmerbaud befommen wird; daß Du nicht
jo viel Muth haft, wie die Henne zum Schwim—
men; und während id darüber nadjinne, wie
Dein Gefiht dem St. Juſte's ähnlich) ſieht, wäh—
rend ih Dich meinen Saint Juſte nenne, bift Du
ein wahrer Citoyen Picotin !
Bela fuhr auf dieſen Spottnamen in die Hühe.
— Sage das niht nod einmal!
— Das bift Du, Picotin ; und niht Saint
Juſte.
Das werden freilich Wenige wiſſen, daß Ci—
toyen Picotin Held irgend eines franzöfiihen Ro—
mans und ein muthiger Kürſchner it, der Telbit
die Tiger beim Schweif erfaßt, wenn jeine Haut
berabgezogen. Die zwei guten Freunde hatten
ſelbft gleihe Leltüren, jo das gewiſſe Anſpielun—
gen als gangbare Münze bei ihnen galten.
Der fatale Rame Picotins hätte zu einen
ärgeren Zerwürfnig Anlaß geben fünnen, wenn
niht Béla's Mutter erihienen wäre, um die
Streitenden mit der fategoriihen Mahnung ;
„Zaflet das Geplauder, die Suppe wird falt“ an
den Mittagstiih zu rufen.
— Soll nie ein größeres Unglück das
Haus treffen!. .. ſagte mit komiſcher Andacht
Pußtafi.
Béla's Mutter gehörte noch zu jenen Frauen
aus der guten alten Zeit, welche die Küche als
——
ihr Arbeitszimmer betrachteten, und die es mit
Stolz herausjagen fonnte, daß ein jeder Lein-
faden im Hemde ihres Sohnes bon ihrer Hand
geiponnen ſei. Wie viel Segen muß an dielen
Fäden haften; dachte doch die Witwe während
fie in langen Nähten die langen Fäden ſpann,
nie an etwas anderes, als an ihren Sohn.
Bela war noh ein Heiner, lallender Knabe,
als man feinen Vater zum Kirchhof trug; ſeit—
dem hatte die Mutter ihre Trauerkleider nie ab-
gelegt, fie kleidete fih immer Schwarz, nur an
ſehr heißen Sommertagen geihah es, daß fie ein
lihteres Kleid nahm, wo auf dem Ichmwarzen
Grunde graue Tüpfhen zu jehen waren.
In Früher Jugend war auch Bela ein
gutes, zu Haufe figendes, folglames Kind, etwas
furhtfam, und an dem Node feiner Mutter
hängend,; doch Ändert fi dies mit der Zeit,
wenn die Kinder großwachſen, und die guten
Alten wollen es nit veritehen.
Die alte Laͤvay glaubt heut’ zu Tage nod),
daß ihr Söhnlein das folgſamſte Kind der Welt
ift, welhes um Erlaubniß frägt, wenn es eine
Frucht berühren will, und alliogleih die Hand
zurüdzieht, wenn Mütterhen jagt, daß fie „un=
reif“ jet. Sie ift heute noch ſtolz auf ihn, denn
fie glaubt überhaupt, daß ihr Bela der Ihünite,
geſcheideſte, und ftärfite von allen Männern der
Welt ift.
u" a,
Sie muß ja dies aut beiten willen, denn
als er Kein geweien, hatte ja fie jeine vothen
Wangen gewajhen, jein blondes Seidenhaar ge-
fümmt; ſie muß am beiten wiſſen, weld' ein
Ihönes, Heines Kind ihr Bela ift.
Auh das hatte jie ja gejehen, wie ihr
Söhnlein es den Uebrigen in der Gymnaftif,
vorgethan, wie er viel, viel größere Burſchen,
als er, zu Boden wart. Ad, er war unftreitig
der ftärkfte! |
Wie ftolz war fie erſt auf jeine Gelehriam-
feit. Stets war er der erjte feiner Klaſſe. Mo
andere noch buchſtabirten, gehörte er ſchon unter
die Leſer; wie lobte man ihn Ipäter, alser größer
geworden, für jeine lateiniihen Aufſätze; um ſei—
ner, Ihönen Handſchrift gar nicht zu gedenken.
Und welde Freudentage waren es, al3 er die erite
Prämie erhielt, al3 er von der Univerfität heim—
fehrte, wie jtolz zeigte die gute Witwe die- emti-
nenten Zeugniffe! Der größte Triumphtag war
jedoch, als nad) Ablegung der Zenfur das Diplom
mit dem Prällarum in der a
feierlich publizirt wurde. ’
Wie viel hatte die gute Witwe über alles
diejes nachgedacht, wenn fie in ihrem puritaniſch
einfahen Zimmer am Spinnroden ſaß, und, bon
Niemanden gehört, heilige Pialmverje fang, und
wie fie zu Haufe entbehrte und parte, Damit ihr
Söhnlein in der Hauptitadt ſich's gütlih thun könne.
u SEE
Aber die Kinder wachſen heran, und die Freude
der Eltern verwandelt fih in Sorge. Der ftatt-
liche Junge wird durd die Liebe der Mädchen der
Mutter abwendig gemacht; und es trägt fi, ob
ſich eine Liebe finden, welche die der Mutter auf-
wiegt. Sein Muth, jeine Kraft verleitet ihn zu ge=
rährlihen Händeln; und die arme Mutter be=
merkt an einem jhönen Tage, dag ihr Söhn-
lein mit einer Narbe auf der Stine heimfehrte ;
und das Söhnlein brüftet ſich nod mit dieſer
Narbe, denn der Gegner hat deren drei erhalten,
ad)! wenn man ihn getüdtet hätte! „Verdecke die
Narbe mit deinen Locken, — jagte die Witwe —
damit fie nicht Jedermann ſehe!“ |
Und nachdem das feine Söhnlein ein großer
Manı geworden, und ſich wie einjt auf den
Schulen, nun zum großen Examen des öffentlichen
Lebens jtellt, und zu iprecdhen beginnt von Din—
gen, über welche der eine Theil der Zuhörer in
ſtürmiſche Beitallsrufe ausbricht, während der an=
dere mwüthend ein „Ereuziget ihn!“ ruft; ad), wie
pocht doch damals das Herz der armen Witwe !
Ah, wie Ihade, das die Kinder jo groß heran
wachſen, wäre es nicht beifer, wenn fie immer To
lieb und Elein blieben !
Frau Lavay hatte auch jegt jelbit das Mit-
tageffen beſorgt; es fam nur das auf den Tiſch,
was ihr Sohn gen aß; prädtige ſchmackhafte
Speiſen. Pußtafi konnte fi) des Lobes nicht ent-
—-„ —
halten, nd nahm von Allem zweimal ; die Hausfrau
drängt ihn aber, auch das dritte Mal zugulangen !!
Bela genießt nihts. Er Schaut ftumm auf fein
Teller, und wenn ihm die Alte die loderjten
Biffen vorlegt, vergißt er fie auf dem Teller, und
jagt: er habe feinen Hunger.
— Bift Du frant? Fehlt Dir Etwas ?
— Ganz und gar nide. Ich eſſe ja
genug.
— D, auf den, der Ihon geſtorben ift,
jagt man, er hat ſchon genug gegeſſen. Dod es
fehlt Dir wirklid Etwas. Oder ſchmeckt Dir das
Eſſen zu Haufe nicht mehr. Niht wahr, «3
ihmedt Dir nidt. In Peſt befümmt man Beſ—
ſeres. Sagen Sie mir doch, Herr Pußtafi, denn
mir gefteht er's nicht, was jpeilte denn Bela ges
wöhnlidy in Veit? Ich kann das auc bereiten,
wenn ich es nicht kann, will ich's erlernen; ich)
ſchaffe es vom Ende der Welt her, wenn man es
hier nicht bekommen kann. |
Die Lippen der guten Alten zitterten, dem
Weinen nahe in ihrer Betrübniß; Bela legte
jeine Hand verjühnend auf die feiner Mutter.
— Alles, was hier ift, meine Mutter, iſt
jehr gut; nur mein Gaumen it Ichledht.
— Das ıft nicht wahr, niht Dein Gaumen
ift Schlecht, fondern Du haft irgend ein Leid, das
Du mir verheimlichft. Nicht, wahr Herr Pußtafi?
u 3
Er bat irgend ein großes Leid. Bor mir ver—
heimlicht er es.
— Bela Fehlt garnichts, glauben Sie es, —
jagte Puhtafi mit rauhem Sarkasmus. — Das
Ganze beſteht darın, dag er jekt zweiundzwanzig
Jahre alt ift; jet kommen die Weisheitszähne,
und die Heinen Kinder pflegen Schlechter Laune zu
jein, wenn ſie einen Zahn bekommen.
Die alte Dame aber veritand keinerlei Wig,
beionders wenn von Bela die Rede war.
— D! mein Bela braucht feine Weisheits-
zähne mehr. Eher ift das jein Uebel, daß er
mehr Verſtand hat als Andere. Deswegen ber:
folgt, beneidet man ihn. Ich weiß Alles recht
gut, obzwar idy nirgendshin aus dem Haufe gebe.
Denn wenn Jemand etwas Schlechtes jagen kann,
wodurd er mir Verdruß bereitet, jo fümmt er zu
mir. Wenn meine Freundinnen mid) bejuchen,
jo weiß ich's im Voraus, daß fie nur darum
fommen, weil fie irgend ein Gellatih über Bela
in Bereitihaft haben. Sie erzählen mir, wie jehr
fi) die Herren über jeine Rede geärgert haben,
die er in der Verjammlung gehalten; in welcher
er ſagte, man müfje den Bauern von den Herren
befreien. Und er hatte doch Recht. Ich war
nicht dort, doch ich weik gewiß, daß er richtig
geſprochen.
— Er hat klaſſiſch geſprochen! — verſicherte
— 59 —
Pußtafi heitig. — Wenn er nit jo geiproden
hätte, jo müßten Sie jetnetwegen erröthen.
— Nun, niht wahr? — fiel Frau Lävan ein.
— Daß id doch Jemanden finde, der ſagt, er habe
tihtig geiproden. Und doch hatte er viele herr-
Ihartlihe Freunde, die früher feinen Pla gut
genug für ihn fanden und jekt jagen, daß man
meinen Bela von jektan nicht einmal zum Ran:
zelliften annehmen werde.
— Hahaha! — late Pußtafi. — Erging
auch nicht darauf los.
— Die, welde ihn früher feinen Tag ent:
behren konnten, verleugnen ſich jekt vor ihn. Das
thun Diejenigen, welche ihn mit füßen Worten
gelodt, und auch Diejenige, die jeinen Verlo—
bungsring getragen.
— Ich bitte Ste, liebe Mutter, ſprechen
wir hierüber nidt, jagte Bela mißmuthig: —
ſonſt werde ich nod weniger eſſen fünnen.
— Na, na, nimm es Dir nit jo zu
Herzen, lieber Sohn. Ih mollte Did) nicht
verfuhen. Jh weiß es gut, daß nicht fie die
Schuld trägt, ſondern ihre hohmüthigen Eltern ;
jagte ich's Dir beftändig, daß es uns nicht gut
it, auf ein größeres Glück zu warten, als wel-
ches uns gebührt.
— Ras, Glück? fuhr Pußtafi empor. —
Möge ſich es das Mädchen als Glück anrechnen,
wenn Bela fie mit feiner Neigung beehrt. Bela
— 60—
wird ſtets um einen Kopf höher ſteigen als
Andere! |
— Ich werde mic freuen, wenn er nicht
um einen Kopf niedriger wird, — jagte die gute
Alte mit ängftliher Anfpielung.
—_ Mfo auch Sie, Mutter ! — jeufzte Bela
mit Ihmerzlihem Vorwurf.
— Na, na, mein Sohn, id) wollte Did ja
nicht betrüben. IH ſagte es nur jo, denn Du
weißt e3 ja, daß dieſe närriihen Menſchen jet
von nichts Anderem jprechen, als daß Du deinen
Kopf auf's Spiel geſetzt haft. Dies ift aber nicht
wahr, ih weiß es, daß es nicht wahr ift.
— Ad, was braudt man auf das Hein-
ftädtiihe Geſchwätz zu hören! — rief Pußtafi, ji
zornig mit beiden Ellbogen auf den Tiſch ftem-
mend. — Bela iſt darüber hinaus, daß man
ihm ſchaden könnte.
— Das ſag' ich ja auch. Habe ich nicht
unzählige Mal zu meinem Sohne geſprochen:
Weshalb ſuchſt Du ihre Freundſchaft, meshalb
gehft Du ihnen nad, und härmft Dich mit ihnen
ab?.. Du ftehft ja auf fie niht an, wirſt
aud feinen wahren, aufrihtigen Menihen unter
ihnen finden. Härme Did nit, mein Kind ; wir
haben ja ein fleines Gut auf dem Lande, wir
ziehen dort hinaus; Du bit ein guter Wirth, id)
bin ſparſam, wir werden auf unjerem befcheidenen
Gute ebento leben fünnen, wie es deine Ahnen
Br Be
gethan, von denen feiner unter achtzig Jahren
geftorben tft... Ab wäre auch Dein arımer
Vater Sort geblieben, aber er war auch jo voll
Eifer wie Du. Auch er hatte jih dem öffentli-
hen Leben gewidmet und hatte das eigene mit
dem dreißigſten Jahre beendet.
Der frommen Witwe trat bei diejer Erin-
nerung ummillfürlid eine Thräne in's Auge; durch
diejen Thränenglanz blicte jie jo bejorgt, jo liebe-
voll auf ihren Sohn, daß Pußtafi den ſchmerz—
lihen Zauber dieſes Blickes niht ertragen konnte
und vom Tiihe aufftand; und dod war nod) fo
mander Leckerbiſſen zurüd, Gingejottenes, dürres
Obſt, was die Witwe das ganze Jahr bindurd)
für ihren Sohn bereitete; wurde ja doch Alles
nur für ihn bereitet.
Auh Bela ftand auf, küßte die Hand und
das Antlig Seiner Mutter; die gute Matrone
umarmte ihn und flüfterte ihm zu: „WBergik
deiner armen Mutter nicht.“
Pußtafi wollte in die Konveriation eine hei:
terere Stimmung bringen.
— VBerzärteln Sie doch dieſes Kind nicht
gar jo jehr. Glauben Ste mir, er verdient nicht
halb fo viel. |
— Wenn ih aber Niemand Andern zu ver:
zärteln habe. Und danıt, wenn ic ihn jehe, iſt's
mir, al3 ob jein armer Bater vor mir ftünde.
Diefelbe hohe Stirne, dielelben Tanften Augen,
u. 205
jelbft feine Stimme, jelbjt der Klang ſeiner Schritte
find diefelben. Seine Feinde jelbft find dieſelben.
— Ab, vor diejen machen Sie ihm feine
Furcht. Bela ift ein Mann, der feinen Feinden
zu antworten weiß.
— D! ih möchte es auch ichen! Wenn
Jemand meinen Sohn beleidigte! Weil ich jo leicht
weine, müflen Sie nicht glauben, daß id ſchwach
bin. Fragen Sie nur Herrn Tertdi, als er bei
Lebenszeiten meines theuern Mannes hieher kam,
ji) grob benahm, weil er ihm in feinen Rech—
nungen den Unterſchleif nachwies; mein armer
Seliger war ein ſehr ſanfter Menſch; ich aber,
als ich fah, daß er nicht fo grob ſprechen Tonnte
wie Jener, ergriff die Hanfftange vom Spinn:
rocken und ftellte mid dem Tertöi entgegen: „Der
Herr pade ſich ſofort von hier, ſonſt ſchlage ich
ihm den Rodenftiel jo an den Rüden, wie er noch
nie mit einem Rodenftiel geprügelt !* Er trollte
fi) aud) fort der Gute, vor Schreden fand er
faum die Thürklinke.
Bei diejer Erinnerung war das Geſicht der
Witwe ganz roth geworden; was wieder heitere
Laune in die Geſellſchaft bradte. Die gute
Dante fam dann in den beften Humor; ſie be-
traute den Pußtafi, er möge es überall, wohin
ex käme, felbft in Peſt Sagen: „Möge nur Je—
mand meinen Sohn jo beleidigen, daß ich ihn
duchprügle.“
—
— Jetzt weiß id ſchon, daß Ste rauchen
möchten, ich ſchicke alſo den Kaffee auf Béla's
Zimmer.
Frau Lévay ging ihn ſelbſt bereiten.
Als die jungen Leute in Béla's Zimmer
allein blieben, ſprach Pußtafi mit ernſtem Pe
zu Bela :
— Seht, theuerer Freund, thut es mir
ſchon leid daß ich den Brief jenes dummen
Kerl's abgeſchickt habe.
— Warum?
— Weil ich ſehe, daß Dir nicht nur Deine
Geliebte am Herzen liegt, ſondern noch mehr —
Deine Mutter. Sieh', als ich ſelbſt meine, hun—
dertmal verfluchte, doch immer angebetete Lauf—
bahn betrat, hielt auch mich eine nie, nie wieder
zu erträumende, liebende mütterliche Stimme zu—
rüd, vertröſtete mich; und wenn mid damals
Jemand beredet hätte, id) möge auf dies Wort
nicht hören, id) wäre jet jein Todfeind, doch da
e5 Niemand gethan, als ich ſelbſt, fann id) auch
Niemanden verfolgen.
In diefem Augenblide fingen die Hofhunde
zu bellen an und Bela eilte an die Thüre, denn
Jemand vertheidigte ſich gegen einen harten
Angriff.
— Ah! Barfing, Du biſt's, den die Hunde
verihlingen wollen ?
— Hole fie der Teufel! — ſchrie der Ankom—
— GE DO
mende, mit dem Rüden die Thüre eindrückend
und ſich gegen zwei giftige Wolfshunde mit
feinem Stode vertheidigend ; jo oft id) herfomme,
wollen fie mid freien. — Ah! ergebeniter
Diener! — damit drehte er fih um. Es war
ein großer, junger Mann mit gelblihem, mit
rothen Sommeriproffen beſäetem Geſichte, welches
ein wolkenfarbener Bart und Schnurbart bunt
machte, mit wäſſerig blauen, ſtechenden Augen,
mit breiten, aufgedunſenen Lippen, mit impertinent
farbigem Haar, das an Sonn: und Feiertagen
vom Friſeur künftleriih arrangirt iſt; die ganze
Figur kündigt ſchon von Weiten ihre Ankunft
durch ihren unausftehlihen Parfum an. Der
edle Züngling wählte zu feinem Gefihte paſſende
Farben, da er eine jalatgrüne Magyarka anzog,
aus deren weiten,, offenen Aermeln vojafarbenes
Seidenfutter morgenöthlih ftrahlte, dazu eine
weichſelfarbene Sammtweſte, ‚und obzwar es id
nicht ſchickt, von gewiſſen Kleidungsſtücken zu
Iprehen, wäre es doch Jammerſchade, den guten
Einfall zu verihweigen, daß er. den Saum des
Tuches, aus dem er Seine Inexpreſſiblen anfer-
tigen ließ und auf welhem die Firma der betref-
fenden Fabrik aufgeihrieben zu fein pflegt:
„Driginalsvaterlandiihes Erzeugniß, 1846," außen
an feine Pantalon ftatt eines Streifens nähen
ließ, damit es Jeder von ferne leſen könne.
— Shön willfommen! — ſprach Pußtafi
lachend zu dem Hineinflüchtenden, Bald ware es
Ihnen ergangen wie Milo von Kreta.
— Der Teufel hole Deine Hunde , — lärmte
diejer, noch außer fih vor Schreden. Ich fagte
ihon, daß ich fie einmal vergiften werde, wenn
Du fie nicht befjer gemöhnft. Du mußt fie ab-
ſichtlich dreffiren, mich zu paden. — Sid dann ein
wenig faffend, wandte er fih zu Pußtafi, nahm
eine feierlihe Pofitur an und begann mit ver—
änderter Stimme folgendermaßen: „Hochgeehrter
Patriot!"
— Um des Himmelswillen, „Freund der
Tugend‘, Sie tollen doch hoffentlich feine Rede
halten ?
(Nun mug man willen, daß damals die
Anſprache „Freund der Tugend“ beim „jungen
Ungarn“ jehr in der Mode war, namentlid) wurde
es Leuten gegenüber angewendet denen man nicht
gern fagte: „mein Freud!)
— Geehrter Patriot! Ja ic) bin der Ge-
jandte der Tugend; und bin jo frei, Ihnen, als
einem weltberühmten großen Manne, im Namen
unjerer, Stadt eine Einladungsfarte zum morgi=
gen Feitbankette zu überreichen.
Pußtafi ließ die fragliche Karte nicht ein-
mal aus dem ſchönen Solopapier herausnehmen.
— Sind Sie nur wieder jo frei — Freund
der Tugend — die Karte zurüdzutragen und
jagen Sie der edeln Jugend, ich werde, wenn
Andere Zeiten, and. Menfhen 1. B. 5
Ba
man „mir zu Liebe“ irgend ein ———
arrangiren wird, hinkommen. Und nun ſprechen
wir von andern Dingen. Ich habe ihre Dra—
men bereits dem ——— -Komité über:
geben.
Er wußte wohl, daß er, wenn davon die
Rede ift, das Bankett, die Gejandtihaft und Die
Rede im Stiche lafjen werde.
— Wirklich? Bei wen find Ste ſchon?
— Birösmarty hat fie Ihon gelejen.
— Und wie urtheilte er darüber ?
— Auf das Luftipiel jagte er: „ein hüb-
ihes, Kleines Zuftipiel.“
Freilich konnte das die ganze Welt nicht
wiſſen, daß der berühmte Dichter, wenn ihm ein
ſehr werthloſes, poetiſches Werk in die Hand kam,
es mit dieſem kleinen, lauen Epitheton zu taufen
pflegte: „hübſch klein.“)
— Wirklich! — rief Herr Bärfing mit ſtrah—
lendem Auge, und umarmte Pußtafi. Was ſagte
er denn zum Drama?
— Von dieſem ſagte er: „wahrhaftig ein
giftiges Kleines Drama.“ |
Auch das war nicht Jedermann an Die
Naſe gebunden, dag, wenn der launige Dichter:
rezenſent auf irgend ein dichteriſches Werk fagte:
„ein giftiges Meines Gütchen“, Dies ein fürdter=
uͤches Produkt ſein mußte. |
— —
— Du ſagſt Einem gar nicht, daß Du
Dramen ſchreibſt! — tadelte Bela ſcherzend
Herrn Baͤrfing. |
— Hm! WVir fünnen nit Alle in einer
Sache ausgezeichnet fein. Du pflüdft auf der
Rednerbühne Lorbeeren. — Hier erihraf Herr
Bärfing jelbit vor dem, was er gejagt, ·Laͤvay
runzelte auf dieſes Wort feine Augenbrauen ;
vieleiht nimmt er’3 für eine Nederei! Herr
Barfing hielt es daher für gut, feine Rede mit
ihmeidhelnder Stimme zu verändern. — Siehſt
Du, theurer Freund, warum trateft Du auch von
der morgigen Rede zurüd ? Allefammt bedauerten
wir es. Du gabjt nit einmal eine Urſache
an. Du zeigteft einfah an, Du würdeſt nicht
ſprechen.
Pußtafi blickte beſorgt auf Bela ; er kannte
ſeinen Mann; er wußte, dies ſei der Lockruf des
„Provokateurs“: was wird er wohl darauf ant-
morten, damit er fi) weder erniedrige, noch
berrathe.
— a mein lieber Nazi, — Jagte Bela leicht-
bin, — id babe darum einfad) abgejagt, weil ig,
bon der Ankunft Pußtafi's unterrichtet, es na=
türlih) fand, meinen Gaft und Freund nicht zu
verlafien.
Bravo! brummte Pußtafi. Der Junge ift
zum Diplomaten geboren: er lügt nidt, jagt aber
5*
ei. HR
auch nicht die Wahrheit; er verleht, laͤßt ſich
aber dabei nicht fangen.
— Doch ſprechen wir lieber von klügern
Dingen, „Freund der Tugend“, was haben Sie
mit meinem Briefe, den ich Ihnen anvertraute,
gemaht? Das ift die Hauptſache. Ich Habe
mich für Sie verwendet; was thaten Sie für
mid) ? |
— Ich bitte taufend Mal um Verzeihung,
geehrter Patriot! bis jegt Tonnte ih ihn nicht
übergeben, weil fienod nit zu Haufe waren, —
Gott ſei Dank! dachte Pußtafi bei fih und fiel
Baͤrſing unwillig in die Rede.
— Wenn Sie ihn bis jet nicht übergeben
haben, jo thuen Sie es aud) nit mehr.
— Aber ich bitte ergebenft, — entihuldigte
ſich der nationalfärbige Züngling betroffen ; — Sie
waren nicht hier, ih wußte aud nicht wo fie
wären. |
— Leere Ausfluht. Schon geiten Abends
famen fie an.
— Sa, aber ih konnte nicht hingehen,
denn vor zwölf Uhr kann man dort feinen Be:
ſuch machen. Jetzt gehe ich geraden Weges hin:
Ich habe ſowohl Brief als Bogen bei mir.
— Geben Sie Beides zurüd. Ich will
überhaupt das Fräulein niht damit beläftigen.
Nicht wahr lieber Bela, auch Du hältjt es für
unrecht, daß ein Dichter zu feinen Pränume:
ar 0
rations = Bogen auch einen Empfehlungs = Brief
ſchreibe.
Bei dieſen Worten ſah Pußtafi mit bedeu—
tungsvollem Blicke auf Bela.
Bela ſtützte ſich mit verſchlungenen Armen
auf ſeinen Schreibtiſch. Pußtafi erwartete eine
Antwort auf ſeine Frage.
„Nein,“ — antwortete Bela,
— Wie? — Du glaubſt alſo es ſei in
Ordnung, wenn ich meinen Sammelbogen in Be—
gleitung des Empfehlungsſchreibens an Kräulein
Hargitay ſchicke? |
„a,“ — antwortete Bela ruhig.
Pußtafi fragte, näher zu ihm "hintretend,
ihn noch einmal ernft:
— Und antworteft Du mir jo, bedenfend
was daraus entjtehen fann ?
— X.
| — O! fürdten Sie Nichts, — fiel Held
Bärfing ſchwatzend ein ; — es wird gar feine ſchlech—
ten Folgen haben. Ich bitte es nur mir zu
überlaffen. Ab, Fräulein Judith ift feine ſolche
Dame.
Bei fih dahte er: Gewiß hat ihn Laͤvay
angeredet, an Sie zu ſchreiben; gewiß bat er
jeine gewejene Braut ſchön beredet. Auch das
it ein Stein gegen Bela bei den Hargitan's..
— Nun, ſo tragen Sie, „Freund der
Tugend”, meine Sendung jenem biedern Mägdlein
a U © ,
hin und bringen Sie bald Antwort, ob fie die—
jelbe angenommen hat oder nicht.
— 5b werde im Augenblide bier fein!
Das heißt: id habe von drei bis vier Uhr einen
Zermin: Wir verfaffen irgendwo ein Teftament.
Sie erlauben es jehr geehrter Patriot.
— DI! jehr gerne, laffen Sie jo viel Te—
ftamente machen al3 Sie wollen.
— Punkt vier Uhr jedod bin ih hier.
Bis dahin empfehle ih mid. Ich bitte Dich
. Bela, pfeife Deinen Hunden, daß fie mir nicht
nachſetzen. Vorhin big mid einer in die Flechſe,
zum Glüde ift mein Beinkleid aus vaterlän-
diſchem Tuche, jo, dab feine Zähne es nicht
durchbeißen konnten.
— Welcher war'sdenn? — fragte Pußtafi
theilnahmsvoll.
— Der Rothe, der Cziczke. Hahaha, ich
empfehle mich.
Dann, während Bela perjünlih den Ritter
Barling bis zum Thore eskortirte, rief Pußtafi
Cziczke in's Zimmer, gab ihm Zuder, ftreichelte
ihn, lieblofte jeinen Kopf: „DO! du Fluges,
liches Thier, du treffliher Menſchenkenner, Weifer !
Eine Minute fpäter fehrte Bela zurüd.
Die zwei jungen Berufsgenoffen begegneten ein—
ander in der offenen Thüre.
Siereihten einander zu gleiher Zeitdie Hände,
— Du haft Deines Schickſals Würfel ge:
worfen, ſprach Pußtafi.
— Erijt in Gottes und Judith's Hand, —
erwiederte Bela mit wahrer Andacht.
— Beneidenswerther Menſch, — ſprach Pup-
tafi feufzend, — der noch auf Gott und feine Ge—
liebte vertraut.
Ein Herz, weldes beim Berühren
Funken fprüht.
Herr Bärjing eilte zu den Hargitay's, in-
joferne diefe Eile nad) dem gefallenen nächtlichen
Regen in einer Stadt möglid) war, wo bet fothi-
gem Wetter der auf Beſuch ausgehende Dandy
über das holperige Pflafter einen förmlichen Eier-
tanz hüpfen muß, wenn er fein Ziel mit halb—
wegs reinen Stiefeln erreihen will; damal3 wa—
ven die Gummi-Galoſchen — feligen Andenfens
— melde ſich fpäter einen jo emblemiihen Auf
erwarben, nody 'niht aus Amerifa importirt
worden.
Sm Haufe mit dem grünen Thore wurden
die Leute niht von Hunden angebelt, vielmehr
fonnte Bärfing bis zur Thüre des Vorzimmers
dringen, ohne Jemanden zu. begegnen. Aud) das
Vorzimmer war gänzlid) leer; der Hußaͤr mochte
vermuthlih beim gnädigen Herin, das Stuben-
mädchen bei der Dame beihäftigt jein.
Barfing gerieth in Berlegenheit. Was thut
bei folder Gelegenheit ein „an die gute Gefell-
ihaft gewöhnter Mann“ ?.. Er hatte zwar jene
in 333 Paragraphen abgefaßte „Etude“ aus-
— —
wendig gelernt, welche den Mann, der fie hält,
zum „MWeltmann“ ftempelt; aber 8. 4 derjelben
jagt: Wenn ein „an die gute Gejellihaft ge:
wöhnter Mann“ in ein herrihaftlihes Haus kömmt,
frägt er den Diener, ob die gnädige Frau und
das gnädige Fräulein zu Haufe feien? Iſt nur
das Fräulein zu Haufe, dann läßt er fi nicht
anmelden, jondern gibt einfach feine Karte gehörig
eingebogen ab; iſt aber aud die Dame des
Haujes daheim, dann nennt er feinen Nanten,
und mährend ihn der Diener anmeldet, muftert
er feine Toilette, ob Nichts in Unordnung. ge—
rathen? dem zurüdfehrenden Diener übergibt
er dann feinen Stod, während er den Hut bei-
05 i
Aber das vortrefflihe Bud gibt gar. feine
Snftruktion für den Fall, wenn man keine Diener-
jeele im Vorzimmer antrifft... Was dann zu
machen? Solle man eine Stunde lang warten ?
Aus langer Weile vielleiht den in der Kaffee:
mühle ftehen gebliebenen Kaffee fertig mahlen ?..
Durch Räufpern, Fußſchauern feine Anwejenheit
fundgeben, oder einfach) umkehren und davongehen?
Ueberhaupt dann, wenn die in das Zimmer der
Dame führende Thür offen fteht, und man es un-
willkürlich mit anhören muß, wie Frau von Har-
gitay mit ihrer ſcharfen Stimme Femanden aus=
iheltet; und wenn diefer Jemand Niemand ans
derer ift, als das Fräulein ſelbſt.
a
Herr Bärfing war der Anfiht, dag ein
„an die gute Geſellſchaft gewohnter Mann“ bei
jolden Gelegenheiten zu lauſchen pflegt. Hier ift
abermal3 zu bemerlen, daß dies vor fünfzehn
Sahren geihah, wo das Lauſchen an den Thüren
diplomatiih noch nicht autorifirt war; und wo
derjenige Sournalift, welcher feinen Beriht aljo
begonnen hätte: „Ueber die Details der geheimen
Konferenz können wir nad unjerem Berichter—
ftatter mittheilen“, fiher fein konnte, daß der
Leſer in den Auf ausbriht: „fiehe den Unver—
\hämten, er hat gelauſcht!“ ...
Dies kümmerte aber Herrn Barfiny nicht,
er lauſchte. War er doch allein, und hatte fi
vor, Niemanden zu Ihämen. So wie der Gegen-
ſtand des Geſprächs immer intereffanter zu wer:
den begann, um jo näher rüdte Herr Bärfing
der Thüre und hielt zulegt fein Ohr an die—
jelbe.
Die gnädige Frau halt Fräulein Judith.
EIER es ijt die letzte Stunde: wenn Du
Dich nicht entiheideft, wirft Du die Folgen fehen !
Meder ih, nod Dein Vater werden je einwilligen,
daß Du feine Gattin wirft. Dein Vater ift un=
verföhnlich gegen ihn. Du verfteht das Warum
nit, das ift Politik. Dein Vater ift der libe-
ralite Mann des Komitates, Du weißt, welde
glänzende Fackelmuſik ihm gebracht ‘wurde, als er
das Adminiftratoren-Spftem jo mächtig angriff !
— Hi
Und als er erft in Angelegenheit der gemiſchten
Ehen loszog... Man führte ihn von Komitat
zu Komitat, wie einft Johann Balogh und Fo—
rintos, damit er überall Reden halten möge. War
e3 niht Dein Vater, weldher’inder Urbarialfrage
für die „Ablöfung“ plaidirte! Hat man ihn nicht
verherrliht dafür? Und jest läuft jo ein Schul:
junge ber, um ihn zubeihämen und ihn zu über-
treffen, einen Mann, wie Dein Bater!.. Er
geht Daher, und jchreit e3 in die Melt hinaus:
‚nicht Ablöfung“ fondern allfogleihe Abihaffung
des Urbariums!.. Weißt Du, was das zu be=
deuten bat?!.. Revolution!.. Und weißt Du,
was mit dem gejchieht, der eine Revolution an—
itiftet ?!.. Er wird enthauptet.... Was joll
nun Dein Vater mahen? Wenn er dem jungen
Manne opponirt, nennt man ihn einen Pectovics!..
E3 wird ihm, wie Paul Nagy ergehen; vorgejtern
war er noch der Abgott der Nation, heute wiſcht
man die Ihmugigen Kühe an ihn... . In einem
Moment kann Dein Bater feine Popularität ein=
büßen, und daran ftirbt er. Bedenfe, wenn es
ihm einmal ergehen möchte wie es dem Honther
Deputirten in Peſt erging ? Er würde fi augen
blilih eine Kugel vor den Kopf jagen!...
Fräulein Judith erwiederte hie und da ein
Wort, doch ſo Teile, daß man es nicht hören
Ionnte.
Frau von Hargitay Half dem jedoch ab, ın-
ne
dem fie die Worte ihrer Tochter jo laut wieder:
holte, daß fie auch Bärfing vernehmen fonnte.
— Du meinſt, er habe ja Recht, er
ſpreche die Wahrheit, ih bedanke mich für ſolche
Wahrheit! Wenn dies einmal geihieht, dann Fün-
nen wir vom Boden jteigen !
„. ... was ſprichſt Du? dag wir dann zu
Fuß ſpazieren werden?.. Selbſt das weiße Brod
wird uns aus den Händen fallen!.
„ . . . . bit mit dem Schwarzen aud) zu=
frieden?! Von Dir trägt das aber der ganze
befigende Adel Ungarns nidt. Zum Glüd —
hängt es auch nit von Dir ab; weder von den
windbeuteligen jungen Herren. Mit diefen Leuten
haben wir jede Berbindung abgebroden. . . Es
it nit zu leugnen, da auch wir Lävay ach—
teten: daß es nicht mehr jo ift, daran trägt er
felbft die Schuld, warum Hat er fih in Ichledhte
Geſellſchaft gemiiht. — In was für jchledte
Geſellſchaft? .. Weiß vielleiht nicht Jedermann,
wer dieſer Pußtafi und feine Liga ſei? . .. Ein
Dichter?
Ja, aber welch cin Dichter! . . . Ein
Agitator, ein Landesſtoörer, den man anderswo
laͤngft in Ketten gelegt hätte... Wenn ihm
ſolche Menihen beifer anftehen, mögen fie ihm
bleiben. Dein Vater hat es ihm Hug zu wiffen
gemadt. Er trug ihm eine fihere Stelle bei
a
——
dem Fürſten ** an, wer ſchlug ſie aus, nicht er?
Und doch hätte es Deinem Vater nur ein Wort
gekoſtet, um dieſe Stelle an Baͤrſing zu ver—
leihen. . . Jetzt iſt es zu ſpaͤt zur Umkehr; er
hatte ſelbſt die Thüren Hinter ſich verriegelt, und
Du mußt ihn aus dem Kopfe ſchlagen. Du
weißt es gut, daß Dein Vater ein ſtrenger Mann
iſt, was er einmal ausgeſprochen, daran hält er
feſt. Heute Nachmittag um drei Uhr werden
mein Bruder und Bärling zu ihm kommen, um
das Teftament zu verfaffen. In dieſem Tefta-
ment wird Deine Hand derart gebunden werden,
dag Did, wenn Du gegen unjeren Willen hei—
raten follteft, die Strafe auch nad) unferem Tode
ereilen ſoll. ..
Ich wollte die Sache nicht ſo weit treiben,
aber der Entſchluß Deines Vaters iſt unerſchüt—
terlih, Du kennſt deinen Vater, haft ja fein
Naturell geerbt; biſt ebenſo hartnädig wie er;
wirst es einft bereuen!
Hier folgte eine längere Antwort Judith's,
aber ebenjo leiſe und in ebenſo gedrüdtem Tone,
das Bärfing fein Wort davon vernehmen konnte,
troßdem er ſich To hart an die Thüre lehnte, day
er nicht einmal Martin den Hußären bemerfte,
welher mit einem Stoß Porzellaingeihirr in's
Zimmer trat und dem horhenden jungen Herin
einen vertraulihen Schlag auf den Rüden ver:
jeßte, mit den Worten:
— ER
‚Suten Tag, Jank! ...
Herr Bärfing ſah fi erihroden um.
— Tauſendmal um Vergebung... grinste
der Hußaͤr, — ih glaubte es jei Janko, der
Diener der BVerpflegsbeamtin. . Ih werde Sie
der gnädigen Frau allfogleid) melden.
Der junge Herr aber mußte den Puff
und das naive Qui pro quo dulden, indem er
ih in einer Stellung ertappen ließ, wobei er
ſich's als Glück anrechnen konnte, daß man ihn
nur für einen Diener, und nit für ein Stuben-
maͤdchen anſah.
Martin kam nach wenigen Minuten zurück
und ſprach: „Belieben hinein zu ſpazieren.“
Es war dies kein zum Beſuch geeigneter
Moment. Aber: Baͤrſing mußte gehen, denn
Martin riß die Thüre auf und drängte ihn in’s
Zimmer. |
Martin ſchloß die Thüre; und als er allein
im VBorzimmer war, machte er die Bewegung,
wie wenn man Ginen mit beiden Fäuften am
Kragen padt, und bei der Thüre hinauswerfen
will, fi aber befinnt, und den Wurf durch's
Fenſter vornimmt; dann drohte er nohmals mit,
der Fauft und ging, um feine Xeller abzu—
wiſchen.
Waͤhrend dem fühlte der in den Saal ge—
tretene Bärfing eine arge Bellemmung, indem er
bedachte, daß er nun vor eine Gejellihaft, die aus=
gemweinte Augen hat, treten müffe; zu jeinem
großen Erftaunen mußte er jedoch bemerken, daß
die ſtattgehabte Rede nichts mit den Geſichts—
zügen zu thun hatte: Frau von Hargitay fanı
ihm mit dem freundlihften Lächeln entgegen,
während Fräulein Judith mit leidenſchaftsloſen
Gleichmuth vor einem Tifhe ftand, welder mit
verihiedenen Coiffuren bededt mar.
— Kommen Sie, fommen Sie ur, Bärſing.
Ste haben in ſolchen Saden guten Geihmad.
Ich zanfe eben mit meiner Tochter darüber, —
vielleiht haben Sie jhon im Vorzimmer gehört ?
— wvelchen Kopfpuß fie für die morgige Ein-
zugsfeierlichkeit wählen fol. Sie will ſich nicht
nad) meinem Geſchmack richten; wir wollen jehen,
wen bon uns beiden Herr Bärfing recht
"DER
Auf dem Tiihe lag eine große Auswahl
verſchiedenſter Kopfputze. Ein Kranz bon win—
zigen blaffen Röschen, ein antikes Diadem mit
diamantenen Zitternadeln, eine Guirlande aus
Perlen und Vergißmeinnicht, und ein Mor:
thenzweig. |
Frau Hargitay Hatte einen jeden dieſer
Kopfpuge ihrer Tochter anprobirt, und frug
eins um's andere: wie gefällt Ihnen Dies,
Bärfing ?
Judith ließ Alles mit ſich thun, ohne einen
Laut von fid) zu geben; fein einziges Mal: hatte
fie ihr blaffes Gefiht mit den wunderbar ſchönen
Zügen, den großen ſchwarzen Augen und dich—
ten Augenbrauen gegen den Spiegel gewendet.
Baͤrſing hatte wahrlih Urſache genug, hin—
fihtlih feines Urtheil3 in Werlegenheit zu ge:
rathen.
Mit dem Roſenkranze in den Haaren kam
ſie ihm wie eine Braut vor.
Mit dem Diadem ſchien fie eine Königin.
Mit der Perlenguirlande gli fie "einer
Göttin. |
Und mit dem Myrthenzweige ſah fie wie
eine Ihöne Todte aus.
Herr Bärfing glaubte dem weiſen Salo—
mon dadurch am nächjten zu rüden, wenn er all’
die Schönheiten in einem Bündel zujammenfaßt
und löste die Frage jo, daß er beantragte, man
möge den Roſenkranz und die Perlenſchnur um
da3 Diadem flehten, und ſoll es das Fräulein
aufſetzen.
Frau Hargitay warf ihm einen zornigen
Blick zu, als wollte fie jagen: Zalf! konn—
teft Du denn nit aud noch den Myrthenzweig
dazu nehmen ? |
Judith griff mit kaltem Lächeln nad dem
Myrthenzweig — fie hatte Diejen gewählt —
und ftesfte ihn jelbft in die nachtſchwarzen Haare ;
und als fie hiebei auf einen Moment die Augen
gegen den Himmel bob, glih fie einer Ber:
81
Härten, welche durd) Die Lüfte in die himmlischen
Höhen gleitet.
—Alſo, ich bleibe bei dem! - - fante
Judith.
Frau Hargitay zudte mit den Achſeln.
Weil e8 Jedermann wiederräth, alſo
muß ſie es haben.
Bärfing erachtete es für nothwendig, nad)
dieſer ſtillen Niederlage feſteren Fuß zu faſſen,
und dies glaubte er dadurch zu erreichen, wenn
er mit dem Auftrage Pußtafi's herausrückte.
So viel hatte er zma aus dent ſoeben durch die
Thüre Erhorhten vernemmen, Daß der Name
Pußtafi's in diefem Haufe nicht vom beften lange
jei. Aber er hatte doch einen Ruhm im ganzen
Lande, und jo glaubte Barfing gewiß zu fein,
daß der Auftrag einer ſolchen Zelebrität ſelbſt
hei Hargitay'? als. Auszeihnuug aufgenommen
werden wird.
- Em. Gnaden,- besanı Bärfing, - - als
ih in Peſt war, hatte mich Pußtafi, ein alter Be—
fannter, erſucht, ih müge Er. Gnaden in eigener
Verjon einen Prämmnerationsbogen ſammt einem
von ihm — geſchriebenen Empfehlungs:
brief überreihen. So etwas kann mar nicht zu-
rückweiſen.
Hierauf zog Bärfing mit mäzenasartigem
Entſchluß den an Judith «erichteten — vuß
Andere Zeiten, and. M
— 82 —
tafi's aus der Taſche; Judith überreichte dieſen
Brief unerbrochen ihrer Mutter.
— Behalte ihn nur für Dich, wenn er für
Dich Vertrauen hatte. Wenn er's gewollt hätte,
würde er mir geſchrieben haben. Es fcheint, daß
er mehr auf Dich hält.
Frau Hargitay fühlte ſich in allem Ernfte
verlegt, daß fie, Das erfte Pränumerantenfamm-
ler-Talent des Komitats, jekt von einem Poeten
fo bei Seite gejeßt wird.
Judith öffnete den Brief und begann zu
leſen.
Man konnte es nicht einmal an der Spitze
des Papieres ſehen, daß ihre Hände zitterten,
während fie las.
Nur einen Moment hielt fie ihne, um über
den Brief einen tödtlihen Blick auf Bärfing zu
werfen. Dies mag bei jener Stelle. gewejen fein,
wo e3 geſchrieben ftand, daß man fie an diefen
Menſchen verheirathen wolle.
Als fie bis zu Ende gelejen, zerriß fie den
Brief mit Falter verächtliher Miene , in Heine
Stückchen, und warf diejelben in den Blu-
menforb, |
— Sagen Sie Herrin Pußtafi, daß ic
mich mit jolhen Aujträgen nicht befaſſe, da ich
weder Luft nod Gelegenheit dazu habe.
I SB Sn
— Deshalb hätteft Du aber dod) nicht ſei—
nen Brief zerreißen ſollen, — Ihalt Frau Hargitay
ihre Tochter.
— 63 ift mir fein angenehmes Angeden-
fen, was mit dem Namen Pußtafi's zufammen:
hängt.
Dies mußte man nad dem früher Gehör:
ten natürlid finden.
— Was mid) jelbit anbelangt, unterzeichne
ich gerne für ein Gremplar.
Damit ging fie an ihren Schreibtif q, un⸗
terzeichnete mit feſter Hand ihren Namen, nahm
dann zwei Silberguldenftüde aus ihrer Börfe und
übergab dieſe jammt den unterzeichneten Bogen
an Herm Bärfing.
Nachdem dieſer es eingejehen, daß er das
Fräulein in ſchlechter Laune getroffen, begann er
fih nad) dem gnädigen Herrn zu erkundigen.
— Mein Gatte erwartet Sie bereits, ber:
fiherte ihn Frau Hargitay, er will fie um eine
Gefälligkeit erſuchen.
— So? .. machte Dieſer mit einfältiger
Miene, wo er es doch ganz gut wußte, weshalb
er gekommen. — Dann will ih Ew. Gnaden
nicht beläſtigen, und begebe mich zum Herrn Ge:
mahl. Habe die Ehre, mich beſtens zu em—
pfehlen.
— Zu Mittag werden wir doch das Ver—
gnügen haben ? ö
nn 7
84 —
Weun es Ew. Gnaden befehlen, küſſe
die gnädigen Hände,
Dabei erinmerie fi’ Bärfing des $. 39,
welcher da tagt: „Beim Abichiednehmen hat man
den Hut mit der linken Hand nad) rüdwärts zu
hatten , erhobenen Dauptes eine Verbeugung zu
machen, und rückwärts ſchreitend bis zur Thüre
den Hausdamen ſtets das Angefiht zu zeigen“
- und er hielt fih an diefen Paragraph; —
das fatale Reglement bejagt aber nirgends, was
zu fhun ſei, wenn hinter dem „ungen der gu—
ten Gejellihaft” mitten im Zimmer eine Dtto-
mane ſteht? . . . an cin ſolches malitiöſes Mö—
bel ſtießen die Kühe Barſing's, und indem er
rücklings ſtürzte, drüdte er feinen ſchönen Zilin-
der flach; nad vielem lächerlichen Sturz raffte
er ſich auf und eilte ver Thüre zu, dort wollte
er mit aller Gewalt jene der beiden Klinken üff-
nen‘, melde unbeweglid war. Das mangel:
bafte Konverjationsbud ſpricht auch über ſolche
Fälle nichts. |
Das Arbeiiszimmer des Herrn Hargitay
beiund fich im anderen Flügel des Haufes. Die-
jes Zimmer fiad dur feine Einfachheit von den
übrigen mit überſchwänglichem Lurus ausgeftakte-
ten Semähern auffallend ab, e3 enthielt dieſel—
ben angeſtrichenen Möbel, die ſich Herr Hargitay
noch als junger, lediger Advolat angeihafft, und
welche ſeither der traditionelle Tabakrauch Schön
35
braun gefärbt hatte. In den Schränken befin-
den fih lauter Geſetzbücher, Reichstagsdiarien,
Protofolle, ftaatsrehtlihe Sammlungen, in ehr:
james Braun gebundene Koltanten ; auf dem an-
tifen Schreibtiihe mit den Löwenfüßen ftcht ein
altes, mürriſches Tintenfaß mit eingetunften Kiel—
federn, deren befiederte Fahnen im ftarfen Ver—
dachte ftehen, als wären fie zum Ausputzen von
Bfeifenmundftücdkhen verwendet worden. Die
wohlbejtellte Bfeifen-Etagere befindet fih im Hin-
tergrunde des Schreibtiſches, die Pfeifen find
ſämmtlich antike Prachtwerke mit filbernen De:
deln; der Tabakbehälter ftellt einen braunen
Bärenkopf vor. An den Wänden hängen cinige
Lithographien: Johann Balogh und Nikolaus
- Weflelenyi mit verihlungenen Armen, — König
Mathias mit befränztem Haupte, ein Tableau, die
Borträts der Palatine darftellend , der Ausfall
Zrinyi's; ſchließlich, von einem Vorhang halb
verdeckt, ein ſehr jeltenes Bild, die Enthauptung
Nadasdy's. Einft hing dieſes Bild ganz frei,
heute iſt es halb verdedt. Noch hängt an der
Wand ein filberbeihlagener alter Säbel , deſſen
verroftete Klinge nicht mehr aus der Scheide zu
bringen. |
Wir finden Herrn Hargitay, auf dem abge-
wegten alten, ledernen Divan figend, in der Ge—
ſellſchaft Fertöy's; als Herr Bärfing eintrat,
drüdten ihm Beide freundlih die Hand. Man
ee BR
hatte ihn bereits erwartet. Er entihuldigte ſich,
dag er fih früher bei den Danten vorftellen
mußte, was man ganz in Ordnung fand.
— Gehen wir nun zur Sade, — ſprach Har—
gitay, ohne die Pfeife aus den Munde zu
nehmen. ... . Und doch war die Sache ſehr ernft,
da es ſich um nichts Geringeres, als um fein Te—
ſtament handelte.
Das Gefiht Hargitay'3 verräth feinen Mann
alljogleih. Seine Züge bergen fein Geheim—
niß. Daß er ftolz, ungeduldig und unverſöhn—
lich, auf feine Verdienfte eitel, auf feine Popula:
rität eiferfüchtig, den Mächtigeren gegenüber Troß
bietend, und ein Tyrann feiner Untergebenen ift !
dies verkündet ein jeder Zug feines Gefihtes vom
fraufen Schopfe jeiner fahlen Stirne angefangen
bis zu dem gedrückten Kinn, welches auf einer
doppelten Unterlage von Fett ruht; ferner die
zum Aufſpringen gefunden, vothen, fteinharten
Baden, der trogig gekräuſelte Schnurbart, die
ſchwulſtigen aber ſchön geformten Lippen, und die
ftolz blidenden Augen unter dem Schatten von
dunklen, dichten Augenbrauen; es verkündet dies
der harte Ton, die vom Befehlen und Mider-
iprehen heiler und Ichnarrend gewordene Stimme:
wenn er über den gewöhnlidften Gegenftand
Ipricht, Icheint es, als wäre er im heftigiten Diſput
begriffen.
a BE.
— Alſo zur Sache meine Herren. Hier ift
das fertige Teftament. Ihr beide follt den In—
halt desjelben erfahren, die übrigen Drei follen
blos die Koramifirung unzerzeichnen.
Fertöy warf in fühlihem Tone ein:
— Ich kann es nicht verſchweigen, lieber
Better, verzeihen Sie mir. Sie find noch in den
beften Jahren, weshalb denken Sie ihon an ein
ZTeftament ?
— Freunden! Sie willen es recht gut,
dag ich nicht zu Fapazitiren bin. In größeren,
da3 ganze Land betreffenden Angelegenheiten
pflege ic auch nie meine Ueberzeugung aufzugeben.
Was id) geſagt, Das habe ih gelagt. Bin keine
Woetterfahne, welche fih nad) jedem Winde dreht.
Bin ein feljenfefter Mann. Was übrigens Ihren
Einwurf betrifft, ih bin’s bon meiner öffent .
lichen Laufbahn ber gewohnt, nichts unwider—
legt zu laſſen, day ich noch ein langes Leben
vor mir babe, muB ic Ihnen bemerken, daß nein
- Vater, Großvater, und alle meine Ahnen eines
plöglihen Todes geftorben find. In meiner Fa:
milie pflegt man nit im Stillen Bette liegend,
den Tod geduldig zu erwarten; ein Moment, ein
Hauch des Todes, und es it geichehen !
Wie ftolz geberdete fih der zornige Mann,
dag feine Familie eine Ausnahmsitellung ſelbſt
dem Tode gegenüber einnahm.
Dann fuhr er im feierlihen Tone fort:
38
- Stünve mir aber auch ein halbes Jahr—
hundert bevor, jelbft dann müßte ih vollziehen,
wozu ich mich entſchloſſen, um jenen „jungen
Rieſen“ ein Beifpiel zu geben, wie fie gegen Die
Helden der avitiſchen Rechte zu kämpfen haben.
Wenn man's erfahren wird, daß der alte Johann
Hargitay genug Entſchloſſenheit und Kraft beſaß,
jenen Mann aus feinen Herzen zu reißen, den er
früher geliebt, weil derjelbe gegen die beftehen-
den Grundprinzipien jein Haupt erhob; und wie
er jelbft fein eigenes Kino aus dem Herzen ver—
bannt, wenn e3 fih an jenen Mann bindet, dann
werden fie es einſehen, daß fie es mit einer eher-
nen Phalanı zu thun haben, und zur Vernunft
fommen. Ich kenne den Charakter Lavay's. Wenn
er's erfährt, daß ih Judith in dem Kalle, als
jie ihn heiratet, enterbe, wird er ſelbſt das Ver—
hältniß Löfen, nicht als fürdtete er, fie arm zu
heiraten, jondern weil er ein viel zu edles Herz
beißt, al3 daß er das Weſen, weldes er geliebt,
um jein ganzes Vermögen ärmer, und um den
Zorn der Eltern veiher machen wollte. Ih baffe
diefen jungen Mann nicht, doc) will ich ihm zeigen,
daß ich Kraft genug befige, um ihn zu brechen
und zur Vernunft zu bringen; wenn er fühn ge:
nug geweſen, mich offen in die Schranfen zu for-
dern, will ich ihn mit einer einzigen Bewegung
meines Fingers im Staube zermalmen.
Herr Bärfing war über dieſe Rede entzüct.
| 89. -
So ſchön Sprit man jelbit im“ Reichstage nicht ;
meinte er, |
— So füge ıd) mid) Schon ın ihren Willen,
lieber Vetter; — ſagte Fertöy mit ſüßer Theil-
nahme ; — wenn Alles nur pro forma geſchieht,
mittlerweile wird es ja gelingen, auch Judith
auf andere Gedanten zu lenken.
Ich erjuhe Sie alſo, - Ipradh Har—
gitay, das voluminöfe Dokument von feinem
Schreibtiihe nehmend, -- auf den bezüglichen
Punkt gut zu merken.
BE wenn aber meine Tochter Judith,
troß dieſer liebreihen elterlihen Vorſorge, gegen
meinen ausgelprodenen Willen fi einen Manı
wählen und ihn heiraten würde, jeße ih in al’
meine Güter, welche ich ſelbſt erworben, und Die
mein rechtmäßiges Eigenthum bilden, als Univer-
jalerben meinen lieben Schwager Balthaſar
Fertöy de Fertö ein, während ich meine benannte
Toter Judith von Allem ausihliege und ent-
erbe. Was aber die Worte „gegen meinen aus-
geſprochenen Willen” zu bedeuten haben, darüber
gibt der in doppelter Abſchrift beigeichloffene
Brief Aufklärung, deſſen eine Kopie ih dein
Herrn Advokaten Wilhelm Barfing zur Einhän—
digung an den Betreffenden übergebe.
Der Brief, weldher die Adreſſe Lävan's
irug, lautete:
— ‚90 —
‚Ev, MWohlgeboren! Wichtige und unab-
aͤnderliche Gründe haben mic bewogen, das Ver:
hältniß, welches zwiihen Ihnen und meiner Toch—
ter Judith beftand, zu loöſen; die Verlobung hie—
mit feierlichft. für Nichtig zu erklären, und alle
etwaigen Rolgerungen zurüdzumeiien. Johann
Hargitay.“
Der Driginalbrief war bereit3 gefiegelt,
diefen überreichte der entihlofiene, zornige Mann
Herrn Bärfing, indem er feine Hand drückte.
— Ich glaube, daß Sie Ihre Sendung
angenehm finden werden, und es hängt von Ihnen
ab, einen vollftändigen Erfolg zu erzielen,
Dies war doch deutlich genug geſprochen.
— Ich werde mid allſogleich beeilen, den
Brief zu übergeben.
— Hat feine jo große Eile. Sie fünnen
auch bis Nachmittag warten.
— — Ich Hatte aber veriprohen, um bier
Ubr dort zu fein. Dem Pußtafi babe ich's ver-
ſprochen.
— Dem Pußtafi?! — rief Hargitay erregt.
— Halten auch Sie mit dieſem Menſchen?
— Bitte um Vergebung, 's iſt eine unaun—
genehme Geſchichte. Er hatte mich in Peſt er-
wiſcht, ich möge einen Pränumerationsbogen
an Fräulein Judith übergeben, heute bat er mid
angepadt: was ic ausgeridhtet. Nun habe ich
den Bogen Fräulein Judith foeben übergeben, ſie
F
— 1 —
wies das Sammeln zurück, jubjkribitte aber ſelbſt
zwei Gulden. Dieje muß ich überbringen; denn
belieben zu willen, er ift ſehr grob Denjenigen
gegenüber, die ihr Wort nicht halten.
— Ad! Schon wieder eine literariihe Bet:
telei. Und Pußtafi ift bei Laͤvay abgeftiegen ;
nehmen Sie ein leeres Kouvert, jchreiben Sie die
Adreſſe darauf und legen fie das Geld bei, mein
Hußaͤr wird es hintragen.
Der ſtolze Batriot Eingelte allſogleich,
Martin erihien, und erhielt feine Inſtruktion.
Barfing kam nicht dazu, um Einwendungen
zu machen.
— Laſſen Sie e8, es wird jo am beiten
fein, — meinte Hargitay.
Jetzt kamen noch drei andere Patrioten
hinzu, alle drei jehr lieberale Männer ; denn in
diefem Komitate waren nur zwei Parteien be-
fannt, eine „ſehr“ lieberale und eine „no“
fiberalere. |
In Gegenwart diefer Dreien ging nad fur:
zem Zeremoniell die Berfiegelung des Xefta.
mentes bor ſich, worauf alle fünf auf das Kou—
vert ſchrieben, daß es das Teftament des Herrn
Johann Haraitay enthalte, Fertöy übernahm das
Dokument, um es im Komitatsarhiv zu hinter:
legen. |
Während deſſen kehrte Martin von feiner
Miſſion zurüd,
— 92
Nun? Haft Du denn die Herren angetroffen ?
frug Hargitay, fein Pfeitenrohr in die Mund-
ede ſchiebend.
— Ka, gnädiger Herr; — als er den Brief
öffnete, und den Anhalt erblidte, hatte er eine
Sreude, daß er mich bald geküßt hätte; er trug
mir auf, jeinen Gruß und Dank dem Herrn Bärfing
auszurichten.
— Dem werden die zwei Gulden willfommen
geweſen fein! — jagte Hargitan mit ſardoniſchem
Laden.
- Könnte nit jagen, — erwiderte Martin,
— denn er drüdte fie mir alliogleih in die Hand
als Trinkgeld.
— Dann begreife id) nicht, — - murmelte Der
ftolze Patriot die Achſel zudend, — worüber er
fich jo gefreut hat! -—- Doc kümmerte er fih nicht
mehr Darum, sondern blies in feine Pfeife,
welhe hierauf gleih dem Veſuv Feuer zu jprü-
ben begann, dann ftellte ev feine ewige Gejell-
Ihafterin auf die Etagere, und forderte die Gäfte
auf, fih zu den Srauen hinüber zu begeben,
da es gleicd vier Uhr, und die Zeit des Mittag:
eſſens ſei.
Das Diner war prächtig, mit heiterem Ge—
ſpräch gewürzt, deſſen Gegenſtand ausſchließlich
die morgige Feierlichkeit bildete. Die jungen Her—
ren erzählten, in welchem Koſtüm fie morgen er:
fcheinen werden. -
— 93 —
Es wurden die ſammtenen Mente's, die
ſchwanfellverbremten Zele's, die verſchiedentlichen
Kalpag's geſchildert, in welchen man am Parade-
wagen des Palatins reiten wird. Auch Hargitay
zitirte einige effektmachende Sätze aus ſeiner mor—
gen zu haltenden Rede. An dem prachtvollen
Diner, am heiteren Geſpräch betheiligte ſich nur
Judith nicht. Ste aß nichts, außer Brod, und
ſprach fein Wort.
Fertöy wollte fie aufheitern, und frug:
— Und was werden Sie, ſchönes Schwefter:
hen, morgen vor dem Palatin ipredhen ?
- Nihts! —
- Wenn Sie aber von St. Hoheit ange:
ſprochen werden, müſſen Sie doch etwas er-
miedern.
— Für diefen Fal wei; ic einen ſehr
ſchönen Gruß, den jchönften ; und dieſer iſt, mit
welhem in Vörösmarty's „Schönen Ilonka“ der
unbefannte Säger ein Glas auf König Ma:
thias leert.
Außer Hargitay, der ein großer Verehrer
Vörösmarty's gewejen, wußte Niemand, was Ju—
dith gemeint, deshalb blieb auch ihre Erwiede—
ung ohne jeglihen Eindruck.
Als die Tafel aufgehoben wurde, näherte
ih Hargitay auf einen Moment jeiner Tochter :
— Du Haft nichts gegefien; fehlt Dir
etwas ? |
2 Bi.
— Ich will mih an den Hunger
gewöhnen! —- antwortete Judith.
Einen Augenblid ſahen ſich Beide in die
Augen.
Es war, als wenn der Spiegel des dunk—
len Meere den Blik des grollenden Himmels
zurückſchleudert.
Das Feſt.
Am andern Tage waren die Gaffen von der
Brüde bis zum Komitatshaufe mit friſchem, duf-
tendem Gras beftreut; die Mauern der Häufer
mit Pappelreifig ausgeihlagen und aus den Sen:
ftern, von allen Thürmen herab wehten National:
ahnen: die Luft war rein und früh, es ſchien,
al3 wollte die ganze Stadt fih auf Flügel er:
heben. |
Und welch' ein Gedränge auf den Gaffen.
Alles in Tonntäglihem Puh; die Männer mit
jilbernen Knöpfen und Fetten, die Bürgerinnen
in feidenen Kleidern, inzwiſchen ritterlihe Ge—
italten mit fliegenden Mentes und filberbeichla=
genem, jheppernden Säbel, Abtheilungen berit-
tener Banderien, in blauen Dolmaͤny's, die unter
Führung ihrer Lientenants aus den Dörfern an-
rüden, das Bataillon der Bürgermiliz mit Hin-
gendem Spiel, die ehriamen Zünfte mit ihren
prächtigen feidenen Fahnen, die von acht Män-
nern auf den Achſeln mittelft langer, vergoldeter
Stangen getragen werden, während in der Mitte
96 —
ver Bunftmeifter das Gleichgewicht der Fahne
duch die Mittelftange aufrechthält; nie liebe
Schuljugend in Drgelpfeifenreihe arrangirt, dann
die Ichauluftige bunte Menge, welche alle Gaſſen
und Pläge beſetzt Hält, oder hin und her
wogt. Alles dies hot ein helebtes, unbergeß-
liches Bild.
Die Donau theilt ſich ober der Stadt in
zwei Arme, und fildet eine Feine Inſel; dieſe tft
mit der Stadt durch eine ftehende Pfahlbrüde
verbunden, welde, wie gebräuchlich, für Wägen
und für Fußgänger abgetheitt ift
Der Fußſteg der Brüde iſt heute für Die
gewöhnlide Menge an beiden Enden abgeſperrt;
den Kordon bilden ftädtiihe Trabanten und Ko—
mitatshußären, Deren Uniform bis jeßi noch
dem unberufenen Pöbel vollen Reſpekt ein:
rlößt. | |
In der Mitte der Brüde befindet ſich ein
weiterer Raum, in defen Hintergrunde bei ge:
wöhnlichen Zeiten die Statue des heiligen Johann
von Nepomuk zu jehen iſt; an dieſem außeror—
dentlichen Tage jedoch iſt vor demſelben ein mit
Blumen und Fahnen prachtvoll dekorirter Balde
chin für jene Damen errichtet, welche dem ritter:
lichen, jungen Palatin einen mit ‚geiftreihen Em: -
bfenten beſchriebenen Lorbeerkranz überreichen
werden Um dieſen feierlichen Aft ohne Störung
4
bewirken zu fönnen, wurde die Baflage für Fuß—
‚gänger abgeiperrt. —
Im Programme der Weierlichleit ift ver-
gangene Naht eine Wenderung vorgenommen
worden : daß nämlich Herr Hargitay dem Pala=
tin nicht bei feinem Ausfteigen aus dem Dampf:
ſchiffe, ſondern im Komitathauſe mit einer Rede
begrüßen wird ; dort wird ihn eine ftädtiiche De-
putation mit kurzen Worten beneventiren.
Am Ende der Inſel, dort, wo man fehr
wenig bon der ganzen Keftlichleit vernehmen Tann,
fteht eine große, uralte Weide, unter ihr befindet
fi ein Feines Baͤnkchen.
An diefem Orte, wohin ſich heute gewiß
Niemand verirrt, finden wir Pußtafi und Lavay.
Nichts ftört das Geſpräch der Freunde, denn felbit
das Getöje der wogenden Menſchenmaſſen wird
bier nur wie das Summen eines Bienenforbes
vernommen.
— Siehſt Du Freunddhen, — jagte Puß —
tafi, daß es feine Gelegenheit gibt, aus welcher der
geiheidte Menſch nicht Nugen ziehen fünnte. Da
nimm Du diejen Triumphzug : dem Einen bringt er
Ruhm und Ehre, dem Andern Aemter, und Dir
eine Braut. .. Dieſes Mädchen verdient wirf-
fih Deine Gattin zu werden. Ihre Unterichrift
werde ich in mein Gedenkbuch aufbewahren ; nicht
einmal ihre Hand zitterte . . . Zittert die Deine
vielleicht ? ..
Andere Zeiten und andere Menſchen 7
a a
Nein . . das ift mir lieb. Kümmere Dich)
niht um die Zukunft, vor einer ſtarken Geele
ihrumpft fie zufammen, während fie die Feigen
glei einem bellenden Hunde verfolgt. — Wenn
es nur nit To weit bis zum Abend wäre; —
überhaupt werden mir die paar Stunden, als Die
Prozeifion Dauert, jehr langweilig werden.
— Kommſt Du nit mit? .
— Das weißt Du-ja!. .
— Soll ich bei Div bleiben ? .
— m Gegentheil, verlange id) von Dir,
dag Du Did) in der Nähe Deiner Geliebten aufs
hältft: denn ich habe die Ahnung, als follte ihr
ein Unglüd begegnen. Du weißt, dag id) mic
bei allen ſolchen Feierlichkeiten derart fühle,
wie die Habe beim Erdbeben. . . Gebe Acht
auf fie. . |
— 63 ift wahr, daß es ein böfer Ger
danke war, die Tribüne auf der Brüde zu er:
richten; — aber was wirft Du bis dahin be=
ginnen ? —
— Ich werde ſchön hier am Ende der In—
ſel bleiben, mich in einen Kahn ſetzen und ruhig
angeln. Doch warte. Die Zeit drängt noch nicht;
haft nicht zu eilen. Ich möchte gerne hören, wie
Du den Hohen Saft begrüßen wollteft, es wird
ohnehin Niemand Deine Diltion hören, wenig—
ftens ſoll ich etwas davon zu Gehör bekommen.
=u.'90
— Gut. Hoͤre alſo. Ich hätte Rune io
geſprochen: |
‚Herr! Du Haft. jene Stadt betreten, für
welche Die vaterländiihe Erde nur eine Stief—
mutter. iſt. Bor achtzig Jahren hatte fie das
Erdbeben zerftört, auf den Ruinen wurde eine
neue Stadt gebaut; vor 52 Jahren vernichtete
jie die Ueberſchwemmung, die Einöde erhielt aber-
mals Einwohner. Vor dreigig Jahren verheerte
fie Die Fenersbrunft, fie entftand neu aus ihrer
Aſche. Seit zwanzig ift ein ganzes Viertel der:
jeiben von der Fortifilation abgetragen und in
eine Hutwaide verwandelt worden. Die Stadt zug
ih aus der Nähe der Feſtung weg, und baute
ihre Häuſer anderswo. Alle Schidialsihläge,
die es nur gibt, verfolgten dieſes Städtchen, jelbit
der Boden auf welchen fie jteht. Und fiehe, den
noch ſprechen und beweifen es dieſe Häuferreihen,
dieſe Kirchen, daß das Volk ſeine Vaterſtadt trotz
aller Schidjalsidläge liebt, anbetet, und fie nicht
verläßt. Herr! trete ein in dem wunderbaren
Zauberfreis dieſer WBaterlandsliebe, und ver:
bleibe darin, denn wer ich innerhalb desjelben
befindet, der ift unverletzlich.“ Pußtafi rüttelte ſei—
nen Freund an der Schulter.
— Geh’ du Narr! .... Wie gut es ift,
dag du's nicht mE haft, es wäre zu ſchön
geweien! . .
Da erdrohute ein Kanonenſchuß der
==, 400; =
Höhe des jenfeitigen Ufers, welcher bedeutete,
daß das Schiff, weldhes den hohen Gaft bringt,
bereits fichtbar jet.
Lävan beeilte fih nun auf die Brüde zu
gelangen, wo bereit3 Militäripaliere die Kommu-
nifation offen hielten. Auf dem Fußſteg der Brü-
de gab e3 der privilegirten Zuſchauer Schon eine
Menge, jo daß es Laͤvay Mühe foftete, in
die Nähe des Baldahins zu gelangen, dort traf
er mit Martin dem Hußären zufammen und ber-
blieb in dieler angenehmen Geſellſchaft.
Der Hukar Martin war ein großer Ver:
ehrer und Protektor des vor die Thüre gefegten
Bräutigamd. Er mar e3 allein, der ihm trog
feiner politiihen Gefinnung gut geblieben ift, wo
doch er, Martin, am empfindlidhiten getroffen war ;
denn wenn aud der Bauer Ihon zum Herrn wird,
wohin wird es mit dem Range eines Komitats-
bußaren kommen!
Trogdem hörte Martin niht auf, feinen
ehemaligen Günftling zu protegiren.
— Stellen Sie fih nur an meine Seite,
gnädiger Herr, — jagte Martin mit Proteltors-
miene. — Hier von diefer Fahne da fünnen Sie
am beiten jehen.
Martin meinte aber nit, das man den
feftlihen Zug, jondern das Fräulein, welches in
feftliher Xoilette zwiihen den übrigen Damen
— 101 —
auf der Tribüne ftand, von hier aus am beften
ſehen könne.
— Ein wunderherrliches Geſchöpf! — ſagte
Martin. Sein linker Nachbar war des Glaubens,
daß er jenen vorbeiſprengenden Reiter im fammt-
nen Koſtüm meine, und nidte beifällig mit dem
Kopfe: während Martin nad rechts iprah und
ganz Anderes dachte.
Dann flüfterte er leije zu Lavay gewendet:
— Das Fräulein ließ ſich geftern Abends
vom Gefinde ſchwarzes Brod holen, und jagte,
fie werde fi) nunmehr an ein joldes gewöhnen.
Laͤbay konnte feine Augen von der Silphy:
dengeftalt Judith's nit abwenden.
— Niht um die Welt mochte fie ber: .
ihauen, und doch weiß fie es, daß Jemand in
ihrer Nähe iſt; — brummte Martin.
Seht erdröhnen drei Schüffe auf der Inſel,
ſechs antworten darauf von der Feftung, dann
folgt Schuß auf Schuß, es gibt aud Leute,
melde dieſe Schüffe zählen. |
Bon den Kirhthürmen ertönt Slodengelänte,
der Jubellaut der Thürme übertönt den menſchlichen
Freudenruf, welcher aus tauſend und taufend
Kehlen das ankernde bunibeflaggte Schiff brgrüßt.
Alles tönt vom Jubel, von der Erde bis zu den
Spigen der Pappeln und den Hausdächern, die
Wogen des Jubels mwälzen fi) immer weiter und
weiter, jo mie der Feltzug ſich bewegt.
= A0s- =
Welcher Glanz! welch' wahre Begeifterung !
Unter den Triumphbögen eriheinen einzeln die
Adtheilungen der Bürgermiliz, an der Spitze
eine Mufitbaude, welhe den „Hunyady-Marſch“
aufipielt, deſſen Refrain „es lebe, lange lebe dir
König!“ .. . Hinter ihnen ritten die adeligen
Banderien, deren Muſikkorps Zigeunertvompeter
bilden in ſcharlachrothem Anzug auf ſchnee—
weißen Schimmeln. Die Banderien reiten mit
ftolzer, martialiiher Haltung über die Brüde.
Diefen folgten die Herren auf prädtig geihirrten
Pferden, in gold und filberverzierten Galla—
anzügen, ftolzen Reiherbüichen auf den fojtbaren
Kalpags; die goldenen Säbelſcheiden, Schlagen an
filberne Hufeiſen an... . Inmitten all' dieſer
Pracht Fährt im vergoldeten Gallawagen der
Palatin einher, ein ſchöner, ritterlicher und noch
junger Mann. Seine hohe Stirn, ſein längliches
Geſicht, die ſanften Augen, der magyariſch ge—
wichſte kohlſchwarze Schnurbart und feine männ—
lich freundlichen Züge zogen unwillkürlich Aller
Blicke an.
Wer konnte es hemmen, daß ſich Alles
um den Wagen drängte, um dem erſten und
höchſten gewählten Beamten des Landes ein
freudiges „Eljen“ zuzurufen, und eines jener
freundliden Lächeln zu erhaſchen, womit ev den
Gruß des Volles zu erwiedern pflegt . |
Die ih um den Wagen des Palatins
— 103 —
ſchaarende Menge, wurde, als jie von der breiten
Straße in die Brüde einbog, plötzlich zuſammen—
‚gedrängt. Hier vermehrte fie fih auch durch jene
Elemente, welde früher die Aefte der Pappeln
bejegt hielten, und deren leberzeugung war, daß
an einem ſolchen guten Tage c3 die Pflicht eines
jeden Bürgers iſt, nicht zu gehordhen.
Die zwei Komitats-Panduren am Ende der
Brüde gaben eine zu Schwache Wehr ab gegen
die anfturmende Fluth. Wie es vorauszufehen
war, hatte die jubelnde Menge, ſobald der Wagen
des Palatins auf die Brüde gelangte, in Mo—
ment batle fie den Fußſteig beiegt, indem fie die
Widerftand leiftende Mache, wie der Sturm die
Spreu, mit jih riß. Einige Minuten lang konnte
man nod die wehenden Kederbüihe an den
Tſchako's der kämpfenden Panduren und die ge-
hobenen Säbel über den Köpfen des Volkes ſehen,
aber auch dieſe verihwanden, wahrſcheinlich hatte
man die Tſchako's und Säbel in's Waffer ge—
worfen, dann wideritand nichts mehr. Mer jich
auf dem Fußſteige der Brüde befand, wurde un-
aufhaltiam gegen die Tribüne gedrängt.
— Gnädiger Herr, hier wird's ein Unglüd
geben! — brummte Martin fih an Labay wendend.
— Das ift gewiß. Aber jest heißt es
helfen, wie wir fünnen, Geben Sie mir Ihre
Hand, Martin: vieleicht fünnen wir das Volk
nur jo lange zurüdhalten; als der Palatin von
u AH:
den Damen den Kranz empfängt, denn eine
Minute Später wird man diele leichte Barriere
wie Spreu zerbreden ; derweilwerden aberdie Damen
bis an das andere Ende der Brüde gelangen
fünnen, wo fie fih dann in ihre Kaleihen jeken.
— So wird's gut fein, — jagte Martin, und
nun berjuchte er's mit Laͤvay und zwei waderen
Schiffsfnehten den Drud der aus Taufenden be-
ftehenden gedrängten Kolonnen auf einem Raum
von einer Duadratlfafter zurüdzuhalten, was.
auch auf einige Minuten gelang, aber jowie die
drüdende Mafle immer vdihter und fompalter
wurde, mußten fie Schritt für Schritt nachgeben.
Die Damen, von den Flügeln des Balda—
hin bededt, hatten keine Ahnung von der Gefahr;
fie hörten nur das Jubelgeſchrei, und ihre Blide
waren auf das Antlit des Palatins gerichtet.
In diefem unheilvollen Moment fiel es der
Frau von Hargitay, welche an der Geite ihrer
Tochter ſtand, ein, ftatt des einfachen „Eljen
sokäig“ bei Ueberreihung des Kranzes eine zier-
lihe Begrüßungsrede anzubringen.
Schon waren Lavay und Martin bis knapp
an die Tribüne durch die unmwiderftehlihe Volls—
macht zurücdgedrängt, und das Geländer fing zu
trachen an.
Frau bon Hargitay ſah und hörte vom
Allem nichts. Sie begann mit feierliher Stimme :
Hoͤchſtverehrter .. . . . |
— 105 —
In dieſem Momente erfolgte ein kurzer
Kracher, darauf ein kurzes, furchtbares Gebrüll,
wie das letzte Angftgeichrei von Hundert und aber:
mals Hundert getödteten Menichen. . . . .
Der Fußfteig der Brüde ftürzte in einer
Länge von dreißig KRlaftern, mit all’ den Damen,
Fahnen, dem Baldahin und der heiligen Statue
in die Tiefe der Donau.
Sm nächften Augenblide jah man auf der
MWaflerflähe nichts als herrenloſe Hüte, Kraͤnze
und Fahnen Shwimmen. Das Uebrige war unter
Waffer.
Auch Bela und Judith befanden ſich dort.
Unter dem Waſſer.
Zweihundertdreigig Menſchen ftürzten mt
der eingelunfenen Brüde in den Fluß.
Inmitten des Siegestaumels, des feitlihen
Slanzes, vor den Augen des Palatins, kaum
eine Klafter weit-von den Rädern feiner Kutſche
jtürzten fie in das Wogengrab. Der Gefeierte
konnte noch die bekränzten Engelsgeſichter ſehen,
den hochſchallenden Eljenruf hören — nad) einer
Minute ſchwammen dieſe Kränze auf der Dber-
flähe des Waffers, und ein tauſendſtimmiges
Mehgeihrei erfüllte die Luft.
AH! welch eine Feierlichkeit war das!
Die mehllagende Menge rannte in wahn:
finnigem Shreden nad) jeder Richtung, durch die
beflaggten Triumphbögen iprengten goldbededte,
in Sammet gehüllte Reiter davon, die Namen
ihrer rauen, ihrer Kinder rufend! Die ſchöne
bewaffnete Bürgerwehr ftob auseinander, wie ein
alarnirtes Lager von Soldaten! und al’ dies
längs dem Ufer, weldhes noch feinen vollen
Fahnenſchmuck trug.
— 17 —
— Eilen Sie zuden Kähnen! —rief der Pala-
tin ſeinem Gefolge zu, und er ſprang jelbit von
feinen Magen. Ein Manı, deſſen Frau vor
feinen Augen in das Waſſer fiel, wollte ihr nad):
ftürgen: der Palatin bielt ihn zurüd, umd 3093
den Wahnfinnigen mit fi fort.
— Bu den Kähnen, zuden Kähnen! — rief
er, — Jemand ſoll zum Dampfichiff iprengen, daß
es den Fluß bHerauffahren müge. Rufet die
Fiſcher mit ihren Neken! Jedermann zur Arbeit!
Mas in der Nähe war, und feine Befehle
vernehmen konnte, beeilte ſich, dielelben zu voll:
ztehen ; die entfernter ftehende Menge aber mwogte
hin und ber, wie Einer, der fidy feinen Rath zu
geben wei. Eine Schaar, ſchon recht weit in
die Gaflen vorgerüdt, marihirte noch unter
Siegesmarihllängen vorwärts. Ein Reiter holt
fie in Galopp ein. Er jagt ihnen ein Wort und
die Schaar löſ't ſich ſogleich auf, und Mufifer
und Feittheilnehmer vennen alle zur Donau zu:
WdE... Ach welch' eine traurige Feftlichkeit
war das!
Unterdeflen harrte Johann von Hargitay,
an der Spike des gewählten Komité's des feier:
lihen Momentes, wo er die Gefühle des Bolfes,
dem fo heiß erichnten Gaſte verdolmetihen wird.
Seine Rede Soll heute hinreigend werden,
weil er es auch Fühlt, was er fpridt. Seine
Ausdrüde werden die des nationalen Stolzes,
— 18 —
der altehrwürdigen Baterlandsliebe und der
treuen Anhaͤnglichkeit fein.
Wer weiß, was darauf folgen wird, wenn
dDiefe aus der Mode gehen? Heute ift wahrlich
ein paffender Tag für ſolche Gefühle.
Nicht Johann von Hargitay, Tondern die
durch ihn vertretenen Prinzipien find es, melde
heute ihr Jubelfeſt feiern.
Hargitay hielt die abgeſchriebene Rede in
der Hand, und warf eben noch einen flüchtigen
Blick in die Schrift, als der erſte Kanonenſchuß
vom Monoftor erdröhnte.
„So lange ich athme, fo lange mein Körper
nit zuſammenbricht, ſolange werden auch diefe
Ideen und diefe Worte leben.“
Und wahrlih, auf dem Gefichte Hargitay' 3
ftrahlt daS Leben jelbit. Solde Gefihter haben
ſich nit um das Schickſal des morgigen Tages
zu fümmern, bei ihnen bat die Nedensart „jo
lange wir leben“ feinen Sinn.
Sein ritterliher Anzug, läßt ihn um zehn
Fahre jünger ericheinen, die feftlihen Ideen des
heutigen Tages hatten jede Furche von feiner
Stirne geftreift. Seine ganze Haltung ift der-
art, al3 wenn diefer Tag einzig und allein für .
ihn da wäre. |
Wieder ein Kanonenihuß. Der Schall
macht die Fenfterfcheiben erzittern.
Johann von Hargitayn berechnet die Reihen-
— 109 —
folge der kleinen Ereigniſſe, welche in einiger
Ferne von ihm vor ſich gehen. Jetzt hat der
Dampfer gelandet. Jetzt findet der feſtliche
Empfang ſtatt. Jetzt ertünen die Glocken, der
Feitzug bat nun den erften Triumphbogen paffixt.
Der Jubelruf der Menge erihallt, vermengt mit
den fräftigen Klängen der Mufil: jet find fie auf
der Brüde angelommen. Der Klang der Mufit
und die Eljenrufe werden mit jeder Minute ber-
nehmbarer, von dem Ufer her. Auf einmal er-
tönt ein ſtarker, langer Schrei; ftärker, jchärfer,
durchdringender al3 alle bisherigen, man fühlt
etwas wie einen Schauer in die Glieder fahren.
Ploͤtzlich tritt Stille ein, nur die Klänge der
Mufit und das Glodengeläute ift vernehmbar.
Hargitay aber betrachtet ruhig; nun fteht
feine Gattin und feine Tochter vor dem hoben
Gaſte, deſſen gnädigites Lächeln ihnen zu Thei
wird.
Plötzlich ftodt die Muſik, und die Gloden
hören auf zu läuten. |
Einen Augenblid darauf läutet man wieder, —
es ift das aber ein Sturmgeläute.
Wie wenn große Gefahr droht, wo Se:
dermann zur allgemeinen Rettung Hand anlegen
muß, erihallen alle Gloden in allen Kirchthür—
men, eine mit feiner, die Andere mit tiefer Stim =
me, aber alle traurig, und alle jcheinen zu rufen:
„Wehe! wehe! wehe!“
— 110 —
Von den Kirhthürmen konnte man die
ganze furchtbare Szene überbliden.
Was kann dort geihehen jein ? frugen ein—
ander die erbleichten Herren in den glänzenden
Gemächern. — ft vielleiht ein Feuer ausge—
brodhen ?
Bon den Fenſtern des hochliegenden Ge—
baudes konnte man in feiner Richtung eine Feu—
ersbrunit erbliden, und dod) riefen die Gloden fort-
während: „Wehe! wehe! wehe!“
Einen Augenblid ſpäter fündete dasſelbe
ein lautes Gemurmel der Menge an.
Dieſes Gemurmel war aber ganz veridie=
den don dem vorherigen. Es war das nicht jener
lange anhaltende Ton, welcher durch das Wieder:
holen des Eijenrufes von Mund zu Mund ent-
jteht, jondern es mar ein ftürmilches Geſchrei,
welches fortwährend erſtarb, ſich aber nicht nähert,
das nicht Begeifterung, Sondern einen Schauer‘
erzeugt.
Und kommt Niemand, der Nahridt brächte ?
Jedes Fenſter ift voll von beſorgten Geſichtern,
und alles frägt, was denn geſchehen ſei? Und
Niemand iſt im Stande Auskunft zu geben; alles
drängt fih aus der Stadt hinaus, gegen Die
Donau. Niemand weil was Seiner dort wartet-
Nah langer Zeit des bangen Wartens er:
iheint ein altes Weib händeringend bon der
Rihtung des Ufers fommend, und mit fieberhaft
— 111 —
zittender Stimme rufend: „Ad, Jeſus Marta!
ah, Jeſus Maria!“
Das Weib eilt dem Stadthaufe zu, den
Stadthirurg zu avifiren, daß er mit feinen In—
jtrumenten den Unglücklichen zu Hilfe eilen möge.
Seine eigene Gattin Hatte man auch todt aus
dem Fluthen gezogen.
Johann von Hargitay beugte fih aus dem
Zenfter des Komitatshaufes, und vief der eilenden
grau nad: „Mas it geihehen ?°
Die Arme wurde Ihon von hundert Fen—
ſtern herab mit vderjelben Frage beftürmt ; fie
hörte aber nichts, und konnte nichts anders vor—
bringen, als! „Ad, Jeſus Maria !“
ALS ſich das herzzerreigende Wehllagen des
Weibes in der Ferne verlor, famen einige Maͤn—
ner mit großem Geichrei auf das Komitathaus
zu, fie mußten bei jedem Fenſter jtehen bleiben,
dann drang ein Reiter dur den Haufen; einer
jener berittenen Komitatshußären, die zur Auf:
rehhthaltung der Drdnung beordert geweſen waren.
Die Kleider voll Staub, das Gefiht voll Blut,
als wäre er ſammt feinem Pferde durch Die
blindftürmende Menge niedergetreten worden. Un—
bedeckten Kopfes Iprengte er dem Thore des Ko—
mitatshaufes zu, wo fein ſcheu gewordenes Pferd
faum mehr zu bändigen war.
— Was ift geſchehen? Rede! — rief ihm
- Hargitay entgegen. |
— 112 —
Der Hukar konnte fi kaum im Gattel
halten, und Hatte nicht Zeit, den Fragenden an:
zubliden, — vielleiht winde er gar nicht ge—
antwortet haben, wenn er ihn erkannt hätte.
— Die Brüde ift eingeftürzt, die Damen
find alle in der Donau umgelommen. —
Johann von Hargitay ſtieß einen Schrei
aus, als hätte er einen tödtlichen Stoß er—
halten. ‘
— Meine beiden Judithe! (Seine Frau
und feine Tochter führten denjelben Namen.)
Und dann fing an fein ſchönes lebensfrohes
Gefiht zu lächeln und fih roth zu färben, und
wurde immer.vöther, und lächelte immer: mehr.
Einige Augenblide konnte man nicht willen: ob
er wahnjinnig wird, ober ob er ftirbt ? Aber dann
auf einmal verging das Lächeln, die Farbe feines
Antliges ging in das Fable über, die ftattliche
Geftalt ftürzte jo wie er ftand: in goldbeihnür-
tem und reichverbrämten Galakleide, in der Hand
den Paradejäbel mit dem filbernen Griff — zuſam—
men, und ſchlug im Hinfinfen erft mit den
Knieen, dann mit den Ellbogen, und endlich
mit der Stirne an den Marmor des Fußbodens.
Wahrlih ! er hatte veht! Alle feine Vor—
fahren ftarben dem Tode kühn in's Auge fehend.
Sept ift auch er in ihrer Geſellſchaft.
Und wenn feine beiden Judithe die Reife in
— 13 —
das Jenſeits angetreten, fo konnte er doch befier
eilen, als jene, — er kam ihnen zuvor.
Ob fie aber auch dahin unterwegs find ?
* F *
Als der vermorſchte Querbalken der Brücke
entzweibrach, fiel die eine Hälfte des nieder—
fallenden Theiles mit allen dort Stehenden unter
das Joch, während der andere Theil durch eiſerne
Bänder feitgehalten, in der Luft hängen blieb,
nur die Menge rollte in’3 Waffe. Ein Theil
des Geländers fiel ihnen nad, wen ein Stüd
traf, der war todt.
Nah einigen, eine Ewigkeit dauernden
Minuten tauchte der hinuntergeftürzte Theil der
Brüde mehrere Klafter abwärts auf die Dber-
fläche der Donau.
Welch' ein ſchauerlicher Anblid.
Mehr als zweihundert Menihen, Männer
und Frauen in einem wirren Knäuel verwickelt,
wie ein Haufe Gewürm , welder fjammt dem
Obſte, an weldem er jaß, vom Sturme wegge—
riffen worden, klammerten fid die Unglüdliden
in ihrer Verzweiflung an die hinabgeftürgten Bal-
fen und aneinander. Hieund da taudt aus dem
Waſſer oder unter dem Gebälfe eine flehende
Hand empor, während der Kopf nicht mehr ficht-
bar wird. Das aufgelöste Haar ohmmächtiger
Frauen ſchwebt in dunklen Linien über ven
Wellen.
Andere Zeiten und anders Meinen. 8
== 14 ==
Kein einziger Ruf um Hilfe erihallt. Das
Entiegen bat fie Mlle ftumm gemadt. Der
ganze Menſchenknäuel läßt fi lautlos in tödt-
iher Betäubung auf dem gefährlihen Floſſe
durch die Fluthen langſam fortſchwemmen.
Dieſe ſind noch leicht zu retten. Was ge—
ſchieht aber mit Jenen, die von der entgegenge—
ſetzten Seite der Brücke, ohne ein rettendes Holz—
ſtück erfaßt zu haben, in einen Knäuel verworren,
hinabgeſtürzt ſind, und welche durch die eigene
Laſt untertaucht, unmittelbar in jene Tiefe ſinken,
wo am Grunde der Donau die Muſchelthiere
leben !
Zwiſchen dieſen Unglüdlihen befanden fi
die beiden Judith und Johann von Hargitay,
die grau und die Tochter und mit ihnen Bela, Der
abgewiejene Freier. |
In dem Augenblide, al3 die ganze Menge
jammt der Brüde mit fürchterlichem Gepraffel im
Sinken war, wurde die ganze Seele Judith's von
einem Gedanken erfaßt: ah! alſo jegt fterben wir !
Dies ift alfo die Löſung der peinliden
Frage: der Tod. Das Mädchen erſchrack nicht
vor dem Schredbilde, in deſſen Gewalt fie war;
diejes Schredbild war ihr ſchon jeit langer Zeit
befannt. Oft dachte fie Schon darüber nad, oft
fragte fie fih: welche Empfindung es fein Tann,
wenn man bon einer Höhe in das unbefannte
Wellengrab ſich hinunterftürzt ? wie es dort unten
= DB: =
ausiehen mag? ob es lange dauert, bis man
dort unten anlangt ? ob es Schmerzen verurſacht?
ob die Seele mit den Waflerblajen wieder in die
Höhe kommt? ob es das Herz tft, welches zuerit
bricht, oder der Kopf, welcher zu denken früher
aufhört ? Sie war längjt mit allen dieien jchauer:
lichen Gedanken vertraut, nur Eines hielt fie zu—
rüd: das es doch eine Feigheit wäre, ſich ſelbſt
zu tödten. Nun iſt aber das Schidial jelbit da,
es zu vollbringen. Um jo befier !
Während tie dies alles noch einmal durch—
dachte, behielt fie ihre volle Faſſung, aud dann
ſnoch, al3 die Wellen über ihrem Kopfe zufammen
ſchlugen.
Es war ihr nicht möglich, ihre Augen unter
dem Wafler zuzuſchließen.
Und wie entjeßlid war das!
Sie ſah neben fi, unter ſich, über ſich
überall befannte Gefichter, in der verzweiflungs—
vollen Agonie des Todes; manche janken langſam
hinunter, mit jtarr geöffneten Augen, mit anfges
dunjenen Wangen, leicht wie eine Feder, andere
zudten, das Geſicht verzerrt, die Augen krampfhaft
geihloffen, mit ohnmächtiger Anftrengung nad
einem Gegenitand toppend, an den fie ſich anklam—
mern könnten. Am ſchrecklichſten waren zwei ihrer
Freundinnen, welhe einander umfchlangen und
fo mit einander abwärts ſchwebten. Und der
das Waller durhdringinde Sonnenſchein lieh
*8
— 16 —
ihr jedes Gefiht, jede Figur Ihauerlih grün
ericheinen.
Und alle dieſe Hunderte von menſchlichen
Geftalten lebten noh! Ste bewegten fi, fie
warfen ſich bin und Her, fie zudten in dem
flüffigen Lichte eines grünlihen, flüjfigen Ele—
mentes; die Hände haſchten nody nad) einander,
die Lippen öffneten jih zum Hilferuf, die Augen
bewegten ſich in ihren Höhlen, und doch war das
hier Ihon das Neid) des Todes.
Judith ſah den Tod,. aber fie fühlte ihn
noch nit. Sie hielt den Mund fortwährend ge-
Ihloffen. Sie fühlte nihts Anderes, als den
ſchweren Drud der Menge Waflers auf ihre Bruft.
Und dabei ſchien ihr, als wenn ihr Körper
langiam ſich emporheben würde, — vielleiht eben
weil fie gar feine Anftrengung machte. Die grüne
Maſſe über ihrem Kopf wurde immer Lichter, und
fie fing an das Treiben, jener Kleinen Fiſche zu
unteriheiden, welhe zu Tauſenden auf der Ober—
fläche des Waſſers ſchwimmen, fich an den Sonnen—
ftrahlen mwärmen, und auf winzige Inſeltlein
lauern. |
Die Geftalt der Sonne drang wie das
Konterfei einer vergrößerten Feuerkugel durch das
Waſſer, und ihre in Millionen auffteigenden
Bläschen gebrochener Strahlen vereinigten ſich zu
einem Regenbogen unter dem Wafler.
Auf einmal ſchien ihr, als wenn eine Ge—
— 17 —
ftalt wie eine himmliſche Erſcheinung inmitten
dieſer Glorie zu ihr hinabſtiege. — Es war die
Geſtalt ihres Geliebten.
Und al3 dieſe Seftalt dem Mädchen er:
ihien, als dieſe Retterarme ihren Arm erfaßten,
als nad) einer Minute die Wellen ſich ihr öffneten
und fie Gottes ſchöne Welt wieder erhliden konnte,
wie fie Die geſunde Luft mit entfeflelten Lippen
wieder einathmen konnte, und ihren Kopf auf der
Schulter ihres Geliebten ruhen lief, — ad! da
dachte fie mit inniger Wolluft, wie das Leben
doch jo ſchön Sei.
Gerettet werden! Entriflen werden aus dem
Tode gerade durch die Hand deſſen, um deſſen—
willen fie fih den Tod wünſchte! Diejer Gedanfe,
dieſes Gefühl machte fie glüdlih. Aber nur für
einen Augenblick.
Einen Augenblid nachher durchzuckte ein
anderer Gedanke ihr Weſen, — ein Gedanke, der
Hölle glei. |
— Was iſt aus meiner Mutter geworden ?
Und gleih Darauf, als eine prompte Ant—
wort auf jene Frage aus dieſem tiefen Todten—
reihe, fühlte fie, wie eine Trampfhafte Hand unter
den Wellen fie beim Fuße ergriff.
Judith fühlte alle ihre Schnen erftarren.
Sie dachte an nichts Anderes, als daß jene Hand,
welche ſich zwiſchen fie und ihre Liebe drängte,
ſogar jetzt aus der tiefften Grabestiefe zu ihr
— 18 —
herauf greift, die Tochter zu erfaflen, eben als fie
durch den Geliebten dem Leben und den unend—
lihen Räthieln des Lebens zurücdgeraubt wird;
daß dieje gemwaltthätige Hand die Rettung verhin-
dern will, und fie mit fid — in das
ſtille, ruhige Grab.
Judith leiſtete keinen Wiberftand, fie faltete
die Hände auf ihrer Bruft, und ſchloß nun die
Augen. Einen Augenblid darauf fühlte fie,
daß das Waſſer über ihrem Kopf wieder zuſam—
menſchlug.
Im nächſten Augenblicke war ſie durch den
Arm Béla's abermals auf die Oberfläche des
Waſſers gezogen, aber die gewaltige Hand
309 fie immer abwärts, hielt fie immer feit.
Sie fühlte, welde Anftrenaungen es ihrem
Geliebten Lofte, um bei diejem Kampfe Herr über
die Mogen’ bleiben zu fünnen. Ste meinte: Ver:
laffe mid, und rette Dich jelbit!... Es
waren Dies feine Worte, nur der Gedante,
aber fie glaubte ihn auch ausgeiproden zu haben ;
oder daß ihr Geliebter ſelbſt ihre Gedan—
fen höre.
Die gemwaltthätige Hand zog fie aber fort:
während abwärts.
Sie war mit dem Kopfe ſchon länger
unter, als ober dem Waſſer. Ste begann bereits
die Beſinnung zu verlieren. Ein dumpfes Sum-
men umlauste ihr Gehirn. ES war dies jener
%
= 340: =
Augenblid, wo die Seele und der Körper bereits
getrennt von einander leben. Die Seele ift fi
nod) bewußt, fie denkt, aber die Nerven gehorchen
bereit3 einem andern Herrn. Die Seele hat ihre
Ruhe gewonnen, aber der Körper windet fi noch
im Xodesfampfe, zittert und fträubt fih gegen
das Zunichtswerden.
Die Hand, welde fie in ven Tod z0g,
wollte nicht loslaſſen.
Das Bewußtſein Ihwand gänzlich, fie fühlte
niht3 mehr... . die mit dem Tode ringende
Geftalt unter dem, Waſſer hatte fie in den Fuß
gebiſſen.
Dieſer Schmerz machte ihren Körper un:
willkürlich zuden; fie jtieß fi mit einer krampf—
haften Bewegung auf die Oberfläche des Waflers.
Nah dieſem Stoß ließ.die fi anflammernde Ge-
ftalt ihren Fuß los... Wer mag fie geweien
ſein? .. todt ift fie jedenralls.
Und jetzt wurde Judith von jener unbe—
wußten Sewalt ergriffen, welde die mit einem
ihmerzhaften Tode Ningenden zu überraschen
pflegt. Ihre Gedanken ſchwanden gänzlid. Sie
umarmte frampfhaft ihren Geliebten, der fie bis-
ber am Arme haltend, und mühjelig ſchwimmend
über den Fluthen hielt. Beide Arme hatte jie
mit flarrer Gewalt um jeinen Leib geihlungen,
um ihn mit fih unter das Waller zu ziehen;
dann preßte fie ihre Lippen an die jeinigen, um
— 120° —
ihm mit einem legten fterbenden Kuſſe aud den
Athem zu vauben; jo jenkten fi) die beiden Ge:
ftalten langſam Hinab auf den Grund der .
Donau und flogen zwei Seelen hinauf zum
Himmel. . .
— Haho! .. Bela! . . Hieher! — rief
eine befannte Stimme von der Fläche des Waſſers.
Ein Nahen glitt Schnell über die Fluthen. In
dem Nahen ruderte ein Mann. Diefer Mann
war Pußtafi.
Ä Während Andere ſich beeilten den Lärm der
Beftlichfeit zu vermehren, ſaß er in dieſem Kahne
und angelte ruhig; ev war der Erfte, welcher an
die unglückliche Schredenzftätte eilte.
— Bela, hieher, hieher! — Bon weiten
Ihon erfannte er jeinen Freund, der eben mit den
Fluthen rang, und eilte ihm zu Hilfe. Bela hörte
feinen Ruf nicht mehr, die tödtlihe Umarmung
hatte aud) ihn in den Tod hinabgeriffen.
Aber der Dichter läßt Diejenigen, die er
liebt, nicht zu Grunde gehen.
Er ſuchte mit jeinen Schifferhaden jo lange,
bi3 er fie fand. Das Mädchen hielt aud jekt
nod) ihren Geliebten umſchlungen, nichts konnte
die Beiden mehr von einander trennen.
Der Dichter bob fie Beide mit feinen
fräftigen Armen aus den Fluthen, wie man ein
Kind aus der Wiege hebt, dann legte er fie in
ihr Brautbett: auf den Boden des Kahnes.
— 1211 —
Die beiden aneinandergeihmiegten Köpfe
legte er in ſeinen Schoß, und ftrid ihnen das
triefende verwirrte Haar von den Stirnen. Das
Mädchen hatte den Myrthenkranz noch immer am
Kopfe. Wie pahte er ihm jet jo gut!
Keines gab ein Lebenszeihen: fie ruhten
unbeweglich neben einander.
Am entgegengefeßten Ufer des Stromes
ging es Iuftig zu, Kähne, Pletten ftießen vom
Ufer ; Jene, welde jih an die Balfentrümmer ge-
flammert hatten, trieb die Donau langſam ab-
wärts. Am Ufer der Inſel jedoch war Alles
ruhig. Dorthin lenkte Pußtafi feinen Kahn, ohne
jein Auge von den bleihen, eritarrten Gefichtern
jeiner Lieben abzumenden.
„Nun gehört Ihr einander für immer.“
Sonſt begünſtigte das ſchönſte Wetter das
Feft. Vom klaren Himmel lachte und brannte
die Sonne, auf den Gaffen und Pläken duftete
das verftreute friihe Gras,
Einer, der das Schickſal bezwingt.
Pußtafi wohnte in irgend einem drei—
ftödigen Haufe im innern Theile der Hauptſtadt
Natürlich im dritten Stodwerfe, und zwar des—
halb dort, weil e3, wie er felbft zu jagen pflegte,
feinen vierten gab.
Seine Wohnung befteht aus einem Vor—
zimmer für feinen Diener, aus einem Arbeit3- und
einem Schlafkabinet.
Die Einrichtung ift Außerft einfach, den
einzigen Lurus bildet der Bücherſchrank, worin
in prachtvollen Einbänden die Hafliiheften Merfe
der engliihen, franzöfiihen und deutſchen Lite—
ratur prangen.
An den Wänden hängen verihiedene Por:
trait3 in Stahlſtich; aber nicht jene, welche man
auf ungariihem Boden in allen Häufern findet,
nicht jene ſchnurr- und finnbärtigen Geftalten,
welche, als fie dem Maler faßen, ihre Sübel um—
gürteten, ihre Fäuſte feſt an den Griff drückend,
als wollten fie verhindern, daß die feurige
Klinge niht von felbft aus der Scheide ſpringe.
— 1
Dieje Stahlftihe ftellen glattrafirte Gefihter
mit fremden Zügen bor, mit hohen, weißen Hals—
fraufen, in antiken Fracks. Nicht einer der länd—
lihen Beſucher des Dichters frug fich felbft bei
Betrahtung dieier Wandzier: weßhalb denn jein
Freund dieſe vielen Deutihen halte? Als er aber
diejelben näher betrachtend die Unterſchriften lag,
fonnte er fih eines leichten Schauers nidt er:
wehren. Der mit dem gejurdhten, gallihten, jaty-
riſchen Gefiht, mit dem zurüdgeichlagenen Hemd—
fragen, welder Hals und einen Theil der Brujt
offen läßt, it: Marat; — dieſer erhobene
Kopf mit den maſſiven Zügen, dem offenen Blid
und jener Mauerbrecher gleihenden Stirne ift:
Danton; — jene geichmiegelte Geftalt: Ro-
bespiere; diejes junge, beinahe kindliche, ovale
Geſicht gehörte einft dem furchtbaren Saint
Juſte; und der geiftreihe Frauenkopf mit dem
altgriehifihen Haarſchmuck ftellt Madame Roland
bor. Ueber dem Schreibtiih hängt das Bortrait
Beranger’s. Auf dem Tiſche ſelbſt liegt die Lieb
Iingsleftüre des Dichters, das Buch der Giron-
dilten, aufgeſchlagen.
Der Dichter ſelbſt figt an Seinem Tiſche,
die Feifterläden find geſchloſſen, die Kerzen in
den Leuchtern bis an den Stumpf abgebrannt.
Bor ihm liegt ein begonnenes Gedicht, deſſen
Titel:
„Caſſius,“ „Tell,“ „Desmoulin.“
— 124 —
Mer wird der Vierte ſein?
Der Dichter erhebt fi) von feinem Tiſche
und beginnt unruhig im Zimmer auf und ab zu
gehen, währenddem er eine große Denkmünze in
die Luft ſchleudert, um fie mit der fladhen Hand
aufzufangen,; dann ſetzt er fi) abermals und
ſchreibt weiter.
Das Gedicht ift bereits zur Hälfte fertig,
aber der Schluß will nit gelingen. Nein, nein,
es gibt feinen Gedanken, welcher dazu paffen
würde . . . Er liest, was er jchon geſchrieben.
„Elendig,“ murmelt er dann in fid) hinein, zerreißt
das Ganze und fnittert es in den Käuften zu—
ſammen um es hinter den Dfen zu werfen. So
pflegte er jeine Werke zu korrigiren.
Da Eopft der Diener an die Thüre.
— Was gibt3? — rief Pußtafi, den Riegel
zurüdziehend.
— Zwei Damen wünjhen einzutreten.
— Bu mir? .. In der Nadit ?
— Schöne Naht das, — brummte der
alte Diener — es ift bereits 11 Uhr Vormittag.
Dann öffnete er die Fenfterläden. Es war
ein regneriich-düfterer Märztag, man konnte Schwer
gewahr werden, wann es Tag geworden.
— Nun, jo laffen Sie die Damen herein,
wenn fie mich durchaus ſprechen wollen.
| — Wollen Sie fih früher nit ankleiden ?
— 15 —
— Hab’ ih midy denn ausgezogen jeit
geitern ?
— Wenigftens jollten Sie andere Stiefeln
nehmen, dieſe find ja ganz fothig.
— Wenn die ganze Welt kothig ift, warum
könnten es meine Stiefeln nicht jein.
Der Dichter hatte feine mürriihen Stun—
den, wo bei ihm die Verachtung der Eitelkeit bis
an den Cynismus grenzte,
Nah einigen Minuten konnte man das
Raufhen von Krauenkleidern vernehmen, bald
darauf wurde leiſe an die Thüre geflopft.
— Herein! |
Zwei Damen, eine junge und eine ältere
traten ein.
— A, Sie find 8?! — rief Puptafı mit
freudiger Stimme, der jungen Dame die Hand
eutgegenftredend?. — wie freut es mid, Gie
zu ſehen.
Die Dame war Judith von Hargitay.
— Wiſſen Sie, dag id) abergläubiſch bin, —
ſagte Pußtafi, indem er feine Säfte zum Divan
führte und Pla nehmen hieß, — denn id
prophezeihe mir meinen Tag, ob er angenehm
oder unangenehm fein wird, daraus, ob id) ein
liebes, oder ein verhaßtes Geficht zuerit zu ſehen
befomme. Heute werde ich daher einen epochaj
guten Tag haben.
— 28
— Sie werden verzeihen, daß ich Ihnen
Ihre Zeit und Ihre Gedanken raube, — ſprach
Judith, die Hand des Dichters drückend.
— Dann haben Sie ſich auf den Raub
ſehr werthloſer Gegenſtände verlegt.
— Weine Tante Charlotte v. Gyöngyi —
führte Judith ihre Begleiterin auf.
Die Heine lebhafte Frau, die ſich troß ihrer
Sahre noch im Befige vieler Reize fühlte, hatte
fi) bereits entihloffen, ein geiſtreiches Kompliment
anzubringen, al3 Pußtafi, dies aus ihren Zügen
herauslejend, den zu entfeſſelnden Redeſtrom
ftaute, und gerade auf die Sache losging.
— Mit was fann ic zu Dienften itehen ?
— Wit Ihrem guten Rathe!
— Den Finnen Ste im Voraus haben ;
bevor ic) den Gegenftand gehört hätte... . Was
Sie wünſchen .. . ift nur billig.
— Ich wünſche Schaufpielerin zu werden.
Pußtafi zog gewaltig die Augenbrauen zu—
ſammen und dachte, daß es doch nicht gut gewe—
fen. fei, den Wunſch feines Gajtes „in bianco“ zu
unterjchreiben.
— &ie bereuen, das Ste meinen Willen
in Voraus billigten ?
— BWahrlid Sie bejigen eine gute Polizei
in Ihren ſchönen Augen. . .
— Und Sie einen ſehr ſchlechten Sekretär
— 127 —
in. Ihren Zügen , . . Mein Entſchluß bat feinen
Gefallen bei Ihnen gefunden? . . .
—Weßhalb nicht? — ſprach der Dichter mit -
Ironie, — gegen den Beruf habe ic) feine Einwen—
dung; denn dieſer fteht um eine bürgerliche
Rangftufe höher, als der meinige; hinſichtlich ſei—
nes Glanzes übertrifft er Alles, und was die Be—
friedigung der Leidenſchaften anbelangt, jo gibt
e3 Leine Laufbahn, Feine geftaltende Kunft, welche
im Momente de3 Schaffens jo viel wahren Ge:
nuß bieten möchte. Doch wollte ic früher willen,
ob Sie mit ſich jelbit und Ihren Fähig:
feiten abgerechnet haben. Willen Sie es, haben
Sie es reiflih erwogen, was Alles die Laufbahn
einer Schauspielerin erfordert ?
Die gute Tante beeilte ih in dieſer heik—
len Angelegenheit mit der Antwort Judith zu:
vorzukommen; da dieje fi) ihrer eigenen Talente
ſchicklich nit rühmen konnte.
— Ah! Herr. Pußtafi, wenn Sie fie hören
möchten, al3 fie Ihre Gedichte deklamirt!
diefe Stimme, dieſes Gefühl! ..... |
— Bitte, bitte, ..... beſchwichtigte fie
Pußtafi, — ih fragte niht nad) der Stimme,
nad dein Gefühl. Das find Dinge, ohne welche
man beim erjten Auftreten durchfällt und von
feiner Kranlheit geheilt wird... . Ich frage ob
Sie waschen, biegeln, nähen und kochen künnen ?
denn Das ift die Hauptſache. Die Zivilifte un—
— 12383 —
jerer Bühnenköniginnen iſt nit jo hoch bemeffen,
daß es zur Erhaltung eines Minifteriums ge=
nügte. Hat die Königin eine große Rolle zu
Ipielen, muß fie vor dem Grauen des Morgens
bereit3 auf den Beinen ſein; denn ihre auswaͤr—
tige Wärterin ſchläft noch. Dann kocht Ihre
Majeſtät ihr Frühſtück, während welcher Be—
ſchäftigung ſie ihre Rolle einſtudirt, um auf acht
Uhr, wo die Probe ſtattfindet, fertig zu ſein.
Um eilf Uhr kehrt die Königin nad Haufe, macht
Feuer und Einbrenn, denn die Wärterin verjteht
ſich hiezu nicht, und die Gaſthauskoſt koömmt zu
hoch. Während des Kochens werden die Haupt—
momente der Rolle durchdacht, dann beeilt fie
ſich mit dem Diniren ſchnell fertig zu werden,
was um ſo leichter geſchieht, als das Diner ſehr
kurz iſt. Jetzt müſſen die Garderobeſtücke her—
vorgenommen werden; dieſes Kleid braucht einen
neuen Aufputz, jenes muß dem Zeitalter des
Stückes angepaßt, umgeändert, das dritte aber
gar gebiegelt werden. Während dieſer Beſchäf—
tigung vermag ſich die Königin ganz in ihre
Rolle hineinzuleben. . . Dann kommt die Herr:
lichkeit, der Rihm! .. Die Königin wird mit
Applaus, mit Triumphgeſchrei empfangen, nach
jedem Aft dreimal gerufen, und die Königin
jeufzt; wenn man fie nur nit jo oft rufen
möchte, daß fie noch vor der Thoriperre nad
Haufe käme, um dem Hausmeifter die zwei
— 19 —
Groſchen Sperrgeld nicht zahlen zu müſſen. . .
Verftehen Sie fih zu Alledem.
— Ja, weil ih mich dazu verftehen will.
— Das find ſehr kräftige Worte. Aber cs
wird Ihnen aud) gut jein zu willen, daß die Mus
fen jammt ihrem Vater Apollo Schon in den Zei—
ten der Arahen und des Marjias einander neidig
geweſen find. Apollo läßt auch heute feinen Ne-
benbuhlern die Haut abziehen. Es gibt unange:
nehme, unausjtehlihe, undankbare Rollen, welche
hier und ‚dort dem Regiſſeur an den Kopf ge:
ſchleudert werden, bis ſich eine Hand findet, welche
fie behält. Die Königin kann nicht immer Königin
fein; morgen 3. B. muß fie einer anderen, viel
geringeren als fie ift, die Schleppe nachtragen.
Unmuthig betritt fie die verhaßten Bretter, und
wandert nach Pläken, die Andere verlaffen hatten ;
ſpielt Ammen, alte Weiber, drollige Schwikerin-
nen, lauter Rollen, die ihr widerlih find... .
Was macht fie jetzt? ... Sie duldet,
ihweigt und jhaut rudig zu, wie ſchön man Je—
manden lebendig begraben kann ... Der fie
duldet nicht, jondern verlegt ſich auf's Intriguiren:
fie fängt ſich einen Zeitungsichreiber, der für fie
jammert, da3 koſtet wenig, ein gutes Wort, ein
Lächeln, ... nükt aber auch nicht viel. Beſſer
ift es, wenn fie fi) an eine bon zwei wetteifern—
den Parteien anſchließt, oder aud) an beide, fie
best eine Primadonna gegen die andere, erobert
Andere Zeiten andere Menſchen 9
— 1909 —
fi) einen der Korifäen, oder auch mehrere, viel=
leiht auch den Regiffeur, oder gar den Direltor
ſelbſt, wo nit den ganzen fiebenfüpfigen Draden ?
Ihr Ruf leidet dadurch nichts ... Will fie aber
großen und ſchnellen Erfolg ernten, da wäre eine
höhere Proteftion . . . . . Sie erröthen: Verzei-
bung, id) ſpreche nicht weiter, wollte auch nur im
Allgemeinen geiproden haben... Sie fünnen
dulden . . .
— a, ih will dulden, und durch Fleiß
mich auszeichnen.
— Test jagen Sie mir die Urſache, welche
Cie zu Ihrem Entſchluße bewog ?
— Ich wollte eben dort beginnen. Sie
lichen mich nicht fterben, als ich es thun wollte.
Sie gaben mich dem Leben zurüd, wo id ſchon
im Tode mein Ziel erreiht hatte. Set fehen
Sie zu, was Sie mit einem Weibe anfangen,
welches ſich ihr Leben einrichten will ... Als ic)
nach jenem fürchterlichen Tage meine Beſinnung
wiedererlangte, frug ich: wo iſt mein Vater, wo
iſt meine Mutter? .. Die Umſtehenden antwor—
teten nicht, ſondern waudten ſich ab, und trockne—
ten die Augen. Draußen im Hofe ſang und betete
man; in den Thürmen läuteten die Glocken; da—
mals begrub man fie Beide. Sch hörte, wie die
zwei ZTodtenwägen über das Pflafter holperten,
und hörte die Schritte des Trauergeleites, als es
paarwerfe vor den Fenſtern vorüberſchritt . . .
— 131 —
Ich fonnte jie niht einmal als Todte mehr jehen-
Sie Ihieden im Zorn von mir, mit der fluchenden
Hand über meinem Haupte.
Wenn ich einen Gedanken habe, der oft wieder—
fehrt, und den ich dadurch bannen will, daß id) feine
ganze Shanerlihfeit ausbeute, fo ift es der: ich
glaube noch immer, da die Hand, welche mich an
jenem böſen Zage unter dem Waffer ergriff, die Hand
meiner Mutter geweſen ift, und ich ftieß fie von
mir, ich ließ fie jterben, während ic) gerettet wurde,
dab ih lebe, daß ih nad) dieſer fürdterlichen
Stunde niht wahnjinnig wurde, macht mid) glau-
ben, daß mir das Schickſal eine Miffion beſchie—
den hat. E3 kann dies eine lädherlihe Schwär:
meret bon mir jein, doch bin ich jo überzeugt,
Nah Ablauf des Zrauerjahres werde id)
Laͤvay's Gattin. In der Stunde, wo dies geſchieht,
fann id) nihtS mehr mein Eigen nennen, als
mich ſelbſt. Meine Eltern hinterliegen ein Teſta—
ment, welches jie bloß zu meiner Einſchüchterung
verfaßt Hatten, nicht ahnend, daß der morgige
Tag ſchon der Tag der Eiwigfeit fein werde.
Dieß drohende Schriftftüd ift im Ardive des
Komitates hinterlegt, laut deſſen Sinn id am
Tage wo ih Bela die Hand zum ewigen Bunde
reihe, aud) die Armuth mit mir in fein Haus
bringe. Arm zu fein ift noch fein jo großes
Uebel; weder Er, noch ich Ihreden davor zurüd,
denn Er lebt beſcheiden nad feiner Arbeit und
98.
— 132 —
auch ic) begnüge mid mit meinem beicheidenen
Looſe. Aber das biele Unglüd, das mid heimge-
ſucht, hat mich zur Profetin gemacht. Wontit mir
einft meine Eltern, meine Bekannten gedroht, daß
Bela wegen feiner Prinzipien, für Die er kaͤmpft
einft ein Verfolgter, ein Verbannter, ein Gefanz
gener fein wird, das ift in mir zum Glauben
geworden.
Man hat jedod damit nit das Beziwedte
erreicht.- Statt mic zurüdichreden zu laffen, habe
ih mich entidloffen, mein Schickſal von dein
feinigen niht zu trennen. Er wird Jemanden
benöthigen, der ihm beim Wanken aneifert, tm
Unglüde Ihiemt, und wenn er jeinem Verderben
entgegeneilt, rettet.
VDeßhalb it mir eine Laufbahn nöthig,
welche ih mir ſelbſt ſchaffe, und von welcher ich)
dent Schickſal muthig ins Auge bliden kann,
wenn es die Laune anwandeln Sollte, mit einen
Meibe zu kämpfen.
— Ah Weib, wie erhaben biſt Du in deiner
Liebe! — rief der Dichter mit Begeifterung und
drüdte die Hände des Mädchens. — Einem ſolchen
Willen gegenüber ift mein Wort nur ein Hauch!
— Ich habe es von Ihnen erwartet, daß
Sie mir nicht widerrathen werden. Ih Fam um
mir Ihren Rath zu erbitten, um Sie zu fragen,
wie ih es anfangen, wohin und am wen ich mid)
wenden ſoll?
— 133 —
Pußtafi dachte einen Augenblid nad), dann
fuhr er plöglih in die Höhe.
— Ih habe eine Idee. Kennen Sie die
beite, die erſte ungariihe Tragödie ?
— Ich fenne fie, aber wenn ih nicht irre,
ift deren Aufführung verboten.
— Dann meinen Ste Ihon dielelbe, die ich,
Lernen Sie diefe Tragödie. Bis Ste damit fertig
find, wird jene Zeit bereit3 herangerückt fein, wo
Schauipiele nit mehr verboten werden.
— Dann müßte dieſe Zeit ſchon morgen
heranbreden.
— Mer weiß es? Morgen werde id Sie
aufſuchen. Wo iſt Ihre Wohnung. ?
— Bei meiner Verwandten in der Hatva—
nergaffe, vis a vis der Landerer'ſchen Druderer.
— Ih werde Eie bejuden.
— Ich bitte Sie aber mit Bela fein Wort
darüber zu ſprechen.
— Damm ift es gerathen, wenn Sie jid)
auf der Gaffe nicht zeigen, denn wenn er erfährt,
daß Sie hier find, wird es Ihnen nit möglich
fein, Ihr Geheimniß vor Ihm zu bewahren. Auf
Miederichen . .
Pußtafi gab feinen Gäſten bis zur Stiege
das Geleite, dann fehrte er in fein Zimmer zurüd
und blieb vor dem Portrait der Madame Roland
ftehen, welches er lange, und finnend betradtete.
— — — — — — —— — — — — — ee —
— 14 —
Abermals folgte ein düfterer, regneriſcher
Märztag.
Die Gaffen waren ſchwarz vom Koth, der
Himmel weinte bittere Thränen. Wen fein Schid-
fal nicht Hinaustreibt, verhält fih Thon ruhig zu
Haufe. Indith hielt das Wetter ſehr paſſend dazu,
um die dramatiihe Nolle, welche ihr Pußtafi
aufgegeben, einzulernen. Sie hatte aud) die Nach—
damit zugebradht, nun braucht fie nur einzelite
Partien nachzuholen.
-Mit dem Buche in der Hand ſaß fie am
Fenſter, ganz verfunfen in die in ihrer Phantaſie
lebendig gewordenen Bilder und Gruppen einer
großen Zeit, welche ein riefiger Geift in maſſiven
Geftalten nun geihaffen hatte.
Ploͤtzlich dünkte "es ihr, al3 wäre das To—
ben, weldhes den Thron des Königs Andreas von
Jeruſalem gleid) wüthenden Meereswogen erſchüt—
texte, wirflid) hörbar... . Dies rührt nit von
den heraufbeihwörten Geiftern her, dies ift nicht
mehr Einbildung, jondern Wirklihfeit ... .. Das
Toben fümmt von der Gafle, als wäre e3 Die
Fortſetzung der Worte Petur-Bän’s...
Wäre fie niht jo ftarf in ihr Studium ver:
tieft gewejen, wenn fie e8 der Mühe werth ge=
funden hätte, einen Blick durch das Fenſter auf
die Gafje zu werfen, müßte fie e3 wahrgenommen
haben, daß ſeit einer Viertelſtunde troß des
Regens einzelne Männergruppen haftig borüber
— 135 —
eilen, einem beftimmten Ziele folgend, weldes jehr
Dringend ſcheint. Nach kurzer Zeit kehren diejelben
Gruppen mit neuen vermehrt durd die Hatvaner-
gaſſe zurüd.
Das dumpfe Getöje, das unbelannte Toben
nähert fi immer mehr und mehr. Judith jah die
Volksmaſſe heranziehen, und konnte fih nicht er—
Hären, was e3 zu bedeuten habe? War dieler
Lärm ein Jubel, eine Huldigung, rührte er von
Zorn oder Entrüftung her? ... Nihts von
alledem.
Der größte Theil der Maſſe beitand aus
jungen Männern.
Den Fenftern Judith's gegenüber ftand ein
drei Stod hohes Haus, in deſſen erſtem Stod-
werke fih das Nationalfafino, in den ebenerdigen
Räumen aber die Landerer’ihe Druckerei befand.
Diefes Haus war der Brennpunkt der Ge—
Ihihhte jenes Tages.
Und dieſer Tag war der erfte Tag der
Geihichte der Freien Preſſe. Ä
Mer ein jehr gutes Gedähtnig hat, wird
fih vielleicht noch erinnern, daß dieſer Tag der
15. März geweien. Viele werden jeiner ſchon
längft vergeſſen haben.
An dieſem Tage waren zwei Namen von
beinahe allen Lippen hörbar: Pußtafi umd
Lavay. Wie lange find diefe Namen Schon ver:
Hungen jammt allem, was damals geihah.
— 136 —
Doch wir Schreiben ja feine Geſchichte, ſon—
dern einen Roman.
An diefem Tage alfo war es Mode für
- Redermann auf der Gaſſe zu fein.
Solche Tage haben fein bejtimmtes Pro—
gramm, aus welchem man erjehen könnte, ob
das Ende ein Schauipiel, oder eine Tragödie
jein wird ?
Im größten gedränge begegnete Pußtafi
Judith. Erjterer mußte natürlich überall dort zur
finden fein, wo ji Bela befand. Pußtafi dachte
darauf, daß ſich das arme Kind hier nicht am
rehten Orte befinde; vielleiht bangte es ihm.
aud) für Bela, dag, wenn diefer Judith gewahr
wird, feine Seele die Kampfbereitſchaft verliert.
Er näherte fi daher ſchnell dem Fräulein, und
zog es unter eine Xhorwölbung,
— No gehen Ste hier herum ?
— Dort wo Sie,
— Sie ſollten aber anderswo fein.
— Haben Sie Ihon'vergeflen ? Geftern kamen
wir überein, daß Sie in einer Tragödie Ahr
erites Theaterdebut veriuchen werden, welde
geftern nod) verboten war. Heute ift fie es nicht
mehr. Sehen Sie, ih habe auch daran gedadt.
Ih habe bereit3 mit dem Direktor geſprochen.
Man erwartet Sie zur Probe. Befinnen Sie fid)
nicht zu lange. Sie jehen ja, daß heute ein Tag
it, wo jede Stunde ein Jahr gilt. Heute ift
— 237 —
Alles möglih, ſelbſt das Unmögliche. Folgen
Sie mir in's Theater, damit ich Sie dem Di—
rektor vorſtelle.
Der Regen fiel in Strömen. Judith lief
ohne Regenſchirm auf der Gaſſe herum. Pußtafi
erhaſchte einen kleinen hinkenden Mann, der einen
Regenſchirm trug.
— Halten Sie, lieber Bürger, wie iſt Ihr
Nante ?
— Heiße Meldior Glanz — zu dienen, bin
Gehilfe im Rochusſpital.
— Nun, geben Sie Ihren Regenſchirm her.
Mein Name ift Wußtafi.
| — Ad ih bitte, mit taufend Freuden.
Habe die Ehre. Wer würde Sie nidt kennen ?
Bitte, belieben.
— Beim Theater erhalten Sie ihn zurüd.
— Hat feine Eile, feine Eile. ...
Der Heine Mann übergab feinen Regen=
Ihirm, und Hinkte von dannen, indem er fid) vor
Freude die Hände rieb, dag ihm ein joldes Glück
widerfahren. Pußtafi aber eilte mit Judith dem
Theater zu. Je näher fie famen zu jenem zauber—
haften Heiligthum, zu jenem heigerjehnten Olymp
jo manches jugendlichen Herzens, umſomehr zitterte
Judith an allen Gliedern. Sie war gezwungen,
ih in die Lage zu fügen, welde fie ſelbſt herauf-
beihworen ; ein neues Leben zu beginnen auf den
weltbedentenden Brettern, zu einer Zeit, wo auch
— 13 —
die Außenwelt ein neues Leben begann. Sie
Tollte ſpielen, während das Schickſal mit ihr fein
Spiel trieb.
Nachmittags zog das bewegte Voll nad
Dfen hinüber. |
Mas kann dort gefhehen fein? davon
wuhte Niemand.
Viele der Schaufpieler, welche ihre Rollen
bei der Probe beendet, liefen hinüber, um zu
fehen, es kam aber keiner zurüd.
‚Und Judith war genöthigt zu bleiben, ohne
Nachricht von Bela zu erhalten. — Während dem
LKefen die Vorbereitungen im Theater ihren Gang ;
23 fam der-Abend, und die Lampen wurden an—
gezündet.
Noch wußte Niemand, was in Ofen
geſchah.
Nur Judith wußte, welch' ein zweifelhaftes
Drama da drüben abgeſpielt wird, von deſſen
Ausgange es abhängt, ob man ihr heute einen
Kranz, oder das Haupt ihres Geliebten vor die
Füße werfen werde.
Die Zeit der Borftellung rückte heran.
Das Theater begann ſich zeitig zu füllen. Man
gab ja gewilfermaßen zur Krönung des Tages
en Stift welches ſeit zehn Jahren ver=
boten war.
Judith mußte über ihre Rolle nachdenken ;
über jene Rolle, welche voll der ſchmerzlichen
— 139 —
BDeziehungen zu einem Empörer ift, deren jedes
Wort ihre Seele an die Ereigniffe des heutigen
erregten Zuges fnüpft.
Und in einem ſolchen Zuftande aufzutreten,
das erſte Mal, vor einem glänzenden Pu—
blitum! ...
Man läutete bereitS vor den Anfleidezim-
mern, zwiſchen den Kouliffen begannen ſich die
glänzend koſtümirten Geſtalten mit den hijtoriihen
Nafen und Bärten zu gruppiren. Auch Judith
legte ihre Rolle bei Seite, 309 ihr goldgeſticktes
Kleid an, Sekte fih Das Diadem auf den Kopf
und trat in Den beleuchteten papierenen Balaft
hinaus... Wie gerne hätte fie ihr glänzendes
Koftüm von fi) geworfen, um mit aufgelöstem
Haare dur Die fothigen Straßen zu eilen und
anſtatt den klingenden Jamben auszurufen:
Op! wie wird fie heute mit ihrer Rolle
durchfallen! Man läutete bereits das erite Mal
den Kouliſſen-Maſchiniſten.
— Judith! .. Hier bin ich! rief eine
Stimme hinter den Kouliffen. |
— Bela! ſchrie Judith auf: und in dem—
jelben Augenblit war Alles vergeſſen, ihr Koſtüm,
ihr Rolle, das Theater, die fie umftchenden hi—
jtoriihen Geſtalten ..... ſie warf ſich ihrem Ge—
liebten in die Arme.
Haͤtte ein Weib anders thun ſollen.
— 140 —
In den Zügen Lävay's fpiegelte ſich der
Triumpf des Tages ab. Man brauchte nicht zu
fragen, was geſchehen fei; wer ihn anſah, mußte
e3 wiſſen.
Im nähften Augenblide war Bela den
Armen Zudiths entriffen; und fie mußte zujehen,
wie er bon den papierenen Künigen mit den hi—
ftorifhen Nafen, von den Herzoginen mit dem
falſchen Schmuck ebenfo behandelt wird, wie jie
ihn dor einem Augenblid behandelt hatte ...
Es war ja dies ein Tag, wo fid) zwanzigtaufend
Menihen abküßten, die fih im Leben nie gejehen.
Gleich nad) Lävay erſchien Pußtafi; aud ihm
widerfuhr e3, wie jeinem Freunde.
Es wurde zum zweiten Mal geflingelt.
Die Helden mußten von der Bühne flüch—
ten, der Vorhang ging in die Höhe.
Das Theater war voll, Alles kam zuſrie—
den, mit freudigem Gemüth. Vor ein ſolches
triumphbejeeltes Publitum mußte Judith treten;
doch fie war die Seeligfte, die Stolzefte von Allen,
Welcher Beifall! ...
Gegen Ende des erſten Altes gab es ſchon
mehr Applaus unten als Reden auf der Bühne,
Als der Akt vorüber, wurde Judith ſechsmal, Die
Uebrigen einzeln einmal, und wieder Alle insgeſammt
gerufen. Das war nicht genug. Das Publikum wollte
das Gedicht Pußtafi's von der Bühne herab hören. ..
Einer der glänzenden papierenen Fürften mußte
— 141 —
e3 unternehmen, dasjelbe ex impromptu zu della:
miren. Aud) das genügte nicht ; das Publikum wollte
Pußtafi fehen, dann Lävay, dann alle Redner
des heutigen Tages. Diefe gaben dem Volks—
willen nad, und eridhienen auf der Bühne mit
fothigen Stiefeln und Kleidern, zerquetihten Hü—
ten;... das Volk verlangte, daß fie ſprechen
follen; fie thaten es mit heiſeren SKehlen, das
Volk verlangte den Räföczy, er wurde auf:
geipielt . .. Unendliher Jubel.... das Thea-
ter, weldes ſchon beim Beginnen voll gewelen,
füllte fih nod mehr.” Einer klammerte fid) auf
den Rüden des Anderen und Elatichte, jubelte und
dellamirte; aus den Logen langten Die herr—
Ihaftlihen Säfte mit ihren Händen herab, um
die im Partere Erftidenden zu ſich hinauf zu zie—
ben; und als auch die Logen ſchon vollgepropft
waren, al3 man bor dem unendlichen Getöfe
nicht einmal mehr die Klänge des Räfsczumar-
ſches unteriheiden konnte, da trat Pußtafi bor
den Souffleurfaften und erhob die Hand...
„Stille !‘
Pußtafi will ſprechen .....
Im Momente herrſchte Stille.
— Bürger! — ſprach Pußtafi mit, in
Folge der Tagesmühen ——— Stimme —
der heutige Tag iſt beendet . . Kehren wir
ruhig J Hauſe .....
— 1422 —
Und Alles ging ruhig nad) Haufe, wie es
der Held des Tages gewünſcht.
Es folgte ein fo ftille, ruhige Naht, daß
man nit einmal einen verjpäteten Auf verneh=
men fonnte.
Aber Zudith konnte auch diefe ruhige Nacht
nicht in den Schlaf wiegen.
Als fie nad Haufe fam, und auf ihrem
Lager die Augen ſchloß, da bemerkte fie erft,
dab dieſe Finſterniß bevöffert ift, daß die Stille
vom Echo miderhalle. Alles jaufte ihr in den
Ohren, Alles ſtand vor ihren Augen, — das Bild
des heutigen Tages: die Töne, ihr Zittern un
ihre Freude. ....
Vor ihrem Geiſte wogten noch immer die
Volksmaſſen, fie hörte noch immer ihr Geſchrei,
fie empfand nod) immer die bverzweifelnde Sucht,
den feligen Stolz über die Auszeihnung ihres
Geliebten; da ftand vor ihr die Bühne, ihr
erſter Verfuch, der glänzende Erfolg, die Taujende
von Gaslichtern und die taufendfa—hen Empfindungen
des Momentes.... Alles dies lebte, athmete und
tobte vor ihrer Scele. Das war eine Lebens=
geſchichte für fie, deren Kataftrophen ein Jahr—
hundert ausfüllen könnten, und die in einer
einzigen Tag zufammengedrängt find.
ft es ein Wunder, wenn ein folder Tag,
feine Nacht hatte ?
Ueues Leben.
Einige Monate hielt fih jene Mode, wo
Sedermann Schöne, prädtige Federn am Hute
trug; der Eine eine weiße, der Andere eine
ſchwarze, Viele wieder rojenfarben, von denen fie
freilich glaubten, daß fie eigentlich roth ſeien. Es
war eine fürmlihe Wette darum: wer fchönere,
wallendere Federn babe. Was die National-
fofarden betraf, da entfaltete fi Schon ein fürm=
liher Luxus; dieſe wurden aus Sammet ber:
fertigt, mit dem filbernen Wappen Ungarns in
der Mitte. Man begann aud, fie fternartig zu
bilden, damit fie von Weiten fi wie der Drden
eines mediatifirten Fürften ausnähmen. Und alg
jogar die Union Stebenbürgens mit Ungarn aus=
geſprochen wurde, da fügte man zu den roth—
weiß-grünen Farben noch die blaue und goldgelbe,
was dann buntihimmernd genug ausfah.
Gegen das Ende des Sommers fhien es
aber, daß Die Feder doch nicht denjenigen Dienſt
leifte, den man bon ihr erwartete ; weder diejenige,
melde den Hut ſchmückte, nod jene, mit weldyer
die zorniprühenden Leitartifel geſchrieben wurden,
— 144 —
am wenigſten aber die, auf deren Pflaum fid To
füß träumen hieß. Die Mode begann zu wechſeln,
man fing an, Heine beihnürte Kappen zu tragen.
Bor Judith's Fenftern zieht gerade Die
Werbung mit Mufit vorüber, welder ein Haufe
junger Refruten folgt; Viele unter ihnen gehören
zu Freunden, zu den Kollegen Lavan's: Advokaten,
Aerzte, gelehrte junge Männer.
Das Eintreten des Briefträgerd rief fie
vom Fenſter. Er überreihte zwei Briefe, einen
an fie, einen an die Tante adreifirt. Judith er-
Tannte an beiden die Schriit Fertoöy's. Den Brief
iheer Tante trug fie in deren Zimmer, mit dem
ihrigen kehrte fie zurück.
Als fie den Brief öffnete, fühlte fie einen
unerklärlihen Abſcheu gegen diefe Buchſtaben, wels
he jo Ihn, jo Falligraphiich fein wollten, als
wären fie das Konterfei ihres Schreibers mit dem
geſchminkten, glattrafirten Geſicht; ein trügeri=
ſches Aeußere des bölen Inhalts.
Der Abſcheu war nicht unbegründet, Der
Brief lautete: „Liebe Nihte! Sie jheinen ver—
geilen zu haben, daß Unterzeichneter Ihr Onkel,
und nad) dem Tode Ihrer Eltern, als nächſtſte—
hender Verwandter, auch Ihr gefekmäßiger Vor—
mund ift, Sie haben, die bewegten Zeiten bes
nügend, ohne um die vormundſchaftliche Bewilli—
gung einzufommen, ohne diejelbe abzuwarten, eine
Laufbahn gewählt, die Sie zu emanzipiren ſcheint.
Due
— 15 —
Emanzipiren nämlid) von der Meinung der Welt,
bon den üblihen Forderungen, und ſonſtigen als
terthümlihen Anſchauungen, denen unter geregel-
ten Umftänden lebende Damen unterworfen zu
jein pflegen, welde aber die Göttinnen der Thea-
terwelt am Wenigften geniren. Bei Schauſpiele—
rinnen pflegt man nicht zu fragen, ob fie Maͤd—
hen oder Frauen jeien. Das ift dort bereits
ein überwundener Standpunkt, und. wird nicht
ftrenge genommen. Es gibt aber unangenehme
Leute, die das Geſetz als Vormunde bezeichnet,
und zu gleiden unangenehmen ragen bered=
tigt... Sie werden fi vielleiht noch erinnern,
daß in dieſe Woche der Jahrestag fällt, an welchem
Ihre unglüdlihen Eltern an einem und demfelben
Tage eines to traurigen Todes geftorben find.
Ihr jeliger Vater hat in das Komitatsardiv ein
Teftament Hinterlegt, auf deſſen Couvert geſchrie—
ben fteht: „Nach einem Jahre zu öffnen.“ Der
Inhalt diefes ZTeftamentes wird Ihnen wohl be-
fannt jein, da meine jelige Schwefter denjelben
Ihnen mittheilte. Aus ahnungsvoller Beſorgniß,
deren prophetiſche Worte die Zeiten bereits be—
wahrheitet, haben Ihnen Ihre Eltern verboten,
mit einem Manne in Verbindung zu treten, über
defſſen Haupte die Hand des Fatums ſchwebt; und
haben Sie für den Fall, als Sie deſſen Gattin
werden ſollten, enterbt. Sie haben aber eine ſehr
geſchickte und ſpitzfindige Art zur Eludirung die—
Andere Zeiten andere Menſchen 10
— 146 —
ſes Teftamentes gefunden. Sie dachten: ich wähle
weder das Eine, nod) das Andere, jondern werde
Schauipielerin und behalte Beide, die Erbidaft
nnd meinen Geliebten. Dies fällt dort bei Ih—
nen gar nicht auf, man kann jogar vor der Welt,
auf dem Theaterzettel den Namen eines Jeman—
den führen, ohne daß das Gejet oder der Altar
etwas davon wüßte. Es wäre Dies ein ganz
hübſches Manöver, wenn nit aud andere Leute
Berftand hätten. Bei Ihnen iſt Laͤvay ein täg-
liher Saft; er beiuht Sie auf der Bühne, Sie
dugen einander, jpazieren Arın in Arm u. ſ. w.
Bor der Welt gibt es fein Geheimnig.... Nun
aber rufe ih Sie im volliten amtlihen Ernfte
auf, binnen bier Tagen mir darüber Beiheid zu
geben: „ob Sie die Gattin Lavay's jind oder
niht?... Und wenn Ste e3 nit find, find
Sie gewillt, ihn von fih zu entfernen oder
nicht?“ ... Wenn Ste Bela Lavay weder hei:
vathen, noch fih bon ihm trennen wollen, dann
erkläre ih Ihnen mit fefter Entſchloſſenheit, daß
ih meiner Pflicht nahlommen werde, um einem
Sfandale, welher mid) verwandtſchaftlich nahe
berührt, ein Ende zu bereiten!“
Die Seele Judith’3 war niedergedrüdt von
diefen Zeilen.
— Welch' eine niedrige Berleumdang
welch' eine graufame Kabale! ...
Das iſt alſo der Nimbus des Theaters ?!.
— 141 —
Eine jede Rnospe darf ihren Bufen dem Son-
nenftrahle entfalten; ein jedes Mädchen darf im
Geheimen jeufzen, einem jeden Herzen ift es er—
laubt zu ſchwärmen, nur einer Schaufpielerin
nicht, denn fie wird dadurch ehrlos. Wenn eine
Dienftmagd fih unterm Thore mit einem jun:
gen Manne unterhält, jagt man: fie ift feine
Braut; wenn es eine Schaufpielerin thäte,
würde man jagen, fie ift feine... . „Geliebte“.
Was nun beginnen, wohin fich flüchten ?
Soll jie den Brief Bela zeigen?...
Nie!! ..
Es würde ihn zur Rache reizen, ihn einer
Gefahr auslegen... . und was das Wichtigſte,
ihn davon belehren, was die Welt Sprit, und
ihn dazu bemüfligen, e8 gut zu maden. .. Ad;
das ift unmöglih. Diefer Gedanke paßt nit in
den Rahmen diefer ftolzen, Haren Seele. Und
demnad darf fie die Drohung Fertöy's nicht in
Erfüllung gehen laſſen! .. Ach, wie theuer wäre
bier ein guter Rath! ...
Da trat die Tante in das Zimmer. Man
jah es ihrer Miene an, dab fie etwas Unange—
nehmes zu berichten habe, aber fie weiß die Sache
nicht wo anzupaden.
— Liebe Judith ... begann fie endlich,
das Wort erhaſchend; — ih habe heute eine
prächtige, ganz für Dih paffende Wohnung ge=
funden, | Ä
10*
— 1383 —
— ©?.. Sie haben mir eine Woh—
nung geudt?...
— Nun, Du weißt ja, diefe ift Dir zu
eng, und im zweiten Stode; jie ift für Di zu
einfah, . . bift eine jehr hervorragende Künft-
lerin, es gebührt Dir jhon eine elegantere Woh—
nung. . .
Judith Ihlug Die Augen nieder und
ſchwieg.
— Das iſt die Wirkung des zweiten
Briefes, dachte ſie, Fertöy ſchrieb auch der Tante,
um ſie mit ſeinen Drohungen zu erſchrecken. Die
Tante will mich nun entfernen, um nicht in
Skandal hineinbezogen zu werden.
Iſt alſo mein guter Ruf dahin gekommen?
So viel foftet ein freundliches Lächeln, ein Hände-
druck? ... Und alles dies darf Bela nit
wiflen. |
Sol ih ihn aljo verlaflen?.. Sol id
meiner Dienerin den Auftrag geben, daß - wenn
er fümmt, fie ihm antworte: es ei für ihn Nie-
mand zu Haufe?!..
Judith Hatte feine Zeit fich jelbft Antwort
zu geben.
Die Thüre ging auf, und herein trat Bela.
Und als ihn Judith erblidte — lächelte fie
ihm eben jo freundlich zu, drüdte ihm chen fo
zärtlih die Hand, al3 damals, wo fie noch nicht
mußte, welchen Preis fie dafür geben müffe. .
— 149 —
— Haft Du Zeit mit mir zu kommen? —
frug Laͤvay zärtlich.
— Mit Dir zu gehen ?
Und es fiel ihr ein: mit Dir über die
Gaſſe zu gehen, daß man fage, ich fei Deine ..
Geliebte... . doch jehte fie Hinzu:
— 3a; wohin wilft Du mid führen.
— 63 gilt eine Spazierfahrt. . .
— AG zu Wagen! Tante wird mithalten.
Dieje beeilte fi aber zu antworten, daß
fie feine Zeit habe.
— Alſo allein!...
Und Hunderte werden mich ſehen und
ſagen: es iſt wirklich fol... dachte Judith.
— Ich gehe mit Dir!..
Sie nahm ihren Hut und ihren Shawl,
grüßte die Tante, melde den Gruß fehr kalt er: .
wiederte, dann nahm fie Béla's Arm und ging.
Lavay half ihr in den Fiaker, welder
vor dem Thore ftand, umd ſtieg dann eben-
falls ein. |
— Du weißt ja wohin ? — rief er dem Kut—
her zu, und der Wagen brauste von dannen.
Judith Hatte nicht einmal den Schleier über
ihr Geſicht herabgelaffen.
Bela griff nah ihrer Hand; fie zog die-
jelbe nicht zurüd. . |
Im Innern dachte fie aber:
— 150 —
„Wenn dein Herz wirklich die entiprehende
Hälfte des meinigen tft; wenn deine Seele und
meine wahrhaftig eins find, dann muß dein Herz
durch meine und deine. Hand erfahren, was ich
jeßt denfe; und wenn du jenen Gedanken Fühlft,
der mir jetzt fo wehe thut, dann ift es unmöglich,
daß nicht deinem Auge eine Thräne entrinne,
Und als fie bei diefem Gedanfen krampf—
haft die Hand ihres Geliebten drüdte und unver—
jehens einen Blick auf fein Antlig warf, ſah fie
ın feinen Augen zwei belle Thränen erglängen.
Aber es waren dies feine Thränen des
Schmerzes, denn er lächelte dabei.
— Judith, meine Liebe! ... weißt Du
wohin wir gehen ? — frug er mit bewegter Stimme.
— Wohin?
— In die Kirche ..... zur Trauung.
In demſelben Moment hielt der Wagen
vor der Kirche.
Iſt es alſo doch eine Wahrheit, daß eine
Seele der andern antwortet? .....
Bor der Kirhenthüre wartete Pußtafi
und der fleine, hinkende Aifiltent, weldher Ju—
dith an jenem denkwürdigen Tage feinen Regen—
Ihirm geliehen. Diele beiden follten die Deittände
der Zeremonie Sein.
Dieje lektere war ftil und kurz. Außer
dem Beamten war Niemand in der Kirche zu
dieſer ————— n Stunde, als der Seelſorger,
—- 11 —
der Kirchendiener, und ein altes Bettelmeib, welches
an den Stufen der Kirche wohnte... . .
EEE Und Gott... ..
Mer mühte es glauben, wie viel Poeſie
eben in der Proja des Lebens liegt !
Wenn der junge Gatte feine junge Gattin
bon der Hochzeit in jeine beicheidene Wohnung
führt und den zärtlihen Arm um ihren Naden
ihlingend, fie in den Räumlichkeiten herumführt:
„Hier ift die Küche, hier die Speisfammer; in
dieſem Kaſten fteht das Service, dort das Ge—
ihirr ; bier dein Schemelden vor dem Armſtuhl
dein- Teppich vor dem Bette; bei diefem Schreib:
ti arbeite ih, deinem Porträt vis-A-vis; —
das find die Blumen, welche Du liebft — hier die
Bücher, welche Du gerne liest; die Fenfter gehen
auf den Garten... . Wir find zu Haufe.“
Smmer „wir“ und nie „ich“, nie „du“.
Das glüdlihe Doppelleben, der „kü=
niglihe Plural“ beginnt, dev Eigenname hat
aufgehört zu ſein.
Und in diefem Labyrinthe der projaiichen
Kleinigkeiten findet die Seele doch ihre unerſchöpf—
liche Poeſie; das plumpfte Geſchirr Scheint zu
lispeln: wie muß dich jener Mann gelicht ha—
ben, der auch an fo etwas dachte, der während
den Stürmen, melde ein Land zu vernichten
drohen, jenen Privilegien des Mannes entiagte,
welche ihn über die häuslihe Profa des Fami—
— 12 —
lienlebens ftelfen ; der entgegengejekt jede Klei=
nigleit herbeifhaffte, um dann, wenn er feine
Braut heimgebradt, jagen zu fünnen: „Du bift
zu Haufe!“ | \
Judith trug ein Heines Medaillon an ih=
rem Buſen. Die eine Seite barg das Porträt
eines Mannes, die andere das einer Frau.
Der Mann wor Bela, die Frau ihre
Mutter.
| AS fie don Bela nicht gejehen werden
Ionnte, 309 fie das Medaillon aus dem Bujen
und fühte zuerft das Portaͤt ihres Gatten, dann
jenes ihrer Mutter, indem fie bei Letzterer ſprach:
„Siehe, Mutter, ich bin glücklich!“
Bela Hatte auch einen Hochzeitsſchmaus
arrangirt. Der Gäfte waren nicht viele da: Pu—
ftafi, der Heine, hinfende Arzt — Melchior Glanz
— ein braver, ungariiher Zunge aus der Zips,
dann die Tante Gyoͤngyi.
Letztere behauptete, Alles im voraus ſchon
gewußt zu haben; die wunderlichen Einkäufe Be-
la's hätten fie ja dazu bewogen, die Aeußerung
bezüglid) der neuen Wohnung zu thun. ....
Judith fühlte die Unwahrheit heraus; aber das
Ganze war fo gejhict vorgetragen, und die Tante
war jonft eine jo gute Geele, daß man ihr uns
willfürlid eine goldene Brüde überlaffen mußte,
über welde der geichlagene Gegner fih zurück—
— 13 —
äuziehen pflegt. — — — Selbſt die Heine Lerche
bängt mit ihrem Käfig im Fenſter und fingt
dasſelbe Volkslid, weldes die Lerhe Judith's
fang. Wie viel hatte Bela zu thun gehabt, bis
er ihr's einlernte, dap es einen jo ernften Mann
nicht verdriegt, ih mit ſolchen Dingen zu be—
Derjelbe Bogeljang weckt Judith aus ihren
Träumen, welder fie zu Haufe zu weden pflegte;
und der Morgenftrahl der Sonne ftiehlt ſich
mit eben denjelben Schattirungen in ihr Ge-
mad), wie er ſich durch die Alazien ihrer früheren
Wohnung ſtahl. . . . Alles war jo, nur die
Träume waren glüdlider. .... .
Als Judith aus dem erften Schlafe ihres
neuen Lebens erwachte, drüdte fie das Medaillon
mit den zwei Porträts an ihre Lippen und ftipelte :
„Siehe, Mutter, wie glüdlih ich bin.“
Doch die Zeit muß vorgerüdt fein, denn
Bela iſt ſchon Fort, er muß zeitlich BEE
den ſein. ...
Vielleicht dachte er mich noch als Schlafende
zu überraihen, und mit einem Kuße zu meden ;
wie wird er erjtaunt fein, wenn ich ihm ſchon an—
gekleidet entgegeneile.. _
Judith Eleidete ſich ſchnell an, und trat in das
Zimmer ihres Gatten. Dort war Niemand mehr;
die Kerze brannte jedoh no immer auf dem
Tiſche....
— 114 —
Sudith beeilte ſich die Kerze auszulöihen,
doch trat fie betroffen zurüd, als fie einen Brief
dort erblidte, mit der Aufſchrift:
„An meine Judith!“
Dies war jhwer zu erklären. Mit zitternden
Händen erbrad) fie den Brief, und las:
„Geliebte meines Herzens! Du ahnteft
es faum, daß, als Du mid zum legten Male
küßteſt, Dies Dein Abſchiedskuß geweſen ſei.
Ich habe Dir gelobt, daß ich Dich nie ver—
laſſe, und ſiehe, kaum iſt noch ein Tag ver—
flofſen, und ich habe ſchon meinen Schwur
gebrochen. Der Trompetenſchall, welcher Dich
aus Deinem Traume wecken wird, gilt mir,
ich ziehe mit meinen Kameraden in's Lager.
Ich finde keine Entſchuldigung, Du wirſt
eine für mich ſuchen. Ich wollte den Tag
unſerer Trauung und den Ablauf des Trauer—
jahres erwarten; die blutdürſtige Zeit wartet
aber nicht .. . Geftern war der letzte Tag
daher die faft überftürzte Eile...... Heute
marſchire ih ab..... Der Name, den ih Dir
gab, darf feine Makel befommen; id) gehe.
Du wirft auf mid warten und mid lieben...
Gott mit Dir und meine ewige Liebe. Dein
Bela.“
Judith taumelte mit dem Briefe in der
Hand in ihr Zimmer zurüd, warf fih auf ihr
— 15 —
Witwenlager, und weinte, weinte lange, wie nur
ein Weib weinen kann.
Ueber ihrem Bette hing das Porträt ihres
Gatten in einem Heinen runden Rahmen ; fie nahm
e3 von der Wand und küßte es taujendmal: ob
niht mehr Thränen als Küffe auf das Bild
fielen ?... Wer wei es, wer fonnte das zählen ? r
Dann ſaß fie lange mit gefalteten Händen
und das Bild betrachtend ... fie trocknete zu=
weilen die langjam berabperlenden Thränen, und
als das Bild ihr jo traulich zulächelte, wie Einer,
der den auf ſich gerichteten Blick nicht ſcheuet,
da wiegte fie langjam ihren ſchönen Kopf und
lüpelte:
— „Reht haft Du gethan: jo mußteft Du
handeln.“ |
Dann löste fie eine Epheuranke von ihrer
Blumenetagere, wand diejelbe zu einem Sranze,
umrahmte damit das Bild und hing es wieder
to an die Wand.
Ein Weib, deffen Hatte beim Grauen des
Morgens nah der Hochzeitsnacht auf dem Trom-
petenruf ins Feld des Todes zog !
Dann ftärkte fie ihr Herz, ging in das Ar—
beitäzimmer ihres Gatten, ſetzte fih an den
Schhreibtiih, auf welchem die Kerzen noch immer
brannten, nahm die Keder, welhe Bela dort lie-
gen gelaffen, und jchrieb zwei Briefe.
Den einen an Bela, welcher nicht viel ent=
— 156 —
hielt, vielleiht nur die Worte: „ic liebe Dich,
ih bete Dih an, meine Seele folgt Dir über-
al Bin.‘
Der andere war an Fertöy gerichtet.
„Mein Herr!
Ich beantworte Ihren Brief mit der An-
zeige, daß ih die Gattin Bela Lavay's bin.
Ueber mein Vermögen lünnen Sie nad) Belieben
verfügen, aber meinen guten Ruf dürfen Sie
nicht antaften. Dies verbiete ih mir. Dies find
meine letzten Worte an Sie in diefem Leben.
Sch erwarte feine Antwort, werde aud Feine
annehnten. Judith Laͤvay.
So. |
Dann ſteckte fie beide Briefe in Couvbert's
und verjiegelte fie... Wohin fie den Brief an
Bela richten jolle, wußte fie noch nicht.
Dann erhob fie jih, athmele auf, und
blidte mit ihren großen dunklen Augen in die
Höhe, als wollte fie hiemit jagen, daß bon nun
an das ſchwere Los zweier Menſchen ihren Schul-
tern aufgebürdet ift; und dennoch ſagte fie in
ihrer Seele: Mutter id bin glücklich! ...
Die Kerze blieb auch jet brennend auf dem
Tide...
Hatte auh fie es To vergeffen? oder
daß fie gedacht Hatte: was Du angezündet, kann
ich nicht Löfchen.
— — dh 5 — — — — —
— 157 —
Glaubt Ihr etwa, dag ſolche Dinge auf
der Welt nicht vorlommen ? daß es nit ge—
Ihehen konnte, daß junge Gatten am Tage ihrer
Trauung diefelbe Gattin verließen, und dem Ka—
nonendonner nahgingen?..
Wer da zweifelt an der Wahrheit des Ge-
fagten, fomme zu mir, und ih werde ihn zu
jenen Gräbern führen, unter denen jolde Helden
ruhen.
Eine Stadt in der Feſtung.
Wenn man in jenen Zeiten in den Donau:
gegenden reifte, konnte man vor den Dörfern
eine Menge Bauersleute jehen, wie fie in Reih
und Glied aufgeftellt, mit hölzernen Gewehren
militäriihe Ererzitien auf Das Kommando an
derer Bauersleute vornahmen, marſchirten, ſchweng⸗
ten, zielten, al3 wären fie wirkliche Soldaten.
„Rechts Ihaut! Links haut! Schultert das
Gewehr! Mari ! Halt!“ jo ſchallte es von allen
Seiten. |
Ging man über die Brüde in die Stadt,
welde auf beiden Seiten von der Feſtung um—
geben ift; fo begegnete man in jeder Gaſſe geord-
neten Haufen mit hellblauen Dolmany's bekleidet, den
Tſchako auf dem Kopfe; die hatten ſchon wirf-
lihe Flinten; freilih altmodiihe, noch mit
Feuerfteinen verjehene ; auch dieſe machten Kriegs—
übungen.
Wieder erſcholl es: Rechts ſchaut!“ Links
ſchaut! Schultert das Gewehr! Marſch! Halt!“
In den geräumigen Schulhöfen machten die
Kinderihaaren militäriihe Uebungen, nad dem
— 159 —
Beijpiele der Alten, mit hölzernen Flinten; die
Anführer Papier-Tſchako's auf dem Kopfe. Jeder,
Vater, Großpater, Sohn und Enkel üben alle
das: „Rechts Ihaut! Links Ihaut! Schultert das
Gewehr! Mari! Halt!“
Das Bild der ftillen, ruhigen Stadt ift
ganz verändert. Die Frauen halten Reden, Die
Männer klirren mit den Waffen, die Wagen:
bejiger üben ihre Pferde auf's Kanonenziehen ein.
Nur Major Kolbay iſt der Alte geblieben.
Derielbe Hußar-Dolmany, dieſelbe fteife
Kravatte, dieſelbe Weltanihauung find ihm noch
jest eigen.
Aud jet durchſchreitet er fo fteif Die
Saflen, ohne Stod, wa3 für einen Soldaten,
bauptjählih für einen Hußaren, eine Schande
wäre; er jhaut weder nad rechts noch nad)
linf3; er beadtet die an ihn vorübereilenden
Nationalgardiften = Banden kaum, als ob fie
für ihn gar nicht eriftirten, nur bie und da
jhüttelt er das Haupt, wenn er an eine Barriere
gelangt, die jegt mit den Nationalfarben ange:
ftrichen ift, vielleicht auch nur darum, weil die Far—
ben noch friſch und auffallend find.
Der alte Herr diſputirt mit Niemandem,
läßt jeden iprehen und thun, was ihm beliebt;
fteflt fih der Fluth nicht entgegen, daß er nicht
mit ihr ſchwimmt, das hält ihm Niemand vor.
Wie er jo ruhig in der Nähe der Häufer hin—
— 10 —
Ihlendert, damit Niemand an ihn ftoße, kommt
ihm eine lärmende Geftalt entgegen. Ein grüner
Dolmany, ringsherum feuerroth verbrämt, bis an
den Ellbogen goldgeihnürt; voll goldener Poſa—
mentirung ; auf dem grünen Cſako eine ungeheure
Adlerfeder.
Man würde unfern Freund Bärfing jo kaum
wieder erkennen. Er hat auch einen Säbel, und
diefer macht ungeheuern Lärm, wenn er durd) die
Gaſſe ſchreitet; außerdem ſtecken zwei Piſtolen in
ſeinem Gürtel.
Nicht weit iſt das Haus der Frau Laͤvay;
die alte Dame ift zum Thore herausgefommen,
um nad dem flirrenden Ritter zu hauen; denn
es ift mwirflih der Mühe werth, ihn anzujehen.
Sie fieht, wie er mit dem ihm entgegen=
fommenden Beteranen zufammentrifft, und hört,
wie nad furzer Zeit zwiihen den Beiden ein
großer Lärm entfteht,; anfangs als ob fie blos
raifonnirten, jpäter fängt das Geipräd an grüber
zu werden; endlich ftößt Kolbay voller Aerger
Barfing von fi, und geht herwärts, während
jener binwärt3 geht, ſich umlehrend und dem
Alten mit der Fauft drohend.
Der Veteran geht brummend bis an's Ende
der Gaffe. Er jprad in fi hinein — doch je,
als richtete er feine Worte an Jemanden.
— Schaut den nichtsnutzigen Nafeweilen
an! er wagt e3, Jo mit mir umzugehen.
— 161 —
— Was ift Ihnen geihehen, tapferer Herr
Major ? — fragt die alte Dame den an ihr Vorü—
bereilenden. |
— Was? Ah! Sie ſind's, meine Liebe?
Guten Morgen! So ein Taugenihts! Haben Sie
das gehört ?
— Ich hörte, daß Sie einen großen Lärm
madten. Was hatten Sie mit dem Grünjpedht ?
— Hahaha! Sie haben recht. Wahrhaftig
ein Grünſpecht.
.. . Stellen Sie ſich vor,” mein Kind, ich gehe
Ihön ruhig an der Mauer, da tritt mir dieſer
Säbelihepperer plöhlih entgegen, gibt mir einen
vertraulichen Schlag auf die Schulter und ruft:
Servus, Alter! . . .
... Servus, Alter ?! .. Ich?. Mir das ?! ..
fragte ich ihm; Amice, Sie ſcheinen zu glauben
dag mir miteinander Schweine gehütet haben! ..
- Worauf er mir antwortete, daß ſich Soldaten zu
dugen pflegen... . a, die wirklihen Soldaten,
aber was find Sie?...-Er meinte, er jet
Unterverpflegskommiſſär. . ... So, alſo Kommis—
brod-Kommiſſär? Gott befohlen, gehen Sie ihrer
Arbeit nad. Schauen Sie, das Ihre Leute nicht
verhungern und Sie fett werden... Da padte
er mi beim Arme, und ſagte: es ſei die Pflicht
eines jeden Patrioten Dienft zu leiften,. aud) die
meine ; ih jolle daher nur den Schießprügel neh—
men, und über Naht auf die Wade, auf Pa—
Andere Zeiten, anbere Menſchen. 11
trouille gehen, wie es andere Leute thun; morgen
aber hinaus, auf dem Monoftorer Berg, um Schan-
zen zu graben..... Ich auf Wache gehn, mit
einem Schießprügel mich in Die Reihen des Fuß—
volfes jtellen und auf Trommelichlag maridiren . .
ib der jubilirte Hußaͤren-Major, der den fran=
zöfiichen Feldzug zu Roß beendet?! Sch der ur=
alte Edelmann, auf Robot gehen, Schanzen gra=
ben ?! ..... Aber ich ſagte ihm von dem Nichts,
nur jo viel, daß er einer Katz' befehle! . . Da
fette er fih auf das hohe Roß und rief zornig,-
iegt habe er bier zu befehlen, er werde mir ſchon
zeigen, wie man mit foldyen verknöcherten Re—
aftionären umgehen müfle, wie id) einer jet... Er
drohte mir mit Ketten, Gefängniß und Aufhän—
gen!... Mid aufhängen! Mich, den Edelmann,
aufhängen wie einen räudigen Hund . . . Don:
ner noch einmal, das war zu viel, und ich ſtieß
ihn mit der Fauſt von mir, daß er taumelte .
Er droht mir mit Ketten, Gefängnig!.. Er!!!
— Hätte id) dieſe Stadt nicht jo lieb, möchte id}
heute gehen, um nimmer wiederzufehren. Aber ich
fann mid nicht trennen von hier. Ich bin dieſes
ſchlechte Prlafter, diefe bölen Zungen, und Die
Pappeln dort drüben auf der Inſel jo gewöhnt ;
obwohl ich höre, das man letztere umbauen wird,
um Pallifaden aus ihnen zu machen.
— Wenn ſie's brauchen, jollen ſie's neh—
men in Gottes Namen, — ſprach die gute alte Frau
— 13 —
mitruh iger Refignation. — Auch aus meinem Gar-
ten haben fie alle Haſelnußſtreiche ausgehadt, fie
jagten, man wird fie zum Schießpulver verwen—
den. Der Menih gibt zu folden Zeiten fein
Alles hin.
— Das ehe id. . 'S ift eine wunderlidhe
Zeit. Ein Feder gibt Alles hin. Sein Heines
eripartes Silber, ſelbſt fein einziges Kind. Auch
Sie haben Ihren einzigen Sohn hergegeben? ..
— Und zwar nad dem Tage feiner Hoch—
zeit. Gott hat es jo gefügt.
— Hm, — ſprach der Alte — wenn er
Ihon mit Gewalt Soldat geworden, dagegen habe
ih nichts, hab's auch jo gemacht; er hätte aber
wenigſtens mit mir reden jollen. Ich hätte ihm
eine Refommandation zu meinem alten Regi—
mente gegeben. Habe viele gute Bekannte noch
dort. Er wäre Kadet ‘geworden... Aber fo,
nur al3 Gemeiner eintreten, das ift entſetzlich!.
Dort wäre er in ein paar Jahren Lieutenant ges
worden, hätte fi hieher transferiren laffen oder
mit Charakter quittirt, wenn jeiner Gattin dag
Bigeunern don Garnifon zu Garniſon zumider
geworden war... Aber ein Gemeiner ex propriis,
das ift zu arg...
— Wenn es Gott jo angeordnet hat!
— Schon gut, Schon gut, mein Kind! .
Gott jegne Sie...
... Welchen Spott man mir zufügtel...
11%
— 164 —
Wünihe guten Appetit!.. Er will mir Eijen
anlegen laflen, Er! mir!...
Und der mürriſche alte Herr brummte im
Nahhaufegehen in Einem fort: Mir will Er
Eiſen anlegen laffen!..
Frau Lavay kehrte von der Gafle in ihren
Hof zurück; in der Küche entjtand großer Lärm,
die zwei Dienſtmädchen hatten fih über ein na=
tionales Gericht, weldhes eine derſelben veripottete,
zerfriegt und blutig geſchlagen; kaum waren fie
zu bejänitigen.
— Barmherziger Gott — murmelte die
ehrbare aite Frau, nachdem ſich der Kampf ge=
legt, — was wird aus diefer Welt werden. Geftern
hat fih das Maftvieh mit den Kälbern zerkriegt,
ein Kanarienvogel den andern im Käfig umge—
bracht, und heute fangen auch ſchon die Mägpde
an zu Ichlagen. Ueberall Krieg, Alles will
raufen. Selbit mein Sohn z0g in's Feld....
Auch er iſt Soldat geworden, mein Sohn
Bela!... Unddod hab’ ich ihn nicht hiezu erzogen.
Dann ſeufzte fie tief, ſetzte fih an ihr
Tühhen, Ihlug die „Stunden der Andacht“ auf
und begann zu lejen; gemwahrte aber bald, daß
die Buchftaben vor ihr zuſammenfließen; zulam=
menfliegen in den Thränen ihrer Augen.
„mächtiger Gott, was bringt Dein Zorn
noch Alles über unsere Häupter !“
— — — — — — — — — — —
— 165 —
Herr Bärfing aber fhepperte ftolzivend der
Feſtung zu.
Zwifhen der Stadt und den Schanz—
werfen der alten Feftung ift eine Kleine Prome—
nade angebracht, welde den ftolzen Namen „eng:
liſcher Park“ führt. In der Mitte dieſes Partes
ift ein Eleiner, mit Bänfen und Geländern ver=
fehener Hügel, auf welchem in glücklicheren Zeiten
die Mufilbande zu fpielen pflegte. Damals war
e3 Mode, bier zu Spazieren. Beim Tage pflogen
Ammen und Dienftmägde idylliihen Umgang mit
zarteren Soldatenſeelen. . . . .
Heute war diefer Park ungewöhnlich zahl-
rei bejucht, auf der Mufiktribüne unterhielt man
eine fehr lebhafte Konverfation, als eben Bärfing.
hinzukam.
Er wußte es recht gut, von was die Rede
war; eben deshalb eilte er hieher.
Eine Anzahl von Nationalgarde-Dffizieren,
deren Bataillone in der Feſtung lagen, hielt
über einen jehr wichtigen Gegenftand Kriegsrath.
Die Anweienden waren ſämmtlich tüchtige
Männer, begeilterte Patrioten, und ganz gewiß
auch tapfere Soldaten.
Auch Hatten fie fih garz gewiß mit dem.
Entihluffe in der Feftung feftgeieht, diejelbe, wenn
e3 nöthig, aud mit ihrem Blute zu vertheidigen,
Es gibt aber veridhiedene Gattungen des
Blutvergießens, welche Einem nit immer lieb find,
— 166 —
Auch werden ſolche Feftungen nicht mit fol=
hem Komfort gebaut, daß Derjenige, welcher jeine
häusliche Bequemlichkeit verlaffen hatte, diefelbe hier
allfogleid) wiederfinden könnte.
Gleich in der erften Naht, wenn man noch
faum eingeihlafen, kommen fie ſchon, um von
feinem Blute Etwas zu verlangen. Nicht viel:
einen Xropfen, dann den zweiten, den dritten
u. ſ. w.
Man träumt von der Schlacht, erwacht,
greift nad dem Gewehr, — findet Niemanden.
Man legt fi) wieder auf'3 Lager. Da kommen
fie wieder Blut zu verlangen — ein, zwei Tropfen.
Man träumt von der Folterbant, wo man ges
braten, geftodhen wird; man zudt, fhlägt mit
Hand und Fuß um fi, fait ſchließlich vom
Feldbett auf die Erde; derganze Körper ift voller
Blaſen. Ein Liht wird angezündet.... der böfe
Feind ift nirgends....
Sobald man fi aber niedergelegt, iſt er,
wieder da! ....
Und wer iſt dieſer böfe Feind? ... Oh
er ift der Fluch großer Städte, Feſtungen und
Kafernen, die amerilaniſche Geißel, welche Mofes
noch nicht gelannt, ſonſt würde er über ihn, als
über die achte Plage Egyptens geſprochen haben ;
diefer Feind ift die — Wanze.
Die Patrioten haben erft bemerkt, was fie
in der Zeitung befommen haben, als fie d'rinn
— 167 —
waren. Unzählbare Milliarden dieſes abſcheulichen
Ungeziefers.
Die Einwohner Heiner Städte kennen diele
Beſtien nicht, daher der furchtbare Abſcheu vor
ihnen, welchen wir ſelbſt theilen.
Die Verſammlung berieth daher über nichts
Anderes, als daß die Stellung, reipeltive die
Lage in diefen Feftungspavillons unhaltbar fei.
Ein Rieſe, mit filbernem Majorsktragen und
donnernder Stentorjtimme, dellamirte vor dem
Dirigentenpulte des Orcheſters:
— Meine Herren! Wir ſcheuen die Waffen
des Feindes nicht; wir ftürmen dem heftigſten
Kartätihenfeuer entgegen, aber beißen, ſtechen
Infien wir uns nit. Man möge uns mit Hundert=
tguiend Bajonneten angreifen, aber nidt mit
ebenjopiel Stehnadeln! Wir haben uns frei=
willig gejtellt, um für's Vaterland zu kämpfen,
aber niht um uns für's Vatertand zu fragen.
Unſern Tod kann die Nation verlangen, aber un:
fern Schlaf nit. Seitdem ich hier bin, habe ich
nu am Sonntag während der Predigt ge=
Ihlafen. ... So muß man rein untergehen!
Bas nützt uns alle Kriegswillenihaft, was die
heidenmüthigfte Aufopferung, wenn einem efel-
haften, geheimen Feinde die Helden zum Opfer
fallen. — Leonidas fämpfte gegen eine Million
Perier, und errang ſich eine Berühmtheit; aber
er laͤnpfte nicht gegen eine Million von Unge—
— 18 —
ziefer, wie wir; Nikolaus Zrinyi konnte Sziget-
var gut gegen zweimalhundert Tauſend Türken
vertheidigen, da er nit ebenloviel Wanzen in
feiner Felte hatte. Meine Herren, es ift am Ende
glei, ob wir in der Feſtung oder in der Stadt
wohnen. Wir können deshalb unseren Pflichten
getreu nachkommen. Hier und dort braudt man
uns, und wenn die Stunde jchlägt, werden wir
alle auf unſeren Plätzen ftehen !
Der Redner wurde mit „Eljen's“ begrüßt,
Baͤrſing ſchrie am meiften.
&3 wurde nur nody darüber debattirt, wem
der Beſchluß: daß es von den Offizieren unnütz
it, Die Aufopferung To weit zu treiben, mit der
Mannihaft in der Feftung zufammen zu wohnen,
anzumelden jei: ob dem Feſtungskommandanten,
oder dem Kriegsminifter ?
Es wurde beſchloſſen, daß die Meldung an
den Kriegsminifter zu jenden jet.
Bis dahin, nnd in Anhoffnung nadträg=
licher Genehmigung, werden ſich die Offiziere in
der Stadt einquartieren. Bärfing trug jelbft für
vier Dffiziere feine Wohnung an, was mit all-
gemeiner Anerkennung aufgenommen wurde.
Von hier ſchlenderte Herr Bärfing in die
Feftung.
Beim FPeftungsthore ſtand ein National-
gardiſt in blauer Uniform auf der Wade, das
Dreizchnpfündige Feuerſchloßgewehr drüdte ihm
— 169 —
die Schulter ſchief; Hatte ſich trogdem jo in die
bunte Uniform des Herrn Bärfing vergafft, daß
er das Präſentiren vergaß, weshalb er aud) von
dem ftolzen Offizier tüchtig niedergedonnert wurde,
Im erften Hofe konnte man eine Abthei-
lung Männer in veridiedener Kleidung jehen, die
in Reihe und Glied aufgeftelt, von einem Manne
in blauer Jade einererzirt wurden.
Dieje Abtheilung beftand aus verichiedenften
Zeuten. Bauern in Gattien, Bürger in Tuch—
Heidern, Kommis, mehlbeftaubte Müller, Studen—
ten, Schuftergejellen, reihten fi) in bunter Ab—
wehslung aneinander.
Der Mann, welder fommandirte, ſchien den
Finfzigen Thon nahe zu ſtehen; feine hagere,
jedoch robufte Geftalt ließ vermuthen, daß er
feinen Unterhalt durch Arbeit verdiene; jetzt
berrihte auf feinem Gefihte ein feinem Stande
angemeffener Ernſt. Er ftand ja vor feiner Ab-
theilung. |
Obwohl es aber die erjte Regel der
Kriegskunft ift „dreinzuhauen“, fo ſcheint es doch
nothwendig zu jein, dag man wiſſe, wie aus:
Ihreiten, wie man fi) rechts oder links wenden,
wie man ſchwenken, wie das Gewehr halten müffe,
um fein Aergerniß bervorzurufen.
In ſolchen Zeiten. erlernt man aud das
ſchnell. Es gab keinen Schmiedegefellen — und
diele find bekanntlich die ſchlechteſften Geher —
— 10 —
der es nicht erlernt haͤtte, wenn es ihm Kapor
Andraͤs ein- zweimal gezeigt hatte. Und doch
war Letzterer ein Soldat geweſen, auch er hatte
feine ganze taktiſche Wifſenſchaft von einem Don—
Miguel-Korporal erſt vorige Woche gelernt; jetzt
iſt er der Meiſter.
In ſeiner Abtheilung gab es einen dum—
men Ackerknecht, welcher den linken Fuß von dem
rechten nicht zu unterſcheiden weiß: dieſem hatte
er dadurch zu Schanden gemacht, daß er ihm
zur Unterſcheidung ſeiner Füße auf den einen
Stroh, auf den andern Heu band, und fo kom—
mandirte: Heu!l.. Stroh! ..
Al Herr Bärfing in den Hof hineinfchep-
perte, war Kapor Andras eifrig mit feinen Re—
kruten beihäftigt, indem er in einemfort rief:
— Eins, zwei! eins, zwei! rechts jchaut !
lints Schaut! rechts ſchwenkt euh!... Halt!
Mari! Eins, zwei! Heu! Stroh! Nicht aus dem
Glied treten! ...
Herr Baͤrſing ſah mit hohem Wohlgefallen
den Evolutionen zu, und wartete bis Kapor
bon irgend einem Sturmlaufen zurückgelehrt
fein wird, da er nicht Luft Hatte, ihm nachzu—
laufen, |
— Bleiben Sie fteh’n, auf ein Wort, Kapor !
— Reldwebel Kapor! Feldwebel zu Dien-
ften! ... ſagte diejer, fi in die Bruft werfend
und militärisch ſalutirend.
- 171 —
— Alſo Sie üben fleifig Ihre Refruten
ein? ..
— Ja, ſo iſt es, fo iſt est... zu
Dienſten.
— Ich wollte Sie um etwas bitten.
— Stehe zu Dienſten, zu Dienſten! ...
— Sie haben noch Ihre Pferde, Herr
Kapor, nicht wahr?
— Zu Dienften, fie führen Steine für die
Fortififation.
— Ich möhte gerne nah Totis reifen,
Könnte mich Ihr Wagen nicht dahin führen ?
— Kann geschehen. Ih bin bereit,
— Bann lonnten Sie mit den Pferden
fommen ?
— Nah zehn Monaten und fünfzehn
Tagen.
— Sind Sie verrüdt?
— Durdaus nit... .
— Wollen Sie mit mir Spaß treiben, oder
was? Haben Sie an die ſchuldige Subordination
bergefien? 5
— Eben an diefe Halte ih mid. Denn,
als ih vor ſechs Wochen als Freiwilliger auf ein.
Jahr in die Feſtung kam, habe ih den Eid ge:
kiftet, diefe Feftung während dieſer Zeit ohne
Befehl nicht zu verlaffen; darum werde ich vor
sehn Monaten und fünfzehn Tagen keines Men:
ſhen Kind nad Totis fahren.
— 12 —
Damit mahte Herr Andreas Kapor ein ra=
ihes „Halb rechts“, fommandirte ein furchtbares
„Habt acht!“ ein noch furdtbarers: „Fällt
das Bajonnet!* und ftürmte mit feinem Zuge da—
bon, dag ihm Bärfing faum mit den Augen fol:
gen konnte.
Die Bejagung der Feſtung beftand zu jener
Zeit aus einer jehr geringen Anzahl regulärer
Truppen; e3 wurde daher ein Bataillon Natio:
nalgarde dahin beordert, welches meist aus Städte:
bewohnern beftand. |
Allein diefes, in die Feſtung eingenejtete
Bataillon vermehrte fih wunderbar auf unme:
rkliche Weile... .
Das ging jo zu: Eine Abtheilung des
Bataillons marihirte täglich mit Eingendem Spiel
entweder an das Donauufer oder auf die Inſel,
um Reldübungen vorzunehmen. Diefe Uebungen
pflegten jtet3 viele Bewunderer zu haben.
Solde Bemwunderer wurden mın von Kapor
und anderen Iuftigen Batrioten während des Heim:
marſches umrungen; da hie es dann: Herr Ge—
vatter, Herr Schwager, fommt Ihr mit uns, da
drinnen gibt's ein luftiges Leben ; der Bataillons-
fommandant konnte es fih dann freilich nicht er—
Hären, wie e3 komme, dab die Reihen bei jeder
Aufftellung länger werden? Die Leute müflen
aus dem Boden wachſen, meinte er.
Und doch war die Sache natürlich, der Eine
— 13 —
lam dem Andern zu liebe; der’ Zweite, Dritte
aus Patriotismus, aber fie kamen .....
Unter den Leuthen war Andreas Kapor ein’
foͤrmliches Drafel, zugleich aber auch, wie wir ſo—
eben geſehen haben, ein ftrenger Soldat.
Als Bärfing den Platz verlieh, führte Ka—
por feine Uebungen weiter aus, indem es fein
unabänderliher Entihluß war, die Rekruten bis
Schlag zwölf Uhr in den Audimenten der Kriegs-
kunſt zu unterrichten.
In einem Momente der Ruhe trat Gevat-
ter Schloffer aus Reihe und Glied, und meldete,
reipeftvoll jalutivend, daß es vom Thurme der
kalviniſchen Kirche joeben zwölf geſchlagen habe.
Kapor war jedoch ein rechtgläubiger Katholif, und
antwortete, daß der kalbiniſche Thurm nichts mit
der Mittagszeit zu thun habe; Dieje werde an—
derswo beitimmt. Da fing die Glode der St. Jo—
hannesfiche zu ſchlagen an. Man zählte die
Schläge, es waren deren dreizehn,
— Ra, das kann nicht richtig ſein! rief Kapor,
und in dem Momente ertönte es auch vom Kirch—
thurme der St. Andreaskirche. .. .. Das ſoll
authentiſch ſein. Man zählte ... Hier ſchlug es
gar vierzehn!...
Die Leute ſahen einander betroffen an.
Das war fein Mittagsgeläute, fein Stunden-
ſchlag . .. das ift Feuerlärm! ...
Eine ploͤtzlich emporwirbelnde Rauchſäule
— 114 —
zeigte, da5 die Gloden die Wahrheit verlündeten.
Sechs Kanonenihüffe wurden auf der Alların-
baftion gelöft, während jowohl in der Zeitung als
aud) in der Stadt die Trommeln zu wirbeln be—
gannen. .... Alles wußte, daß Gefahr im An—
zuge ſei. Auf den Trommelwirbel traten Sol—
daten und Gardiften ſchnell in Reih' und Glied,
und ſchloſſen fi) einander an. Die Dffiziere gin-
gen vor der Front, Befehle austheilend, auf und
ab; aud Kapor fnüpfte fih das Sturmband Feiner
Kappe unter dem inne feit, und fommandirte
jeinen Leuten, iharf zu laden und fi nit aus
dem Gliede zu rühren.
Auf der Baſtei ftand ein Wachtpoſten, wel⸗
cher die Stadt überſehen, und über die Ausdeh—
nung der Feuersbrunſt den im Hofraume Ste—
henden Bericht erſtatten konnte.
— Das Feuer brach in der Megyacser—
gafle aus! — rief.der Poſten.
Dort hatte Kapor fein Haus, fein Weib,
feine Heinen Kinder wohnten darin;.. ob fie
fi) retten werden fünnen!... feine Pferde,
fein Vieh im Stalle, wird es niht zu Grunde
gehen ?
Kapor lehnte ſich auf fein Gewehr und
jeufzte leiſe: j
Der Herr hat es gegeben, der Her
hat es genommen, gepriefen ſei fein heiliger
Name!“..
— 15 —
Die Wade rief abermals :
— Der Wind bläft die Flammen gegen die
Stadt.
Gott erbarme Did unfer!...
Nah einigen Minuten trug der Wind glü-
hende Funken und heiße Aſche auf die Häupter
der Garden... Es war die Aidhe ihrer eigenen
Haͤuſer. Die Leute fingen an, ungeduldig zu
werden : „unfere Däufer, unfere Familien, unſer
ganzes Hab!?“ ..
Kapor bemerkte die Bewegung und ſagte
kalten Blutes:
— Wer ſich übrigens aus dem Gliede rührt,
wird erichoffen !“ |
Niemand rührte fih mehr.
Der Poſten rief von Minute zu Minute
Ihauerlihere Nachrichten herab:
— Zwei Gaffen brennen ihon! Jetzt lodert
8 an drei Drten zugleih auf.. Das Feuer
withet Ihon in der Mitte der Stadt! Auch das
Feldſpital brennt; von dort ſchlagen die Flammen
hinüber auf das Komitatshaus! Das Feuer wen:
det ſich der Feſtung zu; die feurigen Funken
überihütten deren Dächer.
— Auf's Dach! — rief Kapor, und in einigen
Minuten ftand die Mannihaft auf dem Dade
des jogenannten Pavillons, um es zu ſchützen.
Es bot fih von bier aus ein furdtbarer
Anblick; die Stadt ſchien ein Meer mit flam—
— 116 —
menden Wogen zu fein. Der Wind fteigerte fi
zum Orkan, der Wirbel erfaßte die Feur-
garben und trug fie hoch gegen den Himmel
empor.
Aus dem Rauch- und Keuermeere ragten
die Thürme der Kirchen und des Rathhaufes wie
Ihauerlich brennende Fackeln empor; ſechs Thürme
ftürzten gugleih, nur der fiebente jtand noch un—
verehrt und ließ fein trauriges Geläute ertünen,
In einer Stunde brannten drei Biertel-
theile der Ihönen Stadt; das entfeflelte Element
ſchlug auf das jenjeitige Ufer des breiten Flußes
hinüber, verzehrte die Brüden und das gegen-
überliegende Dorf.
Zu dieſem hölliihen Schaufpiel geſellte fich
noch der Verzweiflungsſchrei des Entjeßens, Die
herzzerreißenden Hilferufe, das Weinen und
Schluchzen der Kinder und Weiber, melhes
weder das Wraffeln der Flammen, noch das
Hohnlachen des müthenden Orkans übertäuben
konnte.
Und Diejenigen, die am meiſten zu ver—
lieren hatten, die dieſer furchtbare Anblick am
ſchmerzlichſten berühren mußte, dieſe Männer
ſtanden auf den Dächern der Feſtungspavillone
und ſchützten dieſelben unter dem feurigſten
Sprühregen. Sie hörten es nicht, wie die Ihrigen
da drunten weinten und jammerten.
Kapor ſaß auf dem Dachgiebel des Pabvil—
se II: =
ons, wie auf einem riefigen Roffe, und murmelt
in fich hinein:
Jetzt brennt das Komitatshaus, jetzt das
Stadthaus; nun ergreifen die Flammen das Dad)
der Kirche, beide Thürme brennen ſchon, nun
brennt Die ganze Donaufronte, die Brüden, die
Mühlen, Schiffe und Flöße, welde rauhend und
fnifternd die Donau hinabſchwimmen.
Wir werden zu Bettlern. Jh und Andere,
Alle. Dennoch vergejfen wir unfere Pfliht und
Schuldigkeit nicht . . . Vielleiht wird es einft
Jemanden geben, der ſich unſerer hiefür erinnert.
Und nicht ein Augenlied zuckte ihm, als er
dem furchtbaren Schauſpiel zuſah.
Dieſem Tage ſolgte weder in der Stadt,
noch in der Feſtung eine Nacht. Die ſich immer mehr
ausdehnende Feuersbrunſt erſetzte Die untergegan—
gene Sonne; auf eine Meile in der Runde blieb
es Licht, die Thürme brannten gleich Fackeln noch
immer lichterloh. Keines Sternes matter Schein
konnte durch den flammenrothen Purpur des
Himmels dringen, nur der Halbmond ſchwebte
oben, wie ein harmloſer Kahn auf feurigem
Meere...
In dieſer ſchauerlich erleuchteten Na ht jagte
am jenfeitigen Ufer ein vieripänniger Bauern wa—
gen den Almäfer Gebirgen zu. Diele Fuhrwer!
nannte man in jener eiſenbahnloſen Zeit „Vor—
Ipann. ”
Andere Zeiten, Andere Menſchen. 12
—
Im Wagen ſaß ein Mann in einem grauen
Mantel gehüllt, der ſich mit beiden Händen an den
Wagenleitern feftllammerte, und den Kopf jeden
Augenblid gegen die brennende Stadt umwen-
dete. Der Feuerihein beleuchtet feine Züge, dieſe
tragen ein ſolch' daͤmoniſches Gepräge, daß wir es
faum zu befennen getrauen, Ddiejelben irgendwo
geliehen zu haben. Die in die Schredensizene
Hineinftierenden Augen feinen in Blut zu ſchwim—
men, und das aus der Ferne erglänzende, mit
Schatten abwechſelnde Licht ſcheint die Zudungen
feiner Züge wiederzuipiegeln.
Manchmal ſchien e3, als rüttelte ihn ein
beftiger Fieberfroft, da wickelte er fih enger in
jeinen flatternden Mantel; bald wieder ſchien es,
als fühlte er die Hitze des eine Meile weit bin-
ter ihm leuchtenden Feuers, und da trat ihm der
Schweiß vor's Angefiht, und er begann jeine
Kleider von ſich zu werfen. |
Dörfer, Pußten, Brüden bleiben hinter
dem Reiſenden zurüd; er blidt nie vorwärts,
immer nur rüdwärts, bald auf die brennenden
Thürme, bald zum gerötheten Himmel empor,
oder auf die Rauchwolken, auf den Fluß, in wel-
hem das Bild der brennenden Stadt meilenweit
fi) wiederfpiegelt.
Bon dieſem Schaufpiel fann er fi) nicht
trennen, obwohl es jheint, al3 würde der ber-
zerrte Ausdrud feines Gefichtes fi mildern, je
— 179 —
weiter er fih bon dem entjeglihen Lichte ent-
fernt, und je mehr fih das Dunkel der Naht
über die Gegend ausbreitet.
— Halt! Wer da! — rief es plögli vor
ven Pferden.
Der Reifende fuhr erihroden zuſammen,
jein Gefiht, jest vom Mondſchein beleuchtet, iſt
blaß wie der Tod,
Seht erfennen wir ihn. Es ift Bärfing.
Die Vedette der Almäfer Vorpoften Bielt
feinen Wagen an.
In jener Zeit gab e3 am Ende eines
jeden Dorfes Vorpoften, welche die Reifenden an—
hielten.
Barfing vermochte kaum mit den zitternden
Händen jeine Päffe hervorzuſuchen. Er ftammelte
etwas, daß er ein Kourier jei, er müſſe ſchnell
nah Peſt, man möge ihn pafliren laflen. Beim
eriten Haufe wurde fein Paß viſirt. Man frug
ihn, was in der Stadt geſchehen jei?.. Er
tonnte feine Antwort geben; die Zähne klapperten
ihm... Er deutete mit der Hand nad der
Stadt... Sie ſahen es!..
Man jpannte friiche Pierde vor den Wagen,
und Bärfing fuhr ſchnell davon.
Er fuhr in einem Hohlweg, die Gegend
begann gebirgig zu werden. Die brennende Stadt
berihwand aus dem Geſichtskreiſe; der Reilende
blickte zuweilen zurüd‘, aud) die flammenden Thürnte
12"
— 10 —
waren nicht mehr jichtbar, fie konnten ihm eben nicht
folgen; der Fluß mit feinem Tchredlihen Spiegel—
bilde blieb auch zurüd, nur eine blutrothe Wolfe
über jeinem Haupte wollte nit zurücbleiben, fie
flog mit ihm um die Wette; in dieſer Wolfe
fonnte er fortwährend ihauen, was Berg und
Wald verbarg; die Schredensizene malte fih nun
am Himmel ab.
Diele Wolfe begleitete ihn Die ganze Nacht
hindurch.
Am Morgen trübte ſich der Himmel, der
herabſtürzende Regen färbte die Gegend mono—
ton grau.
Der Reiſende gelangte in ein Städtchen,
welches am Ufer eines kleinen See's lag. Dort
zahlte er den Fuhrmann aus, und begab ſich in
das Gaſthaus hinauf.
Ohne zu fragen, öffnete er die Thüre
eines Zunmers, in dieſem Zimmer befand ſich
Fertöy.
— Ach, Sie ſind angekommen! — rief
freundlich der ewig lächelnde Herr. — Wie geht
es Ihnen? ..
— Ich friere, befinde mich unwohl, —
wortete Baͤrſing ſchaudernd.
— Trinken Sie ein wenig Rum, das wird
Sie heritellen.
DBärfing ließ ih dies nicht zweimal jagen,
— RT: 3
er griff zu; allein vom Rum wurde ſeine Stimme
nur noch mehr heiſer.
— Alſo, was gibt es Neues zu Hauſe?
Auf das Wort „zu Hauſe“ fuhr Baͤrſing
erihroden zuſammen und blidte um fi.
— War es nicht bis hieher fihtbar? . . Die
Stadt brennt.
— Nur die Stadt? — frug der lächelnde
Herr.
| — Die ganze Stadt: Kirhen, Spitäler.
Alles steht in hellen Flammen. Nicht der vierte
Theil der Stadt ift unveriehtt.
— Hm, wenn der Wind fi) wendet, fann
auch dieſer Theil noch verbrennen.
Bärſing fand es für gut, abermals nad)
der Rumflaſche zu langen.
— Es gibt dort alſo großen Schreden,
niht wahr? — fragte Fertöy.
— Oh! — machte Barfing.
— An das Löihen konnte man natürlich
bei dem Sturme gar nicht denken. Sind Sie
über die Brücke gekommen?
— Ad nein. Auch Diele brennt ja. Ich
lieh mid, in einem Kahne herüber fahren.
Ueber dieſe Meldung lächelte Fertöy nichtmehr-
— Was machen uniere befannten Herr:
Ihaften ?
— Sie weinen und jammern. Mer denkt
bei folder Gelegenheit an einen Andern, als an
— 12 —
fich jelber. Ih ſah Frau Lavay, als fie aus ih—
rem brennenden Haufe lief und anftatt ihres Sil-
bers ein Koͤrbchen vol Weizen zu retten ſuchte.
— Ad! — machte Zertöy abermals laͤchelnd.
Diefe Frau hat mich einft beleidigt, indem fie
mic interpellirte, weshalb ich mid in die Ange—
legenheiten der Stadt miſche, obgleich id feinen
Beſitz in derjelben habe. . . . Geſchieht ihr Recht.
— Frau von Holdvary wurde ohnmächtig
auf den Rofalienplak getragen, wohin das Feuer
niht drang; aud Fräulein Serafine jah ich ohne
Hut über die Gaffe laufen.
— Hm! Bin auf ihre Toilette neugierig.
Bei folhen Gelegenheiten kann man nit auf
Alles achten. u
— Das Komitatshaus ſchützte man lange
Zeit, konnte es aber doch nicht retten.
— Ach! .. Wo werden jekt die Herren,
ihre glänzenden Reden halten ?
Beim dritten Glaſe Rum begann aud) Hetr
Bärfing die Sache von der Iherzhaften Seite zu
nehmen.
— Unter Anderen ift aud das Hargi—
tay ſche Haus zu Aſche verbrannt. -
Das Läheln Fertöy'3 verwandelte fih auf
dieſe Nachricht in höhniſches Grinſen.
— Das iſt Judithchens Schaden. Sie wiſ—
ſen, Freundchen, daß ihr der alte Herr, als er ſie
enterbte, nur dieſes Haus ließ, wohin ſie ſich in
— 13 —
der Außerften Noth zurüdziehen könne. Dieje$
Haus war ihr einziges, letztes Eigenthum.
— Fräulein Judith alfo ?
— Iſt fein Fräulein mehr: fie hat gehei-
ratet — ſagte Fertöy, den Brief Judith's aus
der Taſche ziehend. — Leſen Sie diejen Brief.
Bärfing wurde roth vor Zorn, als er die
Zeilen überflog. Er hoffte bisher noch immer,
daß Judith unter dem Zwange des Teſtamentes
ihrem Geliebten entjagen, und ihm die Hand rei=
hen werde. Die früheren Ereigniſſe hatten ihm
die Luft keineswegs genommen.
Als er den Brief auf den Tiih) niederlegte,
dachte er fih: So geſchieht's ihr Recht! Möge
fie nun Bettlerin, verfolgt und unglüdlic fein !
Möge fie den Wermuthsbecher bis auf die Neige
leeren !
— Nun erübrigt uns nur noch die Eröff-
nung de3 Xeftamentes zu urgiren — fnurrte er
aus den zufammengeprekten Zähnen hervor.
— %d; Habe hiezu bereits alle Verfügun:
gen getroffen — verfiherte Fertöy feinen jaubern
Freund. — Das Teftament befindet fi) in den
Händen des Komitatzfisfals, und wird morgen
eröffnet.
— Morgen? ... . die Stadt ift ja. ber=
wültet , . .
Was hindert Sie daran, als mein Stell:
bertreter bei der Eröffnung zugegen zu fein? Es
— 184 —
wird dod wohl in der Stadt nod einen Platz
geben, wo man dies bewerfitelligen kann.
— Aber das Feuer, mein Herr, das Neuer!
— Mas geht mih Ihr Feuer an! ..
— Was e3 Sie angeht? Nun jo erfahren
Sie es. Wenn das Teftament im Komitatsar:
chive deponirt war, To ift es auch ganz gewiß
verbrannt! . . .
Das Lächeln verihwand von dem Gefichte
Fertöy's.
Eine fehr knappe Haushaltung.
Der Winter kam, die niedergebrannte Stadt
aber war noch nicht aufgebaut.
Diefer Winter war niht von der Art wie
andere Winter zu fein pflegen. In diefem Win=
ter war es, wo bunderttaufend und abermal hun—
derttauſend Menſchen es für nothwendig fanden,
das Land zu Fuß und zu Pferd in Kreuz umd
Quere zu durchſtreifen, in der Naht auf hartge-
ftorner Scholle oder im weihen Schnee zu ſchla—
fen, während die Hunderttaujfende weiblichen Ge:
ſchlechtes ihre Faſchingsunterhaltungen darin fan-
den, daß ſie Leinwandſtücke in Fäden zerzupften.
Von Tanzunterhaltungen zu ſprechen, war
heuer nicht Sitte, andere Töne, als die der Mu—
ſik, begeiſterten die Gemüther.
Allein ich will die glaͤnzenden Thaten der
Männer nicht ſchildern, da ih einen Roman
\hreibe, und in diefem Roman die Geihichte der
Frauen, welde gegen einen viel hartnädigeren
Feind fämpften al3 die Männer, die auch dann
noch fortkämpften, als ihre Männer ſchon zur
Ruhe gegangen.
— 16 —
Den Männern gehört die Geſchichte, für
die Frauen möge der Roman ſprechen ... .
. .. Die Ruinen der abgebrannten Stadt
hatten no immer feine Daͤcher. Wo find alio
die Einwohner? Ad! diefe hatten gute Urjache,
fi) nicht zu entfernen, fie verblieben in der Stadt,
jedoh nit zwifhen den fahlen Mauern der Häu=
jer, welde feine Dächer hatten; denn da war es
nit geheuer in diefem Winter, wo vom Himmel
feurige Sterne herabflogen, welde die üble Ge—
wohnheit annahmen, in die Zimmer der dachloſen
Häufer zu fallen.
In einer Ede der umſchanzten Stadt gab
es jedoch eine Heine Wieſe, wohin die fatalen
Sternihuppen nit zu gelangen vermochten; man
nannte fie die Zigeunerwieje; und zwar deshalb,
weil ſeit Menichengedenten die elenden Hütten
der armen Zigeuner hier geitanden. Eine Reihe
Baraden aus Lehm und Stroh... Was Ba—
raden?!... Sage Paläfte. Wie glüdlih, wer
in einer ſolchen Unterkunft findet. Da gibt es
ja einen Zehmofen, einen Herd, jogar ein Fenſter
wo man bhinausjehen fan... Die Zaufende
von obdachloſeun Bürgern fünnen jedod nicht alle
in denſelben unterbraht werden. Nun Hilft
man fih aber, wie man kann. Biele hatten fi
mit ihren Nahbaren zujammengethan und für
gutes Geld eine jener hölzernen Hütten erworben,
welche von Wiener und Reiter Kaufleuten mwäh-
— 1897 —
rend der Märkte benützt wurden; diefe Hütten
ftellten fie an der geſchützten Seite der Wieſe
neben dem Damme auf, und richteten ſich ein, jo
gut e3 ging.
In einer ſolchen Martthütte wohnte die
alte Frau Lavay mit der einft jo ftolzen Familie
Holdvary zulammen.
Mer hätte es je gedacht! In den Tagen
des Glückes iſt es ihnen nie eingefallen, einander
zu beſuchen. Die glänzenden Piqueniques der
hohen Familie konnten gut ſtattfinden, ohne daß
man die alte Frau zu denſelben geladen hätte.
Als jedody) Beide auf die Gaſſe gehekt wurden,
lagten fie zu einander: bauen wir uns gemein-
Ihaftlid) eine Hütte, und wohnen wir darin zu=
fammen!...
So geihah es aud).
Die Markthütte war in der Mitte durd)
eine bretterne Wand in zwei Theile getheilt ; die
innere Abtheilung diente zum Schlafzimmer; in
der äußeren ftand ein Heiner Sparofen, welcher
in irgend einem Haufe unverjehrt geblieben; diejer
erwärmte die ganze Räumlichkeit.
Ohne Dienftboten konnte man füglich fein ;
e3 gab auf der Gaſſe genug der Hände und
Füße, Die Magd oder Knecht erjegten. Frau
Lavay kochte ſelbſt. Hinter der Hütte ftand ein
Heiner Stall mit Rohrwänden, und mit Laub—
wert und Stroh bededt; in dieſem befand fich
— 155 —
ihre einzige Kuh, welche jie jelbit melfte, und von
deren Milch fie das Frühſtück für die ganze Ges
ſellſchaft bejorgte.
Frau von Holdvary ftand ihr nicht viel im
Wege; diefe konnte feit dem großen Unglüd nur
weinen und Schlafen. Ließ man fie mur ruhig
liegen, jo hatte fie weiter feinen Wunſch. |
Fräulein Seraphine half jedoch der alten
Lavay beim Kochen, und bei jonftigen häuslichen
Verrichtungen.
Wie? Fräulein Seraphine am Hewde?!.
Sa wohl! .. Shre ihönen weißen Hände find
an vielen Stellen verbrannt oder berjengt, mie
es denjenigen zu geihehen pflegt, welche das
Kochen exit erlernen.
Der alten Lavay koſtete e3 gar viel Mühe,
um ihre Gehilfin in die Geheimniffe Des Ein-
brennmachens einzuweihen; wie oft hatte fie ihr
das theure Mehl verbrannt.
— Ja, mein liebes Kind, — pflegte Die
Alte fie ſcherzweiſe zu jchelten — das iſt Feine
Kotillonfigur, — und wenn, während die Alte
draußen das Grünzeug putzte, Seraphine drinnen
die Suppe überlaufen ließ, da bekam fie eine
ganze Vorlefung über Mufik, franzöfiihe Romane,
Landihaftmalereien u. ſ. w. als über Dinge zu
hören, derentwegen einem die Suppe über= und
davonlaufen Tünne.
Die alte Frau brummte draußen beftändig.
— 189 —
Mama Holdvary dagegen lag, ohne fi zu
rühren, in ihrem Bette, ächzte und ſeufzte unun—
terbrochen, erfand die veridiedenften Krankheiten
und Uebel, als hätte fie an dem wirklichen nicht
genug. „Seraphine ! — rief fie — mein Fuß ift zu
Stein geworden; .. ."Seraphine! diefes Bett hebt
fh immer höher und höher mit. mir! ... Se:
raphine! .. Es hatmir geträumt, dad, wenn der
Feind in die Stadt dringt, er alle Weiber zu:
ſammenfängt, dieſe müſſen dann vor ihm gegen
die Feſtungsmauern marihiren, damit die erften.
Schüſſe die Weiber treffen; wäre 8 nicht beffer,
wenn Du mir früher mit dem Küchenmeffer den
Hals abichnitteft ?“ | |
Seraphine war inmitten Diejes Kreuzfeuers
ftet3 heiter und guter Laune. Im Kochen hatte
fie zwar der alten Laͤvay feine weientlihen Dienfte
geleiftet, umſomehr trug fie aber durch ihren ſchalk—
haften Humor zur Erheiterung ihres Gemü—
thes bei. Ä
Im Grunde gibt es nichts Scherzhafteres
als das Elend.
Mie lachenerregend ift es zum Beiſpiel,
wenn man des Morgens fein Glas vom ZTiiehe
nehmen will und es an den Tiſch gefvoren findet;
oder wenn man den Schuh anzieht, und an der
Spike desjelben ein artiges rundes Loch wahr:
nimmt, welches ein Eleines Mäuschen über Nacht
hineingefreffen hat. Wie reizt dies die Lachmus—
— 1% —
keln; wenn man vollends bedenkt, daß dies der
einzige Schuh auf der Welt ift, der den Beihä-
digten jeinen Eigenthümer nennt. Oder wenn
Säfte da find, und Seraphine wegen Mangels an
Löffeln ſich des großen Schüpflüffels zum Effen
bedienen muß.
Mie? E3 gibt noch Gäſte?
Allerdings. ES gibt der Bekannten genug,
die ihr Leben nicht anders friften künnen, als dag
fie von Hütte zu Hütte auf Befuh wandern, und
heute bier, morgen dort fih zu Mittag laden. —
Außer diefen beherbergt die gaftfreundlihe Hütte
noch zwei permanente Pafjagiere, und zwar Män—
ner, jedoch verheiratete Männer, die es für gut
fanden, fih in die Feftung fperren zu laflen, den
Einen nannte man Herr Stuhlrihter, den ans
dern Herr Fiskal. Der Eine ift mit den Laͤvay's,
der Andere mit den Holdvaͤry's verwandt. Dieje
Beiden fanden nirgends Unterkunft, Frau Laͤvay
bot ihren jolde an. „Dier ift die Küche, — fagte
fie, — da lünnen Sie beide Schlafen und über uns
wachen.“
Fiskal und Stuhlrihter waren übrigens
ganz brauchbare Menihen. Der Fisfal begab
fid) jeden Morgen in die Feftung, mo man Fleiſch
und Mehl austheilte, ging dann zur Waag hinab
um irgend einen Fiſch zu requiriren ; alles dies
trug er jorgfältig nad) Haufe, um die Küche da=
mit zu verſorgen, während der Herr Stuhlrichter
ee ES — —— am = vun
un. rn
— 11 —
das Abenddunkel benügte, um unter feinem Man
tel Holz und Heu berbeizufhaffen. Das Heu dient
in der Naht als — Streu für die Herren, bei
Tag aber al3 Futter für die Kuh.
Wenn fie dann des Abends alle beilammen
find, und theils auf den ungeftürzten Schraͤnken,
tbeil3 auf dem Boden Platz genommen haben, da
wird jo herzlich über den Sammer gelacht, ala
wäre das Ganze die befte Anekdote. der Welt.
Frau Lavay hatte auch feine andere Sor—
ge, al3 diejenige, welche ſich nad) jedem beladhten
Scherze in einem Seufzer offenbarte: Ah wäre
nur mein Bela unter uns! . .
Ta, wenn der auch da wäre!
Dann würde fi der enge Raum zwiſchen
den bier Bretterwänden zum Paradies verwan—
deln, dann würde dieſes irdiihe Glück fo voll:
tommen fein, daß es nichts zu wünſchen übrig
ließe. j
Mer weiß e3 aber, wo fi) jekt Bela be:
findet ? Wer weiß es, ob er lebt, welches Schif-
jal ihn ereilt? Die Welt ift voll der Gefahren.
Man hat nur die Wahl, in weldhe der Gefahren
man fi begeben; feineswegs aber, melde man
vermeiden will.
Und doch koͤnnte auch er jet unter uns
fein. Wäre er doch nicht in die Welt gegangen,
um fih Ruhm zu erwerben; hätte er doch nicht
ein Mädchen geliebt, das zu lieben man ihm
=: 199. =
verwehrte; würde er doch ſcinem Schickſale feinen
Zwang angelegt haben!
Solche Gedanken bejdhleihen die gute Frau,
wenn fie nad) des Tages Mühen mit Seraphinen
nod allein wacht, und ein über das andere Mal
den Seufzer ausftögt: Mein armer Béla! ...
Und da fällt ftetS ein vorwurfsvoller Blid aus
den thränenden Augen auf Seraphine, al3 wollte
die Altedamit jagen: „Und an slledem haft Du die
größte Schuld; warum vermochteſt Du es nicht,
ihn an Dich zu feileln?!... Es war ja aud
mein Wunſch, daß er Dich liebe. Jetzt wäre er
Dein Gatte — und unter ung,“
Und wie wohl thut es ihrem Herzen dann,
wenn Seraphine, den ſtummen Vorwurf ver—
itehend, das Amen auf ihr Gebet ſpricht, welches
fie für ihren Sohn zu Gott geſandt. . . Sera—
phine bat es ja veritanden, für wen das leife,
von Seufzern unterbrochene Gebet zum Himmel
gelandt wurde.
In jenen Zeiten war es ſehr Ichwer, etwas
über die Abwelenden zu. erfahren. Der Rojt-
verkehr war gänzlih abgeihnitten, Und wenn
es doch einem Kourier nah unjäglihen Mühen
und den raffinirteften Künften gelang, ſich in Die
Feſtung zu ſchleichen, jo bildete dies ein jeltenes
und großes Greignig, welches jämmtlihe Be:
wohner der Stadt in Bewegung ſetzte. Zwei
Wochen hatte man denn nichts Anderes zu thun,
— 13 —
als von den Nachrichten zu ſprechen, die er ge=
bracht. Solch' ein Kourier wurde ho geihäkt ;
man ſuchte ihn auf, ſchleppte ihn mit fich, fragte
ihn hundertmal über Hunderterlei Dinge: was es
da d'rüben über der Donau gebe? Wer noch
lebt, wer bereits gejtorben jei? Ob er Dielen
oder jenen gejehen, mit ihm geiproden habe...
Er konnte dann erzählen, was er wollte, man
glaubte ihm auf's Wort. . . Sole jeltene Poft-
tauben pflegte auch Frau Lavay in ihrer bretter= _
nen Behaufung zu bewirthen.
Als Fran Lavay die erfte diefer Poſttauben
über ihren Sohn befragte, befam fie zur Ant:
wort: „der ift gut geborgen, fit in der Feſtung
Eſſegg, dort kann ihm nichts widerfahren.“ Die
gute alte Frau war hierüber jehr beruhigt.
Nad einigen Wochen fam ein anderer Bote,
auch der wußte von Bela zu erzählen: Er habe
ihn in der Umgegend von Schemnik getroffen,
der Arme friere und ftrapaziere fi zwar viel, jet
aber in guter Geſellſchaft.
Diefer hatte zufällig die Wahrheit ge:
Iproden ; zufällig jagen wir, denn er ſprach, ohne
e3 zu willen. -
Nah einigen Wochen kam abermals Se:
mand, welcher fteif behauptete, Lavay ſei ſammt
Pußtafi in Siebenbürgen, was um jo wahrſchein—
liher Hang, als die beiden unzertrennliche Freunde
geweſen. Pußtafi ſei jedenfalls dort, er hatte ja
Andere Zeiten andere Menſchen. 13
-.
— 14 —
auch ſchon ein Schlachtlied in Siebenbürgen ge—
ſchrieben.
Die alte Frau bemerkte hiezu ſeufzend:
wenn er nur lieber zu Hauſe als zu gleicher Zeit
an drei Dertern wäre!.
Es war bereit3 gegen den Frühling, als
e3 in der Stadt laut wurde, daß abermals ein
Kourier auf wunderbare Weiſe in die Feſtung
gelangt fei. Dieſer Kourier war Herr Bärfing.
— Diejen werde ih über Bela befragen, —
fagte Frau Lavay mißmuthig als fie den Na—
men Bärfing’3 vernahm. — Dieſer Menſch lügt
immer. Gr würde mir, um mich nur zu kränken,
ganz gewiß jchauerlihe Dinge berichten: dag man.
meinem Bela den Fuß weggeſchoſſen, dag man ihn.
gefangen oder gar getödtet hat.
Da kam ihr der Fisfal zu Hilfe.
— Warten Sie, Tante, ih werde ihr
auffuchen, mich kennt er nicht. Wenn ich ihn
frage, wird er vielleicht die Wahrheit jagen.
Der Stuhlriter Schloß fih dem Aner-
bieten an; aud er wollte dabei jein, als testi-
monium legale. |
Kaum waren diefe Worte geiproden, als:
die kleine vielmiffende Blum in die Hütte trat.
Ihr Mann bekleidete noch immer fein Amt, nur
um einen Grad höher, und mit einem unga-
riihen Titel. Sie kam eigentlih, um Seraphine
auf Nahmittag in ihre Keitungswohnung zur
— 1% —
Saufe zu bitten, bei welcher auh Herr Baärfing
zugegen jein werde, und wo fie dann aus erjter
Duelle die Wunderdinge, die geihehen find, erfah-
ten Tünne.
Auch Frau Laͤvay bat Seraphine zu gehen.
Das Wetter jei ja jo angenehm, der Spaziergang
über den Gombaer-Damm von den tödtlichen
Sternihuppen, welche aud bei Tage fallen, ficher.
Sogar Mama Holdvaͤry gab ihre Erlaubniß, nur
hatte fie Furt, die Stadt fünnte unterdefjen er—
obert; und Seraphine in der Feftung zu bleiben
gezwungen jein; wie und duch wen könnte man
Hr dann Weißwäſche nachjenden ?
Man mußte Seraphine nicht lange zureden,
ie jelbft Hatte große Luft, von Bärfing etwas
ju hören. "
Nachmittag kam die Blum abermal3 um
Ihren Gaft abzuholen, die beiden Neffen, der Fis-
tal und Stuhlrichter begleiteten fie; während fi)
Ye alte Frau vor die Thüre der Hütte jeßte,
um in der angenehmen Märzionne die Wieder-
ihr der Ihrigen zu erwarten.
Sie hatte nit lange zu warten. Die Leutz
hen famen gar bald, und mit einer Eile, als
würden fie verfolgt. Die beobachtende Mutter
hatte an Seraphinens Geſicht die Aufregung all=
fogleid, bemerkt, während die Herren Neffen ihre
Niedergeihlagenheit niht zu verbergen mochten.
Beide waren ſchlechte Komödianten geworden,
13*
— 1% —
Die alte Frau Lavay ergriff haftig die
Hand des Stuhlridters und frug:
— Nun, was habt Ihr über Bela ge:
DOLE 94 2,
Der gute Mann mit dem runden Gefiht
wurde feuerroth über dieſe Frage. Er kam in die
größte DVerlegenheit, vermuthlich dachte er daran,
daß es ihm al3 „testimonium legale* nicht zu-
ftehe, etwas; zu jagen, von deſſen Gegentheil c
überzeugt ift.
— Was haben Sie von Bela gehört ?
Sagen Sie es doh um Gotteswillen.
Da übernahm der Fiskal die Beantwor-
tung der Frage: ihm find ja Verdrehungen bon
Amtswegen und diplomatiſch geftattet.
— Bela lebt und ift geſund! liebe Tante.
Die alte Frau wollte jedody mehr erfahren,
und paßte migmuthig auf die farg gefpendeten Worte.
— Mo ift er aber? ft ihm fein Unglüd
widerfahren ?
— Nein, o nein, Unglüd iſt ihm nicht
widerfahren, — riefen beide Neffen, wie aus. einem
Munde. Man konnte e8 ihrer Eile anjehen, daß
fie etwas verheimlihen oder vertufhen und dem
Geipräh eine andere Wendung geben wollen.
— Wenn ihm alſo nichts widerfahren,
warum ſprechen Sie nit mehr über ihn? Er wird
wohl nichts Schändliches begangen haben, oder...
feige geworden fein ?
— 17 —
Wie ergreifend war dieſe lekte Frage der
alten Frau, welde jo für das Leben ihres Soh—
nes zitterte, und nun mit aufflammendem Gefichte
frug, ob er nicht feige geworden.
Die beiden Neffen jahen fid) abermals ver=
legen an, Feiner vermochte ſchnell genug die Frage
zu beantworten.
— Nun jo ſprechen Sie! .. Was bat die-
jer Menſch über meinen Sohn erzählt ?
Abermals "übernahm es der Herr Fistal,
die Hauptfrage zu umgehen, indem er unter leb-
haitem Achſelzucken ſprach: Bärling hätte feines-
wegs gelagt, dab Bela al3 Soldat feige ges
weien wäre... . Das Wort Soldat hatte er
beionders betont.
Die Augen der alten Frau füllten fid mit
Thränen ; fie wußte, fie jah es offen, das man
fie täufchen wollte. Seraphine erbarmte ic) ihrer,
und plakte mit dem, was fie bisher zurückge—
halten, heraus.
— Eh! was ziehen wir mit der Gejchichte
herum, meine Herren. Bärfing hatte Bela vor
einer ganzen Gejellihaft verleumdet. Er jagte:
Bela fei Verräther geworden.
— Ras? Ein Verräther! . .
Auch das war dazumal Mode, daß, wenn
Zweie mit einander in Streit gerieihen, der Eine
den Andern allſogleich einen Verräther ſchalt.
— Ja, ja — fuhr Seraphine fort —
— 18 —
Bärfing hat erzählt, daß aud Bela zu Den
jenigen gehöre, die mit dem Feinde einverftanden
find, die fih immer nur zum Schein ſchlagen
und neben ihren Tſchako's weiße Federn tragen,
die nad) Srafentiteln jagen, und die radialen
und republikaniſch gefinnten Dffiziere verfolgen. .
Die Regierung hätte auch bereit einen Befehl
erlafien, daß Diele Leute ihrer Porteépée's ver—
luſtig erklärt und vor das Kriegsgericht geftellt
werden Sollen. . . . Das erzählte Bärfing mit
bunten Sluftrationen, und dag er's nit zum
eriten Male erzählt, konnte ich daraus entnehmen,
daß es die Anweienden bereit3 als alte Ge—
Thihte Hinnahmen... Da Sie, meine Herren,
niht den Muth hatten, Bela zu vertheidigen,
war id) genöthigt, den faubern Herrn Bärfing
zurechtzuweiſen: Hören Sie Bärfing — ſagte ich
zu ihm — Sie lünnen Jemanden jehr ſchön an=
Ihmärzen ; troßdem es aber gegenwärtig Nie-
manden in dieſer Stadt gibt, der für Laͤbay
Ahnen gegenübertreten möchte, jo rathe ih es
Ahnen doch nidt, der alten Labay unter die
Augen zu treten, denn wenn dieje erfährt, was
Sie über ihren Sohn ſprechen, jo künnen Sie ſich
auf ſichere Prügel gefaßt machen. ...
Die alte Frau drückte die Hand Sera—
phinen's.
— Das war gut geſagt, mein Kind! und wahr
gelagt!.. Mo befindet ſich jetzt dieſer Meufd) ?
—— — — 2⸗
— 19 —
Der Stuhlrichter erſchrack ſichtlich.
— Was haben Sie mit ihm vor?
Tante.
— Was ? was? — ſtammelte die Alte, ihren
abgetragenen ſeidenen Hut aufſetzend und ihren
ſchleußigen Mantel aus grünem Merino haſtig um
die Schultern werfend. ... Was ih mit ihm
wil? — murmelte fie während des Ankleideng
leiſe — Was ih mit ihm will... Erſchießen
will ic ihn, den Schuft! — plaßte fie dann her—
aus, während ihre Augen im beleidigten Mutter:
ftolze unten jprühten, und ındem fie den alten
Mantel auseinanderihlug, zeigte fie in deſſen
Taſchen die Schäfte zweier Riftolen.
Bevor die beiden Herren fi) von ihrer
Ueberraſchung erholt hatten, war die bewunderns-
werthe Frau jhon auf der Gaſſe und jchritt eilig
der Stadt zu. _
Die Männer liefen der Krau nad, um
fie zu beihwichtigen, dieſe mies fie zornig
zurüd.
— Gehen Ste und fhauen Sie nah, daß
die Milch nicht überläuft. Wenn Sie nit
Männer waren, wo es galt, Mann zu fein,
werde ich dieſe Rolle übernehmen. Ich verlange
nad Ihrer Hilfe nicht, werde den Menihen ſchon
jelbft finden, über das Waſſer wird er nicht ge—
flogen fein.
Die beiden Männer blieben betroffen
— —
zurück. Die aufgeregte, laͤrmende Frau hatte
bereits die Aufmerkſamkeit der Patrouillen auf
fi gelenkt.
Sie folgten der alten Frau aus der Ferne,
hoffend, daß man ſie nach ſechs Uhr ohnehin
nicht mehr in die Feſtung einlaſſen werde.
Eines der abgebrannten Häuſer, welches vor
den Belagerungsgeſchoſſen ſicher war, hatte man
mit einem proviſoriſchen Dach verſehen und als
Kaffeehaus eingerichtet. Dies war der einzige
damalige Verſammlungsort ſowohl der Einwohner
als der Eingewanderten. Die alte Frau eilte
durch die dunklen, mit Trümmern: bedeckten Gaſſen
gerade auf diefes Haus zur. n
Ihre heimlihen Begleiter konnten fie gut
jehen, mie fie in das Kaffeehaus trat.
Die chriame bejahrte Dame, welche nod
nie das Innere eines Kaffeehaujes gejehen, jtürzt
ih in ein mit fremden Männern und Soldaten.
angefülltes Lokal, um dort ihren Beleidiger her:
auszufuhen und Genugthuung von ihm zu for=
dern!.. Sonft würde ſie nit um alle Shäße
der Welt auch nur einen Kaffee dort genommen
haben. ==
Mitten in diefem großen Lärm und Tabaf-
qualm, unter jo vielen fremden Gefihtern, würde
auch ein Anderer ſich ſchwer zurecht finden. Frau
Lavay braudte Zeit, bis fie einen Kellner in dene
— 201 —
Gewirre erhaſchen konnte, welder vierzehn Glaͤſer
auf einer Taſſe balancirte.
— Kennen Sie Herrn Bärfing ?
— O ja! Gerade jegt ging er in's Spiel—
zimmer!..,
— Ich bitte Sie, mein Lieber, ihm zu ja=
gen, dak Frau Labay Bier ſei; ... er möge fi
heraus bemühen; wenn es ihm aber zu viel
Mühe koſtet, werde ich zu ihm Hinein gehen. —
Der Kellner that, wie ihm gejagt wurde.
Nah einigen Minuten kehrte er fihernd zu
Frau Laͤbay zurüd, welche ihn in einer Ede des
Zimmers an der Mauer lehnend, erwartet hatte.
— Ich mödte wohl bitten — ſagte er —
ift Herr Bärfing niht Ihr Schuldner ?
— Kein. Weshalb ?
— Weil er, als ih ihm ſagte, Frau
Lavay wünſche ihn zu Sprechen, alljogleih vom
Tiſche jprang, und mid zu jagen beauftragte,
er Sei Ihon in die Feftung gegangen, worauf er
durch die Kleine Thüre davon lief. Ih glaube
faum, daß Sie ihn nod einholen können. .
Der Kellner und einige Ilmftehende lachten
über den Scherz, während Frau Lavay fi ſchnell
auf die Gaffe begab und in der Richtung, melde
Barfing genommen haben mußte, davon eilte.
Sie, die fie dreißig Jahre in der Stadt
gewohnt, und nod nie die Richtung nad der
Feſtung eingeihlagen, nie einen Soldaten ge—
2 993
ſprochen, joll es jegt in finfterer Nacht unterneh—
men, in die Feſtung zu dringen.
Als fie in die Allee kam, konnte man der
Dunkelheit wegen die Leute, die da gingen und
famen, faum mehr unteriheiden ; aber der ſcharfe
Blid des Haffes ließ ihr die vothverbrämte Unis
form Bärfing’3 dennoch erkennen. Sie ſah «es
recht gut, wie er das Feitungsthor- paffirte, konnte
ihn jedoch nicht mehr einholen.
Als auch fie zum Thor gelangte, wurde fie
von der Wache angehalten.
— Mer dal.
- — Eine Frau, und zwar eine alte. Ich
will in die Feſtung.
— Kann nicht mehr geihehen . .
— 3 muß aber hinein.
Sie ſprach diefe legten Worte mit einer ſolchen
Entihloffenheit, daß ihr die Wade nicht wider-
ftehen konnte, und den Eintritt unter dem Thor—
gang gewährte: bier veriperrten ihr jedoch meh—
tere Soldaten den Weg.
— Wohin gehen Ste, — Iherzten diele, —
wollen Ste vielleiht Soldat werden ?
— Ich wünſche den Feitungsfommandanten
zu ſprechen! — erwiederte die Alte, ſich ſchnell
faſſend.
Da trat ein Korporal vor, verneigte ſich
ehrerbietig vor Frau Laͤvai und bat fie, ihm zu
folgen, er werde fie zum Kommandanten geleiten,
— 203 —
Als fie zum Thore des Pavillons ge:
langt waren, meinte der Sorporal, die Frau
möge nun weiter fragen, denn er dürfe feinen
Wachtpoſten nicht verlaffen.
Die beiden Poſten jedoch, welhe beim Thore
des Kommandanten ftanden, mußten fein Wort
ungariih. Beide waren walachiſche Rekruten aus
dem Biharer Komitat. Frau Laͤbay konnte fich
ihnen durchaus nicht verftändlih machen.
Da ſetzte fie fi auf die fteinerne Bank
neben dem Thore, mit dem Entihluße, fo lange
zu warten, bi3 Jemand fäme, der fie verfteht.
Nah geraumer Zeit kam wirklich ein junger
Offizier, welcher eine tritolore Schärpe trug. Die:
fer frug fie verwundert, wie fie bieher fam, und
‘was fie wünjce.
— Ich bin die alte Laͤbay, und wünſche
den Kommandanten zu ſprechen.
— Allſogleich?
— In dieſem Augenblick.
— In einer wichtigen, in einer Landes⸗
angelegenheit?
— In einer ſolchen.
— Gut. Dann bitte ich Sie, mir zu folgen.
Der junge Offizier führte fie mit argwöh—
niihen Bliden, über große gepflafterte Höfe,
durch lange ſpärlich erleuchtete Gänge, bis er
endlih die Thüre eines von Tabakrauch erfüllten “
Zimmers öffnete, in welchem einige Gemeine auf
en ONE.
den Feldbetten herumlagen. Außer den Betten
gab es im Zimmer nod einen Strohjtuhl und
einen unangeftrihenen Tiſch.
Der Dffizier ließ bier die Frau zurüd.
Nah einigen Minuten fam er mit der
furzen Meldung, daß der Koınmandant dringend
zu thun habe.
— Gut, — Sagte die alte Frau, — dann
werde ih) warten, bis er fertig ift. Worauf fie
fi) auf den zerriffenen Strohfeffel niederlieg und
ihre Ellenbogen trogig entihloffen auf den ölbe-
fleckten Tiſch ftemmte.
Der Adjutant kehrte um, und warf zornig
hinter ſich die Thüre zu.
Nah einer Weile fam er abermals zurück.
— Haben Sie eine jehr dringende Mit:
theilung zu machen ?
— Eine fo dringende, daß fie feine Mit:
nute Auffcehub leidet.
— ft fie aud) wichtig ?
— Die widtigfte, die nur im Leben vor:
fommen fann.
— Wollen Sie mir dann folgen. Der Kom:
mandant will jo freundlih fein, auf einige
Augenblide feine inneren Gemädher zu ber:
laflen.
Der Dffizier tührte hierauf die Frau in
ein zweites Zimmer, weldes ein wenig reiner,
— 205 —
aber eben Schr einfach eingerichtet war; man Jah
3, daß es für Soldaten ift, mit denen man
ſtehend ſpricht.
Aus dem dritten Zimmer drang, während
man die Thüre auf und zu machte, ein jehr laut
geführtes Geſpräch. Bald darauf vernahm man
Sporengellirt, und der Kommandant trat ein.
Er war ein Mann mit freundlihem Ge—
iht und Hatte eine jener Scharf geformten Najen,
von denen Napoleon I. zu fagen pflegte, daß die
Befiger derſelben Männer von unverbrüchlicher
Treue jeien. |
— Was wuünſchen Sie mir mitzutheilen,
meine Dame, — frug der Kommandant, der ihm
fremden rau nahe tretend.
— Ich babe ein kurzes Wort an Sie zu
tihten, Herr Kommandant — fagte die Alte in
ruhigem Zone. — Heute langte einer ihrer Kouriere
an, welder falihe Nachrichten verbreitet.
— Zum Beijpiel?
— Er jprengt aus, daß mein -Sohn, .
welcher in der oberen Armee dient, cin Vers
räther jei. Der Name meines Sohnes ift Bela
Lavay.
Der Kommandant begann ein wenig miß—
muthig zu werden.
— Aber, meine Dame, Sie haben ja ge:
jagt, daß Sie mih in Landesangelegenheiten
Iprehen wollen ?
— 206 —
— Mein Herr, ich glaube, daß die Sol-
datenehre immer eine Landesangelegenheit ge=
weten ift.
Wie dieſe Worte auf die Lippen der alten,
einfahen Frau kamen? Welch fremder Geift ihr
diefelben zugeflüftert ? Das fonnte fie ſich ſelbft
nie erflären. Es gibt außergewöhnlihe Lagen, in
welhen ein Moment die Menſchen größer madt.
Der Feltungsfommandant war felbft über:
raſcht, und bat höflich die Frau, ſich zu ſetzen.
— Ich danke, will nit ruhen, bis ich nicht
vollzogen, weswegen ich gelommen. Ich bin eine
ruhige, friedliebende Frau; komme nie aus mei=
nem Hauſe; daß ich es jet gethan, daß ich in
finfterer Nacht hieher, in die Feſtung fam: dar:
aus fünnen Sie erſehen, welche furdtbare Belei-
digung mir widerfahren mußte, die mid) zu die—
jem Schritte zwang.
Der Kommandant war ein Mann von gu—
ter Erziehung, und wußte den Schmerz der alten
Dame zu würdigen.
— Gut — jagte er — ih werde die Sade
gleih morgen unterfuhen laſſen.
— D, mein Herr — ih kam nicht wegen
einer Unterfuhung, wegen Dinge, die erft mor:
gen geſchehen ſollen; was ich will, muß gleich
geſchehen. |
— Mus wünfhen Ste. alio eigentlid) ?
— Was? Genugthunng wünſche ih. Fa
— 207 —
eine Genugthuung, wie man fie in unfern Tagen
zu geben und zu nehmen pflegt. Ueber. eine folche
Beleidigung Tann man nit erft Schlafen,
um fie zu vergefjen. Der Verleumder ift in der
Feſtung, id jah ihn hereinfommen, deshalb kam
auch id zu Ihnen, mit der Bitte, Sie mögen
ihn hieher beicheiden.
— Nichts leichter al3 das, da er im Ne-
benzimmer ift, Damit winkte er feinem Adjutan—
ten, er möge Bärfing aus dem Zimmer rufen,
Der eintretende Bärfing gab mit. allen
moͤglichen Zeichen zu erfennen, daß er ſich Die
Anweſenheit diefer Dame nicht erklären könne,
— Mein Herr — frug der Kommandant,
ih an den Eintretenden wendend — kennen Sie
diefe Dame?
— N... nein, ja, ih kenne fie. ....
Was wünſcht diefe Dame ?
Frau Lavbay trat an ihn heran.
— Dieje Frau wünfht, Sie daran zu ver—
hindern, dag Sie den guten Ruf ihres Sohnes
vernichten. Sie beſchuldigen einen ihrer einftigen
Freunde, einen gewiffen Bela Labay, des Ber:
tathes. Das miffen Sie recht gut, daß man die-
ſes Wort heutzutage ſehr leicht glaubt... Nach⸗
dem fih in der ganzen Stadt fein Einziger ge—
funden, der gegen dieſe Verleumdung proteftirt
hätte — denn es ift ja Niemand verpflichtet, das
Gegentheil defien zu glauben, was man über Se:
— 208 —
manden jagt, — fo bin id genüthigt, mid) in
eigener Perion zur VBertheidigung meines Sohnes
Ihnen entgegenzuftellen.
Bärfing wollte fih aus der Schlinge zie-
ben und unterbrad) die Frau kurz.
— Ich achte diefen Dit viel höher, als
dag ih mich Bier in Zank einlaffen jollte.
— Es iſt bier von feinem Zank die
Rede, mein Herr, — antwortete Frau Lanay mit
feften Tone. — Es handelt fi hier um etwas Mi-
litäriihes, und das paßt gerade hieher. Gegen die
Verleumdung gibt es jet nur eine Waffe: Ge—
nugthuung mit der Waffe, und ic bin gefommen,
eine jolhe von Ihnen zu fordern! ...
Diefe Worte erregten allgemeines Laden.
Die Szene ftreifte zu fehr ans Komiſche. Eine
bejahrte, gebeugte Frau, mit ihrem antiken grü: _
nen Mantel, und den alten jeidvenen Hut auf dem
greilen Haupte, fordert einen jungen, ftarken Dann
zum Zweikampfe heraus.
Doch mollte Frau Läavay den komiſchen
Eindrud gar nit wahrnehmen, fondern zog ru:
big ein weißes Sadtuh aus ihrer Taſche, welches
fie dann an einem Zipfel fallend, der Länge nad
herabhängen ließ.
— Antworten Sie mir nit, mein Herr, daß
ih eine Frau jet, und man fi mit Frauen nicht
zu ſchlagen pflegt; auch der Hündin ift es erlaubt,
ihre Zungen zu vertheidigen; — als Sie fid) der
— 209 —
Waffe der Weiber, des Tratſches bedienten, ent:
agten Ste jenen Stolze, welder dem Marne
den Vorzug über das Weib gibt . . . Antworten
Sie mir au nicht, daß ich alt, und meine Au:
gen ſchwach ſeien, daR ic) nicht zielen fünne .
Hier, nehmen Sie das eine Ende dieſes Schnupf:
tuches, das andere werde ich halten... . So
fünnen wir auf einander Ihieken.
Damit z0g fie die beiden Piftolen aus den
Taſchen ihres grünen Merinomantels und legte
dietelben auf den Tiſch.
Die Männer ladhten nicht mehr.
Die Matrone ſtrich hierauf Die jpärlichen
grauen Haarloden, welde ſich auf ihre Stirne
verirrt hatten, zurück und ftand mit der Erhaben:
heit einer Märtyrin aus alten Zeiten vor den
ftaunenden Männern,
— Ich habe mit meinem Gott abgerechnet
— ſprach fie dann in leidenjchaftslofem Tone, —
Ich verſpreche mir nit mehr viel vom Leben;
da ih Alles verloren habe. Mein Gatte if
längit todt, mein Haus in Schutt und Aſche,
mein Sohn in der weiten Welt, nur die Ehre
blieb mir noch, dieſe gebe ih nit her. . . . Ste
tonnen Ihr Piſtol an meine Bruft ſetzen, ich
werde nicht zittern... Sch über... id) werde
Sie nicht tüdten, da ich meine Seele mit der
Schuld Ihres Todes nit belaften will; aber
auf Ihre Füße werde ich zielen, und Diele lahnı
Andere Zeiten andere Menſchen 14
— 20 —
Ihieken, damit Sie die Verleumdung meines Sohnes
nicht im Lande herumtragen Fünnen.
War die Matrone beim Beginne ihrer Rede
ganz ein Mann, jo wırde fir am Schluffe der:
jelben wieder vollfommen zum Werbe. AS fie
Barfing damit gedroht hatte, ihm die Füge zu
verſtümmeln, brach aus ihr der ganze weiblide
Zorn hervor, und als fie eine der Biftolen in
die Hand nahm, wirde man darauf geſchworen
haben , dab fie ihre Drohung aud ausführen
werde.
Herr Bärſing befand ſich noch nie in einer
ſolchen tragikomiſchen Situation. Mag es Scherz
oder Ernft fein, jedenfalls war die Sade un—
angenehm. Sein guter Geift flüfterte ihm aber
im entfcheidenden Momente zu : leugne das
Sanze ab... |
— Aber, liche Tante, id) habe ja nie jo etwas
über Bela geſprochen.
Frau Lävday ſah ihn erftaunt an.
— Sie haben meinen Bela nie einen Ber:
räther genannt ?...
— Nie in meinem Leben. Im Gegen:
theil pries ih Ihn immer und überall als einen
braven, begeiſterten Patrioten.
— Die Herren haben es gehört ? Gut. Geben
Sie mir das ſchriftlich.
— Vom Herzen gerne.
= au, ——
Und Bärfing ergriff alliogleih die Feder
auf dem Tiſche, tauchte dieſelbe haftig in das Tin-
tenfaß, und 309 Papier hervor.
— Ih werde Ihnen in die Feder diftiren,
was Ste zu ſchreiben haben — fuhr die, alte
grau Fort, indem fie ihre Mordgewehre in die
Taſchen ihres Mantels ſchob. . . . „Ich ....
hreiben Ste Ihren Namen) beſtätige, daß
Bela Lavay em braver, ehrlicher Patriot und
ein guter Soldat tft; Derjenige, welcher das Ge—
gentheil zu behaupten wagt, iſt ein niederträd;:
figer Lügner... .”
— Herrn Burſing ſchien Dies doch ein
wenig zu viel. ..
— Gefällt es Ihnen nicht? — frug die Alte,
in ihren Mantelſack langend. . .
. „Ein nictswürdiger Verleumder‘! — So!
Run wollen Sie Ihren Namen unterfertigen ; die
Herren werden die Güte haben, die Urkunde als
Zeugen zu unterſchreiben.
Nachdem Dies geihehen, faltete ie die
Schrift zuſammen, widelte diejelbe in ihr Sack—
tuh und verbarg fie in ihrem Buſen.
— Nun bin ich zufrieden geftellt. Entſchul—
digen Sie, Herr Kommandant, die Ungelegenheit.
Bas hier geihah, bleibt unter: uns,
Der Kommandant drückte der alten Frau
freundlich die Hand.
14*
— 22 —
— Wenn Ihr Sohn aud „ein jolher Sol:
dat“ it, dann beglückwünſche ich Ste und uns dazu.
Daun gab er feinem Adjutanten die Wei:
Jung, die Dame bis in ihre Wohnung zu geleiten.
Er ſelbſt begleitete fie bis zur letzten Thüre.
Herr Barjing wollte das Geſchehene als
bloßen Scherz gelten laffen, indem er jagte:
— Dieſe Frau ift verrückt, wir müſſen fie
auf irgend eine Art uns vom Halle Ichaffen.
Der Kommandant erwiederte dagegen, daß
es väthlih wäre, wenn Herr Bärfing, die Dunkel⸗
heit der Naht benützend, nod in dieler Stunde
auf gute Manier die Stadt verlaffen würde. . .
Es war bereits ipäte Nacht, als Frau La
vay in der gemeinihaftlihen Hütte anlangte, Die
Ihrigen waren über ihr langes Ausbleiben in
Verzweiflung.
— Wowaren Sie ?! — riefen ihr Alle entgegen.
— In der Feftung !
Man wollte ihren Worten kaum Glauben
ſchenken.
— Damit Sie mir glauben, leſen Sie hier.
Hiebei zog ſie das zuſammengefaltete Papier
aus dem Buſen und reichte es hin.
Während nun die Uebrigen das charalteri⸗
ſtiſche Dokument laſen, ſetzte ſich die alte Frau
an ihr Spinnrad, und begann bei dem Scheine
eines dünnen Talglichtes ihren feinen Faden zu
ſpinnen und ſang leiſe dabei den Pſalm: „Der
Herr iſt meine feſte Burg.“
Andere Beiten
andere Menden.
Roman in vier Bänden.
Bon
Morig Iokai.
. Zweiter Band.
2.
.
Pe,
Druckerei des „Athbenäum”,
| 1869,
Berlin. Berlag von Otto Janke.
Summe ———— — — — — — — — — — — — —
4
Zweiter Band,
— — — —
Wozu ein Lahmer gut if?
Die außerordentliben Zeiten haben alles
Beitandene aus den Angeln gehoben. Wer fonft
mit den Geihiden des Krieges, mit den großen
Exrſchütterungen des politischen Lebens nichts zu
thun hatte, mußte nun in der ungewohnten At:
moiphäre leben. |
Es war dies eine eigenthümlihe Atmo—
ſphäre! den Einen zwang fie, den Wanderftab zu
ergreifen, und ſich während eines einzigen Mo-
notes in vier Städten anzufiedeln, um dann
wieder weiter zu ziehen; — währenddem fie einen
Adern jo an einen Ort feffelten, daß er fi
nicht bewegen konnte.
| Sie brachte Liebende zuſ ammen, verband
und trennte fie ebenio ſchnell; die Braut wurde
an einem Tage zur Witwe, und abermals zur
Gattin.
1%
ie A
Andere Liebende Herzen trennte fie wieder
derart, daß jie nie, auch nur ein Sterbenswörtchen
von einander hörten.
Sie zeichnete den Menihen neue Lauf:
bahnen vor: der Advofat wurde Auditor, der
Richter Monturskommiſſär, der Arzt Chirurg, der
Ingenieur Pionnier ; liederlihe Leute wurden re—
habilitirt, glänzende Zelebritäten unter Die ver—
geſſenen Menſchen gereiht.
Wer hätte es gedacht, wer geglaubt, daß
eine Fran, die man wie gewöhnlich nur bei ihrem
Spinnroden traf, oder mit den heiligen Bude
in der Hand, in ihrem Garten zwiſchen den
Blumen, oder das blonde Haar ihres Söhnleins
fümmend, auf der Gaſſe mit demüthig gelenktem
Haupte, in der Kirche das thränende Auge him—
melwärts gerichtet, daß diefe Frau im Stande
fei, in dunkler Naht mit der Waffe in der Hand
etwas zu erzwingen, was jelbft einem Manne zu
erzwingen, jelten in den Sinn kommt.
Das ſtack damals im Geifte der Zeit.
Die Alte ſprach aber nie etwas über die
Geſchichte, fie ſpann und wirthichaftete ruhig tır
der gemeinichaftlihen Hütte, und hörte geduldig
den Prahlereien Anderer zu.
Hätte e3 einer der Augenzeugen nit er-
zählt, jo würde vielleicht nod heute Niemand
willen, wie die Geihihte zugegangen.
Der- Neihe lernte entbehren, er konnte
Be
nicht zu feinen Einkünften gelangen ; Andere wieder
gelangten zu jo viel Geld, daß fir es nit los
ihlagen fonnten.
Und erft wenn Jemand etwas Dringendes zu
verrichten oder zu erfahren hatte, wie ging es da
zu; wer einen Befehl ertheilte, gehörte einer ganz
andern Welt an, als Derjenige, der ihn zu voll:
ziehen hatte. Wenn einer mit feiner Angelegen-
heit an den gehörigen Ort ging, fand er dort
eine neue Behörde, die ihn nicht kennen wollte,
ging er weiter, um ſich zu helfen, jo fonnte er
ſierch ein, bei jeiner Rückkehr abermals eine an:
dere Behörde zu finden, welde den neuen Stand—
punkt nicht anerkannte.
Suchte man einen Richter, den man unum:
gänglich braudte, jo konnte man bald in Erfah:
rung bringen, daß derfelbe ſich ungefähr in folder
Nähe befinde, als wäre er bei den Antipoden.
Ging man in ein Archiv, um ein Dokument zu
tuhen, jo konnte man ficher fein, daß ſich dieſes
Archiv, auf Wägen gepadt, auf der Reife - be=
findet, dab es wandert von Drt zu Drt, daß «3
vielleiht noch einzuholen ſei, vielleiht auch
nicht. ...
Herr Fertöy verfiel den Unanehmlichkeiten
einer ſolchen bitteren Beſchäftigung, als er feine
Hand nad der Erbihaft feiner Couſine Judith
ausftreden wollte.
— 6 —
Die Frucht reifte für ihn, und doch konnte er
ſie nicht pflüden.
Ueber das Schickſal des Teſtamentes war
niht3 zu erfahren.
Sit es bei der großen Feuersbrunjt vers
brannt, hat es Jemand gerettet, dies zu er-
fahren war eine an die Unmöglichkeit grenzende
Aufgabe.
Fertöy konnte felbſt in die belagerte Stadt
nicht hinein.
Er hatte daher ſeinen Freund Baͤrſing be—
wogen, ſich als Kourier in die Feftung Tenden zu
laffen, und bei diejer Gelegenheit nah dem Te—
jtamente zu ſuchen.
Herr Bärfing betrieb zu dieler Zeit jenes
räthielhafte Handwerk, weldes mit ſehr wenig
Seräuih, aber mit umſomehr Erregungen und
Abwechslungen verbunden iſt, und welches im
Falle des Gelingens jehr gut bezahlt — wein
e3 aber mißlingt, auf jehr kurzem Wege geahn-
det wird.
Es ijt ein altes Ariom der Kriegswiſſen—
ſchaft, daß Derjenige der beſte Spion ſei, welcher
beiden Parteien zugleich Dienſte leiſtet. Welche
er dann beſſer bedient, bleibt ſein Geheimniß.
Vielleicht bedient er Beide gut. Dies gilt im
Krieg ſowie im Frieden.
Herr Baͤrſing befaßte ſich außer den Landes—
angelegenheiten auch mit Privatangelegenheiten.
Sr
Er diente gerne den Lieferanten mit den nöthte
gen Ausfünften, und ging ihnen an Die vanı,
natürlich) ‚gegen gute Perzente.
Herr Buͤrſing mag über die Gefahren, ge:
gen die er anzufämpfen hatte, um indie Feſtung zu
gelangen, erzählt haben was er wollte, jo viel
ſteht jedenfalls feft, daß ihm weder beim Kom—
men, noch beim Gehen jemals ein Haar gekrümmt
wurde.
Mas er jedoh in der Teftamentsangelegen-
beit in der verwüfteten Stadt erfahren konnte,
batte für Fertöy wenig Tröftlides.
Er fand zwar den alten Arhivar, welcher
ebenfalls eine Marktbude auf der Zigeunerwiele
bewohnte, was er jedoh von dieſem erfahren
fonnte, war weniger beruhigend, als was er frü—
ber wußte.
Bei der großen Feuersbrunft hatte man
einige wichtigere Dokumente jhnell in eine eiſerne
Truhe gepadt und diejelbe verfiegelt einem jun—
gen Komitatsbeamten übergeben. Dieſer hatte die
Zrube auf einer Platte nad) Neßmély gebradt,
von dort ging er während der Retirade weiter,
und nahm die Truhe mit fich . . . Wo er danı
dingelommen? ... Was er mit den Volumen:
ten gemad) t? davon mußte Niemand. Möglid),
daß er fi irgendwo unter einem falihen Namen
verborgen, möglih, dak er mit den ungariiden
Truppen berumzog, oder daß er, hart bedrängt,
ee
die eilerne Truhe zurüdließ und die Schriften in
die Winde zerftreute, oder daß er diejelbe ver:
graben, oder in die Donau geworfen hatte; es ift
auch möglih, daß er fie noch immer behütet, es
gehört aber auch nit zu den Unmöglichleiten, dag
fih das Teſtament gar nicht unter den geretteten
Schriften befindet.
Dieje ungewiffe Nachricht war ſchlechter, als
die ſchlechteſte Gewißheit.
Denn wenn das Teſtament verbrannt wäre,
ſo könnte fih ein kluger Menih noch helfen;
wenn es aber vorhanden ijt, wie es aufzufinden ?
Auf diefem Wege konnte daher Bärtıng
jeine Forihungen niht mehr fortiegen ; denn
wenn fih der Hüter des Dokumentes bei der
Armee befand, konnte er ihm dahin nicht folgen.
Er hatte gute Gründe, ſich von dieſer in hübjcher
Schußweite zu halten.
Einjt begegnete Bärfing in Debreczin einem
alten Befannten, deſſen Namen er jedoch ver—
geſſen hatte.
Diejer war auch einer der Beiliger des, Ti—
ches der öffentliden Meinung.“ |
So wurde nämlid ein großer, runder Tiſch
im Kaffeehauje der Herrengaffe genannt, an wel:
chem fih alltäglich Morgens Redakteure, Kritiker,
Advokaten, Aerzte und jonftige Zelebritäten einzu—
finden : pflegten. An diefem Tiihe las Pußtafi
feine zündendften Gedichte vor, welche niemals im
*
u
Drude erihienen, hier wurde über Louis Blanc,
Michelet, über die Vollsfouverainetät debattirt ;
bier hielt“ ein junger Mann mit ſtark pochendem
Herzen binreißende Reden; hieher famen Vize—
geipäne, Reichstagsredner, Ipätere Minifter, ihren
Imbiß einzunehmen; bier floß allabendlid eine
Ichhafte Diskuffion über Klaſſizismus und Ro=
mantik; von bier aus gingen Beifall und Ziſchen
juerft gegen die Helden und Opfer der Bühne,
dann der Rednertribüne und des Schlachtfeldes ;
deshalb murde jenem runden Tiiche der vielia=
gende Name: „Tiih der üffentlihen Meinung”
beigelegt. Biel Tragikomiſches und Komiſches
jener Zeit nahm jeinen Ausgang von dieſem
Tiſche.
Diejenigen, die ſich dort jeden Tag zu be—
gegnen pflegten, kannten einander perſönlich ſehr
wohl, ohne daß ſie gegenſeitig nach den Namen
geforſcht haͤtten. Es bildete ſich mit der Zeit eine
Art Kollegialität unter ihnen heraus. Die Theil-
nehmer hielten die Verſammlung für eine ordent=
ih konſtituirle Körperſchaft.
Herr Bärfing machte hier die Bekanntſchaft
eines Heinen, lahmen Fünglings, der an dem
Diſche der öffentlihen Meinung ordentlihen Sig
hatte, den die Uebrigen Doktor titulirten und für
einen guten Zungen hielten, der ein fühner So—
zialift war und außerdem, jo oft er Gelegenheit
fand, den Hörern der Tafelrunde den Einfluß der
— Ad.
Chemie auf die ei eindringlid
demonftrirte.
Mir find Ddiefer Kleinen Figur Ihon zwei
Mal begegnet ; ein Mal, al3 er an jenem denfwürz
digen Tage Judith den NRegenihirm anbot, das
zweite Mal, da er als Zeuge bei der Trauung
Judith's und Bela’s anmelend war. Es iſt unſer
Freund Melchior Glanz.
Wir dürfen ihn in Wahrheit unfern Freund
nennen, denn er tft ein mwaderer Junge. Eine
gerade Seele in einem gebrochenen Körper.
Wozu it im Leben ein frummer Menſch
gut, den im zarten Alter die Amme fallen ließ
und der nun wegen des einmaligen alles. Das
ganze Leben hindurd hinten muß.
Spielen andere Kinder, jo muß das lahme
Kind ſeitwärts figen und dem Spiele zuſchauen,
theilnehmen darf es nmiht daran. Wenn das
junge Herz mädhtig poht im Sturm der Ge:
fühle, wenn die Genoffen nahjagen der Liebe des
Meibes, jo muß er zu Haufe figen; er wird nie
mals Tänzer, niemals Herzensftürmer werden —
er ilt lahın. Und eröffnet fih das Feld männ—
liher Thaten, und jtreifen Arm und Derz des
Mannes den Starrkrampf der Lethargie ab, da
ftürmen die Uebrigen dem Rufe der Kriegspofaune
nad, offen liegt vor ihnen der glänzende Pfad
des Ruhmes; er aber muß zu Haufe bleiben, aus
Ihm kann fein Krieger werden — denn fein Fuß
iſt gelähmt.
Kann man alio den lahmen Menihen durch—
aus nicht benügen? Konnte die ftiefmütterliche
Natur es nicht jo einrichten, daß ſie dasjenige,
was jie den Küken vorenthält, duch das Gehirn
eriegt ? Konnte fie ihm nicht Flügel, Flügel des
Heftes verleihen ?
Mar Tamerları nicht ebenfalls lahm, und
fimpfte er nicht trogdem gegen eine ganze Melt ?
Und was Byron niht lahm, und kämpfte ev nicht
tropdem gegen die Götter jelbit ?
Die Welt war aus den Angeln gehobeıt ;
jder Menih kämpfte mit anderen Waffen, als
worin er geübt war. Melchior fühlte ſich zu Au—
fang des großen Jahres unſaͤglich verlaſſen,
wenn er jeden Morgen ganz allein an dem „Xifche
der öffentlichen Meinung“ ſaß und nur felten einen
Nahbar fand, der ihm eher zum Gehen als zum
Bleiben Anlaß gab.
Seine einzige Freude bejtand darin, daß er
jeden Nachmittag Judith beſuchte und ihr erzählte,
was er in den Zeitungen las.
Judith Hatte lange von Bela niht3 gehört.
Das hatte jeine natürlihen Urſachen.
Melchior jah, wie das ſchöne junge Geſicht
täglich bleiher wurde. Eines le jagte er zu
Judith :
Fe, —
— Geehrte Frau, Sie find krank, warım
laſſen Sie ſich nicht heilen ?
— Für mein Leiden gibt es feinen Balſam.
— Aber ich weiß, daß es, und wo es einen
gibt; ich werde ihn auch holen. Das Heilfraut
für Sie wädit in Béla's Fußipuren. Ic
gehe, um Bela aufzujuhen und bringe Ihnen
Nachricht von ihm.
Judith lächelte zu diefen Worten, und
Meldior wäre für diefes Lächeln auch in den
Mond gereift.
Er ließ fih eine Krüde maden, die in=
nerlich hohl war, und plöglih verſchwand er aus
der Stadt.
Nah Wochen kam er wieder zurüd. Wo
er war, was er ausgerichtet — das ſagte er
Niemanden. Sein ad) war die Augenheilkunde,
und fo erzählte er, er habe Jemanden auf dem
Lande den grauen Star gefloden.
Judith war nun nit mehr fo blaß. Bon
Bela erhielt fie nın auch Briefe, welde alle in
der hohlen Krüde des Heinen Lahmen angelom-
men waren.
Herr Bärfing traf alſo an einem Tage mit
Herrn Meldior Glanz auf dem hölzernen Trot-
toit Debreczins zufammen.
— Ab, guten Tag, Eitoyen, was bringt Sie
bieher ? |
| Melchior wollte fih nah einem flüchtigen
we HE
Gruffe losmachen; allein Herr Bärfing ergriff fo
ſehr die Freude des Wiederiehens, dag er ihn
niht davon ließ, fih an feinen Arm hing, und
ihn überall hinbegleitete, wo er nur gehen wollte.
— Ich bin nah Siebenbürgen zu einem
großen Herrn gerufen — log Meldior — id
tom bieher, um mir einen Paß zu verihaffen.
— Den werde ih Ihnen ermitteln. Wie
lange bleiben Ste dort ?
— Bis id) vom Erfolge meiner Operation
überzeugt jein werde.
— Und gehen Sie von bier dann wieder
nad) Peft? Wie ftcht es dort... ? Sprechen Sie.
Melchior's kluges Auge hatte es ſchnell ein=
geiehen, dag eine übertriebeng Zurüdhaltung nur
Argwohn erweden würde, deshalb erzählte er mit
großer Dffenheit allerlei Geſchichten, unter dem
Siegel des Geheimniffes, welhe man theils in
den Blättern leſen konnte, oder welche er ſoeben
erit erdichtet hatte,
Barling ließ ihm jo lange feine Ruhe, bis
er ih von ihm in jeine Wohnung Ichleppen lie.
Zu jener Zeit war es ohnehin ſchwer, in dem
großen kalviniſchen Jeruſalem ein Nadhtquartier
ju befommen, denn jedes Winfelhen war bereits
überfüllt von berühmten Männern und ihren An—
gehörigen.
— Was millen Sie, Citoyen, von deıt
Mitgliedern des „Ziihes der öffentlihen Mei-
ae TE we
nung ;* — von den guten alten Kameraden; wo
ft Rußtafi? wo Lavay? wohin ift der Heine
Stotternde gefommen ?
Melchior erzählte, was er wußte, und aud)
Mandes, was er nidt mußte.
— Sie maren Ihon öfters Hier, nidt
wahr? .. Gut, gut, ih weiß ſchon, das tft ein
Geheimniß, werte es auch Niemandem berrathen.
As ih Sie in Vet kennen lernte, gingen Sie
noch ohne Krücke! ...
— Mein Fußübel hat ſich ſeitdem ver:
ihlimmert.
— Ich meh und glaube es. Mit der
Krüde iſt es leichter zu gehen. Dod, wie leicht
dieſe Krücke ift, als wäre fie inwendig hohl. Mit
einer ſolchen hohlen Krüde fünnte man Jeman—
dem gute Dienfte leijten. Darin hätten verichie:
dene Berihte und Landkarten Platz! Nicht wahr ?
Ha ha hal... Ich weiß übrigens von Nichts
und habe über Nichts geſprochen...
Melchior lachte, wie Einer, deſſen Räthier
man gelöft hatte.
— Darin hat genug Pla.
— Und Niemand kann auf das Geheim—
niß kommen.
Hierauf lachten Beide.
Bärfing war über die Aufrichtigkeit ſeines
u 1 2
Saftes entzüdt, und machte din Vorſchlag, ein=
ander zu dutzen.
— Du bift ein großer Schelm. Du fteigjt
niht nur in Stebenbürgen, fondern auch anders=
wo herum. Warſt Du nod nicht bei der oberen
Armee ?
— D! wie oft Ion.
— Haft Du dort niht einen Komitatsbe—
amten gejehen, der mit einer großen, verjiegelten
eiſernen Truhe der Armee nadhzieht ?
Melchior dachte ein wenig nad, und ant—
mortete, daß er ihn geiehen habe.
— Könnteft mir einen großen Dienft er=
weiien, Brüderhen. Wenn Du wieder hingehit und
den Mann trifft, verſuche es, aus ihm heraus
jubringen, ob unter den Schriften, welde beim
Brande gerettet wurden, ſich niht etwa ein Te—
fament befinde, welches ein gewiſſer Hargitay
dort deponirt hatte ?
Melchior gerieth über diefe Worte in. Zorn.
Er kannte ja jeit lange ſchon das Geheimniß die-
ſes Teftamentes, was jedoch Bärfing nicht ahnen
Ionnte ... Mit der Freundihaft war es plüß:
lich aus.
— Mein Herr, geben Sie mir meine Krücke
zurück. Dante Ihnen für's Quartier ; id) werde
Ihnen zu feiner Intrigue die Hand bieten, melde
gegen Lavay und deſſen Gattin gerichtet ift! .
Nah diefen Worten entrig er feine Krüde
sa 30 un
den Händen Baͤrſing's und ließ ihn als Beute
feiner eigenen Verwunderung zurüd.
Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß man
auch im Denken lejen fünne.
Bärjing Jah dem davon etlenden Lahmen
durchs Fenſter nad, und drohte ihm mit der
Fauſt: Das ſollſt Du nod bereuen,
Meldior verließ Debreczin noch an dem-
jelben Abend.
Es gilt: vor den alademiihen Gelehrten
der Kriegswillenihaft als eines der wichtigſten
Probleme, wie zwei an berihiedenen Punkten
operirende befreundete Feldherren einander über die
einem Dritten vorzubereitenden Ueberraihungen fid
verftändigen fünnen. |
Der menihlihe Geiſt hat Vieles in diejer
Gattung erfunden, ohne fi erihöpit zu haben.
Zamerlan ließ die Nachrichten, die er von
einem Ende Aſien's nad) dem anderen endete,
auf den glattrafirten Kopf des Boten ſchreiben;
auf dem langen Wege wuchs dieſem das Haar
und verdeckte die Schrift; an Ort und Stelle
angekommen, wurde das Haar kurzgeſchnitten, und
man konnte die Schrift leſen. — Ali Telepenti
ſandte aus Janina feinen Bundesgenofien Nach—
richten, welde er auf gejottene Eier mit chemiſcher
Tinte geichrieben hatte. Von Außen war nichts
fihtbar, als man jedoch Die harte "Schale zer:
ae IM Un
ihlug, war die Schrift auf der inneren Haut
fihtbar. Auch ift es hiſtoriſche Thatſache, daß der
zuffiihe General Sch. . . bei der Belagerung
Siliſtria's zum damals jehr in der Mode gewe-
fenen Erpediens der Klopfgeifter griff, un geheime
Kriegsoperationen zu erfahren.
Ein um jo größeres Berdienft ift es, ſolche
Nahrihten pünktlih zu überbringen, je grö-
Ber die Hinderniffe, je verwidelter die Situation
und brennender die Gefahr it, durch welche ſich
der Betreffende durchzuwinden hat, wenn über-
haupt aud der Feind geihidt und wachſam iſt.
Der beängftigendfte Fall ift, wenn die Nach—
rıht gerade in die Hände des Feindes geräth! Da-
rum pflegt man dafür zu forgen, daß jelbft in
diefem Falle der Feind den Inhalt nicht verftehe.
Die einfachſte Nahriht wäre freilich die
wörtlihe, weil fie in der Zunge des Boten ver:
borgen ift! Wie, wenn es aber diefer Zunge ein=
fällt, zum VBerräther zu werden! Es gibt große
Dinge, die man der Ehre eines Einzelnen nicht
anvertrauen fann.
Man benügt daher eine geheime Schrift hiezu.
Es gibt verihiedene Gattungen von gehei-
men Schriften, es gibt aber auch verichiedene
Menihen, deren Aufgabe es tft, diefe Schriften
leſen zu können; ſolche Leute find jehr geübt und
ſchlau. Sie drehen und wenden die Worte jo
lange, bis fie endlih den Schlüffel BE
Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Band.
eu IB: su
Eine jede Sprade hat Heine, aus zwei,
drei Buchſtaben beftehende Wörter, als da find
‚und‘, „der“, „ja“ u. ſ. w.; nur eines Dieler
allein ftehenden Wörtlein ift zu errathen, und
man hat den Schlüflel.
Es gibt aber aud) eine Gattung der Ge—
heimſchrift, deren Schlüffel, troßdem daß er jehr
einfach, nicht aufzufinden tft.
Die Buchſtaben des A-B-E werden zweimal
niedergeihrieben, in gleihen Zwiſchenräumen, auf
zwei jeparate Papierftreifen.
Das Wort, weldes den Schlüffel zu fol
her Schrift gibt, wiffen nur ihrer Zwei, der Auf
geber und der Empfänger, der Bote jelbit hat
feine Idee davon, und geriethe er auch in Fein:
des Hände, jo hat doc der Feind feinen Nutzen.
Wenn man mın 3.8. das Wort Helion
als Schlüffel gebraudt, und bei dem oben be-
ihriebenen doppelten Alphabet anmendet, Tann
man aus folgenden Buchſtaben:
„nacut zb klbvlblznczju cbkixnoa* — den
ungariihen Sat herausbringen: „Guyon, der
neue Feſtungskommandant, it auf dem Wege“;
ohne jenen Schlüffel bleibt aber das Ganze ein
finnlojer Buchſtabenhaufe.
An einem ſpäten Märzabende humpelte ein
fimpler Bauernwagen in eine jener Ortſchaften,
= 16: =;
welche der weltberühmten Feſtung Komorn gegen=
über am andern Ufer der Donau liegen. Dieje
Drtihaft jtand unter jehr guter Sontrole.
Ein erfahrener alter Douanier hatte die
Reiſenden zu durchſuchen. Seine langjährige
Uebung hatte ihn mit al’ jenen Schlihen und
Kiffen bekannt gemacht, welche gewiſſe Leute zu
gebrauchen pflegen, um bei Ueberſchreitung der
Grenze die Augen der Behörde zu blenden. Pu—
del mit Doppeltem Kell, deren oberes feine Spi—
Gen birgt, Säuglinge aus Blech, worin man
Spiritus ſchwärzt, Fälfer mit doppeltem Boden
zum Transporte von Pulver, Stiefel mit Doppel-
johlen, worin man Briefe verwahrt u. ſ. mw. find
für unſern Douanier lauter längſt befannte Er:
findungen, welde für ihn gar feinen Werth hat-
ten; er durchkreuzte die Abfichten eines Jeden.
Der erwähnte Bauernwagen hielt vor dem
Paßviſirungsamte. Ein Kleiner, hinlender Mann
Hetterte aus demielben, welder mit großem Selbit-
vertrauen fid der Durchſuchung unterwarf; nur
ihien er auf feine Ihmwarzladirte Krüde befonders
eiferfüchtig zu fein.
Der Douanier durchſuchte den Reiſeſack,
und fand nichts Verdächhtiges. Der Reijende aber
fehrte mit raſcher Bereitwilligfeit feine Säde her—
aus, übergab jeine Brieftaihe und hatte wäh
tenddem feinen Krückenſtock an einen Stuhl gelehnt.
2%
ze. 96; u
Den Augen des Douaniers begann Diele
Krücke ſehr zu gefallen.
Er nahm fie in die Hand, und lächelte ftill
dabei.
— Leicht, jehr leiht . . . als wäre es in—
wendig hohl! ...
Bei diejen Worten blidte er durch feine
Brillen ſcharf in die Augen des Reiſenden.
Der Reiſende war Melchior.
Er antwortete ruhig:
— a, die Krüde ift inwendig hohl...
— Zu melden Zwede iſt fie ausgehöhlt
worden? — frug der Douanter mit graufamen
Seitenblide auf Meldior.
Dieler näherte fi) ihm und flüfterte leiſe:
— Nicht jo laut, mein Herr, ih halte mein
Geld darin. Denn wer mid) immer auf dem Mege
ausrauben möchte, jo würde er mir doch meine
Krücke laſſen.
Der Douanier lachte über den Einfall.
— Der Stock iſt wohl zum Auseinander—
ſchrauben?
— O ja. Wenn man oben die Krücken—
lehne und unten die Meſſingkapſel herabſchraubt,
ſo legt ſich das Ganze wie ein Etui auseinander.
— Wollen Sie jo gefällig ſein, es mir zu
zeigen ?
Melchior war alliogleih bereit und legte
an. DL > a
den Stof auseinander; es fielen zehn Stüd Hun—
derter-Noten heraus, ſonſt nichts.
Die Hunderter waren alle ſchön neu und
nur wenig zerdrüdt.
Der Douanier fagte mit großer Bonhomie,
dab es ein guter Gedanke jei, das Geld im
Stode zu verbergen; er machte fi übrigens an-
bötig, Die zehn Stück Hunderter bei der Haupt—
kafſa auf einen Tauſender einzuwechleln, dann werde
das Geld nod) leiter zu verbergen jein.
Meldior dankte und ging den Bor:
ihlag ein.
Die Hunderter waren dem Douanier ver—
dächtig.
Nicht als wären ſie falſch, ſondern es
könnte etwas auf deren Rückſeite geſchrieben ſein,
denn manches Papier, das ganz weiß zu ſein
ſcheint, verbirgt eine Schrift, die über Leben und
Tod entiheidet, die Buchſtaben kommen und ver—
ihminden wie auf einen Zauberichlag.
Es gibt jedoch erfahrene Männer, die mit
ihren chemiſchen Reagentien jelbjt dem leeren
Blatte jein Geheimniß eitreißen.
Melchior wurde bedeutet, er möge im Gajt-
hauſe warten, bis man jeine Hunderter gewechſelt.
Es ſei übrigens ohnedies ſchon zu ſpät, um einen
Vorſpann zu bekommen.
Mekchior ging auch auf dieſes ein und ließ
fih im Hafthauje ein Zimmer geben. Wenn er
aus diefem Zimmer durch's Fenſter auf die Gafle
oder dur die Thüre auf den Gang binausblicte,
To Eonnte er bier und dort Finanzwächter in grauen
Mänteln gewahren, die vielleicht zu ihrer eigenen
Unterhaltung auf und ab gingen.
Diefe Leute fümmerten unjern Meldior gar
nichts. Er konnte ja ruhig fein. Auf dem Rüden
der Hunderter ftand nichts geihrieben, jomit konnten
fie auch nicht verdächtigt werden.
Mo hat er aber dann die ihm übergebenen
Nachrichten Hingethan ?
Er hat fie im Gehirn aufbewahrt, indem
er jie auswendig lernte.
Einen ganzen dichtgeihriebenen Brief, be—
ftehend aus folden Worten: „nacut zle klobl-
blzn-erjn ebkix noa‘ hatte er einftubirt und
nit einen Buchſtaben davon ausgelafien. Dann
verbrannte er den Brief.
Dies war feine Heine Arbeit.
Mir haben jedoch bereits erwähnt, daß die
Natur dem Lahmen im Kopfe das eriekt hatte,
was fie ihm am Fuße nahın....
Das Nahtmahl wollte Meldior im gemein:
Ihaftlihen Speiiefaale nehmen. Kaum konnte er
Plat bekommen, der Saal war voll mit meiſtens
bewaffneten Gäften. Mit harter Mühe hatte man
ihm Plag gemacht.
Mit den Nahtmahl ging es jehr knapp ber.
Früher angelommene Säfte, mit vortrefflidem Ap-
petit, hatten alles Eßbare aufgezehrt.&s war nur
noch die Wahl zwischen Brod und Käfe.
— Haben Sie meder Hühner, noch Gänſe,
oder ſonſtiges Geflügel im Haufe? — frug Mel:
chior den fid fortwährend entihuldigenden Wirth.
— Was man in der Frühe bringt, das
geht bis zum Abend auf. ES bleibt uns nichts
am Halle.
— Tauben haben Sie aud nit?
— Tauben? — jagte der Wirth, den Fra—
genden ſcharf betrachtend, — aud) Dieje find ſchon
alle aufgegangen. Keine einzige mehr am Boden
— Und dod) jehe ich in jenem Käfig, dort
an der Wand, deren gegen ſechs Stüd.
— Ad, Herr, das find theure Tauben mit
Pfauenſchwanz; jehen Sie? Ih halte fie nur
der Rarität wegen im Zimmer,
— Vielleiht „Lünnen fie ſogar ſprechen ?“
Auf diefes Wort lüftete der Wirth feine
Mütze und jagte:
— Ich würde feine billiger als um zehn
Gulden geben.
— Ich aber gebe die zehn Gulden, denn
mid) Hunger. Zum Henker, ih muß Braten
haben !
Die übrigen Gäfte lahten darüber, fanden
e3 aber Schließlich doch nit für gar jo ſonderbar.
=. Si =
Es zab unter ihnen Manden, der während des
Feldzuges zehn Gulden für eine Schüfſel Kuku-
ruzbrei gab. Hungrige Leute zahlen gut.
Der Wirth hielt die flahe Hand Hin, um
das Geld in Empfang zu nehmen.
Melchior aber nahm aus feiner Börje eine
Zehn-Gulden-Note und reidhte fie ihm hin.
Auf die Reversjeite diejer Note war die ganze
Nachricht mit Heinen Buchſtaben, die mit feinem
Bleiftifte geichrieben waren, verzeichnet,
Melhior halte fie während der Zeit ges
Ihrieben, Die er zum Waſchen benützen jollte.
Der Wirth nahm ſogleich eine der Tauben
aus dem Schlage, und zwar eine der fchünften,
mit ſchillernden Federn, fächerartigem Pfauenſchweif,
ſchneeweißen Flügeln und ſchönem, flugem und
ihlanfen Kopfe. Wie ichade, dieſe Taube zu
tödten,
— Wird dieſe gut fein? — frug er Melchior.
— Nur raid), denn der hungrige Magen
vertreibt alle Sentimentalität.
Der Wirth trug darauf die Taube in die
Küche ; dort band er im Dunkeln die erhaltene
Banknote mitteljt einer feinen Schnur der Taube
unter die Flügel, dann ftreihelte er fie, liebkofte
fie und hielt fie zum Fenſter hinaus,
Die Taube hob den Kopf in die Höhe,
ſchlug einigemale wie verjuchsweile mit den Flügeln
ihmang fi hierauf raid) empor und ſchoß dann
a
pfeilfchnell über den Strom den verjtümmelten
Stadtthürmen zu.
Der Wirth ſchaute ihr nad, jo lange erjie
im Auge behalten fonnte, dann ftieg er vom
Balken herab, holte eine andere Taube und lieh
fie braten; als fie zubereitet war, ſetzte er fie
Meldior vor.
Seht wußten aber bereit3 alle Anmwejenden
um den Spaß, daß nämlih die Taube ausge-
tauſcht wurde.
Dem Wirth wurde die Sade unangenehm,
und er beſchloß, die Leute irre zu führen. Wie
in einer Anwandlung von Großmuth nahın er
eine Zehn-Gulden-Note aus der Taſche, reichte
fie Melchior hin und fagte:
— Damit der Herr nit glaube, dag man
in diefem Wirthshauje betrogen wird, To möge
der Herr wiſſen, dab ich nicht die Taube mit dem
Pfauenſchweif gebraten habe, jondern eine an—
dere, Die nur zwei Zwanziger fojtet; hier find
Shre zehn Gulden.
Jedermann war von der Gewiſſenhaftig—
feit des Wirthes Hingeriffen. Melchior reichte ihm
die Hand, die Jener herzlid) drüdte.
— Die Taube, die „ſprechen kann“, ift
aljo gut aufgehoben? — fragte Meldyior mit be=
ſonderem Nachdruck.
— Ja wohl Herr, ſie iſt gut aufgehoben, —
verſicherte der Wirth.
a I
Melhior verblieb noh eine Weile in der
Stube, begab fih danı auf fein Zimmer und
ging zu Bette.
Zeitih Morgens ſuchte ihn der Zoll:
fommifjär auf und gab ihm lächelnd die tau—
jend Gulden zurüd.
— Gie fünnen weiter reiten, mein Herr,
es iſt Alles in befter Drdnung.
— 63 freut mid, — entgegnete Meldior.
Er wußte, weshalb er fi) eigentlich freute,
Ein „altes Haus“.
Mir ift’?, als wär! ich ein Taucher, der
auf dem Meeresgrunde fi) bewegt, dort oben
tobt vielleiht der Sturm; Himmel und Meer
umarmen einander, und märhenhaft riefige Un—
gethüme schlagen mit ihren Fittigen auf einan—
der 103; vielleiht mengt aud eine menschliche
Stimme ſich in des Sturmes Braufen ; Kanonen=
donner, das Krachen zertrümmerter Maftbäume
und geicheitertev Galeeren, der Todeschor der
Mannihaft untergehender Schiffe? ... Bier
unten ift Alles till; der Taucher jammelt die
Nufheln, worin die Perlen wachen; er wandelt
jwiihen den Thierpflanzen des Meergrundes, und
erit, wenn er im Walde rother Korallen einen
jerbrohenen Anker, eine im Moos verjenfte Ka—
none findet, oder einen Todten, deſſen Züge ihm
befannt vorkommen, erjt dann denkt er an das,
was über ihm vorgeht, und bis er wieder an die
Oberflähe taucht, um friihe Luft einzuathmen,
2 DR m
hat der Sturm vielleiht ausgetobt und iſt wie=
der Alles glatt und ruhig. Der fieghafte Sturm
ift weiter gezogen, das befiegte Meer hat fich
beruhigt — was zertrümmert wurde, iſt unter=
gegangen . .
Wieder befinden wir uns in der eingeäſcher—
ten Stadt; jegt aber jehen wir die Ruinen nicht
mehr, denn Frühling iſt's und die Bäume ftehen
voll Blüthen.
Jedes Haus ift mit Härten und Bäumen
umgeben; ein weißer und rofiger Blumenwald
verhüllt die rufligen Balken, und auf den Mauern
Iprießt grünes Gras.
Und als ob die Pracht, melde die Natur
ausgegofien, nicht genügen würde, jind die gebor=
jtenen Mauern noch mit Fahnen und Maibäumen
ausgeſchmückt; dieſesmal waren es die Freuden
zeichen wiederlehrenden Schaffens, nachdem die
Zerſtörungswuth vorübergetobt.
Die ganze Stadt bildet einen Garten; die
Straßen find durch Bomben aufgeadert und mit
Eifeniplittern bejäet; die offenen Plätze find mit
grünender Haferfaat bededt.
Auf einem der Hauptpläge ftand ein alter
Alazienbaum; eine Bombe jpaltete ihn entzwei
und bohrte fih in denjelben ein. Der Baum
trieb trogdem Blüten, und Jemand hat gerade
in die Deffnung der eingeleilten Bombe die Stange
der Trikolore gejtedt.
— DU
Die Kinder Eletterten auf die blühenden
Bäume und die rufligen Mauern, dort jubelten
und fangen fie.
Ein einziger Thurm blieb wie duch ein
Wunder verihont ; die Kirche aber war abge=
brannt, und es foftete viele Mühe, in den Gloden-
thurm zu gelangen; gleihwohl wurde jeit frühem
Morgen zum Fefte geläutet — aber vielleiht war
es nicht einmal ein Feittag.
In den Straßen mogte die Volksmenge,
wie am Srohnleihnamstage, und alle Welt kannte
einander, und Niemand hatte eine lage oder
Beihmerde, und fragte man Einen: „Was
Neues?“ jo war die Antwort: „Sehr gut“.
Das war der Tag, an welchem die Entſatz—
armee ihren Einzug hielt. Wer vermöchte aber
Zraumgefihte treu wieder zu geben? Der erite
Reiter, der über die Brüde jprengte, wurde mit
einem Wegen von Blumenfränzen überſchüttet.
Dann die Mufitbande, welde die ſeit Langem
unterdrüdte, im Geheimen gejungene Weile
ipielte ; die Soldaten, die bei Trommelwirbel mit
glänzenden, freudeftrahlenden Gefichtern, aber
zerriffenen Kleidern die Ruinen entlang marſchir—
ten ; die Freude der Väter, Mütter, Geſchwiſter
und Geliebten, die ihre Theueren wieder erfen-
nen; das jelbjtvergefiene Toben und Jauchzen,
J
das von jeder Mauer herabtönt; das Bild, wel—
ches die gebräunten Geſichter, die Bekannten, die
fid) unter die Truppe gemengt; die Damen, welche
die Fußſpuren der Soldaten füffen, die Mädchen,
die fih vor die Roffe werfen — wer fann dieſes
Bild beihreiıben ? E3 führt zum Wahnfinn.
Eine andere Feder, eine andere Hand, ein
anderer Geift, eine andere Luft iſt nöthig, "um
dies verjtändlih zu machen.
Alter Schmerz ermahnt meine Hand, fieber-
hafter Schwindel meinen Kopf, die Sorgen lan
ger Jahre ermahnen mein Herz, und langjährige
Erfahrungen meine Feder, ruhig zu Ichreiben,
denn aufregende Sahen taugen nit für den
franfen Mann.
Fort daher mit dem aufregenden Bilde ; es
ift ohnehin ſchon längft vorüber.
Fern von dem Lärm der Hauptitraßen, in
jenem Winfel der Stadt, welchen das Feuer nicht
eingeäihert, ftand zu jener Zeit ein Haus von
alterthümliher Bauart. Es wurde zu Zeiten des
franzöfiihen Krieges erbaut. Die Fenfter find mit
eifernen Gittern verjehen, und die Vorhänge find
herabgelaſſen. An dem Thore ift das Zeichen
der Salve guardia faum mehr fihtbar. Zu bei-
den Seiten des Haufes waren Gärten angelegt,
deren Obftbäume ihre dürren verftümmelten Aefte
über die Umzäunung binausftreden.
= IE
Diefes Haus gehört dem alten Major
#
Kolbay.
Der Alte iſt noch immer das „alte Haus.“
Sein Haus ſchmückt keine Fahne; wenn auch Alles
fh zum Fliegen anſchickt, jo ſteckt doch aus ſei—
nem Haufe fein Menſch den Kopf auf die Straße ;
die Fenſter jeines Hauses find nicht geöffnet ; nicht
einmal von den Bäumen feines Gartens fielen
Blumenblätter auf die Straße, als der Zug vor:
überging. Thor und Fenſter blieben geichloffen.
Diejes Haus brannte nit ab, und Kolbay
entfernte ſich nicht daraus während der ganzen
Dauer der Belagerung.
Seine Nahbarn verließen ſämmtlich ihre
Häufer, Denn am meiften war diejer Theil von
den Bomben bedroht; er jelber befam feinen
Dienitboten, der die Schrednifje des dortigen
Aufenthaltes hätte ertragen fünnen, dennod) ver-
ließ er nit das Haus,
Vierzehn Bomben fielen in Hof und Garten ;
feine einzige zündete, fie richteten nur an den
Bäumen Schaden an. Wer fih manchmal dahin
berirrte, fonnte jehen, wie der Alte die bon den
Bomben verlegten Baumzweige abjägte und die
Wunden mit Lehm verflebte.
Einige jeiner alten Freunde beſuchten ihn,
um ihn zu bewegen, daß er da? Hars verlafie
und in die Feſtung ziehe,
ir 339. Ze
Diefe fanden ihn zur Nachtzeit am Fenjter,
wie er mit großem Gntzüden Die feurigen Ge—
ſchoſſe betrachtete.
„Sie Schießen herrlih“, pflegte er dann zu
feinen Bekannten am Fenſter zu jagen.
Wenn eine Bombe oben in der Luft plaßte,
jo machte er die Leute aufmerfjam, fih auf die
andere Seite zu ftellen, weil die Splitter nad
allen Richtungen hin flogen; er ſelbſt aber ent-
fernte fih nicht vom Kenfter.
Brachte dann Jemand vor, dab es denn
doch gut wäre, wenn er das alte Eulenneft ver:
ließe, dann unterbah er ihn vajch mit den Wor—
ten: „Die Kriegswiſſenſchaft ift eine ſchöne Wij-
ſenſchaft.“
Darauf ſchlug er den Belannten das Fen—
fter vor der Nafe zu, ließ die Vorhänge herab,
und ftand um feinen Preis mehr Rede.
So durdlebte der Menſch ver alten Zeit
die Vorgänge der neueren Zeit.
Als fih der Lärm des Einzuges gelegt,
näherte fi) dom Feſtungsrayon her ein junges
Paar dem verihloffenen Haufe: eine fchüne,
junge Dame am Arme eines hübſchen Offiziers.
Die Dame flammerte fih mit beiden Händen an
den Arm ihres Begleiters und ſchien ebenio zu
flattern, wie das leichte Tuch, welches der Dffi-
zier am rechten Arme trug. Es war hei —
drinnen und draußen.
ie 8
Als fie dor das Kolbay'ihe Haus gelang:
ten, legte die junge Dame ihre zarten Finger auf
die Lippen, womit jie-ihrem Begleiter Schweigen
gebot, und jhaute dann durch die große Spalte,
welche am Thore gähnte, in den Hof; nad einer
Meile langte fie nah dem Klopfer und Elopite
ſtark an das Thor.
Sie mußte jedoh noch zwei Mal klopfen
und zwei Mal Hineinipähen, bis drinnen eine
mürriſche heilere Stimme frug: „Na, wer ift's,
was will man?“
— Ich bin es, — ſagte die Dame mit
wohlklingender neckiſcher Stimme, — ich bin cs,
Seraphine!
— Das ift was Anderes — brummte
drinnen etwas bejänftigter der zahnloſe Löwe,
und bald hörte man feinen ſchweren, ſchleppenden
Tritt und das Kreiihen des Schlüffel3 im roftigen
Schloſſe. As das junge Paar durch die ge—
öffnete Thüre verihwand, fiel diefelbe von felbit
zu; Kolbay hatte jih das ſchon jo eingerichtet.
Der alte Invalide betrachtete jih Den
jungen Dffizier, weldyer in feinem rothbeihnürten
braunen Attila mit goldenem Kragen, worauf die
Abzeichen eines Oberſten angebracht waren, vor
ihm fand.
— Ich habe die Ehre, meinen Bräutigant
vorzuftellen, — jagte Seraphine furz und bündig
und ſchmiegte fi) dem fteifen alten Herrn näher an.
Andere Zeiten, andere Menihen. IL. Band. 3
— —
— Ich bitte, id) bitte .. ſprach dieſer abs
wehrend ... . berühren Ste meine Schulter nicht,
verurfaht mir Schmerzen... Auch meine Hand
nit, Ihmerzt mich aud. . Sie willen ja, daß
mir alle Glieder wehe thun. Sind alte Wunden,
die ich bei Vertheidigung des Königs und de3,
Baterlandes erhalten. Diele Wunden, breden auf
überhaupt zu „ſolcher Zeit“... . im Frübjahre.
— Erkennen Sie ihn niht? — frug Sera:
phine mit ſchelmiſchem Lächeln, den jungen Dann
näher an den Alten ziehend.
Diefer ſtemmte fein Sinn auf die hohe,
härene Kravatte und antwortete mit trodener
Kürze:
— Habe niht die Ehre.
— Ich bin Robert Zeleji, — ſagte nun der
Dffizier jelbit, mit feiner bekannten Freundlichkeit.
— Habe nit die Ehre gehabt.
Hier war es erjihtlih, das die Bekannt—
ihaft nit zu forgiren jei, denn wenn man die
Converſation noch weiter führen jollte, jo könnte
die dritte Antwort vermuthlih jo lauten: „Ic
will nicht die Ehre haben“.
— Ich bin mit einer jehr wichtigen Bitte
zu Shnen gefommen.
— Zu mir ? — rief der Alte verwundert mit
einer Bitte? Mein liebes, ſchönes Goufinden ?
Welch' Wunder! .. Womit fünnte id altes,
mürriihes Haus Jemandem dienen? überhaupt
——
bei jetziger Zeit, und noch dazu einem ſchönen Mäd—
hen, das einen Oberjten zum Bräutigam hat? .. .
Wer würde von mir etwas verlangen? . . Bitte
hinein zu ipazieren, dort fünnen wir uns nieder:
ſetzen. .. Nun hören wir, was ih für die
allerihönfte Seraphine thun kann? Bitte mein
Herr, bier ift die Thüre. . .
Robert hätte dem alten Herrn gut jagen
können: „Was wollen Sie, id fenne ja dieſe
Thürme. Bin ih nicht Jahre lang hier aus= und
eingegangen, habe ich nicht täglid hier meine
Schachpartie geipielt ?* — Er ſchwieg jedoch, da
ih der Alte jo froftig gegen ihn benahm, als
jähen jie fid) das erfte Mal; er war höflich, aber
falt, und dieſe Kälte hatte etwas Galliges
an fid).
— Bitte Pla zu nehmen, — jagte Herr
Kolbay auf einen wadeligen Divan deutend. —
Mein Hausweien ift in Unordnung, bin allein,
muß jelbjt bedienen und aufwarten; dem Vienſt—
boten gefiel e8 bei mir nicht. . . . Nun Sera:
phine, jhönftes Kind der Stadt, rüden Sie heraus,
womit ihnen das älteſte und einfältigfte Haus
der Welt dienen fann, jenes „alte Haus“, weldes
verrüdt genug war, fi nicht begraben zu laſſen,
als es wahrnahm, daR es ſchon in Trümmer
gegangen.
— Alſo, lieber Dnfel, ih wollte Sie bitten,
mein Beiftand zu fein.
“7e
«) *
u DB. ae
— Ach, ad, es gibt alio eine Hochzeit!
Man wird tanzen, eine Menge Gäſte empfangen,
Gäſte nach der neuejten Mode zugeftugt; .. nun
da braucht man auch eine alte Perrüde, über
welhe man lachen fann,; Einen, der Dummes
Zeug ſchwatzt, wenn er Vernünftiges reden wollte,
und der fid) taub ftellen kann, wenn er abgekocht
wird, und feine Revanche zu nehmen vermag...
Alſo zu einer Unterhaltung laden Sie mid), mein
Täubchen, .. . nicht wahr? Sie Ihönftes Feen:
fräulein unter der Sonne. ...
— Ich lade Ste nicht zur Unterhaltung,
lieber Onkel, wir haben jegt weder Zeit, nod)
Plag dazu. Das Ganze wird in einer furzen
Zeremonie bejtehen. Sie, lieber Onkel, müfjen
unjere Yamilie vertreten, denn meine Mutter ift
frank, und die übrigen Verwandten find nicht zu
finden,
— Die Dame ift alfo nod immer frank ?
— Sie willen es ja, Onkel, woran fie lei-
det, — ſagte Seraphine etwas trauriger.
— a, ja. Das große Unglüd hatte fie
ſtark angegriffen, verwirrt gemacht. Ging ihr
ſtark an die Seele. Sie fürdtet fih und zittert
in einem fort und getraut ſich niht aus dem
Winkel zu kriechen! ..
— Im Gegentheil. Seit dem Entjage der
Feſtung iſt fie ganz anders geworden; jegt finnt
fie nur auf Mord und Berjtörung. Gegen Robert
BE —
hat fie ſich erklärt, in unſere Vermählung fo
lange nicht willigen zu wollen, bi er ihr nicht
einen Sonnenihirm verihafft, deilen Griff aus
dem Schlüffelbeine eines getüdteten berühmten
feindlihen Feldherrn verfertigt jei. Die gute Janfte
Frau Lavpay muß fi den ganzen Tag über mit
ihr balgen, um fie zurüdzuhbalten, da fie fort-
während hinausftürzen will, um den bei den
Schanzwerken arbeitenden Kriegsgefangenen das
Küchengeſchirr an die Köpfe zu Ichleudern. Arme
Mutter! ...
Waͤhrend dieſer komiſchen Erzählung füllten
ſich die Augen Seraphinens mit Thränen.
— Sie ſehen alſo, Onkel Kolbay — fuhr
ſie dann fort, — daß die Mutter in ihrem ge—
ſchilderten Zuſtande unſerer Trauung nicht bei—
wohnen kann. Deßhalb bitte ich Sie nochmals,
unſer Beiſtand zu ſein.
Der Alte erhob ſich von ſeinem knarrenden
Lehnſtuhle und erwiderte mit kalter, trockener
Stimme, welche eben ſo kreiſchte, wie Alles in
dieſem Hauſe, ſei es Schlüſſel, Schloß, Angel,
oder die Wetterfahne auf dem Dache:
— Ich aber werde nicht Ihr Beiſtand bei
Ihrer Trauung ſein, mein allerſchönſtes und
allerliebft=feenhafteftes Couſinchen.
Seraphine hielt ihre flache Hand gleich
einem Schirme über die Augen und blickte den
ur >
Alten ſchelmiſch an, als wollte fie erforihen, ob
dies Scherz oder Ernit ſei?
— Onkelchen werden nicht mein Beijtand
jein ?
— Ich werde es nicht fein, weil ih es
niht jein will... . wiederholte der Alte. ...
Bin niht der Mann dazu, an einem Akte Theil
zu nehmen, welder in diefer Epoche vollzogen
wird; und wenn es ſich auch nur um eine Bei:
jtandsftelle bei der Trauung eines modernen Ober—
ften handelte... . Bin ein alter Knochen, ein al-
ter hin und ber geworfener Knochen, deren ähn-
lihe Ihr genug ſehen fünıt da draußen am al-
ten Raitenfriedhofe; Kinder haben mit ihnen Ball
geipielt, nad Nüſſen geworfen und Haſelnüſſe
aufgeihlagen. . . . Der alte Knochen lie Alles
mit ſich geichehen, protejtirte dagegen nicht, daß
man ihn aus jeiner Ruhe geftürt, widerrieth aber
auch den Kindern nicht, auf's Eis zu gehen...
Solch' ein alter Knochen bin ich; ich bin geitor:
ben und fühle nichts mehr, bewege mid von
meinen Blake weder vor-, noch rüdwärts ....
Verſtehe id denn etwas davon, mas um mid) her-
um geihiehbt?.. : . Nein, nichts. Eben jo wenig,
wie ein an das Tagesliht gelangter Todten—
ſchädel. . . Wei ich denn, was man heute unter
Treue und Verrath, unter Liebe und Haß ver:
fteht, was eine Heldenthat und eine Gräuelthat
ſei. . .. Bin eine heimkehrende Seele aus dem
— 30:
verflojfenen Jahrhundert, welche jelbit von den
aufgeflärten Kindern ausgeladht wird. . . . Bir
eine Mumie. Wer will mid) verjtehen, wer mei—
nen Rath einholen? Uebrigens mödte ich auch
feinen ertheilen. ... . Ich bleibe, was id) war,
Iıhlüpfe ın feine neue Haut, möge man mir noch
jo ſtark mit der Poſaune der Auferjtehung in die
Ohren blafen. . .
Seraphine lieg den griesgrämigen Alten
fi austoben, und hoffte ihn durch ihren Humor
zur Nachgiebigkeit ftimmen zu fünnen.
— Aber, liebes Onkelchen, wir fordern Sie
ja nicht dazu auf, daß Sie ſich auf's Roß ſchwin—
gen und unſeren Fahnen folgen jollen, Tondern
dag Sie al3 munmehriges Haupt unlerer Familie
uns Ihren Segen ertheilen mögen.
— Was, einen Segen ?! — platzte der Alte
zornig heraus, feinen fteifen Hals bewegend.
— Braut man in jetiger Zeit zu etwas einen
Segen?.. . Iſt nit Alles bloßer Zufall, Wür—
felipiel, Gottesverſuchung. Sit es etwa Diele
Heirat nit ? Sagt: „vabanque“, entweder ſechs
oder blind... . Ihr wollt noch eine Zeremonie
haben? ..... Ein Familienoberhbaupt?. ... Ihr
babt ja Republit. Kommandirt einen Wacht—
meifter rechts, den andern links, und die Bei—
jtände find da. Wozu bedürft Ihr meiner alten
Knochen ?
— Al: wine
Diefe Wendung ſchien jedoh ſelbſt Sera=
phine zu beleidigen.
— Reden Sie doh aud, Robert, viel
leiht fünnen Sie eher zu jeinem Herzen dringen.
Der junge Offizier ergriff die Hand des
alten Invaliden und bat ihn in warmem Tone:
— Bringen Sie dies Opfer Seraphine zu
Lebe.
Der Alte erwiderte mit pedantiicher Steifheit:
— Herr LOberlieutenant! (Er ignorirte die
Oberſten-Uniform, da er Robert nur als Ober—
lieutenant fannte.) Glauben Site ja nidt, daß ich
heute ſcherzhafter Laune bin. Bei mir find Die
Tage der Froͤhlichkeit und des Scherzes längjt
vorüber. Mir Scheint das Ganze nur ein Traum
zu jein. Stadtbelagerung, ziſchende Rafeten, zer:
plagende Bomben, weinende Weiber, ftürmende
Truppen, Alles iſt mir Traum und XTräumerei.
Dann diejes Siegesfeſt, die geſchmückten Ruinen,
die wehenden Fahnen, die jauchzende Menge,
Alles it Traum und maht mir den Kopf be=
täubt. Diejenigen, die ih vor mir jehe, find
lauter Traumgeftalten ; was ih von ihnen Hüre,
ift eitel Traum, vergänglider Traum.
— Was wir jedod) in diefer Minute jagten
— ift Wirflihfeit — da wir uns nämlich) Lieben
und Mann und Frau werden wollen, — beeilte
fi) Robert darein zu rufen.
— Auch Das ift ein Traum!
u. —
— Ach, Onkel! — rief Seraphine beleidigt.
— Iſt auch nur ein Traum. Ihr liebt
Euch nicht, denn nicht die Liebe hat Euch zu—
ſammengeführt. . . . Was Euch zuſammenbrachte,
mar eben dieſes blendende Traumgeſicht. . . . Ein
Nädchen ſah einen jungen Mann zu Pferd, mit
Ktränzen bededt aus fiegreihem Kampfe heim—
Ichten, Der junge Mann jah ein reizendes Mäd-
den am Eingange der vdemolirten Stadt ihre
Sahne vor ihn ſenken, und Beide träumten, daß
fe jih in einander verliebt hatten. Das Mäp-
den erzählte nun von den Drangfalen, die es zu
erleiden hatte, der junge Mann von den Helden:
taten, die er verübt, und fie glaubten einander
unendlic) zu lieben; doch es iſt niht wahr! . .
Ihr liebt einander nit, und wenn Ihr erwachen
werdet, wird ein Jedes Tagen: wie Schade, daß
ih dieien Traum gehabt !
Onkel! — rief Seraphine, — wohin will das
alles hinaus, Spreden Sie Elar.
— Ich werde e3 klar ausipreden. Sie,
meine wunderihöne Coufine, glauben einen Mann
unendlich zu lieben, weil derjelbe von ftattlidher
Geitalt, berühmt, ein Held ift, der Diejenige, welde
et an jein Herz drüdt, auch mit blendendem
Ölanze umgeben fann. Weil es Ihnen ſchmeichelt,
daß man jagen wird: Das ift die Gattin Robert
Zeleji's, welher ein Held geweſen; Dichter ver—
berrlihten ihn in Balladen, und das Volt beiang
jeine Thaten in Liedern... . Wenn ſich aber das
Blatt gewendet, wenn aus dem gefeierten Helden
ein VBerbannter, ein Landesflüchtiger geworden,
wenn er jeinen Namen verleugnen muß, danı
werden Sie ihn verfluhen, den Sie jekt vergüt:
tern, Sie werden ihn im Unglüde veradten —
und erjt dann fi deſſen bewußt werden, daß ihre
Leidenſchaft feine Liebe geweſen.
— Mein Herr! — rief Seraphine in leiden
ihaftlihem Tone, indem fie ihren erregten Sin
nen nicht mehr gebieten konnte, — dies ift zu biel.
Sie werden mid nie mehr in Ihrem Haufe jehen.
— Gott gebe es; aber id) glaube es nidt,
und ich werde nicht helfen fünnen.
— Gehen wir, Robert. Wenn Sie mid
lieben, werden Sie fein einziges Abſchiedswort an
diefen Menſchen richten.
Damit nahm fie mit heftiger Geberde den
Arm ihres Bräutigams und verliek das Zimmer
des verknöcherten Onkels.
Dieſer ſchloß bedächtig die offen gelafſene
Thüre und murmelte mit ſelbſtzufriedenem Egois:
mus in ſich hinein:
— Nun gehöre ich Niemandem mehr auf
der Weit an.
Am andern Tage führte Robert Zeleji feine
= BI
Braut Seraphine in Anwejenheit aller damaligen
Helebritäten der Feſtung in jener Kapelle zum
Altar, welche von den vernichtenden Geſchoſſen
der Belagerung verſchont geblieben. Bon der Ber:
wandtihaft war Niemand zugegen. Die Beiden
aber glaubten, daß fie einander lieben.
Anfang des Endes und Ende des
Anfangs.
Mir iſt's, als wär’ ich ein Taucher, der
ji) auf dem Meeresgrunde bewegt... .
Um mid) herum Ihwimmen die Ballen zer:
trümmerter Schiffe, befannte Todtengefichter ſenken
fi) zum Grunde nieder, mein Fuß ftolpert über
einen zerbrodhenen Anker.
Auf der Oberflähe des Meeres hat ver
Sturm ausgetobt; Maft und Segel verſchwinden;
auf den noch immer hochgehenden zornigen Wellen
ihmwimmen nod Einige an die Trümmer des
Schiffes geflammert, und bemühen fi, das Ufer
zu erreichen.
Alles ift zu Ende. Die lekte Kanone hat
ihr Wort geiproden, als fie den letzten Helden
dahin gerafft... Das Schlachtfeld ift mit Todten
bejäet; nur ein Koſakenſchwarm ftreift noch herum,
um den Kliehenden nachzujagen, welche fi in die
Sümpfe verkrochen hatten.
Waſſerlilie und Waſſerroſen bieten einen
guten Schutz für die Verfolgten; die breiten
runden Blätter, welde auf der Oberfläche des
Waſſers ſchwimmen, verdeden das heraufquellende
Blut, weldhes, aus den Wunden der dort Ver—
borgenen fließend, leiht ihr Verſteck verrathen
könnte.
Zwiſchen den gelben Waſſerlilien ragen halb
aus dem Waſſer zwei Geſichter hervor.
Beide find noch jung, aber ſehr bleich. Sie
gleichen einander, als wären es Brüder.
Das eine Geſicht iſt das Robert Zeleji's,
das andere Pußtafi's. ...
Die Wogen des ſtürmiſchen Kampfes haben
ſie zuſammengetrieben; als ſchon Alles zu Ende
war, trafen ſie ſich wieder. Robert hatte mit den
Trümmern ſeines Bataillons einen harten Bajo—
netkampf gegen einen Pulk von Koſaken beſtan—
den; Pußtafi eilte ihm mit einer Abtheilung von
Hußaren zu Hilfe und ſchlug die Koſaken in die
Flucht, da führten die Ruſſen Kanonen auf und
drängten die MWiderftehenden gegen den Sumpf.
— Steige auf und ſetze dich hinter meiner !
ef Pußtafi feinem Freunde zu, und als dies
geihehen, trieb er fein Pferd gegen den Sumpf
an; die Ruſſen Jandten ihnen noch einen Kartät-
ſchenſchuß nad); dieſer verwundete Robert und
tödtete das Pferd, das fietrug; Beide fielen in’s
Waffer.
— Trahten wir zwiihen die Bachweiden
zu gelangen. Hier könnte uns das gefallene
Pferd verrathen, — jagte Pußtafi zu Robert,
welcher ſehr bla ausſah.
— Ich vermag nicht schneller zu gehen,
fann den linken Fuß faum nachziehen; wird ihn
vermuthlich ein Schuß getroffen haben. .
Pußtafi umfaßte jeinen Freund und trug
ihn in's Gebüſch.
Es war die hoöͤchſte Zeit, daß fie ſich Hinter
dem dunkelgrünen Gebüſch und zwiſchen den Waſ—
ſerlilien verbargen, denn im nachſten Augenblicke
ſtürmte die wildtobende Menge der Koſaken mit
wüſtem Geſchrei heran, nach den Geflüchteten
ſuchend . . . Die Pferde wateten im Waſſer,
und man konnte zuweilen ein wildes, thieriſches
Gelächter und bald darauf einen lang gedehnten
Wehruf vernehmen, wenn ſie Einen unter das
Waſſer Geflüchteten entdeckten und niederſtachen.
Ein berittener Haufe watete kaum zwei
Klafter von dem Orte, wo unſere Geflüchteten
ſich verborgen hatten, vorüber.
— Nimm ein Rohr in den Mund, durch dieſes
kannſt Du Athem ſchöpfen, dann klammere Dich
an die Wurzeln da unten, und tauche unter —
raunte Pußtafi ſeinem Freunde in's Ohr und
tauchte ebenfalls unter.
Die Koſaken hielten über ihren Koͤpfen an,
um ihre Pferde zu tränfen,
Einer derjelben begann mit heilerer Stimme
% ln. A een. —
Ze I
ein Lied zujingen, an deſſen Schluſſe die Uebrigen
in ein Gelächter ausbraden.
Dann hörte man, wie aus weiterer Ent—
ternung ihnen eine zornige befehlende Stimme
jurief, worauf fie ſich mit großem Geraͤuſch in
Bewegung Sekten — gerade auf das Verſteck
unferer Freunde losgehen. |
Diefe drüdten jih da unten die Hände; fie
hörten die fi nahende Gefahr.
Einer der Koſaken ritt gerade auf fie zu;
man fonnte bereit3 das Schnauben jeines Roſſes
vernehmen.
Ploͤtzlich entjtand ein pläticherndes, gurgeln=
des Geräuſch, dem ein brüllender Todesſchrei folgte.
Das Pferd des Koſaken ftürzte in eine jener
grundlofen Tiefen, welhe in den Gümpfen jo
ihön vom Waflergrafe verdedt werden — und
zog den Reiter mit fid.
Das Roß hatte ſich noch auf die Ober—
lähe gearbeitet und entfam, ver Neiter jedoch)
blieb am Grunde des Waſſers. Die Flüchtlinge
haben ihn eine Klafter weit vor fi mit dem
naffen Elemente ringen. Auch er wurde ihrer ge=
wahr, ftredte die Hand nad) ihnen aus, öffnete
den Mund, als wollte er jeinen Kameraden zu=
infen: Hier find fie, hallet fie feſt. Dies machte
ihn erſticken.
Die Kameraden langten mit ihren langen
Lanzen nad ihm, aber vergebens, bis das Waſſer
— —
ſelbſt den Leichnam auf die Oberfläaͤche warf. Sie
ſtießen denſelben an's Ufer. Hätten ſie ihn wecken
Tonnen, würde er ihnen gejagt haben, daß ſich
zwei vornehme Flüchtlinge unter dem Waſſer be-
finden.
Die Koſalen wichen dem gefährlihen Drte
aus und jondirten im Meiterreiten die Tiefe des
Waſſers mit den Stangen ihrer Piken. Man
hörte fie no lange im Waſſer plätidhern.
As die Koſaken davongeritten waren,
tauchten die beiden Köpfe abermals auf Die Ober:
flähe des Wajlers.
— Gie haben fih entfernt, — fügte Puh:
tafi umherblickend.
— Sie werden ſchon noch zurückkommen,
— flüſterte Robert.
— Dann werden wir abermals ver—
ſchwinden.
— Ich halte es nicht lange mehr aus,
ächzte Robert, ich fühle bereits, wie das Blut aus
meiner Wunde flieht.
— Warte. Sch werde die Wunde mit mei:
nem Sadtuhe verbinden, damit der Blutverluit
Dih nit ohnmächtig macht, denn das Waſſer
macht das Blut nod) ftärker fliegen.
Hierauf verband Pußtafi die Munde
feine Freundes mit feinem Sadtude.
— Du müheft did) vergebens mit mir ab,
— ſeufzte Robert; — mein Schiedjalijt beichlofien.
40: =
— Sei nicht kleinmüthig, — entgegnete der
Dichter. — Sobald die Naht anbricht, nehme ich
Did auf meine Schultern und wate mit Div durd)
den Moraft.
— Zu welchem Zwecke? Es tft ja Alles
zu Ende!
— Wit doch! Die Sonne geht eben jo oft
auf, als fie untergeht ; fie verlinkt nicht in ewige
Naht. Wir werden noh manderlei zu ſchaffen
haben dort oben.
— Mit mir werden nur die Würmer zu
ſchaffen haben dort unten.
— Sprich doch nit jo, Robert; wenn ich
jage, dab ih heute Alles verloren habe, jo rede
ih die Wahrheit, Dir aber ift noch Etwas geblie-
ben. Du daft ein Weib.
Robert jeufzte tief.
— Ein ſchönes, waderes und junges Weib,
— ſetzte Pußtafi fort... .
Darauf verfielen Beide in tiefes Schweigen.
Nach langem Schweigen hob der Eine wie—
der an:
— Heute hab' ich noch ein Weib, morgen
wird ſie Witwe ſein; ſo ſteht es in den Sternen
geſchrieben. Sieh, wie die Wellen um uns ſich
roth gefärbt; das iſt mein Blut.
Hierauf ſchwiegen ſie wieder eine Weile.
— Nur Eines quält mid, — ſprach er dann
weiter ; fie wird nicht einmal willen, daß fie Witwe
Andere Zeiten andere Menſchen II Ban 4
us. Ye
geworden. Jahrelang mird fie das Trauerkleid
um meinetwillen tragen, ohne dasjelbe oder mei-
nen Namen ablegen zu dürfen. Sie wird bis zu
ihrem Tode an einen Todten gelettet fein.
— Schlag' Dir jolde Dinge aus dem
Kopfe.
— Blos diefe Sorge quält mid. Wie fie
mic) juchen wird; wie fie das ganze Land durch—
ziehen, Thal und Hügel fragen wird: mo ift mein
Mann? Ah, wie unendlid) liebten wir ung!
— hr werdet Eud) treffen.
— In dieſem Leben nicht mehr. Ich fühle,
wie meine Kräfte immer mehr abnehmen. Bor
meinen Augen dunkelt's; ich jehe überall dunkle
lee. Sch fühle meine Bruft fürchterlich beengt.
Freund, ih muß hier fterben.
— Wenn Dein Leib Ihwad ift, To laſſe
Deine Seele ftark jein.
— Zu jpät! Höre, was ih Dir jest
lage... Es wird Nacht werden; Du wirft dann
frei, id) aber fterbe. . . Bleibt Dir jo viel Zeit,
um eine Gruft auszuhöhlen, jo begrabe mid. . .
Am Finger babe ih einen Ring, in der Mitte
ift ein Opal, in dem Opal ift ein jchwarzes
Kreuz... es ift mein Trauring. . . . Ich befam
ihn von meiner rau am Trauungdtage. ... . .
Ziehe ihn von meinem Finger und verwahre ihn
bei Dir... . . Wenn Du fie dann einmal im Le—
ben findeft, jo übergib ihr die Reliquie Gib
an hl,
ihr den Tag an, mann id geftorben, und jage
ihr, wo ich begraben bin... . Beriprihft Du
mir's?
Das Geſicht Robert's war todtenbleich. Er
mußte ihm das Verſprechen durch einen —
druck geben.
Die Koſaken kehrten aus dem Moraſte zu—
rück; weiter konnten ſie nicht vordringen.
— Tauchen wir raſch unter das Waſſer, —
füfterte Pußtafi Robert zu. Sie nahmen wieder
das Rohr in den Mund und taudhten unter. Die
Koſakentruppe kehrte lärmend zurüd, und verlieh
das Röhridt.
Pußtafi ftedte behutiam den Kopf an die
Dberflähe und jhaute ihnen nah. Da nahm er
mit Bejorgnig wahr, dag Die Kojaken, jobald jie
auf feftem Boden waren, von ihren Pferden ſpran—
gen und ſich anſchickten, in der Nähe zuübernachten.
Und nun zünden fie gar Feuer an, um die
wohlthätige Finfternig zu vertreiben, auf welche
die Flüchtlinge rechneten; in einer Entfernung
bon faum einer Schußweite fladerte gleichzeitig
auf drei Seiten das Wachtfeuer auf; die Flücht—
linge müſſen entvedt werden, ſobald fie ihren
Verſteck verlaffen.
Eine Truppe war jo nahe, daß man ihren
Vortftreit hören konnte. Sie theilten unter fi die
Beute. Man konnte bei dem Schein des Feuers
4*
ſehen, wie fie mit einander ftritten und feilichten.
Zwei, Drei ließen ſich auf einen ausgebreiteten
Mantel nieder und jpielten Karten um unbe:
kannte Geldnoten. Einige find bei guter Laune
und fingen, Andere tanzen, Einer von Ihnen figt
auf feinem Pferde unbeweglih, das Geſicht gegen
den Morait gelehrt, in der Hand die lange Lanze.
Dies ıft die Wache.
Den jungen Leuten war das Entlommen
unmöglich gemacht.
Und die Kraft Robert's war völlig zu
Ende Pußtafi mußte ihm den Kopf ftügen, da—
mit er nicht unter das Waſſer taude.
— Verſuchen wir unfer Glüd, — flüfterte ihm
Pußtafi — zu. Wenn fie friiches Rohr in's Feuer
werfen, dann wird es auf furze Zeit Dunkel;
klammere Dich an meinen Hals und id werde
raſch mit Dir fliehen.
| — Ich kann nicht. . . Trag' mich nirgends
J Laß' mich hier ſterben. Du mußt
Dich retten, damit Du meinem Weib Nach—
richt bringſt. Du darfſt nichts wagen. . . . Haft
es mir verſprochen. . . . Wenn wir ung rühren,
— bemerken fie uns — ich mag nicht in ihre
Hände fallen, nicht einmal todt. Verſtehſt Du
mich? nicht einmal todt. . . . LXieber ‚hier unter
den Kröten. . . . Und doch wie falt iind fie, wie
häßlich!
— 53 —
Immer näher rücken fühlte Robert ſeinen
letzten Augenblick und durch den ſchrecklichen Ge—
danken an den ſicheren Tod zitterten ihm die Licht:
itrahlen zweier Erdenbilder durch: Das Heldenbe—
wußtiein und die treue Liebe.
— Vielleiht träumt fie jeßt von mir, —
jeufzte er leiſe und lächelte dann. — Vielleicht fteht
fie jet vor dem Deiligenbilde und nennt meinen
Namen.
Bielleiht werde ich nod) in dieſer Stunde
vor ihrem Ruhebette Stehen, wie fie es wünſchte
— aber bleich un wortlos und von dem Kuſſe, wel:
er ihre Wangen ftreift, wird fie vielleiht Schau—
dern erfaſſen. . . D, mein Freund, vergiß nicht
auf Den Ring.
Zu den Schrednfjen der Naht geieliten
fi) nody andere, während ein Theil der Koſaken
Würfel ipielte um die Beute, fiel ein anderer Feind
über die nadten Leihen her. Die Wölfe hielten
ein reiches Leichenmal.
Der Sterbende jprady zu jenem Freunde !
— Freund, halte Dein Verſprechen und
bearabe mid... . . Begrabe mid, damit ſie mich
nicht finden: weder dieſe noch jene... Weügen
fie mich nicht von Geſtrüpp zu Gejtrüpp ſchleifen. . .
Mögen ſie niht ihr Spiel mit mir treiben. . .
Der Schwertftreic that nicht Sehr wehe, aber die
Liſt und der Spott... dieſe brennen fürdterlid....
Begrabe mid) tief... Womit wirft Du die Gruft
=: BE
graben ? Haft Du nod Dein Schwert ? Das ift
ſehr gut... . Schneide mir eine Locke ab und lege
fie zu den Ring.
Pußtafi ſuchte feinen fterbenden Freund zu
tröften.
— Sieh, — ſagte Robert leife, — am Himmel
dämmert e3... Nicht wahr, das ift der Morgen-
ftern? Sieh, wie er immer näher kommt. . ..
Siehft Du, wie ih Dir immer fagte, die Sterne
find lauter ſchöne Menihengefihter. . . Dieſes
Geſicht fieht dem ihrigen Ahnlih ... bald werden
wir beilammen fein... dann... vergiß nicht auf
meinen Ring. !
Ploͤtzlich knallten Schüffe, wilder Lärm,
Flüche, Heulen und Pferdewiehern wurde laut;
einen Xrupp hungriger Wölfe durftete nach war—
mem Blut und er überfiel die Kofaken. Die auf:
geiheuchte Truppe verjagte durch heftiges Flinten-
feuer den neuen Feind.
Diefer Angriff hatte aber den Nuken, daß
die Kojafen fih meiter vom Roͤhricht ent:
fernten.
As Pußtafi dies bemerkte, nahm er feinen
Leidensgefähten auf die Schulter: und ging mit
ihm aus dem Waffer. Der Weg war beichwerlid
genug, der Boden wankte überall unter feinen
Fügen. Eine alte Weide war das Biel, weldes
er erftrebte. Ber dem Baume angelangt, nahm
er die Bürde von feinen Schultern, lehnte den
— 55 ——
Kopf Robert's an den Baum und ſagte dann er—
muthigend: Robert, wir ſind in Sicherheit.
Robert antwortete nicht, denn — er war
geſtorben. |
Pußtafi legte die Hand auf das Herz des
Freundes; es hatte aufgehört zu Ichlagen. Seine
Augen waren noch offen, aber gebrochen ; die
Glieder fteif, die Haut Falt. -
Die Kartätiche hatte ihm den Schenkel zer-
ſchmettert und Robert verblutete im Wafler.
Der Dichter drüdte feinen Freund lange
an's Herz, er Sprach zu ihm von fchöneren Tagen,
von feinem ſchoͤnen Weibe; — er gab feine Ant:
wort mehr.
Dann begann er ihm zu erzählen, wie er
ihn begraben werde.
— Sei unbejorgt, mein alter Freund (fo
nannten jie einander, als fie noch jung waren:
noch geitern), ih werde Did) fo begraben, daß
weder wilde Beftien, noh häßliche Würmer, nod)
die biel ſchlechteren und häßliheren Menſchen Dich
finden werden. Sie werden nicht mit gierigem Zahn
über Dich herfallen ; fie werden nit Deinen blu-
tigen Kopf als Trophäe umherſchleppen. Sch be-
grabe Di, wie man die römischen Helden zu be-
graben pflegte: in Feuer und Flammen. Die
Atome Deines Körpers werden Dir nahfolgen
in die Luft; jelbft, was Irdiſches an Dir, wird
zum Geifte werden. Du wirft eine ſchöne Be—
ftattung haben, die praſſelnden Flammen werden
eriegen den Trommelwirbel, den Geſang und die
Meile; der Ihwarze Rauch wird Dein Leihentuh
fein und Millionen Funken werden Dir das Ge:
leite geben. Niht der Schoß diejer fluchbelade—
nen Erde, jondern die Luft ſoll Deine irdiiden
Reſte aufnehmen. Es wird feine Kothſchichte über
Div liegen, auf des Windes Flügeln werden
die Stäubhen Deiner Aſche ſich zum Sonnenlicht
erheben. Alter Leidensgenoffe, ih beftatte Dich in
dein Himmel!
Der Dichter zog hierauf dem Leihnam den
oft erwähnten Ring vom Finger und ftedte ihn
an den eigenen Finger. Dann ſchnitt er ihm eine
Locke ab und verbarg fie in feinem Bujen.
Sodann nahm er die Leihe und jiellte jie
in die Höhlung der alten Weide. Die Höhlung
war gerade fo weit und gro, dag die Leiche jie
ausfüllte.
Noch einmal küßte er dann das Geſicht des
geliebten jungen Mannes, und umgab hierauf den
Baum mit einer von den Rohrpyramiden, welche
auf der Anhöhe zum Trocknen aufgeſtellt waren.
Der Holzſtoß iſt fertig, nur angezündet
mußte er werden, dann mögen wilde Beſtien,
dann mögen Wolf und Adler kommen.
Allein, um den Holzſtoß anzuzünden, iſt Feuer
nöthig; mer aber vom Abend bis Mitternacht
im Waſſer gelegen, der ſucht wohl vergeblid) ſein
Feuerzeug.
Doch es war Feuer in der Nähe. Noch
glimmten die Wachtfeuer an dem Sumpfufer.
Bon dort liege fih Feuer holen.
Der Dichter entſchloß fih dazu, Feuer zu
ftehlen in der Naht, im Angefichte des lauſchen—
den Feindes! Und doch mußte es fein.
Er verbarg sein gezüdtes Schwert unter
jeinem leide, damit esniht im Feuerglanz ſchim—
mere. Dann machte er den Weg zurüd.
Als er fih dem erjten glühenden Punkte
näherte, jchien es ihm, als ob fid) vor dem euer
von Zeit zu Zeit dunkle Maffen bewegen würden,
er konnte jedod im Halbdunfel nicht ausnehmen,
was für Geftalten es ſeien.
Mit gefteigerter Vorfiht ging er weiter, die
Ihwarzen hpüfenden Gegenftände waren lebendige
Seftalten, aber feine Menſchen.
Die Wölfe lieben das Feuer niht. Jedes
wilde Thier jheut fih davor. Damit das Feuer
niht in der Nähe ihres Schmaufes brenne, bade-
ten fie fih im Waſſer des Moraftes und ſpritz—
ten dann das Waller auf die Glut. Zwei der
Wachtfeuer hatten fie auf diefe Weile ausgelöſcht.
— 3 die Beitien menſchliche Schritte hörten,
zogen fie fih vom Feuer zurück und heulten aus
der Ferne dem Herannahenden entgegen. Pußtafi
hielt einen Zunder aus zufammengedrehtem R-hr
— 38 —
in der Hand und ſteckte ihn in die Glut. Der
Zunder fing Feuer.
Das war ein ſchlechter Verſuch.
In dem Augenblicke, als die Flamme auf—
flackerte, ertönte das „Halloh‘ des Vorpoſtens,
der in einer Entfernung von hundert Schritten
ſtand.
Pußtafi duckte ſich raſch nieder, zertrat den
Zunder mit den Knieen und antwortete auf den
Ruf des Vorpoſtens mit einem Heulen, das dem
Geheul der Wölfe gli.
Die Wachen glaubten, e3 feien wieder Wölfe
beim Feuer und fümmerten fid) nicht weiter darum.
Auf ſolche Weile war es alfo nit mög:
lich, das Feuer fortzutragen.
Seine Zigarren waren fämmtlih durd:
näßt, ſonſt würde er eine derjelben angezündet
haben; da gerieth er auf einen andern Einfall.
Er widelte Rohrblätter wie eine Zigarre zuſam—
men, zündete fie an und nahm fie zwiſchen die
Lippen.
Dann kehrte er zur Weide zurüd.
Er mußte die Zigarre rauhen, damit fie
nicht verloſche, anfachen durfte er fie nicht; der
abiheulihe Rauch löfte ihm die Haut bon den
Lippen; aber die Zigarre glimmte noch, als er
bei dem Baume anlangte.
— 59
Bei dem Baume angelangt, nahm er mit
Schrecken wahr, daß die Rohreinfaſſung zerſtört
war; die Wölfe hatten fi durch dieſelbe einen
eg zu der Baumhöhlung gebahnt. Einige junge
Wölfe liefen davon, als Pußtafi nahe fam; ein
alter Wolf aber ftellte fi ihm entgegen und machte
ihm das Terrain ftreitig.
Eine menihlihe Stimme durfte nicht laut
werden.
Pußtafi rannte mit zuſammengepreßten
Lippen, mit Funken ſprühenden Bliden auf die
Beftie zu, die mit gekrümmtem Rüden und flet-
ihenden Zähnen ſich dem Angreifer entgegenftellte.
Pußtafi empfand ſo tiefen Abſcheu vor der
Beſtie, daß er nicht zum Schwerte griff, ſondern ihr
mit dem flackernden Rohrbüſchel an die Schnauze
ſchlug.
Der Angriff nützte. Der Wolf wartete den
zweiten Gruß nicht ab, ſondern rannte davon.
Nun ſtellte Pußtafi zuerſt ein Rohrbüſchel
auf und zündete es oben an, damit es als Leuchte
diene.
Dann legte er wieder das Rohr um den
Baum und zündete es an.
Die Flammen ſchlugen hell auf, ergriffen
die Aeſte und Zweige der alten Weide, und in kur—
zer Zeit ſtand der ganze Baum in Flammen.
———
Das Feuer vertilgt ſchnell; kein Menſch
hätte mehr dieſe Flammen erſticken können —
der Dichter konnte beruhigt weiter gehen. War
doch ſein Weg ſo eilig!
Um durch das Roͤhricht zu dringen, das er—
fordert mehrere Stunden, es wird Tag und das
Sonnenlicht gehört nicht mehr dem Flüchtigen.
„Freund! Du haft ein ſchönes Begräbniß.
Gott mit Dir!“
Der Baum brannte bis zum frühen Mor—
gen in der ruhigen, ſtillen Nacht und flackerte ge—
gen den Himmel auf wie Abel's Opfer.
Mitten auf dem großen, geſchwärzten und
mit Aſche bedeckten Herde ſtand der verbrannte
Baum; die ruſſige Höhlung glich einer Aſchen—
urne; darin lag eine Handvoll Aſche, die ſich
von der Farbe der Blätter- und Holzaſche un—
terſchied.
Dieſe braune Aſche war Robert Zeleji, der
Jüngling, den die Frauen ſo geliebt, den die
Freunde ſo geſchätzt, den das Volk in Liedern
beſungen, den der Ruhm auf ſeinen Fittigen
trug. Wer ſollte ihn hier wohl auffinden? Wer
ſollte dies wiſſen?
Und wenn nun aud der flüchtige Leidens—
gerährte ſpurlos verſchwindet mit jammt dem
Ringe? Und wenn dann nah Fahren die milde
Brombeere in der Baumhöhlung waͤchſt, ihre
Saas ———
Wurzeln weit hinausſendet und Kränze windet
über den mooſigen Boden?
Und wenn die verzweifelnde Witwe auch
dann noch im Traume ſich nach ihrem Manne
erkundigt — kann ihr da nicht die menſchenquä—
lende Traumfee ſagen: „Dein Mann, er weilt jetzt
noch auf der Erde und windet ſeine Kränze?,
Pußtafi aber kam niemals zu Seraphine.
Er verſchwand ſpurlos; man wußte nicht, wohin
er gekommen, wo und wann die Erde ihn ver—
ſchlungen.
Die Gattin.
Auf dem Rüden des Arader Weingebirges
fteht eine Burgruine, die „lucus a non lucendo“
heißt.
Unter der Ruine befindet fi ein Kaſtell;
im Garten des Kaſtells ift eine jhöne Laube; in
der Laube fteht ein weißer Marmortiſch; an dem
Ziihe fit Bela Laͤvay ganz allein.
Im Garten, im Schloffe, im Hofe, draußen
auf der Gaffe, im ganzen Orte und felbft auf
den eldern ringsum war ein Heer von Gäften.
Nie ſah dieſes Schloß jo viele Gäſte beifammen,
jelbft nicht zur Zeit des berüchtigten Kochs, den
der Onkel des Königs Mathias hielt.
Und Jeder der Gäfte ift mit einer jehr eigen:
thümlichen Arbeit beihäftigt, ernfte Männer flü—
ftern geheim mit einander ; Frauen mit verweinten
Augen drüden einander die Hände, ſprechen ein
Wort und gehen weiter; Wagen kommen und ver-
ſchwinden; mand antommender Gaft flüftert jei-
PER: ;- WERE
nem Kutſcher etwas in die Ohren, zieht die Börje
und übergibt ihm fie ſammt dem Anhalt, drüdt
ihm die Hand und ſchickt ihn fort. In dem Zim—
mer verbrennen ernite Männer verihiedene Do—
fumente zu Aſche; Andere jcheeren fih Haar und
Bart ab, ohne das Jemand über die entitellten
Gefihter lachen würde; nod Andere figen oder
liegen unbeweglih, als wäre ihnen alles Fühlen
abhanden gelommen, während ein Anderer un-
ruhig auf- und abgeht, als ſuchte er einen Aus—
weg aus diejer Welt. Dann ertönt ein Rlirren :
Jemand hat jeinen Säbel zerbroden,; ein dum=
pfer Knall wird hörbar: vielleiht bat Jemand
fich erſchofſen.
Auch Bela war unter den Gäften. Er ſuchte
ih ein einfames Pläkchen, um zu jehreiben.
Die romantiihe Keine Laube war dazu ge—
eignet.
Er jhrieb einen Brief mit Bleiftift auf ein
Pergamentblatt jeines Portefeuilles.
‚Meine liebe Judith!
Ueber mih wird fein Tag mehr anbre-
hen. Du weißt, id) habe feine Urfache, länger
zu leben. Wenn Du meine Zeilen liest, bin ic)
ju dem geworden, mas mein Shidjal: — zu
Staub. Ich anerfenne es, daß ih mih an Dir
berfündigte, al3 ih Dein Los an ein foldes
Mißgeſchick, wie das meinige, knüpfte; Deine El—
tern haben Dich vor mir gewarnt und ſie hatten
—
Recht. Aber ich mache meine Fehler gut: ich ſter—
be. Ich erlöſe Dich von meinem Fatum, das mich
verfolgt. Deine künftigen Tage ſollen nicht durch
des jammervolle Leben eines Gefallenen vergiftet
werden. Niemand und Nichts bedarf meiner mehr
im Leben. Ich ſchließe meine Zeilen mit dem
beruhigenden Gedanken, daß Du mir verzeihſt,
Dich mit mir verſöhnſt, ohne mich zu vergeſſen.
Und wirſt Du einſt ſo glücklich ſein, als ich es
in dieſer letzten Stunde wünſche, ſo wirſt Du mich
noch achten, wenn Du mich nichtmehr liebſt. Meine
Seele, mein Segen umgeben Dich auf Tritt und
Schritt...
Dein über das Grab treuer Bela.“
Als er das letzte Wort geichrieben hatte,
griff eine weiße Frauenhand von rüdwärts ın
das Vortefeuille und riß das beihriebene Blatt
heraus.
Bela erfaßte überrafht die weiße Hand
und jhaute zurück. . . Die weiße Hand war
die Hand Judith's.
Er iprang von jeinem Sige auf, ſank ihr
zu Füßen, umarmte und fühte fie und frug dann:
— Wie kamſt Du hieher?
— Haſt Du nicht ſelber mich hieher be—
ſchworen, — ſprach Judith und zeigte auf das
Blatt. — Weißt Du nicht, daß, wenn Du den Tod
anrufſt, ich um eine Minute früher komme?
er Ba
— Bela konnte fi nicht länger des Wei-
nens enthalten. Wie jollte er die Thränen zurüd-
halten können, der fo jehr geliebt war und fo viel
Glüdjeligkeit in Nichts zerrinnen jah ?
| — Wie lonnteft Du zu mir kommen ?
— Auf wunderbaren Wegen. Später werde
ih Dir's jagen. Unter taufend Gefahren, Wag⸗
niffen und fühnen Verſuchen; der Inſtinkt meiner
Seele leitete mid; über mir waltete Gott.
— Um marım famft Du? Du weißt
doch, daß bier das Shidjal zu Ende ift.
— Warum ih kam? Weil id ſah, daß
Dein Geſchick fih zum Schlehten wendet, daß
Alles verloren ift. Nichts habe id) mehr, außer
Dir; Dich muß id befreien. Es iſt die Aufgabe
meines Lebens.
Gott hat ſie mir auferlegt und ich unter-
ziehe mid) ihr. Sch wußte, was Du thun- wirft,
wenn e3 zum Acußerften kommt. Du wilft Die
tödten. - Deshalb kam ih, um mid -zwilchen
Deine Hand und Dein Herz zu ftellen. Seht ge—
hört Dein Leben nit mehr Div; Du haſt es
weggeworten, hier dieſes Papier beweift es; ic)
nehme e3 auf und es gehört jekt mir. Ich jehe
Nichts ... feine Gefahr, feinen Verluſt, nicht
mein, nicht anderes Leiden ; ich jehe blos Dich)
und Did allein ; id) ergreife Deine Band. und lafle
jie niht mehr los.
Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Band. ' 5
— BE
— Was willft Du aber ? Iſt es denn mög:
Ä Lid), länger zu leben? — rief Bela aus.
— O, io weit denke ih nit. Ich dente
nur von einer Minute auf die andere. Was aus
uns wird? wie wir weiter kommen? wo wir
ftehen bleiben ? was dann geſchieht? ... ih weiß
es nit. Aber ih denle ja jeden Augenblid
daran, und jeder Augenblid gibt mir einen neuen
Gedanken ein. |
— Du millit alio, daß ich fliehen ſoll? ich ?!
— Ich will, daß Du mir folgft, wohin id
gebe. |
— Feige? zufammengedudt ?
— Nicht doch. Nur inkognito. Ich habe
Wagen und Pferde gekauft; Du kleideſt Dich als
Kutſcher. Wie ich hieher kam, werde ich auch wei—
ter kommen, dazu hilft nicht Feigheit; ſondern
Muth. Dder Tollteft Du es für eine größere Hel—
denthat halten, wenn ein Mann fi) eine Kugel
durch den Kopf ſchießt, als wenn ein Weib durch
Naht und Sturm, auf Shleihwegen, ganz, allein
duch feindlihe Lager zieht, ein halbes Land
durchſtreift, um den Geliebten zu finden ?
Die Frau drüdte bei diefen Morten jo
heftig den Arm ihres Mannes, daß er ihn nie=
derfinfen ließ.
— Sage id Dir etwa, daß Du feige fein
folft ? — jekte fie in vorwurfspollem Tone fort. —
Ich ſage Div blos: Bleibe bei mir. Und ift es
u. BE
unmöglib länger zu leben, it feine Rettung
möglih, und ift der Tod unvermeidlich ... num,
jo will id — dabei ſein!
— D,ih weiß dies, und eben dies
ſchmerzt mich.
— Sei ein Mann, Bela, ſei ſtark, wie id)
«3 bin ; nicht Derjenige. ift ftarl, der mit dem
Leben bricht, wenn er es verachten gelernt, jon=
dern Derjenige, der fi erhebt, wenn das Schick—
jal ihn niederdrücdt. Wir werden das Leben von
Neuem anfangen, ganz bon vorne. Wir werden
Die glänzenden Bahnen verlaffen, auf welchen
wir bisher. gewandelt, und wir werden. unjer
Brod mit unjerer Hände Arbeit verdienen. Wir
ziehen uns in einen Winkel des Vaterlandes zu-
rück, wohin nicht einmal die Kama fih verirrt
und wir werden den Boden bebauen. Ich liebe
Die Arbeit, und bift Du an meiner Seite, jo
fehlt es mir an Nichts; jedes Brod ſchmeckt mir
gut, ſehe ich nur Dih neben mir, Fühlſt Du
nit jo? Einft ſagteſt Du mir, ich fer für Did
eine ganze Welt; nun haft Du eine ganze Welt
verloren; was bin ih Dir jegt?
— 1Die ganze Welt! — feufzte Bela und
ſchloß die theure Frau an die Bruſt, die Frau,
deren Liebe höher ift, als der Sternenlauf.
— Du wirft alfo mit mir fommen, — tief
fie freudig erregt.
— Mit Dir überallbin.
5%
——
— Wirſt Du mir in Allem gehorchen und
vertrauſt Du Dich mir an?
— Ich lege die Kleider Deines Dieners
an und ich diene Dir treu wie ein Sklave.
— Wirſt Du den Muth haben, nad einer
glänzenden Vergangenheit einer düfteren Zukunft
voll Refignation entgegenzugehen ?
— Habe ih ihn nicht, jo wirft Du mir
ihn einflüßen. Ba
— Gut; ih glaube Dir. IH glaube Dir,
da Du mih nicht betrügen wilft, mid) nicht
durch jcheinbare Nachgiebigkeit täufhen willſt.
Sprich mit Niemandem, komme ſofort mit mir.
Im Thore wartet mein Wagen. Sobald wir in's
Freie kommen, kannſt Du die fremden Kleider
anlegen. Dann vertraue Dich mir an. Die zwin—
gende Nothwendigkeit lehrte mich, ſchlau zu ſein.
Nur vergiß auf Eines nicht. Alles, was Dich be—
trifft, Freude und Kummer, Glück und Unglüd, -
gehört zur Hälfte mir. Was Du mit Dir thuft,
das thuſt Du auch mit mir. Wenn Du frei
wirft, befreieft Du’ auch mich; wern Du fälft,
faleih mit Dir; wenn Du in Verzweiflung
ftürzeft, zieht Dulauh mid mit Dir. Fürdte
Nichts. Schande werde ic über Deinen Namen
nit bringen, Fund follte das Schidjal uns mit
feinen Netzen jo umipinnen, daß feine andere
Wahl bleibt als Kopf oder Herz, jo wäre ich es,
die Dir Sagen würde: „Mein Gemal, e3 gibt
— 5—
noch einen dritten Weg; Paetus, das Meſſer
thut nicht wehe!“
Béla zog begeiſtert dieſes Ideal Arria's
an die Brüft, und in dieſer fürchterlichen Stunde
der Verzweiflung fühlte er fi) glüclicher als jemals.
... . Glaube und Hoffnung breden zujam-
men und erjterben, aber die Liebe dauert fort
und. überlebt die verichwifterten Genien! . .
Auf der Gaſſe ftand ein leihter Wagen, in
welchem Judith gereijt war.
Es war ein Leichtes, unbemerkt ſich zu ent-
fernen. Achtzehnhundert verſchiedene Fahrzeuge
ftanden als Wagenburg neben einander; wer
kümmerte ſich darum, wenn einer verſchwand.
Im Freien angelangt, ſtieg Judith's Kutſcher
vom Wagen und übergab Béla die Zügel. Er
fagte ſeinem Herrn, wie er ſich zu benehmen
habe, wenn er als Kutſcher gelten wolle. Den
Schnurrbart müſſe er tüchtig wichſen und die
Pfeife mit dem kurzen Rohr in den Mundwinkel
drücken; er müſſe Branntwein trinken, damit er
eine heiſere Stimme befomme, und wenn er im
Wirthshaufe Etwas verlange, müfle er ftark
ſchreien. Wenn er in der &järda oder im Stalle
mit einem andern Kutiher zuſammenkommt, dürfe
er nicht zurüdhaltend fein, aber er dürfe ihn auch
nit traftiren;. wenn er mit der gnädigen Frau
ſpricht, müfje er den Hut ziehen; fo oft fid) die
geringfte Gelegenheit bietet, Tolle er laut und
a
heftig fluchen; die Pferde dürfe er vor der Füt—
terung nicht tränfen, zuerit gebe er ihnen Heu,
dann Hafer; das eine Pferd heiße Giillag, das
andere VBidam; er möge fie beim Anipannen
nieht verwechſeln, ſonſt gehen fie ſchlecht; mit der
Beitihe dürfe er blos den Baud) des Pferdes
figeln, denn wer das Pferd auf den Rüden
Ihlägt, der zeigt, daß er noch fein rechter
Kutſcher ift.
Mittlerweile hatte Bela die Kutſchertracht
angelegt; das glänzende Koſtüme Bela’3 verbarg
Judith in dem Wagenkoffer; der Kutiher über:
gab Bela die Peitihe und die Pfeife. Diefer
wendete fih nun gegen Judith und fragte mit
heilerer Stimme:
— Rohin fahren wir, gnädige Frau ?
— Nur vorwärts!
Der Wagen braufte dahin, der autſcher
tief ein ‚„Lebewohl“ nad, und ſchaute lange mit
prüfenden Blid, ob der junge Herr gut zu kut—
Ihiren verſtehe. Er ſchüttelte bedenklih den Kopf
und ging dann weiter; ohne Zweifel hatte er
viel einzumenden.
zo nun ?
| Im Weiten und Norden ſtanden ruffiihe
Armeen; tm Diten unbelannte Gebirgswege, die
in das Innere dverrufener Wälder führen, wo ein
trogiger Volksſtamm wohnt, fremd an Sprade
und fremd im Herzen, Ringsum Gefahr !
Die. Landſtraße führte gegen Norden.
Zwei Stunden ſchon rollte der Wagen und
noch trafen die Reifenden feine menihlihe Seele,
die mit ihnen in gleihe Richtung gezogen wäre.
Kam ein Wagen, jo fam er von der entgegen-=
gejetten Seite und auf Seitenwegen.
Auf den Gelihtern der Entgegenfommenden
lag die Angft deutlih ausgeprägt. Alle famen
mit raſender Eile herangeftirmt, und Feder Ihaute
verwundert die Reilenden an, al3 ob man fie fragen
wollte, warum jagt Ihr denn in Euer Verderben ?
Unter den Zurüdichrenden zeigte ſich manch
‚befanntes Gejiht, man fand es jedoh nidt an
der Zeit, die Belanntihaft zu erneuern; raftlos
jagte man aneinander vorbei.
Immer mehr Wagen kamen unjern Rei-
jenden entgegen; faum Hatten jie mehr auf der
Landitrage Platz. Bela war oft gezwungen an—
zubhalten, damit er nicht mit einem entgegenfom=
menden Wagen zujammenftaße. |
Noch Niemand jagte ihnen, wovor man fi
flühte und fie fragten auch Nientanden.
Almälig wurden’ die anfommenden Wagen
jeltener, deſto heftiger jagten fie dahin.
Plöslih rief aus einem bevedten Wagen
eine Stimme hervor: „Snädige Frau, Judith!“
Judith jah erihroden in das Geſicht, wel:
ches aus dem Wagen hervorlugte. . . . Es war
Baͤrſing.
— 2 —
— Zurüd, zurüd! — tief Bärfing. — Die
Kofalen fommen.
| Dela blickte zurück und Bärfıng erkannte
ihn ſogleich.
— Servus, Bela, — rief er; — dorthin dürft
Ihr nicht fahren. Kehret um.
Judith blidte mit ftrenger Miene. auf ihren
Kutſcher und rief im befehlenden Tone:
— Darum bleiben wir auf der Straße
ſtehen? | |
— Bir find verloren, — flüfterte Bela, —
diefer Menſch hat uns erkannt. J
— Vorwaͤrts! — befahl Judith.
Bela trieb die Pferde an.
Baͤrſing rief ihnen noch einmal nach, fie
mögen doch nicht in jener Richtung fahren, fie
würden das ganze ruſſiſche Lager auf dem Wege
finden. Als er aber jah, da Jene nicht zurüd:
tehren wollten, da wollte er feinen Kutſcher zur
Umkehr bewegen.
| Dieler Kuticher war aber Herr Andreas
Kapor. — |
Er kam aus der oberen Gegend mit feinem
Wagen hieher; ein Pferd hatte er auf der langen
Fahrt bereits eingebüßt. Er führte die Kaffe,
welche Bärfing bewachte.
— Kehren wir um und jagen wir ihnen nach.
Herr Kaͤpor ſchob den Hut von der Stirne,
um dem Manne beffer in's Geſicht jehen zu
Innen.
— Sollen wir zwiſchen die Kofalen hinein
fahren ? . |
— Haben Sie jene Frau und ihren Kut—
ſcher nicht erkannt ?
— Nein. IH habe fie nie gejehen.
— Der Kutſcher ift Bela Laͤvay, die Frau,
deflen Gattin.
— Ich kenne fie nit. Und was geht's
mh auch an. Weshalb jollte ih ihnen nach—
jagen ? |
— Weil id) die Beiden retten wil.
— Der umgekehrt, nicht wahr? Gie
ſcheinen mir ein ſehr falſches Tuch zu fein; nie
babe ich noch einen aus fo vielen Hölzern ge=
ſchnitzten Menſchen gejehen.
— Verſchont mich mit Euren Grob—
heiten.
— Iſt es Ihnen nicht recht, ſo ſteigen Sie
bon meinem Wagen. Ih führe die Kaſſa, und
der Herr hat mid) während des ganzen Meges
mit allerlei furiofen NRathihlägen verſucht. Wir
jofen die Raffa in irgend einen hohlen Baum
veriteden, da ohnehin ſchon Alles verloren jet.
seht wollen Sie wieder, daß wir zwiſchen die
Koſalen fahren, um irgend ein fhönes Weib zu
retten, oder zu verfolgen. Fürchten Sie für dieje.
Beiden Niht3, die werden ſchon mit ihrem leichten
—
Wagen durchkommen, uns wird man aber ſammt
der Kaſſa gefangen nehmen.
— Bauer! — rief der goldbeſchnürte Herr,
all’ jeine Autorität zufammenraffend — jetzt befehle
ih Dir, zu gehordhen.
— Mir? — frug Käpor in ruhigem Tone.
— a Dir, ſonſt ſchieße ih Dich nieder.
Kaum hatte er jedoch Diele Drohung aus-
geiproden, al3 er auch ſchon auf den Boden
lag; Käpor hatte ihm mit feinem Ellenbogen
einen Stoß verjegt, dak er vom Wagen bis an
den Rand des Grabens follerte ; bevor er fi da
aufraffen konnte, war der Wagen Kuͤpor's bereit3
in der Ferne verihmwunden. Bärfing hinkte nun
zu den nädjtfolgenden Wagen, bot viel Geld,
wenn man ihr zurückführen molle, mußte ſich
aber damit begnügen, daß man ihı führte, wohin
man eben wollte.
Sy mußte er abermals jenen Feind ent-
ihlüpfen laffen, deffen Untergang er zuverſichtlich
gehofft. Dieſer Feind wird fi retten, es ſteht
ihm ja eine Frau zur Seite, die für ıhn Wunder zu
wirfen im Stande ıft!
Der Wagen Judith's fuhr langjam die
Straße entlang.
Einem einzigen Fuhrwerk begegneten ſie
noch; diejes mit vier Roffen beipannt, jagte mit
ralender Eile, als wären die Pierde ſcheu ge=
worden. |
u. IE a
Im Wagen ſaßen zwei Damen und ein
möltjähriger Knabe. Ihre Gefihter waren bleich,
Ihre Lippen blau vor Shred. Sie wurden von
den Koſalen verfolgt, welche nach ihnen geihoflen
hatten; der Knabe zeigte das Loch an feinem
hute, welches eine Kugel geriffen, und die Lende
des einen Pferdes blutete. Die Koſaken blieben
at am Saume des Waldes zwüd.... Sie
tonnten ihre Rettung nur der Schnelligfeit der
Pferde verdanlen. Zuruͤck, zurück!“ — die
Damen! .
— Nur vorwärts! — befahl Judith im
feſten Tone, und die beiden Wagen jagten
davon, der eine nad Süden, der andere nad)
Norden.
Es naht alic der Keind, deſſen fürdterlicher
Ruf von der Seine bis zum Amur, und bon der
Behringsſtraße bis zum Golf des goldenen
Horn die Herzen mit Schreden und Grauen
erfüllt:
Die Kolafen kommen!
Der Feind, mit dem Niemand in dieſem
Voterlande zu Sprechen verftand, der für die
Klagen d er Flehenden fein Verſtändniß hatte, der
die eroberten Städte in Brand ſteckt und den
Säugling an der Mutterbruft ermordet. Der
Feind, der die Verwundeten auf dem Schladt-
telde tödtet und die Gefangenen taufend Meilen
weit in den Außerften Norden fchleppt; der ber:
u Mi ai
tifgt, wo er fiegt, und Leichenfelder ſchafft auf
Schritt und Tritt. Und was ſchlimmer als Tod
und Verheerung: der Feind, der neben der Waffe
die Veitihe in der Hand Hat und nicht nur.
tödtet, fondern auch jchlägt! Denn niht der
Shwertftreih, ſondern der Knutenihlag iſt es,
der niemals verhariät.
Und diefem Feind galt es entgegenzus
fahren.
Nur ein Wald barg die Reifenden vor ihm.
Am Rande des Waldes angelangt, brachte
Bela die Pferde zum Stehen und, zu feiner Frau
gewendet, ſagte er: |
— Judith, ich bin auf Alles vorbereitet,
nur auf Eines nicht, darauf nicht, daß mir in
Deiner Gegenwart Schmach angethan werde,
Wenn ein Mann vor den Augen feiner Frau
geihlagen, oder eine Frau vor den Augen ihres
Mannes gelüßt wird... das ift mehr als der Tod.
— Ich weiß e3, — antwortete Judith.
Und darauf zog fie eine Piftole mit dop—
peltem Lauf aus der Taſche.
— Gei ruhig. Ich fie Hinter Dir. Be—
vor es geſchehen könnte, daß der Feind mid
füßt oder Di ſchlägt, hat der cine Schuß Did,
der andere mich befreit. Die Piftole ift in guter
Händen, fürdte nichts, fie zittern nicht. Ich werde
Di und mich zu tödten willen. So. fei Gott
meiner Seele gnädig. . . |
———
— Ich danke Dir, — ſagte Bela und drüdte
Die Hand feiner Fran.
— Und nun umarme mid, küſſe mie,
Bela neigte fih zurüd, jeine rau um—
Ihlang ihn mit ihren Armen, und in einem
langen Ruffe jagten fie einander Alles, was in
Morten unmöglid auszudrüden war. Die tiefe
Stille des Waldes lauſchte dieſer Unterredung.
Und nah diefem Kuſſe bededte lebhafte
Röthe die beiden Geſichter, Die bisher jo blaß
waren. Bela ſchwang die Peitihe, der Wagen
rollte weiter; der Kutſcher begann ein Luftiges
Lied zu pfeifen, und die Vögel des Waldes ſchwatzten
und fangen dazu.
Judith aber blidte voll Entzüden auf den
blonden Kopf ihres Gatten, auf den blonden
Kopf, deſſen Loden ihre Lippen jo oft geſtreift;
ihr Herz pochte heftig, und ihre Finger ruhten
auf dem Hahn der Piftole.
Wie wird fie diefen Schönen, lieben jungen
Kopf in einer Minute auseinanderichießen !
... Der Wald begann fi zu lichten, und
al3 die Reiſenden das letzte Geftrüpp hinter fi)
hatten, fonnten fie die Landftrage in ihrer end-
(ofen Länge vor fih fehen. |
So meit das Auge reichte, fonnte man eine
ununterbrodhene Kolonne von Reitern und Infan—
teriften fanımt dem Zubehör von Kanonen, Muni-
tions⸗ und Zeugswagen gewahr werden.
u 27
Der Vortrab dieſer Kolonne bewegte ſich
faum zweihundert Schritte vor den Entgegen:
fommenden und beiehte die ri nah ihrer
ganzen Breite.
Diefer Vortrab beitand aus Koſaken.
Man konnte fie an ihren rothen, pelzver-
brämten Mügen, an ihren langen Lanzen ſchon
bon der Weite erfennen. Ein Jeder hatte. Die
geflodtene Lederpeitihe um das Handgelent
gewidelt ; einen Jeden zeichnete der wilde
Blick aus.
Der Anführer des Pulls war ein blatter-
narbiger Mann, mit verbundenem Auge; duch
das weiße Tuch triefte Blut; er mochte die Wunde
erft jegt befommen haben.
| Aud die gemeinen Reiter trugen Spuren
friiher Wunden; es mag dies eine Truppe ge:
weien fein, welde ein Quarre attaquirtc, worüber
fie lange nachzudenken haben wird.
— Macht nichts!.
Bela trieb feine Pferde vorwärts. & fonnte
ſich ja feiner Judith anvertrauen.
— Es kann Dir nidht3 widerfahren ; ih be:
ſchütze Dih, ih werde Dih auch tüdten..
Die Kofaken und der Wagen RER ſich
langſam einander.
Als ſie auf ungefähr fünfzig Schritte an
einander gelangten, fommandirte der einäugige
Kommandant in fiherem, rauhem Tone Etwas
— nd.
einer Truppe; Diele griff zu den Peitſchen und
iehte die Prerde in ſchnellere Bewegung — —
jedoch blieb die Hälfte zurüd, und lieg den Raum
für den anrüdenden Wagen auf der einen Seite
der Chauffee frei.
Dann ging c3 ruhig heben einander weiter.
Bela pfiff fich ein Lied, die Koſalen fangen fid
eins, und machten, al3 würden fie einander nicht
einmal gejehen haben. Auf der linken Seite der
breiten Landſtraße marſchirten die feindlichen
Zruppen, Kanonen und Munitionswagen in
mufterhafter Reihe; dic rechte Seite blieb leer;
auf diefer konnte Bela ungeftört und ungehindert
weiterfahren , ohne Jemanden zu begegnen. ..
Stundenlang währte es, bis das entgegenkom—
mende Armeekorps vorbeizog; Batterien ver-
\diedenen Kalibers, glänzende Huſaren- und
Uhlanenregimenter auf gleihfarbigen Pferden,
eine unabjehbare Reihe Infanteriſten in langen,
grauen Rüden, mit ſpitzigen Pidelhauben, Laft-
wagen, Sanitätäfarren, blanfe Stab3offiziere und
zerlumptes Fuhrweſenvolk. Alles dies z0g ohne
Tompetenſchall und Trommelſchlag ftille vorüber,
laum drei Klafter von den Flüchtenden entfernt,
und Niemand wendete auch nur das Gefiht gegen
fie, als würden fie für die Marſchirenden unficht-
bar fein, oder als wäre das Ganze nur ein bor-
überzichende3 Traumgebilde, welches nichts von
Demjenigen weiß, der es geträumt Hatte.
— 80 —
Auh der Hufihlag des Iekten Nachtrabes
verflang, und nod hatte Niemand ein einzige
Wort an die Flüchtenden gerichtet.
Die Rettung Boͤla's grenzte an's Wunder—
bare, und war doch fo einfach, wie das Raͤthſel mit
dem Solumbusei. Ein Reiſender, welcher mit
vollem Vertrauen dem Feinde entgegenfährt, bei
deſſen Annäherung nit umkehrt wie die Uebrigen,
der jtets jeine Ruhe und Gleichgiltigkeit bewahrt,
kann keinen Argwohn erwecken.
So viel ſteht jedoch feſt, daß dies ein ge—
wagteres Unternehmen war, als der gemagtefte
Sturm auf feindliche Kolonnen! ... Durch eine
ganze ruſſiſche Armee brechen, wenn ringsherum
nirgend mehr ein Rettungsweg offen.
Als ſie über das nächſte Dorf hinausge⸗
wi — ———— — — — — —
am.
langten, war die Gefahr vorüber. Da üffnete fih
die endloje Steppe des Alfold mit der befannten Be |
bölferung ; dieje barg und geleitete die Flüchtenden.
Wer weiß, wo fie am Ende Ruhe fanden.
— — — —
Koſtbare Blutstropfen.
. . . . Der Heine hinkende Doktor Melchior
hatte ſeit zwei Tagen ſein Zimmer gehütet.
Als er vor dem Nationaltheater auf der
Kerepejcherftraße einen Kojafen gewahr wurde, wie
berielbe reife, gelbe Gurken aß, war er es, der
darüber das Fieber befam, — möglid, daß nit
die Gurke daran Schuld trug. |
Er ging nad) Haufe, verriegelte fid) in jein
Zimmer, ließ die Vorhänge der Fenſter herab,
um feinen einzigen Blick mehr auf die Gajle
werfen zu fünnen. Er wollte von der Welt nichts
mehr willen.
Dann nahın er die alten Portraits von den
Wänden und lieg deren Rahmen leer ftchen ;
deizte Die ganze Nacht Hindurd mit feinen dies—
jährigen Zeitungen, trotzdem daß es Monat Auguft
und ungemein heiß war. F
Am zweiten Tage begann er erſt darüber
nachzudenken, was mit ſeinen Patienten geſchehen
ſein konnte, die er während feiner Klauſur nicht
Andere Zeiten andere Menſchen II Band 6
— 8. —
beiucht Hatte. Er hielt es für einen Unfinn, fich
mit anderer Leute Angelegenheiten zu beichäftigen,
wenn einem ſelbſt jo Großes mwiderfahren. Und
wenn er bedachte, daß Einer Seiner Patienten
an der Angine leidet, der Andere am Typhus dar=
nieberliegt, der Dritte fih im legten Stadium
der Schwindſucht befindet, jo beruhigte er fich
immer damit, dab alle dieſe weniger Urſache zur
Klage haben, als er; und wenn er Desjenigen
gedachte, der dem fihern Tode entgegengeht, jo
hielt er dielen für den beneidenswertheiten Men-
Ihen der Welt.
Bis in die ſpäte Naht hinein Eopfte man
ununterbrodyen an jeine Thüre ; er blieb entſchloſ—
jen und verichloffen. Die haben es leicht, fie find
nur frant, meinte der kleine Doktor.
Einmal jedoch klopfte man jo beiheiden, jo
ſanft an die Thüre, das er es nicht auf feine
Seele zu nehmen vermochte, auch jegt nicht zu
öffnen. Er ließ den Klopfenden herein,
— Ad, mein Herr Jeſus! — tief er erſchro⸗
den zurücdtaumelnd.
Bor ihm jtand eine Frau mit verichleiertem
Geſicht, geienkten Hauptes und? im Schoße ge—
freuzten Händen.
Es war Judith.
Melchior hatte fie auf einen Blick erkannt.
Er 309 Sie Schnell in das Zimmer, verriegelte
dann doppeltdie Thüre, und flüfterte erichroden :
‚Sind Sie es?“
Die Dame nidte mit dem Kopfe und ließ
ſich müde auf den erſten Stuhl, den fie fand, nieder,
— Sie find nah Weit gelommen .
jtatt in’3 Ausland zu gehen ?
— Ich konnte nit, und wollte aud) nicht; —
antwortete die Dame, ängftlih in dem Zimmer
| unheripähend.
— Und Bela? frug der Arzt beklommen.
— Befindet ſich in dieſem Augenblicke an
einem guten Orte.
— Wie lange wird dieſer Aug enblick waͤhren?
— Das weiß ih nicht zu beſtimmen ..
jagte die Dame. — Ich zittere, wenn ic) daran dente ;
doch wozu zittern, wenn es zu helfen gilt, wenn
man helfen muß, und wenn man jelbit das Un:
möglide verjuhen müßte! ?
— Wie denken Sie fih dieſe Rettung ?
Haben Sie irgend eine Idee?
— %a. Und dephalb fam ich zu Ihnen,
dag Sie mir an die Hand gehen. Doch ftille;
lauſcht bier Niemand ?
— Außer mir befindet jih Niemand im
Zimmer. |
— Und in diefem Kamin dort ?
— Dort fann ſich Niemand verbergen, es
brennt ja jetzt nod Feuer d’rin. |
— Feuer ?
6*
— 84 —
— Ja. Es find Zeitungen und ſonſtige Druck—
werle. — Judith ſpähte mit dem ängſtlich ſcharfen
Blicke eines Verfolgten im Zimmer nach jeder
Ede. Plötzlich erblickt ſie neben der Bücheretagere
einen Menſchen ähnlichen Gegenſtand, welcher, mit
einem weißen Leintuch bedeckt, die Formen des
Kopfes, der Achſeln, der Ellbogen und der Kniee
deutlich unterſcheiden ließ.
— Dort iſt Jemand verborgen! — rief ſie
erſchrocken; — dort horcht Jemand!
Damit ſprang ſie haſtig von ihrem Sitze
auf und deutete mit dem zitternden Finger auf
die Geſtalt.
— Nein, nein, es iſt Niemand dort, — ver—
ſicherte der Heine, lahme Mann in weinerlicher
Verwirrung.
— Wer ift es? Wer ift dort verborgen ?
— Dh, jehen Sie es nicht au, gehen Sie
nicht hin, — jammerte Meldior, die Hände der
Dame erfaſſend; aber er hatte nicht die Kraft,
fie zurüdzubalten. Sie riß fid) los, ftürzte ſich
auf die ſchweigende Geftalt, zog haſtig die fie
bededende Hülle weg und taumelte dann, die
flahe Hand auf die heiße Stirne drüdend, ent:
ſetzt zurüd.
Dieje horchende Geftalt war ein einfach
menjhlihes Gerippe, ein Falter Gegenftand Arzt:
liher Studien, ein Mann, welder das Schweigen
u. BB u
fh längft angewöhnt hatte, und weldyer das, was
er gehört, Niemanden erzählte.
Judith fiel als einem Schred in den an-
dern und ſuchte unwillfürlih nad) der Hand ihres
alten, bewährten Freundes, um fih auf dieſe
Hand zu ftügen, dann ftotterte fie mit athemlojer
Stimme:
— VBerzeihen Sier Ih bin fo ängftlid.
Alles jagt mir Furdt ein.
Der Arzt beeilte jih, das Gerippe zu ver—
deden, ſchob es dann Hinter den Bücherihrant
und jagte mit ftilem Vorwurfe:
— Sie mißtrauen mir?!
— O, mundern fie fih) nit darüber; ich
fuüͤrchte mich jeht vor Allem. Verzeihen Sie mir;
ih werde meinen Fehler gut machen, werd: Ihnen
Alles erzählen, mein Schidjal in Ihre Hände
legen. Sie ſollen e3 jehen, daß ich Vertrauen zu
Ihnen habe.
— Sagen Sie mir mır, ob fih Bela in
Sicherheit befindet.
— Gegenwärtig ja. Aber wie lange wird
da3 währen? Jede Minute kann er verrathen
werden... . Soll ih denn cewig- für fein Leben
zittern? Ihn ftets als Flüchtling wiſſen? ...
Soll er ein Begrabener ſein, für deſſen Leben
ich bete? Ach, das Führt zum Wahnſinn! Ich
muß ihn befreien, und Sie werden mir dabei be—
hilflich ſein.
— 86 ı—
Melchior verſprach Alles zu thun, mas
Judith von ihm verlange. \
— Verſprechen Sie mir bei Allem, was
Ihnen heilig ift, Alles zu thun, mas ichr von
Ihnen verlangen werde?
— Alles, Alles! ... ich verſpreche es
Ihnen bei dem Angedenken meiner Mutter! —
beeilte ſich Melchior zu erwidern, indem er
warm die Hand der Gattin ſeines Freundes drüdte.
— Nun, io erfahren Sie denn, was id
wünſche. Im Augenblid ift Alles verloren. Es
gibt nur einen einzigen fihern Ort noch: Komorn.
— Romorn wird auch Eapituliren.
— Ich weil es. Jedoch ift das Schid-
fal Derjenigen, welche in Komorn find, geſichert,
ihr Leben geborgen, es kann fie feine Gefahr ereilen.
Im Gehirn Meldhior'3 bligte ein Freuden—
ftrahl auf.
— Dort jollte Bela sein !
Indith antwortete niedergeihlagen.
— Dorthin kann er nicht mehr.
| — &ft er zu weit entfernt? — frug der
Arzt traurig.
— Sehr weit. . . . Und ich wirde es ihm
auch niht erlauben, den Verſuch zu machen,
in die Feftung zu gelangen... Ich braude
biezu jemand Andern. Während diejer Zeit darf
er den Drt nicht verlaffen, wo id) ihn geborgen.
— Was Soll denn alſo geihehen ?
— —
— Es muß ſich Jemand anſtatt ſeiner unter
die Feſtungsheſatzung einſchreiben laſſen; muß ſich
in ſeinem Namen melden, einen Paſſierſchein auf
ſeinen Namen erlangen.
Melchior betrachtete ſeufzend ſeinen lahmen
Fuß, als würde er ihm Vorwürfe machen wollen,
und murmelte in ſich hinein: wäre ich nur nicht lahm,
ih würde es thun...
— Bela hat gute Freunde dort, — tröftete
er Judith.
— Das wird ihm wenig nüßen. Wer
würde es denn unternehmen, auf ſich jelbit zu ver—
geilen, um ſich eines abweſenden Freundes zu
erinnern ? Wer würde den letzten rettenden
Balfen, den er aus dem Schiffbrude erhalt,
dem untergehenden Freunde überlaflen ?
— O, iprehen Sie alio, was ſoll ich
bier thun ? — rief der Arzt iin peinliher Span:
nung.
— Merken Ste gut auf. Ich Din einund—
zwanzig Jahre alt; Bela zählt dreiundzwanzig.
Wir ftehen beinahe im gleihen Alter. Er ift als
Mann mittlerer, ih als Frau hoher Statur.
Denn ich mid zwei Tage hindurd den Strahlen
der Sonne ausjege, wird mein Geſicht ebenio ges
bräunt, wie das Seine. Ich Felbit will nad
Komorn als Frau hineingelangen, und dort mich
unter Bela’3 Namen al Mann in die Armee
einihreiben laffen und jo zurückkehren.
— 88 —
— Wohin denken Sie?!,.
— Bitte! Widerſprechen Sie mir nicht.
Ich habe nicht deshalb ſo viele Nächte mit dieſem
Gedanken durchwacht, daß mich Jemand mit einem
kurzen Einwurf in meinem Eutſchluſſe ſtören ſoll.
Ich will es ſo, und es muß gelingen. Wollen Sie
mir behilflich fein ?
— Dann müffen Sie fih von Ihrem
Ihönen, langen Haare trennen, — ſagte Meldior
ſchwärmeriſch.
— Das iſt ſchon geſchehen, — erwiderte
Judith, ihren Hut vom Kopfe nehmend.
Zu jener Zeit war es Mode, daß die
Männer ihr Haupthaar bis auf die Haut ge—
ſchoren trugen. Auch der Kopf Judith's hatte
dieſe Friſur.
Dem guten Melchior traten die Thränen
in die Augen, al3 er an die Schwarzen, wallenden
Locken dahte, weldhe auf der Bühne den Boden
fehrten, wie man Judith, als zum Tode verur—
theilte Königin, zum Nidhtplag führte.
— Wie kann man einen Mann lieben! —
jeufzte er.
Judith lächelte, als fie den Hut herab:
nahm.
— Sie haben für Bela eine Welt ver—
nichtet, — ſagte der Arzt in vorwurfspollem Tone.
— Das Haar wird wieder wadhlen.....
— 89 —
Dies Alles ift jedoh nicht genng. Die Paflier-
iheine werden mit der betreffenden Perſons—
beihreibung ausgefüllt... . Sie werden fi er:
innern, daß auf der Stirne Bela’3 eine lange
Narbe jihtbar ift.
— Ich erinnere mih. War doh id
der Arzt, welder ihn nah dem Duell be:
handelte.
— So werden Sie fi auch erinnern,
welhe Richtung die Narbe hat, und wie groß
fie ift.
— Habe doh ich fie verbunden!
— Gut, nun maden Sie alfo einen gleihen
Shnitt auf meine Stirne.
— Um Gottes Willen!.. Was verlangen
. Sie da von mir.
— Ich verlange, das Sie erfüllen, mas
Sie mir veriprohen. Einen Schnitt auf meine
Stirn mit ſachkundiger Hand. hi
— AH, Sie treiben Scherz mit mir. Ich
jo diefe Schöne ulabafterne Stirne rigen? mit
ſcharfem Eiſen, wenn auch nur fo tief, als wäre
3 mit der Spige einer Nadel geihehen ? Ich ſoll
dieſes Antlik blutend Sehen von meiner Hand ?
Ninmermehr! Und verflucht ſei die Hand, welche
es vollziehen wüͤrde.
— Ich bitte Sie, dieſen Fluh zurückzu—
nehmen, ſonſt iſt es möglich, daß Sie meine eigene
hand verflucht haben, .. denn wollten Sie mir
— 90 —
etwa den begehrten Dienft nit erweilen, jo müßte
ih die Dperation Selbit vornehmen, und dann
wäre e3 wohl möylih, daß meine ungeübte Hand
eine tiefere Wunde, und vielleiht nicht in der er=
forderlihen Richtung ſchneiden würde, was für
mich injoferne jchmerzlid wäre, als ich nicht viel
Zeit habe, mih mit dem Wundfieber zu befafjen.
Melchior gerieth in Verzweiflung, er mußte
einjehen, daß ſich gegen dieſe Frau nichts aus—
richten lich.
— Nun, mein lieber Freund, wollen Sie
mir dieſen Dienft erweilen ?
Bei dieſen Worten lieg jih Judith ruhig
und falten Blutes in jenem Armjtuhl nieder, in
welchem Melchior jeine Operations-Meiſterwerke
zu verrichten pflegte, den Kopf an den Kiſſen des
Stuhles gelehnt, blickte ſie mit ihren großen,
ſprechenden Augen den Arzt an, welcher, von
dieſem Blicke bezaubert, ſich ganz dem Willen der
Dame untergeordnet fühlte... und er vollzog
die Dperation.
Judith Eonnte erft nah acht Tagen die
Binde von der Stirne entfernen, auf der mar:
mormweißen Glätte dieſer Stirne zeigte ſich ein
rofenrother Streifen, eine vernarbte Wunde. Aud)
diefe verunftältete fie noch nit, bob vielmehr
deren Schönheit hervor.
Sieben Tage hindurch meldeten die Thea—
terzettel ihre Krankheit;, am achten mußte fie
— —
auftreten. Die Narbe hatte die Bühnenſchminke
verdeckt, das Publikum konnte fie nicht bemerken,
und unter den Schaufpielern gab es nie Der:
räther. Lektere treiben viel Gehäfligleit unter:
einander, jie verleumden, intriguiren; ift aber
Jemand von patriotiihem Schmerze geplagt, To
achtet ihn dieſes Völkchen und hütet ihn vor
Freund und Feind, dem Nebenbuhler, jei es Weib
oder Mann, vor den Künftlern,, Pfuſchern,
Souffleuren und Theaterdienern. Niemandem von
dem Theatervolfe fiel es ein, über Judith's
Narbe zu ſprechen, troßdem dieſelbe hundert und
hundert Menſchen ftundenlang betrachten Tonnten.
Als fie nah der Vorftellung aus dem
Theater ging, trat ihr am Thor ein Mann im
blauen Dolmany entgegen und redete fie an:
— Guten Abend, gnädige Frau!
Zu jener Zeit, und überhaupt in jenen
Tagen, war die Kerepeſcherſtraße zehn Minuten
nah der Vorftellung beinahe gänzlich menjden-
leer; nur der einfürmige Tritt der Patrouillen
begleitete das erfterbende Abendgeräufh. Judith
war nur von ihrer Magd begleitet.
Sie erkannte jedoh an der Stimme den
Mann, welher ihr den Abendgruß geboten.
— Sind Sie es, Kaͤpor?
— Sie haben mid) erkannt, gnädige Frau?
— ſagte der Angeredete in jreudigem Tone. —
Und doch haben Sie mid jo lange nicht gefehen.
a A
— Sie waren ja fo oft im Haufe meines
Baters, als id) noch ein Kind geweien, und ba:
ben mid jo oft auf Ihren Knieen geichaufelt.
— Auch deflen erinnern Sie fih no?
Sie waren damals fo Kein, und doch ſchon jo
verwegen; wenn ih Sie in die Schaufel ſetzte,
tiefen Sie da nicht in Einem fort: Treiben Sie
beſſer an, Kapor bäcsi, treiben Sie die Schau:
fel bis in den Himmel hinauf! Während ich in
"Einem fort jammerte: Ad, Fräulein Juczi, ges
ben Sie, Acht um Alles in der Welt, Sie fallen
herab! Ah mein Gott und Herr!
— Und bin dennoh ſelbſt bis jet no
nicht berabgefallen, — ermwiderte Judith mit feſtem
Tone.
— Gott gebe es! — jeufzte Kapor. — Ich
fam die gnädige Frau hier aufzufuchen, weil ich
nicht in Ihre Wohnung gehen wollte, denn id
Hin ſelbſt nicht dreizehnpröbig. Sie verftehen mid)
ja? Da ih aber morgen in frühefter Zeit heim—
teilen will, jo wollte ih nur fragen, ob Sie der
alten gnädigen Frau feine Nahriht zu geben
haben ?
— Sind Ste mit einem Wagen hier ?
— Berfteht jih. Belieben ja zu willen, da
wir uns über Magyarat hinaus begegneten. Ich
ſah Sie jedody nicht, ich wußte von Nichts, wech—
jelte mit Niemandem ein Wort darüber, da ih
gut weiß, worüber ich zu ſchweigen babe. Aud
— OR
will ih Sie nicht viel mit Fragen beläjtigen,
nur jo viel möchte ich erfahren, was ih zu jagen
haben werde, wenn id zu Haufe, von meinem
Wagen fteige, und die gute alte Frau an mich her—
antritt und jene Frage, melde fie an Hunderte
ſchon gerichtet, auch an mich ftellt, ob ich da mit
,‚Ja“ oder ‚Nein‘ antworten fol.
Sie gelangten während dieſes Geſprächs
bis zur Wohnung Judith's, fie ſchickte ihre Magd
voraus, dann ergriff ſie die ſchwielige Hand des
duhrmanns und drückte dieſe mit inniger
Bärme.
— Sind Sie allein ?
— Ganz und gar allein.
— Mödten Sie niht meine Magd nad
Komorn hineinführen ?
Kapor ſchien die Frage ein wenig zu appre-
hendiren.
— Wenn Sie in Ihre Magd größeres Ber:
trauen als in mid) feßen....
— Es ift nit wegen des Vertrauens,
ſondern weil der Dienftbote wieder zuruͤckkehren muß.
— Das ift was Anderes. Mit taujend
Fteuden thue ic) es.
— Um wie viel Uhr fahren Sie?
— Ich möhte wohl ſchon um zwei Uhr
nad Mitternacht aufbrechen, will aber auf Shren
Dienftboten warten, da ich weiß, daß jo eine
ſtaͤdtiſche Magd nicht zeitlich aufzuftehen pflegt.
ze. 4
— Fürdten Sie nihts. Sie wird um zwei
Uhr eintreffen. Wo jind Site eingefehrt ?
— Biemlid) weit draußen, bei den „zwei
Böden.“ Ich würde gerne mit dem Wagen bier
vorfahren, aber es könnte uns Jemand bemerken.
— Sie haben Recht. Die Magd wird Sie
aufſuchen. Nun will ich Ihnen ihre Kleidung be—
ſchreiben, damit Sie ſich in der Perſon nicht
irren. Auf dem Kopfe ein rothes Tuch, am Leibe
ein buntes Mieder und einen blauen Rock Auch
an der Ausſprache wird ſie kenntlich ſein, da ſie
im Komorner Dialekt ſpricht. |
— Na, das freut mid) um jo mehr. Schiden
Sie fie mir warın immer, ich werde auf jie warten.
— Ich danke Ihnen, lieber Käpor, Gott
ſegne Ste.
— Auch Sie behüte Gott.
Der Fuhrmann wedielte einen warmen
Handedrud mit der Tochter feines einftigen Herrn,
die während zweier Jahre jo Vieles vom Med:
jel des Schickſales zu erdulden hatte. Und bis
der alte Manı aus der innern Stadt zu jeinem
vorftädtiihen Gaſthauſe gelangte, hatte er Muße
genug über Verſchiedenes nachzudenken. „Du guter
Sott, — murmelte er, — wie dody Alles in der
Welt jo veränderlid ift!... Einft das herrliche,
fröhlihe Leben zu Hauſe, . . . dann die jo un:
verhofft erfolgte ſchwere Stunde des Unglüds!..
Die Tochter des Hohen, ftolzen Herrn verftoßen
wi GE: a
und auf der Bühne,... wo fie auch Ruhm und
Achtung erntet, um das zu erſetzen, was fie ver—
loren ; die glänzenden Tage; der berühmte Gatte ;
dann die große, ungeheuere Finiternig, welde Alles
verdeckt, Alles, Alles... .“ |
Der. Mann mit der Ihwieligen Hand fühlte
es jedoch auch, das ſelbſt durch dieſe Finſterniß
etwas leuchtet, etwas, wie zwei Sterne: deren
einer die Treue der liebenden Gattin, der andere
der unverwelkbare Lorbeer, welchen die Kunſt um
Ihre Stirne gewunden. .
Kaͤpor hatte die gute Gewohnheit, dort ein-
zuihlafen, wo er den Kopf bingelegt. Als er
in den Gaſthof gelangte, legte er fih im ſei—
nen Wagen und ſchlief, bis es Zeit war zu er=
wachen. Er hatte feine Uhr, erwachte aber den—
noch pünktlich, wenn es Zeit war, die Pferde zu
füttern. Dieſe Zeit war ein Uhr Nachts.
Während die Pferde das Futter fraßen,
zündete ſich Kapor ein Pfeifchen an und lehnte
ih mit dem Nüden an den Thorpfoften des
Safthaujes zu den „zwei Böden“, um auf
die Magd Judith's zu warten. Er benükte dieſe
Zeit dazu, um am beftivnten Himmel den Gang
des großen Bären zu ftudiren.
Kaum hatte es jedoh im Thurme der
Sojefftädter Kirche drei Viertel nah Eins ge:
'hlagen, als fih eine Geftalt ihm näherte, mit
einem rothen Tuche auf dem Kopfe, im blauen
— 96 —
Rode, In der Hand trug fie ein kleines Bün-
del;... jie fam ganz allein.
Kapor wollte ihr zuvorkommen und grüßte
fie von Weiten :
— Guten Morgen, Sgueigen! v.
wohl den Andreas Kaͤpor, niht wahr?... das
bin ih!..
— Gott geb: auch Eud einen guten Mor—
gen! — erwiderte das Mädchen in unverfennbarem
Komorner Dialekt; — bin ich nicht zeitlih genug
——
Haſt Du Dich in dieſer finſtern Nacht
nicht gefürchtet, daß Dich Jemand anhält?
— Na; dem hätt’ ich die beiden Augen
ausgekratzt. |
— Bit ein braves, tühtiges Mädel.
Komm, bier ift mein Wagen ; Hettere in den Sig
hinein; ih will nur noch Die Pferde tränlen,
dannn jpanne ih an, und wir fahren in Gottes
Namen. 83 Y beiler, diefe Stadt im Dunkeln
zu verlaflen . ... Geht Du gerne nah Haufe ?
— Na, und Die.
— Hm! Zu Haufe fieht es aber jegt ſehr
garſtig aus. Iſt Alles abgebrannt. Auch mein
Haus hat nur ein Stückchen Nothdach, in den
übrigen Theil gucken die Sterne hinein...
Dabei half er der Magd in den Wagen,
denn das Auffteigen war mit viel Schwierig-
feiten verbunden, bis man in den Strohjtk ober
ia RR: —
der hintern Are gelangen fonnte. Dod das
Mädchen veritand fih auf das Slettern vor—
trefflih ; man ſah es, daß fie armer Leute
Rind jet.
Kaͤpor tränkte dann feine Pferde der Reihe
nah, ſpannte an, rief den Wirth, zahlte feine
Zeche; bei Aufzählung Der verſchiedenen Saden,
die er zu bezahlen hatte, ſich jener halsbrederi-
hen Bartizipien bedienend, welde er bei ernfteren
Gelegenheiten anzubringen pflegte. Dann ließ er
noch einen tüchtigen Schlud unentfufelten Trebers
in den Schlund hinabgleiten, ſchwang fi mit
Leichtigkeit in den Sig und jagte über das
furhtbar holperige Pflaſter, durch krumme Gaſſen,
in denen es ſelbſt im Hochſommer Koth- und
Sumpflachen gab, und wo nur an den Ecken ein
primitiver Verſuch einer Beleuchtung mittelſt
ſchmieriger Dellampen vorgenommen wurde. Das
genierte Kapor nicht, er jagte ſchnell vorwärts.
Das Mädchen, welches ſich mit beiden Händen
feſthalten mußte, um nicht vom Wagen geſchleu—
dert zu werden, riskirte die Frage:
— Kaͤpor Baͤcsi! Haben mir und nicht
berirrt ?
— Schweig', Schwefterden ; ih weiß es
ſchon, wo id) fahre. Denn fiehft mein Find, wir
müflen dort hinausgelangen, wo De Stadt
leinen Mund Hat. 5
Andere Zeiten andere Menfchen. II. Band. 7
ze SUB
— Aha! Ah verftehe ihon. Ihr habt
feinen Paß.
— Merde au feinen haben, und dod milk
ih hinausfinden.
Dann fuhr er nod in verichiedenen Win—
dungen, durch verichiedene übelduftende Gaflen,
welde nur an bretternen Planken vorbeiführten,
und gelangte Ihlieglid an einer langen Reihe von
Düngerhaufen vorüber, glüdtlih in jenes Sand-
meer, welches die Hauptitadt Ungarns an allen
Flanken bejpült.
Hier nahm fie eine wohlmollende Akazien—
allee auf ; als fie auch über dieje hinaus waren,
trat ihnen ein breiter Graben, und jenjeitS des
Grabens ein Damın entgegen; diefer Damm war
die Landſtraße.
— Halte Dih feſt, Schweiterden, und
fürdte nichts, — brummte Kapor neben dem Pfeiten=
tohre, das er zwiſchen die Zähne gepreßt Hatte,
hervor, — halte Did) feft. Damit hieb er in die
Pferde und ſchwang ſich mit feinem Fuhrwerk
mit bewundernswerther Geſchicklichleit über den
Graben und hinauf auf die Landſtraße, ohne
daß an ſeinem Zeug etwas geriſſen oder gebrochen
waͤre.
Als ſie auf der Landſtraße waren, wies
er mit der Spitze ſeines Peitſchenſtieles nad) rück—
waͤrts.
— Siehſt Du die Lampe, da hinter uns?
STB: : BEN
Das ift Die Mauth. Der find wir ſchon ausge:
wichen. Sept haben wir nichts mehr zu be=
fürdten. .. . Die Pferdlein werden jekt von jelbft
ſchoͤn langſam vorwärts traben, und nun fünnen
wir plaudern. Doch fiehe da, ich habe nicht ein-
mal nod) um Deinen Namen gefragt.
— Ich heiße Derzii. Kennen Sie mid
denn niht? Bin die Tochter des Hußären vom
gnädigen Herrn.
— Ad, wahrlich, Du bift es. Ad, daß ih
Dih nit glei an der Stinme erkannte; ob:
wohl ich mir glei dachte, dag ich fie einmal
ihon gehört haben mußte. Alio Du bift Derzfi,
die Tochter des Hußaͤren. Wo befindet ſich Dein
Vater jet ? |
— Auch er fam nah Weit, um einem
Beitungsichreiber zu helfen.
— Mas, einem Zeitungsſchreiber zu helfen ?
Etwa die Zeitung jchreiben helfen ?
— Nein. Um in der Stadt auszutragen,
was er geichrieben;. aber auch dem geht's jeßt
ſchlecht. Sein Herr, na Ihr wißt es ſchon,
ging ein wenig auf Reifen. Jetzt ſchreibt Nie-
mand Zeitungen.
— Recht haben's ... Wie geht es Dir
bei Deiner rau, he? ... härmt fie fich ſtark ab,
dei Arme ?
— Hört Ihr, Kaͤpor Bacsi, ih erjude
Euch nur um das Eine, mid nit über meine
Ai.
m — — I
— 10 —
Herrin zu befragen; als ich bon ihr ging, babe
ih e3 ihr gelobt, zu feiner Seele von ihr zu
Iprehen; und Ihr wißt, daß ih ein ehrlides
Mädel bin und mein Wort zu halten pflege.
— Da thuft Du Recht daran, — fagte Kapor
zuftimmend , und damit er das Mädchen nicht
no einmal in Verluhung bringe, ihr Wort zu
brechen, ſchloß er den Dedel feiner Pfeife feuer—
fiher zu und günnte fih ein Schläfhen, wie es
Fuhrleute gewöhnt find.
Deshalb geihah jedody fein Fehler. Die
Pferde trabten gleihmäßig fort; kam ein Wagen
entgegengefahren, ip raffte fih Kapor empor
und jagte feinen Pferden „etwas ganz im Ge—
heimen, worauf diefe ſchoön auswichen; bemerkte
er am Nachlaſſen des Leitſeils, daß eines oder
das andere feiner Thiere weniger anzog, Jo zanlte
er das Säumige in aller Stille aus, als wollte
er es vor dem andern nicht beihämen. Zuweilen
fiel e8 ihm aud ein, feine Autorität zu zeigen,
da griff er nad) der Peilſche, und ſchwang die—
telbe über beide Rößlein, welche dann im ſcharfen
Trabe ausgriffen, daß der Staub in dichten
Wollen aufwirbelte, dann legte er fie wieder
ruhig bei Seite und that einen tüchtigen Zug
aus feinem Kulacs, indem er dabei meinte, daß
man jonft jehr leicht einſchlafe. Bei ſolcher Ge:
legenBeit trug ‘er auch ftet3 dem Mädchen einen
Schluck an, mas dieſe ‘aber danlend ablehnte,
— 1011 —
da fie nicht gewohnt war, geiftige Getränfe zu
fih zu nehmen.
Zeitweile — er wieder, um ſich den
Schlaf zu vertreiben, ſeiner Reiſegefährtin ſelt—
ſame Geſchichten aus ſeinem vielbewegten Leben
zu erzählen, die ihm mit großer Aufmerkſamkeit
zubörte und nad) Art der Mädchen, wo es eben
nothwendig erihien, lachte oder jeufzte.
Ueber Waigen hinaus hielt er bei der
Csarda eines kleinen Dorfes, um feine Pferde
zu tränfen; bei diefer Gelegenheit langte er in
feinen Schnappiad, um Schinken und Brod her-
auszuholen, womit er aud feiner Reilegefährtin
aufwartete, welche e3 freundlih annahm und mit
beftem Appetit aß.
— Na, wenn Du ichon feinen Wein trinfft,
jo will id) Dir wenigftens dieſen grünen Krug
mit Waſſer aus dem Brunnen anfüllen, — ſagte
Kapor, und es gefiel ihm außerordentlich, wie das
Mädchen auf fo echt Komorner Weile an der
Warze des jeltfam geformten Kruges ſog, bei
deilen Beſchaffenheit man immer darauf zu achten
hat, dag man fih das Waſſer durd die Hals:
Öffnung des Gefäßes nicht in's Gefiht gieße.
— Die man's Dir anfieht, daß Du ein
Komorner Mädchen bift!.. Was man aber aud)
jagen wolle, ſchön bift Du geworden, jehr ſchön,
ſeitdem Du in der großen Stadt bift; umfonft,
in diefem Peſt fann man halt die Mädchen fo
— 102 —
echt herrihten. In Komorn wird Dich fider
Niemand erkennen.
— Wird man mid wirklich nicht er:
fennen? — frug das Mädchen naiv kichernd.
— Niht um eine Welt!
— Auh Ahr würdet mih nicht erlannt
haben ?
— Hätteft hundertmal an mir borüber
gehen können; nie hätte ich gelagt, daß ih Di
jemal3 gefehen.
— So? — rief das Mädden mitganz
anderer Stimme und anderem DBlide
im Auge. — Ich danke Euch, mein Kreund, dies
tröftet mid ganz und gar.
Unferem Freunde Kaͤpor fiel die Pfeife
aus dem Munde, als er diefe Stimme hörte, Er
warf einen fchnell prüfenden Blid auf die Re—
dende, z0g Schnell für eine Minute feine Müte,
tete diejelbe eben fo haſtig auf, ſchirrte feine
Pferde an, ſprang auf feinen Sig und jagte,
ohne ein Wort zu ſprechen, mit raſender Eile aus
dem Dorfe, wie nur die Pferde‘ laufen konnten.
Als fie Ihon in gehüriger Entfernung von
allen menihlihen Wohnungen waren, drehte er
langſam feinen Kopf, und ſprach die zwei Worte:
— Gnädige Frau! .
Mehr konnte er nit —— Nur
deutete er durch ſeine Handbewegungen, ſein
Kopfnicken, durch das Zwinkern der Augen und
— 13 —
Aufziehen feiner Schultern an, daß Alles gut ...
fehr gut, in der beften Ordnung jet.
Das Mädchen in der Verkleidung einer
Magd war Judith felbit.
Und alles dies hatte Kaͤpor bis jegt nicht
bemerkt, fo gut gelang die VBerftellung. ...
Nun... es war eben ihr Bad... .
„Muß fein.“
Herr Andreas Kapor konnte e3 zwar nicht
errathen, melde Urſache Judith habe, in die
Feſtung zu gelangen, doch redete er fih ein, daß
diefe eine wichtige jein müſſe. Selbft als Fuhr—
mann hatte er jo viel Art, e8 einzujehen, daß
eine Frage hier nit am Plake wäre.
Anderſeits trug er mit vollftem Vertrauen
Judith jeinen Operationsplan vor, wie man in
eine bon allen Seiten umzingelte Stadt hinein
könne.
— Es wird bereits Nacht ſein, bis wir auf
den Matyas-Grund gelangen. Zum Glück find
die Neutra und Zsitva jekt fo jeiht, daß wir den
Brüden, auf melden gewiſſe Vorpoften ftehen,
ausweichen fünnen, indem mir durch das Bett
des jeihten Wluffes fahren. Dann wenden wir
uns abwärts gegen Füzes, dort wohnen ehrliche
Fiihersleute, die ſämmtlich „gute Menſchen“
ind. Nah Mitternadht ſetzen uns diefe mittelft
ihrer Kähne über die Waag; Pferd und Wagen
— 105 —
bleiben bei meinem Gevatter zufüd,. . . Ich
weiß, das Sie fih vor dem Waſſer nicht fürdten.
— Nein, ih fürdte mid nicht.
— Ich wußte e3 ja. Sie fürchten ſich weder
vor dem Wafler noch vor dem Feuer. Um fo beffer.
Fahren wir denn in Gottes Namen,
An den Csäarda's, wo fie anhielten, redete
Käpor ſtets in einem Tone mit Judith, als wäre
dieje jeine Magd; einmal ließ er fie jogar den
Maffereimer vor den Pferden halten, bis er jelbft
den Hafer durchgereutert hatte. Niemand fonnte
auch nur den Argwohn fafien, daß diefe MWeibs-
perſon eine Dame sei.
Ueber Bätorfegi hinaus bog Kaͤpor von
der Landftrage ab, und fuhr an Weingärten vor:
über durch Feldwege in den verihiedenartigiten
Krümmunyen, machte aber die hiedurd) entitan-
dene Verſäumniß dadurch gut, daß er über Wie:
fen und Hutweiden thurmgerade auf das Ziel los:
fuhr, ohne fid) um Bäche oder Heinere Flüffe zu
fimmern. In dieſer Gegend kannte er jchon jeden
Straud) und jeden Stein.
Wie er's vorausgelagt, war es bereits
dunkle Nacht, als fie an den Pappelwald und an
die Trauerweiden-Allee des Dürthens Füzes ge:
langten.
Es war aber aud) die hödhjite Zeit, in die
Nähe von Menihenwohnungen zu gelangen, den
am Himmel bereitete fi ein Gewitter vor. Vom
— 10 —
Süden zogen ſchwere Wolken heran, von momen—
tanen Blitzen unheimlich beleuchtet.
— Macht nichts, — brummte der alte Kaͤpor,
gegen das nahende Gewitter blickend. — Wenn die
Nacht ein wenig trübe wird, kommen wir um ſo
ſicherer an's andere Ufer. Fürchten das Ge—
witter nicht? — frug er dann, ſich an Judith wen—
dend. — Doch, was frage ich da wieder, Sie
haben ja nie Furcht: weder vor dem Feuer, noch
vor dem Waſſer, weder vor dem irdiſchen, noch
vor dem himmliſchen Kampf. Gott hat Ihre
Seele geſtaͤrkt. |
ALS fie vor dem Fiiherhaufe anhielten, fie-
len jhon die erften ſchweren Xropfen auf das
Schwingendah des Wagens. Im Haufe hatte
man bereit3 Licht angezündet. Kaͤpor wendete fi
an Judith und ſprach: Oerzſi, mein Sind, bleibe
Du einftweilen im Wagen, bis ih bineiniehe,
was es für eine „Luft“ da d'rinnen gibt. Bin im
Augenblid zurüd, fürdte nichts.
Damit jprang er von feinem Sitze und
verſchwand dur die Thüre des Filherhäuschens.
Während die ſchweren Tropfen aus dichten
Wolken mit monotonem Geraͤuſch auf Die dürre
Erde fallen, und Ipäter der Wind fein zorniges
Lied duch die Pappeln pfeift, und waͤhrend
Kaͤpor da d'rinnen mit feinem Gevatter berath—
ſchlagt, haben wir Zeit, eine kurze linguiſtiſche
Studie für uns anzuſtellen, wie das zuweilen bei
a
Nervenkranten zu geihehen pflegt, wenn fie die
langen, ſchlafloſen Nähte mit Lölung von hirn—
berwirrenden Aufgaben zubringen.
Die ungariihe Sprache befift einen befann-
ten Ausdrud, welchen fie im gewöhnlichen Leben
jeit lange ſchon als den ihren betrachtete, ob:
wohl die Wiffenihaft nichts von ihm weiß, fein
Wörterbuh ihn noch inartikulirte, fein Dichter
oder Schriftfteller niederſchrieb; und dennod lebt
und bewegt er fi in den Reihen der autophtonen
Wörter, bald als Haupt-, bald als Zeit- oder
Beiwort, bald figurirt er wieder als Adverb oder
Interjektion. Als Zeitwort duldet er feine Kon—
jugation, als Hauptwort feine Deklination, und
als Beimort feine Komparation. Weder voran,
noh hinten ift ihm eine Präpofition anſetzbar.
Dieſes außerordentliche, unabänderliche, über
Alles fih erhebende Wort heißt im ungarischen:
‚muszäj.“ Linguiften willen es ſehr gut, daß es
bon den beiden deutihen Wörtern: „muß Tein“
abſtammt.
Nicht nur die ungariſche, ſondern ſelbſt jede
Sprache romiſchen Urſprungs, iſt zur Wiedergabe
dieſes Wortes in ſeinem vollſten Sinne zu arm.
„Debet, — opportet, — il faut, — deve
u. ſ. w. bedeuten : „es fol.“
Das „ſoll“ ift noch fein jo großer Derr.
Mit dem läßt es fih Sprehen, dem kann man
noch entgegenwerfen: wenn es denn do nicht
— 108 —
fein jol, wenn es nur jein jollte, — es foll,
wenn möglich; aber vor dem furdtbaren : „Muß
fein“ verihwindet jeder menſchliche Einwurf ; vor
diefem gibt e3 fein Verhandeln, feine Unmög—
lichkeit; es läßt nicht mit ſich ftreiten, duldet
feinen Aufihub und feine Kapazitation, es läßt
fi nicht verichieben, denn: was „jein muß“ —
„muß jein“.
Der ganze Krieg der Linguiften gegen das:
jelbe ift vergebens, das Wort lacht ihnen in's Ge—
jiht. Ein ſehr altes Spridwort jagt: Das
„Muß fein“ erfäuft nie in der Donau. — Das
‚Muß fein“ ift unſterblich. ...
N Unterdeflen trat Käpor aus der
Hütte.
Der Regen fiel ſchon in Strömen ; der Donner
rollte mit zornigem Gebrüll durch die Nacht; es
war ein Wetter, wo man feinen Hund vor die
Thüre ſetzt.
Kaͤpor ftedte feinen Kopf unter der Place
in den Wagen hinein, und fagte leile zu
Judith:
— Fürchten ſich die gnädige Frau auch vor
böſen Nachrichten nicht ?
Judith ſchauderte. Doch ſtärkte ſie ihr Herz,
und antwortete:
— Ich fürchte mich vor gar Nichts.
— Nun hören Sie alſo die erſte Nachricht.
Wir fünnen nicht über die Waag, da man alle
— 109 —
Kähne, Schiffe und Flöffe mit Beſchlag belegte
und ſtrengſtens bewacht.
— Alle? Alle?
— Ein einziger „Seelentränfer“ iſt ver—
Ihont geblieben am Boden meines Gevatters,
63 ift dies ein aus einem Baumſtamm gehöhltes
Fahrzeug ; wer würde fi in diefem auf den Fluß
wagen ?
— Ich!
— Dann, — fuhr Kaͤpor fort — erzählt
mir mein Gevatter al3 etwas Sicheres, daß die
Kapitulation bereit3 unterzeihnet ſei, und die
Seftung ſchon morgen übergeben wird.
— Mein Gott! — rief Judith,
— Mohl Denen, die da drinnen find, die
Üonnen frei ausgehen, und werden nie zur Ver:
antwortlichkeit gezogen.
— Dh, mein Gott, mein Gott!... Um-
ſomehr muß ich nod) in dieſer Nacyt in die Stadt
hinüber,
— Ich babe dies meinem Gevatter gejagt,
er gab aber zur Antwort, daß es entichieden un—
möglich fei.
— Laſſet mid. Ich werde felbft mit ihm
teden — fagte Judith, haftig vom Wagen-fteigend.
Kaͤpor Half ihr in ängftliher Verzweiflung
beim Herabfteigen. Er Hätte: fie fo ‚gerne mit
etwas zugededt, damit fie nicht. naß werde, *
Judith achtete auf den Regen nicht.
— 10 —
Als fie von der Küche des niedrigen Fiſcher—
häushens in das Wohnzimmer trat, jah fie
einen hohen Mann mit weißen Haaren vor fid)
ſtehen.
— Das iſt mein Gevatter, — ſagte Kapor.
— Ich flehe Euch bei Gott an, — rief
Judith mit gefalteten Haͤnden — ſchafft mich noch
dieſe Nacht in die Stadt hinein.
— Das kann nicht ſein, — gab der alte
Fiſcher zur Antwort, indem er ſein greiſes Haupt
ihüttelte. — Selbſt wenn ih meinen Kahn hätte,
wäre es Verſuchung Gottes, in dieſem Wetter fih
dem Fluſſe anzuvertrauen. Was mid anbelangt,
würde ih mid um mein Xeben wenig jheren,
heißt ohnedem nichts mehr: aber die Gejahr eines
Andern fann id nicht auf meine Seele nehmen...
Uebrigens hat man mir ja aud) meinen Kahn ge=
nommen.
— D, id weiß es, daß Ihr nod) einen am
Boden habt. |
— Diejen „Seelentränfer‘ ? Der ift nicht
für dieſes Wetter... Was ift dieler Kahn ?
Eine Nußſchale für dieien Sturm. In den wird
ji) feine Ehrijtenfeele heute wagen.
— Hört Ihr mih an, Alter! Seht, id
bin niht arm. Will mid vor Euch nicht ver—
ftellen. Hier habt Ihr meine Börje, meinen
Schmud.... Alles gebe ih Euch, nur führt mid
über den Fluß.
—- 111 —
— Dante, gnädige Frau. Ih handle nicht
aus Habgier. Aber e3 kann nit fein. Sollten
Sie mir alle Schäße der Welt, jelbft die, welche
noch im Schoße der Erde verborgen liegen, an—
bieten, jo würde ich doch fein Auder in diejer
Naht in die Hand nehmen. Wegen meiner joll
Niemandens Mitwe oder Waije weinen... . Und
mozu auch diele Eile? Morgen werden die Thore
geöffnet, und da fann ein Jeder frank und frei
hineingehen.
— D, dann wird es zu Spät jein; dann
it Alles umfonft. D, daß ich es doch nicht jagen
fonn, wie es ift. Mein Gott, mein Gott!
Sudith ging weinend und händeringend im
Zimmer anf und ab, und ſuchte mit allen mögli-
hen Bewegungen dem Fiſcher etwas begreiflid
zu maden, was fie mit Worten hier nicht aus—
drüden durfte. Der Fiſcher z0g die Achſeln in
die Höhe und legte wiederholt die flachen Hände
auf die Bruft, wie Einer, der fi entſchuldigt.
— Hört mih an! —ſprach Judith plöglich,
bor dem alten Manne ftehen bleibend — hr
jagtet jo eben, dak Ahr Niemandens Tod auf
Eure Seele laden wollt. Nun wißt alfo, daß
8 das Leben zweier Menſchen fojten wird, wenn
Ihr mich nicht allſogleich in die Stadt hinüber führt ;
. . . dieſe zwei Leben find das meinige und das
meines Gatten. Wenn wir uns in die bevorfte-
hende Gefahr wagen, fann uns Gott helfen und
— 12 —
glücklich hinübergeleiten; wenn id mich aber zu—
rückſchrecken laſſe dann wird mid) die andere Ge:
fahr tödten, und zwar auf eine eridhredliche
Meile. Ih muß in die Feftung!...
Diefe Worte waren im Tone der Verzweif—
lung geſprochen; der alte Fiſcher faltete die grauen,
ftruppigen Augenbrauen und hielt jeine ſchwielige
Hand vor den Mund. Da platte plöglih Kaäpor
mit der mühlam zurüdgehaltenen Sprade heraus.
— Verfteht Ihr e3 denn nicht, Gevatter ?
Es „muß fein“, daß die guädige Frau heute
noch in die Feftung gelangt, es „muß jein!“
Der Fiſcher feufzte tief auf.
— Wenn e8 „Sein muß,” dann „muß
e3 fein; Gott thue mit, uns, wies ihm gefällt.
Judith drüdte außer ſich vor Freude Die
Hand des alten Fiihers, fie würde dieſelbe viel-
teiht auch geküßt haben, wenn er's zugelaffen
hätte,
— Nun, gnädige Frau, was „fein muß,‘
das „muß fein‘... Sch weiß es nicht, mas Sie
find, was Sie vorhaben. Will e3 auch nicht
willen. Es genügt, daß mir mein Gevatter jagte,
daß ih Sie noch heute über den Fluß jegen
muß. Nun jo werde ih Sie hinüberjeken.
Menn Sie entihloflen find, fo ift das ſchönſte
Wetter hiezu.
Der Regenguß verhindert cs, daß wir ges
sehen werden können; gewahrt und die Schild:
— 13 —
wache, kann fie uns nichts anhaben; ic möchte
den Burſchen jehen, der es unternimmt, ung zu
verfolgen. Den Plan Eünnen wir jedod) nicht jedem
Narren mittheilen; bier müßt hr beihilflich fein,
Gevatter. |
— Das will id aud, denn auch mic
drängt cs, nod) heute drüben zu fein.
— Könnt Ihr rudern ?
— Welche Frage, ein Komorner Kind
follte nicht rudern können! ..
— Gut. Verforgt alfo früher Eure
Pferde, danı werden wir den ſeahn vom Boden
herunter holen.
— Früher den Kahn, dann die Pferde!,.
das hieß viel gejagt von einem Fuhrmann!
Die Männer fliegen demnach zuerft auf
den Boden hinauf und braten den leichten
Nahen auf den Achſeln herab, trugen ihn in's
Zimmer, und legten ihn, mit dem Boden nad)
Aufwärts gelehrt, nieder; dann erft ging
Käpor, um feine Pferde in's Trodene zu bringen.
— Die heißt Ihr, alter Freund ? — frug
Judith den Fiſcher, welder, während fein Ge:
batter für feine Pferde ſorgte, mittelft eines
hölzernen Hammers und Meißels mit Fett ge:
tränfte Lappen in die Niken und Fugen des
Kahnes trieb. — Ich möchte es wiffen wenn ich
jegnen ſoll, wenn mich Gott aus der Gefahr
rettet.
Andere Zeiten anbere Menſchen II Banks. g
— 114 —
— Mein Name ift Johann Tuba, — erwiderte
der Alte, Berfloffenen Sommer babe ich mein neun:
undfiebzigites Jahr erreiht. Meine Gattin ftarb
voriges Jahr; meinen legten Enfel, den id noch
hatte, Ihicte vor etlihen Wochen eine Kanonen—
fugel in’3 ewige Leben. Der Herr gab jie mir,
meine Lieben, der Herr nahm fie mir aud, ſein
Name ſei gejegnet. Seht bin ih allein.
Aus diefer kurzen Biografie ift es erſicht—
lich, da nicht die goldenen Tage der Zukunft es
waren, die den Alten zurüdhielten, jih der Ge—
fahr auszujegen.
Nach kurzer Zeit kehrte Kapor zurüd, und
aud) der Kahn war bereits ausgebefiert.
— Nun, Gevatter, — ſprach der alte
Fiſcher — richten wir uns für's Wetter ein, —
und dabei begann er ſich ſeiner Csismen zu ent=
ledigen. Auch Kaͤpor that desgleihen.
Dann zogen jie jede ſchwere Kleidung aus
bis auf die leinene Wäſche.
Tuba nahm Hierauf aus jeiner hölzernen
Truhe einen langen, dünnen Lappen, und blies
in das eine Ende desſelben gewaltig hinein. Es
mar dies ein dider Ochſendarm, welcher fi fteif
aufblähte ; dann band er das Ende, wo er hinein-
geblaien, zu, trat hierauf zu Judith und forderte
fie ohne jeglide Zeremonie auf, die Arme in die
Höhe zu heben, und band ihr dann das primitive
„life preservet‘“ um den Leib. Der Rettungs-
— 115 —
gürtel, welder für einen männlichen Leib beftimmt
war, mußte doppelt um ihre zarte Taille ge:
wunden werden. .
— So. Das wird Sie nicht unterjinfen
laffen. Geht breden mir in Gottes Namen auf.
Judith nahm ihr Heines Bündelden unter
den Arm, die Männer luden das leihte Fahr:
zeug auf ihre Schultern, nahmen Ruder und
Steuer in die Hand und gingen zur Thüre hinaus.
— Mo ift der Waflerihöpfer ?
— Den werde ih tragen, — jagte Judith,
nad) demjelben langend. — Das wird ohnehin
Arbeit Sein.
| — Eine brave Frau, jehr brave Frau! —
brummte der alte Fiſcher.
Es war ein Wetter draußen, in weldem
nur dem Tode geweihte Menihen ji) unterfan=
gen, Gott zu verjuden.
Der Regen ftrömte, ſchräge vom Winde ge-
trieben, hernieder ; wenn der Blik die Finſterniß er=
hellte, ihien es, als hingen Millionen filberner Fäden
vom Himmel herab, zwilchen denen drei dunkle
Schatten dem Ufer entlang Ichweben.
Vom fteilen Ufer konnte man das Rahr-
zeug nicht in's Waſſer gleiten laffen, die bran=
denden Wogen würden es augenblidlih umge—
worfen haben. Man mußte nach einer ſeichten
Stelle ſuchen, wo die Wellen Ihäumend über den
Sand liefen. Hier ftieg der alte Fiſcher zuerft
8*
— 116 —
ins Waſſer und lief den Kahn von den Schul—
tern gleiten; Käapor hielt den Strid feſt. Zuerft
beftieg Judith das ſchwache Kahrzeug, dann
Käpor, und ihlieglih Tuba. Als fie vom Ufer
abftiegen, riffen Sturm und Mogen das leichte
Fahrzeug gleich einer Feder mit ji.
Der Sturm tobte den Rudernden entgegen.
Die ganze Oberflähe der Wang war grau von
dem Schaum der aufgepettihten Wogen, zwiſchen
denen der winzige „Seelentränfer“ alle Augen:
blide verihwand, um bald mit dem Worderz,
bald mit dem Hintertheile aus den ſchaukelnden
Armen der Todtenamme anfzutauden.
Der Sturm pflegt feine normale Richtung
zu haben. - Bald greift er die Flanke, bald die
Fronte an, dann Fällt es ihm ein, ganz ftille zu
ftehen, um mit erneuerter Wuth loszubrechen.
Mer kennt feine Launen ?
Aus der Ferne erihollen Nothrufe; am
Waſſer treibt eine von ihrem Anker Losgeriffene
Mühle abwärts, die Leute darauf rufen um
Hilfe; . . . der Kahn treibt geräuihlos zwiſchen
den zwei Keinden, der Luft und dem Waſſer, vor:
wärts. . . Die Flüchtigen rufen nicht um Hilfe.
Und doch ſchwebt die Hand des Todes über
ihnen.
Eine jede Welle, welche ſich vor ihnen
ſpaltet, zeigt ihnen das naſſe Grab; eine jede
Brandung, welche mit ihrer Ihäumenden Mähne
— 111 —
heranjtürmt, scheint das geipenftige Roß des
falten Todes zu fein, welder !o nahe iſt. . ..
Sn diefen ewigen Momenten des ver—
zweifelten Kampfes tauchte in der Erinnerung
der vielgeprüften Frau jene Ichredlihe Szene
auf, Die fie Thon einmal am Grunde dieſes
eiligen Grabes erlebt, fie fühlte abermals den
peinlihen Kampf mit dem mürgenden Glement,
den ftummen Todesihmerz, den Schred, welder
früher die Seele, dann erit den Kürper tüdtet;
fie fühlte den krampfhaften Drud jener furcht—
baren Hand, melde fie damals ergriff und
hinab auf den Grund des Wellengrabes zerrte.
Die Erinnerung an diefe Hand lähmte aud)
jest ihren Körper und ihre Seele; vielleicht
lauert dieſe Hand auch jegt Da unten in der Tiefe
des Stromes! ..
Sturm und Wogen riffen das leihte Fahr—
zeug wie eine Feder mit fi.
Die Männer mußten al’ ihre Krait an—
ftrengen, um nit an's Ufer zurüdgeworfen zu
werden. Sie nährten die Hoffnung, daß, wenn
fie fih dem Winde und den Wogen überlaffen,
fie die Inſel, welche inmitten der Waag liegt,
reihen können, von dieſer Inſel führt eine
Brüde in die Stadt hinüber. Im ſchlechteſten
Falle fünnen fie an den Brüdenpfeilern an-
flogen, wo jelbft dann Rettung möglich ift, wen=
der Nahen umkippen ſollte.
— 13 —
Die beiden Männer bemübten jih nun mit
vereinten Kräften und gleihmäßiger Geſchicklich—
teit, das Kahrzeug gegen die Gefahr zu ſchützen,
während Judith, am Boden des Kahnes Inieend,
fih fortwährend mit dem Wafferausihöpfen be—
Ihäftigte, denn der heftige Regen jowohl, als die
ungeftümen Wogen füllten den Seelentränfer
immer wieder. |
Bei den von Zeit zu Zeit aufleuchtenden
Bligen konnten fie gewahren, daß fie von beiden
Ufern glei entfernt jeien, folglich bereits in der
Mitte des Stromes treiben.
Das Leuchten der Blitze zeigte ihnen aber
aud die Reihenkette der am Ufer aufgeftellten
Vorpoſten, welde troß des Unwetters an ihren
Pofſten ftanden.
Einer derjelben wurde den Kahn gewahr
und rief den Leuten zu. Den Sinn jeiner Worte
batte jedoch der brüllende Sturm weggefegt.
Rief er ihnen vielleiht, daß fie ftille hal-
ten oder umkehren follten?!...
Dann fnallte ein Schuß, die Kugel pfiff durch
die tobende Luft und ſchlug ziſchend in's Waſſer.
Die übrigen Wachpoſten harrten, durch den
Schuß aufmerkſam gemacht, nur des naͤchſtfolgen—
den Blitzes, um auf die Wagehälſe zu feuern.
Dieſer Blitz zögerte jedoch, und der Kahn
flog nun, von der Strömung ergriffen, in der
Richtung des Fluſſes, zwiſchen zwei feindlichen
— 19 —
Schanzen, deren Kanonen ihn gleichzeitig in den
Grund bohren konnten.
Plöglih näherte er jih einem dunklen Ge—
genftande, welher durch Regen und Finfternig
nur Schwer zu unteriheiden war. Es war die In—
ſel; die Brandung warf den Nahen an das Ufer
und verienkte ihn in demielben Moment.
Käapor ergriff mit einer Hand einen herab:
hängenden Weidenaft, mit der andern faßte er
die Hand Judith's, und Bielt dieje jo über dem
Waſſer ſchwebend. Der alte Fiſcher verihwand...
er ging zu jeinen Kindern und Enteln.
Judith ſchöpfte aus der drohenden Gefahr
neue Kraft und Hammerte fih auch ihrerieits an
einen ausgeihmwenmten Stamm, über welchen fie,
mit Hilfe Käpor's, das Ufer erklomm.
Der umgeftürzte Kahn trieb auf den Wel—
len weiter.
Käapor rief noch einige Mal den Namen
feines verihwundenen Gevatters; ſchließlich be—
ruhigte er ſich, daß der vorzügliche Schwimmer
ſchon irgendwo an's Land gelangen werde; .. . er
beeilte ſich daher, Judith in die Stadt zu
bringen.
Judith triefte vom Waſſer. Aber ſelbft in
der größten Gefahr hatte fie ihr Bündelchen nicht
von ſich gelaflen.
Die Beiden braden fih nun zwiſchen dem
Weidengeftrüppe der Inſel entlang Bahn und
— 120 —
gelangten glüdlid‘ zu der Ihmalen, teilen Treppe,
welche auf die Brüde hinaufführt.
— So, jegt wären wir hier. Tradten mir
nun, zu meinem Hauſe zu gelangen.
Kaͤpor war ehr überraicht, als er am Ende
der Brüde, wo das Wachthäuschen ſtand, Nies
manden traf. Der Poften war hier bereits eingezo=
gen, e3 mar ja ihon Alles zu Ende. Niemand
hielt die Ankümmlinge an. Sie betraten die Stadt.
— Gnädige Frau, wir find „zu Haufe“...
Der Mond blickte in dieſem Momente durch
die zerrifienen Wolkenmaſſen, welde mit trauri=
gem Gedröhne gegen die Almäjer Gebirge zogen.
Judith ſah ſich ein furchtbares Bild ent-
rollen. Eine Stadt, deren jedes Haus ſie vor
zwei Jahren noch kannte, und jetzt vermochte ſie
nicht eine einzige Gaſſe wieder zu erkennen.
Stellenweiſe fehlten ganze Häuſerreihen;
wo ſie einſt geſtanden, gähnt ein leerer Raum.
An einer Stelle ſind bekannte Plaätze mit Palli—
ſaden verrammt; hinter ihnen erhebt ſich ein im—
proviſirtes Pfahlwerk; bald wieder gelangten ſie
an eine lange Häuſerreihe, wo nur ein jedes
zehnte Haus durch ein Nothdach geſchützt iſt, die
übrigen find nackte Ruinen, mit ſchwarz gähnen-
den Fenſterreihen.
Kaͤpor eiferte Judith, weldhe nicht vorwärts
fam, zur Eile an: Gehen wir, gehen wir, blei—
ben wir nirgends ſtehen! ...
— 121 —
Ueber den Trümmerhaufen der einjt ſchoͤnen
Stadt ragten fünf traurige Thiergeitalten empor.
— Eilen wir, eilen wir!...
Keiner einzigen Patrouille konnte man be=
gegnen . . . Wozu hätten fie auch gedient ?
Jetzt kamen fie an eine Ede, wo Judith
erihüttert anhält, An dieſem Haufe vermag fie
nicht vorüber zu eilen, ohne ftill zu halten, trotz—
dem fie Kapor zur Eile antrieb.
Diejes Haus — iſt ihr Elternhaus.
Es ift bis auf den Grund niedergebrannt.
Die fahlen Wände hatte der Regen verwaſchen,
im Hofe wucherte Unkraut, die Kellerwölbungen
hatten die Bomben durchbrochen, Sie warf
durch Das verroftete Gitter einen Blid in das
Zimmer, an welches fi jo viel ſchöne Erinne-
tungen fnüpfen. Sie erfennt es noch an den
Ueberbleibiein der Malerei, welche jilberfarb mit
blauen Blumen gewejen. Die Wände haben noch
bie und da die Farbe behalten.
Dort ſtand einft ihr Klavier, auf weldem
fie die Lieblingsmelodien Béla's jpielte, dort
ding das Portrait des Geliebten, bier hingen die
Portraits ihrer Eltern. In jenem Altoven ftand
binter weißen Gardinen ihr Bett, und hier knapp
am Fenſter ihr Arbeitstiihchen. — Seht über-
wuchert mannhohes Unkraut das Fenſter, aus
defien Riflen -giftige Pilze ihre Köpfe hervor—
fteden.
— 12 —
Dies war einft das Heiligthum ihrer glüd:
Iihen und unglüdlichen Liebesträume.
Dort raufht etwas im dürren Unkraut,
bielleiht ein faltes, giftiges Reptil, welches jekt
in diefem Raume hauft.
— Gehen wir weg von hier! ... geben
wir, — mahnte Kaͤpor feine träumende Gefähr-
tin, und zog fie fanft von der traurigen Stätte weg.
Judith jeufzte tief auf. In dieſem Seufzer
offenbarte fi) der Gedanke: Mutter! ich bin den-
noch glücklich!
Nachdem ſie durch die lange, krumme
Megyorcser-Gaſſe geſchritten, gelangten ſie an
eine ziemlich erhaltene Häuſergruppe, unter welcher
ſich auch Kaäpor's Hütte befand.
Kaͤpor war Witwer. Er hatte ſein Weib
diejes Jahr begraben. Die Hauswirthſchaft veriah
feine Tochter, dieſe hieß Katicza.
Das Mädchen lief mit einem Freudenſchrei
auf die Gaſſe hinaus, als fie die Stimme ihres
Baters erkannte. Sie glaubte, er fei vom Himmel
gefallen.
— Nur ftille, ftile mein Kind ! — beſchwich—
tigte fie der Alte; — brauchſt feinen fo großen
Lärm zu fhlagen, ich bin nicht allein gelommen.
— Men habt Ihr denn noch mit Euch?
— Ich werde es Dir fhon jagen, wenn
er Fortgegangen. Schließe die Thüre des erften
— 123 —
Zimmers auf, und bleibe dann ruhig im Hinter-
ſtübchen, bis ih Dich rufen werde.
Judith blieb einftweilen auf der Gafle
ftehen, bis Kapor aus dem Haufe tretend, ihr
bedeutete, daß fie nun unbemerkt hinein fünne.
— Ich mödhte mid umlleiden, — fagte
Judith — bin bis auf die Haut durdnäßt.
— Bitte nur in's Zimmer zu gehen, dort
fonnen Sie die Kleider meiner Tohter anlegen.
— Danke. Ich Habe mir Kleider mit-
gebracht. |
— Die werden aber au naß fein.
— Das thut nichts.
Damit trat Judith in's Zimmer und ver—
riegelte die Thüre Hinter fih; — unterdeffen
rief Kapor feine Tochter, befahl ihr, Feuer zu
mahen und ein gutes warmes Frühftüc zu be—
teiten, er erzählte ihr biebei im Kurzen, wo
er gemeien, welche Schickſale er erlebt Hatter
verſchwieg aber wohlweislih Alles, was jih au,
Sudith bezog.
Das Feuer Jrannte bereits luftig, und Die
darüber Hängende Pfanne jpendete einladenden
Duft, als ſich die Thüre des fogenannten erften
Zimmers halb aufthat, und Judith ihre Stimme
ertönen ließ:
— Kapor Bäcsi!..
— Befehlen, gnädige Frau? — rief Käpor,
bereitwillig der Thüre zueilend.
— 124 —
As cr in das Zimmer trat, blidte er
ftaunend um ſich. Bor ihm jtand ein junger
Mann, in voller Dffiziersuniform, mit kurzge—
ihorenem Haar und einem rothen Käppchen auf
dem Kopfe. Selbft "die Stimme fonnte er
nit wieder erkennen, denn fie Hang ſteif und
barſch.
— Habt Ihr nicht irgendwo einen über:
flüfligen Säbel ?
Käpor fonnte aus jeinem Staunen nicht
herausfommen. Wo fam Judith Hin, und wie
fam diefer junge Offizier hieher ?
Da nahm Judith ihren natürliden, weichen
Ton an, und jagte, fi) freundlid an den Alten
wendend :
— So gebt mir denn einen Säbel,
denn ohne den bin ic fein ganzer Solvat.
Kapor Ihlug die Hände vor Weberraihung
zujanımen, und rief: „Na, das hat auch nod) feine
Menſchenſeele geſehen!“
— Wie ſollte ich keinen Säbel haben?
Bin doch ſelbſt Nationalgardiſt geweſen, — ſagte er
mit haſtiger Bereitwilligkeit, und griff nach dem
Schleppſaͤbel, welcher in der Ecke an der Mauer
hing, ſchnallte ihn um die Hüften Judith's, indem
er ſeufzend in den Bart brummte: „was man noch
Alles erleben muß!“
Kaͤpor's natürlicher, ſchnellfafſender Geift
begriff ſofort, wozu dieſe Verkleidung diene
— 15 —
Er fand Th auch alliogleih in jeine
Rolle, und fprah mit feinem Gafte in barſch
joldatiihen Zone.
— Treten Ste in die Küche heraus, ge=
ftrenger Herr Hauptmann, bier fünnen wir ung
am euer erwärmen, meine Tochter Katicza be-
reitet ſoeben das Frühſtück.
Während er jo ſprach, hatte er die Frauen:
fleider Judith's in den Schrank veriperrt, damit
fie Niemand gewahr werde.
Judith ſah einem Mann vollitändig ähn:
ch, und das war Feine geringe Kunſt. Das
Kleid trägt zwar viel zu dieſer Kunſt bei, aber
niht Alles. Der verbrämte Bekes verbarg zwar
die reizenden Frauenformen, die hohe Kravatte
den geihmeidigen Hals; das durch geſchickt ange-
brachte Schminke gebräunte Geſicht erhielt eine
männlihe Färbung, die Zigarre im Munde trug
außerdem viel dazu bei, um die Täuihung voll-
fommen zu maden; troßdem blieben fo viel
Heine Nuancen übrig in der Haltung, im Gang,
welche auch duch die Maske die Krau in einem
jelbftvergeffenen Momente verrathen konnten. Der
Kopf darf nicht ſanft nah Vorne geneigt fein,
Jondern muß jtolz aufrecht gehalten werden; die
einwärts gewöhnten Kniee müſſen frei und nad)
auswärts jtehen; der ganze Körper muß im
Stehen und Gehen ſtets auf den Ferien ruhen
und nicht auf den Fußſpitzen; die Hüften müſſen
— 126 —
ihre Gelentigfeit verleugnen, die Schultern aus:
einandergeipreizt gehalten werden; dabei muß
fih im Blide, in Haltung und Bewegung ſtets
jene Selbitjtändigfeit und jener Muth äußern,
welcher nur wahren Männern eigen, und was das
Schwierigſte ift, das Gefiht muB die angewohnte
Gleichgiltigkeit dem ſchärfſten Mannesblide gegen-
über zu bewahren willen.
Alles dies gelang Judith auf das Treff:
lichte. Sie trat in die Küche, bot dem Mädchen
einen „guten Morgen’, zündete die Zigarre am
Feuer an und ſchwang ſich an den Rand des
großen Herdes hinauf, um da figend ihre Sporen
nad dem Takte des Liedchens, das fie pfiff, zu=
fammen zu jchlagen.
Nah ihr tratKapor in die Küche mit einer
vieredigen Flaſche und einem Heinen Gläschen in
den Händen. Die Flaihe enthielt einen ſtarken
Branntwein, der auf allerlei duftende grüne
Kräuter angejekt war.
— Nehmen Sie ein wenig Schnaps, ge:
ftrenger Herr Hauptmann, — Tagte er, das Gläs—
hen mit der jmaragdfarbenen Flüfſigleit füllend. —
Wird nah dem Marſche nicht ſchaden.
Sudith Hatte nie eine geiftige Flüffigfeit
gefoftet, dennoch ftürzte jie Sen Inhalt des dar:
gebrachten Gläschens ſchnell hinab.
— Trinkſt Du nicht auch? — frug fie das
Mädchen mit vom ſcharfen Getraͤnk erſtickter Stimme.
— 127 —
— Gott bewahre! — rief das Mädchen ab-
wehrend, — da3 Zeug möchte mir ja den Magen
durhbrennen.
Auh Judith glaubte, dag ihr jo geichehe.
— Dod ift es hundertmal befjer als Dein
Gebräu da, — jagte Kaͤpor, nahdem er ſich von
der Vortrefflichkeit feines ſelbſt angelegten Stär-
Iungstrantes überzeugt hatte. — Hättejt es gar
nicht fochen jollen !
— Mas würde denn die „gnädige Frau“
da im Zimmer gefrühftüdt Haben? — entgegnete
Katicza mit ihrer Hausfrauenweisheit.
Judith lachte laut auf.
— Was für eine gnädige Frau? — rief
Käpor.
— Zu der hr joeben geiproden, als Ahr
ſagtet: „Was befehlen gnädige Frau ?*
Käpor gerieth in Zorn.
— Ich ... hätte „gnädige Frau’ gelagt.
Du Tall Du ... Wilft Du mir etwa aufbin-
den, daß ich betrunfen jei? ... Gnädige Frau!
. . . Unerhört! Made ein anderes Mal Deine
Ohren beffer auf, und jchliege Deine Augen, und
halte den Mund! ... Verftehft Dup! _
— Na, na, Käapor-Bäcdi, nur ſachte ein
wenig. Man darf ein Mädchen nit vor einem
Wanne beihämen, — ſagte Judith, und fügte in
energiihem Tone hinzu: — Das laffe ih nicht zu.
Shot Donnerwetter! ...
— 13 —
Käapor brauchte nur diefer Andeutung, daß
er nun fluhen müffe, und verjtand ſich gleich dazu.
— Kreuz Donnerwetter! Ich jol fie nicht
ſchelten? Sit fie nicht meine Tochter ?!...
— Und was dann, wenn fie meine Geliebte
wird ?
— Das werde ih mir ausbitten, Donner
nod einmal!
Als das Mädchen den Streit hörte, lief es
erihroden aus der Küche.
Käpor und Judith lachten dann nad Her:
zensluit, daß ihnen der Streih jo gelungen.
— Rrädtig!.. . Ausgezeichnet! Das’ geht
ja, al3 wenn Sie ſchon jahrelang in der Kaſerne
gewohnt und Rekruten abgerichtet hätten.
Die verſcheuchte Katicza fonnte nur mit
Mühe in die Küche zurückgelockt werden, und als fie
endlid kam, hätte fie nicht um die Welt mehr den
Blick auf den Offizier gerichtet, woran fie auch ganz
recht that.
ALS der Kaffee aufgetragen war, holte Kapor
ſtark gepfefferten Speif aus der Kammer und jete
denjelben jeinem Gafte vor. Judith verihmähte den
Kaffee und langte nad) dem Sped, um auf echte
Männerart zuzugreifen ; während des Eſſens be:
diente fie fih der Kauft anftatt einer Serviette, ganz
19, wie e3 Soldaten im Lager zu thun pflegen.
Kapor lachte zufrieden in den Bart, und nur
— 129 —
bie und da brummte er: „Sähe ich's nicht, nimmer
würde ich's glauben.”
Mittlerweile begann der Morgen zu grauen.
Auf der Gaſſe ertünte Trommelihlag, und die
Stadt begann lebendig zu werden. Aus jedem der
Häufer traten Soldaten heraus, um fi in Reih'
und Glied zu ftellen. Offiziere in voller Parade eil-
ten der Zeitung zu. Judith nahm plößlichen Abſchied
von Käpor, mengte fi zwiſchen die Offiziere und
ging, wohin dieje gingen.
Kaͤpor ſah ihr lange nad; weder Haltung
noch Ganz verrieth das Weib.
„er möchte es glauben, daß es dennod ein
Weib iſt!“ brummte der Alte, fid) die Hände rei-
bend....
Judith gelangte unbehindert in die Feſtung
Auf dem Wege dahin erfuhr fie von ihren improbi=
jirten Kameraden, daß die Geleiticheine für die fa-
pitulirende Armee heute ausgeftellt werden,
Judith raiſonnirte folgendermaßen: Die
Geleitiheine werden entweder durd) das jeweilige
Teftungstommando, oder durd die Berehlshaber
der Dffupationstruppen verabfolgt. Im erfteren
Falle hatte fie felbft dann nichts zu fürdten,
wenn fie erlannt würde, denn die Betreffenden
werden ihr den Betrug gewiß nicht übelneh-
men. Wenn aber die Anderen diefe Aufgabe voll=
ziehen, jo hat fie unter ihnen feinen Belannten,
und kann unter dem Namen ihres Gatten leicht
Aindere Zeiten andere Menfchen. II. Band. 9
— 10° —
durchrutſchen, und dieſen dadurd) von der grüßten
Sefahr retten.
Sie glaubte Ihon felbft über jede Gefahr
hinaus zu fein, und daß der glüdlihen Ausfüh-
rung ihres Planes nihts mehr im Wege ftche.
Es herrſchte ja bereit3 ein jo liebenswür-
diges Durdeinander in der Feltung, daß ein jo
kleine qui pro quo leicht überfchen werden konnte.
Gegen dreihundert Stabsoffiziere ftanden
gruppirt im Hofe; Stab3offiziere, die feinen ein-
zigen Soldaten in der Peltung hatten, —
Subalternöffiziere an die Tauſend, die nit zur
Beſatzung gehörten, unter ihnen eine Menge, die
geftern noch Feine Soldaten gewejen. Es war
dies ein Akt der Rettung, dem man gerne durd
die Finger ſah. . . Jedem, der zur Bejakung ge—
hörte, war freier Abzug zugeſichert.
In der Feſtung erfuhr es erft Judith, daß
die Geleitiheine durch eine gemiſchte Rommilfion
vertheilt werden.
Sie trachtete nicht vorzudringen ; fie hoffte,
man werde gegen Ende weniger aufmerkiam fein,
und fie daher weniger Gefahr laufen, erfannt zu
werden.
Dann kalkulirte fie, dag man in die Alters:
rubrik „einundzwanzig“ fchreiben werde; hieraus
läßt fi im Ungariſchen, fei es mit Ziffern oder
Buchſtaben geſchrieben, leiht „bierundzwanzig“
machen, ohne daß man die Fälihung bemerken
— 131 —
fönnte. .. . Bela Laͤvay war vierundzwanzig
Sahre alt.
Sie hatte aljo Alles im Voraus bejtens
ausgedadht.
Gegen Mittag begannen fi die Dichten
Gruppen ter fid) meldenden Dffiziere zu lichten,
da Viele, des Warten? müde, die Sade auf
Nahmittag verichoben,, oder zum Speiſen gingen ;
ebnn diefe Zeit benügte Judith) und betrat den
Pavillon, wo fih das Bureau der Kommilfion
befand. | |
Es waren dies diejelben Zimmer, in welchen
einft die alte Laͤvay in finfterer Naht eridien,
um die Ehre ihres Sohnes mit bewaffneter Dand
zu vertheidigen. .. Damais die Mutter, jetzt die
Gattin.
Der größte Schuß des Himmels ift, den
er durch Die Liebe des Frauenherzens endet.
In den vollgefüllten Räumen berriähte eine
egyptiſche Hike, trotzdem daß ſämmtliche Fenfter
offen ſtanden; im Vorzimmer gab es fein Plaͤtz—
chen, wo man ſich niederlaſſen konnte. Judith
fühlte ihren Kopf ſchwindeln; die drückende Lage,
das Herannahen des für's Leben entſcheidenden
Augenblickes, die Zweifel die in ihr aufzutauchen
begannen in dem Momente, wo ſie ihrer ganzen
Seelen- und Koͤrperkraft bedurfte, a ſie hart
angegriffen..
Endlich tam die Reihe an ſie, daß ſie bis
9*
= 13
zu jener Thüre gelangen konnte, hinter welcher
die Kommiſſion tagte.
Sie wurde hineingelaffen.
An einem langen Tiih ſaßen mehrere der
Beſatzung angehörize Offiziere, die fie nicht kannte,
und wieder Andere aus dem feindlichen Lager;...
von Dielen kannte fie jedoh Einen jehr gut...
und diefer Eine mußte aud fie und auch ihren
Gatten Bela fehr gut Tennen... dieſer Eine
war der alte Kolbay ...
Als Judith dieſes Gefiht gewahr wurde,
drängte fi) ihr alles Blut nad dem Kopfe. Auf
diefes Unglüf war fie nicht vorbereitet, obwohl
es ganz natürlich ſchien, das Kolbay dort fike.
Der Beteran hatte einen ganzen Stoß be:
druckter Zettel vor fi) liegen, deren Rubriken er
mit der Perfonsbeihreibung der ſich nadeinander
Meldenden ausfüllte, zu dieſem Zwecke hatte
er auch feine Brille aufgelegt.
Ein anderer Offizier ftand an einer offenen
Truhe, aus welcher er die letzte Monatsgage
Jedem, der feinen Zettel hatte, einhändigte.
Bor Kolbay mar die Verftellung un—
möglid. \ | |
Judith fühlte fih von einer Ohnmacht an-
gewandelt ; fie bedurfte der ganzen Stärke ihrer
Seele, um ihren erftarrenden Nerven zu gebie—
ten, damit fie fi im entſcheidenden Momente
nit durch deren Schwäde verrathe.
Kolbay betrachtete ftarr die jugendliche Ge—
ftalt mit feinem ftrengen Blide, und frug dann
im trodenen Tone:
— Wie heißen Sie?
Judith fühlte die Schwere eines Gewitter:
Himmels auf ihren Schultern laften, als fie die
Frage beantworten mußte:
— ‚Bela Laͤvay“ .....
.... Kolbay heftete abermals einen langen
Blick auf das Gefiht Judith's, welde im Xodes-
fampfe der Verzweiflung wartete, wie viele
trodene Inarrende Stimme ausrufen werde:
„Das ift niht wahr!... Sch kenne Bela
Laͤbay! .. Sie find es nidt... Sie find Har—
. gitay, feine Gattin! ...
Der Beteran reinigte fid) jedoch die Brille
mit feinem bunten Sacktuche, beugte fih dann
über den vor ihm liegenden leeren Zettel und
fhrieb: „Bela Lavay, Hauptmann.‘
Sodann hob er abermals jeinen Kopf in
die Höhe und frug mit der gewöhnlich Inarren=
den Stimme:
— Wie alt find Sie?
Judith gewahrte es in diefem Momente
erft, daß der Geleitihein in deutiher Sprade
ausgeftellt ward und die Zahreszahlen mit Buch—
ftaben eingetragen wurden.
Somit konnte fie nicht nad) ihrer bereits an-
geitellten Berechnung aus „einundzwanzig” bier
ne BE
undzwanzig maden, denn dies geht in deuticher
Sprade nidt.
Diefer neue Shred erdrüdte fie beinahe.
Was fol fie nun antworten. Sagt jie
einundzwanzig, jo kann Bela feinen Gebraud vom
Geleitsſchein machen; ... wenn fie vierundzwanzig
angibt, wird man ihr's nicht glauben, da der
maͤnnliche Zug im Geſichte fehlt.
„Einundzwanzig“ ... ſtammelte fie endlich
heraus.
— Welch' ein junges Kind! — murmelte
ein Offizier im weißen Waffenrock.
— Beſondere Kennzeichen? — knarrte der Ve—
teran und ſchrieb: „Geſicht: oval, Augen: ſchwarz,
groß; Mund: Hein, Haare: ſchwarz, kurzge—
geihoren.... |
Der Offizier im weißen Waffenrode fügte
Hinzu:
— „Eine Narbe auf der Stirne.‘
Kolbay hob den Kopf empor und richtete
feinen falten Blid auf die kaum vernarbte
Wunde, beugte fi etwas vor, um beffer zu
fehen, und jhrieb dann: „eine Narbe auf der
Stirne. |
Don dem, was nachher geihah, mußte
Judith nichts mehr. Wie fie aus dem Zimmer
fam, wie fie über die Stufen auf den Korridor
des Pavillons gelangte, wußte fie ebenjowenig,
als fie eine klare Vorftellung davon hatte, Mas
— 135 —
fie that, als ſie den Kopf auf die Schulter eines
grauen Artillerieoffiziers lehnte, der ihr ein Glas
friſchen Waſſers bot.
— Iſt Dir übel geworden, Kamerad?
Kein Wunder in der verdammten Hitze, und im
zugeknopften Belets. .Wesdhalb knopfſt Du ihn
nicht auf?
— Nein, nein! — wehrte Judith ab, in lan—
gem Zuge die friſche Luft einathmend. — Es iſt
ſchon vorüber, ich danke Dir.
— Dann ſehe, daß Du auf Dein Quartier
kommſt, und lege Dich zu Bette; bier haft Du
Deinen Geleitihein und Dein Geld.
— Was für Geld?
— Nun, Deine Monatsgage, welde Dir
noch gebührt. _
— %, richtig. Sch danke.
Der alte Artilleriſt klopfte den jungen Ka—
meraden auf die Achſeln und dachte: Dir wäre
es auch noch beſſer geweſen, bei Deiner Mutter zu
bleiben und ihr Strickwolle abwickeln zu helfen.
Judith lüftete beim Grüßen die Mütze, der
alte Soldat gewahrte hiebei die Wunde.
— Verzeihe mir, Bruder! — rief der alte
Haudegen, die Hand bietend.
— Weshalb? — frug Judith verwundert.
Der Alte drückte ſtumm die dargebotene
Hand. . . Er bat um Verzeihung für feine Ges
danken, die er nicht ausgeſprochen.
— 26 —
Judith gewann an der freien Quft ihr bol-
les Bewußtſein und eilte dem Haufe Kaͤpor's zu.
Auf dem Wege dorthin dachte fie ununter-
broden darüber nad), wie man aus dem deutichen
‚Einundzwanzig“ ein „VBierundzwanzig“‘ zaubern
konnte. |
Als fie, aus ihrem Nachgrübeln plötzlich er-
wachend, aufblidte, befand fie fi vor dem
Haufe’ der Mutter Bela's.
Das Haus Hatte bereits ein neues Dad,
nur waren die Wände nod) nicht friſch angemworfen,
die Fenfterftüde waren jedoch ſchon eingentauert.
An einem diefer Fenfter gewahrte fie die
Mutter Bela’s.
Die alte Dame trug feine Haube am Kopf;
die grauen Haarbüfheln hingen ihr wirre in's
Geſicht. Sie ſtand mit verweinten Augen da,
und blickte jeden Vorübergehenden fragend an,
als ſuchte ſie Denjenigen, der ihr von ihrem Sohne
Nachricht brächte.
Und Judith war doch ſo unbarmherzig, daß
ſie ihr Geſicht abwendete, um nicht erkannt zu
werden.
Die Gefahr iſt ja fo lange, als fie Bela
in feinem Aſyl aufſucht, nicht bejeitigt. Die
Beruhigung der Mutter könnte ihn verrathen.
Die Mutter muß noch lange, fo lange weinen,
bis der Streich gelungen. Für diefen grauſamen
Gedanken mußte Zudith einft ſchwer büßen.
— 137 —
Bon der Mutter Hätte fie ja nichts für
ihren Geliebten zu fürdten gehabt. Würde fie ihr
nur jo viel gejagt haben: „Bela lebt; fein Ge:
leitsjchein befindet fih in meinem Händen; bis id)
ihm diefes Papier nicht übergeben haben werde,
Ihliege Dih ein, zeige Dih vor Niemandem,
man könnte Div das Geheimnig von Deinem
Geſichte herablauſchen;“ ... die alte Matrone
hätte ſicherlich gehorcht, fie hätte ihr Haus in
eine Klauje umgeftaltet und hätte jelbft ihre Fen—
fter verrammt, damit ja Niemand die Ruhe auf
ihrem Geſichte erblide.
Doch war die Beſorgniß Judith's fo groß,
dag fie ihr Vertrauen nit Niemandem zu theilen
fi) getraute, außer mit dem einzigen Manne, den
fie liebte, den fie beihükte, und außer welchem
feine Seele für fie auf der Welt lebte.
Sie hatte nur noch eine Sorge, wie die
Jahreszahl umzuändern wäre,
| Schwefeljäure vertilgt die Spuren der Tinte
bom Papier... Aus dem großen „E* kann man
ein „B*, aus dem Heinen „n“ ein „r” machen,
dann wird es „Bir“ heißen, und man wird es
für einen orthographiſchen Fehler halten.
ALS fie in das Haus Kaͤpor's gelangte, er-
ſuchte fie alliogleih SKaticza, diefe müge ihr aus
der Apothefe cin Flaͤſchchen Schwefelfäure und
blaue Mlizarintinte bringen, denn mit leßterer
war der Geleitichein geichrieben.
— 1335 —
Erft als das Mädchen mit dem Verlang—
ten zurüdfam, zog fie das Dokument hervor,
und bat Kaͤpor und feine Tochter, fe mögen fie
allein laſſen.
Sie m. ja die Abſicht, ein Dolument zu
faͤlſchen! ..
Ihr ganger Koͤrper erbebte bei dieſem Ge—
danken. Es wird zwar durch dieſe Fälſchung Nie:
mandem Schaden zugefügt; es iſt dies ein pie—
taͤtsvoller Betrug, der weder Gott noch Menſchen
beleidigen kann! . . . Aber Betrug bleibt Betrug,
Faͤlſchung bleibt Fälſchung! ... Wie, wenn jeder
Betrug Schon bei feinem — den Keim des
Fluches in ſich trägt ?... Iſt die Wahrheit nicht
ewig, unüberwindlih ?.
Und wie, wenn fie durch dieſe ſe Falſchung |
den Geleitihein ganz verderben, ganz werthlos
maden, oder ganz annulliven mödte?... Was
ift hier zu beginnen ?... |
Sie ging, von Zweifeln gemartert, im
Zimmer auf und ab. Wer fie geiehen haben
würde, wie fie die Hände über dem Kopfe ringt,
wie fie mit ihrem flehenden Blide dort Oben
Hilfe zu ſuchen jchien, wie ihr Buſen ungeſtüm
wogte, dem würde es alljogleid Kar geworden
fein, daß es fein Mann, fondern ein Weib, ein
liebendes, ein verzmweifelndes Weib ift...
Mit einem plöglihen Entihluffe entfaltete
fie das Papier und legte es fo auf den Tiſch.
— 13939 —
Ihren Lippen ‚entfuhr ein Aufſchrei des
Jubels, der Ueberraſchung, als fie einen Blick
auf dasſelbe warf. |
Sn der Altersrubrit des Geleiticheines
fand es mit großen, dicken Buchſtaben ge=
Ihrieben : I
„Bier und zwanzig”.
Kolbay hatte es ja gut gewußt, wie alt
Bela ſei. Sah er ihn dod vor feinen Augen
aufwachſen. =
Judith fiel auf die Knie, beugte ihr Ge—
fiht über Die Platte des Tiſches und begann zu
weinen, und während des Meinens zu lachen ;
dann küßte fie das Papier hundertmal, und rief
ebenio vielmal den Namen Bela's.
Sie war ein Weib! ganz, ganz ein Weib.
Die arme alte Dame ftand mit ihrem
Schmerze noh am jpäten Abend an ihrem Fen—
fter und ‚betrachtete mit ihren verweinten Augen
die Vorübergehenden.
Da ſchlich aud, von den Mühen des Ta—
ges erſchöpft, der alte Major Kolbay vorüber,
welcher nach der plötzlichen Wendung des Schick—
ſals aus ſeiner Höhle kroch und eine Stelle bei
der Kommiſſion annahm, nicht um dem erbleich—
ten Glanze der ungariſchen Waffen zu ſpotten,
ſondern um den Flüchtlingen den Rettungsweg zu
bahnen.
— 140 —
Als er an's Fenfter der alten Dame ge:
langte, blieb er auf einen Moment ftehen und
Elopfte mit feinem dürren Finger an die Fenfter.
— Gnädige Frau! Merken Sie fi Dielen
Tag, und erinnern Sie ſich eines Tages, was
Shnen heute der alte Kolbay gelagt: „Gnädige
Frau, alte Freundin! Ihre Schwiegertodhter ver:
dient es, daß Sie ihr, wenn Sie mit ihr zu
allererft zujammentreffen — die Hände küffen.“
Ich babe das gelagt. Vergeſſen Sie es nicht.
: Damit ging er weiter, ohne jeglihe Er:
Härung.
Köfes Geſchick.
Wem ift es nicht Schon widerfahten , daß
er Jemanden oder Etwas vom Untergange ge=
rettet bat.
Und wenn es auch nur ein dem Grtrinfen
naher Hund, ein flügellahmer Vogel, ein vom
Sturme entwurzelter Baum, oder eine melfende
Blume geweſen ift: der kann ſich Die Freude Ju⸗
dith's vorſtellen.
Sie vermochte nicht, den nächſten Tag zu
erwarten; noch in derſelben Nacht begab ſie ſich
mit Andreas Kaͤpor, der ihr heilig gelobte, ſie,
wenn es nöthig, ſelbſt an's Ende der Welt zu
führen, auf den langen Weg.
Sie mußte ja eilen, um Bela dort anzu:
treffen, wo fie ihn verlieh, ihm das Verſprechen
abnehmend, daß er ſich jo lange nn werde,
bis fie zurüdgelehrt.
Der Drt, wo Bela verborgen. war, lag in
irgend einem vierten oder fünften Komitate; er
ift auf feiner Landkarte zu finden, und liegt in
— 142 —
einem Winkel, zu welhem nur ein einziger Weg
führt. Derſelbe führt auch zurüd,
Dort harrt der geborgene Gatte feines
treuen Weibes, und zählt ſehnſüchtig die Augen
blide, welhe ihn von feiner Geliebten _ trennen.
Dieſe Augenblide dürfen nicht vermehrt werben.
Andreas Kaͤpor wußte es ſehr gut, obwol
er nie darnach gefragt, was Judith anſtrebe, wes—
bald fie jo große Eile hat ?.
Die hajtige Verkleidung, das Anſchließen
an die Beſatzung, hatten ihm Alles deutlicher er—
klärt, als wenn man's ihm mit Worten beige—
bracht hätte. Der. alte Mann billigte es von
Herzen. Der gute Gedanke hätte auch Anderen
fommen und Mancher der jpäter verbluteten gro-
ben Männer hätte gerettet werden fünnen. Doch
hatte nicht Feder derjelben eine jo aufopfernde
Frau, und ein Mann fann das nimmer bewerl:
ftelligen. |
Kapor machte daher nie Einwendungen,
wenn ihn Judith auch nad der Abenddämmerung
noch antrieb, eine Station weiter zu fahren, er
ſah ja den Weg auch bei der Naht, und wußte
e3 gut, daß die arme Frau ſtark Gile habe,
Und doh war das Wetter jo ſchlecht und
die Frau fo müde. Die Ueberihiffung der Waag
während des gräßlihen Sturmes, das Naßwer—
den während des Schiffbruches, der darauf fols
gende Tag voller Aufregung und Angſt, die ver—
— 13 —
zweiflungsvolle Beſorgniß, waren viel zu viel,
als was Frauennerven zu ertragen im Stande find.
- Sie war wirklih frank, wollte ſich's aber
ſelbſt nicht geſtehen.
Wenn ſie vom Wagen ſteigen wollte,
mußte fie Kaper herabheben. Sie aß während
der Reife beinahe gar nichts; trank nur Thee
und ſchwarzen Kaffee, um ſich den Schlaf zu ver-
ſcheuchen.
Das rothbackige, kerngeſunde Bauern—
mädchen, welches Kaͤpor von Peſt mit ſich ge—
führt, wurde nur zum Schatten deſſen, was ſie
einſt geweſen.
Das vorgeſtrige Gewitter und der Wind,
welcher auf dasſelbe folgte, hatten die Luft der—
art abgekühlt, daß der Sommer allſogleich in
Herbſt umſchlug. Man konnte mit Gewißheit
borausjegen, daß, wenn diefer Wind fich legt,
welder die grauen Wolfen da oben bor fich her—
treibt, es alliogleih ſchneien werde.
Se höher der Weg gen Norden ging, um
fo rauher wurde das Wetter, um jo blafjer die Frau.
Ein einziger Gedanke verlieh ihr Kraft
und lich fie nicht zuſammenbrechen.
Das geſchieht ſehr oit. Das Ficher wüthet
Thon in allen Adern, die Nerven zittern darunter,
aber eine mädhtigere Kraft, ein gebietender Ge—
daufe Hält die Leiden des Körpers nieder und
lägt die Krankheit nicht zum Ausbruch Fommen-
—
——
Judith dachte an Béla; Judith eilte zu
ihm. Bis dahin darf fie nicht erkranken. Wie
wird fie ihn überraihen, wenn fie ihn in dem
feinen Hofe unter der alten Linde, in Gedanken
vertieft, figend findet, oder ihn in der Nacht von
böien Träumen zu einer ſchöneren Wirklichkeit er-
wedt.... Wie wird fie ihm die Augen zubalten,
und mit verftellter Stimme fragen: „Rathe, wer es
iſt.“ Dder wird fie ihn vielleiht auf jeinem
Spaziergange im Walde treffen, er muß ja
“ täglid) meilenweit jeiner Judith entgegengehen ?!
Mie wird fie fi den guten Leuten dankbar er:
weiſen, die ihn verborgen hielten, die die Gefahr |
muthig theilten, welche feine Anweſenheit ihrem
Haufe gebracht. . . Wie werden fie wieder Arm
in Arm liegen, Kopf an Kopf gelehnt, das Glück
der Miedervereinigung genießen, und fi nie |
mehr von einander trennen. Wie wird fie von |
nun an ihren Gatten mit dem zarten Namen |
„mein Kind“ rufen. Sie hatte ihm ja das Leben
wiedergegeben... Und wie treu wird dieſer
Gatte ewig an ihr hängen, denn die Geftorbenen,
welche auch nach ihrem Tode noch lieben, pflegen
nicht flatterhaft zu fein.
Diefe ſüßen Träumereien hielten jie auf:
recht, daß fie unter der Wucht der Fahrniſſe nicht
zuſammenbreche.
Kapor wußte es jelbft nicht, wo ſie reiſten
Judith gab ihm die Richtung an, bezeichnete die
— 145 —
nähften Wege, welhe zum Ziele führten, und e3
ging immer raftlos weiter.
Am dritten Tage ihrer mühleligen Reife
gelangten fie in ein mit Waldungen dicht bewach—
jenes Xhal. An beiden Seiten des Xhales
ragten teile Bergrüden empor, auf denen die
Bude jo riejenhaft wuchs, wie anderswo die
Zanne. Die Heine, Schmale Wiefe des Thales
wird von Gebirgsbaͤchen durchſchnitten, über welche
der Holperige Weg bei jeder Krümmung führt;
Brüden find in dieſer entlegenen Gegend unbe=
lannt.
Der einzige Fahrweg führt in langen Krüm—
mungen das Thal entlang. Stunden lang findet
man keine einzige menſchliche Wohnung.
Stellenweiſe ziehen durch die Bergein—
ſchnitte ſchmale Wege in das Thal hinab,
welche von den durch heftige Regengüſſe erzeug—
ten und mit Gerölle angefüllten Riſſen kaum zu
unterjdeiden find. Auch diefe Wege find jekt
verlaffen, nirgends eine Wagenfpur zu finden,
man wird fie erft im Winter benüken, um mit-
telft Schlitten Holz herabzuführen.
Die Fahrt dauerte ſchon ſeit Mittag bis
Abends; immer tiefer und tiefer drangen fie in
die Urwildniß, und nod immer zeigte ſich feine
menihlihe Wohnung.
Mittlerweile fing es zu jchneien an.
Im Anfang riefelte e8 wie gefrorner Thau
Andere Zeiten, andere Menſchen IT Band. 10
=. MI
herab, ipäter wirbelten große Flocken nieder und °
bededten das Grün des Thales mit einem weißen
Leichentuche.
Die Bruſt Judith's ſchnürte ſich in der
Einöde zuſammen; ſie mußte es ſich hundertmal
denken und wiederholen: „nun find wir nicht
mehr weit, wir werden uns bald wiederjehen“,
um nicht durd die Furcht der Einſamkeit er-
drückt zu werden.
| Käpor Ichüttelte mit dem Kopfe, ſchwieg
jedoch, um feine Gebieterin nicht zu erfchreden,
doch dachte er: wir fahren da an ſchlechtem Drte;
wir müſſen uns verirrt haben; ein närriiher
Meg das, und der wird aud) bald gar fein, und
dann?!... Doch er jchrieg.
Plötzlich geriethen fie in noch finftereres |
Dickicht; fteile Bergmaſſen tauchten vor ihnen auf,
an denen der Ihmale Weg gänzlich) zu —
den ſchien.
— Fahren wir noch weiter? — frug Kaͤpor
ſich gegen Judith umwendend.
— Nur weiter, weiter! — mahnte dieſe
mit zitternder Stimme, — wir Aue gleich an
Ort und Stelle ſein.
Kaͤpor ließ faum die Pferde ein wenig aus⸗
ſchnauben und jagte weiter.
Ploͤtzlich begann Kaͤpor zu horchen und zog
die eiſerne Heugabel, die er ſich für alle Fälle
— 141 —
mitgenommen, unter dem Sitze hervor und legte
jih dielelbe zur Hand.
— Ich höre Hundegebell, — ſagte Judith,
in die Stille des Abends hinaushorchend. — Neh—
men wir die Richtung, wir müſſen ſchon nahe fein.
Kapor Schüttelte mit dem Kopfe, und, ohne
ein Wort zu jpreden, jpähte er bald rechts, bald
lints, als fäme ihm Etwas verdädtig vor.
— Beeilen wir uns, mein guter Käpor,
das it Hundegebell, mir muüflen einem Dorfe
nahe fein. |
Kapor jhüttelte abermals den Kopf und zog
die Zügel feiner Pferde beſſer an, welche feit einer
Zeit die Ohren jpigten und einem jeden Baumes
jtumpfe bedaͤchtig auswichen.
— Nicht wahr, das iſt Hundegebell? —
frug Judith den ſchweigſamen Mann?
— Nein, gnädige Frau, das iſt nicht
Hundegebell, ſondern Wolfsgeheul.
Kaum hatte er dieſe Worte geſprochen, als
fieben graue Beſtien aus dem Geſtrüppe hervor—
brachen und quer über den Weg trabten; man
fonnte fie einzeln abzählen. Sie verfolgten ein
Reh, welches mit Ängftliher Eile durch das
Dickicht brach.
Die Wölfe ſchienen unſere Reiſenden gar
nicht zu beachten. Im Herbſte pflegen ſie Men—
ſchen ſelten anzugreifen, nur der Hunger des
Winters treibt ſie zu dieſer Verwegenheit.
10*
— 145 —
Dennod bleibt e8 immer gräulid, den Be—
ftien zu folder Zeit und in folder Einöde zu be=
gegnen. Die jhon in der Ferne im grünen Feuer
erglänzenden Augen verrathen nur zu deutlich,
daß dies Hunde des Todes find, die von ihrem
Herrn mit lebendem Fleiſch gefüttert und warmem
Blute getränft werden...
In der traurigen Stille des Waldes konnte
man no lange ihr Geheul vernehmen, bis fie
in der Verfolgung in ein anderes Thal ein-
bogen.
Auf Judith's Nerven wirkte dieje Szene
furchtbar erregend. . . . Wenn fie jekt bier jo
elend umlommen müßte! ... Keine, nicht die ge—
ringfte Waffe bei der Hand. In jenen Tagen
durfte man ja feine bei fih führen, jelbft gegen
die reigenden, wilden Thiere des Waldes hatte
man nur den Stock.
Wenn der Hungrige Rudel zurüdfehren
tollte.
Ihre Glieder erfaßte Falter Schauer.
Käpor trieb feine Pferde zu fchnellerem
Zaufe an; man mu ja doh am Ende felbit
auf dieſem verzweifelten Wege zu irgend einer
menihlihen Wohnung gelangen.
Das Wetter wurde immer rauber, der
Schnee fiel immer dichter, kaum konnte man noch
den Weg unterideiden.
Plötzlich gelangten jiein ein breites, flaches
— 149 —
Thal, welches ganz unter Waller ftand, wo ji
aud) die Spur des Fahrweges verlor.
— Eind Sie durd) diefen Moraft gefahren,
als Sie hier reiften ? — frug Käpor, mit der Peitſche
auf die Waflerfläche deutend.
— Nein, — erwiderte Judith, — damals
war der Weg troden und ftaubig, auf dieſes Waller
erinnere ih mich nicht.
— 63 muß irgend eine Mühlwehr durd-
geriffen fein und das Waller hat fi bier ge—
ftaut. Es wird ſchwer gehen, da durchzukommen,
aber deshalb in Gottes Namen.
Das Waſſer hatte eine leichte Eiskrufte,
auf welder bie und da der Schnee ftehen
blieb. Den Weg konnte man durchaus nicht
fühlen. . |
Ploͤtzlich verſenkten fih Die Räder in ein
tiefes Loch, und die Pferde vermodten den Wagen
troß aller Anftrengung niht mehr herauszu—
bringen.
— So, jebt fteden wir da — brummte
Käpor im Tone verzweifelter Leberzeugung.
— Judith Ihöpfte aus der Gefahr neue
Kraft.
— Wir müflen weiter. Verſuchen wir den
Magen nad) der Seite zu menden.
— Geht nit. Da in dem verdammten
Tode fteden zwei Steine und haben das Rad
— 19 —
eingezwängt, 's iſt noh ein Glüd, daß wir nicht
umgeftürzt find.
— MWa3 werden wir num beginnen ?
— Wir übernachten bier.
— Das ift unmöglid. Wir können die
Naht hier niht abwarten.
— Dann bleibt nihts Anderes übrig, als
daß ih die Pferde ausipanne und den Wagen
hier zurüdlaffe. Auf eines der Pferde breite ic)
die beiden Kotzen, die Gnädige feken ſich hinauf,
ih führe die Pferde, und fo müfjen wir doch
endlih ein Dorf erreichen.
— Ich bin noch nie auf einem Pferde ge:
jeffen, und wirde mid fürdten. Tragt mid
über das Waſſer hinaus, dann werde ich ſchon zu
Fuße weiter fommen.
Kaͤpor gehordte. Er ſpannte die Pferde
aus und trieb fie vermittelft des Leitjeil3 vor ſich
her, hob Judith, wie man mit einem Rinde zu
thun pflegt, auf den Arm, und watete fo bis an's
Ufer des Waflers.
Dort bat ihn Judith, er möge fie zur
Erde jeken, fie würde ſchon weiter kommen.
Und doch hatte jie kaum mehr Kraft genug,
fih aufrecht zu erhalten.
Mie ftrengte fie fih zur Eile an, wie
wollte jie vorwärts!... Der Weg war jhlüpfrig,
der Schnee fiel auf Ichmigen Koth und machte
das Sehen doppelt beſchwerlich. Judith mußte
4
— 151 —
fi) wiederholt an die mosbededten, feuchten
Baumſtämme anlehnen, um anszuruhen, Ein:
mal mußte fie fid) fogar auf einen bemoften
Stein niederjegen, die Müdigkeit ſchien fie zu er:
drüden. Käpor mahnte jedod, fie möge auf:
ftehen, der Stein Sei kalt, fie könne fi leicht
eine Krankheit zuziehen. Cie gehorhte und
ichleppte fi ohne Klage weiter.
Der Weg wollte immer noch fein Ende
nehmen. Bon Neuem wechlelten Wälder, Berge
und Thäler, und nod) immer feine Spur einer
Menſchennähe.
Da durchſchnitt abermals cin angeſchwol—
lener Gebirgsbach den Weg. Kaͤpor mußte Judith
abermals auf ſeine Arme nehmen, um ſie hinüber
zu tragen. Dann ſetzte er ſie aber nimmer zur
Erde.
— Laſſen Sie mich hinab, — ftammelte
Judith mit bebender Stimme.
— Nein, bei Gott, das werde ich nimmer
thun, bis wir nicht unter Menſchen kommen! —
ſagte der jtarrföpfig gewordene Fuhrmann im
entihiedenen Zone,
— Ich bin ja nit müde!
— Ich auch nicht Kommt es mir doc
vor, als trüge ich nur ein Kind auf den Armen.
Judith fing leife zu jeufzen an. -
Nun iſt e8 aber ganz Nacht geworden, und
mr das Schneeliht erleuchtete Die Gegend.
— 12 —
Nah langem Marie gelangten fie in eine
runde Lichtung, in deren Mitte ftand eine große
Bude, die Wieſe durchſchnitt ein Bad, welder,
zwiſchen Wildrofengejträudh laufend, einige Kas—
faden bildete.
Als Judith den Baum gewahr wurde,
tier fie:
— Halten wir, mein Freund!
— Diejer Baum ?
— Gibt e3 Etwas an dieiem Baum ?
— Ich erinnere mid dieſes Baumes.
Tragen Sie mid Hin.
Käapor that, wie ihm gefagt wurde, und
lieg dann Judith von feinen Armen gleiten.
Dieje lief ftrad3 auf den Baum los, und
ihr Gemüth erheiterte fich plötzlich.
— Fa ja, der iſt's. . . . Sch erkenne ihn
ihon. Hier der Bach mit feinen wilden Rofen,
hier der Stein, auf welchem wir mit einander
Tagen! Bis hieher hatte er mic) geleitet, als er
bon mir Abihied nahm; ich geftattete ihm nicht,
weiter zu kommen. . . Kommen Sie dod her,
Käpor. ... Sehen Sie, jehen Sie dieſe zwei
Buchſtaben da in die Baumrinde gefchnitten, fie
rühren von feiner Hand ber, Ein J, und ein B;
iehen Sie mal, es bedeutet: Judith ud Bela!
D mein Gott!...
Und fie bededte, vor Freude ſchluchzend, den
legteren Buchſtaben mit ihren Küſſen.
— 153 —
Bon nun an Ihien cs, als hätte fi) ihre
Seele durd einen einzigen Gedanken berjüngt,
als wäre fie zu friichem, fräftigem Leben wieder:
geboren. Sie bedurfte feiner Stüße, feiner Hilfe
mehr.
— Nun eilen wir, das Dorf ift hier ganz
in der Nähe, faum auf einen Steinwurf ent-
fernt.
Wäre der Wind nicht geweien, hätten wir
die Abendglode läuten gehört... Nun eilen wir,
eilen wir.
Nun schritt fie mit leichten, elaſtiſchen
Zritten voran, als wäre fie aller Sorgen bar,
fie eiferte Käapor und die vor Müpdigfeit ftrau-
helnden Pferde zur Eile an.
— Zweihundert Schritte noch und wir find
an Drt und Stelle!
Seht konnte man wirklich Hundegebell ver-
nehmen. Es thut jo wohl, in üder, einfamer
Naht die Stimme dieſes treuen Yausthieres zu
vernehmen, jenes einzigen Thieres, bei welchem
Freundihaft, Charakter, Muth und Selbftauf-
opferung — To jeltene Tugenden unter den
Menſchen — alltäglihe Gewohnheit find.
Das Gedaäͤchtniß Judith's täuſchte fie nicht.
Bei der erften Wendung, welde hinter einem
waldigen Hügel in’s Freie führte, Fonnte man
das in einem Thale zerftreut liegende Dorf auf
kaum hundert Schritte Entfernung erbliden; Die
— 154 —
Heinen Schornfteine rauchten, die Fenſterchen der
zerftreut liegenden Häufer erglänzten in der Naht
gleih Johanniskäferchen.
Judith hielt an und fagte mit vor Freude
bebender Stimme zu ihren Begleiter:
— Hier ift es, bier habe ih ihn ver—
laflen !
Sept konnte jie es geſtehen; waren fie doch
bereit3 an Drt und Stelle.
Ihr Herz ſchlug jo ſchnell, ihre Adern
klopften jo heftig ;... war es von der großen
Freude oder vom heftigen Fieber... .
Es ift nicht gut, ſich über etwas ftark zu
freuen.
Das verfloffene Jahr Hatte es bewielen :
Alles, worüber man fid) gefreut hatte, wurde zu
Elend und Jammer.
Diefer Gedanke wurde gleich bei den erjten
Häufern des Dörfhens im Gehirne Kaͤpor's rege,
al3 er vor einem Zaune zwei eingeihlagene
Pfähle gewahrte, zwiihen welden cine ſchmale
hölzerne Tafel hing, an der Spitze einer dieſer
Prähle war ein Büſchelchen Stroh befeftigt.
Auch die junge Frau fonnte es gewahren,
doch verjtehen ſich die ftädtiihen Damen auf
ſolche ländlihe Symbolif nit. Wühte fie, wie
Käpor es weiß, was dieſe Piähle, viele Tafel,
dieſes Strohbündel bedeuten, jite wirde vor Schred
zufammenfinfen.
— 15 —
An diejem Brette pflegen die bequartierten
Reiter durch Klopfen das Zeihen zum Pferde:
füttern zu geben.
Alſo nibt es wieder Gefahr.
Sie mußten durch das ganze lange Dorf
ſchreiten.
Beim legten Haufe, deſſen rüdwärtige Fenſter
fi gegen den Wald öffneten, hielten fie An.
— Hier werden wir bleiben, — ſagte Judith
leiſe zu ihrem Begleiter; ſie fand leicht die Thüre,
welche in die Küche führte.
Sie öffnete diejelbe ohne Geräuſch.
Bor dem Herde ftand die Hausfrau; am
Rande desjelben ſaß eines ihrer Kinder, die zwei
anderen spielten auf der Erde; der Mann
hockte auf einem niederen Schemel und rebbelte
Mais an dem Meſſer, welches in den Rand des
Schemels befejtigt war. Sonft war Niemand in
der Küche anweſend. P
Wo iſt Béla?
Als Judith die Küchenthür geöffnet hatte,
ſahen Mann, Frau und Kinder alle neugierig den
Gaſt an; als aber Judith in das Licht des hell
lodernden Herdfeuers trat und das große Tuch,
womit ihr Geſicht verhüllt war, auseinanderſchlug,
da riefen Alle auf einmal: Jeſus Maria!...
Der Ruf eriholl aber nit im Tone der
freudigen Ueberraihung, fondern in dem des
Schredens.
— 156 —
— Gnädige Frau! — rief das Weib, Ju—
dith entgegen eilend. — Sind Sie «3 ?
— Ja, id bin es, gute Terez; dod wo
it Bela ?
— D barmberziger Gott, in Joldent
Wetter! ...
— Das Wetter thut nichts. Wo iſt
Bela ?
— Herr Bela? — wiederholte die Hausfrau
verwirrt, und blidte verzweifelnd ihren Gatten an,
welcher ſich unterdeffen von feinem Schemel er=
hoben hatte und an Judith berantrat.
— Um des barmberzigen Gottes Willen,
lagen Sie mir’, wo Bela ijt?
Der Mann ftählte feinen Muth und ant-
wortete :
— Herr Bela ift niht hier. Vor zwei Ta-
gen kamen berittene Gensd’armen in's Dorf. Als
fie Herr Bela gewahrte, öffnete er eines der in
den Wald führenden Fenfter, Tprang durch das—
jelbe und floh in den Wald, ohne einen Auftrag
zu binterlaffen. Seitvem haben wir nidht3 von
ihm gehört.
So meit hatte die Lebenskraft der arınen
Frau ausgereidht.
AS fie hörte, daß ihr Mann verihtwunden,
daß er fi wieder in die von Gefahren wim—
— 157 —
melnde Welt geftürzt, daß Alles, was fie zu ſei—
ner Rettung, melde fie nun vollbracht glaubte,
zu Nichts geworden ; daß fie ftatt der ſüßen Um—
armung des Miederjehens in die folternden Arme
Des Zweifels gerieth ... da jtürzte fie plößlich
leblos zuſammen. Mehr zu ertragen, iftdem Weibe
nicht gegeben.
u — — — —
Die beiden Leichen.
Nun find fie alſo beide todt.
I Der Eine lebt noch, bewegt ſich über der
Erde, iſt aber dennoch tobt, er hat fein Recht
an das Leben mehr; er iſt ein begrabener Mann.
Gr muß fid) verbergen, ſchweigen, dulden, wie
die Todten, er darf fih nur um Mitternacht auf
die Erde wagen, wie die Geſpenſter.
Die Andere — liegt bereit3 auf der
Bahre.
Die guten Leute, in deren Haus Judith
tam, hatten Alles aufgeboten, um Judith in's
Leben zurückzurufen; als jedoch bis zum Abend
des folgenden Tages jeder Verſuch erfolglos
blieb, und die ſtarre Bläſſe des Todes vom
Antlitze nicht weichen wollte, da zogen ſie ihr
Todtenkleider an, ließen einen Sarg anfertigen und
die Glocken läuten ... morgen ſoll fie begraben
werden.
Hier iſt er alſo, der alle Räthſel des Lebens
loͤſt, der Tod, welcher ſelbſt ein tiefes Rathſel iſt,
4
— 159 —
welches der menſchliche Geiſt noch nicht zu löſen
vermochte.
Die Weiſen der Materie haben durch ihre
chemiſche Wiſſenſchaft es herausgebracht, daß die
Lebenskraft nichts Anderes ſei, als ein chemiſcher
Geſtaltungsprozeß, und der Tod nichts Anderes
ift, als daß eine träge Maſſe in Fermentation
übergeht, wie wenn der Wein zu Eſſig wird.
Eines haben jedoh die Weiſen zu erklären ber-
geſſen. . . . Wie wird der Eſſig wieder. zu
MWein?...
Der Umlauf des Blutes ftodt bereits, das
Herz hat zu ſchlagen aufgehört, die Nerven ge—
horchen feinem Willen mehr ; die Maſſe fühlt
nichts, ihre Laft zicht fie zur Erde hinab, in den
Staub, zu den verwandten Atomen; .... wie
aber, wenn der Tauſendſte, der Hunderttaujendfte
auch dann noch denft?!.... Sagt es mir,
Ihr Weifen der allmächtigen Materie, was e3
it, was da d’rinnen noch immer lebt, wenn die
Wiſſenſchaft ſchon längft fein Zeihen mehr des
Leben bedingenden chemiſchen Wirkens an der
Materie wahrnimmt ? ... was nicht „Leben“,
fondern „Seele ift . .. deſſen Sik Ihr bis:
ber vergebens geſucht; ift er im Herzen, im Ge—
bien, in der Wärme des Blutes? ... Hält es
fih etwa in der denfenden Stirne, oder im Rüd:
great cuf?... Dieſes Etwas, welches aud
dann zugegen fein kann, wenn die ganze Staub-
— 160° —
hülle bereit3 öde und kalt; diejes Etwas, welches
auch dann Bewußtſein, Willen, Sehnſucht und
Furcht empfindet, wenn es mit dem Organismus
des Körpers nichts mehr zu thun hat?!
Erklärt es, wie es fommt, daß ein Leich—
nam, deſſen jeder Blutstropfen bereit3 zu Eis
geworden, es noch zu hören vermag, was man
über ihn ſpricht; was die Todtenweiber jagen :
„Welch eine ſchöne Leiche, wie ſchön der Myrthen-
franz auf ihrer Stirne ftrahlt ?!“ Doc fühlt fie
das Stehen der Blätter nicht mehr ; fie hört es,
die Leiche, wie man fpriht: „ziehen mir den
Trauring von ihrem Finger, damit wir ihn dem
Gatten überreihen fünnen, wenn er wiederkehrt.“
Die Leiche fühlt es aber nicht, wie.man ihr den
Ning vom Finger 309. Sie hört den Gejang der
Todtenwädhter, das Todtengeläute der Gloden ;
das Flüftern der Beſucher; fie hört das Knarren
der Ringlein, al3 man die Vorhänge zulammen-
zieht, damit ihr die Sonne nidt in's Gefidht
heine, doch fühlt fie die Wärme des Sonnen:
ſtrahls nicht. . ..
Die Leiche weiß Alles, was geweſen, Alles
was noch kommen wird. ..
Sie hat noch ſo viel Bewußtſein, um auf
die Zeit zurückdenken zu fünnen, welche in Tage,
in Stunden eingetheilt geweſen; auf die Zeit,
wo der helle Tag mit der dunklen Nacht ab:
wechſelt; fie vermag an Jenen zu denken, den
- 161 —
fie geliebt, beihügt, und für den fie geftorben
ift; fie ift fi) bewußt, daß Diele Liebe, dieſer
Shut mit dem Tode in die Erde verienkt wird,
woher fein Auferftehen mehr.
Dieſe Leihe liebt und fürchtet jetzt noch;
nicht etwa, daß fie in ein bretternes Gefängnif
verſchloſſen und in die Tiefe der Erde. verientt
wird, dab man cine ſechs Schuh hohe Schichte
über fie wirft, und fie das allmälig dumpfer
werdende Kollern der Erdihollen mit anhören
muß; nidt, daß lange, nahdem es grauenhaft
öde und ftille geworden iſt in ihrer langen,
dumpfen Naht, fie noch lange, lange hören muß,
wie der Maulwurf an den Brettern ihres Sarges
bohrt; ... jie denkt nicht darauf, daß wenn nad)
Tagen die Lethargie dem wiederfchrenden Leben
weiht und fie zum chenden Bewußtiein er:
wacht, fie den Tod bitten wird, um als ewiger
Befreier zu kommen.
Nicht derart waren ihre Gedanken.
Ste kämpfte mit Anderem: der Gatte ift
tort, er flüdtete fi in die weite Melt, und
fie... hatte den Brief mitgenommen, der ihm
das Leben gerettet hätte. Den Brief wird aber
‚Niemand finden können, denn der ift geborgen,
fie hatte ihn ja in ihr Mieder zwiſchen das
Fiſchbein eingenäht... . Wer würde ihn dort je
finden ? Wie könnte erin die Hände des Veriolgten
gerathen ?
Andere Zeiten andere Menfchen. II. Tand. 11
— 12 —
Die Stirne der Leiche war kalt; innerhalb
dieler Stirne lebte die Verzweiflung! .
Erflärt mir Dies, Ihr Weiſen der all:
willenden Materie! .
Die Uhr ſchlug acht; die Leichenbeſucher
wünſchten gute Nacht, und gingen.
| Der Hauswirth fagte zu feinen Leuten, fie
mögen fi zur Nachtruhe begeben, er werde ſchon
die Todtenwache halten.
Die Hausfrau veriprad Wein hineinzu—
ſenden, die Nacht ſei ja lang, das Gemach kalt,
und die Nähe der Leihe mahe noch älter...
dem Manne war's recht; er lieh die Gattin ges
währen.
Die Uhr ihlug abermals: „Neun!“ ..
An der Hausthüre wurde Säbelgeklirr ver—
nehmbar, Tritte näherten fih dem Zimmer; es
kam Jemand mit beipornten Stiefeln.
Der Hauswirth redete den Ankömmling an:
— Guten Abend, Herr Wachtmeiſter. Wir
haben eine Leiche.
— Ich jehe es, — Iprad) eine unbekannte
Stimme — mird vermuthlih die Gattin jenes
Herrn jein, welder von hier entwid).
— Ich weiß es nidt... habe weder den
Herrn, noch die Frau gekannt.
— Sie thun gut daran, wenn Sie jo
ſprechen, — ſagte der Wachtmeifter — reden wir
nicht mehr davon. !
— So iſt's. Trinken Sie lieber ein Glas
ein.
— Danke. Auf Ihr Wohlfein.
Man hörte das Knarren des Stuhles, als
fih der Wachtmeiſter ſetzte.
— Ich wußte es wirklich nicht, daß mein
Gaft ein gefährliher Menid) jei, — begann der
Hausmirth.
— Ein ſehr gefährliher, — betheuerte der
Gensd'arm. — Es war gut für ihn, daß er bei
Zeiten entiprungen.
— Wäre es Ihlimm für ihn geweſen, wenn
man ihn erwiſcht hätte ?
— Man fahndet ſehr nah ihm.
— Wird man ihn auch weiter verfolgen ?
— Bis man Seiner habhaft wird. Er ift
ein Flüchtling erſter Klaſſe.
— Was heißt das: Flüchtling erſter Klaſſe?
— Na, das iſt ein Mann, für deſſen Kopi
ich nicht einen Heller gebe.
| — Tinten Sie nod ein Gläschen, Herr
Machtmeifter.
— Danfe! So ein Gläshen ihadet nicht,
wen man bei jolhem Wetter den ganzen Tag
hindurch im Walde herumftreiit. |
— Sind Sie ſchon auf ſeine Spur ge:
ftoßen ?
— O ja, die Schweinhirten im Walde ha—
ben erzählt, daß fie ihn - feiner Entweichung
19
— 14 —
mehrmals gejchen haben, folglih muß er fih in
der Nähe aufhalten.
— Würden Sie ihn, wenn er fi) vor Ihnen
flüchtete, erſchießen?
— Dies thäte ih ungern ; doch wäre dies
für ihn das kleinere Uebel.
— Das kleinere Uebel?
— Ich vermuthe, daß er fih in der Höhle
de3 jogenannten hohlen Steine aufhält; übri—
gens ſoll das unter uns bleiben, erzählen Sie c3
Niemandem.
— Gott bewahre!... Nehmen Sie nod)
ein Glas, mein Herr Wachtmeiſter.
— Dante. Ich möchte mic) lieber zur
Ruhe begeben.
— Wo werden Eie aber diefe Nacht ſchla—
fen? Wir mußten Ihr Zimmer der Leiche hier
einräumen.
— Thut nichts. Ich werde mih auf den
Boden begeben, dort Ihläft es fih fo gut
im Heu. Ä
— Gute Naht denn, Herr Wachtmeiſter.
— Ruhſame, gute Naht!
- — Ich werde fie nicht haben, muß bei der
Leiche wachen.
— Eine froftige Unterhaltung das. Ach
jage doc) lieber dem Manne nad. Morgen be:
ginnt die Hetze auf's Neue. Gott behüte....
Die Todte hörte abermals das Säbel- und
— 15 —
Sporengeklirr, das Knarren der Thüre, als der
Wachtmeiſter Hinausging ; das Aechzen der höl—
zernen Treppe, als derjelbe auf den Boden ftieg,
und die Tritte oben auf der Diele des Bodens,
das Geräufh, welches der Held verurſachte, als
er ji) in das Heu warf, um zu ſchlafen. . Er
wählte fein Nachtlager gerade über dem Haupte
ver Todten.
Und die Todte hörte dies Alles ganz gut,
and mußte mit dieſem furhtbaren Bewußtſein
da drinnen in der ftarren, kalten Hülle kämpfen.
Die ewige Verdammniß wird in heiligen
Büchern als der Zujtand des ewigen Heulens
und Zähneklapperns geihildert ; doch was ijt Dies
gegen die Verzweiflung, welche in einem ftum-
men, unbeweglihen Körper wühlt? In dem
Ihmerzerzeugten Wahnfinne, welcher zum Gelbit -
morde treibt, gibt es noch etwas Menſchliches;
der irre Gedanke aber, hinter geihloffenen Lippen
eingepferht mit all! feinen Schredensbildern in
einem leblojen Körper, ift etwas Dämontides! .
Kein einziges Glied rühren zu können, über
feinen einzigen Laut zu gebieten. .. und dulden
da drinnen das Toben des gegen den Himmel
ih auflehnenden Geiftes, welcher feine Eishülle
zu zeriprengen droht!...
— Man verfolgt ihn, und ih vermag
ihm nicht beizuftehen... Man verfolgt ihn,
and ih vermag nicht zu rufen: haltet ein, ſchont
— 166 —
ihn, hier ift Sein Schugbrief!... Mit einen
Worte fünnte ich fein Leben retten, und bin nicht
im Stande, dieſes Wort zu ſprechen. .. Ih bin
ein Leihnam. Und man wird mic lebendig
in das Grab verſenken. . . Nie. werde id ihn
mehr wiederſehen. . . Nie wird er eyfahren, was
ih für ihn gethan!.. Er mird Sterben...
ebenio verzweifelnd und gottverleugnend wie ich !
D Mutter, Mutter!.. Wie furdtbar ift Dein
Fluch!.. Wie weit reiht Deine falte Haw!..
Weshalb bin ih Dir nit auf den Grund des
Waſſers gefolgt... Jener Tod wäre nit jo
ſchrecklich geweſen, als diefer... Bier liege ich
todt; eine Leiche, und lebe, hör. und zittere
dennoch. . . . D mein Gott, mein Gott! ... Willft
Du mir denn nicht mehr beiftehen?.. Immer
hielt mic) der Glaube an Dih aufredt — und
Du verläßt mich jekt in meiner Sterbeftunde ?
Du läffeft es zu, daß ich mit dem Gedanfen in
eine andere. Welt hinübergehe, daß es weder hier
nod dort einen Gott gibt?..... |
Ra Ein dumpfer Fall veriheuhte die
lautloje Stille der Nacht, als wäre Jemand
durch Das Penfter in das Zimmer: geiprungen.
Da ertönte der erihrodene Ruf des Todten-
waͤchters:
— Heiligſte Dreifaltigkeit! .
Jemand ſtürzte zur Todtenbahre hin..
Judith hörte, fühlte jedod die Küffe
— 17 —
nicht, womit ihr Geſicht, ihre Hände bededt wurs
den; fie hörte das Schluchzen, durch welches {hr
Name ertönte:
— Judith, meine Judith...
Die Leihe erkannte die Stimme des Hatten.
Die Stimme durhzudte gleid) einem galvaniihen
Strom all’ ihre Nerven.
Die Todten fühlen auch Freude.
_ Um Gottes Willen ; wie fonnteit Du zu—
rüdtehren ? — flüfterte der Hauswirth. — Die
Gensd'armen find hier im Haute.
— Ich hatte von den Hirten im Walde erfahs
ven, daß meine Gattin angekommen und hier ges
ftorben jei, — ſagte Béla.
Die Leiche hörte dieſe Worte ganz deutlich,
fie Hangen ihr aus folder Nähe in's Ohr, al3
hätte Bela feinen Kopf an ihr Kopfkiſſen gelegt.
_ Die Arme. Der Himmel hat e3 jo vers
fügt.
— Der Himmel hat es nicht io verfügt ! —
fiel der Gatte in wilden Tone ein; — das ill
nit wahr !
— Ruhig! Um des Himmels willen! Du ſtuͤr⸗
zeft Did) in's Verderben. Der Gensd'arm ſchlaͤft
da oben, gerade über unſeren Höpfen; wenn Du
ihn weckeſt, biſt Du verloren. ... Küſſe Deine
Gattin und fliehe!
Der Gatte küßte ſtatt jeder Antwort hun⸗
dertmal Hände und Wangen der Todten, und blieb.
— 168 —
— Herr! .. Freund! .. fliehe, rette Dich !
— beihwor ihn der Wirth. — Der Wald iſt
umzingelt; Deine Höhle ift auch entdedt, gebe
dahin nicht mehr zurück; wende Dih gegen den
Norden, dort kannſt Du noch durchſchlüpfen ..
kümmere Dich um die Todte nicht mehr... Die
it ſchon glücklich .. . fie fühlt nichts mehr.
— Laſſe mich in Ruhe. Kümmere Dich nicht
um mid. Auch id bin todt, jo oder jo....
Mas würde mein Leben von nun an fein?...
Dod es ift niht wahr... Sie kann nicht todt
jein. Sehen denn fo die Todten aus? Laächelt
jo das Gefiht einer Leiche? ES it niht wahr,
es kann nicht wahr fein.
— Gott gäbe es, daß es nicht wahr wäre.
— Haſt Du einen Arzt gerufen? Hat er es
erlaubt, daß ſie begraben werde.
— Er war hier, und hat es erlaubt.
— Ein Narr war er, wenn er's gethan. Er
verſteht ſich auf die Sache nicht. Doch was ſcheren
ſich die Leute um das, was nicht ihnen gehört !
Sie fühlen ja den Schmerz nicht.
— Aber um Gotteswillen, was willft Du
jest bier ?
— Was ih will?.. Sch will e8 verhindern,
daß fie begraben werde... Es möge mit mir ge=
ihehen, was da wolle. . . Mich kümmert's nicht.
Und wenn man mid in Stüde zerreißt, werde
ih, jo lange ein einziger Nerv in mir noch Lebt,
— 19 —
es doch nimmer zulaffen, dag man jie beerdige.
Sie lebt... . Siehe, wie ihr Antlig lächelt! ...
Nein, nein! Wer fie begraben will, der muß
mich mit ihr begraben
Judith fühlte in fih das Wiedererwahen
der Slüdijeligfeit.
Der Gatte, der treue Geliebte fam, jeder
Todesgefahr trogend, um die Gattin von dem
Shrediiditen aller Schidjale zu retten; — nur
Diejenigen, welde jo lieben, vermögen zu jagen:
„IH glaube an den Tod niht! er ift nur ein
Schlaf, auf weldem das Erwaden folgt...
Dieje Talte Leihe gehört noch mir, und nicht dem
Grabe, ich gebe fie nicht her. Möget Ihr mi
immerhin einen Narren, einen Wahnfinnigen jchel-
ten; aber ih erlaube es nicht, daß mar den
Sargdedel über fie ſchließe, und ic tödte Den—
jenigen, welder fie anrührt.
Die Wärme dieſer Worte drang durd die
eisftarre Hülle der Leiche zur fühlenden Seele.
— Warte! — rief Bela — und Du follit ſe—
ben, daß ich nicht wahnfinnig bin, Judith litt ſehr oft
an Herzkrämpfen. Da gab es fein anderes Mittel,
als das ih ihr meinen warmen Athen auf den
Bufen baute, und war es von diefer Wärme,
oder bon der Glut meiner Liebe, das Uebel
verihwand allſogleich. . . . Auch jegt muß ich jie
in's Leben zurückrufen.
Wie ſüß klangen dieſe Worte für die ver—
= 0
borgene Seele. Judith begann an ihrem Körper
ein mwohlthuendes Erſchlaffen zu fühlen, welches
das Bewußtſein der Seele zu betäuben begann;
je mehr die Kraft des Denkens ſchwand, deſto
mehr eritarkte das Gefühl in ihrem Körper. Nur
Einen Gedanken hatte fie nod, oder vielmehr
Einen Inftinkt, Ein Gefühl, Einen Glauben: „Sott
it überall.“
Dann verlor jie völlig das Bewußtſein.
Der Satte lag mie ein Wahnfinniger an
dem marmornen Buſen jeiner Gattin, und ſuchte
mit feinem heiken Athen die Kälte desjelben zu
bannen; der andere Mann bite ihn mit weh:
müthig theilnehmenden Bliden an, al3 wollte
er Tagen: Welch' vergebliher Kampf gegen den
Tod! ... |
— Siehe, ſiehe! ... bemerkt Du es nicht,
wie jih ihre Wangen röthen ?
Der Angeredete jhüttelte. traurig den Kopf,
er konnte nihts wahrnehmen.
— Hole einen Spiegel und halte ihn an
ihre Lippen, ob fein Hauch daran zu jehen.
Ter Wirth gehordte, die Flähe des
Spiegels trübte fih nidt.
Der Gatte fuhr mit feinem verzweifelten
Verſuche fort.
— Kaffe mid. Unterbrehe mid nidt. . .
Wenn ich's früher weiter fortgeicht hätte, wäre
we. LEE ei
es mir gelungen... SH Hatte ja Schon den
Nulsihlag gehört... .
Und Bela jegte das wahnfinnige Unter:
nehmen: fein eigenes Leben in die Bruft teiner
Geliebten einzuhauchen, fort.
— Siehe her! ... Sichft Du es?
— Was?
— Was? Die Schweikperlen hier an ihrer
Stirne ?
Der Gefragte antwortete, daß er nichts
iehe. Klimmerte es ihm doch ſchon vor den
Augen. Diele betäubende Szene, wo eine auf=
geregte Seele, weil fie fih in ein bitteres Schid-
jal niht fügen will, die Auferftehung eines
Todten dem Geſchicke abtrogen will, erfüllte
den ceinfahen Menihen mit Grauen... Er
zitterte.
Und doch waren die Falten Schweißperlen
auf der marmornen Stirne wirftid fihtbar.
— Siehſt Du noch immer Niht3? — Trug
ihn abermals Bela, inden feine Augen in wilden
Feuer erglängten.
— Nein. Ich Sehe noch immer Nichte.
In diefem Momente öffnete die Todte ihre
großen Schwarzen Augen, und heftete den ftarren
Blick auf das Angefiht des Zweiflers.
Diejer fiel, vor Schred keuchend, in die
Kniee.... „Alle guten Geifter loben Gott den
Herrn !” |
— 12 —
Die Leihe ftarrte mit den offenen Augen
vor ſich Hin,
Es war dies aber niht der Blick des felbit-
bewußten Lebens, fondern das ftarre Schauen des
Todes, womit er die Lebenden fchredt.
— Siehſt Du's, ſiehſt Du's? Sie lebt! —
ſtammelte außer ji der Gatte.
-Der andere Mann bededte fein Gefiht und
zitterte am ganzen Xeibe.
Sie lebt niht, — dachte er; — fie tft ein
Gejpenft. Und in Wirklichkeit war die Szene
darnach angethan, al3 hätte eine bi3 zum Wahn:
finn gefteigerte Liebe die Todte in ein Gejpenft
umgezaubert,
Dies weiße, alabafterne Antlig, mit tiefen
zwei ſchwarzen, ftarren Augen !
. Helga empfand kein Grauen. Er beugte ji
über die geipenftiihe Geftalt und küßte ihre
Lippen !
Nah dem Kuſſe drückte die Leihe die lan:
gen, ſeidenen Augenwimpern zu, und ihr Ge—
fiht begann fid) mit einem leichten Roth zu über-
zichen.
Dann faltete fie Die Hände, welde mit
einem dünnen Geidenband zuſammen gebunden
waren, wie zum Gebet.
Bela wies unter frampfhaften Laden auf
fie; über fein von Verklärung ftrahlendes Geſicht
liefen die hellen Thränen ; bon feinen Schläfen
— 13 —
träufelte der Schweiß herab... Das mar ein
ſurchtbarer Kampf... Ein Kampf, wie ihn Ja—
fob nit mit Gott in der Wüſte beſtanden! ..
„Bott“ ließ es zu, daß der „Menih“ Sie-
ger bleibe. ..
Da ergriff der andere Man mit Andacht
die Hand Bela’3, und führte fie zu feinen
Lippen. 3
— Du haſt ein Wunder vollbracht, die
wahre Liebe erweckt ſelbſt die Todten ...! |
— Rufe Deine, Frau — Iprad Bela; —
tragt fie aus diefem falten Zimmer weg, und pflegt
fie nad) Kräften.
— Mir werden fie ſchützen, mie ein Ge—
ſchenk Gottes! ...
— Sende nach dem Arzt!...
— Ich werde ſelbſt fahren. Meine Pferde
ſind ausgeruht. Bis zum Morgengrauen bin ich
zurüd... Du aber eile und rette Dich. Für
Did ift es nit gut hier zu meilen.
— Ich werde gehen. Doch mußt Du mir
jrüher bei Gott ſchwören, daß Du über meine
Frau wachen wirft, und fie nie zu begraben er=
faubft, wenn fie wie immer tobt erfcheint, bis ich
nicht zurüdgefehrt bin. Schwöre mir dies!...
— Ich Ihmöre es Dir. Der Gedanfe an
diefe furchtbare Naht wird mid) nie meinen
Schwur vergeflen laſſen ... doch eile, eile!...
— Noch einen Kuß, Judith!
: — 114 —
Und diefer Kuß wollte fein Ende nehmen,
er dauerte eine Ewigkeit.
— Eile, eile!... der Gensd'arm da über
uns iſt erwacht; unjer Gelpräh hat Verdacht er:
weckt; hoͤrſt Du nicht feine Inarrenden Tritte,
wie er die Stufen — . O, er ſteht
ſchon vor der Thür!... Eile, eile!.
Als der Gensd'arm bor Der ber ihloffenen.
Thür ftehen blieb und an derjelben zu Hopfen
und zu rütteln begann, erſt dann flüchtete ih
Bela durch's Fenfter.
Der Wirth öffnete die Thüre, der Gensd’arın
frug verdächtig:
— Mer war hier, wer bat bier geipro=
den, was iſt geichehen ?
— Gehen Sie mal. Die Todte ift er—
wacht . . Helfen Sie mir den Sarg in's warme
immer Gimüber tragen. .
Der rauhe Soldat ſchien ergriffen; er ver—
gaß, weshalb er herabgeſtiegen, und half bereit—
willig den Sarg in's warme Zimmer hinüber
tragen ...
Nach einer halben Stunde war der Wirth
bereits auf dem Wege, um den Arzt zu holen;
er hatte jedoch kaum die Hälfte ſeines Weges
zurückgelegt, als er dem Arzt begegnete. Er hielt
jeinen Wagen an, um ihm den Sal zu erzählen.
Der Arzt wußte bereits Alles. Ein junger Mann
babe ihn vor Tagesanbrud) gewedt und gebeten,
—- 15 —
zu eilen. Der Arzt beichrieb, wie der Mann aus-
gejehen.
Das konnte nur Bela fein. Wie er aber
zu Fuß über die fteilen Gebirge, einige Stunden
früher als der Wirth, welcher mit jeinen guten
Pferden jagte, dort anfam, das mögen Diejenigen
enträthſeln, die einft jtark geliebt haben.
Als Judith vom ftarren Todeskampfe zum
Leben erwachte, verfiel fie in ein Schweres Ner:
venfieber. Wochenlang litt fie und war ſtets be—
wußtlos ; als die Kriſis vorüber, als fie wieder
ihr Bewußtſein, ihre Lebenskraft zurück erlangt
hatte, hörte man von Bela nichts mehr im Lande,
Seraphine.
Hundertachtzig Tage ſind nach dem Tode
Zeleji's verfloſſen, als Seraphine ihre Hand
Fertöy reichte.
Sie that übrigens Alles, was von ihr zu
erwarten ſtand. |
ALS fie von der Schäßburger Schlacht hörte,
und den Tod Robert's in hundertfacher Varia
tion erfuhr, da war fie verzweifelt ; fie wollte ſich
tödten, fie wollte Gift nehmen; vielleiht nahm
fie 8 auch ... wer weiß aber, ob es auch Gift
war... Sie wollte fih auch alliogleidh auf den
Meg begeben, um ihn aufzufuden... aber die
Brüde war noch nicht hergeftellt.
Wochenlang litt fie, e3 war ein Sammer
fie zu jehen. Am meiften ſchmerzte es fie, daß
er, wenn er nody am Leben, feine Nahriht von
fih gab? Und, wenn er geftorben, weshalb er
nicht in ihren Träumen erſchien, um es fie
wiffen zu laſſen!? (Diefen Wahn mußte fie
ipäter arg bereuen.)
= a
Mit der neuen Wendung der Geſchichte ift
manches Alte wieder neu geworden. Das alte
Haus, welches in Auinen lag, wurde neu aufge-
baut, und in den Salons fonnte man allıkälig
die alten Säfte wieder ericheinen ſehen; freilich)
waren es niht die der jingftvergangenen
Zeiten, ſondern noch ältere. Zu ihnen zählte
auch Fertöy.
Fertöy war zu jener Zeit ein großer Herr.
Was er eigentlih geweſen, kann ich Hier nicht
beftimmen, da die Geihichte den Namen feiner Herr:
lichleit nicht verewigt hat.
Fertöy war ein fehr gerne gefehener Gaft
im Haufe, gerade wie früher. Man hatte es
ihm bereit3 vergefien, daß er, als fih die Fa—
milie in den traurigften Tagen aus der Stadt
flüchten wollte, ihr jagen ließ: fie möge ſich nur
dort „unterhalten“ , mo fie es bisher gethan.
Auch Mama Holdvarn hat es vergeffen,
fi verſchiedene Sonnenſchirmenſtiele aus ver:
Ihiedener großer Männer Knochen verfertigt zu
wünſchen, im Gegentheil wurde fie zu einer jehr
vernünftigen Frau, nur hatte fie noch den ein:
zigen Fehler, daB lieber fie Herrn Fertöy ges
heiratet hätte, als daß fie ihm ihre Tochter gab,
. Diefer legte Umftand gab zu einer gemilien
Spannung zwiihen Mutter und Tochter Anlaß,
welche aber nur Diejenigen merken fonnten, Die
in die Gedichte eingeweiht waren.
Andere Zeiten anbere DMenfhen. II Band. 12
I: =
So fiel es Jedem auf, weshalb Mama
Holdväarn vor Seraphinen ſtets von Robert
ſpreche? weshalb fie dDiefen unter Seufzern lobe ?
weshalb fie jeden Morgen ſpricht: ich habe von
Robert geträumt ; Du wirft jehen, wie er auf
einmal vor ung ftehen wird... SD, der arme
Robert! Du wirft jehen, daß man ihn wieder
in feine alte Charge einfegt, war cr doch ein
jo tüchtiger Dffizier. Tröſte Did Seraphine,
tröfte Did. |
Mer aber den Schlüffel zu den Familien—
geheimniffen hatte, dem mußte es einleuchten, daß
alles Dies Gerede nur deshalb war, damit Sera—
phine fih nicht jo ſchnell Witwe glaube.
Seraphine pflegte nie mit ihrer Mutter zu
ſtreiten.
An einem ſchonen Tage kam nun Fertöy
mit der niederichmetternden Nachricht, daß er nun
Gewiſſes über Zeleji's Tod wiſſe. Vermittelſt
ſeiner vielfachen Verbindungen ſei es ihm ge—
lungen, jene drei Männer ausfindig zu machen,
welche Robert auf dem Kampfplatze aufgefunden
und begraben hatten. Er wies ihre authentiſchen
Ausſagen vor (es waren drei ehrliche ſächſiſche
Bürger), aus den Ausſagen ging hervor, daß ſie
ſeine Taſchen genau unterſucht und da in der
Brieftafhe feinen Namen geichrieben fanden, Den —
Namen hatten fie fih gemerkt, die Brieftaiche
aber als Lohn ihrer Mühe behalten; aud die
— 19 —
Perionsbeihreibung traf zu, und erboten fi)
die drei Zeugen, wann immer einen Eid zu
leiften, was übrigens ganz überflüflig je. So
ftehe e3 außer jedem Zweifel, daß Robert ge:
ftorben ſei.
— Daß er todt, unterliegt keinem
Zweifel! Von ſeinem Begräbniß wiſſen aber nur
die Wolken, welche den Rauch des Opfers nicht
aufgeſogen; und dieſe werden es Niemandem ver—
rathen.
Der einzige Mann, welcher ihn verbluten,
ſterben, in Flammen und Rauch aufgehen ſah,
welcher auf ſeine Aſche weiſen könnte, der Dich—
ter und Soldat Pußtafi, iſt ſeit jener ominöſen
Nacht nicht mehr geſehen worden.
Wo er hingekommen? Ob auch ihn der
Sturm des Krieges weggefegt? Ob man ihn
während der Flucht in den Wäldern getödtet?..
Ob man ihn vielleicht in eines jener Gräber ge=
worfen, deren Bewohner ungenannt blieben ? Db
ihn die Ruſſen gefangen und nad) Sibirien ge:
Ihleppt?... Db er auf kürzeſtem Mege in den
Kerker gerieth ? Wer konnte das wiſſen, wer füm-
merte fi darım ? Er war verihmunden. Wir wer—
den aud) vielleiht jo lange nichts über ihn er:
fahren, bis nit die Zeit fommt, wo wir „gute
Naht wünſchen“ und die ganze unglaublide Ge—
ſchichte Schließen. |
. Trotzdem mußte man der Zrauerbotihaft
12*
— 180 —
Glauben ſchenken, Niemand hatte Urſache, daran
zu zweifeln.
Hierauf legte die ganze Familie tiefe Trauer
an. Und mie man über den Verluft erſchüttert
war, ift aus dem einzigen alle zu beurtheilen,
daß Mama Holdvary ihrem Schneider deßhalb
“kündigte, weil er ungeihidt genug geweien, die
Trauerkleider mit ſchwarzem Atlasaufputz zu ber-
fehen, obgleid) er willen fonnte, daß Atlas nur
eine Dreivierteltrauer bedeute, während man zur
tiefen Trauer Sammtbänder zu nehmen pflegt.
Seraphinen ftand der Traueranzug ausge:
zeichnet. Solch eine proviſoriſche Traurigkeit er:
böht den Reiz der vollen, rothen Wangen.
Doch wollen wir nicht ungerecht fein; die
Ihöne Witwe litt wirklich! Sie litt ſehr .. Ein-
Sam, von Niemanden beobadtet, meinte fie viel,
ſehr viel, Sie hatte fogar Augenblide, wo fie
ſehnlichſt zu ſterben wünſchte, um aus diefer Melt
zu kommen, wo fie Niemanden mehr lichte.
Nur find die Naturen der Krankheiten
berichieden. Derfelbe Schmerz, welcher bei Einem
zum chroniſchen Uebel wird, bridt bei einem An-
dern als zehrendes Fieber hervor, nimmt einen
(ebensgefährlihen Verlauf, erzeugt eine entichei-
dende Kriſe . . nad) welder man abermals ge=
fund wird.
Ob man dann ganz genejen kann ?
Hierauf mögen die Aerzte antworten.
— 1831 —
Erinnert man fid) doch eines ausgeftopiten
Eichhörnchens, mit dem man zu jpielen pfleste.
Es iſt auch möglid, daß Seraphine tjren
Gatten Robert wirklich geliebt hatte, Bei Frauen
gibt es nichts Unmöglidhes.
TTrotzdem geſchah es aber, daß hunde. tat:
zig Tage nah Robert'S Tode Seraphine jih mit
Fertöy verheiratet hatte.
Es gab Menſchen, die fie deßhalb ausrich—
teten: es ſei noch zu Früh geweſen, jie hätte
doch genauer dem Tode ihres Gatten n .Hipüren
und abwarten jolfen, bis der legte E hal der
Sterbeglode verklungen, ehe fie die Hochzeits-
muſik anftimmen ließ.
Es gab auh genug dreifte Me ichen, die
ſich unterfingen, su befriteln, wie mai nad Ro—
bert einem Manne wie Fertöy, der ſeinen Geſin—
nungen nad) gerade das Entgegengel: kte des Er-
fteren gemwelen, Die Hand bieten kon te! ... Dies
ſprach man im Geheimen, nie öffe tlich. Wenn
Fertöy an der Geite jeiner jungen Gattin in
glänzender Equipage zur Stadt fihr, hatte Je—
dermann ein freundliches Lächeln, einen böflichen
Gruß für fie. In Meinen Städien pflegt man
Leute, die in Equipagen fahren, hochzuſchätzen.
Mebrigens war es gut, fi vor Fertöy in Acht
zu nehmen. |
Die alten, freundihaftlihen Kreiſe fanden
fih wieder zufarnmen. Die kleine Blum wohnte
kr DR =
wieder inder Feſtung und war wieder Verpflegsbe:
amtensfrau. Seraphine befuchte fie oft in Begleitung
ihres Gatten oder der Mutter, oder auch allein.
In der Feftung gibt es jehr ſchöne Spa—
jtergänge. Die bombenfeften Kaſematten find
weich, mit grünem Raſen bewachſen; an der einen
Ede derſelben fteht ein Heiner, hinefiiher Pavil—
Ion, in diefem Papillon weilten die beiden Freun—
dinnen jo gern und plauderten und lachten über
die verſchiedenen Thorheiten des Tages.
Daran dachte vielleiht Keine von ihnen,
dag unter dem ſchoͤnen, grünen Rafen, in der
Tiefe einer Klafter, ſich maſſive Gewölbe befin-
den, in deren ungeheuer dien Mauern Schieß—
löher angebracht find, die zugleih als Fenſter
dienen ; daß durch diefe Fenfter verihiedene Men-
Then ſehnſüchtig nah dem fernen Himmels:
lichte bliden, daß es diefe Menſchen ſehr gut
hören, wenn da oben ein heiteres Lachen erihallt.
Mer ihon jolde Schießlöcher geliehen, wird
fi) erinnern, daß diefe eine mehr breite als hohe
rauhfangähnlihe Deffnung bilden, und in. Be:
lagerungzeiten mit ſchweren Poſitionsgeſchützen
beipieft werden. In Tonftigen Zeiten pflegen Diele
Kaſematten als Depots für Proviant oder für
Staat3- und Feftungsarreftanten zu dienen, wo
man dann die doppelten Eilengitter der Schieß—
löher noh mit einem dichten Drabtgefleht zu
verichen pflegt. . ...
— 135 —
Wie erwähnt, promenirte Seraphine mit
ihrer Freundin Blum an Ihönen Krühlingstagen
ſehr oft über und neben diefen Kaſematten. Die
wachhabenden Soldaten ſprachen diefes Pärchen
nit an, da fie wußten, daß fie zum Haufe gehörten.
An einem ſchönen, fonnigen Nahmittag
waren die Damen abermals jehr guter Laune.
Seraphine trug ein kirſchrothes Kleid mit
einem Deflein von PBalmenblättern. Die Blum
machte ſich über diejen Deſſein luſtig.
— Die Palme ift halt überall ein Symbol
de3 Sieges. Wolozoff gehört demnach aud) nicht
mehr zu den Unbefiegbaren!...
Molozoff ift ein neuer Name für uniere
Leſer. Wir werden mit dem auch befannt werden.
Seraphine lachte. |
— Wenn Wolozoff das Feuer Männern
gegenüber mit folher Tapferlkeit aushält, wie
dies den Damen gegenüber geſchieht, dann weiß
ich nicht, wie er zum Mladimir-Orden gefommen ?
— Der Fürft ſcheint fih gänzlih in Un—
garn vergeſſen zu haben, während feine Leute ſchon
längft über Berg und Thal nach Rußland zurüd find.
— Er war vielleiht gar nicht Soldat ?
— Dja, und nod dazu eintapferer,; er hat
jelbft eine Wunde erhalten.
— Während des Rafirens!...
— Ei, ei, Seraphine, — drohte die Blum
— 154 —
— es ift fein gutes Zeichen, wenn eine junge
Dame einen jungen Mann verleun:det.
— Weshalb ? |
— Weil dies darauf ſchließen läßt, daß fie
jich gegen ihn vertheidigt.
— Ad, ja!... das ift Fertöy's Sache, fein
Meib gegen Männer zu vertheidigen.
— Der wird Did, liebe Freundin, nicht
vertheidigen. Ih Sage nit gegen gewöhnliche
Männer etwa, aber wenn ein Kürft im Spiele
iſt, da hält cr es mit den Türken und meint: Bei
Gott allein gibt's Schutz.
— Verleumde meinen Gatten nidt; id er—
ſuche Did darum, — jagte Seraphine ınit jenem
ihalkhaften Lächeln, welches die Ironie nur des-
halb zu verbergen fuchte, um fie klarer in's Licht
zu ftellen. — Du weißt ja, welch zärtlidies Ver:
hältniß zwiſchen uns herrſcht. |
— D ja, ih weiß es. Ihr pflegt ju fogar
zuweilen miteinander zu diniren.
— Glaube mir: er ift ein fehr guter Mann.
— Auch Wolozoff jagt es.
— Wie fünnte es Wolozoff Tagen, hat er
ihn doch nie geiehen.
— Eben deshalb jagt er es.
— Das Steht niht. Er ſucht ſtets meinen
Mann, wenn er fommt.
— Und bat das beiondere Unglüd, ihn nie
zu treffen. |
— 11) —
— Deine böfe Zunge joll diesmal doch
nicht Recht haben; jo erfahre denn, daß Wolozoff
in zwei Tagen abreift.
— Ich weiß es, doch nur bis nad
Warſchau.
— Was ſoll das „nur“ bedeuten?
— Das bedeutet, daß er dort leicht auf—
zufinden iſt.
— Durch wen? Du meinſt doch nicht
durch mich?
— Nein. Ich meine Deinen Gatten.
Seraphine glaubte bereits, die Grenzen des
Scherzes erreicht zu haben, und nn in helles
Lachen aus,
In diefem Momente gingen fie an einem
der Schießlöcher vorüber.
— Siehe "mal, wie liftig dieſe Gefangenen
find, — Jagte die Blum, dem Geſpräche eine andere
Wendung gebend. — Da tet Ihon wieder Einer
den Finger durch's Drahtgitter heraus. Ä
Seraphine warf einen flüchtigen Blid auf
das bezeichnete Gitter und ſah, wie fi dort ein
herausgeſteckter Finger bewegte. R
— Wenmes die Wache bemerfte; — a
die Blum. sit oblaiist
— Was ai er ienn? tr; frug
Seraphine neugierig. un ua ma mumane sad
— Es ift. ihre; Semohnkeit,, Habe es oft
bemerkt. Mein Mann: jagt ‚fie: thaͤten dies des⸗
— 1856 —
halb, um die Leute aufmerkſam zu maden, daß
dort Stuatsgefangene find.
— Und was nüßt ihnen das ?
— Nun, es kann barmberzige Seelen ge=
ber, die ihnen Papier und Blei, oder einige Gul—
denzettel durch's Gitter hinein ſchieben, wenn es
die Wache nit bemerft.
— Haft Du es vielleicht auch ſchon gethan ?
— Nein. Du weißt, dab Das Geld bei mir
nicht gerade im MUeberfluffe vorhanden iſt; mit
den Schreibrequifiten fünnten fie etwas Kompro—
mittirendes anftellen.
— Ich mwühte nit, mas? Sch gehe hin.
— Thue e3 nicht, denn wenn es der Fer
ftungslommandant erfährt, verbietet er und das
Spazierengehen bier.
— Ich will ihın ja nur einige Gulden ge=
ben; wie fünnte er dies erfahren ? |
— Thue es nicht, es fünnte uns ſchaden.
— Wie, wenn es aber ein Bekannter iſt,
einer bom „vorigen“ Frühjahr?!
Die zwei jungen Frauen ſahen einander
bei dieſem Worte an, und die Blum rieth Sera—
phinen nicht mehr ab. Ein kleines Fünfgulden—
Zettelchen wird dem Armen ſehr gut befommen.
Vielleicht iſt er Einer von Jenen, der Einer oder
der Anderen der Damen einſt duftende Bouquets
im Werthe von zwanzig Gulden überreichte, und
der jetzt von ſiebzehn Kreuzern leben muß.
— 187 —
Die Damen warteten, bis ihnen die Schild—
wache den Rücken kehrte
Dann gingen fie zwei= bis dreimal hinter
ihr einher und beobachteten ſtets, wie fich der
Finger deutend bewegte.
Einmal blieb Seraphine zurüd, während
die Blum ihren Spaziergang hinter der Schild:
wache fortjekte, damit dieſer das Rauſchen der
Kleider höre, mährenddem fih Seraphine eiligft
dem Fenſter näherte.
Sie hielt die Banknote zufammengewidelt
zwiichen den Fingern, um diefelbe ſchnell durch's
Gitter ſchieben zu können.
Der Halb berausgeftredte Finger fam bei
Seraphinens Annäherung bis zum dritten Gliede
im Vorſchein; auf diefem dritten Gliede konnte
Seraphine jenen Dpalring mit dem natürlichen
Kreuze erbliden, den fie bei ihrer Verlobung Ro:
bert gegeben hatte.
Seraphine ftieß einen furdtbaren Schrei
aus und ftürzte ohnmächtig zufammen.
(Ende des zweiten Bandes.)
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Andere Beiten
andere Menichen.
Roman in vier Bänden.
Von
Mori Zokai.
Dritter Band,
De,
Druderei des „Athenäum'.
1869.
Berlin, Verlag von Otto Aanke.
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Dritter Band.
Wellen war der Ring?
Wenn Seraphine, als fie zu Hauſe, in wei:
hen Bette liegend, von Aerzten umgeben, zum
Bewußtſein erwachte, genug Seelenkraft beſeſſen
hätte, einen furchtbaren Gedanken, welcher ihr
ganzes Weſen durchdrang, nicht zu verheimliden ;
wenn fie davor nicht zurüdgeihredt wäre, mit
faltem Blute zu unterfuhen, ob das, mas fie ge-
jehen und erfahren, Wahrheit oder Irrthum jet;
wenn fie nit jene peinlihe Ahnung- verihwiegen
hätte, welde ihr die Ruhe ihrer Nächte raubte
und ihre Nerven fieberhaft erzittern machte, fo
wäre fie den unläglihen Schmerzen entgangen,
welche fie fpäter zu erdulden hatte.
Wenn Seraphine nicht zurüdigeichredtt wäre,
einem Phantom in die Augen zu jehen, weldes
fih gleih einem mahnfinnigen Rieſen in ihrer
Phantaſie aufrichtete, jo wäre fie von vielen böje
——
— —
—
Träumen verſchont geblieben; denn es gibt ver—
folgende Gedanken, die man während des Tages
bannen fann, die aber, wenn für andere Glüd-
liche die Nachtruhe eintritt, aus ihrem Verſteck
hervorkriechen und ihre ſyſtemloſe Peinigung be=
ginnen. Die Seele vermag fid vor ihnen nit
in das glücdlihe Reich der Träume zu retten,
denn fie folgen auch dorthin.
Wenn Seraphine nur mit einem Worte der
Urſache, weßhalb fie den Schredensihrei ausge:
ftoßen und ohnmädtig zuſammengeſunken mar,
gegen Jemanden Erwähnung gethan hätte; oder
wenn fie, al3 fie an das verhaͤngnißvolle Fenſter
trat, die Frage geftelt hätte: wer es eigentlich
fei, an deflen Finger fie Robert's Ring erblidte
— ſo hätte fie ungefähr folgende Geſchichte er—
fahren :
Pußtafi ftieg an dem Tage, wo er aus dem
Sumpfe entlam und ſich über das Gebirge retten
wollte, auf eine Abtheilung Grenzer, weldhe ihn
gefangen nahm und nad Arad eskortirte.
Er kannte die Feſtung gut; er war beider
eriten Uebergabe derjelben gemweien.
Das Lokale, in welches man ihn geiperrt,
war bon den Ungarn als Speckkammer benütt
worden; jpäter machte man eine Kanzlei daraus;
die zerknitterten Papierftüde und Streifen lagen
jetzt noch in den Eden umber.
Rund an der Mauer am Rande des Fuß—
—
— — ı) s —
bodens, gähnten verichiedene Löcher, deren Noth—
wendigleit zwar nie fonftatirt worden, die aber
an jolhen Drten üblih find, um für die Ratten
al3 Aus: und Eingang zu dienen.
In der Epohe des Spedes hatten e3 die
Ratten freilich gut; im papierenen Zeitalter aber
umſo ſchlimmer.
Das Lokale hatte fein Fenſter, blos eine
Heine Deffnung über der Thüre, durch welde ein
matte3 Licht von dem dunklen Korridor drang.
Die Möblirung beitand aus einem Xijche,
einem eldbette und einem Stuhl. Sonft gab esan
Utenfilien nod einen Krug und einen bledhernen
Leuchter, in welchem eine Unſchlittkerze ſtak.
Pußtafi, mwelher den ganzen Marſch zu
Fuß gemadht und obendrein noch etwas an den
Füßen zu Ichleppen hatte, was man damals derlei
Rebellen anzulegen pflegte, war ſehr ermüdet
und warf fi auf das Bett.
Dod kaum Hatte er fih einige Minuten
Ruhe gegönnt, als eine alte Ratte erihien und
mit eifriger Kunftfertigleit die Sohlen jeiner
Schuhe herabzutrennen begann; auch andere be—
zeiteten fih vor, an dasſelbe Werk zu gehen.
Pußtafi jah fi genöthigt, auf der Platte
des Tiihes Zufluht zu juhen, wohin ihm Die
Ratten nicht folgten. Er ftellte daher die bren-
nende Kerze auf den Stuhl, und legte fih auf
den Tiſch.
DS
Bon dort aus betrachtete er dann mit
jener Ruhe, welche nur Diejenigen empfinden,
die Alles verloren haben, was um ihn herum
geihah.
Die Ratten wühlten in den Papierhaufen
herum, pfiffen und freifchten, fragten an den
Wänden und nagten wüthend an den Fühen des
Tiihes, zum Zeihen, daß fie mit der neuen
Mendung der Situation unzufrieden jeien.
Pußtafi ließ fie wüthen.
Da geihah es, daß eine dickbäuchige alte
Ratte den Stuhl erklommen, fih auf deſſen
Lehne jekte und mit der brennenden Kerze lieb—
äugelte. Nicht als ob fie an der Flamme ein
bejonderes Vergnügen empfinden möchte, Tondern
weil fie vermuthlich argumentirte, daß es biel
beſſer wäre, mit der Kerze, anftatt daß fie bier
unnükes Licht verbreite, das Glück einer hun—
gernden Ramilie für einen Tag wenigftens zu
begründen. Wie konnte aber das bewerfftelligt
werden, wenn die Kerze brennt ?
Die Ratte ftieg von der Lehne des Stuh—
les herab, beichnofelte die Kerze und ledte gie:
rig an den Unfdlitttropfen, welche an dem Leuch—
ter klebten. . das reizte den Appetit nod mehr.
Die Ratte richtete fih empor, als wollte fie das
Licht ausblafen, verjengte fi aber dabei Schnur—
bart und Augenbrauen. Da gerieth das Thier in
Wuth, faßte die Kerze in der Mitte, riß dieſe
— 7 —
ſammt dem Leuchter vom Stuhle und ftürzte,
troß des brennenden Dodtes, in den Winkel zwi—
Ihen dem Papierhaufen hinein.
Pußtafi betrachtete al diejes mit der Gleich—
giltigleit eines gebrodyenen Mannes,
Das Papier entzündete fih. Pußtafi hatte
den Waflerfrug an der Seite; er ftredite nicht
einmal die Hand darnad aus, jondern jah ruhig
zu, wie das Papier weiter brannte, wie das Feuer
das Feldbett ergriff; er rührte fih nicht. |
Als aber der ftarfe Rauch durch die Deff-
nung über der Thüre drang, da fam eiligft der
Profoß und die Drdonnanz, fie riffen die Thüre auf
und fragten, was es gäbe. |
Pußtafi erzählte, was geichehen.
— Warum haben Sie das Feuer nit ges
loͤſcht? — frug der Profoß. |
— Das ift niht meine Pfliht,; — antwor=
tete Pußtafi, ruhig in feiner Lage verbleibend.
— ber Sie hätten ja ſelbſt verbrennen
fonnen.
— Geht mih nichts an...
Der Profoß Ichüttelte den Kopf und
-brummte etwas in den Bart hinein ; dann wollte
er jeine Macht die Ordonnanz fühlen laffen und
befahl derjelben, das Zimmer von dem Papier:
wert zu reinigen.
Die Drvonnanz hieß Wenzel, war ein lu—
— oe
ftiges Linzer Kind, und trug an der blauen
runden Kappe ein fünftlihes Blumenbougnet.
Während Wenzel mit dem Aufräumen be—
Ihäftigt war, begann er zuerft zu pfeifen, dann
eines jener Lieder anzuftimmen, welde unter dem
Namen „Gaffenhauer” bekannt find. Wielleicht
hatte er die Ablicht, dem ernten Manne dort,
weldher auf dem Tiſche auegeſtredt lag, die Zeit
zu verkürzen.
Das Lied lautete: „Mich ſchlägt der Wein,
ih Schlag’ den Wirth, der Wirth Schlägt fein
Meib, didldum, didldum ! ... die Wirthin liebt
mich, ich liebe den Wein, der Wein liebt den
Wirth, didldum!“
Er wiederholte ganz luftig hreimal jein ſon—
derbares Lied, und ſchien jehr mit ſich zufrieden
zu fein, denn er lädhelte wohlgefällig den ernften
Mann am Tiihe an.
— Höre, Freund Wenzel, — ſprach ihn
Pußtafi an, indem er jeine beiden Hände als
Polſter unter den Kopf legte. — Du liebft auch
in der Wirklichkeit den Mein ?
— Hätte ih nur welden.
— Ich Tonnte Dir ſehr viel und fehr gu:
ten Wein verihaffen, wenn Du auf mid hören
wollteft.
— Wenn Ste nihts Böſes vorhaben ?
— Fürchte nichts. Ich verlange nichts
Böoͤſes don Dir.
— —
Ich hätte nur eine Botſchaft einer ſchönen
Frau auszurichten, woran Niemand Schaden lei—
den kann. Dieſe ſchöne Frau wohnt in Komorn,
ihr Gatte iſt in der Schlacht gefallen. Dies hätte
ih ihr zu berichten, damit fie abermals heiraten
fünne.
— Das konnte man Thon thun. Wo ift
aber der Wein oder das Trinkgeld.
— Das fiehft Du ja, daß ich feinen Wein bei
mir habe, und das weißt Du, daß id) fein’Geld bei
mir führe. Ih kann Dich aber an einen Drt
weiien, wo man jehr guten Wein umſonſt be—
lommt.
— Wenn man ihn ſtiehlt? |
— Nein. Man braudt ihn nur aus der
Erde zu heben, wo er begraben liegt. Dhnedem
bat der Wein feinen Herrn.
— Wo ift das?
— Ich werde es Dir erllären, doch früher
veriprehe mir, gib mir Dein Eideswort, daß Du
diefe Botihaft auf die Voft geben wirft, gib mir
ein Stückchen vom dem vielen ſchlechten Papier dort.
Menzel reihte ein Stück Papier hin.
Pußtafi Ihrieb, damit e8 auch Menzel ver-
ftehen könne, deutſch: der Frau Robert Zeleji in
Komorn. „Ihr Gatte ift bi S... gefallen, Puß—
tafi hatte ihn begraben, er hat aud feinen Ring.“
— Kannſt Du’s leſen.
— Ja.
za
- 0 — -
— Run fo trage das auf die Poſt, und jende
es an die Adrefle.
— Gut. Deßhalb wird mir doch nichts ge=
ſchehen.
— Fürchte nichts. S' iſt ja nur eine Fami—
lienangelegenheit. . . Doch fieh jetzt nach Deinem
Lohn, die Weinflaſchen haben wir vergraben in die
Ecke des Kellers der Kaſematte Nr. 2, als wir vor
einem Monat hier gewohnt hatten.
— Das iſt ja eben die Kaſematte Nr. 2.
— Das wußte ich nicht. Nun um ſo
beſſer; gibt Acht. Wenn Du über die Stiege
hinabkommſt, wende Di links; dort wirft Du
zwei lange Balfen, auf welhe man die Fäller
zu ftellen pflegt, finden. Hebe den äußeren auf
‚und wende ihn um; dort, wo mit rother Delfarbe
ein Ring gemalt ift, wühle die Erde auf. In
der Erde wirft Du einen meflingenen Knopf fin=
den, an diefen Knopf ift eine dünne Kette be-
fejtigt, ziche an, und es wird eine didere Kette
zum Vorſchein fommen ; ergreife dieje feſt, ziehe
fie an, und es wird fih jene Fallthüre öffnen,
unter welcher jene vielen und guten Weine und
Liqueure liegen, die wir einft im Glauben, daß
wir wieder zurückkommen, dort verborgen haben. |
— Na, id) werde es jehen. Wenn es wahr
it, jollen Sie aud) davon haben. |
— Ich danke Dir Wenzel. Früher aber |
gib das Briefhen auf die Poſt.
— Das werde ih thun, Herr, was ıd
einmal über mid nehme, thue ih aud gewiß.
— Ich erjuhe Did aber lieber, ſchöner
Menzel, gehe früher auf die Bolt, und grabe
erit dann nad den verborgenen Schätzen, jonft
fönnteft Du darauf vergeflen.
— Ich Ihwöre es Ahnen, mein Herr, daß
ih nicht vergeſſen werde.
— Dennod bitte id) Dich jehr, laſſe den
Wein zulegt.
— Gut, Herr. Es joll geihehen.
Unterdeffen hatte Wenzel die Papierfegen
zulammen und zur Thüre binausgelehrt.
— Mo joll ih die Kerze Hinftellen, damit
fie die Ratten nit wieder fortichleppen ?
— Nimm fie mit hinaus, id) werde
ſchlafen.
— Es iſt aber Ordre, daß hier immer
Licht brennen muß.
— Dann hänge den Leuchter auf die Thür-
klinke. Gute Nadt.
Auh Wenzel wünſchte gute Naht, und
ihloß die Thüre ab; Pußtafi ſchloß die Augen;
der fröhlihe Burſche jang auf dem Korridor fein
Lied weiter: „Mich liebt die Wirthin, id) liebe
den Wein, der Wein liebt den Wirth“. (Wes—
halb der Wein den Wirth liebte, wäre ſchwer zu
errathen.)
Menzel aber dachte bei ih, daß von
— SED
praktiiher Seite betrachtet, in der Reihe der
Vorrichtungen jedentall3 der Hebung des Meines
das Vorrecht gebühre, die Poſt kommt erjt danır.
— Eine böje Nachricht kann ſich ſchon eine Nacht
veripäten, für- eine gute Flaſche Wein ift es
aber ſchade, wenn fie nur eine Stunde in der
Erde liegt.
Eine Schwierigkeit ergab ſich aber,dadurd,
dag Wenzel zu jenem Seller feinen Zugang hatte,
denn in diefem Keller hielt der Feldbäcker feinen
Mehlvorrath, hatte folglich auch den Schlüffel
dazu. |
Es war daher fein anderes Expedient bor-
handen, als die Bekanntſchaft des Bädergejellen
zu benügen, dieſem das Geheimuig aufrichtig mit-
zutheilen, und ihn zur Theilnahme an dem Un-
ternehmen aufzufordern.
So that er aud.
Der Bädergejelle Hubert war ein jehr Ta-
pazitirbarer Zunge, und hatte auch den Schlüfjel
zu jener Abtheilung des Kellers.
Nah dem Zapfenſtreiche ſchlichen fich die
beiden hoffnungsvollen Jünglinge über die Stiege
in den Kafemattenkeller, und gelangten ungehin-
dert an die durch Pußtafi bezeichnete Stelle.
Als jie den eriten Balken hoben, hatten fie
den rothgemalten Ring alliogleih entdedt; nun
hatten fie volles Vertrauen in die Entdedung
Pußtafi's.
= A
Mit Hilfe einer Mehlſchaufel und einer
Feuerzange wühlten fie nun die Erde auf, und
fanden alsbald den meſſingenen Knopf.
An diefem Knopfe war die dünne, an der
dünnen die didlere Kette befeftigt; als jie an letz—
terer zogen, öffnete jih die eiſerne Fallthüre,
melde ſechs Quadratfuß groß jein mochte.
Der Anblid, welder fih ihnen bot, über=
traf alle ihre Erwartungen. Die Deffnung war voll
der verſchiedenartigſten Weinflaſchen.
Der erſten Flaſche, welche ſie aus der Oeff—
nung hoben, wurde auf kurzem Wege der Hals ab—
gehauen und der Inhalt einer faltiſchen Prüfung
unterzogen. . . . Das war ein fünigliher Wein,
Muskateller! Nicht folder Wein, wie ihn der
Wirth liebt; mit dem bat gewiß noch fein
Wirth eine Liaifon gehabt.
— Hörft Du, Hubert, trinken wir nicht
zu viel, jonft fünnen wir uns einen Zopf anhaͤn—
gen. Im Keller ift es nicht rathſam, viel zu trin=
fen, id weis es aus Erfahrung; jondern neh:
men wir uns jo viel mit hinauf, als wir für
genug halten, das Uebrige verbergen wir aber=
mals und holen es uns theilmeile hinauf,
Hubert fand den Antrag annehmbar.
Es mar jet nur noch die Frage, melde
Wahl fie treffen jolen? Zu dem gelofteten
Muslkateller paßte die ſchlanke Flaſche vortreff:
fi, in weldher granatfarbener Menefer funtelte
— 141 —
— 63 folgte nun die Auswahl der Liqueure.
Mannahm eine Shmwarze Flaſche mit Abſynth und
eine mit Arraf. Es gab die verihiedeniten Gattun=
gen: Roſtopſchin, Curacao, Allah, Marasquino ;
für Kenner find das Namen von bezauberndem
Klang; — das Ganze war in der That ein fa-
belhafter Schat für Einen, der das Alles zu
würdigen weiß.
Menzel reichte eine Flaſche nad der andern
dem Hubert hinauf, da ergriff er plößlih den
Hals einer mit bunter Zinkplatte überzogenen
Flaſche, melde er aber, nachdem er fie ein wenig
in die Höhe hob, — wieder auf den Boden
zurückſetzte.
Dieſe Flaſche, welche kaum größer als eine
Champagner-Bouteille geweſen, ſchien wenigſtens
acht Pfund zu wiegen.
Wenzel war ein Junge von raſchem Ber:
ſtande und raiſonnirte folgendermaßen:
Solchen Wein gibt es auf der Welt nicht,
von welchem eine Flaſche acht Pfund wiegen
ſollte. Eine Flaſche von ſolchem Gewicht kann
nur Gold enthalten; jetzt verſtehe ich's, warum
man eben dieje jo jorgfältig verwahrte.
Er raifonnirte weiter: den Inhalt dieſer
Flaſche mit Hubert zu theilen, wäre eine große
Thorheit, übrigens lautet unſer Kontrakt nur auf
Mein.
a WE
Diefes Naifonnement bewog Wenzel an
Hubert die Worte zu richten:
— Ich glaube, wir werden mit dem Weine,
den ih Dir gereicht, für diefe Gelegenheit genug
haben ; trage die Flaſchen nur hinauf, ich werde
einftweilen die Kallthüre Ichliegen und den Schaf
verbergen ; bis dahin verwahre Du die Weine an
einem fihern Drte.
Hubert fand das Ganze ſehr vernünftig ge:
ſprochen, verbarg die für das heutige Gelage be—
ftimmten Weine unter jeinem Mantel, und jtieg
über die Treppe des Kellers hinauf.
Als die Sellerthüre in ihr Schloß fiel,
wartete Wenzel noch den Nugenblid ab, wo er
das Knarren der großen Mehltruhe vernahm,
denn er wußte, daß Hubert nur dieſe als fiheres
Verſteck für den geiftigen Proviant wählen könne;
dann erft griff er nach der geheimnißvollen Flaſche.
| Hubert mohte das Warten nad) feinem
Freunde verdroffen haben, es war jedod gut
für ihn, wie es die Folge lehren wird.
Die ſchwere Flaſche war aus undurchſich—
tigem Glas, man vermodte von Außen den In—
halt nicht zu prüfen.
Aber, wie jhon erwähnt, war Wenzel ein
geihulter Junge, und mußte es, meldes das
allerihmerfte Metall der Welt ſei; demnad konnte
in diefer Flaſche nur Gold ftedken. |
Die Flaſche zu entlorfen und die Dufaten-
a. 8
ftüde einzeln Hberauszurütteln wäre mit vielem
Beitverluft und Verdacht erregendem Geräuid) ver—
bunden geweien; dann wäre e3 bei einem jolhen
Bunde lächerlid) gewesen, die Flaſche zu jchonen.
Er hatte fih daher den Plan geftelt, um mög:
lichſt Schnell zu arbeiten, den Hals der Flaiche
an jeinem Stiefelabjage zu zerbrechen, die her:
ausrollenden Goldfüchſe in die Taſchen zu bergen,
und dann Hubert den einfadhen Rapport abzu=
ftatten: es jei eine Branntweinflaihe zerbrochen
und deren Inhalt in den Sand geronnen.
Welch' wahnfinniges Vorhaben der junge
Mann damit ausgebrütet, follte der naͤchſte Mo-
ment lehren. |
Die Flaihe enthielt fein Gold ſondern
Knallqueckſilber.
Wenn Jemand Zweifel darüber hegen
ſollte, daß mit dem Kunallqueckfilber durch—
aus nicht zu ſyerzen ift, dem wollen mir
furz jagen: daß Snallquedjilber jene gelblich—
weiße Subftanz ift, mit welcher man die Zünd-
büthen füllt, womit man wieder die Schießge-
wehre losfeuert. Dieſes chemiſche Produkt befigt
die Eigenſchaft, daß es bei der kleinſten Berüb-
rung erplodirt, und daß feine Zerftörungskraft
hundertfünfzig Mal größer ift, al3 die des Pulbers.
Acht Pfund Knallquedfilber üben daher die—
felbe Wirkung, als hätte Jemand in zwölf Zent-
ner Pulver die Lunte geihleudert ...
— —
Was nachher geſchah, das konnte Wenzel
Niemandem mehr erzaͤhlen; wir wiſſen es aus
den Ausſagen Hubert's, welcher in dem Momente,
als er die Bouteillen in die Kleien bergen wollte,
mit Gewalt in die Truhe geſchleudert wurde, und
dann ſammt ſeinem Gehaͤuſe durch die Luft an's
jenſeitige Ufer der Maroſch flog. Sein Glück war,
daß er, durch die Kleien geſchützt, nicht zerſchmet.
tret wurde. Man fand ihn am Ufer der Maroſch,
bon ſeinen Flaſchen umgeben .... Die Wirkung
der letzten Flaſche war further! ..
Eilf Gemäder flogen in die Luft. Der
Kommandant, welher bei der Erplofion aus dem
Zimmer ftürzte, fiel in einen Abgrund, wo ihn
die Trümmer erihlugen. Die Kaſematten waren zer—
ftört, die Wälle niedergeriffen, auf taufend Klafter
war die Umgegend mit Steinen und Ziegeln bedeckt.
Wenzel fand man an die Wand des Kel—
lers gellebt, eine bingeftrihene Maffe, feine Kno—
hen waren jo zerbrödelt, als hätte man fie in
einem Mörjer zerftoßen.
Pußtafi fam wie durch ein Wunder davon.
Auh ihn hatte die Erplofion in die Lüfte ge-
jhleudert, er fiel aber unweit auf eine Stroh:
trifte. Er hatte fi) das Haar und den Bart ver-
jengt, ſonſt geihah ihm fein Leid.
Den anderen Tag hatte man ihn troß des
Unfalles mit mehreren anderen verdächtigen Ge—
fangenen weiter transportirt.
Aubere Zeiten, andere Menfchen. III. Band, 2
ze. IR
So gelangte er in die Komorner Kajematten.
Er war es demnah — nahdem es ihm an—
ders nicht gelungen, die Botihaft ſeines gefalle-
nen Freundes an Scraphine auszurichten — melder
den Finger mit dem Ninge durch das Gitter
ftedte, um Seraphine wifjen zu lafjen, was dieſe
zu willen fi jo lange gejehnt hatte.
Und dennoch befam Seraphine darüber nie
eine fihere Auskunft, denn fie hatte nicht den
Muth, nadhzuforihen, wer der Träger des Rin—
ges fei, in der Angft, fie Tönnte als Antwort er-
halten: „Der Beliker des Ringes ift Dein er:
fter, Dein jo Schnell vergeflener Gatte Robert.“
Wie Major Kolbay einen Türken
gefangen.
Die neue era hat aud) in die Lebensver-
Hältniffe des alten Majors Kolbay einige Kleine
Veränderungen gebradt. E3 kamen Tage, an wel:
hen der alte Herr ganz ernftlid) den Glauben hegte,
daß aud) er noch zu Etwas nützlich fei.
Seine Beihäftigung beftand nun darin, daß
er täglich in die Feftung ging, um nachzuſehen, ob
man feine friiden Gefangenen gebradt habe; es
war ihm leicht, zu ihnen zu gelangen. Nun beeilte
er fi, ihre Heinen Wünſche zu erfüllen, und machte
alle Gänge für fie, vom Profoßen angefangen bis
zum General; er war überall wie zu Haufe, Der
Eine hatte den Wunsch, zulefen, und verlangte nad)
Büchern. Der Andere wollte fih in der freien Luft
ergötzen; Manden wollte feine Gattin bejuchen ;
wieder Andere dürfteten nad) einem Släschen Wein ;
der hatte eine zu Feuchte Wohnung u. ſ.w.; der Alte
tegiftrirte in feinem Gedaͤchtniſſe die verſchiedenen
Begehren und juchte fie möglicht zu erfüllen,
2%
— —
Einem jeden Einzelnen erzählte er die ganze
Rebensgeihihte, Kamilienverbindungen, und Cha—
rafterzüge jener Mächte, mit denen fie in Be—
rührung famen. Und welche Freude hatte der Alte,
wenn er für einen jchweren Gefangenen erwirfen
fonnte, daß er jeine Gattin ſprechen dürfe, daß
er Bücher lejen oder gar Tinte und Papier er=
. Halten fünne.
Man nannte den guten Alten bereit den
„Vater der Gefangenen.“
Wenn er nad) feinen Bejuhen in der Fe-
ftung des Mittags und Abends nah Haufe ging,
nahm er ftetS jeinen Weg am Haufe der Laͤbay
borüber, Kopfte an das Fenſter, und frug: „Sind
die geftrenge Frau zu Haufe ? Laſſen Sie das
ewige Weinen, Ihrem Sohne ift nod) nichts ge-
ihehen. Sonft hätte ih ſchon längft etwas über
ihn erfahren haben müſſen.“
— Wie konnten Sie über ihn hören, wenn
er geftorben ift? Lebte er, fo würde er mid
gewiß benadhrihtigt haben! — Das war der täg-
lihe Zweifel der alten rau.
— 63 ift jetzt ſehr ſchwer, Briefe zu jchrei-
ben, überhaupt wenn man Flüchtling ift.
— Daß aber aud feine Gattin nicht ſchreibt?
— Diefe ift eine prächtige Frau, weßhalb
gehen Sie niht ſelbſt zu ihr, um mit ihr zu
ſprechen.
— Peſt iſt jetzt tauſend Meilen von un
— 9
entfernt. Man muß einen Paß haben, um ihn
alle Augenblide den Gensd’armen vorweiſen zu
fönnen, um ihn auf'3 Polizei-Bureau zu fchiden ;
ihn. von dort perfönlid abholen, eigenhändig den
Namen unterfchreiben, von hundert veridiedenen
Menichen dabei genedt werden, das Alles ift nichts
für eine alte Frau.
Kolbay räufperte ih, — ſagte weder Gutes,
noch Böſes und ging von dannen.
Die Unterhaltung wurde täglih in der—
jelben Weile wiederholt, die alte Dame erichien
mit immer berweinteren Augen beim Benfter und
betheuerte mit einer von Tag zu Tag wachſen—
den Zuberfiht, da ihr Sohn geftorben fein
müffe; in demjelben Maße wurden ihre Klagen
immer bitterer gegen die Schwiegertodter, welche
fie mit feinem Sterbenswörtchen benachrichtigte.
Der alte Soldat tröftete die Witwe von
Tag zu Tag, und vertheidigte dabei ſtets
Judith. |
An einem Mittag jah man den Veteranen
mit ungewohnter Haft und in fehr aufgeregtem
Zuftande über das holperige Pflafter eilen. Es
ihien, al3 wollte er einen Wagen einholen,
welcher, mit Reifigbündeln belaftet, vor ihm bers
humpelte, und welden, troß feiner nicht beſon—
deren Schnelligkeit, einzuholen, dem alten Ve—
teranen mit Seinen morſchen Knochen ſehr
ſchwer fiel.
— 22 —
Er konnte ihn auch erſt dann einholen, als
der Wagen in den Hof der alten Zavay fuhr,
und der Fuhrmann, unſer alte Bekannte Andreas
Käpor, die Reifigbündel vom Wagen herabzuladen
begann.
Kolbay Humpelte an den Wagen heran,
ergriff eine der Radipeihen, al3 wollte er das
Fuhrwerk mit Beihlag belegen.
— Schnell, Ihnell, Freund Kaͤpor! werft
eiligft dieſen Ballaft herab, und führt mid)
eiligft von dannen !
— „Guten Tag!” — erwiderte Kaͤpor den
Gruß, den man ihm gar nit geboten hatte,
und jeßte gleichgiltig Jeine Arbeit weiter fort. — Es
wird nicht gehen, denn ih muß noch eine Fahrt.
für die geftrenge Frau auf die Inſel machen.
— Verſchiebt das auf eine andere Zeit,
jetzt mügt Ihr mid fahren!
— Und wohin denn? "
— Ich werde e3 ſchon jagen, eilet nur !
— Auf wie lange Beit?...
— Ich weiß es nidt.... Vielleiht auf
einen halben, vielleiht auf einen ganzen Tag, ..
auf eine Mode, oder jo lange ih den Menſchen
nit eingeholt habe.
— Wen wollen fie einholen, Herr Major ?
— rief die Stimme der alten Frau dazwiſchen,
welche dem Alten ſchon das vierte Mal einen
guten Tag geboten hatte, ohne gehört zu werden.
— 94. =
— Ah!guten Tag, liebe Freundin!.. daß
ich Doc) endlich diefen Menſchen erwiſchen könnte !
— Wen haben Sie denn erwiiht ?!
— Denten Sie fi diele unerhörte Dreiftig-
feit. Gerade jekt, beim helllichten Tage, fuhr er
auf einem Magen durh die Gaſſe. Ach habe
ihn jelbit mit Diefen meinen lebenden Augen ges
ſehen; mit meinen eigenen Mugen, jonft würde
ich's nicht geglaubt haben.
— Ren? — frug die Alte mit fliegendem
Athen ; fie hegte für einen Augenblid den Ge—
danfen, e3 jei ihr Sohn, den der Veteran gejehen.
— Mer würde an eine jolde Dreiftigkeit
glauben ? Gerade in diefe Stadt zu kommen;
am hellen Tage, mit dem eigenen Gefiht? ES
ift wahr, daß fein Kinn ausrafirt geweſen, ſolch
eine Larve erkennt man aber jelbit dann, wenn
er fie wie immer verdreht.
Frau Lavay wurde abermals traurig. Hier
fonnte nicht von ihrem Sohne die Rede jein.
— Wen haben Sie aljo gejehen, Herr
Major ? |
— Men Andern, als diefen nichtsnugigen
Bärfing, welder mid im vorigen Jahre auf der
Gaſſe, an diefer Stelle da, mit dem Hängen be-
drohte, mich, den Major Kolbay ! Sie haben e3
ja ſelbſt gehört, geftrenge Frau, es geihah ja
in Shrer Gegenwart. Daß ich ihn endlich erwiſcht
habe! ...
— 24 —
— Was beabſichtigen Sie jetzt zu thun?
— Ich werde ihm nacheilen und werde ihn
erwiſchen, den Nichtswürdigen! ..
— Sie ſelbſt ?...
— Ja, ich ſelbſt. Habs noch Niemanden
angethan. Hab’ anderen unglücklichen Flüchtlingen,
braven, verirrten Leuten zur Rettung verholfen;
Dieſem aber werde ich den Hals brechen.
— Laſſen Sie das, Herr Major, das iſt
fein Geihäft für Sie.
Ich weiß es, ih weiß es jehr gut.
Der „Major“ in mir wird darob zürnen, aber id
bin es dem „Teufel“, den diefer Menſch in mir
wadgerufen, ſchuldig; der muß heute noch Men-
ſchenfleiſch freſſen!
| — Lieber Herr Major, verdient e3 denn
diefer Menſch, da fid) ein jo ehrlicher Mann mit
ihm befaflen joll ?
— Gut, gut, meine Freundin, geben Sie
fi nit unnüge Mühe... Ich habe ihn geſe—
ben. Er lädelte mih an, als gäbe er feinen
Hund für mid. Der fol mir nicht entlommen.
Er kann no nicht weit fein. Werde ihn ſchon
einholen, ihm nachjagen, und wenn er bis Lili—
putanien laufen follte. D, ich werde, ih muß ihn, «
erwiſchen, das gelobe id) Ihnen heilig !..
— Und mas werden Sie dann mit ihur
beginnen ?
— Mas ih mit ihm beginnen werde ?
wu DR
Was ? ... Ich werde ihn kurzichliegen, ja kurz—
ſchließen laſſen, ebenſo, wie er mir gedroht, mir,
dem alten Mann, dem Major Kolbay, ſoll er's
verkoſten, was das Kurzſchließen heißt. Freund
Käpor, beeilt Euch mit der Arbeit. Wir ge—
ben auf eine Menichenjagp !
— Na, wir wollen jehen, was der zurnige
Fäger von feinem Ausfluge zurüdbringt.
Kolbay wollte niht einmal warten, bis
Kaͤpor mit feinem Wagen nah Haufe fuhr, um
Verſchiedenes herzurichten; der Fuhrmann brauchte
ja jeinen Tornifter mit Lebensmitteln, da man
nit wifjen fünne, wie lange die Reife dauern
wird; feinen Guba, da es falt werden oder reg:
nen fann; aud ein Sitz wäre herzuftellen, der
Major kann fih doch nicht auf den Boden des
Wagens ſetzen.
— Nein, nein, keine Minute Verzug. Fah—
ren wir allſogleich, um ihn einholen zu können.
Ich brauche feinen anderen Sig al3 cin Stroh—
bündel, das wird und die geftrenge Frau Thon
geben.
— Nein, feinen Halm gebe ih ber! — rief
Frau von Lavay haſtig.
— WMir geben Sie fein Bündel Stroh ?Mir ?
— Nicht einen Halm... Nie werde id
zu Jemandens Verfolgung beifteuern.
— Aber zur Verfolgung Bärfings ; zu Bär:
fings Verfolgung! Verftehen Sie mid. ”
— 26 —
— Ich weiß es am Beſten, wer dieſer Bär-
ſing iſt, daß er mein und meines Sohnes Feind
iſt; doch frage ich nicht darnach. Jetzt weiß ich
nur ſo viel, daß er ſich flüchtet, daß Sie, mein
Herr, ihn verfolgen wollen, und ich leihe hiezu
nicht einen Halm Stroh! ..
— Sie ſind ja eine furchtbare Frau!
— Das ſpricht man längft von mir.
— Alſo wollen Sie mir — kein Stroh
zu einem Sit geben ?
— Ein anderes Mal a ih Ihnen Sa=
fran, jet nicht einmal Stroh.
— Wie, wenn id) zornig werde ?
— Werden fih) ſchon wieder verjühnen; —
jagte die gute alte Dame gelaflen, und blieb bei
ihrer Weigerung.
— Und dennod) werde id) gehen ; werde mic
neben dem Kutſcher ſetzen.
— Gehen Sie nit, mein guter Herr, Sie
werden jehen, daß Sie Gottes Segen: nit be=
gleitet, e8 wird Ihnen ein Uebel am Wege zu—
ftoßen. Su etwas ift nicht für Sie, Sie find
fonft ein jo guter Menſch.
— Hente will id aber böfe, furchtbar böje
fein! — eiferte zornig der Alte, und kletterte auf
den Sit neben dem Kutſcher.
— Treibt ſchnell vorwärts.
Die alte Dame jah ihm Fopfichüttelnd nad)
und ging dann in ihr Zimmer zurüd,
er —
Der Alte jagte aber ſchnell der Brüde zur.
Das Gewagte diefes Unternehmens vermag
nur Derjenige zu ermeſſen, der da weiß, was es
heißt, auf einem Pflafter, welches aus Kaiſer
Foje3 Zeiten datirt, und welches überdies durd)
Bomben und Granaten unterwühlt worden, auf
einen rüttelnden Bauernmwagen, mit von Gicht
zerireffenen Gliedern, auf einem harten, nadten
Brett fißend, im Galopp dahin zu jagen.
— Fahrt jchneller, 's macht nidts!..
An der Brüde frug er die Zöllner, ob fie
feine grüne Kaleſche geliehen hätten, in welder
ein Mann im grauen Mantel mit rothem Kragen
faß?.. Die Zöllner hatten ihn geiehen. Vor
einer halben Stunde jagte er der Veler Pußta zu.
— Bor einer halben Stunde?.. dann
fönnen wir ihn noch einholen. Vorwärts!
Wo jih der Weg bei der Ziitvabrüde
gegen Bel wendet, da arbeiteten ein Baar Zim—
merleute an der Ausbefferung der Brücke; aud)
diefe befragte der alte Kolbay, ob fie den Ge—
genftand feiner Verfolgung gejehen ?
Sie bejahten &8. Er fuhr vor einer
BViertelftunde über die Brüde.
— Ganz gut. Demnad) find wir ihm um
eine Biertelftunde näher im Rüden.
Weiter ftieß er an Fiſcher, welche am Ufer
der Ziitva ihre Neke zum Trocknen ausipannten,
auch dieſe wurden interpellirt, ob fie die grüne
— ——
Kaleſche geſehen hätten? Dieſe gaben zur Ant—
wort, daß beſagtes Fuhrwerk erſt vor einigen
Minuten vorüberfuhr und ſoeben hinter jenem
Weidenwalde verſchwand, wo man noch den auf—
gewirbelten Staub ſehen fünne. |
— Gebt ſchont weder Pferd, noch
Magen, no die Veitihe! — rief Kolbay feinem
Fuhrmann zu. — Wir find auf feinen Ferien, wir
halten ihn bereit3 am Sragen!.. das gäbe ich
niht um Hunderttaufend Gulden, nein, nicht um
hunderttaufend Gulden. Legt fol er mir nicht
entwiſchen! ...
Als fie aus dem Weidengeholze heraus—
kamen, wurden ſie jener kleinen Kolonie anſichtig,
auf welcher Ungarns berühmteſter Tabak waͤchſt.
Dieſe Kolonie beſteht aus einigen zerſtreut ge—
bauten Haͤuſern, welche mit Pappeln umpflanzt
waren. | |
Nun müfjen wir aber wiſſen, da auf dieſer
Kolonie aud Major Kolbay ein Stüdhen von
feinen Ahnen ererbtes Tabakfeld beſaß, welches
ein ehrliher Slovale in Pacht hatte, der Pacht—
Ihilling beftand aber in einigen Zentnern Tabak,
welche der alte Major von Jahr zu Fahr theils
felbft verraudte, theils aber verſchenkte.
Diefes patriarhaliihe Verhältniß wurde
dur die jüngfte Wendung der Dinge getrübt,
denn man durfte den Pachtſchilling nit mehr in
Natura entrihten, die Gintreibung desſelben
— 9 —
in baarem Gelde blieb aber eine ſehr problema—
tiſche Frage.
So oft Kolbay an dieſes ſein Beſitzthum
dachte, gerieth er in ſehr verdrießliche Laune.
As er in das oft erwähnte Dörflein hin—
einfuhr, fam ihm der Feldhüter entgegen. Kolbay
hielt ihn an. Natürlih war die Frage, die er
an ihn richtete, feine andere, als die er auf dem
ganzen Wege geftellt Hatte.
— Sie ift da, die Kaleihe, — ſagte der
ſlaviſche Magyar — jehen Sie Pan velkomozsnye,
dort fleht fie vor dem Haufe des Richters.
— Sitzt der Herr mit dem grauen Mantel
darin ?
— Nein, der ift bereit abgefttegen, mit
noch einem andern Herrn, welcher Brillen trägt und
ſlaviſch verfteht, nur daß er ftatt „dobre“
„dobzse“ jagt. |
— Wohin find fie gegangen ?
— Zu dienen. Sie befahlen dem Richter,
fie zu begleiten, nahmen noch zwei Geſchworne
mit, und gingen gerade auf das Tabakfeld Eurer
Gnaden hinaus.
— Auf mein Fed? Was thun fie dort?
— Mit Vergebung Euer Gnaden, fie koſten
die Erde.
— Seid Ihr verrüdt ?
— Nein, bitte gehorfamft. Hab's jelbit mit
eigenen Augen geiehen. Sie treuen die Erde auf
=. SB er
die Zungenipige, drehen fie im Munde herum
und fpeien fie dann wieder aus.
Wird eine Art von Zauberei fein; vielleicht
wollen fie dadurh die Erpflühe verjagen, damit
fie die Tabakspflanzen niht verwüſten.
| — Ahr jeid betrunken! — rief der Major;
— fahren mir meiter, Käpor.
Kolbay konnte ſich's durchaus nicht er⸗
klääͤren, was dieſen Menſchen an dieſen Ort ge—
bracht haben konnte.
Als er zum Gemeindehaus gelangte, ſah er
zu ſeiner Verwunderung, daß die grüne Kaleſche
bereits umgekehrt ſtand; ein Zeichen, daß man
nicht weiter flüchten wolle.
Kolbay ſtieg mit einer Eile vom Wagen,
daß er ſelbſt ſeine Gicht vergaß. Beim Ge—
meindehauſe hatten einige Faullenzer Maulaffen
feil. Einen derſelben forderte er auf, er möge ihn
dahin führen, wohin die Leute die aus der Ka—
leſche ſtiegen, gegangen ſind.
Nachdem fie durch einige Gräben und Rohr:
hecken gedrungen, gelangten fie in einen Zwetſchlen—
garten, welder das Eigenthum Kolbay'3 war, wo
er aber nie in feinem Leben gewejen. Aus der
Döorrkammer wurden verſchiedene Stimmen ber:
nehmbar, darunter die Bärfing’s, mwelder mit
Semandem eifrig ſprach.
Kolbay ſchlich mit großer Behutſamleit
hinter den Dörrofen, um bon dem Menſchen nicht
—ı; BU: u
bemerft zn werden; es gelang ihm dann wirllich,
die Xhüre zu. verftellen.. Da jah er Bärzfing in
feiner leibhaften Größe vor der Dörrbank ftehend,
“wie er mit einem Rothftift auf ein langes Pa-
pier Notizen ſchrieb.
Kolbay trat mit dem flammenden Gefichte
eines rächenden Cherubs in die Kammer.
— Sind fie alfo hier, mein Herr Barfing !
— Bärling war durch das Eintreten Kolbay's
wirflih überrajcht, diefe Ueberraihung war aber
eine freudige.
— Ah, das ift herrlich; Sie kommen wie
anf Wunſch. Wie gut, daß Sie bier find.
Kolbay trat betroffen zurüd,
— MWephalb mag fi diefer Menſch freuen,
daß ich hier bin?
— Belieben ganz a propos zu kommen. Wir
find eben mit Ihrer Angelegenheit beihäftigt.
Wie konnten Sie aud) bei der Faſſion ihre Fel-
der in die dritte Klaſſe einschreiben laſſen, da fie
doch offenbar in die erfte gehören ?
Den alten Herrn hatte dieſes unerwartete
Impromptu derart aus der Faſſung gebracht, daß er
feiner Antwort fähig war.
0 Ja, ja; — betheuerte der andere en
— Sie beliebten falſch zu fatiren, indem Sie Ihre
Felder als zur dritten Klaffe gehörig angaben, und
die übrigen Beſitzer machten's Ihnen nad).
Dann ergriff wieder Bärfing das Wort:
— Während doch die Tabakfelder als Garten:
grund betrachtet werden.
Hierauf ſetzte der andere Herr fort:
— Denn obwohl der Grund nur Sand ift,
fo ift er doch unihägbar, wirklicher Humus,
— Defien Ertragsdurdihnitt auf jährlich
120 Gulden berechnet werden fan.
— Sodann ift es natürlih, dag man dieſe
Felder nad) jenem Schlüfjel bemefjen muß.
Kolbay dachte aber, daß er doch eigentlich
nicht deshalb hieher gekommen, um die Qualität
und Klaffifizirung feiner Felder zu erfahren, fon=
dern um Bärfing beim Kragen zu faflen, und
ihn zur Verantwortung zu ziehen, darüber, was
er vor einem Jahre gethan und was er geweſen!
Schließlich brach feine Leidenihaft 108,
— Wer find denn der Herr?! — herrſchte
er Bärfing an, mit der Spige feines Zeigefingers
die Schulter des edlen Jungen berührend, jo daß
diefer beinahe in den Dörrofen gejtürzt wäre,
— Bitte, bitte, — beeilte fi) der andere
Herr zu erwiedern, — Herr Bärfing ift in amtlicher
Eigenihaft hier als Kataſtral-Kommiſſions-Rekla—
mations-Hilfsgerihtsadjunft.
Kolbay jah verwundert drein.
Braucht doch ſelbſt der Maikäfer zwei
Jahre bis er aus einem Engerling zum fliegen-
den Käfer wird.
— Verzeihen Sie, Herr, — fagte dann
Barfing ih in eine amtlihe Stellung werfend
indem er die Hände in die Taſchen feiner Pan—
talong ſteckte und fich zeitweile auf den Ferien er:
bob. — Ih weiß es recht gut, was id Ihren
früheren Verdienſten chuldig bin, und werde es
nie bergefien; wo es aber die Intereſſen des
Staates erheiſchen, bin ich bemüßigt, jede per—
ſönliche Rüdfiht bei Seite zu jeßen. Dies muß
ih Ihnen im Voraus erklären.
Jetzt begann wieder der andere Herr zu
ſprechen, welcher feine Kenntniß von den früheren
Berdienften des Veteranen hatte, "und fid) daher
in jarkaftiihen Ausfällen gegen den Alten erging.
— Das fommt daher, weil es die „Herren“
nit einſehen wollen, da die Millionen aus
Pfennigen entftehen. Wenn Jeder fein Beſitzthum
um eine Klafje niedriger angibt, jo entfteht dar:
aus ein Verluſt von vielen Millionen für den
Staat.
Bärfing knüpfte an:
— Was zu fontroliren, unjere, wenn
auh nicht jehr angenehme Pflicht ift, die mir
unter Eid und Ehrenwort übernommen.
Der Andere fügte hinzu:
— Uebrigens bin id) jo frei, zu bemerfen,
daß es auf dem Faflionsbogen Kar gedrudt fteht,
daß die Angaben der Betreffenden als eidlidhe
Ausſage gelten.
Bärfing ſprach:
yindere Zeiten andere Menſchen. Il. Band. 5
— —
— Ich bin zwar zur Entſchuldigung des
Herrn Majors geneigt, anzunehmen, daß Sie
vielleicht über die Qualität Ihrer Felder ſelbſt
nicht im Klaren geweſen, und die bon der Wahr:
heit abweichenden Angaben blos aus Irrthum
eintrugen.
Worauf abermals der Andere das Wort
ergriff.
Dann, ſprach Bärfing in falbungsvollem
Zone:
— Denn, belieben mir zu glauben, Herr
Major, dag mir auf diejem Gebiete To vieler
Bosheit und Heimtüde begegnen, daß es gar
niht Wunder nehmen kann, wenn man ſchließlich
gegen die ganze Nation erbittert wird. — Nie
hätte ih an fo viel heimtüdiiche Geheimnißthuerei,
binterliftiges Handipiel, Verftellung, an fo viel
zur Verkürzung des Staates inizenirte Falſchheit,
und an ein jo hartnädiges Beitreben zur Hin-
tertreibung der heilfamjten Inftitutionen geglaubt,
wie fie bei dem ungariſchen Volke, insbejondere
bei deſſen „bevorzugt“ genannten Klaſſen vor-
fonmen.
— Gelbft bei Denen, — beeilte ſich der
andere Herr hinzuzufügen, — die vermüge ihrer
Stellung berufen wären, den heilſamen Inſtitu—
tionen des Staates Hilfreih unter die Arme zu
greifen. — Dabei ſchoß der Redner einen be-
zeichnenden Blid auf den Major.
— Nein, nein! — fiel Bärfing, feinen Kol:
legen beihwichtigend, ein. — Ich will den Herrn
Major durdaus nicht der Abfichtlidhkeit beichul-
digen, kenne ic ihn doch jeit Langem Thon als
einen braven, loyalen Mann.
— Altkonſervatib-loyal, — ſcherzte der an—
Herr.
— Der gewiß ſeinen Irrthum einſehen,
und vermöge ſeiner ſteten Treue bemüht ſein
wird, den begangenen Fehler gut zu machen.
— Zu welcher Freundlichkeit, unter uns ge—
ſagt — er auch gezwungen ſein wird.
Kolbay ließ ſich, ſo zu ſagen, von einer
Hand in die andere werfen. Er hörte — ohne
ein Wort zu ſagen — zu, wie ihm Menſchen,
wie Baͤrſing, über Treue, Loyalität, über hin—
terliftigen Betrug zur Verkürzung des Staates
Lektionen gaben ; wie Menichen, wie Bärfing,
ihn, den Major Kolbay, und die ganze Nation
des Betruges anihuldigen; wie man ihn anklagt
und entihuldigt, wie man ihn in's Verhör nimmt,
veripottet, dann wieder lobt ; wie Leute, wie
Bärfing und Kompagnie, ihn für Nichts achten,
Er hörte zu, ohne ein Wort hervorzubrin-
gen ; da fielen ihm aber die Worte der alten
Frau Lavay ein. „Hat es mir doch dieſe Erimi-
nelle Frau gejagt, daß mid Gott auf diefem
meinem Wege ftrafen wird; nun hab’ ich's auch
erfahren.‘
3*
zeug —
Stumm jah er den Xeuten zu, wie fie die
Rubriten ihrer Hefte mit verfhiedenen Kleckſen
ausfüllten, wie fie dann diefe Hefte zufammen-
handen und fortgingen, ohne ihn zu grüßen, fort
auf feine Felder hinaus, wo fie die Erde be-
ſchnefelten und beledten, die Ausjagen der Bauern
zu Protokoll nahmen ; wie fie es beftimmten, wie—
viel Humus jene Erde enthalte, welche fiebenund:
fiebzig feiner Ahnen mit ihrem Blute getränft ;
und ihm geihieht das, dem Letzten dieſes Stam—
mes, der aus dem Sriege niemals ohne Wunde
heimgefehrt ift.
Da fühlte er es nod mehr, welch' trauri-
gen Stand jo ein „alter Knochen“ habe, der
Ihon längft geftorben, ſchon längft dem Jahrhun—
derte entrücdt ift; nur daß er es vergaß, fich be-
graben zu laſſen und nun als Gefpenft aus
Fleiih und Blut herumwandelt.
Bon dieſem Tage an ging er nicht mehr
in die Keftung.
Ein Menſch, der nidt das if, was
er iſt.
Die Baronin von Dolnay war eine der ges
feiertften Patriotinnen.
Das legte Wort ift auch neuen Urſprungs;
einjt hatten Söhne des Vaterlandes deſſen Ange-
legenbeiten geſchlichtet; jetzt müflen ſich entweder
dieje Angelegenheiten jehr vermehrt haben, oder
find die Männer im Kampfe derart ermüdet, daß
auch die Töhter an den Kämpfen theilnehmen
müfjen, was diefe auch mit nahahmungswürdigem
Eifer thun.
Die Frau Baronin Dolnay war eine Der-
jenigen, deren Namen noch lange in dankbarer
Erinnerung leben wird. Ihr Kaſtell war ein fürn:
lihes Spital für verwundete Srieger, jpäter ein
Aſyl der Flüchtlinge; diefe hatten in ihren Ver—
fteden, um fi) die lange, drückende Zeit zu ber:
treiben, verihiedene Heine Handarbeiten angefer:
tigt, mit welden dann die Baronin zu reichen
Damen haufiren ging, auch die von berühmten
ei I
Männern angefertigten Kleinigkeiten für fabelhafte
Preife verkaufte, um das Erträgnig dann den Flüdht-
Iingen und Staatsgefangenen zu gute fommen zu
laffen. Auch die Hälfte ihrer eigenen Einkünfte hatte
fie zu ſolchen Zweden verwendet.
Biele Hunderte damals Unglüdlicher ſegnen
die Baronin heute noch; fie hat dieſe Segnungen
auch verdient, denn fie war eine chte Patriotin.
Und wenn eine Patriotin einen Fehler haben
fann, fo ift e8 eben nurder, daß fie ein Weib ift.
Eines Schönen Tages heiratete die Baronin
den ruffiihen Fürſten Wolozoff.
Gott ift mein Zeuge, dab ic) fie nicht des—
halb tadle, meil fie einen Ruſſen geheiratet;
der Fürft war ja ein ſehr liebensmwürdiger, gebil-
deter Mann, und keineswegs das Prototyp jener
fruppigen Kolalen-Hetmanns, die in allen Witz—
blättern der Welt karrikirt, verewigt worden
find ; er war ein Anhänger der neuen Ideen, ein
Freund Herzens und Bakunin's, der zwar
an der Campagne gegen Ungarn teilgenommen,
doch ſeine Sympathien für die „noble Nation“
bewahrt Hat; — ih habe nur den Einwurf
gegen diefe Heirat zu machen, daß die Baronin
erft dreiundfünfzig, der Baron aber bereits
dreiunddreißig Zahre zählte.
Die Fürftin Wolozoff blieb auch nad) ihrer
Heirat Patriotin, obwohl fie zu den früheren
Zwecken nicht mehr io viel verwenden konnte:
— —
doch wurde ſie dafür durch die freiſinnigen Worte
des Fürſten entſchädigt, mit deren Verbreitung
ſie auch keineswegs karg umging.
Ein halbes Jahr nach der Heirat ſtarb die
Fürftin.
Damals gab es ſchon Geſetze, melde das
von den Ahnen erworbene Befigthum nicht mehr
an den Namen der Familie banden; jeder Ein-
zelne konnte frei über das ihm gehörige Gebiet
verfügen. Die Fürftin hatte ihr ganzes Ber:
mögen dem Fürften vermadt.
Auch dies führe ih nit als Vorwurf an,
der Fürſt war bemüßigt, — wie man all:
gemein ſprach — um das ungariihe Indigenat
erlangen zu künnen, feinen ungeheuren Befigungen
in Rußland, welhe mehrere taujend Quadrat—
meilen umfaßten, zu entjagen,; auf diejen Be—
figungen hatte er über drei Millionen Unter:
thanen, welche er für hundert Rubel per Stüd
verkaufen durfte; die Befigungen trugen ihm ein
Jahreseinkommen von 10 bi3 20 Millionen. —
Ob dieſe Zahlen genau und pünftlih angegeben
jind, kann id nit verantworten; dod hat man
mir in gut unterrichteten Kreiſen jo berichtet ;
und id war eben in der Laune, Alles zu glauben,
mas man wollte. |
Seitens des Fürften war es demnad ein
wahres Opfer, den Beſitz eines elenden ungari—
— 40 —
ſchen Gütchens anzunehmen, welches kaum zwanzig-
tauſend Joch betrug.
Bei der Inſtallation fungirte Fertöy als voll⸗
ziehende Macht.
Auch darüber habe ich nichts Beſonderes zu
bemerken.
Der Fürſt hatte noch bei Lebzeiten ſeiner
Gattin zwei „Niecen*, ganz liebenswürdige und
hochgebildete Fürftinnen, in feinem Kaſtell.
In welcher Samilienverbindung dieje zum
Fürſten ftanden, damit fann id in der Schnellig:
feit nicht dienen, da man e3 bon mir nidt ver—
langen kann, dag ih, durch alle Hinderniffe mid
Ihlagend, nah Moskau reife, um dort im Kreml
das goldene Bud) des rufliihen Adels aufzuihlagen
und nachzublättern, in weldher Linie die Fürftin-
nen Dlga und Feodora mit dem Fürftenjtamme
Molozoff verwandt find; — wir thun demnach am
beiten, wenn wir uns damit beruhigen, daß Dlga
und Feodora wirklid) die Niecen Wolozoff's find.
Beide find fürftlihe Schönheiten, die Eine
blond, mit runden, vollen Formen, die Andere
brünett, blaß und ſchlank.
Die Fürftinnen Dlga und Feodora ftatteten
nad der Suftallation der Frau von Fertöy einen
Beſuch ab und Iuden fie zum Gegenbeſuche ein;
die Schidlidfeit verlangte c3, daß Seraphine die
Einladung annahın. Seraphine braudte demnach
nicht einmal nad Warſchau zu reifen.
a HE
Doch verleumden wir Niemanden im Vor:
hinein. Ferlöy ging ja ſtets mit feiner Gattin;
und der Fürft war ein Mann von edlen Herzen,
er trug noch ſechs Monate nah dem Tode feiner
Gattin Kleider von graumelirtem Tuche und
machte einen wahren Kultus aus dem Andenlen
der BVerftorbenen.
Troßdem mar es jeinen Gäjten gejtattet,
ſich nach Herzensluft zu unterhalten.
Fertöy machte ſehr häufige Beſuche im
fürſtlichen Schloſſe, und vergaß nicht nur ſich
ſelbſt, ſondern auch ſeine Gattin auf längere
Zeit dort.
Der Fürſt war ein ſehr ſchöner Mann, eine
weibliche Schönheit in Mannesgeſtalt.
Er hatte einen ritterlichen Wuchs, ein fei—
nes, glattes Geſicht, blaue Augen, einen ſchönge—
ſchnittenen Mund und volle blonde Haarlocken,
wie man Adoniſe zu malen pflegt.
Er hatte auch das vollſte Bewußtſein ſeiner
Schönheit und hütete dieſe ſo ſorgfältig, wie der
Mann der Bibel das ihm anvertraute Talent,
über deſſen fruchtbare Verwendung er Rechnung
ablegen muß, wenn das Ende der Zeiten heran—
rüdt.
Die ganze Welt jprad) bereits darüber, daß
zwiihen dem Fürften und Seraphinen ein gewij-
ſer Herzensbund bejtehe, und zwar mit Eimvilli-
gung des Gatten. Vielleiht war es nod nicht
_ 2 —
10; aber die böjen Zungen eilen dem böjen Ge-
danfen ftet3 voraus, |
Die Fertöy's brachten ſehr viel Zeit im
Schloſſe des Fürften zu.
Manchesmal geihah es, daß fih der Fürſt
und Fertöy auf die Jagd begaben und die drei
Damen: Dlga, Beodora und Seraphine allein
blieben.
Sonderbar ſchien es, daß ſich Seraphine in
der Geſellſchaft der beiden Niecen nicht wohl fühlte.
Wenn fie mit ihnen allein blieb, überfam fie ftet3
eine Antipathie, eine Aufregung, worüber fie ſich
feine Rechenſchaft geben konnte.
Sobald fie es demnach thun konnte, ent:
wiihte fie in den Garten, nahm irgend einen
Roman mit, und jekte fih in ein Bosquet, um
zu lejen oder zu träumen, bis fie von den Für:
fiinnen aufgefuht und unter Laden und Scher—
zen. in's Schloß als Deferteurin zurüdgeführt
wurde, |
Oder fie jah ftundenlang zu, wie der Gärt-
ner zwiſchen den Blumenbeeten arbeitete, wie er
pflanzte und jätete mit Aufmerkſamkeit und Geſchick.
Der Gärtner war Einer von den Bedien-
fteten, bezüglich welcher die verftorbene Fürftin
legtwillig wünjdhte, daß fie niemals aus dem
Dienfte entlaffen werden dürfen, und deren Be-
zahlung fie in einem unantaftbaren Fideilommiß
ſicherte.
Er
Er war nody ein junger Burſche, faum 25
bi5 26 Jahre alt; er hatte ein glattrafirtes
Geſicht, war vermuthlich deutihen Urſprungs und
‘prad aud nur deutih. Er trug eine flahe Muͤtze
mit langem Schirm und eine grüne Bloufe.
Seraphine Ihaute dem Manne lange zu
und fragte ihn nad) dem Namen der einen oder
anderen Blume. Der Gärtner antwortete ihr auf
Alles mit pflihtihuldiger Bereitwilligkeit.
Einmal, als die arbeitenden Taglöhner
ziemlich weit entfernt waren, ſprach Seraphine
den Gärtner an:
— Wie heigen Sie?
— Friedrid.
— Lieber Friedrih, haben Sie die Güte,
mir jene blasgelbe Roje zu pflüden, ich fürchte,
mir die Hand an den Dornen zu verlegen.
— Die gelbe Roſe hat keine Dornen.
— Dann pflüde ich fie felbft.
Seraphine pflüdte die Role, der Gärtner
jekte ſeine Arbeit fort.
— Leber Friedrih, warum hat diefe Roſe
feinen Duft? In Italien habe ich duftende Roſen
diefer Gattung gejehen ?
— Hier verlieren fie den Duft, den fie im
eigenen Vaterlande haben.
— Willen Sie, wie man die Roſen wie—
der duftend mahen kann? Kommen Sie ber, ich
werde es Ihnen zeigen.
— Bi
Der Gärtner trat näher.
— Geben Sie At!
Seraphine hatte bisher deutih geſprochen,
jegt ſprach ſie ungarisch, aber fo feife, das man
fie kaum verſtehen konnte.
— Mein Freund, Sie ſind ſchlecht maskirt.
Der Gärtner blickte ſie erſchrocken an.
— Schon zwei Menſchen haben Sie erkannt;
der Eine bin ih, der Andere Fertiy . . . Sie
find Bela Lavay...
Der Angeiprodene erjtarrte bei der Nen—
nung dieſes Namens.
Glaubte er dod, er ſei hinter dieſer Maske
jo gut verborgen. Wer hätte ihn in dieſer Ge—
jtalt erkennen ſollen, wenn niht das Auge deifen,
der liebt, und das Auge deſſen, der haßt?
— Kommen Sie mir nah in’3 Glashaus,
— flüfterte Seraphine ihn zu.
Der Züngling folgte ihr mechaniſch.
Hier im Schatten der grünenden Pflanzen,
von Niemandem bemerkt, legte Seraphine alle
Zurüdhaltung ab und wurde ganz — Weib.
Sie ergriff die Hand des jungen Mannes,
welche gebräunt und ſchwielig war, und bevor er
e3 verhindern konnte, bededte jie dieſe Hand mit
Küſſen. Dann brad ſie in Thränen aus,
— Die Hand joll jekt niedere Arbeit verridy-
ten. Im Erdreich ſoll jie wühlen, dieje Hand, die
berufen war, den Himntel herabzubolen.
— —
— D, Madame, — ſprach der Füngling, —
die Erdarbeit ift die fühefte, und. das grüne Laub
ift der befte Freund.
— Aber Sie dürfen nicht lange bier blei—
ben, — ſprach Seraphine heftig und trodnete mit
ihrem Spigentudhe Augen und Wangen. — Ich jah
das Geſicht Fertöy's, als er Sie lange betrad:
tete — damals Ihöpfte er blos Verdacht; ein:
mal aber blidte er Ihnen plöglih in's Geſicht,
da erkannte er Sie. Ich beobachtete ihn und
weiß, daß er fie fennt. Nur daß der Fürft ihn
auf die Jagd mitgenommen, bat es verhindert,
daß er Ihnen bis jet nicht geihadet; wenn Sie
ihn bier erwarten, jo find ‚Sie verloren.
— Ich danke, Madame, aber ih bin auf
Alles gefaßt.
— Auf Alles ?
— a! — und bei diefen Worten zog er ein
Iharfgeihliffenes Meſſer aus der Taſche und
zeigte es Seraphinen.
Bevor man mich gefangen nimmt, habe ich
einen freien Mann aus mir gemacht.
— Aber mein Gott, mit was für Gedan—
fen tragen Sie ſich? Sie gehen mit einem ſchar—
ten Meffer zu Bette,Zund tragen den Tod über dem
Herzen. Darüber fann man wahnfinnig werden!
— Nicht DoH,F Madame; diefer Gedante
maht den Menſchen zum Gott. Der ift ein gar
großer Herr, der da weiß, daß er fterben kann
wann er will.
— Nein, nein, nein; das ift nicht wahr,
Das it die Sache feiger Menihen — der tapfer
Mann kämpft. Mid kann dies Los nit treffen,
dern ich bin ein Weib, ſchwach und feig; Sie
aber find ein Mann. Geben Sie mir das Mefler.
— Mas intereflirtt es Sie, Madame, ob
ich früher oder jpäter fterbe ?
— Sie behandeln mich verächtlich, und
glauben, daß Sie im Rechte find. Sie haben
unrecht. Alle Welt verwünſcht, verleumdet und
verurtheilt mid, und alle Welt bat Red,
nur Sie find im Unrecht. Nur Sie dürfen mid)
nicht verurtheilen. Sie wiffen, warım. So oft
man auf mic tritt, wie auf einen kothigen Stein,
müſſen Sie daran denken, daß Sie aus dieſem
Stein einen Diamant hätten ſchaffen können. Ich
liebte Niemanden — Niemanden und niemals.
Sie willen es gut, Sie kennen mid) jeit meiner
Kindheit, was ich für meine Mutter fühlte, das
war Furcht; was an meinen verftorbenen Robert
mich knüpfte, das war grenzenloje Achtung; mas
mich meinem jegigen Gemal in die Arme führte,
das war falte, eitle, weibliche Intrigue. Mer
weiß, was nod aus mir werden kann? Das
Sündenregifter ift noch nicht vol. Aber Einen
liebte ich, liebte ich wahr und innig, mit ganzem
Herzen und ganzer Seele, wahr und inniglid.
Daß ich ihn liebte, es ift wahr, denn keiner Seele
Jagte id) davon. Aber — das ift nun vorüber.
Auf Bela machte dieſe Szene einen ſchmerz⸗
lichen Eindruck; er hätte ſich ſo gerne davon
befreit.
Seraphine erfaßte ſeine Hand.
— Wenden Sie ſich nicht ab von mir.
Sie wollten mein Richter ſein: ſo hören Sie
denn, was ich beichte, und urtheilen Sie dann.
Ich habe nicht mehr das Recht, Jemandem zu
ſagen, daß ich ihn liebe, denn ich ſagte dies ſo
oft, wenn es nicht wahr geweſen; aber es gibt
einen Gedanken, der mich mehr niederdrückt und
zermalmt, das iſt der Gedanke, daß es noch ein
Weib gibt, welches ihn mehr und wahrhaftiger
liebt, als ich, das ſich ſeiner Liebe in dem Maße
würdig machte, als id fie verſcherzte. Sehen
Sie, diefer Gedanke tödtet mich und dieſen Ge—
danken kann ich nicht verichweigen. Sie müffen
bon bier weggehen. Sie müffen, nicht weil man
Sie hier gefangen nehmen fünnte, denn ſchließ—
lid) babe ich Verbindungen, um Ihrem Schidjale
auch in dieſem Falle eine andere Wendung
geben zu fünnen; aber Sie müfjen weg von
bier, weil man in dieſem Kaftell in kurzer Zeit
Ihre Gattin verleumden wird, weil fie von den
Dienftboten begeifert werden wird und Sie es
dann anhören müſſen.
— Judith! — ſchrie Bela heftig auf,
Zen AU:
— Beruhigen Sie fih. Man verleumdet fie
unberdienter Weile. Ih Tage es Ihnen. Ach
reiße ein Stüd aus meinem Herzen, . indem ich
Ihnen fage, daß man Judith unſchuldiger Weile
verleumdet. |
D! mir thäte es ſehr wohl, wenn
fie wirklich ſchuldig wäre; -wenn ich jagen könnte:
jest fannft Du wieder wählen; doch es ift nicht
wahr, Judith ift jo rein und treu wie ein Engel.
D ! fühlen Ste meine fürdterlihe Bein, Ihnen das
jagen zu müffen ?
— Ich danke, — jtammelte Bela, indem er
feine Hand der zitternden Dame entgegenftredte.
— Gehen Sie, wie glüdlih ih bin? An—
ftatt die Faͤden, welche Sie an Judith fnüpfen,
zu zerreißen, helfe ich noch fie fefter zu knüpfen.
— Und wer verleumdet fie? — fragte Bela
begierig.
— Sprechen wir von Ihnen; Sie müflen ſich
- darum befreien, um fie vertheidigen zu koͤnnen.
Sie müfjen leben, weil eine Frau, welde Sie
lieben, Ihres Schußes bedarf. Uebergeben Sie
mir nun das Mefler ?
Bela zog den in ſeinem Buſen verbor-
genen Stahl hervor und übergab ihn lautlos
Seraphine.
— Gehen Sie, das ift doch irgend ein
Seihent von Ihnen. Wohl heißt e8, e3 jei kein
==, 0/2
gutes, Zeihen, wenn Freunde einander Meffer
ihenfen ; dod ih nehme aud) das an. Sehen Sie
wie thöriht ih bin. Statt mid zu freuen, daß
ein fteinhartes Herz, ein faltes, erbarmungsiojes
Herz durch einen noch fälteren Stahl durchbohrt
werden Soll, ftelle ih mid zwiſchen den Stahl
und das Herz. Kann ich etwas dafür? Doch jetzt
hören Sie an, welden Plan ich ausgedacht habe, .
Ihnen zur Flucht zu verhelfen, damit Ste wieder
mit Ihrer Frau zufaminentreffen fünnen.
Jetzt wandte Seraphine ihren Blid von
Béla's Antlitk ab; bis dahin waren ihre Augen
auf fein Geſicht geheftet, als fie aber von Judith
und feinem Zufammentreffen mit ihr zu ſprechen
anfing, begann die ‚Freude den Blid des jungen
Mannes zu erhellen, da lauſchte er jedes Wort
begierig von Seraphinens Lippen ab, welche wäh-
rend des Sprehens fo jhön waren, und Gera
phinen that diefe Freude jo weh; fie hatte fie
verurfacht, doch wollte fie es nicht fehen.
— Hören Sie aljo meinen Plan, er ift
einfach und leiht ausführbar. Unweit von bier,
auf der Pußta Hammwas, wohnt eine gute Freun—
din von mir; es ift die Gräfin Szeplali. Die
Gräfin ift Witwe und bat einen einzigen Sohn
Sie bat mid, ihr Jemanden von meiner Bekannt.
(haft zum Erzieher für ihren Sohn zu empfeh—
len. Derjelbe muß ein geborner Ungar ein,
jedoch engliih und franzöfiih ſprechen. Als ic
4
Audere Zeiten, andere Menfhen. III. Band.
a >50
Sie heute Morgens troß Ihrer Verkleidung er—
fannte, war es mein Erftes, der Gräfin zu ſchrei—
ben, daß ich einen entiprehenden jungen Mann
gefunden habe. Ihr Name ift bon nun an:
Albert Komaromi. Sie werden noch diefe Nacht
abreijen, der Wagen wartet im Wirthshauje am
Ende des Dorfes. Den Empfehlungsbrief habe ich
bei mir. In zwei Tagen reift die Gräfin nad
der Schweiz, und Sie entfliehen mit ihr aus die—
jem unglüdlihen Lande. Nad zwei Monaten wird
die Gräfin einer Geſellſchafterin benöthigen, die
fie auf ihren Reifen begleitet, und eines ſchönen
Tages wird dann Judith an Ihrer Seite jein.
Seraphine fühlte einen warmen Händedrud.
Sie erwiederte ihn jedody nicht, fie empfand feine
Freude darüber wußte, fie es doch gut, daß er
nit ihr gegolten.
— Wer wird dann Anftoß daran nehmen,
wenn ſich der Erzieher und die Gejellichafterin
in einander verlieben ? — fuhr Seraphine krampf—
haft lahend fort; — die Gräfin wird ihr
Glück gewiß nit zuzhemmen ſuchen.
Seraphine fiel in ihren gewohnten ſarka—
ſtiſchen Ton zurück.
— Gefaͤllt Ihnen mein Plan?
Béla nickte ſtumm, daß er ihn annehme.
— Und jetzt „lieber Fritz.“ — weg mit
allen ſentimentalen Ideen: wir kennen uns aber—
mals nicht mehr; gehen Sie zu Ihren Azaleen,
u a
warten Sie Ihren Herrihaften mit Bouquets
auf, Abends jehen Sie dann zu, daß Sie fi)
aus dem Staube maden.
In dieſem Augenblide nallten zwei Schüffe
in der Nähe des Glashaujes.
— Mein Jeſus! rief — Seraphine aus, im
unbedadhten Momente des Schreckens ſich auf die
Bruft Bela’s mwerfend, mit beiden Händen deffen
Geſicht verdedend, als wollte fie ihr mit ihrem
eigenen Körper Ihüßen.
Das zweifache Gelächter, welches draußen
eriholl, Tollte al8 Beweis dienen, daß man den
Auffchrei gehört und daß der Spaß volllommen
gelungen jei.
| Der Fürft und Fertöy fehrten von der
Jagd heim, und als fie, durd den Park kom—
mend, fihb dem Glashauſe näherten, war der
Fürft e8, welder die Stimme Seraphinens er—
fannte. Man glaubte, das jie in Gejellichait
der Fürftinnen Olga und Feodora jei und mit
diefen ein Geipräh führe, worauf Fertöy ein
Jägerſtückchen ausführte und feine Doppelflinte
Iosfeuerte, um den Damen eine angenehme Emo:
tion zu verſchaffen.
Durch die dichten Blumengruppen und ge—
blendet von der Sonne, welde auf die Glas—
ſcheiben ſchien, konnten fie nicht bemerlen, wer
drinnen ſei. |
AS die Herren zur Thüre gelangten, hatte
4 *
=. BB
Seraphine bereit3 wieder ihre Rolle aufgenom=
men; fie ſchritt mit Tiebenswürdigem Trotz den
beiden Nimrods entgegen, und verlangte zu
wiffen, wer der Unglüdlidhe geweſen, der den
Schuß abgefeuert ?
Der Fürſt verrieth es, daß Bertün es ges
weien.
— Ihr Glück; denn Ihnen, Fürft, hätte
ih e3 nie verziehen. —
| — Und Ihrem Gatten verzeihen Sie es?
— fragte der. Fürft ſcherzend.
— D, wenn ich weiß, daß er mich ſchrecken
will, habe ich feine Furcht.
— Und find Sie wirklih erihroden ?
— Wie nit?! Wenn außer dem Gärtner
Kemand. Anderer hier gewejen wäre, würde ih
ihm unbedingt ohnmächtig in die Arme gelunfen
fein. |
— Iſt alfo wirklich Niemand font als der
Gärtner hier? — frug Fertöy herumipähend.
— Reine Seele, — erwiederte Seraphine. —
Die Gärtner zählt man in Mostau nicht zu
den Seelen, nit wahr, Fürſt? ... Ich Habe
Bouquet3 für uns beftellt. |
— O ſchoͤne Gnaͤdige ſprechen Sie nicht,
jo verähtlih von, meinem. Gärtner. Er ift mir,
von der gottjeligen Fürftin als gut erzogener
Junge beſonders anempfohlen worden.
u BR
Seraphine erihrat ſichtlich; — der Fürft
hatte ein gefährtihes Thema berührt.
Fertoy brach in Tpöttifches Gelächter aus.
Der Fürft war der Meinung, dab Fertöy
über ſeine Bemerkung lache.
— Belieben mir zu glauben, dag ein
Gärtner jehr viel „Latein“ verstehen muß. Ich
verftehe niht um die Welt die Hälfte von dem,
was diejer Junge weiß, trogdem, dag ich einen
‚Hormeifter“ gehabt, der mich feiner Zeit jehr
ftart mit den Wiſſenſchaften marterte. Ih muß
mich oft über das riefenhafte Gedächtniß meines
Gaͤrtners wundern, welcher all’ die tanfend Pflan-
zen und Blumen beim Namen zu nennen weiß.
— Ah, das ift unmöglid ; fiel Zertöy ein,
pilleicht jagt er nur das, was ihm eben einfällt.
— Au eontraire! er nennt jede Blume
beim rechten Namen.
— Na, da könnte ih ihn in's Eramen
nehmen, denn aud ich bin ein großer Botaniker.
Seraphine begann Bojes zu ahnen. Sie
wußte es, daß Fertoy nichtsweniger als Bota-
niler fei. Er wollte offenbar mit dem Jungen an=
binden. |
— Belieben zu vertuhen! — empfahl ber
Fürſt. — Lieber Friedrih! Zeige diefem gnädigen
Herrn, daß Du Dein Metier verſtehſt.
Auf dieſe Art produziren große Derren ihre
dreflirten Hunde.
> ur
Die Herrihaiten traten in's Glashaus.
Boran Schritt Fertöy, Hinter ihm Bela als
Särtner, dann kamen der Fürft und Seraphine
neben einander.
Seraphine betrachtete Bela mit bejorgtem
Blick, doch beruhigte fie fi bei feiner erften Be:
wegung; Bela jpielte feine Role meifterhaft und
hätte auf dem Xheater fiherlid Triumphe
geerntet.
Bor Allem nahm er als gut erzogener
Diener die Mütze vom Sopfe, während die Herr:
Ihaften bededt blieben; da bemerkte Seraphine
erit, da Bela auf dem Scheitel derart fi die
Haare abrafirt Hatte, daß fein Geſichtsaus—
drud einen entihieden fremden Typus annahm.
Dabei z0g er den Hals gerade jo in den Rock—
fragen hinein, wie es gelernte Gärtner zu thun
pflegen, wahrſcheinlich deshalb, damit ihnen die
Raupen nicht in den Hals fallen. Was er
deutih ſprach, war in einem Lerchenfelder Dialekt
gehalten, jo daß ihm Niemand anmuthen konnte,
er hätte dieſe Sprade in irgend einer Schule ges
lernt. Was ihn am unlenntlihften machte, war
feine $reundlidfeit und Demuth, denn nie hatte
man ihn in anderen Zeiten al3 demüthigen Men-
Ihen gekannt.
Mit größter Bereitwilligleit und fließend
zitirte er die Namen der verſchiedenſten Pflan-
zen, wie es eben Fertöy von ihm verlangt hatte,
eu Be
welcher fih im Anfang damit begnügte, die Bei-
wörter der in „us” endenden Dauptwörter auf
diefelbe Endung zu forrigiren, und Bela bejak
biebei jo viel Selbftbeherrihung, daß er ihn
darüber nicht aufzuklären ſuchte, daß in der la=
teiniihen Sprade die Namen der Bäume
und Gefträuhe dem mweiblihen Geſchlechte ange:
hören.
— Nun, — ſagte der Fürft triumphirend
— ift das nicht Wiſſenſchaft! . . Dem Fürften
verurſachte dieſe Art des „Sports” eine eben
To große Freude, al3 hätte fein Dachshund einen
Fuchs aus feinem Loche gejagt.
— Wahrlich! — ſprach Fertöy, — es ift
ſchade für Did, Freund Frik, daß Du nit
Profefſor geworden, da e3 doch jo viele Ejel in
der Schule gibt.
— MWie viele mag e3 erjt damals gegeben
haben, als Sie noch in die Schule gingen, —
bemerkte Seraphine anfpielend.
Der Fürft late, Fertöy Hatte dagegen
die gute Gewohnheit, den Nippenftoß, den er
von jeiner liebenden Gemalin erhalten, ſtets einem
Anderen weiter zu geben.
— Wie heißt dieſes Gewaͤchs da? — frug
er Bela Haftig, auf einen blühenden Stod bins
deutend.
— Dasift, bitte gehoriamft, eine Gloxinia.
— Und dies da?
u BE
— Eine Zinnia.
— Das ift eine Lüge. Dieſe ift sein
Zinnia, und jene die Glorinia.
Der Gärtner verbeugte fih tief, und
erwiederte mit ftoiiher Gelbjtbeherrihung :
— Wenn es Euer Gnaden To finden,
fann ich Nichts dagegen einmenden.
— Und was ijt das bier ?
— Mit Berlaub, eine Zebrablume.
— Woher ftammt fie?
— Aus Madagaskar, mit Verlaub!
— Aud das ift eine Lüge; ih weiß es
recht gut, daß diefe Blume nur auf den Antillen
heimisch ift, und ſonſt nirgends.
Der Gärtner ergab ſich demuthsvoll und
ſprach: „Es ift wohl möglich !”
— Was ift Dies ?
— Eine Sieus elastica.
— Hat fie ſchon Früchte getragen ?
— Bitte, dieſer Straub pflegt feine zu
tragen. |
— Dumme Rede... Ich ſelbſt züchtete ihn,
und er trug Früdte fo groß wie meine Fauft.
Dumme Reden, fage id. |
— Donner nod einmal! — fiel der Fürft
ein, Sie verftehen es ja jo prädtig, wit Dem
Geſinde grob zu fein, als hätten Sie von Kindes—
beinen an ftet3 nur mit der Maßregelung ruſſi—
her Muyils zu thun gehabt.
u BI u
Fertoy ftand in diefem Augenblide jo nahe
bei Bela, daß ſich beinahe ihre Naſen berührten.
— Nun, lieber Fritz, genug von Deiner
Theorie, gehen wir nun zur Praris über: mie
pelzt man eine Melone in eine Ananas ?
Bela gab Hierauf keine Antwort, ſon—
dern warf einen ſchiefen Blid auf den Fürften,
preßte jeine Kappe unter den Arm, zog aus ſei—
ner Weitentaihe eine Tabalsdoſe hervor, nahm
eine tüchtige Priſe und ſah dabei abermals den
Fürſten an, als wollte er fagen: ih bin nur ein
Bauer, dieler Herr ift etwas Edleres, aber jeden-
falls nur ein — „Rop.“
Seraphine war mit „Bela“ ſehr zufrieden.
Er durfte zwar den allgemeinen menſchlichen
Stolz nit verrathen, doch durfte er auch in fei-
ner Unterthänigleit nicht jo weit ſinken, daß er
nicht einmal. den ſpeziellen Gärtnerftols durch—
Ihimmern ließ, denn da3 Hätte abermals Ver—⸗
dat erregt.
Er hatte in Wahrheit jeine Rolle jo gut
geipielt, dag es ſelbſt Fertöy in Verwirrung
brachte, welcher bereit3 in jeinem Verdachte
ihwanfend wurde. „Es ift doch nicht Bela La-
vay"— dachte er. |
In dem Momente gelangten fie zu einem
prächtigen Aquarium.
In dem aus farrariihem Marmor gemeißels
ten Baflin ſchwammen auf der Aryftallhellen
u Be
Oberflähe des Waflers Pflanzen neuefter Gat—
tung, darunter eine Lotos aus dem Nil, welde am
heutigen Tage den Kelch ihrer erften Blume im
Rojalarmin mit goldihimmerndem Blüthenftaub
entfaltete, mährend die großen, dunfelgrünen
Blätter mit den rothen und gelben Adern auf
der Waflerfläche ſich ausbreiteten.
Dieje jeltene Prachtblume lenkte die Auf-
mertjamfeit der ganzen Geſellſchaft auf fich.
Diefe Ihöne Blume war es, aus deren
Kelch Fertoöy's Bosheit jenes Gift faugen wollte,
welches feinem Gegner, wenn er’3 wirklich war, die
wahre Geftalt wiedergeben jollte.
— Sehen Sie, — fagte der Fürft, — dieſes
Prachtexemplar Habe ih unter meiner eigenen
Auffiht aus dem Pariſer „Jardin des plantes“
mitgebracht, und jehen Sie, heute blüht es ſchon.
— Wie ift der Name diefer Blume? —
beeilte ſich Fertöy zu fragen.
— Lotos! Lotos! — antworteten der Fürft
und der Gärtner zu gleicher Zeit, in einem Tone,
al3 verwunderten fie fih darüber, dag es einen
Menihen geben könne, welder eine „Lotos“ nicht
auf den eriten Blick erkennt.
— Das weiß ih, das weiß ih, — fiel
Fertöy ein, — ih wolltenur erfahren, ob fie nicht
den Namen irgend einer hohen Dame trägt?
— D ja! — betheuerte der Fürft —
— —
und, ſich gegen Bela wendend: — Wie iſt nur der
Name, mir entfaällt er jo leicht?
— „Reine d'Egypte Semiramide.“
— Richtig, ſo iſt's, das iſt der Name! —
ftätigte der Fürft. |
— Ah bah! ... ſcherzen Sie nicht, Fürft,
— bandelte Fertöy in naivem Tone. — Als hätte
ich nicht bereit3 von dieſer berühmten Lotos ge=
hört, weldhe in Ihrem Aquarium auf den Namen
einer jhönen Frau getauft wurde.
— Ich bin der Meinung, daß „Semira-
mis“ einft eine genug Ihöne Frau geweſen.
— a einft, zu den Zeiten des Trium-
birat3 ; bier ift aber von einer lebenden Frau die
Nede, der Euer fürftlihen Gnaden den Hof zu
machen belichen; ... o, wir kennen das ſehr gut.
— Bei Gott, ih weiß nicht3 davon. Das
ift eine egyptiſche Königin.
— Eine Rönigin?... Da muß ih auf:
rihtig geftehen, daß ih meine Aufnerkjamleit
dieſem jet lebenden Genre nicht zumandte, wenn
nicht von Balllüniginnen die Rede tft, oder bon
Xheaterlüniginnen!...
— Na, damit laffen Sie mid in Ruhe,
daran ift nichts. Sie bringen dies nur deshalb
bor, um mich vor gewillen Ohren in Mißkredit zu
bringen.
— Ich weiß, was ich weiß, Fürft. Sage
mir einmal, Meifter Brig, den wahren Namen
3. WO ie
diefer Blume; zu welcher Zeit Hat fie der Fürft
auf den Namen einer jehr, jehr jchönen Frau ge=
tauft? Nun befenne! ... Dder ſoll ih Deinem
Gedaͤchtniſſe zu Hilfe fommen ?
Seraphine bemerkte mit zitternder Angſt,
wie ſich Bela aus feiner demüthigen Stellung
emporrichtete, wie jeine Gefihtszüge den urfprüng-
tihen ftolzen Ausdrud annahmen, und wie er
feine Mütze trogig auf den Kopf jekte.
Fertoöy neigte fi) mit einem daͤmoniſchen
Hohnläheln gegen ihn.
— Nun, Meifter Frik, heißt dieſe moderne
Schönheit niht etwa: „Reine du theatre Ma-
dame Lävay..... *
In dieſem Momente verſetzte der Gaͤrtner
dem Fragenden einen ſo derben Fauſtſchlag in's
Geſicht, daß derſelbe rücklings in das Aquarium
ſtürzte, mit ſeinem unverhofften Beſuche alle egyp⸗
tiſchen Königinnen des naſſen Königreichs zu Tode
drückend, während fi der Gärtner mit Blitzes
Ichnelligkeit dur das offene Fenſter des Glas:
hauſes ſchwang. |
Der Fürft, über die Szene empört, griff
nad jeiner Büchſe und zielte nad dem Flüchtling.
Bevor er loshrennen konnte, faßte Sera:
phine jeine Hand und rig den Lauf des Geweh—
tes bei Seite.
Der Fürft fam aus feiner VBerwunderung
nicht ‚heraus, Ein Bauer verjegte einem Herrn
el
ohne jeglide Urſache einen Fauftihlag, er will
ihn deshalb züchtigen, und die eigene Gattin des
Mißhandelten hält die ftrafende Hand zurüd,...
Wie fol man das verftehen... Im nädften
Augenblide war der Frebler im Gebüſche ber:
ſchwunden.
Zum Gluück konnte Fertöy, welcher ſich mitt—
lerweile auf dem Grunde des Miniaturmeeres be-
fand, nichts von der Szene bemerken, und als
derſelbe nad einigen Minuten gleich einem Waſ⸗
fergott. mit. von Moos und Schilf bededtem
Haupte aus den. Fluthen taudte und zu. huften
und ſchnauben begann, fand der Fürft die Szene
fo ergöglih, daß, er darüber. den Tod jeiner „Se:
miramide“ und den Flüchtling. vergaß.
Was Zpiel, und was kein Spiel if.
Erinnert ihr Euch noch jener traurigen
Zeiten, wo man ſich in grobe Bauerntracht
Eleidete, in wirklide Bauerntracht, welche nad) Fett
roh, wo mangroße plumpe Stiefel trug, und zum
Kutiher oder zum Aderfneht wurde; mo der
Gelehrte, der Dandy Bferde ftriegelte, oder
Ochſen trieb.
Und wenn man fie troß ihrer Verkleidung
erfannte, gingen fie weiter, gaben fi für einen
andern Bauer aus, und nahmen in andern
Häufern Dienft.
Menn man von Einem in der Gegend zu
viel ſprach, da nahm er den MWanderftab und
ging, um der Welt auszumweihen, in die Wälder,
in die Gebirge, auf Stegen, welde das Hochwild
duch das Didiht gebroden.
Borfihtig wurde jedem Dorfe ansgemwichen,
bis man erfuhr, was für Volt es bewohne, ob
man feine Sprade verftehe, ob es dem Ungar
nit feindlih gejinnt, ob feine Gensd’armen
— OB
im Orte feien. Man kehrte nur in den Äußer-
ften Häufern ein, und vermied jorgfältig jedes
Shindeldad).
Die armen Flüchtlinge verkrochen ſich in
der Tiefe des Waldes in Baumhöhlen, um dort
dem Braufen des Sturmes und dem ängftlidhen
Pochen des eigenen Herzens zu laufen... Sie
irrten in finfteren ſtürmiſchen Nächten, wo jelbft
die Raubthiere in ihre Höhlen fi) verkriechen,
und jegneten das Unwetter, welches fie mit
feinen unheilvollen Schwingen vor ihren Verfol—
gern ſchützte.
Dod was war das Wetter, was die grim—
migen DBerfolger, was die Ohnmacht des Körpers
gegen das, was in der Seele der Flüchtlinge
vorging. . . Der Gedanke an eine verlorene Ver—
gangenheit und das Geſpenſt einer marterbollen
Zukunft. Das waren die Schatten, welche ſich
an ihre Ferſen befteten. Die Hekhunde der
Seele, die fie von allen Seiten anbellten, fie
würgten und zerfleiihten, und feine Raft und
Ruhe gönnten.
Wenn erit der Flüchtling eine junge Gat—
tin zu Haufe hatte! Eine junge Gattin, der fich
der Gatte niht nähern „darf.“ Wie lange
währt die Treue des Weibes? Iſt überhaupt
etwas Wahres an diefer Treue? ...
Diejenigen, die ſich dieſer Zeiten erinnern
können, an jene Gefühle zurücddenten, unter deren
64 i
Eindruck die Geſchichten, die ih Hier erzähle,
entftanden, werden e3 begreifen, daß mit einem
ſolchen Stachel im Herzen, wie Fertöy einen in
das Herz Bela’3 flieg, man nicht hingeht, um
eine ruhige Erzieherftelle anzunehmen, und abzu=
warten bis die Gattin nahlommt, Tondern man
befragt die Sterne des mädhtigen Himmels, wo
der Süden ift, und tritt die ſchleunigſte Heim—
fehr an.
Zwei Wochen vergingen, bi3 Bela von jo
großer Entfernung auf Ummegen, wand;mal
tagelang verborgen, oft auf Irrwege gerathen,
die Hauptſtadt erreihen konnte. Die lekte Nacht
brachte Bela in den Lehmgruben der Kerepeicher
Ziegeleien zu.
Zu feinem Glüde trat Regenwetter ein,
und Bela konnte bi3 auf die Haut durdnäßt, in
feinen kothigen Kleidern fi) zwilhen eine Truppe
von Taglühnern mengen, die man ungehindert
die Mauth pafliren ließ.
Er eilte ftral3 zum Nationaltheater, ob:
glei er fi) gerade vor diefem Drte hüten follte,
da er dort die meilten Belannten hatte... Wer
würde ihn aber in feinen fothigen Lumpen er-
fennen ?
Am Thore war ein großer Zettel ange-
Elebt, und er konnte beim Scheine der Lampe
deutlich leſen: „Benefiz-Vorftellung der Frau
Zävay“.
— 65 —
Er fühlte nicht mehr das kalte Peitſchen des
Regens; Körper und Seele wurden von hölliſchem
Feuer erfaßt.
Heute iſt alſo Judith's Benefiz! deßhalben
eilen ſo viele Leute, trotz des böſen Wetters ins
Theater, deßhalb rollen ſo viele glänzende Equipa—
gen vor das Thor... Und gegen einen Jeden em—
pfand Bela die glühenfte Eiferfucht, überhaupt wenn
jie in Equipagen kamen.
Er wartete an die Mauer des nachbarlichen
Haufes gelehnt, auf den Beginn der Vorjtellung,
und betrachtete die Gefihter der Kommenden, wie
fie durch den Lampenſchein auf einen Augenblic be-
leuchtet wurden. Viele jeiner Bekannten gingen vor-
über, doch Seiner ſah ihn an.
Judith mußte fchon längjt drin fein, um ſich
anzufleiven.
Ein Gärtnerburſche geht mit einen großen
Bouquet vorüber, welches er mit feiner Schürze
verdeckt. Diejed Bouquet ſchickt gewiß „Demand“
an Judith.
Wie wandelte e8 ihn an, ven Mann am Kra—
gen zu fallen, ihm den Blumenjtrauß zu entreißen
und denjelben im Koth zu zertreten. Da hätte er
aber erſt erfahren, daß es fein Gärtnerburſche, jon-
dern ein Theater-Diener ſei, welcher feinen Blumen—
jtrauß, jondern ein Glas Bier für irgend einen Cho—
Andere Zeiten, andere Menfchen. II. Banb. 5
riften, welchen die Hite im Theater burftig gemacht,
unter feiner Schürze trägt.
Bald begann die Mufif. Der Schall ver gro-
fen Trommel drang auf die Straße hinaus. Es
wird ſomit die Vorftellung bald beginnen.
Bela war im Geifte jelbft anweſend in den
bi8 zum Erbrüden gefüllten Haufe, und wartete,
daß der Vorhang aufgehe. Der Beifallefturn, ver
auf die Straße drang, zeigte an, baß Judith die
Bühne betreten habe. Wie lange man ihr entgegen-
klatſcht. Wer diefe Begeijterten wohl fein mögen ?
Die fie heißen, warum fie klatſchen, was für Recht
fie haben ?
Dann trat Stille ein, das Publikum lauſchte
dem Spiele und der Deflamation Judith's, das
übrigens Niemand mit fol gefpannter Aufmerf-
famfeit, als Bela draußen, ber weder fieht, noch hört,
aufnimmt. Jede Kutſche, die die Straße hinunter—
rolfte, erregte feinen Aerger: warum ftörd fie auch
die Aufmerkſamkert der Zufchauer zu folder Zeit ?
Und von Neuem erdonnert der Applaus.
Bielleiht gilt er diesmal nicht Yubith, fondern
ficherlid) einer Zweiten, Dritten, die vor die Lampen
getreten. Bela ift aber trogdem auf jeden Applaus
fo eiferfüchtig. — Darin brüdt ſich die Liebe aus,
die durch die Wuth gefteigert wird, und der Stol;,
der mit der Erniedrigung kämpft. Jeder Beifalls-
fturm, den der Gatte vernimmt, verkündet ihm, daß
nr a
diejenige, die er liebt, in diefem Momente Königin
und Dienerin ift, die Königin des unabhängigiten
Bolfes, und die Dienerin des despotiſcheſten Herrn
— des Publikums,
Er bebt vor dem Gedanken, jet d’rin zur fein
und fie zu jehen und dennoch drängte e8 ihn fo ehr,
fie zu jehen, ohne felbjt bemerkt zu werben, und in
ihren Zügen die Wahrheit zu prüfen, damals, wenn
fie fich verſtellt.
Wenn man nur ein Eintrittsbillet befommen
fönnte, ohne daß er zur Kaffe gehen müßte, wo man
ihn im Augenblide erfennen würde, Wie aber das
anjtellen ?
Bielleicht trifft fich gegen das Ende ber Vor-
ftellung dennoch ein fo vortreffliher Menſch, der ein
friſches Beefſteak Höher ſchätzt, als die Hinrichtung
der Bühnenhelden und dieſelbe dennoch verläßt.
Bon einem fo groben Jungen könnte man das Re—
tourbillet verlangen. — So ift e8 im Thore bes
Theaters üblich.
Schon nach dem dritten Aufzuge kamen in ber
That einige Marodeure unter großem Lärm heraus.
Bela ballte die Fauft und wollte ihnen entgegeu=
gehen, wahrfcheinlich,um mit ihnen anzubinden, iva=
nm fie fo zeitlich das Theater verlafjen.
— Die Hite drin ift unausftehlich ! Ich Tonnte
mich nicht weiter vordrängen, als bis zum Thürvor⸗
bang, und von da aus fah ich nichts. Und doch bin
5*
— 68 —
ich nur zu dem Zwede in Beit geblieben, um Madame
Lävay zu jehen.
Bela verzieh ihnen und lehnte ſich wieder an
die Thürpfojten.
Wieder fam Jemand aus dem Theater. Der
fam wahrfcheinlich blos vom Hofe her, denn jeine
Zigarre brannte. Bela bemerkte dieß nicht. Er zog
jeine Mütze tief in die Augen und jprach den An-
fümmling verfhämt an: „Sch bitte um das Re—
tourbillet !"
Der Angeſprochene mißverſtand die Bitte und
gab ihm den Zigarrenjtumpf, den er wegzumerfen
eben im Begriffe jtand, mit den Worten hin: Hier
haft du Freund, und werde damit glücklich !
— Nas wird da d'rin für ein Stüd gegeben ?
— Eine Königin, die ihren Liebhaber zum
Tode verurtheilt, weil er ein Aufwiegler war.
Dan jagte, dies joll Judith's Meifterrolle
jein. Andere behaupteten, jie werde nicht genug
treu die Verzweiflung der Frau wiedergeben, wenn
die Königin und die Geliebte in ihrem Herzen mit-
einander kämpfen; fie wird mehr Königin als Ge-
liebte jein. Auch das mußte man berücjichtigen, daß
fie erjt unlängjt aus einer jchweren Krankheit aufer-
tanden war; fie muß daher ihre Nerven jchonen.
Diele wollten ſogar bemerkt haben, daß Judith jeit
längerer Zeit jehr zerjtreut fei und erflärten vice
verſchieden.
— 69 —
So viel iſt gewiß, daR der Regiifeur fie auch
bei viefer Gelegenheit auf alle Bühnenerforderniife
aufmerffam machen mußte, damit fie nichts mit fich
auf die Bühne zu nehmen vergejje. Hier ift das
Gift — hier der Dolch, hier der wegzumwerfende
King; hier find die verfiegelten Briefe. Das alles
nennt man in dev Bühnenfprache Requifiten.
Schon war Judith im erften Afte angefleidet,
als der Regiffenr nochmals an ihre Thüre Elopfte:
— Ein Brief.
— Ich danke. Yegen Sie ihn gefälligft zu den
übrigen auf die Taffe.
— Das iſt aber fein Requiſitenbrief! er it
an Sie jelbit gerichtet; kam foeben mit der Poft und
trägt die Aufjchrift : „Dringend“.
Judith nahm den Brief in Empfang, und
erkannte im Momente die Handjchrift Seraphinene.
Draußen gab man jchon dem Orchefter das
Zeichen, aber ter Brief war dringend, fie fonnte
ihn bis dahin noch durchleſen.
Der Brief lautete :
„Liebe Judith! Ich benachrichtige Dich von
einem unglüdlichen Ereigniffe, das ich bisher vor
Tir geheim halten mußte, da ich glaubte, e8 noch
verhindern zu können. ALS ich jüngit mit Fertöh im
Kaftell des Fürften Wolozoff war, erkannte ich in
deſſen Hofgärtner Deinen Bela”.
air: SU, Suse
Judith ſchrak zufammen, als ob fie ein Blig-
ſchlag getroffen hätte. „Aber nicht nur ich habe ihn
erfannt, fondern auch Fertöy.“
Judith Tehnte fich zitternd an ihren Garde—
robetiſch. |
„Sch eilte Fertöy zuvorzufommen und fprach
mit Bela; ich rieth ihm, von dort zur Gräfin Sze-
laknay zu gehen, die ihn als Erzieher ihres Sohnes
in's Ausland nehmen werde, wohin du ihm dann
folgen könnteſt. Er ging auch darauf ein.“
Judith's Stirne zog fich in Falten zufammten.
Was haben diefe hohen Damen nöthig, Bela zu
ſchützen? Sie wußte, daß die Gräfin Szelafnay auch
jung fei.
Diejen Wolkenſchatten wijchte bald ver Sturm
von ihrer Stirne, der aus den übrigen Zeilen des
Briefes heraufbejchworen wurde.
„Die Dazwilchenkunft Fertöy’8 verhinderte die
Ausführung diefes Planes; dieſer wurde, als er
mit deinem Bela in Wortwechel gerieth, von dem:
jelben in einer Weiſe verlezt, die ein Mann niemals
verzeihen kann.“
„Bela verſchwand nach diefem Auftritte plöß-
lich aus dem Schlofje, — Niemand wußte wohin;
ich allein ahnte, daß er nach meinem Rathe fich zur
Gräfin Szelaknay geflüchtet. — Ih wollte ver
Gräfin nicht fchreiben, damit meine Briefe nicht
Jemanden auf feine Spur bringen. Zwei Wochen
———
waren ſeit dieſem Ereigniſſe vergangen, als ich von
der Gräfin einen Brief bekam, in welchem ſie mir
mittheilte, daß der von mir anempfohlene Erzieher
noch immer nicht bei ihr eingetroffen ſei. — Bela
bat fich alfo nicht dorthin geflüchtet."
Es that Judith wohl, dies zu erfahren! Aber
weiter, was weiter ?
„Daß Fertöy feinem Beleidiger nachipäht,
weiß ich gewiß.
Seine Ahnung ift mit der meinigen identiſch.
Er erweckte in vem Gatten die Eiferfucht gegen feine
Frau; Bela wird daher auf dem Lande nirgends
bleiben, er wird nad) Belt eilen. Die Eiferfucht fieht
nur einen Gegenſtand und ift gegen alles Andere
blind, deßhalb bitte ih Dich, den Kath deiner alten
Freundin nicht übel aufzunehmen, verlaſſe Peſt
je eher, fomme in unfere Gegend auf aftrolfen.
Im einer Provinzialftadt Tiefe Bela nicht jo Gefahr,
wenn er Dir begegmete, als in Peſt. Du kannſt es
am beten wiffen, warum? Dort Tennt ihn Jeder—
mann; dabei verfolgen taufend mißtrauiſche Augen
Deine Schritte und weiß e8 Jeder, daß die Spur
ren feiner Fuptritte in Deinem Hausthore enden
werben.” ...
Judith konnte nicht weiterlefen ; die Welt ver-
dunfelte fih vor ihr; fie ſank auf einen Seſſel
nieder.
Bela verfolgt und auf der Flucht zu ihr; auf
feiner Spur der geichworene Feind Beider. Wenn
ihn der Verfolger früher erreichen follte, als er mit
jeiner Frau zufanmentreffen kann. Judith fühlte e8,
daß fie unter dev Schwere diefes Gedanfens er—
ſticken müſſe.
„Das Spiel hat begonnen, es folgt nun Ihr
Auftreten! klang die Mahnung des Regiſſeurs zur
zur Thüre herein.“
Ach! in dieſem Momente fpielen l Mit dieſem
veritörten Antlige vor die Yampen treten; mit die—
jem Zittern an allen Gliedern königlichen Stolz heu—
cheln ; eine Rolle vortragen mit einem Wehrufe auf
der Zunge, der in jedem Augenblide lojreißen will;
künſtleriſche Affekte zur Schau tragen mit dem Dol-
che der Verzweiflung im Herzen !
Und doch muß es gejchehen. Du biſt ein
Sklave; aljo vorwärts bein Herr wartet.
Judith taumelte auf die Bühne. Langer Ap-
plaus empfing fie; niemal® wurde ein Ölabiator,
der vor dem Publikum fo ſchön zu fterben weiß, mit
verdienterem Beifall überihüttet. War doch auch
ſedes Wort, das Judith ſprach, ein Tropfen ihres
Herzblutes.
Jeder fagte, fie habe noch nie fo jchön
geipielt.
Selbſt die Kritik anerfannte, daß fie alle Er-
wartungen übertraf. Die Szene, in welcher fie mit
BI. VER
fich jelbft fümpfte, indem fie als Tiebevolles Weib:
Denjenigen retten will, den fie in dem Zorn der
Königin auf das Schaffot ftieß, wie treu gab fie
Judith, und wie malte ji) der Kampf des inner
und des äußern Menſchen in ihren Zügen ab.
Die fie fahen in ver Szene, wo fie allein
bfeibt und jehnfüchtig auf die Zurückkunft ihrer Ab-
gefandten wartet, die für den verurtheilten Gelieb-
ten die veripätete Begnadigung gebracht; die fie
jahen, wie die aufgeregte Fantaſie ihr die Schredens:
ſzene mit blutigen Zügen malt, und als fie zurück—
famen mit der Dotjchaft, daß die Gnade zu ſpät
gekommen, der thenere Kopf im Staube liegt, und
wie die Königin niederfinkt, die Krone weit weg von
jich Ichleudert — wer dies gejehen, der muß glauben,
dies jet der Höhepunft der Kunft, und fie Hatichten
Beifall der Schauspielerin, die die Leidenſchaft des
Weibes fo darzuftellen im Stande ift.
Aber auch Diejenigen, die fie dauu am Boden
liegen jahen, als der Vorhang bereits gefallen war,
und bie fie wahre Thränen vegießen ſahen; Diejenis-
gen auch, die fie halbtodt vom Boden aufhoben und
und in ihr Zimmer trugen, die ahnten, daß dies
mehr ſei als bloßes Spiel. Derjenige aber, deſſen
Bild Judith während des ganzen Spieles bor-
jchwebte, war jo nahe. Er ging auf und ab vor dem
Theater.
——
Zu Ende der Vorſtellung kamen die Equipa=
gen und Lohnwägen an und bildeten eine lange
Phalanx vor dem Theater.
Bela muſterte fie mit verdächtigem Blick.
Welcher Wagen wird es wohl ſein, der Judith nach
Haufe führt? Dem Wagen wollte er dann nachren—
nen und auf ſolche Weije die Wohnung Judith's
‚erfahren.
Die Vorjtellung war zu Ende, die Wägen
rollten einer nad dem Andern vor die Halle des
Theaters ; Fein einziger aber fuyr vor den Ausgang
des Anfleidezimmers.
Auch der letzte Lohnfutfcher war müde ge-
iworden, jeine Dienfte vergeblich anzubiethen, und
fuhr zurüd, die Straße wurde endlich leer.
Das thut Bela fo wohl. Judith führt alfo in
feiner Equipage; fie it alfo feine Favoritin der
großen Herren, wenn fie jelbft nach ihrer Benefize-
vorftellung zu Fuße nad) Haufe geht.
Dann gingen auch die Schaufpieler nad
‚Haufe, die ihre Rollen früher beendet hatten.
Bela lauſchte begierig, was fie von der Vor-
Stellung fprachen.
— Na das war ein guter Tag.
— Es bleiben fünfhundert Gulden „rein.“
— Das wird ein Kaſſaſtück.
Die Straße war fchon volljtändig ruhig, als
die Thüre des Ankfleivezimmers zum letzten Male
— 15 —
ſich öffnete und eine Frauensgeſtallt heraus trat, die
Bela auch im dunkel der Nacht erfannte. Er erkannte
fie an ihrem Gange, an ihrer Haltung, an ihrem
Schatten, an ihrem Tritt. Es war Judith.
Sie kam allein mit einem Dienjtboten, der
ihre Kleider in einem Korbe trug.
Es regnete unaufhörlich ; Judith mußte ſelbſt
ven Regenſchirm halten. Wäre ein galanter Mann
in der Nähe gewefen, würde ihr den Schirm aus
der Hand nehmen und ihn über ihren Kopf halten. —
Bela ftand an den Pfojten gelehnt. Judith
ging jo nahe an ihm vorüber, daß fie ihn mit den
Kleidern ſtreifte. —
Bela ſah ihr aufmerkſam in's Geficht, als fie
an der Lampe vorüber ging. Auf den ſchönen edlen
Zügen lag tiefe Betrübniß ausgegofjen. Diejes Bild
brannte fich ihm ins Herz.
Judith blickte nur ftarr von fich hin; fie naht
Bela nicht wahr.
Bela ließ fie vorangehen und folgte ihr nur
aus der Ferne, um feinen Verdacht zu erweden.
Sie ging nicht in die alte bequeme Wohnung
in die Stadt; jie wohnte jegt in einer Vorftadt. Vor
einem neuerbauten Haufe blieb fie ftehen, klingelte
und entſchwand bald darauf Bela’s Blicen.
Bela blieb noch draußen, um Acht zu geben,
was für Fenfter beleuchtet werden. Im zweiten Stod
link, Er durfte nit fragen.
_ co —
Jetzt aber mußte er jeden Schritt genau über:
legen, wie Jemand, der ftehlen geht.
Er Elingelte dem Hausmeifter.
Vor diefem muß'e er die erite Probe be—
ſtehen.
— Ich komme vom Theater, ich bin der
Diener; ich habe den Smaragdring der gnädigen
Frau gefunden, den ſie auf der Bühne verloren
hat, er lag zwiſchen den Kouliſſen, ich habe ihn ge—
funden.
Der Hausmeiſter beſah den Ring; es war
ein echter Smaragd, derſelbe Ring, den Judith am
Trauungstage mit Bela gewechſelt.
— Gut geben Sie ihn her ich werde ihn
hinauſtragen.
Bela lachte.
— Wiffen Sie, mein Freund, aud) mir wird
ein Trinkgeld gut thun, ich werde ihn jelber hinauf:
tragen. Yajfen Sie die Thüre offen, id) komme gleich)
zurück.
Er mußte auch darauf bedacht ſein, daß der
Hausmeiſter Acht gebe, daß Niemand in's Haus
komme.
— Nicht nothwendig; Sie können durch das
Wirthshaus gehen; es war auch unnöthig zu
läuten. Bekannte können durch's Wirthshaus gehen.
Der Hausmeiſter ging dann in fein Zimmer zurüd.
—
— 7 —
Beim Dienſtmädchen mußte es ſchon ſchwerer
halten, ſie mit der Rolle des Theatersdieners zu
täuſchen, denn ohne Zweifel kannte ſie ihn.
Auf den Korridor konnte er ſich nicht gut
orientiren, erwußte nicht, welche Thüre in die Woh—
nung Judith's führe,
Während er darüber nahdadhte, that fich
plöglid eine Thüre auf und Judith's Mädchen trat
heraus, mit einem Krug in der Hand; ohne Zweifel
ging e8 an den Brunnen. Die Thüre des Vorzim—
mers ſtand jetzt offen. |
Bela zog ſich bei Seite, jo daß er von dem
Mädchen nicht fonnte bemerkt werden.
AS das Mädchen vorübergegangen, ſchlich er
rasch durch die Thüre in das Zimmer, wie ein Dieb.
Im VBorzimmer brannte eine Nachtlampe, bei
deren Licht er drei Thüren bemerkte, zwei führten
in’® Zimmer, die dritte in die Küche.
Deka drücte auf die Klinge der einen Thür.
Cr befand ſich in einem Alfoven, veffen Hintergrund
ein Bett mit weißen Borhängen einnahm.
Den Alkoven trennten Vorhänge von einem
geränmigen Zimmer, welches jetzt beleuchtet war.
Bela verbarg fich Hinter den Borhängen, durch
deren Gewebe er in das Zimmer jehen fonnte. —
| Gr fah feine Frau dort figen vor einem ge:
deckten Tiſch, auf welchem ihr bejcheidenes Nacht—
mal ftand. |
u WR,
Die Speifen find unberührt, das Glas iſt
leer ; Judith ftarrte in das Lampenlicht, fie ſaß un—
beweglich wie eine Todte, und auf ihren Gefichte lag.
der Ausprud des Unendlichen, mit welchen ver
hoffnungsloſe Kummer die lebenden Züge verfteinert.
Die Augen wollen den Gedanken folgen, die über
den Gefichtsfreis hinaus jchweifen.
Die Speijen wurden kalt; die lebendige Säule
bewegte jich, fie hob ihre Hände in die Höhe und im
ihren gefalteten Händen gligerte Etwas. Es war
ein in Gold gefaßtes Medaillon.
Bela kannte das Medaillon, hatte Doch er es
Judith gegeben.
Die Frau Tegte hierauf das Medaillon auf
die Flache Hand, und als fie e8 fo lange anfah, da
thaute ihr Blick wieder auf, ihre Züge verloren bie
Starrheit, aus ihren Augen drangen Thränen und
ihre Lippen bemwegteu fich, als Tpreche fie zu vem Bilde,
als ob jie es warnte, ihm Vorwürfe machen würde.
Die beiden Hände brachten das Bild immer
näher ben ftammelnden Lippen; als e8 ihre Lippen
berührten, konnte fie fich nich länger faßen; fie ſank
ſchluchzend nieder auf das Medaillon und bevedte ven
Kopf mit den Händen.
Da fühlte fie einen Kuß auf der Hand, einem
warmen Kuf.
Erſchrocken biete fie auf: — Das Bild ftand-
lebendig vor ihr.
u WG: ae
Und e8 war ein guter Gedanfe von der Frau,
daß fie in dieſem Augenblide ihren eigenen Aufjchrer
und die Worte ihres Gatten in einen Kuß begrub.
Wie viel mußte dieſer Kuß fagen.
Wie habe ich dich erwartet, wie habe ich um
deinetwillen gelitten, wieviel träumte ich von bir,
wie liebe ih Did! Wie zittere ich, wie fürchte ich
für Did, wie bejchügte ich Dich. Wie ftarf bin ich
und wie ſchwach. Wie freue ich mich und wie fchau-
dert’8 mich bei Deiner Anwejenheit. Wie glücklich
bin ich und wie verzweifelt.
Die äußere Thüre fnarrte.
— Fort, fort ! in die innere Stube.
Judith öffnete plötzlich eine Heine Thüre die
in das Zimmer führte, daß ihr als Stubirftube
diente, und ſchob Bela Hinnein, bevor das Mädchen
eintrat.
Als das Mädchen ins Zimmer fam, faß Ju:
dith ſchon vor ihrem Tijche, und begann den Braten
zu verjpeijen.
Das Mädchen blickte rteugirig im Zimmer
umber.
— Tihamer ift ſchon weggegangen ?
— Ber ? fragte Judith und troß ihrer gewohn=
ten Selbftbeherrfchung zitterte fie an allen Gliedern.
— Der dumme Theaterdiener läßt ſich Tiha—
mer nennen.
— Das wußte ich nicht.
— 80 —
— Der Hausmeiſter ſagt, daß der Diener
den verlorenen Ring der gnädigen Frau gefunden
und zurückgebracht habe.
Zett begriff Yudith den Zujammenhang der
Fabel.
— Ja wohl, den Ring brachte man, aber es
war nicht Zihamer, jondern ein Handlanger, denn
ich ſelbſt nicht kenne.
— Befehlen die gnädige Frau nod Etwas ?
— 3a wohl, bringe noch ein Brot, ich bin
heute jehr hungrig.
Der Dieuftbote jah die Frau verwundert an.
Hungrig ift fie! Freilich, fie Hatte eine ſchwere Rolle
und mußte viel arbeiten, da bat ſie Appetit be-
kommen.
— Noch eins, bringen Sie auch eine Flaſche
Nein, der Arzt hat mir gerathen, Wein zu trinfen,
dann, meint er, werde ich ſchlafen können.
Der Dienftbote glaubte Alles. Es gibt ja
Frauen, die Wein trinfen.
Judith erhielt jet die jchwerite Rolle zu:
getheilt.
Am folgenden Tag legte fie Tranerfleiver an
und verkündete, daß ihr Gatte gejtorben jei.
Sie zeigte ihren Bekannten nen Brief ihres
Mannes, in welchem er von ihr vom Leben Ab-
ſchied nahm. Er mochte nicht länger ven Fluch ver
Unftätigfeit und Flüchtigkeit tragen; er ſchloß ab,
nn. BT. Sm
was das Schikſal ohnehin abgefchloffen. Seinen
Leichnam werden irgendwo bie Wellen ausſpülen.
Uud Judith fpielte die Rolle der trauernden
Wittwe, und nahm bie Tröftungen der Mitfühlenpen
entgegen; fie ließ lange ihren Mann fuchen in den
Ufernliegenden Reften, nnd wirklich glaubte man
irgendwo im Zolnauer Komitate in einem von ver
Donan an’d Land gefpülten Leichnam Bela zu
erfennen. Judith ließ ihn auf eigene Koften beftatten
und ihm einen Grabſtein ſetzen; aber fie ging nicht
zum Begräbniß und befuchte. nie das Grab, woran
Diele Anjtoß nahmen.
Aeußerlich trauerte Judith um den Todten,
im Herzen aber beſaß ſie den Lebenden, und als
Ereigniſſe kamen, die Jeden zittern machten, da heu—
chelte ſie wieder Gleichgiltigkeit, denn um den Tod—
ten mußte man nicht beſorgt ſein, während ſie doch
im Herzen für den Lebenden zitterte.
Der Dienſtbote aber kam vor Staunen nicht
zu ſich, wie gewaltig die Frau den Appetit verändern
könne. So lange Judith nicht trauerte, aß ſie ſo
wenig, wie ein Kind, und ſeitdem ſie trauerte, ißt ſie
ſo viel wie zwei Menſchen. Zudem t rinkt ſie noch
Wein und raucht Zigarren.
Eine junge Wittwe, die überdieß Schaufpiele-
rin ift, findet ſchnell Hofmacher, jo bald es verfautet,
daß fie Troſt jucht. Es kamen daher zu Judith Hof-
macher.
Andere Zeite, andere Menfden IH. Band. 6
Dieſe kalt abzumweifen, hätte Verdacht erregen
fönnen, fie mußte fie alfo anhören und mit ausmwei-
chenden Antworten hinhalten.
So viel Hofmacher, fo viel Nivalinen, und
die gefährlichite geheime Polizei ift ein unglücklicker
Anbeter und eine eiferfüchtige Frau.
Bald hatte Jedermann herausgefunden, daß die
Ihöne Wittwe Jemauden im Geheimen mit ihrer
Liebe beglückt, und Jeder fuchte aus irgend einem
Intereffe hinter das Geheimniß zu kommen.
Die getäufchten Anbeter machten auch bald
die Entdefung, daß der Glücliche nicht aus ihren
Kreijen gewählt wurde. E8 mußte ein Anderer fein,
der mächtiger als fie Alle, gegen welchen Keiner von
ihnen fonfurriren konnte.
Entweder Tiebenswürbiger, oder reicher als
Alle mußte er fein.
Das Erjtere gibt aber fein Liebhaber zu, folg-
ich mußte Letzteres der Fall fein.
Fürst Wolozoff aber ift ein fehr reicher Mann
und bejucht immer das Theater, wenn Judith ſpielt,
und hält fein Glas immer auf fie gerichtet.
Das Laub raufcht nicht, wenn der Wind es
nicht bewegt.
Der Fürft fährt oft im Geheimen in Lohnwa—
gen nad) der Vorſtadt, wo er vier, fünf Heine Woh-
nungen hält; ebenpafelbit pflegt auch eine verſchlei—
erte Dame zu erfcheinen. Sie kommen bald hier bald
u Ha En
dort zujammen, niemals aber zweimal in einer und
‚verjelben Wohnung.
Sudith führte alle ihre Anbeter an der Nafe,
ift lebensfroh, ihre Augen ftrahlen vor Glück und zu
gewiſſen Stunden des Tages ift fie für Niemanden
zu fprechen. Aus diefen zwei Umſtänden war e8 leicht,
eine Kombination zufammen zufchweißen.
Und endlich nahm Judith wahr, daß ihre Be-
fannten und Hofmacher fich immer mehr von ihr zu—
rüdzogen. Sie begegnete nun öfter ſpöttiſchen Gefich-
tern ; fie fühlte nun mehr denn einmal die verwun-
denden Pfeile in den Reden ihrer Berufsgenoffen
und jo blieb e8 ihr nicht lange verborgen, daß man
fie für die Geliebte eines großen Herrn hielt.
Und fie jpielte auch diefe Rolle meifterhaft —
eine Rolle, deren Schminfe die Schamröthe ift.
Die fpötiichen Blicke und verlegenden Anfpie-
lungen wußte fie mit jenem trogigem Lächeln zu
empfangen, mit welchem die gefallenen Engel einft
den Bligen des Himmels begegneten, und wovor
fie in der Tiefe ihrer Seele ſchauderte, trug fie al&
etwas Rühmliches zur Schau.
Halfen doch Alle, die fie verlegten und ver—
leumdeten und mit Hohn und Spott überjchütteten,
den Schleier dichter weben, welcher Bela’8 Verſteck
verhüllte. Der fchlechte Ruf der Gattin war der En-
gelöflügel, welcher ven Gatten bejchirmte,
6*
ir. Rd
Und fanden fie fich denn nicht reichlich belohnt
dafür ?
Die Hälfte des Tages gehörte allerdings der
peinlihen Rolle der Welt, ver Schande ; die andere
Hälfte gehörte dem Herzen, ver Liebe, dem Troſt.
Trug die eine Hälfte des Tages die troßige
Erregtheit der Hölle an ver Stirne, fo trug die
andere Hälfte himmlische Ruhe im Herzen, und wenn
draußen jede wohlgebaute Gejellichaft fih an ven
Märchen ihrer erdichteten Abenteuer ergötte, jo
fand fie ihr Glück darin, daß in diefen Märchen
nicht8 wahres gewefen, und fie lachte ſtolz der gan-
zen Welt.
In einer Hinficht aber fehlte die Frau dennoch.
Sie fehlte aber durch die Größe ihrer Liebe; die
Mutter ihres Gatten jette fie von der Wahrheit
nicht in Kenntniß.
Seit dem Briefe Seraphinens hielt Judith den
Schutzbrief allein nicht mehr ald genügendes Ret—
tungsmittel für Bela; hatte er doch einen mächtigen
Feind an Fertöy, ven Bela tödtlich beleivigte. Jetzt
fonnte fie nicht mehr einem Stüd Papier Tod und
Leben ihres Mannes anvertrauen,
Sie mußte die Nachricht von Béla's Tod
verbreiten.
Freilich hatte Bela eine alte Mutter, die nur
wenige Tage zu leben hat, und eg tft graufam, fie
7
dieſe wenigen Tage verweinen zu laſſen — allein
ſieht das Weib jemand Anderen, als ihren Geliebten?
fühlt es Erbarmen mit Vater und Mutter, wenn es
ſich um denjenigen handelt, den es liebt?
Die Mutter mag weinen! weint ſie nicht, ſo
könnte ſie verdacht erregen.
.... Über die Thränen rächen ſich an Dem—
jenigen; der ſie verurſacht hat. ...
=. Rh
Ein Tagebuch über Dinge die nicht
geſchehen find.
Seraphine unterhält jich vortrefflich !
Das glaubte wenigftens jeder ihrer Bekann—
ten, und ever, ver Etwas über fie hörte. Und
währe auch ſchwer geweſen, Nicht! zu hören über die
Schöne Frau, ſah man hie doch überall.
Sie war eine gefeierte Schönheit, hielt offene
Salons, hohe Verbindungen zogen einen vornehmen
Kreis um fie, und diefe fanden in der Nähe der ver-
ftändigen und gemüthlichen Frau große Entſchädi—
gung für ihre Herablaffung.
In der Familie Fertöy geht man niemals vor
Tagesanbruch zu Bette. Erjt um dieſe Zeit zerjtreut
ſich die fröhliche Geſellſchaft.
Jeder durchreifende Künftler, jede militärische
und politiiche Kapazität weiß von dem luſtigen Geifte
dieſer Geſellſchaft zu erzählen; aber Keiner weis es
zu fagen, wo das Kalifornien liegt, deſſen Goldgrube
die Koften diefer Lebensweiſe bejtreitet.
Zr:
Das wußte ver Gemal jelber nicht.
Fertöy wußte fo viel, daß die Welt glaubt, er
verwalte auf ganz umverantwortliche Weife fremde
Kaffen, man ſprach auch von Eifenbahngefellichaften
und mehr vergleichen ; allein wenn er auch überzeugt
war, daß die öffentliche Meinung in dieſem Punkte
nicht ganz im Unrechte war, jo hielt er e8 doch für
eine gründlich irrige Annahme, als 0b Seraphine
auf diefem Wege zur Rolle ver Modekönigin gelangt
wäre, denn er pflegte feine Börfe niemals bei jeiner
Gattin zu vergeſſen.
Seraphine hatte nach dem Tode ihrer Mutter
wohl ein anftändiges Vermögen geerbt, welches ein
landlicher Gutsbefiger oder ein Krämer in der Stadt
für ein bedeutendes Kapital gehalten hätte: allein
für den befannten Luxus konnte dieß keineswegs
hinreichen.
Wohl umgaben reiche Hofmacher die Dame,
und es war faſt unzweifelhaft, daß Einer derſelben
ſich Seraphine zu liebe ruinire; aber Fertöh konnte
nicht dahinter kommen, wer von den Vielen es ei—
gentlich ſei.
Und mit welchem Eifer er dieß zu entdecken
ſuchte! Nicht als ob er Genugthuung für ſeine ver—
letzte Ehre geſucht hätte; aber er ging von den prak—
tiſchen Gedanken aus, daß es beſſer wäre, wenn der
freigebige Anbeter nicht durch die Frau alleim rui—
nirt würde, |
Allein Seraphine war eine gewandte KRünftles
rin ! Fertöh und die Spürhunde ver öffentlichen Mei-
nung kamen nie auf bie rechte Fährte. Seraphine
umgab ſich ſtets mit folchen Hofmachern und über-
jchüttete fie mit ihrer fichtbaren Gunft, für welche
fie niemals wird mit ihrem Seelenheil bezahlen
müſſen. Plöglich verfch wand der vermeinte Glückliche,
oder er reifte ab, oder er blieb ganz aus, und die
Jäger fahen fich dann getäufcht und fingen die Weg-
warte ftatt des Hafen.
Fertöh wußte wohl, daß dies blojes Spiel
fei ; er fannte feine Frau recht gut. Auch darüber
hatte er nicht die geringjten Zweifeln, daß der Wahre
fein anderer als Fürft Wolozoff fei. Hatte er doch
felbft die Sache eingefäbelt ; aber den Faden Fonnte
er nimmer in bie Hand belommen.
Er jelbjt war der Verſucher, ver die Schönheit
der Gegend zeigte; aber dann machte er zu feinen
Aerger die Erfahrung, daß der fchlaue Grieche ven
Satan ſelbſt betrügt, im Geheimen bie ſchöne Ge—
gend im Befit nimmt, von dem Senfal aber nichts
wiſſen mag.
Der Fürft fchien das Haus eher zu meiden als
zu befuchen, und erfchien er auch manchmal bei den
Seiten, jo unterhielt er fih nicht mit den Damen,
fondern fpielte mit den Männern, und babei beging,
er noch die Unart den Hausherren zu plündern. So
——. Ad. Zu
pflegen nicht diejenigen zu thun, welche in die Frau
des Haufes verliebt find.
Und Wolozoff ift verliebt ! Kein Menfch glaubt
es, aber Fertöy weiß es. Eben das forgfältige ver:
meiden alles Auffälligen beftärkt ihn in feinem Ver:
dacht. Könnte er doch nur einen ſchwachen Seiden—
faben in die Hand befommen, jo würde er ven gan:
zen Knäuel auf jeine eigene Hafpel winden; aber e8.
ging eben nicht. Seraphine ist wetterwendifch, heute
ift fie Feuer und Flamme für ein neues Geficht,
morgen ift fie falt wie Eis, und übermorgen ſchwärmt
fie für einen längjt vergeffenen Bekannten, bis fie
plöglich in eine tiefere Region hinabftieg, daß jeder
vor ihr erichrad, um fi dann wieder mit dem.
Nimbus einer Reuigen zu umgeben, die eitel Xiebe
und Zreue für ihren Gatten war. — Und Fertöy.
wußte, daß all’ dies bloße Komödie, Verftellung und
Intrigue war, um ein Geheimniß zu verhülfen, das:
er nicht entdecken konnte.
Aber die Enthüllung dieſes Geheimniffes:
wurde für ihn immer mehr zur brennenden Noth-
wenbigfeit. E8 gab gewiffe bedrägende Situationen,
die einen immer beprohlichen Charakter annahmen,
einige Deffzite, die neugierige Menjchen an ven Tag.
bringen wollten, dieje neugierig Menjchen mußten bald
dahinter kommen, daß das Berhältniß zwifchen.
den Vorhandenen und eingetragenen Summen fein.
Reim, jondern bloße Affonance war.
— 00:
Zur Ausgleichung des Defizits ift unvermeid-
ch nothwendig: entweder die Gunft eines großmüthi—
‚gen und fteinreichen Broteftord, der in der Eigen-
Ihaft eines entdeckten Hausfreundes gezwungen
"wire, das NRechtsverhältnig anzuerkennen, daß ver
Gebrauch eines Schlüſſels zu dem Zimmer eines
Andern die Ueberlaffung des eigenen Kaſſenſchlüſſels
an jenen Andern zur Folge haben müfje; over aber
‚die endlihe Beſitznahme von der Hargithah’jchen
Erbichaft.
Betreffs der Tebteren iſt die Schwierigkeit
‚vorhanden, daß das bezügliche Teſtament bei dem
Brande des Komitatshauſes wirflih in Verluft
gerieth, ohne dasſelbe aber eine richterliche Voll:
ftredung bei dem beften Willen unmöglich ift. Bär—
fing, der Antwalt, veplizirte übrügens, daß das Te—
ftament Vorhanden fein müſſe und er e& ficherlich
finden werde; ed wurde ihm zu diefem Behufe ein
Termin ausgefegt, die Einkünfte der Güter aber
"wurden mittlerweile von Amtswege mit Beſchlag
belegt. N
Bäarfing fagte auch feinem Freunde Fertöy,
auf welche Weife er in den Befit des Teſtamentes
‚gelangen könne. Er fprach ganz rückhaltslos. Fertöh
mußte blos die Hände darnach ausjtreden, um es zu
befigen. Aber die Art und Weife, wie dies zu bewerf-
ftelfigen gewejen wäre, war ven boch jo ungewöhnlich,
daß Fertöy ein werig Schauder davor empfand, und
ei 1
Tieber ven Gedanken zur Geltung fommen ließ, ven
geheimen Anbeter feiner Gattin mit einem Anlehens-
plan zu überrajchen.
Dazu war aber ein Schlüffel nothwendig.
Zunächſt ver Schlüffel jenes kleinen Schran-
tens aus Roſenholz, worin Seraphine ihr Tagebuch
verwahrte. | |
Daß Seraphine ein forgfältig geführtes Tage:
buch befite, daß wußte Fertöy.
Seraphine zieht fich niemals vor Tagesan-
bruch in ihr Schlafzimmer zurück; auch dann läßt fie
die Fenfterlädeu nicht verjchließen, und blos die dün—
nen Spikenvorhänge mildern einigermaßen das
Hereindringende Sonnenlicht. Sie kann nur beim
Sonnenlicht ſchlafen. Eine bizarre Thorheit, wird
Jederman fagen.
Wenn fie auffteht, ift regelmäßig bereits Mit-
tag, und da geht fie, bevor fie die Morgentoilette
macht, an ihren Schreibtijch, öffnet den Schranfen,
und jchreibt an ihren Tagebuche. | |
Was für Geheinmiße in diefem Tagebuch ent-
halten fein mögen, läßt fih auch daraus jchliegen,
daß Seraphine einen englischen Schlüffel zu dem
Schranken bat.
Fertöy mußte dacher ver Allem in ven Befit
dieſes Schlüffels gelangen.
Den Schlüßel trug aber Seraphine immer
mit ſich und ließ ihn nirgens Tiegen. Sie trug an ver
— 92 —
Hand eine Heine Stahlkette, woran der Schlüßel
befeitigt war.
Einmal aber erkrankte Seraphine, fie litt an
Kopfträmpfen, welche jie in bemwußtlofen Zuftande
verſetzten; da bot fich Fertöy theilnahmsvoll an,
allein an dem Bette der Gattin zu wachen, und als
er ſah, daß ſie ihn nicht erkannte, da nahm er ihr
den Schlüſſel von der Hand. Seraphine bemerkte
dieß natürlich nicht.
Dann öffnete Fertöy den Schranken.
Er hatte nun das geheimnißvolle Tagebuch in
Händen, die wohl verwahrten Myſterien desſelben er-
Ichloßen fich ihm, die Minfterien, von welchen er for
viel Nuten fich verſprach.
Die Frau lag im Delirium und fantafirte, der
Mann aber lag bequem im Armftuhle und las die
Geheimniße der Gattin.
Das Tagebuch begann folgendermaßen :
„Tagebuch meiner Träume.”
„Ich Iebe ein Doppelleben ; eines, wenn ich
wache, das andere, wenn ich ſchlafe; jenes ift heiter,
voll Scherz, Freude, und Genuß, biefes ift traurig,
Ichredlich und bange.“
„Jenes verachte und werabfcheue ich, dieſes
flößt mir Entfegen ein.“
„Die Wirklichkeit wechfelt mit jedem Tage;
ber Traum bleibt ſtets derſelbe.“
weis OR
„Sch träume von Robert."
„Das Verhältniß, welches die Wirffichkeit
entzweigejchnitten, jpinnt der Traum weiter fort.‘
„Immer und immer wieder erjcheint er mir;
er blieb feinen Tag noch aus."
„Zange mied ich dieſe Schauererjcheinung ; ich
wollte mich bereden, e8 fei doch nur ein Traum;
heute jedoch iſt dieſes Dafein nicht mehr wegzuleug-
nen ; ich fühlte e8 find Erjcheinungen aus einem an-
dern Leben.“
„Sch werde veshalben jeven Tag aufzeichnen,
was ich träume, denn diefer ift Doch mein eigentliche8
Zeben, und jenes andere nur ein Traum."
„Heute war ich mit Robert auf dem Felde
bejchäftigt, wir waren Bauern, die ven Boden bear-
beiten. Er verbarg fih auf folche Weije vor der
Welt, und ich folgte ihm in die Strohhütte.
Zur Speije batten wir ſchwarzes Brod, und
es ſchmeckte mir jo gut.
Ih mußte mit Robert auf die Aeder gehen,
um Wurzeln auszugraben.
ALS der Sad voll war, Tegte ihn Robert auf
meine Schulter, damit ich denfelben nach Haufe trage.
Hundert Mal ſank ich unter der Laft zuſammen, ehe
ich zu Haufe anlangte.
Zu Haufe mußte ich aus den Kräutern ein
Mittagsmal bereiten. Und wie ich die Wurzeln
——
wuſch, bemerkte ich eine die von anderer Farbe ale
die übrigen war.
Ich zürnte Robert jehr, weil er fo arm war. —
Und da Tochte ich auch dieſe Wurzel mit den
übrigen. ö
Da kam Robert nad) Haufe und af.
Nach dem Eſſen fing er auf gar fonderbarer
Weife zu lachen au. Er fragte mich, was ich ihm
gefocht ?
Da ſank ich zu feinen Füßen hin und meinte
und jamerte, daß er boch nicht fterben möge.
Er aber lachte, und ich fah, wie er ftarb.
Ah es war fo fchredlich, wie fein Geficht
blau war. und er doch nur. lachte, ich konnte ihn jo
ſchwer in meinen Armen halteı.
Und ich flehte vergeblich zu ihn, er möge
doch nicht fo entjeglich lachen, wenn er ſchon gejtor-
ben, und nicht jo ſchwer fein, wenn er noch lebe; er
aber lachte ununterbrochen und zog mich zur Erde
nieder, bi8 ich mit ihm Zuſammen hart niederfiel
und — eriwachte.
Wie gut da8 Sonnenlicht mic) ummogt ; wäre
es jeßt finiter, ich müßte wahnfinnig werben.
„Heute waren wir Fleine Kinder; wir gingen
zur Schule, Robert und ich.
Ich beging eine Unart, Robert nahm fie
auf fich.
Zu. FOR: Io
Mich freute e8 fehr, daß man ihn beftrafte,.
und nicht mich.
Als man ihn aber mit dem Gefichte zur Erbe
legte um ihn zu fchlagen, da that mir das Herz ſo
weh, daß es faſt brach.
Robert weinte nicht als man ihn ſchlug; er
ſchwieg.
Und als man ihm dann ſagte, er ſolle auf—
ſtehen, ba blieb er doch ligen, denn er war geſtorben.
Sch wagte auch jett noch nicht einzuftehen, BE
ich die Schulvige fet.
IH jah auch wie man ihn in dem Sarg —
Er war eine ſehr ſchöne, kleine, weiße Leiche. |
Und wie zürnte ich ihm, daß er mir dadurch
Schmerz verurjachte.
Dann ging ich, um mit den übrigen Kindern
zu ſpielen.
Was für ein fchlechtes Herz ich doch felbit im
Zraume habe!”
— WM — —. A — A —e —
„Wir waren zuſammen in einer belagerten
Feſtung.
Wir waren nur mehr allein, ich und er; die
übrigeu hatten Seuchen und Kugeln dahingerafft.
Nur eine Kanone edröhnte noch manchmal, die
unf'rige. Ich war der Kanonier ; ich mußte das Ge—
ſchütz bebienen, denn auch die Frauen waren ſchon
geftorben. Ich fürchtete und fehauderte vor der
u: Di
Schlacht; aber wenn er mich anblidte, war ich wie
feft gebannt.
Ich wollte jagen, aber ich wagte es nicht;
„Robert, wir find nur unfer Zwei, wozu der längere
Wiederftand. Ergeben wir uns; unterjchreiben wir
die Kapitulation. Sieh’, e8 ift doch jo jchön, zu leben !
du kannt es am Beften wifjen, vu, der jo oft gejtor-
ben und doch nicht todt bleiben willjt und immer
wieder auferftehft. Komm fteden wir die weiße Fahne
aus. Sieh’, ich habe meine Handkrauſe herabgeriffen,
dieſe wird dazu gut fein."
Robert antivortete nicht, fondern ging vor mir
auf und ab, die Granaten pfiffen um uns rechts und
links, e8 traf ihn feine.
Plöklich blieb er vor mir jtehen, ven Rüden
gegen die Kanonenmündung gefehrt.
Ein enjeglicher Gedanke ſchoß mir durch
den Kopf.
Wie lange martert mich jchon dieſes Phantom,
wie quält e8 mich fo unabläffig.
Wenn ich jet die Lunte an das Schiekloch
lege — ein Knall, und er wäre zerjchmettert. Ich
wäre dann auf ewig von ihm befreut, nimmer fonnte
er zurückkehren.
Etwas zwang mich, es zu thun, er war mit
dem Rücken gegen mich gekehrt und konnte nicht
ſehen, was ich that. Ich war wüthend gegen ihn. Ich
wollte ihn nimmer wiederſehen. Ich legte die Lunte
N
an das Schießloch. Ich verhülfte meine Augen, um
nicht zu ſehen. Die Erde erzitterte unter mir und ich
fühlte ben warmen Blutregen, ver mir auf Hals und
Schulter fiel.
Dann öffnete ich bebächtig die Augen, und Robert
Stand noch immer vor mir, nur daß er den Kopf zu-
rüdgemwendet hielt und mich kalt anblickte. Durch das
Herz aber fonnte man ihm fehen, denn bie Kugel
hatte es durchbohrt.
„Mir war, als ob wir im Czarenpalaſte in
Moskau uns befänden. Robert wurde nach Sibirien
geſchleppt.
Ein Flüchtling, der von dort zurückgekehrt war,
brachte die Nachricht, daß Robert lebe und in den
Bleigruben des Uralgebirges arbeite.
Ich begab mich auf den Weg und reiſte ſo
fange, bis ich jene ſanderbare Thürme mit ſpitzen
Kuppeln erblickte, welche ich ſo oft im Bilde geſehen
hatte und von denen ich ſo lebhaft träumen konnte.
Ich bedurfte keines Führers, ganz allein fand
ich mich zu recht.
Große Glocken ertönten mit betäubendem
Lärm: man ſagte das Geburtsfeſt des Czars werde
heute gefeiert.
Ich wollte mit der Volksmenge zum Thore
des Palaftes mich hineindrängen ; ein wachehabenber
Kofak bemerkte mich und fchrie mich an. Ich verftand
Andere Zeiten, anbere Menfhen. ILL, Band. 7
OR
nicht was er ſagtr, und wollte mich vor ihm zurück.
ziehen. Er langte mit der Spike feiner Lanze nach
mir und erreichte mit verjelben meine Schulter, ohne -
mich jedoch verwunden zu fönnen. Ich fühlte aber
vie Kälte des Eiſens.
Ich eilte über breite Marmortreppen und
durch enge Korrivore; endlich verirrte ich mich in
einen wunderbaren Balfenfnäuel, in welchen ich
mich nimmer zurecht finden konnte: als ob eine
Menge Gerüfte neben einander” geftellt wären, auf
welchen mit Teppich bevedte Dielen ruhten; endlich
gelang ich zu einer ſchmalen Thüre, die ich öffnete,
und num jtand ich vor einem mächtigen Tanzſaale.
Es war dies der Tanzjaal des Gzarenpala-
ſtes; tauſend Lichter verbreiteten ein Lichtmeer.
Das glänzende Höflingsheer, die knappen Uni—
formen, die mit Diamanten beladenen Damen, bie
verbrämten Kaftans; der ſtramme Zeremonienmei-
fter, der die Gruppen ordnete; die Militärkapelle,
welche einen feierlihen Marſch fpielte, im Hinter-
‚grund der Thron mit hohen Treppen, auf welchem
der riefig große Czar neben der Gemahlin fit —
als ob dieß Alles noch jegt vor meinen Augen jtünde,
‚mir im Obre ſummte.
Als ich eintrat, wich alles zur Seite, um mir
ven Weg zum Gzar frei zu machen.
Ich war jchwarz gekleidet, die Uebrigen trugen
färbige, goldgeſtickte Gewänder.
ir I.
Ih gelangte ganz bis an bie Stuffen des
Thrones.
Der Czar winkte mir, das ich ſpreche.
Und als ich ſprechen wollte, da hatte ich den
Namen des Mannes vergeſſen, für den ich bitten
wollte, ven Namen des Ortes, wo er gefangen war,
jo wie die Urjache, warum man ihn dahin gebracht.
Bergeblih quälte ich mic) ab, mir das Alles in
Erinnerung zu bringen; mein Gedächtniß verfagte
mir den Dienst; ich jtand dort und wußte nicht, was
ich ſprechen follte. Ich wollte ruſſiſch fprechen, und
ich hatte es vergeffen, obgleich ich zu Veginn des
Traumes ruſſiſch zu verjtehen glaubte, Ich wollte
weinen, die würde man viel leichter veritanden
haben; allein die Muſik erjcholl, e8 wurde zum
Zanze aufgefpielt. Da trat ein in Scharlach gehüllter
Mann zu mir und bat mich um einen Walzer. Ich
reichte ihm die Hand und vergaß auf Alles,
Wir flogen und walzten den mächtigen Saal
entlang, und da an den Wänden überall lange Spie-
gel hingen, fo jah ich immer mein eigenes Bild.? —
Das war jo jchredliih: ein ſcharlachrother Tän—
zer und eine jchwarzgefleivete Tänzerin! Eine
hölliſche Viſion. | |
Ih glaubte mein Tänzer fei der Scharf
richter.
— — — — — — — —
7*+
—- 100
Heute ſah ich die Yortfegung meines geftri=
gen Traumes.
Auf demſelben Wege kam ich aus dem glän-
zenden Saale zurüd, auf welchem ich hinein ge=
gangen.
Wieder verirrte ich mich in dem Gerüftelnäuel,
das auch jet mit fchweren Teppichen bededt war.
Set aber wußte ich, was dies für Gerü-
jte find.
Es war das Schaffot. —
Den Ausgang verfperrten Lanzenmänner in
alterthümlicher Panzerfleivung ; ich konnte den Ort
nicht verlaffen. Da verfroch id) mich unter den Tep⸗
pichen, welche das Gerüft bedeckten. Dann hörte ich
die Schritte aufmarfchierender Soldaten, ich hörte
Trommelfhlag und Kettengeraffel; ich hob einen
Zipfel des Teppiche in die Höhe, um jehen zu Fön-
nen, was vorgeht.
Den Saal beleuchtete grelles Fadellidt.
Eine Truppe gefeffelter Gefangener tauchte
aus ber endlofen Finfternig empor.
Die Gefangenen ſchritten einzeln auf das Ge—
ruft, unter welchem ich verborgen war, und fo wie fie
hinaufgeftiegen waren, ſah ich Kleinen wieder, aber
ich hörte jedesmal einen ſchweren Schlag, als ob
Iharfes Eifen in einen harten Stamm führe; dann
hörte ich auch etwas über meinem Haupte bahinrollen.
— 101 —
amd darauf einen leifen Fall, auf welchen ein fürzes
Zucken folgte.
Das Alfes hörte ich, und mein Herz pochte jo
heftig, daß ich das Pochen trotz Allem deutlich hörte.
Da kam der Letzte der Gefangenen hervor. Ich
erkannte ihn. Es war Robert. Nie jah ich ihn jo
Ihön. Er trug dasjelbe Kleid, in welchem er einft
mit mir vor dem Altare ftand.
Er Tieß nicht, daß man ihm die Augen ver:
binde. Sein Blid war noch jett jo ftechend wie
ehedem.
Mir kam es aber nicht in den Sinn, aus dem
Verſtecke herauszueilen, mich dem Grauſamen zu
Füßen zu werfen und um Gnade zu flehen. Ich ver—
barg mich hinter dem Teppich, verhüllte mein Geſicht
und verſtopfte mir die Ohren, um nichts zu ſehen,
nichts zu hören. Aber ich ſah und hörte dennoch. Ich
hörte die lauten Schläge meines Herzens und ſah
die entſetzliche Finſterniß, dieſe Schwärze, die
lebt, bewegt ſich, wächſt rieſengroß und kommt im—
mer näher!
Und bald begann ein warmer Regen auf mei—
nen Hals nieder zu rieſeln. Ich fühlte es war Blut.
Das Entſetzen weckte mich. Und ich empfand
die Wärme der Bluttropfen an meinem Halſe.
— — — — — — — — — —
„O, wie es mich ſchaudert vor dem Schlaf.
— 102 —
Erſt am Morgen gehe ich zu Bette, wenn es
Schon hell zu werben beginnt. Die ganze Nacht ver-
bringe ich in unfer tollen Gefellichaft. Ich ertränfe
meine Seele in betäubendem Trank. Ich bete, bevor:
ich mich nieberlege ; vergebens, — Alles vergebens.
Das Gefpenft fommt und lebt mit mir.
Dieſe Nacht war ich in unferem Fleinen Zim—
mer in Komorn. Ich lag ſchon in meinem Bette, er
faß am Rande und hielt meine Hand in der feinen..
Er fagte mir, wir werben heute bier fchlafen.
Mir war, als müßte ich ihn fragen: Wie
willft du auf meinem Kiffen ruhen, wenn bu fchon:
geftorben bift ?“ aber ich wagte nicht, e8 zu Jagen.
Er war fo zärtlich und glättete mir die Stirne.
Dann neigte ev das Haupt auf meinem Kiffen.
Er trug eine weiße Jade und ein rothes
Halstuch.
Ich fragte ihn: warum legſt du das Halstuch
nicht ab, wenn du ſchlafen wiltft ?“
Darauf antwortete er lächelnd: das kann ich
nicht, denn das Tuch hält ven Kopf an meinem.
Rumpf feit, ſonſt fiele er nieder.
Dann wandte er fich zu mir und wollte mich
umarmen.
Entſetzt zog ich mich von ihm zurüd an den
äußerten Rand des Bettes; er aber fam lächelnp:
immer näher und bat mich, ich möge ihn Küffen.
— 105 —
Sch ſchrie auf. Ich lag vor meinem Bette auf
dem Teppich. Dort erwachte ich.
O, mein Gott, wird dies denn ewig dauern ?"
— A — — EEE —
Fertöy legte entſetzt das Tagebuch — Gat⸗
tin aus der Hand.
Ungeachtet ſeiner blaſirten Selbſtſucht, war er
abergläubiſch; es gibt viele Menſchen, die nicht an
Gott glauben, wohl aber an Klopfgeiſter.
Was er ſuchte, das fand er nicht; Seraphine
hatte nicht die Erlebniſſe des Tages aufgezeich—
net. Kein Wort findet ſich darin über Liebe und
Geliebte.
Jetzt verſtand es Fertöh, wie es geſchah, daß
als er neulich ſeine Frau an ihrem Schreibtiſche
überraſchte, noch ein Seſſel neben Seraphinen ſtand.
Er wollte ſich auf den Seſſel niederlaſſen, Seraphine
aber gab es nicht zu.“
„Setzen Sie ſich nicht dorthin.“
„Warum nicht?“
„Weil .... (hier lachte fie) Bringen Sie
fih einen andern.
Jetzt konnte er das „Weil” ergänzen; „weil
ſchon Jemand darauf fit.”
Vertöy legte das Tagebuch an feinen Plat
und ſchloß den Schranf.
ne IE
Jetzt mußte er aber den Schlüffel wieder an
das Stahlfettchen befejtigen, welches Seraphine an
ber Hand trug.
Furchtſam näherte er fih. Wäre Jemand da
geweſen, der ihn gehört, fo würde er geladht haben,
fo aber fchauderte er vor dem Gedanken, daß er eine
Frau nahm, die wachend und jchlafend von dem
Schatten ihres verjtorbenen Mannes verfolgt werde,
die mit diefem zu Bette geht und aufiteht.
Die Kranke jchlief unruhig, fie hatte ſchwere
Träume.
Vertöy glaubte ven Traum der Kranken zu
errathen.
Der entjegliche Rival war anweſend, auf wel«
chen er nicht eiferfüchtig fein Eonnte. —
Geine Hand zitterte, als er ven Schlüffel an
das weiße Handgelenk befeitigte.
ALS die Falte Kette die Hand der Schlafenven
berührte, hilt fie ihren Athem plötzlich an; Schreden
und Entjegen malte fich in ihren Zügen, ihre Xip-
pen öffneten fich, fie ftöhnte, und als die Kette an
ihrer Hand befeftigt war, da fchrie fie auf: Henker
laß ab!"
Dann wendete fie ſich um und jhlief ruhig.
Was fie wohl über diefen Traum in ihr Ta-
gebuch jchreiben wird ?
— 105 —
Fertöy blieb nicht länger im Zimmer, er läu-
tete der Kammerfrau, und trug ihr auf, bei Sera-
phine bis zum Morgen zu bleiben. Er jelbft eilte in
fein Gemach.
Seraphine jchlummerte dann ruhig und in der
folgenden Naht tanzte fie auf dem Ball.
Sehr als ein. Vergehen; ein Fehler.
Vertöh ließ den Plan fahren, einen reichen
Hausfreund aufzujagen.
Seitdem er wußte, wer in ben Schlafzimmer
feiner Gemahlin verborgen, wenn fie fich zurückzieht,
batte er feine Luft einen Rivalen zu fuchen.
Aber die Profa des Lebens laßt ſich durch
Phantome nicht befriedigen. |
Fertöh mußte um jeden Preis Geld haben,
man verlangte die Rechnungen von ihm.
Sein Anjehen und fein Kredit war wohl noch
immer groß, aber wir wiffen, daß nur ein Kleiner
Schneeball, wie ein proteftirter Wechfel, fich in Be-
wegung ſetzen barf, damit bie ganze Lawine ins Rol-
len gerathe.
Am Morgen nach diefer traurigen Entdeckung
ſchickte Fertöh nach Herrn Barfing.
Der treue Schüler, der jetzt ſchon auf eigene
Fauſt hantirte und fich Doctor nennen Tieß, beeilte
— 17 —
ſich bei feinem einflußreichen Prinzipal zu erfiheinen,
der ihn dieſesmal noch freundlicher als fonft empfing.
— Lieber Freund! Ich glaube, e8 wäre gut,
die Hargithay'ſche Angelegenheit endlich zum Ab—
Schluß zu bringen. Ich bitte Plaß zu nehmen.
— DO, ih danfe. Es freut mich fehr, daß
unfere Wünfche fich begegnen. Ic felbft halte es an.
der Zeit, die Sache zu erledigen.
— Der Termin ift ja no weit. Keine Zis
garre gefällig ?
— Ja wohl, aber die Vorbereitungen nehmen:
Wochen in Anſpruch. Ich bitte ein wenig euer.
— Sie glauben alfo wirklich das unfer Teſta⸗
ment verbrannt ift ?
— Freilich ift e8 zu Aſche verbrannt.
— Können Sie fih Gewißheit darüber vers:
Ichaffen, daß e8 nicht mehr ans Tageslicht kommt.
— Ich weiß e8 ganz genau.
— Denn darüber müffen wir Gewißheit ha-
ben für den Fall, als ... Fertöh fand Feinen Aus—
brud, um die Sache zu nennen.
— Wenn wir das verbrannte Dofument aus.
der Aſche wollen erftehen laffen, ſagte Baͤrſing ſo
Kalten Blutes, als ob e8 ſich um nichts Anderes
handelte, als aus ber Aſche, die er von der Zigarre
fchlug, eine neue Zigarre zu jchaffen.
Fertöy nickte ſtumm, ſprach aber mit feinem.
Worte aus, daß er einverſtanden ſei.
— 18 —
Barfing wollte aber um jeden Preis das
Wort aus ihm herausbringen.
— Das Ganze ift blos eine „pia fraus.“
— In Wahrheit „pia ?"
— Ohne Zweifel. Wenn von dem Zuftande-
Tommen eines Documentes die Rede wäre, das nie—
mal exiftirt bat, jo könnte nie DBärfing dazu
rathen, das würde ein Baͤrſing mit der tiefiten In-
dignation zurückweiſen, da würde ein Bärfing nicht
Anſtand nehmen, e8 einen Betrug zu nennen; bier
aber handelt e8 fih um die Reproduktion eines Do-
cumentes, welches bereits erijtirt hat, welches ung
gehörte, welches wirkliche und gefertigte Anjprüche
in unjere Hand gab; wir haben es niemanden ent-
lockt, Niemanden abgezwungen; wir wurden aus
freien Stüden eingeladen e8 anzunehmen, und es
ift aud nicht unfere Schuld, daß es währeud der
traurigen Revolution vernichtet wurde. Die traurige
Revolution hat außerordentliche Situationen ge—
Schaffen, welche die Menjchen in außerorbentliche
Umſtände verjetten, in welchen mann wieder zu
außerordentlichen Handlungen genöthigt war. Wie
viele Menſchen famen zum Beijpiel in die Lage, auf
Grund falſcher Wechjeln und durch faljche Gläubi-
ger ihr Vermögen jequeftriven zu laſſen, weil e8 fonft
fonfiszirt worden wäre. War dies nicht etwa Feine
pia fraus ? Und machte die Welt ihnen einen Vor—
wurf daraus ?
— 109 —
— Bon der Welt wollen wir nicht fprechen,.
mein lieber Freund; die Welt hat ihre ganze eigen-
thümlichen Anfichten, beſonders wenn es fih um
Regierungsorgane handelt. Da ift e8 ber Richter,
welcher beruhigt werben muß.
Bei dem Worte „NRichter” Tegte Fertöy zu-
fällig die Hand auf die Bruft, was Bärfing glauben
machte, daß jein Freund den „inneren Richter“ meines.
— Ah, ah, mein lieber Freund, mein Gewif-
fen ift darüber nicht in Unruhe. Nicht die etlichen
taujend Gulden die für mich legirt wurden, bewegen
mich ; aber der Wille des verftorbenen ift mir heilig.
Wir find die VBollitredung des Teſtamentes dem
Todten ſchuldig. Könnte ich ruhig jchlafen, wenn ich
Hargithay's legten Willen nicht erfüllt Hätte? Wie
Toll ich einft in der anderen Welt vor ihm hin—
treten ?
Fertöy konnte fid) des Lachens nicht enthalten.
Bärfing aber redete fich immer tiefer in eine empha⸗
tiihe Stimmung hinein.
— Sie wiſſen mein geehrtefter Freund, daß
dieſes Zeftament nicht blos uns intereffirt, ſondern
auch gemeinnügige Anftalten betrifft; Schulen, Kir⸗
chen, Spitäler und Armenhäufer. Ich finde in diefer
Sache eine moralifche Größe.
Bei dieſen Worten ſprang Baͤrſing von feinen
Site auf, damit feine moraliſche Größe deſto grö«-
Ber fei. |
— 110 —
Jetzt aber lachte Fertöh unmäßig.
— Nicht von dem Gewiffen fpreche ich, mein
Tieber Freund, das geht die Pfaffen an; ich meine
Die weltlihen Richter. Ein folcher Spaß kann unter
Umftänvdenztheuer zu ſtehen fommen.
— Aber dieje Umftände fönnen eben nicht ein-
treten, wenn wir alle Vorſichtsmaßregeln genau beo-
bachten. Den Text des Teſtamentes habe ich gejchrie:
ben, er iſt bei mir in erſter Abjchrift vorhanden, es
wird daher gar fein Unterfchied fein.
— Aber die Unterjehrift und die Siegel ?
— Dezüglich zweier find wir glaube ich ge:
fichert.
— Vielleicht, aber die übrigen drei?
— Die find ebenfalls am Leben.)
— Aber dieſe wollen Sie doch nicht in die
Sache einweihen ?
— D nein. Aber fie können Lnterjchrift
nnd Siegel ohne ihr Wiffen auf ein Document
ſetzen.
— Auf welche Weiſe?
— Die werde ich Ihnen ſogleich ſagen. Sie
richten in einem Schreiben an die drei abweſenden
‚Zeugen die Trage an dieſelben, ob fie feine Kennt—
niß davon haben, daß Barfing das fragliche Docu—
ment in das Archiv hinterlegt, dann aber wieder
aus demjelben herausgenommen habe.
— 111 —
Sie hätten gegründeten Verdacht, daß Barfing
Kenntniß davon habe, wo das Tejtament fich befin-
det und fich dieſes Geheimniß theuer bezahlen Taf-
fen wolle.
Fertöy lächelte darüber, wie Bärfing ihm den
Rath gab, wie er ihn zu verleumden habe.
— Diefe werden dann antivorten, daß fie von
der Sache nichts wiffen. Dann gibt e8 einen vor-
trefflichen Kopirer der die Unterſchriften ganz nach
Belieben aufs Papier fegen Tann.’
Vertöy wußte wohl, daß dieſer geſchickte Menſch
niemand Anderer als Bärfing felber fei, war aber
doch jo boshaft, zu fragen, ob er nicht bejorge, daß
diefer Abjchreiber ihn verrathen fönne.
— O, bezüglich dieſes Menjchen bin ich außer
Sorgen, und was die nothiwendigen Siegel betrifft,
jo werben dieſe auf ven Briefen fein, vie Sie erhal-
ten, und Sie werden dieſe mit der Schere ablöfen.
— Das ift ja eine vollitändige Fälfchung.
Geben Sie mir zwei Wochen Zeit, dieß zu überlegen,
dann werden wir über die Sache ausführlicher fpre-
hen. Bis dahin werde ich vielleicht eine weniger ge-
fährliche Löſung herbeiführen,
— Die, glauben Sie vielleicht, fih mit der
jungen Fran verjtändigen zu fönnen ?
— Ich bin deffen gewiß. Haben Sie ſchon
gehört, daß Judith ein Sähnchen geboren ?
BE
— Ah rief Barfing mit Schabeufrende und
biß mit feinen großen Zähnen ein Stüd feiner Zi-
garre ab. Ein prächtiger Skandal, ein Föftlicher
Skandal!
— Barum ein Skandal? |
— Eine Wittwe! e8 find ja bereits vierzehn
Monate verftrichen, feit dem Laͤway geftorben.
— Ah, ſo?
— Wer wohl der Vater des Kindes ſein mag ?
— Ich Fenne ihn.
— Wer könnte es wohl fein ?
— Da Sie mich in ihre Geheimniffe einweih⸗
ten, fo will ich Ihnen auch mein Geheimniß mitthei-
fen, aber id) bitte Sie, dieſes eben ſowohl zu bewah-
ven, wie ich das Ihre bewahre.
— Daß ift ganz natürlich. Wer mag alfo der
Bater des Rinpleins fein ?
— Niemand anderer, als der Gemahl Judith's
Alla Laͤway!
— Ah, feit vierzen Monaten !
— 3a wohl, feit vierzen Monaten hält fie ihr
in ihrer Wohnung verborgen und [pielt vor ber Welt
die Wittwe, die Courtifane.
— Ah, das ift nicht möglich. Es. ift nicht
möglich, daß eine Frau den Hohn und Spott ertrage,
der von allen Seiten auf fie einbringt, wenn fie ihn
nicht verdient, blos um ...
— Blos um die Spürhunde irre zu leiten.
— 113 —
Herr Barfing biß jest feine Zigarre in der
"Mitte entzwei und klagte dag man Katenenhaare in
Die Zigarre wide,
— Ih wußte e8 längſt, fuhr Fertöy fort,
und ich wollte blos das Ereigniß abwarten, welches
ich vorhergejehen.
— Und Sie nehmen nit Rache an Laäͤway?
— DO nein! Es gefällt mir außerordentlich,
daß fie einander jo lieben. Sch bitte Sie daher ehr,
‚mein Geheimniß nicht zu verrathen. Trüben wir
nicht ihr Glück, zerſtören wir nicht das Nejt ver
Nachtigallen.
— Es wundert mid, daß Sie vem Burſchen
jo wohlwollen.
— Mid aud. Aber jehen Sie, e8 gibt Ge-
fühle, die man beſchützen muß. Ein folch edles Ge—
fühl ift die Liebe Judith's fir ihren Mann. Sie
opfert ihre Stellung, ihren Auf für ihren Mann;
würde fie nicht vielleicht einen Prozeß wegen eines
Vermögens aufopfern, in deſſen Befi fie noch
nicht war ?
Baͤrſing fing jest an, Etwas von der Groß—
muth Fertöy’8 zu begreifen.
— Rache thut mir viel weniger Noth als
Geld. Was würde ich gewinnen, wenn ich Bela’s
Verſteck verriethe ? Vielleicht gelänge e8 ihm, fich zu.
flüchten, und fehlieglich wird eine Amneſtie auch auf
ihn fich erſtrecken. Aber ich muß ihn zwingen vor mir
Andere Zeiten, anbere Menſchen. III. Band. 8
— 114 —
zu ericheinen. Dazu habe ich einen worzüglichen
Plan. Ich werde fie zu zwingen wiffen, daß fie mir
eingeſtehen: „Wir find beifanmen.” Dann halte ich
fie in meiner Hand. Dann werde ich zu Judith jagen:
Sehen Sie, e8 it bejfer, mit mir in Freundſchaft
als in Unfrieden zu leben. Ich könnte Sie jett in
endloſe Gefahren jtürzen, aber ich thue es nicht.
Gleichen wir uns aus. Der Preis meiner Freund—
ichaft ift ein Ausgleich bezüglich des Zeftamentes.
Und Judith wird daveinwilligen.
Baͤrſing ſchüttelte ven Kopf.
— Glauben Sie mir, fo fiber als ich dieſes
Weib und diefen Mann haffe, jo ficher ift es,
daß fie für einander zu der tolliten Großmuth
bereit find.
Barfing ſchickte fih zum Gehen ar.
— Bon Ihrem Plane in zwei Woden; big
dahin bleibt mein Geheimniß unter uns,
Die beiden Ehrenmänner brüdten einander
die Hände und gelobten fich gegemfeitig, zu ſchweigen.
Was während diefen zwei Wochen gejchehen,
das fonnte Barfing nicht erfahren, eines ſchönen
Morgens aber erhielt er ein forgfältig werfiegeltes
Paket von Fertöy. In den Paket waren drei Briefe,
ein vierte war von Fertöy. Fertöy ſchrieb ihn, daß
er in die Neproduftion dev Documente nicht ein-
willige. Herr Bärſing könne aus den beigelegten
drei Briefen erfchen, daß die Zeugen von den weites
— 15 —
ren Phafen des Teſtamentes nichts wilfen, den Plan
bezüglich Judith's habe er ganz fallen gelaffen, deſ—
jenungeachtet willige er durchaus nicht in den Plan
Baͤrfing's.
Baͤrſing wußte nun, woran er ſei. Fertöy
hatte ſoviel Aufmerkſamkeit, um die Siegeln an den
drei Briefen nicht zı verlegen; feinen Namen aber
ſchrieb er, entgegen feiner Gewohnheit, jo deutlich
als möglich.
Auch er kannte feinen Dann.
Er wußte, daß er Bärfing nur die Mitteln in
die Hand fpielen müffe, damit er von denſelben Ge—
brauch mache, Und er täujchte fich auch nicht.
Nach einigen Tagen wurde Fertöy von beit
betreffenden Amte in Kenntniß gefett, daß das Do—
cument dur Bärfing im Originale vorgewiejen
wurde.
Jetzt hatte Fertöy nur eine Beſorgniß, und er
ſäumte auch nicht, diefe feinem Freunde bei jeiner
eriten Begegnung fogleich mitzutheilen, ob er näm—
(ich das Teftament auf geſchöpftes Papier ge-
jchrieben.
(Denn wenn er zufällig auf Mafchinenpapier
gefchrieben, dann kann das Donnerwetter in bie
Geſchichte ſchlagen, denn Die Zeugen würden ben Un—
terſchied fofort erfannt haben.)
Baͤrſing blinzelte pfiffig mit den Augen.
8*
— 116 —
— Ueber folche Kleinigkeiten pflegt ein Bär-
fing nicht zu ftraucheln !
Das Teſtament wurde allerdings auf geſchöpf—
tem Papier geſchrieben, und ein ebenſo großer zwei?
föpfiger Adler prangte in der Mitte des Falſifikates,
wie jener auf dem Originale, was jeinerzeit den
Zeugen den Ruf entlodte.
„Was für großer Adler !"
Man hat Bekannte, die man alle drei Jahre
einmal fieht; man freut ſich außerorventlich, und
wenn man von einander fcheidet, jo zerbricht man
fich ven Kopf darüber, was jener wohl für Urjache
gehabt Haben mochte, Einen zu befuchen.
Eine folhe Bekannte hatte die alte Laͤvay an
ver Heinen Perfler.
Manchmal jahen fie fih kaum Yahrelang,
dann befragte man fich gegenfeitig nach dem Befin-
den ; die Blum erfundigte ſich nach dem Söhnchen
der Frau Laͤvay, das mittlerweile fich zum Advofaten
herausgewachſen, und Frau Laävay erfundigte fich nach
dem Befinden der drei Fräulein der Frau Blum,
welche fich mittlerweile auf fieben vermehrt hatteır.
Im Jahre 1849 fahen fie fich einander öfter,
denn Frau Blum Fam oft zu Seraphine ; in ven Noth-
tagen lebte die längjt vergefjene Bekanntſchaft wieder
auf, um mit der Zeit wieder einzufchlafen.
Ihr Zufammentveffen befchränfte fich dann
6108 darauf, daß Frau Laͤvah zuweilen, von ihrem
— 117 —
Obſtgarten fommend, an dem Garten der Frau Blum
vorüberging und bei diefer Gelegenheit ein Gruß
gewechjelt wurde. Die alte Frau hatte Feine Lujt, fich
in einen längeren Diskurs einzulaffen; drinnen war
gewöhnlich geputte Gejellfchaft, in welche fie mit
ihrem einfachen Kleide nicht gepaßt haben würde.
Aber fie war zu jolcher Zeit auch müde, denn fie
hatte dem ganzen Tag über gearbeitet wie ein Tag—
löhner.
Eines ſchönen Sommertages Fam die Perflex
in den Garten der Frau Lävay; fie kam in Beglei-
tung eines alten Beamten, der nicht ungariſch wußte;
Frau Lävay aber verſtand nicht deutſch.
— 3 fonnte e8 nicht über mich gewinnen,
Sie nicht zu befuchen, jo verlodend winfen Ihre
Ihönen Obftbäume. Dei miv wollen fie nicht vecht
gedeihen, obgleih mein Gärtner alles mögliche
aufbietet. N
— Mein Gärtner aber macht es folgender
Weiſe; ich fomme im Frühling in den arten und
rühre fleißig die Hände, und ruhe nicht bis im
Spätherbit.
— 3a, dies find allerdivgs hübfche Reine-
Claude’s; ih glaube nicht, daß fie in Verſailles ſchö—
ner find, „Nicht wahr, Herr Gruber ?“
— Ja wohl antwortete Herr Gruber, der
übrigens gar nit wußte, wovon die Rede war.
— 113 —
Fran Lävay fette ihren Gäjten ein Körbchen
voll reifer Pflaumen vor.
— Aber meine Melonen find Schöner, jagte
die Blum, als fie zwifchen ven Melonenbauten ſpa—
zirten ; ich habe jchon reife Melonen, und bejonders
die Marfeilfer, die find jo ſüß wie Zuder. „Nicht
wahr Herr Gruber ?*
Herr Gruber merfte an dem Geſichtsausdrucke
der Sprecherin, daß von irgend einer guten Speije
die Kede jein müffe, und nahm daher nicht Anjtand,
ein ganz entjchievenes „Ja wohl" zu jagen.
— Freilih, antwortete die alte Frau, bei
Ihnen werden die Melonen in Miftbeeten ge-
pflanzt und unter Glasgloden gejtellt, daher reifen
fie früher, al8 bei mir, wo fie allem Wind und
Wetter ausgejett find. Dafür entfalten fie fich deſto
beſſer und find nur um jo ſchmackhafter zu ihrer Zeit.
— Ad, wie gut die meinen find, davon ha—
ben Sie gar feinen Begriff. Ich habe eine Ananas
melone, die einen folchen Geruch verbreitet, daß man
ihn noch am folgenden Tag im Zimmer wahrnimmt.
Dann habe ich eine Turkiſtaner Gattung, die ein
vollitindig weißes Fleiſch hat, und lauter Saft und
Süßigkeit ift. „Nicht wahr Herr Gruber ?"
Dies war die ſchwache Seite der alten Fran.
— Mit riffiger Rinde?
— D nein, fie ijt jo glatt wie ein Kürbis;
— 119 —
fein Dieb würde fie ftehlen, jo anfpruchslos ſieht fie
aus. Sie haben Feine jolche ?
— Ad nein, fagte Frau Laͤvay halb traurig,
‘halb beſchämt.
— Num die müfjen Sie doch verjuchen; ma—
hen Sie mir morgen das Vergnügen Ihres Beju-
es in meinem Garten.
— Ich danke jehr, ich werde ein Körbchen
Pflaumen mitbringen.
Sie mochte nichts ſchuldig bleiben.
Frau Blum fand e8 nicht überflüßig zu bemer-
fen, daß Niemand außer ihr und Herrn Gruber an:
weijend fein werde. Bor Herrn Gruber aber könne
man alles Mögliche Iprechen.
Herr Gruber verjtand aber von der ganzen
Konverſation doch jo viel, daß er das Feine Körb-
chen voll Pflaumen nach Haufe tragen müſſe.
Nachdem vie alte Fran jchlieglich ihren Gä—
ften alle Obſtbäume gezeigt hatte und von jever
Obſtſorte einige Stüde mit auf den Weg gegeben,
begleitete fie diejelben bis an die Straße, kehrte dann
in den Garten zurüd und fing nun an, darüber
nachzudenken, was wohl die Blum zu dem Beſuche
veranlaßt haben mochte, und warum dieje fie zum
Beſuche eingeladen. Sch habe fein Geld, fagte fie ich,
mit welchem ich wuchern könnte, ich habe feine vor-
nehmen Verbindungen, und nicht einmal einen Sohn
TO
habe ich, welchem zu Liebe man fich um meine Freund
ſchaft bewirbt.
Bei dieſem letzten Gedanken verweilte fie.
Wäre dies oder jenes gejchehen; hätte fie
och Bela zum Ingenieur erzogen; hätte fie doch
eine Frau für ihn gefucht; wären fie doch nicht in
die Stadt gefommen, wären fie nur fchlichte Land—
leute geblieben, wenn nur Bela nicht in den Krieg
gezogen wäre; wäre er bei der National-Garde ge-
biteben ; hätte er fich doch zu feiner Mutter geflüch-
tet; hätte er nur eine Frau gehabt, die ihm Gnade
zu erwirfen im Stande wire — dann jtünde auch
ſie nicht fo verlaffen da,
Zum Glück fuchte Niemand ihre Gefellichaft,
und erfährt fie daher auch nicht, was für einen Auf
ie Wittwe ihres Sohnes hat.
Am folgenden Tage legte fie doch Feſtkleider
an und befuchte die Heine Perfler in ihrem Garten.
Die fleine Iuftige Frau empfing Frau Laͤvay
ſehr herzlich, und in der That war im Garten Nie—
mand außer dev Gejelffchafterin und Herrn Gruber
anweſend. Frau Blum unterhielt die alte Fran ganz
vorzüglich ; fie trug ihr nicht nur friſches Obſt, ſon—
dern auch frifchen Tratſch auf, den bejahrte Damen
niemals unwillig anhören.
Der Bräutigam des Fräulein X. machte jich
vor der Trauung aus dem Staube, weil er hörte,
daß fein zukünftiger Schwiegervater dem Ruine nahe
— 121 —
jei. Herr Y. wurde irrſinnig und lief unbekleidet
durch die Straßen. Bei einer Trauung habe nicht
die Braut, fondern der Bräutigam geweint. Herr Qu.
ließ feine Frau einen Eid ablegen, daß fie ihm nicht
untreu geworden. Ein vierfchrötiger Bauer habe
Herrn R., den er in feinem Gehege gefunden, tüchtig
durchgewalft. Ein vornehmer Herr habe feine Köchin
geheirathet und jegt wolle ihn Niemand bejuchen,
Ein alter Junggeſell wollte eine alte Wittwe heira=
then, die ihm zurückwies; er heirathete dann die
Tochter. Hundert derlei Gejchichten erzählte Frau
Blum, und die gute alte Frau gab fich bereits dem
Glauben hin, daß der geftrige Befuch und die heutige
Unterhaltung feinen andern Zwed, als eine harm—
loſe nachbarliche Zuſammenkunft hätten,
Plöglich aber führt eine Chaiſe in den Hof,
und bald tritt Herr Fertöh ind Zimmer.
— Was für Wetter hat den Men’chen hieher
gebracht, flüjterte Frau Blum der alten Frau zur.
Laut fagte fie dann: Ah, Herr von Fertöy. Eine
Unenblichfeit, ſeitdem ic) das Vergnügen hatte, Sie
fommen gerade recht. Wir haben heute die Melo—
nenleſe.
— Ihr ergebener Diener, meine Damen; ich
küſſe die Hände, meine ſchöne Gnädige. Mein Weg
führte mich vorüber, und ich konnte es nicht über
mich gewinnen, meine Freunde nicht zu beſuchen. Bin
jehr erfreut, auch Frau Yavay bier zu finden,
= IE
Fertöy fette ſich hierauf an den Tiſch und
nahm von der angebotenen Melone.
— Im Grunde find wir doch Verwandte,
fagte er, zu Frau Yavah gewendet, aber weiß Gott,
unfere Verwandtſchaft geht arg in die Brüche.
— Nicht, daß ich wüßte, entgegnete Frau La-
vay kalt; wenn auch mein armer Sohn geftorben ijt,
Lebt doch meine Schwiegertochter, die jeinen Namen
führt. Sie efjen die Melone mit Zucker, verjuchen
Sie fie lieber mit Sal;.
— Ich danke. Ich weiß wahrhaftig nicht wie
lange fie ven Namen nod) führen wird.
— So Lange e8 ihr gefällt; bis fie heirathet.
— (68 ſcheint daß Sie lange nichts von Judith
gehört haben ?
— Ich leje die Zeitungen und diefe loben fie
ungemein.
— Will hoffen, daß ſie nicht ihr Privatleben
preiſen.
Die alte Frau kannte das Verhältniß zwiſchen
Judith und Fertöy und war daher nicht überraſcht,
daß er fi) lieblos über fie auszufprechen anſchickte.
Sie war entichloffen Judith zu vertheidigen.
— Ach, von Schaufpielerinen erzählt man fich
gar mancherlei, woran Fein wahres Wort ift. Eine
andere Frau kann thun was fie will, eine Schau-
fpielerin aber wird erbarmungslos verleumdet. Ue—
brigens wenn Sie jo große Luſt baben zu kehren, jo
— 123 —
werden Sie wohl vor Ihrer eigenen Thüre zu keh—
ren finden; nicht wahr, Herr Gruber ?
Die Heine Blum fonnte fih vor Lachen kaum
halten, und ſchob die Urjache ihrer Heiterfeit Herrn
Gruber zu, welcher in jeiner Verlegenheit über das
unveritandene Thema nicht fogleich mit feinem „Ja
wohl" herausrüden konnte, und an einem Biſſen
Gantaloup beinahe erſtickte. |
Herrn Fertöy erging es wie der Brillen:
Ichlange, deren Kamm immermehr anjchwillt, je
mehr fie gereizt wird.
— Es ijt wahr, daß man den armen Schau—
jrielerinen vieles nachfagt, woran fie gewöhnlich un-
ſchuldig find; dennoch bin ich meinerjeits kaum ge-
neigt zu glauben, daß ficd) die olympiſche Fabel Iu-
no's und ihres Sohnes Mars, Judith zu Liebe,
wiederholt haben follte,
— Sie wiffen es gut, mein Herr, daß ich
mich anf die lateinischen Fabeln nicht verſtehe und
demnach auch nicht wiſſen kann, wie e8 der Juno’
ergangen.
— Die Gefhichte ift einfach. Juno roh an
einer Blume und gebar davon ihren Sohn Mars,
Die alte Frau legte das gläferne Meffer, wel
ches fie zu ihrer Melone benütte, auf den Tiſch und
frug bedächtig:
— Was ſpricht der Herr da.
—
— Sollten Sie keine Kenntniß davon haben,
daß Judith dieſer Tage einen Sohn gebar?
— Nein, nein; das kann nicht ſein! .. rief die
alte Laͤvay aufgeregt, mit der flachen Hand auf's
Tiſch klopfend ... das iſt nicht möglich.
— Und dennoch iſt es ſo. Judith verſuchte es
nicht einmal die Sache zu verheimlichen, denn ſie
hat ihr Kind bei ſich behalten und zeigt es einem Je—
den, der ſie beſucht.
— Das iſt ja fürchterlich, wenn das Warheit
iſt! ſtammelte die alte Frau mit bleichem Geſichte ...
Es ſind bereits vierzehn Monate her, daß mein Sohn
Bela geſtorben.
— In der That es ſind vierzehn Monate, und
das Geſetz gibt nur auf eilf Monate Kredit.
— Wenn es wahr wire? murmelte die Alt,
und wollte nod immer nicht glauben.
— Man kann fih am beiten überzeugen,
wenn man hingeht und mit eigenen Augen jieht.
— Ha, ha, Sie haben Recht ; ich werde gehen.
Gleich will ich mir meinen Paß verfchaffen. Aber
der Herr muß auch mitkommen.
— Jedenfalls. Und wenn fich meine Behaup—
tung bewahrheiten follte, was dann? ...
— Ich weiß es noch nicht was gefchehen wir.
Vielleicht werde ich wahnfinnig. Vielleicht reife ich
ihr die Brut aus den Armen, und erwürge fie vor
— 125 —
ven Augen ver Mutter; vielleicht tödte ich fie und
auch mich.
— Diele Thorheit werden Sie wohl nicht be-
‚schen, fondern Sie werden Judith zwingen, dem Na—
men, welchen fie geführt und entehrt hat, zu entjagen.
— Sie haben Redt, ich habe nunmehr nur
mit dem Namen, und nichts mehr mit der Perfon zu
thun, ich werde mit kaltem Blute zu ihr fprechen....
fie muß fhriftlich dem Namen meines Bela's entfa-
gen... . dann werde ich fie verachten und verlaf-
fen... . doc nein, nein! Ich will Xeute für Geld
Dingen, welche ihr, wenn fie im Theater auftritt,
einen Zwiebelfrang zu den Füßen werfen, und fie
‚auspfeifen.
— Bleiben wir nur bei unferem erjten Plane.
Sie werden ihr Ihren, und ich ihr den Namen der
Familie Hargithay entziehen. Wir wollen vereint
handeln, die Hand darauf.
Frau Laͤvay drückte bie Hand ihres ärgſten
Feindes und gab ihm das Verfprechen, ihn bei je-
nem böjen Werfe behilflich zu fein, welches ihr Lieb-
jte& zu vernichten drohte ; der Zorn, die Scham hatte
fich ihrer ganzen Seele bemädhtigt.
Sie vermochte nicht länger in diefer Geſell—
Schaft zu verweilen, und ſchickte fich zum Gehen aıt.
Die Blum hielt fie zurüd.
— 68 foll ja erft das Gefrorene kommen.
— Dante, bin bis in meine Seele erfroren.
— 126 —
Die Hausfrau machte Herrn Fertöh Vorwürfe.
— 68 war unrecht, das jett zu erwähnen.
Sie haben ung unfere ganze Unterhaltung verborben.
Wir fühlten ung jo wohl, bis Sie nicht famen, Sie
böfer Menſch.
— Laſſen Sie ihn... . unterbrach die alte Laͤ—
vay die geſchwätzige Hausfrau, und legte ihre Hand
auf vie Schultern Fertöy's. .. Er ift der einzige aufs
richtige Menfch, mein einziger wahrer Freund, Alle
andern haben mid) belogen, haben mir die Wahrheit
verheimlicht, bis mir dev Koth über den Kopf wuchs ;
das ift der einzige redliche Mann, welcher mich he—
rauszog . .. . Sch danke Ihnen mein Herr, danke
Ihnen. Ich habe Sie nie leiden mögen, habe Sie
jtet8 gemieden ; von heute an achte ich Sie als mein
einzigen guten Freund.
Damit ſchwang fie ihr großes Tuch um den
Hals und jchickte fich an, zu gehen.
Die Blum wollte fie zurüdhalten, äußerte
ihr Bedauere, daß e8 fo gefommen... . Ich möchte
es nicht für die ganze Infel geben, wenn ich Sie für
heute nicht gerufen hätte, ... welch ein Unglüd.
Im Gegentheil bin ich Ihnen ſehr verpflich—
tet, daß Sie mich geladen, ich freue mich außeror—
ventlich darüber ; nie werde ich Ihnen biefe Freund—
lichfeit vergeffen, Gott jegne Sie dafür. Die Melo—
nen waren prächtig, doch werde ich mir feinen Sa—
men evbitten.
— 127 —
Damit ging fie geraden Weges in die Stadt.
Es brühten alle bitteren Gedanken in ihrer
Seele; fie bemerkte gar nicht, wenn fie Jemand auf
der Gaſſe gegrüßt, Heine Buben, ihre Tauffinderchen:
küßten ihr die Hände, aud) die ſah fie nicht, fie fchritt
nur vorwärts, bis fie auf ben Dreifaltigfeitsplag
fant. Dort ſchaute fie fid) um, wo denn jenes Amt
fein ſoll, allwo fie einen Reiſepaß fich holen müffe..
Sie wollte nicht herumfragen, und von ſich
felbft fand fie uicht dahin. Andere Zeiten, andere
Menfchen find über die Stadt gefommen, mit denen
fie nicht einmal Sprechen konnte.
Wie fie da herumfpähete, da fieht fie ihren
alten Bekannten, ven Herren von Kolbay, das alte
Haus, vom englifchen Garten her auf fie zukommen.
Sie eilte ihm entgegen.
— Nun freue ih mich wirklich, daß ich
meinen guten Herrn treffe. Sie fommen mir wie
gewünſcht.
— Wirklich? frug der alte Herr; ſehr erhei—
tert über ven Gedanken, daß es noch ein lebendes
Wefen auf ver Welt gibt, das fich darob freut, went.
e8 ihn kommen fieht. Und womit könnte ich Ihnen
dienlich fein, gute Frau ?
— Das werde id) Ihnen ſchon jagen, wills
aber nicht hier auf der Gaffe thun. Will Sie um.
— 123 —
«eine Gefälligfeit bitten: kommen Sie zu mir ins
Haus, bort werd ich’8 erzählen.
— Mit taufend Freuden! Hätte mir’ nie ge:
dacht, daß ich noch eine Gefälligfeit Jemandem zu
erweifen fähig fei. Eilen wir denn, doch iſt mein
Haus noch näher, wir könnten da von der Garten
feite gleich Hingelangen : dort Fünnten Sie mir er—
zählen, was Sie befehlen.
— Auch gut.
Dean konnte vom englischen Garten aus näch—
jten Weges in das Haus Kolbay's gelangen, deſſen
Gartenfeite auf jener Gaſſe lag; ver alte Herr
machte die Thüre des Planfens auf und ließ Frau
Laͤvay voran.
Ein trauriger Garten war das: eben fo alte
verwitterte Bäume, wie ihr Herr, gerade fo zerjchnit:
ten, zerfägt; Feiner bringt mehr eine Frucht, nur an
ihren Seiten wachjen noch krankhafte, welfe Waſſer—
triebe ; auch das Gras will darin nicht mehr grünen,
und die Blumen wollen nicht Knofpen treiben, nur ein
mächtiger Epheu läuft herum mit feinen Ranken über
"Mauer, und dürre Birnenbäumte, vielleicht ein Spröß
ling aus dem Helvenfranze des tapferen Reden, ver
fortwächft in die Jahre hinein, damweil das Andenken
der Thaten des Helden in Staub zerfällt.
Dort war eine Laube aus Serichorofen, darin
ein morſcher Tiſch, und eine wadelige Bank; dort
hieß er Frau Lavay fich nieverzufeten.
— 129 —
— Ich weiß e8, daß Sie lieber im Garten
bleiben. (Wollte fie nicht in die Zimmer führen ; bort
gibts Unordnung !) |
— Danfe: wünjche mich wirklich zu ſetzen,
obwohl nicht müde; aber meine Füße find wie Blei.
— Alfo womit fann ich Ihnen zu Dienften
jteben ?
— Das iſt eine ſchwere Sache. Will morgen
nad Peit : wollte einen Reiſepaß haben ; mich eckelt's
aber hinzugeben in das Amt, dag man mich dort
bin und her ftoßen joll, und herumfragen: kann gar
nichts deutſch; daß man mich auslache. Es könnte
noch Jemand mit mit grob jein, und den würde ich
recht ausmachen.
— Alſo Sie wollen, daß ich Ihnen einen Paß
verichaffe, ohne daß Sie perfönfich Hinfonmen ?
Nichts leichter als das.
— Wolfen Sie's thun, mein guter Herr? der
liebe Gott fegne Sie dafür.
— Warum ſollt' ich’ nicht thun; bin ja gut
befannt mit all ven Herren ; fojtet nur ein Wort von
mir. Alfo wollen Ste nach Peit ?
— Ja. Nur auf einem Tag.
— &o werden Sie doch befuchen Ihre Tiebe,
Brave, gute Schwiegertochter ? |
— Lieb ? Bravo ? Gut? Und Schwieger-
tochter? fagte bitter die Frau, warum fagen Sie
Andere Zeiten, andere Menſchen. IU. Band. 9
— 130 —
nicht auch noch: „jened tugendpfame. Weib ?'
— No! Was ift das, frug der Major höchſt
erſtaunt.
— Ja wohl; ich will beſuchen dieſes — Weibs—
bild! aber meinen Beſuch wird ſie nicht unter ihre
Feiertäge notiren.
— Nur Ruhe! Nur nicht ins Feuer kommen.
— Was Feuer? Gift habe ich bis hieher!
Bis in die Haaresſpitzen. Ja wohl, zu ihr will
ich, aber um Gericht zu halten, ein ſchreckliches
Gericht.
— Gute Frau, ich weiß nicht was Sie gegen
Ihre Schwiegertochter haben ? daß e8 aber eine Unge—
rechtigfeit ift, jowiel weiß ich. E8 giebt wenig Weiber
auf der Welt, vor denen ich den Hut ziehe: bei ihr
thue ich e8, wenn ich nur ihren Namen höre. Ich weiß
wicht, wontit man fie bei Ihnen verläumdet Hat, aber
ich jage e8 Ihnen, daß wenn ich es als greifbare
Wahrheit in den Händen hätte, jo würde ich fageı,
eine Lüge iſt's, ich glaube es nicht, jelbft wenn ich
e8 ſehe. |
— Mein Herr! Kleinigkeiten bringen mich
nicht auf; ich gehe feinem Geklatſch nach; aber diejes ift
eine jo unverhüllbare Schande, was dieſes Weibsbild
anf mein granes Haupt, auf das Grab meines Bela
gebracht, daß ich mich fürchtete mit meinem lieben
— 131 —
Sohn. im Jenſeits zujammenzutreffen, wenn ich
es nicht jtrafen jollte.
— Ich frage nicht darnach, will e8 auch nicht
hören, was man Ihnen erzählt haben mag; ich fehe
blos das Bild vor mir, wie id) fie zum letztenmal
gejehen. Das Weib,welches fähig war auf jenen Ge—
danken zu kommen, und jelben jo auszuführen; das
wird feine Schande auf das Grab ihres Mannes
bringen. Man betrog Sie, arme Frau,
— Nein. Es iſt Gewißheit.
— Erinnern Sie ſich noch daran, gute Frau,
wie ich einft von Ihnen ein Bündel Stroh verlangte
— zu einem Sit in dem Bauernwagen; da fagten
Sie mir: „ich gebe feines; ein andersmal einen
Sad voll Saffran, jett feinen Strohhalm, denn Sie
wollen auf Menjchenjagb gehen. Ich warne Sie ,
gehen Sie nicht, denn Gott verleiht demjenigen fein”
Glück, der feinen Mitmenjchen verfolgen geht. Es
geſchah fo, wie Sie mir gejagt. Gott hat mich ges
züchtigt dafür, daß ich auf die Verfolgung eines
Menjchen ausging. Ich ſelbſt fiel in die Falle hinein,
man ſchimpfte mich herunter, wie einen Schuljungen, _
wie einen Deferteur, und ich mußte erleben, daß ich
erröthen fol. — Nun gute Fran, jetst gebe ich Ihnen
den Borg zurück: den guten Rath: gehen Sie nicht
auf eine Menfchenjagd, denn e8 kann gejchehen, daß
Sie ein anderes Wild erlegen, als welches fie jagten ;
9*
— 132 —
nehmen Sie den guten Rath eines alten Mannes an,
ver feine Urfache mehr hat Jemanden guten Rath
zu urtheilen. Reifen Sie nicht nach Peſt; bleiben
Sie zu Haufe. — Jetzt gebe ich Ihnen Fein Bündel
Stroh — ich verichaffe Ihnen feinen Reiſepaß.
— But: alfo werde ich mir jelbjt einen ver-
Ichaffen : damit fprang die Yavay auf und ging ohne
zu grüßen von bannen. |
Kolbay rief ihr noch nach.
— Frauchen! geben Sie Acht! Erinnern
Sie fich meiner Menſchenjagd. „Wer das Reh jagt,
trifft auf ven Löwen“ Sie werden Ihre Familie in
großes Unglüd jtürzen.
Doc) die alte Frau hörte nicht auf ihn, fie
ſchlug die Thüre hinter fich zu, und eilte nach Haufe.
Wie fie bei ihrer Thüre eintrat, da erwartete
ſie Schon ihr Dienftmädchen mit einem Briefe, ven
jo eben ein Diener überbracht hatte.
Frau Lävay erbrach das Couvert. Es enthielt
einen Reiſepaß für fie auf ein Jahr ausgeftellt.
Herr von Fertöy war gefälliger, wie der Ma:
jor, während dieſer die alte Frau abgewiefen, derweil
hatte er den Reiſepaß für Sie beforgt und ins Haus
geſendet.
In einem Zimmerchen, deſſen Größe kaum
fünf Schritte in der Länge und Breite betrug, deſſen
Fenſter ſtets verhängt und wo der Stubenboden mit
— 133 —
weichen Teppichen bedeckt war, um den Schall der
Tritte zu dämpfen, deſſen ganze Einrichtung aus
einem Bette und einem Schreibtifche und Stuhl be-
ftand, wohnte feit vierzehn Monaten in ftiller Zu—
rücgezogenheit Bela Lävay.
Es gibt Yeute, die dieſes Zimmer einen Ker-
fer nennen würden. Es geht auf Eins heraus, ein:
gejperrt zu fein hier oder dort, nur die Ausficht
durch's Fenſter ſei verſchieden.
Dem wirklichen Gefangenen geht es noch bef-
fer, denn er darf ſich zweimal des Tages in der
freien Yuft bewegen.
Oder ift e8 etwa Fein Kerker, wenn Jemand
aus jener Welt, in welcher er früher gelebt, ausge-
ſchloßen wird; für Einen, der Freunde, anregende
Unterhaltungen gekannt, ver von jeder Saifon weiß:
„zetst gibt e8 Bälle, meine Freunde tanzen in den
von Wohlgerüchen duftenden Räumen ihrer Säle
Walzer und Polka; unter meinem enter aber wer:
felt ein Yandftreicher, oder auch ein invalider Hon—
ved ganz neumodiiche Werfen. Berühmte Virtuoſen,
Künftler, Ballerinen tragen ihre Kunft auf ber
Bühne zur Schau; Mimen afrikanischer und ande-
rer Farbe deflamiren italienisch, franzöfiich und
engliich ; und dieſer Eine darf nicht gehen, dieſem
Einen it dies Alles wie aus feinem Leben heraus:
gejtohlen. — Der Frühling rüdt an, er ijt da mit
— 134 —
all’ feinen Herrlichkeiten; dem Gefangenen verkün—
det ihn nur der Monatsrettig; dann folgen die Bäl-
le im Kaiferbade, das Wettrennen, er fieht nur die
Programme von alledem. Die Leute geben auf Reis
jen, in die Bäder, auf die Jagd und in die Wein
leſe .. . er fitt ziviichen feinen vier Mauern und
gewöhnt fi an's Sterben.
Doch nein, es iſt nicht fo.
Derjenige, welcher an ver Norbjeite ver Bäume
das Moos wachen läßt. um dieſelben gegen ven
rot zu jchügen, hat auch dafür gejorgt, daß Die
Einwohner der Kerferzellen nicht dem Wahnfinne
verfallen.
Bei ven Bewohnern diefer Zellen. jchläft Die
Leidenſchaft ein, fterben die Wünſche, und die Fantaſie
eritarrt. Spiele, mit welchen fich draußen Kinder
unterhalten, füllen die Seele des Gefangenen aus.
Der nächſtbeſte Gegenjtand erregt fein Intereffe, ihn
jtören die Sorgen der Außenwelt nit, ſchließlich
gewöhnt. er fich dermaßen an feine vier Wände, daß
er. fich fürchtet, von ihnen zu ſcheiden; daß er ſich
einbildet, diefe vier Wände jeien fir ihn die ganze
Welt. |
Und erjt wenn diefe Welt einen Schußengel,
wie e8 Judith für Bela war, befitt, wenn in dem
Kerker ein neues Licht, Das Lächeln eines Kindes
dringt ? der Gefangene brütet aus dieſem Lächeln
— 155 —
seinen ganz neuen Yebensplan, eine ganze Märchenwelt
Heraus, Bela hatte nie an die Genüſſe ver verſchiede—
nen Jahreszeiten gedacht; er war glüdlich in dem,
was die Seelen der verjtorbenen beglückt, wenn
fie nngejehen und ftumm ihre Lieben unfchweben
fönnen. ....
Es wird vielleicht Niemanden Wuuder nehmen,
daß Judith nie die Gefchichte des Geleitſcheines,
für welchen te fich einjt jo viel bemüht und gelitten,
für welchen jie ald Todte im Sarg gelegen, Bella
erzählt.
Damals war e8 gut. Für Judith war es ein
berubigendes Bewußtfein, für den Gatten eine
Schrift errungen zu haben, welche ihn gegen vie
größte Gefahr ſchützte; als aber ver Geliebte wieder
ihr Eigenthum geworden, als fie ihn bejaß, als es in
ihrer Macht jtand, ihm nicht mehr zu verlieren, wie
konnte fie e8 gejtatten, daß er auf einen jo Schwachen
Fahrzeuge fich dem wogenden Meere anvertraue,
deſſen Ufer noch mit den Trümmern verunglüdter
Fahrzeuge bevedt war? ...
| 68 iſt ja allbefannt, daß es Yeute gab, Die ihre
Schätze vergruben, und nicht das Vertauen hatten,
dieſelben gegen eine gejchriebene VBerficherung herzu—
Leihen, 4.4.% Iſt ein Gatte nicht ein theuerer Schaf,
als alles Gold der Erde? |
Viele von und werben fich jener Frau erin-
nern, die ihren Gatten in ihrem Häuschen int Ge—
— 136 —
biete Peit-Dfens verborgen hielt; wo ihn Niemand
fand jo oft man ihn auch juchte, trotzdem daß er ſtets
zu Haufe geweſen ... aber wo ?Unter einem breiten
Stein, in der Mitte des Herdes..., Wenn die
Hausdurchſuchung Fam, hob fie den Stein ſammt
den tarauf brennenden Holzicheiten auf, und der
Gatte flüchtete in fein Berfted ; der Stein wurde an
jeine Stelle gefetst, die Frau fochte mit fröhlichen.
Gejichte weiter, während man den Gatten im Keller
und am Boden juchte.
Die Frauen können jehr jtark in ihrer liebe—
vollen Eiferincht fein !
Es gab außerdem noch andere bedenkliche Um—
jtände, welche jene Schrift nicht überwinden konnte,
denn wenn auch Judith Beruhigung fand, daß das
Leben ihres Gatten durch den Geleitichein geſchützt
fet, jo blieb doch die Beſorgniß, daß man ihn zum
Militär einreichen werde. Im günftigiten Falle
mußte man darauf gefaßt jein, daß man ihn nach
jeinen Geburtsort abjchiebe und dort internive.
In diefen Falle hätte fie entweder von ihrem
Gatten oder von der Bühne Abjchied nehmen müffen.
Schließlich ſagen wir e8 aufrichtig heraus,
daß fie fo viel verlodend Schönes in dem Gedanfen
fand, daß nun Derjenige, ven fie jo lang, mit ſolcher
Wärme und fo aufridhtig geliebt, nur ihr Allein
und Niemand Anderem auf diefer Welt gehöre, daß Fein.
— 137 —
einziger feiner Gedanfen fich in die frivole Welt verir-
ren fönne ; daß jener Mann, der ihre ganze Seele aus—
füllt, ebenfo auf ihre Schritte, auf ihre Stimme
lauſcht, wie fie einjt in ihren jchlaflofen Nächten auf
feine Stimme, auf feine Schritte gelaufcht hatte;
daß der vergötterte Gatte nnr, ihr ganz ihr gehört, jo
wie das Kind ausschließlich ver Mutter gehört, bevor
es das Licht ver Welt erblickt! ...
Es liegt etwas in dieſem Gedanken, was die
Männer nicht begreifen... . Judith war eben eine
Frau, und wen ſich ein Mann findet, der fie deßhalb
verurtheilt jo werden fie jedenfells alle Frauen frei
Iprechen.
Kur Melchior, der junge Arzt, war ing Ges
heimniß eingeweiht. Er wußte zu fchweigen.
An einem Morgen ſaß Judith an der Wiege
ihres jchlafenden Kindes und ftriefte an einen winzigen
Röckchen, als fie aus ihren ſüßen Träumereieu durch
heftiges Klingeln gewect wurde.
Judith erhob ſich und erjuchte Bela, ſich an
die Wiege des Kindes zu ſetzen, bis fie nachſehe wer
da fomme,
Außerhalb des Eleinen Zimmers befand ſich
noch ein Schlaffabinet, deſſen Thüre ſtets abgejperrt
war, um jedes Lauſchen zu verhindern.
— So oft ich klingeln höre, erſchrecke ich im—
mer... ſprach Judith ... ich erwarte deine Mutter.
— 153 —
— (68 war gut, doß wir fie durch Melchior
benachrichtigen Liegen.
— Ich bevauere 8, daß ich fie jo lange leiden
und nur dich trauern ließ. Dafür werde ich noch zu
bien haben, denn man muß für Alles büßen.
Es geſchah aber, daß unfer Freund Meelchior
an demjelben Tage nach Komorn reiſte, um Fran
Laͤvay fiber das Familiengeheimniß aufzuklären, an
welchem dieje nach Belt fuhr, um von Judith Rechen:
Ichaft zu verlangen. Die beiden Dampfer begegneten
fich bei Gran; Melchior erblidte die alte Dame am
Bord des pejter Schiffes, als fie ſich eben ganz ver:
traulich mit Fertöy unterhielt. Melchior errietb all:
ſogleich was Fertöy vor habe. Er jtieg bei Almäs
‚aus, nahm einen Wagen und eilte nach Peſt Zurücd,
wo er aber ert in der Früh anlangte.
Wenn ihn damals nicht jene geführliche fire
Idee angewandelt hätte, daß es fich für einen haupt:
ſtädtiſchen Arzt nicht gezieme, in jtaubigen Kleidern
Viſiten abzuftatten, hätte er die alte Frau noch in
ihrem Quartier antreffen können; bis er ſich jedoch
umfleivete, Fam ihm Sertöy zuvor ımd nahm Frau
Laͤvay mit zu Judith.
Als Judith auf das Klingeln die Thüre ihres
Schlafgemaches öffnete, und von ihren Dienftboten
vernabm, daß draußen eine Frau ei, die fich Laͤvay
nenne und welche in Begleitung eites Herrn fomme,
zttterte fie vor dem Zufammentreffen nicht, da fie vie
— 139 —
Ueberzeugung hegte, daß der begleitende Herr fein
Anderer ald Melchior fein Fönnte! Wie er die Rück—
reife mit Fran Lavan jo jehnell machen Tonnte, war
ihr unbegreiflich.
— Laſſe jie herein.
ALS fich die Thüre öffnete, überzog Todten-
bläfie das Geficht Judiths, fie erblidte an der Seite
ihrer Schwiegermutter Fertöy.
Bor diefem Manne Fonnte fie ihrer Schwieger-
mutter nichts entdeden, fie mußte fich eben auf das
Schlimmſte gefaßt machen, das war die Strafe, bie
Strafe Gotteg dafür, daß fie der Mutter die Freu:
denbotſchaft vorenthaften ; diefen bittern Kelch mußte
fie bis zur Neige leeren.
Judith ergab fich. Kaum vermochte fie fich auf
den Füßen zu erhalten, fie zitterte an allen Gliederu.
Die Alte Fran bedauerte fie jehr, als die Ar-
me fo vor ihr ftand, und begann ihr Muth zuzu—
ſprechen.
— Zittern Sie nicht vor mir, Madame, ich
bin ja in keiner böſen Abſicht gekommen. Ich weiß es,
daß man Frauen „im ſolchen Zuſtande“ nicht aufre—
gen darf. Setzen ſie ſich, ich bitte Sie darum, ich
bin ja nicht gekommen um Unheil zu ſtiften.
Judith war keines Wortes mächtig, ſie ſtand
geſenkten Hauptes vor ihrer Schwiegermutter, Sie
zitterte vor dem Gedanken, daß Bela im benachbar—
ten Zimmer die Stimme ſeiner Mutter vernehmen
— 140 —
und heraus kommen könnte. Sie bemeifterte fick
jedoch und frug mit jo lauter Stimme, als fie e&
eben vermochte, ven Zauber brechend, welcher fie
ſtumm gemacht.
— Weshalben haben Sie Herrn Fertöy mit-
gebracht ? Das muß Bela gehört haben, daß nicht
nur feine Mutter, fondern auch Fertöy hier fei.
Die alte Frau winfte Fertöh, zu jchweigen ; jie
ſprach für ihn.
— Mein Better Fertöy (das Wort Vetter be-
tonte fie insbeſonders) habe ich deßhalb mitgebracht,
weil meine Hieherfunft auch eine gewiße juribifche
Urfache hat: e8 wird nothwendig fein, Einiges
Schriftlich zu verfaffen, wozu man einen Mann
braucht, ver es verſteht. Erſchrecken Sie nicht über
das, was ich Ihnen fage, ich beabfichtige Feine Ro—
heit zu begehen, obwohl ich vom Haufe aus mit dem
Vorſatze wegging, daß ich hier fürchterliche Dinge
verrichten werde; doch überlegte ich mir's auf dem
Wege und befann mich eines Bejferen ; ich habe Fein
Recht auf Sie, ich fordere auch nichts von Ihnen
zurüd, als meinen ehrlichen Namen.
— Ich werde ihn ablegen Madame.
— Gie werden e8 ja jelbjt einjehen, daß ſie
ihn nicht mehr weiter führen können.
— Ich ſehe es ein und werde mich von dem
Namen trennen.
— 141 —
— Und welchen werden Sie denn annehmen ?
ven Sie dürfen nicht vergejfen, daß Sie Schaufpie-
ferin find, deren Namen man lieft. Glauben Sie
nicht, daß es ein noch größeres Aergernif geben
würde, wenn Sie plöglih, Ihren Frauennanten
niederlegend, mit einen Mäpchenfopf vor der Welt
ericheinen möchten ?
— Ich will die Bühne verlaffen, ſtammelte
Judith entjchlofjen.
— Und wovon werden Sie dann leben ?
— Ich werde arbeiten.
— Das ift leicht gejagt: „Ich werde arbei-
ten” — wenn man e8 aber nicht gewohnt ift. Ich
mühe mich den ganzen Tag gleich einer TZaglöhnerin
ab; wenn ich aber von meiner Hände Arbeit Leben
müßte, könnte ich mir nicht das Salz zum Brode
verdienen. Dod) ift e8 an der Zeit, daß ich Ihnen
Tage weshalb ich gefommen. Es war jedenfalls mein
Wille, Sie aufzufordern, dem Namen meines Soh—
nes zu entjagen und dann die Bühne zu verlaffen.
Ich war darauf vorbereitet, daß mir dies viel Ueber—
redung fojten würde. Es ift mir aber fehr lieb, daß
fie fich auf mein erſtes Wort fügten und einjehen,
daß Sie den Namen meined Sohnes nicht weiter
führen dürfen, nicht wahr ?
Judith vermochte es nicht, der alten Frau im
vie Augen zu ſehen. War doch die Anklage furchtbar
ungerecht; war boch das, was man ihr als Sünde
— 142 —
anrechnete, ihre größte Tugend; und doch ift es
einer ſchamhaften Frau unmöglich, ihren Blick zu
erheben, wenn fie ausgezanft wird. Das wäre wies
dernatürliche Komödie, das wäre falte Unverſchämt—
heit. Indith fenfte ihren Blick ud ftammelte:
— 68 ijt wahr.
— Sie werben deshalb auch gezwungen ſein,
die Bühne zu verlaffen ; ich glaubte Sie auch hiezu
bewegen zu können, doch glaubte ich nicht, daß es fo
leicht gehen würde; die Bühne gibt Ihnen ein ehrli-
ches Brod, und dieſe zu verlaffen, einem närrifchen
alten Weibe zu Liebe, welches wegen des Namens
ihres Sohnes Lärm fchlägt, ift eben fein Scherz.
Ih will nicht, daß Sie Noth leiden follen. Meinem
Sohne gebührt nach feinem Vater eine Erbichaft von
ſechstauſend Gulden. Diefe Summe habe ich ihm,
fo lange er lebte, nicht übergeben ; er war ein Mann,
auch er hat müffen für feine Eriftenz kämpfen, wie
jein Vater und Großvater. Unterdeſſen legte ich
Zins an Zins und vermehrte das Kapital bis auf
Zehntaujfend Gulden; dieſe übergebe ich Ihnen jet,
es ift Die Morgengabe Ihres geftorbenen, vergeffe-
nen Gatten; lebe Sie davon arın, aber ehrlich.
Nach diefem Worten zog die alte Dame eine
Obligation aus ihrer geftidten Handtafhe; das Pa—
‚pier lautete auf Zehntaufend Gulden und war auf
einen Erundbeſitz am erjter Stelle intabulirt.
— 1453 —
Judith's Herz preßte fich vor Schmerz zufams
men, und Thränen füllten ihre Augen. Die Mutter
Bela’s entzieht ftch den Biffen vom Munde, um ihn
der veritoßenen Gattin ihres todten Sohnes zn rei—
chen .. . . als Strafe. Judith wußte es recht gut,
daß dies beinahe das ganze Vermögen der alten Lä—
vay an&gemacht hatte. | |
Ä — Madame... fchluchzte Judith, ich ver—
mag Ihnen nicht zu antworten.
— Das verlange ich auch nicht, fagte Frau
Laͤvay kalt. Ich glaube e8 Ihnen, daß Sie gerührt
find. Sie glaubten, ich werde kommen, zu zanfen, um
. Ihnen Grobheiten zu jagen; nun haben Sie ſich in
mir getäuscht. Deshalben habe ich Herrn Fertöy mit-
gebracht, daß er die Sache zwifchen uns ind richtige
Seleife bringe; ev wird uns die Weifung darüber
ertheilen, was wir Beide zu thun haben, um mit-
einander zufrieden zu ſein.
Judith fühlte, als müſſe ihr das Herz berſten.
— Nein, ich kann dieſes Geſchenk nicht an—
nehmen. |
— Weßhalb niht?.... Sch bleibe darum
reich genug, ich kann das Geld ohnedies nicht bes
nügen und wüßte nichts damit anzufangen.
In dieſem Momente fiel ein Blick Judith's auf
das Geſicht Fertöy's. Ein ſpöttiſcher Blick aus die—
ſen wiederlichen Augen erweckte in ihr den Dämon
des weiblichen Widerſtandes. Vor dieſem Menſcheu
— 144 —
durfte fie fich nicht vemiüthigen laſſen. Sie ergriff
die Schrift und gab fie der Laͤvay zurück.
— Ib danke Ihnen, edle Frau, für ihre
freundliche Güte ; ich anerfenne e8, daß ich gejündigt,
und werde fir meine Sünde büßen ; ich kann trode-
nes Brod ejjen, werde aber nie nach dem greifen,
was nicht mir gehört.
— Sie find noch immer ftoß. Es wird gut
jein, wenn Sie ſich das abgewöhnen...... Was
wollen Sie demnach? Was Sie da von Arbeiten
ſchwatzen, iſt eitler Spaß ; paßt nicht für vernünftige
Menſchen ... Frauenarbeit! Was wiegt das in der
Schale? Sie weifen, und zwar mit Stolz mein be-
fheivenes Anerbieten zurück. Haben Sie vielleicht
‚andere Ausfichten ?
— Ich verstehe Sie nicht Madame.
— Nicht ? Sonderbar. . . Wollen Sie nicht die
Gefälligfeit haben und mir den Namen des Vaters
Ihres Kindes nennen ?
— Weßhalb wünfchen Sie das ?
— O, wahrlich nicht aus purer Neugierde. Ich
will es Ihnen aufrichtig gejtehen, weßhald. Wenn
ich erfahre wer dieſer Menſch ift, werde ich zu ihm
gehen und allfo zu ihm fprechen: Mein Herr! Sie
haben eine Frau unglücklich gemacht, die einft meine
Tochter geweſen; Sie haben nun die Frau ihres
Namens beraubt, gedenken Sie Ihrer Pflicht, und
wollen Sie ala Chrenmann gelten, geben Sie dieſem
— 145 —
anglüdlihen Gejchöpfe einen Namen... .. Nut
Madame wie heißt diefer Dann ?
Die Welt begann fih um Judith zu drehen,
fie juchte nach einer Stütze mit ver Hand, Anf dieje
Frage war e8 unmöglich, zu antworten.
— Ich darf ihn nicht nennen,
— Ich bitte... . jagte die alte Frau ermun—
ternd; mißverfteben Sie mich nicht. Ich will ja
feinen Lärm jchlagen; will ihm feine Vorwürfe
machen. Sit er arm, um jo bejjer, und wenn es mr
ein wandernder Komödiant oder ein bungernper
Dichterling iſt, ich werde weder ihn, noch Ihnen Vor—
wiürfe machen, jondern werde einfach zu ihn jpre-
chen : ich nehme Sie in die Erbichaft meines Soh-
nes auf; vermochten Sie feine Wittive zu gewinnen,
jo follen Sie dazu auch jein Vermögen befomnten.
Judith fiel vor ihrer Schwiegermutter auf
die Knie und bededte ifr Geficht mit beiden Händen.
— Tödten Sie mih nicht... o tödten Sie
mich nicht; ich kann, ich darf Ihnen ja nicht ant-
worten. |
— Stehen Sie auf, rief die alte Fran im
trodenen Zone... .ich bin nicht gefommen, um
Komödie zu fpielen; ſondern um den Namen des
Berführes zu erfahren ;jeßt fordere ich die Antwort
von Ihnen.
Nah diefem Worten riß fie Judith mit“
rauher Geberde vom Boden empor.
Andere Zeite, andere Menſchen. II. Band. 10
— 146 —
Diefe pregte die Yippen zuſammen und jchwieg.
— Werden Sie mir den Namen neunen ?
Judith vermeinte ſtumm mit dem Sopfe.
— Ah! Sie wollen ihm nicht nennen. Ich
verftche es. Sie wollen ihn nicht nennen, weil er
fein Bettler, fein elender Komödiaut, fein hungern-
der Poet, jondern ein reicher Herr... . . ein Schuft
it... Sie wollen das geheim halten, und der
Frauenehre, Ihrem Nahmen, der Bühne entjageı,
um die verborgene Maitreſſe eines Nichtswürdigen
zu werden. Mit dev Zunge jprechen Sie: ich will
arbeiten, und im Herzen denken Sie: die Schande
wird mich ſchon erhalten! ...
— Halten Sie ein.. . rief Judith verzivei-
flungsvoll.
In der Stille, welche dieſem Aufſchrei der
Verzweiflung folgte, wurden Schritte im anſtoßenden
Zimmer vernehmbar.
Iundith hörte mit Entſetzen, wie ſich Bela ver
Thüre näherte . . . ein Moment noch, und er wird
zwiſchen ſie treten.
In dieſem Momente der Verzweiflung ver—
gaß Judith Alles; nur die ihrem Gatten drohende
Gefahr ſchwebte ihr noch vor. Daß bis in den Tod
gehetzte Weib warf ſich vor die Thüre, um deren
Oeffnen mit ihrem Körper zu verhindern.
Auch die die alte Frau vernahm bie männlichen
Tritte und ließ fich auf dieſes Geräufch von ihrer
Leidenſchaft hinreißen.
— Wer iſt in dieſem Zimmer? dort muß der
elende Verführer verborgen ſein.
Damit raunte fie dev Thüre zu.
— Was wollen Sie, vief Judith entfett, den
Arm der alten Frau erfaßend.
— Was ih will... . Hieneinbrechen um
Aug’ im Auge dem Berführer gegenüber zu ftehen. . .
— Des werde ich nie zulaffen ! vief Judith,
ihr den Weg verfperend.
-- Trolle did aus dem Wege, elendes
Schandweib! ſchrie die Alte ihre geballte Kauft er-
hebend — oder ich reife dir die Tracht ehrlicher
Weiber vom Kopfe, und werfe fie dir zu ben
Füßen.
In dieſem Momente öffnete ſich die Thüre.
An der Schwelle ſtand Bela Lävay .... das Wild
war glücklich aufgeſcheucht! . . .
— Mutter, fügte Bela in wehmüthigem
Zone ; jest weit du c8, was bu wiffen wolltejt, —
aber deinen Sohn haft du verloren.
— 14117 —
10*
Der Iäger in der Falle,
Als die ehrjame Dame ihren todtgeglaub-
ten Sohn durch jene Thüre eintreten ſah, binter .
welchen fie ven vermeintlichen Schänver ihrer Fami—
lie zu finden glabte, fuhr fie erjchroden zujammen ;
anftatt fich an die Brut ihres Sohnes zu werfen,
anftatt ihm unter tauſend Küffen Vorwürfe darüber
zu machen, weßhalb er jie jo lange in trojtlojer Un:
gewißheit gelafjen, wendete fie ſich plößlih um und
ergriff mit frampfhafter Stärke des jähen Schreckens
die Hand Fertöy's, welcher binter ihr gejtan-
ven ivar.
— Better, mein lieber Vetter! Hören Sie
und jehen Sie nichts. Ich flehe Sie bei ver Barm—
herzigfeit Gottes an, verrathen Sie nicht, was Sie
bier gejehen ! Nicht wahr Sie glauben an Gott ? Nidr
wahr Sie find ein ehrlicher Dienjch ? Geben Sie ihr
Ehrenwort, daß Sie alles geheim halten werden ?
Sie geben mir es? ... |
— 149 —
Fertöy betrachtete Judith mit ſchadenfrohem
Lächeln, die arme Frau ftand noch immer vor ber
Thüre um ihren Gatten am Heraustreten zu ver:
hindert.
Die alte Frau Lävay weinte, jchluchzte und
drückte Frampfhaft die Hände Fertöy's.
— Cie waren ja, mein Herr, Schuld daran,
daß ich hieher gekommen; . . . warum that ich es?
Welcher Dämon brachte mic) hieher ? Dean hatte
es mir noch zu Haufe profezeit, daß mich hiefür Gott
Strafen wird, mit meiner eigenen Hand. . . .. Wef-
halb fagten Sie mir, dag meine Schwiegertochter ein
ehriofes Weib iſt? Weßhalb verichaften Sie mir
einen Paß?... War Das nicht eine Falle?
— So laffen Sie mich do, Madame! rief
Fertöy ungeduldig.
— D, id) laſſe Sie nicht, bis ich Ihr Schwei—
gen erkaufe; denn ich ſehe es jetst, daß fie ein böfer
Mensch find. Böſe Menfchen brauchen Geld. Hier
ichenfe ich Ihnen was ich meiner Judith geben
wollte ! nur zeigen Eie meinen Sohn nicht an. Sehen
Sie her, wie ih im Staube vor Ihnen liege und
Sie anflehe, meinen Sohn zu fchonen und mich nicht
der tödtlichen Verzweiflung preis zu geben.
Das bejammernswerthe Weib fiel wirtlich zu
den Füßen Fertöy's und umfaßte fchluchzend diejel-
ben, während ver Ehrenmaun mit triumphivenden
Lächeln auf Judith hinüber blickte.
== 150) ==
Judith fühlte durch das herausfordernde Lä—
cheln gereizt, alle Spannfraft ihrer Seele zurück—
fehren.
— Bela! jprach fie mit feſter Stimme, gebe
bin, hebe deine Mutter von ven Füßen diejes Mannes
empor, umd küſſe ſie . . . Sie hat deine Ehre ver-
theidigt, uud that vecht daran... ..
Daun wandte fie fih an Fertöy:
— Und Sie jehr geehrter Herr, nachdem Sie
ſich jo eifrig unjerer Familienangelegenbeiten an-
nahmen, jollen erfahren, daß Bela wor jeder perſön—
lichen Gefahr jehr gut geſchützt iſt; ev ift einer der
Komorner Kapitulanten, bier iſt fein Geleitjchein,
welchen er damals erhielt. Wollen Sie ſich daher
jeder Sorge für meinen Gatten entichlagen.
Als Judith den Geleitſchein vorzeigte, hatten
jich die Blicke der Drei mit verjcbiedenen Ausprüden
auf jie gerichtet.
Das bleiche Geſicht Fertöy's Jebien vor Wuth
zu erſtarren. Auf welche Weife mochte dieſes Weib
in den Beſitz eines Geleitſcheines gelangt fein ?
Das Auge Bela’ heftete an jener ſchmalen
Narbe, welche Judith auf der Stivne trug und nach
deren Urſache er bisher vergebens geforjcht, dieſe
Narbe jchien ihm in einem Momente eine lauge Ge-
Ichichte zu erzählen. Es war die ein Monat, wo wir
auf einen Angenblid einſchlummern, die Ereigniffe
eines ganzen Tages hindurch träumen.
— 151 —
Die alte Laͤvay aber rutjchte auf ihren Knien
zu Judith, und ſuchte mit ihren thränen befeuchteten
Augen auf dem Papiere nach dem Namen ihres
Sohnes; als fie diefen entzifferte, ergriff fie die
Hand Judith’, fie, die alte Frau, die Mutter, vie
Hand ihrer Tochter und bevedte fie mit beiten
Küffen.
Judith verſuchte e8, ihre Hand zurückzuziehen;
Die Alte hatte aber eine eiferne Kraft in ihren täglich
arbeitenden Händen,
— Das hat mir ein alter Dann profezeit,
ſtammelte Frau Lävay, daß ich einft vor meiner
Schiwiegertochter Fnien und ihr die Händen Füffen
werde. Die Profezeiung iſt in Erfüllung gegangen,
und es iſt jehr gut, daß es jo geicheheit.
Judith hob ſanft ihre Schwiegermutter empor.
— Kommen Sie mit mir, Mutter, in das Ne—
benzimmer. Das Uebrige wird Bela ſchon mit dieſem
Herrn abmachen.
Die alte Frau ſah Bela an, als wollte fie
fragen: ob er ihrer Hilfe nicht bedürfe? . . . . Sie
wäre ja im Starde geweien, dieſen Menſchen zu
zerfleifchen, gleich einer wiithenden Löwin.
Die rubige, erhabene Haltung ihres Sohnes
flögste ihr die Zuverficht ein, daR diefer Mann feiner
Unterſtützung bepürfe,
— 12 —
— Kommen Sie, Mutter, folgen Sie mir in
andere Zimmer, mahnte Judith ſanft da drinnen
iſt ja der Andere.
Der Andere!
Das Wort riß die Alte mit ſich fort. Groß—
mütter pflegen ja ihre kleinen Enkeln jo außerordent⸗
lich lieb zu —
Im nächften Augenblide Eniete fie bereitd vor
der Wiege jenes ſtummen, Heinen Gejchöpfes, wel-
ched noch den Engeln am Nächjten und am entfern=
teften vom Menſchen jteht; bei der Wiege jenes un—
ſchuldigen Geichöpfes, welches fie gejtern noch au
die Wand zu ſchleidern drohte, und welches jie
legt mit ihren Küffen, mit ihren Liebkoſungen
überhäuft.... .
Draußen wechjelten ernſte Männer ſchwere
Worte mit einander; hier lachten glücklichen Frauen
vor Freude und überirdiſcher Liebe. Der kleine,
ſtumme Mann in der Wiege ſah ernſt in die Welt
hinein, als würde er über die Dinge, die um ihn
geſchehen, Gericht halten müſſen. . ...
Fertöy blieb mit Béla allein. Bela dankte
num feinem guten Geifte, daß er vor Judith bisher
verichwiegen, was in der Orangerie des Fürften
Wolozoff zwiichen ihn und Fertöy vorgegangen ;
hätte Judith Kenntniß davon gehabt, fie hätte ihn
nicht allein mit dem ungebetenen Gaſt gelafjen.
— 13 —
— Mein Herr — begann Bela, jo nahe an
feinem Feind herantretend, daR ev ganz leife mit
ihn fprechen konnte — es jcheint, daß Sie fich mit
aller Gewalt mir gegenüber jtellen wollten ; num bier
haben Sie mich.
Fertöy, welcher ach der erjten Ueberraſchuug
alle ſeine Pläne, die er ſo fein gefchmiedet zu haben
glaubte, verwarf, beeilte ſich, ſeine Selbſtherrſchung
wieder zu erlangen, und erwiederte mit voller Höf—
lichkeit:
— In der That wünſchte ich ſehr mit Ihnen
zuſammen zu treffen.
— Was ih auch ganz natürlich finde. Es
gibt Beleidigungen, für welche ich Denjenigen, ver
fie mir zufügt, ſelbſt in der Stille eines Klosters.
aufjuchen, ihn von der Wiege jeines Kindes, aus dev
Umarmung feiner Öattin, vom Altare, wo er betet,.
reißen würde, — um mich mit ihm auf Leben und
Todt zu ſchlagen; werde ich verwundet, jo juchte ich
ihn nach meiner Öenejung abermals auf und fchlag
mich jo lange, bis nicht Einer von und auf dem
Wahlplate bleibt.
— Ich erfinne mich nicht, Ihnen eine folche
Beleidigung zugefügt zu haben, beeilte fich Fertöy
mit füßlider Bitterkeit einzufallen.
— Gie mir nicht, wohl aber ich Ihnen. Uno
dieſe Beleidigung rechtfertigt in meinen Augen Ihr
Beitreben, den Beleidiger um jeden Preis, ſelbſt um
— 154 —
‚den des guten Nufes feiner Gattin, zur Genugthu—
ung zu zwingen.
— Sie ſprechen in Räthſeln, lieber Vetter;
Sie jollten mich beleidigt haben ?
Bela veritunmte vor Staunen. Auf folche
Vergeſſlichkeit hatte er unter ver Sonne nicht gerech-
net. Er fchlägt einen Menſchen, welcher feine Gattin
läjtert, in ver Aufwallung ver Yeivenjchaft ins Ge—
ficht und dieſer Menſch will von der Beleidigung
nichts wiſſen. Er wäre beinahe verſucht gewejen, die
Identität diefer Perſon zu bezweifeln. Er verjuchte
e8, dem Gedächtniße feines Gegners zur Hilfe zu
fommen.
— Erinnern Sie ſich nicht jener Szene in der
Drangerie des Fürften Wolozoff, als er Ihnen feine
Blumen zeigte? ...
— 68 ſchwebt mir jo etwas vor. Doch geſchah
jeither jehr viel, was mir manches aus dem Ge—
dächtniß jchlug.
— Betrachten fie mich gut. Erinnern Sie fich
nicht mehr jenes Gärtners.
— Wohl erinnere ich mich. Es war ein ge-
Ternter und gejcheidter deutscher Burſche. An feine
Züge habe ich mich jedoch wenig gekümmert.
— Und Sie kamen doch mit ibm einft in fehr
nahe Berührung.
— Ich? .... daran erinnere ich mich nicht.
— 155 —
— Beim Aquarium, in welchem ver Lotus
blühte.
— Ach ja wohl. Der arme Teufel rappelte
manchmal; in einen Anfalle ſtieß er mich einſt zwi—
ſchen die Blumen und lief davon; ſpäter hatte man
ihn eingebracht, der Herzog gab ihn in einer Heil—
anſtalt, wo er jo viel ich weiß, feinen Uebel erlag.
— Das wiſſen Sie jeblecht; diefer Gärtner
bin ich.
— Können Sie das auch beweijen ?
Bela mußte jtark an fich halten, um wicht zu
vergeſſen, daß er in jeiner Wohnung ſei. So viel
Dreiftigkeit machte ihn ganz verwirrt.
— Ich, der Beleidiger, joll es beweijen, daß
ich Sie beleidigt babe ?
— Natürlich. Da wever ich, noch die Welt
Etwas davon weiß. Ihre Behauptung könnte nur ein
einziger Zeuge, der den Zuſammenhang veriteht,
erhärten ; doch dieſer Zeuge wird jchweigen, denn
es ijt mein Weib.
— Ab! Sie wifjen alfo dennoch, wovon die -
Rede iſt? jagte Bla mit bligenden Augen.
— Laſſen wir das, licher Better, Eie jind
noch ein innger Mann und nehmen die Dinge nach
Ihrer Anſchauung. Sie wollen mir begreiflich ma—
"hen, daß Sie mich beleidigt hätten, und nun zu ei—
ner Genugthuung bereit ſind; daß wir uns auf
fünf Schritte ſchießen können; ich möge meine Se—
— 156 —
fundanten fenven ; diefe mögen Ort und Zeit beftim-
men; doch hat das für mich gar feinen reelen Grund.
Ein Schlag, welchen ein Bauer, ein untergeorbneter
Diener, einem Kavalier verjekt, kann feine Beleidi—
gung, wohl aber eine fträfliche That bilden ; deßhalb
pflegt die feine Welt feine Genugthuung zu verlan—
gen.s Daß aber Sie jener Bauer, jener halbver-
rückte Diener waren, weiß auf der Welt nur ein ein-
ziges Weib, welches aber jo zu fchweigen, als Mär—
chen zu erzählen weiß. Diefes Weib hat zwei Urfa-
chen zu jchweigen ; die erite Urfache bin ich — die
zweite Sie.
— Ich.
— Ja Cie. Ich könnte Ihnen mehr noch über
diefen Gegenftand erzählen, als Sie vermuthen.
Glauben Sie mir, das Yaub des Rhododendrons ift
nicht fo dicht, daß man nicht durchblicken könnte!
Ob fi wohl der Gärtnerburfche jenes Schufes
erinnert, welcher ein jchönes Weib aus feiner Umar—
mung aufgejcheucht hatte.
— Mein Herr! ...
— Worauf daun die ſchöne Frau dem eintre—
tenden Gatten folgendes ſagte: Ich bin ſo erſchrocken,
daß wenn Jemand außer dem Gärtner noch hier ge—
weſen wäre, ich demſelben in die Arme geſun—
fen wäre.
— Aber mein Herr,
— 1517 —
— Bitte. Sprechen wir nicht fo laut. Beden⸗
ten Sie, daß ihre Frau im anftoßenden Zimmer tft,
und das die Erregung den Damen in jolchen phſiſchen
Zuftänden jehr ſchaden Fanır.
Das Wild, welches bereitd die Oberhand
batte, begann zu fühlen, daß der Jäger abermals
eine neue Waffe 309.
— Sie wollen ihre Gattin mit mir verbäch-
tigen ? fragte Bela in gedämpften Tone.
— Nicht wahr? Es iſt beffer, wenn wir leife
ſprechen.
— Ich weiß es nicht, wohin ſie zielen.
— Na, dieſes Wort haben Sie von mir ge—
lernt, jegt iſt es an Ihnen zu jagen: „ich verftehe
nicht, von was die Rede iſt?“ — OD ich wei e8
recht gut, welch Verhältniß zwifchen Ihnen und mei-
ner Öattin herrſchte, bevor ich jo glücklich gewefen,
ihr meinen Namen zu geben. Es war mir auch kein
Geheimniß, was diejes Weib fo oft und mit folcher
Gewalt nach dem Yandhaufe des Fürften Wolozoff
zog, das Weib pflegte fich gerne von der Gefellichaft
zu trennen, und fühlte fih im Garten am behag-
lichſten.
Bela vermochte hierauf nichts zu erwiedern.
— Dieje Frau hatte in Ihrem Intereffe leb—
haften Briefwechjel mit ihren Freundinen unterhal-
— 158 —
ten, fie wollte Sie ins Ausland entwilchen laffen, —
zur felben Zeit bereitete fie fich zur Reife inu's Bad
vor — natürlich auch ins Ausland. — Alles dieſes
war mir vecht gut bekannt.
Bela begann zu begreifen, daß in diefem Mär—
ben der ganze Schein für feinen Gegner ſprach.
— Yieber Vetter, was ich damals that, war
nichts Anderes als die Bertheidigung eines in jeiner
Ehre beprohten Gatten. Ein jeder vetheidigt fich,
wie er ed eben kann. Schen Sie, ich weiß es recht-
gut, dan es Fülle gibt, wo man derart vor die Au—
gen der Welt gedrängt wird, daß nur eine Rettung
nöglich: dev Rückſprung über dag Grab, oder in
das Grab — und die ift das Duell. Ic) glaube
faumt, daß fich auch nur Einer gern jchlägt. Solche
dumme Yeute gibt es aber noch weniger, die fic)
wegen eines Geheimnißes jchlagen, um die verborgene
Schande au's Tageslicht zu ſtellen. . . Was habe ich
num gegen Sie thun Fünnen?.... Ich mußte Sie
eiferfüchtig auf Ihre eigene Frau machen. Durch die
Bemerkungen, die ich in dev Orangerie fallen ließ,
gelang mir dieß vollfommen. Den Stoß, der mich
ind Aquarium fchleuderte, betrachte ich al® den Er:
folg, . . . denn Sie famen jchnurjtrads nah Haufe
zu Ihrer Frau. Mehr wollte ich nicht, und fo viel
zu verlangen, hatte ich da8 Necht wegen meiner ei—
genen Frau.
— 159 —
Billa ſchlug die Hände zuſammen. Vielleicht
hatte er der geſchickt imprevifirten Komödie guge—
Haticht.
— Am demjelben Tage, ald Sie nach Haufe
kamen, erfuhr ich e& bereits, daß Sie ihre Gattin
verborgen. Ich verrieth das Geheimniß Niemanden,
ic ließ Sie ruhig Ihr Verſteckens weiter jpielen,
wozu Sie übrigens gar feine Urfache hatten. Denn
weßhalben verbargen Sie fih? Stand Ihr Nante
auf der Liſte Derjenigen, welche vor das Kriegsge-
richt bejchieden wurden? Nein!... Sie Hütten.
wann immer vor die Welt treten Fönnen, wie hun—
dert Andere. die mehr gravirt find als Sie, frei
herum gehen, trotzdem, daß ſie heute noch hundert—
mal demunzirt werden, die Behörden jcheren fich
nicht mehr darum. Ich wußte es recht gut, daß Sie
fih ohne Urſache verbergen, aber ich muß es auf-
richtig geftehen, e8 war mir dieß eine angenehme
Genugthuung, dag Sie fich felbit fir Monate Haus:
arreſt gaben und fich nicht von der Seite Ihrer Frau
rührten. Das war für mich, den Gatten, jehr be-
ruhigend.
— Deshalb nannten Sie meine Gattin vor
meiner Mutter eine „Ehrloſe?“
— Ich habe gar nichts gefagt, weßhalb Sie mich
zum Duell fordern könnten. Ich Habe Ihrer jehrge-
ehrten Mutter, nichts Anderes gejagt, als das Judith
einen Sohn geboren babe. Konnte ich c& ven wiſſen,
—n— rr
= ION
daß Sie, ein jo zarter Sohn, Ihre Mutter Jabre
lang mit dem Gedanken an ihren Zod peinigen konn—
ten; daß Judith vor ver Welt die Rolle einer Wittwe
jpielte, das hatte noch einen Sium, daß Sie aber
vor Ihrer eigenen Mutter die Wirklichkeit verheim—
lichten, daß Sie fie in wirklicher Trauer herumgehen
ließen, daran konnte ich nicht glauben.
Diejer Vorwurf ſchmerzte Bela umſomehr,
Als es eine ſtrafende Wahrheit von den Lippen eines
Lügners gewejen.
— Mein Herr lajfen Sie mein Privatleben
unbehelligt. Was Sie mir da erzählten, find grund:
(oje Yappalien. Sie find nicht deßhalb hieher gefom-
men, Sie hatten eine andere Urſache mich ans Ta-
geslicht zu ziehen; jagen Sie mir dieje Urjache ?
— Sie haben recht, theurer Better ; ic) habe
Sie fehnfüchtig gefucht, ich wollte Sie um jeden
Preis auffinden. Sch war es, welcher dieje ein wenig
unangenehme Szene hervorrief, um Sie aus dem
Verſtecke zu loden, denn ich habe ein jehr wichtiges
Wort mit Ihnen zu Sprechen, welches zn erwägen fo
wohl in Ihrem als in meinem Intereſſe liegt.
— Ich höre Sie. | nn
— Nun, wir haben einen Prozeß vor dem
Gerichte.
— Bisher war es nur Ihr Prozeß; wir
haben uns nicht viel um die Sache gefümmert. Sie
konnten darin thun, was Sie wollten. Da wir
‚aber num ein Söhnlein haben, iſt der Prozeß feinet-
wegen aud unſer. ... Bon nun an werde ich ven
"Prozeß führen, weil e8 Jemanden gibt, für wen. ...
— Ich kam um Ihnen einen Ausgleich an—
‚zubieten.
— Mir ? Einen Ausgleich ? fagte Bela bitter.
Sollten Ihre Chancen jo fchlecht ftehen ?
— Durdhaus nidt.
— Demnach wollen Sie den Ausgleich aus
rein verwandjchaftlicher Liebe?
— Nein. Trogdem die Ironie nicht ganz am
Platze wäre, das Ganze ijt eine trodene Gejchäfts-
fache, den Prozeß werde ganz gewiß ich gewinnen.
— Werden Sie bis zum Schlußtermin das
Original des Teftantentes vorweijen können ?
— Ich werde es vorweifen.
— Wenn Sie dies fönnten, würden Sie mir
feinen Ausgleich anbieten.
— Und dennoch werde ich’8 verfuchen. Seien
wir aber deshalb immerhin böje. Betrachten wir
und niht als Verwandte. Glauben Sie alles
Schlechte von mir, was böje Zungen über mich aus—
geſtreut; hören Sie aber trogdem meinen Vorſchlag
an. Ich biete Ihnen ein Drittheil des ftreitigen
Vermögens.
— 161 —
Andere Zeiten, andere Menſchen. III. Band. 11
— 162 —
— Woher diefe Großmuth ? Sie wollen auf
ein Drittel deſſen verzichten, was Sie ganz befigen-
könnten? Und warum zwei Drtitheile behalten, wenn.
Cie pas Ganze doch haben fönnen ?
— Das ift die Frage eines Advocaten. Ic}
will fie Ihnen beantworten, und Sie follen einjehen,.
daß es fein „Schwindel,“ fondern ein jehr reelles
Geſchäft iſt. Wollten Sie mir nicht erlauben, daß
ich mich ſetze? Sonſt bin ich immer der Meinung,
als wollten Sie mir die Thüre weiſen.
Auch Bela war dieſer Meinung. Aber er hatte
ven Fehler, ein gar zu guter Zunge zu fein; wie oft
hatte er fich vorgenommten, recht grob zu jein und
went es darauf anfam, fand ev feine Worte dazu.
— Ich bitte Pla zu nehmen.
— Alfo, lieber Vetter, die Sache jteht eigent»
fich folgendermaßen: das Teftament ift wirklich vor—
handen. Ich ſelbſt habe es geſehen und mich über—
zeugt, daß es dasſelbe iſt, welches ich unterſchrieben.
— Aber — es befindet ſich nicht in meinen Hän—
dert. — Derjenige, welcher das Document befitst, iſt
ein ſehr Pfiffiger, ein ſehr geſchickter Menſch. Der
will num das Document nur gegen bie Hälfte des
ftreitigen Vermögens herausgeben. Sie find Advo-
fat, Sie laſſen mit fich ſprechen. Sie werben früher
meinen Antrag anhören, und dann erft Ihre Kritik
ausiprechen, mit Judith fteht e8 nicht io.
— 18 —
Sie ſchickt die Briefe unerbrochen zurück; fie
läßt fich in fein Geſpräch ein, fie fagt „nein“, bevor
fie wußte worauf; deshalb muß ich mich an Sie
wenden. Die Sache fteht num in Bezug auf mich fo:
entweder überlaffe ich die Hälfte des Vermögens an
denjenigen, welcher das Document befitt, oder ich
vergleiche mich mit Ihnen gegen ein Drittheil des
Erbtheils. Die Zahlen ſprechen, weshalb ich ben
Vergleich wählte. Zwei Drittheil find mehr als ein
Halbe... Für Sie fteht e8 fo: Wenn ich mir das
Document verjchaffe, fo verlieren Sie das ganze
ftreitige Vermögen ; wenn Sie ſich mit mir ausglei-
chen, gewinnen Sie das Drittheil. Was jagen Sie
dazu, Vetter? ...
Bela machte mit kurzen Worten der Verhand—
fung ein Ende.
— Mein Herr, ich bin es gewohnt, Feines
Ihrer Worte zu glauben. Was Sie mir da fagten,
ift alles eitle Lüge. Ich erfuche Sie nun mich nicht
aufzuhalten, denn ich will zu meiner Mutter,
— Gut, lieber Belter. Es ift nichts zwifchen
ung verdorben; wenn Sie fich überzeugt haben,
daß etwas nur von meinen Worten wahr geweſen,
jo werben wir ben meggeworfenen Faden wieder
aufnehmen fönnen. Sch empfehle mid... .
Bela grüßte ftumm, und ließ ihn gehen.
Dann eilte er in das nummehr offene Fami—
lienparadies, wo jo glücliche, fo liebende Herzen
L1*
— 164 —
feiner harrten; Mutter, Gattin und Kind!
Fertöy aber ſchrieb an diefem Tage jenen ge
wißen Brief, den Barfing zu dem bewußten Zwede
benüßte.
Politifhe Moden.
Die politiihen Moden, gleichen auf ein Haar
anderen Moden. So lange fie noch neu find, fo
lange fie noch glänzen, trägt, bewundert fie die ganze
Welt; wenn fie aber abzunützen beginnen, wandern
fie auf ven Tandlmarkt. Einige verfpätete Menſchen
tragen fie noch, diefe werden dann angeftaunt, doch
auch diefe legen fie dann ab, wenn fie fehen, daß fie
allein geblieben.
Ich habe ſchon Erzellenzherren mit Kalabrefer-
büten und ungeheuren Federn gefehen, wie man
fie nicht jchöner wünfchen konnte, und fah Voll:
bfut-Flamingos, die gar feinen Hut auf dem Kopfe
hatten.
Natürlich werden fih Wenige mehr daran
erinnern, weßhalb man zu einer Zeit Diejenigen,
welche rothe Federu trugen. Flamingos nannte,
Nun, das ift vorüber. E8 kam etwas Anderes.
Mode bleibt Mode. Einmal ift e8 Mode daß bie:
— 166 —
Batriotinen Charpie zupfen, ein anderes Mal wie-
der, daß fie aus einer Tanzunterhaltung in die an-
dere ftürmen. Heute trägt man die Porträts großer
Helden oder Redner in den Knöpfen, Armbändern
und an ven Stodgriffen. Morgen fommt eine Tän—
zerin, Sängerin oder Kunftreiterin an die Reihe. Es
giebt jenfible Naturen, die im erften Falle mit ſchmei—
chelnden Diatriben den begeifterten Publicum an den
Leib gehen, im zweiten aber dasſelbe mit beifenven
Satyren geißeln ;der nüchterne Philofoph nimmt vie
Dinge, wie fie find. Move ijt eben Mode; fie nütt
fih ab, e8 folgt eine andere, wielleicht noch komi—
ſchere, ijt aber jedenfalls neu.
Nicht nur ver Rod, die Chalup, die Krinoline
unterligen dev Mode, ſondern auch wir fterbliche
Menfchen.
Heute donnern uns begeijterte „Eljens“ zu;
nach einem Jahre fragt man: „Lebſt du denn noch
immer ?" Heute Schlägt man Einem die Fenſter ein;
nach einem Jahre Flopfen diefelben Leute ganz unter:
thänig an feine Thüre.
Ich glaube in feine poetiihe Ertramwaganz
verfallen zu fein, denn ich jagte nicht heute und mor-
gen; ich Tieß ein ganzes Jahr zu, was eine ziemlich
hübſche Zeit ift.
Es gibt ader Menſchen ſehr glüdlicher Natur,
Die fich ftets in der Mode zu erhalten wilfen, und
— 167 —
Das ift ein großer Vortheil des Menſchen über die
Kleider.
Es gibt nüchterne, weiſe denkende Männer,
die nicht auf den Trödlermarkt kommen.
Herr Bärſing z. B. war ſeiner Zeit ein ſo
guter Flamingo, wie es nur einen gab; er nahm
die Trikoloren, Kokarden zu dutzenden von den Pa—
triotinen, ſchrieb Schlachtenlieder, von denen man in
unſern friedlichen Tagen ſchier das Fieber bekom—
men möchte, um anderer größerer Dinge gar nicht
Erwähnung zu thun. Wer würde ihm aber deß
halb Vorwürfe machen? Es war damals ſo die
Mode.
Jetzt iſt er ein vollkommener Doktor der
Rechte, hat eine ausgedehnte Bekanntſchaft und ein
ganzes Heer von Klienten; daß er dieſe meiſtens im
Thorgange des Wechſelgerichtes angeworben, wollen
wir nur nebenbei erwähnen.
Dabei iſt er ein ausgezeichneter und hervor—
ragender Mann; auf der Gaſſe ſpricht er ſtets laut,
ruft von zehn Leuten, denen er auf der Gaſſe begeg—
net, neun beim Namen und Titel an; mit ſechſen
wechſelt er einen Händedruck, vieren winkt er blos
mit der Hand, ohne den Hut zu lüften. Im Theater
führt er den Ton, kommandirt die Clacque, läßt
nach Belieben die Schauſpieler hervorrufen, und
wenn man gegen ſeinen Willen applaudirt, blickt er
u 1
mit zornig zufammengezogenen Augenbraunen auf“
die unmiffenden Provinzler, die fih dann befehämt:
zurüdziehen.
Bärſing dugt alle neugebadenen Zelebritäten ;-
er ift bei allen ämtlichen Sommitäten zu Haufe und
pflegt bei ihnen zu tafeln.
Seine Jugendfreunde pflegt er mit wahrer
Proteltormine zu empfangen. Die Dichter aus dem
Cafe Pilwar grüßt er mit den VBorten „Servus." Es
ift ihm nur zu gut befannt, daß es viele Leute gibt,
denen er unansjtehlich ift. Begegnet er jolchen auf
der Gaſſe, fo drückt er ihnen, bevor fie e8 gewahren
fonnten, freundfchaftlich die Hände, und erfundigt fich
nach ihrem werthen Befinden. Und e8 gibt Feineır.
Menſchen, ver ven Muth hätte zu jagen ; „Was geht
Sie mein Befinden an?" Im Gegentheil findet das
lärmende Individuum immer eine Begleitung, einer.
Haufen junger Leute, die im Bewußtfein ihrer Ju—
gend darin Beruhignng finden, daß fie nod Zeit
haben: Charakter zu entwideln; ſtets bereite Zech—
brüder, bie nur darauf jehen, ob einer ein fideler
Kumpan jei; der öffentliche Charakter ijt Neben-
fache; jung gealterte, verſchrumpfte Genies, die
Träume ihrer Jugend als Verirrungen anerkennen,
zu faltblütigen Kosmopoliten geworden, und jchließ-
lich ein Haufe erbärmlicher Menjchen, die nicht ge—
wohnt find mit dem eigenen Kopfe zu denken, jondern.
— 169 —
der Mode huldigen, wie man fie eben fertig im Kauf
laden befommt.
Es gibt natürlich auch Leute, welche der
Gaſſenmode nicht Huldigen, die bei dem geblie=
ben. find, was fie einmal für fchön und gut
hielten, nur daß dieſe fih in ihre Nefter zurüd=-
zogen, zu Haufe figen, in ber Wahl ihrer Freunde-
ſehr vorfichtig find, und wenig Lebenszeihen von:
ſich geben.
Freilich nent man dieſe Menfchen die Eulen..
Dieje wollen es nicht einjehen, daß fich die.
Welt ändert, weil jie fich eben ändern muß; daß es
feine Apoftafie ift, werın man ein neues Kleid anzieht,
fondern ein bloßes Umfchlagen ver Meinung in's Bef-
fere, jo daß man dasjenige, was gejtern für Flug galt,
heute als Narrheit betrachtet, und was gejtern uns
möglich fchien, man heute für ganz möglich hält.
Zu biefen Eulen zählt auch Bela Laͤvay. In
feiner Eigenschaft als Adwokat, ging er feinen
Dienftlihen verrichtungen nad, verkehrt mit Allen,
mit denen er Vermöge feines Berufes verfehren
mußte, er ſprach aber nur fo viel, als unumgänglich.
nothwenbig war, und begann erſt dann wirklich zu
leben, wenn er in feinem engen Familienfreis, welchen
feine Mutter, Gattin und Kind bildete, und zu wel-
chem ſich manchmal Melchior gefelite, heimfehren-
konnte. a
— 170 —
Hier war ein Jeder wieder der alte Menſch.
Die gute alte Frau war umnerfchöpflich iu der
‘Erzählung der Trübſale der verflofjenen Fahre.
Sie trug noch immer jene braune Jacke, in
welche Rafetenfunfen zwei Yöcher gebrannt hattten.
Dann ſuchte Sie Bela zum Erzählen zu be—
"wegen, wo er herumgeirrt, was er ausgejtanden,
welchen®efahren er während feiner Flucht ——
geweſen?
Bela ſprach ungerne davon; er hätte es auch
nie vorgebracht, wie er zu feiner ſcheintodten Gattin
zurüdgefeht, wenn Melchior nicht das Geheimniß
der Narbe auf der Stirne Indith's verratben
hätte, da erjt begamır e8 der alten Frau klar zu
werben, worauf der mürriſche Veteran bingezielt,
welcher Judith in den Stleidern ihres Mannes er-
Tannt hatte,
— Haft du viel Hunger, Kälte, Müdigkeit
erdulden müſſen? frug fie ihren Sohn.
Bela hatte zu viel Zartgefühl, um die Frauen
mit der Bejchreibung feiner Leiden zu betrüben.
— Hatte feine Gefahren zu bejtehen. War
‚Gärtner bei einer Herrfchaft, wo es mir gut
ging. Als ich mein Wiſſen verwertben konnte, gab
mir die Öärtnerei, welde ich von meinem guten
-Bater zur Unterhaltung gelernt, Brot und Obdach.
— 171 —
Damit wandte er fich an fein Söhnlein in der
Wiege und flüjterte dem Schlummerden Worte bit-
terer Zärtlichkeit zu.
— Ja, ja mein Herzensfind, wenn du einmal
groß wirft, will ich dich zum Hanbwerfer erziehen ;
fürchte nichts, folljt fein Gelehrter werden, wie dein
Bater, noch zum Theater gehen, wie deine Mutter,
jondern mit den Händen arbeiten und glüdlich da—
bei jein.
Judith, welche an der Wiege ihres Kindes ſaß
und an einem Theaterkoſtüme nähte, blickte ihren
Gatten mit den großen dunklen Augen an.
— Wenn auch wir zufammen brechen, wer
ſoll dann ſtehen bleiben? Eben deshalb, weil die
Wiffenjchaft ein Leiden, weil die Kunft das Elend it;
eben deßhalb, weil du und ich beides burchgefühlt
haben, fteht e8 uns am, zu ſagen: harre aus, bleibe
treu, dulve, kämpfe für jene Idee, für welche dein
Vater und deine Mutter gekämpft, gelitten; jete
fort, was diefe nicht beenden konnten, werde ein
Künſtler, ein Dichter, ein Gelehrter.
Bela erhob ſich und küßte die Stirne feiner
Gattin.
— Weib wie groß ift dein Glaube.
— Würe ih nur ein Mann.
— Es ijt war, du wäreft ein befferer Mann
als ich, aber nie gehörteft du diefer Welt an. Du
— 172 —
wäreft für einen Mann ebendas, was einft Bußtaft
geweſen. Könnte er. wenn er noch lebte, heute und-
zwifchen biefen Menfchen auf ber Erde wandeln ?:
Am erften Tage würde er Jemanden töbten, ober
Jemand ihn.
— Hier ift von feinem Menſchenmorde die
Rede, fondern davon, daß „der Dann ein Mann
fein ſoll,“ man kann e8 euch nicht genug in die Oh—
ren ſchreien: Ihr ſeid jchlechter, al8 die Frauen ;.
jeder Schmeichler findet bei euch Gehör.
— Unfer Beruf zwingt uns, mit der Welt im.
Berührung zu fommen.
— Aber nicht mit aller Welt Freundfchaft zu
ſchließen.
— Thue ich das?
— Freilich thuſt du es. Wenn ich mit dir an
deinem Arme durch die Straßen gehe, muß ich dich
nicht alle Augenblide ermahnen, den Gruß dieſes
oder jenes Menfchen nicht zu erwiedern. Ich grüße
Niemanden, ven ich verabſcheue.
— Ich grüße auch nur aus Artigfeit. Das
Hutlüften verpflichtet mich zu nichts.
— Ja wohl verpflichtet e3. — Heute erwiderjt
du den Gruß, morgen redet er dich an, übermorgen
macht er bir einen Beſuch und du empfängft ihn;
findeft, daß er ein jehr angenehmer Mann fei, unt-
eines fchönen Tages bift du fein Freund.
— 113 —
Was dieſe Frau fagte, war die erjchöpfendfte
Kritik der politiihen Mode. Wir find aber zu
Schwache, gute Yeute. Wir fchlagen und gerne und
"bereitwillig, wir jegen aber die Gehäffigfeiten nach
dem Kampfe nicht fort. Bet nng gibt e8 feine „weiße
und rothe Rofen ;" feine Guelfen und Ghibellinen,
"die von Generationen zu Generationen den Kampf
ihrer Väter fortjegen; es gibt bei uns feine „Pe—
csovics“ und „Kubingky’8" mehr, wir lieben einan-
ver fo inniglich, daß wir jelbjt jenem Kritifus zürnen,
‘der einen fümmerlichen Reimſchmied herabreißt; ift
er doch auch Blut von unferm Blute; auch fein
Schmerz jtört und das Bewußtjein, daß wir ſehr
‚gute Menjchen feien. Und wer weiß es, ob das nicht
unjere Tugend ift.. . .
Bela biß fich in die Lippen und ſchmollte mif
feiner Fran wegen ihrer Worte,
— Yet zürneft du? fagte Judith, ihren Kopf
ſanft auf Bela'sSchulter lehnend.
DD nein erwiderte Bela in bitterem
Tone, du kennſt mich zu gut, als daß du glauben
tönnteft, ich fei der Menjch, der fehr Leicht Freund—
ſchaften ſchließt.
— Das ſage ich nicht; aber daß du leicht
vergibſt.
— Hätteſt noch dazu ſetzen ſollen; am fünften
Tage beſuchſt Du ihn, am ſechſten trägſt Du ſeine
Mode. Von mir iſt es ja zu erwarten.
— 114 —
Die alte Frau wollte die fich auffteigende Wolke
welche ven reinen Himmel des Glückes ihrer Kinder
zu trieben drohte, vericheuchen, und fiel in das
Geſpräch ein, indem fie natürlich ihrem Sohn
Recht gab.
— Bella ift fein ſchwankender Charakter. So
fenne ich ihn von feiner Kindheit an, bin ich doch
feine Mutter. Ach er war jo ein ruhiges Kindlein,
wie diefes in der Wiege da, und als Mann ebenſo
fanft, wie fein Bater. Wenn er auch nicht grob und
zänfifch gewejen, jo war er boch jtet8 Mann am.
Platz. Auch fein jeliger Vater hatte einen Feind, wie
Bärfing ;auch mir mißfiel e8 ebenfo, wie dir Judith,
wenn ich fah, daß er ven Gruß feines Feindes erwi-
derte ; doch meinte er, das Schieffal werde ihm ſchon
Genugthuung geben, wozu jollte er fich ſelbſt neh—
men? Und er hatte Recht.
— D liebe Mntter ! fiel Judith mit von Er-
rvegtheit gerötheten Wangen ein, wenn diefer Menſch
„nur“ Bela’s Feind wäre, und man das zu vergeſ—
fen hätte; wenn es feine andere trennende Kluft
zwifchen Beiden gäbe, würde ich nit darnach fra-
gen, ob er mit ihm abgerechnet, ob er die Echuld
beglichen. Bedenken Sie aber, daß diefer Menſch die
Namen Derjenigen in den Koth hevabzog, die alles-
gethan uud alles verloren hatten und die er jeßt, ba
er obenauf ſchwimmt, als fchwärmeriiche Narren.
— 175 —
verlacht. Damals waren Lente feines Schlages die-
ruhmreichen Helden des Tages, und Männer, wie-
Bela, die Yandesverräther ; fett ift er der Kluge und-
Bela der Narr. Und das ift die uuermeßliche Kluft
zwijchen uns!.
Diefe Worte Judith's brachten auch die alte-
Frau in Erregung.
— Habe ich je geglaubt, daß Bela mit dieſem
Menſchen noch ein Wort wechſeln könne. Mit jedem
Anberen eher, mit biefem nie,
— Und doch werde ich noch viele Worte mit.
ihm zu wechjeln haben, fiel Bela ein, fich von feinem
Site erhebend.
Die beiden Frauen ftaunten ihn an,
— Das werdet Ihr lange Zeit nicht. ver-
jtehen, einſt aber joll e8 Euch flar werben ; bis da—
bin will ich die Laſt Eurer Verachtung geduldig tra—
gen. Möget Ihr bis dahin glauben, ich ſei Advokat,
der feine Empfindeleien kennt.
Da trat das Dienjtbote ins Zimmer und mel-
dete, ed warte ein Herr draußen, der feine Karte
ſchickte.
Dela beſah die Karte, und legte fie auf den
Tiſch feiner Gattin. Judith warf einen Seiten Blick
auf das Billet, worauf der Name Barfing ftand,
und beftete dann einen anderen Blick auf ihren.
— 116 —
Gatten. Bela fand e8 für angezeigt, die Slarte vom
Tische zu nehmen und in die Taſche zu jchieben.
— Ich fomme gleid) ; führe ven Herrn einjt-
“weilen in mein Arbeigimmer.
Damit folgte er dem Dienftboten, ohne weder
jeine Gattin, noch feine Mutter anzujehen.
Seit diefem Momente herrjchte im Kreije der
Familie eine peinliche Gefpanntheit, glei) wie im
Sommer, wenn die Luft mit Dünften gefcehwängert
ift und der Himmel fich nicht winwölfen und auch
nicht ausheitern kann. Man ſchmachtet völlig nach
einem fleinen Gewitter.
Denn im Leben ift e3 einmal jo, daß die Liebe
‚ber beiten Frauen auch die bejte Bantoffelherrichaft iſt.
Wenn die Frau für Dich alles geopfert hat,
ihren weltlichen Glanz, ihr Bermögen, ihre Bequem-
Tichkeit, ihren Rang — kannſt du e8 ja vergeffen,
daß du ihr Schuldner bift ? — Als du verfolgt im
Lande herumirrteft, juchte fie deine Spuren durch
‚die Gefahren und Gräulen des Krieges; fönnteft dur
fie jett verlaffen um Iuftiger Zechbrüder willen ?
Die Frau hatte die Rolle des Mannes übernommen,
hatte wunderbarer Weife das Steuer deines Schid-
jalsichiffes ergriffen, um es vor Schiffbruch zu ret-
ten; fönnteft du jeßt dieſe Hand los laffen? Die
dran wachte ihre Nächte durch an deinem verborge:
nen Kranfenlager, könnteſt du jeßt ihren Schlaf ftö-
— 177 —
ren durch ein lärmendes Thürzuſchlagen, wenn du
von nächtlicher Schwelgerei heimkehrſt? — Die
Frau hat ſich von der Welt abgeſperrt, als ſie auch
für Dich geſperrt war; jetzt als für Dich die Welt
offen, könnteſt du fie für die ganze Welt verlaf-
fen?... Vermag ein ganzes lachendes Paradis den
trauernden Bli in ihrem Auge dir erſetzen?
D, eine liebende, eine leivende Frau ift eine
große Macht auf Erden.
Bela hatte fih in ein an das Wunderbare
grenzendes Unternehmen gejtürzt, als er es wagte,
diefer Großmacht Troß zu bieten,
Niemand wird e8 bemerken, daß dies Judith
Wehe thut; e8 gibt falfche Töne, welche nur ein an
die Mufif gewöhntes Ohr wahrzunehmen vermag.
Bela kannte diefe Töne.
Wer weiß es, was noch das Ende dieſes Lies
des jein wird?...
Als Bela in ſei Arbeitszimmer trat, faß Herr
Baͤrſing bereit8 auf dem Divan, gleich einen Türken,
mit unterfchlagenen Füßen . . . Wenigftens hatte er
Bela die Mühe erjpart, ihm einen Sit anzubieten.
Bela beeilte fich das erſte Wort zu haben.
— Womit fann ich dienen mein Herr?
Das Wort Herr betonte er befonder um
dem vorzubeugen, daß er von feinem Beſuche mit
„Du“ augerebet werde.
Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Bond. 12
— 178 —
| — Ach! guten Tag, Bela — mein Herr, wollte
ih jagen: ergebenfter Diener! Wir haben ung
zwar einft geduzt, doch wenn es Ihnen, mein
Herr, fo befjer gefällt, will ich nicht zudringlich fein
und mich auf alte Beziehungen berufen. Werfen wir
einen Schleier auf die Vergangegheit,
— Womit fann ich dienen ?
— (68 ijt mir übrigens auch lieber, wenn wir
alle Sentimentalität bei Seite ſetzen — ſagte Baͤr—
fing auf die zweite trodene Interpelative — umjo=
mehr, als die Angelegenheit, in der ich Sie ſprechen
wollte, rein gefchäftlicher Natur ift. Ein Anderer, ein
Charlatan, würde zwar behaupten, vaß es eine Art
freundfhaftlichen Dienftes fei; doch will ich die
"Sache verfchönern, indem ich ein verteufelt aufrich-
tiger Burjche bin und die Schaufpiele nicht liebe; ...
bin fein Poet, ha ba hal... . bin fein Bühnen-
dichter. | _
Bela erinnerte fich hiebei jener jchlechten
Dranten, mit welchen biefer würdige Mann
einjt deu Dichter Pußtafy gemartert hatte, Doc
lag es nicht in Bela’s Natur, ihm dieſes vor-
zuhalten.
— Gehen wir an die Sache, mein Herr,
ſowohl ihre als meine Zeit iſt koſtbar.
— Sie haben Recht, — ſagte Baͤrſiug, ſeine
große Schweizeruhr aus der Weſtentaſche ziehend,
— 179 —
amd nachdem er das zifferblatt aufmerkſam betrachtet,
bielt er die Uhr an das Ohr und ließ fie Schlagen,
ob das Werk mit den Zeiger ftimme... — Um
elf Uhr muß ich zu Sr. Gnaden dem PVorftand
gehen .... Alſo .... erlauben Sie mir indeh eine
Zigarre anzuzünden ?
— Nein; meine Frau duldet den Taback—
rauch nicht.
— Ah — die gnädige Frau gebietet alſo auch
in ihrem Arbeitszimmer? |
— Ja wohl. — Sagen Sie mein Herr
Schnell, was Sie wünjchen ? |
— Ich will Sie bezüglich jenes Teftamentes
Iprechen. .
— Ih bin bereit3 von Allem unterrichtet.
Fertöy war bier und hat mir berichtet, daß das Te—
ftament vorhanden, aber nicht in jeinen Händen ſei.
‚Derjenige welcher es befigt, will ed nur gegen die
Hälfte des Subjtratumes herausgeben. .
Zu jedem dieſer funzen Süße nicte Bärfing
mit dem Kopfe, als billige er Alles, was gejagt
wurde.
— Ja, fo iſt's. Wei Alles vecht gut. Fertöy |
hatte Klug berechnet, daß zwei Drittel mehr als die
Hälfte jeien, und machte ihnen jeinen Vorjchlag, be—
vor er mit dem Andern unterhanvelte. .... Es iſt
ihm jedoch nicht gelungen. Um ſo beſſer. Nun ſchickt
12*
— 180 —
mich jener Andere zu Ihnen; ... Sie wiffen, jener
Andere, der anf gewiffen Irrwegen in den Befig
des Teſtamentes gelangte, und macht Ihnen durch
mich dasſelbe Anerbieten, welches Ihnen Fertöy
gemacht.
— Welches Anerbieten ?
— Nun — „Gleich getheilt, wedt nicht
Neid,” jagt ein altes Sprichwort. — Die Hälfte
für die Hälfte... .
— Ich veritehe Sie nicht.
— Die Sache ift doch fo Har. Während Fer-
töy zögert, das Teſtament, nady welchem Sie in ber
Beſitz des Nachlaſſes Ihres Schwiegervaters gelan-
gen könnten, gegen die Hälfte des Erbtheil® von
einem Anderen zu übernehmen, fünnten Sie für
vdenfelben Preis in ben Beſitz des Documentes
gelangen.
— Sind Sie etwa der Meinung, daß ich
da8 Document, wenn es mir das Ungefähr in
die Hände ſpielen follte, vernichten oder verbergen
witrde ?
Baͤrſing wurde fihtlid) verwirrt. Er war auf
diefe Frage nicht gefaßt. Er hatte e8, feiner Anficht
nach, mit einen närriſchen Menfchen zu thun, der im
Stande wäre, aus eitlem Ehrgefühl ein Document,
welches gegen ihn felbft zeigt, ven Händen des Rich
ters zu überliefern, anftatt e8 zu unterfchlagen.
— 131 —
— Das... ftanmelte er verlegen, Könnte
vielleicht ein Anderer thun; jener Gewiſſe, bei
welchem e8 fid) jet befindet, könnte es fchon in ſol—
chem Zuftande in die Hände gelangen laſſen, daß es
nicht mehr gelejen werden könnte,
— Und Sie glauben, daß ich einen jo nicht-
würdigen Schuft abgeben, daß ich mich zum Kumpan
einer jo fträflichen Handlung hergeben könnte.
Bärfing hatte eine fo glückliche Gefichtsfarbe,
daß er nicht höher erröthen konnte, als er eben ſchon
non Haus aus voth war; denn das Ganze war ja
nichts Anderes, als Jemanden ins Geficht einen
Schuft heißen.
— Aber geehrter Herr Sie faffen die Frage
noch immer von fehr dichteriihem Standpunkte auf;
nehmen wir fie als Advokat. Der Prozeß ift in jenes
Stadium gelangt, wo, wenn das fragliche Tejtament
nicht zum Vorihein gelangt, das ganze Vermögen
Ihrer Öattin zufällt.... . Ein fchönes Vermögen,
"wahrlich. Lohnt ſchon dev Mühe, dafiir einen Prozeß zu
führen. Die gnädige Frau hätte es nicht nöthig, Ko—
medie zu fpielen auf dieſem elenden Theater.
— Was für ein elendes Theater?...
— Na, na, ereifern Sie fich nicht; ich wollte
armes Theater jagen; die Gardinen find in ber
‚That zerrtiien, hängen in Feten herab. Es iſt ein
— 12 —
faueres Brot, Sie müffen e8 am Beften wiffen..
Hätte ich eine Frau, nicht um die ganze Welt würde
ich ihr’8 erlauben, Schaufpielerin zu fein. |
— Ich bitte Sie, Sprechen wir nicht davon.
— Ich bradte e8 janur vor, um Sie auf:
merkſam zu machen, um wie viel Sie und Ihre wer—
the Gattin vom Einfommen ihres Gutes Ieben könn—
ten. Kommt aber das Teſtament an’8 Tageslicht,
dann hat das alles ein Ende; Fertöy wird Univer—
jalerbe; — ihre Frau hat nichts als das väterliche
Haus in Komorn, welches zu Aſche verbrannt und-
deifen Ruinen der Negen verwäfcht.
— Das Ende des Liedes ift demnach, ich ſoll
behilflich fein, das Teftament zu vernichten, nicht
wahr ?
— Nein das Ende ift nicht das, ſprechen wir als
Advofaten, als vernünftige Menſchen. Sie und Ihre
Gattin jtellen mir eine Obligation darüber aus, daß
Sie mir, im Falle, daß der Prozeß zu Ihren Guns
ſten entſchieden wird, die Hälfte des Erbtheils für
die durch mich vertretene Partei überlaffen; vom
Mebrigen wiffen Sie nichts... . dann foll das Te—
ftament bis züm Termine nicht zum Vorſchein kom—
men, fpäter aber um fo weniger. Sie wiſſen von
demfelben garnichts; Sie haben feinen Antheil an
dem, was damit gefchehen ift; Ihr Auf bleibt unbe—
fleckt vor Gott und den Menfchen..
— 183 —
— Nur vor mir und vor Ihnen, nicht war ?
— Das ift abermals poetifche Schwärmerei !
Sprechen wir mein Herr wie e8 Advokaten geziemt.
— Gut denn, fo will auch ich Ihnen eine Be-
merkung in biefen Sinne machen. Ich glaube nicht,
daß diefes Tejtament exiftirt. |
Baͤrſing ſchlug fich lachend auf vie Knie,
Seine langen Zähne fchimmerten ihn vor lauter
Luftigfeit zwifchen den dicken Lippen durch.
— Na, das habe ich von Ihnen erwartet,
und habe mich in ihrem Scharffinn nicht getäuſcht;
ich weiß e8 recht gut, daß Sie jagen werden : „Lieber
Bärſing, das Lied, das Ihr, Du nämlich und Fertöh,
mir da abwechjelnd von dem auf myſtiſche Weiſe
aufgefundenen Documente in die Ohren fingt, ift
eitel Geplärre; hättet Ihr's, würdet Ihr mir gewiß
nie in die Nähe kommen. Ihr feid aber einverftanden
mit einander, um mir Sand in bie Augen zu
ſtreuen,“ — das wußte ich im voraus, und habe mich
mit den gehörigen Beweifen verjehen, ba ich mir
feinen jchlechten Scherz mit Ihnen erlauben wollte.
So viel Achtung find Sie ſelbſt fehuldig, daß Sie
von Niemanden vworausfegen, er Tönnte auf Ihre
Schwachlöpfifeit vechnen, Das Teſtament ift in
meinem DBefig. Jener gewiße Jemand, hat es
mir anvertraut, und mich ermächtigt, es Ihnen
zu zeigen.
— 154 —
Hiemit langte er das Document aus jeiner
Taſche, und überreichte e8 Bela. Und um fein Ver-
trauen Bela gegenüber zu beweiſen, ließ er das Do-
fument in Béla's Händen, ftand von feinem Sige
auf und fpazirte auf das Fenfter zu. Nur warf er
troß ſeines unumſchränkten Vertrauens haftige
Blicke in den gegemüberliegenden Spiegel, vielleicht
nur um die Wirkung zu beobachten, welche das Do—
cument auf Bela machte.
Lävay Hatte mit droßer Gleichgiltigkeit
das Tejtament durchflogen, die Siegel und Unter-
fchriften geprüft, und machte dabei gar Feine Bes
merfung.
Plöglich bemerkte aber Bärfiug, daß Bela
das entfaltene Document gegen das Yicht halte,
— Si’jt feine Radirung darin! beeilte fich
Bärfing im halbſcherzenden Tone zu bemerken.
— Es ift wahrlich nichts daran radirt; —
ſagte Bela, das Papier zufanmmefaltend.
Er hatte aber nicht nach einer Radirung ge—
ſpäht, jondern ‚betrachtete das Waſſerzeichen der Fa—
brid auf dem Papier.
— Nun, was folten wir jet? frug Barfing
mit fiegreichen Lächeln.
— Thun Sie, was in gleichen Fällen ehrliche
Menſchen thun würden.
— Das ift eine merkwürdige Weifung, ich
verſtehe von alldem nichts.
— 15 —
— Ich hoffe, daß Sie fih erklären können,
was in gleichen Fällen ein ehrlicher Menſch thut?
Baͤrſing zuckte mit der Achjel.
— Die Ehrlichkeit ijt ein jehr relativer
Begriff.
— Geben wir aljo der Sache eine andere
Wendung. Thun Sie das, was in gleichen Fällen
ein gefchiekter Senfal thun würde. Verkaufen Sie
Das Document an den Meijtbietenven.
— Fertöy verſprach mir ein Drittel, und Sie?
— Ich verfpreche Ihnen Nichts. . . .
Baͤrſing begann es zu ſchwindeln ob dieſer
unerwarteten Antwort. Bela warf das Document
mit folch verächtliher Mine auf ven Tiſch, als hätte
er eine Spinne oder eine Raupe, welche ihm zu—
fällig auf die Hand gefallen, und vor der e8 ihm
efelt, von fich gejchleudert.
Baͤrſing begriff es, daß bier fein Gefchäft zu
machen fei.
— Iſt das Ihr Ultimatum ?
— Ich habe mich ausgefprochen.
— Ich noch nicht, denn ich werde appelliren.
— An wen?
— An das Fompetentefte Forum; an Ihren
Rlienten.
— 136 —
— An nteine Frau? Ich bitte Sie thuen
fie es. |
— Belieben nicht zu lächeln. Auch ich begriff
es mit meinem Furzen Verjtande im voraus, daß,
wenn ich mich behufs perjönlicher Befprechung bei
der gnädigen Frau anmelden lafje, fie mir heraus:
jagen läßt, fie habe Kopffchmerzen, oder daß fie eben
ihre Rolle ſtudire; ſchreibe ich ihr einen Brief, ſo
fendet jie mir ihn, fobald fie an der Adreſſe meine
Schrift erfannt, unerbrochen zurück; — deßhalb-
jeien Sie aber überzeugt, mein Herr, daß ber Fuge
Jäger mehr als jene Patrone mitnimmt, mit welcher
ev den Lauf feines Gewehres geladen.
— Nun jo wünfche ich Ihnen viel Glück auf
die Jagd, ſagte Bela und wandte feinem Gaſt ven
Rüden,
Bärfing ſchob das Dokument in feine Rockta—
ihe und entfernte ſich.
Bela klatſchte mit den Händen, und feine Au—
gen funkelten vor Freude, als hätte er einen großen
Erfolg errungen, dann kleidete er ſich an um aus=
zugehen.
So oft er fich vom Haufe entfernte, pflegte er
es ſtets feiner Gattin mitzutheilen, wohin er ging,
und wann er nach Haufe komme. Ich weiß e8 nicht,
wer. dieſes Recht ven Frauen verliehen; fo viel ift
gewiß, daß fie dieſes Recht ausüben.
— 187 —
Als er in das Zimmer Judith's trat, fand er-
Melchior dort, der Heine Dockter nützte fehr oft die
Gelegenheit, welche fich ihm als Hausarzt bot, um
feine alten Freunde zu befuchen.
Da pflegte er dieſe mit feinem jtatiftifchen und
chemischen Wiffenjchaften zu unterhalten, welchen
Vorträgen Niemand mit fo großer Pietät zugehört
hatte, als die alte Frau, bie e8 fich ſehr zu Herzen
nehmen fonnte, wenn Melchior erzählte, wie viel
Perzent Huudeknochen in den raffinirten Zuder
enthalten feien, und daß bie geitärften Unter—
röde das Brot von Millionen Menjchen jährlich
verzehren.
— Eben war ich im Begriff dich zu beſuchen,
fagte Bela, als er feinen Freund ſah, welcher die
Frauen zu überzeugen fuchte, daß die Teppiche im.
Zimmer Lungentuberkeln erzeugen.
— Gehen wir alio, fagte Melchior, fih von
jeinem Site erhebent.
— Rönnen Sie ihre Angelegenheiten nicht
bier ordnen? fragte Judith, während fie Melchior
nöthigte, fich abermals zu jegen.
— Gewiß können wir dies, antwortete Bela,
feinen Hut ablegend, das Ganze befteht in einem.
Worte, Diefes Wort ift der Name eines Städtcheng,
welchen wir längjt juchten.
— 158 —
— Ih habe ihn gefunden. Der Name iſt
„Neuburg.“
Melchior jah eine Weile nah dem Plafon
als wären bort alle jenen Namen, Ziffern und Kom—
binationen gejchrieben, die er in dem ungeheuer
Wörterbuch feiner Erinnerungen angejammelt hatte;
‚dann fchnellte er von feinem Sige auf, als hätten
ihn geheime Federn in die Yuft gefchleudert, und ſei—
‚nes hinkenden Fußes vergeſſend, tanzte er an feinen
Freund heran, drückte deſſen Hände und rief freudig
-auflachend :
— Das geht] im prädtig. Wenn es „Neuburg
heißt, dann brauchen wir uns ja nicht von der
Stelle zn rühren; das ift (Diefe Worte fprach er
Flüfternd) das Jahr 1859.
— Prächtig, fagte darauf Bela, und lä—
chelte ganz vergnügt. — Was bedeutet Neuburg und
1859? fragte die alte Frau mit unüberwindlicher
‚Neugierde,
— Das bedeutet ven glänzendften Sieg! rief
Melchior, und war fchon im Begriffe, alles zu
erzählen, oder wenigſtens ahnen zu laſſen, von
"was die Rede fei, doch zupfte ihn Bela an den
Rockſchößen, um ihn zur nüchternen Vernunft zu
‚bringen.
— Gilt eine Wette, erivieverte Bela mit
vollkommeuer Verflellung ; e8 gilt eine Wette a
"Mehrere, welche wir gewinnen.
— 189 —
— Nun und was habt Ihr gewonnen ? frug:
bie alte Frau, welche alles glanbte, war ihr Sohn
ſprach, und nur wiffen wollte; wie hoch bie Wette
gche, in welche er fich eingelaffen, und ob er nicht
viel auf's Spiel geſetzt.
— 9, ehr viel, antwortete Bela, feinerzeit
wollen wir ſchon den Wettſchmaus halten. Bis dahin.
erfuche ih dich — Freund Melchior, fein Wort‘
darüber zu ſprechen.
— Ich werde ſchweigen wie ein Arzt.
— — — :
Nach einigen Tagen, als die Familie gerade
bei Tiſche ſaß, Fam der Briefträger mit feinen
Briefen. Das Heine Männchen ftand bereits-
feit geraumer Zeit im Dienjte des Publikums ;
er fannte nicht uur die Einwohner, denen er bie:
Briefe brachte, fondern auch die Handſchriften Der-
jenigen, welche vielen zu jchreiben pflegten. Wenn
er nun einen längft erwarteten Brief in feiner
Taſche hatte, fprang er je drei nd brei Stufen
hinauf, mit einer Eile, daß ihm fchier der Athen
ausging. Der übermäßige Eifer verurfachte auch
jeinen frühen Tod.
— Gehorſamer Diener, wünſche beften Appe-
tit; ein graußliches Wetter da draußen. Hier find
Briefe für den gnädigen Herrn; für den einen find
ER |:
13 Kreuzer zu zahlen. Wie der Regen ftrömt, und
der Wind noch dazu! Auch für die gnädige Frau
habe ich einen Brief, habe ihn jeparat gelegt. Uno
noch dazu ein lieber Brief, fommt vou Komorn, vom
fieben Herrn Papa.
— Bon meinem Vater? frug Judith er—
ſtaunt. |
— D ich fenne jehr gut die Handjchrift des
gnädigen Herrn, habe viel Briefe von ihm an vie
Addreſſe Ihres Herrn Gatten gebracht als er noch
Jurat gewefen. Da fragte mich der gnädige Herr
immer, wenn er mich ſah: Sit Fein Brief von Herrn
Hargitay aus Komorn da? Ob ich dieſe Schrift
fenne !
Der bejcheidene Briefträger wußte e8 frei-
Lich nicht, daß derjenige, deffen Brief man einft jo
jehnfiichtig erwartet, ſchon längjt feine Kinder ver-
Flucht hatte und gejtorben ſei. ...
Haftig übergab er die Briefe, mit dent
Beveuten, daß er die 13 Kreuzer ein andermal ab-
holen werde, da diefe ihm einzuhändigen der ver-
blüffte Dienftbote vergeffen hatte, und lief um ein
Haus weiter. Die Addreſſe jenes Briefes war die
fürmliche Handſchrift des verewigten Hargitay. Es
“waren diejelben an einander vennenden Buchjtaben,
mit den oppofitionellen Hörnern, den liberal auslau—
fenden Haarftrichen und den eigenthümlichen An—
— 1911 —
Tangsbuchitaben, die fich mit protejtantijcher Härte
in den Naden werfen, jo wie mit jenen dicken Erd—
ftrichen, welcher ftetS das Leben einer Schreibfe-
ver koſtete.
Wer nur einmal die Handſchrift Hargitay’s
geſehen, Tonnte fie alffogleich erfennen.
Judith fiarrte mit jtieren Augen und blaffen
Geſichte die Schrift an; felbjt Bela war verblüfft.
Die Täuſchung war vollfommen.
— Deffne den Brief, nnd lies ihn, eiferte
Bela jeine Frau an.
Judith erbrach das Kouvert, drinnen fand fie,
mit derjelben glänzenden Tinte, womit ihr Vater zu
fchreiben pflegte, einen Brief folgenden Inhaltes:
„Judith von Hargita wurde von dem Schickſals—
Ichlag getroffen, daß fie ihr Vater wegen Bela Laͤvay
verfluchte und enterbte. Doch langt die unfichtbare
Hand der Väter auch aus dem Grabe hervor, um
jeine Kinder zu ſchützen oder zu zlichtigen. Dieſe um-
fichtbare Hand hatte den Beweis des väterlichen
Zornes, das Teftament verjchwinden gemacht;
doch die Herzen der Kinder wurden weder durch
das Leben, noch dur den Fluch erweicht, fie
blieben hart und ftoß. Diefe unfichtbare Hand
hatte das Teftament, das Zeugniß väterlichen
Fluches, abermals an das Tageslicht gebracht.
Ein alter Familienfreund hatte es dem Gatten
— 192 —
vorgewieſen und ihm bebeutet, daß nur die Hälfte
des Fluches gejühnt fei, die andere Hälfte ſchwebe
noch über ihren Häuptern umb werde mit gan—
zer Kraft auf fie herabbraufen, wenn ihre Her:
zen in ber Hartnädigfeit verharreu. Der Gatte
wieß die verföhnliche Hand ftolz zurüd, und rief fein.
Schickſal in die Schranken. Die Gattin möge beven-
fen, daß es fich bier um ihr und ihres Kindes-
Schickſal handelt. Es fteht noch in ihrer Macht zu
verhindern, daß der Zornesfluth ihres Vaters ſich
nicht über alle Häupter feiner Lieben ergieße. Dieß
möge fie bedenken und befchließen !
Das Geficht Judith's blieb todtenbleich; an
einen jeden Buchjtaben erkannte Sie die Hanpfchrift
ihres Vaters und boch war deſſen Grabſtein fchon
längft von Moos und Epheu bebedt.
Stumm reichte fie den Brief ihrem Manne,
als wollte fie ihn bitten, er möge doch dieſes Räth—
jel löſen.
Nachdem Bela deu Brief durchgeflogen hatte,
fiel fein Blick auf das blaffe Geficht feiner Gattin.
Es wäre ihm unmöglich gewefen, zu bemerfen, daß
der Brief Judith ſehr angegriffen hatte.
— Es ſcheint mir man hat mich benunzirt ?
— Aber wer ? erwiederte Judith mit melan=
choliſchem Blicke.
— 193 —
Biſt du vielleicht abergläubifch ?
— Nein, doch ift die Schrift jo ähnlich. Die
Augen Judith's füllten fih mit Thränen.
— Diejer Brief beichuldigt mich, daß ich dein
Vermögen aufs Spiel fee. Eine ſchwere Bejchuldi-
gung, daß ich mich mit deinen prozekführenden Ver:
wandten nicht vergleiche. Du ſolſt e8 einjt erfahren,
wer diefen Brief gejchrieben. Bis dahin eriuche ich
dich, diefen Brief unter deine Reliquien zn bewahren,
und nicht zu vernichten, venn du fannft ihn einft ſehr
nöthig haben.
Bela kannte jehr gut die Löſung des Räthjels,
er fannte fehr gut jene Hand, welche fremde Hand-
Schriften fo treu nachzuahmen im Stande war doch
durfte er hierüber noch nichts verlauten laſſen. Er war
eben ein Jäger, der gegen ein ſehr gefährliches und
porjichtiges Wild auf den Anftand gezogen; er hat
jeine Spuren entdect, und war an den Kadaver ge:
jtoßen, welchen diefes verjchleppt, und wußte ganz
gut, daß das Wild zurüdfehren und vor ihm aber:
mals erjcheinen werde; deßhalb hielt er im feiner
Unbeweglichkeit ven Athem zurüd, ließ ſich von ben
Mücken martern, jagte fie nicht von feinen Wangen ;
er blickte nicht auf die Seite, jondern wartete ruhig
auf jenen Augenblid, wo das Wild in feine Schuß
weite gerückt; würde er ihm wahrnehmen, es könnte
ihn hinterrüds anfallen.
Andere Zeiten, andere Menſchen. III. Band. 13
— 194 —
Deßhalb mußte er jelbit vor der eigenen Gat-
tin fein Geheimniß bewahren. Diefes Geheimniß
verurfachte beiden jehr viel Leiden; doch gebe ich
Bela Recht, jelbjt auf die Gefahr hin, daß mich die
Frauen darob verurtheilen werben, ein Geheimniß
jo lange vor ihr verborgen gehalten zu haben. Das
Mittageffen verlief ruhig; fein Wort wurde ge:
wechjelt.
Nach dem Mittagtische ſtand Bela auf und
begab fich in fein Arbeitszimmer. In einer halben
Stunde folgte ihm feine Oattin, die Bläffe war von
ihrem Geſichte bereits gewichen.
— Dur fagft mir, ich möchte den Brief unter
meinen Schriften verwahren, da ich feiner einft be-
nöthigen könnte. Ich benöthige ihn nicht, ſondern
übergebe ihn bir, wenn bu jo willit.
— Iſt es Dir den gleichgiltig, wer immer
e8 jei, ver mich anflagt ?
— Hab ich je darnach gefragt? Iſt es zum
eritenmal ?
— Bertrauft Du mir?
— Rönnt ich fonft leben ?
— Glaubſt Du es, daß ich noch an den bö—
jen Tag von Komorn denke?
— Und id) gedenfe jener „guten Nacht“
im Sarge.
— 1 —
— Ein lebender Menſch kann uns nicht ſobald
trennen,
— Ein todter um fo weniger!
Gatte und Gattin hielten fich umfchlungen.
Es wardieß ein Paar, das Tag für Tag den Eid
wiederholte, welchen es einjt vor dem Altar ge-
Ihworen.
Es grenzt ans Märchenhafte.
(Ende des dritten Bandes.)
13*
Audere Beiten
andere Menſchen.
Roman in vier Bänden.
Von
Moris Jokai.
Bierter Band.
—⸗;s⸗7s⸗s⸗
Del,
Druderei des „Athenäum.“
18735.
Berlin. Berlag von Dtto Zanke.
u = ED an an
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Vierter Band.
Die bleiche Fran.
Das Geficht der Frau Fertöp wurde von Tag
zu Tag bleicher.
| Sie hatte es nicht nöthig, ihre Wangen mit
Prinzeffinwaffer oder Lilionefe zu bleichen ; fie befaß -
einen unfichtbaren Geift, welcher jede Nacht erfchien,
um das fchneeige Weiß auf ihre Züge zu hauchen.
Heute glich fie einer Lilje.
Fürft Wolozoff trägt feine Schuld daran.
Er ift in der That einer der aufopferndften
Anbeter ; bei feinen Eroberungen fröhnt er nur feinem
Ehrgeize. Es macht ihm eben Vergnügen, wenn bie
Welt jpricht, er ſei der Geliebte, der ſchönften und
geiftreichiten Frau.
Dieje ſchönſte und geiftreichfte Frau hatte nun
einen Fehler: das die Roſen von ihren Wangen ge⸗
wichen. Wolozoff würde ein Reih von Leibeigenen
| 1*
—— —
dafür geben, wenn die Wangen dieſer Frau in ihrer
früheren Roſenglut prangen würden.
Es iſt immerhin eine odioſe Sache, wenn die
Geliebte eines Mannes blaſirt iſt. Die Gattin mag
es ſein; die andere, die fröhlichere Gefährtin jedoch
ſoll nie die Lebensluſt verlieren.
Wolozoff wäre es recht geweſen, wenn Sera—
phine für welch Preis immer ihr Gemüth erhei—
tert hätte. |
Mas diefer Preis fei?... . wiffen nur die
Männer. Dem Fürjten entging e8 nicht, daß Diefe
Frau ihren Gatten aus tiefen Herzen hbſſe; hatte
fie ihn nur deßhalb zum Gatten genommen.
| Es zählte aber zu ven veinften Unmöglichkei-
ten, daß eine Frau, welche ihren Gatten haft, möge
‚fie wie immer bleic) jein, Niemanden auf der Welt
‚hätte, den fie liebt.
Der Fürft wußte es recht gut, daß dieſer Je—
mand nicht er, fondern ein Anderer fei.
Die ſchöne Frau empfängt feine Komplimente,
ſpaziert an feinem Arme, tanzt mit ihm, fit in
feiner Loge, nennt ihn unter vier Augen beim Tauf—
nahmen; iſt zeitweife luſtig klagt ihm. vertraulich,
wenn fie einen Schmerz hat; — dennoch wurde der
Fürſt von Tag zu Tag immer mehr gewahr, daß es
Jemand Anderen ar ber: mr ganze Seele be-
ſchaftizt.
— 5 —
Diejen Andern muß er ausfindig machen.
Weshalb ? Um ihn vielleicht zu tödten? Um
ihn mit der ganzen Wuth der Eiferfucht zu verfolgen ?
Nein, diefen Jemand muß er finden, daß Seraphine
endlich glücklich werde ; daß auf ihr nn Geſicht,
die Roſen ———
Es war an einem Abend im Theater. Sera-
phine betrachtete von ihrer Loge aus, ihrer Gewohn—
heit gemäß, ftatt die Vorftellung. das verjammelte
Bublifum. Der Fürft faß ihr gegenüber und heftete
feine Blicke auf das bleiche Antlig. In einem Mo-
mente jchien es ihm, als ob ein rofigor Morgenroth
über diefe fchneeigen Gefilde zöge, und Seraphine
ganz heimlich Jemanden im Partere gegrüßt hätte...
Sonit pflegte fie ganz auffallend Grüße zu wechjeln ;
heute that fie e8 heimlich.
| Der Fürjt folgte den Bliden Serapbines, und
‚entdedte Denjenigen, welchem ber Gruß gegol-.
ten... . Statt eine Frage an Seraphine zu richten,
erwartete er den Augenblid, wo ein Bejuch in der.
Loge vorfprach, um fich unbemerkt zu entfernen, nnd ,
ſich auf den Kafinoserfer zu begeben, wo er neben
Elemer Dombay Pla nahm.
Diefer Kavalier war berühmt deßhalb, daß e er
jeden Menjchen, Damen, Mädchen, Herrn, ohne
Ausnahme Fannte, die nur das Theater zu befuchen
pflegten, jelbft die Galerie nicht ausgenommen,
ne
— Sag mir einmal Elemer, wer ijt jener
unge Dann dort unter der vierten Loge, welcher auf
feinen Stod gejtüßt ſteht.
— Im deu manchefternen Baletot ? der ift der
Gatte einer Schaufpielerin.
— Ah, zum Kufuf; und der neben ihm, im
chamois⸗farben Rod.
— So? der ift auch der Gatte einer Schau-
fpielerin. |
— Die nennt er fich ?
— Bela Yavay.
— Was für ein Handwerk betreibt er?
— Im befjeren Zeiten war er Bublizift ; —
jest ijt er Advokat,
— Lach mich nicht aus, wenn ich Div mittheile,
daß diefer Mann mein geheimnißvoller Gärtner ift.
— Die Derjenige etwa, von dem du erzähl-
tejt, daß er einft Fertöh in das Aquarium geſtoßen
hatte, und dann entjprungen jei ?
— Derjelbe. Sch erkenne ihn num wieder, und
erkläre mir num das Räthſel; Fertöy jprach eben
Davon, daß der Lotos den Namen einer gewiffen
Laͤvayh führe, und er hierauf den famofen Gruß
erhielt... ..
— A, das Klingt ja herrlih was bu mir
da erzählft, gleih morgen muß ich Bela darüber
- befragen.
— Kennſt du ihn?
— 7 —
Sehr gut, er iſt ein kurioſer Kauz! J
— Nun wenn es ſo iſt, erſuche ich dich, dieſer
Sache vor ihm nicht zu erwähnen, Ich habe eben
einen anderen Plan. — Wir müſſen uns ſtellen, als
ahnten wir nichts von ſeiner Identität.
Ich habe es nicht nöthig, den Gentlemann
von heute, als meinen Diener von geſtern zu erfen-
nen, den die Mode ver Bolitif gezwungen hat die
Liorde anzuziehen. Mein Plan wäre ihn zu meinen
Rechtsfonfulenten zu wählen.
— Da hättjt du recht, e8 ift ein ordnungslie—
bender Dann, und feines Betruges fähig. Uebrigens
‚babe ich e8 errathen, weßhalben du gerade jett auf
die Idee gefommen bift !
Der Fürſt betrachtete zweifelnd feinen
Nachbarn.
— Das haft Du nicht errathen.
— Wetten wir!
— Gut. Es gilt taufend Rubel.
— Geh, fei fein Narr, bift ja nicht in
"Rußland. |
— Betten wir dennoch in einer Viertelgulven
Banknote.
— Die Wette jteht. Höre alfo: Dir fuhr die
bizarre Idee durch den Kopf.
Mein Freund Fertöy pflegt mich vermöge
‚jener Freundfchaft, welche mich an fein Haus knüpft,
‚jehr oft zum Vertrauten feiner Gelvangelegenheiten
—_ 8 —
zu machen, da pflege ich ihn ſtets an meinen Rechts—
anwalt zu weiſen, welcher uns beibe verjteht.
Welch’ eine unterhaltende Wendung wird es
aber nehmen, wenn ih Bela Laͤvay zu meinen‘
Rechtsanwalte ernenne und dann mit unjchuldigfter
Miene, meinen Freund Fertöy zu ihm fenve, er
möge beratheu, wenn e8 ihm beliebt. Derfürft lachte,
der Einfall ſchien ihm bizarr genug, doch ent»
iprang er nicht feinem Gehirn. Er lachte zwar, doch
ihüttelte er ven Kopf. Die wahre Urfache hatte fein
Freund nicht errathen, doch diente dieſ Idee dazu,
daß man die Wirflichfeit vor den Augen der Welt
verberge.
Diefe wird nur die Satyre fehen, nicht aber
die Idylle, welche hinter derſelben abgejpielt wird.
Wolozoff gönnte feinem Nachbarn die Freude
des Triumphes ; nahm mit malitiofen Lächeln einen
Guldenzettel aus feiner Tafche, bog denfelben vier-
‚theilig zuſammen, benegte die Kanten mit feiner
Zunge und riß behutjam ein viertel der Banknote
heraus.
Auch dies gehörte zur damaligen Mode.
— Du haft die Wette gewonnen, ſagte er,
und legte den Banknoten-Fetzen vor Dombah hin.
Diefe Anekdote machte noch während ber Vor—
stellung im Theater die Runde.
— —
Alles fand den Gedanken genial, womit ein
glücklicher Anbeter den ihn bereits zur Laſt werden—
den Gatten den Weg zu ſeiner Geldkaſſe erſchwert.
Wolozoff aber ergänzte in ſeinem Geiſte die
Einzelheiten jener Geſchichte, welche der Welt unbe—
kannt geblieben ſind.
Als er nach dem vermeintlichen Miſſethäter,
ſeinem Gärtner, ſchießen wollte, erfaßte Seraphine
ſeine Hand und vereitelte den Schuß.
Seraphine war damals allein mit dem Gärt—
ner im Wintergarten und pflegte auch ſonſt zu ver-
Ichwinden, um ihn aufzufuchen.
Seraphine erzählte ihm einft, daß Frau Laͤvay
ihre Freundin gewefen ; daß fie in einer Stabt wohn-
ten, daß ihre Fenter einander gegenüber lagen, und
daß fie in der Stadt für Nebenbuhlerinen galten.
Auch erinnerte ſich der Fürft, daß Seraphine:
einen tiefen Seufzer ausgeftoßen, als fie die Erzäh—
fung des Romanes ihrer Mädchenzeit mit ven Wor-
ten beendet hat, „und jett iſt Judith glücklich."
Wolozoff glaubte nun zu verjtehen, und rai-
jonnirte folgendermaßen : e8 wäre angezeugter, wenn.
Seraphine glüdlih, und Judith ein wenig unglüd-
(ich wäre.
Denn am Ende fei ja die ganze Weiberglüd-
jeligfeit nur eitel menſchlicher Scherz und Schid=-
ſalslaune.
—
= 0
Geraphine wird frölicher fein, weun fie zu
eben anfängt, vie Künftlerin dagegen wird fich um
jo mehr ihrer Kunft befleigen, wenn fie vom Schmerz
heimgefucht wird... ...
Am andern Tage erhielt Bela einen Bejuch
von Elemer Dombay.
— Freund id) bringe Dir gute Nahricht, —
rüdte Dombay heraus — Fürſt Wolozoff beflagte
ſich geftern, das die Kommaßations Arbeiten auf ſei—
nen Gütern ſehr erjcehwert wurden, und baß ber
Wiener Doktor, welcher bisher feine Rechtsangele—
‚genheiten geführt, von den Fragen der Kommaffi-
rung, des Urbarialwejens, der Allodial-Gründe, der
Negalien und Remanenzien eben jo viel verjteht,
wie die Henne von a. b. c. und daß er jeßt gezwun—
gen fei, einen ungariichen Advofaten zum Rechtsan—
walt zu nehmen, ev bat mich zugleich ihn Jeman—
den zu empfehlen; da ich wußte, daß Du, mein
Freund, die Urbarial VBerhältnige zu deinem bejon-
deren Studium gemacht, nannte ich Deineu Namen,
‘worauf der Fürft mir alffogleih die Hand gab,
und in den Vorſchlag willigte. Nun was fagft
Du dazu ?
Bela Schlug nicht fo ſchnell ein.
— Was zum Kukuk, Du zögerft, als ob Du
dich erſt befinnen wollteft, die Stelle anzunehmen ?
Freund wenn ich Advokat wäre, würde ich mit bei-
ven Händen nach einer folchen Gelegenheit greifen.
we
Was denkſt Du? Durch eine ſolche Stelle ift dein
Glück gegründet.
— Es giebt etwas unangenehmes bei diefer
angebotenen Stelle, fagte Bela ausweichen, was
ich Dir nicht erzählen kann.
— Nun, jo werde ich's Dir erzählen, vom
Anfang bis zum Ende. Höre mich an. Als Du noch
politiicher Flüchtling geweſen, fiel es dir einmal ein,
unter andern Maskirungen auch bie Livree eines
herrjchaftlichen Gärtners zu verfuchen. In letzterer
Eigenſchaft dienteſt Du den Fürften Wolozoff,
‚Haft Dich aber nicht auf die fchönfte Art von ihm
verabjchiedet, nachdem Du feinen Gaft, der deine
Gattin verleumdet, in das Aquarium ftießeft, daß
er heute noch darin läge, wenn man ihn nicht he-
raudgezogen hätte. Bon dieſem Falle weiß die ganze
Welt, trotzdem, daß Du ihn Niemanden erzählteft.
Sndeffen wird der Fürft Dich nimmer erkennen,
"wenn er Dir begegnet. Auch haft Du jett ein ganz
‚anderes Geficht, und der Fürft wird e8 nie merken
laſſen, vaß er fich erinnert, Dich je gefehen zu haben.
Mebrigens haft Du nur dann mit ihm zu verkehren,
"wenn ein Vergleich zwifchen ihm und feinen Bauern
ftattfinden foll.
— Gut ih werde mir's überlegen,
— Wa8 bei Dir jo viel bedeutet: „ich werde
es früher meiner Frau mittheilen," daran thuft Du
Recht, Freund; fie ift ein Huges Weib, hat mehr
_ 12 —
Verſtand als Du und ich. Biſt dabei ein glücklicher
Mann, haft zwei Köpfe, was Du mit einem nicht
ausklügeln fannft, darüber Holft Du Rath beim Ar-
dern. So geziemt e8 fich auch. Deine Gattin wird- -
dir ficherlich jagen : nimm die Stelle an.
— Darüber bin ich im Zweifel.
— Kun fo erfahre es je eher, und benachrich⸗
tige mich.
Dann entfernte ſich Dombay, während Bela
zu Judith eilte.
| — Meine Liebe, Fürft Wolozoff hat mir das
Rechts-Direftorat über feine Güter angetragen.
Was fagit Du dazu ?
Judith dachte nach.
Dann ergriff fie plötzlich Belas Hand und
ſprach:
— Nehme es jetzt an. Verrichte in moglichſt
kurzer Zeit die wichtigſten Angelegenheiten, Und
dann danke ab.
Bela bedankte ſich mit einem Handkuß für
den guten Rath.
Es fteht entjchieden feit, daß Frauen den
feinjten Takt befiten.
Ein wenig weltlicher Tratſch, ein wenig
Schein, ein klein bischen. Eiferfudht, und aus dieſen
vielen Kleinigkeiten entfteht ein jo allgemeines Chaos,
woraus fich der gute Ruf eines Menjchen kaum zu
retten vermag. Es giebt aber noch Menſchen, denen:
re
ver gute Auf theurer, als das tägliche Brot ift.. .
Wenn Bela ſolch' ein glänzendes Anerbieten
zurückweiſen follte, würde er einen ganzen Schwarm
der beleidigendſten Verbächtigungen gegen fich und
feine Öattin aufhegen.
Ein Advofat, der einen Fürften, welcher ſeiner
Gattin, die durch Zufall auch Schauſpielerin iſt,
Kränze zugeworfen, nicht zum Klienten haben will,
ſetzt ſich vor den Augen der Welt den ärgſten Ver—
muthungen aus. — Nimmt er die Stelle an, und
verbleibt in derſelben, was würde dabei heraus—
kommen? Ein Advokat, der Gatte einer Schauſpie—
lerin iſt, welcher ſein Klient, der Fürſt, Kränze zu—
werfen pflegt; ſetzt er ſich nicht den haßlichſten Zu:
muthungen aus.
— Beendige ſeine Angelegenheiten, um de—
retwillen er Dich berief, dann laß ihn fahren.“
— — — — — — — — — —
Als Fertöy erfuhr, welch’ nene Bekanntſchaft
der Fürſt mit Bela Laͤvah angeknüpft Hatte, raiſo—
nirte er folgendermaſſen:
„Der Fürſt iſt eben ein launenhafter Menſch,
wie es die Großen zu ſein pflegen, Judith eine ſchöne
Frau, hat einen ſchönen, hohen künſtleriſchen Ruf,
und was noch mehr, ſie genießt auch den Ruf einer
treuen, ihrem Gatten ergebenen Frau; ein wahrlich
ſehr verlockender Umſtand. Dagegen welkt Serg-
phine vom Tag zu Tag, ihre Launen langweilen,
——
ſtatt Bewunderuug zu erregen. Der Fürſt konnte
erfahren haben, daß Bela einſt Seraphine den Hof
gemacht, und daß diefe nicht gleichgiltig für ihn ge—
wejen. Er konnte demnach auf die Idee eines gegen-
jeitigen Tauſches fommen. Alte Flammen laſſen fich
ja fo leicht wieder anfachen.
Diefe Kombination hatte Fertöy nicht zufrie-
den geitellt.
Er nahm fich vor beider Frauen Zugenb zu
vertheibigen :
Die Seraphines gegen Bela, und die Judith's
gegen den Fürften.
Es giebt aljo dennoch Fälle wo die Tugend
einen Werth befigt !
Fertöy war ſehr mit fich ſelbſt zufrieden, als.
er die Details feiner Bertheidigungstaftif jejtge-
jtellt hatte.
Die Lage mag fehr verwidelt geweſen ſein.
Fertöh hatte eine ſchöne Frau und eiue ſchöne
Niece.
Seine ſchöne Gattin hatte einen reichen An—
beter, der zugleich der ſtille Verehrer ſeiner ſchö—
nen Niece iſt.
‚ Wäre e8 nicht eine boshafte Esfamotage,
wenn bie Köpfe der weißen und ſchwarzen Taube
plötzlich vertaufcht würden.
— 15 —
Wem kann man hier vertrauen? Einzig und
allein Judith. Ihr Karakter iſt der ſtärkſte, ver wie-
deritandfähigfte unter Allen,
Fertöy hatte etwas erjonnen, woburd man
Judith in den Brennpunkt der Intrigue hinſtellen)
und durch fie das Ganze vernichten konnte.
Welcher Natur dieſes Etwas gewejen ? werden
wir jpäter erfahren.
Ueber das fönnen wir aber heute jchon im
Klaren fein, daß fo oft Fertöy an feine Niece dachte,
er diejelbe ſammt ihrer ganzen Familie auf den
Grund des Meeres verwünjchte; Niemanden jedoch
haßte er jo, als Judith jelbft.
Mochte er vielleicht die Ahuung. haben, daß
vieles Viele im Beſitze jenes geijtigen Kapitals ift,
welches an Werth feinen Haß paralifirt; und baß
fie ein ebenſo unverföhnliches Herz ihm gegenüber
ftelfte, als er eines befigt ?
Es war an einem ſchönen Herbittage, zur
Zeit der Weinlefe, ald Bela im Schloße des Fürften.
anlangte. Er kannte fehr gut die Räumlichkeiten die-
ſes Schloffes, jo wie auch das Dienftperjonale,
doch ihn erfannte Niemand, außer dem alten Jagd⸗
hunde, welcher ihm im Vorzimmer entgegen ſprang
und Zeichen ber Freude gab, als würbe er fih aus
der Vergangenheit des Ankömmlings erinnern.
Als fih Bela nach dem Fürften erfundigte,
verwies ihn der alte Kammerbiener in den Garten,
u: IE
wo der Fürjt mit einer Gejellichaft bei ver Jauſe
jaß. Er hatte viele Gäfte aus der Gegend, man
hatte eben heute die Weinleſe beendet.
‚ Bela beeilte fich den Fürften aufzufuchen. Er
‚wußte recht gut, daß fein Lieblings Aufenthalt ein
aus Eifen und Glas gebautes chineſiſches Lufthaus
fei, an deſſen Säulen er einft vie Efeu-Ranfen
pflanzte. Dieſe waren bereit8 hoch herangewachjen,
liefen bis an das Dad) ver Pagode, und hingen mit
ihren zarten Ranken wie ſchwebende lichtgrüne
Schatten herab.
Die hintere Thüre dieſes Auſthauſes öffnete
ſich auf ein Garten-Labyrinth, welcher, wie wir wiſ—
ſen, daher ſeine Benennung hatte, daß man Bäume
und Geſträuche in Form von Schneckenwindungen
angeſetzt, wo, wenn man den Mittelpunkt erreicht,
man wieder genöthigt war, denſelben Weg zurück
zu machen.
Wollte ſich der Fürſt einen ſogenannten Jur
machen, jo ließ er die Thür-Klinfen von den erſten
drei Thüren ver Pagode abnehmen, ließ die gemal-
ten chinefischen Vorhänge der Fenſter herabziehen,
und Derjenige welcher in ven Papillon hinein wollte,
mußte nun jene Schnedenwindungen betretten, und
einen Weg von ungefähr taufend Schritten zurüd-
legen, um im die Pagode zu gelangen. Dieje Erfin-
‚dung diente dazu, um ſich vor plöglicden Ueberra—
ſchungen ficher zu ftellen.
— ME ae
Bela jedoch kannte fehrgut den Weg, hatte
doch er die Sefträuche und Bäumchen des Labirin-
thes zugeſtutzt. Er gehörte auch nicht unter jene wil
den Säfte, welche ein jedes Fenfter am Pavillon zu
verjuchen pflegten, ob e8 feine Thüre fei, bevor fie
ſich entſchloßen hatten den Pfad des Labyrinthes zu
betretten. 5
Aus der Pagode drang ein großer Lärın
Männerſtimmen, Gläfer-Geflirr und Gelächter iu
einander gemijcht ; zuweilen mengten fich auch ſcharfe
Srauenftimmen bienein, wahrjcheinlich der Koufinen
des Fürften.
Bela am Schauplate feiner einjtigen gärtne-
riſchen Thätigfeit angelangt, fühlte eine unwillfür-
liche Erregung der Erinnerung an feine alten Be—
fannten, an die durch ihn gepflanzten Bäume.
It e8 doch eine wahre Leidenfchaft, welche
der Gärtner für feine Bäume hägt; eine Leiden-
ſchaft, worin Liebe, Kummer, Eiferfucht, Wohlge-
fühl und finſteres Hinbrüten vermengt find. Welh
eine Sehnfucht in der Ferne, Fremde im Wieder-
jehen und Schmerz über das Verwelfen empfinden.
Ob er gewachien, ob er reiche Blüthen getrieben,
jener Tulpenbaum, den er einjt in ber Mitte des
Labyrinth's gepflanzt, mußte er doch bereits fich zu
einem großen Baume herausgewachjen haben. Bela
batte in diefen Momente mehr Intereſſe für ven
Zulpenbaum, als für die ganze Gejelljchaft.
Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 2
a
Der Tulpenbaum war feitdem groß gewach—
fen, hatte üppiges Laub und reiche Blüthen ; die um
die Rotonde gepflanzten Hibifbäume neigten ſich mit
ihren dichten Laub übereinander, dazwiſchen jchlan-
gen fich die Ranfen der wilden Beern, und bilbeten
eine lebende grüne Höhle; um das Ganze zu ergän-
zen, lehnte eine bleiche Frau an dem Baumſtamme,
gleich einer Dryas der Mythe, mit einer Hand an
einen hervorſtehenden Aſt geflammert, die andere
über das blonde Lodenhaupt erhebend, in melden
ftatt der Blume, halbreife wilde Weinberen prang-
ten. Die durch das grüne Laub durchdringenden
Sonnenftrahlen, hatten mit ihren grünlich bläufi-
chen Licht das genußſüchtige Antlig noch bleicer
gefärbt,jenes Antlig, deſſen rothe Lippen und Flam—
menden Augen noch fo viel Anfpruch auf Leben
machten,
Die Geftallt, welche an dem Baume lehnte,
war Seraphine. Bela war ebenfo überrafcht ald
Seraphine, als fie das Ungefähr jo plötzlich zujam-
men brachte. Die Befchaffenheit des Labyrinth's
brachte e8 mit fich, daß fie einander erft bemerken,
als fie fih Aug in Aug gegenüber ftanden.
Seraphine, welche aus tiefen Nachdenken zu
erwachen ſchien, betrachtete mit finnenden Bliden
den Ankömmling und nur als fie Bela begrüßte,
trat das befannte Lächeln auf ihre Lippen.
— Ah, Sie find es Laävay? Ach ! fie verfuchte
28 ſchalkhaft zu Lächeln.
— Ich kann wirflich nicht für etwas anderes
‚gehalten werden, als ic wirklich bin, fagte Bela im
-gleihem Zone, Sie aber hätten fich füglich als bie
Dryade diejes Haines haften Fünnen, welche den
"Worten des Laubes laufcht.
— Wiſſen Sie e8, lieber Lavay, daß vie
Sprache des Yaubes in diefem Haufe die vernünf-
tigjte Sprache ift. Doch was führt Sie hieher ?
Kommen Sie vielleicht, um nach einem Auge zu
jehen, ‘welche Sie noch als Gärtner gepfropft
hatten.
— Ab möglich. Uebrigens ließ mich ver
Fürſt in einer fat profaifchen und dennoch erhabe-
‚nen Angelegenheit zu fich rufen. Er will eben einen
‚ Ausgleich mit feinen Bauern anbahnen, und ich
ſoll hierin fein Anwalt fein.
— Ah das ift jehr ſchön. Dann werden wir
‚Sie oft jehen. Fertöh gedenkt vierzehn Tage bier
‚zuzubringen.
Seraphine jagte dieß mit unverblümten Spott,
fie wußte es ja gut, daß der Name Fertöy’s Feines-
wegs die Freuden Belas vermehren werde.
— Wie bepauere ich die ſchöne Gelegenheit
in Folge Anhäufung meiner Gejchäfte nicht benüten
‚zu können, ich muß mich hier fehr beeilen, ven es
Aparten auch zu Haufe Pflichten auf mich.
2*
— 2 —
— Welch abgejhmadter Mann find Sie La-
vay, anftatt, vaß Sie fagten,.... daß heißt, Sie brau-
hen nichts zu jagen. Sie haben es ja nicht nöthig auf
meine Fragen Antwort zu geben, in jenem Tone, in
welchem ich Sie frage, ſprechen Sie nichts. Ich ſehe
Sie dann am liebten, wenn Sie ſchweigen, da pflege
ich immer über Ihre Gedanken Vermuthungen an:
zuftellen. Wenn Sie jprechen, find fie viel ſchwerer
zu errathen.
Bela lachte.
— Demnad pflege ich immer anders zu den-
fen, als ich ae ? Geraphine zudte mit den.
Achſeln.
— Wie Sie unausſtehlich find? Ich wollte
Sie beleidigen, und Sie lachen darüber. Wüßte ich's
nur, womit man Ihnen nahe treten, Sie beleibi-
gen kann.
— Gie mit nichts.
— Na, na, nehmen Sie fi in Acht, ich
werde Alles aufbieten, um Sie in Zorn, in Wuth
zu bringen, und Cie zn zwingen, mit mir zu
ftreiten.
— Dann werden Sie von mir nichts ernft
nehmen, bebenfen Sie, daß ich Advokat bin, und ala
jolcher, ja oft jtreiten muß, als es meine Klienten
verlangen, trotzdem, daß ich meinen Gegnern feines:
wegs Feind bin.
— 21 —
— Gut denn, Herr Advokat, auch ich habe
einen Prozeß, darf ich Sie bitten, denſelben anzu—
mehmen.
— Es iſt nur die Frage, ob der Prozeß nicht
‚gegen einen meiner Klienten gerichtet iſt; der Advo-
‘Tat darf nicht doppelzüngig fein, ſonſt wird er zum
Silenziarius gemacht.
— Ad! kümmern Sie fi beute nicht um
‚Ihren Klienten, wenn Sie den Fürften meinen. Mit
‘dem ift heute Fein vernünftiges Wort zu wechſeln.
- Er hat mit Fertöy gewettet, wer den anderen eher
unter den Tisch trinkt ? Wie ich beide kenne, wird
dieſes edle Turnir „h eut e“ faum fein Ende finden.
Sch verfchwand vom Schauplage des Wettfampfes ;
"blieben doch der Damen genug bort, um den Sieger
zu befränzen. Haben Sie etwa Luft, fich ven Reihen |
der edlen Kämpfer anzufchließen, oder bei mir
zu verbleiben... .. Ein bittere® Dilemma, nicht
"wahr ?
— Im Gegentheil, die Wahl ift fehr ange
nehm, erwiederte Bela, indem er an der Seite Se-
-raphinen’s Plat nahm, welche an einer herabgerifje-
nen Ranfe ver wilden Rebe Faute, vielleicht um fich
den Ekel nah dem füßen Mahl zu vertreiben.
Gehen wir alfo zum Prozeß über, den fie mir an-
"vertrauen wollen, gegen wen ift er gerichtet ?
— Gegen die ganze Welt, fagte Seraphine,
eine Handvoll wilder Beeren in die Luft jchleudernd.
a DE
— Auf ven Rechtsgrund ver Erbichaftätheis
lung. Auch ich will einem Theil von jenem Ölüde,
von jener Achtung, von jener Ruhe, die Allen auf der
Welt, dem Knechte, dem Bauer, dem Narren zu
Theil wird, und, an benen nur ich nicht theilnehmen
fann, ſonſt Feder, der darnach greift. |
— Liebe Seraphine! Es find dieß zwar
Rechte die einem Jeden gebühren. ...
— Ich bitte Sie geben Sie meinen närri-
ihen Reven feinen vernünftigen Anjtrih. Warum
lachen Sie jegt nicht, Ihr Lachen könnte mich an-
ſtecken. Sie bemerfen es nie, wann id) Scherz treibe.
— Hören Sie mih an — jagte Laͤvah — ih
icherze nicht; habe Ernjtes mit Ihnen zu fprechen.
Sie werden es aus einem meiner Worte errathen .
fönnen, daß ich mich fehr viel um Ihr Schieffal
fümmere. Ich habe die vergangene Woche damit zu-
gebracht, ven Beſchluß in mir reifen zu laffen, wo-
nach ich Sie zu einen entjcheidenden Schritt bewegen
muß. Ih muß Sie nämlich überreden, fi von
Fertöy ſcheiden zu lafjen.
Das Gefiht Seraphines wurde noch bleicher,
als e8 bisher geweſen, plößlic begann es fich aber
zu röthen, daß es beinahe zu flammen jchien. Ver—
wundert und zitternd blicte fie Yavay ar.
— Weshalb foll ich mich ſcheiden laſſen?
— Das fann id) Ihnen jett nicht Jagen, weil
«3 mein Geheimniß ift. Sie müffen mir es jeboch-
u
glauben, daß ich e8 nicht ohne Urſache thue. Ich
war entſchloßen, Sie aufzufuchen oder brieflich auf-
zufordern, wenn mir das Ungefähr nicht zu Hilfe
fommt. Die Pietät für die Erinnerungen einer Ver-
gangenheit, das Wohlwollen, welches Sie mir in
meinen bitterjten Schickſalen bewiefen, machen es
mir zur Pflicht, Sie zu einem Schritte zu bewegen,
den Sie machen müffen, wenn Sie einem böfen Ge-
ihide ausweichen wollen, welches Sie unbedingt in
den Abgrund reißen würbe, wenn Sie meinen Wors-
ten fein Gehör ſchenken. Diefe Worte war ich Ihrer
Zukunft ſchuldig. Ich will Sie früher von Ihrem
Gatten geſchieden fehen, und dann erft werde ich
Ihnen bie Urfache erflären.
Seraphine blidte träumeriſch in bie Au ger
Belas, und glaubte aus denſelben Tejen zu Für ren.
Doch wie täufchte fie fich !
Seraphine ließ ſich unwillkürlich auf pas
Heine weiße Bänfchen der Laube nied.r, als wäre
fie von einem Schwindel ergriffen.
Sie war nur zu jehr Fran, um ihr Herz einent
Gedanken verjchließen zu fönr,en. Der einftige Ju—
gendgefpiele empfiehlt ihr, fi) von ihrem Gatten
zu trennen. Ein Mann, an dem fie nie ohne Herz
Hopfen zu denken vermochte, verlangt von ihr, ein
Hinderniß aus dem Wege zu räumen, welches zwi—
ſchen ihnen Beiden ſich befindet, Seraphine faltete
— —
die Hände, ſah Bela mit flammenden Blicken an,
und frug ihn, im Tone innerſter Erregung.
— Bela! haben Sie jetzt im Ernſte mit mir
geſprochen?
Bela war von dem flehenden Blicke ver blei—
hen Frau ergriffen, und vrüdte ihre zufammenge-
falteten Hände.
— Seraphine ! der Himmel möge jene Strafe
über mid) verhängen, die nie, nie mich treffen kann:
die Verachtung der Menſchen; wenn ich nicht wahr
und aufrichtig zu Ihnen fpreche; ſchenken Sie mir
Glauben. Ich weiß es, daß e8 ein gewagtes Wort
war, welches ich ausſprach; doch Sie haben von
„geachtet fein“ gejprochen, das war überflüffig. Ich
wußte e8, daß eine Frau wie Sie, die im Flaren
Sonnenschein der Achtung aufgewachfen, veren jeder
Zug den natürlichen Anhang des Stolzes trägt, ge—
gen jenes Gut, welches höher als das Leben anzu-
Schlagen ift, nicht gleichgiltig bleiben kann. Sch habe
wichtige Gründe, Ihnen ald Wegweijer zu dienen.
Betrachten Sie mich, als währe ich nicht anderes,
als ein kalter unempfindlicher Stein, auf welchem
die Worte ftehen : „gehe diefen Weg." Einem folchen
Stein würden Sie Glauben ſchenken, ohne zu fra-
gen: ob er aud) die Wahrheit fpreche ? Ich kann Sie
nicht über meine Gründe aufklären, denn in denfelben
liegt die Hand der Nemefis, welche umerbittlich auf
Ihrem Schidfale ruht. So viel kann ich Ihnen je-
a DE
doch fagen, daß Sie falld Sie die Verbindung nicht
Töfen, einem böfem Geſchicke anheim fallen, das feine
"Rettung mehr geftaitet.
— Sie erfchreden mich. |
— Das will ich eben, einft werden Sie mich
ſehr gut verftehen und e8 Far einfehen, daß mich zu
diefem Schritte, weder Laune, noch Intrigue, am We-
nigjten aber unreife Empfindelei bewog; fondern
eine natürliche, jehr gerade Berechnung ; Sie werden
ed einjehen, daß ich Dinge ſehend, die unbedingt
geſchehen werben, bei jenen Erinnerungen, welche
ih in meiner Seele herumtrage, nicht ſchweigen
Tonnte, jondern fprechen, und nur jo fprechen
mußte.
— Erlauben Sie mir ein wenig zu rathen.
Alſo mit Fertöy joll etwas Großes gejchehen, Sie
Iprechen von einer Nemefis. Soll er vielleicht an
feinem Bermögen Schaden leiden ?
— Davon weiß ich nichts, würde auch darü—
ber nichts ſprechen. Bin überzeugt, daß Sie dann
am Beſten an feiner Seite ausharren würden. Ar-
muth gilt zwar als Schande in den Augen Anderer,
‚aber nicht in unjeren eigenen.
— Aendert fi) vielleicht die pofitifche Situa⸗
tion, und iſt die Stellung Fertöh's gefährdet.
— Auch das wiſſen Sie zu gut, daß in gegen-
"wärtigen Zeiten in diefem Lande Niemand bon Po-
Aitik fpricht.
=. —
— Dann beabfichtigt Fertöh einen Streich
gegen mich zu führen? Kann er miv noch mehr Bö—
jes zufügen, al® er bereit gethan, würde ich denn
jeinetwegen nicht ſchon Längjt einem Anderen, wen
immer in der ganzen Welt angehören, wenn ich nicht
mir ſelbſt angehörte. |
— Liebe Seraphine, täujchen Sie ſich nicht.
Eine Frau gehört nie fich jelbit an.
— Demnad; ijt fie theilweife das Eigenthum
eines Anderen ? |
— Ja, das Eigenthum jene8 Namens, dern
fie anftatt des ihren angenommen. Diejer kann Sie
erheben, oder mit fich in den Koth herabziehen, ohne
daß Sie dagegen etwas zu thun vermöchten.
— Es droht Fertöy ſonach Gefahr, und zwar
eine Gefahr, welche feinem Namen ſchaden könnte.
— 68 ift möglich.
— Und würden Sie e& nicht für möglich
halten, daß, wenn die Gattin Fertöy’s erführe, es
droht ihrem Mann Gefahr, fie, ftatt fih von Ihm
zu trennen, ihm das Geheimniß entdeckt?
— Das würde mich durchaus nicht befrem-
den, im Gegentheil, würde ic) mich freuen barüber,
wenn dadurch der Schande auszumeichen wäre. Ver—⸗
geſſen Sie nicht, daß ich Ihnen fagte: es würde
mir zur größten Freude gereichen, wenn Fertöh ber
Gefahr entrinnen könnte. Doch Sie werden ihn.
nicht retten könnten.
— 27 —
— Woraus folgern Sie das? ...
— Weil er ſelbſt mit Gewalt zu Grunde ge—
hen will. |
— Räthfelhafter Menſch! iſt das Ihre Rache ?
— Nein, nein, ich rühre feinen Finger, um
ihn zu verfolgen; fein Wort entfällt meinen Lip—
pen, welches ihn vorwärts treiben Tönnte gegen ben
Abgrund ; er jelbit eilt demſelben entgegen, und wird
darin jei Verderben finden.
— Wiſſen Sie was ich mir jet denke?
— Ich weiß es.
— Sie wiffen e8? Nun, mas?
— Sie denken liebe Seraphine, diefer mein
Zugendgefpiele will mic) von meinem Gatten ſchei—
ven! Um.... nun mich auch vom Fürjten tren-
nen zu fönnen.
In dem Momente bedeckte Seraphine ihr Ge⸗
ſicht mit beiden Händen, als wäre ein Blitz vor Ihr
nieder gefahren; fie wendete ſich ab von Bela und
fing laut zu ſchluchzen an.
Bela richtete ſich vor ihr auf, und ſprach Fein.
Wort.
Nach einigen Minuten erhob die bleihe Frau
ihr thränenbefeuchtetes Antlig, und ſagte fortwäh—
rend fchluchzend in vorwurfsnollem Zone:
— BWarım haben Sie e8 nöthig gehabt, dies.
zu errathen?
— 28 es
— Weil das ganze natürlich iſt. Eine jede
Frau würde in gleichem Falle ſo denken.
— Deßhalb hätten Sie mir dieß doch nicht ins
Geſicht ſagen ſollen. Mit dieſem Worte haben Sie
mich zu Ihrem Sklaven gemacht, von nun an kön—
nen Sie über mich gebiethen. Nun. bin ich ent
Tarot; Sie wiffen num, daß ich Furcht vor Ihnen
habe; mit einem Winfe können Sie mich fchiden,
‘wohin Sie wollen; Sie wilfen es, daß ich nichts
‚gegen Sie erfinnen Tann, was Sie nicht alljogleich
errathen. Was wollen Sie thun mit mir ?
— Das, was Sie, vor einigen Angenbliden
von mir gewünfcht hatten: Ihren Prozeß gegen die
Welt gewinnen.
— Sie ſchlagen mich in der That mit mei,
nen eigenen Worten. Ich bat Sie, mich zu verthei-
digen, und machte es wie der Knabe in der Fabel,
welchen ver Schuß feines Verfolgers anrief.
— Gie find ungerecht Seraphine ; Sie wollen
es mir nicht glauben, daß jenes Gefühl, welches ich
für Sie bewahrt habe, die aufrichtigfte Achtung ift.
— Ich vermag e8 nicht zu glauben, weil dieß für
‚mich entweder fehrwenig, oder ehr viel it. Sie ſpie—
len fich jetzt ebenfo mit mir, wie in unjerer Kindheit,
‘wo Sie ein Steinchen das ich Ihnen nehmen wollte,
feft in die Hand drüdten, und über meine vergebliche
‚Mühe, Ihnen venjelben zu entwinven, jo herzlich lach⸗
ten; Sie waren ftärfer. Sie fühlen auch heute Ihre
— 19 —
Stärke, und wiffen es, daß ih ſchwach bin; Sie
wiffen noch mehr, 3. B. daß wenn Sie ſich mir ge-
genüber jchwach zeigen wiürben, ich Die Oberhand-
gewinnen möchte. Und das ift ee, was Sie jo gut zu
periwerthen verjtehen. Sie haben vor fich eine Fra,
bie bezaubert von Ihren Füßen liegt, die Sie mit
der Spike Ihres Fingers emporheben könnten ; Sie
hüthen fich jedoch Ihr diefe Fingeripite zu reichen,
— denn würden Sie dieſe Frau erheben, müßten Sie
zu ihren Füßen finken.
Auf den bleihen Wangen Seraphinens erglüh⸗
ten bei diefen Worten, gleich zwei erblühten Rofen,.
bie entflammende Leidenſchaft.
— Ach! — Seraphine, Sie ſchwelgen uoch
immer im Reiche der Poeſie, und vergeſſen, daß das
Leben auch eine proſaiſche Seite hat, ſagte Bela,.
fih neben Seraphinen niederlaffend und ihre glü-
bende Hand ergreifend.
! — In den Romanen findet man Helden, die
fich ftetS mit einem und vemjelben Gedanken befaffen.
Auf dem Theater beginnt das Drama mit Schwär-
mereien und die Schaufpieler jprechen durch volle
fünf Akte ftets über demfelben Gegenſtand. ....
Was thun fie jedoch in ben Zwifchenaften?..
Dort iſt das wirkliche Leben... . dort läuft ber
Menſch vom Morgen bis zum Abend feinem Ge—
ſchäfte nach ; kämpft mit fremden Sorgen, lernt und
lehrt, vafft Erfahrungen nah: und findet feine
zu Mi
Freude darin, wenn er nach dem Erfolge fich behag-
lich ausruhen kann. Das ift die furchtbare Profa des
Lebens, liebe Seraphine! ... und dieſes wäre Ihr
Ideal nicht. |
— ‚Leider, da$ eben dies mein Ideal ift, und
eben deßhalb, weil e8 mir am entfernteften jteht.
Ich ſelbſt bin eine Teichtfinnige Närrin, und Dieje-
nigen, die mir nahe ftehen, find hierin ſämmtlich
meine Nebenbuhler, und ich bete meine Gegenfüß-
fer an. a
Ein bachanalifcher Lärm erfchall von der Pa-
gode her, und ftörte das Geſpräch.
Seraphine machte dieſe Störung erbeben,
— Verlaßen wir diefen Drt, jagte Seraphine
‚zu Bela.
— „Diejen Ort,“ frug Bela die Worje ab-
ſichtlich betonend. |
Seraphine hatte ihn begriffen.
— Ja dieſen ganzen Ort.
— Und follen wir wiederfehren ?
— Ich habe e8 nicht nöthig wiederzufehren.
Doch Sie?
— Ih werde es thun, die Angelegenheit
"welche mir der Fürft übertrug, will id) beenden ; da=
xüber hinaus hören meine Beziehungen auf.
— Sie wollen ihre Stelle bier aufgeben ?
— Das it mein feſter Entſchluß.
— 11 —
In Seraphinens Seele begann allmälig ein
Glaube Wurzel zu fchlagen; der Glaube an den
Zraum ihrer Kindheit. |
‘ Sie drüdte die Hand Belas.
— Dann übernehmen Sie meinen Chefchei-
dungsprozeß?
— Ja und ich gebe Ihnen —* die Verſi—
cherung, daß derſelbe einmal begonnen, auch bald
beendet ſein wird. |
— Nun Gott mit Ihnen, gehen Sie ins
Schloß zurüd. Heute können Sie nicht mit Wolo-
zoff fprechen, und fich mit ihm zu unterhalten, wer-
ven Sie gewiß feine Luft verfpüren.... . Ich gehe in
ven Park; denn ich bedarf der Einſamkeit.
Diefe Stunde ift ver Wendepunkt meines Le—
bens, wo man ſpricht: der Sommer tft zu Ende, und
der Herbit beginnt. Trachten Sie, daß wir uns hier
nicht mehr begegnen. Mir felbjt kann ich Diefes nicht
überlafjen. — Sehen Sie wie ich bis zur Lächer-
lichkeit aufrichtig bin; — doch ift es fir Sie ſchmei—
helhaft, wenn fich Jemand vor Ihnen in ven Staub
wirft, und fich nicht fürchtet von Ihnen zertveten zu
werben. Gott behüte Sie Bela. Nun drüdte fie die
beiden Hände Beéla's, und um nicht mit demſelben
allein die Schnedenwendungen gehen zu müffen,
brach fie fih durch das Geftrüpp Bahn, mit offen-
barer Aufopferung ihrer Zoilette.
— 32 —
Bela begab ſich in das Schloß zurück, und
ließ ſich von einem Diener in ſein Zimmer führen.
Es war dies ein abſeits gelegenes Gemach,
welches mit der Bibliothek in Verbindung ſtand,
und dem gewöhnlichen häuslichen Geräuſch ent—
rüdt war,
Dila glaubte den Reſt des Tages ruhig zu=
bringen zu fönnen, doch Hatte er 2 bierin ſehr
getäujcht.
Kaum begann es zu bämmern, da vernahm.
er den Gefang der heitern Weinlefegäfte, und Tritte
näherten fich feiner Thüre; Es Flopfte.
Herein — rief Bela.
Der Fürft trat herein.
Wolozoff war, dem Naturgejeße gemäß, be-
trunfen, da er viel getrunfen hatte. Er. ſtand übri-
gens im Rufe, daß er in einem folchen Zuftande ein
jehr liebenswürdiger Mann zu fein pflege. Viele
Damen hatten e8 jchon rund herausgefagt, daß fie
fih eben dann ihn ihn verliebten, wenn er betrun=
fen war.
Er pflegte dann freundlich, verbindlich opferbe=
reit zu ſein; jeine Heiterfeit hatte etwas anſteckendes
und feine Züge hatten einen wahrhaft anziehenden
Reiz. Da öffnet fid) in ihm ein poetiiche Ader, feine
Einfälle fprühen von Geift; da war er liberal und
Demokrat.
— BR —
Es gibt einzelne ſeltene Exemplare, auf die
der Wein' dieſe wohlthätige Wirkung übt.
— Seien Sie willkommen, lieber Laͤvah —
ſprach der Fürſt, ſeinem Gaſt die Hand reichend. —
Soeben erfuhr ich, daß Sie eingetroffen; was mich
jehr freut; deßhalb habe ich mich auch beeilt Sie
aufzufuchen. Wir wollen jedoch die Prozegangelegen-
heiten ruhen laſſen, heute bin ich, wie Sie fehen,
nicht dazu geftimmt, heute Fönnte ich mein letztes
Hemd wegjchenken, wenn e8 Jemand verlangen wiirde,
jtreiten aber Lönnt ich mit Niemanden; — ich kam
auch nur um Sie iu die Gefellichaft abzuholen ; da—
rum laſſen Sie nur ſchnell Ihre etwaigen Einwen-
dungen hören, denn ich nehme Sie auf jeden Fall
mit, und wenn es nicht anders geht, trage ich Sie
auf ven Schultern hinab.
— Ich danke Ihnen First; — fagte Bela
lachend. Es wäre eine zu große Ehre fir mich; ich
werde Ihnen auf eigenen Füßen folgen wohin Sie
wünjchen.
— Doch zum Kufuf, laffen wir die Titulatu-
ven und dugen wir einander. Wir haben in jetiger
Zeit wahrlih nicht viel Urſache, mit den Titeln
wähleriſch umzugehen. Wir find ja gleiche Hunde ;
Marſch! Kuſch dich! heißt es, und wir müſſen gehen
und jhweigen. . . . Alſo her da mit der Hand, Bru-
der! Denk ja nicht, daß jett der Wein aus mir
ſpricht; und wenn er verflogen, ich Dich morgen
Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb. 3
— 34 —
wieder „Spektabilis“ tituliven werde. Der Wein
gilt bei mir für feinen Autofraten, wir leben mit
einander in fonftitutionellen Beziehungen ; ich jchlage
vor, er fanftionirt, Doch darf er nicht8 mit mir ohne
mich thun. |
— Duten wir und denn — eriwiederte Bela
— Hab’ mid) ſchon mit größeren Herrn gedutzt: als
- Du einer bit.
— Parbleu! das ijt ja wahr! die Antwort
gefällt mir. So hat mir noch Niemand replizirt. Ja,
fo ift es. Hm! Wo find Sie die Armen?’ Na ....
wenn ich einmal in einem Zoafte jener „geweje:
nen Größen” gedenke, dann fchlage mit mir an, und
fchleudere dein Glas Demjenigen an den Kopf, deſſen
Augen nicht mit Thränen gefüllt jein werben.
Der Fürft fchlepte feinen Gaft, ihn fejt am
Arme haltend, den langen Korridor entlang, die
Treppe hinab. Während diefer Wanderung erzählte
er, welch’ herrliche ländliche Genüße da unten ihrer
harrten. Zwei Zigeunerbanden jollen um die Wette
pielen, und zwar Märfche, für welche man morgen
die ganze Iujtige Gejellfchaft einfperren und in Ket-
ten fchlagen wird, was einen famojen Jux abjeten
fol. Den Csardas werden die Herren mit ven
Bauerndirnen, die Damen mit den Burjchen tanzen,
fein Theil der noblen Gejellichaft wird dabei verlie-
ren. Am Ende der Luſtbarkeit wird ein Feuerwerk
abgebrannt, welches einen brillanten Skandal her—
— 35 —
vorrufen ſoll, da Fertöh der Arangeur iſt, der gute
Herr aber derzeit fo betrunken ſei, daß er alles bop-
pelt fieht. So eben fagte man ihm, feine Gattin Se—
raphine wünfche ihn zu ſprechen, da frug er mit lal«
lender Zunge: welhe?... Der Kerl wird mir mit
feiner Steigrafeten ganz gewiß eine Scheuer in
Brand ſtecken, oder fich felbjt ein Aug ausſchießen,
wobei nur das zu bedauern wäre, daß er fich nicht
beide ausgeſchoßen.
Bela lieh das Geſchwätz zu dem einen Ohr
hinein, zum andern hinaus...
Die luſtige Geſellſchaft befand ich in der Ve—
randa des Erdgeſchoßes, der Fürft wollte, troß feines
Zaumels, feinen Haft nicht als Beute der bereits
„fertig gewordenen Gäſte hinwerfen. ... E8 gibt
anch keine präfärere Yage, als wenn ein vollfommen
nüchterner Menfch, in eine bereit8 angetrunfene Ge«
ſellſchaft geräth. . . Der Fürſt bezeichnete einige
ſeiner Gäſte beim Namen, wie ſie ihm eben in Wurf
famen. Einige verzweifelte Patrioten näherten ſich
Dela, drückten ihn die Hände, und ftotterten etwas
von „langerſehnten Wunjch, ihn perfönlich kennen zu
lernen ;* doch der Fürjt zog feinen Gaft mit fich,
und ließ die Batrioten mit den blutunterlaufenen
Augen nicht ausreden.
— Dies ift- meine Kouſine Olga, das Feo—
dora ... fagte der Fürſt beide vorftellend; dann
Ihleppte er Bela bei Seite, und raunte ihm ins Ohr:
3*
— A —
Laſſe Dich in kein Geſpräch mit ihnen ein, beide ſind
dumm, wie Gänſe, tanze ſpäter einen Csaärdäs mit
ihnen, damit haft Du fie dir verpflichtet... .... dann
Laffe fie fahren. Siehft vu die ſchöne Frau, welde
fo bleich ift ; ein ausgezeichnetes Weib, jcheint jedoch
wieder ihren Mond zu haben, man kann ſich ihr
nicht nähern, zuvor ließ fie ihren Gatten rufen,
mit dem Bedeuten, fie wolle mit ihm jprächen. Als
er fam, und fie frug, womit er ihr zu Dienften
ſtehen könne, da ſchwieg fie. und maß ihn mit Falten
Bliden vom Wirbel bis zur Zehe. Als er jeine
Frage wiederholte, zufte fie mit den Achjeln und
wendete fich ab, Es iſt am beften, wenn man fie
est in Ruhe läßt, denn fie ift zum werzweifeln
Ichön !
‚Bela murmelte etwas, al® würde er bie
Frau Fennen.
Damit gingen fie zu den Zigeunern.
Es gibt Stunden, in welchen der Zigeuner
über die ſchönſten Frauen der Erde fteht. Ach ſchöne
Frauen verjtehen ſich auf Mufif, und bringen es auf
dem Klavier zu einer gewiſſen Virtuofität. Wir be-
wundern — ihre ſchöne rundgeformten Schultern,
und preijen ihr — gelungenes Spiel, find zumeilen
entzüdt, über die jchneeige Weiße der winzigen
Händchen ; über die alabafternen Finger, welche mit
künſtleriſcher Vertigfeit über die Taſten gleiten,
am bieje füffen zu Fönnen; wenn jedoch der Zigeuner
a BR
da draußen feine Geige anftimmmt, dann füfjen wir
die ſchöne weiße Hand der himmliſchen Gnädigen,
und denken, die Schwarze Hand des braunen Zigeu-
ners ift denn doch etwas anderes.
Der Fürft war von den Leiftungen feiner Zi—
geuner entzüct, und verlangte, daß e8 auch Bela
fein fol. |
— Schau’ Dir’ mal diefen jungen Kerl an,
faum zwanzig Jahre alt, ift er fchon das Haupt der
ganzen Bande. Wie er ven Kopf zurückwirft, wie er
fich weder um Menfchen noch um Engeln fcheert, als
wäre feine Welt für ihm da, und er nur für fich
allein fpielte. Sieh’, wie ihm die Fegen vom Rode
ärmel heraus hängen, und wie ihm das burchaus
nicht genirt, er ift ja bewußt, daß er ein viel größe-
rer Künftler fei, als Ole-Bull.
Er zwickert nur mit halben Blicken auf uns
her, doch hat er es bereits errathen, welcher Ton
zum Herzen bringt? und wenn er will, jo läßt er
mich aufjauchzen, wie einen Narren, nnd Dich weis
nen, wie ein vom Xiebiten verlaffenes Fränlein. .. .
Wie fich jeine Muskeln winden und würgen,
als wäre er vom alttejtamentarifchen Teufel beſeſſen.
In jeden feiner Glieder fühlt er, was er jpielt, und
wie die ganze Geſellſchaft durch fein Spiel wie von
einem eleftriichen Strome durchzudt wird. Diejen
Burſchen wollte man zum Soldaten affentiren, ich
gab ihm das Geld, um ſich loszuldſen; er vertranf
— 38 — —
es, ſchlug ſich aber dafür ſeine beiden Vorderzähne
aus, um die Patronen nicht beißen zu können und ſo
blieb er vom Militär befreit. Ein Diamant von ei—
nem Kerl! Dann beſeh' Dir einmal den Alten dort
mit der Baßgeige! Geſtern hat er noch im Ziegel-
jchlag gearbeitet, feine Nägel find noch voll Lehm,
er pflegt der Gemohnheit des Waſchens nicht.
Welche Melancholie entwicdelt fich in jedem jeiner
Züge! E8 fpiegelt fi da jener Grundſatz der Le—
bensphilojfopbie ab, daß von Allem nur das gut ift,
was man befikt, und das jchlechte, dasjenige deſſen
man bedarf. Welch patriotiiches Geficht! braun wie
der ſchönſte Kordovan, der graue Bart, die dichten
Augenbraunen jcheinen, als wären jie von feinjter
Wolle. Eine Lode fällt ihm auf die Stirne, um
eine Narbe zu verdeden, welche er fich in ver Schlacht,
oder vielleicht auch im Wirthshauſe geholt, mit
welch majeftätiichem Blick' ruht fein Auge auf ung!
Er fühlt, daß wir ihn bewundern, doch venft er fich,
hol Eud) der Kufuf, wäre vernünftiger von Euch,
wenn Ihr mir ein Gläschen fpenden würdet! Die
poetijchen Ergießungen wurden durch das Zeichen
einer ‚Rakete unterbrochen, welche Herr Fertöy in
die ftille Abendluft jteigen ließ.
— Na, wenn mein Schloß diefe Nacht üiberlebt,
ohne abzubrennen, dann brauche ich es nicht mehr
verfichern zu laffen, rief der Fürſt lachend, indem
er auf einen Stuhl fpraug, und von dort über ven
BI
Köpfen feiner Gäfte, gleich einem Marttichreier gefti-
fulivend, außrief:
— Meine Herren und Damen. Das Spefta-
kel beginnt, an defjen Ende wir muthmaßlich ſämmt—
Tid) in die Luft gefprengt werben. Dabei ift folgende
Drdre de Bataille zu beobachten: Wenn Sie meine
Herrn und Damen fehen, daß Herr Fertöy, feinen
ganzen Pulvervorrath anzuzünden im Begriffe fteht,
dann haben Sie fich fchnell auf die Erde zu legen.
Die Damen mögen feine Furcht haben, ihre Krino-
Tinen werden fie in den Lüften ſchwebend erhalten.
Man lachte über den Weinlefewig des Für-
ften. Nur aus dem Hintergrunde des Hofes, wo der
Porotechnifer manipulirte, legte eine heifere Stimme,
welche man als die des Herrn Fertöy erkannte, Ver—
wahrung gegen das Erplodiren ein.
— Fürchten Sie fich nicht meine Herrn und
Damen, Mephifto verjteht es, mit dem "euer um—
zugehen.
In dieſem Augenblide begannen zwei feurige
Räder und vier römiiche Kadeln farbige Funfen zu
jprühen, in viefer dämoniſchen Beleuchtung, jtand
Fertöy mit keck auf die Seite gefchlagenem Hut uud
grinfendem Gefichte, deffen eine Seite blau, die an-
dere roth, durch das bengalifche Feuer beleuchtet
war. In der Hand hilt er fein Glas hoch empor, auf
das Wohl aller Schönen Frauen; der Wein blikte
im Glaſe als wäre er flüffiges Feuer. Eine mächtige
— 4 —
Fanfarre der Trompete und Klarinete erſcholl auf
den ZToafte, und mijchte fich in das, Ziſchen der
Raketen.
— Alſo das hatten wir überlebt; rief der
Fürſt. Wie heißt dieſe Piege? fragte er dann den
Arrangeur, als es im Hofe wieder finſterer gewor-
den, und nur die Lampen auf der Teraſſe leuchteten.
— Das war „bie Höllenfahrt” des Zauberkö-
nigs“ erſcholl die heifere Stimme Fertöy's aus dem
ichwarzen Hintergrunde.
— Was folgt jet?
— „Weruption de Bopocatepetl" antwortete
Fertöy.
— Na — meine Herrn und Damen, wer
jest mit gefunden Gliedern davon kömmt, Tann ſich
eines befonderen Glückes rühmen! ...
| Troß dem verharrten die Damen auf ihren.
Plägen.
— Siehe, fagte ver Fürft zu Bela, wie ver:
wünjcht launenhaft dieſes Weib ift. Während des
ganzen Spektafels fit fie mit dem Rüden gegen
dasfelbe gewendet, um nichts davon zu jehen.
Im Herzen Seraphines brannte ein anderes
Feuer.
Abermals bliste e8 auf und eine Rakete fuhr
in die Lüfte.
— Nun Sreundehen, ſüchelte der Fürft war
das der Popocatepetl? Beſteht darin die ganze
er, A
Eruption der Vulkane? das kann man ja in jeber-
Schmiede.
— Nur Geduld, die Rafeten dienen nur zur
Ausfüllung des Zwifchenaftes. Jetzt folgen die Yanı-
penfchwärmer und die Sternenftöße.
— Der Sternenftößer wird noch in biefer
Nacht fein.
= Man lachte ehr über diefe Bemerkung. Um.
die Urfache diefes Lachens zu erklären, müſſen wir
erwähnen, daß der Fürjt mit Fertöy die Wette ein-
gegangen hat, daß Derjenige welcher im Trinken
_ länger ausharrt, mit dem andern das Gternjtoßen
vornehmen kann. — Dieſe ſchöne Unterhaltung
beſteht aber darin, daß man dem vom Weine bemwäl-
tigten, Papierſtreifen zwiſchen die Fußzehen ſteckt und
dieſelben anzündet, daher das homeriſche Gelächter.
Fertöy antwortete damit, daß er ein halb
Dutzend Raketen abbrannte.
Eine derſelben verſagte. Fertöh ging um nach—
zuſehen und bemerkte daß der Brander ausgelöfcht
jei. Mit taumelnden Sinnen nahm er die Rakete
von der Stange, und war. eben im Begriff den
Brander herauszuziehen, um ihn durch einen neuen
zu erjegen, in dem Momente fing aber die Kafete
euer.
Er jchleuderte fie erfchroden zu. Boden, dieſe
aber fuhr mit einem hölliſchen Ziehen zwifchen vie
Zuſchauer.
a He
Hierauf erſcholl Laden, Lärmen und Geſchrei;
die Damen fprangen auf Bänke und Seſſel. Zer-
trettet jie ! riefen die Weiterftehenden, und e8 gelang
endlich, das rebelliſch gewordene Feuer zu löſchen,
um die Erplofion zu verhüten.
ALS der Rummel fein Ende hatte, erfcholl ein
Auffchrei aus einer Edle. Alles blickte entjegt. dahin;
die Kleider Seraphinens hatten Feuer gefangen.
Die erfchrodene Frau ſprang von ihrem Site
auf, und rannte ing Freie in ven Hofraum hinaus.
Durch das Yaufen vergrößerte fich die Gefahr, ver
Luftzug facht ja das Feuer an. Ein Moment noch
und die Frau wird in hellen Flammen ftehen.
Wenn e8 Niemanden gibt, ver dieſen Moment
benützt um fie zu vetten, muß fie des elendſten Todes
jterben.
Doch war Jemand da.
In jenem Momente, wo der Schred die ge-
junden Sinne der Gefellfchaft lähmte, daß dieſe in
ftummer Betäubung der flüchtenden Frau nachjab,
ericholl die Stimme Bela’s. |
— GSeraphine halten fie ein. Und die Frau
‚hielt wie von dem Worte bezaubert an.
In demjelben Momente ftand Bela an ihrer
Seite, ummwidelte fie ſchnellſtens mit feinem Plaid,
und erftidte jo das Feuer. Um dies bewerfitelligen
zu können, mußte Bela die Knie nnd den ganzen
‚zitternden Körper Seraphinens mit feinen Armen
— 13 —
umfaffen und dieſelben an fich drücken. Er that es,
um ihr Leben zu retten, um eine jeve ihrer Bewe⸗
gungen zu vereiteln.
Als Seraphine ſich außer Gefahr befand,
fiel ſie ohnmächtig auf die Schulter ihres Retters.
War dies ein Wunder, nach ſolchem tödtlichen
Schreck? oder that ſie es aus andern Urſachen?
Als der Schrecken und die Gefahr vorüber
waren, trugen die Damen Seraphine auf ihr Zim—
mer, legten ſie ins Bett, und verſicherten ſpäter die
Herrn, daß ſie gar keine ernſte Beſchädigungen erlit—
ten. Einige Brandflecke und der Schrecken ſei das
Ganze.
Wolozoff rieb ſich vergnügt die Hände und
murmelte.
Es geht prächtig! Der Gatte ſchießt ſeine
Frau mittelſt einer Rakete an .... da erſcheint das
Ideal, um das gefährdete Leben zu retten, Beſſer
konnte man es nicht mehr geben.
able moving.
Später gab es eine Zeit, wo die ganze Welt
fih langweilte. Dan konnte es fast hören das ſym—
pathetiſche Gähnen ver Völfermillionen, womit ein
ſich langweilendes Land, dem andern lebensüber:
prüffigen Yande antwortete.
Die Gegenftände des täglichen Gejpräces-
waren gänzlich erfchöpft, das Tiebenswürdige Ame-
rika erfand für ihn eins: den tanzenden Tiſch.
Nachdem man auf der Erve nichts mehr zu ler:
nen hatte, griff man in überirdiſche Negionen hinüber,
und arrangirte ein Spielchen mit ven Geijtern.
Diejes Spiel wuchs fich zur politiihen Mode
heraus. Ganz natürlich find die Geiſter jammt und
jonders liberal gefinnt. Sie find abgejagte Feinde
des Konjervatismus — ſonſt würden fie ihre irdi—
ihen Hüllen nicht verlaffen haben — und entjchie-
dene Freunde des rapidejten Fortſchrittes; denn
wenn man einen ber Klopfgeijter des tanzenden Ti-
ſches frug, woher er jetzt käme, fonnte man die wun-
— 45 —
derliche Antwort erhalten: aus Kalkuta, Tiflis, oder
Connecticut.
Außerdem ſind die Geiſter auch Demokraten,
und in dieſer Eigenſchaft mit materiellen Dingen
nicht beſtechbar; dagegen zeigen ſie um ſo mehr Nei—
gung zu Verſchwörungen, worin fie eine wahrhafte
Virtuofität entwideln.
Knrz nach dem Bekanntwerden dieſer Erfin-
dung, wurden Zifche, die bisher durch Iahrzehnte
ruhig an ihrem Orte gejtanden, durch magnetifche
Verkettung der daraufgelegten Hände zu den poffir-
lichſten Tänzen gezwungen; fpäter fand fich bie
praftiihe Welt veranlaßt, die Erfindung zu ihrem
Nugen auszubeuten, und man fonnte in jeder Fami«
lie, vom Handwerker angefangen, bis zum Fürften,
vom Künſtler bis zum Gelehrten, verlei Fleine drei:
füffige Tiſche jehen, welche durch Berührung des
mit ihnen in Verbindung ftehenden „Medium's“
auf die bunteften Fragen mit der wunderbarſten
Präzifion antworteten; diefe Antivorten in Zweifel
zu ziehen, wäre der größte Mangel an Ehrfurcht vor
den Geiftern geweſen. Wenn ein folches „table mo-
ving“ 3. B. darüber befragt, wie ver Großvater des
Frageſtellers geheißen? den Namen „Mathias“
nannte, jener Öroßvater aber durch Zufall ſich ge-
rade Kriftof genannt hatte; fo fiel e8 dem Betref—
enden gar nicht ein, die Wahrheitsliebe des Klopf-
Lu AG. — j
geiftes zu bezweifeln; er mußte Recht Haben, aber
der Großvater mußte ein Anderer gewefen fein.
Wir fahen ernite, in ſchweren Zeiten ergraute
Männer, wie jie ihre zitternden Fingern auf dem
„table moving“ drücdend, mit feierlicher Stimme
ihre Fragen ftellten : wann tritt Diefe oder jene Ver—
änderung ein ? wann werben wir diefen oder jenen
berühmten Dann wiederjcehen ? was wird jett in
den politiichen Kabineten gebraut ? Wer ift der Helo
dieſer oder jener geheimen That? ... Solche, und
ähnliche Fragen Tonnnte man hören, worauf die
Antwort immer günjtig ausfiel, weil fie ein jeder
jeinem Herzenswunfche gemäß auslegte.
Wenn fchon die ernften Mäuner fich dieſem
Spiele hingaben, wer würde e8 jenen ehrwürdigen,
in Trauer gefleiveten Matronen verargen haben,
wenn fie fich an dem Geifte des „Table moving“
wendeten, um von ihren Berjchollenen, oder vielbe-
meinten Todten einen Namenszug zu erhafchen, und
wenn dieß gefehah, wie gaben Sie fih dann dem
Glauben hin, daß es die unfichtbare Hand ihres
Theuren gewejenen, welche den Namen niederjchrieb.
Heute, wo fich die Verhältnige geändert, lachen
die Leute über das eitle Spiel vergangener Jahren ;
doch wir, die wir in jenen Zeiten gelebt, erinnern
uns der tiefen Geheimniße jener büfteren Völfer-
ftimmung, welche diefe Periode mit einem traurigen
Flor umzog; wo der hoffnungsloje Glaube einen
ned
Strohhalm zum Gott gemacht; wo, nachdem ber
Himmel keinen Bejcheid ertheilt, man ein Stüdchen
leblofes Holz um Rath befragte.
Es gab ſehr berühmte Geifterbefchwörer des
„Zable moving,“ die man aus weiter Ferne auf:
Inchte, zu denen ganze BPilgerfahrten unternommen
wurden; und deren Antworten manchmal einen
förmlichen politiihen oder religiöfen Fanatismus
erzeugten, welche beide dann in ein partiiches Ge:
wirre zuſammen flogen.
Zu dieſen berühmten Geiſterbeſchwörern zählte
auch die Feine Blum.
Unfere Leſer werden fich noch dieſer kleinen
Perjon, aus jenen Zeiten erinnern, wo fie in Komorn
Berpflegsbeamtens Gattin gewefen ; heute figurirt
fie als Finanzräthin.
Ihr Gatte, der gute Blum ift eben avanzirt.
Er ift ein äußerft guter Mann, und wird nie Stoff
zu irgend einem Roman liefern, deshalb laffen wir
ihn ruhen in feinem Bureau, wo er feine Tage bis
in den jpäten Abend zubringt..... Um fo mehr
rührte fich die liebe Frau Blum in der Welt. Sie
zählt die ganze Stadt zu ihren Bekannten; weshalb
es uns Wunder nehmen Fan, daß fie Judith nit
aufgejucht.
An einem Schönen Tage jedoch, begegnen fich
bie alten Bekannten auf der Gaffe. Die Blum er:
kannte Judith allfogleih und fpricht fie an. Die
— 48 —
Kleine hat weder Rang noch Titel ſo ſtolz gemacht,
um ihre Freundinen nicht zu fennen... bie und da;
‚wenn ed auch Komediantinen find.
— Ah, guten Tag Judith; hundert Jahre
find es, daß wir einander nicht gejehen. Nun wie
geht es Ihnen? Was macht der Kleine? Bekommt
er ſchon Zähne ? Geben Sie gut Acht auf das Kind—
lein, denn der Scharlach graffirt jehr in ver Stadt
— it die alte Frau noch bei Ihnen? Ich babe fie
jo lieb, weil fie jo aufrichtig ift. Hundert Millionen-
mal habe ich mir vorgenommen, Sie zu befuchen,
aber Morgen foll e& ver Tag fein, wo ich komme,
wenn Sie e8 erlauben.
— Werde mich freuen; — erwiederte Judith
troden.
— Wohin find fie im Begriff zu gehen? ...
Ich will Sie dahin begleiten. Nicht wahr, Sie gehen
ind Theater. | =
— D nein, ich gehe auf ven Markt, um dort
etwas für die Küche zu Faufen !
— Sie! .. Auf ven Marft?... Sie treiben
etwa Hauswirthichaft?!... Wenn man gewohnt
ist, Sie auf den Brettern als Fürftin, als Königin
zu jehen, ift es ſchwer zu glauben, daß Sie zu Haufe
auch etwas anderes thun, ald Jamben veflamiren..
So oft ich meinen Fleinen Tiſch über Sie befrage,
erhalte ich ftetS die Antwort: Sie jeien mit ihren
Studien bejchäftigt.
— 49 —
— Ihren kleinen Tiſch?... frug Judith ihre gro⸗
Ben ſchwarzen Augen auf das Heine Figürchen haltend.
— Nun jal... den „table moving.“ — Haben
Sie nod feinen? Haben Sie noch nichts über den
Klopfgeiftertifch gehört, oder in den Blättern gelejen ?
Ad ! Sie follten einen haben; er würde Ihnen gewiß
antworten, da Sie jehr viel Magnetismus befigen.
Judith wollte die fröfiche Laune bes Heinen Weib⸗
chens nicht verderben und gab demnach Feine Antwort.
— Ah, Sie ſcheinen mir zu den Unglaubigen
zu gehören; die behaupten daß das Zifhrüden und
Schreiben nur eine Schwindelei, nur eine Komöbie jei.
Das verzeihe ich Ihnen nicht; ich muß Sie 'befehren,
jo wie id) e8 mit vielen Andern gethan, die ſich Philo-
jophen nannten, bie lachend und Ipötelnd famen, und
dann überzeugt davon gingen. Morgen, oder noch beſ⸗
jer heute Nachmittag will ich Sie bejuchen, und mein
Tiſchchen mitnehmen, wenn ich nicht ungelegen bin,
Uebrigens find wir ja alte Bekannte und
brauchen bei unferen Vifitten nicht fo ftarf auf die
Etiquetteftunden zu fchauen. |
Judith ſprach etwas vom Gernefehen.
Die Blum ſprach dann noch jehr lange über
bie Freude, welche ihr das Wiederſehen einer fo
theueren Freundin verurfachte, und ließ endlich Ju⸗
bith ruhig auf den Markt gehen.
.. .. Am Nachmittag traf die Heine Blum
pünktlich bei Yudith ein. Ein Amtsdiener trug‘ ihre
Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb. 4
9 —
das Kleine Tiſchchen bis zur Thüre nach, dort über:
nahm es die Blum jelbft, jtellte e8 vorfichtig beifeite,
und umarmte dann, hingeriffen von den Freuden
des Wiederſehens, die alte und Junge Lävayh herzlich.
Yupdith empfing ihren Gaft mit jener Freund-
lichkeit, welche ver ungarifhen Gaſtfreundſchaft an—
geboren ift, die alte Frau jedoch mochte die gewiſſe
Melonen-Spirde noch nicht vergeffen haben, deu fie
hegte einen gewißen Argwohn gegen den unerwar-
teten Bejuch der Frau Blum.
Der Ungar pflegt feinen Nachmittagsgaft
ſtets bei gedeckten Tiſch zu erwarten. |
So geſchah e8 auch bier. Die Heine Blum
machte wenig Umftände, fette fich an den Kaffeetiich
und begann alffogleih von ihren „geiftreichen" Ge—
ſchichten zu erzählen.
Während des Geipräches behauptete die Feine
Frau, daß, wenn fie ihre Hände fo auf ven Tiſch
auflegt, jich die Daumen berühren der Tiſch allſo—
gleich zu tanzen beginne und wäre er noch jo ſchwor
und würden ihm auch die ftärfiten Männer niederzu—
balten juchen.
Die alte Frau bat jedoch ihren Gaft, die Pros
duction jo lange wenigſtens zu unterlaffen, bis das
Kaffeegefehirr nicht geräumt ift.
Die Blum that, als würde fie ſich darüber
beleidigt finden, daß man von ihren Geiftern in fo
alftäglichen Zone fpricht. Es fei dies fein Gegenstand
— 51 —
des Scherzes ; denn in jedem Tijche wohnt der Geift
eines großen Dahingejchiedenen. - Diefer Geift wohne
im Schubfache des Tijches,und wenn er feines hat,
dort wo er ein Eckchen findet. Ein Tiſch fei daher
fein gewöhnliches Meubel, wie die andern.
Die alte Dame war jedoch an diefem Tage
jehr ungläubiger Natur. Sie fchenfte vorerſt der
Blum feinen Glauben, dann bielt fie vom Tiſche
nichts, ſchließlich kamen ihr die Klopfgeifter ganz
lächerlich vor ; fie hatte von allen dieſen Sachen
eine ſehr ſteptiſche Meinung.
— liebe Judith — fagte dann die Blum,
mit der jungen Fran anbindend. — Sie werben
ftaunen, wenn Sie das ſehen. Ich bitte Sie nur
einen Bogen reinen Papiceres, dann um vier Sted-
nadeln, damit ich die vier Eden des Bogens befe-
ſtigen kann; denn er darf fich nicht rühren.
Die alte Lävay bemerkte biezu, die Kleine
Frau möge Acht geben, daß Sie nicht etwa irgend
einen Fuß des Geiftes mit der Nadel verlege.
| — Nun, worüber wollen wir ben Geift be-
fragen ? Sind Sie etiwa neugierig ben Namen eines
Geiſtes zu erfahren? Sie follen feine eigene Haud—
ſchrift fehen, bite Acht zu geben.
Damit ftelfte die Blum den Heinen breifüßi-
gen Tiſch auf das Papier, und berührte die Fläche
desjelben mit ihren zehn Fingern; das Tiſchchen
begann fih unter ihren Fingern zu bewegen ;
. 4*
— 52 —
während die heitern ſtets geſchwätzigen Züge der
Blum einen melancholiſchen, dann einen exaltirten
Ausdruck nahmen; die Augen blickten ſtarr in das
gegenſtandloſe Nichts, die Lippen ſchienen halb
geöffnet, Worten zu lauſchen, welche dem Ohre nicht
vernehmbar ſind.
Unterdeſſen bewegte ſich das Tiſchchen in
einem fort, und machte zuletzt einen langen krum—
men Strid, der wohl da8 Manupropria am Ende
des Namens bezeichnen jollte.
— Sehen Sie, meine Damen! rief die Feine
Frau im Tone innigjter Meberzeugung — und auf
den gefchriebenen Namen deutend. — Stets derſelbe
Name „Talleyrand.“ Und das ijt wahrhaftig feine
eigene Handichrift, jo wie ich fie im Archive ver
Wiener Hofburg gejehen, fie gleicht Haar für Haar,.
Stri für Strich, dann wäre ich felbjt nicht um die-
Welt im Stande, fo zu fehreiben, ich habe ja wie
Sie wiſſen eine abjcheulihe Schrift, während dieſes
hier ein echtes kalligrafiſches Kunſtwerk ift.....
Sehen Sie: die Schriftzüge Talleyrand's..... ;
Nun, meine guten Damen, befragen Sie ihn über
etwas, über mag immer ? ausgenommen wie lange
Sie noch zu leben haben, und welche Nummern in.
. der Lotterie gewinnen, ben über. das geben bie Gei⸗
jter feine Auskunft.
— Wie fönnte ich mit diefem Herrn fon-
verfiren ? entgegnete die alte Laͤvah, er ift ja ein
— 53 —
Franzoſe und ich ... ich verſtehe nur die ungariſche
Sprache.
— O, da muß ich bitten, die Geiſter find
“jeder Sprache mächtig... . . . Sie find beinahe all-
wiſſend.
— Dann iſt es ſehr ſchade, ſie im Leben mit
dem Unterrichte zu plagen, da fie ohnehiu ſehr bald
‚ganz felbft zu allen Wiffen gelangen.
— Die Theorie diefer Sache ift aber, " meine
Damen, das ein Jeder denjenigen Grad im Jenſeits
erlangt, in welchem Grad er feinen Geift im irbi-
ſchen Dafein gebildet. .... Darüber hat man ſchon
ganze Bücher geſchrieben.
— Somit iſt es der Lohn eines Gelehrten in
der anderen Welt, daß er ſelbſt nach ſeinem Tode
noch bemüſſigt iſt, die lebende Geſellſchaft bei ihren
Theeabenden zu unterhalten.
— Sie ſind demnach gänzlich ungläubig? Be—
fragen Sie den Geiſt über etwas.
— Ueber was ſoll ih ihn befragen?....
Nun gut, er möge mir jagen wie viel Kreuter ich
im Sade habe?
Die Blum, weit entfernt davon, beweisen zu
wollen, daß der Geift Talleyrand’s eine viel zu
höhere Aufgabe hat, al8 vie vaterländifche Numis-
-matif in Jemandens Sade zu ftudieren, griff fogleich
zur Arbeit, um bie pünktliche und richtige Auflöfung
— 54 —
dieſes mathematiſchen Problems durch ihren obge—
nannten Geiſt reproduzieren zu können.
Das dreifüßige Tiſchen begann ſeine Bewe—
gungen, die Blum betrachtete mit ſtarren Augen den
Plafond, die alte Laͤvah zwickerte mit ſchalkhaften
Lächeln ihrer Schwiegertochter zu, als wäre ſie einer
unſchuldigen Schadenfreude an dem Fiasko der
Blum gewiß.
Nachdem der Tiſch ſeine RR beendet,
und mit der Antwort fertig geworden, betrachteten
die drei das Papier; die verſchiedenen Kratzfüße
hatten jedoch weder mit den Ziffern, noch mit ven
Buchftaben irgend einer Nation Aehnlichkeit.
— Ah, das find chinefifhe Zahlen : betheuerte
die Blum mit ihrem vollen Pathos; — bitte nicht.
darüber zu lahen. Morgen will id) die Antwort zu
Doktor Krurfne tragen, er ijt ein ausgezeichneter
Orientalift, und pflegt mir derartige Hieroglyphen zu
entziffern. Jedenfalls wird er die Summen ver
Kreuzer alffogleich heraus haben.
— Ich erfuche Sie den Hern Doktor Krur-
fur durchaus nicht zu bemühen — rief die alte Frau
mit heiterer Laune; habe doch in meinem Sad nicht
einen einzigen Kremer! .
Um ihre Worte auch mit der That zu befräf-
‚tigen, fehrte fie beide Zafchen ihres Rockes heraus,
‘in welchen fih eine Brille und ein Fingerhut
vorfand.
— 55 —
Unterdeſſen iſt der Kaffee fertig geworden,
welchen die junge Frau als gute Hauswirhin in einen
durchſichtigen gläſernen Kolben vor den Augen ihres
Gaſtes bereitet hatte.
Dieſer Umſtand unterbrach die Produktionen
des Klopfgeiſtes.
Indeſſen war Judith bereits neugierig gewor-
den. Die Neuheit des Spieles zog ſie an; dann
hatte Sie noch nicht von jener Melone gefoftet,
womit diefe Blum einft ihre Schwiegermutter be-
wirthet hatte; kaum vermochte fie es zu eriwarten,
daß die Wunder des, „Table moving“ auf die Ta-
gesordnung kämen, trotzdem, daß die Alte dieſe
Wunder mit ihren puritanifchen Sarfasmen auf
ihren mechanischen Werth zu reduziren bemüht war.
— Kommen Sie, Freundin, fagte die kleine
Blum zu Judith, mit Ihnen ift noch zu fprechen,
Sie gehören nicht zu den Ungläubigen. . .. Befra-
gen wir num den Geift: was Bela madıt ?
Es wird ſchwerlich eine junge Frau auf ber
Welt geben, welcher die Beantwortung einer folchen
Trage gleichgiltig wäre.
Auch Judith willigte in die Frage; wenn es
ein blojer Scherz iſt? .... nun dann um fo beffer.
— Da müfjen aber auch Sie theilnehmen ;
— betheuerte. die Blum.
— Wie theilnehmen ?
— 56 —
— Nun ja. Auch Sie müſſen mit den Fin-
geripigen den Tiſch berühren, wenn Sie eine Ant-
wort haben wollen. Ziehen Sie ihre Ringe von ven
Fingern, denn ed darf fein Metall an venfel-
ken fein, |
Judith gehorchte Tächelnd, und zog die Ringe
von den Fingern, einen jedoch, ihren Trauring,
hatte fie an jene Schnur gehangen, an welcher fie
ein Medaillon trug mit ven Porträts Béla's nnd
ihrer Mutter.
Die alte Lavay brummte einen Sat aus der
Bibel über Heidenthum und Hererei.
— So jet legen Sie ihre Hand auf ven
Tiſch, jo daß Sie mit ihren beiden Kleinen Fingern
die meinigen berühren. — So. Nun ftellen wir die
. Brage: wo Bela fi) befindet ?
Das Tiſchchen begann fich zu bewegen, und
perjchiedene Zeihen auf das Papier zu Frikeln;
Yutith ftaunte gedankenlos das jeltfamme Werkzeug
an; auf ihren Lippen ſchwebte ein mattes Tächeln ;
ed ſchien ihr, als wäre die Bewegung des Tiſch—
chens ganz willkürlich, ohne Zuthun jeder menjchli-
Sen Kraft. |
ALS die Bewegung aufhörte, ftand auf ben
Papier gefchrieben :
„Wolozoff.“
— Wolozoff?.. . Las die Blum kopffchüt⸗
telnd. Was ift das? ein Dorf?
— 57T —
Die Kleine ſtellte ſich, als würde Sie es
nicht am beſten gewußt haben, was dieſer Name zu
bedeuten habe.
Judith gerieth in jenes Stadium, wo der
Menſch an dem zu zweifeln beginnt, was er glaubt.
— Bela iſt wirklich bei Fürft Wolozoff; er
ließ ihn in Rechtsangelegenheiten zu ſich —
— ſagte Judith wie für ſich.
— Ah! Sie haben an dieſen Namen nicht
gedacht ?
— Nein. Ih habe überhaupt auf Nichts
gedacht; — erwiederte Judith beflommen, und es
fiel ihr nicht ein, die Frage zu ftellen, ob vielleicht
die Kleine Frau daran gedacht habe.
— Fragen wir nun, fuhr die ränfefiichtige
Frau weiter fort, mit wen Bela in diefem Augen-
blicke unterhält ?
— Gut. Befragen wir das.
Das Tiſchchen fee fich unter ven Händen der
Damen abermals in Bewegung, und als es ſtill ſtand,
war auf den Papier zu leſen:
„Seraph .
| — Ah, lachte bie Heine Blum. Das ift Köftlich ;
Bela unterhält fich mit überirdiſchen Wefen. —
Eine Föftliche Antwort. Man wäre verfucht, zu glau-
ben, daß Bela um dieſe Zeit feine Nachmittags
Siejta hält, und fih im Traume mit Seraphinens
beſchäftigt.
—
——
Judith fuhr ein Gedanke durch den Kopf;
und das ſchwache Lächeln ſchwand von ihren Lippen.
Jetzt erſt wollte ſie Alles recht erfahren, und ſie
ſelbſt ſtellte die Frage:
— Worüber ſpricht Bela jetzt? das Tiſchchen
ſchrieb als Antwort:
„Prozeß“
— Na das iſt wirklich ſpaſſig, lachte die
Blum, mit ihren Händen klatſchend, — mit ſolch
überirdiſchen Weſen über Prozeß zu ſprechen. ....
Nun das iſt ſchon mehr als Scherz.
— Was für ein Prozeß iſt es, frug Judith mit
noch ernſterem Geſicht.
Das Tiſchchen ſchrieb:
„Scheidung“
— Die Antworten ſcheinen mir immer unver-
ftänplicher zu werben, rief die Blum Fopfichüttelnd ;
doch will ich noch eine Frage risfiren; es ijt hier
offenbar ein Scheibungs-Prozeß gemeint; aber gegen
wen ?
a
— Rein, das ift Schon unausſtehlich .. . är-
gerte fich die Geiſterbeſchwörerin . . . . Seraph ...
Scheidungsprozeß ... Fertö lauter unverſtändlicher
Unſinn. Dieſer Geiſt iſt heute abſcheulicher Laune.
Die Geiſter ſind auch ſehr launenhaft, an manchen
Tagen iſt keine einzige vernünftige Antwort von
ihuen zu bekommen, daran iſt aber heute blos ihre
—
— 597 —
Schwiegermutter Schuld. Wenn ein Ungläubiger
bei der Befragung zugegen, werden die Geiſter ver-
drüßlich und geben folche alberne Antworten. Da...
wollen wir heute nicht8 mehr fragen.
' Damit brach die kleine Finanzräthin die Un-
terhaltung mit vem „Table moving“ ab; griff nach
ihrem Hut und Schawl, fchaute das jchlafende Kind-
hen in der Wiege an, bewunberte deſſen winzige
Händchen, und empfahl fich.
Judith begleitete Sie bis zur Thüre. ALS fie
zurückkam, jetste fie fich an ven Tiſch, und betrach-
tete finnend das bejchriebene Papier.
Die Alte nahm ihre Arbeit zur Hand, und
bhedelte an einen Kleinen Röckchen für das Kindlein
in der Wiege. ...
— Finden Sie das Ganze nicht wunder:
bar, liebe Mutter, unterbrach Judith das Tange
Schweigen.
— O ja, ſehr wunderbar, — entgegnete die
alte Frau, emjig weiter arbeitend.
— Wer's nicht ſelbſt ſieht, würde es nicht
glauben, ſetzte Judith traurig hinzu.
— Ich ſehe es, weiß aber, an was ich zu
glauben habe.
— Was?
— An die Klopfgeifter dieſer Harretbet gewiß
nicht. Du weift e8 mein liebes Kind, daß ih aus
jenen Zeiten ftammte, wo man bie Leute noch zu
u
‚Chriftenmenfchen erzog, bamit fie das Licht ſehen
mögen. In meinen Zeiten lernten zwar die Mädchen
weniger Geographie, aber um fo mehr Bibel. Dort
steht e8 gefchrieben, daß Derjenige, welcher außer
Gott aud) noch die wahrfagenden Geifter befragt,
feine Strafe biefür ſchon in ſich felbft herumträgt.
Ich Habe es nicht vergeſſen, daß König Saul, weil
er durch die Here von Endor Geiſter befchwören
ließ, fich jelbft entleibt Hatte; ich erinnere mich ver
Leiden und der Verherrlihung Paul's ald er aus
dem Mädchen von Philippi den Teufel der Wahrfa-
gerin verjagte. Und wäre e8 der gelehrtefte Mann,
der mir Glauben für diefe Hererei einflößen wollte,
ich würde ihm meine Wiffenfchaft entgegen halten
und ſprechen: Herr, meine Augen find zwar ſchwach,
aber mein Hlaube ijt ftarf, meine Augen vermögen
zwar Sie zu täufchen, aber meine Seele nicht. Um
fo weniger wurde ich mich von einem folch’ ſchnabeln⸗
den Papagei, wie diefe winzige Finanzräthin einer
ift, übertölpeln laffen ; dazu bin ich doch ein wenig
zu früh geboren.
— Was denfen Sie aljo über die Gefchichte,
Mutter ?
— Ih will e8 dir jagen, was ich vente.
Dieje Frau. verfteht ihr Spiel jehr gut. Was ver
Tiſch fchrieb, das hat fie ſelbſt geſchrieben .... das
ganze Gekrikſel bedeutet ſo viel, daß ſich Seraphine
von ihrem Gatten Fertöy ſcheiden laſſen will, und
— —
dag an dem ganzen Bela die Schuld trage. Fertöy
bat hierüber der Blum gejchrieben, damit fie den
Krieg in unfere friedliche Hütte einführe. ... Diefe
Blum, diefe Blum! als fie fo plötzlich bei uns er-
ſchien, fühlte ich alfogleih den Geſchmack jener fa-
moſen Melone.
Judith wollte etwas wie zur Entjchuldigung
einwenden. Zu weſſen Entjchuldigung ? Sollte ver
Gegenftand Bela, die Blum, Seraphine, oder gar
bie Geifter fein ? fie fam jedoch nicht dazu. Die alte
Frau fette ihre zornige Polemik fort.
— Ich glaube an feine Geiftererfcheinungen.
Ich glaube e8 nicht, daß irgend ein fterblicher Menſch
fich die Geifter der Dahingeſchiedenen dienftbar mas
chen könne, daß bieje feine Fragen beantworten und
auf feinen Ruf die himmliſche Glückſeligkeit oder jene
hölliſche Verdamniß verlaſſen müßten, von welcher
man uns in alten Zeiten jo vieles erzählte; dagegen
glaube ich, das hier auf Erden unter ung böfe Öeijter
herumwandeln in gepußgten Kleidern uud baufchigen
Krinolinen, diefe find es, welche das Menſchenkind
ber irdiſchen Vedammniß entgegen führen.
— Mutter! Sie glauben doch nit daß
BEN? ..4%
— Nein das glaube ich nicht, daß Bela fchul-
dig fein könne. Ich kann e8 nicht glauben. Ich
weiß e8 ja, was ich. in den Baum gepfropft ! Das
kann ja feine böjen Früchte tragen. Aber mandhmal
2.08: 2
ſchleicht fich ein unbefanntes Inſekt heran, ſtößt ven
giftigen Stachel in ein Blatt des Baumes, jo daß e8
ein Auswuchs wird, deſſen Inneres mit Aſche und
Schimmel gefühlt ift. Bela ift ein guter Mann, und
das iſt ein großer Fehler. Auch fein Vater war es,
er konnte Niemanden böſe fein. Ih mußte mich an
feinen Feinden rächen. Dieje Frau, die Blum, und
dieje Seraphine kenne ich recht gut! In den Tagen
ver allgemeinen Gefahr, war ich durch lange trübfe-
lige Zeit gezwungen, mit ihnen in einev und derſel—
ben Hütte zu wohnen. Während diefer Zeit thaten
fie kaum anders als fich in Lobpreifungen über Bela
zu ergehen. Sch mußte beinahe annehmen, daß fie
ihn auch nod) liebte, al8 er fchon der Gatte einer
andern Fran war. Später, ald einer ihrer geweſe—
nen Anbeter von Glanz und Ruhm umftrahlt in der
Stadt eintraf, warf fie jich diefem in die Arme, und
wurde jeine Frau. Ha, wie fie gelacht haben wird
über mich, diefe Seraphine! Wie fie fich oft wieder:
holt haben mochte; da fteht fie einmal dieſe Alte
verrückte Frau, wie man nur ihren Sohn zu loben
brauchte, damit fie arbeite und und bediene wie eine
Magd. ... Später ftarb der helvdenmüthige atte,
und fie reichte abermals ihre Hand einem Meenfchen,
wie er eben einer ift. Diejer richtete fie an ihrem
Bermögen zu Grunde, diefe Menſchen haben mich
mit ihren nieberträchtigen Ränken umjponnen, um
mich gegen die Gattin meines Sohnes aufzuhegen.
—_ 9 —
Diefe. Leute wollen meinen Sohn verderben. Und
uachdem Gott ihre Abficht vereitelt, und fie beſchämt
hatte, wollen fie Zwietracht fäen, zwijchen ung,
— Mutter glauben Sie das nicht, flebte
Judith.
— Wenn ich auch nicht frage, ſo höre und
ſehe ich doch. Was hat es dieſe Frau nöthig gehabt,
hieher zu kommen; hat ſie bisher ihre Beachtung
für uns nöthig gefunden?
Zum Teufel mit ihrem tanzenden Tiſch, ſie
hatte mit demſelben keinen anderen Zweck, als uns
wiſſen zu machen, daß ſich Seraphine von ihrem
Gatten ſcheiden laſſen will, und daß Bela den Pro—
zeß führen wird. Iſt Bela bemüſſigt, das zu thun?
Welche Nothwendigfeit treibt ihn dazu.
— Daß ift ja auch noch gar nicht gewiß, warf
JIudith ängftlich dazwiſchen.
— Es muß zewiß ſein, weil es eben dieſe
Frau geſagt. Seraphine möge ſich ſcheiden laſſen.
Wozu braucht ſie jedoch meinen Sohn in die Angele
genheit zu mengen.
Judith war der Meinung, daß ſie etwas zu
der Vertheidigung Bela’8 vorbringen müſſe.
— Bela iſt ja Advokat.
— Blos Advokat?! fuhr die alte Frau zor-
nig in die Höhe... . Bela ift außerdem auch Gatte,
— DE —
Vater und Sohn! Er iſt mir, Dir und ſeinem Kinde
dort in der Wiege verpflichtet und Gott würde ihn
ſtrafen, wenn er auch nur gegen eines von ung feine
Pflicht vergeffen könnte.
Judith lief zur Wiege, und drückte ven halb:
Ihlummernden Säugling in ihre Arme, als gebe es
Geſpenſter, gegen welche fie dieſes Heine Wefen ver
theidigen müffe.
Die alte Lavay war jeboch Teivenjchaftlich
erregt und fuhr fort,
— Vor mir gilt es nicht als Entjchuldigung,
daß e8 Hunderttaufende gibt, die gleichmäßig handeln ;
unter den Hundert und Tauſend ift er der Einzige,
mit welchem Gott ein Wunder verübt, daß er durch
die Hand einer Frau aus dem Grabe gezogen warb,
aß die Hand ihm den Reſt feiner Jahre zurüdgab,
und wenn es num ein Wunder genannt werben kann,
daß ein Gatte. feiner Frau im Wachen und Träumen
ftet8 treu geblieben, fo verlange ich von ihm, daß
er diefes Wunder für diefe eine Frau verübe.
Judith drückte das lächelnde Geficht ihres
Säuglings an ihre Wangen, als wollte fie es fo
gegen dieſe ſchweren Worte [hügen.
— Ras foll das heißen? Könnte er wegen
eines bleichen Geſichtes das lächelnde Glück an
feinem Heerde vergeffen ! Nein, vergefjen joll er es
— 65 —
micht, oder ich ſchwöre bei Gott, daß ich zu ihm hin—
gehen werde um ihm in die Erinnerung zurück zu
rufen, daß jene Frau, welche für ihn einſt im Sarge
gelegen, noch immer am Leben ſei.
— Unternehmen Sie nichts, gute Mutter
beſchwichtigte Judith die alte Frau in traurigem
Tone.
— Dh, fürchte nichts, ich werde Feine Narr-
heit begehen. Sch war ftet8 aufbraufend in meinem
Leben, doch kann ich von mir behaupten, daß ich ven
Nagel ftets auf ven Kopf getroffen. Jemand wird:
noch die Zeche für die böje Stunde zahlen, und wird
es nicht einmal wiljen, wer ihm die Rechnung vorge-
Legt hat.
— Mutter, rief Judith entjchloffen, bevenfen
Sie, daß Bela mein „Herr“ ift |
Bei und nennen die Frauen ihre Gatten ftets
„Herren.
— Ich habe das bedacht, Bela ijt Fein Kind
mehr, fondern ein Herr. Als er noch ein Kleiner
Knabe gewejen und im arten Judenkirſchen ge-
fammelt hatte, ſchlug ich im auf die Hände, damit er
fi) nicht vergifte. Heute kann ich es nicht mehr
thun, daß ich ihm auf die Hände fchlage, weil er
ein „Herr“ und ein „Mann“ ift. Aber — das Gift
— das will ich ihm er heute aus der Hand
ſchlagen!
Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 5
— 66 —
Ein jeder Zug in dem Geſichte ber altem
Frau glüht vor Leidenſchaft; die Augen der jun-
gen Frau ſchwammen in Thränen, das kleine Kind-
fein aber lächelte Beiden zu, wie ein Engel ver
Verheißung.
Die beiden Alten.
Der alte Garten mit den invaliden Bäumen,
den quieszirten Roſen-Büſchchen, den penfionirten
Kaktuſſen, ven amputirten Trillafchen, hatte fich noch
immer in jeinem verfrüpelten Zuftande erhalten.
Umſonſt rechnen die Nachbarn darauf, daß fie dem
Grund ankaufen, ihrem Eigenen anfchliefen und
dann vom Neuen frijch bepflanzen.
Der alte Knochen, Major Kolbay humpelt
noch immer auf der Erde, und zählt noch immer zu
‚den Lebenden. |
Und doch hat er faum einen Bekannten in
der Stadt.
| Die ganze Bevölferung hat fich umgeftaltet.
Nicht nur, daß aus den Knaben und Mäbchen,
Männer und Frauen, daß Männer und Frauen zu
Greife geworden, daß die Alten heim gingen, um
„Stilfe Leute” zu werden, fondern es zog auch
ganz anderes Volk an die Stelle des Alten.
——
Die Führer des einſtigen Komitates, die
„Taͤbla⸗Biroͤ's,“ hocken in ihren Neſtern auf ven
Dörfern, und nur eine ſehr dringende Angelegenheit
vermag ſie zuweilen nach der Stadt zu treiben, dann
find dieſe altbekannten Geſichter kaum wieder zu er—
kennen. Das ſonſt glatte Kinn ſtrotzt von einem
grauen ftachligen VBollbart. Es fcheint, als wollten
fie jelbft in ihren Aeußeren mit der Vergangenheit
brechen.
Einft hatten die fogenannten guten Yeute, ein
fogenanntes gutes Haus, daß fie mit ihrer fröhlichen
Familie bewohnten. Wenn mann durch eine Gaffe
ging, blicte einem beinahe aus jedem Fenſter ein
freundliches Geficht entgegen, und erwieberte mit
herzlichen Wohlwollen den Gruß ; diefe Häufer find
jegt von ihren Bewohnern verlaffen. Ein anderes
Volk Hauft in ihnen, welches die Fenfter, wo einft
zwijchen ven blühenden Blumen ein lodiger Blond»
fopf heraus Tächelte, zu Thüren umgeftallten ließ,
um davor ein Tiſchken aufzuftellen und zur Illuſtri⸗
rung der a. Glückſeligkeit — REDEN
zu fchenfen. .
Wenn der alte Mann, * bekannte Major
Kolbay, ſeinen gewöhnlichen Spazirgang durch die
ihm nicht ſo bekannte Gaſſe macht, pflegt er für ſich
ſelbſt murrend aufzuzählen: na, da hat man wieder
eine Laden⸗Thüre geöffnet ; da hat wieder einer Bän-
Pe?
der und Sacktücher feil; ja aus den alten Herrn-
häuſern werden num Verkaufsbuden.
Nun ift das der natürliche Gang der Welt,
welche vorwärts fchreitet; dem „alten Knochen“ fällt
es jedoch ſchwer, fich daran zu gewöhnen.
Die neue Öeneration beeilt ſich zu arbeiten,
und verdienen zu können; fie demüthigt fich, fchachert
und handelt, und fünmert fi) wenig um veraltete
Privilegien.
Das verfteht der alte Knochen nicht. Seine
Zugenbreminiscenzen führen ihm zurüd in die glän-
zenden Tage der Schlachten, der reichen Galla-Uni-
form, des Privilegienthums, und es ift ihm unmög-
lich, fich in diefe fo gänzlich veränderte Welt hinein
zu leben.
Nur das Haus der alten Lävah erlitt noch
feine Veränderung, ba gibt e8 noch feinen „Greisler-
laden.” Schade das fie in Peft wohnt, meinte der
Alte, feitdem fie ihren Sohn wieder gefunden. Wie
konnte fie fich überhaupt an Peft gewöhnen !
Dem alten Kolbayh fiel es fehr ſchwer, daß er
feine alte Freundin nicht mehr im Fenfter fehen und
ihr, wenn er zur Mittagszeit vorüberging, feinen
griesgrämigen „guten Tag“ wünfchen konnte.
An einem Tage jeboch, als er in tiefen Ge-
danken verfunken, auf feinem gewöhnlichen Heim-
wege begriffen war, vernahm er plüklich eine be—
kannte Stimme aus dem wohlbelannten Fenfter.
ER |
— Guten Tag, Herr Major!... Kolbay
blickte betroffen auf, und feine ftarren Gefichtszüge
erheiterten fich merklich, als er feiner alten Freundin,
die er jo oft an dieſem Fenſter getröjtet, anfichtig
wurde; „jett wird fie des Troftes faum mehr bedür—
fen,” dachte ver Veteran.
— Sie würden einen gar nicht bemerken,
wenn man Sie nicht anjpräche.
— AG, bei meiner Seele, ih habe alle Tage
durch Ihre Fenftericheiben gegudt, aber nie etwas
anderes gejehen als diefe Blumen da. Setzt will
ib Ihnen aber alljogleih meine Aufwartung
machen.
Die alte Damereilte ihrem Gaſte entgegen ;
im Hofe hatte fie Mühe, den alten Haushund zu
bejchwichtigen, welcher fich nod immer fein Brod
verdienen wollte, trogdem er faum mehr zu bellen
vermochte.
Der Veteran drückte unter ſiegreichen Lächeln
die Hand ſeiner Freundin; aus ſeinen Zügen konnte
man den ſtolzen Gedanken leſen: „hab' ich's nicht
geſagt daß Ihre Schwiegertochter eine vortreffliche
Frau ſei;“ er wollte ſich jedoch ſeines Sieges nicht
rühmen. |
— Ich glaubte wahrlich jchon, daß Sie für
immer in Peſt verbleiben, müſſen fich ſehr an die
große Stadt gewohnt haben.
es An
Die alte Frau hieß ihren Gaft auf dem Divan
Platz nehmen, fie ſelbſt jegte fich an ihren Spinne-
rocken, ohne die Frage zu beantworten.
Kolbay glaubte anch ferner icherzen zu
könnnen.
— Natürlich gibt dort eine Unterhaltung die
andere; bie vielen Abendunterhaltungen, Soiréen,
«oder wie man fie nennt, die vielen Konzerte, dann
täglich Theater, wenn die Tochter eine Xoge hat.
Sie müjjen viel Freude an Ihren Kindern erlebt
‚haben. . . . Sch begreife e8 gar nicht, wie Sie in
dieſe fremdgewordene Heimat zurüdkehren konnten.
Ueber das Geficht der alten Yavay rannen
zwei Thränen herab; ſie ſuchte jedoch dieſelben zu
verbergen, indem ſie ſich niederbeugte, um an ihren
Spinnrade etwas zu richten.
— Herr Major — begann fie dann im ern-
ften Tone — hätten Sie mir nicht heute die Ehre
gejchenkt, jo würde ich Sie morgen bejucht haben.
— Ih würde mir's als große Ehre ange-
rechnet haben ; trogdem daß Sie mir bieje Höflich-
keit jchuldig waren; war doch ich e8, der Sie bei
Gelegenheit Ihres legten Bejuches beinahe aus dem
Haufe jagte, und Sie habeu mir für diefe Höflichkeit
noch gar nicht gedankt. Ich will e8 Ihnen jedod)
verzeihen... . Was habe ich Ihnen damals gejagt ?
Habe ich vielleicht nicht Recht gehabt? .... Haben
U
ie
Sie Ihre Kinder nicht als die glüdlichiten auf Erbe
wiedergefunden ?
Die alte Dame fehüttelte traurig mit dem
Kopfe nnd erwiederte mit bitterer Entſchloſſenheit:
— Meine Kinder find nichts weniger als
glücklich!
— Die fo? rief ver Veteran plötzlich herab⸗
geftimmt :
Nicht glüdlih?.... Meine Freundin, Sie
hatten fich fchon einmal getäufcht ; bedenken Sie jegt
das zweitemal was Sie da aussprechen. Einmal
haben Sie diefe Frau Schon verfannt; damals fagte
ich Ihnen: diefe Frau iſt eine treue, ehrliche Gattin ;-
das behaupte ich auch noch heute; Judith ijt eine
brave, ehrliche Frau !
— Da haben Sie reht, Judith ift eine brave
Frau und eine ehrliche Gattin.
— Dann verftehe ich die Sache nicht,
— Die Schuld liegt nicht an ihr.
— Nun alljo, wer trägt den die Schuld ?
rief der Major entrüftet, — der andere?
— Ya der Andere!
— Bela?
— Bela, mein Sohn.
— Das ijt furchtbar, fo etwas von Ihnen
bören zu müffen. Das grenzt an das Unglaubliche... .
denn erlauben Sie mir Freundin : felbft wenn Judith
nicht fo fchön, fo vernünftig und fo gut wäre, als fie
— 73 —
es iſt, ſondern eine Harpie, mit einem Meduſenhaupte,
und dumm! wie ein Klotz, müßte ſie ein erlicher
Mann, wie es Bela iſt, nach all dem, was ſie für
ihn gethan, was ſie in ihrer grenzenloſen Liebe un—
ternommen, noch immer den Händen herum—
tragen.
— So iſt es. Judith it ihön, gejcheidt und
gut; — dennoch hatte Bela alles dies vergeffen.
— Unglaublid. Sie erzählen mir da ein
Märchen. Gibt e8 denn eine Frau, die den Muth
hätte als Nebenbuhlerin einer Gattin aufzutreten,
die für ihren Mann durch die Hölfe gebrungen, bie
ben Muth hatte den Mann Judith's zu verführen?
— Es gibt eine!
— Das muß ein herzloſes, ein böſes, ein
ränkeſüchtiges Geſchöpf ſein.
— So iſt's, Sie iſt eine hemleſe eine ränke⸗
ſüchtige Frau dieſe Fertöy!.
Kolbay taumelte zur, er mußte fih an die
Lehne des Divans ftügen.
— Seraphine?... Meine... meine Nichte?
— Ya. Ihre Nichte; — woher das fam?...
wie e8 fam?... . wer könnte ergründen?.... Ges
nug baran, einft traf Bela mit ber Fertoh beim
Fürſten Wolozoff zuſammen.
— Beim Fürften Wolozoff?
| — a. Ich weiß es nicht, wer das ift? Will
ed auch nicht wiffen. Aber fo viel weiß ich, daß Bela
on
ſich, ſeitdem er von dort zurückgekehrt ift, ganz ver-
ändert hat. Er that geheimnißvoll vor mir und
jeiner Frau; that ſtets mürriſch nnd launifch, ging
jehr oft auf Reifen, ohne zu jagen, wohin ? Wir ver-
mochten es nicht zu errathen. . . So viel wußten
wir, daß ſich Seraphine von ihren Gatten jcheiden
laffen will, und daß Bela ihren Prozeß führt.
... Ah — ah! ... machte der Alte, was
Sie mir da für Neuigkeiten erzählen.
— Sie wiſſen das nicht? Nun ſo erfahren
Sie es denn, daß Beéla im Intereſſe Seraphinens
die lange Reiſe bis nach Siebenbürgen macht. Dort
ſoll vie Scheidung leichter vor ſich gehen... . wel—
hen Lohn er biefür zu erwarten bat, ift fein Ge—
heimniß. Dabei vernachläßigt er jeine Frau merklich.
Auch diefe hat einen Erbſchaftsprozeß, die Schluf-
verhandlung fteht vor der Thüre und er hat in die-
jem Prozeße ſeit Monaten feinen Buchitaben gear-
beitet. Wenn ich ihm darüber Erwähnung that, fer-
tigte er auch mich mit den furzen Worten ab, daß
alfes in Ordnung ſei. ... Und Judith ahnt Alles ;
würde fie nie Frau und Gattin fein, wenn fie nicht
alles ahnen würde. Sie fieht, fie fühlt es täglich,
daß Sie vernachläßigt wird, doch ſchweigt und duldet
jie, ohne e8 Jemanden merken zu laffen. Sie ift zu
jtolz, zu erhaben in ihrer Liebe um ihren Schmerz
der profanen Welt zu verrathen. Nie habe ich fie
weinen, nie Hagen gehört, nur ihrer Stirne fieht
ur, Mn
man es an, daß fie viel nachvenft.... Mein Frennd
von dieſer Frau habe ich viel gelernt. Sie iſt eine
Märtyrerin, ein Engel. Mit feinem Blicke hatte fie
noch ihrem Gatten Vorwürfe gemacht, im Gegentheil
Sie vertheidigt ihn gegen meine Anfchuldigungen.
— Das find ja infame Geſchichten, die Sie
mir da erzählen, rief ver Veteran im vollem Zorne
ausbrechend. Werhalb mußte Seraphine die Ruhe
einer ehrlichen Familie jtören, wo fie doch von Wien
bis Peſt genug jener galanten Kavaliere findet, die
es werth find, um von ihr genarrt zu werden. Muf
Sie fih denn einen verheiratheten Mann in ihr
Net ziehen? ... Ich danke Ihnen meine Freundin,
daß Sie mir dies mitgetheilt, und ich werde es,
ſowohl Ihnen, al8 auch andern beweijen, daß ver
-alte Kolbay noch nicht jo alt ift, als er fcheint.
— Was beabfichtigen Sie zu thun?
— Was? Gleich morgen reife ich nach Bet,
fuche dort Seraphine auf, und werde fie zur Rechen-
Ichaft ziehen. Es foll ihr dies bitter bekommen.
— Das habe ich von Ihnen erwartet, ſprach
die Yavay fich von ihrem Site erhebend und bie
‚Hand ihres alten Freundes drückend.
— Nicht wahr, Sie waren im voraus über-
zeugt, daß ich fo handeln werde ? Sie jollen fich in
mir nicht getäufcht haben. Ob, fie joll mir u:
Rechenſchaft geben.
*
— 76 —
— Dann werden wir zuſammen reiſen. Auch
ich reife morgen nach Peſt znrüd.
— Niht wahr? auch Sie werden Ihren
Sohn zur Rechenfchaft ziehen.
— Das werde ich thun, und zwar aus allen
Kräften.
— Na, dann möchte ich ſehen, wer ung bei-
ben wieberftehen kann, wenn wir uns vereinigen!
das foll einmal ein Angriff werden! und erſt vie
Rechenjchaftslegung ! ereiferte der Alte.
— Ich danfe Ihnen wein Herr. Ich bin nur
deßhalb heraufgereift, um mit Ihnen in diefer An-
gelegenheit zu jprechen und Sie zum Beiſtand auf-
zuforbern. Ä
Der alte Kolbay war ganz entzückt darüber,
daß Frau Laͤvah, jo viel Vertrauen in feine Aufrich-
tigkeit und Macht fette; als er nach Haufe ging,
trat er mit feinen fteifen Beinen viel ftolzer auf als
fonft, und murmelte ununterbrochen: Das ſoll eine
große Rechenfchaftslegung werben !
Seraphine war fehr überrafcht, als fie an
einem Nachmittage von ihren Spazierfahrt heimkeh—
rend, die Vifitfarte des Majors Kolbay auf ihrem
Tiſche fand.
Kolbay flog aus feinem Nefte! Er, ver fich
feit zwanzig Jahren nicht über die Grenzen der
Stadt begab. Und daß er gerade feine Nichte auf-
—
a: ar
fuchte, welche er noch vor der Hochzeit mit ihrem
erſtem Manne fo zornig abgewiefen hat, veutete das
nicht auf außergewöhnliche Umftände?
Der Alte muß aber etwas Großes vorhaben.
Seraphine war in den Iepten Tagen von
ihren neuen Fantasmagorien derart eingenommen,
daß die Erinnerung an den Alten ihr Gemüth in
völligen Aufruhr brachte.
Seit jenem Tage, wo ihr Bela den Rath ge-
geben, fih von ihrem Manne zu trennen, und feit
jenem Abend, wo er fie vom Flammentode gerettet,
hatte das Gemüth der launenhaften Frau eine völ-
lige Umwandlung erlitten, ven Tag hindurch fuchte
fie die Einfamfeit, um ihren Träumen, ihren Fan-
tafien nachzuhängen. Und ihre Nächte ?
Was fagten ihre nächtlichen Träume —
Auch dieſe hatten ſie bethört.
Seit jenem Tage verſchwand das ewig lebende
Geſpenſt aus ihren Träumen, als wollte es einem
andern Trugbilde Platz machen, als wäre es mit
den Tauſche einverſtanden.
Von nun an war der Geſpiele ihrer Jugend,
ein ewig wiederkehrendes Bild ihrer Träume. In
hundert Geſtalten, in hunderterlei Verhältniſſen
ſtets dasſelbe Bild; in den verſchiedenartigſten
Szenen, der Aufmunterung, der Zufriedenheit, des
Familienglücks, der Leidenſchaft, der Eiferſucht ſtets
und immer dasſelbe Bild. —
m
— TB
Das Geſpenſt Roberts erjchien nicht mehr..
Auf den Wangen der bleichen Frau begann abermals
die Roſe des Lebens zu blühen.
Der Fürft welcher fie zuweilen bejuchte, eiferte
fie an, ſich jegt portraitieren und das Porträt vergan-
gener Jahre vernichten zu laffen, weil e8 entjchieden
schlecht fi. |
Seraphine hatte fich in eine unbejtimmte,
geitaltlofe Zukunft jo hineingelebt, daß das Auf:
tauchen ihrer befannten Vergangenheit, welches ver
Name ihres Onkels hervorrief, auf fie denjelben
Eindruck machte, wie auf einen der Geneſung entge-
genjchreitenden Kranken, die neu hervorbrechenden
Symptome des alten Uebels.
— Weßhalb mag Kolbay gekommen fein ?
Er hatte dem Kammerbiener veriprochen,
nach einer Stunde zurüd zu fehren. That er dieß,
jo wird er e8 gewiß auch halten.
Diefe Stunde reichte für Seraphine nicht hin,
um fich darüber zu entjcheiden, welche Rolle fie
einem Manne gegenüber fpielen jollte, der in die
Schablone ihrer Umgebung gar nicht paſſen kann?
Soll fie heiter, fcherzhaft, ſpitzfindig fein, ſoll fie
ihren Einfällen freien Spielraum gewähren, wie fie
e8 zu Haufe in ihren Mädchenjahren gewejen ? oder
ſoll fie eine gewiffe Oravität zur Schau tragen, wie
e8 einer großen Dame geziemt? Soll fie fich herzlich,
freundlich, füßlich benehmen, wie man es einem
un BO!
Bermwandten gegenüber thut, den man lange nicht
geliehen ? Oper foll fie fich blafirt ftellen, wie einer,
dem es ganz gleichgiltig ift, wer immer kommt
oder geht.
Der Onkel erſchien pünktlich. Seraphine ver-
nahm, wie er im Borzimmer jchon fein bekanntes
Räuspern von ſich gab. Der Kammerdiener wies
ihn zur gnädigen Frau, welche ihn bereits in ihrem
Bouboir erwartet. Seraphine fiel e8 nicht auf, daß
Major Kolbay mit einer gewiffen militärifchen
Steife herein trat: es war dies eben, feine Manier.
Seraphine empfing ihn trogdem fehr freundlich:
„Willkommen lieber Onkel! Tauſend Yahre, daß
wir uns nicht gefehen. Welcher gute Glückſtern führt
Sie zu ung."
— Zu Euch ? Erwieberte der Alte, das letzte
Wort betonend. Hajt wohl jagen wollen zu Dir. Ich
babe Dich im Haufe Fertöy's gejucht und erhielt
zum Bejcheid, daß Ihr fchon feit einigen Monaten
getrennt lebt.
— Ya wir find im Begriff uns fcheiden zu
laffen. Nehmen Sie jedoch Plat bei mir Onfel.
Seraphine war fjehr überrafcht, daß fie Kol-
bat beim erjten zufammentreffen mit Du anfprach,
was er ſonſt nie gethan hatte.
— Dante, erwiederte der Major. Ih kam
eben um die Urfache Eurer Scheidung zu erfahren.
— —
— Rennen Sie Fertöy ?
— Db id ihn fenne!
— Dann müffen Sie auch über die Urfache
unferer Scheidung im Reinen fein.
— Uebrigens muß ich dir bemerken, daß ich
Vertöy keineswegs befjer fenne, als du ihn gekannt
haft, bevor du ihn geheirathet. Verjtehe ich e8, weß—
halb du dich von ihn trennen willit, dann werjtehe
ich nicht, weßhalb du ihn geheirathet haft? Und ver:
ftehe ich's, welche Urjachen du gehabt haft ihn zu
heirathen: dann weiß ich nicht, weshalb du did) von
ihm jcheiden laſſen willft.
Seraphine hatte das Unglüd, — anjtatt fich
aus diefem Dilemma mit einem Bonmot beraus-
zuzichen : die Frage an den Onkel zu ftellen :
— Die verftehen Sie das ?
Darauf erhielt fie, was fie fuchte.
— Liebe Seraphine nehmen Sie e8 nicht übel,
(der Alte dutzte fie nicht mehr) Sie können es auch
nicht übel nehmen, wenn ich Ihr Leben mit kritifchem
Blide verfolgte. Sch that diefes feit Langem; habe
ich doch nichts mehr auf der Welt zu thun, als jenen
Roman zu ftudiren, welchen Sie aus Ihrem eigenen
. Reben machen.
— Bitte, fiel Seraphine ein; die Feuilleton
Romane, pflegt man erjt zu beurtheilen, wenn jie zu ;
Ende jind.
u —
Jene Fälle ausgenommen, wenn ber Stoff
des Romanes in jene Regionen hinabjinft, wo der
Lefer unwillfürlich ausruft: „auf dieſes Blatt prä—
numerire ich nicht mehr.“
— Wäre dies auch bei meinen Romane der
Fall ? rief Seraphine in beleidigtem Zone.
— Vielleicht, vielleicht auch nicht. Deßhalb
fomme ich auch nicht als Kritiker, Sondern als guter
Freund um den Verfaffer auf Etwas aufmerkſam zu
machen, denn wenn dev Roman einmal zu Ende it,
dann fällt er der unerbittlichen Kritik anheim ; dann
ift nichts mehr an ihm zu verbejfern. Jetzt fönnte bie
Entwidelung noch en famille geordnet, jetzt ift das
Streichen, das Ausbeſſern noch erlaubt.
Seraphine war über die Gewähltheit der
Ausdrücke ihres Onkels, der fonft eine gerade unge—
juchte Sprache führte, höchſt überraſcht. Es muß
eine große Veränderung mit ihm vorgegangen ſein.
— Liebe Seraphine, Sie wiſſen es recht gut,
wie wenig ich Ihnen mit der Langweiligkeit meiner
Bemerkungen, die ich mir bei Gelegenheit der merk—
würdigen Wendung Ihres Schidjals ſtellte, ungele—
gen kam. . . . Ich ſagte mir: dieſe Frau iſt zu ſtolz,
um von Jemanden einen Rath anzunehmen, möge
fie ihren eigenen Pfad wandeln. . ... Jener Weg,
welchem der Stolz als Weiſer dient, kann wohl
auf's Eis, ins Waſſer: — nie aber in den Koth
führen,
Andere Zeite, andere Menſchen. IV. Band. 6
u 99
Die Lippen Seraphinen’s zucdten bei die—
ſen Worten; fie war micht mächtig ein Wort zu
erwiederit.
— Ein jedes Mitglied unjerer Familie bejaß
‚Stolz ; das gefiel mir; — fuhr der Alte fort, indem
er feinem Halfe in der hohen Militärkravatte eine
noch fteiferes Halten gab. Die Yeute hatten ung nicht
bejonders lieb, fie fagten, wir feien ftolz. Ich ver:
langte nichtS anderes von ihnen. Wir waren vie
„Haute volée“ der Gegend. Dan verjpottete uns,
jedoch gefiel mir diefer Spott. Ihr Vater war nicht
nur ein Geburts- jondern auch ein Gelvarijtofrat;
er hielt fich für etwas mehr im Somitate, als ver
Dbergeipan. Sein Stolz fojtete ihm viel Geld: ich
jah es wie er fein Geld mit vollen Händen ftreute,
um diefem Stolz zu fröhnen. — Er hätte eine Mil-
Tion hinterlaffen können, wenn er vemüthig geweſen
wäre; er war es jedody nie; ich hielt e8 ihm mie
vor weil ich die ſtolzen Leute liebe. — Bon mir will
ich gar nicht Sprechen.
Weiß es doch Jedermann, daß, wenn ich in
der Stadt, die ich bewohne, den einzigen Menfchen,
den ich für Werth halte anzufprechen, und feine
Worte anzuhören, nicht jehe und antreffe, ich für die
Vebrigen ein Taubſtummer bin.
— Sprechen Sie demnach von mir Onfel!...
Drängte Seraphine, welche durch die lange Einlei-
tung bereits nervög geworden.
u, BE —
— Sogleich will ih von Ihneu ſprechen. —
Auch Sie waren ein fo ſtolzes Kind. Ich habe Ihnen
veßhalb uie Vorwürfe gemacht. Als Sie Robert
heiratheten, wies ich die Rolle des Beiftandes zurüd,
weil ich wußte, daß diefe Heirath mit einer Demü-
thigung enden wird... ...
— Ich bitte Sie, Tieber Onfel; ſprechen Sie
nicht von Robert... .
— Ich ſpreche ja nicht von ihm ; nur vondhnen.
Auf Das Geflatih irgend eines irrenden
Flüchtlings, legten Sie Wittwenkleiver an. Ich be-
zweifle nicht, daß Sie dazu Grund hatten, es find ja
ſchon acht Jahre feit dem verfloffen. Die Wittwer-
tracht iſt das Zeichen ver Demuth: die im jener Zeit
in Trauerfleidern gingen, waren auf diefe ihre Tracht
ſtolz; Sie aber hatten, bevor das Zrauerjahr ablief,
ihren Schleier zum zweiten Male mit dem Braut-
kleide gewechjelt, uub wurden die Gattin Fertöy's.
Da dachte ich mir: Fertöy wird Karriere machen,
Steht ihm hiezu doch der Weg offen ; Seraphine ift
ſtolz, hochmüthig und wünſcht zu glänzen. Ich Tiebe
die Menſchen ja, die von der Ölanzjucht befallen
find. Uebrigens wechſeln auch Männer für bobe
Stellungen und Titel, ihre Hüte, warum ſollen
rauen nicht ihre Hauben wechſeln?
— Ich verfihere Sie Onkel, daß es nit
deßhalb geſchah — warf Seraphine im Tone jchüch-
terner Entjchuldigung ein.
6*
— 84 —
— Ih ſage ja nur, daß ich „damals“ ger
glaubt; daß es aber nicht jo gewejen, brauchen Sie
mir erſt nicht zu beweilen.
— Gie fannten die jchlechten Eigenfchafter
Fertöy's, und eben biejerhalben wählten ihn zum
Gatten. Ich erjuche Sie nicht in Aufregung zu ge-
rathen, bisher haben weder Sie noch ieh Urſache
dazu. Jetzt können wir noch fromm und freundlich
mit einander reden, das ift noch alles reiner Scherz.
Später werden wir eine Sprache führen, daß mir
von unfern Siten auffpringen und einen Lärm an-
Schlagen, daß die Nachbarn und die Leute auf ver
Gaſſe zufammen ftrömen .... daß Sie mich durch
Ihren Diener hinaus werfen laffen, und ich jelbit
noch von der Stiege zu Ihnen hinauf fchreien werde;
bis dahin bleiben wir bei falten Blute.
Seraphine faltete zitternd die Hände, als
wollte fie um Schonung flehen.
— Nun fahren wir fort. Sie haben ſehr gut
mit jenem Fond gewirthichaftet, ven man die Nach—
ficht eines nichtswürdigen Gatten nennt. Sie konn—
ten thun was Sie wollten. All’ dies war fein Ge
heimniß vor der Welt; doch war es verbedt Durch
den Namen des Gatten! Es mag eine Gattung des
Stolzes geben, die den Schatten, welchen eine fürjt-
fiche Krone auf fie wirft, für blendendes Licht hält;
ich theile diefe Anficht nicht, doch verdedt der Name
eined Gatten auch diefen Schatten.
ein BB-
— Onkel, Sie find zu grauſam.
— Laffen Sie mich hinauswerfen. Ich jelbft
Bitte Sie darum in Ihrem Interefje, venn ich habe
Die Abficht noch grauſamer zu werden.
— Ich werde jchweigen.
— Und ich behaupte, bisher wur dieje Frau
ſtets ftolz, ihr Stolz hatte zwar eine fchiefe Nichtung,
es war jedoch immer noch ein Stolz, eine Ambition der
Weltfrau, welche fich neben dem Range ihres Gatten
auch durch den Glanz der fürftlichen Krone ihres
Anbeters gejchmeichelt fühlt. Plöglich find fie jedoch
aus Ihrer Rolle gefallen. Das Schidjal führte fie
unverſehens mit einem Manne zujammen, an ven
Sie mit ven Banden erjter jugendlicher Xiebe ge-
fnüpft find. Da hatten Sie vollends ihren Kopf
‚verloren,
Seraphine zitterte, wie ein ſchwaches Kind,
und erbleichte, als fie ihr Geheimniß entdeckt ſah.
— Hören Sie mich an, Seraphine, fuhr der
‚unerbittliche Alte fort: Sie und Ihr Yugendfreund
‚hatten in einer Zeit Gelegenheit genug, wo man
ungehindert die Worte: „Sch gehöre Dir und Du
bift mein,” ausjprehen kann und darf. Warum
Sie es damals nicht thaten, müffen Sie felbjt am
beiten wiſſen, warum Sie e8 eben heute thun, werde
id) Ihnen erzählen.
— Es thut mir jehr leid, daß ich es jagen
muß, aber ich muß es, weil mein Leben nur mehr
— 86 —
eine Szene iſt. Möglich, daß ich meine alten Knochen
ſchon morgen zur ewigen Ruhe legen muß, und
wenn ich heute nicht ſpräche, wäre ich, bei Gott,
gezwungen mich morgen in eines jener albernen
„Table moving's“ zu verkriechen, um als Klopfgeiſt
Ihnen meine Meinung fundzugeben..... . Ich mache
Sie jedoch nochmals aufmerkſam, daß, wenn Sie
irgend ein Mittel gegen die Ohnmacht befigen, Sie
diefes zur Hand halten ſollen, denn was ich Ihnen.
jage, ift eine verteufelt graufame Gefchichte.
— Ich werde fie anhören umſomehr, als ich
die Geſchichte Schon kenne.
— Liebe Seraphine, dieſe Öejchichte ift Ihnen
unbefannt. Sie find vielleiht der Meinuug, daß ich-
Ihnen fentimentale Borftellungen machen werde
über die aufgejtörte Ruhe einer glüdlichen Familie,
wegen ber vergoffenen Thränen der jungeu Lävay...
Was fcheere ich mich um das ? Was fümmern mich
die Laͤvay's. Ich habe es nur mit Ihnen zu thun.
Nun hören Sie! die Scheidung von Ihrem Gatten:
hat Ihnen Bela Laͤvay angerathen.
— Woraus vermuthen Sie das? frug Sera-
phine betroffen.
— Wenn Sie mich weiter anhören, werden
Sie e8 erfahren. Herr Bela hatte kebie Luft, Sie
zum Altar zu führen, denn man überlegt es fich
zweimal, Ihren Yaunen ewige Geduld zu ſchwören.
Es beliebte ihm nicht, Sie zur Frau zu nehmen und
u BT;
um ber vergänglichen Freude willen, die Ihr Lächeln
bietet, Herz, Ruf und Gefchid ihrem Leichtfinn an-
zuvertrauen. In dem Augenblid aber, da wir ber
Welt nichts mehr Ichuldig zu fein glauben, nähern
wir ung einander wieder. Die Frau it fchön, und
taugt fie auch nicht zur Gattin, jo kann fie defto
angenehmer jein als — Geliebte. -
Auf diefe Worte fchrie Seraphine auf, als
hättte fie eine Tarantel geftochen.
— Nichtwahr, diefe entjeglihe Grobheit ha—
ben Sie nicht erwartet, ſprach Kolbay von feinem
Site aufftehend und nach dem Hut Tangend. Und
doch, bin ich noch Feineswegs zu Ende. Noch ein
Wort. |
Seraphine fchritt hocherregt auf und ab im
Zimmer. Wie ein fchöner Yeopard im Käfig unter
dem machtvollen Blick des Bündigers ; ihr Bufen
wogte jtürmijch, ihre Lippen zitterten. Einen Augen—
blie€ ftand fie an dem Fenſter jtill, als ob fie darau
ſänne, die Flügel zu öffnen und fich jählings hinab—
zujtürzen, um nicht das hören zu müffen, was der
Alte noch auf der Zunge hatte.
Diejer aber fuhr erbarmungslos fort:
— Bisher waren Sie etwas: eine Frau,
deren Gatte ihr alles durch die Finger fieht. Ein
unbedeutender Zitel, aber noch immer gut genug.
Jetzt Scheiden Sie von Ihrem Gatten und fie werden
— mas man „eine jehöne Frau” zu nennen pflegt.
— 88 —
Alle Welt wird Ihnen ſagen, daß Sie eine ſchöne
Frau ſind, und alle Welt wird — das Recht haben,
Ihnen das zu ſagen. Und es wird dies keine Schmei—
chelei ſein, und die Frau, welcher man es ſagt, wird
kein Recht mehr haben ſtolz zu ſein.
Seraphine ſetzte ſich dem Alten gegenüber,
entſchloſſen, den Becher zu leeren, wenn er auch
Gift enthalten ſollte.
— Seit drei Tagen ſuche ich Ihren Gatten,
um ihm ins Geſicht zu ſagen, daß ich ihn unter allen
Leuten, die ich achte, für den allerletzten halte, und
daß er mit einem Fuße ſchon jenen Pfad betreten,
auf welchem elende charakterloſe Menſchen wandeln;
doch er verſteckt ſich, läßt ſich abläugnen. Ich weiß
es, daß er ſich anfangs betroffen zeigte, als Sie von
der Scheidung ſprachen, doch hatte er ſeine Skru—
pel aufgegeben, als ihm der „reiche Mann“ mit
ſeinen Beweismitteln näher rücke; und jetzt iſt auch
er für die ſchnelle Löſung des Prozeßes. Wenn ich
ihn nicht finden follte, werde ih ſchon. ven „reichen
Mann” und Ihren Aovofaten finden. Das find
Männer, denen es werth ijt Grobheiten zu ſa—
gen.... Denn Sie müſſen es wiſſen, theuere
Kouſine, daß ich der Bruder Ihrer Mutter, nichts
anderes hinterlaſſen werde, als ein verwahrlojtes
Haus und eine Kleine elende Wirthichaft; aber
meinen Namen will ich Ihnen fo vein und unbe:
fleckt Hinterlaffen, wie ich ihn von meinem Vater
Br 8:
‚geerbt. — So, jetzt fönnen Sie mich fortjagen. ....
ich habe ausgefprochen.
Seraphine fuhr von ihrem Sie empor und
ergriff haftig die Hand des Alten, welcher im Be-
‚griff ſtand, fich zu entfernen.
— Dleiben Sie noch. ... Gehen Sie nicht
zu Jenen, die Sie erwähnten.
— Sie fürdten für Jemanden? ? vielleicht
‚gar für mich den alten Knochen ?!
— Warten Sie bi8 morgen Mittag; da
jolfen Sie etwas erfahren; und wenn Sie auch
"dann nicht zufrieden find, jo Fönnen Sie thun, was
“ Sie für nothwendig erachten, gegen mich, oder gegen
Jedem andern.
— Dis morgen ie ? Wann iſt bei Ihnen
Mittag ?
— Um zwölf Uhr.
— Gut. Ich werde Punkt zwölf Uhr bei
Ihnen erjcheinen, bis dahin will ich mich nirgends
zeigen.
Damit entfernte fich ver Alte; und Seraphine
„blieb allein. . . . . Allein ? Ab, fie hatte eine ganze
‚Hölle zur Gejellichaft.
Was ihr diefer Alte Mann gejagt, blendete
fie wie der Feuerjchein eines über den Köpfen bren-
‚nenden Haujes.
— 10 — ⸗
Da war ben glüdlichen Träumen mit einem
Male ein Ende gemacht und dahin waren die verlo-
enden Fantafiegebilde — dahin, zerronnen, im.
Schaum und Nebel aufgelöft, vor dem einen frofti-
gen Gedanken : Er machte dich nicht zur Gattin, aber
als Gelichte bift du ihm gut genug.
Der Eng der Abrechnung.
Der folgende Tag war auch fonjt ein merk:
würbdiger Datum für die beiden Familien.
Am Vorabende diejes Tages hatte Bela zu
feiner Familie gejagt, daß er die ganze Nacht wach
bleiben werde, weil er dringende Geſchäfte habe, die
bi8 am Morgen beendigt fein müſſen.
— Morgen ift die Schlußverhandlung in dei—
nem Prozeße gegen Fertöh, jagte die alte Frau zu
ihrer Schwiegertochter, der junge Herr hat die
Sache vernachläßigt, jetst muß er eilen.
Bela wachte in der That die Nacht hindurch
und noch am Morgen konnte man hören, wie er im
Zimmer auf.und abjchritt.
Er lieh fih auch das Frühftüc in fein Zim-
mer bringen, denn noch hatte er nicht alles beendet.
Um neun Uhr ließ er einen Lohnwagen holen
uud er trug einen ganzes Acdtenbündl unter dem
- Arm, als er zu den Frauen hinüber fam, um fich,
wie er es gewöhnlich that, von ihnen zu berabfchie-
er BE
den und ihnen zu jagen, wohin er ſich begebe und
wann er zurüdfehren werde.
— Heute wırd die Schlußverhandlung in
deinem Prozeße jein, fagte er, indem er Judith in die
Arme jchloß ; fonft gab er ihr Feinerlei Erklärung.
Dann erfundigte er fich nach dem Befinden des Kin—
des und ob e8 in der Nacht gehuitet. |
— Das würdeſt du wohl gehört haben, denn
du warjt wach, antwortege die Mutter.
— Ich wahr ſehr vertieft in der Arbeit.
— Nicht wahr, du haft dich mit den Arbeiten
an Judith's Prozeße verjpätet.
— In Judith's Prozeße? O, daran babe ich
nicht gearbeitet, da ift die Replik eine ganz einfache,
die ich im Gerichtsſaale niederfchreiben werde.
Alles ſchwig hierauf. Der Diener meldete,
daß der Lohnwagen angefommen ; Bela nahm feinen
Hut und ging. |
Die alte Frau begleitete ihn gar * hinaus,
wie ſie zu thun pflegte.
Alſo auch in der Nacht, da daß Vermögen
ſeiner Gattin, ſeines Kindes auf dem Spiele ſteht,
beſchäftigte er fich mit den Angelegenheiten jener
andern Frau. Die alte Yavayp war in Verzweiflung.
Judith aber lehrt ihr Kind das Wort „Vater“ aus-
Sprechen. Bela fuhr directe nach der Wohnung
: Seraphinens.
— 93 —
Für ihn mar das Haus auch zu fo früher
Stunde offen; der Kammerdiener wußte, daß er ihm.
zu jeder Zeit ven Eintritt gejtatten dürfe.
Die blafje Frau war heute bejonbers ſchön.
In den Augen der magnetische Glanz einer Betäu-
bung, bie eine durchwachte Nacht erzeugt, ihr uuge-
ordnetes Haar ruhte in einem Perlennege. Auf den
blaffen Zügen aber ruhte das ſelbſtbewußte Lächeln,
welches das farblofe Geſicht fo jtrahlend macht.
Ihre Morgentoillette war mit Geſchmack gewählt;
ein geſticktes weißes Oberfleivd mit blauem Gürtl.
Sie fah darin wie ein Kind, wie ein junges Mäd—
chen aus.
Bela fiel e8 unwillkürlich ein, daß er vor
Fahren ein folches Kind gefehen, mit einem folchen
unſchuldigen Yächeln, mit einem ſolch' eng anfchlie-
genden weißen Kleide und in ſolch' vertrauli-
her Nähe. |
.... Doch was geht dies den Advokaten an.
— Euer Gnaben werben entjchuldigen, daß
ich jo früh fomme, doch muß ich zu einer Verhand⸗
fung eilen, und wie ih Ihnen jchor öfter erklärt,
wird es mir ſehr lieb ſein, wenn in dieſem Prozeße
früher ein Urtheil gefällt, als in dem Andern.
— Iſt das der Prozeß „Ihrer Gattin"
frug Seraphine.
— 68 iſt der Prozeß Judith's.
— 94 —
— Gegen meinen „Gatten“?
— Ja, gegen Herrn Fertöp.
Seraphine betonte die legten zwei Worte jo
ſtark, daß dieſe Betonung einem jedem Andern aufge-
fallen wäre, nur Bela bemerfe es nit. Er dachte
gar nicht daran, wo Seraphinens Gedanken weilen
Tonnen.
— Demnad wäre e8 Ihnen angenehm, wenn
in diefem Prozeß ein jchnelleres Ba gefällt
"würde ?
— Ich habe meine Gründe, weßhalb mir dies
angenehm, aud) habe ich alle Aften mitgebracht, da—
mit Sie einige derjelben, mit ihrer nothiwendigen
Unterfchrift fertigen.
— Alto iſt auch. meine Unterjchrift noth-
"wendig ?
— Natürlich.
— Wünſchen Sie, daß ich fie ungelefen unter:
zeichne ?
— DO nein, Sie müſſen e8 mit Aufmerkſam—
feit durchlejen, worunter Sie ihren Namen jchreiben.
— Auch wenn Sie das Schriftſtück verfaßt
haben?
Seraphine blickte bei dieſen Worten Béla mit
jo verführeriſchen Lächeln an, wie fie es nie zuvor
gethan.
— Auch ich fünnte irren, Deßbalb erſuche ich
Sie zu leſen.
u IE:
— Soll das gleich geihehen ?
— Ich habe Eile.
— Sie foheinen fih der feinen Geſellſchaft
ſehr entrüdt zu haben. Ein Mann von größerer
Höflichkeit würde fagen: Möge mein Warten eine
Ewigfeit dauern. Doch will ich Sie nicht Länger
aufhalten. Sie haben heute Ihre Gattin gegen Fer:
töp zu vertheidigen; was feine kleine Aufgabe ift.
Sie fünnen ſich daher nicht mit mir bejchäftigen.
Laſſen Sie mir diefe Schriftjtüde zurück; ich werve
mit denjelben bis zu Ihrer Rückkunft fertig werden.
0 Es wire mir lieber gewejen, wenn Sie
dieſelben in meiner Gegenwart gelefen und unter=
zeichnet hätten. Bis halb ein Uhr glaube ich wieder
bei Ihnen zu jein.
— Um halb eins ? lachte Seraphine.
Bela fragte nicht, weshalb fie lache ? Er fuchte
jene Schriftitüde hervor, die fie purchzulefen und zu
unterzeichnen hatte; dieß legte er auf einen Kleinen
Tiſch; die übrigen band er in ein Bünd'l zufammen
und legte fie an einen anderen Ort.
— Sie werden alfo bis Halb ein Uhr zurückkeh—
ren, und ich kann Sie alljo erwarten, ſprach Sera:
phine, dem fich verabſchiedenden die Hände reichen,
und tief in jeine Augen blidend — Sie werden ganz
‚gewiß zurüdfehren ?! Das ift Schön von Ihnen, das
ijt herrlich von Ihnen.
— 9% —
Dabei ftreichelte fie mit ihren zarten Händen
den Bart Bela’s, wie e8 zarte Herzen ihrem Ge—
liebten gegenüber zu thun pflegen ; und nachdem er-
bie Thüre Hinter fich gejchloffen hatte, begann fie zu
lachen, und ihrer Einfamfeit ließ fie die Worte
hören:
„Es wäre ihm alfo nicht zuwider, mic
zu lieben.
Der Berfammlungsfaal des weiland Komi—
tate8 war zu diefer Zeit in Heine Bureaus einge-
theilt. E& war eben eine Epoche hereingebrochen,
wo man nicht mehr bverlei große Säle benö—
thigte, wo taufend Menfchen zufammen die Neden
Einzelner anhören mußten. Die Räumlichkeiten
mußten benußt werben, aus ‚dem großen Saale
ſchuf man kleine Bureaus, man zog Ziwifchenmauern ;
brachte Thüren an, und verjah felbe mit Nummern.
Der gefällige Leſer möge mir e8 verzei hen, daß ich
die Urjache deſſen nicht angeben Tann, warum Num—
mer 14 gerade jene Dertlichfeit war, wo im Pro-
zeße Fertöy's contra Hargitay die Schlußverhand-
lung ſtattfand, daß ich die dort Anweſenden nament-
lich nicht anzugeben weiß und warum Herr Blum,
der gewejene Verpflegs-Beamte dort ald Präfident
fungirt ? Auf all’ dies kann ich mich ebenjo wenig
erinnern, wie auf einen Traum, von dem man plüß-
lich aufgeſchrockt worden iſt.
Nun id thue Buße wegen meiner Vergefilich :
feit. Doc möge e8 mir zur Entſchuldigung dienen.
daß ich in jener Zeit fo viel Namen gehört und fo
viele Gefichter gefehen, daß ich mich deren nicht mehr
erinnern kann.
So viel kann ich jedoch ficher behaupten, daß
der Präfes Herr Blum gewejen, und daß die übri-
gen Herrn auch jehr ehrenwertbe Männer geweſen
jein durften, die in einem andern Yande auch heute
noch in hohen Ehren ftehen, wie fie es auch verbie-
nen ; doch unter unſerem Meridian erinnert fich ihrer.
kaum noch Jemand mehr. Die Herrn Fertöy und
Bärfing befligen fich pünktlich zu erjcheinen ; nicht
jo Bela Laͤvay, auf den, man noch eine halbe Stunde.
warten mußte. |
Herr Blum vermochte es nicht 5 zu unterlaſſen
um Herru Fertöy im Geheimen sub rosa zuzufli-
ftern, daß fein Prozeß ohne Zweifel gewonnen ei.
„Seripta manent“ (da8 Gefchriebene bleibt). Das
eingereichte Teftament ſchließt jeden Zweifel aus ;
das Gericht kann nicht anders entjcheiden, als das
Fertöy in das Befisthum Hargitay's als geſetzlicher
Erbe allſogleich einzuſetzen ſei.
Trotz dieſer Verſicherung ſchien Herr Fertöy
heute ſehr niedergeſchlagen.
Es gibt Geſichter, welche die Welt ſehr lange
als jung betrachtet hatte, und die an einem ſchönen
Morgen ihre Bekannten damit überraſchen, daß fie
Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb- 7
alt geworden find. Falten die bisher Niemand be-
merkt hatte, beginnen ganze Furchen über das Ge-
ficht zu ziehen, und die Zeit beginnt auf der Stirne
ven gebührenven Pla einzunehmen. Fertöy ſchien
heute um zehn Jahre älter, ald er es geftern ge—
weſen ift. |
Herr Bärfing allein jchien feiner guten Laune
nicht8 vergeben zu wollen.
Er reichte jedem der Beifiger die Hand, und
verftieg fich im feiner Laune fogar jo weit, daß er
nad der Tabaks-Doſe des Herrn Blum langte, und
um die Vortreflichfeit des Inhaltes derjelben mit
großer Oftentation darzuthun, in furchtbares Nieſen
ausbrach.
Herr Blum war ein ſehr guter Freund der
beiden anweſenden Herrn.
Endlich erſchien der gegneriſche Advokat, Herr
Blum winkte den Gerichtsbeiſitzern ihre Plätze ein—
zunehmen. Die Verhandlung begann. Ein junger
Mann mit einem für ſeine Ohren gefährlichen Va—
termörder bewaffnet, damals Auskultant genannt,
las etwas aus den Schriften vor, und, als er geen-
digt, jegte, Herr Blum feine Brille auf, ſah ſich den
‚gegneriichen Advokaten an, und befragte ihn, ob er
noch etwas vorzubringen habe, Bela verlangte Falt-
blüthig, man möge ihm das Original des Teftamen-
tes vorweiſen.
9 —
Auf jein Verlangen übergab man Bela das
"Dokument.
Er that jetzt pasfelbe, was er in Gegenwart
Baͤrſing's gethan: er hielt e8 nämlich aufmerkſam
‚gegen das Licht und ſchaute eine Weile durch das
Papier.
Dann legte er ed ruhig auf den Tiſch des
Gerichtsſaales nieder, und fprach, feine Worte Ida
‚betonen :
— Diejes Dofument ift gefäljcht!
Fertöy fuhr zufammen, während Barfing wie
son einer Tarantel gejtochen von feinem Site
ſprang, und etwas von Unverjchämtheit ftotterte.
Dlum nahm feine Brillen von den Augen,
und winkte Bärfing er möge jchweigen.
— Womit beweisen Sie, daß diejes Dofu-
‚ment gefäljcht ſei?
| — Die Beweisführung ift ganz einfach. Die
‚geehrten Beifiger des Gerichtshofes werden e8 wif-
jen, dag man einft Dokumente nur auf gejchöpftes,
und nicht auf Mafchinen-Papier fchrieb.
— Das ijt ja doch gefchöpftes Papier — rief
Buaͤrſing dazwiſchen, während die Sommerfproffen
‚in feinem Geſichte gleich Sternen zu funfeln begonnen.
— Bitte mich zu Ende zu hören. Diefe Ge-
pflogenheit hatte eine fehr rationelle Urſache. Auf
das geichöpfte Papier ift in Wafferfchrift ver Name
7*
der Fabrif angebracht und dabei ein Buchſtabe
welcher das Jahr bezeidhnet, in wel-
chem da8 Papier erzeugt worden ift..
Im erjten Jahre der Errichtung der Fabrif wendet
man den Buchftaben A. in zweiten B. u. f. w. an.
Wenn nun Jemand ein Dokument fälicht, und es
antedatirt, wird das jpäter erzeugte Papier zum
Berräther an ihm. Ich machte in diefer Hinficht ein—
gehende Studien im Archive der Föniglichen Kurie,.
bei einem gleichen Prozekfalle noch aus dem vorigen.
Jahrhundert. — Was im vorliegenden Falle bemer-
fenswerth ift, daß der Name der Fabrik auf ven
Wafferzeichen des Papiers gar nicht vorfommen
fönnte, denn dieſe Fabrik wurde erjt im Jahre 1851
errichtet, während das Dokument von 1847 datirt.
Der Buchſtabe E. beweift aber Far, daß das Doku—
ment im Jahre 1856 verfaßt wurde, alfo neun:
Jahre fpäter nach dem Tode des angeblichen Zefta--
ment-Berfaffers.
Fertöy fiel bei dieien Worten ohmächtig vom
Stuhle; man mußte ihn bei Seite tragen.
Baͤrſing aber erhob fich otternd, und ftotterte
zähneflappernd, man möge auch ihm das Dokument -
zur Befihtigung übergeben, welches die Beifiger
einer nach. den Andern gegen das Licht hielten und-
dabei, wie entrüftet ven Kopf fchüttelten. Einer ver:
jelben behauptete fogar, er wäre anmejend geweſen
als man diefe Fabrik in Böhmen mit großer Feier-
— 101 —
Hichfeit eröffnete, dies fei aber drei Jahre fpäter
‚gewefen, ald das Zeftament datirt fet.
Herr Blum zog feine Tabaksdoſe aus der
Taſche, öffnete deren Dedel, jedoch nicht um Herrn
Barfing nochmals eine Prife anzubieten, ſondern
‚um deren Inhalt, welcher durch die Berührung von
den Fingern eined Fälſchers profanirt wurde,
-verächtlich auf die Erde zu jtreuen.
Dann Elingelte er ; die zwei Gendarmen, welche
ven ohnmächtigen Fertöh hinausgetragen hatten,
‚erjchienen.
Herr Blum ſprach Faltblütig zu den Dienern
des Gerichtes:
— Diefe zwei Herrn find im zwei verſchiedene
‚Zellen in proviforifche Unterfuchungshaft zu bringen.
Bärfing wunderte fich nicht darüber, daß
ihn ein folches Fatum ereilte; fondern, daß Herrn
Fertöy ſolch' menjchliche Dinge paffiren können.
Tertöy war ein gewaltiger Herr, ein Mann
von großen Einfluß, und hoher Autorität und was
mehr, ein alter Freund Blums. Trogdem hatte
Blum mit jo Falter gleichgiltiger Miene dem Gefäng—
nißwärter aufgetragen, dieſen beiden Herrn jedes
Schreibzeug, Meffer, u. f. w. abzunehmen, als hätte
er ed mit gefährlichen Betyarn, oder fechsfreuzer-
ſtück Fälſcher dus einer SEE
zu thun.
— 102 —
Dann wandte er fich mit gleich kaltem Blute
zu Bela:
— Wollen Sie gefälligft Herr Advokat ihr-
Schluß-Plaidoyer zu Protofoll geben, das vu.
wird Sache des Stuatsanwaltes fein.
— — — — — — — — — — -
Als Bela ven Gerichtsſaal verließ, traf er
auf den Korridor mit feinem Freund Melchior zu—
jammen. |
— Man rief mich eilig aus dem Spital
bieher, ich mußte Herrn Fertöy zur Ader laffen. Er
ift bereit zur Befinnung gelangt, doch fühlt er fich,
wie Einer, ven man einen ganz regelrechten Kopfhieb
verjegt hat. u
— Das will ich glauben, und ber Andere ?
— Der bat vor lauter Schreden ungeheueren:
Hunger befommen, und hat joeben in das benach-
barte Gafthaus um eine Portion! Beafſteak geſchickt.
— Wie e8 fcheint, will diefer Schurfe alles
dem Fertöy in die Schuhe jchieben. Um fo ſchlechter
für ihn. Bift du bereits von Allem unterrichtet, was
bier gefchehen ift ?
— Bon Allem. Während pn drinnen fchriebft,.
berichtete mir. ber iR alles, was drinnen vorge—
gangen.
— Dann erfuch ich dich zu meiner Frau zu
eilen, wenn du; Zeit haft.
— 108 —
— Wennich Zeit habe? Welch’ eine Sprach F
— Um ihr über den Ausgang der Angelegen-
beit Bericht zu erftatten.
— Wie? rief der Heine lahme Mann, der
Erfte zu fein, welcher diefe Botſchaft deiner Gattin
und deiner Mutter überbringt ? Ah, Freund, meld,
goldener Mann du bift! Ich laufe.
— Damit du beifer laufen kannſt, nehme
meinen Fiafer, welcher unten beim Thore fteht; ich-
habe ohnedies bis Mittag noch einen Weg zu machen,
doch will ich ihn zu Fuß zurüdlegen.
Melchior überglüclich der Ueberbringer einer
ſolch' freudigen Botſchaft zu fein, ftürzte trotz feiner
Lahmheit mit folher Schnelligkeit die Stiege hinab,
daß er in der That feinem Freunde zuvor Fam.
Dar an
Bela Lävah Fehrte zu Seraphine zurüd.
Mit dem vielen offiziellen Gefchreibjel verging:
die Zeit derart, daß er fich beeilen mußte, um zur
veriprochenen Zeit dort zu jein. Die Eile hatte ihr
ganz erhitt. Als er jo aufgeregt in das Vorzimmer
-Seraphinen’s trat, fand er ſich plöglih dem alten
Kolbay gegenüber, welcher fich jo eben entfernen
wollte.
Das Gefiht des alten Herrn ftrahlte vor
Zufrievenheit, welche in eine Fröhlichkeit ausbrach,
als er Bela's anjichtig wurde.
— 104 —
— Ab, ergebeufter Diener Euer Gnaden!
Beliebten zu fommen. Freut mich ſehr Sie zu
treffen ! Belieben vielleicht meine Nichte zu bejuchen ?
‚Bitte nur bienein zu jpazieren, bitte, Sie ift gauz
allein und erwartet Sie,
Alles dies war in einem Tone gejprochen,
wie er ihn vom alten Herrn noch nie gefehen.
Doch hatte er ven Kopf mit ganz andern Ge—
danken voll, um ſich darnm zu fümmern, was wohl
diejen empathifchen Freuden-Ausbruch des Alten
verurfachen mochte ? Er eilte zu Seraphine.
Die Dame erwartete ihn in vem Empfangs—
falon. Sie war ganz für die Öelegenheit angefleivet ;
trug ein dunkel violettes Sammtkleid mit ſchwarzen
Spiten aufgepußt; nach der vamaligen Mode auf
der Bruft fühn ausgefchnitten ; die langen herabwal-
lenden Locken fpielten mit den jchneeigen Schultern,
und den marmorenen Buſen. Sie war eine blen-
dende Schönheit.
Ah, guten Morgen, rief fie mit bezaubernden
Lächeln, wie ſchön von Ihnen, daß Sie fo pünktlich
erſcheinen.
Bela mißfiel es heute beſonders, daß Sera-
phine ſich „ſo ſchön zu ſein“ bemühte.
— Ich kam, um die Dokumente abzuholen.
Haben Euer Gnaden bereits unterzeichnet? — Die
Dokumente find fertig, ſagte Seraphine mit ironi-
ſcher Sanftmuth; — und zeigte dabei auf die Flam—
— 105 —
men des Kamins. Was dort brennt, ift eben ber
Prozeß, wern Sie Einfiht nehmen wollen, können
Sie e8 immerhin noch thun.
Bela blickte die Dame noch immer verwundert
an. Seine Augen jchienen zu fragen, was dies zu
bedeuten habe ?
— Wie Sie fehen, habe ich „Ihren Prozeß"
in das Feuer geworfen. |
Dabei blickte fie ihn mit der fiegreichen Miene
dämoniſcher Rache an.
— Und nun erfahren Sie es mein Herr,
worüber Sie vielleicht bisher im Zweifel ſein
konnten. Ich war die Geſpielin Ihrer Jugend, es
war zwar Scherz, doch betete ich Sie an. Sie wurden
der Gatte einer anderen Frau; ich die Gattin eines
andern Mannes. Sie vergaßen mich gänzlich, troß-
dem betete ich Sie an, meinen guten Auf verdun-
felte die Verläumdung jener Kreaturen, die jchlechter
gewejen, als ich; Sie mieden mich, Ste verachteten
mich, um fo mehr betete ich Sie an. Plößlich dachten
Sie: Diejes Weib ift ſchon elend genug dazu, um
liebens würdig zu fein. Da näherten Sie fi mir;
und ich, ich lache Sie jett aus,
In Bela's Adern erjtarrte das Blut. Wie
denn nicht; war doch diefer Spott, diefes Lachen
kälter, als eine Nacht der Eis Region.
Dazu hatt Seraphine ihre mit feinem Atlas-
ſchuhe befleivetes zierliches Füßchen auf das mej-
— 106 —
ſingerne Geländer des Kamins gelegt, als wollte
fie pasjelbe beim Feuer des brennenden Scheidungs-
Prozeſſes wärmen. |
— Unglüdliche Frau, was haben Sie gethan!
rief Bela, traurig die Hände faltend. — Wann
haben Sie diefen unglüdlichen Gedanken geträumt ?
So eben fomme ich vom Gerichte, wo man Fertöy
als Fäljcher ins Gefängnif warf!
Seraphine ftieß einen entjeglichen Schrei aus,
und zog ihren Fuß zurüd, als würbe fie denjelben
verbrannt haben.
— Ich wußte e8 längft, daß Fertöy ein ge-
fälſchtes Teſtament eingereicht hat. Als unumjftögli-
cher Beweis diente das Papier jelbft, auf welches er
e8 jchreiben ließ! doch wartete ich mit der Ent-
deckung; als ich mir darüber Gewißheit verfchaffte,
war mein erjter Gedanke der: Diefer Menſch iſt
mein Feind; er hat ſich felbft zu Grunde gerichtet;
boch feine Gattin ift meine Freundin, fie war die
Gefpielin meiner Jugend, fie darf nimmermehr mit
ihm untergehen. Verſtehen Sie mich gut. Ich hatte
das glühende Eifen in Händen, womit ich auf den
Namen eines Menfchen, ver e8 verdient hatte, ein
unauslöjchliches Schandzeichen brennen mußte; war
es uicht meine Pflicht, die Gattin jenes Mannes,
wenn ich die Frau einft verehrt habe, zu warnen:
gehe aus dem Wege, damit meine Hand, nicht auch
dich verwunde ?
— 117 —
— Ad, ftöhnte die bleiche Frau bis in das:
Innerſte ihres Herzens getroffen, griff mit beiden
Händen nad) ihren Schläfen, und knickte gebrochen.
zufammmen.
— Ich mußte es, daß bie Schmach Fertöy's
fein ganzes noch übriges Leben in den Pfuhl der
Schande herabziehen wird. Ich beeilte mich, Ihnen
die Hand zu reichen, um fie jenem Abgruude zu ent».
reißen, in welden er Sie mitgezogen hätte. Tag und
Nacht arbeitete ich dafür; klopfte bei allen Gerichten
an; reifte von Stadt zu Stadt; verheimlichte alles vor:
meiner Gattin, verjtehenSie das, vor meiner eige-
nen Gattin, um, wenn ich den unabwenbbaren
Schlag auf den Namen Fertöy’s führen mußte, Sie
im Stande feien zu jagen: diefer Name ift nicht
mehr der meine, id) habe mich von ihn Losgejagt,
bevor ihn die öffentliche Schmach getroffen.
Seraphine erhob fich zitternd von ihrem Sitz;
ihre Augen waren mit Enſetzen, flehend auf Bela:
gerichtet.
Diejer fuhr fort.
Und Sie fahen in alldem nicht® anderes, als
das Erwachen einer niedrigen, verächtlichen Neigung.
Ich bin Ihnen dank ſchuldig für diefe Lehre, „Bift
du Advokat, haft du mit den Herzensangelegenheiten
nicht8 zu tun,“ Und Sie, Madame, tragen Sie
nun den Namen ihres Gatten, und erbulden Sie-
— 198 —
‚jenes Schidjal, welches Sie felbft über fich berauf
beſchworen.
Die ſtolze Dame ſtürzte zu den Füßen des
Mannes nieder.
Sie verſuchte ed nicht, dieſe Hand nochmal
zu ergreifen, die fie gerade in jenem Momente fo
ſpöttiſch zurüdgewiefen, als dieſelben fie erheben
wollte. Sie ftürzte zu den Füßen des Mannes und
Ichluchzte! In diefem herrlichen Sammtfleive, ‚mit
den wallenden Seivenhaaren, mit dem wogenden
Marmorbuſen, mit den vor Schluchzen zudenden
Achſeln, lag fie da auf ven Knieen, ein Bild des
glänzenden Jammers, die Worte wiederholend:
„zertretten Sie mich."
Bela fühlte noch immer Bedauern für die
ſes Weib. j
— Gegen mid haben Sie nicht gefündigt,
nur gegen ſich felbft. Sch verzeihe Ihnen vom Her-
zen, wenn Sie ſich ſelbſt verzeihen Fönnen. Meine
Abfiht war gut, Sie wünschten es ja felbft, ich möge
Sie der Welt gegenüber vertheidigen. Sch habe ven
Prozeß eingeleitet, und würde ihn auch gewonnen
haben. Ich wollte Sie Ihnen felbft zurückgeben, Sie
mißverjtanden mich, und als Sie mich zu ftürzen
wähnten, fielen Sie jelbft. Hilfe ift hier nicht mehr
möglich. Die Dokumente des Scheidungsprozeſſes
find verbrannt. Man kann einen Prozeß gegen eine
“Partei nicht erneuern, welche im Kerfer ist. Was
— 109 —
werden Sie von nım an fein? Die Gattin eines-
Fälſchers; eine Schmach zieht die andere nach jich,
und der Menſch auf dem die Schande laftet, ſinkt
unter diefer Laſt von Stufe zu Stufe tiefer. Die
Schande verleiht ein gewiſſes Recht, und die Schande
der ſchönen Frauen, wird zu einen furchtbaren Bri-
vilegium. Es wäre fehr angezeigt für Sie, in ein
anderes Yand zu ziehen. Geftatten Sie mir daf id)
Sie empor hebe.
Beéla reichte noch einmal feine Hand dieſer
Frau; doch nahm fie diefelbe nicht an. Sie krümmte
fich verzweifelnd noch immer vor feinen Füßen.
— Zertreten Sie mich, zermalmen Sie mid.
Ach gegen Sie habe ich gefüindigt, und dieſes ift
meine größte Sünde. Ich habe das, was ich Ihnen
früher vorwarf, auch Ihrer Gattin gefchrieben..
— Ad, rief Bela zornig, die Hand zurüd-
ziehend. — Sie haben ein böfes Herz !
Und ohne das Weib mehr eines Wortes zu
würdigen, griff er haſtig nach feinem Hnt, und
jtürzte zur Thüre hinaus. Ein jeder Tropfen Blutes
fochte in feinen Adern. Er rannte durch Die Gaſſen,
ohne den Gruß jeiner Bekannten zu erwiedern. Er
dachte dabei : bift du Advokat, fo fei fein Narr, ſei
nicht großmüthig. Uebergibt bir Jemand einen Pro-
zeß, fo fage ihm: zahle im voraus, entrichte bie,
Taxe, die Stempelgebühr, das Honorar,
— 1109 —
Nichts darfſt du in der Hoffnung thun,
daß dich dein Bewuſtſein entjchädigt, daß Dich die
Welt dafür achtet, und dag du im Jenſeits dafür
belohnt wirft, du evelmüthiger Advokat, welch’ eine
Yächerliche Figur jpielft du: du läufſt, ſchlägſt dich
herum, nügeft dich ab, für ein halbverrüdte eitle
MWeibsperjon, nur deßhalb, damit fie dir das Haus
über dem Kopf in Brand ftede, und dir das Mahl,
welches du mit deiner Familie einnimmft, vergifte.
Made es nun, wen du in Stande bijt einem Weibe
begreiflich, daß nicht jenes andere Weib Recht gehabt.
— Mit welhenm Gefichte wirft du vor fie treten?
Wird fie nicht deinen Kuß, und zwar mit Recht zu:
rüdweifen, in vem Wahne, das du ihn deßhalb bie-
tejt, weil ihn die andere nicht empfangen,
Es wäre beſſer geweſen, wenn du dich wäh-
° rend biefer Zeit mit der Heilung franfer Ratten
beſchäftigt hätteſt.
Bela zittert vor Wuth und Erbitterung, als
‚er die Thüre feiner Wohnung öffnete.
Judith trat ihm entgegen.
Bela Ihrad bei ihrem Anblid zurüd, als
hätte er wirklich gegen fie geſündigt.
Doch kam die Gattin nicht mit vorwurfs—
vollen Blick, fie lächelte, umarmte herzlich ihren
Gatten, und brüdte einen innigen Kuß auf feine
Rippen. Ihr folgte die Mutter, auch ihre Zärtlichkeit
— 111 —
kannte feine Grenzen. Schließlich fam noch Melchior,
welcher auch veögleichen that.
Bela kam e8 vor, ald wäre er von der Hölle
plöglich in den Himmel gefahren.
Judith war heute jehr wortlarg. Sie nahm
ihr Kindlein in die Arme, und trug e8 zu dem
Gatten, als würde e8 mehr ſprechen können. Bela
nahm Beide in feinen Schoß, und glaubte ven Him—
mel auf Erden zu befigen.
Die alte Lävay jedoch Fonnte das Glück nicht
jo ruhig hinnehmen, fie brach in ein förmliches Ge-
witter 108. „Er bat fie befiegt; er hat fie niederge-
ſchmettert! Bis in den Koth hat er fie getreten!...
Und wir träumten nicht einmal davon. Er bat uns
‚alles verjchwiegen ; und that Recht daran, Wir find
‚Weiber, wir hätten e8 in unferer Freude ausgeplau-
dert; die andern hätten e8 erfahren, und fich plöß-
lich zurückgezogen. Als wir Bela dafür ausichalten,
daß er fich mit ihnen abgibt, die wir fo ſehr haſſen;
da haßte er fie ftärker, er hat fie wie die Füchfe aus
dem Bau gelodt, um fie in der eigenen Yalle zu
fangen. Nun hat er fie auch verborben, und fo ift e8
gut! Enplich ift der Tag der Abrechnung gefommen !
O, dieſe Leute hatten viel auf der Rechnung ftehen ;
— jetzt ift die Schuld getilgt. Bela ift wieder mein
Sohn." — Dann wendete fie fih an Judith: Weib
achte diefen Mann! wer fo zu hafjen verſteht; —
weiß auch heiß zu lieben. |
— 112 —
Judith war eine gehorfame Schwiegertodhter
Sie umarmte und küßte ihren Gatten.
Doch ſchwebte auf der Stirne Bela’s noch
ein Schatten, welchen jein Kuß zu verfcheuchen ver—
mochte. In feiner Seele ſaß noch ein Stachel: ver
unwürdige Verdacht Seraphi-nens .... ob diefer
Stachel auch in Judith's Seele fit ? ...
Diefe aber errieth, was der Schatten auf,der
Stirne ihres Gatten zu bedeuten habe ?
— Eehen Sie, liebe Mutter, jet wiffen wir
auch, weßhalb Bela ven Echeidungsprozeß Seraphi-
nen® jo bejchleunigen mußte; . . . . Heute morgens
zürnten wir jogar darüber.
— Nur ich habe gezürnt: du nicht... .. . Ich
habe ihn geſcholten, du vertheidigteſt ihn.
— Konnte er es den zulaſſen, daß eine Frau,
Die einſt „meine“ gute Freundin geweſen; gerade
wegen meiner, und gerade durch ſeine Hand, ſammt
ihrem Gatten der Schande anheim fallen? ...*
Recht thateſt du, mein Bela, daß du Seraphinen
gerettet. .... Nun kann Sie das Schichkſal ihres
Gatten nicht mehr treffen.
— Ja wohl, ſie wird davon betroffen werden;
— erwiederte Bela ernſt. ... Sie ſelbſt will das
Schickſal ihres Gatten theilen, und hatte die Alten
des Scheibungsprogeffes verbrannt... . . Wie kann
fie ihn im Unglüde verlaffen?....
— 113 —
— Das war ein fohöner Zug ihres Cha-
rakters! ...
Die Anweſenden theilten die AnſichtJudits!
— Ein wahrhaft ſchöner Entſchluß — rief
Melchior, ſich vergnügt die Hände reibend.
Bela gab die Vertheidigung Seraphinen's
vor der Melt noch immer nicht auf.
Do wollte ver Schatten von jeiner Stirne
nicht weichen.
— 68 fällt mir jo eben ein — rief Judith
plöglich, daß ich vor faum einer Stunde einen Brief
zugeftellt befam, auf deffen Adreffe ich die Echrift-
züge Seraphins erfannte.
— Haft du ihn gelefen ? — frug Bela.
— Du weißt es ja, daß ich feit jener Zeit, wo
ich den Brief, mit der nachgeahmten Schrift meines
Baters erhielt, (jetzt weiß ich auch fchon von wen)
feinen berjelben öffne, bevor dul ihn nicht gelejen;
dann ſteht e8 deinem Gutdünken frei, ihn mir zu
geben, oder von mir ungelejen zu vernichten.
— Haft du jenen Brief bei dir? frug Bela,
indem der Schatten von feiner Stirne zu weichen
begann. |
— Ich trug ihn in der Tafche; da ich Did
mit bemfelben- erwartete.
Damit z0g Judith aus ber Taſche ihrer
Schürze, den auf grünes Papier gefchriebenen Brief
hervor.
Andere Zeitn, andere Menſchen. IV. Band. 8
— 114 —
— Das verbreitete alfo jenen Duft, den ich
bei Dir fo fremd fand ?
—- Du Schalf, wolltejt jagen „bekannt.“
Béla's Stirne verfinjterte ſich abermals.
— Zürne nicht — beichwichtigte Judith. Es
war nur ein Scherz. Was foll mit dem Brief
gejchehen ?”
— Erlaubſt du e8, daß ich ihn ungelejen zu—
rüdjende ?
— Wird e8 Seraphine nicht für Beleidigung
nehmen ?
— D, du wirft Sie fehr glüdlich machen,
wenn du ihr dieſen Brief unerbrochen zurüd.
jendeft.
— Thue nad deinem Gutvünfen.
Bela ging auf einen Augenblid in fein Ar-
beitszimmer, und jchrieb dort folgende zwei Zeilen
an Seraphine:
„Niemand bat den Brief gelejen; den In—
halt verzeihen Ihnen alle.“
Gr that diefe Zeilen, und den verbangnißbollen
Brief in ein anderes Kouvert, verſiegelte dieſes, und
ſandte es allſogleich an Frau von Fertöy ab.
Als Seraphine den Umſchlag öffnete, darin
ihren eigenen unerbrochenen Brief gewahrt und die
begleitenden Zeilen las, fiel fie auf die Kniee und
betete unter Schuchzen und Thränen.
— 15 —
Dann zerriß fie.ihren eigenen Brief in hundert |
Stüde und warf diefe ins Feuer.
Das Papier. aber mit den zwei Zeilen fal-
tete fie forgfältig zuſammen, küßte es, und ———
es in ihrem Buſen.
Eine Stunde früher, hatte ſie einen ganzen
Stoß jener Handſchrift verbrannt; — und doch
hatte dieſe Hand nur für ihr Heil gentbeitet,
Die Lävay's fchwelgten unterdeffen in ihrem
Glücke, und vergaßen auf Seraphine ganz... .
Melchior muß zum Mittagtifch bleiben, damit
fie ſich alle zufammen freuen können.
Der Heine Doftor betheuerte hoch und theuer,
daß heute jelbjt fein lahmer Fuß geheilt fei, und er
gute Luft zum Tanzen verfpüre.
Diefer Tag hat ja feinen Freunden ihr Ver,
mögen, die Ruhe der Familie, uud die Entgeltung
gebramt.
Dieſe dachten jedoch weder auf das rücker—
worbene Bermögen, noch auf die befriedigte Nache,
noch auf die neue Aera ihrer Liebe; ... ihre Auf-
merkſamkeit ift nur einem einzigen Gegenſtande zu-
gewendet und dieſes war das Heine Kindlein, wel-
ches zuerjt den Namen „Vater“ Talte.
Die Schatten wichen von allen Stirnen ; nur
die beiden gleichförmigen Narben auf der Stivne der
8*
— 116 —
Gatten erzählen von geheimnißvollen Zaubermär--
chen, welche einander wunderbar ergänzen.
Diefe beiden anauslöjfchlichen Zeichen erzäh-
len es deutlich, daß es einft einen Mann und eine
Frau gegeben, deren Yiebe über alles irdiſche erha-
ben gewejen. |
Judith ftieß einen Seufzer aus, welder in das
Reich der geftaltlofen Wefen hinüber flog.
— Siehe Mutter: und dennoch bin ich glücklich...
Das Geſpenſt.
Der Menſch ven die Schande drückt, finft
"von Stufe zu Stufe!
„Die Schande der fchönen Frauen ijt ein
furchtbares Privilegium." |
Wie Recht hatte Bela, als er Seraphine dieſe
traurige Philoſophie lehrte.
Fertöy ift elend gefallen. Er war jo unrettbar
verloren, daß er fich nicht einmal vertheidigen konnte.
Vene politiiche Mode, welche Herrn Fertöy auf die
Oberfläche ver damaligen Gejellichaft hob, war be-
reits im DBeralten begriffen und eine neue politi-
jhe Aera trat heran! Im Lnftkreife diejer Aera
‘war Fertöh für: die Mafßgebenden unmöglich
‚geworben, da er im öffentlichen Leben in Folge
feines Auftretens verhaßt gewefen, und da kam ber
‚Heine privat Skandal ganz gelegen. um ihn fallen
zu laffen.
Niemand Hatte mehr Luft, einen gemeinen
Delinquenten zu feinem politifchen Parteigenoſſen
zu zählen. Daß ift ſchon die Sitte der Welt. — —
-Derjenige, welcher gefallen, wird am meiften von
— 113 —
Denjenigen mit Fußtritten bedient, die e8 die Welt
vergejfen machen wollen, daß fie mit ihm auf glei-
chem Fuße geitanden.
Das Geſetz füllte ein eben fo ftrenges Ur-
theil über Fertöy, wie es die öffentliche Meinung
gethan,
Was kann aus der Gattin eines verurtheilten
Fälſchers werden ?
Was kann aus einer fchönen Frau werben,
bie eine „größere" Schande nicht mehr zu fürch-
ten hat.
Was kann aus ihr werden.
Entweder ein jchöner Leichnam, ven bie blauen.
Bellen ver Donau eines fchönen Morgens auf den
weißen Uferfand fpielen ; — oder eine ſchöne Maske,
welche mit ewig heiterem Yächeln eine Unterhaltung
nach der Andern bejucht — der Luft und dem Tau—
mel nachjagt, und Niemanden offenbart, welch”
tödtliher Wurm an ihrem Innern nagt.. .
Seraphine wußte zu leben! Sie hatte bereits
einen großen Auf. Eine andere Benennung wäre-
ſchwer zu finden.
Freude, Heiterkeit, leichtjinniges Leben!
Wer fönnte ihr vorwerfen, daß jie ihre Zeit ſchiecht
beuützte ?.
Niemanb, nur jie felbft.
Sie hatte abermals die Gewohnheit angenom⸗
. men, bei Tag zu fchlafen. Bis 10—11 Uhr fih im
%
— 119 —
Theater oder im Konzerte zu unterhalten, dann eine
fröhliche Geſellſchaft zu empfangen, deren Held ſtets
Fürst Wolozoff geweſen; die Nacht mit Trinfen und
Kartenspiel zuzubringen, und erft, als das Grauen
des Morgens durch die Vorhänge drang, fich jchla-
fen zu legen; das war ihre Tagesordnung.
Im Bette hatte fie jedoch faum einige Stun-
den verbracht ; trotzdem blieb ihr Zimmer bis Mit-
tag verſchloßen.
Aber nicht um etwa die unfehlbaren Kosme-
tifen der modernen Weltverfhönerer zu ſtudiren —
war fie doch jchön auch ohne diefe — jondern um
mit jenem umerbittlichen Berfolger Rüdiprache zu
nehmen, den der fühlende Menſch ſein eigenes
Gewifjen nennt. |
Denn wenn e8 wahr wäre, womit die Weifen
des Materialismus ihre Sünger fo Schön beruhigen,
daß nämlich die Seele nicht8 anderes als ein Flui—
dum fei, vieleiht wäre es dieſem zu gebieten, jet
mußt du Freude, jett Heiterfeit empfinden, jett haft
du ruhig zu fein, jetst mußt du fchlafen.... . aber bie
Seele gehorcht nicht... . . fie denkt; fie träumt von
ganz andere Dingen, ald e8 der nervoje Körper wün—
ſchen möchte ; — das Gewiſſen quält und peinigt und
läßt fich nicht in den Schlaf wiegen.
Seit jener Zeit, als Seraphine durch. Béla's
Arme vom Feuertodte gerettet wurde, hatte fie
aufgehört ein Tagebuch über ihre Träume zu
— 120 —
führen. Diefe Träume bejchäftigten fie nicht mehr
mit dem zurüdfehrenden Antlite des Verſtorbenen
.... fie wiegten Seraphinen in andere Phantafie
gebilve, welche fie nicht mehr zu Papier geben konnte.
Seit jener Szene aber, wo Bela ſich mit den
Worten vou ihr verabjchiedete: „Sie haben ein
böfes Herz," hatte das alte ZTraumgefpenft ihren
Plat wieder eingenommen und erjchien pünktlich in
hunderterlei Geftallten, um den urwächhigen Schlaf
Seraphinens mit feiner Gegenwart auszufüllen.
Seit diefer Zeit nahm Seraphine ihr Tage:
buch wieder auf.
Sie mußte ja ihre quälenden Träume vereiwi-
gen. Dann hatten dieſe Träume ihre neuen Studien,
je nach dem, als fich die Außenwelt gejtaltete.
Eine ausgedehnte Amneftie, welche zu jener
Zeit erlaffen wurde, hatte viele, die als Opfer ver
vergangenen bewegten Zeiten in verjchievenen Ker—
fern begraben lagen, von dieſem Tode erweckt, und
fie dem Leben, ihren Familien zurüdgegeben.
Wie viele der Feſte gab ed da im ganzen
Lande! ... Feſte der Freude für die Heimkehrenden,
Gattin, Kinder, Geſchwiſter und Freunde harrten des
Heimfehrenden, um das Geficht jenes Mannes zu füj-
jen, der mit ſchwarzem Barte die Laufbahn ver Bewe-
gung betrat, und jetzt mit grauen Haaren zurückkömmt.
Doch was gefchah mit jenen traurigen Ge—
ftalten, die niemand mehr erwartete ?
— 121 —
Mit jenen, über deren muthmaßliche Rück—
{ehr man zitterte? ...
... Einft befam Seraphine ein Gedicht zu
leſen; welches in irgend einem Morgenblatte erſchie⸗
nen war. Der Refrain diefes Gedichtes lautete:
„Weshalb kömmt er zurüd, den man ſchon
längſt begraben ?!" ... Das Gedicht erjchien pſeu—
donym unterzeichnet, dennoch fühlte fih Seraphine
vom Inhalt dieſes Gedichtes im Tiefjten ihres Her-
zens getroffen. -
Es kam ihr vor, als jähe fie Denjenigen,
welcher e8 gefchrieben, vor fich ſtehen.
„Längſt ift ver Platz ihon ausgefüllt, ven er
einjt eingenommen.
Auch ift fein Angedenfen Tängjt im leeren
Raum zerronnen.
Ein neues Glück erblüht hier.
Das alte iſt vergeſſen.“
Weßhalb kömmt er zurück, den man ſchon
längſt begraben ?
Auf Seraphinen machte diefes Gedicht einen
ichauerlichen Einprud.
Sie hatte vor dem Falten Geſpenſt Furcht,
welches feinem Grabe erjteigen könnte.
— 12 —
Wenn e8 plötzlich erichiene, mitten in ver
gläuzenden Abendgejellichaft, unter den Klängen der
Muſik, und fie „zu einem Tanz aufforderte! ....“
Welch graufiger Gedanke... .
Seraphine hatte feine Ruhe. Sie forfchte jo
lange, bis fie erfuhr, daß unter einem falfchen Na-
men,.ein politifcher Gefangener in feinem düfteren
Kerker einen Band Gedichte gefchrieben, den aber
fein Berleger anzufaufen fich getraue, da der Ver-
faffer feinen wahren Namen hartnädig verläugnete ;
und weil das Publikum in feinem patriotifchen
Schmerze gar feine Bücher außer den Kalendern
kauft. ... Sie verfuchten e8 demnad) das Werf im
‚Subffriptions Wege zu veröffentlichen.
Seraphine übernahm allfogleich einen dieſer
Bögen. Schrieb 200 fingirte Namen darunter und
zahlte den Preis; und jo machte fie e8 möglich, daß
die Gedichte baldigſt gedrudt zu ihren Händen
gelangten. |
Der Titel des Buches Tautete :
„Herbe Lieder“
gejungen
bon einem Geſpenſt.
Seraphine hatte jede Zeile des Buches ſtudirt.
Sie jchlief damit ein, und nahm e8 beim Erwachen
zur Hand. Aus jeder Zeile ſchöpfte fie die Ueberzeu—
gung, daß das dichtende Gefpenft, nur „ihr Geſpenſt“
— 123 —
jein könne, können denn Verse, wie die folgenden, a.
Jemanden Andern ald an fie gerichtet fein.
„Wäre ich doch längſt geftorben
In der Erde Schoß begraben; —
Du und ich, wir alle Beide
Würden e8 viel beffer haben.
In der Erde würd’ ich ruhen,
Und du bier auf Erden;
Keines von ung Beiden könnte
Seiner Liebe untreu werben.“
Können diefe Worte an jemanden Andern
gerichtet jein ?
Das Tagebuch Seraphinens begann fich zu
einer. wirklichen Anthologie umzugeftaliten. Sie hatte
ganze Bruchjtiide der Gedichte in dasfelbe übertra—
gen, mit ihren Bemerkungen, ihren Geftänpniffen ;
gegen manche Stellen vertheidigte fie fich, bei andern
hatte fie jelbjt die Anklage verichärft.
Ein namenlofer Ankläger ſtand ihr gegen»
über ; beide aber jtanden vor einen unfichtbaren Rich—
ter; täglich zu jeder Stunde des Alleinfeins.
.... Und dieſer Prozeß dauerte lange, jehr lange.
Bei einer Stelle, wo der Dichter klagt: daß,
als er obgachlos, zerlumpt, vor Hunger und Mü⸗
digfeit erjterbend, mit blutenden Wunden umher—
irrte, man ihm wohl Obdach und Speife gab, feine
Wunden verband, für das blutende Herz jedoch feinen
Balſam hatte, fchalt Seraphine folgendes ein:
„Es ift wahr, — auch meine Großmuth war
dieſer Art, auch ich handelte in verfelben Weife. ...
auch ich gab ja denjenigen, die für die Staatsgefan-
genen heimlich fammelten, Geld, Kleider, Arzneien
im veichlichften Maße — nie habe ich aber ein gutes,
jelbjt nicht ein fragendes Wort für ihm eingelegt,
Glaubte ich doch dem Worte eines einzigen Men-
ſchen, daß er gejtorben jei; — und dieſes war das
Wort eines Fälſchers.
Somit Iaftete auch Fertöy's Schuld auf
ihrer Seele.
Der Fälicher von heute, konnte er nicht auch
damals ein Fäljcher geweſen ſein, als er den Tod
Roberts bewies?!.
Das finſtere Gemüth des Dichters äußerte
ſich an vielen Stellen in den ſchärfſten Sarkasmen;
wie ein auf die Gaffe geſetzter Raſender fchien er
die Fenfter jenes Haufes, das einſt ihm gehört, mit
Koth zu bewerfen; feine Gedichte waren wie bad
Hohnlachen eines Todtengerippes, welches feinem
Grabe entjtieg, um die Freuden der Lebenden zu
verhöhnen.
Seraphine hatte beinahe die fefte Ueberzeu—
‚gung fich beigebracht, daß der Verfaßer diefer Ge-
dichte Fein Anderer, ald Robert fein könne, daß er
Sn Me
möglicherweife unter ber Maske einer derjenigen
finftern Geftalten fteden könne, die unter den Thor⸗
gängen der Häufer fich verbergend, das Handwerk
des Betteln lernen. Sie jagen blos „mein Herr,"
„Madame“ und auch daß nicht jedem Meenfchen,
höchſtens dem Zehnten, zu dem fie Vertrauen haben,
daß er fie nicht verachten, nicht zurückweiſen, ihnen
nicht jagen wird, daß fie noch arbeiten könnten.
Einige haben vielleicht bereit graue® Haar und
Ihwarze Kleider, die fadenfcheinig, zerriffen und ge=
flieft find. Seraphine pflegte ihnen kleine Münzen
zu geben, ohne fie anzubliden. Später wird fie ihnen
nicht8 mehr geben, denn fie wird es nicht wagen,
vor ihnen jtehen zu bleiben, die Augen zu ihnen zu
erheben — den fie könnte unter den Bettlern ihn
erkennen.
Ja, dieſe Gedichte — jedes einzelne derſel—
ben war ein Dolchſtoß gegen das Herz Seraphines.
Hätte der Dichter das gewußt, welche Grauſamkeit
er an einer Frau begeht, die ihm nichts zu Leid
gethan! |
Wir wiffen e8 wohl, daß nicht Robert dieſe
Gedichte gejchrieben, denn er ift längſt bort, wo
man alle Unbill verzeiht, und von wo Niemand zu=
rüdfehrt, um Rache zu üben.
Der anonyme Dichter dachte ficherlich nicht
an Seraphine; vielleicht wußte er garnichts, von
ihren Erlebniffen. Es war blos Einbildung; e8 war
‘das Gewebe einer Spinne, Die aus dem angejam-
melten Gift bunte Seidenfäden ſpinnt; oder es war
vielleicht da8 Drama eines anderen Menjchen, wel:
ches zufällig Aenlichkeit mit Seraphinens Lebens—
ereigniffen hatte.
Die Frau, auf welche die Gedichte fich bezo-
gen, iſt vielleicht nicht einmal die Gattin desjenigen,
der die Gedichte gejchrieben. Vielleicht ift fie ſchon
geftorben ; vielleicht hatte fie nie gelebt ? wer wollte
es mit den Idealen des Dichters jo genau nehmen.
Seraphine litt durch dieſe Gedichte außeror—
dentlich. Nachgerade wagte ſie ſich nicht mehr zu
Fuße auf die Straße, und wenn ſie einer Geſtalt
begegnete, bezüglich welcher ſie eine dunkle Ahnung
hatte, fie in glänzenden Tagen geſehen zu haben,
dann zog fie ſich ſcheu in den Hintergrund des Wa-
gens zurüd. „Wie wenn er e8 wäre.“
Arme Frau! er Schläft ſchon lange,
An einem Falten Dftobermorgen fam Bela
eilig nach Haufe aus irgend einem Gerichtähofe.
— Halt Junge, wirf mich nicht um, jchrie ihn
eine heiſere Stimme an und eine eigenthünlic
verwitterte Geftalt faßte ihn an der Bruſt.
Bla war von diefer ungewöhnlichen An—
ſprache überrajcht. Es ift jchon lange her, daß. man
ihn Junge genannt, und auch. damals nahm nur
— 127 —
ein Menſch diefe Kühnheit fich heraus. Er jah dem
Menſchen ſcharf ins Geficht.
Es war eine jehr verwahrlofte Erjcheinung.
Haare und Bart wirr, ftarf mit Grau gemifcht; die
Geftalt Shwerfällig, die Stirne gefurcht, das Geficht
aber hatte die Kupferfarbe, welche ftarfe Getränfe
‚an die Haut malen. Die Kleider hingen ihm blos am
Leibe, als ob er fie nur ausnahmweiſe trüge, ſonſt aber
in bloßen Hemde zu gehen pflegte. Das Halstuch
dürfte ohne zweifel jeit mehreren Tagen ihm nicht
von Halje gekommen fein, e8 ift jo verknüpft, daß
man e8 nur durch Zerjchneiden löſen könnte.
— Na, das fehlt no, daß auch du mich
nimmer erfennft! grollte ver Mann.
Darauf fiel ihm Bela um den Hals und
füßte ihm.
Pußtafi!
— Ja wohl, Pußtafi! fprad) ver Mann und
lachte bitter. Du haft alfo doch meinen Namen nicht
vergeſſen. Schau! ich habe Dich erkannt.
— Du haft Dich ſehr verändert.
— Nicht wahr? ich bin Did geworben? ja
die armen Gefangenen leben jehr gut.
— Nein aber du bift grau geworben.
— Das hätteft.du wohl wilfen fönnen. Wir
find nicht erjt feit gefjtern auf ver Wander. Sag”
mir aufrichtig, iſt mein Geficht fehr Fupfern gewor-
den, ſeitdem du mich nicht gejehen ?
— 1283 —
— Komm’ zu mir, verlafjen wir die Straße r
— Hm, mit welder Beratung du von der
Straße fprichft. Dir ift es leicht, haft fie oft genug.
durchiwandert. Mir aber gefällt die Straße, mir
gefallen die Menfchen, die mich rechts und links bei
Seite jchieben, die ſchönen Mäpchen, die zurück
hauen, und die großen Herrn, die mich nicht einmal.
anbliden. Solche Genüße findet man nicht dort, wo
ich gewanbert. Aber, zum Teufel, du mußt nicht
glauben, daß ich Dich mit meinen Kerfererlebniffer
zu unterhalten gedenfe, wie ein neugebadener Mär-
tyrer, der ſechs Wochen gefeffen und nun bei jedem
Schweinſchlachten davon erzählt. — Thut nichts.
Alles in Ordnung. Das Leben ift ſchön. Alfo führe
mich in deine Höhle, wo ift fie?
Bela nahm feinen Freund an der Hand, der
fo ſtolz war, daß er nicht einmal ihm mitiheilte, wo-
er fih aufhielt. Dafür wird er Vorwürfe genug er-
halten, wenn fie allein find.
Und Bela that fehr wohl, daß er ihn an ver
Hand nahm, denn die Beine des braven Mannes
ſchwankten bedenklich. |
Bela ſah ihn traurig an. Was ift aus dir
geworben ? |
Befondere Anftrengung foftete es Bela, ihn
auf die Treppen hinaufzubringen. Pußtafi behaup-
tete, daß feine Beine gejchwollen jeien,
— 120 —
| — Ab, du haft ja eine herrliche Wohnung,
Tagte Pußtafi, ale Bela ihn in’s Zimmer führte;
feine jolche, wie jene, die in einen Garten ſtieß, wo
ich Dich das letztemal gefehen. Aber e8 gefällt mir
beſonders, daß du feinen Spiegel: im Zimmer haft.
Gehört aud) nicht in das-Zimmer eines Mannes.
Denn weißt du, e8 gibt viele Gefichter, die ich wicht
gerne ſehen mag, und zu biefen gehört vor allen
Andern das meinige. Neun Jahre ſind's, daß ich in
keinen Spiegel gejehen. Aber da fpreche ich fchon
wieber nur von mir. Dumme Rede. Wie geht es
dir ? Sprich bavon. Noch immer die Honigmonate ?
— Noch immer.
— Ich weiß e8, barüber machte ich mir feine
Sorgen. Das Band welches ich gefnüpft, zerreißt
nicht leicht. Haft Du viel „neue Generationen ?"
— Eines ift die ganze Armee,
— Ein Knäblein ?
— Ja, aber e8 ift noch fehr jung.
— Na, das werbe ich erziehen.
— Das braucht noch eine Amme und feinen
Erzieher.
— So würde ich wohl ſagen: gut, ich werde
feine Amme. Aber ich jelbft lebe nur von einer
Ammme. Trinke nur Milh. Der fromme Wirth
zur „blauen Katze“ ift meine Amme.
Bela wußte nicht ob er weinen oder la—
hen ſoll.
Unbere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 9
y
— 130 —
Pußtafi gab die Entjcheivung. Er fing jo laut
zu laden an, daß der Seffel unter ihm krachte und
feine Augen fich rötheten, die er dann mit einen fehr
bunten Seidentuche trodnete.
— Giehft du, mein Sohn, wie toll das Leben
ilt, fagte er dann ernit, als er bemerkte, daß das
Gelächter bei Bela nicht verfangen wollte. Reich mir
die Hand, ich möchte aufjtehen.
Bcela half ihm vom Seffel auf. Der Dichter
neigte fich zu ihm und flüfterte ihm in die Ohren:
— Seit geftern Abend bis zu unfer heutigen
Begegnung habe ich ununterbrochen getrunken, bald
Wein, bald Branntwein.
— Um Öotteswillen, Du tödteft Dich damit.
— Auch Du glaubft es ?
— Ich bin ernftlich beforgt.
— Schau, das haben mir jchon viele gejagt,
welche ich für Freunde halte, „Wenn du fo fort
fährft, mußt Du in einem Jahre fterben.“
— Und Du glaubft ihnen nicht?
— Gerade veßhalb trink ich ja, weil ich ihnen
glaube,
— Haft Du aljo mit ver Zukunft abge:
ſchloſſen?
— Sprich nicht ſo thörichtes Zeug, mein
Junge! Siehſt Du, ich muß ununterbrochen trinken,
damit ich ein guter ruhiger Mann ſei. Aus mir
macht der Wein einen ſanften ſpaſſigen Menſchen.
— 131 —
Und das ift jehr nothivenbig, denn wenn ich auch
nur auf eine Vierteljtunde ermüchtere, daß ich Herr
meiner Gedanfen und Gefühle wäre, dann müßte
ih wahnjinnig durch die Straßen laufen und Jeden
ven ich antreffe, wie ein ſcheues Roß ftoßen und
beißen, ich müßte mich auf den Markt ftellen und
aus voller Kehle fluchen. Ein Glück, daß ich nie
nüchtern bin. Zaucht irgend eine Erinnerung in mir
auf, jo gieß ich ihr jogleich ein Glas Wein auf den
Hals, damit fie einjchlafe; oder ftedt aus dem
Sumpfe ver Zukunft irgend ein myſtiſches Gefpenft
feinen Kopf hervor — fo gieß ich Wein darauf, fo
Lange, bis e8 erfäuft. Schließlich umgibt mich dann
dieſe fromme, ruhige, bezilinderte Gegenwart mit
ihrem eintönigen Getöje, das mich zu andern Zeiten
wahnfinnig gemacht hätte. Wein und immer nur
Wein darauf, bis ich in ver Fluth ſchwimme, wie
ein armer, in's Waſſer gejtürzter Tropf, ver, fo
lange er lebt, immer zu Boden finkt, und nur wenn
er geftorben ift, an die Oberfläche taucht.
— Aber der Menih Hat nicht nur für fich
‚zu leben. |
— Für wen fonft?
— Fir fein Vaterland.
| Pußtafi lachte auf, und fein Gelächter Flang,
wie wenn ein kranker Menſch aus ganzer Kraft
huſtet. *
9*
=. 189 =
— Seinem Baterlande? Hahaha! Möchteft
Du mir nicht erklären, was das ift, ob eine Stabt,
ober ein Komitat, oder gar ein ganzer Statthalterei-
diftrilt ? Bedenke, daß ich in der Wojwodina geboren.
bin. Oder verftebjt du ein weitere® Vaterland. Viel-
leicht gar den ganzen Rheinbund, fprichft bu von
meinem engeren oder bon meinem weiteren Bater-
lande? Denn ich weiß nicht, welchem ich den Schuld—
brief unterfchrieben habe.
Bela wendete fich traurig ab.
— Na, na, guter Junge, erzürne Dich nicht
* wende Dich nicht ab. Siehſt Du, Ihr Uebrigen,
Ihr habt Recht. Ihr ſagt, ſeien wir Ameiſen, tragen
wir atomenweiſe zuſammen, was der Blitz auf ein⸗
mal zermalmt hat, und Ihr ſeid ſchon geſtählt durch
die Arbeit. Aber ich bin jetzt aus den Wolfen nieder⸗
gefallen, ich fühle mich wie Jemand, ber ein Jahr:
zehente gejchlafen und, nun erwacht, nicht zu glauben:
vermag, daß andere Loſungsworte die Geſchichte des
Tages dirigiven. Ein Steinfchleuder nach Erfindung
des Schießpulvers. Was foll ich hier unter Euch ?
Soll ih Stempel auf Alten kleben? Oder foll ich
mit traurigen Batrioten auf die Wander gehen, um
den „Szoͤzat“ zu fingen bei feierlichen Gelegenheiten ?
Oder joll ich verrüdte Verſe über Liebesgefchichten
ichreiben ? Oder fol mich wie ein Narr anftellen
und neun Purzelbäume fchlagen, um mit dem Kopf
nach unten gelehrt, einen zweibdeutigen Wit zu fchlä«
— 133 —
‚gen, mit welchem ich die Zenfur betrüge. Soll ich
von China, vom Monde, von Liliput Allegorien
jchreiben ? Oder joll ih ale Sklave zu irgend einem
Blatte mich verdingen, und den fandigen, fterilen
Boden der europäifchen Diplomatie adern ?
— Nein, es iſt nicht nothwendig, daß bu
irgend eines von alldem wähleft.
— Was fonft?
— Du ladteft mich aus, da ich fagte, daß
das Baterland Rechte an dich hat. Hat das Vater-
land feine Anjprüche, jo habe ich ; lebe für mich.
Pußtafi umarmte Bela, drückte ihn an fi
und weinte,
— Du bift ein närrifher Junge! warft es
immer. Ich joll für Dich leben ? für Dich ?
— Das wäre doch wohl ganz einfach. Es ift
dies ja eine alte Gejchichte zwifchen uns. Hatten wir
ein Stüd Brod, fo theilten wir e8. Wir werden dies
fortſetzen. Es geht ja auch mir fo mit der Welt, wie
Dir. Ich ziehe darin viel umher, aber ich lebe nur
zwifchen ven vier Wänden. Bleibe bei uns. Du wirft
ein Heines ruhiges Zimmer haben, wo Niemand
Dich ftört, und "alle, die Du ſehen wirdft, find er-
probte Menfchen, meine Mutter, meine Frau und
Melchior.
— Deine Frau? fagte Pußtafi, und iwieber
30g jener ſatiriſche Zug über fein Geficht herauf, der
— 134 —
einer weicheren Stimmung gewichen war. Er dachte
ungefähr: „Sch ſoll deiner braven Frau einen jolchen
Säufer ins Haus bringen, wie ich einer bin ?'
— Ya wohl, meine Frau erwähnt Dich öfter.
Hat jo unfer Leben kaum eine Epoche, in welcher Du
feine Rolle fpielteft. Sie wird fich jehr freuen, wenn.
Du bei unsbleibft, das kann ich Div wohl fagen.
| — Weißt Du Kamerad, fagte Pußtafi mit
abweijendem Hochmuth. Ihr ſeid feine Menjchen für
mich. Ich brauche Menfchen die mich haffen, die ihre:
Seffeln bei Seite fchieben, wenn ich mich unter jie
ſetze, Die ihre Ohren verftopfen, wenn ich fpreche, und-
bie Galffieber befommen, wenn fie mit mir gejtritten.
Sch gehe am liebſten unter Diejenigen, die mich bei-
Ben; und bie ich auch beißen kann. Die bei jevesma-
ligen Zufammentreffen mit mir wüthender werden,
die mich mit ftechenden Blicken anſehen. Wenn fünf
oder ſechs mich anfallen, wie klaffende Hunde, die
eine Schlange aufgejagt und fie,nicht anzurühren
wagen — jo ift dieß mein Vergnügen. Ich jage
ihnen Örobheiten, die mir das Herz erleichtern. Ih
weiß uicht, ift dies der Vorgefhmad der Seligfeit,
oder der Verdammniß, aber jedenfalls ift dies eine
überirdiiche Unterhaltung. Bei euch würde ich mir
am erſten Tage den Hals abſchneiden. Einen Mann
zu jehen, ver ehrlich ift, eine Fran bie treu, einen:
Freund, der mich liebt, ein Schickſal, das gerecht, eine
— 135 —
Familie, die glücklich ift und dazu mid) und biefe
Welt. — Das würde mich wahnfinnig machen. Laß
mich herum beißen mit den Menſchen. Vielleicht
erjchlägt man mich irgenbwo. Doch fürchte nichts,
man jchägt mich nicht tobt, denn man geht mir aus
dem Wege.
Es war dieß ein Meer voll Bitterfeit, deſſen
Ufer und Grund man nicht jehen Fonnte.
Bela blieb trauererfüllt vor diefen Ruinen
ftehen, die man nicht mehr aufbauen fonnte. Selbit
der Künſtler, deſſen Werf fie war, könnte fie viel-
leicht nicht wieder erbichten.
— Doch laß mir jegt etwas zu trinfen rei-
chen ; nein nein, mißverjtehe mich nicht. Nicht Wein
gib mir zu trinken, fondern Waffer. Ich muß heute
noch eine jchöne Frau bejuchen, und es wäre mir
unangenehm, wenn man ben Wein an mir wahr:
nehme. |
— Du? Du bereiteft dich vor zu einer ſchö—
nen Frau zu gehen ?
— Ja. Zu Frau Fertöy. Sie ift ja auch,
Deine Bekannte.
— Was haft Du dort zu N Fragte Bela
verwundert.
— Ich habe eine menge Unfinn unter pjeubo-
numen Namen zufammengefchrieben, auf welche die
————
fromme Seele zweihundert Subſkribenten ſammelte,
dafür muß ich ihr danken. |
— Du willft perfönlih dafür danken, daß
man beine Werke kauft? Wo ift dein Stolz hin-
gerathen ? |
| — Stolz? ſprach Pußtafi mit chnifchem
Spotte. — Niſtet alſo dieſes Thier noch unter die—
ſem Klima? Ich glaubte, daß dieſe Race längſt aus—
geſtorben, wie die dead Mopſes. Denn wenn nur ein
Kleines Theilchen des ſchamhaften Stolzes auf diefen
vertheilt wäre, jo müßte jeder Menſch mit verſchlei—
ertem Gefichte auf der Gaſſe gehen. Iſt es denn
nicht die höchſte Potenz der menjchlichen Unver--
Ihämtheit, vaß „wir“ noch leben? Doch laſſen wir
die Sophiftil, Ich wollte ein Geheimniß vor Dir
verbergen, und verrieth mich dabei. Das ift’8 nicht,
weßwegen ich Frau Fertöy aufjuchen muß.
— Du würbdeft e8 auch vergeblich fagen, denn
ich würde e8 nicht glauben.
— Du haft Recht; ich kann für Nichts danken.
Hab’ ich etwas, jo iſts gut; habe ich Nichts, auch gut.
Alios vidi ego ventos! Ein Staatsgefangener er-
hält täglich fiebenzehn Kreuzer, und das ift ein enor-
mes Geld. Ein Tapezierer, der mit mir in Joſefſtadt
eingefperrt war, ift der einzige Menſch, welcher mich,
in meinem Leben befchämte — ber erjparte noch
täglich acht Kreuzer, welche er feiner hungernden
— 137 —
Familie jchiekte, und lebte dabei von den übrigen
neun Kreuzern wie ein Fürft. Doch bitte ich Dich,
mir den Gefallen zu thnn, mir einen Rippenftoß zu
verjegen, fo oft ich von meinem Serferleben zu er-
‚zählen beginne. Es jcheint mir auch etwas von ber
Manie angeflebt zu fein, aus den Gefängnißerleb-
nißen ein Aneldotenkapitl zu fchlagen um von
deſſen Zinjen zu leben ; alfjo ich wollte von Sera-
phine jprechen.
— Ya wohl.
— Ja wohl. Du faltblütiger Gatte. ... Er
ſagt beim Namen einer ſchönen Frau „ja wohl." —
Ich habe ihr zwei Nachrichten mitgebracht von ihren
beiden Gatten.
— Bon ihren beiden Gatten ?
— Nun ja; von dem Todten und von bem
Lebenden. Dabei barfit Du aber ja nicht etwa
glauben, daß ich mit Geiftern verfehre, außer im
flüßigen Zuftand.
— Robert ift alfo wirflich geftorben ?
— Gewiß. Ich jelbft habe ihn begraben. Ich
bereitete ihm eine römifche Leichenfeier auf ven Ro-
gus. Konnte e8 nicht anders; wurde durch Kofafen
und Wölfe verfolgt. In feiner Sterbeftunde betraute
er mich mit einer Nachricht, die ich wegen Fleinlichen
hindernden Umftänden bisher nicht ausrichten Tonnte.
— 1358 —
— Mit ihrem andern Gatten — den Du in eine fo
fhöne Sauce getunft — traf ich in meiner alten
Wohnung zufammen. Der brave Mann wurde in
dasfelbe Koch geitedt, aus welchem man mich hinaus
ſchmiß. Ich habe ihn alſogleich erkannt, trotzdem,
daß ich ihn nur ein einziged mal im Leben fah.
Hahaha!... Welch eine Hlägliche Figur der Aermſte
fpielte. Seitdem er im Arrejte figt, hat er weder
jeine Haare, noch jeinen Bart und Schurbart ge-
färbt; mit den weißen und ſchwarzen Borften, die
ihm nachmuchjen, jah er wie ein auftraliiches Sta-
chelſchwein aus. Ich liquidirte ihm all meinen Befig-
thum, welches ich mir während den fieben Jahren
theil8 an irdenem Geſchirr, theis an Erfahrungen er—
worben ; wofür er mir mit loyalerÖffenheit erzählte,
welche Fatalitäten Du ihm auf ven Hals gebracht.
Wahrlich ein profaifches Fatum! Auf einem Heinen.
Bogen Papier fich den Hals zu brechen ! Er erzählte
mir auch, wie Barfing während des Transportes
auf der Eifenbahn entwijchte,
— Was? Barfing ift entwijcht ?
— Du fannft ficher fein, daß er einjt noch als
ein für das Vaterland leidender Emigrant zurüde
fehren, und über minder radikale Patrioten, als er
gewefen, urtheilen wird. Seiner wartet noch eine
große Rolle. Erinnere Di einft, wenn bein Hals-
unter die Guillotine geräth, daß DBärfing es ift, der
*=109 =
dir den Kopf abbauen läßt; weil er ein größerer
Patriot ift als Du.
Pußtafi ließ ein bittere Lachen bei dieſen
Worten vernehmen.
— Wie oft hörte ich dieſen Menfchen deklami—
ren und wie oft ſah ich ihn laufen! wo etwas zu eriwis
ſchen war, da müßte er dabei fein; wo e8 zu Thaten
kam, da trollte er fich aus dem Staub. Stets fand
er ein gehörntes Vieh, daß ihm Glauben fchenkte,
ſtets ein dummes Roß, daß ihm willig den Rüden
bot.... Die Gelfe, welche fich mit Blut vollgefaugt,
fchuldigte die Biene der Selbftfucht an ; weil fie ſich
fur die Zufunft abnützt..... Elende, unbankbare
Zeit! Die du alles vergißt! Den Arm, welcher
gekämpft, das Herz, welches geblutet, das Haupt,
welches vom Denken grau geworben ; nur bie Zunge
vergiß nie Du, welche dir die Ohren voll ſchrie. . . -
Ich bitte dic) Bela, verfeg mir Doc) einen Rip-
penitoß. |
— Ich bitte Dich fahre fort. ;
— Wie fchöu das Leben ift; jehr ſchön. Könnte
ih mir ein größeres Glück wünſchen, als daß
ich, der Kourier eines Spigbuben fein kann,
welcher mid) dazu benütt, um an feine Gattin
Nachrichten zu fenden, die eine par exellence:.
fchöne Frau ift.
Ah, wie mich die Götter lieben; wie zum
Teufel jollten ſie's auch nicht thun ?
— 140 —
Als man für Pußtafi das Waffer herein
"brachte, trank er den ganzen Innhalt des Kru>
ges aus, —
— ©..... Nun erinnere ih mich auch
‚welche Nachrichten die beiden Gatten am ihre ge-
meinfame Gemahlin fandten? Die Botjchaft des .
einen lautet ſehr kurz: „mein Blümchen, ih bin
todt, kannſt mich vergeffen." Die des andern deſto
länger. Der fleht im Gegentheil, daß jeine Frau
feiner ja nicht vergeffe; fie möge ihm dies und jenes
ſchicken, namentlich fo viel Geld als möglich, denn
er brauche es. Woher fie es nehmen möge, das läßt
‚er ihr nicht jagen; doch Fonnte ich feiner Reden
‚entnehmen, daß eine Menge gefeßlicher Nafarener
jein Vermögen mit Beichlag belegt hatten und daß
auch die Mitgift ver Frau bereits in Gefahr fei;
doch daß fie gute, alte Freunde habe, — weißt Du:
‚gute Freunde! — Unter andern irgend einen
ruffiichen Fürften, der viel für fie thun könnte. Unter
uns gefprochen, wenn ich eine Fran wäre, könnte ich
auch in bie Ruffen verliebt fein. Das ift jo mein
Geſchmack. Auch fo find fie Gegenstand meiner Be-
wuuderung, feit Mentjchifoff mit dem Hute auf dem
Konpfe in den Divan ging. Doch bitte ich Dich, gib
mir einen Stoß — damit ich nicht politifire. Siehe
was für ein alter Schwäter ich geworden. — Ich
verjchwende die Worte, als ob man mir per Bogen
‚dafür zahlte.
— 141 —
Bela’s geiftiger Blick fehweifte zu jenem Grabe
zurüd, von welchem pußtafi nur ſo vorübergehend
geſprochen.
— aAlſo Robert ift wirklich todt?
— Ja, mein liebes Kind. Und ſeither erblühen
aus ſeiner Aſche ſo ſchöne Herbſtblümchen, wie ſie
eben nur gegen Oktober vorkommen. Wenn Du über
eine übrige Zeit verfügft, fommjt Du mit mir, nach
Siebenbürgen; ba fuchen wir jenen Sumpf auf
und führe Dich Hin zu jener Weide, wir rollen
einen Stein an den Ort, wo unferer tapferer
Kamerab ruht, und graben feinen Namen in ben
Stein.
— Ich nehme Dich beim Wort. Noch in die-
fem Winter, wenn der Moraft zufriert, da kann man.
leichter dahin kommen.
— Armer Burſche! Sein lettes Wort war:
Kamerad, vergeffe meinen Trauring nicht. Ich ver-
gaß auch nie darauf, trug ihn immer auf dem Finger,
als wäre ich mit ihm verlobt gewefen. — Und wie
oft doch hätte ich ihn mit einem guten Maaß Wein
umtaufhen können! Der Gnädigen fchrieb ih noch
von Arad, daß Ihr Mann geftorben, und ihr Trau-
ring bei mir zu haben, doch fam fie nie darum, oder
befam meinen Brief nicht. — Nun kommſt Du ficher-
mit mir zu Seraphine ?
— Ich gehe nicht.
— 142 —
— Du fommft nicht ?
— Ich meide dieſes Weib.
— Du auch? Was verbrach denn dieſe Frau?
daß fie heute dieſen liebte, morgen jenen ? Iſt denn
das eine Sünde? Wenn ein Mann binnen Jahr
und Tag feinen Glauben, feinen Gott, feine Überzeu—
gungen fiebenmal gemwechjelt hat, jo bleibt ver ein
Ehrenmann; wenn aber ein Weib, veffen Herz der
‚Schöpfer jo zart gebaut hat, den füßen Worten der
Liebe zuhört, und fich lenfen läßt, wodurch fie Nie-
manden gejchadet ; dann ijt fie entehrt! Was that
fie denn ? Hat fie geraubt ? Nein. Sie hat Gejchenfe
ausgetheilt. Hat fie gemordet? Nein. Sie hat be-
glüct. Und die Welt verurtheilt fie dennoch. Ich
‚vertheidige fie aber! und wenn alle Welt Steine auf
ihr Haupt wirft, fo werfe ich die Steine auf alle
Welt zurüd,
— Donnere nicht mein Alter, jo gewaltig.
Ich werfe feinen Stein über Frau Fertöy. Ich ſchenke
ihr die ganze Schöne Welt, Soll ihr gehören. Ver—
jtehe mich recht. Ich muß bier zu Haufe darüber
Rechenſchaft ablegen, wo ich herumgehe ?
Pußtafi jchlug ſich vor die Stirne.
— AH! Ich amerifanifcher Büffel! Daß ich
dieſes nicht errieth, daß fo ein Ehrenmann, wie Du,
nothmwendigerweife unter Bantoffelherrichaft fteht.
Erröthe nicht, mein Kind! daß ift die einzige Tyran-
— > nn
nei, die man vespektiven muß. Komm, laß did ums
armen.
Bela leugnete mit feinem Wort.
— Es ift fo. Iſt man jung, fo fieht man bie
Welt jo groß, man denkt fie ift voll mit lauter guten
Freunden, Geliebten, Verehrern, Unterthänigen, Die-
nern, Dann ſchrumpft die Welt allmäblig zufammen
bi8 mans erfährt, daß die ganze Welt die vier
Wände find, und daß einzige, was und gehört, das
Weib, die Mutter und das Find.
— Eine jchredliche Wahrheit, die Du aus-
ſprichſt. Wenn ich Hundert Menſchen befrage, wie
es geht: fchimpft ein jever über die chlechte Welt,
doch eine fo graufame Kritif — ſprach noch Reiner
darüber, wie Du in ven Worten „ich bin glücklich
— zu Haufe" — doch wenn ich die Leute jo är-
gern könnte!
— Du Fönntefi es. Erobere Dich ſelbſt zu:
rüd, und fei, was Du vorhin geweſen: der Stern
deines Landes.
— Lieber Freund. Sterne gibt ed nur noch auf
ven Krägen der Beamten. Mein Geift und Körper
gehen ihrer Auflößung entgegen. Was ich fchreibe,
ift ägendes Gift: Fein Gefang mehr, nur gereimtes
Fluchen. Wenn ich verrede, wird jeder Menjch
jagen ; „wohl geihab ihm!" — doch nein, nein.
Seien wir nicht ungerecht zu meiner Nation. Man
azın u
er HER
wird mich pomphaft beerbigen. Es ift ja eine natio=
nale Unterhaltung bie geftorbenen Dichter glänzend
zu begraben. Und alle Welt fo mich binausbegleiten
wird, joll mir unisono nachrühmen: „war auch ein
großer Mann, hat fih auch zu todtgefoffen.”
Hahaha!
— Ach ich bitte Dich: ſpreche nicht, lache
nicht ſo!
— Nein, nein. Du wirſt auch dabei ſein und
dir denken: dieſer Menſch hat ſich nicht die ſes
Begräbniß gewünſcht. Ich bitte Dich, laß mir noch
einen Krug voll Waſſer geben, Du ſiehſt ja, —* ich
noch immer betrunken bin.
Armer alter Poet. Betrunken si Du,
und bleibjt bis zu deinem Tode. Doch nicht vom
Wein, fondern von dem bittern Kelche, ven Du bie
zur Hefe geleert!
— Alſo bleibe Du zu Haufe. Ich finde mich
ſchon allein hin, wo bie ſchöne Dame wohnt. Ich
fah fie bei ihrer Thüre herausfahren. Notirte mir
das Haus. Es ift zwar unter dem Thorgang ge-
fchrieben, daß das „Betteln und Haufiren verboten.
ift,“ aber vielleicht wirft man mich nicht hinaus. Ich
verlaffe mich auf die Proteltion ihres Bedienten,
den ich auf dem Bock erkannte. Ich glaube, er heißt
Wenzel. Lernte diefen Hochgeftellien Mann
— 145 —
in Komorn Tennen. Damals gab ich ihm einmal
zwei Silberzwanziger zum Trinkgeld und ich las
in diverfen Romanen, daß die Menjchen vie Wohl-
thaten zu vergelten pflegen. Vielleicht erwirkt mir
"Wenzel, daß ich vor ihre Herrin treten kannn. —
Hahahahaha!
"Andere Zeite, andere Menſchen. IV. Band. 10 °
Der Ring des Gatten.
Zwei Tage früher, vor dem im obigen Kapitel
geichilderten, hatte Seraphine einen böfen Tag. Bis
zum Abend empfing fie Niemanden. Am Abend blieb
fie zu Haufe; für die Nacht jperrte fie ihr Zimmer
ab, und war bis zum Morgen wach! Sie hatte an
ihrem Tagebuch gefchrieben. Ein neues Kapitel be—
gonnen: „Heute jah ich ihn. Als mein Wagen aus
dem Thore fuhr, ftand er vor mir. Er wäre beinahe
zertreten worden.
Er lächelte jevoh und grüßte. Das Blut
gerann mir in den Adern. Diefe Züge, diefe Augen,
biefer Blil!.... Er war e8. Zeit, Elend und -
Schmerz hatten fein Antlig gefurcht; demnach kann
ih es mir nicht verleugnen, daß ich ihn erfannt.
Meine Seele Hammert fich an eine vage Idee, wie an
einen rettenden Strohhalm: es fcheint, als hätte es
Jemanden auf der Welt gegeben, ver Robert ähnlich
jab, und als hätte ich diefen Jemand einft gefannt,
»
— 147 —
doch firenge ich vergebens mein Gedächniß an; ...
vielleicht hatte ich e& auch nur geträumt?.. . Wie
jollte ich Jemand Tennen, den ich nicht kenne?.
Er grüßte mich mit einem befannten Lächeln; dieſes
hatte etwas bämonijches, etwas hölliſch bitteres,
was mir in das Herz ſchnitt. Seine Lippen ſchienen
zu jagen: „Wie gut wäreft du gefahren, wen mich
deine glänzende Equipage niebergefahren hätte.“ —
Ich ſehe jetst noch jein Geſicht. Er iſt's! Die Todten
Tommen altjo zeitlich zurüd?...D! er wird mic
ganz gewiß beſuchen. ... Wie gerne möchte ich mit
ihm „Verſteckens“ fpielen: — er käme von der an-
dern Welt, um mich auf diefer aufzufuchen, während
ich bereits brüben wäre... . Wie werbe ich ihm
aber jo begegnen fönnen; wie ihm antworten, wenn
er an mich die Frage ftellt: wie heißen Sie Ma-
bame?.... Womit werde ich mich entjchuldigen ;
wie feinen anflagenden Blid ertragen fönnen? Er
wird mich tödten! ... O, thäte er e8, aber ſchnell,
auf einmal, in einem Augenblide; — aber nicht
langjam mit bem verzehrenden Feuer feiner vor⸗
wurfsvollen Blicke.
Es iſt mir jedoch unbegreiflich, weshalb er
nicht kömmt, da er mich ſchon aufgefunden? ..
Weshalb er auf ſich warten läßt; weßhalb er
mic) damit peinigt, baß er fich zeigt und wieber
verſchwindet.
10*
— 148 —
Er fieht es ja, daß ich ihn nicht fliehe, daß ich
ihm nicht zu entweichen fuche ; ich warte ihn ab, wie
der Verurtheilte ven Hieb des Henkerbeiles. ...
Ich habe es gefunden.
Morgen iſt mein Geburtstag. Ungerufen ver—
ſammeln ſich fröhliche Gäſte, wie es die Sitte
mit ſich bringt. Andere werden fommeu, um bie
„ſchöne Fran“ zu begrüßen... . Auch Er wird
erfcheinen, um feinen Glückswunſch darzubringen. ...
Wenn die Mufif am lebhafteſten rauſcht, wird eine
beifere Stimme ertönen, und mit ihrer eifigen Kälte
die Unterhaltung erjtarren machen:
„Es lebe das allerımtreuejte Weib!"
Aller Blicke werben auf den ftruppigen Dann
gerichtet fein; und fragen: Was fucht der hier? ...
Oder e8 wird ihn niemand fehen, nur ih; nur vor
meine lebende Seele wird er fich ſtellen; nur ich und
mein Herz werden evzittern und bie flammenden
Lichter angeweht von der Grabesluft die ihn um:
giebt... . Das wird eine furchtbare Szene geben !
Und ich kann, ich will ihr nicht ausweichen... . Sch
Ich werde ihm nicht fliehen, ich will ihn erwarten,
bis er mit feiner eifigen Hand die meine ergreift!...
Dann... will ich ihm folgen!
Welchen Wahnfinn ich da niederjchreibe !
St e8 doch fein Todter, der feinem Grabe
entjtiegen, jondern ein freigelaffener Gefangener,
ven feine Gattin vergeffen hatte. |
— 149 —
Man hatte mich bisher die „bleiche Fran”
gefpottet; von nun an wird das Roth der Schande
auf meinen Wangen flammen,. welches felbit vie
Hand des Todes nicht verwilchen können wird... .
Ich habe einen Gatten verlaffen, der ein Held ge:
wejen und mich geliebt hat; und reichte die Hand
einem Andern, der falſche Haare und eine faljche
Seele hat... . Morgen, wenn diefe von Golpflitter
gligernde Gejellfchaft, meine duftenden Salons füllt,
wird er fommen... und da ftehen ein grauer ftrutp-
piger Mann in jchäbigen Kleidern, und vor
ihm werde ich im prunfendem Gewande auf den
Knieen liegend feine Hände füffen, und um Er«
barmen flehen! Ha, welche Szene! alfo morgen!
morgen!... — — — — — — —
Am Abend des künftige Tages kamen die
zehlreichen Freunde Seraphinens mit ihren Wün—
ſchen und Geſchenken jeder nach ſeiner Manier. Auch
der Fürſt Wolozoff erſchien mit den Fürſtinen Olga
und Feodora, die immer noch ſeine Nichten ſind.
Nur der Erwartete kam nicht! — In den
Salons ging es fröhlich her. — Seraphine ſchlich
ſich dreimal in den Vorſaal, um Wenzel den ftren«
gen Befehl zu geben, den grauen Mann mit ben
Ihäbigen Kleidern ja nicht zurüd zu weiſen; ihn
vielmehr allſo gleich in den Saal eizuführen.
Bis Mitternacht erjchien er nicht. Da, als es
die grauenvolle Stunde jchlug, öffnete plöglich Wen-
22.
zel die Thüre des Saales, und meldete, daß ...
pas Soupe fervirt fei. — Alles begab fich in den
Speifefaal zur reichbejegten Tafel. Seraphine hatte
den Vorſitz eingenommen, der Zufall ließ einen Platz
an ihrer Rechten leer; den Linken hatte der Yürft
eingenommen.
— Gnädige Frau Sie Re bemerfte ver
Für ft.
— 68 ijt mir in der That kalt erwiederte Se⸗
raphine. Dabei warf ſie einen ſcheuen Blick auf den
leeren Stuhl an ihrer Seite, und ein kalter Schauer
überflog ſie. „Da wird er ſitzen.“ —
Vergebens verſuchten es die Nachbarn fie auf-
zubeitern ; vergebens waren die geiftreichen, die ge—
fühlvollen Toafte, vergebens das Liebesflüftern des
- Fürften, und der fchäumende Wein im Becher: —
die ſchöne Frau fühlte ſich nur von dem leeren Plate
an ihrer Seite berührt,
Jener aber, den fie erwartete, jaß zu jener
Zeit bei der „blauen Kate,“ und genoß im reichli-
chem Maaße die Milch feiner nährenden Amme, des
Wirthes .... während der Andere, der wirkliche,
draußen in der grünen Einöde, als Herbftzeitrofe den
nädtlihen Thau bed Himmels tranf!.... Das
Feſt währte bis zum Morgen. Der Lärm, der Tanz,
der Zaumel vericheuchte allmälig die Bejorgniß
Seraphienend. Die Erregung hatte ihre Phantafie-
— 1511 —
gebilde zerſtreut; fie tanzte, trank und ſchwärmte in
bachantiſcher Laune umcher; fie am Ende
wahnſinnig.
Alles betheuerte, daß ſie nie ſo liebenswur⸗
dig geweſen.
Das war ein herrlicher Tag; — ſagte der
Fürſt, als er ſich am Morgen verabſchiedete. —
Lange ch hatte ich Sie jo ragle — ſchöne
Frau!.
— Man fagt bei nn — daß
man ſeinen „Untergang fühle! —
— Eine ſo ſchöne Frau kann nimmer unter⸗
gehen, man würde ſie ſogleich aus den Fluthen
herausfiſchen.
| — Was würden fie dazu jagen, Fürft, wenn
Sie morgen erführen, daß ich tobt ſei? ...
— Ich würde e8 fo lange nicht glauben, bis
äh es von Ihnen felbft erfahren Hätte.
— Gute Naht! — — —
Als auch der Iekte Wagen mit den legten
Gafte davongerollt war und man unten: das Thor
ſchloß, da nahm Seraphine ihren alten Kammer-
diener Wenzel noch einmal ing Verhör; ob man ven
‚grauen Mann nicht etwa abgewiejen habe?
Sie ſchickte ihn weg, damit er fich bei ben
Ubrigen Dienftleuten und Portier erkundige.
— 12 —
Wenzel kam mit einer verneinenden Antwort‘
zurüd. Hierauf legte ſich Seraphine zu Bette, ihre
mübden Glieder fuchten ven Schlaf... ..
Es war ein Fühler büfterer Tag auf bie
Feſtlichkeit gefolgt. . . Die „Ihöne Frau" erhob.
jih heute viel früher als ſonſt; fie ließ Feuer im
Kamine anfachen, weil e8 fie ungemein fror, und
zog dann ihre einfachiten — an, als wollte ſie
aufs Land. —F
Wenzel putzte im Vorzimmer mit einem Tuch—
lappen, bis auf die Hemdärmel entkleidet, die geftern
gebrauchten filbernen Leuchter "und Bejtede: heute
erwartete man feine Gäſte, wenigftens feine vor—
nehmen. |
Plötlich Eingelte Jemand. Wenzel war ver
Meinung, e8 fei der Briefträger, oder eine Mamſell
der Mopiftin, und zog bebächtig feinen Frack an,
bevor er öffnen ging.
Derjenige jedoch welcher klingelte, fchien nicht:
zu die Geduldigen zu gehören, denn er riß haftig und
wiederholt an der Glocke.
Wenzel beeilte fich nun, bie Thüre zu öffnen.
Bor ihm ftand der graue ftaubige Mann.
— Thuſt wohl daran Dich zu beeilen wen
ich anläute; fonft könnte der Griff diefes Spielzeuges-
da leicht in meiner Hand bleiben.
— 1535 —
— Was ift gefällig? fragte der Kammerdie⸗
ner halb zornig halb erſtaunt.
— Mir iſt auf dieſer ganzen dummen Welt
gar nichts gefällig; wenn Du aber die Urſache
meines Erſcheinens erfahren willſt, ſo kann ich
fie dir in Kurzem jagen. Iſt beine Gebieterin
zu Haufe?
Wenzel drehte mit beleidigter Mine ben
Kopf bei Seite.
— Brauchſt deine Naſe nicht zu rümpfen,
daß ich Dich „Dutze“, kannſt dasſelbe thun, 's wird‘
mich ſogar freuen. Jetzt antworte mir aber, ob deine
Herrin zu Haufe ſei?
— Ich weiß es nicht .... erwiederte der
Kammerdiener mißtrauiſch.
— Nun, ſo erfahre es; denn davon hängt
es ab, ob ich dir weiter etwas erzählen jolf
oder nicht ?
— Was wünjhen Sie von ihr ?
— „Bon ihr" nichts; „mit ihr" aud-
nichts ; aber „zu ihr” möcht ich etwas ſprechen.
Wenzel betrachtete die fremde Geftalt vom.
Wirbel bis zur Zehe.
— Kannſt ſchauen Bruderchen. Siehit, ich-
fomme jo eben von einem Bal⸗Paré, wo man dieſes
Koftüm trägt, drum fei nicht fo wähleriſch und
melde mich an.
ze: 4
— Wollen Sie ihre Vifitkarte geben ? |
— Hahaha! Eine Viſitkarte; — Brüderchen
‘ich pflege mich ſtets felbft zu vertreten.
— Dann bitte ih, mir ihren Namen zu
nennen.
— Was follte dir das nuten?.... Weder
Du noch deine Herrin würde mich deßhalb erfen-
N Sage ihr fo viel, daß ein Menjch fie zu
ſprechen wünſche, der fie in Komorn getroffen,
und ihr Nachrichten aus weiter, jehr weiter Ferne
bringt.
Wenzel warf einen bevenflihen Blick auf ven
"Mann fowoHl als auf das Silbergefhirr, als bielte
er es nicht für rathſam, beide mit einander allein zu
laſſen, doch fiel e8 ihm ein, wie oft feine Gebieterin
geftern nach einem Menjchen von diefem Ausjehen
gefragt, und er ging verbrießlic, ihn anzumelpen,
fehrte jedoch bald mit freundlich grinjendem Lächeln
zurüd.
— Die gnädige Frau erfucht Sie mein Herr,
nur noch einen Augenblid zu gedulden, bis fie mit
ihrer Toilette fertig geworden. Bitte, unterdefjen in
‚ven Saal zu jpazieren. ... Wünfchen vielleicht ven
Dberrod abzulegen. f Zu
— Ich wünſche e8 wohl, weil e8 bier verdammt
‚heiß ift, nachdem er jedoch zugleich Salonrod ift, fo
werde ich ihn ſchon anbehalten.
— 15 —
— Wünfhen Eure Gnaden, daß ich ben
Staub von ihren Stiefeln abwifche ?
— Laffe das gut fein Brüderchen, bin felbft
Ihon ganz zu Staub verwandelt. Brauchit dem
Staub nicht zu zürnen; wer weiß es, ob biefer da
auf meinen Stiefeln nicht die Aſche Deines Groß-
vaters ift?
Nun begann auch Wenzel jenes Graufen zu
fühlen das feine Herrin beim Anblick dieſes Menſchen
. ‚empfand, und trug ihm zitternd noch einmal an, in
ven Saal zu treten.
Pußtafi folgte der Einladung. Der Saal war
noch leer, er hatte demnach Zeit, fich umzuſehen.
Die Tapeten an den Wänden, die Vorhängen
aan den Fenftern, der Ueberzug der Möbeln, alles
war Seide.
Pußtafi haßte alles was Seide war. Er haßte
Altes, ob hoch oder nieder, was fich in Seide Fleidete,
Er duldete fie nicht einmal als Rodfutter, und wenn
er irgendwo ein Stüdchen erwiſchen Tonnte, fo ge-
brauchte er fie zu den niederften Dienſten, als Sad»
tuh oder als Fußlappen; er glaubte an dieſen ver-
haften Gewebe dadurch Rache zu nehmen.
Pußtafi fühlte ſich ſehr unbehaglich in dem
ſeidenen Gehäuſe des Schmetterlings.
Da öffnet ſich eine Seiteuthüre und die
„bleiche Frau“ trat in den Saal.
— 156 —
Kaum vermochte fie ihr Zittern zu verbergen ;
faum ihre Blicke zu diefer jchäb igen, ftruppigen Ge—
ftalt zu erheben, und doch zwung fie Etwas unwi—
derjtehlich, fih Schritt für Schriti zu nähern, um in
dem jeit jo vielen Jahren veränderten Gefichte nach
den befannten Zügen zn forfchen, und jenen Namen
auszufprechen, welcher durch ihr Herz dringen würde,
wenn ihre Lippen auch verichloßen blieben; und-
doch war es ihr, ald würde ihr die Nennung dieſes
Namens den Tod bringen.
ALS fie den grauen Mann, zu dem fie fih von
einer magnetiſchen Kraft Hingezogen fühlte, ſchon
ganz nahe war, ftredte diefer feine Hand aus, und
zeigte ihr einen glänzenden Gegenftand, den er zwi—
ſchen den Fingern hielt.
— Schöne Gnädige — ich bringe Ihnen:
diefen Ring zurüd!...
AS Seraphine des Opalringes, mit dem
Ichwarzen Kreute in der Mitte des Steines, anfich-
tig wurde, bebedte fie plöglich ihr Geficht mit bei=
den Händen und ftammelte das einzige Wort ::
„Robert !" dann neugte fie ihr Haupt auf Die Seite,
und brach zufamment.
Pußtafi war der Meinung, daß die Ohnmacht
mit viel theatralifcher Routine gejpielt war, er hob
die Dame in ein Fauteuil, und pflanzte fich vor ihr
hin, um zu jprechen.
— 157 —
— Meine Dame, ich bin nicht Robert, der
Sie reclamiren füme. Wir ſahen uns zwar einſtens
Ähnlich ; doch heute ift e8 nicht mehr der Fall.
Ich habe gealtert, er ift jung geblieben, weil
er ftarb. Er hatte mich beauftragt, feinen Tod zu
vermelden, und übergab mir zum Beweis diejen
Ning; welchen ich hiemit auf diejen Tiſche nieder—
lege, wo Sie ihn, wenn e8 Ihnen zu erwaden be—
liebt, finden werden, Und nachdem ich Ihnen. länger
nicht läftig fallen will, habe ich die Ehre mich zu
empfehlen.
Der Kopf der Dame bing bleih von der
Lehne des Fauteuils herab; Pußtafi war jedoch der
Meinung, daß ohmmächtige Frauen alle8 zu hören
pflegen, was in ihrer Nähe gejprochen wird.
Er hielt daher feine Sendung für vollendet,
und entfernte fich mit tiefer Verbeugung.
— Bruder, ſagte der ſich entfernende Dichter
zu Wenzel — ruf das Hausgefinde, man möge Eifig
‚und fliegende Salze herbeiholen, denn deine Herrin
ſcheint ohnmächtig geworben zu fein. Die gute Seele
hielt mich für ihren verjtorbenen erften Gatten. ...
Und doch kann ich Dich verfichern, Bruder, daß der
‚ebenjogut Staub ift, al8 das, mas Du von meinen
Stiefeln pugen wollteft...... Gott jegne dich
Bruder.
Damit entfernte er ſich.
— — — — — — — — — ——
— 158 —
Nachmittags traf Pußtafi mit Melchior zu-
ammen, biejer beeilte fich zu erzählen, daß er vor
einem merkwürdigen Falle fomme, man habe ſoeben
ein ärztliches Parere bei ber Frau von Fertöp
abgehalten.
— ft die Schöne Frau krank?
— Nein. Einige Minuten fpäter, als Dir
von ihr gingeft ftarb fie an Gehirnfchlag.
— Schade um fie; war eine gnte Pränume—
rantenfammlerin.
(Ende des vierten und legten Bandes.)
— ——
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