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Full text of "Andere Zeiten, andere Menschen : Roman"

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Andere Zeiten 


andere Menſchen. 


Roman in vier Bänden. 


Bon 


Moris Zolni. 


Erfter Band, 


del, 
Druderei des „Athenäum'“. 
1869. 


Berlin. Berlag von Otto Janke. 


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E25N0V. 1933 
OF OXFORD & 
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ritſchtratſch 


Es gibt eine berühmte Stadt in unſerem 
Baterlande, über deren Schickſal einft, trokdem 
dag fie heute Hein und arm, die meiften Tele: . 
gramme in die Welt flogen, deren Ruhm aber 
niht zugleid ihr Glück geweſen. 

Zur Zeit, wo unſer Geſchichtchen beginnt, 
hatte fie nod) mehr Antheil am Glück als am 
Ruhm; diefe Stadt ift Komorn. 

Der Fremde, welcher zufällig an einem 
Sonntage zur Stadt Fam, könnte fi) über 
den Neihthum der Bewohner gute Begriffe 
Ihaffen, wenn er die aus den Kirchen ftrömende, 
ſonntaͤglich gepußte Menge betrachtete. Die Männer 
trugen ſämmtlich filberne Knöpfe an ihren Klei— 
dern, das ſchwache Geihleht goldene Ohrgehänge 
und jeidene Roben. Mander blaue Dolmany 
prangte mit einer breiten filbernen Kette, welche 
von einer Achſel zur anderen reihte, und durch 
große römishe Schnallen, verihiedene Thierlöpfe 
vorftellend, gehalten wurde. Die dunfelblauen 

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Dolmanys hatten Ichnedenartig gedrehte, die lidht- 
blauen flache, die ſchwarzen endlich durchbrochene 
Knöpfe von Ihönfter Filigranarbeit. In den dun- 
felblauen Dolmanys ftaden die Schiffer, in den 
lihtblauen die Müller, in den ſchwarzen endlich) 
die Honoratioren. Von Leßteren trugen die Ma- 
gijtratsperionen und Tablabir6s bei feierlihen 
Anläffen Säbel und klingende Sporen an dein 
glänzenden Korbovanitiefeln, und all’ dies : Knöpfe, 
Ketten, Sporen und die Säbeliheiden it wirkliches 
echtes Silber, und nicht gelogenes, nahgeahmtes, 
fein Chinafilber. Das Geld, welches auf dem 
Markte zirkulirt, ift lauter Silber, blanke Zwanzi— 
ger, harte Thaler, und außer dem Markte in 
jenen ſchlichten, ebenerdigen Häuſern, beſitzt ein 
jeder vom Herren bis zum Knechte und zur Magd 
herab, Silber. 

Es iſt ein wirklich ſilbernes Zeitalter; keine 
prunkende, prahlende goldene Aera, ſondern eine 
echte, ſolide, ernſte ſilberne Zeit, von welcher wir 
nur mehr in Ovbid's Erzählungen leſen. 

In einer zum. Hauptplake führenden Gaſſe 
dieſes Silbern - Städthens Tonnte man an einem 
derartigen Feiertage zweier Kaleſchen gewahr 
werden, wie diejelben von der Kirche kommend, 
unter der Wölbung zweier fid) gegenüber befind— 
liher Thore verſchwanden. Am Bode der einen 
hatten Kutiher und Bedienter hohe Eylinder und 
blaue Livree mit jilbernen Borten; am Bode der 


— — 


anderen ſaß ein Kutſcher mit rundem Hut und ein 
rothbeſchnürter Hußär als Diener. 

Nachdem die Flügel beider Thore geſchloſ— 
ſen worden, konnte man auch an denſelben Stu— 
dien anſtellen. Das eine war gelb angeſtrichen, 
und dehnte ſich auf dem gelben Grunde ein rie— 
ſiger Doppeladler bis zu den beiden Angeln; der 
Adler hielt in ſeinen beiden Schnäbeln ein ſich 
ſchlängelndes weißes Band; auf dieſem weißen 
Band ſtand mit großen blauen Buchſtaben ge— 
ſchrieben: „SALVA QVARDIA“. Das gegen— 
überliegende Thor hatte dunkelgrünen Anſtrich, in 
der Mitte der Thorflähe prangte das nationale 
Wappen mit dem Ihiefen Kreuze, ober der Krone 
und über dem Ganzen jtanden in weißrothen La— 
pidarlettern die Worte: „NEMES TELEK*“ (zu 
deutſch: Mdeliger Grund). 

Dieſe Fresten waren aber nit blos als 
Zierde an den Thoren angebradt, oder daß Die 
Befiger dieſer Häufer an nebeligen Tagen nad 
Haufe finden mögen, fie hatten einſt eine tiefere, 
ſtaatsrechtliche Bedeutung. 

Dieſer Ausdrud: „Nemes telek“ (adeliger 
Grund) oder wie man fid) zu Zeiten Leopold des 
II. deflen bediente „Salva guardia“ bedeutet, 
daß die Schwelle dieſes Thores durch die jtädtiiche 
Behörde nicht überfchritten werden darf, weder um 
Militär einzuquartieren, oder eine Hausfteuer zu: 
erheben, nod aber um ein gerichtliches Urtheil zu 


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vollziehen; es iſt dieß eine adelige Curie 
unabhängig von der Stadtbehörde, und. frei bon 
Steuer und Einquartierung ; fie unterfteht un= 
mittelbar der Botmaͤßigkeit des Komitates, ift auf 
Komitats- und nicht auf ſtädt. Grunde erbaut, 
folglich darf auf dieſem Grunde fein Jude wohnen, 
eine Schenke öffnen und Fleiſch ausfchrotten ; wep- 
halb auch der Miethzins eines ſolchen Haufes, 
deffen Thor unter dem Schuke eines jo mächtigen 
Wappens fteht, ein doppelt höherer ift, al3 jener _ 
der Nahbarhäufer. | 

Die erwähnten zwei Häufer waren aber 
weder AQudenquartiere, noch Wirthshaus oder 
Fleiſchbank; fie wurden von ihren eigenen Be: 
fißern bewohnt, was auf den Reichthum der Leg- 
teren ſchließen läßt, da ſelbſt die Luft eines ſol— 
hen Haufes theurer zu ftehen kümmt. 

Das Haus mit dem doppelküpfigen Adler 
am Thore wird von der Witwe und der Familie 
eines reihen Produftenhändlers von Holdväry 
bewohnt, während in jenem mit dem National- 
wappen Herr von Hargitay ſammt feiner ehr- 
baren Familie hauft. 

Aber diefe Thore hatten felbft dann, wenn 
fie geöffnet wurden, ihre verihiedenen Eigenthüm— 
lichleiten. Durch das gelbe Thor gingen Offiziere 
aus und ein, die zu jenen Zeiten außer dem 
Dienfte feine Uniformen trugen, fondern in mo- 
dernen Frads und mit hoben Eylindern, im Re— 


— 7 — 


genwetter aber in ſchwarzen Karbonarimänteln 
einhergingen, und konnte man fie blos an ihren 
glattrafirten Gefihtern mit den vorihriftsmäßigen - 
balbmondförmigen Badenbärten vom Zivile un: 
teriheiden. 

Am grünen Thore zeigten fi) dagegen jene- 
ftolzen jugendlichen Geftalten, die man zu jener 
Zeit „Patvariften” und „Komitatsherren“ zu 
nennen pflegte, mit flaumendem Schnurbart über 
den Lippen, und ftolzem, ſelbſtbewußtem Ausdruck 
im Gefihte. Wenn aber Einer oder der Andere 
erihien, um mit dem ehernen Klopfer, welcher 
von den Zähnen eines Löwenkopfes gehalten wurde, 
an jener Stelle des Wappens, wo über dem drei- 
faden grünen Hügel am Fuße des Kreuzes die 
Krone angebraht war, dreimal anzuſchlagen, fo 
mußte es ein jehr unerfahrenes Auge fein, wel- 
ches nicht alljogleih erkannte, daß der Klopfende 
weder ein Geiftliher, noh ein Soldat, jondern 
ein Schauſpieler ſei. 

Beide Familien führten einen gewiſſen hö— 
heren Ton in verſchiedenen Theilen der Stadt. 
Beide beſaßen eine ledige Tochter, welche auf 
den betreffenden Bällen und Kränzchen bewußt 
oder unbewußt die Rolle einer Ballkönigin fpielte. 

Auf diefe Art vertraten die beiden Thore 
zwei bollftändig organifirtte Parteien, die ihre 
Kortesführer und rohen Maflen, ihre Fahnen und 
Zirailleurs, ihre Kämpfe, Siege und Niederlagen, 


8 — 


und troß der damals beſchränkten belletriſtiſchen 
Literatur jelbit ihre Moniteurs hatten; beide ver— 
fügten über einen zum Rang eines Provinz-Korre— 
Ipondenten erhobenen Literaten, welder im 
„Peſti Divatlap’’ oder „Honderü“ die privats und 
öffentlihen Unterhaltungen, Dilettantenvorftellun- 
gen, die Reize und Toiletten der Mitwirkenden 
mit großer Ausführlichkeit beſchreiben mußte, und 
weder mit der Hochpreifung feiner Partei, noch 
mit den Seitenhieben auf die Gegner geizen durfte. 

Auf Grund der in den Modejournalen ent: 
haltenen Daten fonnte man die Ueberzeugung 
ihöpfen, daß die Partei des gelben Thores bei 
glänzenden Bällen, gemüthlihen Piqueniques und 
den unvergehlihen Hausunterhaltungen fiegreich 
aus dem Kampfe gegangen, während die Partei 
des grünen Thores ſtets dort den Sieg davon— 
trug, wo es jih um Unterſtützung wandernder 
Schauſpieler, Dilettantenvorftellungen, wohlthätige 
Verloſungen und andere patriotifche Unterhaltun- 
gen handelte. 

Dieſe Errungenidaften trachtete zwar eine 
jede der Parteien nad Kräften mit Gegenargus 
menten zu ſchwächen; aber vor dem ernſten und 
unbefangenen Beihauer bleibt es doch eine un: 
verleugbare Thatjache, Daß, als der Herzog bon 
*** ein Verwandter des Königs von Portugal, 
durd) die Stadt an dem zu feinen Ehren veran= 
ftalteten glänzenden Ball mit Fräulein Seraphine 


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Holdvary den Tauz eröffnete, und ihr zum An— 
gedenken einen Schönen Opalring verehrte, in deſſen 
Mitte ein natürliches Kreuz geformt war, wäh: 
rend es andererſeits eine hiſtoriſch Feftgeftellte 
Thatiache bleibt, daß im Jahre des Schußvereins 
(vedegylet) e3 der Frau von Hargitay gelang, 
die Schönen der Stadt ohne Ausnahme dahin zu 
terrorijiren, daß ſie am Schußgvereinsballe ſämmt— 
ih in vaterländiihe Stoffe gekleidet erſchienen. 
In legterer Zeit mußte ſich aber das grüne Thor 
plöglih mit bedeutendem Berlufte zurüdziehen, 
weiches um jo nicderihlagender auf die Getreuen 
wirken mußte, als es ganz unerwartet kam. Die 
Kataftrophe rührte daher, daß Frau von Hargitay, 
troß ihrer auf Alles ſich erſtreckenden Aufmerk— 
ſamkeit, an einem jchönen Tage die Entdedung 
machte, daß die in der Stadt fih befindlichen 
Bettler der Regel nah zwar alle, aber in jehr 
unregelmäßig von einander abweichenden Baria- 
tionen zerlumpt jeien. — Nachdem man es aber 
mit menschlichen Verſtande nicht verhindern kann, 
daß e3 Bettler auf der Welt gebe (denn wenn 
die beitehenden durch irgend eine Macht plötzlich 
in einen andern Stand verjegt würden, träten 
morgen ſchon andere in die erledigten Stellen ein), 
jo fünnen die Beftrebungen der menjchenfreundti- 
hen Theilnahme nur darin konzentrirt werden, 
daß man in das Elend eine gewiſſe Organifation 
einführt. Demnach dachte Frau von Hargitay 


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fo: dab, wenn man jämmtlihe Bettler uni— 
formiren würde, jo wäre dies ſowohl für den 
Bettler etwas Schidliheres, als auch bequemer 
für das Publitum, weil es auf diefe Art Die 
wahren Bettler von den Stümpern unterjcheiden 
könnte. 

Die Idee war ganz dazu angethan, um zu 
deren Ausführung eine Dilettantenvorſtellung zu 
arrangiren, deren Reinertrag dem frommen Zwecke 
zugeführt werden ſolle. 

Die bei derartigen Unternehmungen auf⸗ 
tauchenden Schwierigleiten wurden glücklich nieder— 
gefämpft. Es gelang auch ein Drama zu ent— 
deden, worin jedem Mitwirkenden eine gewünjchte 
Rolle zufiel; die Rollen wurden vertheilt, gelernt, 
die bezüglihen Proben abgehalten und jelbft der 
Tag der Vorſtellung ſchon feitgeftellt, als gerade am 
Tage vor der Aufführung, die Hauptanregerin 
und Ordnerin jelbft, die Befehlshaberin des 
grünen Thors, feierlihft erklärte, daß ihre Tochter 
Judith nicht auftreten werde. Und damit fie 
allen Ueberredungen, Einwendungen und Auf: 
klaͤrungen entgehe, begab fie fih noch am jelben 
Tage fammt ihrer Familie aufs Land, mit dem 
Entſchluſſe nicht eher zurüdzufehren, als bis der 
hieraus entftandene Sturm ſich gelegt hätte; Die 
Bettler aber mögen ihretwegen auch ferner zer- 
lumpt berumlaufen. | 

Diefer Entihlug ſchien räthſelhaft genug ; 


— 11 — 


da gibt es kein Geheimniß ſo tief vergraben, daß 
es von den Nachbarn nicht aufgeſcharrt werden 
ſollte. 

Ein arabiſches Sprichwort ſagt: „Wenn Du 
Dich ſelbſt kennen willſt, entzwei Dich mit Dei— 
nen Nachbarn und ſie werden Dir ſagen, wer 
Du ſeiſt!“ 

Wenn wir daher unumgänglich erfahren 
müfſen, was bei den Hargitay's vorging, traten 
wir ins Nachbarhaus, dort wird man uns Alles 
erzählen. 

Im Haufe mit dem gelben Thore feiert man ge— 
rade ein heiteres Feſt der Melonenleje ; die Geſell— 
ſchaft iſt erquifit ; fo vieldürfen wir, ohne den Anftand 
zu verlegen, willen. Nachdem es ji aber nicht 
geziemt, uns an das Fenftergitter zu klammern, 
um zu laufhen, was es im Haufe zu hören und 
zu ſehen gäbe; ziehen wir mittlerweile unjere 
ftrohgelben Handihuhe an und erwarten wir jenen 
Bekannten, der gerade um die Gaffenede biegt, 
der wird uns einführen, wie es einem honetten 
Beſuche geziemt. 

Wir konnen zwar mit dieſem — Freunde 
ein wenig blamirt werden, da er ein ſehr zer— 
ſtreuter Menſch iſt, und es ihm erſt im Vorzim— 
mer einfallen wird, daß er ſeine Handſchuhe zu 
Hauſe vergeſſen, worauf er davon rennt und uns 
im Vorzimmer zwiihen dem Gefinde jtehen läßt, 
welches mit den Mantilles feiner Herrſchaften 


— 12 — 


am Arme herumgafft, und ein homeriſches Ge— 
lächter uber das Kommen und Verſ ſchwinden des 
Gaſtes anſchlägt. 

— Was kann dieſem Wunderlinge wider— 
fahren ſein, daß er jo davonläuft? kichert Jaͤnos 
der Frau Perflex von Blum zu. Damit ſich nicht 
etwa Jemand denke, daß das Wort ‚Perflex“ 
irgend ein ſzitiſcher Taufname ſei, oder eine Be— 
ziehung zur Perplexität habe, müſſen wir an 
dieſer Stelle erklären, daß das Wort eine Ab— 
kürzung von „Verpflegs-Kommiſſär“ iſt, und der 
Frau Blum, als der Gattin eines ſolchen, als 
Bezeichnung ihres Ranges gebührt. 

— Gewiß hatte er jetzt erſt bemerkt, daß 
er nicht hieher, ſondern in die Nachbarſchaft gehen 
wollte, — erwiderte Joͤſska der Baraczky'ſche 
Lakai, ſeine fünf Finger in die großen geſtrickten 
Handſchuhe ſtreckend, als wären ſie ihm zu enge. 

— Dorthin wird er gewiß nicht mehr 
kommen: man hat ihm ja das Haus verboten. 

— Na freilich! Ich weiß es vom Stuben— 
mädchen, daß er mit dem Fräulein verlobt iſt. 

— Dagegen weiß ich es aber vom Hußären, 
daß er Befehl Hat, Herrn Laͤvay, wenn er fäme, 
zu Sagen, es fei Niemand zu Haufe. 

Die Debatte wird unterbroden durch das 
Eintreten Wenzi's, de3 Hausdieners, welder aus 
den inneren Gemächern kommt, woher großes Ge- 


— 13 — 


lächter ſchallt. Selbſt der’ breite Mund Wenzi's 
ift zu einem fröhlichen Laden verzogen, jo daß 
beide Zähnereihen aus demfelben lugen, gerade 
wie jene der zu todt gefigelten Gattin Blaubart's 
im Wadhsfigurenfabinet. Er hält eine große mit 
Melonenihalen beladene Taſſe weit von jid) 
weg, um feine vothe Livree nit zu beihmugen. 

— Ueber was fihert man da drinn? frug 
der Diener die Frau Perflex. 

Wenzi hörte auf zu lächeln und nahm eine 
ernfte Miene an; dies aber mit fo raſchem 
Uebergang, daß es einem Wunder nehmen mußte, 
wie diefe breitgezogene Fratze fih jo plüßlid) ver— 
längern fonnte. Wenzi hat nämlich die unſchätz— 
bare Tugend, daß er jelbjt niht aus Scherz je 
die Wahrheit jagt, was eine goldwerthe Eigen- 
Ihaft iſt bei emem inneren Diener, dem man 
frägt: was drinnen geihähe ? 

Jetzt frägt man zwar nur: über was ge- 
laht wird? Aber man fünnte ein anderes Mal 
fragen: was drinnen geflüftert, weshalb gejeufzt, 
geweint, oder gezankt wird? Und warum Jollte 
er aud) dieſen Bauern die Wahrheit jagen? Er 
hatte jchnell feine Lüge bei der Hand. 


— Wie ſollten fie auch nicht lachen, wenn der 
Dffizier mit den blauen Aufihlägen, als id die 
Wafjermelone jervirte, Frug: Nicht wahr, daß tt 
ein Kürbiß mit Zibeben ! 


— 14 — 


Wenzi dachte: das iſt gut genug für euch! 
Es war auch gut, denn alle lachten, Wenzi mit 
ihnen. 

— Und über was habt ihr da draußen 
gelaͤchelt? Man hörte es bis hinein. 

— Ueber Herrn Lavbay, welcher eintrat, 
hinausging, und davon lief mit dem Rufe, daß 
er wiederlehren werde. 

— Hoho! — dachte Wenzi, fein Geficht 
abermals in die Länge ziehend; das muß ich 
drinn beachten, man lacht ja oben über ihn. 

Damit begab er fi) hinein, und kam nad 
wenigen Minuten zurüd. 

— Nun können wir, weiter lachen, ſagte er, 
aber die Herrihaft läßt Euch jagen, daß es nicht 
laut geihehen dürfe. Alſo los darauf! .. 

MWenzi gibt nun eine Probe davon, wie 
man aufladen, in Ertafe verfallen, fih mit of- 
fenen Kinnladen vor lauter Lachen auf den Rüden 
werfen kann — ohne einen einzigen Ton bon id 
zu geben; morüber das übrige Gefinde beinahe 
zerplagt, da es noch nit gewohnt ift, ftumm zu 
laden. 

Während dieſer Szene wurde es bei den 
Herrſchaften ruhig, fein Ton drang aus dem 
Saale, wo man fid) eben mit dem Verzehren 
praͤchtiger Kantaloups befaßte. | 

Laͤvay kehrte nad einigen Minuten behand- 
ſchuhet zurüd; er fand aber nit die leifefte 


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Spur deffen, da man über fein Mißgeſchick ge: 
lat. Im Vorzimmer beeilen fid) die Diener 
feinen Stod zu übernehmen, und bewundern an 
deſſen Knopf die wunderlihen Schnigereien. Wenzi 
öffnet mit vertraulihem Lächeln die Flügel der 
Saalthüre. 

Im Saale iſt Alles überrajht über fein Er- 
ſcheinen; Fräulein Seraphine ſchwebt ihm ent= 
gegen und reicht ihm beide Hände, dieſe feinen, 
jeidenweihen Händchen, mit den rofafarbenen 
Nägeln, fie neigt fih jo nahe an ihn, daß ihre 
wunderblonden Locken beinahe jein Gefiht be- 
rühren, und bewilllommt ihn mit ihrem bezau= 
berndjten Lächeln. | 

— Willkommen. Ih babe bereits an 
Ihrem Erſcheinen gezweifelt. 

— Ich habe eben das zu Haus vergeſſen, 
weshalb ich kommen ſollte, — ſprach der junge 
Mann, dem Fräulein ein ſchoön gebundenes Bud 
überreihend. 

— %, mas Sie mir veriproden: Puß— 
. tafy’s Gedichte. Ich danke Shnen vom Herzen. 

* — Herr Labay kommt halt immer jo fpät, 
— rief. eine bornehm affeftirende Stimme von 
der bejegten Tafel herüber. Bon der Befikerin 
diefer Stimme wäre es ſchwer zu errathen, daß 
fie die Mutter Seraphinens jei, jo verſchieden find 
Beide. Die Mama ift eine Heine, runde Ge- 
ftalt mit ſchwarzem Haar und Heinen blinfenden 


— 16 — 


ſchwarzen Augen. Trotz ihres Embonpoints ſchien 
ſie dem Schönſeinwollen noch nicht entſagt zu ha— 
ben, wofür ihre geſuchte Toilette und phantaſtiſch 
geformte Friſur ſprechen. Dagegen hat Seraphine 
eine ſchlanke Sylphidengeſtalt mit blaßroſigem 
Teint, blitzenden blauen Augen, geiſtreich geform— 
ten Mund, feinem Kinn, ſarkaſtiſchen Augenbrauen 
und eine in jeder Tonart ergreifende Stimme. 

— Herr Laävay kommt zu uns immer zu 
pät! — rief dieſelbe vorwurfsvolle Stimme ; 
worauf Laͤvay, fein einziges Wort der Entſchul— 
digung findend , e3 für gerathen hält, fi vor 
diefer gut zuſammengeſchulten Geſellſchaft nicht zu 
blamiven. Seraphine fam ihm jedoh zu Hilfe. 

Ich bitte, Lavay ift heute mein, und nicht 
Mamas Saft. Deshalb follen Sie aud nicht 
die Ehre feiner Geſellſchaft genießen, denn ich 
nehme ihn mit mir; wir haben Wichtiges zu ber: 
handeln. - 

Ah! .. tünte es mit einem ſpöttiſchen Halb- 
lächeln von allen Lippen. 

Sit Diefes Verhältnig alt? rief ein junger 
Dberlieutenant vorwärts voltigirend. . 

— Sie haben zu Diejer Frage zwar fein 
Net, doch wenn Sie es durchaus willen wollen, 
jo it sein jehr altes. Es fing in unferer 
Kindheit an; gab Seraphine zur Antwort. 

— Danı muß Herr Läavay ein noch jehr 
junger Mann fein... 


—u ._17 — 


— a freilich! fällt eine Damenftimme da= 
zwiihen. Herr Oberlieutenant konnen es glauben, 
daß fie mit einander in die Schule gingen. 

Diefe Stimme gehörte der Frau v. Blum, 
der liebenswürdigften WVerläumderin zwiſchen den 
zwei Wäſſern. | 

— Inſofern ich das Kräulein leſen lehrte ; 
beeilte ſich Laͤvay zu erklären. | 

— Einft lejen, jetzt deklamiren; bemerkte 
die Blum mit womihen Lächeln. 

— Dh, Herr Läavay iſt ein berühmter De- 
Hamator . . .! ſprach ein hoher, martialiih aus- 
ſehender Mann, dem das glattrafirte Geſicht mit 
dem Kleinen, ſpitzen Schnurbarte, feine ſchon vor— 
wärts gefämmten Haare, die zwar im Verdachte 
einer gewiſſen Unechtheit ftehen, ein noch jugend- 
liches Anjehen zu geben traten. Dieſer Herr 
iſt Balthaſar Fertöi. 

— Ein ſehr berühmter Deklamator! Wie— 
derholte Herr Balthaſar. — Als er neulich im 
Komitatsſaale ſprach, hat er ſelbſt Anſchütz über— 
troffen! .. 

Das war dann ein Nadelſtich. Einen Ko— 
mitatsredner mit einem Schauſpieler zu vergleichen. 

Dieſer Vergleich weckte ſelbſt eine tiefe 
Baßſtimme, welche in der Kehle eines alten Herrn 
ſchlummerte. Dieſer alte Herr war der penſio— 
nirte Major Kolbay. Ein hoher, dürrer Geſelle, 
der ſich in- und auswendig noch immer an die 

Andr. Zeiten, andr. M. 2 


—— 


Mode des Jahres 1816 hält, in welcher er zu— 
rückgeblieben. Er trägt noch immer dieſelbe 
weichſelfarbige Hußaͤrenuniform, dieſelben hohen 
Stiefel, obwohl er fie ſelbſt mehr weder an-, noch 
auszuziehen im Stande ift; dieſelbe Kravatte von 
Roßhaar, welde feinen Kopf fo ſchön, fteif aufredht- 
hält; feinen Schnurbart, feinen Schopf wichſt er 
nod immer jo jpig und fteif , daß beide gegen 
den Himmel ftehen. Selbſt mit der Geſchichte 
blieb er dort ftchen, wo die legten Rafeten des 
zu Ehren der Monarchen , welche zum Wiener 
Kongreſſe gefommen waren, veranftalteten Feuer: 
werfes verfnallten. Bon dieſem Tage an gibt's 
für unſern Alten feine Geſchichte, feine Ideen, 
feine Mode, dort ftand die Welt mit ihm ftille. 

— Wahrrllich — begann der alte Herr, 
einen jeden Mitlaut doppelt betonend, al3 würde 
er heute noch feine Eskadron kommandiren — es 
it nit gar lange her, daß Ste mir al3 kleiner 
Student beim Examen ein Ererzitium machten, 
und fiehe, heute exerzirt er ſchon die Angelegen- 
heiten des Komitates. Erinnern Sie ſich noch, 
wie fie fih vor dem alten Juden in der Nach— 
barihaft fürchteten, daß er den Kindern das Blut 
nimmt, und jiehe da, heute ſpricht er ſchon von 
der Judenemanzipation ! — Die Rokokobemerkung 
des alten Herrn fand allgemeinen Beifall, jelbft 
Lavay lächelte. Ein junges Gemüth fühlt e3 nicht 
io leicht heraus, was verlekend iſt. 


— 19 — 


Zu dem früheren Oberlieutenant geſellte 
ſich nun auch ein Hauptmann von robuftem Kör— 
perbau und fremdartigen Aeußern, ſein Geſicht 
iſt ſtark von den Blattern zerriſſen, doch leuchtet 
aus ſeinen Augen bloße, ungeſchickte Gutmü— 
thigkeit. 

— Stellen Sie uns doch einander vor! — 
drängte der DOberlieutenant das Fräulein. 

— Dberlientenant Robert Zeleji; Haupt- 
mann Artman, Bela Laͤvay! — war die Bor: 
ftellung. 

Zelejt und Laͤvay drüdten ſich die Hände, 
während der Hauptmann, welcher eine ungeheure 
Portion Ananasgefrornes mittels eines großen 
Eplöffel3 vernichtet, die freundlihe Bemerkung 
macht: 

— Dieſer Name iſt mir ſehr lieb, auch ich 
habe eine theure Verwandte, die ſich Bella nennt, 
aber ſie iſt ein Mädchen. 

Alles lachte hell auf. 

— Ich weiß eigentlich gar nicht, wie Sie 
zu dem Namen Bela kommen, — polterte der 
Veteran — meines Wiſſens find fie „Albert“ ge— 
tauft worden. 

— Bela — heißt auf ungariih To viel: 
als „Albert“, — entgegnete Laͤvay. 

Seraphine nahm den Arm des Jünglings. 

— Kommen Sie von hier; die da find 
ſaͤmmtlich Ihre Feinde: der Eine möchte Ihnen 

2* 


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Ihre Jahre, der Zweite Ihren guten Ruf, der 
Dritte Ihren Namen, der Vierte Ihren Man: 
nestitel nehmen, wenn fie es fünnten. 

— Zählen Sie aud) mid) unter dieſe Räu- 
ber? — frug Zeleji. | 

— Auch Ste würden ihn Eines berau— 
ben, was man aber durdaus nicht mit bewaffne— 
ter Hand erobern kann! ... 

— Das it viel für ein oberlieutenantliches 
Herz, — rief der Hauptmann, fi mit komiſchem 
Mitleid an Zeleji wendend. 

— Und Dürfen wir uns nit in die Ge— 
heimniffe diefer Verihwörung drängen? — in— 
terpellirte die Blum das Fräulein. 

— Dh weshalb niht? E3 wäre ein armer 
Ränfeihmied derjenige, welcher auf jede Frage 
niht ſogleich mit zwei Antworten bereit wäre. 
Pußtafy wird dieſer Tage unfere Stadt beſuchen: 
wir berathen eben über den Empfang, den wir 
ihm bereiten wollen ? 

— Wer ijt diefer Pußtafy? — frug Major 
Kolbay mit inquifitoriihem Gefichte. 

— Traurig, dab es einen Ungar gibt, 
welder Dielen Namen nicht fennt. Er ift in un- 
jerer Zeit der erfte Dichter der Nation. 

— Ah! ein Reimfhmied? Wie es dieſer 
Csokonay geweſen, den kannte ih: war aud ein 
großer &... Er ging aud da herum, denn 
bier liebt man die Poeten, diefe aber lieben den 


in BE 


guten Wein, und Nepmely iſt nicht weit von hier. 
Nun, wenn er Ihon fommt, jo wäre e3 am beiten, 
er käme bei Gelegenheit der Durdreiie des 
Palatins; da könnte man ihn zu etwas ver— 
werden. Er könnte fogleid ein Feftgedicht machen, 
3. B. ein Ihönes Afroftifon, welches vorn und 
hinten .mit großen Buchftaben ausgeht, wenn er 
es verſteht. 

Das. bisher ruhige Gefiht Laͤbays er- 
glühte. 

— Ich glaube faum, daß er es verſteht; — 
erwiderte Lavan lähelnd, — denn Pußtafy ift 
Republikaner. 

Waaßß! — rief der Veteran mit hohem 
Pathos — Ein Reppubbllikkanner?! .. Und 
diefes wüthende Thier geht frei herum; hält man 
e3 nicht angebunden ? | 

— Das iſt ja nur eine Theorie: — erklärte 
Laͤvay, eine innere Ueberzeugung; fo, wie wenn 
Jemand Rationalift ift; deshalb aber. doch ein 
Chriſtenmenſch bleibt. 

— Ich meinerjeit3 bitte mir ſolche Theorien 
aus. Möge der Franzoſe mit ihnen feinen 
Spaß, ſeine Narrheiten treiben, für uns paſſen 
fie nit. Und id ſag' es heraus, der Menſch 
möge mir einmal jo vor die Augen kommen, 
DIE 2 

— Geben Sie adt, Kolbaybäci, damit 
Sie nicht mit etwas Großem herausplagen, — 


— 22 — 


unterbrach ihn Seraphine, — denn er wird in einigen 
Tagen hier ſein, und wird auch uns beſuchen. 

— Na — dann werde ich nicht hier jet. 

— Das iſt ſchon etwas Anderes! .. 

— Juſt werde id) hier ſein! .. 

Die Jugend lachte über den Eifer des 
alten Herrn, nur Lavay lachte nicht; weshalb ihn 
der alte Herr auch anſchnarrte. 

Wenn alle Welt lat. und Sie niht mit- 

laden, it es fein gutes Zeihen! Sie zerbreden 
fih den Kopf über ſehr ernſte Dinge. Solche 
Menſchen liebe ih nicht. Seine Gedanken ſind 
nicht dort, wo die der Anderen. Ueberhaupt 
frommt der rvepublifaniihe Umgang nicht; Ihrem 
Herzen hat er ſchon Gefahr gebradt, es kann 
Ihrem Kopfe aud jo ergehen. 
Gehen wir, — rate Seraphine ihrem 
Saite zu, — hören Sie nidht auf diefe Menichen, 
— und führte ihn in den anftogenden Saal, wo 
jie auf eme Couſeuſe Pag nahmen; ihnen 
gegenüber nahm Charlotte Pla, die ihnen auf 
den Fuß gefolgt mar. 

Charlotte war ein ganz angenehmes Welen, 
die ewig wache Hüterin des Hauſes, die Seraphine 
nie verlieh, und To lange diefe nicht schlief, Fein 
Auge zudrückte. 

Sie hat aber guten Grund, ihre Augen 
offen zu halten; denn das gute Kind it Seit 
zwanzig Jahren ftocdtaub, fein einziger Ton ver— 


un 39: 


mag durch ihr Ohr zu dringen. Dieß hindert fie 
aber durchaus nicht an allen Geiellihaften Theil 
zu nehmen, und von den Zügen der Leute herab 
zu lauſchen, wovon die Rede it; und dann lacht 
fie um die Wette mit den Lahenden, als ver: 
jtünde fie Alles. 

Dabei verläßt fie ihre Hädelnadel nie. Es 
möge weld) immer Beſuch kommen, To figt fie dort 
in der Fenftervertiefung, von wo aus fie Alles 
beobadıten kann, und hädelt eine unermeßliche 
Menge von Spigen, Vorhängen, und derlet un— 
nügem Zeuge. 

Seraphine kann daher ipreden was ihr 
beliebt, dem Anftande it jedoh genug gethan, 
denn Seraphine tft nie allein. Charlotte wacht 
über fie, und wenn diefe auch ihre Worte nicht 
hören kann, So liest fie doch aus ihren Zügen, 
aus ihren Augen. 

Ein jeder junge Mann, welder mit Sera— 
phine in Berührung kommt, wird von Charlotte 
als Bräutigam hingeftellt. Zrifft fie mit der 
Blum zufammen, wispelt fie geheimnivoll: id) 
babe es ſchon heraus, du wirft fehen, Seraphine 
wird den X heirathen. Freilich kommen morgen 
Y. 3. u. ſ. w. auf die Kandidatenlifte, aber des— 
halb it Charlotte von der Untrüglifeit ihrer 
Bermuthungen doch ftets überzeugt. 

Auch Laͤvay gehörte zu den Kandidirten, 
— Er war zwar halb. und halb dem Nachbar: 


— BE — 


hauſe ſchon verpflichtet, doch glaubte Charlotte, 
daß es Seraphinen nur ein Lächeln koſten würde, 
um ihn für das grüne Thor zu erobern. Es 
waͤre kein erſter Fall. 

Als Seraphine im Nebenſalon an der Seite 
Laävay's Platz nahm, ergriff fie feine Hand und 
ſah ihm mit tiefem Blicke in's Auge. Nach kurzer 
Weile ſprach fie: 

— Werden Sie mir das glauben, was id) 
Ihnen jetzt jagen werde ? 

— Unbedingt. 

— Werden Sie Ihren Feinden das glauben, 
mas Diele über ihre guten Freunde ſprechen? — 

— Ich habe jeft feine guten Freunde. 

— Meinem Beripreden gemäß, mill ih 
Ihnen aufrihtig erklären, weshalb Sie jo plüß- 
lich und vorfäglid von den Hargitay's gemieden 
werden. Haben Sie e3 noch nicht errathen ? 

— Es überfteigt dies all meine Ber: 
muthungstraft. 

— Haben Sie feine theuren Baifionen ? 

— Sie willen es am Beften, dag ih niht 
einmal Raucher bin, vom Kartenipiel aber ebenio: 
viel, wie gar nichts verjtehe. 

— Sind Sie niht in Geldverlegenheiten ? 

— Meine Mutter lebt, jomit befike ich 
fein eigenes Vermögen, aber aud) feine Schulden, 
das Leben iteht mir offen, an meiner Seite Man- 
delt die Arbeitsluſt. | 


— 23) — 


— Iſt man nicht hinter eines Ihrer älteren 
Liebesperhältniffe gefommen ? 

— Ich hatte nie eines. 

— Kein ſchmeichelhaftes Kompliment für 
mid; — lachte Seraphine heiter, — hatten Sie 
Ihon vergeflen, daß Ste mir, als wir nod) Kinder 
waren, ftet3 drohten, mich nicht heivathen zu wollen, 
wenn id ſchlimm ſei; war das fein Verhältnig ? 

— Ah Seraphine, — murmelte Yavan düſter, 
— Sie haben nie und Niemanden geliebt. 

Seraphine hatte auf Dielen treffenden Vor: 
wurf traurig ihr Haupt gebeugt. 

— Dod, jagte fie nad) einer Weile; — Ih - 
liebte meinen Vater. 

— Das jagen Sie deshalb, weil er bereits 
geitorhen iſt. 

— Nein, Sondern weil... . Na, deshalb 
brauden Sie nicht zu fterben, ſprechen wir von 
etwas Anderem, 

— Nachdem Sie e3 jelbit nicht errathen, was 
Sie verihuloet haben, jo will ich's Ahnen jagen. 
Ihr Verhältniß zu Judith ift unanknüpfbar 
zerriffien worden, durch jene Ihre Rede, melde 
Sie im Komitatshauje in Bezug auf die Frohn- 
freiheit hielten. 

— Ah! — madte Lavbay. 

— Sie können mir Dies mit Gewißheit 
glauben. Ich Telbit war anweſend auf der Frauen- 
galerie, und werde erzählen, melden Eindrud 


— — 


Ihre Rede auf mich machte. Ich, die ich mich 
an Ihr ſanftes, aufmunterndes Geſicht, welches 
durch Nichts zum Zorn gereizt werden konnte, ge— 
wöhnt hatte, ſah dasſelbe allmälig in einen lei— 
denſchafltich erregten, blitzenden Ausdruck ſich ver— 
wandeln; Ihre bekannte weiche Stimme erhob ſich 
zu einem nie geträumten Donner, welcher dro— 
hend, mit ſich reiſſend von Dingen ſprach, die zu 
erwähnen man ſich bisher nicht getraute, . 
von den zehn Millionen Stieffindern der Na: 
tion... . . von der furdtbaren Volksſouveränität 
. .. das Blut gerann mir in Den Adern, und 
falter Schauer überlief meine Glieder ; jehen Sie, 
wie ich jegt noch) zittere, wenn ich darauf zurüd- 
denke. . . Ä 


Ah wie furdtbar jahen Ste damals aus! 
. .. Und was erft ihrer Rede folgte... . , jener 
enthufiaftiiher Sturm, dem man nit entnehmen 
konnte, ob er Widerſpruch, ob er Begeifterung 
jet? und als ji) dieſer gelegt, jene blaffe Ver— 
blüfftheit auf den Geſichtern der ernfteren Män- 
nern, welche gleich Todten ſtumm, und mit fahlen 
Zügen um pen grünen Tiſch herum ſaßen! .. 
Sie hatten eine ſchmale rothe Binde um den 
Hals; es ſchien mir in jenem Augenblid, als 
jtünde vor mir ein Mann, deſſen beveitS abge— 
hauener Kopf abermals an feine Stelle geſetzt 
wurde, 


Zu. SB 2 


— Sie beſitzen eine ftarfe Einbil dungs- 
kraft, Seraphine, aber was hat die Oeffentlichkeit 
mit meinem Privatleben zu thun ? 

— Sie Sollen es gleih erfahren. Frau 
von Hargitay — bejitt, wie Sie es gut willen, 
ehr erregbare Nerven, und was einmal auf diefe 
gewirkt, wird bei ihr zudem, was bei anderen 
Leuten Veberzeugung heißt. 

Es iſt unbeftreitbar,, daß man Sie bei 
Hargitay's ftet3 gerne ſah, nicht nur als Beſuch— 
oder Hofmacher, Sondern auch als — Braut: 
werber. Ihre Bekannten äußerten fid) entichieden 
günftig über Ihre Fähigkeiten. Sie hatten Bro— 
Ihüren veröffentlicht über ſtaatsrechtliche Fragen, 
Sie haben in gerihtlihen Sachen plaidirt: wor: 
auf Herren von hohem Range ſagten: der wird's 
weit: bringen, er iſt eine große Kapazität, kann 
nod Vizekanzler werden. . . Nachdem Sie aber 
dieſe, Ihre Rede gehalten, hatte ein hochgeftellter 
Herr Ihre Broihüre, „über die Reform der vater: 
ländiihen Gefängniſſe“, in welcher er ſoeben ge— 
blättert, mit den Worten Herrn Hargitay über: 
reiht: es Icheint, daß Cicero für fein Haus ges 
torgt habe! . 

— Der Wis iſt nicht ſchlecht. 

— Ein anderer Herr rief aber feinem 
Tiſchnachbar zu: Glaubt Du es noch, daß er 
zu etwas Höherem bejtimmt ſei? . . Zu etwas 
ſehr Hohem! . . meinte der Gefragte, indem er 


— 28 — 

mit der Hand eine gewiſſe Bewegung gegen den 
Hals machte. Dies hat nicht nur Herr Hargitay 
gehört, ſondern jene unheimliche Bewegung auch 
ſeine Gattin von der Galerie aus geſehen. Am 
jelben Nachmittag kam Fertdi zu Hargitay's, und 
berichtete ganz im Geheimen, daß Sie bereits 
bei der Kanzlei denunzirt worden feien, worauf 
Hargitay zu feiner Gattin ſagte: der wird's dort 
enden, wo Martinovits. 

— Das find aber nur lauter kindiſche 
Reden. 

— Möglih. Aber bei Frau Hargitay be— 
wirkten ſie einen fürmlih klimakteriſchen Um— 
ihmwung ihrer Natur. In jener Naht günnte fie 
Niemanden Ruhe im Haufe. Die arme Judith 
hatte die ganze Naht zu hören: „Einen folden 
Menſchen willſt vu heirathen, über deſſen Haupte 
Ihon das Schwert ſchwebt. Der das ganze Land 
ummälzen und Millionen von Menſchen unglüd- 
lid maden will. Der den Bauer gegen die 
Herren hegt, deſſen Name einjt verfluht jein 
wird, wie jener Georg Doͤzsa's .. .. Dielen 
Namen willſt du führen? Seine Schande, jein 
Elend tragen. Und wenn ihn jein Schidjal er: 
reiht... . . willft du die Witwe eines Hinge— 
richteten werden; oder wenn dich der Himmel 
mit Kindern heimiucht, willft du, dag man mit 
den Fingern auf jie weile und ausrufe: Das 
find Die Wailen des Hingeridhteten! .. — Sie 


a 0: 

jehen, daß ich felbit die Worte weiß, die man 
geiprohen. Ich habe gute Quellen. Das Stu: 
. benmädchen der Hargitay erzählte e8 dem Blum— 
ihen Bedienten, dieler feiner Herrin, und Frau 
Blum hatte die Gefälligkeit fünf Minuten vor 
Ihrer Ankunft die Geſellſchaft damit zu un— 
terhalten. 

— Und was that Judith? Was antwor- 
tete fie? 

0 — Audith ſchwieg. 

— Das war aub das Vernünftigite, 
Wie der Sturm kam, fo wird er auch vergehen. 

— Glauben Sie das nidt; denn niht nur 
die Nerven der Frau Hargitay haben fih gegen 
Sie empört, aud der Gatte hat fi gegen Sie 
gewendet. Gut unterrihtete Menſchen behaupten, 
daß der größte Theil feines Grundbefiges aus 
Urbarialien befteht, und die Berrüdung jenes 
Steines, an welden Site rütteln, wirde den Zu— 
Tammenfturz feines Hauſes herbeiführen. 

— AH! — Man veriteht mid nicht. Es 
wird ja von Niemanden ein Privatopfer verlangt. 
Es ift dies eine Landesangelegenheit, das Dpfer 
muß die Gejammtheit der Nation zum Griage 
des Privatverluftes bringen. 

— Bu dem verftehe ih mich nicht, Lieber 
Bela. Aber das weiß ich entichieden, daß, wenn 
Sie Jemanden beleidigt, Ste denielben verſöh— 
nen, fihb mit ihm Schlagen und wieder gut 


Freund werden fünnen; wenn Sie Ihrer Gelieb— 
ten untreu geworden, fünnen Ste fih abermals 
in ihr Herz einihmeicheln und Verzeihung erlan= 
gen; aber wenn Sie Jemanden erihredt 
haben, den find Sie nit im Stande, mehr dahın 
zu fapazitiren, daß er fih vor Ihnen nicht fürch— 
ten möge. — Ihre Sade tft bei den Hargitan's 
entichteden verdorben. Ich weiß noch mehr. Es 
it beichloffen, Judith je eher zu verheirathen, — 
an einen Andern, | 

— 650? 

— GErrathen Sie, an wen? Denken Sie 
jid) Etwas, den größten Unfinn, die größte Lächer- 
lichkeit. 

— Ich denke mir gar nichts, denn aus dem 
Ganzen wird nichts. 

— Man mill fie an Herrn Bärling ver— 
heirathen. 

— Haha! — madte Lavay. Es war dies 
fein Lachen, fondern nur der Ton desjelben. Die 
Gefihtszüge des jungen Mannes behielten -ihren 
traurigen Ausdruck bei. 

— Das hat aber aud) jeinen plaufiblen 
Grund. Hargitay, welcher bei Berührung feiner 
eigenen Intereſſen ftet3 fonfervativ ift, wird ſeinem 
Rufe, al3 liberale Zelebrität, welchen er ſich im 
Komitatsleben erworben, in der Deffentlidhfeit nie 
entjagen wollen. Wenn .er daher einerjeit3 mit 
Ihnen, dem Führer der Komitatsjugend, bricht, 


wu BE 


wird er Sorge tragen, diefe Scharte durch einen 
eflatanten Tauſch auszuwetzen. Wie Sie willen, 
iſt Barfing nit vom Adel. Er liebt es zwar, 
jeinen Namen mit dem ariftofratiihen „gh“ zu 
ihreiben, während Sie das „y“ von dem Ihrigen 
längft mwegließen ; trogdem mwird man viel Rumor 
darüber machen, daß der ftolze Hargitay einen 
Bauernsjohn zum Schwiegerjohn genommen. 

— Aber Judith... Weiter fonnte Laͤvay 
nit ipreden ... 

— ...... Verachtet dieſen Menſchen, wollten 
Sie ſagen. Glauben Sie mir, lieber Béla, daß 
für's Heirathen, wenn man es ſchon thun muß, 
ein Mann, den man verachten kann, ein ſehr vor— 

theilhafter Gegenſtand iſt. 

— Ach, Seraphine, Sie wiſſen es ſelbſt nicht, 
was Sie da ſprechen. | 

— Sie meinen, daß ih ein Mädden, 
welches Sie lieben, arg verleumde; daß id Ihnen 
Geheimniffe enthülle, welche es Ihnen nunmehr 
unmöglidy machen, die Schwelle des Nahbarhaufes 
je wieder zu überſchreiten. Ich weiß es, daß ich) 
dies thue, ich weiß es aber aud, warum ? 

Das war eine in befter Form gegebene 
Gelegenheit, um den günftigen Moment zu er: 
taffen. Allein Bela ſchien der Menih zu fein, 
welcher das herabgefallene Sacktuch einer Dame 
ruhig am Boden liegen läßt. 


Seraphine wurde durch das ‚Schweigen 
Lavay's derart aus der Faflung gebracht, daß fie 
ihre Hand auf deilen Schultern legend, im hef— 
tigen Tone begann: 


— Sie denken jett jehr tief über etwas 
nach, worüber ih Ahnen jagen fanı, das Nichts 
daraus wird, denn .. . diefes Gedicht iſt in 
Herametern verfaßt, dieſe Versgattung verftehe 
ih nicht zu deklamiren. 


Bela fuhr erihroden über dieſe Worte, 
welhe feinen Zufammenhang mit den früheren 
hatten, empor, und begriff erſt die Urſache Der 
Ihnellen Wendung, als er die Stimme des jun- 
gen Dberlieutenants vernahm, welcher, den Kopf 
durch die halbgeöffnete Thüre ſteckend, rief: 


— Darf man Shre VBerihwörung nicht be— 
lauſchen? 


Seraphine hielt bereits das geöffnete Ge— 
dichtbuch in den Händen, und rief, dasſelbe ne 
Bend, mit naivem Schred : 


— Nein, nein, und abermal nein. Gie 
dürfen es nicht willen, weldes es iſt. . . Sehen 
Sie Lavay, dieſer hinterliſtige Menſch Hat uns 
belauſcht, um zu erfahren, welches Gedicht ich für 
den Empfang Pußtafy's einftudire, 

Robert betheuerte bei Himmel und Erde, 
daß er fein Wort belaufht habe. 


Und jeinem offenen, glatten Gefiht konnte 
man es aniehen, das er beim beiten Willen 
feiner Züge fähig war. 

Die Unterhaltung über den berührten Gegen- 
ſtand konnte nicht mehr fortgejegt werden. Auch 
Bela begab jih zur übrigen Gejellihaft, welde 
ih nun um das Klavier gruppirte, oder an ven 
Whiſttiſchen Play nahm; aber zu jeinem Staunen 
mußte er vernehmen, daR, wohin er immer trat, 
man das Geipräh allſogleich abbrach ... . Lavay 
dachte ſich nun, die bejte Unterhaltung Sei bier, 
zu gehen, und er ging. 

Seraphine erhaſchte einen Augenblick, um ihm 
die Hand zu drüden und zu flüftern: 

— Morgen werde id Ihnen mehr jagen 
fünnen ! 

Kaum Hatte Lavay die Thüre des Vor: 
zimmers hinter ſich geſchloſſen, als das Gelächter 
im Saale von Neuem ausbrad, und Wenzi, 
welcher eben mit einer Taſſe aus dem Saale ge- 
fommen war, mußte die Neugierde jeiner 
Kollegen abermals mit einem plump exlogenen 
Scherz auf den deutihen Hauptmann befriedigen. 

Im Saale aber ging der Tritiehtratich über 
den vor die Thüre gejegten Bräutigam, welder 
jeine Braut am grünen Tiih wegdellamirt hatte, 
abermals los. | 

Seraphine nahm den Verlachten in Schus, 
worauf ein Jeder der Anweſenden jih bemühte, 

üntiere Zeiten, and. Menden 1, 8, 3 


— BE 


all’ das auszuframen, was er gegen das Braut: 
pächen wußte. „Willſt Du Jemanden, der in 
einer Gejellichaft verleumdet wird, noch mehr 
verleumden laſſen, jo werfe Dih einfach zu 
feinem Vertheidiger auf, und Du haft Dein Ziel 
erreicht. “ 

Seraphine unterhielt ih den Umſtänden 
nad, gut, fie ließ fih von Robert mit den einzu= 
lernenden Vers neden, und machte ihm zu guter 
Lebt die großartige Konzeifion, daß er aus den 
Gedichten Pußtafi's das zu Deklamirende wählen 
möge. 
Robert war glüdlih, daß er diefen Auftrag 
erhielt. Aber aud) Seraphine war glücklich, denn 
num mußte fie nicht das ganze Buch durdlefen, 

um zu wählen. 
Miaͤdchen, die viel von eigenen Ideen geplagt 
werden, find feine beionderen Freundinnen des 
Leſens. 

Als die Geſellſchaft in der Auflöfung be— 
griffen war, fixirte Herr Fertoi Seraphine und 
ihre Anbeter durch ſein Monocle, während er in— 
zwiſchen die Blum mit trivialen Komplimenten 
regalirte, und riskirte an letztere folgende Frage: 

— Was glauben Em. Gnaden, welcher von 
den Beiden wird der Gatte Seraphinens : Laͤvay oder 
Robert?.. 

— Derjenige, welcher ſich von beiden zuerf 
erklaͤrt, — beeilte ſich die kleine, lebhafte Frau zu 


— — 


erwiedern, welche ſo klein und beweglich war, wie 
ein Kanarienvogel, aber auch ebenſo unerſchoöpflich 
im Schwaßen:es wäre nur zu konſtatiren, ob auch 
die Kanarienvögel ſtets ihre Nachbarsleute aus— 
richten, wenn ſie ſo eifrig ſchwatzen. 

— Der Zweite wird als Hausfreund ver— 
bleiben, — ſetzte Fertdi mit einem maliziöfen Lächeln 
hinzu. | 

— Und der Dritte auch; — jagte die Blum 
noch boshafter. 

Seraphine bemerkte gut, das man von ihr 
ſprach, und nahm, jobald Fertöi gegangen, die 
Blum ind Verhör. 

— Ihr habt mid) zuvor mit Kertöi ver— 
feumbdet. 

— So iſt es. Wir haben darüber gegrü- 
belt, wer von den Beiden Dein Gatte wird. 

— Liegen allo nur zwei Namen in der 
- Wahlurne ? 

— Wir meinten Lävay und Nobert. 

— Eben von diejen wird'3 feiner. 

— Ach! .. Und weshalb nicht ? 

— Der Eine kann es nicht werden, weil 
er eine Andere ſehr liebt; der Andere kann es 
nicht werden, weil er mich zu ſehr liebt. 

— Nun, ift das etwas Sclimmes ? 

— a, denn wer als Hofmacher jehr liebt, 
wird als Hatte eiterlüchtig, und das iſt ein gro= 
Bes Unglück. 

3* 


zu 36 ze 

— Ueberhaupt bei Dir. 

— Verzeihe, id) iprede exit aus der Theo- 
tie, von der praftiihen Anwendung dieſer Lehre 
fönnteft Du ſchon mehr erzählen. 

Die Blum lachte herzlich darüber, das man 
fie jo ins Lebendige getroffen. Sie pflegte für 
die Revanchen, die fie erhielt, nie zu zürnen, fie 
machte es, wie gute Fechtme iſter, welche ſich jtets 
freuen, einen gejunden Hieb von dem Schüler 
auf das Plaſtran befommen zu haben. | 

— Menn es aber weder der erfte, noch 
der zweite wird, wer wird's dann ? 

Seraphine zudte leiht mit den Achſeln. 

— Am eheften Fertöt ſelbſt. 

Die Blum ihlug ihre Heine Katzenpfoten 
zweimal ineinander. 

— Ad! was Du ſagſt, den kannſt Du ja 
nicht leiden. 

— Na, und? ... 

— Ich mag ihn au nicht leiden. 

— Braucht ihn auch nicht zu heiraten. 

— Aber es mag ‚ihn die ganze Welt nicht. 

Seraphine ihaute einige Minuten ſtillſchwei— 
gend in die Augen der Blum, als würde fi. 
berlegen, ob fie weiter ſprechen toll, oder nichte 

— Und doch kenne ih Femanden, der ihn 
nur zu gut leiden mag. 

Die Blum ftierte Serahpine mit großen 


— = 
Augen an, wie Jemand, bei den es zu dämmern 
anfängt. ‚ 

— Du fürdtejt, er wird Deine Mutter 
heiraten. 

— Das wäre für uns ein großes Unglück, 
weil er fie binnen Jahr und Tag zu Grunde 
rihten würde. 

— Wenn aber Du ihn beirateft, jo kann er 
Di zu Grunde richten? .. . 

— Glaubſt Du das ?— antwortete Seraphine, 
mit falten Stolz das Mintaturweibhen meffend, 
welches, jih an ihren Arm hängend, trog ihrer 
hohen Friſur kaum bis an die Achſeln des Mäd— 


Als ſie geſchieden, ſchüttelte die Blum noch 
immer das unruhige Köpfchen mit den zahlloſen 
zitternden Locken, und da ſie auf dem Heimwege 
mit Niemanden ſprechen konnte, ſo ſprach ſie mit 
den Augen, mit den Geſichtszügen zu unſichtbaren 
Geſellſchaften, und jagte wiederholt zu dem beglei- 
tenden Diener: „Warum haft, Du mir feinen wär: 
meren Shawl gebracht, Johann, es ift mir jo falt.“ 

Es war ihr in der That kalt, wenn fie der 
Worte Seraphinens gedadhte: „Dann fennit Du 
mich noch nicht!“ 


Einer, der „gegangen“ wird. 


Am andern Tage traf Laͤvay am Dampf: 
Iihiff-Landungsplage mit den Holdvary's zuſammen. 

Mutter, Tochter und Zeleji promenirten 
eben dort. In Heinen Städten it die An— 
kunft des Dampfichiffes ein Ereigniß, und das 
Warten darauf zählt aud) zu den Vergnügungen, . 
heute umſomehr, als für Die morgige große Feit- 
lichkeit viele Fremde und Belannte zu erwarten find. 

Ueberdies iſt der Landungsplag ein gar 
liebes Dertchen, gelegen an der Spike einer Heinen 
Inſel, welche von ſchlanken ttalieniihen Pappeln 
umſäumt ift. Der Warteiaal und deſſen Umgebung 
ift von lachend grünen Bignonien beſchattet, der 
Raſen ijt troß des ipäten Sommers jr und 
elaftüch‘, und die Gräben nod) voll der Blumen, 

Heute herrſcht hier eine ungewöhnliche Rüh— 
rigkeit . . . da werden aus friihem Pappelreiſig 
Pyramiden gebaut; dort ein Triumphbogen aus 
grünen Tannen und Dahlien errichtet, Niemand; 
frägt, weshalb ? . . die ganze Welt weiß es ja, 


— — 


und wer's nicht weiß, braucht nur einen flüchtigen 
Blick auf jene aus trikoloren Buchſtaben zuſam— 
mengeſetzte Bewillkommsſprüche und Chronoſtika 
zu werfen, und wird aus deren Anhalt erfahren 
dag für morgen ein hoher Haft erwartet wird: 
der Palatin, der erite MWürbdenträger des 
Landes, deilen Name noch aus jener Zeit 
populär it, wo er al3 vierjähriger Knabe mit 
den Bauernbuben zu Alchuth geiptelt und ihr 
ſchwarzes Brod getheilt hatte. 

Heute Ipriht man, wie natürlih, von 
nichts Anderem. als von den Vorbereitungen zu 
dem Feſte; dies gab auch Seraphinen den Vor— 
‚wand, Labay über die Hargitay's zu ſprechen. 

Ich kenne bereit3 das ganze Programın. 
Die Hargitay's find gejtern angefommen ; der alte 
Herr wird den Palatin bei feiner Ankunft em= 
pfangen. . . . Welch' ein Triumph für die Fa— 
milie! ... Wird das Fiasko der Dilettanten-. 
Borftellung gänzlich vergeſſen machen. . . . Damit 
iſt es übrigens nicht abgethan, daß Hargitay ſo 
lange an der Landungsbrücke beneventirt, bis der 
Palatin ſein Gabelfrühſtück verzehrt, ſondern es 
werden nach dem Plane der Frau v. Hargitay, 
und unter ihrer Führung die Damen der Stadt 
in feftlihen Toiletten unter einem auf der Brüde 
errihteten Baldachin den Feſtzug erwarten, und eine 
derjelben dem Palatin einen Kranz überreichen, 
Diele eine wird wahriheinlic Judith fein. Uns 


= AG 
hat man aus diefer Szene feierlich ausgeſchloſſen. 

— 68 iſt ein ſchlechter Plan, — ſprach 
Lävay — die ftürmende Volksmenge wird , dert 
die Damen evdrüden. ü 

— Dafür ift aud gelorgt; an jedem Ende 
der Brüde wird ein Komitatshukar mit dem 
blanfen Säbel in der Kauft und feiner Mente 
über die Achſeln ſtehen; diefe wird das ſouve— 
väne Volk doch reſpektiren; überhaupt wenn jie 
den Federbuih an die Tſchako's ſtecken. . . . .. 
Welche Rolle fiel Ihnen zu? 

— Die des Zuſchauers. Beim Fackelzug 
hätte ich die Rede halten ſollen, geſtern ſagte ich 
jedoch ab. | 

— Damit haben Sie die Betreffenden jehr 
verpflichtet, die feit drei Tagen ſchon berathen, 
auf welche Art man es Ihnen zu willen geben 
fünnte, daß man geſonnen ift, einen älteren 
Herrn von veifem Berftande zu dieſem Zwecke 
aufzufordern ? . . 


— &?... Um to beiler. . . 

Während dieſes Geſpräches landete der 
Dampfer. Eine Menge Paſſagiere famen an; 
ihweißtriefende Männer in Reiſekleidern, beladen 
mit Ihweren Padtaihen und Paradeſäbeln im 
(edernen Futteral; feuchende Damen mit Kartan- 
deln am Arme, welde alle nad ihren Ver: 
wandten und Bekannten herumſchauen. . . . Bei 


— ME O3 u 


ſolchen Gelegenheiten it es ſchwer Jemanden zu 
erfennen . . 

— Sehen Sie Pußtafi Ihon?. . frug 
Seraphine Lavan. 

— Dort koͤmmt er! . vief diejer und 
verließ Die vornehme Geſellſchaft, um dem Freunde 
entgegen zu eilen. 

Der Dichter iſt eine hohe, robuſte Geſtalt, 
mit braunem, loſe hängendem Lockenhaar, feinem 
Schnurbart und einem bei uns damals unge— 
wöhnlichen ſpaniſchen Knebelbart. Sein Anzug 
beſteht aus einem Dolmany mit dichten Knopf— 
reihen, einen beihnürten Ueberwurf, ungariſchen 
Holen und befranzten Csismen; auf dem Sopfe 
figt ein Hut mit aufgeftülpten Rändern... .. 
Ganz die Mode von 1861... Nur das Hals— 
tuch fehlt vom Halſe, weldyen der Be 
gene Hemdkragen offen läßt. 

Wir- ſchrieben zu jener Zeit das Jahr 
1847, trugen Fracks. Pantalons und glänzende 
| wie jet — weshalb ein 
Mann, welder der Mode um vierzehn Jahre voran 
zueilen wagte, allgemein begafft wurde. 

Bevor der Dichter ſeinem ihn entgegen- 
eilenden Freunde die Hand gereicht hatte, frug er 
diefen haſtig: 

— Haft Du Deinem Plane, morgen eine 
Rede zu —— entſagt? 





— 42 — 


— Dann Servus .. Hier meine Hand... 
Hätteft Du „nein“ gefagt, wäre ic augenblicklich 
ungefehrt und weiter nad) Raab gefahren. 

— Komm, id) will Did) den Holdvary'3 vor— 
ftellen ; jagte. Labay und zog den Freund mit jic) 

Pußtafi schritt ftolz, als hätte die große 
Bollsmenge nur ihm erwartet, durch die. halbfer- 
tigen Triumphbögen, und Denen ev vorgeftellt 
wurde, reichte er die Hand mit unverhehlter Her— 
ablaſſung. 

Als er den Namen Zeleji's vernahm, blickte 
er dieſen an, und rief in freudigem Tone: 

— Ach! wir ſind ja alte Bekannte. 

— Mir dünkt es auch jo; — gab der Offi— 
zier zaudernd zur Antwort. | 

— Wir find in Linz mitſamm' Soldaten ge: 
weſen, traten zugleih ein; Du haft es, wie ich 
jehe, weit gebracht; mich hat man als Gemeinen 
verabichiedet. 

— Nur führteft Du damals einen andern 
Kanten. | | 

— Weil mir mein Vater den feinigen zu 
tragen verbot, da ich mid) einem liederlichen Leben 
gewidmet, indem id) Poet geworden. Jetzt hat 
er mic gebeten, ich möge ihm erlauben den mei= 
nigen zu tragen, jenen, den ich mir telbit er: 
roorben. | 

— Das glaub’ ih Dir, Du bift ſchon General. 

Seraphine, welche die Gefichtszüge der 


a YA 


beiden Freunde . mit Aufmerkſamkeit gemuftert 
hatte, machte, an Laͤvay gewendet, folgende Be— 
merfung : 

— Finden Ste nit, daß. ſich Pußtafi und 
Zeleji ſehr gleich ſehen? Wenn der erjtere jeinen 
Bart herabnehme, oder Beide ſich einen Vollbart 
wachen ließen, könnte man fie verwechieln. 

Pußtafi war bis zur Unhöflichkeit mit 
feinem zufällig entdedten Freunde beſchäftigt, To 
dag ihn die Holdvary'S zum Zentrum der Geſell— 
ſchaft zurüdztehen mußten. 

— Herr Pußtafi wird uns morgen zu 
Mittag die Ehre geben, Lavay hat uns dies be- 
veit3 in Ihrem Namen veriprodhen. 

— Auch Ew. Gnaden nehmen feinen An- 
theil an dem offiziellen Bankett ?!. vier Pußtafi 
freudig . . . Daß ih doch Jemanden in diefer 
Stadt finde, der ſich nicht um —— 
ra uft. 

Lavay hätte gerne ſeinem Freunde den 
Mund zugejtopft, denn die Holdvary's haben 
Alles aufgeboten, um Karten zu bekommen, aber 
ohne jeden Erfolg, deren Arrangeure waren ja die 
Familie Hargitay. | 

Die Männer begleiteten die Damen nad) 
Haufe; am Thore nahmen fie von Zeleji Ab- 
ihied, welcher in die Feſtung gehen mußte ; 
Pußtafi dagegen nahm Laͤvay am Arm, und ging 
mit ihm in feine Wohnung. 


u 


Nach der eriten Begrüßung in Béla's Ar- 
beitszimmer, zündete fih Pußtafi eine Zigarre 
an, und ſprach: 

— Alſo, Brüderchen, Du biſt verliebt. Das 
kommt zur ſchlechteſten Zeit; dieſe iſt nicht für 
verliebte Leute geſchaffen, Bruder, ein großer 
Kampf harrt unſer, und wird heranrücken, ehe 
wir es vermuthen. 

So wie man die Wahlen für den Reichs— 
tag vorbereitet, it es zu erwarten, daß es 
einen Kampf auf Leben und Tod geben wird. 
Das wirft Du bereits wiſſen, was Ludwig 
Battyani dem Palatin antwortete, als diefer ihn 
frug, welche Hoffnungen er für den naächſten 
Landtag hege? — „Wir werden die Pecſovics' 
ſchlagen, daß es kracht, Hoheit!" .. . . In 
ſolchen Zeiten iſt es nicht gut, wenn Jemand mit 
ſeinem Herzen zu thun hat. 

— Als Dichter mußt Du es wiſſen, daß es 
hier kein Gegenmittel gibt. 

— Es gibt eines. Die Liebe muß befrie— 
digt werden; dann wird nicht ſie über uns herr— 
ſchen. Mit verheirateten Männern läßt ſich ſchon 
reden: aber Brautleute, unglücklich Liebende jind 
zu nichts Beſſerem gut, als fie in. die Donau zu 
ſchmeißen, wenn fie nicht von ſelbſt hineinfpringen. 

— Ich brauche nicht viel Anipornung dazu. 

— Wenn ih Spree, haft Du zu ſchweigen, 
Brüderhen. Bin nit gefommen, um Eure 


us AR ie 


Triumphbögen zu begaffen, oder mih nad dei 
Befinden Eurer Fräuleins zu erkundigen, ſondern 
um etwas Entihiedenes auszuführen, Du jollteft 
ſchon längſt in Peſt fein; unſere Freunde fragen 
in einem fort, wohin Du gelommen ? Ich aber 
zittere jeden Augenblid, dag man Did) pii Klich zum 
Domänenfisfal ernennt, wo Du dann jelig im Herrn 
entſchlafen fannft. Ih fam daher jest, um Dich) 
mitzunehmen. 

— Werde ein wenig ſchwer ſein. . . .. 

— Auch der Traumſichtige iſt ſchwer, und 
dennoch zieht ihn der Mond. Ich werde Dich mit 
Deinem Monde ziehen. Du mußt dieſes Mädchen 
heiraten, und damit ſei es mit der Privatſchwär— 
merei zu Ende. Folgen höhere Schwärmereien, 
denen wir gehorchen müffen. 

— Die Eltern wiefen mid ab. 

— Laß’ fie. Das Mädchen liebt Did), — 
biſt Du überzeugt. 

— Wie von meinem Tode. 

— Dann nehme ſie, trotz ihrer Eltern. 
— Werde es thun; muß mir aber früher 
eine. ſelbſtſtändige materielle Exiſtenz gründen. 

— Liebe3 Brüderchen, - derjenige, welcher - 
fein Herz zu befriedigen wünſcht, ißt Kartoffeln, 
und fühlt ſich glüdlih dabei, wern aber Jeman- 
mehr jeinem Magen jhmeihelt, dann bleiben die 
Kartoffeln für das Herz... Wenn es Deine erfte 
Sorge ift, daß Deine Frau eine Dame jet, dann 


— 46 — 

gebe ich Dir einen Rath: In der zwei Adlergafſe 
gibt es eine Seifenfiederin, die hat drei Töchter, 
alle drei find häßlich und dumm, jede befommt 
aber hunderttauiend Gulden; .. jet Hug und ums 
jihtig, heirate Die Mutter, dann haft Du alle 
dreimalhunderttaufend , . . . wenn Du Dir aber eine 
Gattin wünſcheſt, die, wenn es jein muß, mit Div 
ſelbſt das bittere Brot der Verbannung theilt, 
dann, und wenn Alles wahr ift, was du mir in 
Deinen Briefen über deine Geliebte gejchrieben, 
dann heirate Dein Mädden, und wenn ſie baar- 
füßig ins Haus kömmt; hr werdet ſelbſt auf 
dem Eile leben fünnen..... Ad, die Liebe hat 
Ihon Manchen zur Lebenstähigkeit gezwungen. 

‚— Kannit überzeugt jein, daß ich jeder 
Entbehrung,; jeder Arbeit fähig bin, aber ich ‚habe 
den Muth nicht, fie zu fragen, ob fie im Stande 
ift, einen gleihen Entihluß zu faflen. 

— Das wußte ih im Voraus, dag Dir 
der Muth Hiezu fehlen wird, deshalb befrug 
ich fie, 

— Wie? 

— Kennſt Du bier einen jungen Manır, 
Namens Barzfing ? | 

Das Geiiht Lavay's wurde feuerroth, Wes- 
halb erwähnt er auch dieſen Namen jeßt. 

— Ich weiß eg, wer er ift. 

— Du weißt e8 niht!.. Ach weiß es 
Ueberhaupt weißt Du nie etwas, wenn Du es nicht 


di — | 

bon mir .erfährft. Du bift der Meinung, dieſer 
Barzling ſei ein Advokat, während er ein gehei- 
mer Dramaturg ift. Er war eben in Peft, ja 
mir zwei Tage am Naden, und lag mir zwei 
jeiner räuberichen Dramen vor, umfonit jagte ih 
ihm, das es Eieleien, Verrücktheiten ſeien; nußte 
Alles nichts; er kam am dritten Tage, und brachte 
ein Luftipiel; von dem befam id) das Fieber... 
Uebrigens gehört dies nicht zu Deiner Sache ... 
Aber bei dieſem Eſel erkundigte id mich über 
Deine und Judith's Angelegenheiten ; der Büffel 
erzählte, was zu erzählen war... Ich habe be- 
merkt, daß auch er in Judith verliebt ift, der 
Narr; den legten Tag beihied ic) ihn zu mir und 
ſprach: ‚Hören Sie, wilder Stier“... 

— So wirft Du ihn doch nicht genannt 
haben?... 

— Was fallft mir in die Nede? Freilich 
nannte ic ihn jo. Pflege ich denn mit den Ti— 
tulaturen wähleriich zu fein, oder joll id Zemanden 
einen gnädigen Herrn nennen, der mich Drei 
Tage hindurch mit feinen niederträdtigen Dramen 
quält? .. Er nahm dies jogar als große Ber: 
traulichkeit von mir dahin. Alſo ih ſagte: Sie 
haben midy drei Tage hindurh mit Ihren Dra- 
men gefoltert; jegt thue ih Ihnen den Gefallen, 
daß ih Ihr Machwerk dem Dramenbeurtheilungs- 
fomit& bringe, und dasſelbe eriuche, damit... 
einzubeizen. (Baͤrzſing bielt das für einen Witz 


— ei 


und bedankte fih dafür.) . . . . Aber auch Sie 
müfen mir eine Freundlichkeit erweiſen. Sie 
wiſſen, daß ich meine ſämmtlichen Gedichte zu 
veröffentlichen gedenfe. Ein Verleger läßt ji 
hiezu ſchwer auftreiben, ausgenommen, wenn id) 
mid nod verbindlich. made, alle Tag jeine Stie- 
rel zu pußen; ih made mid daher jelbit zu 
jenem Geichäfte der Wegelagerung auf, wmeldes 
man „pränumeriren laffen“ nennt. Hiezu braude 
ih Patrioten von großem Einfluß, die das 
Herumlaufen nicht ſcheuen, und fid nicht Tobald 
vom Halfe ichütteln laſſen; auch braud)e ich be— 
geifterte Patriotinnen, die ihre Hofmacher einzeln 
füdern, und es fih zur Ehre anrechnen, wenn fie 
den Bogen vollgezeichnet zurückſenden. Als ſolche 
ericheint mir die erwähnte Patriotin. 

— Der Narr Ihwor mir bei Himmel und 
Erde, daß ich's getroffen habe... Nun bat ih 
ihn, er möge einen derartigen Pränumerations- 
bogen für das Fräulein übernehmen, id) werde 
noch einen jchmeidhelhaften Brief beilegen, in. 
welchem ich fie erſuche, ſie möge mir ihre hohe 
Protektion angedeihen laffen. 

— Du?. . frug Bela verwundert. 

— Said. . . Aus dieſem kannſt du meine 
vaͤterliche Liebe zu Dir ermeſſen, wenn Du be— 
denkſt, daß ich für Dich jene ungeheuere Selbſt— 
verleugnung begann, daß ich Thorſites erſuchte, 
mich bei Deiner Penaloge zu zupatroziniren. 


zu Ag. 


— Ich veritehe. | 

— So Ihweige doch! . Es wäre beſſer, 
anftatt mich alle Augenblide zu unterbrehen — 
was in Anbetracht Deiner Jugend (bift wenig- 
ſtens um zwei Jahre jünger) nicht einmal Tchid: 
jam tft — wenn Du mir Streichhölzchen herbei: 
ſchaffteſft. . . Ein furchtbares Ding, ſolch' ein 
Nichtraucher, man kann im ganzen Haus kein 
Hölzchen finden! . . . Und nun weiter . „ der 
junge Mann erbot ſich, zu meinen Befehlen zu 
ſtehen. Ich ſchrieb (während er mit dem Hute 
in der Hand vor mir ſtand) einen Brief an 
Judith, welcher woͤrtlich lautet: 

„Sehr geehrte Patriotin! 

Ein junger Mann, den ich überaus liebe, 
da er mein einziger Freund, und der deshalb 
mein einziger Freund iſt, weil ich ihn überaus 
achte, hat das Glück ihren Brautring zu tragen. 
Wie ftarf er Sie liebt, ermefje id) daraus, daß 
er, ſeitdem er in Ihrer Nähe, ift, jelbit meiner 
vergißt, Umſomehr habe ih an ihn gedacht. 
Heute erfuhr ich. von diefen Menſchen, der Ihnen. 
meinen Brief einhändigt, daß Sie, die beffere 
Hälfte der Seele meines Freundes, in. Folge 
elterliher Willkür und politiſcher Meinungspiffe- 
venzen wegen, von dem Ihnen anverwandten 
Geiſte losgerifjen, Ihre Hand einem jener Thiere 
reihen müſſen, welche ein Spiel der: Natur in 
menſchliche Form gegoſſen hatte. — 


Andere Zeiten. and. M. 4 


as: So 


Sch, der ih der geihmorenjte Feind 
jeder Tyrannei bin, zähle auch die elterliche 
Willkür dazu; und wenn die Eltern, denen Gott 
eine föniglihe Gewalt über ihre Kinder cinge- 
räumt, dieſelbe in Tyrannei ausarten laffen, fo 
stelle ich ihnen das Recht der Empörung, des 
Aufftandes gegenüber ; und ſowie die Worte der 
Schrift beiagen: „Ehre Bater und Mutter, damit 
du lange lebeſt auf Erden“, — to Sage id: 
‚Ehre Sohn und Tochter, damit du glücklich 
werdeft im Himmel.” Denn der Vater, welder 
hier jeinem Kinde eine Hölle bereitet, hat ſchlecht 
für jein Seelenheil gelorgt. Ohne Liebe ift das 
Leben eine Hölle. . . Sie müſſen flühten. . . . 
Alles, was der Menſch zu verlieren im Stande 
ift, die Freundlichkeit feiner Belannten, die Theil- 
nahme der Verwandten, der Belik, die weltliche 
Stellung, jelbit das Heiligfte, der gute Ruf, find 
Nichts gegen das verlorne Glück der Liebe... . 
Ich weiß nidt, ob Sie die Kraft bejigen, zu 
thun, wozu id) Sie auffordere ? . . . Aber id) 
ſag's Ihnen einfach. Nach einigen Tagen, wird 
in Folge einer gewiffen Aundreiie, in Ihrem 
Mohnorte eine große Feitlichleit arrangirt. 
Abends feierlihe Belendtung, fenne das Pro— 
gramm. 

Ich werde als Beiftand meines Freundes 
fommen. Während der Sllumination treffen wir 
am Hauptplage zuſammen. Sie werden am 


= Bl: Se 


Arme jenes Mannes gehen, welchen Ihre Eltern 
zu Shrem Gatten erforen, es wird Ahnen ein 
Leichtes, dev Gejellihaft um einige Schritte vor: 
anzueilen, man wird Sie in fiherer Begleitung 
glauben. Wenn ih dann zu diefem Menichen 
einige Worte iprede, wird er Sie vorlaffen, um 
zu mir zu eilen. In dieſem Augenblid ericheint 
mein Freund, Ihr Getrener, reiht Ahnen den 
Arm, das Boll ruft dem jid) nähernden Palatin 
jeine obligaten „Eljen’s“ zu, jeder Blick haftet 
an jeinem Antlig; — Sie eilen durch ein Geis 
tengäßchen zur Donau, dort finden Sie einen 
Kahn, mweldyer Sie über die Donau in das ge= 
genüber liegende Dürfen führt. Der Seeljorger 
war unſer Schullamerad; er wartet bereits mit 
mit den nöthigen Zeugen; und in einer Stunde 
find Sie vor Gott und den Menihen Mann 
und Weib. ’ 

Wenn Sie diejen Plan.gutheigen und an- 
nehmen, geben Sie es mir folgendermaßen zu 
wiffen: Sagen Sie nad) Leſung des Briefes je= 
nem Wanne: „Es thut mir leid, kann das Sam— 
meln nicht übernehmen; bin nidt in der Lage, 
id) ſelbſt unterichreibe ein Exemplar.“ Damit jen= 
den Sie den unterzeihneten Bogen an mid). 
Wenn Sie aber den Plan für unpaſſend halten, 
dann werten Sie den Bogen weg, oder machen 
Sie nihts mit ihm, feine Antwort wird aud) 
eine ſein.“ 

4* 


2. FRE oa 


Diefen Brief übergab ih zur Bejorgung 
dem Herrn Bärzfing, mwelder ihn aud ficdher 
beforgen wird. 

Bela Ihaute betroffen jeinen Freund au, 
als wüßte er nicht, ob das Erzählte Scherz oder 
Mahrheit fei. 

— Du jpielft Komödie? ... 

— Pflege es zu thun, Du weißt es. — 
Ad, hab’ dod ein Zündhölzchen endlich erwiſcht, 
bier am Dfen! ... 

Hiermit zündete der Didter feine Zi: 
garre an, und ſetzte jid) nieder. 

— Nun, wie gefällt Dir meine Intrigue ? 

— Sprichſt Du im Ernft ? 

— Glaube feine Maske vor dem Gefichte 
zu haben. 

— Das war ja aber eine unſinnige Narr= 
heit von Dir ? 

— Ich wußte es, das Du erichreden wirit, 
weshalb ih Did nit im Voraus gefragt babe, 
ob Du einwilligſt? . . .. Die Frage ift nur: 
Liebſt Du fie? ja, oder nein? .. Liebt jie Did), 
ja, oder nein? . . Wenn auf beide Fragen die 
Antwort mit „ja“ lautet, dann gehört fie Dir, 
und Du ihr. Gibt man fie Dir nit, nimmſt Du 
fie mit Gewalt. | 

— Wohin denfft Du! — rief Bela mit 
Entrüftung. | | | 

— Was ich denke? —rief Pußtafi aut. — 


= Eh a 


Sch denke, daß Du ein Tablabirö bift, der bald 
einen Schmerbaud befommen wird; daß Du nicht 
jo viel Muth haft, wie die Henne zum Schwim— 
men; und während id darüber nadjinne, wie 
Dein Gefiht dem St. Juſte's ähnlich) ſieht, wäh— 
rend ih Dich meinen Saint Juſte nenne, bift Du 
ein wahrer Citoyen Picotin ! 

Bela fuhr auf dieſen Spottnamen in die Hühe. 

— Sage das niht nod einmal! 

— Das bift Du, Picotin ; und niht Saint 
Juſte. 

Das werden freilich Wenige wiſſen, daß Ci— 
toyen Picotin Held irgend eines franzöfiihen Ro— 
mans und ein muthiger Kürſchner it, der Telbit 
die Tiger beim Schweif erfaßt, wenn jeine Haut 
berabgezogen. Die zwei guten Freunde hatten 
ſelbft gleihe Leltüren, jo das gewiſſe Anſpielun— 
gen als gangbare Münze bei ihnen galten. 

Der fatale Rame Picotins hätte zu einen 
ärgeren Zerwürfnig Anlaß geben fünnen, wenn 
niht Béla's Mutter erihienen wäre, um die 
Streitenden mit der fategoriihen Mahnung ; 
„Zaflet das Geplauder, die Suppe wird falt“ an 
den Mittagstiih zu rufen. 

— Soll nie ein größeres Unglück das 
Haus treffen!. .. ſagte mit komiſcher Andacht 
Pußtafi. 

Béla's Mutter gehörte noch zu jenen Frauen 
aus der guten alten Zeit, welche die Küche als 


—— 


ihr Arbeitszimmer betrachteten, und die es mit 
Stolz herausjagen fonnte, daß ein jeder Lein- 
faden im Hemde ihres Sohnes bon ihrer Hand 
geiponnen ſei. Wie viel Segen muß an dielen 
Fäden haften; dachte doch die Witwe während 
fie in langen Nähten die langen Fäden ſpann, 
nie an etwas anderes, als an ihren Sohn. 

Bela war noh ein Heiner, lallender Knabe, 
als man feinen Vater zum Kirchhof trug; ſeit— 
dem hatte die Mutter ihre Trauerkleider nie ab- 
gelegt, fie kleidete fih immer Schwarz, nur an 
ſehr heißen Sommertagen geihah es, daß fie ein 
lihteres Kleid nahm, wo auf dem Ichmwarzen 
Grunde graue Tüpfhen zu jehen waren. 

In Früher Jugend war auch Bela ein 
gutes, zu Haufe figendes, folglames Kind, etwas 
furhtfam, und an dem Node feiner Mutter 
hängend,; doch Ändert fi dies mit der Zeit, 
wenn die Kinder großwachſen, und die guten 
Alten wollen es nit veritehen. 

Die alte Laͤvay glaubt heut’ zu Tage nod), 
daß ihr Söhnlein das folgſamſte Kind der Welt 
ift, welhes um Erlaubniß frägt, wenn es eine 
Frucht berühren will, und alliogleih die Hand 
zurüdzieht, wenn Mütterhen jagt, daß fie „un= 
reif“ jet. Sie ift heute noch ſtolz auf ihn, denn 
fie glaubt überhaupt, daß ihr Bela der Ihünite, 
geſcheideſte, und ftärfite von allen Männern der 
Welt ift. 


u" a, 


Sie muß ja dies aut beiten willen, denn 
als er Kein geweien, hatte ja fie jeine vothen 
Wangen gewajhen, jein blondes Seidenhaar ge- 
fümmt; ſie muß am beiten wiſſen, weld' ein 
Ihönes, Heines Kind ihr Bela ift. 

Auh das hatte jie ja gejehen, wie ihr 
Söhnlein es den Uebrigen in der Gymnaftif, 
vorgethan, wie er viel, viel größere Burſchen, 
als er, zu Boden wart. Ad, er war unftreitig 
der ftärkfte! | 

Wie ftolz war fie erſt auf jeine Gelehriam- 
feit. Stets war er der erjte feiner Klaſſe. Mo 
andere noch buchſtabirten, gehörte er ſchon unter 
die Leſer; wie lobte man ihn Ipäter, alser größer 
geworden, für jeine lateiniihen Aufſätze; um ſei— 
ner, Ihönen Handſchrift gar nicht zu gedenken. 
Und welde Freudentage waren es, al3 er die erite 
Prämie erhielt, al3 er von der Univerfität heim— 
fehrte, wie jtolz zeigte die gute Witwe die- emti- 
nenten Zeugniffe! Der größte Triumphtag war 
jedoch, als nad) Ablegung der Zenfur das Diplom 
mit dem Prällarum in der a 
feierlich publizirt wurde. ’ 

Wie viel hatte die gute Witwe über alles 
diejes nachgedacht, wenn fie in ihrem puritaniſch 
einfahen Zimmer am Spinnroden ſaß, und, bon 
Niemanden gehört, heilige Pialmverje fang, und 
wie fie zu Haufe entbehrte und parte, Damit ihr 
Söhnlein in der Hauptitadt ſich's gütlih thun könne. 


u SEE 


Aber die Kinder wachſen heran, und die Freude 
der Eltern verwandelt fih in Sorge. Der ftatt- 
liche Junge wird durd die Liebe der Mädchen der 
Mutter abwendig gemacht; und es trägt fi, ob 
ſich eine Liebe finden, welche die der Mutter auf- 
wiegt. Sein Muth, jeine Kraft verleitet ihn zu ge= 
rährlihen Händeln; und die arme Mutter be= 
merkt an einem jhönen Tage, dag ihr Söhn- 
lein mit einer Narbe auf der Stine heimfehrte ; 
und das Söhnlein brüftet ſich nod mit dieſer 
Narbe, denn der Gegner hat deren drei erhalten, 
ad)! wenn man ihn getüdtet hätte! „Verdecke die 
Narbe mit deinen Locken, — jagte die Witwe — 
damit fie nicht Jedermann ſehe!“ | 

Und nachdem das feine Söhnlein ein großer 
Manı geworden, und ſich wie einjt auf den 
Schulen, nun zum großen Examen des öffentlichen 
Lebens jtellt, und zu iprecdhen beginnt von Din— 
gen, über welche der eine Theil der Zuhörer in 
ſtürmiſche Beitallsrufe ausbricht, während der an= 
dere mwüthend ein „Ereuziget ihn!“ ruft; ad), wie 
pocht doch damals das Herz der armen Witwe ! 
Ah, wie Ihade, das die Kinder jo groß heran 
wachſen, wäre es nicht beifer, wenn fie immer To 
lieb und Elein blieben ! 

Frau Lavay hatte auch jegt jelbit das Mit- 
tageffen beſorgt; es fam nur das auf den Tiſch, 
was ihr Sohn gen aß; prädtige ſchmackhafte 
Speiſen. Pußtafi konnte fi) des Lobes nicht ent- 


—-„ — 


halten, nd nahm von Allem zweimal ; die Hausfrau 
drängt ihn aber, auch das dritte Mal zugulangen !! 
Bela genießt nihts. Er Schaut ftumm auf fein 
Teller, und wenn ihm die Alte die loderjten 
Biffen vorlegt, vergißt er fie auf dem Teller, und 
jagt: er habe feinen Hunger. 

— Bift Du frant? Fehlt Dir Etwas ? 

— Ganz und gar nide. Ich eſſe ja 
genug. 

— D, auf den, der Ihon geſtorben ift, 
jagt man, er hat ſchon genug gegeſſen. Dod es 
fehlt Dir wirklid Etwas. Oder ſchmeckt Dir das 
Eſſen zu Haufe nicht mehr. Niht wahr, «3 
ihmedt Dir nidt. In Peſt befümmt man Beſ— 
ſeres. Sagen Sie mir doch, Herr Pußtafi, denn 
mir gefteht er's nicht, was jpeilte denn Bela ges 
wöhnlidy in Veit? Ich kann das auc bereiten, 
wenn ich es nicht kann, will ich's erlernen; ich) 
ſchaffe es vom Ende der Welt her, wenn man es 
hier nicht bekommen kann. | 

Die Lippen der guten Alten zitterten, dem 
Weinen nahe in ihrer Betrübniß; Bela legte 
jeine Hand verjühnend auf die feiner Mutter. 

— Alles, was hier ift, meine Mutter, iſt 
jehr gut; nur mein Gaumen it Ichledht. 

— Das ıft nicht wahr, niht Dein Gaumen 
ift Schlecht, fondern Du haft irgend ein Leid, das 
Du mir verheimlichft. Nicht, wahr Herr Pußtafi? 


u 3 


Er bat irgend ein großes Leid. Bor mir ver— 
heimlicht er es. 


— Bela Fehlt garnichts, glauben Sie es, — 
jagte Puhtafi mit rauhem Sarkasmus. — Das 
Ganze beſteht darın, dag er jekt zweiundzwanzig 
Jahre alt ift; jet kommen die Weisheitszähne, 
und die Heinen Kinder pflegen Schlechter Laune zu 
jein, wenn ſie einen Zahn bekommen. 


Die alte Dame aber veritand keinerlei Wig, 
beionders wenn von Bela die Rede war. 


— D! mein Bela braucht feine Weisheits- 
zähne mehr. Eher ift das jein Uebel, daß er 
mehr Verſtand hat als Andere. Deswegen ber: 
folgt, beneidet man ihn. Ich weiß Alles recht 
gut, obzwar idy nirgendshin aus dem Haufe gebe. 
Denn wenn Jemand etwas Schlechtes jagen kann, 
wodurd er mir Verdruß bereitet, jo fümmt er zu 
mir. Wenn meine Freundinnen mid) bejuchen, 
jo weiß ich's im Voraus, daß fie nur darum 
fommen, weil fie irgend ein Gellatih über Bela 
in Bereitihaft haben. Sie erzählen mir, wie jehr 
fi) die Herren über jeine Rede geärgert haben, 
die er in der Verjammlung gehalten; in welcher 
er ſagte, man müfje den Bauern von den Herren 
befreien. Und er hatte doch Recht. Ich war 
nicht dort, doch ich weik gewiß, daß er richtig 
geſprochen. 

— Er hat klaſſiſch geſprochen! — verſicherte 


— 59 — 


Pußtafi heitig. — Wenn er nit jo geiproden 
hätte, jo müßten Sie jetnetwegen erröthen. 

— Nun, niht wahr? — fiel Frau Lävan ein. 
— Daß id doch Jemanden finde, der ſagt, er habe 
tihtig geiproden. Und doch hatte er viele herr- 
Ihartlihe Freunde, die früher feinen Pla gut 
genug für ihn fanden und jekt jagen, daß man 
meinen Bela von jektan nicht einmal zum Ran: 
zelliften annehmen werde. 

— Hahaha! — late Pußtafi. — Erging 
auch nicht darauf los. 

— Die, welde ihn früher feinen Tag ent: 
behren konnten, verleugnen ſich jekt vor ihn. Das 
thun Diejenigen, welche ihn mit füßen Worten 
gelodt, und auch Diejenige, die jeinen Verlo— 
bungsring getragen. 

— Ich bitte Ste, liebe Mutter, ſprechen 
wir hierüber nidt, jagte Bela mißmuthig: — 
ſonſt werde ich nod weniger eſſen fünnen. 

— Na, na, nimm es Dir nit jo zu 
Herzen, lieber Sohn. Ih mollte Did) nicht 
verfuhen. Jh weiß es gut, daß nicht fie die 
Schuld trägt, ſondern ihre hohmüthigen Eltern ; 
jagte ich's Dir beftändig, daß es uns nicht gut 
it, auf ein größeres Glück zu warten, als wel- 
ches uns gebührt. 

— Ras, Glück? fuhr Pußtafi empor. — 
Möge ſich es das Mädchen als Glück anrechnen, 
wenn Bela fie mit feiner Neigung beehrt. Bela 


— 60— 


wird ſtets um einen Kopf höher ſteigen als 
Andere! | 

— Ich werde mic freuen, wenn er nicht 
um einen Kopf niedriger wird, — jagte die gute 
Alte mit ängftliher Anfpielung. 

—_ Mfo auch Sie, Mutter ! — jeufzte Bela 
mit Ihmerzlihem Vorwurf. 

— Na, na, mein Sohn, id) wollte Did ja 
nicht betrüben. IH ſagte es nur jo, denn Du 
weißt e3 ja, daß dieſe närriihen Menſchen jet 
von nichts Anderem jprechen, als daß Du deinen 
Kopf auf's Spiel geſetzt haft. Dies ift aber nicht 
wahr, ih weiß es, daß es nicht wahr ift. 

— Ad, was braudt man auf das Hein- 
ftädtiihe Geſchwätz zu hören! — rief Pußtafi, ji 
zornig mit beiden Ellbogen auf den Tiſch ftem- 
mend. — Bela iſt darüber hinaus, daß man 
ihm ſchaden könnte. 

— Das ſag' ich ja auch. Habe ich nicht 
unzählige Mal zu meinem Sohne geſprochen: 
Weshalb ſuchſt Du ihre Freundſchaft, meshalb 
gehft Du ihnen nad, und härmft Dich mit ihnen 
ab?.. Du ftehft ja auf fie niht an, wirſt 
aud feinen wahren, aufrihtigen Menihen unter 
ihnen finden. Härme Did nit, mein Kind ; wir 
haben ja ein fleines Gut auf dem Lande, wir 
ziehen dort hinaus; Du bit ein guter Wirth, id) 
bin ſparſam, wir werden auf unjerem befcheidenen 
Gute ebento leben fünnen, wie es deine Ahnen 


Br Be 


gethan, von denen feiner unter achtzig Jahren 
geftorben tft... Ab wäre auch Dein arımer 
Vater Sort geblieben, aber er war auch jo voll 
Eifer wie Du. Auch er hatte jih dem öffentli- 
hen Leben gewidmet und hatte das eigene mit 
dem dreißigſten Jahre beendet. 

Der frommen Witwe trat bei diejer Erin- 
nerung ummillfürlid eine Thräne in's Auge; durch 
diejen Thränenglanz blicte jie jo bejorgt, jo liebe- 
voll auf ihren Sohn, daß Pußtafi den ſchmerz— 
lihen Zauber dieſes Blickes niht ertragen konnte 
und vom Tiihe aufftand; und dod war nod) fo 
mander Leckerbiſſen zurüd, Gingejottenes, dürres 
Obſt, was die Witwe das ganze Jahr bindurd) 
für ihren Sohn bereitete; wurde ja doch Alles 
nur für ihn bereitet. 

Auh Bela ftand auf, küßte die Hand und 
das Antlig Seiner Mutter; die gute Matrone 
umarmte ihn und flüfterte ihm zu: „WBergik 
deiner armen Mutter nicht.“ 

Pußtafi wollte in die Konveriation eine hei: 
terere Stimmung bringen. 

— VBerzärteln Sie doch dieſes Kind nicht 
gar jo jehr. Glauben Ste mir, er verdient nicht 
halb fo viel. | 

— Wenn ih aber Niemand Andern zu ver: 
zärteln habe. Und danıt, wenn ic ihn jehe, iſt's 
mir, al3 ob jein armer Bater vor mir ftünde. 
Diefelbe hohe Stirne, dielelben Tanften Augen, 


u. 205 


jelbft feine Stimme, jelbjt der Klang ſeiner Schritte 
find diefelben. Seine Feinde jelbft find dieſelben. 

— Ab, vor diejen machen Sie ihm feine 
Furcht. Bela ift ein Mann, der feinen Feinden 
zu antworten weiß. 

— D! ih möchte es auch ichen! Wenn 
Jemand meinen Sohn beleidigte! Weil ich jo leicht 
weine, müflen Sie nicht glauben, daß id ſchwach 
bin. Fragen Sie nur Herrn Tertdi, als er bei 
Lebenszeiten meines theuern Mannes hieher kam, 
ji) grob benahm, weil er ihm in feinen Rech— 
nungen den Unterſchleif nachwies; mein armer 
Seliger war ein ſehr ſanfter Menſch; ich aber, 
als ich fah, daß er nicht fo grob ſprechen Tonnte 
wie Jener, ergriff die Hanfftange vom Spinn: 
rocken und ftellte mid dem Tertöi entgegen: „Der 
Herr pade ſich ſofort von hier, ſonſt ſchlage ich 
ihm den Rodenftiel jo an den Rüden, wie er noch 
nie mit einem Rodenftiel geprügelt !* Er trollte 
fi) aud) fort der Gute, vor Schreden fand er 
faum die Thürklinke. 

Bei diejer Erinnerung war das Geſicht der 
Witwe ganz roth geworden; was wieder heitere 
Laune in die Geſellſchaft bradte. Die gute 
Dante fam dann in den beften Humor; ſie be- 
traute den Pußtafi, er möge es überall, wohin 
ex käme, felbft in Peſt Sagen: „Möge nur Je— 
mand meinen Sohn jo beleidigen, daß ich ihn 
duchprügle.“ 


— 

— Jetzt weiß id ſchon, daß Ste rauchen 
möchten, ich ſchicke alſo den Kaffee auf Béla's 
Zimmer. 

Frau Lévay ging ihn ſelbſt bereiten. 

Als die jungen Leute in Béla's Zimmer 
allein blieben, ſprach Pußtafi mit ernſtem Pe 
zu Bela : 

— Seht, theuerer Freund, thut es mir 
ſchon leid daß ich den Brief jenes dummen 
Kerl's abgeſchickt habe. 

— Warum? 

— Weil ich ſehe, daß Dir nicht nur Deine 
Geliebte am Herzen liegt, ſondern noch mehr — 
Deine Mutter. Sieh', als ich ſelbſt meine, hun— 
dertmal verfluchte, doch immer angebetete Lauf— 
bahn betrat, hielt auch mich eine nie, nie wieder 
zu erträumende, liebende mütterliche Stimme zu— 
rüd, vertröſtete mich; und wenn mid damals 
Jemand beredet hätte, id) möge auf dies Wort 
nicht hören, id) wäre jet jein Todfeind, doch da 
e5 Niemand gethan, als ich ſelbſt, fann id) auch 
Niemanden verfolgen. 

In diefem Augenblide fingen die Hofhunde 
zu bellen an und Bela eilte an die Thüre, denn 
Jemand vertheidigte ſich gegen einen harten 
Angriff. 

— Ah! Barfing, Du biſt's, den die Hunde 
verihlingen wollen ? 

— Hole fie der Teufel! — ſchrie der Ankom— 


— GE DO 


mende, mit dem Rüden die Thüre eindrückend 
und ſich gegen zwei giftige Wolfshunde mit 
feinem Stode vertheidigend ; jo oft id) herfomme, 
wollen fie mid freien. — Ah! ergebeniter 
Diener! — damit drehte er fih um. Es war 
ein großer, junger Mann mit gelblihem, mit 
rothen Sommeriproffen beſäetem Geſichte, welches 
ein wolkenfarbener Bart und Schnurbart bunt 
machte, mit wäſſerig blauen, ſtechenden Augen, 
mit breiten, aufgedunſenen Lippen, mit impertinent 
farbigem Haar, das an Sonn: und Feiertagen 
vom Friſeur künftleriih arrangirt iſt; die ganze 
Figur kündigt ſchon von Weiten ihre Ankunft 
durch ihren unausftehlihen Parfum an. Der 
edle Züngling wählte zu feinem Gefihte paſſende 
Farben, da er eine jalatgrüne Magyarka anzog, 
aus deren weiten,, offenen Aermeln vojafarbenes 
Seidenfutter morgenöthlih  ftrahlte, dazu eine 
weichſelfarbene Sammtweſte, ‚und obzwar es id 
nicht ſchickt, von gewiſſen Kleidungsſtücken zu 
Iprehen, wäre es doch Jammerſchade, den guten 
Einfall zu verihweigen, daß er. den Saum des 
Tuches, aus dem er Seine Inexpreſſiblen anfer- 
tigen ließ und auf welhem die Firma der betref- 
fenden Fabrik aufgeihrieben zu fein pflegt: 
„Driginalsvaterlandiihes Erzeugniß, 1846," außen 
an feine Pantalon ftatt eines Streifens nähen 
ließ, damit es Jeder von ferne leſen könne. 

— Shön willfommen! — ſprach Pußtafi 


lachend zu dem Hineinflüchtenden, Bald ware es 
Ihnen ergangen wie Milo von Kreta. 

— Der Teufel hole Deine Hunde , — lärmte 
diejer, noch außer fih vor Schreden. Ich fagte 
ihon, daß ich fie einmal vergiften werde, wenn 
Du fie nicht befjer gemöhnft. Du mußt fie ab- 
ſichtlich dreffiren, mich zu paden. — Sid dann ein 
wenig faffend, wandte er fih zu Pußtafi, nahm 
eine feierlihe Pofitur an und begann mit ver— 
änderter Stimme folgendermaßen: „Hochgeehrter 
Patriot!" 

— Um des Himmelswillen, „Freund der 
Tugend‘, Sie tollen doch hoffentlich feine Rede 
halten ? 

(Nun mug man willen, daß damals die 
Anſprache „Freund der Tugend“ beim „jungen 
Ungarn“ jehr in der Mode war, namentlid) wurde 
es Leuten gegenüber angewendet denen man nicht 
gern fagte: „mein Freud!) 

— Geehrter Patriot! Ja ic) bin der Ge- 
jandte der Tugend; und bin jo frei, Ihnen, als 
einem weltberühmten großen Manne, im Namen 
unjerer, Stadt eine Einladungsfarte zum morgi= 
gen Feitbankette zu überreichen. 

Pußtafi ließ die fragliche Karte nicht ein- 
mal aus dem ſchönen Solopapier herausnehmen. 

— Sind Sie nur wieder jo frei — Freund 
der Tugend — die Karte zurüdzutragen und 
jagen Sie der edeln Jugend, ich werde, wenn 

Andere Zeiten, and. Menfhen 1. B. 5 


Ba 
man „mir zu Liebe“ irgend ein ——— 
arrangiren wird, hinkommen. Und nun ſprechen 
wir von andern Dingen. Ich habe ihre Dra— 
men bereits dem ——— -Komité über: 
geben. 

Er wußte wohl, daß er, wenn davon die 
Rede ift, das Bankett, die Gejandtihaft und Die 
Rede im Stiche lafjen werde. 

— Wirklich? Bei wen find Ste ſchon? 

— Birösmarty hat fie Ihon gelejen. 

— Und wie urtheilte er darüber ? 

— Auf das Luftipiel jagte er: „ein hüb- 
ihes, Kleines Zuftipiel.“ 

Freilich konnte das die ganze Welt nicht 
wiſſen, daß der berühmte Dichter, wenn ihm ein 
ſehr werthloſes, poetiſches Werk in die Hand kam, 
es mit dieſem kleinen, lauen Epitheton zu taufen 
pflegte: „hübſch klein.“) 

— Wirklich! — rief Herr Bärfing mit ſtrah— 
lendem Auge, und umarmte Pußtafi. Was ſagte 
er denn zum Drama? 

— Von dieſem ſagte er: „wahrhaftig ein 
giftiges Kleines Drama.“ | 

Auch das war nicht Jedermann an Die 
Naſe gebunden, dag, wenn der launige Dichter: 
rezenſent auf irgend ein dichteriſches Werk fagte: 

„ein giftiges Meines Gütchen“, Dies ein fürdter= 
uͤches Produkt ſein mußte. | 


— — 

— Du ſagſt Einem gar nicht, daß Du 
Dramen ſchreibſt! — tadelte Bela ſcherzend 
Herrn Baͤrfing. | 

— Hm! WVir fünnen nit Alle in einer 
Sache ausgezeichnet fein. Du pflüdft auf der 
Rednerbühne Lorbeeren. — Hier erihraf Herr 
Bärfing jelbit vor dem, was er gejagt, ·Laͤvay 
runzelte auf dieſes Wort feine Augenbrauen ; 
vieleiht nimmt er’3 für eine Nederei! Herr 
Barfing hielt es daher für gut, feine Rede mit 
ihmeidhelnder Stimme zu verändern. — Siehſt 
Du, theurer Freund, warum trateft Du auch von 
der morgigen Rede zurüd ? Allefammt bedauerten 
wir es. Du gabjt nit einmal eine Urſache 
an. Du zeigteft einfah an, Du würdeſt nicht 
ſprechen. 

Pußtafi blickte beſorgt auf Bela ; er kannte 
ſeinen Mann; er wußte, dies ſei der Lockruf des 
„Provokateurs“: was wird er wohl darauf ant- 
morten, damit er fi) weder erniedrige, noch 
berrathe. 

— a mein lieber Nazi, — Jagte Bela leicht- 
bin, — id babe darum einfad) abgejagt, weil ig, 
bon der Ankunft Pußtafi's unterrichtet, es na= 
türlih) fand, meinen Gaft und Freund nicht zu 
verlafien. 

Bravo! brummte Pußtafi. Der Junge ift 
zum Diplomaten geboren: er lügt nidt, jagt aber 

5* 


ei. HR 


auch nicht die Wahrheit; er verleht, laͤßt ſich 
aber dabei nicht fangen. 

— Doch ſprechen wir lieber von klügern 
Dingen, „Freund der Tugend“, was haben Sie 
mit meinem Briefe, den ich Ihnen anvertraute, 
gemaht? Das ift die Hauptſache. Ich Habe 
mich für Sie verwendet; was thaten Sie für 
mid) ? | 
— Ich bitte taufend Mal um Verzeihung, 
geehrter Patriot! bis jegt Tonnte ih ihn nicht 
übergeben, weil fienod nit zu Haufe waren, — 
Gott ſei Dank! dachte Pußtafi bei fih und fiel 
Baͤrſing unwillig in die Rede. 

— Wenn Sie ihn bis jet nicht übergeben 
haben, jo thuen Sie es aud) nit mehr. 

— Aber ich bitte ergebenft, — entihuldigte 
ſich der nationalfärbige Züngling betroffen ; — Sie 
waren nicht hier, ih wußte aud nicht wo fie 
wären. | 

— Leere Ausfluht. Schon geiten Abends 
famen fie an. 

— Sa, aber ih konnte nicht hingehen, 
denn vor zwölf Uhr kann man dort feinen Be: 
ſuch machen. Jetzt gehe ich geraden Weges hin: 
Ich habe ſowohl Brief als Bogen bei mir. 

— Geben Sie Beides zurüd. Ich will 
überhaupt das Fräulein niht damit beläftigen. 
Nicht wahr lieber Bela, auch Du hältjt es für 
unrecht, daß ein Dichter zu feinen Pränume: 


ar 0 


rations = Bogen auch einen Empfehlungs = Brief 
ſchreibe. 

Bei dieſen Worten ſah Pußtafi mit bedeu— 
tungsvollem Blicke auf Bela. 

Bela ſtützte ſich mit verſchlungenen Armen 
auf ſeinen Schreibtiſch. Pußtafi erwartete eine 
Antwort auf ſeine Frage. 

„Nein,“ — antwortete Bela, 

— Wie? — Du glaubſt alſo es ſei in 
Ordnung, wenn ich meinen Sammelbogen in Be— 
gleitung des Empfehlungsſchreibens an Kräulein 
Hargitay ſchicke? | 

„a,“ — antwortete Bela ruhig. 

Pußtafi fragte, näher zu ihm "hintretend, 
ihn noch einmal ernft: 

— Und antworteft Du mir jo, bedenfend 
was daraus entjtehen fann ? 

— X. 
| — O! fürdten Sie Nichts, — fiel Held 
Bärfing ſchwatzend ein ; — es wird gar feine ſchlech— 
ten Folgen haben. Ich bitte es nur mir zu 
überlaffen. Ab, Fräulein Judith ift feine ſolche 
Dame. 

Bei fih dahte er: Gewiß hat ihn Laͤvay 
angeredet, an Sie zu ſchreiben; gewiß bat er 
jeine gewejene Braut ſchön beredet. Auch das 
it ein Stein gegen Bela bei den Hargitan's.. 

— Nun, ſo tragen Sie, „Freund der 
Tugend”, meine Sendung jenem biedern Mägdlein 


a U © , 
hin und bringen Sie bald Antwort, ob fie die— 
jelbe angenommen hat oder nicht. 

— 5b werde im Augenblide bier fein! 
Das heißt: id habe von drei bis vier Uhr einen 
Zermin: Wir verfaffen irgendwo ein Teftament. 
Sie erlauben es jehr geehrter Patriot. 

— DI! jehr gerne, laffen Sie jo viel Te— 
ftamente machen al3 Sie wollen. 

— Punkt vier Uhr jedod bin ih hier. 
Bis dahin empfehle ih mid. Ich bitte Dich 
. Bela, pfeife Deinen Hunden, daß fie mir nicht 
nachſetzen. Vorhin big mid einer in die Flechſe, 
zum Glüde ift mein Beinkleid aus vaterlän- 
diſchem Tuche, jo, dab feine Zähne es nicht 
durchbeißen konnten. 

— Welcher war'sdenn? — fragte Pußtafi 
theilnahmsvoll. 

— Der Rothe, der Cziczke. Hahaha, ich 
empfehle mich. 

Dann, während Bela perjünlih den Ritter 
Barling bis zum Thore eskortirte, rief Pußtafi 
Cziczke in's Zimmer, gab ihm Zuder, ftreichelte 
ihn, lieblofte jeinen Kopf: „DO! du Fluges, 
liches Thier, du treffliher Menſchenkenner, Weifer ! 

Eine Minute fpäter fehrte Bela zurüd. 
Die zwei jungen Berufsgenoffen begegneten ein— 
ander in der offenen Thüre. 

Siereihten einander zu gleiher Zeitdie Hände, 


— Du haft Deines Schickſals Würfel ge: 
worfen, ſprach Pußtafi. 

— Erijt in Gottes und Judith's Hand, — 
erwiederte Bela mit wahrer Andacht. 

— Beneidenswerther Menſch, — ſprach Pup- 
tafi feufzend, — der noch auf Gott und feine Ge— 
liebte vertraut. 


Ein Herz, weldes beim Berühren 
Funken fprüht. 


Herr Bärjing eilte zu den Hargitay's, in- 
joferne diefe Eile nad) dem gefallenen nächtlichen 
Regen in einer Stadt möglid) war, wo bet fothi- 
gem Wetter der auf Beſuch ausgehende Dandy 
über das holperige Pflafter einen förmlichen Eier- 
tanz hüpfen muß, wenn er fein Ziel mit halb— 
wegs reinen Stiefeln erreihen will; damal3 wa— 
ven die Gummi-Galoſchen — feligen Andenfens 
— melde ſich fpäter einen jo emblemiihen Auf 
erwarben, nody 'niht aus Amerifa importirt 
worden. 

Sm Haufe mit dem grünen Thore wurden 
die Leute niht von Hunden angebelt, vielmehr 
fonnte Bärfing bis zur Thüre des Vorzimmers 
dringen, ohne Jemanden zu. begegnen. Aud) das 
Vorzimmer war gänzlid) leer; der Hußaͤr mochte 
vermuthlih beim gnädigen Herin, das Stuben- 
mädchen bei der Dame beihäftigt jein. 

Barfing gerieth in Berlegenheit. Was thut 
bei folder Gelegenheit ein „an die gute Gefell- 
ihaft gewöhnter Mann“ ?.. Er hatte zwar jene 
in 333 Paragraphen abgefaßte „Etude“ aus- 


— — 


wendig gelernt, welche den Mann, der fie hält, 
zum „MWeltmann“ ftempelt; aber 8. 4 derjelben 
jagt: Wenn ein „an die gute Gejellihaft ge: 
wöhnter Mann“ in ein herrihaftlihes Haus kömmt, 
frägt er den Diener, ob die gnädige Frau und 
das gnädige Fräulein zu Haufe feien? Iſt nur 
das Fräulein zu Haufe, dann läßt er fi nicht 
anmelden, jondern gibt einfach feine Karte gehörig 
eingebogen ab; iſt aber aud die Dame des 
Haujes daheim, dann nennt er feinen Nanten, 
und mährend ihn der Diener anmeldet, muftert 
er feine Toilette, ob Nichts in Unordnung. ge— 
rathen? dem zurüdfehrenden Diener übergibt 
er dann feinen Stod, während er den Hut bei- 
05 i 

Aber das vortrefflihe Bud gibt gar. feine 
Snftruktion für den Fall, wenn man keine Diener- 
jeele im Vorzimmer antrifft... Was dann zu 
machen? Solle man eine Stunde lang warten ? 
Aus langer Weile vielleiht den in der Kaffee: 
mühle ftehen gebliebenen Kaffee fertig mahlen ?.. 
Durch Räufpern, Fußſchauern feine Anwejenheit 
fundgeben, oder einfach) umkehren und davongehen? 
Ueberhaupt dann, wenn die in das Zimmer der 
Dame führende Thür offen fteht, und man es un- 
willkürlich mit anhören muß, wie Frau von Har- 
gitay mit ihrer ſcharfen Stimme Femanden aus= 
iheltet; und wenn diefer Jemand Niemand ans 
derer ift, als das Fräulein ſelbſt. 


a 


Herr Bärfing war der Anfiht, dag ein 
„an die gute Geſellſchaft gewohnter Mann“ bei 
jolden Gelegenheiten zu lauſchen pflegt. Hier ift 
abermal3 zu bemerlen, daß dies vor fünfzehn 
Sahren geihah, wo das Lauſchen an den Thüren 
diplomatiih noch nicht autorifirt war; und wo 
derjenige Sournalift, welcher feinen Beriht aljo 
begonnen hätte: „Ueber die Details der geheimen 
Konferenz können wir nad unjerem Berichter— 
ftatter mittheilen“, fiher fein konnte, daß der 
Leſer in den Auf ausbriht: „fiehe den Unver— 
\hämten, er hat gelauſcht!“ ... 

Dies kümmerte aber Herrn Barfiny nicht, 
er lauſchte. War er doch allein, und hatte fi 
vor, Niemanden zu Ihämen. So wie der Gegen- 
ſtand des Geſprächs immer intereffanter zu wer: 
den begann, um jo näher rüdte Herr Bärfing 
der Thüre und hielt zulegt fein Ohr an die— 
jelbe. 

Die gnädige Frau halt Fräulein Judith. 

EIER es ijt die letzte Stunde: wenn Du 
Dich nicht entiheideft, wirft Du die Folgen fehen ! 
Meder ih, nod Dein Vater werden je einwilligen, 
daß Du feine Gattin wirft. Dein Vater ift un= 
verföhnlich gegen ihn. Du verfteht das Warum 
nit, das ift Politik. Dein Vater ift der libe- 
ralite Mann des Komitates, Du weißt, welde 
glänzende Fackelmuſik ihm gebracht ‘wurde, als er 
das Adminiftratoren-Spftem jo mächtig angriff ! 


— Hi 


Und als er erft in Angelegenheit der gemiſchten 
Ehen loszog... Man führte ihn von Komitat 
zu Komitat, wie einft Johann Balogh und Fo— 
rintos, damit er überall Reden halten möge. War 
e3 niht Dein Vater, weldher’inder Urbarialfrage 
für die „Ablöfung“ plaidirte! Hat man ihn nicht 
verherrliht dafür? Und jest läuft jo ein Schul: 
junge ber, um ihn zubeihämen und ihn zu über- 
treffen, einen Mann, wie Dein Bater!.. Er 
geht Daher, und jchreit e3 in die Melt hinaus: 
‚nicht Ablöfung“ fondern allfogleihe Abihaffung 
des Urbariums!.. Weißt Du, was das zu be= 
deuten bat?!.. Revolution!.. Und weißt Du, 
was mit dem gejchieht, der eine Revolution an— 
itiftet ?!.. Er wird enthauptet.... Was joll 
nun Dein Vater mahen? Wenn er dem jungen 
Manne opponirt, nennt man ihn einen Pectovics!.. 
E3 wird ihm, wie Paul Nagy ergehen; vorgejtern 
war er noch der Abgott der Nation, heute wiſcht 
man die Ihmugigen Kühe an ihn... . In einem 
Moment kann Dein Bater feine Popularität ein= 
büßen, und daran ftirbt er. Bedenfe, wenn es 
ihm einmal ergehen möchte wie es dem Honther 
Deputirten in Peſt erging ? Er würde fi augen 
blilih eine Kugel vor den Kopf jagen!... 

Fräulein Judith erwiederte hie und da ein 
Wort, doch ſo Teile, daß man es nicht hören 
Ionnte. 

Frau von Hargitay Half dem jedoch ab, ın- 


ne 


dem fie die Worte ihrer Tochter jo laut wieder: 
holte, daß fie auch Bärfing vernehmen fonnte. 


— Du meinſt, er habe ja Recht, er 
ſpreche die Wahrheit, ih bedanke mich für ſolche 
Wahrheit! Wenn dies einmal geihieht, dann Fün- 
nen wir vom Boden jteigen ! 


„. ... was ſprichſt Du? dag wir dann zu 
Fuß ſpazieren werden?.. Selbſt das weiße Brod 
wird uns aus den Händen fallen!. 


„ . . . . bit mit dem Schwarzen aud) zu= 
frieden?! Von Dir trägt das aber der ganze 
befigende Adel Ungarns nidt. Zum Glüd — 
hängt es auch nit von Dir ab; weder von den 
windbeuteligen jungen Herren. Mit diefen Leuten 
haben wir jede Berbindung abgebroden. . . Es 
it nit zu leugnen, da auch wir Lävay ach— 
teten: daß es nicht mehr jo ift, daran trägt er 
felbft die Schuld, warum Hat er fih in Ichledhte 
Geſellſchaft gemiiht. — In was für jchledte 
Geſellſchaft? .. Weiß vielleiht nicht Jedermann, 
wer dieſer Pußtafi und feine Liga ſei? . .. Ein 
Dichter? 

Ja, aber welch cin Dichter! . . . Ein 
Agitator, ein Landesſtoörer, den man anderswo 
laͤngft in Ketten gelegt hätte... Wenn ihm 
ſolche Menihen beifer anftehen, mögen fie ihm 
bleiben. Dein Vater hat es ihm Hug zu wiffen 
gemadt. Er trug ihm eine fihere Stelle bei 


a 


—— 


dem Fürſten ** an, wer ſchlug ſie aus, nicht er? 
Und doch hätte es Deinem Vater nur ein Wort 
gekoſtet, um dieſe Stelle an Baͤrſing zu ver— 
leihen. . . Jetzt iſt es zu ſpaͤt zur Umkehr; er 
hatte ſelbſt die Thüren Hinter ſich verriegelt, und 
Du mußt ihn aus dem Kopfe ſchlagen. Du 
weißt es gut, daß Dein Vater ein ſtrenger Mann 
iſt, was er einmal ausgeſprochen, daran hält er 
feſt. Heute Nachmittag um drei Uhr werden 
mein Bruder und Bärling zu ihm kommen, um 
das Teftament zu verfaffen. In dieſem Tefta- 
ment wird Deine Hand derart gebunden werden, 
dag Did, wenn Du gegen unjeren Willen hei— 
raten follteft, die Strafe auch nad) unferem Tode 
ereilen ſoll. .. 

Ich wollte die Sache nicht ſo weit treiben, 
aber der Entſchluß Deines Vaters iſt unerſchüt— 
terlih, Du kennſt deinen Vater, haft ja fein 
Naturell geerbt; biſt ebenſo hartnädig wie er; 
wirst es einft bereuen! 

Hier folgte eine längere Antwort Judith's, 
aber ebenjo leiſe und in ebenſo gedrüdtem Tone, 
das Bärfing fein Wort davon vernehmen konnte, 
troßdem er ſich To hart an die Thüre lehnte, day 
er nicht einmal Martin den Hußären bemerfte, 
welher mit einem Stoß Porzellaingeihirr in's 
Zimmer trat und dem horhenden jungen Herin 
einen vertraulihen Schlag auf den Rüden ver: 
jeßte, mit den Worten: 


— ER 


‚Suten Tag, Jank! ... 

Herr Bärfing ſah fi erihroden um. 

— Tauſendmal um Vergebung... grinste 
der Hußaͤr, — ih glaubte es jei Janko, der 
Diener der BVerpflegsbeamtin. . Ih werde Sie 
der gnädigen Frau allfogleid) melden. 

Der junge Herr aber mußte den Puff 
und das naive Qui pro quo dulden, indem er 
ih in einer Stellung ertappen ließ, wobei er 
ſich's als Glück anrechnen konnte, daß man ihn 
nur für einen Diener, und nit für ein Stuben- 
maͤdchen anſah. 

Martin kam nach wenigen Minuten zurück 
und ſprach: „Belieben hinein zu ſpazieren.“ 

Es war dies kein zum Beſuch geeigneter 
Moment. Aber: Baͤrſing mußte gehen, denn 
Martin riß die Thüre auf und drängte ihn in’s 
Zimmer. | 

Martin ſchloß die Thüre; und als er allein 
im VBorzimmer war, machte er die Bewegung, 
wie wenn man Ginen mit beiden Fäuften am 
Kragen padt, und bei der Thüre hinauswerfen 
will, fi aber befinnt, und den Wurf durch's 
Fenſter vornimmt; dann drohte er nohmals mit, 
der Fauft und ging, um feine Xeller abzu— 
wiſchen. 

Waͤhrend dem fühlte der in den Saal ge— 
tretene Bärfing eine arge Bellemmung, indem er 
bedachte, daß er nun vor eine Gejellihaft, die aus= 


gemweinte Augen hat, treten müffe; zu jeinem 
großen Erftaunen mußte er jedoch bemerken, daß 
die ſtattgehabte Rede nichts mit den Geſichts— 
zügen zu thun hatte: Frau von Hargitay fanı 
ihm mit dem freundlihften Lächeln entgegen, 
während Fräulein Judith mit leidenſchaftsloſen 
Gleichmuth vor einem Tifhe ftand, welder mit 
verihiedenen Coiffuren bededt mar. 

— Kommen Sie, fommen Sie ur, Bärſing. 
Ste haben in ſolchen Saden guten Geihmad. 
Ich zanfe eben mit meiner Tochter darüber, — 
vielleiht haben Sie jhon im Vorzimmer gehört ? 
— wvelchen Kopfpuß fie für die morgige Ein- 
zugsfeierlichkeit wählen fol. Sie will ſich nicht 
nad) meinem Geſchmack richten; wir wollen jehen, 
wen bon uns beiden Herr Bärfing recht 
"DER 

Auf dem Tiihe lag eine große Auswahl 
verſchiedenſter Kopfputze. Ein Kranz bon win— 
zigen blaffen Röschen, ein antikes Diadem mit 
diamantenen Zitternadeln, eine Guirlande aus 
Perlen und Vergißmeinnicht, und ein Mor: 
thenzweig. | 

Frau Hargitay Hatte einen jeden dieſer 
Kopfpuge ihrer Tochter anprobirt, und frug 
eins um's andere: wie gefällt Ihnen Dies, 
Bärfing ? 

Judith ließ Alles mit ſich thun, ohne einen 
Laut von fid) zu geben; fein einziges Mal: hatte 


fie ihr blaffes Gefiht mit den wunderbar ſchönen 
Zügen, den großen ſchwarzen Augen und dich— 
ten Augenbrauen gegen den Spiegel gewendet. 

Baͤrſing hatte wahrlih Urſache genug, hin— 
fihtlih feines Urtheil3 in Werlegenheit zu ge: 
rathen. 

Mit dem Roſenkranze in den Haaren kam 
ſie ihm wie eine Braut vor. 

Mit dem Diadem ſchien fie eine Königin. 

Mit der Perlenguirlande gli fie "einer 
Göttin. | 

Und mit dem Myrthenzweige ſah fie wie 
eine Ihöne Todte aus. 

Herr Bärfing glaubte dem weiſen Salo— 
mon dadurch am nächjten zu rüden, wenn er all’ 
die Schönheiten in einem Bündel zujammenfaßt 
und löste die Frage jo, daß er beantragte, man 
möge den Roſenkranz und die Perlenſchnur um 
da3 Diadem flehten, und ſoll es das Fräulein 
aufſetzen. 

Frau Hargitay warf ihm einen zornigen 
Blick zu, als wollte fie jagen: Zalf! konn— 
teft Du denn nit aud noch den Myrthenzweig 
dazu nehmen ? | 

Judith griff mit kaltem Lächeln nad dem 
Myrthenzweig — fie hatte Diejen gewählt — 
und ftesfte ihn jelbft in die nachtſchwarzen Haare ; 
und als fie hiebei auf einen Moment die Augen 
gegen den Himmel bob, glih fie einer Ber: 


81 


Härten, welche durd) Die Lüfte in die himmlischen 
Höhen gleitet. 

—Alſo, ich bleibe bei dem! - - fante 
Judith. 
Frau Hargitay zudte mit den Achſeln. 

Weil e8 Jedermann wiederräth, alſo 
muß ſie es haben. 

Bärfing erachtete es für nothwendig, nad) 
dieſer ſtillen Niederlage feſteren Fuß zu faſſen, 
und dies glaubte er dadurch zu erreichen, wenn 
er mit dem Auftrage Pußtafi's herausrückte. 

So viel hatte er zma aus dent ſoeben durch die 
Thüre Erhorhten vernemmen, Daß der Name 
Pußtafi's in diefem Haufe nicht vom beften lange 
jei. Aber er hatte doch einen Ruhm im ganzen 
Lande, und jo glaubte Barfing gewiß zu fein, 
daß der Auftrag einer ſolchen Zelebrität ſelbſt 
hei Hargitay'? als. Auszeihnuug aufgenommen 
werden wird. 

- Em. Gnaden,- besanı Bärfing, - - als 
ih in Peſt war, hatte mich Pußtafi, ein alter Be— 
fannter, erſucht, ih müge Er. Gnaden in eigener 
Verjon einen Prämmnerationsbogen ſammt einem 
von ihm — geſchriebenen Empfehlungs: 
brief überreihen. So etwas kann mar nicht zu- 
rückweiſen. 

Hierauf zog Bärfing mit mäzenasartigem 
Entſchluß den an Judith «erichteten — vuß 

Andere Zeiten, and. M 


— 82 — 


tafi's aus der Taſche; Judith überreichte dieſen 
Brief unerbrochen ihrer Mutter. 


— Behalte ihn nur für Dich, wenn er für 

Dich Vertrauen hatte. Wenn er's gewollt hätte, 
würde er mir geſchrieben haben. Es fcheint, daß 
er mehr auf Dich hält. 


Frau Hargitay fühlte ſich in allem Ernfte 
verlegt, daß fie, Das erfte Pränumerantenfamm- 
ler-Talent des Komitats, jekt von einem Poeten 
fo bei Seite gejeßt wird. 


Judith öffnete den Brief und begann zu 
leſen. 

Man konnte es nicht einmal an der Spitze 
des Papieres ſehen, daß ihre Hände zitterten, 
während fie las. 


Nur einen Moment hielt fie ihne, um über 
den Brief einen tödtlihen Blick auf Bärfing zu 
werfen. Dies mag bei jener Stelle. gewejen fein, 
wo e3 geſchrieben ftand, daß man fie an diefen 
Menſchen verheirathen wolle. 


Als fie bis zu Ende gelejen, zerriß fie den 
Brief mit Falter verächtliher Miene , in Heine 
Stückchen, und warf diejelben in den Blu- 
menforb, | 

— Sagen Sie Herrin Pußtafi, daß ic 
mich mit jolhen Aujträgen nicht befaſſe, da ich 
weder Luft nod Gelegenheit dazu habe. 


I SB Sn 


— Deshalb hätteft Du aber dod) nicht ſei— 
nen Brief zerreißen ſollen, — Ihalt Frau Hargitay 
ihre Tochter. 

— 63 ift mir fein angenehmes Angeden- 
fen, was mit dem Namen Pußtafi's zufammen: 
hängt. 


Dies mußte man nad dem früher Gehör: 


ten natürlid finden. 
— Was mid) jelbit anbelangt, unterzeichne 
ich gerne für ein Gremplar. 


Damit ging fie an ihren Schreibtif q, un⸗ 


terzeichnete mit feſter Hand ihren Namen, nahm 
dann zwei Silberguldenftüde aus ihrer Börfe und 
übergab dieſe jammt den unterzeichneten Bogen 
an Herm Bärfing. 

Nachdem dieſer es eingejehen, daß er das 
Fräulein in ſchlechter Laune getroffen, begann er 
fih nad) dem gnädigen Herrn zu erkundigen. 

— Mein Gatte erwartet Sie bereits, ber: 
fiherte ihn Frau Hargitay, er will fie um eine 
Gefälligkeit erſuchen. 

— So? .. machte Dieſer mit einfältiger 
Miene, wo er es doch ganz gut wußte, weshalb 


er gekommen. — Dann will ih Ew. Gnaden 


nicht beläſtigen, und begebe mich zum Herrn Ge: 
mahl. Habe die Ehre, mich beſtens zu em— 
pfehlen. 

— Zu Mittag werden wir doch das Ver— 
gnügen haben ? ö 


nn 7 


84 — 


Weun es Ew. Gnaden befehlen, küſſe 
die gnädigen Hände, 

Dabei erinmerie fi’ Bärfing des $. 39, 
welcher da tagt: „Beim Abichiednehmen hat man 
den Hut mit der linken Hand nad) rüdwärts zu 
hatten , erhobenen Dauptes eine Verbeugung zu 
machen, und rückwärts ſchreitend bis zur Thüre 
den Hausdamen ſtets das Angefiht zu zeigen“ 

- und er hielt fih an diefen Paragraph; — 
das fatale Reglement bejagt aber nirgends, was 
zu fhun ſei, wenn hinter dem „ungen der gu— 
ten Gejellihaft” mitten im Zimmer eine Dtto- 
mane ſteht? . . . an cin ſolches malitiöſes Mö— 
bel ſtießen die Kühe Barſing's, und indem er 
rücklings ſtürzte, drüdte er feinen ſchönen Zilin- 
der flach; nad vielem lächerlichen Sturz raffte 
er ſich auf und eilte ver Thüre zu, dort wollte 
er mit aller Gewalt jene der beiden Klinken üff- 
nen‘, melde unbeweglid war. Das mangel: 
bafte Konverjationsbud ſpricht auch über ſolche 
Fälle nichts. | 

Das Arbeiiszimmer des Herrn Hargitay 
beiund fich im anderen Flügel des Haufes. Die- 
jes Zimmer fiad dur feine Einfachheit von den 
übrigen mit überſchwänglichem Lurus ausgeftakte- 
ten Semähern auffallend ab, e3 enthielt dieſel— 
ben angeſtrichenen Möbel, die ſich Herr Hargitay 
noch als junger, lediger Advolat angeihafft, und 
welche ſeither der traditionelle Tabakrauch Schön 


35 


braun gefärbt hatte. In den Schränken befin- 
den fih lauter Geſetzbücher, Reichstagsdiarien, 
Protofolle, ftaatsrehtlihe Sammlungen, in ehr: 
james Braun gebundene Koltanten ; auf dem an- 
tifen Schreibtiihe mit den Löwenfüßen ftcht ein 
altes, mürriſches Tintenfaß mit eingetunften Kiel— 
federn, deren befiederte Fahnen im ftarfen Ver— 
dachte ftehen, als wären fie zum Ausputzen von 
Bfeifenmundftücdkhen verwendet worden. Die 
wohlbejtellte Bfeifen-Etagere befindet fih im Hin- 
tergrunde des Schreibtiſches, die Pfeifen find 
ſämmtlich antike Prachtwerke mit filbernen De: 
deln; der Tabakbehälter ftellt einen braunen 
Bärenkopf vor. An den Wänden hängen cinige 
Lithographien: Johann Balogh und Nikolaus 
- Weflelenyi mit verihlungenen Armen, — König 
Mathias mit befränztem Haupte, ein Tableau, die 
Borträts der Palatine darftellend , der Ausfall 
Zrinyi's; ſchließlich, von einem Vorhang halb 
verdeckt, ein ſehr jeltenes Bild, die Enthauptung 
Nadasdy's. Einft hing dieſes Bild ganz frei, 
heute iſt es halb verdedt. Noch hängt an der 
Wand ein filberbeihlagener alter Säbel , deſſen 
verroftete Klinge nicht mehr aus der Scheide zu 
bringen. | 

Wir finden Herrn Hargitay, auf dem abge- 
wegten alten, ledernen Divan figend, in der Ge— 
ſellſchaft Fertöy's; als Herr Bärfing eintrat, 
drüdten ihm Beide freundlih die Hand. Man 


ee BR 


hatte ihn bereits erwartet. Er entihuldigte ſich, 
dag er fih früher bei den Danten vorftellen 
mußte, was man ganz in Ordnung fand. 


— Gehen wir nun zur Sade, — ſprach Har— 
gitay, ohne die Pfeife aus den Munde zu 
nehmen. ... . Und doch war die Sache ſehr ernft, 
da es ſich um nichts Geringeres, als um fein Te— 
ſtament handelte. 


Das Gefiht Hargitay'3 verräth feinen Mann 
alljogleih. Seine Züge bergen fein Geheim— 
niß. Daß er ftolz, ungeduldig und unverſöhn— 
lich, auf feine Verdienfte eitel, auf feine Popula: 
rität eiferfüchtig, den Mächtigeren gegenüber Troß 
bietend, und ein Tyrann feiner Untergebenen ift ! 
dies verkündet ein jeder Zug feines Gefihtes vom 
fraufen Schopfe jeiner fahlen Stirne angefangen 
bis zu dem gedrückten Kinn, welches auf einer 
doppelten Unterlage von Fett ruht; ferner die 
zum Aufſpringen gefunden, vothen, fteinharten 
Baden, der trogig gekräuſelte Schnurbart, die 
ſchwulſtigen aber ſchön geformten Lippen, und die 
ftolz blidenden Augen unter dem Schatten von 
dunklen, dichten Augenbrauen; es verkündet dies 
der harte Ton, die vom Befehlen und Mider- 
iprehen heiler und Ichnarrend gewordene Stimme: 
wenn er über den gewöhnlidften Gegenftand 
Ipricht, Icheint es, als wäre er im heftigiten Diſput 
begriffen. 


a BE. 


— Alſo zur Sache meine Herren. Hier ift 
das fertige Teftament. Ihr beide follt den In— 
halt desjelben erfahren, die übrigen Drei follen 
blos die Koramifirung unzerzeichnen. 

Fertöy warf in fühlihem Tone ein: 

— Ich kann es nicht verſchweigen, lieber 
Better, verzeihen Sie mir. Sie find noch in den 
beften Jahren, weshalb denken Sie ihon an ein 
ZTeftament ? 

— Freunden! Sie willen es recht gut, 
dag ich nicht zu Fapazitiren bin. In größeren, 
da3 ganze Land betreffenden Angelegenheiten 
pflege ic auch nie meine Ueberzeugung aufzugeben. 
Was id) geſagt, Das habe ih gelagt. Bin keine 
Woetterfahne, welche fih nad) jedem Winde dreht. 
Bin ein feljenfefter Mann. Was übrigens Ihren 
Einwurf betrifft, ih bin’s bon meiner öffent . 
lichen Laufbahn ber gewohnt, nichts unwider— 
legt zu laſſen, day ich noch ein langes Leben 
vor mir babe, muB ic Ihnen bemerken, daß nein 
- Vater, Großvater, und alle meine Ahnen eines 
plöglihen Todes geftorben find. In meiner Fa: 
milie pflegt man nit im Stillen Bette liegend, 
den Tod geduldig zu erwarten; ein Moment, ein 
Hauch des Todes, und es it geichehen ! 

Wie ftolz geberdete fih der zornige Mann, 
dag feine Familie eine Ausnahmsitellung ſelbſt 
dem Tode gegenüber einnahm. 

Dann fuhr er im feierlihen Tone fort: 


38 


- Stünve mir aber auch ein halbes Jahr— 
hundert bevor, jelbft dann müßte ih vollziehen, 
wozu ich mich entſchloſſen, um jenen „jungen 
Rieſen“ ein Beifpiel zu geben, wie fie gegen Die 
Helden der avitiſchen Rechte zu kämpfen haben. 
Wenn man's erfahren wird, daß der alte Johann 
Hargitay genug Entſchloſſenheit und Kraft beſaß, 
jenen Mann aus feinen Herzen zu reißen, den er 
früher geliebt, weil derjelbe gegen die beftehen- 
den Grundprinzipien jein Haupt erhob; und wie 
er jelbft fein eigenes Kino aus dem Herzen ver— 
bannt, wenn e3 fih an jenen Mann bindet, dann 
werden fie es einſehen, daß fie es mit einer eher- 
nen Phalanı zu thun haben, und zur Vernunft 
fommen. Ich kenne den Charakter Lavay's. Wenn 
er's erfährt, daß ih Judith in dem Kalle, als 
jie ihn heiratet, enterbe, wird er ſelbſt das Ver— 
hältniß Löfen, nicht als fürdtete er, fie arm zu 
heiraten, jondern weil er ein viel zu edles Herz 
beißt, al3 daß er das Weſen, weldes er geliebt, 
um jein ganzes Vermögen ärmer, und um den 


Zorn der Eltern veiher machen wollte. Ih baffe 


diefen jungen Mann nicht, doc) will ich ihm zeigen, 
daß ich Kraft genug befige, um ihn zu brechen 
und zur Vernunft zu bringen; wenn er fühn ge: 
nug geweſen, mich offen in die Schranfen zu for- 
dern, will ich ihn mit einer einzigen Bewegung 
meines Fingers im Staube zermalmen. 

Herr Bärfing war über dieſe Rede entzüct. 


| 89. - 
So ſchön Sprit man jelbit im“ Reichstage nicht ; 
meinte er, | 
— So füge ıd) mid) Schon ın ihren Willen, 
lieber Vetter; — ſagte Fertöy mit ſüßer Theil- 
nahme ; — wenn Alles nur pro forma geſchieht, 
mittlerweile wird es ja gelingen, auch Judith 
auf andere Gedanten zu lenken. 


Ich erjuhe Sie alſo, - Ipradh Har— 
gitay, das voluminöfe Dokument von feinem 
Schreibtiihe nehmend, -- auf den bezüglichen 
Punkt gut zu merken. 

BE wenn aber meine Tochter Judith, 
troß dieſer liebreihen elterlihen Vorſorge, gegen 
meinen ausgelprodenen Willen fi einen Manı 
wählen und ihn heiraten würde, jeße ih in al’ 
meine Güter, welche ich ſelbſt erworben, und Die 
mein rechtmäßiges Eigenthum bilden, als Univer- 
jalerben meinen lieben Schwager Balthaſar 
Fertöy de Fertö ein, während ich meine benannte 
Toter Judith von Allem ausihliege und ent- 
erbe. Was aber die Worte „gegen meinen aus- 
geſprochenen Willen” zu bedeuten haben, darüber 
gibt der in doppelter Abſchrift  beigeichloffene 
Brief Aufklärung, deſſen eine Kopie ih dein 
Herrn Advokaten Wilhelm Barfing zur Einhän— 
digung an den Betreffenden übergebe. 


Der Brief, weldher die Adreſſe Lävan's 
irug, lautete: 


— ‚90 — 


‚Ev, MWohlgeboren! Wichtige und unab- 
aͤnderliche Gründe haben mic bewogen, das Ver: 
hältniß, welches zwiihen Ihnen und meiner Toch— 
ter Judith beftand, zu loöſen; die Verlobung hie— 
mit feierlichft. für Nichtig zu erklären, und alle 
etwaigen Rolgerungen zurüdzumeiien. Johann 
Hargitay.“ 

Der Driginalbrief war bereit3 gefiegelt, 
diefen überreichte der entihlofiene, zornige Mann 
Herrn Bärfing, indem er feine Hand drückte. 

— Ich glaube, daß Sie Ihre Sendung 
angenehm finden werden, und es hängt von Ihnen 
ab, einen vollftändigen Erfolg zu erzielen, 

Dies war doch deutlich genug geſprochen. 

— Ich werde mid allſogleich beeilen, den 
Brief zu übergeben. 

— Hat feine jo große Eile. Sie fünnen 
auch bis Nachmittag warten. 

— — Ich Hatte aber veriprohen, um bier 
Ubr dort zu fein. Dem Pußtafi babe ich's ver- 
ſprochen. 

— Dem Pußtafi?! — rief Hargitay erregt. 
— Halten auch Sie mit dieſem Menſchen? 

— Bitte um Vergebung, 's iſt eine unaun— 
genehme Geſchichte. Er hatte mich in Peſt er- 
wiſcht, ich möge einen Pränumerationsbogen 
an Fräulein Judith übergeben, heute bat er mid 
angepadt: was ic ausgeridhtet. Nun habe ich 
den Bogen Fräulein Judith foeben übergeben, ſie 


F 


— 1 — 


wies das Sammeln zurück, jubjkribitte aber ſelbſt 
zwei Gulden. Dieje muß ich überbringen; denn 
belieben zu willen, er ift ſehr grob Denjenigen 
gegenüber, die ihr Wort nicht halten. 

— Ad! Schon wieder eine literariihe Bet: 
telei. Und Pußtafi ift bei Laͤvay abgeftiegen ; 
nehmen Sie ein leeres Kouvert, jchreiben Sie die 
Adreſſe darauf und legen fie das Geld bei, mein 
Hußaͤr wird es hintragen. 

Der ſtolze Batriot Eingelte allſogleich, 
Martin erihien, und erhielt feine Inſtruktion. 

Barfing kam nicht dazu, um Einwendungen 
zu machen. 

— Laſſen Sie e8, es wird jo am beiten 
fein, — meinte Hargitay. 

Jetzt kamen noch drei andere Patrioten 
hinzu, alle drei jehr lieberale Männer ; denn in 
diefem Komitate waren nur zwei Parteien be- 
fannt, eine „ſehr“ lieberale und eine „no“ 
fiberalere. | 

In Gegenwart diefer Dreien ging nad fur: 
zem Zeremoniell die Berfiegelung des Xefta. 
mentes bor ſich, worauf alle fünf auf das Kou— 
vert ſchrieben, daß es das Teftament des Herrn 
Johann Haraitay enthalte, Fertöy übernahm das 
Dokument, um es im Komitatsarhiv zu hinter: 
legen. | 

Während deſſen kehrte Martin von feiner 
Miſſion zurüd, 


— 92 


Nun? Haft Du denn die Herren angetroffen ? 
frug Hargitay, fein Pfeitenrohr in die Mund- 
ede ſchiebend. 

— Ka, gnädiger Herr; — als er den Brief 
öffnete, und den Anhalt erblidte, hatte er eine 
Sreude, daß er mich bald geküßt hätte; er trug 
mir auf, jeinen Gruß und Dank dem Herrn Bärfing 
auszurichten. 

— Dem werden die zwei Gulden willfommen 
geweſen fein! — jagte Hargitan mit ſardoniſchem 
Laden. 

- Könnte nit jagen, — erwiderte Martin, 
— denn er drüdte fie mir alliogleih in die Hand 
als Trinkgeld. 

— Dann begreife id) nicht, — - murmelte Der 
ftolze Patriot die Achſel zudend, — worüber er 
fich jo gefreut hat! -—- Doc kümmerte er fih nicht 
mehr Darum, sondern blies in feine Pfeife, 
welhe hierauf gleih dem Veſuv Feuer zu jprü- 
ben begann, dann ftellte ev feine ewige Gejell- 
Ihafterin auf die Etagere, und forderte die Gäfte 
auf, fih zu den Srauen hinüber zu begeben, 
da es gleicd vier Uhr, und die Zeit des Mittag: 
eſſens ſei. 

Das Diner war prächtig, mit heiterem Ge— 
ſpräch gewürzt, deſſen Gegenſtand ausſchließlich 
die morgige Feierlichkeit bildete. Die jungen Her— 
ren erzählten, in welchem Koſtüm fie morgen er: 
fcheinen werden. - 


— 93 — 


Es wurden die ſammtenen Mente's, die 
ſchwanfellverbremten Zele's, die verſchiedentlichen 
Kalpag's geſchildert, in welchen man am Parade- 
wagen des Palatins reiten wird. Auch Hargitay 
zitirte einige effektmachende Sätze aus ſeiner mor— 
gen zu haltenden Rede. An dem prachtvollen 
Diner, am heiteren Geſpräch betheiligte ſich nur 
Judith nicht. Ste aß nichts, außer Brod, und 
ſprach fein Wort. 

Fertöy wollte fie aufheitern, und frug: 

— Und was werden Sie, ſchönes Schwefter: 
hen, morgen vor dem Palatin ipredhen ? 

- Nihts! — 

- Wenn Sie aber von St. Hoheit ange: 
ſprochen werden, müſſen Sie doch etwas er- 
miedern. 

— Für diefen Fal wei; ic einen ſehr 
ſchönen Gruß, den jchönften ; und dieſer iſt, mit 
welhem in Vörösmarty's „Schönen Ilonka“ der 
unbefannte Säger ein Glas auf König Ma: 
thias leert. 

Außer Hargitay, der ein großer Verehrer 
Vörösmarty's gewejen, wußte Niemand, was Ju— 
dith gemeint, deshalb blieb auch ihre Erwiede— 
ung ohne jeglihen Eindruck. 

Als die Tafel aufgehoben wurde, näherte 
ih Hargitay auf einen Moment jeiner Tochter : 

— Du Haft nichts gegefien; fehlt Dir 
etwas ? | 


2 Bi. 


— Ich will mih an den Hunger 
gewöhnen! —- antwortete Judith. 

Einen Augenblid ſahen ſich Beide in die 
Augen. 

Es war, als wenn der Spiegel des dunk— 
len Meere den Blik des grollenden Himmels 
zurückſchleudert. 


Das Feſt. 


Am andern Tage waren die Gaffen von der 
Brüde bis zum Komitatshaufe mit friſchem, duf- 
tendem Gras beftreut; die Mauern der Häufer 
mit Pappelreifig ausgeihlagen und aus den Sen: 
ftern, von allen Thürmen herab wehten National: 
ahnen: die Luft war rein und früh, es ſchien, 
al3 wollte die ganze Stadt fih auf Flügel er: 
heben. | 

Und welch' ein Gedränge auf den Gaffen. 
Alles in Tonntäglihem Puh; die Männer mit 
jilbernen Knöpfen und Fetten, die Bürgerinnen 
in feidenen Kleidern, inzwiſchen ritterlihe Ge— 
italten mit fliegenden Mentes und filberbeichla= 
genem, jheppernden Säbel, Abtheilungen berit- 
tener Banderien, in blauen Dolmaͤny's, die unter 
Führung ihrer Lientenants aus den Dörfern an- 
rüden, das Bataillon der Bürgermiliz mit Hin- 
gendem Spiel, die ehriamen Zünfte mit ihren 
prächtigen feidenen Fahnen, die von acht Män- 
nern auf den Achſeln mittelft langer, vergoldeter 
Stangen getragen werden, während in der Mitte 


96 — 


ver Bunftmeifter das Gleichgewicht der Fahne 
duch die Mittelftange aufrechthält; nie liebe 
Schuljugend in Drgelpfeifenreihe arrangirt, dann 
die Ichauluftige bunte Menge, welche alle Gaſſen 
und Pläge beſetzt Hält, oder hin und her 
wogt. Alles dies hot ein helebtes, unbergeß- 
liches Bild. 

Die Donau theilt ſich ober der Stadt in 
zwei Arme, und fildet eine Feine Inſel; dieſe tft 
mit der Stadt durch eine ftehende Pfahlbrüde 
verbunden, welde, wie gebräuchlich, für Wägen 
und für Fußgänger abgetheitt ift 


Der Fußſteg der Brüde iſt heute für Die 
gewöhnlide Menge an beiden Enden abgeſperrt; 
den Kordon bilden ftädtiihe Trabanten und Ko— 
mitatshußären, Deren Uniform bis jeßi noch 
dem unberufenen Pöbel vollen Reſpekt ein: 
rlößt. | | 

In der Mitte der Brüde befindet ſich ein 
weiterer Raum, in defen Hintergrunde bei ge: 
wöhnlichen Zeiten die Statue des heiligen Johann 
von Nepomuk zu jehen iſt; an dieſem außeror— 
dentlichen Tage jedoch iſt vor demſelben ein mit 
Blumen und Fahnen prachtvoll dekorirter Balde 
chin für jene Damen errichtet, welche dem ritter: 
lichen, jungen Palatin einen mit ‚geiftreihen Em: - 
bfenten beſchriebenen Lorbeerkranz überreichen 
werden Um dieſen feierlichen Aft ohne Störung 


4 


bewirken zu fönnen, wurde die Baflage für Fuß— 
‚gänger abgeiperrt. — 

Im Programme der Weierlichleit ift ver- 
gangene Naht eine Wenderung vorgenommen 
worden : daß nämlich Herr Hargitay dem Pala= 
tin nicht bei feinem Ausfteigen aus dem Dampf: 
ſchiffe, ſondern im Komitathauſe mit einer Rede 
begrüßen wird ; dort wird ihn eine ftädtiiche De- 
putation mit kurzen Worten beneventiren. 

Am Ende der Inſel, dort, wo man fehr 
wenig bon der ganzen Keftlichleit vernehmen Tann, 
fteht eine große, uralte Weide, unter ihr befindet 
fi ein Feines Baͤnkchen. 

An diefem Orte, wohin ſich heute gewiß 
Niemand verirrt, finden wir Pußtafi und Lavay. 
Nichts ftört das Geſpräch der Freunde, denn felbit 
das Getöje der wogenden Menſchenmaſſen wird 
bier nur wie das Summen eines Bienenforbes 
vernommen. 

— Siehſt Du Freunddhen, — jagte Puß — 
tafi, daß es feine Gelegenheit gibt, aus welcher der 
geiheidte Menſch nicht Nugen ziehen fünnte. Da 
nimm Du diejen Triumphzug : dem Einen bringt er 
Ruhm und Ehre, dem Andern Aemter, und Dir 
eine Braut. .. Dieſes Mädchen verdient wirf- 
fih Deine Gattin zu werden. Ihre Unterichrift 
werde ich in mein Gedenkbuch aufbewahren ; nicht 
einmal ihre Hand zitterte . . . Zittert die Deine 
vielleicht ? .. 


Andere Zeiten und andere Menſchen 7 


a a 


Nein . . das ift mir lieb. Kümmere Dich) 
niht um die Zukunft, vor einer ſtarken Geele 
ihrumpft fie zufammen, während fie die Feigen 
glei einem bellenden Hunde verfolgt. — Wenn 
es nur nit To weit bis zum Abend wäre; — 
überhaupt werden mir die paar Stunden, als Die 
Prozeifion Dauert, jehr langweilig werden. 

— Kommſt Du nit mit? . 

— Das weißt Du-ja!. . 

— Soll ich bei Div bleiben ? . 

— m Gegentheil, verlange id) von Dir, 
dag Du Did) in der Nähe Deiner Geliebten aufs 
hältft: denn ich habe die Ahnung, als follte ihr 
ein Unglüd begegnen. Du weißt, dag id) mic 
bei allen ſolchen Feierlichkeiten derart fühle, 
wie die Habe beim Erdbeben. . . Gebe Acht 
auf fie. . | 

— 63 ift wahr, daß es ein böfer Ger 
danke war, die Tribüne auf der Brüde zu er: 
richten; — aber was wirft Du bis dahin be= 
ginnen ? — 

— Ich werde ſchön hier am Ende der In— 
ſel bleiben, mich in einen Kahn ſetzen und ruhig 
angeln. Doch warte. Die Zeit drängt noch nicht; 
haft nicht zu eilen. Ich möchte gerne hören, wie 
Du den Hohen Saft begrüßen wollteft, es wird 
ohnehin Niemand Deine Diltion hören, wenig— 
ftens ſoll ich etwas davon zu Gehör bekommen. 


=u.'90 

— Gut. Hoͤre alſo. Ich hätte Rune io 
geſprochen: | 
‚Herr! Du Haft. jene Stadt betreten, für 
welche Die vaterländiihe Erde nur eine Stief— 
mutter. iſt. Bor achtzig Jahren hatte fie das 
Erdbeben zerftört, auf den Ruinen wurde eine 
neue Stadt gebaut; vor 52 Jahren vernichtete 
jie die Ueberſchwemmung, die Einöde erhielt aber- 
mals Einwohner. Vor dreigig Jahren verheerte 
fie Die Fenersbrunft, fie entftand neu aus ihrer 
Aſche. Seit zwanzig ift ein ganzes Viertel der: 
jeiben von der Fortifilation abgetragen und in 
eine Hutwaide verwandelt worden. Die Stadt zug 
ih aus der Nähe der Feſtung weg, und baute 
ihre Häuſer anderswo. Alle Schidialsihläge, 
die es nur gibt, verfolgten dieſes Städtchen, jelbit 
der Boden auf welchen fie jteht. Und fiehe, den 
noch ſprechen und beweifen es dieſe Häuferreihen, 
dieſe Kirchen, daß das Volk ſeine Vaterſtadt trotz 
aller Schidjalsidläge liebt, anbetet, und fie nicht 
verläßt. Herr! trete ein in dem wunderbaren 
Zauberfreis dieſer WBaterlandsliebe, und ver: 
bleibe darin, denn wer ich innerhalb desjelben 
befindet, der ift unverletzlich.“ Pußtafi rüttelte ſei— 
nen Freund an der Schulter. 

— Geh’ du Narr! .... Wie gut es ift, 
dag du's nicht mE haft, es wäre zu ſchön 
geweien! . . 

Da erdrohute ein Kanonenſchuß der 


==, 400; = 


Höhe des jenfeitigen Ufers, welcher bedeutete, 
daß das Schiff, weldhes den hohen Gaft bringt, 
bereits fichtbar jet. 

Lävan beeilte fih nun auf die Brüde zu 
gelangen, wo bereit3 Militäripaliere die Kommu- 
nifation offen hielten. Auf dem Fußſteg der Brü- 
de gab e3 der privilegirten Zuſchauer Schon eine 
Menge, jo daß es Laͤvay Mühe foftete, in 
die Nähe des Baldahins zu gelangen, dort traf 
er mit Martin dem Hußären zufammen und ber- 
blieb in dieler angenehmen Geſellſchaft. 

Der Hukar Martin war ein großer Ver: 
ehrer und Protektor des vor die Thüre gefegten 
Bräutigamd. Er mar e3 allein, der ihm trog 
feiner politiihen Gefinnung gut geblieben ift, wo 
doch er, Martin, am empfindlidhiten getroffen war ; 
denn wenn aud der Bauer Ihon zum Herrn wird, 
wohin wird es mit dem Range eines Komitats- 
bußaren kommen! 

Trogdem hörte Martin niht auf, feinen 
ehemaligen Günftling zu protegiren. 

— Stellen Sie fih nur an meine Seite, 
gnädiger Herr, — jagte Martin mit Proteltors- 
miene. — Hier von diefer Fahne da fünnen Sie 
am beiten jehen. 

Martin meinte aber nit, das man den 
feftlihen Zug, jondern das Fräulein, welches in 
feftliher Xoilette zwiihen den übrigen Damen 


— 101 — 


auf der Tribüne ftand, von hier aus am beften 
ſehen könne. 

— Ein wunderherrliches Geſchöpf! — ſagte 
Martin. Sein linker Nachbar war des Glaubens, 
daß er jenen vorbeiſprengenden Reiter im fammt- 
nen Koſtüm meine, und nidte beifällig mit dem 
Kopfe: während Martin nad rechts iprah und 
ganz Anderes dachte. 

Dann flüfterte er leije zu Lavay gewendet: 

— Das Fräulein ließ ſich geftern Abends 
vom Gefinde ſchwarzes Brod holen, und jagte, 
fie werde fi) nunmehr an ein joldes gewöhnen. 

Laͤbay konnte feine Augen von der Silphy: 
dengeftalt Judith's nit abwenden. 

— Niht um die Welt mochte fie ber: . 
ihauen, und doch weiß fie es, daß Jemand in 
ihrer Nähe iſt; — brummte Martin. 

Seht erdröhnen drei Schüffe auf der Inſel, 
ſechs antworten darauf von der Feftung, dann 
folgt Schuß auf Schuß, es gibt aud Leute, 
melde dieſe Schüffe zählen. | 

Bon den Kirhthürmen ertönt Slodengelänte, 
der Jubellaut der Thürme übertönt den menſchlichen 
Freudenruf, welcher aus tauſend und taufend 
Kehlen das ankernde bunibeflaggte Schiff brgrüßt. 
Alles tönt vom Jubel, von der Erde bis zu den 
Spigen der Pappeln und den Hausdächern, die 
Wogen des Jubels mwälzen fi) immer weiter und 
weiter, jo mie der Feltzug ſich bewegt. 


= A0s- = 


Welcher Glanz! welch' wahre Begeifterung ! 
Unter den Triumphbögen eriheinen einzeln die 
Adtheilungen der Bürgermiliz, an der Spitze 
eine Mufitbaude, welhe den „Hunyady-Marſch“ 
aufipielt, deſſen Refrain „es lebe, lange lebe dir 
König!“ .. . Hinter ihnen ritten die adeligen 
Banderien, deren Muſikkorps Zigeunertvompeter 
bilden in ſcharlachrothem Anzug auf ſchnee— 
weißen Schimmeln. Die Banderien reiten mit 
ftolzer, martialiiher Haltung über die Brüde. 
Diefen folgten die Herren auf prädtig geihirrten 
Pferden, in gold und filberverzierten Galla— 
anzügen, ftolzen Reiherbüichen auf den fojtbaren 
Kalpags; die goldenen Säbelſcheiden, Schlagen an 
filberne Hufeiſen an... . Inmitten all' dieſer 
Pracht Fährt im vergoldeten Gallawagen der 
Palatin einher, ein ſchöner, ritterlicher und noch 
junger Mann. Seine hohe Stirn, ſein längliches 
Geſicht, die ſanften Augen, der magyariſch ge— 
wichſte kohlſchwarze Schnurbart und feine männ— 
lich freundlichen Züge zogen unwillkürlich Aller 
Blicke an. 
Wer konnte es hemmen, daß ſich Alles 
um den Wagen drängte, um dem erſten und 
höchſten gewählten Beamten des Landes ein 
freudiges „Eljen“ zuzurufen, und eines jener 
freundliden Lächeln zu erhaſchen, womit ev den 
Gruß des Volles zu erwiedern pflegt . | 

Die ih um den Wagen des Palatins 


— 103 — 


ſchaarende Menge, wurde, als jie von der breiten 
Straße in die Brüde einbog, plötzlich zuſammen— 
‚gedrängt. Hier vermehrte fie fih auch durch jene 
Elemente, welde früher die Aefte der Pappeln 
bejegt hielten, und deren leberzeugung war, daß 
an einem ſolchen guten Tage c3 die Pflicht eines 
jeden Bürgers iſt, nicht zu gehordhen. 

Die zwei Komitats-Panduren am Ende der 
Brüde gaben eine zu Schwache Wehr ab gegen 
die anfturmende Fluth. Wie es vorauszufehen 
war, hatte die jubelnde Menge, ſobald der Wagen 
des Palatins auf die Brüde gelangte, in Mo— 
ment batle fie den Fußſteig beiegt, indem fie die 
Widerftand leiftende Mache, wie der Sturm die 
Spreu, mit jih riß. Einige Minuten lang konnte 
man nod die wehenden Kederbüihe an den 
Tſchako's der kämpfenden Panduren und die ge- 
hobenen Säbel über den Köpfen des Volkes ſehen, 
aber auch dieſe verihwanden, wahrſcheinlich hatte 
man die Tſchako's und Säbel in's Waffer ge— 
worfen, dann wideritand nichts mehr. Mer jich 
auf dem Fußſteige der Brüde befand, wurde un- 
aufhaltiam gegen die Tribüne gedrängt. 

— Gnädiger Herr, hier wird's ein Unglüd 
geben! — brummte Martin fih an Labay wendend. 

— Das ift gewiß. Aber jest heißt es 
helfen, wie wir fünnen, Geben Sie mir Ihre 
Hand, Martin: vieleicht fünnen wir das Volk 
nur jo lange zurüdhalten; als der Palatin von 


u AH: 
den Damen den Kranz empfängt, denn eine 
Minute Später wird man diele leichte Barriere 
wie Spreu zerbreden ; derweilwerden aberdie Damen 
bis an das andere Ende der Brüde gelangen 
fünnen, wo fie fih dann in ihre Kaleihen jeken. 

— So wird's gut fein, — jagte Martin, und 
nun berjuchte er's mit Laͤvay und zwei waderen 
Schiffsfnehten den Drud der aus Taufenden be- 
ftehenden gedrängten Kolonnen auf einem Raum 
von einer Duadratlfafter zurüdzuhalten, was. 
auch auf einige Minuten gelang, aber jowie die 
drüdende Mafle immer vdihter und fompalter 
wurde, mußten fie Schritt für Schritt nachgeben. 

Die Damen, von den Flügeln des Balda— 
hin bededt, hatten keine Ahnung von der Gefahr; 
fie hörten nur das Jubelgeſchrei, und ihre Blide 
waren auf das Antlit des Palatins gerichtet. 

In diefem unheilvollen Moment fiel es der 
Frau von Hargitay, welche an der Geite ihrer 
Tochter ſtand, ein, ftatt des einfachen „Eljen 
sokäig“ bei Ueberreihung des Kranzes eine zier- 
lihe Begrüßungsrede anzubringen. 

Schon waren Lavay und Martin bis knapp 
an die Tribüne durch die unmwiderftehlihe Volls— 
macht zurücdgedrängt, und das Geländer fing zu 
trachen an. 

Frau bon Hargitay ſah und hörte vom 
Allem nichts. Sie begann mit feierliher Stimme : 

Hoͤchſtverehrter .. . . . | 


— 105 — 


In dieſem Momente erfolgte ein kurzer 
Kracher, darauf ein kurzes, furchtbares Gebrüll, 
wie das letzte Angftgeichrei von Hundert und aber: 
mals Hundert getödteten Menichen. . . . . 

Der Fußfteig der Brüde ftürzte in einer 
Länge von dreißig KRlaftern, mit all’ den Damen, 
Fahnen, dem Baldahin und der heiligen Statue 
in die Tiefe der Donau. 

Sm nächften Augenblide jah man auf der 
MWaflerflähe nichts als herrenloſe Hüte, Kraͤnze 
und Fahnen Shwimmen. Das Uebrige war unter 
Waffer. 

Auch Bela und Judith befanden ſich dort. 


Unter dem Waſſer. 


Zweihundertdreigig Menſchen ftürzten mt 
der eingelunfenen Brüde in den Fluß. 

Inmitten des Siegestaumels, des feitlihen 
Slanzes, vor den Augen des Palatins, kaum 
eine Klafter weit-von den Rädern feiner Kutſche 
jtürzten fie in das Wogengrab. Der Gefeierte 
konnte noch die bekränzten Engelsgeſichter ſehen, 
den hochſchallenden Eljenruf hören — nad) einer 
Minute ſchwammen dieſe Kränze auf der Dber- 
flähe des Waffers, und ein tauſendſtimmiges 
Mehgeihrei erfüllte die Luft. 

AH! welch eine Feierlichkeit war das! 

Die mehllagende Menge rannte in wahn: 
finnigem Shreden nad) jeder Richtung, durch die 
beflaggten Triumphbögen iprengten goldbededte, 
in Sammet gehüllte Reiter davon, die Namen 
ihrer rauen, ihrer Kinder rufend! Die ſchöne 
bewaffnete Bürgerwehr ftob auseinander, wie ein 
alarnirtes Lager von Soldaten! und al’ dies 
längs dem Ufer, weldhes noch feinen vollen 
Fahnenſchmuck trug. 


— 17 — 


— Eilen Sie zuden Kähnen! —rief der Pala- 
tin ſeinem Gefolge zu, und er ſprang jelbit von 
feinen Magen. Ein Manı, deſſen Frau vor 
feinen Augen in das Waſſer fiel, wollte ihr nad): 
ftürgen: der Palatin bielt ihn zurüd, umd 3093 
den Wahnfinnigen mit fi fort. 

— Bu den Kähnen, zuden Kähnen! — rief 
er, — Jemand ſoll zum Dampfichiff iprengen, daß 
es den Fluß bHerauffahren müge. Rufet die 
Fiſcher mit ihren Neken! Jedermann zur Arbeit! 

Mas in der Nähe war, und feine Befehle 
vernehmen konnte, beeilte ſich, dielelben zu voll: 
ztehen ; die entfernter ftehende Menge aber mwogte 
hin und ber, wie Einer, der fidy feinen Rath zu 
geben wei. Eine Schaar, ſchon recht weit in 
die Gaflen vorgerüdt, marihirte noch unter 
Siegesmarihllängen vorwärts. Ein Reiter holt 
fie in Galopp ein. Er jagt ihnen ein Wort und 
die Schaar löſ't ſich ſogleich auf, und Mufifer 
und Feittheilnehmer vennen alle zur Donau zu: 
WdE... Ach welch' eine traurige Feftlichkeit 
war das! 

Unterdeflen harrte Johann von Hargitay, 
an der Spike des gewählten Komité's des feier: 
lihen Momentes, wo er die Gefühle des Bolfes, 
dem fo heiß erichnten Gaſte verdolmetihen wird. 

Seine Rede Soll heute hinreigend werden, 
weil er es auch Fühlt, was er fpridt. Seine 
Ausdrüde werden die des nationalen Stolzes, 


— 18 — 


der altehrwürdigen Baterlandsliebe und der 
treuen Anhaͤnglichkeit fein. 

Wer weiß, was darauf folgen wird, wenn 
dDiefe aus der Mode gehen? Heute ift wahrlich 
ein paffender Tag für ſolche Gefühle. 

Nicht Johann von Hargitay, Tondern die 
durch ihn vertretenen Prinzipien find es, melde 
heute ihr Jubelfeſt feiern. 

Hargitay hielt die abgeſchriebene Rede in 
der Hand, und warf eben noch einen flüchtigen 
Blick in die Schrift, als der erſte Kanonenſchuß 
vom Monoftor erdröhnte. 

„So lange ich athme, fo lange mein Körper 
nit zuſammenbricht, ſolange werden auch diefe 
Ideen und diefe Worte leben.“ 

Und wahrlih, auf dem Gefichte Hargitay' 3 
ftrahlt daS Leben jelbit. Solde Gefihter haben 
ſich nit um das Schickſal des morgigen Tages 
zu fümmern, bei ihnen bat die Nedensart „jo 
lange wir leben“ feinen Sinn. 

Sein ritterliher Anzug, läßt ihn um zehn 
Fahre jünger ericheinen, die feftlihen Ideen des 
heutigen Tages hatten jede Furche von feiner 
Stirne geftreift. Seine ganze Haltung ift der- 
art, al3 wenn diefer Tag einzig und allein für . 
ihn da wäre. | 

Wieder ein Kanonenihuß. Der Schall 
macht die Fenfterfcheiben erzittern. 

Johann von Hargitayn berechnet die Reihen- 


— 109 — 


folge der kleinen Ereigniſſe, welche in einiger 
Ferne von ihm vor ſich gehen. Jetzt hat der 
Dampfer gelandet. Jetzt findet der feſtliche 
Empfang ſtatt. Jetzt ertünen die Glocken, der 
Feitzug bat nun den erften Triumphbogen paffixt. 
Der Jubelruf der Menge erihallt, vermengt mit 
den fräftigen Klängen der Mufil: jet find fie auf 
der Brüde angelommen. Der Klang der Mufit 
und die Eljenrufe werden mit jeder Minute ber- 
nehmbarer, von dem Ufer her. Auf einmal er- 
tönt ein ſtarker, langer Schrei; ftärker, jchärfer, 
durchdringender al3 alle bisherigen, man fühlt 
etwas wie einen Schauer in die Glieder fahren. 
Ploͤtzlich tritt Stille ein, nur die Klänge der 
Mufit und das Glodengeläute ift vernehmbar. 

Hargitay aber betrachtet ruhig; nun fteht 
feine Gattin und feine Tochter vor dem hoben 
Gaſte, deſſen gnädigites Lächeln ihnen zu Thei 
wird. 

Plötzlich ftodt die Muſik, und die Gloden 
hören auf zu läuten. | 

Einen Augenblid darauf läutet man wieder, — 
es ift das aber ein Sturmgeläute. 

Wie wenn große Gefahr droht, wo Se: 
dermann zur allgemeinen Rettung Hand anlegen 
muß, erihallen alle Gloden in allen Kirchthür— 
men, eine mit feiner, die Andere mit tiefer Stim = 
me, aber alle traurig, und alle jcheinen zu rufen: 
„Wehe! wehe! wehe!“ 


— 110 — 


Von den Kirhthürmen konnte man die 
ganze furchtbare Szene überbliden. 

Was kann dort geihehen jein ? frugen ein— 
ander die erbleichten Herren in den glänzenden 
Gemächern. — ft vielleiht ein Feuer ausge— 
brodhen ? 

Bon den Fenſtern des hochliegenden Ge— 
baudes konnte man in feiner Richtung eine Feu— 
ersbrunit erbliden, und dod) riefen die Gloden fort- 
während: „Wehe! wehe! wehe!“ 

Einen Augenblid ſpäter fündete dasſelbe 
ein lautes Gemurmel der Menge an. 

Dieſes Gemurmel war aber ganz veridie= 
den don dem vorherigen. Es war das nicht jener 
lange anhaltende Ton, welcher durch das Wieder: 
holen des Eijenrufes von Mund zu Mund ent- 
jteht, jondern es mar ein ftürmilches Geſchrei, 
welches fortwährend erſtarb, ſich aber nicht nähert, 
das nicht Begeifterung, Sondern einen Schauer‘ 
erzeugt. 

Und kommt Niemand, der Nahridt brächte ? 
Jedes Fenſter ift voll von beſorgten Geſichtern, 
und alles frägt, was denn geſchehen ſei? Und 
Niemand iſt im Stande Auskunft zu geben; alles 
drängt fih aus der Stadt hinaus, gegen Die 
Donau. Niemand weil was Seiner dort wartet- 

Nah langer Zeit des bangen Wartens er: 
iheint ein altes Weib händeringend bon der 
Rihtung des Ufers fommend, und mit fieberhaft 


— 111 — 


zittender Stimme rufend: „Ad, Jeſus Marta! 
ah, Jeſus Maria!“ 

Das Weib eilt dem Stadthaufe zu, den 
Stadthirurg zu avifiren, daß er mit feinen In— 
jtrumenten den Unglücklichen zu Hilfe eilen möge. 
Seine eigene Gattin Hatte man auch todt aus 
dem Fluthen gezogen. 

Johann von Hargitay beugte fih aus dem 
Zenfter des Komitatshaufes, und vief der eilenden 
grau nad: „Mas it geihehen ?° 

Die Arme wurde Ihon von hundert Fen— 
ſtern herab mit vderjelben Frage beftürmt ; fie 
hörte aber nichts, und konnte nichts anders vor— 
bringen, als! „Ad, Jeſus Maria !“ 

ALS ſich das herzzerreigende Wehllagen des 
Weibes in der Ferne verlor, famen einige Maͤn— 
ner mit großem Geichrei auf das Komitathaus 
zu, fie mußten bei jedem Fenſter jtehen bleiben, 
dann drang ein Reiter dur den Haufen; einer 
jener berittenen Komitatshußären, die zur Auf: 
rehhthaltung der Drdnung beordert geweſen waren. 
Die Kleider voll Staub, das Gefiht voll Blut, 
als wäre er ſammt feinem Pferde durch Die 
blindftürmende Menge niedergetreten worden. Un— 
bedeckten Kopfes Iprengte er dem Thore des Ko— 
mitatshaufes zu, wo fein ſcheu gewordenes Pferd 
faum mehr zu bändigen war. 

— Was ift geſchehen? Rede! — rief ihm 
- Hargitay entgegen. | 


— 112 — 


Der Hukar konnte fi kaum im Gattel 
halten, und Hatte nicht Zeit, den Fragenden an: 
zubliden, — vielleiht winde er gar nicht ge— 
antwortet haben, wenn er ihn erkannt hätte. 

— Die Brüde ift eingeftürzt, die Damen 
find alle in der Donau umgelommen. — 

Johann von Hargitay ſtieß einen Schrei 
aus, als hätte er einen tödtlichen Stoß er— 
halten. ‘ 

— Meine beiden Judithe! (Seine Frau 
und feine Tochter führten denjelben Namen.) 

Und dann fing an fein ſchönes lebensfrohes 
Gefiht zu lächeln und fih roth zu färben, und 
wurde immer.vöther, und lächelte immer: mehr. 
Einige Augenblide konnte man nicht willen: ob 
er wahnjinnig wird, ober ob er ftirbt ? Aber dann 
auf einmal verging das Lächeln, die Farbe feines 
Antliges ging in das Fable über, die ftattliche 
Geftalt ftürzte jo wie er ftand: in goldbeihnür- 
tem und reichverbrämten Galakleide, in der Hand 
den Paradejäbel mit dem filbernen Griff — zuſam— 
men, und ſchlug im Hinfinfen erft mit den 
Knieen, dann mit den Ellbogen, und endlich 
mit der Stirne an den Marmor des Fußbodens. 

Wahrlih ! er hatte veht! Alle feine Vor— 
fahren ftarben dem Tode kühn in's Auge fehend. 
Sept ift auch er in ihrer Geſellſchaft. 

Und wenn feine beiden Judithe die Reife in 


— 13 — 


das Jenſeits angetreten, fo konnte er doch befier 
eilen, als jene, — er kam ihnen zuvor. 

Ob fie aber auch dahin unterwegs find ? 

* F * 

Als der vermorſchte Querbalken der Brücke 
entzweibrach, fiel die eine Hälfte des nieder— 
fallenden Theiles mit allen dort Stehenden unter 
das Joch, während der andere Theil durch eiſerne 
Bänder feitgehalten, in der Luft hängen blieb, 
nur die Menge rollte in’3 Waffe. Ein Theil 
des Geländers fiel ihnen nad, wen ein Stüd 
traf, der war todt. 

Nah einigen, eine Ewigkeit dauernden 
Minuten tauchte der hinuntergeftürzte Theil der 
Brüde mehrere Klafter abwärts auf die Dber- 
fläche der Donau. 

Welch' ein ſchauerlicher Anblid. 

Mehr als zweihundert Menihen, Männer 
und Frauen in einem wirren Knäuel verwickelt, 
wie ein Haufe Gewürm , welder fjammt dem 
Obſte, an weldem er jaß, vom Sturme wegge— 
riffen worden, klammerten fid die Unglüdliden 
in ihrer Verzweiflung an die hinabgeftürgten Bal- 
fen und aneinander. Hieund da taudt aus dem 
Waſſer oder unter dem Gebälfe eine flehende 
Hand empor, während der Kopf nicht mehr ficht- 
bar wird. Das aufgelöste Haar ohmmächtiger 
Frauen ſchwebt in dunklen Linien über ven 
Wellen. 


Andere Zeiten und anders Meinen. 8 


== 14 == 


Kein einziger Ruf um Hilfe erihallt. Das 
Entiegen bat fie Mlle ftumm gemadt. Der 
ganze Menſchenknäuel läßt fi lautlos in tödt- 
iher Betäubung auf dem gefährlihen Floſſe 
durch die Fluthen langſam fortſchwemmen. 

Dieſe ſind noch leicht zu retten. Was ge— 
ſchieht aber mit Jenen, die von der entgegenge— 
ſetzten Seite der Brücke, ohne ein rettendes Holz— 
ſtück erfaßt zu haben, in einen Knäuel verworren, 
hinabgeſtürzt ſind, und welche durch die eigene 
Laſt untertaucht, unmittelbar in jene Tiefe ſinken, 
wo am Grunde der Donau die Muſchelthiere 
leben ! 

Zwiſchen dieſen Unglüdlihen befanden fi 
die beiden Judith und Johann von Hargitay, 
die grau und die Tochter und mit ihnen Bela, Der 
abgewiejene Freier. | 

In dem Augenblide, al3 die ganze Menge 
jammt der Brüde mit fürchterlichem Gepraffel im 
Sinken war, wurde die ganze Seele Judith's von 
einem Gedanken erfaßt: ah! alſo jegt fterben wir ! 

Dies ift alfo die Löſung der peinliden 
Frage: der Tod. Das Mädchen erſchrack nicht 
vor dem Schredbilde, in deſſen Gewalt fie war; 
diejes Schredbild war ihr ſchon jeit langer Zeit 
befannt. Oft dachte fie Schon darüber nad, oft 
fragte fie fih: welche Empfindung es fein Tann, 
wenn man bon einer Höhe in das unbefannte 
Wellengrab ſich hinunterftürzt ? wie es dort unten 


= DB: = 


ausiehen mag? ob es lange dauert, bis man 
dort unten anlangt ? ob es Schmerzen verurſacht? 
ob die Seele mit den Waflerblajen wieder in die 
Höhe kommt? ob es das Herz tft, welches zuerit 
bricht, oder der Kopf, welcher zu denken früher 
aufhört ? Sie war längjt mit allen dieien jchauer: 
lichen Gedanken vertraut, nur Eines hielt fie zu— 
rüd: das es doch eine Feigheit wäre, ſich ſelbſt 
zu tödten. Nun iſt aber das Schidial jelbit da, 
es zu vollbringen. Um jo befier ! 

Während tie dies alles noch einmal durch— 
dachte, behielt fie ihre volle Faſſung, aud dann 
ſnoch, al3 die Wellen über ihrem Kopfe zufammen 
ſchlugen. 

Es war ihr nicht möglich, ihre Augen unter 
dem Wafler zuzuſchließen. 

Und wie entjeßlid war das! 

Sie ſah neben fi, unter ſich, über ſich 
überall befannte Gefichter, in der verzweiflungs— 
vollen Agonie des Todes; manche janken langſam 
hinunter, mit jtarr geöffneten Augen, mit anfges 
dunjenen Wangen, leicht wie eine Feder, andere 
zudten, das Geſicht verzerrt, die Augen krampfhaft 
geihloffen, mit ohnmächtiger Anftrengung nad 
einem Gegenitand toppend, an den fie ſich anklam— 
mern könnten. Am ſchrecklichſten waren zwei ihrer 
Freundinnen, welhe einander umfchlangen und 
fo mit einander abwärts ſchwebten. Und der 
das Waller durhdringinde Sonnenſchein lieh 

*8 


— 16 — 


ihr jedes Gefiht, jede Figur Ihauerlih grün 
ericheinen. 

Und alle dieſe Hunderte von menſchlichen 
Geftalten lebten noh! Ste bewegten fi, fie 
warfen ſich bin und Her, fie zudten in dem 
flüffigen Lichte eines grünlihen, flüjfigen Ele— 
mentes; die Hände haſchten nody nad) einander, 
die Lippen öffneten jih zum Hilferuf, die Augen 
bewegten ſich in ihren Höhlen, und doch war das 
hier Ihon das Neid) des Todes. 

Judith ſah den Tod,. aber fie fühlte ihn 
noch nit. Sie hielt den Mund fortwährend ge- 
Ihloffen. Sie fühlte nihts Anderes, als den 
ſchweren Drud der Menge Waflers auf ihre Bruft. 

Und dabei ſchien ihr, als wenn ihr Körper 
langiam ſich emporheben würde, — vielleiht eben 
weil fie gar feine Anftrengung machte. Die grüne 
Maſſe über ihrem Kopf wurde immer Lichter, und 
fie fing an das Treiben, jener Kleinen Fiſche zu 
unteriheiden, welhe zu Tauſenden auf der Ober— 
fläche des Waſſers ſchwimmen, fich an den Sonnen— 
ftrahlen mwärmen, und auf winzige Inſeltlein 
lauern. | 

Die Geftalt der Sonne drang wie das 
Konterfei einer vergrößerten Feuerkugel durch das 
Waſſer, und ihre in Millionen auffteigenden 
Bläschen gebrochener Strahlen vereinigten ſich zu 
einem Regenbogen unter dem Wafler. 

Auf einmal ſchien ihr, als wenn eine Ge— 


— 17 — 


ftalt wie eine himmliſche Erſcheinung inmitten 
dieſer Glorie zu ihr hinabſtiege. — Es war die 
Geſtalt ihres Geliebten. 

Und al3 dieſe Seftalt dem Mädchen er: 
ihien, als dieſe Retterarme ihren Arm erfaßten, 
als nad) einer Minute die Wellen ſich ihr öffneten 
und fie Gottes ſchöne Welt wieder erhliden konnte, 
wie fie Die geſunde Luft mit entfeflelten Lippen 
wieder einathmen konnte, und ihren Kopf auf der 
Schulter ihres Geliebten ruhen lief, — ad! da 
dachte fie mit inniger Wolluft, wie das Leben 
doch jo ſchön Sei. 

Gerettet werden! Entriflen werden aus dem 
Tode gerade durch die Hand deſſen, um deſſen— 
willen fie fih den Tod wünſchte! Diejer Gedanfe, 
dieſes Gefühl machte fie glüdlih. Aber nur für 
einen Augenblick. 

Einen Augenblid nachher durchzuckte ein 
anderer Gedanke ihr Weſen, — ein Gedanke, der 
Hölle glei. | 

— Was iſt aus meiner Mutter geworden ? 

Und gleih Darauf, als eine prompte Ant— 
wort auf jene Frage aus dieſem tiefen Todten— 
reihe, fühlte fie, wie eine Trampfhafte Hand unter 
den Wellen fie beim Fuße ergriff. 

Judith fühlte alle ihre Schnen erftarren. 
Sie dachte an nichts Anderes, als daß jene Hand, 
welche ſich zwiſchen fie und ihre Liebe drängte, 
ſogar jetzt aus der tiefften Grabestiefe zu ihr 


— 18 — 


herauf greift, die Tochter zu erfaflen, eben als fie 
durch den Geliebten dem Leben und den unend— 
lihen Räthieln des Lebens zurücdgeraubt wird; 
daß dieje gemwaltthätige Hand die Rettung verhin- 
dern will, und fie mit fid — in das 
ſtille, ruhige Grab. 

Judith leiſtete keinen Wiberftand, fie faltete 
die Hände auf ihrer Bruft, und ſchloß nun die 
Augen. Einen Augenblid darauf fühlte fie, 
daß das Waſſer über ihrem Kopf wieder zuſam— 
menſchlug. 

Im nächſten Augenblicke war ſie durch den 
Arm Béla's abermals auf die Oberfläche des 
Waſſers gezogen, aber die gewaltige Hand 
309 fie immer abwärts, hielt fie immer feit. 

Sie fühlte, welde Anftrenaungen es ihrem 
Geliebten Lofte, um bei diejem Kampfe Herr über 
die Mogen’ bleiben zu fünnen. Ste meinte: Ver: 
laffe mid, und rette Dich jelbit!... Es 
waren Dies feine Worte, nur der Gedante, 
aber fie glaubte ihn auch ausgeiproden zu haben ; 
oder daß ihr Geliebter ſelbſt ihre Gedan— 
fen höre. 

Die gemwaltthätige Hand zog fie aber fort: 
während abwärts. 

Sie war mit dem Kopfe ſchon länger 
unter, als ober dem Waſſer. Ste begann bereits 
die Beſinnung zu verlieren. Ein dumpfes Sum- 
men umlauste ihr Gehirn. ES war dies jener 


% 


= 340: = 


Augenblid, wo die Seele und der Körper bereits 
getrennt von einander leben. Die Seele ift fi 
nod) bewußt, fie denkt, aber die Nerven gehorchen 
bereit3 einem andern Herrn. Die Seele hat ihre 
Ruhe gewonnen, aber der Körper windet fi noch 
im Xodesfampfe, zittert und fträubt fih gegen 
das Zunichtswerden. 

Die Hand, welde fie in ven Tod z0g, 
wollte nicht loslaſſen. 

Das Bewußtſein Ihwand gänzlich, fie fühlte 


niht3 mehr... . die mit dem Tode ringende 
Geftalt unter dem, Waſſer hatte fie in den Fuß 
gebiſſen. 


Dieſer Schmerz machte ihren Körper un: 
willkürlich zuden; fie jtieß fi mit einer krampf— 
haften Bewegung auf die Oberfläche des Waflers. 
Nah dieſem Stoß ließ.die fi anflammernde Ge- 
ftalt ihren Fuß los... Wer mag fie geweien 
ſein? .. todt ift fie jedenralls. 

Und jetzt wurde Judith von jener unbe— 
wußten Sewalt ergriffen, welde die mit einem 
ihmerzhaften Tode Ningenden zu überraschen 
pflegt. Ihre Gedanken ſchwanden gänzlid. Sie 
umarmte frampfhaft ihren Geliebten, der fie bis- 
ber am Arme haltend, und mühjelig ſchwimmend 
über den Fluthen hielt. Beide Arme hatte jie 
mit flarrer Gewalt um jeinen Leib geihlungen, 
um ihn mit fih unter das Waller zu ziehen; 
dann preßte fie ihre Lippen an die jeinigen, um 


— 120° — 


ihm mit einem legten fterbenden Kuſſe aud den 
Athem zu vauben; jo jenkten fi) die beiden Ge: 
ftalten langſam Hinab auf den Grund der . 
Donau und flogen zwei Seelen hinauf zum 
Himmel. . . 

— Haho! .. Bela! . . Hieher! — rief 
eine befannte Stimme von der Fläche des Waſſers. 
Ein Nahen glitt Schnell über die Fluthen. In 
dem Nahen ruderte ein Mann. Diefer Mann 

war Pußtafi. 
Ä Während Andere ſich beeilten den Lärm der 
Beftlichfeit zu vermehren, ſaß er in dieſem Kahne 
und angelte ruhig; ev war der Erfte, welcher an 
die unglückliche Schredenzftätte eilte. 

— Bela, hieher, hieher! — Bon weiten 
Ihon erfannte er jeinen Freund, der eben mit den 
Fluthen rang, und eilte ihm zu Hilfe. Bela hörte 
feinen Ruf nicht mehr, die tödtlihe Umarmung 
hatte aud) ihn in den Tod hinabgeriffen. 

Aber der Dichter läßt Diejenigen, die er 
liebt, nicht zu Grunde gehen. 

Er ſuchte mit jeinen Schifferhaden jo lange, 
bi3 er fie fand. Das Mädchen hielt aud jekt 
nod) ihren Geliebten umſchlungen, nichts konnte 
die Beiden mehr von einander trennen. 

Der Dichter bob fie Beide mit feinen 
fräftigen Armen aus den Fluthen, wie man ein 
Kind aus der Wiege hebt, dann legte er fie in 
ihr Brautbett: auf den Boden des Kahnes. 


— 1211 — 


Die beiden aneinandergeihmiegten Köpfe 
legte er in ſeinen Schoß, und ftrid ihnen das 
triefende verwirrte Haar von den Stirnen. Das 
Mädchen hatte den Myrthenkranz noch immer am 
Kopfe. Wie pahte er ihm jet jo gut! 

Keines gab ein Lebenszeihen: fie ruhten 
unbeweglich neben einander. 

Am  entgegengefeßten Ufer des Stromes 
ging es Iuftig zu, Kähne, Pletten ftießen vom 
Ufer ; Jene, welde jih an die Balfentrümmer ge- 
flammert hatten, trieb die Donau langſam ab- 
wärts. Am Ufer der Inſel jedoch war Alles 
ruhig. Dorthin lenkte Pußtafi feinen Kahn, ohne 
jein Auge von den bleihen, eritarrten Gefichtern 
jeiner Lieben abzumenden. 

„Nun gehört Ihr einander für immer.“ 

Sonſt begünſtigte das ſchönſte Wetter das 
Feft. Vom klaren Himmel lachte und brannte 
die Sonne, auf den Gaffen und Pläken duftete 
das verftreute friihe Gras, 


Einer, der das Schickſal bezwingt. 


Pußtafi wohnte in irgend einem drei— 
ftödigen Haufe im innern Theile der Hauptſtadt 
Natürlich im dritten Stodwerfe, und zwar des— 
halb dort, weil e3, wie er felbft zu jagen pflegte, 
feinen vierten gab. 

Seine Wohnung befteht aus einem Vor— 
zimmer für feinen Diener, aus einem Arbeit3- und 
einem Schlafkabinet. 

Die Einrichtung ift Außerft einfach, den 
einzigen Lurus bildet der Bücherſchrank, worin 
in prachtvollen Einbänden die Hafliiheften Merfe 
der engliihen, franzöfiihen und deutſchen Lite— 
ratur prangen. 

An den Wänden hängen verihiedene Por: 
trait3 in Stahlſtich; aber nicht jene, welche man 
auf ungariihem Boden in allen Häufern findet, 
nicht jene ſchnurr- und finnbärtigen Geftalten, 
welche, als fie dem Maler faßen, ihre Sübel um— 
gürteten, ihre Fäuſte feſt an den Griff drückend, 
als wollten fie verhindern, daß die feurige 
Klinge niht von felbft aus der Scheide ſpringe. 


— 1 


Dieje Stahlftihe ftellen glattrafirte Gefihter 
mit fremden Zügen bor, mit hohen, weißen Hals— 
fraufen, in antiken Fracks. Nicht einer der länd— 
lihen Beſucher des Dichters frug fich felbft bei 
Betrahtung dieier Wandzier: weßhalb denn jein 
Freund dieſe vielen Deutihen halte? Als er aber 
diejelben näher betrachtend die Unterſchriften lag, 
fonnte er fih eines leichten Schauers nidt er: 
wehren. Der mit dem gejurdhten, gallihten, jaty- 
riſchen Gefiht, mit dem zurüdgeichlagenen Hemd— 
fragen, welder Hals und einen Theil der Brujt 
offen läßt, it: Marat; — dieſer erhobene 
Kopf mit den maſſiven Zügen, dem offenen Blid 
und jener Mauerbrecher gleihenden Stirne ift: 
Danton; — jene geichmiegelte Geftalt: Ro- 
bespiere; diejes junge, beinahe kindliche, ovale 
Geſicht gehörte einft dem furchtbaren Saint 
Juſte; und der geiftreihe Frauenkopf mit dem 
altgriehifihen Haarſchmuck ftellt Madame Roland 
bor. Ueber dem Schreibtiih hängt das Bortrait 
Beranger’s. Auf dem Tiſche ſelbſt liegt die Lieb 
Iingsleftüre des Dichters, das Buch der Giron- 
dilten, aufgeſchlagen. 

Der Dichter ſelbſt figt an Seinem Tiſche, 
die Feifterläden find geſchloſſen, die Kerzen in 
den Leuchtern bis an den Stumpf abgebrannt. 
Bor ihm liegt ein begonnenes Gedicht, deſſen 
Titel: 

„Caſſius,“ „Tell,“ „Desmoulin.“ 


— 124 — 


Mer wird der Vierte ſein? 

Der Dichter erhebt fi) von feinem Tiſche 
und beginnt unruhig im Zimmer auf und ab zu 
gehen, währenddem er eine große Denkmünze in 
die Luft ſchleudert, um fie mit der fladhen Hand 
aufzufangen,; dann ſetzt er fi) abermals und 
ſchreibt weiter. 

Das Gedicht ift bereits zur Hälfte fertig, 
aber der Schluß will nit gelingen. Nein, nein, 
es gibt feinen Gedanken, welcher dazu paffen 
würde . . . Er liest, was er jchon geſchrieben. 
„Elendig,“ murmelt er dann in fid) hinein, zerreißt 
das Ganze und fnittert es in den Käuften zu— 
ſammen um es hinter den Dfen zu werfen. So 
pflegte er jeine Werke zu korrigiren. 

Da Eopft der Diener an die Thüre. 

— Was gibt3? — rief Pußtafi, den Riegel 
zurüdziehend. 

— Zwei Damen wünjhen einzutreten. 

— Bu mir? .. In der Nadit ? 

— Schöne Naht das, — brummte der 
alte Diener — es ift bereits 11 Uhr Vormittag. 

Dann öffnete er die Fenfterläden. Es war 
ein regneriich-düfterer Märztag, man konnte Schwer 
gewahr werden, wann es Tag geworden. 

— Nun, jo laffen Sie die Damen herein, 

wenn fie mich durchaus ſprechen wollen. 
| — Wollen Sie fih früher nit ankleiden ? 


— 15 — 

— Hab’ ih midy denn ausgezogen jeit 
geitern ? 

— Wenigftens jollten Sie andere Stiefeln 
nehmen, dieſe find ja ganz fothig. 

— Wenn die ganze Welt kothig ift, warum 
könnten es meine Stiefeln nicht jein. 

Der Dichter hatte feine mürriihen Stun— 
den, wo bei ihm die Verachtung der Eitelkeit bis 
an den Cynismus grenzte, 

Nah einigen Minuten konnte man das 
Raufhen von Krauenkleidern vernehmen, bald 
darauf wurde leiſe an die Thüre geflopft. 

— Herein! | 

Zwei Damen, eine junge und eine ältere 
traten ein. 

— A, Sie find 8?! — rief Puptafı mit 
freudiger Stimme, der jungen Dame die Hand 
eutgegenftredend?. — wie freut es mid, Gie 
zu ſehen. 

Die Dame war Judith von Hargitay. 

— Wiſſen Sie, dag id) abergläubiſch bin, — 
ſagte Pußtafi, indem er feine Säfte zum Divan 
führte und Pla nehmen hieß, — denn id 
prophezeihe mir meinen Tag, ob er angenehm 
oder unangenehm fein wird, daraus, ob id) ein 
liebes, oder ein verhaßtes Geficht zuerit zu ſehen 
befomme. Heute werde ich daher einen epochaj 
guten Tag haben. 


— 28 

— Sie werden verzeihen, daß ich Ihnen 
Ihre Zeit und Ihre Gedanken raube, — ſprach 
Judith, die Hand des Dichters drückend. 

— Dann haben Sie ſich auf den Raub 
ſehr werthloſer Gegenſtände verlegt. 

— Weine Tante Charlotte v. Gyöngyi — 
führte Judith ihre Begleiterin auf. 

Die Heine lebhafte Frau, die ſich troß ihrer 
Sahre noch im Befige vieler Reize fühlte, hatte 
fi) bereits entihloffen, ein geiſtreiches Kompliment 
anzubringen, al3 Pußtafi, dies aus ihren Zügen 
herauslejend, den zu entfeſſelnden Redeſtrom 
ftaute, und gerade auf die Sache losging. 

— Mit was fann ic zu Dienften itehen ? 

— Wit Ihrem guten Rathe! 

— Den Finnen Ste im Voraus haben ; 
bevor ic) den Gegenftand gehört hätte... . Was 
Sie wünſchen .. . ift nur billig. 

— Ich wünſche Schaufpielerin zu werden. 

Pußtafi zog gewaltig die Augenbrauen zu— 
ſammen und dachte, daß es doch nicht gut gewe— 
fen. fei, den Wunſch feines Gajtes „in bianco“ zu 
unterjchreiben. 

— &ie bereuen, das Ste meinen Willen 
in Voraus billigten ? 

— BWahrlid Sie bejigen eine gute Polizei 
in Ihren ſchönen Augen. . . 

— Und Sie einen ſehr ſchlechten Sekretär 


— 127 — 
in. Ihren Zügen , . . Mein Entſchluß bat feinen 
Gefallen bei Ihnen gefunden? . . . 

—Weßhalb nicht? — ſprach der Dichter mit - 
Ironie, — gegen den Beruf habe ic) feine Einwen— 
dung; denn dieſer fteht um eine bürgerliche 
Rangftufe höher, als der meinige; hinſichtlich ſei— 
nes Glanzes übertrifft er Alles, und was die Be— 
friedigung der Leidenſchaften anbelangt, jo gibt 
e3 Leine Laufbahn, Feine geftaltende Kunft, welche 
im Momente de3 Schaffens jo viel wahren Ge: 
nuß bieten möchte. Doch wollte ic früher willen, 
ob Sie mit ſich jelbit und Ihren Fähig: 
feiten abgerechnet haben. Willen Sie es, haben 
Sie es reiflih erwogen, was Alles die Laufbahn 
einer Schauspielerin erfordert ? 

Die gute Tante beeilte ih in dieſer heik— 
len Angelegenheit mit der Antwort Judith zu: 
vorzukommen; da dieje fi) ihrer eigenen Talente 
ſchicklich nit rühmen konnte. 

— Ah! Herr. Pußtafi, wenn Sie fie hören 
möchten, al3 fie Ihre Gedichte deklamirt! 
diefe Stimme, dieſes Gefühl! ..... | 

— Bitte, bitte, ..... beſchwichtigte fie 
Pußtafi, — ih fragte niht nad) der Stimme, 
nad dein Gefühl. Das find Dinge, ohne welche 
man beim erjten Auftreten durchfällt und von 
feiner Kranlheit geheilt wird... . Ich frage ob 
Sie waschen, biegeln, nähen und kochen künnen ? 
denn Das ift die Hauptſache. Die Zivilifte un— 


— 12383 — 


jerer Bühnenköniginnen iſt nit jo hoch bemeffen, 
daß es zur Erhaltung eines Minifteriums ge= 
nügte. Hat die Königin eine große Rolle zu 
Ipielen, muß fie vor dem Grauen des Morgens 
bereit3 auf den Beinen ſein; denn ihre auswaͤr— 
tige Wärterin ſchläft noch. Dann kocht Ihre 
Majeſtät ihr Frühſtück, während welcher Be— 
ſchäftigung ſie ihre Rolle einſtudirt, um auf acht 
Uhr, wo die Probe ſtattfindet, fertig zu ſein. 
Um eilf Uhr kehrt die Königin nad Haufe, macht 
Feuer und Einbrenn, denn die Wärterin verjteht 
ſich hiezu nicht, und die Gaſthauskoſt koömmt zu 
hoch. Während des Kochens werden die Haupt— 
momente der Rolle durchdacht, dann beeilt fie 
ſich mit dem Diniren ſchnell fertig zu werden, 
was um ſo leichter geſchieht, als das Diner ſehr 
kurz iſt. Jetzt müſſen die Garderobeſtücke her— 
vorgenommen werden; dieſes Kleid braucht einen 
neuen Aufputz, jenes muß dem Zeitalter des 
Stückes angepaßt, umgeändert, das dritte aber 
gar gebiegelt werden. Während dieſer Beſchäf— 
tigung vermag ſich die Königin ganz in ihre 
Rolle hineinzuleben. . . Dann kommt die Herr: 
lichkeit, der Rihm! .. Die Königin wird mit 
Applaus, mit Triumphgeſchrei empfangen, nach 
jedem Aft dreimal gerufen, und die Königin 
jeufzt; wenn man fie nur nit jo oft rufen 
möchte, daß fie noch vor der Thoriperre nad 
Haufe käme, um dem Hausmeifter die zwei 


— 19 — 


Groſchen Sperrgeld nicht zahlen zu müſſen. . . 
Verftehen Sie fih zu Alledem. 

— Ja, weil ih mich dazu verftehen will. 

— Das find ſehr kräftige Worte. Aber cs 
wird Ihnen aud) gut jein zu willen, daß die Mus 
fen jammt ihrem Vater Apollo Schon in den Zei— 
ten der Arahen und des Marjias einander neidig 
geweſen find. Apollo läßt auch heute feinen Ne- 
benbuhlern die Haut abziehen. Es gibt unange: 
nehme, unausjtehlihe, undankbare Rollen, welche 
hier und ‚dort dem Regiſſeur an den Kopf ge: 
ſchleudert werden, bis ſich eine Hand findet, welche 
fie behält. Die Königin kann nicht immer Königin 
fein; morgen 3. B. muß fie einer anderen, viel 
geringeren als fie ift, die Schleppe nachtragen. 
Unmuthig betritt fie die verhaßten Bretter, und 
wandert nach Pläken, die Andere verlaffen hatten ; 
ſpielt Ammen, alte Weiber, drollige Schwikerin- 
nen, lauter Rollen, die ihr widerlih find... . 

Was macht fie jetzt? ... Sie duldet, 
ihweigt und jhaut rudig zu, wie ſchön man Je— 
manden lebendig begraben kann ... Der fie 
duldet nicht, jondern verlegt ſich auf's Intriguiren: 
fie fängt ſich einen Zeitungsichreiber, der für fie 
jammert, da3 koſtet wenig, ein gutes Wort, ein 
Lächeln, ... nükt aber auch nicht viel. Beſſer 
ift es, wenn fie fi) an eine bon zwei wetteifern— 
den Parteien anſchließt, oder aud) an beide, fie 
best eine Primadonna gegen die andere, erobert 

Andere Zeiten andere Menſchen 9 


— 1909 — 


fi) einen der Korifäen, oder auch mehrere, viel= 
leiht auch den Regiffeur, oder gar den Direltor 
ſelbſt, wo nit den ganzen fiebenfüpfigen Draden ? 
Ihr Ruf leidet dadurch nichts ... Will fie aber 
großen und ſchnellen Erfolg ernten, da wäre eine 
höhere Proteftion . . . . . Sie erröthen: Verzei- 
bung, id) ſpreche nicht weiter, wollte auch nur im 
Allgemeinen geiproden haben... Sie fünnen 
dulden . . . 

— a, ih will dulden, und durch Fleiß 
mich auszeichnen. 

— Test jagen Sie mir die Urſache, welche 
Cie zu Ihrem Entſchluße bewog ? 

— Ich wollte eben dort beginnen. Sie 
lichen mich nicht fterben, als ich es thun wollte. 
Sie gaben mich dem Leben zurüd, wo id ſchon 
im Tode mein Ziel erreiht hatte. Set fehen 
Sie zu, was Sie mit einem Weibe anfangen, 
welches ſich ihr Leben einrichten will ... Als ic) 
nach jenem fürchterlichen Tage meine Beſinnung 
wiedererlangte, frug ich: wo iſt mein Vater, wo 
iſt meine Mutter? .. Die Umſtehenden antwor— 
teten nicht, ſondern waudten ſich ab, und trockne— 
ten die Augen. Draußen im Hofe ſang und betete 
man; in den Thürmen läuteten die Glocken; da— 
mals begrub man fie Beide. Sch hörte, wie die 
zwei ZTodtenwägen über das Pflafter holperten, 
und hörte die Schritte des Trauergeleites, als es 
paarwerfe vor den Fenſtern vorüberſchritt . . . 


— 131 — 


Ich fonnte jie niht einmal als Todte mehr jehen- 
Sie Ihieden im Zorn von mir, mit der fluchenden 
Hand über meinem Haupte. 

Wenn ich einen Gedanken habe, der oft wieder— 
fehrt, und den ich dadurch bannen will, daß id) feine 
ganze Shanerlihfeit ausbeute, fo ift es der: ich 
glaube noch immer, da die Hand, welche mich an 
jenem böſen Zage unter dem Waffer ergriff, die Hand 
meiner Mutter geweſen ift, und ich ftieß fie von 
mir, ich ließ fie jterben, während ic) gerettet wurde, 
dab ih lebe, daß ih nad) dieſer fürdterlichen 
Stunde niht wahnjinnig wurde, macht mid) glau- 
ben, daß mir das Schickſal eine Miffion beſchie— 
den hat. E3 kann dies eine lädherlihe Schwär: 
meret bon mir jein, doch bin ich jo überzeugt, 

Nah Ablauf des Zrauerjahres werde id) 
Laͤvay's Gattin. In der Stunde, wo dies geſchieht, 
fann id) nihtS mehr mein Eigen nennen, als 
mich ſelbſt. Meine Eltern hinterliegen ein Teſta— 
ment, welches jie bloß zu meiner Einſchüchterung 
verfaßt Hatten, nicht ahnend, daß der morgige 
Tag ſchon der Tag der Eiwigfeit fein werde. 
Dieß drohende Schriftftüd ift im Ardive des 
Komitates hinterlegt, laut deſſen Sinn id am 
Tage wo ih Bela die Hand zum ewigen Bunde 
reihe, aud) die Armuth mit mir in fein Haus 
bringe. Arm zu fein ift noch fein jo großes 
Uebel; weder Er, noch ich Ihreden davor zurüd, 
denn Er lebt beſcheiden nad feiner Arbeit und 

98. 


— 132 — 


auch ic) begnüge mid mit meinem beicheidenen 
Looſe. Aber das biele Unglüd, das mid heimge- 
ſucht, hat mich zur Profetin gemacht. Wontit mir 
einft meine Eltern, meine Bekannten gedroht, daß 
Bela wegen feiner Prinzipien, für Die er kaͤmpft 
einft ein Verfolgter, ein Verbannter, ein Gefanz 
gener fein wird, das ift in mir zum Glauben 
geworden. 

Man hat jedod damit nit das Beziwedte 
erreicht.- Statt mic zurüdichreden zu laffen, habe 
ih mich entidloffen, mein Schickſal von dein 
feinigen niht zu trennen. Er wird Jemanden 
benöthigen, der ihm beim Wanken aneifert, tm 
Unglüde Ihiemt, und wenn er jeinem Verderben 
entgegeneilt, rettet. 

VDeßhalb it mir eine Laufbahn nöthig, 
welche ih mir ſelbſt ſchaffe, und von welcher ich) 
dent Schickſal muthig ins Auge bliden kann, 
wenn es die Laune anwandeln Sollte, mit einen 
Meibe zu kämpfen. 

— Ah Weib, wie erhaben biſt Du in deiner 
Liebe! — rief der Dichter mit Begeifterung und 
drüdte die Hände des Mädchens. — Einem ſolchen 
Willen gegenüber ift mein Wort nur ein Hauch! 

— Ich habe es von Ihnen erwartet, daß 
Sie mir nicht widerrathen werden. Ih Fam um 
mir Ihren Rath zu erbitten, um Sie zu fragen, 
wie ih es anfangen, wohin und am wen ich mid) 
wenden ſoll? 


— 133 — 


Pußtafi dachte einen Augenblid nad), dann 
fuhr er plöglih in die Höhe. 

— Ih habe eine Idee. Kennen Sie die 
beite, die erſte ungariihe Tragödie ? 

— Ich fenne fie, aber wenn ih nicht irre, 
ift deren Aufführung verboten. 

— Dann meinen Ste Ihon dielelbe, die ich, 
Lernen Sie diefe Tragödie. Bis Ste damit fertig 
find, wird jene Zeit bereit3 herangerückt fein, wo 
Schauipiele nit mehr verboten werden. 

— Dann müßte dieſe Zeit ſchon morgen 
heranbreden. 

— Mer weiß es? Morgen werde id Sie 
aufſuchen. Wo iſt Ihre Wohnung. ? 

— Bei meiner Verwandten in der Hatva— 
nergaffe, vis a vis der Landerer'ſchen Druderer. 

— Ih werde Eie bejuden. 

— Ich bitte Sie aber mit Bela fein Wort 
darüber zu ſprechen. 

— Damm ift es gerathen, wenn Sie jid) 
auf der Gaffe nicht zeigen, denn wenn er erfährt, 
daß Sie hier find, wird es Ihnen nit möglich 
fein, Ihr Geheimniß vor Ihm zu bewahren. Auf 
Miederichen . . 

Pußtafi gab feinen Gäſten bis zur Stiege 
das Geleite, dann fehrte er in fein Zimmer zurüd 
und blieb vor dem Portrait der Madame Roland 
ftehen, welches er lange, und finnend betradtete. 


— — — — — — —— — — — — — ee — 


— 14 — 


Abermals folgte ein düfterer, regneriſcher 
Märztag. 

Die Gaffen waren ſchwarz vom Koth, der 
Himmel weinte bittere Thränen. Wen fein Schid- 
fal nicht Hinaustreibt, verhält fih Thon ruhig zu 
Haufe. Indith hielt das Wetter ſehr paſſend dazu, 
um die dramatiihe Nolle, welche ihr Pußtafi 
aufgegeben, einzulernen. Sie hatte aud) die Nach— 
damit zugebradht, nun braucht fie nur einzelite 
Partien nachzuholen. 

-Mit dem Buche in der Hand ſaß fie am 
Fenſter, ganz verfunfen in die in ihrer Phantaſie 
lebendig gewordenen Bilder und Gruppen einer 
großen Zeit, welche ein riefiger Geift in maſſiven 
Geftalten nun geihaffen hatte. 

Ploͤtzlich dünkte "es ihr, al3 wäre das To— 
ben, weldhes den Thron des Königs Andreas von 
Jeruſalem gleid) wüthenden Meereswogen erſchüt— 
texte, wirflid) hörbar... . Dies rührt nit von 
den heraufbeihwörten Geiftern her, dies ift nicht 
mehr Einbildung, jondern Wirklihfeit ... .. Das 
Toben fümmt von der Gafle, als wäre e3 Die 
Fortſetzung der Worte Petur-Bän’s... 

Wäre fie niht jo ftarf in ihr Studium ver: 
tieft gewejen, wenn fie e8 der Mühe werth ge= 
funden hätte, einen Blick durch das Fenſter auf 
die Gafje zu werfen, müßte fie e3 wahrgenommen 
haben, daß ſeit einer Viertelſtunde troß des 
Regens einzelne Männergruppen haftig borüber 


— 135 — 


eilen, einem beftimmten Ziele folgend, weldes jehr 
Dringend ſcheint. Nach kurzer Zeit kehren diejelben 
Gruppen mit neuen vermehrt durd die Hatvaner- 
gaſſe zurüd. 

Das dumpfe Getöje, das unbelannte Toben 
nähert fi immer mehr und mehr. Judith jah die 
Volksmaſſe heranziehen, und konnte fih nicht er— 
Hären, was e3 zu bedeuten habe? War dieler 
Lärm ein Jubel, eine Huldigung, rührte er von 
Zorn oder Entrüftung her? ... Nihts von 
alledem. 

Der größte Theil der Maſſe beitand aus 
jungen Männern. 

Den Fenftern Judith's gegenüber ftand ein 
drei Stod hohes Haus, in deſſen erſtem Stod- 
werke fih das Nationalfafino, in den ebenerdigen 
Räumen aber die Landerer’ihe Druckerei befand. 

Diefes Haus war der Brennpunkt der Ge— 
Ihihhte jenes Tages. 

Und dieſer Tag war der erfte Tag der 
Geihichte der Freien Preſſe. Ä 

Mer ein jehr gutes Gedähtnig hat, wird 
fih vielleicht noch erinnern, daß dieſer Tag der 
15. März geweien. Viele werden jeiner ſchon 
längft vergeſſen haben. 

An dieſem Tage waren zwei Namen von 
beinahe allen Lippen hörbar: Pußtafi umd 
Lavay. Wie lange find diefe Namen Schon ver: 
Hungen jammt allem, was damals geihah. 


— 136 — 


Doch wir Schreiben ja feine Geſchichte, ſon— 
dern einen Roman. 

An diefem Tage alfo war es Mode für 
- Redermann auf der Gaſſe zu fein. 

Solche Tage haben fein bejtimmtes Pro— 
gramm, aus welchem man erjehen könnte, ob 
das Ende ein Schauipiel, oder eine Tragödie 
jein wird ? 

Im größten gedränge begegnete Pußtafi 
Judith. Erjterer mußte natürlich überall dort zur 
finden fein, wo ji Bela befand. Pußtafi dachte 
darauf, daß ſich das arme Kind hier nicht am 
rehten Orte befinde; vielleiht bangte es ihm. 
aud) für Bela, dag, wenn diefer Judith gewahr 
wird, feine Seele die Kampfbereitſchaft verliert. 
Er näherte fi daher ſchnell dem Fräulein, und 
zog es unter eine Xhorwölbung, 

— No gehen Ste hier herum ? 

— Dort wo Sie, 

— Sie ſollten aber anderswo fein. 

— Haben Sie Ihon'vergeflen ? Geftern kamen 
wir überein, daß Sie in einer Tragödie Ahr 
erites Theaterdebut veriuchen werden, welde 
geftern nod) verboten war. Heute ift fie es nicht 
mehr. Sehen Sie, ih habe auch daran gedadt. 
Ih habe bereit3 mit dem Direktor geſprochen. 
Man erwartet Sie zur Probe. Befinnen Sie fid) 
nicht zu lange. Sie jehen ja, daß heute ein Tag 
it, wo jede Stunde ein Jahr gilt. Heute ift 


— 237 — 


Alles möglih, ſelbſt das Unmögliche. Folgen 
Sie mir in's Theater, damit ich Sie dem Di— 
rektor vorſtelle. 

Der Regen fiel in Strömen. Judith lief 
ohne Regenſchirm auf der Gaſſe herum. Pußtafi 
erhaſchte einen kleinen hinkenden Mann, der einen 
Regenſchirm trug. 

— Halten Sie, lieber Bürger, wie iſt Ihr 
Nante ? 

— Heiße Meldior Glanz — zu dienen, bin 
Gehilfe im Rochusſpital. 

— Nun, geben Sie Ihren Regenſchirm her. 
Mein Name ift Wußtafi. 

| — Ad ih bitte, mit taufend Freuden. 
Habe die Ehre. Wer würde Sie nidt kennen ? 
Bitte, belieben. 

— Beim Theater erhalten Sie ihn zurüd. 

— Hat feine Eile, feine Eile. ... 

Der Heine Mann übergab feinen Regen= 
Ihirm, und Hinkte von dannen, indem er fid) vor 
Freude die Hände rieb, dag ihm ein joldes Glück 
widerfahren. Pußtafi aber eilte mit Judith dem 
Theater zu. Je näher fie famen zu jenem zauber— 
haften Heiligthum, zu jenem heigerjehnten Olymp 
jo manches jugendlichen Herzens, umſomehr zitterte 
Judith an allen Gliedern. Sie war gezwungen, 
ih in die Lage zu fügen, welde fie ſelbſt herauf- 
beihworen ; ein neues Leben zu beginnen auf den 
weltbedentenden Brettern, zu einer Zeit, wo auch 


— 13 — 


die Außenwelt ein neues Leben begann. Sie 
Tollte ſpielen, während das Schickſal mit ihr fein 
Spiel trieb. 

Nachmittags zog das bewegte Voll nad 
Dfen hinüber. | 

Mas kann dort gefhehen fein? davon 
wuhte Niemand. 

Viele der Schaufpieler, welche ihre Rollen 
bei der Probe beendet, liefen hinüber, um zu 
fehen, es kam aber keiner zurüd. 

‚Und Judith war genöthigt zu bleiben, ohne 
Nachricht von Bela zu erhalten. — Während dem 
LKefen die Vorbereitungen im Theater ihren Gang ; 
23 fam der-Abend, und die Lampen wurden an— 
gezündet. 

Noch wußte Niemand, was in Ofen 
geſchah. 

Nur Judith wußte, welch' ein zweifelhaftes 
Drama da drüben abgeſpielt wird, von deſſen 
Ausgange es abhängt, ob man ihr heute einen 
Kranz, oder das Haupt ihres Geliebten vor die 
Füße werfen werde. 

Die Zeit der Borftellung rückte heran. 
Das Theater begann ſich zeitig zu füllen. Man 
gab ja gewilfermaßen zur Krönung des Tages 
en Stift welches ſeit zehn Jahren ver= 
boten war. 

Judith mußte über ihre Rolle nachdenken ; 
über jene Rolle, welche voll der ſchmerzlichen 


— 139 — 


BDeziehungen zu einem Empörer ift, deren jedes 
Wort ihre Seele an die Ereigniffe des heutigen 
erregten Zuges fnüpft. 

Und in einem ſolchen Zuftande aufzutreten, 
das erſte Mal, vor einem glänzenden Pu— 
blitum! ... 

Man läutete bereitS vor den Anfleidezim- 
mern, zwiſchen den Kouliffen begannen ſich die 
glänzend koſtümirten Geſtalten mit den hijtoriihen 
Nafen und Bärten zu gruppiren. Auch Judith 
legte ihre Rolle bei Seite, 309 ihr goldgeſticktes 
Kleid an, Sekte fih Das Diadem auf den Kopf 
und trat in Den beleuchteten papierenen Balaft 
hinaus... Wie gerne hätte fie ihr glänzendes 
Koftüm von fi) geworfen, um mit aufgelöstem 
Haare dur Die fothigen Straßen zu eilen und 
anſtatt den klingenden Jamben auszurufen: 


Op! wie wird fie heute mit ihrer Rolle 
durchfallen! Man läutete bereits das erite Mal 
den Kouliſſen-Maſchiniſten. 

— Judith! .. Hier bin ich! rief eine 
Stimme hinter den Kouliffen. | 

— Bela! ſchrie Judith auf: und in dem— 
jelben Augenblit war Alles vergeſſen, ihr Koſtüm, 
ihr Rolle, das Theater, die fie umftchenden hi— 
jtoriihen Geſtalten ..... ſie warf ſich ihrem Ge— 
liebten in die Arme. 

Haͤtte ein Weib anders thun ſollen. 


— 140 — 


In den Zügen Lävay's fpiegelte ſich der 
Triumpf des Tages ab. Man brauchte nicht zu 
fragen, was geſchehen fei; wer ihn anſah, mußte 
e3 wiſſen. 

Im nähften Augenblide war Bela den 
Armen Zudiths entriffen; und fie mußte zujehen, 
wie er bon den papierenen Künigen mit den hi— 
ftorifhen Nafen, von den Herzoginen mit dem 
falſchen Schmuck ebenfo behandelt wird, wie jie 
ihn dor einem Augenblid behandelt hatte ... 
Es war ja dies ein Tag, wo fid) zwanzigtaufend 
Menihen abküßten, die fih im Leben nie gejehen. 
Gleich nad) Lävay erſchien Pußtafi; aud ihm 
widerfuhr e3, wie jeinem Freunde. 

Es wurde zum zweiten Mal geflingelt. 

Die Helden mußten von der Bühne flüch— 
ten, der Vorhang ging in die Höhe. 

Das Theater war voll, Alles kam zuſrie— 
den, mit freudigem Gemüth. Vor ein ſolches 
triumphbejeeltes Publitum mußte Judith treten; 
doch fie war die Seeligfte, die Stolzefte von Allen, 

Welcher Beifall! ... 

Gegen Ende des erſten Altes gab es ſchon 
mehr Applaus unten als Reden auf der Bühne, 
Als der Akt vorüber, wurde Judith ſechsmal, Die 
Uebrigen einzeln einmal, und wieder Alle insgeſammt 
gerufen. Das war nicht genug. Das Publikum wollte 
das Gedicht Pußtafi's von der Bühne herab hören. .. 
Einer der glänzenden papierenen Fürften mußte 


— 141 — 


e3 unternehmen, dasjelbe ex impromptu zu della: 
miren. Aud) das genügte nicht ; das Publikum wollte 
Pußtafi fehen, dann Lävay, dann alle Redner 
des heutigen Tages. Diefe gaben dem Volks— 
willen nad, und eridhienen auf der Bühne mit 
fothigen Stiefeln und Kleidern, zerquetihten Hü— 
ten;... das Volk verlangte, daß fie ſprechen 
follen; fie thaten es mit heiſeren SKehlen, das 
Volk verlangte den Räföczy, er wurde auf: 
geipielt . .. Unendliher Jubel.... das Thea- 
ter, weldes ſchon beim Beginnen voll gewelen, 
füllte fih nod mehr.” Einer klammerte fid) auf 
den Rüden des Anderen und Elatichte, jubelte und 
dellamirte; aus den Logen langten Die herr— 
Ihaftlihen Säfte mit ihren Händen herab, um 
die im Partere Erftidenden zu ſich hinauf zu zie— 
ben; und als auch die Logen ſchon vollgepropft 
waren, al3 man bor dem unendlichen Getöfe 
nicht einmal mehr die Klänge des Räfsczumar- 
ſches unteriheiden konnte, da trat Pußtafi bor 
den Souffleurfaften und erhob die Hand... 

„Stille !‘ 

Pußtafi will ſprechen ..... 

Im Momente herrſchte Stille. 

— Bürger! — ſprach Pußtafi mit, in 
Folge der Tagesmühen ——— Stimme — 
der heutige Tag iſt beendet . . Kehren wir 
ruhig J Hauſe ..... 


— 1422 — 


Und Alles ging ruhig nad) Haufe, wie es 
der Held des Tages gewünſcht. 

Es folgte ein fo ftille, ruhige Naht, daß 
man nit einmal einen verjpäteten Auf verneh= 
men fonnte. 

Aber Zudith konnte auch diefe ruhige Nacht 
nicht in den Schlaf wiegen. 

Als fie nad Haufe fam, und auf ihrem 
Lager die Augen ſchloß, da bemerkte fie erft, 
dab dieſe Finſterniß bevöffert ift, daß die Stille 
vom Echo miderhalle. Alles jaufte ihr in den 
Ohren, Alles ſtand vor ihren Augen, — das Bild 
des heutigen Tages: die Töne, ihr Zittern un 
ihre Freude. .... 

Vor ihrem Geiſte wogten noch immer die 
Volksmaſſen, fie hörte noch immer ihr Geſchrei, 
fie empfand nod) immer die bverzweifelnde Sucht, 
den feligen Stolz über die Auszeihnung ihres 
Geliebten; da ftand vor ihr die Bühne, ihr 
erſter Verfuch, der glänzende Erfolg, die Taujende 
von Gaslichtern und die taufendfa—hen Empfindungen 
des Momentes.... Alles dies lebte, athmete und 
tobte vor ihrer Scele. Das war eine Lebens= 
geſchichte für fie, deren Kataftrophen ein Jahr— 
hundert ausfüllen könnten, und die in einer 
einzigen Tag zufammengedrängt find. 

ft es ein Wunder, wenn ein folder Tag, 
feine Nacht hatte ? 


Ueues Leben. 


Einige Monate hielt fih jene Mode, wo 
Sedermann Schöne, prädtige Federn am Hute 
trug; der Eine eine weiße, der Andere eine 
ſchwarze, Viele wieder rojenfarben, von denen fie 
freilich glaubten, daß fie eigentlich roth ſeien. Es 
war eine fürmlihe Wette darum: wer fchönere, 
wallendere Federn babe. Was die National- 
fofarden betraf, da entfaltete fi Schon ein fürm= 
liher Luxus; dieſe wurden aus Sammet ber: 
fertigt, mit dem filbernen Wappen Ungarns in 
der Mitte. Man begann aud, fie fternartig zu 
bilden, damit fie von Weiten fi wie der Drden 
eines mediatifirten Fürften ausnähmen. Und alg 
jogar die Union Stebenbürgens mit Ungarn aus= 
geſprochen wurde, da fügte man zu den roth— 
weiß-grünen Farben noch die blaue und goldgelbe, 
was dann buntihimmernd genug ausfah. 

Gegen das Ende des Sommers fhien es 
aber, daß Die Feder doch nicht denjenigen Dienſt 
leifte, den man bon ihr erwartete ; weder diejenige, 
melde den Hut ſchmückte, nod jene, mit weldyer 
die zorniprühenden Leitartifel geſchrieben wurden, 


— 144 — 


am wenigſten aber die, auf deren Pflaum fid To 
füß träumen hieß. Die Mode begann zu wechſeln, 
man fing an, Heine beihnürte Kappen zu tragen. 

Bor Judith's Fenftern zieht gerade Die 
Werbung mit Mufit vorüber, welder ein Haufe 
junger Refruten folgt; Viele unter ihnen gehören 
zu Freunden, zu den Kollegen Lavan's: Advokaten, 
Aerzte, gelehrte junge Männer. 

Das Eintreten des Briefträgerd rief fie 
vom Fenſter. Er überreihte zwei Briefe, einen 
an fie, einen an die Tante adreifirt. Judith er- 
Tannte an beiden die Schriit Fertoöy's. Den Brief 
iheer Tante trug fie in deren Zimmer, mit dem 
ihrigen kehrte fie zurück. 

Als fie den Brief öffnete, fühlte fie einen 
unerklärlihen Abſcheu gegen diefe Buchſtaben, wels 
he jo Ihn, jo Falligraphiich fein wollten, als 
wären fie das Konterfei ihres Schreibers mit dem 
geſchminkten, glattrafirten Geſicht; ein trügeri= 
ſches Aeußere des bölen Inhalts. 

Der Abſcheu war nicht unbegründet, Der 
Brief lautete: „Liebe Nihte! Sie jheinen ver— 
geilen zu haben, daß Unterzeichneter Ihr Onkel, 
und nad) dem Tode Ihrer Eltern, als nächſtſte— 
hender Verwandter, auch Ihr gefekmäßiger Vor— 
mund ift, Sie haben, die bewegten Zeiten bes 
nügend, ohne um die vormundſchaftliche Bewilli— 
gung einzufommen, ohne diejelbe abzuwarten, eine 
Laufbahn gewählt, die Sie zu emanzipiren ſcheint. 


Due 
— 15 — 


Emanzipiren nämlid) von der Meinung der Welt, 
bon den üblihen Forderungen, und ſonſtigen als 
terthümlihen Anſchauungen, denen unter geregel- 
ten Umftänden lebende Damen unterworfen zu 
jein pflegen, welde aber die Göttinnen der Thea- 
terwelt am Wenigften geniren. Bei Schauſpiele— 
rinnen pflegt man nicht zu fragen, ob fie Maͤd— 
hen oder Frauen jeien. Das ift dort bereits 
ein überwundener Standpunkt, und. wird nicht 
ftrenge genommen. Es gibt aber unangenehme 
Leute, die das Geſetz als Vormunde bezeichnet, 
und zu gleiden unangenehmen ragen bered= 
tigt... Sie werden fi vielleiht noch erinnern, 
daß in dieſe Woche der Jahrestag fällt, an welchem 
Ihre unglüdlihen Eltern an einem und demfelben 
Tage eines to traurigen Todes geftorben find. 
Ihr jeliger Vater hat in das Komitatsardiv ein 
Teftament Hinterlegt, auf deſſen Couvert geſchrie— 
ben fteht: „Nach einem Jahre zu öffnen.“ Der 
Inhalt diefes ZTeftamentes wird Ihnen wohl be- 
fannt jein, da meine jelige Schwefter denjelben 
Ihnen mittheilte. Aus ahnungsvoller Beſorgniß, 
deren prophetiſche Worte die Zeiten bereits be— 
wahrheitet, haben Ihnen Ihre Eltern verboten, 
mit einem Manne in Verbindung zu treten, über 
defſſen Haupte die Hand des Fatums ſchwebt; und 
haben Sie für den Fall, als Sie deſſen Gattin 
werden ſollten, enterbt. Sie haben aber eine ſehr 
geſchickte und ſpitzfindige Art zur Eludirung die— 


Andere Zeiten andere Menſchen 10 


— 146 — 


ſes Teftamentes gefunden. Sie dachten: ich wähle 
weder das Eine, nod) das Andere, jondern werde 
Schauipielerin und behalte Beide, die Erbidaft 
nnd meinen Geliebten. Dies fällt dort bei Ih— 
nen gar nicht auf, man kann jogar vor der Welt, 
auf dem Theaterzettel den Namen eines Jeman— 
den führen, ohne daß das Gejet oder der Altar 
etwas davon wüßte. Es wäre Dies ein ganz 
hübſches Manöver, wenn nit aud andere Leute 
Berftand hätten. Bei Ihnen iſt Laͤvay ein täg- 
liher Saft; er beiuht Sie auf der Bühne, Sie 
dugen einander, jpazieren Arın in Arm u. ſ. w. 
Bor der Welt gibt es fein Geheimnig.... Nun 
aber rufe ih Sie im volliten amtlihen Ernfte 
auf, binnen bier Tagen mir darüber Beiheid zu 
geben: „ob Sie die Gattin Lavay's jind oder 
niht?... Und wenn Ste e3 nit find, find 
Sie gewillt, ihn von fih zu entfernen oder 
nicht?“ ... Wenn Ste Bela Lavay weder hei: 
vathen, noch fih bon ihm trennen wollen, dann 
erkläre ih Ihnen mit fefter Entſchloſſenheit, daß 
ih meiner Pflicht nahlommen werde, um einem 
Sfandale, welher mid) verwandtſchaftlich nahe 
berührt, ein Ende zu bereiten!“ 

Die Seele Judith’3 war niedergedrüdt von 
diefen Zeilen. 

— Welch' eine niedrige Berleumdang 
welch' eine graufame Kabale! ... 

Das iſt alſo der Nimbus des Theaters ?!. 


— 141 — 


Eine jede Rnospe darf ihren Bufen dem Son- 
nenftrahle entfalten; ein jedes Mädchen darf im 
Geheimen jeufzen, einem jeden Herzen ift es er— 
laubt zu ſchwärmen, nur einer Schaufpielerin 
nicht, denn fie wird dadurch ehrlos. Wenn eine 
Dienftmagd  fih unterm Thore mit einem jun: 
gen Manne unterhält, jagt man: fie ift feine 
Braut; wenn es eine Schaufpielerin thäte, 
würde man jagen, fie ift feine... . „Geliebte“. 

Was nun beginnen, wohin fich flüchten ? 

Soll jie den Brief Bela zeigen?... 
Nie!! .. 

Es würde ihn zur Rache reizen, ihn einer 
Gefahr auslegen... . und was das Wichtigſte, 
ihn davon belehren, was die Welt Sprit, und 
ihn dazu bemüfligen, e8 gut zu maden. .. Ad; 
das ift unmöglih. Diefer Gedanke paßt nit in 
den Rahmen diefer ftolzen, Haren Seele. Und 
demnad darf fie die Drohung Fertöy's nicht in 
Erfüllung gehen laſſen! .. Ach, wie theuer wäre 
bier ein guter Rath! ... 

Da trat die Tante in das Zimmer. Man 
jah es ihrer Miene an, dab fie etwas Unange— 
nehmes zu berichten habe, aber fie weiß die Sache 
nicht wo anzupaden. 

— Liebe Judith ... begann fie endlich, 
das Wort erhaſchend; — ih habe heute eine 
prächtige, ganz für Dih paffende Wohnung ge= 
funden, | Ä 

10* 


— 1383 — 


— ©?.. Sie haben mir eine Woh— 
nung geudt?... 

— Nun, Du weißt ja, diefe ift Dir zu 
eng, und im zweiten Stode; jie ift für Di zu 
einfah, . . bift eine jehr hervorragende Künft- 
lerin, es gebührt Dir jhon eine elegantere Woh— 
nung. . . 

Judith Ihlug Die Augen nieder und 
ſchwieg. 

— Das iſt die Wirkung des zweiten 
Briefes, dachte ſie, Fertöy ſchrieb auch der Tante, 
um ſie mit ſeinen Drohungen zu erſchrecken. Die 
Tante will mich nun entfernen, um nicht in 
Skandal hineinbezogen zu werden. 

Iſt alſo mein guter Ruf dahin gekommen? 
So viel foftet ein freundliches Lächeln, ein Hände- 
druck? ... Und alles dies darf Bela nit 
wiflen. | 

Sol ih ihn aljo verlaflen?.. Sol id 
meiner Dienerin den Auftrag geben, daß - wenn 
er fümmt, fie ihm antworte: es ei für ihn Nie- 
mand zu Haufe?!.. 

Judith Hatte feine Zeit fich jelbft Antwort 
zu geben. 

Die Thüre ging auf, und herein trat Bela. 

Und als ihn Judith erblidte — lächelte fie 
ihm eben jo freundlich zu, drüdte ihm chen fo 
zärtlih die Hand, al3 damals, wo fie noch nicht 
mußte, welchen Preis fie dafür geben müffe. . 


— 149 — 


— Haft Du Zeit mit mir zu kommen? — 
frug Laͤvay zärtlich. 

— Mit Dir zu gehen ? 

Und es fiel ihr ein: mit Dir über die 
Gaſſe zu gehen, daß man fage, ich fei Deine .. 
Geliebte... . doch jehte fie Hinzu: 

— 3a; wohin wilft Du mid führen. 

— 63 gilt eine Spazierfahrt. . . 

— AG zu Wagen! Tante wird mithalten. 

Dieje beeilte fi aber zu antworten, daß 
fie feine Zeit habe. 

— Alſo allein!... 

Und Hunderte werden mich ſehen und 
ſagen: es iſt wirklich fol... dachte Judith. 

— Ich gehe mit Dir!.. 

Sie nahm ihren Hut und ihren Shawl, 
grüßte die Tante, melde den Gruß fehr kalt er: . 
wiederte, dann nahm fie Béla's Arm und ging. 

Lavay half ihr in den Fiaker, welder 
vor dem Thore ftand, umd ſtieg dann eben- 
falls ein. | 

— Du weißt ja wohin ? — rief er dem Kut— 
her zu, und der Wagen brauste von dannen. 

Judith Hatte nicht einmal den Schleier über 
ihr Geſicht herabgelaffen. 

Bela griff nah ihrer Hand; fie zog die- 
jelbe nicht zurüd. . | 

Im Innern dachte fie aber: 


— 150 — 


„Wenn dein Herz wirklich die entiprehende 
Hälfte des meinigen tft; wenn deine Seele und 
meine wahrhaftig eins find, dann muß dein Herz 
durch meine und deine. Hand erfahren, was ich 
jeßt denfe; und wenn du jenen Gedanken Fühlft, 
der mir jetzt fo wehe thut, dann ift es unmöglich, 
daß nicht deinem Auge eine Thräne entrinne, 

Und als fie bei diefem Gedanfen krampf— 
haft die Hand ihres Geliebten drüdte und unver— 
jehens einen Blick auf fein Antlig warf, ſah fie 
ın feinen Augen zwei belle Thränen erglängen. 

Aber es waren dies feine Thränen des 
Schmerzes, denn er lächelte dabei. 

— Judith, meine Liebe! ... weißt Du 
wohin wir gehen ? — frug er mit bewegter Stimme. 

— Wohin? 

— In die Kirche ..... zur Trauung. 

In demſelben Moment hielt der Wagen 
vor der Kirche. 

Iſt es alſo doch eine Wahrheit, daß eine 
Seele der andern antwortet? ..... 

Bor der Kirhenthüre wartete Pußtafi 
und der fleine, hinkende Aifiltent, weldher Ju— 
dith an jenem denkwürdigen Tage feinen Regen— 
Ihirm geliehen. Diele beiden follten die Deittände 
der Zeremonie Sein. 

Dieje lektere war ftil und kurz. Außer 
dem Beamten war Niemand in der Kirche zu 
dieſer ————— n Stunde, als der Seelſorger, 


—- 11 — 
der Kirchendiener, und ein altes Bettelmeib, welches 
an den Stufen der Kirche wohnte... . . 

EEE Und Gott... .. 

Mer mühte es glauben, wie viel Poeſie 
eben in der Proja des Lebens liegt ! 

Wenn der junge Gatte feine junge Gattin 
bon der Hochzeit in jeine beicheidene Wohnung 
führt und den zärtlihen Arm um ihren Naden 
ihlingend, fie in den Räumlichkeiten herumführt: 
„Hier ift die Küche, hier die Speisfammer; in 
dieſem Kaſten fteht das Service, dort das Ge— 
ihirr ; bier dein Schemelden vor dem Armſtuhl 
dein- Teppich vor dem Bette; bei diefem Schreib: 
ti arbeite ih, deinem Porträt vis-A-vis; — 
das find die Blumen, welche Du liebft — hier die 
Bücher, welche Du gerne liest; die Fenfter gehen 
auf den Garten... . Wir find zu Haufe.“ 
Smmer „wir“ und nie „ich“, nie „du“. 

Das glüdlihe Doppelleben, der „kü= 
niglihe Plural“ beginnt, dev Eigenname hat 
aufgehört zu ſein. 

Und in diefem Labyrinthe der projaiichen 
Kleinigkeiten findet die Seele doch ihre unerſchöpf— 
liche Poeſie; das plumpfte Geſchirr Scheint zu 
lispeln: wie muß dich jener Mann gelicht ha— 
ben, der auch an fo etwas dachte, der während 
den Stürmen, melde ein Land zu vernichten 
drohen, jenen Privilegien des Mannes entiagte, 
welche ihn über die häuslihe Profa des Fami— 


— 12 — 


lienlebens ftelfen ; der entgegengejekt jede Klei= 
nigleit herbeifhaffte, um dann, wenn er feine 
Braut heimgebradt, jagen zu fünnen: „Du bift 
zu Haufe!“ | \ 

Judith trug ein Heines Medaillon an ih= 
rem Buſen. Die eine Seite barg das Porträt 
eines Mannes, die andere das einer Frau. 

Der Mann wor Bela, die Frau ihre 
Mutter. 
| AS fie don Bela nicht gejehen werden 
Ionnte, 309 fie das Medaillon aus dem Bujen 
und fühte zuerft das Portaͤt ihres Gatten, dann 
jenes ihrer Mutter, indem fie bei Letzterer ſprach: 
„Siehe, Mutter, ich bin glücklich!“ 

Bela Hatte auch einen Hochzeitsſchmaus 
arrangirt. Der Gäfte waren nicht viele da: Pu— 
ftafi, der Heine, hinfende Arzt — Melchior Glanz 
— ein braver, ungariiher Zunge aus der Zips, 
dann die Tante Gyoͤngyi. 

Letztere behauptete, Alles im voraus ſchon 
gewußt zu haben; die wunderlichen Einkäufe Be- 
la's hätten fie ja dazu bewogen, die Aeußerung 
bezüglid) der neuen Wohnung zu thun. .... 
Judith fühlte die Unwahrheit heraus; aber das 
Ganze war fo gejhict vorgetragen, und die Tante 
war jonft eine jo gute Geele, daß man ihr uns 
willfürlid eine goldene Brüde überlaffen mußte, 
über welde der geichlagene Gegner fih zurück— 


— 13 — 


äuziehen pflegt. — — — Selbſt die Heine Lerche 
bängt mit ihrem Käfig im Fenſter und fingt 
dasſelbe Volkslid, weldes die Lerhe Judith's 
fang. Wie viel hatte Bela zu thun gehabt, bis 
er ihr's einlernte, dap es einen jo ernften Mann 
nicht verdriegt, ih mit ſolchen Dingen zu be— 


Derjelbe Bogeljang weckt Judith aus ihren 
Träumen, welder fie zu Haufe zu weden pflegte; 
und der Morgenftrahl der Sonne ftiehlt ſich 
mit eben denjelben Schattirungen in ihr Ge- 
mad), wie er ſich durch die Alazien ihrer früheren 
Wohnung ſtahl. . . . Alles war jo, nur die 
Träume waren glüdlider. .... . 

Als Judith aus dem erften Schlafe ihres 
neuen Lebens erwachte, drüdte fie das Medaillon 
mit den zwei Porträts an ihre Lippen und ftipelte : 
„Siehe, Mutter, wie glüdlih ich bin.“ 

Doch die Zeit muß vorgerüdt fein, denn 
Bela iſt ſchon Fort, er muß zeitlich BEE 
den ſein. ... 

Vielleicht dachte er mich noch als Schlafende 
zu überraihen, und mit einem Kuße zu meden ; 
wie wird er erjtaunt fein, wenn ich ihm ſchon an— 
gekleidet entgegeneile.. _ 

Judith Eleidete ſich ſchnell an, und trat in das 
Zimmer ihres Gatten. Dort war Niemand mehr; 
die Kerze brannte jedoh no immer auf dem 
Tiſche.... 


— 114 — 


Sudith beeilte ſich die Kerze auszulöihen, 
doch trat fie betroffen zurüd, als fie einen Brief 
dort erblidte, mit der Aufſchrift: 

„An meine Judith!“ 


Dies war jhwer zu erklären. Mit zitternden 
Händen erbrad) fie den Brief, und las: 


„Geliebte meines Herzens! Du ahnteft 
es faum, daß, als Du mid zum legten Male 
küßteſt, Dies Dein Abſchiedskuß geweſen ſei. 
Ich habe Dir gelobt, daß ich Dich nie ver— 
laſſe, und ſiehe, kaum iſt noch ein Tag ver— 
flofſen, und ich habe ſchon meinen Schwur 
gebrochen. Der Trompetenſchall, welcher Dich 
aus Deinem Traume wecken wird, gilt mir, 
ich ziehe mit meinen Kameraden in's Lager. 
Ich finde keine Entſchuldigung, Du wirſt 
eine für mich ſuchen. Ich wollte den Tag 
unſerer Trauung und den Ablauf des Trauer— 
jahres erwarten; die blutdürſtige Zeit wartet 


aber nicht .. . Geftern war der letzte Tag 
daher die faft überftürzte Eile...... Heute 
marſchire ih ab..... Der Name, den ih Dir 


gab, darf feine Makel befommen; id) gehe. 
Du wirft auf mid warten und mid lieben... 
Gott mit Dir und meine ewige Liebe. Dein 
Bela.“ 
Judith taumelte mit dem Briefe in der 
Hand in ihr Zimmer zurüd, warf fih auf ihr 


— 15 — 


Witwenlager, und weinte, weinte lange, wie nur 
ein Weib weinen kann. 

Ueber ihrem Bette hing das Porträt ihres 
Gatten in einem Heinen runden Rahmen ; fie nahm 
e3 von der Wand und küßte es taujendmal: ob 
niht mehr Thränen als Küffe auf das Bild 
fielen ?... Wer wei es, wer fonnte das zählen ? r 

Dann ſaß fie lange mit gefalteten Händen 
und das Bild betrachtend ... fie trocknete zu= 
weilen die langjam berabperlenden Thränen, und 
als das Bild ihr jo traulich zulächelte, wie Einer, 
der den auf ſich gerichteten Blick nicht ſcheuet, 
da wiegte fie langjam ihren ſchönen Kopf und 
lüpelte: 

— „Reht haft Du gethan: jo mußteft Du 
handeln.“ | 

Dann löste fie eine Epheuranke von ihrer 
Blumenetagere, wand diejelbe zu einem Sranze, 
umrahmte damit das Bild und hing es wieder 
to an die Wand. 

Ein Weib, deffen Hatte beim Grauen des 
Morgens nah der Hochzeitsnacht auf dem Trom- 
petenruf ins Feld des Todes zog ! 

Dann ftärkte fie ihr Herz, ging in das Ar— 
beitäzimmer ihres Gatten, ſetzte fih an den 
Schhreibtiih, auf welchem die Kerzen noch immer 
brannten, nahm die Keder, welhe Bela dort lie- 
gen gelaffen, und jchrieb zwei Briefe. 

Den einen an Bela, welcher nicht viel ent= 


— 156 — 


hielt, vielleiht nur die Worte: „ic liebe Dich, 
ih bete Dih an, meine Seele folgt Dir über- 
al Bin.‘ 

Der andere war an Fertöy gerichtet. 

„Mein Herr! 

Ich beantworte Ihren Brief mit der An- 
zeige, daß ih die Gattin Bela Lavay's bin. 
Ueber mein Vermögen lünnen Sie nad) Belieben 
verfügen, aber meinen guten Ruf dürfen Sie 
nicht antaften. Dies verbiete ih mir. Dies find 
meine letzten Worte an Sie in diefem Leben. 
Sch erwarte feine Antwort, werde aud Feine 
annehnten. Judith Laͤvay. 

So. | 

Dann ſteckte fie beide Briefe in Couvbert's 
und verjiegelte fie... Wohin fie den Brief an 
Bela richten jolle, wußte fie noch nicht. 

Dann erhob fie jih, athmele auf, und 
blidte mit ihren großen dunklen Augen in die 
Höhe, als wollte fie hiemit jagen, daß bon nun 
an das ſchwere Los zweier Menſchen ihren Schul- 
tern aufgebürdet ift; und dennoch ſagte fie in 
ihrer Seele: Mutter id bin glücklich! ... 

Die Kerze blieb auch jet brennend auf dem 
Tide... 

Hatte auh fie es To vergeffen? oder 
daß fie gedacht Hatte: was Du angezündet, kann 
ich nicht Löfchen. 


— — dh 5 — — — — — 





— 157 — 


Glaubt Ihr etwa, dag ſolche Dinge auf 
der Welt nicht vorlommen ? daß es nit ge— 
Ihehen konnte, daß junge Gatten am Tage ihrer 
Trauung diefelbe Gattin verließen, und dem Ka— 
nonendonner nahgingen?.. 

Wer da zweifelt an der Wahrheit des Ge- 
fagten, fomme zu mir, und ih werde ihn zu 
jenen Gräbern führen, unter denen jolde Helden 
ruhen. 


Eine Stadt in der Feſtung. 


Wenn man in jenen Zeiten in den Donau: 
gegenden reifte, konnte man vor den Dörfern 
eine Menge Bauersleute jehen, wie fie in Reih 
und Glied aufgeftellt, mit hölzernen Gewehren 
militäriihe Ererzitien auf Das Kommando an 
derer Bauersleute vornahmen, marſchirten, ſchweng⸗ 
ten, zielten, al3 wären fie wirkliche Soldaten. 

„Rechts Ihaut! Links haut! Schultert das 
Gewehr! Mari ! Halt!“ jo ſchallte es von allen 
Seiten. | 

Ging man über die Brüde in die Stadt, 
welde auf beiden Seiten von der Feſtung um— 
geben ift; fo begegnete man in jeder Gaſſe geord- 
neten Haufen mit hellblauen Dolmany's bekleidet, den 
Tſchako auf dem Kopfe; die hatten ſchon wirf- 
lihe Flinten;  freilih altmodiihe, noch mit 
Feuerfteinen verjehene ; auch dieſe machten Kriegs— 
übungen. 

Wieder erſcholl es: Rechts ſchaut!“ Links 
ſchaut! Schultert das Gewehr! Marſch! Halt!“ 

In den geräumigen Schulhöfen machten die 
Kinderihaaren militäriihe Uebungen, nad dem 


— 159 — 


Beijpiele der Alten, mit hölzernen Flinten; die 
Anführer Papier-Tſchako's auf dem Kopfe. Jeder, 
Vater, Großpater, Sohn und Enkel üben alle 
das: „Rechts Ihaut! Links Ihaut! Schultert das 
Gewehr! Mari! Halt!“ 

Das Bild der ftillen, ruhigen Stadt ift 
ganz verändert. Die Frauen halten Reden, Die 
Männer klirren mit den Waffen, die Wagen: 
bejiger üben ihre Pferde auf's Kanonenziehen ein. 

Nur Major Kolbay iſt der Alte geblieben. 

Derielbe Hußar-Dolmany, dieſelbe fteife 
Kravatte, dieſelbe Weltanihauung find ihm noch 
jest eigen. 

Aud jet durchſchreitet er fo fteif Die 
Saflen, ohne Stod, wa3 für einen Soldaten, 
bauptjählih für einen Hußaren, eine Schande 
wäre; er jhaut weder nad rechts noch nad) 
linf3; er beadtet die an ihn vorübereilenden 
Nationalgardiften = Banden kaum, als ob fie 
für ihn gar nicht eriftirten, nur bie und da 
jhüttelt er das Haupt, wenn er an eine Barriere 
gelangt, die jegt mit den Nationalfarben ange: 
ftrichen ift, vielleicht auch nur darum, weil die Far— 
ben noch friſch und auffallend find. 

Der alte Herr diſputirt mit Niemandem, 
läßt jeden iprehen und thun, was ihm beliebt; 
fteflt fih der Fluth nicht entgegen, daß er nicht 
mit ihr ſchwimmt, das hält ihm Niemand vor. 
Wie er jo ruhig in der Nähe der Häufer hin— 


— 10 — 


Ihlendert, damit Niemand an ihn ftoße, kommt 
ihm eine lärmende Geftalt entgegen. Ein grüner 
Dolmany, ringsherum feuerroth verbrämt, bis an 
den Ellbogen goldgeihnürt; voll goldener Poſa— 
mentirung ; auf dem grünen Cſako eine ungeheure 
Adlerfeder. 

Man würde unfern Freund Bärfing jo kaum 
wieder erkennen. Er hat auch einen Säbel, und 
diefer macht ungeheuern Lärm, wenn er durd) die 
Gaſſe ſchreitet; außerdem ſtecken zwei Piſtolen in 
ſeinem Gürtel. 

Nicht weit iſt das Haus der Frau Laͤvay; 
die alte Dame ift zum Thore herausgefommen, 
um nad dem flirrenden Ritter zu hauen; denn 
es ift mwirflih der Mühe werth, ihn anzujehen. 
Sie fieht, wie er mit dem ihm entgegen= 
fommenden Beteranen zufammentrifft, und hört, 
wie nad furzer Zeit zwiihen den Beiden ein 
großer Lärm entfteht,; anfangs als ob fie blos 
raifonnirten, jpäter fängt das Geipräd an grüber 
zu werden; endlich ftößt Kolbay voller Aerger 
Barfing von fi, und geht herwärts, während 
jener binwärt3 geht, ſich umlehrend und dem 
Alten mit der Fauft drohend. 

Der Veteran geht brummend bis an's Ende 
der Gaffe. Er jprad in fi hinein — doch je, 
als richtete er feine Worte an Jemanden. 

— Schaut den nichtsnutzigen Nafeweilen 
an! er wagt e3, Jo mit mir umzugehen. 


— 161 — 


— Was ift Ihnen geihehen, tapferer Herr 
Major ? — fragt die alte Dame den an ihr Vorü— 
bereilenden. | 

— Was? Ah! Sie ſind's, meine Liebe? 
Guten Morgen! So ein Taugenihts! Haben Sie 
das gehört ? 

— Ich hörte, daß Sie einen großen Lärm 
madten. Was hatten Sie mit dem Grünjpedht ? 

— Hahaha! Sie haben recht. Wahrhaftig 
ein Grünſpecht. 

.. . Stellen Sie ſich vor,” mein Kind, ich gehe 
Ihön ruhig an der Mauer, da tritt mir dieſer 
Säbelihepperer plöhlih entgegen, gibt mir einen 
vertraulichen Schlag auf die Schulter und ruft: 
Servus, Alter! . . . 

... Servus, Alter ?! .. Ich?. Mir das ?! .. 
fragte ich ihm; Amice, Sie ſcheinen zu glauben 
dag mir miteinander Schweine gehütet haben! .. 
- Worauf er mir antwortete, daß ſich Soldaten zu 
dugen pflegen... . a, die wirklihen Soldaten, 
aber was find Sie?...-Er meinte, er jet 
Unterverpflegskommiſſär. . ... So, alſo Kommis— 
brod-Kommiſſär? Gott befohlen, gehen Sie ihrer 
Arbeit nad. Schauen Sie, das Ihre Leute nicht 
verhungern und Sie fett werden... Da padte 
er mi beim Arme, und ſagte: es ſei die Pflicht 
eines jeden Patrioten Dienft zu leiften,. aud) die 
meine ; ih jolle daher nur den Schießprügel neh— 


men, und über Naht auf die Wade, auf Pa— 
Andere Zeiten, anbere Menſchen. 11 


trouille gehen, wie es andere Leute thun; morgen 
aber hinaus, auf dem Monoftorer Berg, um Schan- 
zen zu graben..... Ich auf Wache gehn, mit 
einem Schießprügel mich in Die Reihen des Fuß— 
volfes jtellen und auf Trommelichlag maridiren . . 
ib der jubilirte Hußaͤren-Major, der den fran= 
zöfiichen Feldzug zu Roß beendet?! Sch der ur= 
alte Edelmann, auf Robot gehen, Schanzen gra= 
ben ?! ..... Aber ich ſagte ihm von dem Nichts, 
nur jo viel, daß er einer Katz' befehle! . . Da 
fette er fih auf das hohe Roß und rief zornig,- 
iegt habe er bier zu befehlen, er werde mir ſchon 
zeigen, wie man mit foldyen verknöcherten Re— 
aftionären umgehen müfle, wie id) einer jet... Er 
drohte mir mit Ketten, Gefängniß und Aufhän— 
gen!... Mid aufhängen! Mich, den Edelmann, 
aufhängen wie einen räudigen Hund . . . Don: 
ner noch einmal, das war zu viel, und ich ſtieß 
ihn mit der Fauſt von mir, daß er taumelte . 
Er droht mir mit Ketten, Gefängnig!.. Er!!! 
— Hätte id) dieſe Stadt nicht jo lieb, möchte id} 
heute gehen, um nimmer wiederzufehren. Aber ich 
fann mid nicht trennen von hier. Ich bin dieſes 
ſchlechte Prlafter, diefe bölen Zungen, und Die 
Pappeln dort drüben auf der Inſel jo gewöhnt ; 
obwohl ich höre, das man letztere umbauen wird, 
um Pallifaden aus ihnen zu machen. 

— Wenn ſie's brauchen, jollen ſie's neh— 
men in Gottes Namen, — ſprach die gute alte Frau 


— 13 — 


mitruh iger Refignation. — Auch aus meinem Gar- 
ten haben fie alle Haſelnußſtreiche ausgehadt, fie 
jagten, man wird fie zum Schießpulver verwen— 
den. Der Menih gibt zu folden Zeiten fein 
Alles hin. 

— Das ehe id. . 'S ift eine wunderlidhe 
Zeit. Ein Feder gibt Alles hin. Sein Heines 
eripartes Silber, ſelbſt fein einziges Kind. Auch 
Sie haben Ihren einzigen Sohn hergegeben? .. 

— Und zwar nad dem Tage feiner Hoch— 
zeit. Gott hat es jo gefügt. 

— Hm, — ſprach der Alte — wenn er 
Ihon mit Gewalt Soldat geworden, dagegen habe 
ih nichts, hab's auch jo gemacht; er hätte aber 
wenigſtens mit mir reden jollen. Ich hätte ihm 
eine Refommandation zu meinem alten Regi— 
mente gegeben. Habe viele gute Bekannte noch 
dort. Er wäre Kadet ‘geworden... Aber fo, 
nur al3 Gemeiner eintreten, das ift entſetzlich!. 
Dort wäre er in ein paar Jahren Lieutenant ges 
worden, hätte fi hieher transferiren laffen oder 
mit Charakter quittirt, wenn jeiner Gattin dag 
Bigeunern don Garnifon zu Garniſon zumider 
geworden war... Aber ein Gemeiner ex propriis, 
das ift zu arg... 

— Wenn es Gott jo angeordnet hat! 

— Schon gut, Schon gut, mein Kind! . 
Gott jegne Sie... 

... Welchen Spott man mir zufügtel... 

11% 


— 164 — 


Wünihe guten Appetit!.. Er will mir Eijen 
anlegen laflen, Er! mir!... 

Und der mürriſche alte Herr brummte im 
Nahhaufegehen in Einem fort: Mir will Er 
Eiſen anlegen laffen!.. 

Frau Lavay kehrte von der Gafle in ihren 
Hof zurück; in der Küche entjtand großer Lärm, 
die zwei Dienſtmädchen hatten fih über ein na= 
tionales Gericht, weldhes eine derſelben veripottete, 
zerfriegt und blutig geſchlagen; kaum waren fie 
zu bejänitigen. 

— Barmherziger Gott — murmelte die 
ehrbare aite Frau, nachdem ſich der Kampf ge= 
legt, — was wird aus diefer Welt werden. Geftern 
hat fih das Maftvieh mit den Kälbern zerkriegt, 
ein Kanarienvogel den andern im Käfig umge— 
bracht, und heute fangen auch ſchon die Mägpde 
an zu Ichlagen. Ueberall Krieg, Alles will 
raufen. Selbit mein Sohn z0g in's Feld.... 
Auch er iſt Soldat geworden, mein Sohn 
Bela!... Unddod hab’ ich ihn nicht hiezu erzogen. 

Dann ſeufzte fie tief, ſetzte fih an ihr 
Tühhen, Ihlug die „Stunden der Andacht“ auf 
und begann zu lejen; gemwahrte aber bald, daß 
die Buchftaben vor ihr zuſammenfließen; zulam= 
menfliegen in den Thränen ihrer Augen. 

„mächtiger Gott, was bringt Dein Zorn 
noch Alles über unsere Häupter !“ 


— — — — — — — — — — — 








— 165 — 

Herr Bärfing aber fhepperte ftolzivend der 
Feſtung zu. 

Zwifhen der Stadt und den Schanz— 
werfen der alten Feftung ift eine Kleine Prome— 
nade angebracht, welde den ftolzen Namen „eng: 
liſcher Park“ führt. In der Mitte dieſes Partes 
ift ein Eleiner, mit Bänfen und Geländern ver= 
fehener Hügel, auf welchem in glücklicheren Zeiten 
die Mufilbande zu fpielen pflegte. Damals war 
e3 Mode, bier zu Spazieren. Beim Tage pflogen 
Ammen und Dienftmägde idylliihen Umgang mit 
zarteren Soldatenſeelen. . . . . 

Heute war diefer Park ungewöhnlich zahl- 
rei bejucht, auf der Mufiktribüne unterhielt man 
eine fehr lebhafte Konverfation, als eben Bärfing. 
hinzukam. 
Er wußte es recht gut, von was die Rede 
war; eben deshalb eilte er hieher. 

Eine Anzahl von Nationalgarde-Dffizieren, 
deren Bataillone in der Feſtung lagen, hielt 
über einen jehr wichtigen Gegenftand Kriegsrath. 

Die Anweienden waren ſämmtlich tüchtige 
Männer, begeilterte Patrioten, und ganz gewiß 
auch tapfere Soldaten. 

Auch Hatten fie fih garz gewiß mit dem. 
Entihluffe in der Feftung feftgeieht, diejelbe, wenn 
e3 nöthig, aud mit ihrem Blute zu vertheidigen, 

Es gibt aber veridhiedene Gattungen des 
Blutvergießens, welche Einem nit immer lieb find, 


— 166 — 


Auch werden ſolche Feftungen nicht mit fol= 
hem Komfort gebaut, daß Derjenige, welcher jeine 
häusliche Bequemlichkeit verlaffen hatte, diefelbe hier 
allfogleid) wiederfinden könnte. 

Gleich in der erften Naht, wenn man noch 
faum eingeihlafen, kommen fie ſchon, um von 
feinem Blute Etwas zu verlangen. Nicht viel: 
einen Xropfen, dann den zweiten, den dritten 
u. ſ. w. 

Man träumt von der Schlacht, erwacht, 
greift nad dem Gewehr, — findet Niemanden. 
Man legt fi) wieder auf'3 Lager. Da kommen 
fie wieder Blut zu verlangen — ein, zwei Tropfen. 
Man träumt von der Folterbant, wo man ges 
braten, geftodhen wird; man zudt, fhlägt mit 
Hand und Fuß um fi, fait ſchließlich vom 
Feldbett auf die Erde; derganze Körper ift voller 
Blaſen. Ein Liht wird angezündet.... der böfe 
Feind ift nirgends.... 

Sobald man fi aber niedergelegt, iſt er, 
wieder da! .... 

Und wer iſt dieſer böfe Feind? ... Oh 
er ift der Fluch großer Städte, Feſtungen und 
Kafernen, die amerilaniſche Geißel, welche Mofes 
noch nicht gelannt, ſonſt würde er über ihn, als 
über die achte Plage Egyptens geſprochen haben ; 
diefer Feind ift die — Wanze. 

Die Patrioten haben erft bemerkt, was fie 
in der Zeitung befommen haben, als fie d'rinn 





— 167 — 


waren. Unzählbare Milliarden dieſes abſcheulichen 
Ungeziefers. 

Die Einwohner Heiner Städte kennen diele 
Beſtien nicht, daher der furchtbare Abſcheu vor 
ihnen, welchen wir ſelbſt theilen. 

Die Verſammlung berieth daher über nichts 
Anderes, als daß die Stellung, reipeltive die 
Lage in diefen Feftungspavillons unhaltbar fei. 

Ein Rieſe, mit filbernem Majorsktragen und 
donnernder Stentorjtimme, dellamirte vor dem 
Dirigentenpulte des Orcheſters: 

— Meine Herren! Wir ſcheuen die Waffen 
des Feindes nicht; wir ftürmen dem heftigſten 
Kartätihenfeuer entgegen, aber beißen, ſtechen 
Infien wir uns nit. Man möge uns mit Hundert= 
tguiend Bajonneten angreifen, aber nidt mit 
ebenjopiel Stehnadeln! Wir haben uns frei= 
willig gejtellt, um für's Vaterland zu kämpfen, 
aber niht um uns für's Vatertand zu fragen. 
Unſern Tod kann die Nation verlangen, aber un: 
fern Schlaf nit. Seitdem ich hier bin, habe ich 
nu am Sonntag während der Predigt ge= 
Ihlafen. ... So muß man rein untergehen! 
Bas nützt uns alle Kriegswillenihaft, was die 
heidenmüthigfte Aufopferung, wenn einem efel- 
haften, geheimen Feinde die Helden zum Opfer 
fallen. — Leonidas fämpfte gegen eine Million 
Perier, und errang ſich eine Berühmtheit; aber 
er laͤnpfte nicht gegen eine Million von Unge— 


— 18 — 


ziefer, wie wir; Nikolaus Zrinyi konnte Sziget- 
var gut gegen zweimalhundert Tauſend Türken 
vertheidigen, da er nit ebenloviel Wanzen in 
feiner Felte hatte. Meine Herren, es ift am Ende 
glei, ob wir in der Feſtung oder in der Stadt 
wohnen. Wir können deshalb unseren Pflichten 
getreu nachkommen. Hier und dort braudt man 
uns, und wenn die Stunde jchlägt, werden wir 
alle auf unſeren Plätzen ftehen ! 

Der Redner wurde mit „Eljen's“ begrüßt, 
Baͤrſing ſchrie am meiften. 

&3 wurde nur nody darüber debattirt, wem 
der Beſchluß: daß es von den Offizieren unnütz 
it, Die Aufopferung To weit zu treiben, mit der 
Mannihaft in der Feftung zufammen zu wohnen, 
anzumelden jei: ob dem Feſtungskommandanten, 
oder dem Kriegsminifter ? 

Es wurde beſchloſſen, daß die Meldung an 
den Kriegsminifter zu jenden jet. 

Bis dahin, nnd in Anhoffnung nadträg= 
licher Genehmigung, werden ſich die Offiziere in 
der Stadt einquartieren. Bärfing trug jelbft für 
vier Dffiziere feine Wohnung an, was mit all- 
gemeiner Anerkennung aufgenommen wurde. 

Von hier ſchlenderte Herr Bärfing in die 
Feftung. 

Beim FPeftungsthore ſtand ein National- 
gardiſt in blauer Uniform auf der Wade, das 
Dreizchnpfündige Feuerſchloßgewehr drüdte ihm 





— 169 — 


die Schulter ſchief; Hatte ſich trogdem jo in die 
bunte Uniform des Herrn Bärfing vergafft, daß 
er das Präſentiren vergaß, weshalb er aud) von 
dem ftolzen Offizier tüchtig niedergedonnert wurde, 

Im erften Hofe konnte man eine Abthei- 
lung Männer in veridiedener Kleidung jehen, die 
in Reihe und Glied aufgeftelt, von einem Manne 
in blauer Jade einererzirt wurden. 

Dieje Abtheilung beftand aus verichiedenften 
Zeuten. Bauern in Gattien, Bürger in Tuch— 
Heidern, Kommis, mehlbeftaubte Müller, Studen— 
ten, Schuftergejellen, reihten fi) in bunter Ab— 
wehslung aneinander. 

Der Mann, welder fommandirte, ſchien den 
Finfzigen Thon nahe zu ſtehen; feine hagere, 
jedoch robufte Geftalt ließ vermuthen, daß er 
feinen Unterhalt durch Arbeit verdiene; jetzt 
berrihte auf feinem Gefihte ein feinem Stande 
angemeffener Ernſt. Er ftand ja vor feiner Ab- 
theilung. | 

Obwohl es aber die erjte Regel der 
Kriegskunft ift „dreinzuhauen“, fo ſcheint es doch 
nothwendig zu jein, dag man wiſſe, wie aus: 
Ihreiten, wie man fi) rechts oder links wenden, 
wie man ſchwenken, wie das Gewehr halten müffe, 
um fein Aergerniß bervorzurufen. 

In ſolchen Zeiten. erlernt man aud das 
ſchnell. Es gab keinen Schmiedegefellen — und 
diele find bekanntlich die ſchlechteſften Geher — 


— 10 — 


der es nicht erlernt haͤtte, wenn es ihm Kapor 
Andraͤs ein- zweimal gezeigt hatte. Und doch 
war Letzterer ein Soldat geweſen, auch er hatte 
feine ganze taktiſche Wifſenſchaft von einem Don— 
Miguel-Korporal erſt vorige Woche gelernt; jetzt 
iſt er der Meiſter. 

In ſeiner Abtheilung gab es einen dum— 
men Ackerknecht, welcher den linken Fuß von dem 
rechten nicht zu unterſcheiden weiß: dieſem hatte 
er dadurch zu Schanden gemacht, daß er ihm 
zur Unterſcheidung ſeiner Füße auf den einen 
Stroh, auf den andern Heu band, und fo kom— 
mandirte: Heu!l.. Stroh! .. 

Al Herr Bärfing in den Hof hineinfchep- 
perte, war Kapor Andras eifrig mit feinen Re— 
kruten beihäftigt, indem er in einemfort rief: 

— Eins, zwei! eins, zwei! rechts jchaut ! 
lints Schaut! rechts ſchwenkt euh!... Halt! 
Mari! Eins, zwei! Heu! Stroh! Nicht aus dem 
Glied treten! ... 

Herr Baͤrſing ſah mit hohem Wohlgefallen 
den Evolutionen zu, und wartete bis Kapor 
bon irgend einem Sturmlaufen zurückgelehrt 
fein wird, da er nicht Luft Hatte, ihm nachzu— 
laufen, | 

— Bleiben Sie fteh’n, auf ein Wort, Kapor ! 

— Reldwebel Kapor! Feldwebel zu Dien- 
ften! ... ſagte diejer, fi in die Bruft werfend 
und militärisch ſalutirend. 


- 171 — 


— Alſo Sie üben fleifig Ihre Refruten 
ein? .. 

— Ja, ſo iſt es, fo iſt est... zu 
Dienſten. 

— Ich wollte Sie um etwas bitten. 

— Stehe zu Dienſten, zu Dienſten! ... 

— Sie haben noch Ihre Pferde, Herr 
Kapor, nicht wahr? 

— Zu Dienften, fie führen Steine für die 
Fortififation. 

— Ich möhte gerne nah Totis reifen, 
Könnte mich Ihr Wagen nicht dahin führen ? 

— Kann geschehen. Ih bin bereit, 

— Bann lonnten Sie mit den Pferden 
fommen ? 

— Nah zehn Monaten und fünfzehn 
Tagen. 

— Sind Sie verrüdt? 

— Durdaus nit... . 

— Wollen Sie mit mir Spaß treiben, oder 
was? Haben Sie an die ſchuldige Subordination 
bergefien? 5 
— Eben an diefe Halte ih mid. Denn, 
als ih vor ſechs Wochen als Freiwilliger auf ein. 
Jahr in die Feſtung kam, habe ih den Eid ge: 
kiftet, diefe Feftung während dieſer Zeit ohne 
Befehl nicht zu verlaffen; darum werde ich vor 
sehn Monaten und fünfzehn Tagen keines Men: 
ſhen Kind nad Totis fahren. 


— 12 — 


Damit mahte Herr Andreas Kapor ein ra= 
ihes „Halb rechts“, fommandirte ein furchtbares 
„Habt acht!“ ein noch furdtbarers: „Fällt 
das Bajonnet!* und ftürmte mit feinem Zuge da— 
bon, dag ihm Bärfing faum mit den Augen fol: 
gen konnte. 

Die Bejagung der Feſtung beftand zu jener 
Zeit aus einer jehr geringen Anzahl regulärer 
Truppen; e3 wurde daher ein Bataillon Natio: 
nalgarde dahin beordert, welches meist aus Städte: 
bewohnern beftand. | 

Allein diefes, in die Feſtung eingenejtete 
Bataillon vermehrte fih wunderbar auf unme: 
rkliche Weile... . 

Das ging jo zu: Eine Abtheilung des 
Bataillons marihirte täglich mit Eingendem Spiel 
entweder an das Donauufer oder auf die Inſel, 
um Reldübungen vorzunehmen. Diefe Uebungen 
pflegten jtet3 viele Bewunderer zu haben. 

Solde Bemwunderer wurden mın von Kapor 
und anderen Iuftigen Batrioten während des Heim: 
marſches umrungen; da hie es dann: Herr Ge— 
vatter, Herr Schwager, fommt Ihr mit uns, da 
drinnen gibt's ein luftiges Leben ; der Bataillons- 
fommandant konnte es fih dann freilich nicht er— 
Hären, wie e3 komme, dab die Reihen bei jeder 
Aufftellung länger werden? Die Leute müflen 
aus dem Boden wachſen, meinte er. 

Und doch war die Sache natürlich, der Eine 


— 13 — 


lam dem Andern zu liebe; der’ Zweite, Dritte 
aus Patriotismus, aber fie kamen ..... 

Unter den Leuthen war Andreas Kapor ein’ 
foͤrmliches Drafel, zugleich aber auch, wie wir ſo— 
eben geſehen haben, ein ftrenger Soldat. 

Als Bärfing den Platz verlieh, führte Ka— 
por feine Uebungen weiter aus, indem es fein 
unabänderliher Entihluß war, die Rekruten bis 
Schlag zwölf Uhr in den Audimenten der Kriegs- 
kunſt zu unterrichten. 

In einem Momente der Ruhe trat Gevat- 
ter Schloffer aus Reihe und Glied, und meldete, 
reipeftvoll jalutivend, daß es vom Thurme der 
kalviniſchen Kirche joeben zwölf geſchlagen habe. 
Kapor war jedoch ein rechtgläubiger Katholif, und 
antwortete, daß der kalbiniſche Thurm nichts mit 
der Mittagszeit zu thun habe; Dieje werde an— 
derswo beitimmt. Da fing die Glode der St. Jo— 
hannesfiche zu ſchlagen an. Man zählte die 
Schläge, es waren deren dreizehn, 

— Ra, das kann nicht richtig ſein! rief Kapor, 
und in dem Momente ertönte es auch vom Kirch— 
thurme der St. Andreaskirche. .. .. Das ſoll 
authentiſch ſein. Man zählte ... Hier ſchlug es 
gar vierzehn!... 

Die Leute ſahen einander betroffen an. 
Das war fein Mittagsgeläute, fein Stunden- 
ſchlag . .. das ift Feuerlärm! ... 

Eine ploͤtzlich emporwirbelnde Rauchſäule 


— 114 — 


zeigte, da5 die Gloden die Wahrheit verlündeten. 
Sechs Kanonenihüffe wurden auf der Alların- 
baftion gelöft, während jowohl in der Zeitung als 
aud) in der Stadt die Trommeln zu wirbeln be— 
gannen. .... Alles wußte, daß Gefahr im An— 
zuge ſei. Auf den Trommelwirbel traten Sol— 
daten und Gardiften ſchnell in Reih' und Glied, 
und ſchloſſen fi) einander an. Die Dffiziere gin- 
gen vor der Front, Befehle austheilend, auf und 
ab; aud Kapor fnüpfte fih das Sturmband Feiner 
Kappe unter dem inne feit, und fommandirte 
jeinen Leuten, iharf zu laden und fi nit aus 
dem Gliede zu rühren. 

Auf der Baſtei ftand ein Wachtpoſten, wel⸗ 
cher die Stadt überſehen, und über die Ausdeh— 
nung der Feuersbrunſt den im Hofraume Ste— 
henden Bericht erſtatten konnte. 

— Das Feuer brach in der Megyacser— 
gafle aus! — rief.der Poſten. 

Dort hatte Kapor fein Haus, fein Weib, 
feine Heinen Kinder wohnten darin;.. ob fie 
fi) retten werden fünnen!... feine Pferde, 
fein Vieh im Stalle, wird es niht zu Grunde 
gehen ? 

Kapor lehnte ſich auf fein Gewehr und 
jeufzte leiſe: j 

Der Herr hat es gegeben, der Her 
hat es genommen, gepriefen ſei fein heiliger 
Name!“.. 








— 15 — 


Die Wade rief abermals : 

— Der Wind bläft die Flammen gegen die 
Stadt. 

Gott erbarme Did unfer!... 

Nah einigen Minuten trug der Wind glü- 
hende Funken und heiße Aſche auf die Häupter 
der Garden... Es war die Aidhe ihrer eigenen 
Haͤuſer. Die Leute fingen an, ungeduldig zu 
werden : „unfere Däufer, unfere Familien, unſer 
ganzes Hab!?“ .. 

Kapor bemerkte die Bewegung und ſagte 
kalten Blutes: 

— Wer ſich übrigens aus dem Gliede rührt, 
wird erichoffen !“ | 

Niemand rührte fih mehr. 

Der Poſten rief von Minute zu Minute 
Ihauerlihere Nachrichten herab: 

— Zwei Gaffen brennen ihon! Jetzt lodert 
8 an drei Drten zugleih auf.. Das Feuer 
withet Ihon in der Mitte der Stadt! Auch das 
Feldſpital brennt; von dort ſchlagen die Flammen 
hinüber auf das Komitatshaus! Das Feuer wen: 
det ſich der Feſtung zu; die feurigen Funken 
überihütten deren Dächer. 

— Auf's Dach! — rief Kapor, und in einigen 
Minuten ftand die Mannihaft auf dem Dade 
des jogenannten Pavillons, um es zu ſchützen. 

Es bot fih von bier aus ein furdtbarer 
Anblick; die Stadt ſchien ein Meer mit flam— 


— 116 — 


menden Wogen zu fein. Der Wind fteigerte fi 
zum Orkan, der Wirbel erfaßte die Feur- 
garben und trug fie hoch gegen den Himmel 
empor. 

Aus dem Rauch- und Keuermeere ragten 
die Thürme der Kirchen und des Rathhaufes wie 
Ihauerlich brennende Fackeln empor; ſechs Thürme 
ftürzten gugleih, nur der fiebente jtand noch un— 
verehrt und ließ fein trauriges Geläute ertünen, 

In einer Stunde brannten drei Biertel- 
theile der Ihönen Stadt; das entfeflelte Element 
ſchlug auf das jenjeitige Ufer des breiten Flußes 
hinüber, verzehrte die Brüden und das gegen- 
überliegende Dorf. 

Zu dieſem hölliihen Schaufpiel geſellte fich 
noch der Verzweiflungsſchrei des Entjeßens, Die 
herzzerreißenden Hilferufe, das Weinen und 
Schluchzen der Kinder und Weiber, melhes 
weder das Wraffeln der Flammen, noch das 
Hohnlachen des müthenden Orkans übertäuben 
konnte. 

Und Diejenigen, die am meiſten zu ver— 
lieren hatten, die dieſer furchtbare Anblick am 
ſchmerzlichſten berühren mußte, dieſe Männer 
ſtanden auf den Dächern der Feſtungspavillone 
und ſchützten dieſelben unter dem feurigſten 
Sprühregen. Sie hörten es nicht, wie die Ihrigen 
da drunten weinten und jammerten. 

Kapor ſaß auf dem Dachgiebel des Pabvil— 


se II: = 
ons, wie auf einem riefigen Roffe, und murmelt 
in fich hinein: 

Jetzt brennt das Komitatshaus, jetzt das 
Stadthaus; nun ergreifen die Flammen das Dad) 
der Kirche, beide Thürme brennen ſchon, nun 
brennt Die ganze Donaufronte, die Brüden, die 
Mühlen, Schiffe und Flöße, welde rauhend und 
fnifternd die Donau hinabſchwimmen. 

Wir werden zu Bettlern. Jh und Andere, 
Alle. Dennoch vergejfen wir unfere Pfliht und 
Schuldigkeit nicht . . . Vielleiht wird es einft 
Jemanden geben, der ſich unſerer hiefür erinnert. 

Und nicht ein Augenlied zuckte ihm, als er 
dem furchtbaren Schauſpiel zuſah. 

Dieſem Tage ſolgte weder in der Stadt, 
noch in der Feſtung eine Nacht. Die ſich immer mehr 
ausdehnende Feuersbrunſt erſetzte Die untergegan— 
gene Sonne; auf eine Meile in der Runde blieb 
es Licht, die Thürme brannten gleich Fackeln noch 
immer lichterloh. Keines Sternes matter Schein 
konnte durch den flammenrothen Purpur des 
Himmels dringen, nur der Halbmond ſchwebte 
oben, wie ein harmloſer Kahn auf feurigem 
Meere... 

In dieſer ſchauerlich erleuchteten Na ht jagte 
am jenfeitigen Ufer ein vieripänniger Bauern wa— 
gen den Almäfer Gebirgen zu. Diele Fuhrwer! 
nannte man in jener eiſenbahnloſen Zeit „Vor— 


Ipann. ” 
Andere Zeiten, Andere Menſchen. 12 


— 


Im Wagen ſaß ein Mann in einem grauen 
Mantel gehüllt, der ſich mit beiden Händen an den 
Wagenleitern feftllammerte, und den Kopf jeden 
Augenblid gegen die brennende Stadt umwen- 
dete. Der Feuerihein beleuchtet feine Züge, dieſe 
tragen ein ſolch' daͤmoniſches Gepräge, daß wir es 
faum zu befennen getrauen, Ddiejelben irgendwo 
geliehen zu haben. Die in die Schredensizene 
Hineinftierenden Augen feinen in Blut zu ſchwim— 
men, und das aus der Ferne erglänzende, mit 
Schatten abwechſelnde Licht ſcheint die Zudungen 
feiner Züge wiederzuipiegeln. 

Manchmal ſchien e3, als rüttelte ihn ein 
beftiger Fieberfroft, da wickelte er fih enger in 
jeinen flatternden Mantel; bald wieder ſchien es, 
als fühlte er die Hitze des eine Meile weit bin- 
ter ihm leuchtenden Feuers, und da trat ihm der 
Schweiß vor's Angefiht, und er begann jeine 
Kleider von ſich zu werfen. | 

Dörfer, Pußten, Brüden bleiben hinter 
dem Reiſenden zurüd; er blidt nie vorwärts, 
immer nur rüdwärts, bald auf die brennenden 
Thürme, bald zum gerötheten Himmel empor, 
oder auf die Rauchwolken, auf den Fluß, in wel- 
hem das Bild der brennenden Stadt meilenweit 
fi) wiederfpiegelt. 

Bon dieſem Schaufpiel fann er fi) nicht 
trennen, obwohl es jheint, al3 würde der ber- 
zerrte Ausdrud feines Gefichtes fi mildern, je 


— 179 — 


weiter er fih bon dem entjeglihen Lichte ent- 
fernt, und je mehr fih das Dunkel der Naht 
über die Gegend ausbreitet. 

— Halt! Wer da! — rief es plögli vor 
ven Pferden. 

Der Reifende fuhr erihroden zuſammen, 
jein Gefiht, jest vom Mondſchein beleuchtet, iſt 
blaß wie der Tod, 

Seht erfennen wir ihn. Es ift Bärfing. 

Die Vedette der Almäfer Vorpoften Bielt 
feinen Wagen an. 

In jener Zeit gab e3 am Ende eines 
jeden Dorfes Vorpoften, welche die Reifenden an— 
hielten. 

Barfing vermochte kaum mit den zitternden 
Händen jeine Päffe hervorzuſuchen. Er ftammelte 
etwas, daß er ein Kourier jei, er müſſe ſchnell 
nah Peſt, man möge ihn pafliren laflen. Beim 
eriten Haufe wurde fein Paß viſirt. Man frug 
ihn, was in der Stadt geſchehen jei?.. Er 
tonnte feine Antwort geben; die Zähne klapperten 
ihm... Er deutete mit der Hand nad der 
Stadt... Sie ſahen es!.. 

Man jpannte friiche Pierde vor den Wagen, 
und Bärfing fuhr ſchnell davon. 

Er fuhr in einem Hohlweg, die Gegend 
begann gebirgig zu werden. Die brennende Stadt 
berihwand aus dem Geſichtskreiſe; der Reilende 
blickte zuweilen zurüd‘, aud) die flammenden Thürnte 

12" 


— 10 — 


waren nicht mehr jichtbar, fie konnten ihm eben nicht 
folgen; der Fluß mit feinem Tchredlihen Spiegel— 
bilde blieb auch zurüd, nur eine blutrothe Wolfe 
über jeinem Haupte wollte nit zurücbleiben, fie 
flog mit ihm um die Wette; in dieſer Wolfe 
fonnte er fortwährend ihauen, was Berg und 
Wald verbarg; die Schredensizene malte fih nun 
am Himmel ab. 

Diele Wolfe begleitete ihn Die ganze Nacht 
hindurch. 

Am Morgen trübte ſich der Himmel, der 
herabſtürzende Regen färbte die Gegend mono— 
ton grau. 

Der Reiſende gelangte in ein Städtchen, 
welches am Ufer eines kleinen See's lag. Dort 
zahlte er den Fuhrmann aus, und begab ſich in 
das Gaſthaus hinauf. 

Ohne zu fragen, öffnete er die Thüre 
eines Zunmers, in dieſem Zimmer befand ſich 
Fertöy. 

— Ach, Sie ſind angekommen! — rief 
freundlich der ewig lächelnde Herr. — Wie geht 
es Ihnen? .. 

— Ich friere, befinde mich unwohl, — 
wortete Baͤrſing ſchaudernd. 

— Trinken Sie ein wenig Rum, das wird 
Sie heritellen. 
DBärfing ließ ih dies nicht zweimal jagen, 





— RT: 3 
er griff zu; allein vom Rum wurde ſeine Stimme 
nur noch mehr heiſer. 

— Alſo, was gibt es Neues zu Hauſe? 

Auf das Wort „zu Hauſe“ fuhr Baͤrſing 
erihroden zuſammen und blidte um fi. 

— War es nicht bis hieher fihtbar? . . Die 
Stadt brennt. 

— Nur die Stadt? — frug der lächelnde 


Herr. 

| — Die ganze Stadt: Kirhen, Spitäler. 
Alles steht in hellen Flammen. Nicht der vierte 
Theil der Stadt ift unveriehtt. 

— Hm, wenn der Wind fi) wendet, fann 
auch dieſer Theil noch verbrennen. 

Bärſing fand es für gut, abermals nad) 
der Rumflaſche zu langen. 

— Es gibt dort alſo großen Schreden, 
niht wahr? — fragte Fertöy. 

— Oh! — machte Barfing. 

— An das Löihen konnte man natürlich 
bei dem Sturme gar nicht denken. Sind Sie 
über die Brücke gekommen? 

— Ad nein. Auch Diele brennt ja. Ich 
lieh mid, in einem Kahne herüber fahren. 

Ueber dieſe Meldung lächelte Fertöy nichtmehr- 

— Was machen uniere befannten Herr: 
Ihaften ? 

— Sie weinen und jammern. Mer denkt 
bei folder Gelegenheit an einen Andern, als an 


— 12 — 


fich jelber. Ih ſah Frau Lavay, als fie aus ih— 
rem brennenden Haufe lief und anftatt ihres Sil- 
bers ein Koͤrbchen vol Weizen zu retten ſuchte. 

— Ad! — machte Zertöy abermals laͤchelnd. 
Diefe Frau hat mich einft beleidigt, indem fie 
mic interpellirte, weshalb ich mid in die Ange— 
legenheiten der Stadt miſche, obgleich id feinen 
Beſitz in derjelben habe. . . . Geſchieht ihr Recht. 

— Frau von Holdvary wurde ohnmächtig 
auf den Rofalienplak getragen, wohin das Feuer 
niht drang; aud Fräulein Serafine jah ich ohne 
Hut über die Gaffe laufen. 

— Hm! Bin auf ihre Toilette neugierig. 
Bei folhen Gelegenheiten kann man nit auf 
Alles achten. u 

— Das Komitatshaus ſchützte man lange 
Zeit, konnte es aber doch nicht retten. 

— Ach! .. Wo werden jekt die Herren, 
ihre glänzenden Reden halten ? 

Beim dritten Glaſe Rum begann aud) Hetr 
Bärfing die Sache von der Iherzhaften Seite zu 
nehmen. 

— Unter Anderen ift aud das Hargi— 
tay ſche Haus zu Aſche verbrannt. - 

Das Läheln Fertöy'3 verwandelte fih auf 
dieſe Nachricht in höhniſches Grinſen. 

— Das iſt Judithchens Schaden. Sie wiſ— 
ſen, Freundchen, daß ihr der alte Herr, als er ſie 
enterbte, nur dieſes Haus ließ, wohin ſie ſich in 


— 13 — 


der Außerften Noth zurüdziehen könne. Dieje$ 
Haus war ihr einziges, letztes Eigenthum. 

— Fräulein Judith alfo ? 

— Iſt fein Fräulein mehr: fie hat gehei- 
ratet — ſagte Fertöy, den Brief Judith's aus 
der Taſche ziehend. — Leſen Sie diejen Brief. 

Bärfing wurde roth vor Zorn, als er die 
Zeilen überflog. Er hoffte bisher noch immer, 
daß Judith unter dem Zwange des Teſtamentes 
ihrem Geliebten entjagen, und ihm die Hand rei= 
hen werde. Die früheren Ereigniſſe hatten ihm 
die Luft keineswegs genommen. 

Als er den Brief auf den Tiih) niederlegte, 
dachte er fih: So geſchieht's ihr Recht! Möge 
fie nun Bettlerin, verfolgt und unglüdlic fein ! 
Möge fie den Wermuthsbecher bis auf die Neige 
leeren ! 

— Nun erübrigt uns nur noch die Eröff- 
nung de3 Xeftamentes zu urgiren — fnurrte er 
aus den zufammengeprekten Zähnen hervor. 

— %d; Habe hiezu bereits alle Verfügun: 
gen getroffen — verfiherte Fertöy feinen jaubern 
Freund. — Das Teftament befindet fi) in den 
Händen des Komitatzfisfals, und wird morgen 
eröffnet. 
— Morgen? ... . die Stadt ift ja. ber= 
wültet , . . 

Was hindert Sie daran, als mein Stell: 
bertreter bei der Eröffnung zugegen zu fein? Es 


— 184 — 


wird dod wohl in der Stadt nod einen Platz 
geben, wo man dies bewerfitelligen kann. 

— Aber das Feuer, mein Herr, das Neuer! 

— Mas geht mih Ihr Feuer an! .. 

— Was e3 Sie angeht? Nun jo erfahren 
Sie es. Wenn das Teftament im Komitatsar: 
chive deponirt war, To ift es auch ganz gewiß 
verbrannt! . . . 

Das Lächeln verihwand von dem Gefichte 
Fertöy's. 


Eine fehr knappe Haushaltung. 


Der Winter kam, die niedergebrannte Stadt 
aber war noch nicht aufgebaut. 

Diefer Winter war niht von der Art wie 
andere Winter zu fein pflegen. In diefem Win= 
ter war es, wo bunderttaufend und abermal hun— 
derttauſend Menſchen es für nothwendig fanden, 
das Land zu Fuß und zu Pferd in Kreuz umd 
Quere zu durchſtreifen, in der Naht auf hartge- 
ftorner Scholle oder im weihen Schnee zu ſchla— 
fen, während die Hunderttaujfende weiblichen Ge: 
ſchlechtes ihre Faſchingsunterhaltungen darin fan- 
den, daß ſie Leinwandſtücke in Fäden zerzupften. 

Von Tanzunterhaltungen zu ſprechen, war 
heuer nicht Sitte, andere Töne, als die der Mu— 
ſik, begeiſterten die Gemüther. 

Allein ich will die glaͤnzenden Thaten der 
Männer nicht ſchildern, da ih einen Roman 
\hreibe, und in diefem Roman die Geihichte der 
Frauen, welde gegen einen viel hartnädigeren 
Feind fämpften al3 die Männer, die auch dann 
noch fortkämpften, als ihre Männer ſchon zur 
Ruhe gegangen. 


— 16 — 


Den Männern gehört die Geſchichte, für 
die Frauen möge der Roman ſprechen ... . 

. .. Die Ruinen der abgebrannten Stadt 
hatten no immer feine Daͤcher. Wo find alio 
die Einwohner? Ad! diefe hatten gute Urjache, 
fi) nicht zu entfernen, fie verblieben in der Stadt, 
jedoh nit zwifhen den fahlen Mauern der Häu= 
jer, welde feine Dächer hatten; denn da war es 
nit geheuer in diefem Winter, wo vom Himmel 
feurige Sterne herabflogen, welde die üble Ge— 
wohnheit annahmen, in die Zimmer der dachloſen 
Häufer zu fallen. 

In einer Ede der umſchanzten Stadt gab 
es jedoch eine Heine Wieſe, wohin die fatalen 
Sternihuppen nit zu gelangen vermochten; man 
nannte fie die Zigeunerwieje; und zwar deshalb, 
weil ſeit Menichengedenten die elenden Hütten 
der armen Zigeuner hier geitanden. Eine Reihe 
Baraden aus Lehm und Stroh... Was Ba— 
raden?!... Sage Paläfte. Wie glüdlih, wer 
in einer ſolchen Unterkunft findet. Da gibt es 
ja einen Zehmofen, einen Herd, jogar ein Fenſter 
wo man bhinausjehen fan... Die Zaufende 
von obdachloſeun Bürgern fünnen jedod nicht alle 
in denſelben unterbraht werden. Nun Hilft 
man fih aber, wie man kann. Biele hatten fi 
mit ihren Nahbaren zujammengethan und für 
gutes Geld eine jener hölzernen Hütten erworben, 
welche von Wiener und Reiter Kaufleuten mwäh- 


— 1897 — 


rend der Märkte benützt wurden; diefe Hütten 
ftellten fie an der geſchützten Seite der Wieſe 
neben dem Damme auf, und richteten ſich ein, jo 
gut e3 ging. 

In einer ſolchen Martthütte wohnte die 
alte Frau Lavay mit der einft jo ftolzen Familie 
Holdvary zulammen. 

Mer hätte es je gedacht! In den Tagen 
des Glückes iſt es ihnen nie eingefallen, einander 
zu beſuchen. Die glänzenden Piqueniques der 
hohen Familie konnten gut ſtattfinden, ohne daß 
man die alte Frau zu denſelben geladen hätte. 
Als jedody) Beide auf die Gaſſe gehekt wurden, 
lagten fie zu einander: bauen wir uns gemein- 
Ihaftlid) eine Hütte, und wohnen wir darin zu= 
fammen!... 

So geihah es aud). 

Die Markthütte war in der Mitte durd) 
eine bretterne Wand in zwei Theile getheilt ; die 
innere Abtheilung diente zum Schlafzimmer; in 
der äußeren ftand ein Heiner Sparofen, welcher 
in irgend einem Haufe unverjehrt geblieben; diejer 
erwärmte die ganze Räumlichkeit. 

Ohne Dienftboten konnte man füglich fein ; 
e3 gab auf der Gaſſe genug der Hände und 
Füße, Die Magd oder Knecht erjegten. Frau 
Lavay kochte ſelbſt. Hinter der Hütte ftand ein 
Heiner Stall mit Rohrwänden, und mit Laub— 
wert und Stroh bededt; in dieſem befand fich 


— 155 — 
ihre einzige Kuh, welche jie jelbit melfte, und von 
deren Milch fie das Frühſtück für die ganze Ges 
ſellſchaft bejorgte. 

Frau von Holdvary ftand ihr nicht viel im 
Wege; diefe konnte feit dem großen Unglüd nur 
weinen und Schlafen. Ließ man fie mur ruhig 
liegen, jo hatte fie weiter feinen Wunſch. | 

Fräulein Seraphine half jedoch der alten 
Lavay beim Kochen, und bei jonftigen häuslichen 
Verrichtungen. 

Wie? Fräulein Seraphine am Hewde?!. 
Sa wohl! .. Shre ihönen weißen Hände find 
an vielen Stellen verbrannt oder berjengt, mie 
es denjenigen zu geihehen pflegt, welche das 
Kochen exit erlernen. 

Der alten Lavay koſtete e3 gar viel Mühe, 
um ihre Gehilfin in die Geheimniffe Des Ein- 
brennmachens einzuweihen; wie oft hatte fie ihr 
das theure Mehl verbrannt. 

— Ja, mein liebes Kind, — pflegte Die 
Alte fie ſcherzweiſe zu jchelten — das iſt Feine 
Kotillonfigur, — und wenn, während die Alte 
draußen das Grünzeug putzte, Seraphine drinnen 
die Suppe überlaufen ließ, da bekam fie eine 
ganze Vorlefung über Mufik, franzöfiihe Romane, 
Landihaftmalereien u. ſ. w. als über Dinge zu 
hören, derentwegen einem die Suppe über= und 
davonlaufen Tünne. 

Die alte Frau brummte draußen beftändig. 


— 189 — 


Mama Holdvary dagegen lag, ohne fi zu 
rühren, in ihrem Bette, ächzte und ſeufzte unun— 
terbrochen, erfand die veridiedenften Krankheiten 
und Uebel, als hätte fie an dem wirklichen nicht 
genug. „Seraphine ! — rief fie — mein Fuß ift zu 
Stein geworden; .. ."Seraphine! diefes Bett hebt 
fh immer höher und höher mit. mir! ... Se: 
raphine! .. Es hatmir geträumt, dad, wenn der 
Feind in die Stadt dringt, er alle Weiber zu: 
ſammenfängt, dieſe müſſen dann vor ihm gegen 
die Feſtungsmauern marihiren, damit die erften. 
Schüſſe die Weiber treffen; wäre 8 nicht beffer, 
wenn Du mir früher mit dem Küchenmeffer den 
Hals abichnitteft ?“ | | 

Seraphine war inmitten Diejes Kreuzfeuers 
ftet3 heiter und guter Laune. Im Kochen hatte 
fie zwar der alten Laͤvay feine weientlihen Dienfte 
geleiftet, umſomehr trug fie aber durch ihren ſchalk— 
haften Humor zur Erheiterung ihres Gemü— 
thes bei. Ä 

Im Grunde gibt es nichts Scherzhafteres 
als das Elend. 

Mie lachenerregend ift es zum Beiſpiel, 
wenn man des Morgens fein Glas vom ZTiiehe 
nehmen will und es an den Tiſch gefvoren findet; 
oder wenn man den Schuh anzieht, und an der 
Spike desjelben ein artiges rundes Loch wahr: 
nimmt, welches ein Eleines Mäuschen über Nacht 
hineingefreffen hat. Wie reizt dies die Lachmus— 


— 1% — 


keln; wenn man vollends bedenkt, daß dies der 
einzige Schuh auf der Welt ift, der den Beihä- 
digten jeinen Eigenthümer nennt. Oder wenn 
Säfte da find, und Seraphine wegen Mangels an 
Löffeln ſich des großen Schüpflüffels zum Effen 
bedienen muß. 

Mie? E3 gibt noch Gäſte? 

Allerdings. ES gibt der Bekannten genug, 
die ihr Leben nicht anders friften künnen, als dag 
fie von Hütte zu Hütte auf Befuh wandern, und 
heute bier, morgen dort fih zu Mittag laden. — 
Außer diefen beherbergt die gaftfreundlihe Hütte 
noch zwei permanente Pafjagiere, und zwar Män— 
ner, jedoch verheiratete Männer, die es für gut 
fanden, fih in die Feftung fperren zu laflen, den 
Einen nannte man Herr Stuhlrihter, den ans 
dern Herr Fiskal. Der Eine ift mit den Laͤvay's, 
der Andere mit den Holdvaͤry's verwandt. Dieje 
Beiden fanden nirgends Unterkunft, Frau Laͤvay 
bot ihren jolde an. „Dier ift die Küche, — fagte 
fie, — da lünnen Sie beide Schlafen und über uns 
wachen.“ 

Fiskal und Stuhlrihter waren übrigens 
ganz brauchbare Menihen. Der Fisfal begab 
fid) jeden Morgen in die Feftung, mo man Fleiſch 
und Mehl austheilte, ging dann zur Waag hinab 
um irgend einen Fiſch zu requiriren ; alles dies 
trug er jorgfältig nad) Haufe, um die Küche da= 
mit zu verſorgen, während der Herr Stuhlrichter 


ee ES — —— am = vun 


un. rn 


— 11 — 


das Abenddunkel benügte, um unter feinem Man 
tel Holz und Heu berbeizufhaffen. Das Heu dient 
in der Naht als — Streu für die Herren, bei 
Tag aber al3 Futter für die Kuh. 

Wenn fie dann des Abends alle beilammen 
find, und theils auf den ungeftürzten Schraͤnken, 
tbeil3 auf dem Boden Platz genommen haben, da 
wird jo herzlich über den Sammer gelacht, ala 
wäre das Ganze die befte Anekdote. der Welt. 

Frau Lavay hatte auch feine andere Sor— 
ge, al3 diejenige, welche ſich nad) jedem beladhten 
Scherze in einem Seufzer offenbarte: Ah wäre 
nur mein Bela unter uns! . . 

Ta, wenn der auch da wäre! 

Dann würde fi der enge Raum zwiſchen 
den bier Bretterwänden zum Paradies verwan— 
deln, dann würde dieſes irdiihe Glück fo voll: 
tommen fein, daß es nichts zu wünſchen übrig 
ließe. j 

Mer weiß e3 aber, wo fi) jekt Bela be: 
findet ? Wer weiß es, ob er lebt, welches Schif- 
jal ihn ereilt? Die Welt ift voll der Gefahren. 
Man hat nur die Wahl, in weldhe der Gefahren 
man fi begeben; feineswegs aber, melde man 
vermeiden will. 

Und doch koͤnnte auch er jet unter uns 
fein. Wäre er doch nicht in die Welt gegangen, 
um fih Ruhm zu erwerben; hätte er doch nicht 
ein Mädchen geliebt, das zu lieben man ihm 


=: 199. = 


verwehrte; würde er doch ſcinem Schickſale feinen 
Zwang angelegt haben! 

Solche Gedanken bejdhleihen die gute Frau, 
wenn fie nad) des Tages Mühen mit Seraphinen 
nod allein wacht, und ein über das andere Mal 
den Seufzer ausftögt: Mein armer Béla! ... 
Und da fällt ftetS ein vorwurfsvoller Blid aus 
den thränenden Augen auf Seraphine, al3 wollte 
die Altedamit jagen: „Und an slledem haft Du die 
größte Schuld; warum vermochteſt Du es nicht, 
ihn an Dich zu feileln?!... Es war ja aud 
mein Wunſch, daß er Dich liebe. Jetzt wäre er 
Dein Gatte — und unter ung,“ 

Und wie wohl thut es ihrem Herzen dann, 
wenn Seraphine, den ſtummen Vorwurf ver— 
itehend, das Amen auf ihr Gebet ſpricht, welches 
fie für ihren Sohn zu Gott geſandt. . . Sera— 
phine bat es ja veritanden, für wen das leife, 
von Seufzern unterbrochene Gebet zum Himmel 
gelandt wurde. 

In jenen Zeiten war es ſehr Ichwer, etwas 
über die Abwelenden zu. erfahren. Der Rojt- 
verkehr war gänzlih abgeihnitten, Und wenn 
es doch einem Kourier nah unjäglihen Mühen 
und den raffinirteften Künften gelang, ſich in Die 
Feſtung zu ſchleichen, jo bildete dies ein jeltenes 
und großes Greignig, welches jämmtlihe Be: 
wohner der Stadt in Bewegung ſetzte. Zwei 
Wochen hatte man denn nichts Anderes zu thun, 


— 13 — 


als von den Nachrichten zu ſprechen, die er ge= 
bracht. Solch' ein Kourier wurde ho geihäkt ; 
man ſuchte ihn auf, ſchleppte ihn mit fich, fragte 
ihn hundertmal über Hunderterlei Dinge: was es 
da d'rüben über der Donau gebe? Wer noch 
lebt, wer bereits gejtorben jei? Ob er Dielen 
oder jenen gejehen, mit ihm geiproden habe... 
Er konnte dann erzählen, was er wollte, man 
glaubte ihm auf's Wort. . . Sole jeltene Poft- 
tauben pflegte auch Frau Lavay in ihrer bretter= _ 
nen Behaufung zu bewirthen. 

Als Fran Lavay die erfte diefer Poſttauben 
über ihren Sohn befragte, befam fie zur Ant: 
wort: „der ift gut geborgen, fit in der Feſtung 
Eſſegg, dort kann ihm nichts widerfahren.“ Die 
gute alte Frau war hierüber jehr beruhigt. 

Nad einigen Wochen fam ein anderer Bote, 
auch der wußte von Bela zu erzählen: Er habe 
ihn in der Umgegend von Schemnik getroffen, 
der Arme friere und ftrapaziere fi zwar viel, jet 
aber in guter Geſellſchaft. 

Diefer hatte zufällig die Wahrheit ge: 
Iproden ; zufällig jagen wir, denn er ſprach, ohne 
e3 zu willen. - 

Nah einigen Wochen kam abermals Se: 
mand, welcher fteif behauptete, Lavay ſei ſammt 
Pußtafi in Siebenbürgen, was um jo wahrſchein— 
liher Hang, als die beiden unzertrennliche Freunde 
geweſen. Pußtafi ſei jedenfalls dort, er hatte ja 

Andere Zeiten andere Menſchen. 13 


-. 


— 14 — 


auch ſchon ein Schlachtlied in Siebenbürgen ge— 
ſchrieben. 

Die alte Frau bemerkte hiezu ſeufzend: 
wenn er nur lieber zu Hauſe als zu gleicher Zeit 
an drei Dertern wäre!. 

Es war bereit3 gegen den Frühling, als 
e3 in der Stadt laut wurde, daß abermals ein 
Kourier auf wunderbare Weiſe in die Feſtung 
gelangt fei. Dieſer Kourier war Herr Bärfing. 

— Diejen werde ih über Bela befragen, — 
fagte Frau Lavay mißmuthig als fie den Na— 
men Bärfing’3 vernahm. — Dieſer Menſch lügt 
immer. Gr würde mir, um mich nur zu kränken, 
ganz gewiß jchauerlihe Dinge berichten: dag man. 
meinem Bela den Fuß weggeſchoſſen, dag man ihn. 
gefangen oder gar getödtet hat. 

Da kam ihr der Fisfal zu Hilfe. 

— Warten Sie, Tante, ih werde ihr 
auffuchen, mich kennt er nicht. Wenn ich ihn 
frage, wird er vielleicht die Wahrheit jagen. 

Der Stuhlriter Schloß fih dem Aner- 
bieten an; aud er wollte dabei jein, als testi- 
monium legale. | 

Kaum waren diefe Worte geiproden, als: 
die kleine vielmiffende Blum in die Hütte trat. 
Ihr Mann bekleidete noch immer fein Amt, nur 
um einen Grad höher, und mit einem unga- 
riihen Titel. Sie kam eigentlih, um Seraphine 
auf Nahmittag in ihre Keitungswohnung zur 


— 1% — 


Saufe zu bitten, bei welcher auh Herr Baärfing 
zugegen jein werde, und wo fie dann aus erjter 
Duelle die Wunderdinge, die geihehen find, erfah- 
ten Tünne. 

Auch Frau Laͤvay bat Seraphine zu gehen. 
Das Wetter jei ja jo angenehm, der Spaziergang 
über den Gombaer-Damm von den tödtlichen 
Sternihuppen, welche aud bei Tage fallen, ficher. 
Sogar Mama Holdvaͤry gab ihre Erlaubniß, nur 
hatte fie Furt, die Stadt fünnte unterdefjen er— 
obert; und Seraphine in der Feftung zu bleiben 
gezwungen jein; wie und duch wen könnte man 
Hr dann Weißwäſche nachjenden ? 

Man mußte Seraphine nicht lange zureden, 
ie jelbft Hatte große Luft, von Bärfing etwas 
ju hören. " 

Nachmittag kam die Blum abermal3 um 
Ihren Gaft abzuholen, die beiden Neffen, der Fis- 
tal und Stuhlrichter begleiteten fie; während fi) 
Ye alte Frau vor die Thüre der Hütte jeßte, 
um in der angenehmen Märzionne die Wieder- 
ihr der Ihrigen zu erwarten. 

Sie hatte nit lange zu warten. Die Leutz 
hen famen gar bald, und mit einer Eile, als 
würden fie verfolgt. Die beobachtende Mutter 
hatte an Seraphinens Geſicht die Aufregung all= 
fogleid, bemerkt, während die Herren Neffen ihre 
Niedergeihlagenheit niht zu verbergen mochten. 
Beide waren ſchlechte Komödianten geworden, 

13* 


— 1% — 


Die alte Frau Lavay ergriff haftig die 
Hand des Stuhlridters und frug: 

— Nun, was habt Ihr über Bela ge: 
DOLE 94 2, 

Der gute Mann mit dem runden Gefiht 
wurde feuerroth über dieſe Frage. Er kam in die 
größte DVerlegenheit, vermuthlich dachte er daran, 
daß es ihm al3 „testimonium legale* nicht zu- 
ftehe, etwas; zu jagen, von deſſen Gegentheil c 
überzeugt ift. 

— Was haben Sie von Bela gehört ? 
Sagen Sie es doh um Gotteswillen. 

Da übernahm der Fiskal die Beantwor- 
tung der Frage: ihm find ja Verdrehungen bon 
Amtswegen und diplomatiſch geftattet. 

— Bela lebt und ift geſund! liebe Tante. 

Die alte Frau wollte jedody mehr erfahren, 
und paßte migmuthig auf die farg gefpendeten Worte. 

— Mo ift er aber? ft ihm fein Unglüd 
widerfahren ? 

— Nein, o nein, Unglüd iſt ihm nicht 
widerfahren, — riefen beide Neffen, wie aus. einem 
Munde. Man konnte e8 ihrer Eile anjehen, daß 
fie etwas verheimlihen oder vertufhen und dem 
Geipräh eine andere Wendung geben wollen. 

— Wenn ihm alſo nichts widerfahren, 
warum ſprechen Sie nit mehr über ihn? Er wird 
wohl nichts Schändliches begangen haben, oder... 
feige geworden fein ? 


— 17 — 


Wie ergreifend war dieſe lekte Frage der 
alten Frau, welde jo für das Leben ihres Soh— 
nes zitterte, und nun mit aufflammendem Gefichte 
frug, ob er nicht feige geworden. 

Die beiden Neffen jahen fid) abermals ver= 
legen an, Feiner vermochte ſchnell genug die Frage 
zu beantworten. 

— Nun jo ſprechen Sie! .. Was bat die- 
jer Menſch über meinen Sohn erzählt ? 

Abermals "übernahm es der Herr Fistal, 
die Hauptfrage zu umgehen, indem er unter leb- 
haitem Achſelzucken ſprach: Bärling hätte feines- 
wegs gelagt, dab Bela al3 Soldat feige ges 
weien wäre... . Das Wort Soldat hatte er 
beionders betont. 

Die Augen der alten Frau füllten fid mit 
Thränen ; fie wußte, fie jah es offen, das man 
fie täufchen wollte. Seraphine erbarmte ic) ihrer, 
und plakte mit dem, was fie bisher zurückge— 
halten, heraus. 

— Eh! was ziehen wir mit der Gejchichte 
herum, meine Herren. Bärfing hatte Bela vor 
einer ganzen Gejellihaft verleumdet. Er jagte: 
Bela fei Verräther geworden. 

— Ras? Ein Verräther! . . 

Auch das war dazumal Mode, daß, wenn 
Zweie mit einander in Streit gerieihen, der Eine 
den Andern allſogleich einen Verräther ſchalt. 

— Ja, ja — fuhr Seraphine fort — 


— 18 — 


Bärfing hat erzählt, daß aud Bela zu Den 
jenigen gehöre, die mit dem Feinde einverftanden 


find, die fih immer nur zum Schein ſchlagen 


und neben ihren Tſchako's weiße Federn tragen, 
die nad) Srafentiteln jagen, und die radialen 
und republikaniſch gefinnten Dffiziere verfolgen. . 
Die Regierung hätte auch bereit einen Befehl 
erlafien, daß Diele Leute ihrer Porteépée's ver— 
luſtig erklärt und vor das Kriegsgericht geftellt 
werden Sollen. . . . Das erzählte Bärfing mit 
bunten Sluftrationen, und dag er's nit zum 
eriten Male erzählt, konnte ich daraus entnehmen, 
daß es die Anweienden bereit3 als alte Ge— 
Thihte Hinnahmen... Da Sie, meine Herren, 
niht den Muth hatten, Bela zu vertheidigen, 
war id) genöthigt, den faubern Herrn Bärfing 
zurechtzuweiſen: Hören Sie Bärfing — ſagte ich 
zu ihm — Sie lünnen Jemanden jehr ſchön an= 
Ihmärzen ; troßdem es aber gegenwärtig Nie- 
manden in dieſer Stadt gibt, der für Laͤbay 
Ahnen gegenübertreten möchte, jo rathe ih es 
Ahnen doch nidt, der alten Labay unter die 
Augen zu treten, denn wenn dieje erfährt, was 
Sie über ihren Sohn ſprechen, jo künnen Sie ſich 
auf ſichere Prügel gefaßt machen. ... 

Die alte Frau drückte die Hand Sera— 
phinen's. 

— Das war gut geſagt, mein Kind! und wahr 
gelagt!.. Mo befindet ſich jetzt dieſer Meufd) ? 





—— — — 2⸗ 


— 19 — 

Der Stuhlrichter erſchrack ſichtlich. 

— Was haben Sie mit ihm vor? 
Tante. 

— Was ? was? — ſtammelte die Alte, ihren 
abgetragenen ſeidenen Hut aufſetzend und ihren 
ſchleußigen Mantel aus grünem Merino haſtig um 
die Schultern werfend. ... Was ih mit ihm 
wil? — murmelte fie während des Ankleideng 
leiſe — Was ih mit ihm will... Erſchießen 
will ic ihn, den Schuft! — plaßte fie dann her— 
aus, während ihre Augen im beleidigten Mutter: 
ftolze unten jprühten, und ındem fie den alten 
Mantel auseinanderihlug, zeigte fie in deſſen 
Taſchen die Schäfte zweier Riftolen. 

Bevor die beiden Herren fi) von ihrer 
Ueberraſchung erholt hatten, war die bewunderns- 
werthe Frau jhon auf der Gaſſe und jchritt eilig 
der Stadt zu. _ 

Die Männer liefen der Krau nad, um 
fie zu beihwichtigen, dieſe mies fie zornig 
zurüd. 

— Gehen Ste und fhauen Sie nah, daß 
die Milch nicht überläuft. Wenn Sie nit 
Männer waren, wo es galt, Mann zu fein, 
werde ich dieſe Rolle übernehmen. Ich verlange 
nad Ihrer Hilfe nicht, werde den Menihen ſchon 
jelbft finden, über das Waſſer wird er nicht ge— 
flogen fein. 

Die beiden Männer blieben betroffen 


— — 


zurück. Die aufgeregte, laͤrmende Frau hatte 
bereits die Aufmerkſamkeit der Patrouillen auf 
fi gelenkt. 


Sie folgten der alten Frau aus der Ferne, 
hoffend, daß man ſie nach ſechs Uhr ohnehin 
nicht mehr in die Feſtung einlaſſen werde. 


Eines der abgebrannten Häuſer, welches vor 
den Belagerungsgeſchoſſen ſicher war, hatte man 
mit einem proviſoriſchen Dach verſehen und als 
Kaffeehaus eingerichtet. Dies war der einzige 
damalige Verſammlungsort ſowohl der Einwohner 
als der Eingewanderten. Die alte Frau eilte 
durch die dunklen, mit Trümmern: bedeckten Gaſſen 
gerade auf diefes Haus zur. n 

Ihre heimlihen Begleiter konnten fie gut 
jehen, mie fie in das Kaffeehaus trat. 

Die chriame bejahrte Dame, welche nod 
nie das Innere eines Kaffeehaujes gejehen, jtürzt 
ih in ein mit fremden Männern und Soldaten. 
angefülltes Lokal, um dort ihren Beleidiger her: 
auszufuhen und Genugthuung von ihm zu for= 
dern!.. Sonft würde ſie nit um alle Shäße 
der Welt auch nur einen Kaffee dort genommen 
haben. == 

Mitten in diefem großen Lärm und Tabaf- 
qualm, unter jo vielen fremden Gefihtern, würde 
auch ein Anderer ſich ſchwer zurecht finden. Frau 
Lavay braudte Zeit, bis fie einen Kellner in dene 


— 201 — 


Gewirre erhaſchen konnte, welder vierzehn Glaͤſer 
auf einer Taſſe balancirte. 

— Kennen Sie Herrn Bärfing ? 

— O ja! Gerade jegt ging er in's Spiel— 
zimmer!.., 

— Ich bitte Sie, mein Lieber, ihm zu ja= 
gen, dak Frau Labay Bier ſei; ... er möge fi 
heraus bemühen; wenn es ihm aber zu viel 
Mühe koſtet, werde ich zu ihm Hinein gehen. — 
Der Kellner that, wie ihm gejagt wurde. 

Nah einigen Minuten kehrte er fihernd zu 
Frau Laͤbay zurüd, welche ihn in einer Ede des 
Zimmers an der Mauer lehnend, erwartet hatte. 

— Ich mödte wohl bitten — ſagte er — 
ift Herr Bärfing niht Ihr Schuldner ? 

— Kein. Weshalb ? 

— Weil er, als ih ihm ſagte, Frau 
Lavay wünſche ihn zu Sprechen, alljogleih vom 
Tiſche jprang, und mid zu jagen beauftragte, 
er Sei Ihon in die Feftung gegangen, worauf er 
durch die Kleine Thüre davon lief. Ih glaube 
faum, daß Sie ihn nod einholen können. . 

Der Kellner und einige Ilmftehende lachten 
über den Scherz, während Frau Lavay fi ſchnell 
auf die Gaffe begab und in der Richtung, melde 
Barfing genommen haben mußte, davon eilte. 

Sie, die fie dreißig Jahre in der Stadt 
gewohnt, und nod nie die Richtung nad der 
Feſtung eingeihlagen, nie einen Soldaten ge— 


2 993 
ſprochen, joll es jegt in finfterer Nacht unterneh— 
men, in die Feſtung zu dringen. 

Als fie in die Allee kam, konnte man der 
Dunkelheit wegen die Leute, die da gingen und 
famen, faum mehr unteriheiden ; aber der ſcharfe 
Blid des Haffes ließ ihr die vothverbrämte Unis 
form Bärfing’3 dennoch erkennen. Sie ſah «es 
recht gut, wie er das Feitungsthor- paffirte, konnte 
ihn jedoch nicht mehr einholen. 

Als auch fie zum Thor gelangte, wurde fie 
von der Wache angehalten. 

— Mer dal. 

- — Eine Frau, und zwar eine alte. Ich 
will in die Feſtung. 

— Kann nicht mehr geihehen . . 

— 3 muß aber hinein. 

Sie ſprach diefe legten Worte mit einer ſolchen 
Entihloffenheit, daß ihr die Wade nicht wider- 
ftehen konnte, und den Eintritt unter dem Thor— 
gang gewährte: bier veriperrten ihr jedoch meh— 
tere Soldaten den Weg. 

— Wohin gehen Ste, — Iherzten diele, — 
wollen Ste vielleiht Soldat werden ? 

— Ich wünſche den Feitungsfommandanten 
zu ſprechen! — erwiederte die Alte, ſich ſchnell 
faſſend. 

Da trat ein Korporal vor, verneigte ſich 
ehrerbietig vor Frau Laͤvai und bat fie, ihm zu 
folgen, er werde fie zum Kommandanten geleiten, 


— 203 — 

Als fie zum Thore des Pavillons ge: 
langt waren, meinte der Sorporal, die Frau 
möge nun weiter fragen, denn er dürfe feinen 
Wachtpoſten nicht verlaffen. 

Die beiden Poſten jedoch, welhe beim Thore 
des Kommandanten ftanden, mußten fein Wort 
ungariih. Beide waren walachiſche Rekruten aus 
dem Biharer Komitat. Frau Laͤbay konnte fich 
ihnen durchaus nicht verftändlih machen. 

Da ſetzte fie fi auf die fteinerne Bank 
neben dem Thore, mit dem Entihluße, fo lange 
zu warten, bi3 Jemand fäme, der fie verfteht. 

Nah geraumer Zeit kam wirklich ein junger 
Offizier, welcher eine tritolore Schärpe trug. Die: 
fer frug fie verwundert, wie fie bieher fam, und 
‘was fie wünjce. 

— Ich bin die alte Laͤbay, und wünſche 
den Kommandanten zu ſprechen. 

— Allſogleich? 

— In dieſem Augenblick. 

— In einer wichtigen, in einer Landes⸗ 
angelegenheit? 

— In einer ſolchen. 

— Gut. Dann bitte ich Sie, mir zu folgen. 

Der junge Offizier führte fie mit argwöh— 
niihen Bliden, über große gepflafterte Höfe, 
durch lange ſpärlich erleuchtete Gänge, bis er 
endlih die Thüre eines von Tabakrauch erfüllten “ 
Zimmers öffnete, in welchem einige Gemeine auf 


en ONE. 


den Feldbetten herumlagen. Außer den Betten 
gab es im Zimmer nod einen Strohjtuhl und 
einen unangeftrihenen Tiſch. 

Der Dffizier ließ bier die Frau zurüd. 

Nah einigen Minuten fam er mit der 
furzen Meldung, daß der Koınmandant dringend 
zu thun habe. 

— Gut, — Sagte die alte Frau, — dann 
werde ih) warten, bis er fertig ift. Worauf fie 
fi) auf den zerriffenen Strohfeffel niederlieg und 
ihre Ellenbogen trogig entihloffen auf den ölbe- 
fleckten Tiſch ftemmte. 

Der Adjutant kehrte um, und warf zornig 
hinter ſich die Thüre zu. 

Nah einer Weile fam er abermals zurück. 

— Haben Sie eine jehr dringende Mit: 
theilung zu machen ? 

— Eine fo dringende, daß fie feine Mit: 
nute Auffcehub leidet. 

— ft fie aud) wichtig ? 

— Die widtigfte, die nur im Leben vor: 
fommen fann. 

— Wollen Sie mir dann folgen. Der Kom: 
mandant will jo freundlih fein, auf einige 
Augenblide feine inneren Gemädher zu ber: 
laflen. 

Der Dffizier tührte hierauf die Frau in 
ein zweites Zimmer, weldes ein wenig reiner, 


— 205 — 
aber eben Schr einfach eingerichtet war; man Jah 
3, daß es für Soldaten ift, mit denen man 
ſtehend ſpricht. 

Aus dem dritten Zimmer drang, während 
man die Thüre auf und zu machte, ein jehr laut 
geführtes Geſpräch. Bald darauf vernahm man 
Sporengellirt, und der Kommandant trat ein. 

Er war ein Mann mit freundlihem Ge— 
iht und Hatte eine jener Scharf geformten Najen, 
von denen Napoleon I. zu fagen pflegte, daß die 
Befiger derſelben Männer von unverbrüchlicher 
Treue jeien. | 

— Was wuünſchen Sie mir mitzutheilen, 
meine Dame, — frug der Kommandant, der ihm 
fremden rau nahe tretend. 

— Ich babe ein kurzes Wort an Sie zu 
tihten, Herr Kommandant — fagte die Alte in 
ruhigem Zone. — Heute langte einer ihrer Kouriere 
an, welder falihe Nachrichten verbreitet. 

— Zum Beijpiel? 

— Er jprengt aus, daß mein -Sohn, . 
welcher in der oberen Armee dient, cin Vers 
räther jei. Der Name meines Sohnes ift Bela 
Lavay. 

Der Kommandant begann ein wenig miß— 
muthig zu werden. 

— Aber, meine Dame, Sie haben ja ge: 
jagt, daß Sie mih in Landesangelegenheiten 

Iprehen wollen ? 


— 206 — 


— Mein Herr, ich glaube, daß die Sol- 
datenehre immer eine Landesangelegenheit ge= 
weten ift. 

Wie dieſe Worte auf die Lippen der alten, 
einfahen Frau kamen? Welch fremder Geift ihr 
diefelben zugeflüftert ? Das fonnte fie ſich ſelbft 
nie erflären. Es gibt außergewöhnlihe Lagen, in 
welhen ein Moment die Menſchen größer madt. 

Der Feltungsfommandant war felbft über: 
raſcht, und bat höflich die Frau, ſich zu ſetzen. 

— Ich danke, will nit ruhen, bis ich nicht 
vollzogen, weswegen ich gelommen. Ich bin eine 
ruhige, friedliebende Frau; komme nie aus mei= 
nem Hauſe; daß ich es jet gethan, daß ich in 
finfterer Nacht hieher, in die Feſtung fam: dar: 
aus fünnen Sie erſehen, welche furdtbare Belei- 
digung mir widerfahren mußte, die mid) zu die— 
jem Schritte zwang. 

Der Kommandant war ein Mann von gu— 
ter Erziehung, und wußte den Schmerz der alten 
Dame zu würdigen. 

— Gut — jagte er — ih werde die Sade 
gleih morgen unterfuhen laſſen. 

— D, mein Herr — ih kam nicht wegen 
einer Unterfuhung, wegen Dinge, die erft mor: 
gen geſchehen ſollen; was ich will, muß gleich 
geſchehen. | 

— Mus wünfhen Ste. alio eigentlid) ? 

— Was? Genugthunng wünſche ih. Fa 


— 207 — 


eine Genugthuung, wie man fie in unfern Tagen 
zu geben und zu nehmen pflegt. Ueber. eine folche 
Beleidigung Tann man nit erft Schlafen, 
um fie zu vergefjen. Der Verleumder ift in der 
Feſtung, id jah ihn hereinfommen, deshalb kam 
auch id zu Ihnen, mit der Bitte, Sie mögen 
ihn hieher beicheiden. 

— Nichts leichter al3 das, da er im Ne- 
benzimmer ift, Damit winkte er feinem Adjutan— 
ten, er möge Bärfing aus dem Zimmer rufen, 

Der eintretende Bärfing gab mit. allen 
moͤglichen Zeichen zu erfennen, daß er ſich Die 
Anweſenheit diefer Dame nicht erklären könne, 

— Mein Herr — frug der Kommandant, 
ih an den Eintretenden wendend — kennen Sie 
diefe Dame? 

— N... nein, ja, ih kenne fie. .... 
Was wünſcht diefe Dame ? 

Frau Lavbay trat an ihn heran. 

— Dieje Frau wünfht, Sie daran zu ver— 
hindern, dag Sie den guten Ruf ihres Sohnes 
vernichten. Sie beſchuldigen einen ihrer einftigen 
Freunde, einen gewiffen Bela Labay, des Ber: 
tathes. Das miffen Sie recht gut, daß man die- 
ſes Wort heutzutage ſehr leicht glaubt... Nach⸗ 
dem fih in der ganzen Stadt fein Einziger ge— 
funden, der gegen dieſe Verleumdung proteftirt 
hätte — denn es ift ja Niemand verpflichtet, das 
Gegentheil defien zu glauben, was man über Se: 


— 208 — 


manden jagt, — fo bin id genüthigt, mid) in 
eigener Perion zur VBertheidigung meines Sohnes 
Ihnen entgegenzuftellen. 

Bärfing wollte fih aus der Schlinge zie- 
ben und unterbrad) die Frau kurz. 

— Ich achte diefen Dit viel höher, als 
dag ih mich Bier in Zank einlaffen jollte. 

— Es iſt bier von feinem Zank die 
Rede, mein Herr, — antwortete Frau Lanay mit 
feften Tone. — Es handelt fi hier um etwas Mi- 
litäriihes, und das paßt gerade hieher. Gegen die 
Verleumdung gibt es jet nur eine Waffe: Ge— 
nugthuung mit der Waffe, und ic bin gefommen, 
eine jolhe von Ihnen zu fordern! ... 

Diefe Worte erregten allgemeines Laden. 
Die Szene ftreifte zu fehr ans Komiſche. Eine 
bejahrte, gebeugte Frau, mit ihrem antiken grü: _ 
nen Mantel, und den alten jeidvenen Hut auf dem 
greilen Haupte, fordert einen jungen, ftarken Dann 
zum Zweikampfe heraus. 

Doch mollte Frau Läavay den komiſchen 
Eindrud gar nit wahrnehmen, fondern zog ru: 
big ein weißes Sadtuh aus ihrer Taſche, welches 
fie dann an einem Zipfel fallend, der Länge nad 
herabhängen ließ. 

— Antworten Sie mir nit, mein Herr, daß 
ih eine Frau jet, und man fi mit Frauen nicht 
zu ſchlagen pflegt; auch der Hündin ift es erlaubt, 
ihre Zungen zu vertheidigen; — als Sie fid) der 


— 209 — 


Waffe der Weiber, des Tratſches bedienten, ent: 
agten Ste jenen Stolze, welder dem Marne 
den Vorzug über das Weib gibt . . . Antworten 
Sie mir au nicht, daß ich alt, und meine Au: 
gen ſchwach ſeien, daR ic) nicht zielen fünne . 
Hier, nehmen Sie das eine Ende dieſes Schnupf: 
tuches, das andere werde ich halten... . So 
fünnen wir auf einander Ihieken. 

Damit z0g fie die beiden Piftolen aus den 
Taſchen ihres grünen Merinomantels und legte 
dietelben auf den Tiſch. 

Die Männer ladhten nicht mehr. 

Die Matrone ſtrich hierauf Die jpärlichen 
grauen Haarloden, welde ſich auf ihre Stirne 
verirrt hatten, zurück und ftand mit der Erhaben: 
heit einer Märtyrin aus alten Zeiten vor den 
ftaunenden Männern, 

— Ich habe mit meinem Gott abgerechnet 
— ſprach fie dann in leidenjchaftslofem Tone, — 
Ich verſpreche mir nit mehr viel vom Leben; 
da ih Alles verloren habe. Mein Gatte if 
längit todt, mein Haus in Schutt und Aſche, 
mein Sohn in der weiten Welt, nur die Ehre 
blieb mir noch, dieſe gebe ih nit her. . . . Ste 
tonnen Ihr Piſtol an meine Bruft ſetzen, ich 
werde nicht zittern... Sch über... id) werde 
Sie nicht tüdten, da ich meine Seele mit der 
Schuld Ihres Todes nit belaften will; aber 
auf Ihre Füße werde ich zielen, und Diele lahnı 


Andere Zeiten andere Menſchen 14 





— 20 — 


Ihieken, damit Sie die Verleumdung meines Sohnes 
nicht im Lande herumtragen Fünnen. 

War die Matrone beim Beginne ihrer Rede 
ganz ein Mann, jo wırde fir am Schluffe der: 
jelben wieder vollfommen zum Werbe. AS fie 
Barfing damit gedroht hatte, ihm die Füge zu 
verſtümmeln, brach aus ihr der ganze weiblide 
Zorn hervor, und als fie eine der Biftolen in 
die Hand nahm, wirde man darauf geſchworen 
haben , dab fie ihre Drohung aud ausführen 
werde. 

Herr Bärſing befand ſich noch nie in einer 
ſolchen tragikomiſchen Situation. Mag es Scherz 
oder Ernft fein, jedenfalls war die Sade un— 
angenehm. Sein guter Geift flüfterte ihm aber 
im entfcheidenden Momente zu : leugne das 
Sanze ab... | 

— Aber, liche Tante, id) habe ja nie jo etwas 
über Bela geſprochen. 

Frau Lävday ſah ihn erftaunt an. 

— Sie haben meinen Bela nie einen Ber: 
räther genannt ?... 

— Nie in meinem Leben. Im Gegen: 
theil pries ih Ihn immer und überall als einen 
braven, begeiſterten Patrioten. 

— Die Herren haben es gehört ? Gut. Geben 
Sie mir das ſchriftlich. 

— Vom Herzen gerne. 


= au, —— 


Und Bärfing ergriff alliogleih die Feder 
auf dem Tiſche, tauchte dieſelbe haftig in das Tin- 
tenfaß, und 309 Papier hervor. 

— Ih werde Ihnen in die Feder diftiren, 
was Ste zu ſchreiben haben — fuhr die, alte 
grau Fort, indem fie ihre Mordgewehre in die 
Taſchen ihres Mantels ſchob. . . . „Ich .... 
hreiben Ste Ihren Namen) beſtätige, daß 
Bela Lavay em braver, ehrlicher Patriot und 
ein guter Soldat tft; Derjenige, welcher das Ge— 
gentheil zu behaupten wagt, iſt ein niederträd;: 
figer Lügner... .” 

— Herrn Burſing ſchien Dies doch ein 
wenig zu viel. .. 

— Gefällt es Ihnen nicht? — frug die Alte, 
in ihren Mantelſack langend. . . 

. „Ein nictswürdiger Verleumder‘! — So! 
Run wollen Sie Ihren Namen unterfertigen ; die 
Herren werden die Güte haben, die Urkunde als 
Zeugen zu unterſchreiben. 

Nachdem Dies geihehen, faltete ie die 
Schrift zuſammen, widelte diejelbe in ihr Sack— 
tuh und verbarg fie in ihrem Buſen. 

— Nun bin ich zufrieden geftellt. Entſchul— 
digen Sie, Herr Kommandant, die Ungelegenheit. 
Bas hier geihah, bleibt unter: uns, 

Der Kommandant drückte der alten Frau 
freundlich die Hand. 

14* 


— 22 — 

— Wenn Ihr Sohn aud „ein jolher Sol: 
dat“ it, dann beglückwünſche ich Ste und uns dazu. 

Daun gab er feinem Adjutanten die Wei: 
Jung, die Dame bis in ihre Wohnung zu geleiten. 
Er ſelbſt begleitete fie bis zur letzten Thüre. 

Herr Barjing wollte das Geſchehene als 
bloßen Scherz gelten laffen, indem er jagte: 

— Dieſe Frau ift verrückt, wir müſſen fie 
auf irgend eine Art uns vom Halle Ichaffen. 

Der Kommandant erwiederte dagegen, daß 
es väthlih wäre, wenn Herr Bärfing, die Dunkel⸗ 
heit der Naht benützend, nod in dieler Stunde 
auf gute Manier die Stadt verlaffen würde. . . 

Es war bereits ipäte Nacht, als Frau La 
vay in der gemeinihaftlihen Hütte anlangte, Die 
Ihrigen waren über ihr langes Ausbleiben in 
Verzweiflung. 

— Wowaren Sie ?! — riefen ihr Alle entgegen. 

— In der Feftung ! 

Man wollte ihren Worten kaum Glauben 
ſchenken. 

— Damit Sie mir glauben, leſen Sie hier. 

Hiebei zog ſie das zuſammengefaltete Papier 
aus dem Buſen und reichte es hin. 

Während nun die Uebrigen das charalteri⸗ 
ſtiſche Dokument laſen, ſetzte ſich die alte Frau 
an ihr Spinnrad, und begann bei dem Scheine 
eines dünnen Talglichtes ihren feinen Faden zu 
ſpinnen und ſang leiſe dabei den Pſalm: „Der 
Herr iſt meine feſte Burg.“ 


Andere Beiten 


andere Menden. 


Roman in vier Bänden. 


Bon 


Morig Iokai. 


. Zweiter Band. 
2. 


. 
Pe, 
Druckerei des „Athbenäum”, 
| 1869, 


Berlin. Berlag von Otto Janke. 


Summe ———— — — — — — — — — — — — — 


4 


Zweiter Band, 


— — — — 


Wozu ein Lahmer gut if? 


Die außerordentliben Zeiten haben alles 
Beitandene aus den Angeln gehoben. Wer fonft 
mit den Geihiden des Krieges, mit den großen 
Exrſchütterungen des politischen Lebens nichts zu 
thun hatte, mußte nun in der ungewohnten At: 
moiphäre leben. | 

Es war dies eine eigenthümlihe Atmo— 
ſphäre! den Einen zwang fie, den Wanderftab zu 
ergreifen, und ſich während eines einzigen Mo- 
notes in vier Städten anzufiedeln, um dann 
wieder weiter zu ziehen; — währenddem fie einen 
Adern jo an einen Ort feffelten, daß er fi 
nicht bewegen konnte. 
| Sie brachte Liebende zuſ ammen, verband 

und trennte fie ebenio ſchnell; die Braut wurde 
an einem Tage zur Witwe, und abermals zur 
Gattin. 
1% 


ie A 


Andere Liebende Herzen trennte fie wieder 
derart, daß jie nie, auch nur ein Sterbenswörtchen 
von einander hörten. 

Sie zeichnete den Menihen neue Lauf: 
bahnen vor: der Advofat wurde Auditor, der 
Richter Monturskommiſſär, der Arzt Chirurg, der 
Ingenieur Pionnier ; liederlihe Leute wurden re— 
habilitirt, glänzende Zelebritäten unter Die ver— 
geſſenen Menſchen gereiht. 

Wer hätte es gedacht, wer geglaubt, daß 
eine Fran, die man wie gewöhnlich nur bei ihrem 
Spinnroden traf, oder mit den heiligen Bude 
in der Hand, in ihrem Garten zwiſchen den 
Blumen, oder das blonde Haar ihres Söhnleins 
fümmend, auf der Gaſſe mit demüthig gelenktem 
Haupte, in der Kirche das thränende Auge him— 
melwärts gerichtet, daß diefe Frau im Stande 
fei, in dunkler Naht mit der Waffe in der Hand 
etwas zu erzwingen, was jelbft einem Manne zu 
erzwingen, jelten in den Sinn kommt. 

Das ſtack damals im Geifte der Zeit. 

Die Alte ſprach aber nie etwas über die 
Geſchichte, fie ſpann und wirthichaftete ruhig tır 
der gemeinichaftlihen Hütte, und hörte geduldig 
den Prahlereien Anderer zu. 

Hätte e3 einer der Augenzeugen nit er- 
zählt, jo würde vielleicht nod heute Niemand 
willen, wie die Geihihte zugegangen. 

Der- Neihe lernte entbehren, er konnte 


Be 

nicht zu feinen Einkünften gelangen ; Andere wieder 
gelangten zu jo viel Geld, daß fir es nit los 
ihlagen fonnten. 


Und erft wenn Jemand etwas Dringendes zu 
verrichten oder zu erfahren hatte, wie ging es da 
zu; wer einen Befehl ertheilte, gehörte einer ganz 
andern Welt an, als Derjenige, der ihn zu voll: 
ziehen hatte. Wenn einer mit feiner Angelegen- 
heit an den gehörigen Ort ging, fand er dort 
eine neue Behörde, die ihn nicht kennen wollte, 
ging er weiter, um ſich zu helfen, jo fonnte er 
ſierch ein, bei jeiner Rückkehr abermals eine an: 
dere Behörde zu finden, welde den neuen Stand— 
punkt nicht anerkannte. 


Suchte man einen Richter, den man unum: 
gänglich braudte, jo konnte man bald in Erfah: 
rung bringen, daß derfelbe ſich ungefähr in folder 
Nähe befinde, als wäre er bei den Antipoden. 
Ging man in ein Archiv, um ein Dokument zu 
tuhen, jo konnte man ficher fein, daß ſich dieſes 
Archiv, auf Wägen gepadt, auf der Reife - be= 
findet, dab es wandert von Drt zu Drt, daß «3 
vielleiht noch einzuholen ſei, vielleiht auch 
nicht. ... 


Herr Fertöy verfiel den Unanehmlichkeiten 
einer ſolchen bitteren Beſchäftigung, als er feine 
Hand nad der Erbihaft feiner Couſine Judith 
ausftreden wollte. 


— 6 — 


Die Frucht reifte für ihn, und doch konnte er 
ſie nicht pflüden. 

Ueber das Schickſal des Teſtamentes war 
niht3 zu erfahren. 

Sit es bei der großen Feuersbrunjt vers 
brannt, hat es Jemand gerettet, dies zu er- 
fahren war eine an die Unmöglichkeit grenzende 
Aufgabe. 

Fertöy konnte felbſt in die belagerte Stadt 
nicht hinein. 

Er hatte daher ſeinen Freund Baͤrſing be— 
wogen, ſich als Kourier in die Feftung Tenden zu 
laffen, und bei diejer Gelegenheit nah dem Te— 
jtamente zu ſuchen. 

Herr Bärfing betrieb zu dieler Zeit jenes 
räthielhafte Handwerk, weldes mit ſehr wenig 
Seräuih, aber mit umſomehr Erregungen und 
Abwechslungen verbunden iſt, und welches im 
Falle des Gelingens jehr gut bezahlt — wein 
e3 aber mißlingt, auf jehr kurzem Wege geahn- 
det wird. 

Es ijt ein altes Ariom der Kriegswiſſen— 
ſchaft, daß Derjenige der beſte Spion ſei, welcher 
beiden Parteien zugleich Dienſte leiſtet. Welche 
er dann beſſer bedient, bleibt ſein Geheimniß. 
Vielleicht bedient er Beide gut. Dies gilt im 
Krieg ſowie im Frieden. 

Herr Baͤrſing befaßte ſich außer den Landes— 
angelegenheiten auch mit Privatangelegenheiten. 


Sr 

Er diente gerne den Lieferanten mit den nöthte 
gen Ausfünften, und ging ihnen an Die vanı, 
natürlich) ‚gegen gute Perzente. 

Herr Buͤrſing mag über die Gefahren, ge: 
gen die er anzufämpfen hatte, um indie Feſtung zu 
gelangen, erzählt haben was er wollte, jo viel 
ſteht jedenfalls feft, daß ihm weder beim Kom— 
men, noch beim Gehen jemals ein Haar gekrümmt 
wurde. 

Mas er jedoh in der Teftamentsangelegen- 
beit in der verwüfteten Stadt erfahren konnte, 
batte für Fertöy wenig Tröftlides. 

Er fand zwar den alten Arhivar, welcher 
ebenfalls eine Marktbude auf der Zigeunerwiele 
bewohnte, was er jedoh von dieſem erfahren 
fonnte, war weniger beruhigend, als was er frü— 
ber wußte. 

Bei der großen Feuersbrunft hatte man 
einige wichtigere Dokumente jhnell in eine eiſerne 
Truhe gepadt und diejelbe verfiegelt einem jun— 
gen Komitatsbeamten übergeben. Dieſer hatte die 
Zrube auf einer Platte nad) Neßmély gebradt, 
von dort ging er während der Retirade weiter, 
und nahm die Truhe mit fich . . . Wo er danı 
dingelommen? ... Was er mit den Volumen: 
ten gemad) t? davon mußte Niemand. Möglid), 
daß er fi irgendwo unter einem falihen Namen 
verborgen, möglih, dak er mit den ungariiden 
Truppen berumzog, oder daß er, hart bedrängt, 


ee 


die eilerne Truhe zurüdließ und die Schriften in 
die Winde zerftreute, oder daß er diejelbe ver: 
graben, oder in die Donau geworfen hatte; es ift 
auch möglih, daß er fie noch immer behütet, es 
gehört aber auch nit zu den Unmöglichleiten, dag 
fih das Teſtament gar nicht unter den geretteten 
Schriften befindet. 

Dieje ungewiffe Nachricht war ſchlechter, als 
die ſchlechteſte Gewißheit. 

Denn wenn das Teſtament verbrannt wäre, 
ſo könnte fih ein kluger Menih noch helfen; 
wenn es aber vorhanden ijt, wie es aufzufinden ? 

Auf diefem Wege konnte daher Bärtıng 
jeine Forihungen niht mehr fortiegen ; denn 
wenn fih der Hüter des Dokumentes bei der 
Armee befand, konnte er ihm dahin nicht folgen. 
Er hatte gute Gründe, ſich von dieſer in hübjcher 
Schußweite zu halten. 

Einjt begegnete Bärfing in Debreczin einem 
alten Befannten, deſſen Namen er jedoch ver— 
geſſen hatte. 

Diejer war auch einer der Beiliger des, Ti— 
ches der öffentliden Meinung.“ | 

So wurde nämlid ein großer, runder Tiſch 
im Kaffeehauje der Herrengaffe genannt, an wel: 
chem fih alltäglich Morgens Redakteure, Kritiker, 
Advokaten, Aerzte und jonftige Zelebritäten einzu— 
finden : pflegten. An diefem Tiihe las Pußtafi 
feine zündendften Gedichte vor, welche niemals im 


* 


u 


Drude erihienen, hier wurde über Louis Blanc, 
Michelet, über die Vollsfouverainetät debattirt ; 
bier hielt“ ein junger Mann mit ſtark pochendem 
Herzen binreißende Reden; hieher famen Vize— 
geipäne, Reichstagsredner, Ipätere Minifter, ihren 
Imbiß einzunehmen; bier floß allabendlid eine 
Ichhafte Diskuffion über Klaſſizismus und Ro= 
mantik; von bier aus gingen Beifall und Ziſchen 
juerft gegen die Helden und Opfer der Bühne, 
dann der Rednertribüne und des Schlachtfeldes ; 
deshalb murde jenem runden Tiiche der vielia= 
gende Name: „Tiih der üffentlihen Meinung” 
beigelegt. Biel Tragikomiſches und Komiſches 
jener Zeit nahm jeinen Ausgang von dieſem 
Tiſche. 

Diejenigen, die ſich dort jeden Tag zu be— 
gegnen pflegten, kannten einander perſönlich ſehr 
wohl, ohne daß ſie gegenſeitig nach den Namen 
geforſcht haͤtten. Es bildete ſich mit der Zeit eine 
Art Kollegialität unter ihnen heraus. Die Theil- 
nehmer hielten die Verſammlung für eine ordent= 
ih konſtituirle Körperſchaft. 

Herr Bärfing machte hier die Bekanntſchaft 
eines Heinen, lahmen Fünglings, der an dem 
Diſche der öffentlihen Meinung ordentlihen Sig 
hatte, den die Uebrigen Doktor titulirten und für 
einen guten Zungen hielten, der ein fühner So— 
zialift war und außerdem, jo oft er Gelegenheit 
fand, den Hörern der Tafelrunde den Einfluß der 


— Ad. 


Chemie auf die ei eindringlid 
demonftrirte. 

Mir find Ddiefer Kleinen Figur Ihon zwei 
Mal begegnet ; ein Mal, al3 er an jenem denfwürz 
digen Tage Judith den NRegenihirm anbot, das 
zweite Mal, da er als Zeuge bei der Trauung 
Judith's und Bela’s anmelend war. Es iſt unſer 
Freund Melchior Glanz. 


Wir dürfen ihn in Wahrheit unfern Freund 
nennen, denn er tft ein mwaderer Junge. Eine 
gerade Seele in einem gebrochenen Körper. 


Wozu it im Leben ein frummer Menſch 
gut, den im zarten Alter die Amme fallen ließ 
und der nun wegen des einmaligen alles. Das 
ganze Leben hindurd hinten muß. 


Spielen andere Kinder, jo muß das lahme 
Kind ſeitwärts figen und dem Spiele zuſchauen, 
theilnehmen darf es nmiht daran. Wenn das 
junge Herz mädhtig poht im Sturm der Ge: 
fühle, wenn die Genoffen nahjagen der Liebe des 
Meibes, jo muß er zu Haufe figen; er wird nie 
mals Tänzer, niemals Herzensftürmer werden — 
er ilt lahın. Und eröffnet fih das Feld männ— 
liher Thaten, und jtreifen Arm und Derz des 
Mannes den Starrkrampf der Lethargie ab, da 
ftürmen die Uebrigen dem Rufe der Kriegspofaune 
nad, offen liegt vor ihnen der glänzende Pfad 
des Ruhmes; er aber muß zu Haufe bleiben, aus 


Ihm kann fein Krieger werden — denn fein Fuß 
iſt gelähmt. 

Kann man alio den lahmen Menihen durch— 
aus nicht benügen? Konnte die ftiefmütterliche 
Natur es nicht jo einrichten, daß ſie dasjenige, 
was jie den Küken vorenthält, duch das Gehirn 
eriegt ? Konnte fie ihm nicht Flügel, Flügel des 
Heftes verleihen ? 

Mar Tamerları nicht ebenfalls lahm, und 
fimpfte er nicht trogdem gegen eine ganze Melt ? 
Und was Byron niht lahm, und kämpfte ev nicht 
tropdem gegen die Götter jelbit ? 

Die Welt war aus den Angeln gehobeıt ; 
jder Menih kämpfte mit anderen Waffen, als 
worin er geübt war. Melchior fühlte ſich zu Au— 
fang des großen Jahres unſaͤglich verlaſſen, 
wenn er jeden Morgen ganz allein an dem „Xifche 
der öffentlichen Meinung“ ſaß und nur felten einen 
Nahbar fand, der ihm eher zum Gehen als zum 
Bleiben Anlaß gab. 

Seine einzige Freude bejtand darin, daß er 
jeden Nachmittag Judith beſuchte und ihr erzählte, 
was er in den Zeitungen las. 

Judith Hatte lange von Bela niht3 gehört. 
Das hatte jeine natürlihen Urſachen. 

Melchior jah, wie das ſchöne junge Geſicht 
täglich bleiher wurde. Eines le jagte er zu 
Judith : 


Fe, — 


— Geehrte Frau, Sie find krank, warım 
laſſen Sie ſich nicht heilen ? 

— Für mein Leiden gibt es feinen Balſam. 

— Aber ich weiß, daß es, und wo es einen 
gibt; ich werde ihn auch holen. Das Heilfraut 
für Sie wädit in Béla's Fußipuren. Ic 
gehe, um Bela aufzujuhen und bringe Ihnen 
Nachricht von ihm. 

Judith lächelte zu diefen Worten, und 
Meldior wäre für diefes Lächeln auch in den 
Mond gereift. 

Er ließ fih eine Krüde maden, die in= 
nerlich hohl war, und plöglih verſchwand er aus 
der Stadt. 

Nah Wochen kam er wieder zurüd. Wo 
er war, was er ausgerichtet — das ſagte er 
Niemanden. Sein ad) war die Augenheilkunde, 
und fo erzählte er, er habe Jemanden auf dem 
Lande den grauen Star gefloden. 

Judith war nun nit mehr fo blaß. Bon 
Bela erhielt fie nın auch Briefe, welde alle in 
der hohlen Krüde des Heinen Lahmen angelom- 
men waren. 

Herr Bärfing traf alſo an einem Tage mit 
Herrn Meldior Glanz auf dem hölzernen Trot- 
toit Debreczins zufammen. 

— Ab, guten Tag, Eitoyen, was bringt Sie 
bieher ? | 
| Melchior wollte fih nah einem flüchtigen 


we HE 


Gruffe losmachen; allein Herr Bärfing ergriff fo 
ſehr die Freude des Wiederiehens, dag er ihn 
niht davon ließ, fih an feinen Arm hing, und 
ihn überall hinbegleitete, wo er nur gehen wollte. 

— Ich bin nah Siebenbürgen zu einem 
großen Herrn gerufen — log Meldior — id 
tom bieher, um mir einen Paß zu verihaffen. 

— Den werde ih Ihnen ermitteln. Wie 
lange bleiben Ste dort ? 

— Bis id) vom Erfolge meiner Operation 
überzeugt jein werde. 

— Und gehen Sie von bier dann wieder 
nad) Peft? Wie ftcht es dort... ? Sprechen Sie. 

Melchior's kluges Auge hatte es ſchnell ein= 
geiehen, dag eine übertriebeng Zurüdhaltung nur 
Argwohn erweden würde, deshalb erzählte er mit 
großer Dffenheit allerlei Geſchichten, unter dem 
Siegel des Geheimniffes, welhe man theils in 
den Blättern leſen konnte, oder welche er ſoeben 
erit erdichtet hatte, 

Barling ließ ihm jo lange feine Ruhe, bis 
er ih von ihm in jeine Wohnung Ichleppen lie. 
Zu jener Zeit war es ohnehin ſchwer, in dem 
großen kalviniſchen Jeruſalem ein Nadhtquartier 
ju befommen, denn jedes Winfelhen war bereits 
überfüllt von berühmten Männern und ihren An— 
gehörigen. 

— Was millen Sie, Citoyen, von deıt 
Mitgliedern des „Ziihes der öffentlihen Mei- 


ae TE we 


nung ;* — von den guten alten Kameraden; wo 
ft Rußtafi? wo Lavay? wohin ift der Heine 
Stotternde gefommen ? 

Melchior erzählte, was er wußte, und aud) 
Mandes, was er nidt mußte. 

— Sie maren Ihon öfters Hier, nidt 
wahr? .. Gut, gut, ih weiß ſchon, das tft ein 
Geheimniß, werte es auch Niemandem berrathen. 
As ih Sie in Vet kennen lernte, gingen Sie 
noch ohne Krücke! ... 

— Mein Fußübel hat ſich ſeitdem ver: 
ihlimmert. 

— Ich meh und glaube es. Mit der 
Krüde iſt es leichter zu gehen. Dod, wie leicht 
dieſe Krücke ift, als wäre fie inwendig hohl. Mit 
einer ſolchen hohlen Krüde fünnte man Jeman— 
dem gute Dienfte leijten. Darin hätten verichie: 
dene Berihte und Landkarten Platz! Nicht wahr ? 


Ha ha hal... Ich weiß übrigens von Nichts 


und habe über Nichts geſprochen... 


Melchior lachte, wie Einer, deſſen Räthier 


man gelöft hatte. 

— Darin hat genug Pla. 

— Und Niemand kann auf das Geheim— 
niß kommen. 

Hierauf lachten Beide. 

Bärfing war über die Aufrichtigkeit ſeines 


u 1 2 


Saftes entzüdt, und machte din Vorſchlag, ein= 
ander zu dutzen. 

— Du bift ein großer Schelm. Du fteigjt 
niht nur in Stebenbürgen, fondern auch anders= 
wo herum. Warſt Du nod nicht bei der oberen 
Armee ? 

— D! wie oft Ion. 

— Haft Du dort niht einen Komitatsbe— 
amten gejehen, der mit einer großen, verjiegelten 
eiſernen Truhe der Armee nadhzieht ? 

Melchior dachte ein wenig nad, und ant— 
mortete, daß er ihn geiehen habe. 

— Könnteft mir einen großen Dienft er= 
weiien, Brüderhen. Wenn Du wieder hingehit und 
den Mann trifft, verſuche es, aus ihm heraus 
jubringen, ob unter den Schriften, welde beim 
Brande gerettet wurden, ſich niht etwa ein Te— 
fament befinde, welches ein gewiſſer Hargitay 
dort deponirt hatte ? 

Melchior gerieth über diefe Worte in. Zorn. 
Er kannte ja jeit lange ſchon das Geheimniß die- 
ſes Teftamentes, was jedoch Bärfing nicht ahnen 
Ionnte ... Mit der Freundihaft war es plüß: 
lich aus. 

— Mein Herr, geben Sie mir meine Krücke 
zurück. Dante Ihnen für's Quartier ; id) werde 
Ihnen zu feiner Intrigue die Hand bieten, melde 
gegen Lavay und deſſen Gattin gerichtet ift! . 

Nah diefen Worten entrig er feine Krüde 


sa 30 un 
den Händen Baͤrſing's und ließ ihn als Beute 
feiner eigenen Verwunderung zurüd. 

Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß man 
auch im Denken lejen fünne. 

Bärjing Jah dem davon etlenden Lahmen 
durchs Fenſter nad, und drohte ihm mit der 
Fauſt: Das ſollſt Du nod bereuen, 

Meldior verließ Debreczin noch an dem- 
jelben Abend. 

Es gilt: vor den alademiihen Gelehrten 
der Kriegswillenihaft als eines der wichtigſten 
Probleme, wie zwei an berihiedenen Punkten 
operirende befreundete Feldherren einander über die 
einem Dritten vorzubereitenden Ueberraihungen fid 
verftändigen fünnen. | 

Der menihlihe Geiſt hat Vieles in diejer 
Gattung erfunden, ohne fi erihöpit zu haben. 

Zamerlan ließ die Nachrichten, die er von 
einem Ende Aſien's nad) dem anderen endete, 
auf den glattrafirten Kopf des Boten ſchreiben; 
auf dem langen Wege wuchs dieſem das Haar 
und verdeckte die Schrift; an Ort und Stelle 
angekommen, wurde das Haar kurzgeſchnitten, und 
man konnte die Schrift leſen. — Ali Telepenti 
ſandte aus Janina feinen Bundesgenofien Nach— 
richten, welde er auf gejottene Eier mit chemiſcher 
Tinte geichrieben hatte. Von Außen war nichts 
fihtbar, als man jedoch Die harte "Schale zer: 


ae IM Un 


ihlug, war die Schrift auf der inneren Haut 
fihtbar. Auch ift es hiſtoriſche Thatſache, daß der 
zuffiihe General Sch. . . bei der Belagerung 
Siliſtria's zum damals jehr in der Mode gewe- 
fenen Erpediens der Klopfgeifter griff, un geheime 
Kriegsoperationen zu erfahren. 

Ein um jo größeres Berdienft ift es, ſolche 
Nahrihten pünktlih zu überbringen, je grö- 
Ber die Hinderniffe, je verwidelter die Situation 
und brennender die Gefahr it, durch welche ſich 
der Betreffende durchzuwinden hat, wenn über- 
haupt aud der Feind geihidt und wachſam iſt. 

Der beängftigendfte Fall ift, wenn die Nach— 
rıht gerade in die Hände des Feindes geräth! Da- 
rum pflegt man dafür zu forgen, daß jelbft in 
diefem Falle der Feind den Inhalt nicht verftehe. 

Die einfachſte Nahriht wäre freilich die 
wörtlihe, weil fie in der Zunge des Boten ver: 
borgen ift! Wie, wenn es aber diefer Zunge ein= 
fällt, zum VBerräther zu werden! Es gibt große 
Dinge, die man der Ehre eines Einzelnen nicht 
anvertrauen fann. 

Man benügt daher eine geheime Schrift hiezu. 

Es gibt verihiedene Gattungen von gehei- 
men Schriften, es gibt aber auch verichiedene 
Menihen, deren Aufgabe es tft, diefe Schriften 
leſen zu können; ſolche Leute find jehr geübt und 
ſchlau. Sie drehen und wenden die Worte jo 
lange, bis fie endlih den Schlüffel BE 


Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Band. 


eu IB: su 


Eine jede Sprade hat Heine, aus zwei, 
drei Buchſtaben beftehende Wörter, als da find 
‚und‘, „der“, „ja“ u. ſ. w.; nur eines Dieler 
allein ftehenden Wörtlein ift zu errathen, und 
man hat den Schlüflel. 

Es gibt aber aud) eine Gattung der Ge— 
heimſchrift, deren Schlüffel, troßdem daß er jehr 
einfach, nicht aufzufinden tft. 

Die Buchſtaben des A-B-E werden zweimal 
niedergeihrieben, in gleihen Zwiſchenräumen, auf 
zwei jeparate Papierftreifen. 

Das Wort, weldes den Schlüffel zu fol 
her Schrift gibt, wiffen nur ihrer Zwei, der Auf 
geber und der Empfänger, der Bote jelbit hat 
feine Idee davon, und geriethe er auch in Fein: 
des Hände, jo hat doc der Feind feinen Nutzen. 

Wenn man mın 3.8. das Wort Helion 
als Schlüffel gebraudt, und bei dem oben be- 
ihriebenen doppelten Alphabet anmendet, Tann 
man aus folgenden Buchſtaben: 

„nacut zb klbvlblznczju cbkixnoa* — den 
ungariihen Sat herausbringen: „Guyon, der 
neue Feſtungskommandant, it auf dem Wege“; 
ohne jenen Schlüffel bleibt aber das Ganze ein 
finnlojer Buchſtabenhaufe. 

An einem ſpäten Märzabende humpelte ein 
fimpler Bauernwagen in eine jener Ortſchaften, 


= 16: =; 


welche der weltberühmten Feſtung Komorn gegen= 
über am andern Ufer der Donau liegen. Dieje 
Drtihaft jtand unter jehr guter Sontrole. 


Ein erfahrener alter Douanier hatte die 
Reiſenden zu durchſuchen. Seine langjährige 
Uebung hatte ihn mit al’ jenen Schlihen und 
Kiffen bekannt gemacht, welche gewiſſe Leute zu 
gebrauchen pflegen, um bei Ueberſchreitung der 
Grenze die Augen der Behörde zu blenden. Pu— 
del mit Doppeltem Kell, deren oberes feine Spi— 
Gen birgt, Säuglinge aus Blech, worin man 
Spiritus ſchwärzt, Fälfer mit doppeltem Boden 
zum Transporte von Pulver, Stiefel mit Doppel- 
johlen, worin man Briefe verwahrt u. ſ. mw. find 
für unſern Douanier lauter längſt befannte Er: 
findungen, welde für ihn gar feinen Werth hat- 
ten; er durchkreuzte die Abfichten eines Jeden. 


Der erwähnte Bauernwagen hielt vor dem 
Paßviſirungsamte. Ein Kleiner, hinlender Mann 
Hetterte aus demielben, welder mit großem Selbit- 
vertrauen fid der Durchſuchung unterwarf; nur 
ihien er auf feine Ihmwarzladirte Krüde befonders 
eiferfüchtig zu fein. 

Der Douanier durchſuchte den Reiſeſack, 
und fand nichts Verdächhtiges. Der Reijende aber 
fehrte mit raſcher Bereitwilligfeit feine Säde her— 
aus, übergab jeine Brieftaihe und hatte wäh 
tenddem feinen Krückenſtock an einen Stuhl gelehnt. 


2% 


ze. 96; u 


Den Augen des Douaniers begann Diele 
Krücke ſehr zu gefallen. 

Er nahm fie in die Hand, und lächelte ftill 
dabei. 

— Leicht, jehr leiht . . . als wäre es in— 
wendig hohl! ... 

Bei diejen Worten blidte er durch feine 
Brillen ſcharf in die Augen des Reiſenden. 

Der Reiſende war Melchior. 

Er antwortete ruhig: 

— a, die Krüde ift inwendig hohl... 

— Zu melden Zwede iſt fie ausgehöhlt 
worden? — frug der Douanter mit graufamen 
Seitenblide auf Meldior. 

Dieler näherte fi) ihm und flüfterte leiſe: 

— Nicht jo laut, mein Herr, ih halte mein 
Geld darin. Denn wer mid) immer auf dem Mege 
ausrauben möchte, jo würde er mir doch meine 
Krücke laſſen. 

Der Douanier lachte über den Einfall. 

— Der Stock iſt wohl zum Auseinander— 
ſchrauben? 

— O ja. Wenn man oben die Krücken— 
lehne und unten die Meſſingkapſel herabſchraubt, 
ſo legt ſich das Ganze wie ein Etui auseinander. 

— Wollen Sie jo gefällig ſein, es mir zu 
zeigen ? 

Melchior war alliogleih bereit und legte 





an. DL > a 
den Stof auseinander; es fielen zehn Stüd Hun— 
derter-Noten heraus, ſonſt nichts. 

Die Hunderter waren alle ſchön neu und 
nur wenig zerdrüdt. 

Der Douanier fagte mit großer Bonhomie, 
dab es ein guter Gedanke jei, das Geld im 
Stode zu verbergen; er machte fi übrigens an- 
bötig, Die zehn Stück Hunderter bei der Haupt— 
kafſa auf einen Tauſender einzuwechleln, dann werde 
das Geld nod) leiter zu verbergen jein. 

Meldior dankte und ging den Bor: 
ihlag ein. 

Die Hunderter waren dem Douanier ver— 
dächtig. 

Nicht als wären ſie falſch, ſondern es 
könnte etwas auf deren Rückſeite geſchrieben ſein, 
denn manches Papier, das ganz weiß zu ſein 
ſcheint, verbirgt eine Schrift, die über Leben und 
Tod entiheidet, die Buchſtaben kommen und ver— 
ihminden wie auf einen Zauberichlag. 

Es gibt jedoch erfahrene Männer, die mit 
ihren chemiſchen Reagentien jelbjt dem leeren 
Blatte jein Geheimniß eitreißen. 

Melchior wurde bedeutet, er möge im Gajt- 
hauſe warten, bis man jeine Hunderter gewechſelt. 
Es ſei übrigens ohnedies ſchon zu ſpät, um einen 
Vorſpann zu bekommen. 

Mekchior ging auch auf dieſes ein und ließ 


fih im Hafthauje ein Zimmer geben. Wenn er 
aus diefem Zimmer durch's Fenſter auf die Gafle 
oder dur die Thüre auf den Gang binausblicte, 
To Eonnte er bier und dort Finanzwächter in grauen 
Mänteln gewahren, die vielleicht zu ihrer eigenen 
Unterhaltung auf und ab gingen. 

Diefe Leute fümmerten unjern Meldior gar 
nichts. Er konnte ja ruhig fein. Auf dem Rüden 
der Hunderter ftand nichts geihrieben, jomit konnten 
fie auch nicht verdächtigt werden. 

Mo hat er aber dann die ihm übergebenen 
Nachrichten Hingethan ? 

Er hat fie im Gehirn aufbewahrt, indem 
er jie auswendig lernte. 

Einen ganzen dichtgeihriebenen Brief, be— 
ftehend aus folden Worten: „nacut zle klobl- 
blzn-erjn ebkix noa‘ hatte er einftubirt und 
nit einen Buchſtaben davon ausgelafien. Dann 
verbrannte er den Brief. 

Dies war feine Heine Arbeit. 

Mir haben jedoch bereits erwähnt, daß die 
Natur dem Lahmen im Kopfe das eriekt hatte, 
was fie ihm am Fuße nahın.... 

Das Nahtmahl wollte Meldior im gemein: 
Ihaftlihen Speiiefaale nehmen. Kaum konnte er 
Plat bekommen, der Saal war voll mit meiſtens 
bewaffneten Gäften. Mit harter Mühe hatte man 
ihm Plag gemacht. 

Mit den Nahtmahl ging es jehr knapp ber. 


Früher angelommene Säfte, mit vortrefflidem Ap- 
petit, hatten alles Eßbare aufgezehrt.&s war nur 
noch die Wahl zwischen Brod und Käfe. 

— Haben Sie meder Hühner, noch Gänſe, 
oder ſonſtiges Geflügel im Haufe? — frug Mel: 
chior den fid fortwährend entihuldigenden Wirth. 

— Was man in der Frühe bringt, das 
geht bis zum Abend auf. ES bleibt uns nichts 
am Halle. 

— Tauben haben Sie aud nit? 

— Tauben? — jagte der Wirth, den Fra— 
genden ſcharf betrachtend, — aud) Dieje find ſchon 
alle aufgegangen. Keine einzige mehr am Boden 

— Und dod) jehe ich in jenem Käfig, dort 
an der Wand, deren gegen ſechs Stüd. 

— Ad, Herr, das find theure Tauben mit 
Pfauenſchwanz; jehen Sie? Ih halte fie nur 
der Rarität wegen im Zimmer, 

— Vielleiht „Lünnen fie ſogar ſprechen ?“ 

Auf diefes Wort lüftete der Wirth feine 
Mütze und jagte: 

— Ich würde feine billiger als um zehn 
Gulden geben. 

— Ich aber gebe die zehn Gulden, denn 
mid) Hunger. Zum Henker, ih muß Braten 
haben ! 

Die übrigen Gäfte lahten darüber, fanden 
e3 aber Schließlich doch nit für gar jo ſonderbar. 


=. Si = 

Es zab unter ihnen Manden, der während des 
Feldzuges zehn Gulden für eine Schüfſel Kuku- 
ruzbrei gab. Hungrige Leute zahlen gut. 

Der Wirth hielt die flahe Hand Hin, um 
das Geld in Empfang zu nehmen. 

Melchior aber nahm aus feiner Börje eine 
Zehn-Gulden-Note und reidhte fie ihm hin. 

Auf die Reversjeite diejer Note war die ganze 
Nachricht mit Heinen Buchſtaben, die mit feinem 
Bleiftifte geichrieben waren, verzeichnet, 

Melhior halte fie während der Zeit ges 
Ihrieben, Die er zum Waſchen benützen jollte. 

Der Wirth nahm ſogleich eine der Tauben 
aus dem Schlage, und zwar eine der fchünften, 
mit ſchillernden Federn, fächerartigem Pfauenſchweif, 
ſchneeweißen Flügeln und ſchönem, flugem und 
ihlanfen Kopfe. Wie ichade, dieſe Taube zu 
tödten, 

— Wird dieſe gut fein? — frug er Melchior. 

— Nur raid), denn der hungrige Magen 
vertreibt alle Sentimentalität. 

Der Wirth trug darauf die Taube in die 
Küche ; dort band er im Dunkeln die erhaltene 
Banknote mitteljt einer feinen Schnur der Taube 
unter die Flügel, dann ftreihelte er fie, liebkofte 
fie und hielt fie zum Fenſter hinaus, 

Die Taube hob den Kopf in die Höhe, 
ſchlug einigemale wie verjuchsweile mit den Flügeln 
ihmang fi hierauf raid) empor und ſchoß dann 


a 
pfeilfchnell über den Strom den verjtümmelten 
Stadtthürmen zu. 

Der Wirth ſchaute ihr nad, jo lange erjie 
im Auge behalten fonnte, dann ftieg er vom 
Balken herab, holte eine andere Taube und lieh 
fie braten; als fie zubereitet war, ſetzte er fie 
Meldior vor. 

Seht wußten aber bereit3 alle Anmwejenden 
um den Spaß, daß nämlih die Taube ausge- 
tauſcht wurde. 

Dem Wirth wurde die Sade unangenehm, 
und er beſchloß, die Leute irre zu führen. Wie 
in einer Anwandlung von Großmuth nahın er 
eine Zehn-Gulden-Note aus der Taſche, reichte 
fie Melchior hin und fagte: 

— Damit der Herr nit glaube, dag man 
in diefem Wirthshauje betrogen wird, To möge 
der Herr wiſſen, dab ich nicht die Taube mit dem 
Pfauenſchweif gebraten habe, jondern eine an— 
dere, Die nur zwei Zwanziger fojtet; hier find 
Shre zehn Gulden. 

Jedermann war von der Gewiſſenhaftig— 
feit des Wirthes Hingeriffen. Melchior reichte ihm 
die Hand, die Jener herzlid) drüdte. 

— Die Taube, die „ſprechen kann“, ift 
aljo gut aufgehoben? — fragte Meldyior mit be= 
ſonderem Nachdruck. 

— Ja wohl Herr, ſie iſt gut aufgehoben, — 
verſicherte der Wirth. 


a I 

Melhior verblieb noh eine Weile in der 
Stube, begab fih danı auf fein Zimmer und 
ging zu Bette. 

Zeitih Morgens ſuchte ihn der Zoll: 
fommifjär auf und gab ihm lächelnd die tau— 
jend Gulden zurüd. 

— Gie fünnen weiter reiten, mein Herr, 
es iſt Alles in befter Drdnung. 

— 63 freut mid, — entgegnete Meldior. 

Er wußte, weshalb er fi) eigentlich freute, 


Ein „altes Haus“. 


Mir ift’?, als wär! ich ein Taucher, der 
auf dem Meeresgrunde fi) bewegt, dort oben 
tobt vielleiht der Sturm; Himmel und Meer 
umarmen einander, und märhenhaft riefige Un— 
gethüme schlagen mit ihren Fittigen auf einan— 
der 103; vielleiht mengt aud eine menschliche 
Stimme ſich in des Sturmes Braufen ; Kanonen= 
donner, das Krachen zertrümmerter Maftbäume 
und geicheitertev Galeeren, der Todeschor der 
Mannihaft untergehender Schiffe? ... Bier 
unten ift Alles till; der Taucher jammelt die 
Nufheln, worin die Perlen wachen; er wandelt 
jwiihen den Thierpflanzen des Meergrundes, und 
erit, wenn er im Walde rother Korallen einen 
jerbrohenen Anker, eine im Moos verjenfte Ka— 
none findet, oder einen Todten, deſſen Züge ihm 
befannt vorkommen, erjt dann denkt er an das, 
was über ihm vorgeht, und bis er wieder an die 
Oberflähe taucht, um friihe Luft einzuathmen, 





2 DR m 


hat der Sturm vielleiht ausgetobt und iſt wie= 
der Alles glatt und ruhig. Der fieghafte Sturm 
ift weiter gezogen, das befiegte Meer hat fich 
beruhigt — was zertrümmert wurde, iſt unter= 
gegangen . . 

Wieder befinden wir uns in der eingeäſcher— 
ten Stadt; jegt aber jehen wir die Ruinen nicht 
mehr, denn Frühling iſt's und die Bäume ftehen 
voll Blüthen. 

Jedes Haus ift mit Härten und Bäumen 
umgeben; ein weißer und rofiger Blumenwald 
verhüllt die rufligen Balken, und auf den Mauern 
Iprießt grünes Gras. 

Und als ob die Pracht, melde die Natur 
ausgegofien, nicht genügen würde, jind die gebor= 
jtenen Mauern noch mit Fahnen und Maibäumen 
ausgeſchmückt; dieſesmal waren es die Freuden 
zeichen wiederlehrenden Schaffens, nachdem die 
Zerſtörungswuth vorübergetobt. 

Die ganze Stadt bildet einen Garten; die 
Straßen find durch Bomben aufgeadert und mit 
Eifeniplittern bejäet; die offenen Plätze find mit 
grünender Haferfaat bededt. 

Auf einem der Hauptpläge ftand ein alter 
Alazienbaum; eine Bombe jpaltete ihn entzwei 
und bohrte fih in denjelben ein. Der Baum 
trieb trogdem Blüten, und Jemand hat gerade 
in die Deffnung der eingeleilten Bombe die Stange 
der Trikolore gejtedt. 


— DU 


Die Kinder Eletterten auf die blühenden 
Bäume und die rufligen Mauern, dort jubelten 
und fangen fie. 

Ein einziger Thurm blieb wie duch ein 
Wunder verihont ; die Kirche aber war abge= 
brannt, und es foftete viele Mühe, in den Gloden- 
thurm zu gelangen; gleihwohl wurde jeit frühem 
Morgen zum Fefte geläutet — aber vielleiht war 
es nicht einmal ein Feittag. 

In den Straßen mogte die Volksmenge, 
wie am Srohnleihnamstage, und alle Welt kannte 
einander, und Niemand hatte eine lage oder 
Beihmerde, und fragte man Einen: „Was 
Neues?“ jo war die Antwort: „Sehr gut“. 

Das war der Tag, an welchem die Entſatz— 
armee ihren Einzug hielt. Wer vermöchte aber 
Zraumgefihte treu wieder zu geben? Der erite 
Reiter, der über die Brüde jprengte, wurde mit 
einem Wegen von Blumenfränzen überſchüttet. 
Dann die Mufitbande, welde die ſeit Langem 
unterdrüdte, im Geheimen gejungene Weile 
ipielte ; die Soldaten, die bei Trommelwirbel mit 
glänzenden, freudeftrahlenden Gefichtern, aber 
zerriffenen Kleidern die Ruinen entlang marſchir— 
ten ; die Freude der Väter, Mütter, Geſchwiſter 
und Geliebten, die ihre Theueren wieder erfen- 
nen; das jelbjtvergefiene Toben und Jauchzen, 


J 


das von jeder Mauer herabtönt; das Bild, wel— 
ches die gebräunten Geſichter, die Bekannten, die 
fid) unter die Truppe gemengt; die Damen, welche 
die Fußſpuren der Soldaten füffen, die Mädchen, 
die fih vor die Roffe werfen — wer fann dieſes 
Bild beihreiıben ? E3 führt zum Wahnfinn. 


Eine andere Feder, eine andere Hand, ein 
anderer Geift, eine andere Luft iſt nöthig, "um 
dies verjtändlih zu machen. 


Alter Schmerz ermahnt meine Hand, fieber- 
hafter Schwindel meinen Kopf, die Sorgen lan 
ger Jahre ermahnen mein Herz, und langjährige 
Erfahrungen meine Feder, ruhig zu Ichreiben, 
denn aufregende Sahen taugen nit für den 
franfen Mann. 

Fort daher mit dem aufregenden Bilde ; es 
ift ohnehin ſchon längft vorüber. 

Fern von dem Lärm der Hauptitraßen, in 
jenem Winfel der Stadt, welchen das Feuer nicht 
eingeäihert, ftand zu jener Zeit ein Haus von 
alterthümliher Bauart. Es wurde zu Zeiten des 
franzöfiihen Krieges erbaut. Die Fenfter find mit 
eifernen Gittern verjehen, und die Vorhänge find 
herabgelaſſen. An dem Thore ift das Zeichen 
der Salve guardia faum mehr fihtbar. Zu bei- 
den Seiten des Haufes waren Gärten angelegt, 
deren Obftbäume ihre dürren verftümmelten Aefte 
über die Umzäunung binausftreden. 





= IE 


Diefes Haus gehört dem alten Major 
# 
Kolbay. 


Der Alte iſt noch immer das „alte Haus.“ 
Sein Haus ſchmückt keine Fahne; wenn auch Alles 
fh zum Fliegen anſchickt, jo ſteckt doch aus ſei— 
nem Haufe fein Menſch den Kopf auf die Straße ; 
die Fenſter jeines Hauses find nicht geöffnet ; nicht 
einmal von den Bäumen feines Gartens fielen 
Blumenblätter auf die Straße, als der Zug vor: 
überging. Thor und Fenſter blieben geichloffen. 

Diejes Haus brannte nit ab, und Kolbay 
entfernte ſich nicht daraus während der ganzen 
Dauer der Belagerung. 


Seine Nahbarn verließen ſämmtlich ihre 
Häufer, Denn am meiften war diejer Theil von 
den Bomben bedroht; er jelber befam feinen 
Dienitboten, der die Schrednifje des dortigen 
Aufenthaltes hätte ertragen fünnen, dennod) ver- 
ließ er nit das Haus, 

Vierzehn Bomben fielen in Hof und Garten ; 
feine einzige zündete, fie richteten nur an den 
Bäumen Schaden an. Wer fih manchmal dahin 
berirrte, fonnte jehen, wie der Alte die bon den 
Bomben verlegten Baumzweige abjägte und die 
Wunden mit Lehm verflebte. 

Einige jeiner alten Freunde beſuchten ihn, 
um ihn zu bewegen, daß er da? Hars verlafie 
und in die Feſtung ziehe, 


ir 339. Ze 


Diefe fanden ihn zur Nachtzeit am Fenjter, 
wie er mit großem Gntzüden Die feurigen Ge— 
ſchoſſe betrachtete. 

„Sie Schießen herrlih“, pflegte er dann zu 
feinen Bekannten am Fenſter zu jagen. 

Wenn eine Bombe oben in der Luft plaßte, 
jo machte er die Leute aufmerfjam, fih auf die 
andere Seite zu ftellen, weil die Splitter nad 
allen Richtungen hin flogen; er ſelbſt aber ent- 
fernte fih nicht vom Kenfter. 

Brachte dann Jemand vor, dab es denn 
doch gut wäre, wenn er das alte Eulenneft ver: 
ließe, dann unterbah er ihn vajch mit den Wor— 
ten: „Die Kriegswiſſenſchaft ift eine ſchöne Wij- 
ſenſchaft.“ 

Darauf ſchlug er den Belannten das Fen— 
fter vor der Nafe zu, ließ die Vorhänge herab, 
und ftand um feinen Preis mehr Rede. 

So durdlebte der Menſch ver alten Zeit 
die Vorgänge der neueren Zeit. 

Als fih der Lärm des Einzuges gelegt, 
näherte fi) dom Feſtungsrayon her ein junges 
Paar dem verihloffenen Haufe: eine fchüne, 
junge Dame am Arme eines hübſchen Offiziers. 
Die Dame flammerte fih mit beiden Händen an 
den Arm ihres Begleiters und ſchien ebenio zu 
flattern, wie das leichte Tuch, welches der Dffi- 
zier am rechten Arme trug. Es war hei — 
drinnen und draußen. 


ie 8 


Als fie dor das Kolbay'ihe Haus gelang: 
ten, legte die junge Dame ihre zarten Finger auf 
die Lippen, womit jie-ihrem Begleiter Schweigen 
gebot, und jhaute dann durch die große Spalte, 
welche am Thore gähnte, in den Hof; nad einer 
Meile langte fie nah dem Klopfer und Elopite 
ſtark an das Thor. 

Sie mußte jedoh noch zwei Mal klopfen 
und zwei Mal Hineinipähen, bis drinnen eine 
mürriſche heilere Stimme frug: „Na, wer ift's, 
was will man?“ 

— Ich bin es, — ſagte die Dame mit 
wohlklingender neckiſcher Stimme, — ich bin cs, 
Seraphine! 

— Das ift was Anderes — brummte 
drinnen etwas bejänftigter der zahnloſe Löwe, 
und bald hörte man feinen ſchweren, ſchleppenden 
Tritt und das Kreiihen des Schlüffel3 im roftigen 
Schloſſe. As das junge Paar durch die ge— 
öffnete Thüre verihwand, fiel diefelbe von felbit 
zu; Kolbay hatte jih das ſchon jo eingerichtet. 

Der alte Invalide betrachtete jih Den 
jungen Dffizier, weldyer in feinem rothbeihnürten 
braunen Attila mit goldenem Kragen, worauf die 
Abzeichen eines Oberſten angebracht waren, vor 
ihm fand. 

— Ich habe die Ehre, meinen Bräutigant 
vorzuftellen, — jagte Seraphine furz und bündig 
und ſchmiegte fi) dem fteifen alten Herrn näher an. 

Andere Zeiten, andere Menihen. IL. Band. 3 


— — 


— Ich bitte, id) bitte .. ſprach dieſer abs 
wehrend ... . berühren Ste meine Schulter nicht, 
verurfaht mir Schmerzen... Auch meine Hand 
nit, Ihmerzt mich aud. . Sie willen ja, daß 
mir alle Glieder wehe thun. Sind alte Wunden, 
die ich bei Vertheidigung des Königs und de3, 
Baterlandes erhalten. Diele Wunden, breden auf 
überhaupt zu „ſolcher Zeit“... . im Frübjahre. 

— Erkennen Sie ihn niht? — frug Sera: 
phine mit ſchelmiſchem Lächeln, den jungen Dann 
näher an den Alten ziehend. 

Diefer ſtemmte fein Sinn auf die hohe, 
härene Kravatte und antwortete mit trodener 
Kürze: 

— Habe niht die Ehre. 

— Ich bin Robert Zeleji, — ſagte nun der 
Dffizier jelbit, mit feiner bekannten Freundlichkeit. 

— Habe nit die Ehre gehabt. 

Hier war es erjihtlih, das die Bekannt— 
ihaft nit zu forgiren jei, denn wenn man die 
Converſation noch weiter führen jollte, jo könnte 
die dritte Antwort vermuthlih jo lauten: „Ic 
will nicht die Ehre haben“. 

— Ich bin mit einer jehr wichtigen Bitte 
zu Shnen gefommen. 

— Zu mir ? — rief der Alte verwundert mit 
einer Bitte? Mein liebes, ſchönes Goufinden ? 
Welch' Wunder! .. Womit fünnte id altes, 
mürriihes Haus Jemandem dienen? überhaupt 


—— 
bei jetziger Zeit, und noch dazu einem ſchönen Mäd— 
hen, das einen Oberjten zum Bräutigam hat? .. . 
Wer würde von mir etwas verlangen? . . Bitte 
hinein zu ipazieren, dort fünnen wir uns nieder: 
ſetzen. .. Nun hören wir, was ih für die 
allerihönfte Seraphine thun kann? Bitte mein 
Herr, bier ift die Thüre. . . 

Robert hätte dem alten Herrn gut jagen 
können: „Was wollen Sie, id fenne ja dieſe 
Thürme. Bin ih nicht Jahre lang hier aus= und 
eingegangen, habe ich nicht täglid hier meine 
Schachpartie geipielt ?* — Er ſchwieg jedoch, da 
ih der Alte jo froftig gegen ihn benahm, als 
jähen jie fid) das erfte Mal; er war höflich, aber 
falt, und dieſe Kälte hatte etwas Galliges 
an fid). 

— Bitte Pla zu nehmen, — jagte Herr 
Kolbay auf einen wadeligen Divan deutend. — 
Mein Hausweien ift in Unordnung, bin allein, 
muß jelbjt bedienen und aufwarten; dem Vienſt— 
boten gefiel e8 bei mir nicht. . . . Nun Sera: 
phine, jhönftes Kind der Stadt, rüden Sie heraus, 
womit ihnen das älteſte und einfältigfte Haus 
der Welt dienen fann, jenes „alte Haus“, weldes 
verrüdt genug war, fi nicht begraben zu laſſen, 
als es wahrnahm, daR es ſchon in Trümmer 
gegangen. 

— Alſo, lieber Dnfel, ih wollte Sie bitten, 
mein Beiftand zu fein. 


“7e 
«) * 


u DB. ae 


— Ach, ad, es gibt alio eine Hochzeit! 
Man wird tanzen, eine Menge Gäſte empfangen, 
Gäſte nach der neuejten Mode zugeftugt; .. nun 
da braucht man auch eine alte Perrüde, über 
welhe man lachen fann,; Einen, der Dummes 
Zeug ſchwatzt, wenn er Vernünftiges reden wollte, 
und der fid) taub ftellen kann, wenn er abgekocht 
wird, und feine Revanche zu nehmen vermag... 
Alſo zu einer Unterhaltung laden Sie mid), mein 
Täubchen, .. . nicht wahr? Sie Ihönftes Feen: 
fräulein unter der Sonne. ... 

— Ich lade Ste nicht zur Unterhaltung, 
lieber Onkel, wir haben jegt weder Zeit, nod) 
Plag dazu. Das Ganze wird in einer furzen 
Zeremonie bejtehen. Sie, lieber Onkel, müfjen 
unjere Yamilie vertreten, denn meine Mutter ift 
frank, und die übrigen Verwandten find nicht zu 
finden, 

— Die Dame ift alfo nod immer frank ? 

— Sie willen es ja, Onkel, woran fie lei- 
det, — ſagte Seraphine etwas trauriger. 

— a, ja. Das große Unglüd hatte fie 
ſtark angegriffen, verwirrt gemacht. Ging ihr 
ſtark an die Seele. Sie fürdtet fih und zittert 
in einem fort und getraut ſich niht aus dem 
Winkel zu kriechen! .. 

— Im Gegentheil. Seit dem Entjage der 
Feſtung iſt fie ganz anders geworden; jegt finnt 
fie nur auf Mord und Berjtörung. Gegen Robert 


BE — 


hat fie ſich erklärt, in unſere Vermählung fo 
lange nicht willigen zu wollen, bi er ihr nicht 
einen Sonnenihirm verihafft, deilen Griff aus 
dem Schlüffelbeine eines getüdteten berühmten 
feindlihen Feldherrn verfertigt jei. Die gute Janfte 
Frau Lavpay muß fi den ganzen Tag über mit 
ihr balgen, um fie zurüdzuhbalten, da fie fort- 
während hinausftürzen will, um den bei den 
Schanzwerken arbeitenden Kriegsgefangenen das 
Küchengeſchirr an die Köpfe zu Ichleudern. Arme 
Mutter! ... 


Waͤhrend dieſer komiſchen Erzählung füllten 
ſich die Augen Seraphinens mit Thränen. 

— Sie ſehen alſo, Onkel Kolbay — fuhr 
ſie dann fort, — daß die Mutter in ihrem ge— 
ſchilderten Zuſtande unſerer Trauung nicht bei— 
wohnen kann. Deßhalb bitte ich Sie nochmals, 
unſer Beiſtand zu ſein. 

Der Alte erhob ſich von ſeinem knarrenden 
Lehnſtuhle und erwiderte mit kalter, trockener 
Stimme, welche eben ſo kreiſchte, wie Alles in 
dieſem Hauſe, ſei es Schlüſſel, Schloß, Angel, 
oder die Wetterfahne auf dem Dache: 

— Ich aber werde nicht Ihr Beiſtand bei 
Ihrer Trauung ſein, mein allerſchönſtes und 
allerliebft=feenhafteftes Couſinchen. 

Seraphine hielt ihre flache Hand gleich 
einem Schirme über die Augen und blickte den 


ur > 


Alten ſchelmiſch an, als wollte fie erforihen, ob 
dies Scherz oder Ernit ſei? 

— Onkelchen werden nicht mein Beijtand 
jein ? 

— Ich werde es nicht fein, weil ih es 
niht jein will... . wiederholte der Alte. ... 
Bin niht der Mann dazu, an einem Akte Theil 
zu nehmen, welder in diefer Epoche vollzogen 
wird; und wenn es ſich auch nur um eine Bei: 
jtandsftelle bei der Trauung eines modernen Ober— 
ften handelte... . Bin ein alter Knochen, ein al- 
ter hin und ber geworfener Knochen, deren ähn- 
lihe Ihr genug ſehen fünıt da draußen am al- 
ten Raitenfriedhofe; Kinder haben mit ihnen Ball 
geipielt, nad Nüſſen geworfen und Haſelnüſſe 
aufgeihlagen. . . . Der alte Knochen lie Alles 
mit ſich geichehen, protejtirte dagegen nicht, daß 
man ihn aus jeiner Ruhe geftürt, widerrieth aber 
auch den Kindern nicht, auf's Eis zu gehen... 
Solch' ein alter Knochen bin ich; ich bin geitor: 
ben und fühle nichts mehr, bewege mid von 
meinen Blake weder vor-, noch rüdwärts .... 
Verſtehe id denn etwas davon, mas um mid) her- 
um geihiehbt?.. : . Nein, nichts. Eben jo wenig, 
wie ein an das Tagesliht gelangter Todten— 
ſchädel. . . Wei ich denn, was man heute unter 
Treue und Verrath, unter Liebe und Haß ver: 
fteht, was eine Heldenthat und eine Gräuelthat 
ſei. . .. Bin eine heimkehrende Seele aus dem 


— 30: 

verflojfenen Jahrhundert, welche jelbit von den 
aufgeflärten Kindern ausgeladht wird. . . . Bir 
eine Mumie. Wer will mid) verjtehen, wer mei— 
nen Rath einholen? Uebrigens mödte ich auch 
feinen ertheilen. ... . Ich bleibe, was id) war, 
Iıhlüpfe ın feine neue Haut, möge man mir noch 
jo ſtark mit der Poſaune der Auferjtehung in die 
Ohren blafen. . . 


Seraphine lieg den griesgrämigen Alten 
fi austoben, und hoffte ihn durch ihren Humor 
zur Nachgiebigkeit ftimmen zu fünnen. 


— Aber, liebes Onkelchen, wir fordern Sie 
ja nicht dazu auf, daß Sie ſich auf's Roß ſchwin— 
gen und unſeren Fahnen folgen jollen, Tondern 
dag Sie al3 munmehriges Haupt unlerer Familie 
uns Ihren Segen ertheilen mögen. 


— Was, einen Segen ?! — platzte der Alte 
zornig heraus, feinen fteifen Hals bewegend. 
— Braut man in jetiger Zeit zu etwas einen 
Segen?.. . Iſt nit Alles bloßer Zufall, Wür— 
felipiel, Gottesverſuchung. Sit es etwa Diele 
Heirat nit ? Sagt: „vabanque“, entweder ſechs 
oder blind... . Ihr wollt noch eine Zeremonie 
haben? ..... Ein Familienoberhbaupt?. ... Ihr 
babt ja Republit. Kommandirt einen Wacht— 
meifter rechts, den andern links, und die Bei— 
jtände find da. Wozu bedürft Ihr meiner alten 
Knochen ? 


— Al: wine 


Diefe Wendung ſchien jedoh ſelbſt Sera= 
phine zu beleidigen. 

— Reden Sie doh aud, Robert, viel 
leiht fünnen Sie eher zu jeinem Herzen dringen. 

Der junge Offizier ergriff die Hand des 
alten Invaliden und bat ihn in warmem Tone: 

— Bringen Sie dies Opfer Seraphine zu 
Lebe. 

Der Alte erwiderte mit pedantiicher Steifheit: 

— Herr LOberlieutenant! (Er ignorirte die 
Oberſten-Uniform, da er Robert nur als Ober— 
lieutenant fannte.) Glauben Site ja nidt, daß ich 
heute ſcherzhafter Laune bin. Bei mir find Die 
Tage der Froͤhlichkeit und des Scherzes längjt 
vorüber. Mir Scheint das Ganze nur ein Traum 
zu jein. Stadtbelagerung, ziſchende Rafeten, zer: 
plagende Bomben, weinende Weiber, ftürmende 
Truppen, Alles iſt mir Traum und XTräumerei. 
Dann diejes Siegesfeſt, die geſchmückten Ruinen, 
die wehenden Fahnen, die jauchzende Menge, 
Alles it Traum und maht mir den Kopf be= 
täubt. Diejenigen, die ih vor mir jehe, find 
lauter Traumgeftalten ; was ih von ihnen Hüre, 
ift eitel Traum, vergänglider Traum. 

— Was wir jedod) in diefer Minute jagten 
— ift Wirflihfeit — da wir uns nämlich) Lieben 
und Mann und Frau werden wollen, — beeilte 
fi) Robert darein zu rufen. 

— Auch Das ift ein Traum! 


u. — 


— Ach, Onkel! — rief Seraphine beleidigt. 

— Iſt auch nur ein Traum. Ihr liebt 
Euch nicht, denn nicht die Liebe hat Euch zu— 
ſammengeführt. . . . Was Euch zuſammenbrachte, 
mar eben dieſes blendende Traumgeſicht. . . . Ein 
Nädchen ſah einen jungen Mann zu Pferd, mit 
Ktränzen bededt aus fiegreihem Kampfe heim— 
Ichten, Der junge Mann jah ein reizendes Mäd- 
den am Eingange der vdemolirten Stadt ihre 
Sahne vor ihn ſenken, und Beide träumten, daß 
fe jih in einander verliebt hatten. Das Mäp- 
den erzählte nun von den Drangfalen, die es zu 
erleiden hatte, der junge Mann von den Helden: 
taten, die er verübt, und fie glaubten einander 
unendlic) zu lieben; doch es iſt niht wahr! . . 
Ihr liebt einander nit, und wenn Ihr erwachen 
werdet, wird ein Jedes Tagen: wie Schade, daß 
ih dieien Traum gehabt ! 

Onkel! — rief Seraphine, — wohin will das 
alles hinaus, Spreden Sie Elar. 

— Ich werde e3 klar ausipreden. Sie, 
meine wunderihöne Coufine, glauben einen Mann 
unendlich zu lieben, weil derjelbe von ftattlidher 
Geitalt, berühmt, ein Held ift, der Diejenige, welde 
et an jein Herz drüdt, auch mit blendendem 
Ölanze umgeben fann. Weil es Ihnen ſchmeichelt, 
daß man jagen wird: Das ift die Gattin Robert 
Zeleji's, welher ein Held geweſen; Dichter ver— 
berrlihten ihn in Balladen, und das Volt beiang 


jeine Thaten in Liedern... . Wenn ſich aber das 
Blatt gewendet, wenn aus dem gefeierten Helden 
ein VBerbannter, ein Landesflüchtiger geworden, 
wenn er jeinen Namen verleugnen muß, danı 
werden Sie ihn verfluhen, den Sie jekt vergüt: 
tern, Sie werden ihn im Unglüde veradten — 
und erjt dann fi deſſen bewußt werden, daß ihre 
Leidenſchaft feine Liebe geweſen. 


— Mein Herr! — rief Seraphine in leiden 
ihaftlihem Tone, indem fie ihren erregten Sin 
nen nicht mehr gebieten konnte, — dies ift zu biel. 
Sie werden mid nie mehr in Ihrem Haufe jehen. 


— Gott gebe es; aber id) glaube es nidt, 
und ich werde nicht helfen fünnen. 


— Gehen wir, Robert. Wenn Sie mid 
lieben, werden Sie fein einziges Abſchiedswort an 
diefen Menſchen richten. 


Damit nahm fie mit heftiger Geberde den 
Arm ihres Bräutigams und verliek das Zimmer 
des verknöcherten Onkels. 

Dieſer ſchloß bedächtig die offen gelafſene 
Thüre und murmelte mit ſelbſtzufriedenem Egois: 
mus in ſich hinein: 

— Nun gehöre ich Niemandem mehr auf 
der Weit an. 

Am andern Tage führte Robert Zeleji feine 


= BI 

Braut Seraphine in Anwejenheit aller damaligen 
Helebritäten der Feſtung in jener Kapelle zum 
Altar, welche von den vernichtenden Geſchoſſen 
der Belagerung verſchont geblieben. Bon der Ber: 
wandtihaft war Niemand zugegen. Die Beiden 
aber glaubten, daß fie einander lieben. 


Anfang des Endes und Ende des 
Anfangs. 


Mir iſt's, als wär’ ich ein Taucher, der 
ji) auf dem Meeresgrunde bewegt... . 

Um mid) herum Ihwimmen die Ballen zer: 
trümmerter Schiffe, befannte Todtengefichter ſenken 
fi) zum Grunde nieder, mein Fuß ftolpert über 
einen zerbrodhenen Anker. 

Auf der Oberflähe des Meeres hat ver 
Sturm ausgetobt; Maft und Segel verſchwinden; 
auf den noch immer hochgehenden zornigen Wellen 
ihmwimmen nod Einige an die Trümmer des 
Schiffes geflammert, und bemühen fi, das Ufer 
zu erreichen. 

Alles ift zu Ende. Die lekte Kanone hat 
ihr Wort geiproden, als fie den letzten Helden 
dahin gerafft... Das Schlachtfeld ift mit Todten 
bejäet; nur ein Koſakenſchwarm ftreift noch herum, 
um den Kliehenden nachzujagen, welche fi in die 
Sümpfe verkrochen hatten. 

Waſſerlilie und Waſſerroſen bieten einen 
guten Schutz für die Verfolgten; die breiten 


runden Blätter, welde auf der Oberfläche des 
Waſſers ſchwimmen, verdeden das heraufquellende 
Blut, weldhes, aus den Wunden der dort Ver— 
borgenen fließend, leiht ihr Verſteck verrathen 
könnte. 

Zwiſchen den gelben Waſſerlilien ragen halb 
aus dem Waſſer zwei Geſichter hervor. 

Beide find noch jung, aber ſehr bleich. Sie 
gleichen einander, als wären es Brüder. 

Das eine Geſicht iſt das Robert Zeleji's, 
das andere Pußtafi's. ... 

Die Wogen des ſtürmiſchen Kampfes haben 
ſie zuſammengetrieben; als ſchon Alles zu Ende 
war, trafen ſie ſich wieder. Robert hatte mit den 
Trümmern ſeines Bataillons einen harten Bajo— 
netkampf gegen einen Pulk von Koſaken beſtan— 
den; Pußtafi eilte ihm mit einer Abtheilung von 
Hußaren zu Hilfe und ſchlug die Koſaken in die 
Flucht, da führten die Ruſſen Kanonen auf und 
drängten die MWiderftehenden gegen den Sumpf. 

— Steige auf und ſetze dich hinter meiner ! 
ef Pußtafi feinem Freunde zu, und als dies 
geihehen, trieb er fein Pferd gegen den Sumpf 
an; die Ruſſen Jandten ihnen noch einen Kartät- 
ſchenſchuß nad); dieſer verwundete Robert und 
tödtete das Pferd, das fietrug; Beide fielen in’s 
Waffer. 

— Trahten wir zwiihen die Bachweiden 
zu gelangen. Hier könnte uns das gefallene 


Pferd verrathen, — jagte Pußtafi zu Robert, 
welcher ſehr bla ausſah. 

— Ich vermag nicht schneller zu gehen, 
fann den linken Fuß faum nachziehen; wird ihn 
vermuthlich ein Schuß getroffen haben. . 

Pußtafi umfaßte jeinen Freund und trug 
ihn in's Gebüſch. 

Es war die hoöͤchſte Zeit, daß fie ſich Hinter 
dem dunkelgrünen Gebüſch und zwiſchen den Waſ— 
ſerlilien verbargen, denn im nachſten Augenblicke 
ſtürmte die wildtobende Menge der Koſaken mit 
wüſtem Geſchrei heran, nach den Geflüchteten 
ſuchend . . . Die Pferde wateten im Waſſer, 
und man konnte zuweilen ein wildes, thieriſches 
Gelächter und bald darauf einen lang gedehnten 
Wehruf vernehmen, wenn ſie Einen unter das 
Waſſer Geflüchteten entdeckten und niederſtachen. 


Ein berittener Haufe watete kaum zwei 
Klafter von dem Orte, wo unſere Geflüchteten 
ſich verborgen hatten, vorüber. 

— Nimm ein Rohr in den Mund, durch dieſes 
kannſt Du Athem ſchöpfen, dann klammere Dich 
an die Wurzeln da unten, und tauche unter — 
raunte Pußtafi ſeinem Freunde in's Ohr und 
tauchte ebenfalls unter. 

Die Koſaken hielten über ihren Koͤpfen an, 
um ihre Pferde zu tränfen, 

Einer derjelben begann mit heilerer Stimme 


% ln. A een. — 


Ze I 


ein Lied zujingen, an deſſen Schluſſe die Uebrigen 
in ein Gelächter ausbraden. 

Dann hörte man, wie aus weiterer Ent— 
ternung ihnen eine zornige befehlende Stimme 
jurief, worauf fie ſich mit großem Geraͤuſch in 
Bewegung Sekten — gerade auf das Verſteck 
unferer Freunde losgehen. | 

Diefe drüdten jih da unten die Hände; fie 
hörten die fi nahende Gefahr. 

Einer der Koſaken ritt gerade auf fie zu; 
man fonnte bereit3 das Schnauben jeines Roſſes 
vernehmen. 

Ploͤtzlich entjtand ein pläticherndes, gurgeln= 
des Geräuſch, dem ein brüllender Todesſchrei folgte. 
Das Pferd des Koſaken ftürzte in eine jener 
grundlofen Tiefen, welhe in den Gümpfen jo 
ihön vom Waflergrafe verdedt werden — und 
zog den Reiter mit fid. 

Das Roß hatte ſich noch auf die Ober— 
lähe gearbeitet und entfam, ver Neiter jedoch) 
blieb am Grunde des Waſſers. Die Flüchtlinge 
haben ihn eine Klafter weit vor fi mit dem 
naffen Elemente ringen. Auch er wurde ihrer ge= 
wahr, ftredte die Hand nad) ihnen aus, öffnete 
den Mund, als wollte er jeinen Kameraden zu= 
infen: Hier find fie, hallet fie feſt. Dies machte 
ihn erſticken. 

Die Kameraden langten mit ihren langen 
Lanzen nad ihm, aber vergebens, bis das Waſſer 


— — 
ſelbſt den Leichnam auf die Oberfläaͤche warf. Sie 
ſtießen denſelben an's Ufer. Hätten ſie ihn wecken 
Tonnen, würde er ihnen gejagt haben, daß ſich 
zwei vornehme Flüchtlinge unter dem Waſſer be- 
finden. 

Die Koſalen wichen dem gefährlihen Drte 
aus und jondirten im Meiterreiten die Tiefe des 
Waſſers mit den Stangen ihrer Piken. Man 
hörte fie no lange im Waſſer plätidhern. 

As die Koſaken davongeritten waren, 
tauchten die beiden Köpfe abermals auf Die Ober: 
flähe des Wajlers. 

— Gie haben fih entfernt, — fügte Puh: 
tafi umherblickend. 

— Sie werden ſchon noch zurückkommen, 
— flüſterte Robert. 

— Dann werden wir abermals ver— 
ſchwinden. 

— Ich halte es nicht lange mehr aus, 
ächzte Robert, ich fühle bereits, wie das Blut aus 
meiner Wunde flieht. 

— Warte. Sch werde die Wunde mit mei: 
nem Sadtuhe verbinden, damit der Blutverluit 
Dih nit ohnmächtig macht, denn das Waſſer 
macht das Blut nod) ftärker fliegen. 

Hierauf verband Pußtafi die Munde 
feine Freundes mit feinem Sadtude. 

— Du müheft did) vergebens mit mir ab, 
— ſeufzte Robert; — mein Schiedjalijt beichlofien. 


40: = 


— Sei nicht kleinmüthig, — entgegnete der 
Dichter. — Sobald die Naht anbricht, nehme ich 
Did auf meine Schultern und wate mit Div durd) 
den Moraft. 

— Zu welchem Zwecke? Es tft ja Alles 
zu Ende! 

— Wit doch! Die Sonne geht eben jo oft 
auf, als fie untergeht ; fie verlinkt nicht in ewige 
Naht. Wir werden noh manderlei zu ſchaffen 
haben dort oben. 

— Mit mir werden nur die Würmer zu 
ſchaffen haben dort unten. 

— Sprich doch nit jo, Robert; wenn ich 
jage, dab ih heute Alles verloren habe, jo rede 
ih die Wahrheit, Dir aber ift noch Etwas geblie- 
ben. Du daft ein Weib. 

Robert jeufzte tief. 

— Ein ſchönes, waderes und junges Weib, 
— ſetzte Pußtafi fort... . 

Darauf verfielen Beide in tiefes Schweigen. 

Nach langem Schweigen hob der Eine wie— 
der an: 

— Heute hab' ich noch ein Weib, morgen 
wird ſie Witwe ſein; ſo ſteht es in den Sternen 
geſchrieben. Sieh, wie die Wellen um uns ſich 
roth gefärbt; das iſt mein Blut. 

Hierauf ſchwiegen ſie wieder eine Weile. 

— Nur Eines quält mid, — ſprach er dann 
weiter ; fie wird nicht einmal willen, daß fie Witwe 

Andere Zeiten andere Menſchen II Ban 4 


us. Ye 


geworden. Jahrelang mird fie das Trauerkleid 
um meinetwillen tragen, ohne dasjelbe oder mei- 
nen Namen ablegen zu dürfen. Sie wird bis zu 
ihrem Tode an einen Todten gelettet fein. 

— Schlag' Dir jolde Dinge aus dem 
Kopfe. 

— Blos diefe Sorge quält mid. Wie fie 
mic) juchen wird; wie fie das ganze Land durch— 
ziehen, Thal und Hügel fragen wird: mo ift mein 
Mann? Ah, wie unendlid) liebten wir ung! 

— hr werdet Eud) treffen. 

— In dieſem Leben nicht mehr. Ich fühle, 
wie meine Kräfte immer mehr abnehmen. Bor 
meinen Augen dunkelt's; ich jehe überall dunkle 
lee. Sch fühle meine Bruft fürchterlich beengt. 
Freund, ih muß hier fterben. 

— Wenn Dein Leib Ihwad ift, To laſſe 
Deine Seele ftark jein. 

— Zu jpät! Höre, was ih Dir jest 
lage... Es wird Nacht werden; Du wirft dann 
frei, id) aber fterbe. . . Bleibt Dir jo viel Zeit, 
um eine Gruft auszuhöhlen, jo begrabe mid. . . 
Am Finger babe ih einen Ring, in der Mitte 
ift ein Opal, in dem Opal ift ein jchwarzes 
Kreuz... es ift mein Trauring. . . . Ich befam 
ihn von meiner rau am Trauungdtage. ... . . 
Ziehe ihn von meinem Finger und verwahre ihn 
bei Dir... . . Wenn Du fie dann einmal im Le— 
ben findeft, jo übergib ihr die Reliquie Gib 


an hl, 

ihr den Tag an, mann id geftorben, und jage 
ihr, wo ich begraben bin... . Beriprihft Du 
mir's? 

Das Geſicht Robert's war todtenbleich. Er 
mußte ihm das Verſprechen durch einen — 
druck geben. 

Die Koſaken kehrten aus dem Moraſte zu— 
rück; weiter konnten ſie nicht vordringen. 


— Tauchen wir raſch unter das Waſſer, — 
füfterte Pußtafi Robert zu. Sie nahmen wieder 
das Rohr in den Mund und taudhten unter. Die 
Koſakentruppe kehrte lärmend zurüd, und verlieh 
das Röhridt. 

Pußtafi ftedte behutiam den Kopf an die 
Dberflähe und jhaute ihnen nah. Da nahm er 
mit Bejorgnig wahr, dag Die Kojaken, jobald jie 
auf feftem Boden waren, von ihren Pferden ſpran— 
gen und ſich anſchickten, in der Nähe zuübernachten. 

Und nun zünden fie gar Feuer an, um die 
wohlthätige Finfternig zu vertreiben, auf welche 
die Flüchtlinge rechneten; in einer Entfernung 
bon faum einer Schußweite fladerte gleichzeitig 
auf drei Seiten das Wachtfeuer auf; die Flücht— 
linge müſſen entvedt werden, ſobald fie ihren 
Verſteck verlaffen. 


Eine Truppe war jo nahe, daß man ihren 
Vortftreit hören konnte. Sie theilten unter fi die 
Beute. Man konnte bei dem Schein des Feuers 

4* 


ſehen, wie fie mit einander ftritten und feilichten. 
Zwei, Drei ließen ſich auf einen ausgebreiteten 
Mantel nieder und jpielten Karten um unbe: 
kannte Geldnoten. Einige find bei guter Laune 
und fingen, Andere tanzen, Einer von Ihnen figt 
auf feinem Pferde unbeweglih, das Geſicht gegen 
den Morait gelehrt, in der Hand die lange Lanze. 
Dies ıft die Wache. 

Den jungen Leuten war das Entlommen 
unmöglich gemacht. 

Und die Kraft Robert's war völlig zu 
Ende Pußtafi mußte ihm den Kopf ftügen, da— 
mit er nicht unter das Waſſer taude. 

— Verſuchen wir unfer Glüd, — flüfterte ihm 
Pußtafi — zu. Wenn fie friiches Rohr in's Feuer 
werfen, dann wird es auf furze Zeit Dunkel; 
klammere Dich an meinen Hals und id werde 
raſch mit Dir fliehen. 
| — Ich kann nicht. . . Trag' mich nirgends 

J Laß' mich hier ſterben. Du mußt 
Dich retten, damit Du meinem Weib Nach— 
richt bringſt. Du darfſt nichts wagen. . . . Haft 
es mir verſprochen. . . . Wenn wir ung rühren, 
— bemerken fie uns — ich mag nicht in ihre 
Hände fallen, nicht einmal todt. Verſtehſt Du 
mich? nicht einmal todt. . . . LXieber ‚hier unter 
den Kröten. . . . Und doch wie falt iind fie, wie 
häßlich! 


— 53 — 


Immer näher rücken fühlte Robert ſeinen 
letzten Augenblick und durch den ſchrecklichen Ge— 
danken an den ſicheren Tod zitterten ihm die Licht: 
itrahlen zweier Erdenbilder durch: Das Heldenbe— 
wußtiein und die treue Liebe. 

— Vielleiht träumt fie jeßt von mir, — 
jeufzte er leiſe und lächelte dann. — Vielleicht fteht 
fie jet vor dem Deiligenbilde und nennt meinen 
Namen. 

Bielleiht werde ich nod) in dieſer Stunde 
vor ihrem Ruhebette Stehen, wie fie es wünſchte 
— aber bleich un wortlos und von dem Kuſſe, wel: 
er ihre Wangen ftreift, wird fie vielleiht Schau— 
dern erfaſſen. . . D, mein Freund, vergiß nicht 
auf Den Ring. 

Zu den Schrednfjen der Naht geieliten 
fi) nody andere, während ein Theil der Koſaken 
Würfel ipielte um die Beute, fiel ein anderer Feind 
über die nadten Leihen her. Die Wölfe hielten 
ein reiches Leichenmal. 

Der Sterbende jprady zu jenem Freunde ! 

— Freund, halte Dein Verſprechen und 
bearabe mid... . . Begrabe mid, damit ſie mich 
nicht finden: weder dieſe noch jene... Weügen 
fie mich nicht von Geſtrüpp zu Gejtrüpp ſchleifen. . . 
Mögen ſie niht ihr Spiel mit mir treiben. . . 
Der Schwertftreic that nicht Sehr wehe, aber die 
Liſt und der Spott... dieſe brennen fürdterlid.... 
Begrabe mid) tief... Womit wirft Du die Gruft 


=: BE 


graben ? Haft Du nod Dein Schwert ? Das ift 
ſehr gut... . Schneide mir eine Locke ab und lege 
fie zu den Ring. 

Pußtafi ſuchte feinen fterbenden Freund zu 
tröften. 

— Sieh, — ſagte Robert leife, — am Himmel 
dämmert e3... Nicht wahr, das ift der Morgen- 
ftern? Sieh, wie er immer näher kommt. . .. 
Siehft Du, wie ih Dir immer fagte, die Sterne 
find lauter ſchöne Menihengefihter. . . Dieſes 
Geſicht fieht dem ihrigen Ahnlih ... bald werden 
wir beilammen fein... dann... vergiß nicht auf 
meinen Ring. ! 

Ploͤtzlich knallten Schüffe, wilder Lärm, 
Flüche, Heulen und Pferdewiehern wurde laut; 
einen Xrupp hungriger Wölfe durftete nach war— 
mem Blut und er überfiel die Kofaken. Die auf: 
geiheuchte Truppe verjagte durch heftiges Flinten- 
feuer den neuen Feind. 

Diefer Angriff hatte aber den Nuken, daß 
die Kojafen fih meiter vom Roͤhricht ent: 
fernten. 

As Pußtafi dies bemerkte, nahm er feinen 
Leidensgefähten auf die Schulter: und ging mit 
ihm aus dem Waffer. Der Weg war beichwerlid 
genug, der Boden wankte überall unter feinen 
Fügen. Eine alte Weide war das Biel, weldes 
er erftrebte. Ber dem Baume angelangt, nahm 
er die Bürde von feinen Schultern, lehnte den 


— 55 —— 


Kopf Robert's an den Baum und ſagte dann er— 
muthigend: Robert, wir ſind in Sicherheit. 

Robert antwortete nicht, denn — er war 
geſtorben. | 
Pußtafi legte die Hand auf das Herz des 
Freundes; es hatte aufgehört zu Ichlagen. Seine 
Augen waren noch offen, aber gebrochen ; die 
Glieder fteif, die Haut Falt. - 

Die Kartätiche hatte ihm den Schenkel zer- 
ſchmettert und Robert verblutete im Wafler. 

Der Dichter drüdte feinen Freund lange 
an's Herz, er Sprach zu ihm von fchöneren Tagen, 
von feinem ſchoͤnen Weibe; — er gab feine Ant: 
wort mehr. 

Dann begann er ihm zu erzählen, wie er 
ihn begraben werde. 

— Sei unbejorgt, mein alter Freund (fo 
nannten jie einander, als fie noch jung waren: 
noch geitern), ih werde Did) fo begraben, daß 
weder wilde Beftien, noh häßliche Würmer, nod) 
die biel ſchlechteren und häßliheren Menſchen Dich 
finden werden. Sie werden nicht mit gierigem Zahn 
über Dich herfallen ; fie werden nit Deinen blu- 
tigen Kopf als Trophäe umherſchleppen. Sch be- 
grabe Di, wie man die römischen Helden zu be- 
graben pflegte: in Feuer und Flammen. Die 
Atome Deines Körpers werden Dir nahfolgen 
in die Luft; jelbft, was Irdiſches an Dir, wird 
zum Geifte werden. Du wirft eine ſchöne Be— 


ftattung haben, die praſſelnden Flammen werden 
eriegen den Trommelwirbel, den Geſang und die 
Meile; der Ihwarze Rauch wird Dein Leihentuh 
fein und Millionen Funken werden Dir das Ge: 
leite geben. Niht der Schoß diejer fluchbelade— 
nen Erde, jondern die Luft ſoll Deine irdiiden 
Reſte aufnehmen. Es wird feine Kothſchichte über 
Div liegen, auf des Windes Flügeln werden 
die Stäubhen Deiner Aſche ſich zum Sonnenlicht 
erheben. Alter Leidensgenoffe, ih beftatte Dich in 
dein Himmel! 

Der Dichter zog hierauf dem Leihnam den 
oft erwähnten Ring vom Finger und ftedte ihn 
an den eigenen Finger. Dann ſchnitt er ihm eine 
Locke ab und verbarg fie in feinem Bujen. 

Sodann nahm er die Leihe und jiellte jie 
in die Höhlung der alten Weide. Die Höhlung 
war gerade fo weit und gro, dag die Leiche jie 
ausfüllte. 

Noch einmal küßte er dann das Geſicht des 
geliebten jungen Mannes, und umgab hierauf den 
Baum mit einer von den Rohrpyramiden, welche 
auf der Anhöhe zum Trocknen aufgeſtellt waren. 

Der Holzſtoß iſt fertig, nur angezündet 
mußte er werden, dann mögen wilde Beſtien, 
dann mögen Wolf und Adler kommen. 

Allein, um den Holzſtoß anzuzünden, iſt Feuer 
nöthig; mer aber vom Abend bis Mitternacht 


im Waſſer gelegen, der ſucht wohl vergeblid) ſein 
Feuerzeug. 

Doch es war Feuer in der Nähe. Noch 
glimmten die Wachtfeuer an dem Sumpfufer. 
Bon dort liege fih Feuer holen. 

Der Dichter entſchloß fih dazu, Feuer zu 
ftehlen in der Naht, im Angefichte des lauſchen— 
den Feindes! Und doch mußte es fein. 

Er verbarg sein gezüdtes Schwert unter 
jeinem leide, damit esniht im Feuerglanz ſchim— 
mere. Dann machte er den Weg zurüd. 

Als er fih dem erjten glühenden Punkte 
näherte, jchien es ihm, als ob fid) vor dem euer 
von Zeit zu Zeit dunkle Maffen bewegen würden, 
er konnte jedod im Halbdunfel nicht ausnehmen, 
was für Geftalten es ſeien. 

Mit gefteigerter Vorfiht ging er weiter, die 
Ihwarzen hpüfenden Gegenftände waren lebendige 
Seftalten, aber feine Menſchen. 

Die Wölfe lieben das Feuer niht. Jedes 
wilde Thier jheut fih davor. Damit das Feuer 
niht in der Nähe ihres Schmaufes brenne, bade- 
ten fie fih im Waſſer des Moraftes und ſpritz— 
ten dann das Waller auf die Glut. Zwei der 
Wachtfeuer hatten fie auf diefe Weile ausgelöſcht. 
— 3 die Beitien menſchliche Schritte hörten, 
zogen fie fih vom Feuer zurück und heulten aus 
der Ferne dem Herannahenden entgegen. Pußtafi 
hielt einen Zunder aus zufammengedrehtem R-hr 


— 38 — 
in der Hand und ſteckte ihn in die Glut. Der 
Zunder fing Feuer. 

Das war ein ſchlechter Verſuch. 

In dem Augenblicke, als die Flamme auf— 
flackerte, ertönte das „Halloh‘ des Vorpoſtens, 


der in einer Entfernung von hundert Schritten 
ſtand. 


Pußtafi duckte ſich raſch nieder, zertrat den 
Zunder mit den Knieen und antwortete auf den 
Ruf des Vorpoſtens mit einem Heulen, das dem 
Geheul der Wölfe gli. 


Die Wachen glaubten, e3 feien wieder Wölfe 
beim Feuer und fümmerten fid) nicht weiter darum. 


Auf ſolche Weile war es alfo nit mög: 
lich, das Feuer fortzutragen. 


Seine Zigarren waren fämmtlih durd: 
näßt, ſonſt würde er eine derjelben angezündet 
haben; da gerieth er auf einen andern Einfall. 
Er widelte Rohrblätter wie eine Zigarre zuſam— 
men, zündete fie an und nahm fie zwiſchen die 
Lippen. 

Dann kehrte er zur Weide zurüd. 

Er mußte die Zigarre rauhen, damit fie 
nicht verloſche, anfachen durfte er fie nicht; der 
abiheulihe Rauch löfte ihm die Haut bon den 
Lippen; aber die Zigarre glimmte noch, als er 
bei dem Baume anlangte. 


— 59 


Bei dem Baume angelangt, nahm er mit 
Schrecken wahr, daß die Rohreinfaſſung zerſtört 
war; die Wölfe hatten fi durch dieſelbe einen 
eg zu der Baumhöhlung gebahnt. Einige junge 
Wölfe liefen davon, als Pußtafi nahe fam; ein 
alter Wolf aber ftellte fi ihm entgegen und machte 
ihm das Terrain ftreitig. 


Eine menihlihe Stimme durfte nicht laut 
werden. 


Pußtafi rannte mit zuſammengepreßten 
Lippen, mit Funken ſprühenden Bliden auf die 
Beftie zu, die mit gekrümmtem Rüden und flet- 
ihenden Zähnen ſich dem Angreifer entgegenftellte. 

Pußtafi empfand ſo tiefen Abſcheu vor der 
Beſtie, daß er nicht zum Schwerte griff, ſondern ihr 
mit dem flackernden Rohrbüſchel an die Schnauze 
ſchlug. 
Der Angriff nützte. Der Wolf wartete den 
zweiten Gruß nicht ab, ſondern rannte davon. 

Nun ſtellte Pußtafi zuerſt ein Rohrbüſchel 
auf und zündete es oben an, damit es als Leuchte 
diene. 

Dann legte er wieder das Rohr um den 
Baum und zündete es an. 

Die Flammen ſchlugen hell auf, ergriffen 
die Aeſte und Zweige der alten Weide, und in kur— 
zer Zeit ſtand der ganze Baum in Flammen. 


——— 


Das Feuer vertilgt ſchnell; kein Menſch 
hätte mehr dieſe Flammen erſticken können — 
der Dichter konnte beruhigt weiter gehen. War 
doch ſein Weg ſo eilig! 

Um durch das Roͤhricht zu dringen, das er— 
fordert mehrere Stunden, es wird Tag und das 
Sonnenlicht gehört nicht mehr dem Flüchtigen. 

„Freund! Du haft ein ſchönes Begräbniß. 
Gott mit Dir!“ 

Der Baum brannte bis zum frühen Mor— 
gen in der ruhigen, ſtillen Nacht und flackerte ge— 
gen den Himmel auf wie Abel's Opfer. 

Mitten auf dem großen, geſchwärzten und 
mit Aſche bedeckten Herde ſtand der verbrannte 
Baum; die ruſſige Höhlung glich einer Aſchen— 
urne; darin lag eine Handvoll Aſche, die ſich 
von der Farbe der Blätter- und Holzaſche un— 
terſchied. 

Dieſe braune Aſche war Robert Zeleji, der 
Jüngling, den die Frauen ſo geliebt, den die 
Freunde ſo geſchätzt, den das Volk in Liedern 
beſungen, den der Ruhm auf ſeinen Fittigen 
trug. Wer ſollte ihn hier wohl auffinden? Wer 
ſollte dies wiſſen? 

Und wenn nun aud der flüchtige Leidens— 
gerährte ſpurlos verſchwindet mit jammt dem 
Ringe? Und wenn dann nah Fahren die milde 
Brombeere in der Baumhöhlung waͤchſt, ihre 


Saas ——— 


Wurzeln weit hinausſendet und Kränze windet 
über den mooſigen Boden? 

Und wenn die verzweifelnde Witwe auch 
dann noch im Traume ſich nach ihrem Manne 
erkundigt — kann ihr da nicht die menſchenquä— 
lende Traumfee ſagen: „Dein Mann, er weilt jetzt 
noch auf der Erde und windet ſeine Kränze?, 


Pußtafi aber kam niemals zu Seraphine. 
Er verſchwand ſpurlos; man wußte nicht, wohin 
er gekommen, wo und wann die Erde ihn ver— 
ſchlungen. 


Die Gattin. 


Auf dem Rüden des Arader Weingebirges 
fteht eine Burgruine, die „lucus a non lucendo“ 
heißt. 

Unter der Ruine befindet fi ein Kaſtell; 
im Garten des Kaſtells ift eine jhöne Laube; in 
der Laube fteht ein weißer Marmortiſch; an dem 
Ziihe fit Bela Laͤvay ganz allein. 

Im Garten, im Schloffe, im Hofe, draußen 
auf der Gaffe, im ganzen Orte und felbft auf 
den eldern ringsum war ein Heer von Gäften. 
Nie ſah dieſes Schloß jo viele Gäſte beifammen, 
jelbft nicht zur Zeit des berüchtigten Kochs, den 
der Onkel des Königs Mathias hielt. 

Und Jeder der Gäfte ift mit einer jehr eigen: 
thümlichen Arbeit beihäftigt, ernfte Männer flü— 
ftern geheim mit einander ; Frauen mit verweinten 
Augen drüden einander die Hände, ſprechen ein 
Wort und gehen weiter; Wagen kommen und ver- 
ſchwinden; mand antommender Gaft flüftert jei- 


PER: ;- WERE 

nem Kutſcher etwas in die Ohren, zieht die Börje 
und übergibt ihm fie ſammt dem Anhalt, drüdt 
ihm die Hand und ſchickt ihn fort. In dem Zim— 
mer verbrennen ernite Männer verihiedene Do— 
fumente zu Aſche; Andere jcheeren fih Haar und 
Bart ab, ohne das Jemand über die entitellten 
Gefihter lachen würde; nod Andere figen oder 
liegen unbeweglih, als wäre ihnen alles Fühlen 
abhanden gelommen, während ein Anderer un- 
ruhig auf- und abgeht, als ſuchte er einen Aus— 
weg aus diejer Welt. Dann ertönt ein Rlirren : 
Jemand hat jeinen Säbel zerbroden,; ein dum= 
pfer Knall wird hörbar: vielleiht bat Jemand 
fich erſchofſen. 

Auch Bela war unter den Gäften. Er ſuchte 
ih ein einfames Pläkchen, um zu jehreiben. 

Die romantiihe Keine Laube war dazu ge— 
eignet. 

Er jhrieb einen Brief mit Bleiftift auf ein 
Pergamentblatt jeines Portefeuilles. 

‚Meine liebe Judith! 

Ueber mih wird fein Tag mehr anbre- 
hen. Du weißt, id) habe feine Urfache, länger 
zu leben. Wenn Du meine Zeilen liest, bin ic) 
ju dem geworden, mas mein Shidjal: — zu 
Staub. Ich anerfenne es, daß ih mih an Dir 
berfündigte, al3 ih Dein Los an ein foldes 
Mißgeſchick, wie das meinige, knüpfte; Deine El— 
tern haben Dich vor mir gewarnt und ſie hatten 


— 

Recht. Aber ich mache meine Fehler gut: ich ſter— 
be. Ich erlöſe Dich von meinem Fatum, das mich 
verfolgt. Deine künftigen Tage ſollen nicht durch 
des jammervolle Leben eines Gefallenen vergiftet 
werden. Niemand und Nichts bedarf meiner mehr 
im Leben. Ich ſchließe meine Zeilen mit dem 
beruhigenden Gedanken, daß Du mir verzeihſt, 
Dich mit mir verſöhnſt, ohne mich zu vergeſſen. 
Und wirſt Du einſt ſo glücklich ſein, als ich es 
in dieſer letzten Stunde wünſche, ſo wirſt Du mich 
noch achten, wenn Du mich nichtmehr liebſt. Meine 
Seele, mein Segen umgeben Dich auf Tritt und 
Schritt... 

Dein über das Grab treuer Bela.“ 

Als er das letzte Wort geichrieben hatte, 
griff eine weiße Frauenhand von rüdwärts ın 
das Vortefeuille und riß das beihriebene Blatt 
heraus. 

Bela erfaßte überrafht die weiße Hand 
und jhaute zurück. . . Die weiße Hand war 
die Hand Judith's. 

Er iprang von jeinem Sige auf, ſank ihr 
zu Füßen, umarmte und fühte fie und frug dann: 

— Wie kamſt Du hieher? 

— Haſt Du nicht ſelber mich hieher be— 
ſchworen, — ſprach Judith und zeigte auf das 
Blatt. — Weißt Du nicht, daß, wenn Du den Tod 
anrufſt, ich um eine Minute früher komme? 





er Ba 

— Bela konnte fi nicht länger des Wei- 
nens enthalten. Wie jollte er die Thränen zurüd- 
halten können, der fo jehr geliebt war und fo viel 
Glüdjeligkeit in Nichts zerrinnen jah ? 
| — Wie lonnteft Du zu mir kommen ? 


— Auf wunderbaren Wegen. Später werde 
ih Dir's jagen. Unter taufend Gefahren, Wag⸗ 
niffen und fühnen Verſuchen; der Inſtinkt meiner 
Seele leitete mid; über mir waltete Gott. 

— Um marım famft Du? Du weißt 
doch, daß bier das Shidjal zu Ende ift. 

— Warum ih kam? Weil id ſah, daß 
Dein Geſchick fih zum Schlehten wendet, daß 
Alles verloren ift. Nichts habe id) mehr, außer 
Dir; Dich muß id befreien. Es iſt die Aufgabe 
meines Lebens. 

Gott hat ſie mir auferlegt und ich unter- 
ziehe mid) ihr. Sch wußte, was Du thun- wirft, 
wenn e3 zum Acußerften kommt. Du wilft Die 
tödten. - Deshalb kam ih, um mid -zwilchen 
Deine Hand und Dein Herz zu ftellen. Seht ge— 
hört Dein Leben nit mehr Div; Du haſt es 
weggeworten, hier dieſes Papier beweift es; ic) 
nehme e3 auf und es gehört jekt mir. Ich jehe 
Nichts ... feine Gefahr, feinen Verluſt, nicht 
mein, nicht anderes Leiden ; ich jehe blos Dich) 
und Did allein ; id) ergreife Deine Band. und lafle 
jie niht mehr los. 

Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Band. ' 5 


— BE 


— Was willft Du aber ? Iſt es denn mög: 
Ä Lid), länger zu leben? — rief Bela aus. 

— O, io weit denke ih nit. Ich dente 
nur von einer Minute auf die andere. Was aus 
uns wird? wie wir weiter kommen? wo wir 
ftehen bleiben ? was dann geſchieht? ... ih weiß 
es nit. Aber ih denle ja jeden Augenblid 
daran, und jeder Augenblid gibt mir einen neuen 
Gedanken ein. | 

— Du millit alio, daß ich fliehen ſoll? ich ?! 

— Ich will, daß Du mir folgft, wohin id 
gebe. | 

— Feige? zufammengedudt ? 

— Nicht doch. Nur inkognito. Ich habe 
Wagen und Pferde gekauft; Du kleideſt Dich als 
Kutſcher. Wie ich hieher kam, werde ich auch wei— 
ter kommen, dazu hilft nicht Feigheit; ſondern 
Muth. Dder Tollteft Du es für eine größere Hel— 
denthat halten, wenn ein Mann fi) eine Kugel 
durch den Kopf ſchießt, als wenn ein Weib durch 
Naht und Sturm, auf Shleihwegen, ganz, allein 
duch feindlihe Lager zieht, ein halbes Land 
durchſtreift, um den Geliebten zu finden ? 

Die Frau drüdte bei diefen Morten jo 
heftig den Arm ihres Mannes, daß er ihn nie= 
derfinfen ließ. 

— Sage id Dir etwa, daß Du feige fein 
folft ? — jekte fie in vorwurfspollem Tone fort. — 
Ich ſage Div blos: Bleibe bei mir. Und ift es 





u. BE 


unmöglib länger zu leben, it feine Rettung 
möglih, und ift der Tod unvermeidlich ... num, 
jo will id — dabei ſein! 

— D,ih weiß dies, und eben dies 
ſchmerzt mich. 

— Sei ein Mann, Bela, ſei ſtark, wie id) 
«3 bin ; nicht Derjenige. ift ftarl, der mit dem 
Leben bricht, wenn er es verachten gelernt, jon= 
dern Derjenige, der fi erhebt, wenn das Schick— 
jal ihn niederdrücdt. Wir werden das Leben von 
Neuem anfangen, ganz bon vorne. Wir werden 
Die glänzenden Bahnen verlaffen, auf welchen 
wir bisher. gewandelt, und wir werden. unjer 
Brod mit unjerer Hände Arbeit verdienen. Wir 
ziehen uns in einen Winkel des Vaterlandes zu- 
rück, wohin nicht einmal die Kama fih verirrt 
und wir werden den Boden bebauen. Ich liebe 
Die Arbeit, und bift Du an meiner Seite, jo 
fehlt es mir an Nichts; jedes Brod ſchmeckt mir 
gut, ſehe ich nur Dih neben mir, Fühlſt Du 
nit jo? Einft ſagteſt Du mir, ich fer für Did 
eine ganze Welt; nun haft Du eine ganze Welt 
verloren; was bin ih Dir jegt? 

— 1Die ganze Welt! — feufzte Bela und 
ſchloß die theure Frau an die Bruſt, die Frau, 
deren Liebe höher ift, als der Sternenlauf. 

— Du wirft alfo mit mir fommen, — tief 
fie freudig erregt. 

— Mit Dir überallbin. 

5% 


—— 


— Wirſt Du mir in Allem gehorchen und 
vertrauſt Du Dich mir an? 

— Ich lege die Kleider Deines Dieners 
an und ich diene Dir treu wie ein Sklave. 

— Wirſt Du den Muth haben, nad einer 
glänzenden Vergangenheit einer düfteren Zukunft 
voll Refignation entgegenzugehen ? 

— Habe ih ihn nicht, jo wirft Du mir 
ihn einflüßen. Ba 

— Gut; ih glaube Dir. IH glaube Dir, 
da Du mih nicht betrügen wilft, mid) nicht 
durch jcheinbare Nachgiebigkeit täufhen willſt. 
Sprich mit Niemandem, komme ſofort mit mir. 
Im Thore wartet mein Wagen. Sobald wir in's 
Freie kommen, kannſt Du die fremden Kleider 
anlegen. Dann vertraue Dich mir an. Die zwin— 
gende Nothwendigkeit lehrte mich, ſchlau zu ſein. 
Nur vergiß auf Eines nicht. Alles, was Dich be— 
trifft, Freude und Kummer, Glück und Unglüd, - 
gehört zur Hälfte mir. Was Du mit Dir thuft, 
das thuſt Du auch mit mir. Wenn Du frei 
wirft, befreieft Du’ auch mich; wern Du fälft, 
faleih mit Dir; wenn Du in Verzweiflung 
ftürzeft, zieht Dulauh mid mit Dir. Fürdte 
Nichts. Schande werde ic über Deinen Namen 
nit bringen, Fund follte das Schidjal uns mit 
feinen Netzen jo umipinnen, daß feine andere 
Wahl bleibt als Kopf oder Herz, jo wäre ich es, 
die Dir Sagen würde: „Mein Gemal, e3 gibt 


— 5— 


noch einen dritten Weg; Paetus, das Meſſer 
thut nicht wehe!“ 

Béla zog begeiſtert dieſes Ideal Arria's 
an die Brüft, und in dieſer fürchterlichen Stunde 
der Verzweiflung fühlte er fi) glüclicher als jemals. 

... . Glaube und Hoffnung breden zujam- 
men und erjterben, aber die Liebe dauert fort 
und. überlebt die verichwifterten Genien! . . 

Auf der Gaſſe ftand ein leihter Wagen, in 
welchem Judith gereijt war. 

Es war ein Leichtes, unbemerkt ſich zu ent- 
fernen. Achtzehnhundert verſchiedene Fahrzeuge 
ftanden als Wagenburg neben einander; wer 
kümmerte ſich darum, wenn einer verſchwand. 

Im Freien angelangt, ſtieg Judith's Kutſcher 
vom Wagen und übergab Béla die Zügel. Er 
fagte ſeinem Herrn, wie er ſich zu benehmen 
habe, wenn er als Kutſcher gelten wolle. Den 
Schnurrbart müſſe er tüchtig wichſen und die 
Pfeife mit dem kurzen Rohr in den Mundwinkel 
drücken; er müſſe Branntwein trinken, damit er 
eine heiſere Stimme befomme, und wenn er im 
Wirthshaufe Etwas verlange, müfle er ftark 
ſchreien. Wenn er in der &järda oder im Stalle 
mit einem andern Kutiher zuſammenkommt, dürfe 
er nicht zurüdhaltend fein, aber er dürfe ihn auch 
nit traftiren;. wenn er mit der gnädigen Frau 
ſpricht, müfje er den Hut ziehen; fo oft fid) die 
geringfte Gelegenheit bietet, Tolle er laut und 


a 


heftig fluchen; die Pferde dürfe er vor der Füt— 
terung nicht tränfen, zuerit gebe er ihnen Heu, 
dann Hafer; das eine Pferd heiße Giillag, das 
andere VBidam; er möge fie beim Anipannen 
nieht verwechſeln, ſonſt gehen fie ſchlecht; mit der 
Beitihe dürfe er blos den Baud) des Pferdes 
figeln, denn wer das Pferd auf den Rüden 
Ihlägt, der zeigt, daß er noch fein rechter 
Kutſcher ift. 

Mittlerweile hatte Bela die Kutſchertracht 
angelegt; das glänzende Koſtüme Bela’3 verbarg 
Judith in dem Wagenkoffer; der Kutiher über: 
gab Bela die Peitihe und die Pfeife. Diefer 
wendete fih nun gegen Judith und fragte mit 
heilerer Stimme: 

— Rohin fahren wir, gnädige Frau ? 

— Nur vorwärts! 

Der Wagen braufte dahin, der autſcher 
tief ein ‚„Lebewohl“ nad, und ſchaute lange mit 
prüfenden Blid, ob der junge Herr gut zu kut— 
Ihiren verſtehe. Er ſchüttelte bedenklih den Kopf 
und ging dann weiter; ohne Zweifel hatte er 
viel einzumenden. 

zo nun ? 
| Im Weiten und Norden ſtanden ruffiihe 
Armeen; tm Diten unbelannte Gebirgswege, die 
in das Innere dverrufener Wälder führen, wo ein 
trogiger Volksſtamm wohnt, fremd an Sprade 
und fremd im Herzen, Ringsum Gefahr ! 


Die. Landſtraße führte gegen Norden. 

Zwei Stunden ſchon rollte der Wagen und 
noch trafen die Reifenden feine menihlihe Seele, 
die mit ihnen in gleihe Richtung gezogen wäre. 
Kam ein Wagen, jo fam er von der entgegen-= 
gejetten Seite und auf Seitenwegen. 

Auf den Gelihtern der Entgegenfommenden 
lag die Angft deutlih ausgeprägt. Alle famen 
mit raſender Eile herangeftirmt, und Feder Ihaute 
verwundert die Reilenden an, al3 ob man fie fragen 
wollte, warum jagt Ihr denn in Euer Verderben ? 

Unter den Zurüdichrenden zeigte ſich manch 
‚befanntes Gejiht, man fand es jedoh nidt an 
der Zeit, die Belanntihaft zu erneuern; raftlos 
jagte man aneinander vorbei. 

Immer mehr Wagen kamen unjern Rei- 
jenden entgegen; faum Hatten jie mehr auf der 
Landitrage Platz. Bela war oft gezwungen an— 
zubhalten, damit er nicht mit einem entgegenfom= 
menden Wagen zujammenftaße. | 

Noch Niemand jagte ihnen, wovor man fi 
flühte und fie fragten auch Nientanden. 

Almälig wurden’ die anfommenden Wagen 
jeltener, deſto heftiger jagten fie dahin. 

Plöslih rief aus einem bevedten Wagen 
eine Stimme hervor: „Snädige Frau, Judith!“ 

Judith jah erihroden in das Geſicht, wel: 
ches aus dem Wagen hervorlugte. . . . Es war 

Baͤrſing. 


— 2 — 


— Zurüd, zurüd! — tief Bärfing. — Die 
Kofalen fommen. 
| Dela blickte zurück und Bärfıng erkannte 
ihn ſogleich. 

— Servus, Bela, — rief er; — dorthin dürft 
Ihr nicht fahren. Kehret um. 

Judith blidte mit ftrenger Miene. auf ihren 
Kutſcher und rief im befehlenden Tone: 

— Darum bleiben wir auf der Straße 
ſtehen? | | 

— Bir find verloren, — flüfterte Bela, — 
diefer Menſch hat uns erkannt. J 

— Vorwaͤrts! — befahl Judith. 

Bela trieb die Pferde an. 

Baͤrſing rief ihnen noch einmal nach, fie 
mögen doch nicht in jener Richtung fahren, fie 
würden das ganze ruſſiſche Lager auf dem Wege 
finden. Als er aber jah, da Jene nicht zurüd: 
tehren wollten, da wollte er feinen Kutſcher zur 
Umkehr bewegen. 
| Dieler Kuticher war aber Herr Andreas 

Kapor. — | 

Er kam aus der oberen Gegend mit feinem 
Wagen hieher; ein Pferd hatte er auf der langen 
Fahrt bereits eingebüßt. Er führte die Kaffe, 
welche Bärfing bewachte. 

— Kehren wir um und jagen wir ihnen nach. 

Herr Kaͤpor ſchob den Hut von der Stirne, 











um dem Manne beffer in's Geſicht jehen zu 
Innen. 

— Sollen wir zwiſchen die Kofalen hinein 
fahren ? . | 
— Haben Sie jene Frau und ihren Kut— 
ſcher nicht erkannt ? 

— Nein. IH habe fie nie gejehen. 

— Der Kutſcher ift Bela Laͤvay, die Frau, 
deflen Gattin. 

— Ich kenne fie nit. Und was geht's 
mh auch an. Weshalb jollte ih ihnen nach— 
jagen ? | 

— Weil id) die Beiden retten wil. 

— Der umgekehrt, nicht wahr? Gie 
ſcheinen mir ein ſehr falſches Tuch zu fein; nie 
babe ich noch einen aus fo vielen Hölzern ge= 
ſchnitzten Menſchen gejehen. 

— Verſchont mich mit Euren Grob— 
heiten. 

— Iſt es Ihnen nicht recht, ſo ſteigen Sie 
bon meinem Wagen. Ih führe die Kaſſa, und 
der Herr hat mid) während des ganzen Meges 
mit allerlei furiofen NRathihlägen verſucht. Wir 
jofen die Raffa in irgend einen hohlen Baum 
veriteden, da ohnehin ſchon Alles verloren jet. 
seht wollen Sie wieder, daß wir zwiſchen die 
Koſalen fahren, um irgend ein fhönes Weib zu 
retten, oder zu verfolgen. Fürchten Sie für dieje. 
Beiden Niht3, die werden ſchon mit ihrem leichten 


— 


Wagen durchkommen, uns wird man aber ſammt 
der Kaſſa gefangen nehmen. 

— Bauer! — rief der goldbeſchnürte Herr, 
all’ jeine Autorität zufammenraffend — jetzt befehle 
ih Dir, zu gehordhen. 

— Mir? — frug Käpor in ruhigem Tone. 

— a Dir, ſonſt ſchieße ih Dich nieder. 

Kaum hatte er jedoch Diele Drohung aus- 
geiproden, al3 er auch ſchon auf den Boden 
lag; Käpor hatte ihm mit feinem Ellenbogen 
einen Stoß verjegt, dak er vom Wagen bis an 
den Rand des Grabens follerte ; bevor er fi da 
aufraffen konnte, war der Wagen Kuͤpor's bereit3 
in der Ferne verihmwunden. Bärfing hinkte nun 
zu den nädjtfolgenden Wagen, bot viel Geld, 
wenn man ihr zurückführen molle, mußte ſich 
aber damit begnügen, daß man ihı führte, wohin 
man eben wollte. 

Sy mußte er abermals jenen Feind ent- 
ihlüpfen laffen, deffen Untergang er zuverſichtlich 
gehofft. Dieſer Feind wird fi retten, es ſteht 
ihm ja eine Frau zur Seite, die für ıhn Wunder zu 
wirfen im Stande ıft! 

Der Wagen Judith's fuhr langjam die 
Straße entlang. 

Einem einzigen Fuhrwerk begegneten ſie 
noch; diejes mit vier Roffen beipannt, jagte mit 
ralender Eile, als wären die Pierde ſcheu ge= 
worden. | 


u. IE a 


Im Wagen ſaßen zwei Damen und ein 
möltjähriger Knabe. Ihre Gefihter waren bleich, 
Ihre Lippen blau vor Shred. Sie wurden von 
den Koſalen verfolgt, welche nach ihnen geihoflen 
hatten; der Knabe zeigte das Loch an feinem 
hute, welches eine Kugel geriffen, und die Lende 
des einen Pferdes blutete. Die Koſaken blieben 
at am Saume des Waldes zwüd.... Sie 
tonnten ihre Rettung nur der Schnelligfeit der 
Pferde verdanlen. Zuruͤck, zurück!“ — die 
Damen! . 

— Nur vorwärts! — befahl Judith im 
feſten Tone, und die beiden Wagen jagten 
davon, der eine nad Süden, der andere nad) 
Norden. 

Es naht alic der Keind, deſſen fürdterlicher 
Ruf von der Seine bis zum Amur, und bon der 
Behringsſtraße bis zum Golf des goldenen 
Horn die Herzen mit Schreden und Grauen 
erfüllt: 

Die Kolafen kommen! 

Der Feind, mit dem Niemand in dieſem 
Voterlande zu Sprechen verftand, der für die 
Klagen d er Flehenden fein Verſtändniß hatte, der 
die eroberten Städte in Brand ſteckt und den 
Säugling an der Mutterbruft ermordet. Der 
Feind, der die Verwundeten auf dem Schladt- 
telde tödtet und die Gefangenen taufend Meilen 
weit in den Außerften Norden fchleppt; der ber: 


u Mi ai 


tifgt, wo er fiegt, und Leichenfelder ſchafft auf 
Schritt und Tritt. Und was ſchlimmer als Tod 
und Verheerung: der Feind, der neben der Waffe 
die Veitihe in der Hand Hat und nicht nur. 
tödtet, fondern auch jchlägt! Denn niht der 
Shwertftreih, ſondern der Knutenihlag iſt es, 
der niemals verhariät. 

Und diefem Feind galt es entgegenzus 
fahren. 

Nur ein Wald barg die Reifenden vor ihm. 

Am Rande des Waldes angelangt, brachte 
Bela die Pferde zum Stehen und, zu feiner Frau 
gewendet, ſagte er: | 

— Judith, ich bin auf Alles vorbereitet, 
nur auf Eines nicht, darauf nicht, daß mir in 
Deiner Gegenwart Schmach angethan werde, 
Wenn ein Mann vor den Augen feiner Frau 
geihlagen, oder eine Frau vor den Augen ihres 
Mannes gelüßt wird... das ift mehr als der Tod. 

— Ich weiß e3, — antwortete Judith. 

Und darauf zog fie eine Piftole mit dop— 
peltem Lauf aus der Taſche. 

— Gei ruhig. Ich fie Hinter Dir. Be— 
vor es geſchehen könnte, daß der Feind mid 
füßt oder Di ſchlägt, hat der cine Schuß Did, 
der andere mich befreit. Die Piftole ift in guter 
Händen, fürdte nichts, fie zittern nicht. Ich werde 
Di und mich zu tödten willen. So. fei Gott 
meiner Seele gnädig. . . | 


——— 
— Ich danke Dir, — ſagte Bela und drüdte 
Die Hand feiner Fran. 

— Und nun umarme mid, küſſe mie, 

Bela neigte fih zurüd, jeine rau um— 
Ihlang ihn mit ihren Armen, und in einem 
langen Ruffe jagten fie einander Alles, was in 
Morten unmöglid auszudrüden war. Die tiefe 
Stille des Waldes lauſchte dieſer Unterredung. 

Und nah diefem Kuſſe bededte lebhafte 
Röthe die beiden Geſichter, Die bisher jo blaß 
waren. Bela ſchwang die Peitihe, der Wagen 
rollte weiter; der Kutſcher begann ein Luftiges 
Lied zu pfeifen, und die Vögel des Waldes ſchwatzten 
und fangen dazu. 

Judith aber blidte voll Entzüden auf den 
blonden Kopf ihres Gatten, auf den blonden 
Kopf, deſſen Loden ihre Lippen jo oft geſtreift; 
ihr Herz pochte heftig, und ihre Finger ruhten 
auf dem Hahn der Piftole. 

Wie wird fie diefen Schönen, lieben jungen 
Kopf in einer Minute auseinanderichießen ! 

... Der Wald begann fi zu lichten, und 
al3 die Reiſenden das letzte Geftrüpp hinter fi) 
hatten, fonnten fie die Landftrage in ihrer end- 
(ofen Länge vor fih fehen. | 

So meit das Auge reichte, fonnte man eine 
ununterbrodhene Kolonne von Reitern und Infan— 
teriften fanımt dem Zubehör von Kanonen, Muni- 
tions⸗ und Zeugswagen gewahr werden. 


u 27 

Der Vortrab dieſer Kolonne bewegte ſich 
faum zweihundert Schritte vor den Entgegen: 
fommenden und beiehte die ri nah ihrer 
ganzen Breite. 

Diefer Vortrab beitand aus Koſaken. 

Man konnte fie an ihren rothen, pelzver- 
brämten Mügen, an ihren langen Lanzen ſchon 
bon der Weite erfennen. Ein Jeder hatte. Die 
geflodtene Lederpeitihe um das Handgelent 
gewidelt ; einen Jeden zeichnete der wilde 
Blick aus. 

Der Anführer des Pulls war ein blatter- 
narbiger Mann, mit verbundenem Auge; duch 
das weiße Tuch triefte Blut; er mochte die Wunde 
erft jegt befommen haben. 
| Aud die gemeinen Reiter trugen Spuren 
friiher Wunden; es mag dies eine Truppe ge: 
weien fein, welde ein Quarre attaquirtc, worüber 
fie lange nachzudenken haben wird. 

— Macht nichts!. 

Bela trieb feine Pferde vorwärts. & fonnte 
ſich ja feiner Judith anvertrauen. 

— Es kann Dir nidht3 widerfahren ; ih be: 
ſchütze Dih, ih werde Dih auch tüdten.. 

Die Kofaken und der Wagen RER ſich 
langſam einander. 

Als ſie auf ungefähr fünfzig Schritte an 
einander gelangten, fommandirte der einäugige 
Kommandant in fiherem, rauhem Tone Etwas 


— nd. 


einer Truppe; Diele griff zu den Peitſchen und 
iehte die Prerde in ſchnellere Bewegung — — 
jedoch blieb die Hälfte zurüd, und lieg den Raum 
für den anrüdenden Wagen auf der einen Seite 
der Chauffee frei. 

Dann ging c3 ruhig heben einander weiter. 
Bela pfiff fich ein Lied, die Koſalen fangen fid 
eins, und machten, al3 würden fie einander nicht 
einmal gejehen haben. Auf der linken Seite der 
breiten Landſtraße marſchirten die feindlichen 
Zruppen, Kanonen und Munitionswagen in 
mufterhafter Reihe; dic rechte Seite blieb leer; 
auf diefer konnte Bela ungeftört und ungehindert 
weiterfahren , ohne Jemanden zu begegnen. .. 
Stundenlang währte es, bis das entgegenkom— 
mende Armeekorps vorbeizog; Batterien ver- 
\diedenen Kalibers, glänzende Huſaren- und 
Uhlanenregimenter auf gleihfarbigen Pferden, 
eine unabjehbare Reihe Infanteriſten in langen, 
grauen Rüden, mit ſpitzigen Pidelhauben, Laft- 
wagen, Sanitätäfarren, blanfe Stab3offiziere und 
zerlumptes Fuhrweſenvolk. Alles dies z0g ohne 
Tompetenſchall und Trommelſchlag ftille vorüber, 
laum drei Klafter von den Flüchtenden entfernt, 
und Niemand wendete auch nur das Gefiht gegen 
fie, als würden fie für die Marſchirenden unficht- 
bar fein, oder als wäre das Ganze nur ein bor- 
überzichende3 Traumgebilde, welches nichts von 
Demjenigen weiß, der es geträumt Hatte. 


— 80 — 


Auh der Hufihlag des Iekten Nachtrabes 
verflang, und nod hatte Niemand ein einzige 
Wort an die Flüchtenden gerichtet. 

Die Rettung Boͤla's grenzte an's Wunder— 
bare, und war doch fo einfach, wie das Raͤthſel mit 
dem Solumbusei. Ein Reiſender, welcher mit 
vollem Vertrauen dem Feinde entgegenfährt, bei 
deſſen Annäherung nit umkehrt wie die Uebrigen, 
der jtets jeine Ruhe und Gleichgiltigkeit bewahrt, 
kann keinen Argwohn erwecken. 

So viel ſteht jedoch feſt, daß dies ein ge— 
wagteres Unternehmen war, als der gemagtefte 
Sturm auf feindliche Kolonnen! ... Durch eine 
ganze ruſſiſche Armee brechen, wenn ringsherum 
nirgend mehr ein Rettungsweg offen. 

Als ſie über das nächſte Dorf hinausge⸗ 


wi — ———— — — — — — 


am. 


langten, war die Gefahr vorüber. Da üffnete fih 
die endloje Steppe des Alfold mit der befannten Be | 


bölferung ; dieje barg und geleitete die Flüchtenden. 
Wer weiß, wo fie am Ende Ruhe fanden. 


— — — — 


Koſtbare Blutstropfen. 


. . . . Der Heine hinkende Doktor Melchior 
hatte ſeit zwei Tagen ſein Zimmer gehütet. 

Als er vor dem Nationaltheater auf der 
Kerepejcherftraße einen Kojafen gewahr wurde, wie 
berielbe reife, gelbe Gurken aß, war er es, der 
darüber das Fieber befam, — möglid, daß nit 
die Gurke daran Schuld trug. | 

Er ging nad) Haufe, verriegelte fid) in jein 
Zimmer, ließ die Vorhänge der Fenſter herab, 
um feinen einzigen Blick mehr auf die Gajle 
werfen zu fünnen. Er wollte von der Welt nichts 
mehr willen. 

Dann nahın er die alten Portraits von den 
Wänden und lieg deren Rahmen leer ftchen ; 
deizte Die ganze Nacht Hindurd mit feinen dies— 
jährigen Zeitungen, trotzdem daß es Monat Auguft 
und ungemein heiß war. F 

Am zweiten Tage begann er erſt darüber 
nachzudenken, was mit ſeinen Patienten geſchehen 
ſein konnte, die er während feiner Klauſur nicht 

Andere Zeiten andere Menſchen II Band 6 


— 8. — 


beiucht Hatte. Er hielt es für einen Unfinn, fich 
mit anderer Leute Angelegenheiten zu beichäftigen, 
wenn einem ſelbſt jo Großes mwiderfahren. Und 
wenn er bedachte, daß Einer Seiner Patienten 
an der Angine leidet, der Andere am Typhus dar= 
nieberliegt, der Dritte fih im legten Stadium 
der Schwindſucht befindet, jo beruhigte er fich 
immer damit, dab alle dieſe weniger Urſache zur 
Klage haben, als er; und wenn er Desjenigen 
gedachte, der dem fihern Tode entgegengeht, jo 
hielt er dielen für den beneidenswertheiten Men- 
Ihen der Welt. 

Bis in die ſpäte Naht hinein Eopfte man 
ununterbrodyen an jeine Thüre ; er blieb entſchloſ— 
jen und verichloffen. Die haben es leicht, fie find 
nur frant, meinte der kleine Doktor. 

Einmal jedoch klopfte man jo beiheiden, jo 
ſanft an die Thüre, das er es nicht auf feine 
Seele zu nehmen vermochte, auch jegt nicht zu 
öffnen. Er ließ den Klopfenden herein, 

— Ad, mein Herr Jeſus! — tief er erſchro⸗ 
den zurücdtaumelnd. 

Bor ihm jtand eine Frau mit verichleiertem 
Geſicht, geienkten Hauptes und? im Schoße ge— 
freuzten Händen. 

Es war Judith. 

Melchior hatte fie auf einen Blick erkannt. 
Er 309 Sie Schnell in das Zimmer, verriegelte 


dann doppeltdie Thüre, und flüfterte erichroden : 
‚Sind Sie es?“ 

Die Dame nidte mit dem Kopfe und ließ 
ſich müde auf den erſten Stuhl, den fie fand, nieder, 

— Sie find nah Weit gelommen . 
jtatt in’3 Ausland zu gehen ? 

— Ich konnte nit, und wollte aud) nicht; — 
antwortete die Dame, ängftlih in dem Zimmer 
| unheripähend. 

— Und Bela? frug der Arzt beklommen. 

— Befindet ſich in dieſem Augenblicke an 
einem guten Orte. 

— Wie lange wird dieſer Aug enblick waͤhren? 

— Das weiß ih nicht zu beſtimmen .. 
jagte die Dame. — Ich zittere, wenn ic) daran dente ; 
doch wozu zittern, wenn es zu helfen gilt, wenn 
man helfen muß, und wenn man jelbit das Un: 
möglide verjuhen müßte! ? 

— Wie denken Sie fih dieſe Rettung ? 
Haben Sie irgend eine Idee? 

— %a. Und dephalb fam ich zu Ihnen, 
dag Sie mir an die Hand gehen. Doch ftille; 
lauſcht bier Niemand ? 

— Außer mir befindet jih Niemand im 
Zimmer. | 

— Und in diefem Kamin dort ? 

— Dort fann ſich Niemand verbergen, es 
brennt ja jetzt nod Feuer d’rin. | 

— Feuer ? 

6* 


— 84 — 


— Ja. Es find Zeitungen und ſonſtige Druck— 
werle. — Judith ſpähte mit dem ängſtlich ſcharfen 
Blicke eines Verfolgten im Zimmer nach jeder 
Ede. Plötzlich erblickt ſie neben der Bücheretagere 
einen Menſchen ähnlichen Gegenſtand, welcher, mit 
einem weißen Leintuch bedeckt, die Formen des 
Kopfes, der Achſeln, der Ellbogen und der Kniee 
deutlich unterſcheiden ließ. 

— Dort iſt Jemand verborgen! — rief ſie 
erſchrocken; — dort horcht Jemand! 

Damit ſprang ſie haſtig von ihrem Sitze 
auf und deutete mit dem zitternden Finger auf 
die Geſtalt. 

— Nein, nein, es iſt Niemand dort, — ver— 
ſicherte der Heine, lahme Mann in weinerlicher 
Verwirrung. 

— Wer ift es? Wer ift dort verborgen ? 

— Dh, jehen Sie es nicht au, gehen Sie 
nicht hin, — jammerte Meldior, die Hände der 
Dame erfaſſend; aber er hatte nicht die Kraft, 
fie zurüdzubalten. Sie riß fid) los, ftürzte ſich 
auf die ſchweigende Geftalt, zog haſtig die fie 
bededende Hülle weg und taumelte dann, die 
flahe Hand auf die heiße Stirne drüdend, ent: 
ſetzt zurüd. 

Dieje horchende Geftalt war ein einfach 
menjhlihes Gerippe, ein Falter Gegenftand Arzt: 
liher Studien, ein Mann, welder das Schweigen 


u. BB u 


fh längft angewöhnt hatte, und weldyer das, was 
er gehört, Niemanden erzählte. 

Judith fiel als einem Schred in den an- 
dern und ſuchte unwillfürlih nad) der Hand ihres 
alten, bewährten Freundes, um fih auf dieſe 
Hand zu ftügen, dann ftotterte fie mit athemlojer 
Stimme: 

— VBerzeihen Sier Ih bin fo ängftlid. 
Alles jagt mir Furdt ein. 

Der Arzt beeilte jih, das Gerippe zu ver— 
deden, ſchob es dann Hinter den Bücherihrant 
und jagte mit ftilem Vorwurfe: 

— Sie mißtrauen mir?! 

— O, mundern fie fih) nit darüber; ich 
fuüͤrchte mich jeht vor Allem. Verzeihen Sie mir; 
ih werde meinen Fehler gut machen, werd: Ihnen 
Alles erzählen, mein Schidjal in Ihre Hände 
legen. Sie ſollen e3 jehen, daß ich Vertrauen zu 
Ihnen habe. 

— Sagen Sie mir mır, ob fih Bela in 
Sicherheit befindet. 

— Gegenwärtig ja. Aber wie lange wird 
da3 währen? Jede Minute kann er verrathen 
werden... . Soll ih denn cewig- für fein Leben 
zittern? Ihn ftets als Flüchtling wiſſen? ... 
Soll er ein Begrabener ſein, für deſſen Leben 
ich bete? Ach, das Führt zum Wahnſinn! Ich 
muß ihn befreien, und Sie werden mir dabei be— 
hilflich ſein. 


— 86 ı— 


Melchior verſprach Alles zu thun, mas 
Judith von ihm verlange. \ 

— Verſprechen Sie mir bei Allem, was 
Ihnen heilig ift, Alles zu thun, mas ichr von 
Ihnen verlangen werde? 

— Alles, Alles! ... ich verſpreche es 
Ihnen bei dem Angedenken meiner Mutter! — 
beeilte ſich Melchior zu erwidern, indem er 
warm die Hand der Gattin ſeines Freundes drüdte. 

— Nun, io erfahren Sie denn, was id 
wünſche. Im Augenblid ift Alles verloren. Es 
gibt nur einen einzigen fihern Ort noch: Komorn. 

— Romorn wird auch Eapituliren. 

— Ich weil es. Jedoch ift das Schid- 
fal Derjenigen, welche in Komorn find, geſichert, 
ihr Leben geborgen, es kann fie feine Gefahr ereilen. 

Im Gehirn Meldhior'3 bligte ein Freuden— 
ftrahl auf. 

— Dort jollte Bela sein ! 

Indith antwortete niedergeihlagen. 

— Dorthin kann er nicht mehr. 
| — &ft er zu weit entfernt? — frug der 

Arzt traurig. 

— Sehr weit. . . . Und ich wirde es ihm 
auch niht erlauben, den Verſuch zu machen, 
in die Feftung zu gelangen... Ich braude 
biezu jemand Andern. Während diejer Zeit darf 
er den Drt nicht verlaffen, wo id) ihn geborgen. 

— Was Soll denn alſo geihehen ? 


— — 

— Es muß ſich Jemand anſtatt ſeiner unter 

die Feſtungsheſatzung einſchreiben laſſen; muß ſich 
in ſeinem Namen melden, einen Paſſierſchein auf 
ſeinen Namen erlangen. 
Melchior betrachtete ſeufzend ſeinen lahmen 
Fuß, als würde er ihm Vorwürfe machen wollen, 
und murmelte in ſich hinein: wäre ich nur nicht lahm, 
ih würde es thun... 

— Bela hat gute Freunde dort, — tröftete 
er Judith. 

— Das wird ihm wenig nüßen. Wer 
würde es denn unternehmen, auf ſich jelbit zu ver— 
geilen, um ſich eines abweſenden Freundes zu 
erinnern ? Wer würde den letzten rettenden 
Balfen, den er aus dem Schiffbrude erhalt, 
dem untergehenden Freunde überlaflen ? 

— O, iprehen Sie alio, was ſoll ich 
bier thun ? — rief der Arzt iin peinliher Span: 
nung. 

— Merken Ste gut auf. Ich Din einund— 
zwanzig Jahre alt; Bela zählt dreiundzwanzig. 
Wir ftehen beinahe im gleihen Alter. Er ift als 
Mann mittlerer, ih als Frau hoher Statur. 
Denn ich mid zwei Tage hindurd den Strahlen 
der Sonne ausjege, wird mein Geſicht ebenio ges 
bräunt, wie das Seine. Ich Felbit will nad 
Komorn als Frau hineingelangen, und dort mich 
unter Bela’3 Namen al Mann in die Armee 
einihreiben laffen und jo zurückkehren. 


— 88 — 

— Wohin denken Sie?!,. 

— Bitte! Widerſprechen Sie mir nicht. 
Ich habe nicht deshalb ſo viele Nächte mit dieſem 
Gedanken durchwacht, daß mich Jemand mit einem 
kurzen Einwurf in meinem Eutſchluſſe ſtören ſoll. 
Ich will es ſo, und es muß gelingen. Wollen Sie 
mir behilflich fein ? 

— Dann müffen Sie fih von Ihrem 
Ihönen, langen Haare trennen, — ſagte Meldior 
ſchwärmeriſch. 

— Das iſt ſchon geſchehen, — erwiderte 
Judith, ihren Hut vom Kopfe nehmend. 

Zu jener Zeit war es Mode, daß die 
Männer ihr Haupthaar bis auf die Haut ge— 
ſchoren trugen. Auch der Kopf Judith's hatte 
dieſe Friſur. 

Dem guten Melchior traten die Thränen 
in die Augen, al3 er an die Schwarzen, wallenden 
Locken dahte, weldhe auf der Bühne den Boden 
fehrten, wie man Judith, als zum Tode verur— 
theilte Königin, zum Nidhtplag führte. 

— Wie kann man einen Mann lieben! — 
jeufzte er. 


Judith lächelte, als fie den Hut herab: 


nahm. 
— Sie haben für Bela eine Welt ver— 
nichtet, — ſagte der Arzt in vorwurfspollem Tone. 
— Das Haar wird wieder wadhlen..... 


— 89 — 


Dies Alles ift jedoh nicht genng. Die Paflier- 
iheine werden mit der betreffenden Perſons— 
beihreibung ausgefüllt... . Sie werden fi er: 
innern, daß auf der Stirne Bela’3 eine lange 
Narbe jihtbar ift. 

— Ich erinnere mih. War doh id 
der Arzt, welder ihn nah dem Duell be: 
handelte. 

— So werden Sie fi auch erinnern, 
welhe Richtung die Narbe hat, und wie groß 
fie ift. 

— Habe doh ich fie verbunden! 

— Gut, nun maden Sie alfo einen gleihen 
Shnitt auf meine Stirne. 

— Um Gottes Willen!.. Was verlangen 
. Sie da von mir. 

— Ich verlange, das Sie erfüllen, mas 
Sie mir veriprohen. Einen Schnitt auf meine 
Stirn mit ſachkundiger Hand. hi 

— AH, Sie treiben Scherz mit mir. Ich 
jo diefe Schöne ulabafterne Stirne rigen? mit 
ſcharfem Eiſen, wenn auch nur fo tief, als wäre 
3 mit der Spige einer Nadel geihehen ? Ich ſoll 
dieſes Antlik blutend Sehen von meiner Hand ? 
Ninmermehr! Und verflucht ſei die Hand, welche 
es vollziehen wüͤrde. 

— Ich bitte Sie, dieſen Fluh zurückzu— 
nehmen, ſonſt iſt es möglich, daß Sie meine eigene 
hand verflucht haben, .. denn wollten Sie mir 


— 90 — 


etwa den begehrten Dienft nit erweilen, jo müßte 
ih die Dperation Selbit vornehmen, und dann 
wäre e3 wohl möylih, daß meine ungeübte Hand 
eine tiefere Wunde, und vielleiht nicht in der er= 
forderlihen Richtung ſchneiden würde, was für 
mich injoferne jchmerzlid wäre, als ich nicht viel 
Zeit habe, mih mit dem Wundfieber zu befafjen. 

Melchior gerieth in Verzweiflung, er mußte 
einjehen, daß ſich gegen dieſe Frau nichts aus— 
richten lich. 

— Nun, mein lieber Freund, wollen Sie 
mir dieſen Dienft erweilen ? 

Bei dieſen Worten lieg jih Judith ruhig 
und falten Blutes in jenem Armjtuhl nieder, in 
welchem Melchior jeine Operations-Meiſterwerke 
zu verrichten pflegte, den Kopf an den Kiſſen des 
Stuhles gelehnt, blickte ſie mit ihren großen, 
ſprechenden Augen den Arzt an, welcher, von 
dieſem Blicke bezaubert, ſich ganz dem Willen der 
Dame untergeordnet fühlte... und er vollzog 
die Dperation. 

Judith Eonnte erft nah acht Tagen die 
Binde von der Stirne entfernen, auf der mar: 
mormweißen Glätte dieſer Stirne zeigte ſich ein 
rofenrother Streifen, eine vernarbte Wunde. Aud) 
diefe verunftältete fie noch nit, bob vielmehr 
deren Schönheit hervor. 

Sieben Tage hindurch meldeten die Thea— 
terzettel ihre Krankheit;, am achten mußte fie 


— — 


auftreten. Die Narbe hatte die Bühnenſchminke 
verdeckt, das Publikum konnte fie nicht bemerken, 
und unter den Schaufpielern gab es nie Der: 
räther. Lektere treiben viel Gehäfligleit unter: 
einander, jie verleumden, intriguiren; ift aber 
Jemand von patriotiihem Schmerze geplagt, To 
achtet ihn dieſes Völkchen und hütet ihn vor 
Freund und Feind, dem Nebenbuhler, jei es Weib 
oder Mann, vor den Künftlern,, Pfuſchern, 
Souffleuren und Theaterdienern. Niemandem von 
dem Theatervolfe fiel es ein, über Judith's 
Narbe zu ſprechen, troßdem dieſelbe hundert und 
hundert Menſchen ftundenlang betrachten Tonnten. 

Als fie nah der Vorftellung aus dem 
Theater ging, trat ihr am Thor ein Mann im 
blauen Dolmany entgegen und redete fie an: 

— Guten Abend, gnädige Frau! 

Zu jener Zeit, und überhaupt in jenen 
Tagen, war die Kerepeſcherſtraße zehn Minuten 
nah der Vorftellung beinahe gänzlich menjden- 
leer; nur der einfürmige Tritt der Patrouillen 
begleitete das erfterbende Abendgeräufh. Judith 
war nur von ihrer Magd begleitet. 

Sie erkannte jedoh an der Stimme den 
Mann, welher ihr den Abendgruß geboten. 

— Sind Sie es, Kaͤpor? 

— Sie haben mid) erkannt, gnädige Frau? 
— ſagte der Angeredete in jreudigem Tone. — 
Und doch haben Sie mid jo lange nicht gefehen. 


a A 


— Sie waren ja fo oft im Haufe meines 
Baters, als id) noch ein Kind geweien, und ba: 
ben mid jo oft auf Ihren Knieen geichaufelt. 

— Auch deflen erinnern Sie fih no? 
Sie waren damals fo Kein, und doch ſchon jo 
verwegen; wenn ih Sie in die Schaufel ſetzte, 
tiefen Sie da nicht in Einem fort: Treiben Sie 
beſſer an, Kapor bäcsi, treiben Sie die Schau: 
fel bis in den Himmel hinauf! Während ich in 
"Einem fort jammerte: Ad, Fräulein Juczi, ges 
ben Sie, Acht um Alles in der Welt, Sie fallen 
herab! Ah mein Gott und Herr! 

— Und bin dennoh ſelbſt bis jet no 
nicht berabgefallen, — ermwiderte Judith mit feſtem 
Tone. 

— Gott gebe es! — jeufzte Kapor. — Ich 
fam die gnädige Frau hier aufzufuchen, weil ich 
nicht in Ihre Wohnung gehen wollte, denn id 
Hin ſelbſt nicht dreizehnpröbig. Sie verftehen mid) 
ja? Da ih aber morgen in frühefter Zeit heim— 
teilen will, jo wollte ih nur fragen, ob Sie der 
alten gnädigen Frau feine Nahriht zu geben 
haben ? 

— Sind Ste mit einem Wagen hier ? 

— Berfteht jih. Belieben ja zu willen, da 
wir uns über Magyarat hinaus begegneten. Ich 
ſah Sie jedody nicht, ich wußte von Nichts, wech— 
jelte mit Niemandem ein Wort darüber, da ih 
gut weiß, worüber ich zu ſchweigen babe. Aud 


— OR 


will ih Sie nicht viel mit Fragen beläjtigen, 
nur jo viel möchte ich erfahren, was ih zu jagen 
haben werde, wenn id zu Haufe, von meinem 
Wagen fteige, und die gute alte Frau an mich her— 
antritt und jene Frage, melde fie an Hunderte 
ſchon gerichtet, auch an mich ftellt, ob ich da mit 
,‚Ja“ oder ‚Nein‘ antworten fol. 

Sie gelangten während dieſes Geſprächs 
bis zur Wohnung Judith's, fie ſchickte ihre Magd 
voraus, dann ergriff ſie die ſchwielige Hand des 
duhrmanns und drückte dieſe mit inniger 
Bärme. 

— Sind Sie allein ? 

— Ganz und gar allein. 

— Mödten Sie niht meine Magd nad 
Komorn hineinführen ? 

Kapor ſchien die Frage ein wenig zu appre- 
hendiren. 

— Wenn Sie in Ihre Magd größeres Ber: 
trauen als in mid) feßen.... 

— Es ift nit wegen des Vertrauens, 
ſondern weil der Dienftbote wieder zuruͤckkehren muß. 

— Das ift was Anderes. Mit taujend 
Fteuden thue ic) es. 

— Um wie viel Uhr fahren Sie? 

— Ich möhte wohl ſchon um zwei Uhr 
nad Mitternacht aufbrechen, will aber auf Shren 
Dienftboten warten, da ich weiß, daß jo eine 
ſtaͤdtiſche Magd nicht zeitlich aufzuftehen pflegt. 


ze. 4 

— Fürdten Sie nihts. Sie wird um zwei 
Uhr eintreffen. Wo jind Site eingefehrt ? 

— Biemlid) weit draußen, bei den „zwei 
Böden.“ Ich würde gerne mit dem Wagen bier 
vorfahren, aber es könnte uns Jemand bemerken. 

— Sie haben Recht. Die Magd wird Sie 
aufſuchen. Nun will ich Ihnen ihre Kleidung be— 
ſchreiben, damit Sie ſich in der Perſon nicht 
irren. Auf dem Kopfe ein rothes Tuch, am Leibe 
ein buntes Mieder und einen blauen Rock Auch 
an der Ausſprache wird ſie kenntlich ſein, da ſie 
im Komorner Dialekt ſpricht. | 

— Na, das freut mid) um jo mehr. Schiden 
Sie fie mir warın immer, ich werde auf jie warten. 

— Ich danke Ihnen, lieber Käpor, Gott 
ſegne Ste. 

— Auch Sie behüte Gott. 

Der Fuhrmann wedielte einen warmen 
Handedrud mit der Tochter feines einftigen Herrn, 
die während zweier Jahre jo Vieles vom Med: 
jel des Schickſales zu erdulden hatte. Und bis 
der alte Manı aus der innern Stadt zu jeinem 
vorftädtiihen Gaſthauſe gelangte, hatte er Muße 
genug über Verſchiedenes nachzudenken. „Du guter 
Sott, — murmelte er, — wie dody Alles in der 
Welt jo veränderlid ift!... Einft das herrliche, 
fröhlihe Leben zu Hauſe, . . . dann die jo un: 
verhofft erfolgte ſchwere Stunde des Unglüds!.. 
Die Tochter des Hohen, ftolzen Herrn verftoßen 


wi GE: a 


und auf der Bühne,... wo fie auch Ruhm und 
Achtung erntet, um das zu erſetzen, was fie ver— 
loren ; die glänzenden Tage; der berühmte Gatte ; 
dann die große, ungeheuere Finiternig, welde Alles 

verdeckt, Alles, Alles... .“ | 

Der. Mann mit der Ihwieligen Hand fühlte 
es jedoch auch, das ſelbſt durch dieſe Finſterniß 
etwas leuchtet, etwas, wie zwei Sterne: deren 
einer die Treue der liebenden Gattin, der andere 
der unverwelkbare Lorbeer, welchen die Kunſt um 
Ihre Stirne gewunden. . 

Kaͤpor hatte die gute Gewohnheit, dort ein- 
zuihlafen, wo er den Kopf bingelegt. Als er 
in den Gaſthof gelangte, legte er fih im ſei— 
nen Wagen und ſchlief, bis es Zeit war zu er= 
wachen. Er hatte feine Uhr, erwachte aber den— 
noch pünktlich, wenn es Zeit war, die Pferde zu 
füttern. Dieſe Zeit war ein Uhr Nachts. 

Während die Pferde das Futter fraßen, 
zündete ſich Kapor ein Pfeifchen an und lehnte 
ih mit dem Nüden an den Thorpfoften des 
Safthaujes zu den „zwei Böden“, um auf 
die Magd Judith's zu warten. Er benükte dieſe 
Zeit dazu, um am beftivnten Himmel den Gang 
des großen Bären zu ftudiren. 

Kaum hatte es jedoh im Thurme der 
Sojefftädter Kirche drei Viertel nah Eins ge: 
'hlagen, als fih eine Geftalt ihm näherte, mit 
einem rothen Tuche auf dem Kopfe, im blauen 


— 96 — 


Rode, In der Hand trug fie ein kleines Bün- 
del;... jie fam ganz allein. 

Kapor wollte ihr zuvorkommen und grüßte 
fie von Weiten : 

— Guten Morgen, Sgueigen! v. 
wohl den Andreas Kaͤpor, niht wahr?... das 
bin ih!.. 

— Gott geb: auch Eud einen guten Mor— 
gen! — erwiderte das Mädchen in unverfennbarem 
Komorner Dialekt; — bin ich nicht zeitlih genug 
—— 

Haſt Du Dich in dieſer finſtern Nacht 
nicht gefürchtet, daß Dich Jemand anhält? 

— Na; dem hätt’ ich die beiden Augen 
ausgekratzt. | 

— Bit ein braves, tühtiges Mädel. 
Komm, bier ift mein Wagen ; Hettere in den Sig 
hinein; ih will nur noch Die Pferde tränlen, 
dannn jpanne ih an, und wir fahren in Gottes 
Namen. 83 Y beiler, diefe Stadt im Dunkeln 
zu verlaflen . ... Geht Du gerne nah Haufe ? 

— Na, und Die. 

— Hm! Zu Haufe fieht es aber jegt ſehr 
garſtig aus. Iſt Alles abgebrannt. Auch mein 
Haus hat nur ein Stückchen Nothdach, in den 
übrigen Theil gucken die Sterne hinein... 

Dabei half er der Magd in den Wagen, 
denn das Auffteigen war mit viel Schwierig- 
feiten verbunden, bis man in den Strohjtk ober 


ia RR: — 


der hintern Are gelangen fonnte. Dod das 
Mädchen veritand fih auf das Slettern vor— 
trefflih ; man ſah es, daß fie armer Leute 
Rind jet. 


Kaͤpor tränkte dann feine Pferde der Reihe 
nah, ſpannte an, rief den Wirth, zahlte feine 
Zeche; bei Aufzählung Der verſchiedenen Saden, 
die er zu bezahlen hatte, ſich jener halsbrederi- 
hen Bartizipien bedienend, welde er bei ernfteren 
Gelegenheiten anzubringen pflegte. Dann ließ er 
noch einen tüchtigen Schlud unentfufelten Trebers 
in den Schlund hinabgleiten, ſchwang fi mit 
Leichtigkeit in den Sig und jagte über das 
furhtbar holperige Pflaſter, durch krumme Gaſſen, 
in denen es ſelbſt im Hochſommer Koth- und 
Sumpflachen gab, und wo nur an den Ecken ein 
primitiver Verſuch einer Beleuchtung mittelſt 
ſchmieriger Dellampen vorgenommen wurde. Das 
genierte Kapor nicht, er jagte ſchnell vorwärts. 
Das Mädchen, welches ſich mit beiden Händen 
feſthalten mußte, um nicht vom Wagen geſchleu— 
dert zu werden, riskirte die Frage: 

— Kaͤpor Baͤcsi! Haben mir und nicht 
berirrt ? 

— Schweig', Schwefterden ; ih weiß es 
ſchon, wo id) fahre. Denn fiehft mein Find, wir 
müflen dort hinausgelangen, wo De Stadt 
leinen Mund Hat. 5 


Andere Zeiten andere Menfchen. II. Band. 7 


ze SUB 

— Aha! Ah verftehe ihon. Ihr habt 
feinen Paß. 

— Merde au feinen haben, und dod milk 
ih hinausfinden. 

Dann fuhr er nod in verichiedenen Win— 
dungen, durch verichiedene übelduftende Gaflen, 
welde nur an bretternen Planken vorbeiführten, 
und gelangte Ihlieglid an einer langen Reihe von 
Düngerhaufen vorüber, glüdtlih in jenes Sand- 
meer, welches die Hauptitadt Ungarns an allen 
Flanken bejpült. 

Hier nahm fie eine wohlmollende Akazien— 
allee auf ; als fie auch über dieje hinaus waren, 
trat ihnen ein breiter Graben, und jenjeitS des 
Grabens ein Damın entgegen; diefer Damm war 
die Landſtraße. 

— Halte Dih feſt, Schweiterden, und 
fürdte nichts, — brummte Kapor neben dem Pfeiten= 
tohre, das er zwiſchen die Zähne gepreßt Hatte, 
hervor, — halte Did) feft. Damit hieb er in die 
Pferde und ſchwang ſich mit feinem Fuhrwerk 
mit bewundernswerther Geſchicklichleit über den 
Graben und hinauf auf die Landſtraße, ohne 
daß an ſeinem Zeug etwas geriſſen oder gebrochen 
waͤre. 

Als ſie auf der Landſtraße waren, wies 
er mit der Spitze ſeines Peitſchenſtieles nad) rück— 
waͤrts. 

— Siehſt Du die Lampe, da hinter uns? 


STB: : BEN 


Das ift Die Mauth. Der find wir ſchon ausge: 
wichen. Sept haben wir nichts mehr zu be= 
fürdten. .. . Die Pferdlein werden jekt von jelbft 
ſchoͤn langſam vorwärts traben, und nun fünnen 
wir plaudern. Doch fiehe da, ich habe nicht ein- 
mal nod) um Deinen Namen gefragt. 

— Ich heiße Derzii. Kennen Sie mid 
denn niht? Bin die Tochter des Hußären vom 
gnädigen Herrn. 

— Ad, wahrlich, Du bift es. Ad, daß ih 
Dih nit glei an der Stinme erkannte; ob: 
wohl ich mir glei dachte, dag ich fie einmal 
ihon gehört haben mußte. Alio Du bift Derzfi, 
die Tochter des Hußaͤren. Wo befindet ſich Dein 
Vater jet ? | 

— Auch er fam nah Weit, um einem 
Beitungsichreiber zu helfen. 

— Mas, einem Zeitungsſchreiber zu helfen ? 
Etwa die Zeitung jchreiben helfen ? 

— Nein. Um in der Stadt auszutragen, 
was er geichrieben;. aber auch dem geht's jeßt 
ſchlecht. Sein Herr, na Ihr wißt es ſchon, 
ging ein wenig auf Reifen. Jetzt ſchreibt Nie- 
mand Zeitungen. 

— Recht haben's ... Wie geht es Dir 
bei Deiner rau, he? ... härmt fie fich ſtark ab, 
dei Arme ? 

— Hört Ihr, Kaͤpor Bacsi, ih erjude 
Euch nur um das Eine, mid nit über meine 

Ai. 


m — — I 


— 10 — 


Herrin zu befragen; als ich bon ihr ging, babe 
ih e3 ihr gelobt, zu feiner Seele von ihr zu 
Iprehen; und Ihr wißt, daß ih ein ehrlides 
Mädel bin und mein Wort zu halten pflege. 

— Da thuft Du Recht daran, — fagte Kapor 
zuftimmend , und damit er das Mädchen nicht 
no einmal in Verluhung bringe, ihr Wort zu 
brechen, ſchloß er den Dedel feiner Pfeife feuer— 
fiher zu und günnte fih ein Schläfhen, wie es 
Fuhrleute gewöhnt find. 

Deshalb geihah jedody fein Fehler. Die 
Pferde trabten gleihmäßig fort; kam ein Wagen 
entgegengefahren, ip raffte fih Kapor empor 
und jagte feinen Pferden „etwas ganz im Ge— 
heimen, worauf diefe ſchoön auswichen; bemerkte 
er am Nachlaſſen des Leitſeils, daß eines oder 
das andere feiner Thiere weniger anzog, Jo zanlte 
er das Säumige in aller Stille aus, als wollte 
er es vor dem andern nicht beihämen. Zuweilen 
fiel e8 ihm aud ein, feine Autorität zu zeigen, 
da griff er nad) der Peilſche, und ſchwang die— 
telbe über beide Rößlein, welche dann im ſcharfen 
Trabe ausgriffen, daß der Staub in dichten 
Wollen aufwirbelte, dann legte er fie wieder 
ruhig bei Seite und that einen tüchtigen Zug 
aus feinem Kulacs, indem er dabei meinte, daß 
man jonft jehr leicht einſchlafe. Bei ſolcher Ge: 
legenBeit trug ‘er auch ftet3 dem Mädchen einen 
Schluck an, mas dieſe ‘aber danlend ablehnte, 


— 1011 — 


da fie nicht gewohnt war, geiftige Getränfe zu 
fih zu nehmen. 

Zeitweile — er wieder, um ſich den 
Schlaf zu vertreiben, ſeiner Reiſegefährtin ſelt— 
ſame Geſchichten aus ſeinem vielbewegten Leben 
zu erzählen, die ihm mit großer Aufmerkſamkeit 
zubörte und nad) Art der Mädchen, wo es eben 
nothwendig erihien, lachte oder jeufzte. 

Ueber Waigen hinaus hielt er bei der 
Csarda eines kleinen Dorfes, um feine Pferde 
zu tränfen; bei diefer Gelegenheit langte er in 
feinen Schnappiad, um Schinken und Brod her- 
auszuholen, womit er aud feiner Reilegefährtin 
aufwartete, welche e3 freundlih annahm und mit 
beftem Appetit aß. 

— Na, wenn Du ichon feinen Wein trinfft, 
jo will id) Dir wenigftens dieſen grünen Krug 
mit Waſſer aus dem Brunnen anfüllen, — ſagte 
Kapor, und es gefiel ihm außerordentlich, wie das 
Mädchen auf fo echt Komorner Weile an der 
Warze des jeltfam geformten Kruges ſog, bei 
deilen Beſchaffenheit man immer darauf zu achten 
hat, dag man fih das Waſſer durd die Hals: 
Öffnung des Gefäßes nicht in's Gefiht gieße. 

— Die man's Dir anfieht, daß Du ein 
Komorner Mädchen bift!.. Was man aber aud) 
jagen wolle, ſchön bift Du geworden, jehr ſchön, 
ſeitdem Du in der großen Stadt bift; umfonft, 
in diefem Peſt fann man halt die Mädchen fo 


— 102 — 
echt herrihten. In Komorn wird Dich fider 
Niemand erkennen. 
— Wird man mid wirklich nicht er: 
fennen? — frug das Mädchen naiv kichernd. 

— Niht um eine Welt! 

— Auh Ahr würdet mih nicht erlannt 
haben ? 

— Hätteft hundertmal an mir borüber 
gehen können; nie hätte ich gelagt, daß ih Di 
jemal3 gefehen. 

— So? — rief das Mädden mitganz 
anderer Stimme und anderem DBlide 
im Auge. — Ich danke Euch, mein Kreund, dies 
tröftet mid ganz und gar. 

Unferem Freunde Kaͤpor fiel die Pfeife 
aus dem Munde, als er diefe Stimme hörte, Er 
warf einen fchnell prüfenden Blid auf die Re— 
dende, z0g Schnell für eine Minute feine Müte, 
tete diejelbe eben fo haſtig auf, ſchirrte feine 
Pferde an, ſprang auf feinen Sig und jagte, 
ohne ein Wort zu ſprechen, mit raſender Eile aus 
dem Dorfe, wie nur die Pferde‘ laufen konnten. 

Als fie Ihon in gehüriger Entfernung von 
allen menihlihen Wohnungen waren, drehte er 
langſam feinen Kopf, und ſprach die zwei Worte: 

— Gnädige Frau! . 

Mehr konnte er nit —— Nur 
deutete er durch ſeine Handbewegungen, ſein 
Kopfnicken, durch das Zwinkern der Augen und 


— 13 — 


Aufziehen feiner Schultern an, daß Alles gut ... 
fehr gut, in der beften Ordnung jet. 
Das Mädchen in der Verkleidung einer 
Magd war Judith felbit. 
Und alles dies hatte Kaͤpor bis jegt nicht 
bemerkt, fo gut gelang die VBerftellung. ... 
Nun... es war eben ihr Bad... . 


„Muß fein.“ 


Herr Andreas Kapor konnte e3 zwar nicht 
errathen, melde Urſache Judith habe, in die 
Feſtung zu gelangen, doch redete er fih ein, daß 
diefe eine wichtige jein müſſe. Selbft als Fuhr— 
mann hatte er jo viel Art, e8 einzujehen, daß 
eine Frage hier nit am Plake wäre. 

Anderſeits trug er mit vollftem Vertrauen 
Judith jeinen Operationsplan vor, wie man in 
eine bon allen Seiten umzingelte Stadt hinein 
könne. 

— Es wird bereits Nacht ſein, bis wir auf 
den Matyas-Grund gelangen. Zum Glück find 
die Neutra und Zsitva jekt fo jeiht, daß wir den 
Brüden, auf melden gewiſſe Vorpoften ftehen, 
ausweichen fünnen, indem mir durch das Bett 
des jeihten Wluffes fahren. Dann wenden wir 
uns abwärts gegen Füzes, dort wohnen ehrliche 
Fiihersleute, die ſämmtlich „gute Menſchen“ 
ind. Nah Mitternadht ſetzen uns diefe mittelft 
ihrer Kähne über die Waag; Pferd und Wagen 


— 105 — 


bleiben bei meinem Gevatter zufüd,. . . Ich 
weiß, das Sie fih vor dem Waſſer nicht fürdten. 

— Nein, ih fürdte mid nicht. 

— Ich wußte e3 ja. Sie fürchten ſich weder 
vor dem Wafler noch vor dem Feuer. Um fo beffer. 
Fahren wir denn in Gottes Namen, 

An den Csäarda's, wo fie anhielten, redete 
Käpor ſtets in einem Tone mit Judith, als wäre 
dieje jeine Magd; einmal ließ er fie jogar den 
Maffereimer vor den Pferden halten, bis er jelbft 
den Hafer durchgereutert hatte. Niemand fonnte 
auch nur den Argwohn fafien, daß diefe MWeibs- 
perſon eine Dame sei. 

Ueber Bätorfegi hinaus bog Kaͤpor von 
der Landftrage ab, und fuhr an Weingärten vor: 
über durch Feldwege in den verihiedenartigiten 
Krümmunyen, machte aber die hiedurd) entitan- 
dene Verſäumniß dadurch gut, daß er über Wie: 
fen und Hutweiden thurmgerade auf das Ziel los: 
fuhr, ohne fid) um Bäche oder Heinere Flüffe zu 
fimmern. In dieſer Gegend kannte er jchon jeden 
Straud) und jeden Stein. 

Wie er's vorausgelagt, war es bereits 
dunkle Nacht, als fie an den Pappelwald und an 
die Trauerweiden-Allee des Dürthens Füzes ge: 
langten. 
Es war aber aud) die hödhjite Zeit, in die 
Nähe von Menihenwohnungen zu gelangen, den 
am Himmel bereitete fi ein Gewitter vor. Vom 


— 10 — 


Süden zogen ſchwere Wolken heran, von momen— 
tanen Blitzen unheimlich beleuchtet. 

— Macht nichts, — brummte der alte Kaͤpor, 
gegen das nahende Gewitter blickend. — Wenn die 
Nacht ein wenig trübe wird, kommen wir um ſo 
ſicherer an's andere Ufer. Fürchten das Ge— 
witter nicht? — frug er dann, ſich an Judith wen— 
dend. — Doch, was frage ich da wieder, Sie 
haben ja nie Furcht: weder vor dem Feuer, noch 
vor dem Waſſer, weder vor dem irdiſchen, noch 
vor dem himmliſchen Kampf. Gott hat Ihre 
Seele geſtaͤrkt. | 

ALS fie vor dem Fiiherhaufe anhielten, fie- 
len jhon die erften ſchweren Xropfen auf das 
Schwingendah des Wagens. Im Haufe hatte 
man bereit3 Licht angezündet. Kaͤpor wendete fi 
an Judith und ſprach: Oerzſi, mein Sind, bleibe 
Du einftweilen im Wagen, bis ih bineiniehe, 
was es für eine „Luft“ da d'rinnen gibt. Bin im 
Augenblid zurüd, fürdte nichts. 

Damit jprang er von feinem Sitze und 
verſchwand dur die Thüre des Filherhäuschens. 

Während die ſchweren Tropfen aus dichten 
Wolken mit monotonem Geraͤuſch auf Die dürre 
Erde fallen, und Ipäter der Wind fein zorniges 
Lied duch die Pappeln pfeift, und waͤhrend 
Kaͤpor da d'rinnen mit feinem Gevatter berath— 
ſchlagt, haben wir Zeit, eine kurze linguiſtiſche 
Studie für uns anzuſtellen, wie das zuweilen bei 


a 


Nervenkranten zu geihehen pflegt, wenn fie die 
langen, ſchlafloſen Nähte mit Lölung von hirn— 
berwirrenden Aufgaben zubringen. 

Die ungariihe Sprache befift einen befann- 
ten Ausdrud, welchen fie im gewöhnlichen Leben 
jeit lange ſchon als den ihren betrachtete, ob: 
wohl die Wiffenihaft nichts von ihm weiß, fein 
Wörterbuh ihn noch inartikulirte, fein Dichter 
oder Schriftfteller niederſchrieb; und dennod lebt 
und bewegt er fi in den Reihen der autophtonen 
Wörter, bald als Haupt-, bald als Zeit- oder 
Beiwort, bald figurirt er wieder als Adverb oder 
Interjektion. Als Zeitwort duldet er feine Kon— 
jugation, als Hauptwort feine Deklination, und 
als Beimort feine Komparation. Weder voran, 
noh hinten ift ihm eine Präpofition anſetzbar. 

Dieſes außerordentliche, unabänderliche, über 
Alles fih erhebende Wort heißt im ungarischen: 
‚muszäj.“ Linguiften willen es ſehr gut, daß es 
bon den beiden deutihen Wörtern: „muß Tein“ 
abſtammt. 

Nicht nur die ungariſche, ſondern ſelbſt jede 
Sprache romiſchen Urſprungs, iſt zur Wiedergabe 
dieſes Wortes in ſeinem vollſten Sinne zu arm. 

„Debet, — opportet, — il faut, — deve 
u. ſ. w. bedeuten : „es fol.“ 

Das „ſoll“ ift noch fein jo großer Derr. 
Mit dem läßt es fih Sprehen, dem kann man 
noch entgegenwerfen: wenn es denn do nicht 


— 108 — 


fein jol, wenn es nur jein jollte, — es foll, 
wenn möglich; aber vor dem furdtbaren : „Muß 
fein“ verihwindet jeder menſchliche Einwurf ; vor 
diefem gibt e3 fein Verhandeln, feine Unmög— 
lichkeit; es läßt nicht mit ſich ftreiten, duldet 
feinen Aufihub und feine Kapazitation, es läßt 
fi nicht verichieben, denn: was „jein muß“ — 
„muß jein“. 

Der ganze Krieg der Linguiften gegen das: 
jelbe ift vergebens, das Wort lacht ihnen in's Ge— 
jiht. Ein ſehr altes Spridwort jagt: Das 
„Muß fein“ erfäuft nie in der Donau. — Das 
‚Muß fein“ ift unſterblich. ... 

N Unterdeflen trat Käpor aus der 
Hütte. 

Der Regen fiel ſchon in Strömen ; der Donner 
rollte mit zornigem Gebrüll durch die Nacht; es 
war ein Wetter, wo man feinen Hund vor die 
Thüre ſetzt. 

Kaͤpor ftedte feinen Kopf unter der Place 
in den Wagen hinein, und fagte leile zu 
Judith: 

— Fürchten ſich die gnädige Frau auch vor 
böſen Nachrichten nicht ? 

Judith ſchauderte. Doch ſtärkte ſie ihr Herz, 
und antwortete: 

— Ich fürchte mich vor gar Nichts. 

— Nun hören Sie alſo die erſte Nachricht. 
Wir fünnen nicht über die Waag, da man alle 


— 109 — 


Kähne, Schiffe und Flöffe mit Beſchlag belegte 
und ſtrengſtens bewacht. 

— Alle? Alle? 

— Ein einziger „Seelentränfer“ iſt ver— 
Ihont geblieben am Boden meines Gevatters, 
63 ift dies ein aus einem Baumſtamm gehöhltes 
Fahrzeug ; wer würde fi in diefem auf den Fluß 
wagen ? 

— Ich! 

— Dann, — fuhr Kaͤpor fort — erzählt 
mir mein Gevatter al3 etwas Sicheres, daß die 
Kapitulation bereit3 unterzeihnet ſei, und die 
Seftung ſchon morgen übergeben wird. 

— Mein Gott! — rief Judith, 

— Mohl Denen, die da drinnen find, die 
Üonnen frei ausgehen, und werden nie zur Ver: 
antwortlichkeit gezogen. 

— Dh, mein Gott, mein Gott!... Um- 
ſomehr muß ich nod) in dieſer Nacyt in die Stadt 
hinüber, 

— Ich babe dies meinem Gevatter gejagt, 
er gab aber zur Antwort, daß es entichieden un— 
möglich fei. 

— Laſſet mid. Ich werde felbft mit ihm 
teden — fagte Judith, haftig vom Wagen-fteigend. 

Kaͤpor Half ihr in ängftliher Verzweiflung 
beim Herabfteigen. Er Hätte: fie fo ‚gerne mit 
etwas zugededt, damit fie nicht. naß werde, * 
Judith achtete auf den Regen nicht. 


— 10 — 


Als fie von der Küche des niedrigen Fiſcher— 
häushens in das Wohnzimmer trat, jah fie 
einen hohen Mann mit weißen Haaren vor fid) 
ſtehen. 

— Das iſt mein Gevatter, — ſagte Kapor. 

— Ich flehe Euch bei Gott an, — rief 
Judith mit gefalteten Haͤnden — ſchafft mich noch 
dieſe Nacht in die Stadt hinein. 

— Das kann nicht ſein, — gab der alte 
Fiſcher zur Antwort, indem er ſein greiſes Haupt 
ihüttelte. — Selbſt wenn ih meinen Kahn hätte, 
wäre es Verſuchung Gottes, in dieſem Wetter fih 
dem Fluſſe anzuvertrauen. Was mid anbelangt, 
würde ih mid um mein Xeben wenig jheren, 
heißt ohnedem nichts mehr: aber die Gejahr eines 
Andern fann id nicht auf meine Seele nehmen... 
Uebrigens hat man mir ja aud) meinen Kahn ge= 
nommen. 

— D, id weiß es, daß Ihr nod) einen am 
Boden habt. | 

— Diejen „Seelentränfer‘ ? Der ift nicht 
für dieſes Wetter... Was ift dieler Kahn ? 
Eine Nußſchale für dieien Sturm. In den wird 
ji) feine Ehrijtenfeele heute wagen. 

— Hört Ihr mih an, Alter! Seht, id 
bin niht arm. Will mid vor Euch nicht ver— 
ftellen. Hier habt Ihr meine Börje, meinen 
Schmud.... Alles gebe ih Euch, nur führt mid 
über den Fluß. 


—- 111 — 


— Dante, gnädige Frau. Ih handle nicht 
aus Habgier. Aber e3 kann nit fein. Sollten 
Sie mir alle Schäße der Welt, jelbft die, welche 
noch im Schoße der Erde verborgen liegen, an— 
bieten, jo würde ich doch fein Auder in diejer 
Naht in die Hand nehmen. Wegen meiner joll 
Niemandens Mitwe oder Waije weinen... . Und 
mozu auch diele Eile? Morgen werden die Thore 
geöffnet, und da fann ein Jeder frank und frei 
hineingehen. 

— D, dann wird es zu Spät jein; dann 
it Alles umfonft. D, daß ich es doch nicht jagen 
fonn, wie es ift. Mein Gott, mein Gott! 

Sudith ging weinend und händeringend im 
Zimmer anf und ab, und ſuchte mit allen mögli- 
hen Bewegungen dem Fiſcher etwas begreiflid 
zu maden, was fie mit Worten hier nicht aus— 
drüden durfte. Der Fiſcher z0g die Achſeln in 
die Höhe und legte wiederholt die flachen Hände 
auf die Bruft, wie Einer, der fi entſchuldigt. 

— Hört mih an! —ſprach Judith plöglich, 
bor dem alten Manne ftehen bleibend — hr 
jagtet jo eben, dak Ahr Niemandens Tod auf 
Eure Seele laden wollt. Nun wißt alfo, daß 
8 das Leben zweier Menſchen fojten wird, wenn 
Ihr mich nicht allſogleich in die Stadt hinüber führt ; 
. . . dieſe zwei Leben find das meinige und das 
meines Gatten. Wenn wir uns in die bevorfte- 
hende Gefahr wagen, fann uns Gott helfen und 


— 12 — 


glücklich hinübergeleiten; wenn id mich aber zu— 
rückſchrecken laſſe dann wird mid) die andere Ge: 
fahr tödten, und zwar auf eine eridhredliche 
Meile. Ih muß in die Feftung!... 

Diefe Worte waren im Tone der Verzweif— 
lung geſprochen; der alte Fiſcher faltete die grauen, 
ftruppigen Augenbrauen und hielt jeine ſchwielige 
Hand vor den Mund. Da platte plöglih Kaäpor 
mit der mühlam zurüdgehaltenen Sprade heraus. 

— Verfteht Ihr e3 denn nicht, Gevatter ? 
Es „muß fein“, daß die guädige Frau heute 
noch in die Feftung gelangt, es „muß jein!“ 

Der Fiſcher feufzte tief auf. 

— Wenn e8 „Sein muß,” dann „muß 
e3 fein; Gott thue mit, uns, wies ihm gefällt. 

Judith drüdte außer ſich vor Freude Die 
Hand des alten Fiihers, fie würde dieſelbe viel- 
teiht auch geküßt haben, wenn er's zugelaffen 
hätte, 

— Nun, gnädige Frau, was „fein muß,‘ 
das „muß fein‘... Sch weiß es nicht, mas Sie 
find, was Sie vorhaben. Will e3 auch nicht 
willen. Es genügt, daß mir mein Gevatter jagte, 
daß ih Sie noch heute über den Fluß jegen 
muß. Nun jo werde ih Sie hinüberjeken. 
Menn Sie entihloflen find, fo ift das ſchönſte 
Wetter hiezu. 

Der Regenguß verhindert cs, daß wir ges 
sehen werden können; gewahrt und die Schild: 


— 13 — 


wache, kann fie uns nichts anhaben; ic möchte 
den Burſchen jehen, der es unternimmt, ung zu 
verfolgen. Den Plan Eünnen wir jedod) nicht jedem 
Narren mittheilen; bier müßt hr beihilflich fein, 
Gevatter. | 

— Das will id aud, denn auch mic 
drängt cs, nod) heute drüben zu fein. 

— Könnt Ihr rudern ? 

— Welche Frage, ein Komorner Kind 
follte nicht rudern können! .. 

— Gut. Verforgt alfo früher Eure 
Pferde, danı werden wir den ſeahn vom Boden 
herunter holen. 

— Früher den Kahn, dann die Pferde!,. 
das hieß viel gejagt von einem Fuhrmann! 

Die Männer fliegen demnach zuerft auf 
den Boden hinauf und braten den leichten 
Nahen auf den Achſeln herab, trugen ihn in's 
Zimmer, und legten ihn, mit dem Boden nad) 
Aufwärts gelehrt, nieder; dann erft ging 
Käpor, um feine Pferde in's Trodene zu bringen. 

— Die heißt Ihr, alter Freund ? — frug 
Judith den Fiſcher, welder, während fein Ge: 
batter für feine Pferde ſorgte, mittelft eines 
hölzernen Hammers und Meißels mit Fett ge: 
tränfte Lappen in die Niken und Fugen des 
Kahnes trieb. — Ich möchte es wiffen wenn ich 
jegnen ſoll, wenn mich Gott aus der Gefahr 
rettet. 

Andere Zeiten anbere Menſchen II Banks. g 


— 114 — 


— Mein Name ift Johann Tuba, — erwiderte 
der Alte, Berfloffenen Sommer babe ich mein neun: 
undfiebzigites Jahr erreiht. Meine Gattin ftarb 
voriges Jahr; meinen legten Enfel, den id noch 
hatte, Ihicte vor etlihen Wochen eine Kanonen— 
fugel in’3 ewige Leben. Der Herr gab jie mir, 
meine Lieben, der Herr nahm fie mir aud, ſein 
Name ſei gejegnet. Seht bin ih allein. 

Aus diefer kurzen Biografie ift es erſicht— 
lich, da nicht die goldenen Tage der Zukunft es 
waren, die den Alten zurüdhielten, jih der Ge— 
fahr auszujegen. 

Nach kurzer Zeit kehrte Kapor zurüd, und 
aud) der Kahn war bereits ausgebefiert. 

— Nun, Gevatter, — ſprach der alte 
Fiſcher — richten wir uns für's Wetter ein, — 
und dabei begann er ſich ſeiner Csismen zu ent= 
ledigen. Auch Kaͤpor that desgleihen. 

Dann zogen jie jede ſchwere Kleidung aus 
bis auf die leinene Wäſche. 

Tuba nahm Hierauf aus jeiner hölzernen 
Truhe einen langen, dünnen Lappen, und blies 
in das eine Ende desſelben gewaltig hinein. Es 
mar dies ein dider Ochſendarm, welcher fi fteif 
aufblähte ; dann band er das Ende, wo er hinein- 
geblaien, zu, trat hierauf zu Judith und forderte 
fie ohne jeglide Zeremonie auf, die Arme in die 
Höhe zu heben, und band ihr dann das primitive 
„life preservet‘“ um den Leib. Der Rettungs- 


— 115 — 


gürtel, welder für einen männlichen Leib beftimmt 
war, mußte doppelt um ihre zarte Taille ge: 
wunden werden. . 

— So. Das wird Sie nicht unterjinfen 
laffen. Geht breden mir in Gottes Namen auf. 

Judith nahm ihr Heines Bündelden unter 
den Arm, die Männer luden das leihte Fahr: 
zeug auf ihre Schultern, nahmen Ruder und 
Steuer in die Hand und gingen zur Thüre hinaus. 

— Mo ift der Waflerihöpfer ? 

— Den werde ih tragen, — jagte Judith, 
nad) demjelben langend. — Das wird ohnehin 
Arbeit Sein. 
| — Eine brave Frau, jehr brave Frau! — 
brummte der alte Fiſcher. 

Es war ein Wetter draußen, in weldem 
nur dem Tode geweihte Menihen ji) unterfan= 
gen, Gott zu verjuden. 

Der Regen ftrömte, ſchräge vom Winde ge- 
trieben, hernieder ; wenn der Blik die Finſterniß er= 
hellte, ihien es, als hingen Millionen filberner Fäden 
vom Himmel herab, zwilchen denen drei dunkle 
Schatten dem Ufer entlang Ichweben. 

Vom fteilen Ufer konnte man das Rahr- 
zeug nicht in's Waſſer gleiten laffen, die bran= 
denden Wogen würden es augenblidlih umge— 
worfen haben. Man mußte nach einer ſeichten 
Stelle ſuchen, wo die Wellen Ihäumend über den 
Sand liefen. Hier ftieg der alte Fiſcher zuerft 

8* 


— 116 — 


ins Waſſer und lief den Kahn von den Schul— 
tern gleiten; Käapor hielt den Strid feſt. Zuerft 
beftieg Judith das ſchwache Kahrzeug, dann 
Käpor, und ihlieglih Tuba. Als fie vom Ufer 
abftiegen, riffen Sturm und Mogen das leichte 
Fahrzeug gleich einer Feder mit ji. 

Der Sturm tobte den Rudernden entgegen. 
Die ganze Oberflähe der Wang war grau von 
dem Schaum der aufgepettihten Wogen, zwiſchen 
denen der winzige „Seelentränfer“ alle Augen: 
blide verihwand, um bald mit dem Worderz, 
bald mit dem Hintertheile aus den ſchaukelnden 
Armen der Todtenamme anfzutauden. 

Der Sturm pflegt feine normale Richtung 
zu haben. - Bald greift er die Flanke, bald die 
Fronte an, dann Fällt es ihm ein, ganz ftille zu 
ftehen, um mit erneuerter Wuth loszubrechen. 
Mer kennt feine Launen ? 

Aus der Ferne erihollen Nothrufe; am 
Waſſer treibt eine von ihrem Anker Losgeriffene 
Mühle abwärts, die Leute darauf rufen um 
Hilfe; . . . der Kahn treibt geräuihlos zwiſchen 
den zwei Keinden, der Luft und dem Waſſer, vor: 
wärts. . . Die Flüchtigen rufen nicht um Hilfe. 

Und doch ſchwebt die Hand des Todes über 
ihnen. 

Eine jede Welle, welche ſich vor ihnen 
ſpaltet, zeigt ihnen das naſſe Grab; eine jede 
Brandung, welche mit ihrer Ihäumenden Mähne 


— 111 — 


heranjtürmt, scheint das geipenftige Roß des 
falten Todes zu fein, welder !o nahe iſt. . .. 

Sn diefen ewigen Momenten des ver— 
zweifelten Kampfes tauchte in der Erinnerung 
der vielgeprüften Frau jene Ichredlihe Szene 
auf, Die fie Thon einmal am Grunde dieſes 
eiligen Grabes erlebt, fie fühlte abermals den 
peinlihen Kampf mit dem mürgenden Glement, 
den ftummen Todesihmerz, den Schred, welder 
früher die Seele, dann erit den Kürper tüdtet; 
fie fühlte den krampfhaften Drud jener furcht— 
baren Hand, melde fie damals ergriff und 
hinab auf den Grund des Wellengrabes zerrte. 

Die Erinnerung an diefe Hand lähmte aud) 
jest ihren Körper und ihre Seele; vielleicht 
lauert dieſe Hand auch jegt Da unten in der Tiefe 
des Stromes! .. 

Sturm und Wogen riffen das leihte Fahr— 
zeug wie eine Feder mit fi. 

Die Männer mußten al’ ihre Krait an— 
ftrengen, um nit an's Ufer zurüdgeworfen zu 
werden. Sie nährten die Hoffnung, daß, wenn 
fie fih dem Winde und den Wogen überlaffen, 
fie die Inſel, welche inmitten der Waag liegt, 
reihen können, von dieſer Inſel führt eine 
Brüde in die Stadt hinüber. Im ſchlechteſten 
Falle fünnen fie an den Brüdenpfeilern an- 
flogen, wo jelbft dann Rettung möglich ift, wen= 
der Nahen umkippen ſollte. 


— 13 — 


Die beiden Männer bemübten jih nun mit 
vereinten Kräften und gleihmäßiger Geſchicklich— 
teit, das Kahrzeug gegen die Gefahr zu ſchützen, 
während Judith, am Boden des Kahnes Inieend, 
fih fortwährend mit dem Wafferausihöpfen be— 
Ihäftigte, denn der heftige Regen jowohl, als die 
ungeftümen Wogen füllten den Seelentränfer 
immer wieder. | 

Bei den von Zeit zu Zeit aufleuchtenden 
Bligen konnten fie gewahren, daß fie von beiden 
Ufern glei entfernt jeien, folglich bereits in der 
Mitte des Stromes treiben. 

Das Leuchten der Blitze zeigte ihnen aber 
aud die Reihenkette der am Ufer aufgeftellten 
Vorpoſten, welde troß des Unwetters an ihren 
Pofſten ftanden. 

Einer derjelben wurde den Kahn gewahr 
und rief den Leuten zu. Den Sinn jeiner Worte 
batte jedoch der brüllende Sturm weggefegt. 

Rief er ihnen vielleiht, daß fie ftille hal- 
ten oder umkehren follten?!... 

Dann fnallte ein Schuß, die Kugel pfiff durch 
die tobende Luft und ſchlug ziſchend in's Waſſer. 

Die übrigen Wachpoſten harrten, durch den 
Schuß aufmerkſam gemacht, nur des naͤchſtfolgen— 
den Blitzes, um auf die Wagehälſe zu feuern. 

Dieſer Blitz zögerte jedoch, und der Kahn 
flog nun, von der Strömung ergriffen, in der 
Richtung des Fluſſes, zwiſchen zwei feindlichen 


— 19 — 


Schanzen, deren Kanonen ihn gleichzeitig in den 
Grund bohren konnten. 

Plöglih näherte er jih einem dunklen Ge— 
genftande, welher durch Regen und Finfternig 
nur Schwer zu unteriheiden war. Es war die In— 
ſel; die Brandung warf den Nahen an das Ufer 
und verienkte ihn in demielben Moment. 

Käapor ergriff mit einer Hand einen herab: 
hängenden Weidenaft, mit der andern faßte er 
die Hand Judith's, und Bielt dieje jo über dem 
Waſſer ſchwebend. Der alte Fiſcher verihwand... 
er ging zu jeinen Kindern und Enteln. 

Judith ſchöpfte aus der drohenden Gefahr 
neue Kraft und Hammerte fih auch ihrerieits an 
einen ausgeihmwenmten Stamm, über welchen fie, 
mit Hilfe Käpor's, das Ufer erklomm. 

Der umgeftürzte Kahn trieb auf den Wel— 
len weiter. 

Käapor rief noch einige Mal den Namen 
feines verihwundenen Gevatters; ſchließlich be— 
ruhigte er ſich, daß der vorzügliche Schwimmer 
ſchon irgendwo an's Land gelangen werde; .. . er 
beeilte ſich daher, Judith in die Stadt zu 
bringen. 

Judith triefte vom Waſſer. Aber ſelbft in 
der größten Gefahr hatte fie ihr Bündelchen nicht 
von ſich gelaflen. 

Die Beiden braden fih nun zwiſchen dem 
Weidengeftrüppe der Inſel entlang Bahn und 


— 120 — 


gelangten glüdlid‘ zu der Ihmalen, teilen Treppe, 
welche auf die Brüde hinaufführt. 

— So, jegt wären wir hier. Tradten mir 
nun, zu meinem Hauſe zu gelangen. 

Kaͤpor war ehr überraicht, als er am Ende 
der Brüde, wo das Wachthäuschen ſtand, Nies 
manden traf. Der Poften war hier bereits eingezo= 
gen, e3 mar ja ihon Alles zu Ende. Niemand 
hielt die Ankümmlinge an. Sie betraten die Stadt. 

— Gnädige Frau, wir find „zu Haufe“... 

Der Mond blickte in dieſem Momente durch 
die zerrifienen Wolkenmaſſen, welde mit trauri= 
gem Gedröhne gegen die Almäjer Gebirge zogen. 

Judith ſah ſich ein furchtbares Bild ent- 
rollen. Eine Stadt, deren jedes Haus ſie vor 
zwei Jahren noch kannte, und jetzt vermochte ſie 
nicht eine einzige Gaſſe wieder zu erkennen. 

Stellenweiſe fehlten ganze Häuſerreihen; 
wo ſie einſt geſtanden, gähnt ein leerer Raum. 
An einer Stelle ſind bekannte Plaätze mit Palli— 
ſaden verrammt; hinter ihnen erhebt ſich ein im— 
proviſirtes Pfahlwerk; bald wieder gelangten ſie 
an eine lange Häuſerreihe, wo nur ein jedes 
zehnte Haus durch ein Nothdach geſchützt iſt, die 
übrigen find nackte Ruinen, mit ſchwarz gähnen- 
den Fenſterreihen. 

Kaͤpor eiferte Judith, weldhe nicht vorwärts 
fam, zur Eile an: Gehen wir, gehen wir, blei— 
ben wir nirgends ſtehen! ... 


— 121 — 


Ueber den Trümmerhaufen der einjt ſchoͤnen 
Stadt ragten fünf traurige Thiergeitalten empor. 

— Eilen wir, eilen wir!... 

Keiner einzigen Patrouille konnte man be= 
gegnen . . . Wozu hätten fie auch gedient ? 

Jetzt kamen fie an eine Ede, wo Judith 
erihüttert anhält, An dieſem Haufe vermag fie 
nicht vorüber zu eilen, ohne ftill zu halten, trotz— 
dem fie Kapor zur Eile antrieb. 

Diejes Haus — iſt ihr Elternhaus. 

Es ift bis auf den Grund niedergebrannt. 
Die fahlen Wände hatte der Regen verwaſchen, 
im Hofe wucherte Unkraut, die Kellerwölbungen 
hatten die Bomben durchbrochen, Sie warf 
durch Das verroftete Gitter einen Blid in das 
Zimmer, an welches fi jo viel ſchöne Erinne- 
tungen fnüpfen. Sie erfennt es noch an den 
Ueberbleibiein der Malerei, welche jilberfarb mit 
blauen Blumen gewejen. Die Wände haben noch 
bie und da die Farbe behalten. 

Dort ſtand einft ihr Klavier, auf weldem 
fie die Lieblingsmelodien Béla's jpielte, dort 
ding das Portrait des Geliebten, bier hingen die 
Portraits ihrer Eltern. In jenem Altoven ftand 
binter weißen Gardinen ihr Bett, und hier knapp 
am Fenſter ihr Arbeitstiihchen. — Seht über- 
wuchert mannhohes Unkraut das Fenſter, aus 
defien Riflen -giftige Pilze ihre Köpfe hervor— 
fteden. 


— 12 — 


Dies war einft das Heiligthum ihrer glüd: 
Iihen und unglüdlichen Liebesträume. 

Dort raufht etwas im dürren Unkraut, 
bielleiht ein faltes, giftiges Reptil, welches jekt 
in diefem Raume hauft. 

— Gehen wir weg von hier! ... geben 
wir, — mahnte Kaͤpor feine träumende Gefähr- 
tin, und zog fie fanft von der traurigen Stätte weg. 

Judith jeufzte tief auf. In dieſem Seufzer 
offenbarte fi) der Gedanke: Mutter! ich bin den- 
noch glücklich! 

Nachdem ſie durch die lange, krumme 
Megyorcser-Gaſſe geſchritten, gelangten ſie an 
eine ziemlich erhaltene Häuſergruppe, unter welcher 
ſich auch Kaäpor's Hütte befand. 

Kaͤpor war Witwer. Er hatte ſein Weib 
diejes Jahr begraben. Die Hauswirthſchaft veriah 
feine Tochter, dieſe hieß Katicza. 

Das Mädchen lief mit einem Freudenſchrei 
auf die Gaſſe hinaus, als fie die Stimme ihres 
Baters erkannte. Sie glaubte, er fei vom Himmel 
gefallen. 

— Nur ftille, ftile mein Kind ! — beſchwich— 
tigte fie der Alte; — brauchſt feinen fo großen 
Lärm zu fhlagen, ich bin nicht allein gelommen. 

— Men habt Ihr denn noch mit Euch? 

— Ich werde es Dir fhon jagen, wenn 
er Fortgegangen. Schließe die Thüre des erften 


— 123 — 


Zimmers auf, und bleibe dann ruhig im Hinter- 
ſtübchen, bis ih Dich rufen werde. 

Judith blieb einftweilen auf der Gafle 
ftehen, bis Kapor aus dem Haufe tretend, ihr 
bedeutete, daß fie nun unbemerkt hinein fünne. 

— Ich mödhte mid umlleiden, — fagte 
Judith — bin bis auf die Haut durdnäßt. 

— Bitte nur in's Zimmer zu gehen, dort 
fonnen Sie die Kleider meiner Tohter anlegen. 

— Danke. Ich Habe mir Kleider mit- 
gebracht. | 

— Die werden aber au naß fein. 

— Das thut nichts. 

Damit trat Judith in's Zimmer und ver— 
riegelte die Thüre Hinter fih; — unterdeffen 
rief Kapor feine Tochter, befahl ihr, Feuer zu 
mahen und ein gutes warmes Frühftüc zu be— 
teiten, er erzählte ihr biebei im Kurzen, wo 
er gemeien, welche Schickſale er erlebt Hatter 
verſchwieg aber wohlweislih Alles, was jih au, 
Sudith bezog. 

Das Feuer Jrannte bereits luftig, und Die 
darüber Hängende Pfanne jpendete einladenden 
Duft, als ſich die Thüre des fogenannten erften 
Zimmers halb aufthat, und Judith ihre Stimme 
ertönen ließ: 

— Kapor Bäcsi!.. 

— Befehlen, gnädige Frau? — rief Käpor, 
bereitwillig der Thüre zueilend. 


— 124 — 

As cr in das Zimmer trat, blidte er 
ftaunend um ſich. Bor ihm jtand ein junger 
Mann, in voller Dffiziersuniform, mit kurzge— 
ihorenem Haar und einem rothen Käppchen auf 
dem Kopfe. Selbft "die Stimme fonnte er 
nit wieder erkennen, denn fie Hang ſteif und 
barſch. 

— Habt Ihr nicht irgendwo einen über: 
flüfligen Säbel ? 

Käpor fonnte aus jeinem Staunen nicht 
herausfommen. Wo fam Judith Hin, und wie 
fam diefer junge Offizier hieher ? 

Da nahm Judith ihren natürliden, weichen 
Ton an, und jagte, fi) freundlid an den Alten 
wendend : 

— So gebt mir denn einen Säbel, 
denn ohne den bin ic fein ganzer Solvat. 

Kapor Ihlug die Hände vor Weberraihung 
zujanımen, und rief: „Na, das hat auch nod) feine 
Menſchenſeele geſehen!“ 

— Wie ſollte ich keinen Säbel haben? 
Bin doch ſelbſt Nationalgardiſt geweſen, — ſagte er 
mit haſtiger Bereitwilligkeit, und griff nach dem 
Schleppſaͤbel, welcher in der Ecke an der Mauer 
hing, ſchnallte ihn um die Hüften Judith's, indem 
er ſeufzend in den Bart brummte: „was man noch 
Alles erleben muß!“ 

Kaͤpor's natürlicher, ſchnellfafſender Geift 
begriff ſofort, wozu dieſe Verkleidung diene 


— 15 — 

Er fand Th auch alliogleih in jeine 
Rolle, und fprah mit feinem Gafte in barſch 
joldatiihen Zone. 

— Treten Ste in die Küche heraus, ge= 
ftrenger Herr Hauptmann, bier fünnen wir ung 
am euer erwärmen, meine Tochter Katicza be- 
reitet ſoeben das Frühſtück. 

Während er jo ſprach, hatte er die Frauen: 
fleider Judith's in den Schrank veriperrt, damit 
fie Niemand gewahr werde. 

Judith ſah einem Mann vollitändig ähn: 
ch, und das war Feine geringe Kunſt. Das 
Kleid trägt zwar viel zu dieſer Kunſt bei, aber 
niht Alles. Der verbrämte Bekes verbarg zwar 
die reizenden Frauenformen, die hohe Kravatte 
den geihmeidigen Hals; das durch geſchickt ange- 
brachte Schminke gebräunte Geſicht erhielt eine 
männlihe Färbung, die Zigarre im Munde trug 
außerdem viel dazu bei, um die Täuihung voll- 
fommen zu maden; troßdem blieben fo viel 
Heine Nuancen übrig in der Haltung, im Gang, 
welche auch duch die Maske die Krau in einem 
jelbftvergeffenen Momente verrathen konnten. Der 
Kopf darf nicht ſanft nah Vorne geneigt fein, 
Jondern muß jtolz aufrecht gehalten werden; die 
einwärts gewöhnten Kniee müſſen frei und nad) 
auswärts jtehen; der ganze Körper muß im 
Stehen und Gehen ſtets auf den Ferien ruhen 
und nicht auf den Fußſpitzen; die Hüften müſſen 


— 126 — 

ihre Gelentigfeit verleugnen, die Schultern aus: 
einandergeipreizt gehalten werden; dabei muß 
fih im Blide, in Haltung und Bewegung ſtets 
jene Selbitjtändigfeit und jener Muth äußern, 
welcher nur wahren Männern eigen, und was das 
Schwierigſte ift, das Gefiht muB die angewohnte 
Gleichgiltigkeit dem ſchärfſten Mannesblide gegen- 
über zu bewahren willen. 

Alles dies gelang Judith auf das Treff: 
lichte. Sie trat in die Küche, bot dem Mädchen 
einen „guten Morgen’, zündete die Zigarre am 
Feuer an und ſchwang ſich an den Rand des 
großen Herdes hinauf, um da figend ihre Sporen 
nad dem Takte des Liedchens, das fie pfiff, zu= 
fammen zu jchlagen. 

Nah ihr tratKapor in die Küche mit einer 
vieredigen Flaſche und einem Heinen Gläschen in 
den Händen. Die Flaihe enthielt einen ſtarken 
Branntwein, der auf allerlei duftende grüne 
Kräuter angejekt war. 

— Nehmen Sie ein wenig Schnaps, ge: 
ftrenger Herr Hauptmann, — Tagte er, das Gläs— 
hen mit der jmaragdfarbenen Flüfſigleit füllend. — 
Wird nah dem Marſche nicht ſchaden. 

Sudith Hatte nie eine geiftige Flüffigfeit 
gefoftet, dennoch ftürzte jie Sen Inhalt des dar: 
gebrachten Gläschens ſchnell hinab. 

— Trinkſt Du nicht auch? — frug fie das 
Mädchen mit vom ſcharfen Getraͤnk erſtickter Stimme. 


— 127 — 


— Gott bewahre! — rief das Mädchen ab- 
wehrend, — da3 Zeug möchte mir ja den Magen 
durhbrennen. 

Auh Judith glaubte, dag ihr jo geichehe. 

— Dod ift es hundertmal befjer als Dein 
Gebräu da, — jagte Kaͤpor, nahdem er ſich von 
der Vortrefflichkeit feines ſelbſt angelegten Stär- 
Iungstrantes überzeugt hatte. — Hättejt es gar 
nicht fochen jollen ! 

— Mas würde denn die „gnädige Frau“ 
da im Zimmer gefrühftüdt Haben? — entgegnete 
Katicza mit ihrer Hausfrauenweisheit. 

Judith lachte laut auf. 

— Was für eine gnädige Frau? — rief 
Käpor. 

— Zu der hr joeben geiproden, als Ahr 
ſagtet: „Was befehlen gnädige Frau ?* 

Käpor gerieth in Zorn. 

— Ich ... hätte „gnädige Frau’ gelagt. 
Du Tall Du ... Wilft Du mir etwa aufbin- 
den, daß ich betrunfen jei? ... Gnädige Frau! 
. . . Unerhört! Made ein anderes Mal Deine 
Ohren beffer auf, und jchliege Deine Augen, und 
halte den Mund! ... Verftehft Dup! _ 

— Na, na, Käapor-Bäcdi, nur ſachte ein 
wenig. Man darf ein Mädchen nit vor einem 
Wanne beihämen, — ſagte Judith, und fügte in 
energiihem Tone hinzu: — Das laffe ih nicht zu. 
Shot Donnerwetter! ... 


— 13 — 

Käapor brauchte nur diefer Andeutung, daß 
er nun fluhen müffe, und verjtand ſich gleich dazu. 

— Kreuz Donnerwetter! Ich jol fie nicht 
ſchelten? Sit fie nicht meine Tochter ?!... 

— Und was dann, wenn fie meine Geliebte 
wird ? 

— Das werde ih mir ausbitten, Donner 
nod einmal! 

Als das Mädchen den Streit hörte, lief es 
erihroden aus der Küche. 

Käpor und Judith lachten dann nad Her: 
zensluit, daß ihnen der Streih jo gelungen. 

— Rrädtig!.. . Ausgezeichnet! Das’ geht 
ja, al3 wenn Sie ſchon jahrelang in der Kaſerne 
gewohnt und Rekruten abgerichtet hätten. 

Die verſcheuchte Katicza fonnte nur mit 
Mühe in die Küche zurückgelockt werden, und als fie 
endlid kam, hätte fie nicht um die Welt mehr den 
Blick auf den Offizier gerichtet, woran fie auch ganz 
recht that. 

ALS der Kaffee aufgetragen war, holte Kapor 
ſtark gepfefferten Speif aus der Kammer und jete 
denjelben jeinem Gafte vor. Judith verihmähte den 
Kaffee und langte nad) dem Sped, um auf echte 
Männerart zuzugreifen ; während des Eſſens be: 
diente fie fih der Kauft anftatt einer Serviette, ganz 
19, wie e3 Soldaten im Lager zu thun pflegen. 

Kapor lachte zufrieden in den Bart, und nur 


— 129 — 


bie und da brummte er: „Sähe ich's nicht, nimmer 
würde ich's glauben.” 

Mittlerweile begann der Morgen zu grauen. 
Auf der Gaſſe ertünte Trommelihlag, und die 
Stadt begann lebendig zu werden. Aus jedem der 
Häufer traten Soldaten heraus, um fi in Reih' 
und Glied zu ftellen. Offiziere in voller Parade eil- 
ten der Zeitung zu. Judith nahm plößlichen Abſchied 
von Käpor, mengte fi zwiſchen die Offiziere und 
ging, wohin dieje gingen. 

Kaͤpor ſah ihr lange nad; weder Haltung 
noch Ganz verrieth das Weib. 

„er möchte es glauben, daß es dennod ein 
Weib iſt!“ brummte der Alte, fid) die Hände rei- 
bend.... 

Judith gelangte unbehindert in die Feſtung 
Auf dem Wege dahin erfuhr fie von ihren improbi= 
jirten Kameraden, daß die Geleiticheine für die fa- 
pitulirende Armee heute ausgeftellt werden, 

Judith raiſonnirte folgendermaßen: Die 
Geleitiheine werden entweder durd) das jeweilige 
Teftungstommando, oder durd die Berehlshaber 
der Dffupationstruppen verabfolgt. Im erfteren 
Falle hatte fie felbft dann nichts zu fürdten, 
wenn fie erlannt würde, denn die Betreffenden 
werden ihr den Betrug gewiß nicht übelneh- 
men. Wenn aber die Anderen diefe Aufgabe voll= 
ziehen, jo hat fie unter ihnen feinen Belannten, 
und kann unter dem Namen ihres Gatten leicht 

Aindere Zeiten andere Menfchen. II. Band. 9 


— 10° — 


durchrutſchen, und dieſen dadurd) von der grüßten 
Sefahr retten. 

Sie glaubte Ihon felbft über jede Gefahr 
hinaus zu fein, und daß der glüdlihen Ausfüh- 
rung ihres Planes nihts mehr im Wege ftche. 

Es herrſchte ja bereit3 ein jo liebenswür- 
diges Durdeinander in der Feltung, daß ein jo 
kleine qui pro quo leicht überfchen werden konnte. 

Gegen dreihundert Stabsoffiziere ftanden 
gruppirt im Hofe; Stab3offiziere, die feinen ein- 
zigen Soldaten in der Peltung hatten, — 
Subalternöffiziere an die Tauſend, die nit zur 
Beſatzung gehörten, unter ihnen eine Menge, die 
geftern noch Feine Soldaten gewejen. Es war 
dies ein Akt der Rettung, dem man gerne durd 
die Finger ſah. . . Jedem, der zur Bejakung ge— 
hörte, war freier Abzug zugeſichert. 

In der Feſtung erfuhr es erft Judith, daß 
die Geleitiheine durch eine gemiſchte Rommilfion 
vertheilt werden. 

Sie trachtete nicht vorzudringen ; fie hoffte, 
man werde gegen Ende weniger aufmerkiam fein, 
und fie daher weniger Gefahr laufen, erfannt zu 
werden. 

Dann kalkulirte fie, dag man in die Alters: 
rubrik „einundzwanzig“ fchreiben werde; hieraus 
läßt fi im Ungariſchen, fei es mit Ziffern oder 
Buchſtaben geſchrieben, leiht „bierundzwanzig“ 
machen, ohne daß man die Fälihung bemerken 


— 131 — 
fönnte. .. . Bela Laͤvay war vierundzwanzig 
Sahre alt. 
Sie hatte aljo Alles im Voraus bejtens 
ausgedadht. 

Gegen Mittag begannen fi die Dichten 
Gruppen ter fid) meldenden Dffiziere zu lichten, 
da Viele, des Warten? müde, die Sade auf 
Nahmittag verichoben,, oder zum Speiſen gingen ; 
ebnn diefe Zeit benügte Judith) und betrat den 
Pavillon, wo fih das Bureau der Kommilfion 
befand. | | 

Es waren dies diejelben Zimmer, in welchen 
einft die alte Laͤvay in finfterer Naht eridien, 
um die Ehre ihres Sohnes mit bewaffneter Dand 
zu vertheidigen. .. Damais die Mutter, jetzt die 
Gattin. 

Der größte Schuß des Himmels ift, den 
er durch Die Liebe des Frauenherzens endet. 

In den vollgefüllten Räumen berriähte eine 
egyptiſche Hike, trotzdem daß ſämmtliche Fenfter 
offen ſtanden; im Vorzimmer gab es fein Plaͤtz— 
chen, wo man ſich niederlaſſen konnte. Judith 
fühlte ihren Kopf ſchwindeln; die drückende Lage, 
das Herannahen des für's Leben entſcheidenden 
Augenblickes, die Zweifel die in ihr aufzutauchen 
begannen in dem Momente, wo ſie ihrer ganzen 
Seelen- und Koͤrperkraft bedurfte, a ſie hart 
angegriffen.. 

Endlich tam die Reihe an ſie, daß ſie bis 

9* 


= 13 


zu jener Thüre gelangen konnte, hinter welcher 
die Kommiſſion tagte. 

Sie wurde hineingelaffen. 

An einem langen Tiih ſaßen mehrere der 
Beſatzung angehörize Offiziere, die fie nicht kannte, 
und wieder Andere aus dem feindlichen Lager;... 
von Dielen kannte fie jedoh Einen jehr gut... 
und diefer Eine mußte aud fie und auch ihren 
Gatten Bela fehr gut Tennen... dieſer Eine 
war der alte Kolbay ... 

Als Judith dieſes Gefiht gewahr wurde, 
drängte fi) ihr alles Blut nad dem Kopfe. Auf 
diefes Unglüf war fie nicht vorbereitet, obwohl 
es ganz natürlich ſchien, das Kolbay dort fike. 

Der Beteran hatte einen ganzen Stoß be: 
druckter Zettel vor fi) liegen, deren Rubriken er 
mit der Perfonsbeihreibung der ſich nadeinander 
Meldenden ausfüllte, zu dieſem Zwecke hatte 
er auch feine Brille aufgelegt. 

Ein anderer Offizier ftand an einer offenen 
Truhe, aus welcher er die letzte Monatsgage 
Jedem, der feinen Zettel hatte, einhändigte. 

Bor Kolbay mar die Verftellung un— 
möglid. \ | | 

Judith fühlte fih von einer Ohnmacht an- 
gewandelt ; fie bedurfte der ganzen Stärke ihrer 
Seele, um ihren erftarrenden Nerven zu gebie— 
ten, damit fie fi im entſcheidenden Momente 
nit durch deren Schwäde verrathe. 


Kolbay betrachtete ftarr die jugendliche Ge— 
ftalt mit feinem ftrengen Blide, und frug dann 
im trodenen Tone: 

— Wie heißen Sie? 

Judith fühlte die Schwere eines Gewitter: 
Himmels auf ihren Schultern laften, als fie die 
Frage beantworten mußte: 

— ‚Bela Laͤvay“ ..... 

.... Kolbay heftete abermals einen langen 
Blick auf das Gefiht Judith's, welde im Xodes- 
fampfe der Verzweiflung wartete, wie viele 
trodene Inarrende Stimme ausrufen werde: 

„Das ift niht wahr!... Sch kenne Bela 
Laͤbay! .. Sie find es nidt... Sie find Har— 
. gitay, feine Gattin! ... 

Der Beteran reinigte fid) jedoch die Brille 
mit feinem bunten Sacktuche, beugte fih dann 
über den vor ihm liegenden leeren Zettel und 
fhrieb: „Bela Lavay, Hauptmann.‘ 

Sodann hob er abermals jeinen Kopf in 
die Höhe und frug mit der gewöhnlich Inarren= 
den Stimme: 

— Wie alt find Sie? 

Judith gewahrte es in diefem Momente 
erft, daß der Geleitihein in deutiher Sprade 
ausgeftellt ward und die Zahreszahlen mit Buch— 
ftaben eingetragen wurden. 

Somit konnte fie nicht nad) ihrer bereits an- 
geitellten Berechnung aus „einundzwanzig” bier 


ne BE 
undzwanzig maden, denn dies geht in deuticher 
Sprade nidt. 

Diefer neue Shred erdrüdte fie beinahe. 

Was fol fie nun antworten. Sagt jie 
einundzwanzig, jo kann Bela feinen Gebraud vom 
Geleitsſchein machen; ... wenn fie vierundzwanzig 
angibt, wird man ihr's nicht glauben, da der 
maͤnnliche Zug im Geſichte fehlt. 

„Einundzwanzig“ ... ſtammelte fie endlich 
heraus. 

— Welch' ein junges Kind! — murmelte 
ein Offizier im weißen Waffenrock. 

— Beſondere Kennzeichen? — knarrte der Ve— 
teran und ſchrieb: „Geſicht: oval, Augen: ſchwarz, 
groß; Mund: Hein, Haare: ſchwarz, kurzge— 
geihoren.... | 

Der Offizier im weißen Waffenrode fügte 
Hinzu: 

— „Eine Narbe auf der Stirne.‘ 

Kolbay hob den Kopf empor und richtete 
feinen falten Blid auf die kaum  vernarbte 
Wunde, beugte fi etwas vor, um beffer zu 
fehen, und jhrieb dann: „eine Narbe auf der 
Stirne. | 

Don dem, was nachher geihah, mußte 
Judith nichts mehr. Wie fie aus dem Zimmer 
fam, wie fie über die Stufen auf den Korridor 
des Pavillons gelangte, wußte fie ebenjowenig, 
als fie eine klare Vorftellung davon hatte, Mas 


— 135 — 


fie that, als ſie den Kopf auf die Schulter eines 
grauen Artillerieoffiziers lehnte, der ihr ein Glas 
friſchen Waſſers bot. 

— Iſt Dir übel geworden, Kamerad? 
Kein Wunder in der verdammten Hitze, und im 
zugeknopften Belets. .Wesdhalb knopfſt Du ihn 
nicht auf? 

— Nein, nein! — wehrte Judith ab, in lan— 
gem Zuge die friſche Luft einathmend. — Es iſt 
ſchon vorüber, ich danke Dir. 

— Dann ſehe, daß Du auf Dein Quartier 
kommſt, und lege Dich zu Bette; bier haft Du 
Deinen Geleitihein und Dein Geld. 

— Was für Geld? 

— Nun, Deine Monatsgage, welde Dir 
noch gebührt. _ 

— %, richtig. Sch danke. 

Der alte Artilleriſt klopfte den jungen Ka— 
meraden auf die Achſeln und dachte: Dir wäre 
es auch noch beſſer geweſen, bei Deiner Mutter zu 
bleiben und ihr Strickwolle abwickeln zu helfen. 

Judith lüftete beim Grüßen die Mütze, der 
alte Soldat gewahrte hiebei die Wunde. 

— Verzeihe mir, Bruder! — rief der alte 
Haudegen, die Hand bietend. 

— Weshalb? — frug Judith verwundert. 

Der Alte drückte ſtumm die dargebotene 
Hand. . . Er bat um Verzeihung für feine Ges 
danken, die er nicht ausgeſprochen. 


— 26 — 


Judith gewann an der freien Quft ihr bol- 
les Bewußtſein und eilte dem Haufe Kaͤpor's zu. 

Auf dem Wege dorthin dachte fie ununter- 
broden darüber nad), wie man aus dem deutichen 
‚Einundzwanzig“ ein „VBierundzwanzig“‘ zaubern 
konnte. | 

Als fie, aus ihrem Nachgrübeln plötzlich er- 
wachend, aufblidte, befand fie fi vor dem 
Haufe’ der Mutter Bela's. 

Das Haus Hatte bereits ein neues Dad, 
nur waren die Wände nod) nicht friſch angemworfen, 
die Fenfterftüde waren jedoch ſchon eingentauert. 

An einem diefer Fenfter gewahrte fie die 
Mutter Bela’s. 

Die alte Dame trug feine Haube am Kopf; 
die grauen Haarbüfheln hingen ihr wirre in's 
Geſicht. Sie ſtand mit verweinten Augen da, 
und blickte jeden Vorübergehenden fragend an, 
als ſuchte ſie Denjenigen, der ihr von ihrem Sohne 
Nachricht brächte. 

Und Judith war doch ſo unbarmherzig, daß 
ſie ihr Geſicht abwendete, um nicht erkannt zu 
werden. 

Die Gefahr iſt ja fo lange, als fie Bela 
in feinem Aſyl aufſucht, nicht bejeitigt. Die 
Beruhigung der Mutter könnte ihn verrathen. 
Die Mutter muß noch lange, fo lange weinen, 
bis der Streich gelungen. Für diefen grauſamen 
Gedanken mußte Zudith einft ſchwer büßen. 


— 137 — 


Bon der Mutter Hätte fie ja nichts für 
ihren Geliebten zu fürdten gehabt. Würde fie ihr 
nur jo viel gejagt haben: „Bela lebt; fein Ge: 
leitsjchein befindet fih in meinem Händen; bis id) 
ihm diefes Papier nicht übergeben haben werde, 
Ihliege Dih ein, zeige Dih vor Niemandem, 
man könnte Div das Geheimnig von Deinem 
Geſichte herablauſchen;“ ... die alte Matrone 
hätte ſicherlich gehorcht, fie hätte ihr Haus in 
eine Klauje umgeftaltet und hätte jelbft ihre Fen— 
fter verrammt, damit ja Niemand die Ruhe auf 
ihrem Geſichte erblide. 

Doch war die Beſorgniß Judith's fo groß, 
dag fie ihr Vertrauen nit Niemandem zu theilen 
fi) getraute, außer mit dem einzigen Manne, den 
fie liebte, den fie beihükte, und außer welchem 
feine Seele für fie auf der Welt lebte. 

Sie hatte nur noch eine Sorge, wie die 
Jahreszahl umzuändern wäre, 
| Schwefeljäure vertilgt die Spuren der Tinte 
bom Papier... Aus dem großen „E* kann man 
ein „B*, aus dem Heinen „n“ ein „r” machen, 
dann wird es „Bir“ heißen, und man wird es 
für einen orthographiſchen Fehler halten. 

ALS fie in das Haus Kaͤpor's gelangte, er- 
ſuchte fie alliogleih SKaticza, diefe müge ihr aus 
der Apothefe cin Flaͤſchchen Schwefelfäure und 
blaue Mlizarintinte bringen, denn mit leßterer 
war der Geleitichein geichrieben. 


— 1335 — 


Erft als das Mädchen mit dem Verlang— 
ten zurüdfam, zog fie das Dokument hervor, 
und bat Kaͤpor und feine Tochter, fe mögen fie 
allein laſſen. 

Sie m. ja die Abſicht, ein Dolument zu 
faͤlſchen! .. 

Ihr ganger Koͤrper erbebte bei dieſem Ge— 
danken. Es wird zwar durch dieſe Fälſchung Nie: 
mandem Schaden zugefügt; es iſt dies ein pie— 
taͤtsvoller Betrug, der weder Gott noch Menſchen 
beleidigen kann! . . . Aber Betrug bleibt Betrug, 
Faͤlſchung bleibt Fälſchung! ... Wie, wenn jeder 
Betrug Schon bei feinem — den Keim des 
Fluches in ſich trägt ?... Iſt die Wahrheit nicht 
ewig, unüberwindlih ?. 

Und wie, wenn fie durch dieſe ſe Falſchung | 
den Geleitihein ganz verderben, ganz werthlos 
maden, oder ganz annulliven mödte?... Was 
ift hier zu beginnen ?... | 

Sie ging, von Zweifeln gemartert, im 
Zimmer auf und ab. Wer fie geiehen haben 
würde, wie fie die Hände über dem Kopfe ringt, 
wie fie mit ihrem flehenden Blide dort Oben 
Hilfe zu ſuchen jchien, wie ihr Buſen ungeſtüm 
wogte, dem würde es alljogleid Kar geworden 
fein, daß es fein Mann, fondern ein Weib, ein 
liebendes, ein verzmweifelndes Weib ift... 

Mit einem plöglihen Entihluffe entfaltete 
fie das Papier und legte es fo auf den Tiſch. 


— 13939 — 


Ihren Lippen ‚entfuhr ein Aufſchrei des 
Jubels, der Ueberraſchung, als fie einen Blick 
auf dasſelbe warf. | 

Sn der Altersrubrit des Geleiticheines 
fand es mit großen, dicken Buchſtaben ge= 
Ihrieben : I 

„Bier und zwanzig”. 

Kolbay hatte es ja gut gewußt, wie alt 
Bela ſei. Sah er ihn dod vor feinen Augen 
aufwachſen. = 

Judith fiel auf die Knie, beugte ihr Ge— 
fiht über Die Platte des Tiſches und begann zu 
weinen, und während des Meinens zu lachen ; 
dann küßte fie das Papier hundertmal, und rief 
ebenio vielmal den Namen Bela's. 

Sie war ein Weib! ganz, ganz ein Weib. 

Die arme alte Dame ftand mit ihrem 
Schmerze noh am jpäten Abend an ihrem Fen— 
fter und ‚betrachtete mit ihren verweinten Augen 
die Vorübergehenden. 

Da ſchlich aud, von den Mühen des Ta— 
ges erſchöpft, der alte Major Kolbay vorüber, 
welcher nach der plötzlichen Wendung des Schick— 
ſals aus ſeiner Höhle kroch und eine Stelle bei 
der Kommiſſion annahm, nicht um dem erbleich— 
ten Glanze der ungariſchen Waffen zu ſpotten, 
ſondern um den Flüchtlingen den Rettungsweg zu 
bahnen. 


— 140 — 

Als er an's Fenfter der alten Dame ge: 
langte, blieb er auf einen Moment ftehen und 
Elopfte mit feinem dürren Finger an die Fenfter. 

— Gnädige Frau! Merken Sie fi Dielen 
Tag, und erinnern Sie ſich eines Tages, was 
Shnen heute der alte Kolbay gelagt: „Gnädige 
Frau, alte Freundin! Ihre Schwiegertodhter ver: 
dient es, daß Sie ihr, wenn Sie mit ihr zu 
allererft zujammentreffen — die Hände küffen.“ 
Ich babe das gelagt. Vergeſſen Sie es nicht. 

: Damit ging er weiter, ohne jeglihe Er: 
Härung. 


Köfes Geſchick. 


Wem ift es nicht Schon widerfahten , daß 
er Jemanden oder Etwas vom Untergange ge= 
rettet bat. 

Und wenn es auch nur ein dem Grtrinfen 
naher Hund, ein flügellahmer Vogel, ein vom 
Sturme entwurzelter Baum, oder eine melfende 
Blume geweſen ift: der kann ſich Die Freude Ju⸗ 
dith's vorſtellen. 

Sie vermochte nicht, den nächſten Tag zu 
erwarten; noch in derſelben Nacht begab ſie ſich 
mit Andreas Kaͤpor, der ihr heilig gelobte, ſie, 
wenn es nöthig, ſelbſt an's Ende der Welt zu 
führen, auf den langen Weg. 

Sie mußte ja eilen, um Bela dort anzu: 
treffen, wo fie ihn verlieh, ihm das Verſprechen 
abnehmend, daß er ſich jo lange nn werde, 
bis fie zurüdgelehrt. 

Der Drt, wo Bela verborgen. war, lag in 
irgend einem vierten oder fünften Komitate; er 
ift auf feiner Landkarte zu finden, und liegt in 


— 142 — 
einem Winkel, zu welhem nur ein einziger Weg 
führt. Derſelbe führt auch zurüd, 

Dort harrt der geborgene Gatte feines 
treuen Weibes, und zählt ſehnſüchtig die Augen 
blide, welhe ihn von feiner Geliebten _ trennen. 
Dieſe Augenblide dürfen nicht vermehrt werben. 

Andreas Kaͤpor wußte es ſehr gut, obwol 
er nie darnach gefragt, was Judith anſtrebe, wes— 
bald fie jo große Eile hat ?. 

Die hajtige Verkleidung, das Anſchließen 
an die Beſatzung, hatten ihm Alles deutlicher er— 
klärt, als wenn man's ihm mit Worten beige— 
bracht hätte. Der. alte Mann billigte es von 
Herzen. Der gute Gedanke hätte auch Anderen 
fommen und Mancher der jpäter verbluteten gro- 
ben Männer hätte gerettet werden fünnen. Doch 
hatte nicht Feder derjelben eine jo aufopfernde 
Frau, und ein Mann fann das nimmer bewerl: 
ftelligen. | 

Kapor machte daher nie Einwendungen, 
wenn ihn Judith auch nad der Abenddämmerung 
noch antrieb, eine Station weiter zu fahren, er 
ſah ja den Weg auch bei der Naht, und wußte 
e3 gut, daß die arme Frau ſtark Gile habe, 

Und doh war das Wetter jo ſchlecht und 
die Frau fo müde. Die Ueberihiffung der Waag 
während des gräßlihen Sturmes, das Naßwer— 
den während des Schiffbruches, der darauf fols 
gende Tag voller Aufregung und Angſt, die ver— 





— 13 — 


zweiflungsvolle Beſorgniß, waren viel zu viel, 
als was Frauennerven zu ertragen im Stande find. 

- Sie war wirklih frank, wollte ſich's aber 
ſelbſt nicht geſtehen. 

Wenn ſie vom Wagen ſteigen wollte, 
mußte fie Kaper herabheben. Sie aß während 
der Reife beinahe gar nichts; trank nur Thee 
und ſchwarzen Kaffee, um ſich den Schlaf zu ver- 
ſcheuchen. 

Das rothbackige, kerngeſunde Bauern— 
mädchen, welches Kaͤpor von Peſt mit ſich ge— 
führt, wurde nur zum Schatten deſſen, was ſie 
einſt geweſen. 

Das vorgeſtrige Gewitter und der Wind, 
welcher auf dasſelbe folgte, hatten die Luft der— 
art abgekühlt, daß der Sommer allſogleich in 
Herbſt umſchlug. Man konnte mit Gewißheit 
borausjegen, daß, wenn diefer Wind fich legt, 
welder die grauen Wolfen da oben bor fich her— 
treibt, es alliogleih ſchneien werde. 

Se höher der Weg gen Norden ging, um 
fo rauher wurde das Wetter, um jo blafjer die Frau. 

Ein einziger Gedanke verlieh ihr Kraft 
und lich fie nicht zuſammenbrechen. 

Das geſchieht ſehr oit. Das Ficher wüthet 
Thon in allen Adern, die Nerven zittern darunter, 
aber eine mädhtigere Kraft, ein gebietender Ge— 
daufe Hält die Leiden des Körpers nieder und 
lägt die Krankheit nicht zum Ausbruch Fommen- 


— 
—— 


Judith dachte an Béla; Judith eilte zu 
ihm. Bis dahin darf fie nicht erkranken. Wie 
wird fie ihn überraihen, wenn fie ihn in dem 
feinen Hofe unter der alten Linde, in Gedanken 
vertieft, figend findet, oder ihn in der Nacht von 
böien Träumen zu einer ſchöneren Wirklichkeit er- 
wedt.... Wie wird fie ihm die Augen zubalten, 
und mit verftellter Stimme fragen: „Rathe, wer es 
iſt.“ Dder wird fie ihn vielleiht auf jeinem 
Spaziergange im Walde treffen, er muß ja 
“ täglid) meilenweit jeiner Judith entgegengehen ?! 
Mie wird fie fi den guten Leuten dankbar er: 
weiſen, die ihn verborgen hielten, die die Gefahr | 
muthig theilten, welche feine Anweſenheit ihrem 
Haufe gebracht. . . Wie werden fie wieder Arm 
in Arm liegen, Kopf an Kopf gelehnt, das Glück 
der Miedervereinigung genießen, und fi nie | 
mehr von einander trennen. Wie wird fie von | 
nun an ihren Gatten mit dem zarten Namen | 
„mein Kind“ rufen. Sie hatte ihm ja das Leben 
wiedergegeben... Und wie treu wird dieſer 
Gatte ewig an ihr hängen, denn die Geftorbenen, 
welche auch nach ihrem Tode noch lieben, pflegen 
nicht flatterhaft zu fein. 

Diefe ſüßen Träumereien hielten jie auf: 
recht, daß fie unter der Wucht der Fahrniſſe nicht 
zuſammenbreche. 

Kapor wußte es jelbft nicht, wo ſie reiſten 
Judith gab ihm die Richtung an, bezeichnete die 


— 145 — 


nähften Wege, welhe zum Ziele führten, und e3 
ging immer raftlos weiter. 

Am dritten Tage ihrer mühleligen Reife 
gelangten fie in ein mit Waldungen dicht bewach— 
jenes Xhal. An beiden Seiten des Xhales 
ragten teile Bergrüden empor, auf denen die 
Bude jo riejenhaft wuchs, wie anderswo die 
Zanne. Die Heine, Schmale Wiefe des Thales 
wird von Gebirgsbaͤchen durchſchnitten, über welche 
der Holperige Weg bei jeder Krümmung führt; 
Brüden find in dieſer entlegenen Gegend unbe= 
lannt. 

Der einzige Fahrweg führt in langen Krüm— 
mungen das Thal entlang. Stunden lang findet 
man keine einzige menſchliche Wohnung. 

Stellenweiſe ziehen durch die Bergein— 
ſchnitte ſchmale Wege in das Thal hinab, 
welche von den durch heftige Regengüſſe erzeug— 
ten und mit Gerölle angefüllten Riſſen kaum zu 
unterjdeiden find. Auch diefe Wege find jekt 
verlaffen, nirgends eine Wagenfpur zu finden, 
man wird fie erft im Winter benüken, um mit- 
telft Schlitten Holz herabzuführen. 

Die Fahrt dauerte ſchon ſeit Mittag bis 
Abends; immer tiefer und tiefer drangen fie in 
die Urwildniß, und nod immer zeigte ſich feine 
menihlihe Wohnung. 

Mittlerweile fing es zu jchneien an. 

Im Anfang riefelte e8 wie gefrorner Thau 

Andere Zeiten, andere Menſchen IT Band. 10 


=. MI 


herab, ipäter wirbelten große Flocken nieder und ° 


bededten das Grün des Thales mit einem weißen 
Leichentuche. 

Die Bruſt Judith's ſchnürte ſich in der 
Einöde zuſammen; ſie mußte es ſich hundertmal 
denken und wiederholen: „nun find wir nicht 
mehr weit, wir werden uns bald wiederjehen“, 
um nicht durd die Furcht der Einſamkeit er- 
drückt zu werden. 
| Käpor Ichüttelte mit dem Kopfe, ſchwieg 
jedoch, um feine Gebieterin nicht zu erfchreden, 
doch dachte er: wir fahren da an ſchlechtem Drte; 
wir müſſen uns verirrt haben; ein närriiher 
Meg das, und der wird aud) bald gar fein, und 
dann?!... Doch er jchrieg. 


Plötzlich geriethen fie in noch finftereres | 


Dickicht; fteile Bergmaſſen tauchten vor ihnen auf, 
an denen der Ihmale Weg gänzlich) zu — 
den ſchien. 

— Fahren wir noch weiter? — frug Kaͤpor 
ſich gegen Judith umwendend. 

— Nur weiter, weiter! — mahnte dieſe 
mit zitternder Stimme, — wir Aue gleich an 
Ort und Stelle ſein. 

Kaͤpor ließ faum die Pferde ein wenig aus⸗ 
ſchnauben und jagte weiter. 

Ploͤtzlich begann Kaͤpor zu horchen und zog 
die eiſerne Heugabel, die er ſich für alle Fälle 


— 141 — 


mitgenommen, unter dem Sitze hervor und legte 
jih dielelbe zur Hand. 

— Ich höre Hundegebell, — ſagte Judith, 
in die Stille des Abends hinaushorchend. — Neh— 
men wir die Richtung, wir müſſen ſchon nahe fein. 

Kapor Schüttelte mit dem Kopfe, und, ohne 
ein Wort zu jpreden, jpähte er bald rechts, bald 
lints, als fäme ihm Etwas verdädtig vor. 

— Beeilen wir uns, mein guter Käpor, 
das it Hundegebell, mir muüflen einem Dorfe 
nahe fein. | 

Kapor jhüttelte abermals den Kopf und zog 
die Zügel feiner Pferde beſſer an, welche feit einer 
Zeit die Ohren jpigten und einem jeden Baumes 
jtumpfe bedaͤchtig auswichen. 

— Nicht wahr, das iſt Hundegebell? — 
frug Judith den ſchweigſamen Mann? 

— Nein, gnädige Frau, das iſt nicht 
Hundegebell, ſondern Wolfsgeheul. 

Kaum hatte er dieſe Worte geſprochen, als 
fieben graue Beſtien aus dem Geſtrüppe hervor— 
brachen und quer über den Weg trabten; man 
fonnte fie einzeln abzählen. Sie verfolgten ein 
Reh, welches mit Ängftliher Eile durch das 
Dickicht brach. 

Die Wölfe ſchienen unſere Reiſenden gar 
nicht zu beachten. Im Herbſte pflegen ſie Men— 
ſchen ſelten anzugreifen, nur der Hunger des 
Winters treibt ſie zu dieſer Verwegenheit. 

10* 


— 145 — 


Dennod bleibt e8 immer gräulid, den Be— 
ftien zu folder Zeit und in folder Einöde zu be= 
gegnen. Die jhon in der Ferne im grünen Feuer 
erglänzenden Augen verrathen nur zu deutlich, 
daß dies Hunde des Todes find, die von ihrem 
Herrn mit lebendem Fleiſch gefüttert und warmem 
Blute getränft werden... 

In der traurigen Stille des Waldes konnte 
man no lange ihr Geheul vernehmen, bis fie 
in der Verfolgung in ein anderes Thal ein- 
bogen. 

Auf Judith's Nerven wirkte dieje Szene 
furchtbar erregend. . . . Wenn fie jekt bier jo 
elend umlommen müßte! ... Keine, nicht die ge— 
ringfte Waffe bei der Hand. In jenen Tagen 
durfte man ja feine bei fih führen, jelbft gegen 
die reigenden, wilden Thiere des Waldes hatte 
man nur den Stock. 

Wenn der Hungrige Rudel zurüdfehren 
tollte. 

Ihre Glieder erfaßte Falter Schauer. 

Käpor trieb feine Pferde zu fchnellerem 
Zaufe an; man mu ja doh am Ende felbit 
auf dieſem verzweifelten Wege zu irgend einer 
menihlihen Wohnung gelangen. 

Das Wetter wurde immer rauber, der 
Schnee fiel immer dichter, kaum konnte man noch 
den Weg unterideiden. 

Plötzlich gelangten jiein ein breites, flaches 


— 149 — 


Thal, welches ganz unter Waller ftand, wo ji 
aud) die Spur des Fahrweges verlor. 

— Eind Sie durd) diefen Moraft gefahren, 
als Sie hier reiften ? — frug Käpor, mit der Peitſche 
auf die Waflerfläche deutend. 

— Nein, — erwiderte Judith, — damals 
war der Weg troden und ftaubig, auf dieſes Waller 
erinnere ih mich nicht. 

— 63 muß irgend eine Mühlwehr durd- 
geriffen fein und das Waller hat fi bier ge— 
ftaut. Es wird ſchwer gehen, da durchzukommen, 
aber deshalb in Gottes Namen. 


Das Waſſer hatte eine leichte Eiskrufte, 
auf welder bie und da der Schnee ftehen 
blieb. Den Weg konnte man durchaus nicht 
fühlen. . | 

Ploͤtzlich verſenkten fih Die Räder in ein 
tiefes Loch, und die Pferde vermodten den Wagen 
troß aller Anftrengung niht mehr herauszu— 
bringen. 

— So, jebt fteden wir da — brummte 
Käpor im Tone verzweifelter Leberzeugung. 

— Judith Ihöpfte aus der Gefahr neue 
Kraft. 

— Wir müflen weiter. Verſuchen wir den 
Magen nad) der Seite zu menden. 

— Geht nit. Da in dem verdammten 
Tode fteden zwei Steine und haben das Rad 


— 19 — 


eingezwängt, 's iſt noh ein Glüd, daß wir nicht 
umgeftürzt find. 

— MWa3 werden wir num beginnen ? 

— Wir übernachten bier. 

— Das ift unmöglid. Wir können die 
Naht hier niht abwarten. 

— Dann bleibt nihts Anderes übrig, als 
daß ih die Pferde ausipanne und den Wagen 
hier zurüdlaffe. Auf eines der Pferde breite ic) 
die beiden Kotzen, die Gnädige feken ſich hinauf, 
ih führe die Pferde, und fo müfjen wir doch 
endlih ein Dorf erreichen. 

— Ich bin noch nie auf einem Pferde ge: 
jeffen, und wirde mid fürdten. Tragt mid 
über das Waſſer hinaus, dann werde ich ſchon zu 
Fuße weiter fommen. 

Kaͤpor gehordte. Er ſpannte die Pferde 
aus und trieb fie vermittelft des Leitjeil3 vor ſich 
her, hob Judith, wie man mit einem Rinde zu 
thun pflegt, auf den Arm, und watete fo bis an's 
Ufer des Waflers. 


Dort bat ihn Judith, er möge fie zur 


Erde jeken, fie würde ſchon weiter kommen. 

Und doch hatte jie kaum mehr Kraft genug, 
fih aufrecht zu erhalten. 

Mie ftrengte fie fih zur Eile an, wie 
wollte jie vorwärts!... Der Weg war jhlüpfrig, 
der Schnee fiel auf Ichmigen Koth und machte 
das Sehen doppelt beſchwerlich. Judith mußte 


4 


— 151 — 
fi) wiederholt an die mosbededten, feuchten 
Baumſtämme anlehnen, um anszuruhen, Ein: 
mal mußte fie fid) fogar auf einen bemoften 
Stein niederjegen, die Müdigkeit ſchien fie zu er: 
drüden. Käpor mahnte jedod, fie möge auf: 
ftehen, der Stein Sei kalt, fie könne fi leicht 
eine Krankheit zuziehen. Cie gehorhte und 
ichleppte fi ohne Klage weiter. 

Der Weg wollte immer noch fein Ende 
nehmen. Bon Neuem wechlelten Wälder, Berge 
und Thäler, und nod) immer feine Spur einer 
Menſchennähe. 

Da durchſchnitt abermals cin angeſchwol— 
lener Gebirgsbach den Weg. Kaͤpor mußte Judith 
abermals auf ſeine Arme nehmen, um ſie hinüber 
zu tragen. Dann ſetzte er ſie aber nimmer zur 
Erde. 

— Laſſen Sie mich hinab, — ftammelte 
Judith mit bebender Stimme. 

— Nein, bei Gott, das werde ich nimmer 
thun, bis wir nicht unter Menſchen kommen! — 
ſagte der jtarrföpfig gewordene Fuhrmann im 
entihiedenen Zone, 

— Ich bin ja nit müde! 

— Ich auch nicht Kommt es mir doc 
vor, als trüge ich nur ein Kind auf den Armen. 

Judith fing leife zu jeufzen an. - 

Nun iſt e8 aber ganz Nacht geworden, und 
mr das Schneeliht erleuchtete Die Gegend. 


— 12 — 


Nah langem Marie gelangten fie in eine 
runde Lichtung, in deren Mitte ftand eine große 
Bude, die Wieſe durchſchnitt ein Bad, welder, 
zwiſchen Wildrofengejträudh laufend, einige Kas— 
faden bildete. 

Als Judith den Baum gewahr wurde, 
tier fie: 

— Halten wir, mein Freund! 

— Diejer Baum ? 

— Gibt e3 Etwas an dieiem Baum ? 

— Ich erinnere mid dieſes Baumes. 
Tragen Sie mid Hin. 

Käapor that, wie ihm gefagt wurde, und 
lieg dann Judith von feinen Armen gleiten. 

Dieje lief ftrad3 auf den Baum los, und 
ihr Gemüth erheiterte fich plötzlich. 

— Fa ja, der iſt's. . . . Sch erkenne ihn 
ihon. Hier der Bach mit feinen wilden Rofen, 
hier der Stein, auf welchem wir mit einander 
Tagen! Bis hieher hatte er mic) geleitet, als er 
bon mir Abihied nahm; ich geftattete ihm nicht, 
weiter zu kommen. . . Kommen Sie dod her, 
Käpor. ... Sehen Sie, jehen Sie dieſe zwei 
Buchſtaben da in die Baumrinde gefchnitten, fie 
rühren von feiner Hand ber, Ein J, und ein B; 
iehen Sie mal, es bedeutet: Judith ud Bela! 
D mein Gott!... 

Und fie bededte, vor Freude ſchluchzend, den 
legteren Buchſtaben mit ihren Küſſen. 


— 153 — 


Bon nun an Ihien cs, als hätte fi) ihre 
Seele durd einen einzigen Gedanken berjüngt, 
als wäre fie zu friichem, fräftigem Leben wieder: 
geboren. Sie bedurfte feiner Stüße, feiner Hilfe 
mehr. 

— Nun eilen wir, das Dorf ift hier ganz 
in der Nähe, faum auf einen Steinwurf ent- 
fernt. 

Wäre der Wind nicht geweien, hätten wir 
die Abendglode läuten gehört... Nun eilen wir, 
eilen wir. 

Nun schritt fie mit leichten, elaſtiſchen 
Zritten voran, als wäre fie aller Sorgen bar, 
fie eiferte Käapor und die vor Müpdigfeit ftrau- 
helnden Pferde zur Eile an. 

— Zweihundert Schritte noch und wir find 
an Drt und Stelle! 

Seht konnte man wirklich Hundegebell ver- 
nehmen. Es thut jo wohl, in üder, einfamer 
Naht die Stimme dieſes treuen Yausthieres zu 
vernehmen, jenes einzigen Thieres, bei welchem 
Freundihaft, Charakter, Muth und Selbftauf- 
opferung — To jeltene Tugenden unter den 
Menſchen — alltäglihe Gewohnheit find. 

Das Gedaäͤchtniß Judith's täuſchte fie nicht. 
Bei der erften Wendung, welde hinter einem 
waldigen Hügel in’s Freie führte, Fonnte man 
das in einem Thale zerftreut liegende Dorf auf 
kaum hundert Schritte Entfernung erbliden; Die 


— 154 — 
Heinen Schornfteine rauchten, die Fenſterchen der 
zerftreut liegenden Häufer erglänzten in der Naht 
gleih Johanniskäferchen. 

Judith hielt an und fagte mit vor Freude 
bebender Stimme zu ihren Begleiter: 

— Hier ift es, bier habe ih ihn ver— 
laflen ! 

Sept konnte jie es geſtehen; waren fie doch 
bereit3 an Drt und Stelle. 

Ihr Herz ſchlug jo ſchnell, ihre Adern 
klopften jo heftig ;... war es von der großen 
Freude oder vom heftigen Fieber... . 

Es ift nicht gut, ſich über etwas ftark zu 
freuen. 

Das verfloffene Jahr Hatte es bewielen : 
Alles, worüber man fid) gefreut hatte, wurde zu 
Elend und Jammer. 

Diefer Gedanke wurde gleich bei den erjten 
Häufern des Dörfhens im Gehirne Kaͤpor's rege, 
al3 er vor einem Zaune zwei eingeihlagene 
Pfähle gewahrte, zwiihen welden cine ſchmale 
hölzerne Tafel hing, an der Spitze einer dieſer 
Prähle war ein Büſchelchen Stroh befeftigt. 

Auch die junge Frau fonnte es gewahren, 
doch verjtehen ſich die ftädtiihen Damen auf 
ſolche ländlihe Symbolif nit. Wühte fie, wie 
Käpor es weiß, was dieſe Piähle, viele Tafel, 
dieſes Strohbündel bedeuten, jite wirde vor Schred 
zufammenfinfen. 


— 15 — 

An diejem Brette pflegen die bequartierten 
Reiter durch Klopfen das Zeihen zum Pferde: 
füttern zu geben. 

Alſo nibt es wieder Gefahr. 

Sie mußten durch das ganze lange Dorf 
ſchreiten. 

Beim legten Haufe, deſſen rüdwärtige Fenſter 
fi gegen den Wald öffneten, hielten fie An. 

— Hier werden wir bleiben, — ſagte Judith 
leiſe zu ihrem Begleiter; ſie fand leicht die Thüre, 
welche in die Küche führte. 

Sie öffnete diejelbe ohne Geräuſch. 

Bor dem Herde ftand die Hausfrau; am 
Rande desjelben ſaß eines ihrer Kinder, die zwei 
anderen spielten auf der Erde; der Mann 
hockte auf einem niederen Schemel und rebbelte 
Mais an dem Meſſer, welches in den Rand des 
Schemels  befejtigt war. Sonft war Niemand in 
der Küche anweſend. P 

Wo iſt Béla? 

Als Judith die Küchenthür geöffnet hatte, 
ſahen Mann, Frau und Kinder alle neugierig den 
Gaſt an; als aber Judith in das Licht des hell 
lodernden Herdfeuers trat und das große Tuch, 
womit ihr Geſicht verhüllt war, auseinanderſchlug, 
da riefen Alle auf einmal: Jeſus Maria!... 

Der Ruf eriholl aber nit im Tone der 
freudigen Ueberraihung, fondern in dem des 
Schredens. 


— 156 — 

— Gnädige Frau! — rief das Weib, Ju— 
dith entgegen eilend. — Sind Sie «3 ? 

— Ja, id bin es, gute Terez; dod wo 
it Bela ? 

—  D barmberziger Gott, in Joldent 
Wetter! ... 

— Das Wetter thut nichts. Wo iſt 
Bela ? 

— Herr Bela? — wiederholte die Hausfrau 
verwirrt, und blidte verzweifelnd ihren Gatten an, 
welcher ſich unterdeffen von feinem Schemel er= 
hoben hatte und an Judith berantrat. 

— Um des barmberzigen Gottes Willen, 
lagen Sie mir’, wo Bela ijt? 

Der Mann ftählte feinen Muth und ant- 
wortete : 

— Herr Bela ift niht hier. Vor zwei Ta- 
gen kamen berittene Gensd’armen in's Dorf. Als 
fie Herr Bela gewahrte, öffnete er eines der in 
den Wald führenden Fenfter, Tprang durch das— 
jelbe und floh in den Wald, ohne einen Auftrag 
zu binterlaffen. Seitvem haben wir nidht3 von 
ihm gehört. 

So meit hatte die Lebenskraft der arınen 

Frau ausgereidht. 


AS fie hörte, daß ihr Mann verihtwunden, 
daß er fi wieder in die von Gefahren wim— 


— 157 — 

melnde Welt geftürzt, daß Alles, was fie zu ſei— 
ner Rettung, melde fie nun vollbracht glaubte, 
zu Nichts geworden ; daß fie ftatt der ſüßen Um— 
armung des Miederjehens in die folternden Arme 
Des Zweifels gerieth ... da jtürzte fie plößlich 
leblos zuſammen. Mehr zu ertragen, iftdem Weibe 
nicht gegeben. 


u — — — — 


Die beiden Leichen. 


Nun find fie alſo beide todt. 

I Der Eine lebt noch, bewegt ſich über der 
Erde, iſt aber dennoch tobt, er hat fein Recht 
an das Leben mehr; er iſt ein begrabener Mann. 
Gr muß fid) verbergen, ſchweigen, dulden, wie 
die Todten, er darf fih nur um Mitternacht auf 
die Erde wagen, wie die Geſpenſter. 

Die Andere — liegt bereit3 auf der 
Bahre. 

Die guten Leute, in deren Haus Judith 
tam, hatten Alles aufgeboten, um Judith in's 
Leben zurückzurufen; als jedoch bis zum Abend 
des folgenden Tages jeder Verſuch erfolglos 
blieb, und die ſtarre Bläſſe des Todes vom 
Antlitze nicht weichen wollte, da zogen ſie ihr 
Todtenkleider an, ließen einen Sarg anfertigen und 
die Glocken läuten ... morgen ſoll fie begraben 
werden. 

Hier iſt er alſo, der alle Räthſel des Lebens 
loͤſt, der Tod, welcher ſelbſt ein tiefes Rathſel iſt, 


4 


— 159 — 


welches der menſchliche Geiſt noch nicht zu löſen 
vermochte. 

Die Weiſen der Materie haben durch ihre 
chemiſche Wiſſenſchaft es herausgebracht, daß die 
Lebenskraft nichts Anderes ſei, als ein chemiſcher 
Geſtaltungsprozeß, und der Tod nichts Anderes 
ift, als daß eine träge Maſſe in Fermentation 
übergeht, wie wenn der Wein zu Eſſig wird. 
Eines haben jedoh die Weiſen zu erklären ber- 
geſſen. . . . Wie wird der Eſſig wieder. zu 
MWein?... 

Der Umlauf des Blutes ftodt bereits, das 
Herz hat zu ſchlagen aufgehört, die Nerven ge— 
horchen feinem Willen mehr ; die Maſſe fühlt 
nichts, ihre Laft zicht fie zur Erde hinab, in den 
Staub, zu den verwandten Atomen; .... wie 
aber, wenn der Tauſendſte, der Hunderttaujendfte 
auch dann noch denft?!.... Sagt es mir, 
Ihr Weifen der allmächtigen Materie, was e3 
it, was da d’rinnen noch immer lebt, wenn die 
Wiſſenſchaft ſchon längft fein Zeihen mehr des 
Leben bedingenden chemiſchen Wirkens an der 
Materie wahrnimmt ? ... was nicht „Leben“, 
fondern „Seele ift . .. deſſen Sik Ihr bis: 
ber vergebens geſucht; ift er im Herzen, im Ge— 
bien, in der Wärme des Blutes? ... Hält es 
fih etwa in der denfenden Stirne, oder im Rüd: 
great cuf?... Dieſes Etwas, welches aud 
dann zugegen fein kann, wenn die ganze Staub- 


— 160° — 


hülle bereit3 öde und kalt; diejes Etwas, welches 
auch dann Bewußtſein, Willen, Sehnſucht und 
Furcht empfindet, wenn es mit dem Organismus 
des Körpers nichts mehr zu thun hat?! 

Erklärt es, wie es fommt, daß ein Leich— 
nam, deſſen jeder Blutstropfen bereit3 zu Eis 
geworden, es noch zu hören vermag, was man 
über ihn ſpricht; was die Todtenweiber jagen : 
„Welch eine ſchöne Leiche, wie ſchön der Myrthen- 
franz auf ihrer Stirne ftrahlt ?!“ Doc fühlt fie 
das Stehen der Blätter nicht mehr ; fie hört es, 
die Leiche, wie man fpriht: „ziehen mir den 
Trauring von ihrem Finger, damit wir ihn dem 
Gatten überreihen fünnen, wenn er wiederkehrt.“ 
Die Leiche fühlt es aber nicht, wie.man ihr den 
Ning vom Finger 309. Sie hört den Gejang der 
Todtenwädhter, das Todtengeläute der Gloden ; 
das Flüftern der Beſucher; fie hört das Knarren 
der Ringlein, al3 man die Vorhänge zulammen- 
zieht, damit ihr die Sonne nidt in's Gefidht 
heine, doch fühlt fie die Wärme des Sonnen: 
ſtrahls nicht. . .. 

Die Leiche weiß Alles, was geweſen, Alles 
was noch kommen wird. .. 

Sie hat noch ſo viel Bewußtſein, um auf 
die Zeit zurückdenken zu fünnen, welche in Tage, 
in Stunden eingetheilt geweſen; auf die Zeit, 
wo der helle Tag mit der dunklen Nacht ab: 
wechſelt; fie vermag an Jenen zu denken, den 


- 161 — 


fie geliebt, beihügt, und für den fie geftorben 
ift; fie ift fi) bewußt, daß Diele Liebe, dieſer 
Shut mit dem Tode in die Erde verienkt wird, 
woher fein Auferftehen mehr. 

Dieſe Leihe liebt und fürchtet jetzt noch; 
nicht etwa, daß fie in ein bretternes Gefängnif 
verſchloſſen und in die Tiefe der Erde. verientt 
wird, dab man cine ſechs Schuh hohe Schichte 
über fie wirft, und fie das allmälig dumpfer 
werdende Kollern der Erdihollen mit anhören 
muß; nidt, daß lange, nahdem es grauenhaft 
öde und ftille geworden iſt in ihrer langen, 
dumpfen Naht, fie noch lange, lange hören muß, 
wie der Maulwurf an den Brettern ihres Sarges 
bohrt; ... jie denkt nicht darauf, daß wenn nad) 
Tagen die Lethargie dem wiederfchrenden Leben 
weiht und fie zum chenden Bewußtiein er: 
wacht, fie den Tod bitten wird, um als ewiger 
Befreier zu kommen. 

Nicht derart waren ihre Gedanken. 

Ste kämpfte mit Anderem: der Gatte ift 
tort, er flüdtete fi in die weite Melt, und 
fie... hatte den Brief mitgenommen, der ihm 
das Leben gerettet hätte. Den Brief wird aber 
‚Niemand finden können, denn der ift geborgen, 
fie hatte ihn ja in ihr Mieder zwiſchen das 
Fiſchbein eingenäht... . Wer würde ihn dort je 
finden ? Wie könnte erin die Hände des Veriolgten 
gerathen ? 


Andere Zeiten andere Menfchen. II. Tand. 11 


— 12 — 


Die Stirne der Leiche war kalt; innerhalb 
dieler Stirne lebte die Verzweiflung! . 

Erflärt mir Dies, Ihr Weiſen der all: 
willenden Materie! . 

Die Uhr ſchlug acht; die Leichenbeſucher 
wünſchten gute Nacht, und gingen. 

| Der Hauswirth fagte zu feinen Leuten, fie 
mögen fi zur Nachtruhe begeben, er werde ſchon 
die Todtenwache halten. 

Die Hausfrau veriprad Wein hineinzu— 
ſenden, die Nacht ſei ja lang, das Gemach kalt, 
und die Nähe der Leihe mahe noch älter... 
dem Manne war's recht; er lieh die Gattin ges 
währen. 

Die Uhr ihlug abermals: „Neun!“ .. 

An der Hausthüre wurde Säbelgeklirr ver— 
nehmbar, Tritte näherten fih dem Zimmer; es 
kam Jemand mit beipornten Stiefeln. 

Der Hauswirth redete den Ankömmling an: 

— Guten Abend, Herr Wachtmeiſter. Wir 
haben eine Leiche. 

— Ich jehe es, — Iprad) eine unbekannte 
Stimme — mird vermuthlih die Gattin jenes 
Herrn jein, welder von hier entwid). 

— Ich weiß es nidt... habe weder den 
Herrn, noch die Frau gekannt. 

— Sie thun gut daran, wenn Sie jo 
ſprechen, — ſagte der Wachtmeifter — reden wir 
nicht mehr davon. ! 


— So iſt's. Trinken Sie lieber ein Glas 
ein. 

— Danke. Auf Ihr Wohlfein. 

Man hörte das Knarren des Stuhles, als 
fih der Wachtmeiſter ſetzte. 

— Ich wußte es wirklich nicht, daß mein 
Gaft ein gefährliher Menid) jei, — begann der 
Hausmirth. 

— Ein ſehr gefährliher, — betheuerte der 
Gensd'arm. — Es war gut für ihn, daß er bei 
Zeiten entiprungen. 

— Wäre es Ihlimm für ihn geweſen, wenn 
man ihn erwiſcht hätte ? 

— Man fahndet ſehr nah ihm. 

— Wird man ihn auch weiter verfolgen ? 

— Bis man Seiner habhaft wird. Er ift 
ein Flüchtling erſter Klaſſe. 

— Was heißt das: Flüchtling erſter Klaſſe? 

— Na, das iſt ein Mann, für deſſen Kopi 
ich nicht einen Heller gebe. 
| — Tinten Sie nod ein Gläschen, Herr 
Machtmeifter. 

— Danfe! So ein Gläshen ihadet nicht, 
wen man bei jolhem Wetter den ganzen Tag 
hindurch im Walde herumftreiit. | 

— Sind Sie ſchon auf ſeine Spur ge: 
ftoßen ? 

— O ja, die Schweinhirten im Walde ha— 
ben erzählt, daß fie ihn - feiner Entweichung 

19 


— 14 — 


mehrmals gejchen haben, folglih muß er fih in 
der Nähe aufhalten. 

— Würden Sie ihn, wenn er fi) vor Ihnen 
flüchtete, erſchießen? 

— Dies thäte ih ungern ; doch wäre dies 
für ihn das kleinere Uebel. 

— Das kleinere Uebel? 

— Ich vermuthe, daß er fih in der Höhle 
de3 jogenannten hohlen Steine aufhält; übri— 
gens ſoll das unter uns bleiben, erzählen Sie c3 
Niemandem. 

— Gott bewahre!... Nehmen Sie nod) 
ein Glas, mein Herr Wachtmeiſter. 

— Dante. Ich möchte mic) lieber zur 
Ruhe begeben. 

— Wo werden Eie aber diefe Nacht ſchla— 
fen? Wir mußten Ihr Zimmer der Leiche hier 
einräumen. 

— Thut nichts. Ich werde mih auf den 
Boden begeben, dort Ihläft es fih fo gut 
im Heu. Ä 

— Gute Naht denn, Herr Wachtmeiſter. 

— Ruhſame, gute Naht! 

- — Ich werde fie nicht haben, muß bei der 
Leiche wachen. 

— Eine froftige Unterhaltung das. Ach 
jage doc) lieber dem Manne nad. Morgen be: 
ginnt die Hetze auf's Neue. Gott behüte.... 

Die Todte hörte abermals das Säbel- und 


— 15 — 


Sporengeklirr, das Knarren der Thüre, als der 
Wachtmeiſter Hinausging ; das Aechzen der höl— 
zernen Treppe, als derjelbe auf den Boden ftieg, 
und die Tritte oben auf der Diele des Bodens, 
das Geräufh, welches der Held verurſachte, als 
er ji) in das Heu warf, um zu ſchlafen. . Er 
wählte fein Nachtlager gerade über dem Haupte 
ver Todten. 

Und die Todte hörte dies Alles ganz gut, 
and mußte mit dieſem furhtbaren Bewußtſein 
da drinnen in der ftarren, kalten Hülle kämpfen. 

Die ewige Verdammniß wird in heiligen 
Büchern als der Zujtand des ewigen Heulens 
und Zähneklapperns geihildert ; doch was ijt Dies 
gegen die Verzweiflung, welche in einem ftum- 
men, unbeweglihen Körper wühlt? In dem 
Ihmerzerzeugten Wahnfinne, welcher zum Gelbit - 
morde treibt, gibt es noch etwas Menſchliches; 
der irre Gedanke aber, hinter geihloffenen Lippen 
eingepferht mit all! feinen Schredensbildern in 
einem leblojen Körper, ift etwas Dämontides! . 

Kein einziges Glied rühren zu können, über 
feinen einzigen Laut zu gebieten. .. und dulden 
da drinnen das Toben des gegen den Himmel 
ih auflehnenden Geiftes, welcher feine Eishülle 
zu zeriprengen droht!... 

— Man verfolgt ihn, und ih vermag 
ihm nicht beizuftehen... Man verfolgt ihn, 
and ih vermag nicht zu rufen: haltet ein, ſchont 


— 166 — 


ihn, hier ift Sein Schugbrief!... Mit einen 
Worte fünnte ich fein Leben retten, und bin nicht 
im Stande, dieſes Wort zu ſprechen. .. Ih bin 
ein Leihnam. Und man wird mic lebendig 

in das Grab verſenken. . . Nie. werde id ihn 
mehr wiederſehen. . . Nie wird er eyfahren, was 
ih für ihn gethan!.. Er mird Sterben... 
ebenio verzweifelnd und gottverleugnend wie ich ! 
D Mutter, Mutter!.. Wie furdtbar ift Dein 
Fluch!.. Wie weit reiht Deine falte Haw!.. 
Weshalb bin ih Dir nit auf den Grund des 
Waſſers gefolgt... Jener Tod wäre nit jo 
ſchrecklich geweſen, als diefer... Bier liege ich 
todt; eine Leiche, und lebe, hör. und zittere 
dennoch. . . . D mein Gott, mein Gott! ... Willft 
Du mir denn nicht mehr beiftehen?.. Immer 
hielt mic) der Glaube an Dih aufredt — und 
Du verläßt mich jekt in meiner Sterbeftunde ? 
Du läffeft es zu, daß ich mit dem Gedanfen in 
eine andere. Welt hinübergehe, daß es weder hier 
nod dort einen Gott gibt?..... | 

Ra Ein dumpfer Fall veriheuhte die 
lautloje Stille der Nacht, als wäre Jemand 
durch Das Penfter in das Zimmer: geiprungen. 

Da ertönte der erihrodene Ruf des Todten- 
waͤchters: 

— Heiligſte Dreifaltigkeit! . 

Jemand ſtürzte zur Todtenbahre hin.. 

Judith hörte, fühlte jedod die Küffe 


— 17 — 


nicht, womit ihr Geſicht, ihre Hände bededt wurs 
den; fie hörte das Schluchzen, durch welches {hr 
Name ertönte: 

— Judith, meine Judith... 

Die Leihe erkannte die Stimme des Hatten. 
Die Stimme durhzudte gleid) einem galvaniihen 
Strom all’ ihre Nerven. 

Die Todten fühlen auch Freude. 

_ Um Gottes Willen ; wie fonnteit Du zu— 
rüdtehren ? — flüfterte der Hauswirth. — Die 
Gensd'armen find hier im Haute. 

— Ich hatte von den Hirten im Walde erfahs 
ven, daß meine Gattin angekommen und hier ges 
ftorben jei, — ſagte Béla. 

Die Leiche hörte dieſe Worte ganz deutlich, 
fie Hangen ihr aus folder Nähe in's Ohr, al3 
hätte Bela feinen Kopf an ihr Kopfkiſſen gelegt. 

_ Die Arme. Der Himmel hat e3 jo vers 
fügt. 

— Der Himmel hat es nicht io verfügt ! — 
fiel der Gatte in wilden Tone ein; — das ill 
nit wahr ! 

— Ruhig! Um des Himmels willen! Du ſtuͤr⸗ 
zeft Did) in's Verderben. Der Gensd'arm ſchlaͤft 
da oben, gerade über unſeren Höpfen; wenn Du 
ihn weckeſt, biſt Du verloren. ... Küſſe Deine 
Gattin und fliehe! 

Der Gatte küßte ſtatt jeder Antwort hun⸗ 
dertmal Hände und Wangen der Todten, und blieb. 


— 168 — 


— Herr! .. Freund! .. fliehe, rette Dich ! 
— beihwor ihn der Wirth. — Der Wald iſt 
umzingelt; Deine Höhle ift auch entdedt, gebe 
dahin nicht mehr zurück; wende Dih gegen den 
Norden, dort kannſt Du noch durchſchlüpfen .. 
kümmere Dich um die Todte nicht mehr... Die 
it ſchon glücklich .. . fie fühlt nichts mehr. 

— Laſſe mich in Ruhe. Kümmere Dich nicht 
um mid. Auch id bin todt, jo oder jo.... 
Mas würde mein Leben von nun an fein?... 
Dod es ift niht wahr... Sie kann nicht todt 
jein. Sehen denn fo die Todten aus? Laächelt 
jo das Gefiht einer Leiche? ES it niht wahr, 
es kann nicht wahr fein. 

— Gott gäbe es, daß es nicht wahr wäre. 

— Haſt Du einen Arzt gerufen? Hat er es 
erlaubt, daß ſie begraben werde. 

— Er war hier, und hat es erlaubt. 

— Ein Narr war er, wenn er's gethan. Er 
verſteht ſich auf die Sache nicht. Doch was ſcheren 
ſich die Leute um das, was nicht ihnen gehört ! 
Sie fühlen ja den Schmerz nicht. 

— Aber um Gotteswillen, was willft Du 
jest bier ? 

— Was ih will?.. Sch will e8 verhindern, 
daß fie begraben werde... Es möge mit mir ge= 
ihehen, was da wolle. . . Mich kümmert's nicht. 
Und wenn man mid in Stüde zerreißt, werde 
ih, jo lange ein einziger Nerv in mir noch Lebt, 


— 19 — 


es doch nimmer zulaffen, dag man jie beerdige. 
Sie lebt... . Siehe, wie ihr Antlig lächelt! ... 
Nein, nein! Wer fie begraben will, der muß 
mich mit ihr begraben 

Judith fühlte in fih das Wiedererwahen 
der Slüdijeligfeit. 

Der Gatte, der treue Geliebte fam, jeder 
Todesgefahr trogend, um die Gattin von dem 
Shrediiditen aller Schidjale zu retten; — nur 
Diejenigen, welde jo lieben, vermögen zu jagen: 
„IH glaube an den Tod niht! er ift nur ein 
Schlaf, auf weldem das Erwaden folgt... 
Dieje Talte Leihe gehört noch mir, und nicht dem 
Grabe, ich gebe fie nicht her. Möget Ihr mi 
immerhin einen Narren, einen Wahnfinnigen jchel- 
ten; aber ih erlaube es nicht, daß mar den 
Sargdedel über fie ſchließe, und ic tödte Den— 
jenigen, welder fie anrührt. 

Die Wärme dieſer Worte drang durd die 
eisftarre Hülle der Leiche zur fühlenden Seele. 

— Warte! — rief Bela — und Du follit ſe— 
ben, daß ich nicht wahnfinnig bin, Judith litt ſehr oft 
an Herzkrämpfen. Da gab es fein anderes Mittel, 
als das ih ihr meinen warmen Athen auf den 
Bufen baute, und war es von diefer Wärme, 
oder bon der Glut meiner Liebe, das Uebel 
verihwand allſogleich. . . . Auch jegt muß ich jie 
in's Leben zurückrufen. 

Wie ſüß klangen dieſe Worte für die ver— 


= 0 


borgene Seele. Judith begann an ihrem Körper 
ein mwohlthuendes Erſchlaffen zu fühlen, welches 
das Bewußtſein der Seele zu betäuben begann; 
je mehr die Kraft des Denkens ſchwand, deſto 
mehr eritarkte das Gefühl in ihrem Körper. Nur 
Einen Gedanken hatte fie nod, oder vielmehr 
Einen Inftinkt, Ein Gefühl, Einen Glauben: „Sott 
it überall.“ 

Dann verlor jie völlig das Bewußtſein. 

Der Satte lag mie ein Wahnfinniger an 
dem marmornen Buſen jeiner Gattin, und ſuchte 
mit feinem heiken Athen die Kälte desjelben zu 
bannen; der andere Mann bite ihn mit weh: 
müthig theilnehmenden Bliden an, al3 wollte 
er Tagen: Welch' vergebliher Kampf gegen den 
Tod! ... | 

— Siehe, ſiehe! ... bemerkt Du es nicht, 
wie jih ihre Wangen röthen ? 

Der Angeredete jhüttelte. traurig den Kopf, 
er konnte nihts wahrnehmen. 

— Hole einen Spiegel und halte ihn an 
ihre Lippen, ob fein Hauch daran zu jehen. 

Ter Wirth gehordte, die Flähe des 
Spiegels trübte fih nidt. 

Der Gatte fuhr mit feinem verzweifelten 
Verſuche fort. 

— Kaffe mid. Unterbrehe mid nidt. . . 
Wenn ich's früher weiter fortgeicht hätte, wäre 


we. LEE ei 


es mir gelungen... SH Hatte ja Schon den 
Nulsihlag gehört... . 

Und Bela jegte das wahnfinnige Unter: 
nehmen: fein eigenes Leben in die Bruft teiner 
Geliebten einzuhauchen, fort. 

— Siehe her! ... Sichft Du es? 

— Was? 

— Was? Die Schweikperlen hier an ihrer 
Stirne ? 

Der Gefragte antwortete, daß er nichts 
iehe. Klimmerte es ihm doch ſchon vor den 
Augen. Diele betäubende Szene, wo eine auf= 
geregte Seele, weil fie fih in ein bitteres Schid- 
jal niht fügen will, die Auferftehung eines 
Todten dem Geſchicke abtrogen will, erfüllte 
den ceinfahen Menihen mit Grauen... Er 
zitterte. 

Und doch waren die Falten Schweißperlen 
auf der marmornen Stirne wirftid fihtbar. 

— Siehſt Du noch immer Niht3? — Trug 
ihn abermals Bela, inden feine Augen in wilden 
Feuer erglängten. 

— Nein. Ich Sehe noch immer Nichte. 

In diefem Momente öffnete die Todte ihre 
großen Schwarzen Augen, und heftete den ftarren 
Blick auf das Angefiht des Zweiflers. 

Diejer fiel, vor Schred keuchend, in die 
Kniee.... „Alle guten Geifter loben Gott den 
Herrn !” | 


— 12 — 


Die Leihe ftarrte mit den offenen Augen 
vor ſich Hin, 

Es war dies aber niht der Blick des felbit- 
bewußten Lebens, fondern das ftarre Schauen des 
Todes, womit er die Lebenden fchredt. 

— Siehſt Du's, ſiehſt Du's? Sie lebt! — 
ſtammelte außer ji der Gatte. 

-Der andere Mann bededte fein Gefiht und 
zitterte am ganzen Xeibe. 

Sie lebt niht, — dachte er; — fie tft ein 
Gejpenft. Und in Wirklichkeit war die Szene 
darnach angethan, al3 hätte eine bi3 zum Wahn: 
finn gefteigerte Liebe die Todte in ein Gejpenft 
umgezaubert, 

Dies weiße, alabafterne Antlig, mit tiefen 
zwei ſchwarzen, ftarren Augen ! 

. Helga empfand kein Grauen. Er beugte ji 
über die geipenftiihe Geftalt und küßte ihre 
Lippen ! 

Nah dem Kuſſe drückte die Leihe die lan: 
gen, ſeidenen Augenwimpern zu, und ihr Ge— 
fiht begann fid) mit einem leichten Roth zu über- 
zichen. 

Dann faltete fie Die Hände, welde mit 
einem dünnen Geidenband zuſammen gebunden 
waren, wie zum Gebet. 

Bela wies unter frampfhaften Laden auf 
fie; über fein von Verklärung ftrahlendes Geſicht 
liefen die hellen Thränen ; bon feinen Schläfen 


— 13 — 


träufelte der Schweiß herab... Das mar ein 
ſurchtbarer Kampf... Ein Kampf, wie ihn Ja— 
fob nit mit Gott in der Wüſte beſtanden! .. 

„Bott“ ließ es zu, daß der „Menih“ Sie- 
ger bleibe. .. 

Da ergriff der andere Man mit Andacht 
die Hand Bela’3, und führte fie zu feinen 
Lippen. 3 

— Du haſt ein Wunder vollbracht, die 
wahre Liebe erweckt ſelbſt die Todten ...! | 

— Rufe Deine, Frau — Iprad Bela; — 
tragt fie aus diefem falten Zimmer weg, und pflegt 
fie nad) Kräften. 

— Mir werden fie ſchützen, mie ein Ge— 
ſchenk Gottes! ... 

— Sende nach dem Arzt!... 

— Ich werde ſelbſt fahren. Meine Pferde 
ſind ausgeruht. Bis zum Morgengrauen bin ich 
zurüd... Du aber eile und rette Dich. Für 
Did ift es nit gut hier zu meilen. 

— Ich werde gehen. Doch mußt Du mir 
jrüher bei Gott ſchwören, daß Du über meine 
Frau wachen wirft, und fie nie zu begraben er= 
faubft, wenn fie wie immer tobt erfcheint, bis ich 
nicht zurüdgefehrt bin. Schwöre mir dies!... 

— Ich Ihmöre es Dir. Der Gedanfe an 
diefe furchtbare Naht wird mid) nie meinen 
Schwur vergeflen laſſen ... doch eile, eile!... 

— Noch einen Kuß, Judith! 


: — 114 — 

Und diefer Kuß wollte fein Ende nehmen, 
er dauerte eine Ewigkeit. 

— Eile, eile!... der Gensd'arm da über 
uns iſt erwacht; unjer Gelpräh hat Verdacht er: 
weckt; hoͤrſt Du nicht feine Inarrenden Tritte, 
wie er die Stufen — . O, er ſteht 
ſchon vor der Thür!... Eile, eile!. 

Als der Gensd'arm bor Der ber ihloffenen. 
Thür ftehen blieb und an derjelben zu Hopfen 
und zu rütteln begann, erſt dann flüchtete ih 
Bela durch's Fenfter. 

Der Wirth öffnete die Thüre, der Gensd’arın 
frug verdächtig: 

— Mer war hier, wer bat bier geipro= 
den, was iſt geichehen ? 

— Gehen Sie mal. Die Todte ift er— 
wacht . . Helfen Sie mir den Sarg in's warme 
immer Gimüber tragen. . 

Der rauhe Soldat ſchien ergriffen; er ver— 
gaß, weshalb er herabgeſtiegen, und half bereit— 
willig den Sarg in's warme Zimmer hinüber 
tragen ... 

Nach einer halben Stunde war der Wirth 
bereits auf dem Wege, um den Arzt zu holen; 
er hatte jedoch kaum die Hälfte ſeines Weges 
zurückgelegt, als er dem Arzt begegnete. Er hielt 
jeinen Wagen an, um ihm den Sal zu erzählen. 
Der Arzt wußte bereits Alles. Ein junger Mann 
babe ihn vor Tagesanbrud) gewedt und gebeten, 


—- 15 — 
zu eilen. Der Arzt beichrieb, wie der Mann aus- 
gejehen. 

Das konnte nur Bela fein. Wie er aber 
zu Fuß über die fteilen Gebirge, einige Stunden 
früher als der Wirth, welcher mit jeinen guten 
Pferden jagte, dort anfam, das mögen Diejenigen 
enträthſeln, die einft jtark geliebt haben. 

Als Judith vom ftarren Todeskampfe zum 
Leben erwachte, verfiel fie in ein Schweres Ner: 
venfieber. Wochenlang litt fie und war ſtets be— 
wußtlos ; als die Kriſis vorüber, als fie wieder 
ihr Bewußtſein, ihre Lebenskraft zurück erlangt 
hatte, hörte man von Bela nichts mehr im Lande, 


Seraphine. 


Hundertachtzig Tage ſind nach dem Tode 
Zeleji's verfloſſen, als Seraphine ihre Hand 
Fertöy reichte. 

Sie that übrigens Alles, was von ihr zu 
erwarten ſtand. | 

ALS fie von der Schäßburger Schlacht hörte, 
und den Tod Robert's in hundertfacher Varia 
tion erfuhr, da war fie verzweifelt ; fie wollte ſich 
tödten, fie wollte Gift nehmen; vielleiht nahm 
fie 8 auch ... wer weiß aber, ob es auch Gift 
war... Sie wollte fih auch alliogleidh auf den 
Meg begeben, um ihn aufzufuden... aber die 
Brüde war noch nicht hergeftellt. 

Wochenlang litt fie, e3 war ein Sammer 
fie zu jehen. Am meiften ſchmerzte es fie, daß 
er, wenn er nody am Leben, feine Nahriht von 
fih gab? Und, wenn er geftorben, weshalb er 
nicht in ihren Träumen erſchien, um es fie 
wiffen zu laſſen!? (Diefen Wahn mußte fie 
ipäter arg bereuen.) 


= a 


Mit der neuen Wendung der Geſchichte ift 
manches Alte wieder neu geworden. Das alte 
Haus, welches in Auinen lag, wurde neu aufge- 
baut, und in den Salons fonnte man allıkälig 
die alten Säfte wieder ericheinen ſehen; freilich) 
waren es niht die der jingftvergangenen 
Zeiten, ſondern noch ältere. Zu ihnen zählte 
auch Fertöy. 

Fertöy war zu jener Zeit ein großer Herr. 
Was er eigentlih geweſen, kann ich Hier nicht 
beftimmen, da die Geihichte den Namen feiner Herr: 
lichleit nicht verewigt hat. 

Fertöy war ein fehr gerne gefehener Gaft 
im Haufe, gerade wie früher. Man hatte es 
ihm bereit3 vergefien, daß er, als fih die Fa— 
milie in den traurigften Tagen aus der Stadt 
flüchten wollte, ihr jagen ließ: fie möge ſich nur 
dort „unterhalten“ , mo fie es bisher gethan. 

Auch Mama Holdvarn hat es vergeffen, 
fi verſchiedene Sonnenſchirmenſtiele aus ver: 
Ihiedener großer Männer Knochen verfertigt zu 
wünſchen, im Gegentheil wurde fie zu einer jehr 
vernünftigen Frau, nur hatte fie noch den ein: 
zigen Fehler, daB lieber fie Herrn Fertöy ges 
heiratet hätte, als daß fie ihm ihre Tochter gab, 
.  Diefer legte Umftand gab zu einer gemilien 
Spannung zwiihen Mutter und Tochter Anlaß, 
welche aber nur Diejenigen merken fonnten, Die 
in die Gedichte eingeweiht waren. 

Andere Zeiten anbere DMenfhen. II Band. 12 


I: = 


So fiel es Jedem auf, weshalb Mama 
Holdväarn vor Seraphinen ſtets von Robert 
ſpreche? weshalb fie dDiefen unter Seufzern lobe ? 
weshalb fie jeden Morgen ſpricht: ich habe von 
Robert geträumt ; Du wirft jehen, wie er auf 
einmal vor ung ftehen wird... SD, der arme 
Robert! Du wirft jehen, daß man ihn wieder 
in feine alte Charge einfegt, war cr doch ein 
jo tüchtiger Dffizier. Tröſte Did Seraphine, 
tröfte Did. | 

Mer aber den Schlüffel zu den Familien— 
geheimniffen hatte, dem mußte es einleuchten, daß 
alles Dies Gerede nur deshalb war, damit Sera— 
phine fih nicht jo ſchnell Witwe glaube. 

Seraphine pflegte nie mit ihrer Mutter zu 
ſtreiten. 

An einem ſchonen Tage kam nun Fertöy 
mit der niederichmetternden Nachricht, daß er nun 
Gewiſſes über Zeleji's Tod wiſſe. Vermittelſt 
ſeiner vielfachen Verbindungen ſei es ihm ge— 
lungen, jene drei Männer ausfindig zu machen, 
welche Robert auf dem Kampfplatze aufgefunden 
und begraben hatten. Er wies ihre authentiſchen 
Ausſagen vor (es waren drei ehrliche ſächſiſche 
Bürger), aus den Ausſagen ging hervor, daß ſie 
ſeine Taſchen genau unterſucht und da in der 
Brieftafhe feinen Namen geichrieben fanden, Den — 
Namen hatten fie fih gemerkt, die Brieftaiche 
aber als Lohn ihrer Mühe behalten; aud die 





— 19 — 


Perionsbeihreibung traf zu, und erboten fi) 
die drei Zeugen, wann immer einen Eid zu 
leiften, was übrigens ganz überflüflig je. So 
ftehe e3 außer jedem Zweifel, daß Robert ge: 
ftorben ſei. 

— Daß er todt, unterliegt keinem 
Zweifel! Von ſeinem Begräbniß wiſſen aber nur 
die Wolken, welche den Rauch des Opfers nicht 
aufgeſogen; und dieſe werden es Niemandem ver— 
rathen. 

Der einzige Mann, welcher ihn verbluten, 
ſterben, in Flammen und Rauch aufgehen ſah, 
welcher auf ſeine Aſche weiſen könnte, der Dich— 
ter und Soldat Pußtafi, iſt ſeit jener ominöſen 
Nacht nicht mehr geſehen worden. 

Wo er hingekommen? Ob auch ihn der 
Sturm des Krieges weggefegt? Ob man ihn 
während der Flucht in den Wäldern getödtet?.. 
Ob man ihn vielleicht in eines jener Gräber ge= 
worfen, deren Bewohner ungenannt blieben ? Db 
ihn die Ruſſen gefangen und nad) Sibirien ge: 
Ihleppt?... Db er auf kürzeſtem Mege in den 
Kerker gerieth ? Wer konnte das wiſſen, wer füm- 
merte fi darım ? Er war verihmunden. Wir wer— 
den aud) vielleiht jo lange nichts über ihn er: 
fahren, bis nit die Zeit fommt, wo wir „gute 
Naht wünſchen“ und die ganze unglaublide Ge— 
ſchichte Schließen. | 
. Trotzdem mußte man der Zrauerbotihaft 

12* 


— 180 — 


Glauben ſchenken, Niemand hatte Urſache, daran 
zu zweifeln. 

Hierauf legte die ganze Familie tiefe Trauer 
an. Und mie man über den Verluft erſchüttert 
war, ift aus dem einzigen alle zu beurtheilen, 
daß Mama Holdvary ihrem Schneider deßhalb 
“kündigte, weil er ungeihidt genug geweien, die 
Trauerkleider mit ſchwarzem Atlasaufputz zu ber- 
fehen, obgleid) er willen fonnte, daß Atlas nur 
eine Dreivierteltrauer bedeute, während man zur 
tiefen Trauer Sammtbänder zu nehmen pflegt. 

Seraphinen ftand der Traueranzug ausge: 
zeichnet. Solch eine proviſoriſche Traurigkeit er: 
böht den Reiz der vollen, rothen Wangen. 

Doch wollen wir nicht ungerecht fein; die 
Ihöne Witwe litt wirklich! Sie litt ſehr .. Ein- 
Sam, von Niemanden beobadtet, meinte fie viel, 
ſehr viel, Sie hatte fogar Augenblide, wo fie 
ſehnlichſt zu ſterben wünſchte, um aus diefer Melt 
zu kommen, wo fie Niemanden mehr lichte. 

Nur find die Naturen der Krankheiten 
berichieden. Derfelbe Schmerz, welcher bei Einem 
zum chroniſchen Uebel wird, bridt bei einem An- 
dern als zehrendes Fieber hervor, nimmt einen 
(ebensgefährlihen Verlauf, erzeugt eine entichei- 
dende Kriſe . . nad) welder man abermals ge= 
fund wird. 

Ob man dann ganz genejen kann ? 

Hierauf mögen die Aerzte antworten. 


— 1831 — 

Erinnert man fid) doch eines ausgeftopiten 
Eichhörnchens, mit dem man zu jpielen pfleste. 

Es iſt auch möglid, daß Seraphine tjren 
Gatten Robert wirklich geliebt hatte, Bei Frauen 
gibt es nichts Unmöglidhes. 

TTrotzdem geſchah es aber, daß hunde. tat: 
zig Tage nah Robert'S Tode Seraphine jih mit 
Fertöy verheiratet hatte. 

Es gab Menſchen, die fie deßhalb ausrich— 
teten: es ſei noch zu Früh geweſen, jie hätte 
doch genauer dem Tode ihres Gatten n .Hipüren 
und abwarten jolfen, bis der legte E hal der 
Sterbeglode verklungen, ehe fie die Hochzeits- 
muſik anftimmen ließ. 

Es gab auh genug dreifte Me ichen, die 
ſich unterfingen, su befriteln, wie mai nad Ro— 
bert einem Manne wie Fertöy, der ſeinen Geſin— 
nungen nad) gerade das Entgegengel: kte des Er- 
fteren gemwelen, Die Hand bieten kon te! ... Dies 
ſprach man im Geheimen, nie öffe tlich. Wenn 
Fertöy an der Geite jeiner jungen Gattin in 
glänzender Equipage zur Stadt fihr, hatte Je— 
dermann ein freundliches Lächeln, einen böflichen 

Gruß für fie. In Meinen Städien pflegt man 
Leute, die in Equipagen fahren, hochzuſchätzen. 
Mebrigens war es gut, fi vor Fertöy in Acht 
zu nehmen. | 

Die alten, freundihaftlihen Kreiſe fanden 
fih wieder zufarnmen. Die kleine Blum wohnte 


kr DR = 


wieder inder Feſtung und war wieder Verpflegsbe: 
amtensfrau. Seraphine befuchte fie oft in Begleitung 
ihres Gatten oder der Mutter, oder auch allein. 

In der Feftung gibt es jehr ſchöne Spa— 
jtergänge. Die bombenfeften Kaſematten find 
weich, mit grünem Raſen bewachſen; an der einen 
Ede derſelben fteht ein Heiner, hinefiiher Pavil— 
Ion, in diefem Papillon weilten die beiden Freun— 
dinnen jo gern und plauderten und lachten über 
die verſchiedenen Thorheiten des Tages. 

Daran dachte vielleiht Keine von ihnen, 
dag unter dem ſchoͤnen, grünen Rafen, in der 
Tiefe einer Klafter, ſich maſſive Gewölbe befin- 
den, in deren ungeheuer dien Mauern Schieß— 
löher angebracht find, die zugleih als Fenſter 
dienen ; daß durch diefe Fenfter verihiedene Men- 
Then ſehnſüchtig nah dem fernen Himmels: 
lichte bliden, daß es diefe Menſchen ſehr gut 
hören, wenn da oben ein heiteres Lachen erihallt. 

Mer ihon jolde Schießlöcher geliehen, wird 
fi) erinnern, daß diefe eine mehr breite als hohe 
rauhfangähnlihe Deffnung bilden, und in. Be: 
lagerungzeiten mit ſchweren Poſitionsgeſchützen 
beipieft werden. In Tonftigen Zeiten pflegen Diele 
Kaſematten als Depots für Proviant oder für 
Staat3- und Feftungsarreftanten zu dienen, wo 
man dann die doppelten Eilengitter der Schieß— 
löher noh mit einem dichten Drabtgefleht zu 
verichen pflegt. . ... 


— 135 — 


Wie erwähnt, promenirte Seraphine mit 
ihrer Freundin Blum an Ihönen Krühlingstagen 
ſehr oft über und neben diefen Kaſematten. Die 
wachhabenden Soldaten ſprachen diefes Pärchen 
nit an, da fie wußten, daß fie zum Haufe gehörten. 

An einem ſchönen, fonnigen Nahmittag 
waren die Damen abermals jehr guter Laune. 

Seraphine trug ein kirſchrothes Kleid mit 
einem Deflein von PBalmenblättern. Die Blum 
machte ſich über diejen Deſſein luſtig. 

— Die Palme ift halt überall ein Symbol 
de3 Sieges. Wolozoff gehört demnach aud) nicht 
mehr zu den Unbefiegbaren!... 

Molozoff ift ein neuer Name für uniere 
Leſer. Wir werden mit dem auch befannt werden. 

Seraphine lachte. | 


— Wenn Wolozoff das Feuer Männern 
gegenüber mit folher Tapferlkeit aushält, wie 
dies den Damen gegenüber geſchieht, dann weiß 
ich nicht, wie er zum Mladimir-Orden gefommen ? 

— Der Fürft ſcheint fih gänzlih in Un— 
garn vergeſſen zu haben, während feine Leute ſchon 
längft über Berg und Thal nach Rußland zurüd find. 

— Er war vielleiht gar nicht Soldat ? 

— Dja, und nod dazu eintapferer,; er hat 
jelbft eine Wunde erhalten. 

— Während des Rafirens!... 

— Ei, ei, Seraphine, — drohte die Blum 


— 154 — 


— es ift fein gutes Zeichen, wenn eine junge 
Dame einen jungen Mann verleun:det. 

— Weshalb ? | 

— Weil dies darauf ſchließen läßt, daß fie 
jich gegen ihn vertheidigt. 

— Ad, ja!... das ift Fertöy's Sache, fein 
Meib gegen Männer zu vertheidigen. 

— Der wird Did, liebe Freundin, nicht 
vertheidigen. Ih Sage nit gegen gewöhnliche 
Männer etwa, aber wenn ein Kürft im Spiele 
iſt, da hält cr es mit den Türken und meint: Bei 
Gott allein gibt's Schutz. 

— Verleumde meinen Gatten nidt; id er— 
ſuche Did darum, — jagte Seraphine ınit jenem 
ihalkhaften Lächeln, welches die Ironie nur des- 
halb zu verbergen fuchte, um fie klarer in's Licht 
zu ftellen. — Du weißt ja, welch zärtlidies Ver: 
hältniß zwiſchen uns herrſcht. | 

— D ja, ih weiß es. Ihr pflegt ju fogar 
zuweilen miteinander zu diniren. 

— Glaube mir: er ift ein fehr guter Mann. 

— Auch Wolozoff jagt es. 

— Wie fünnte es Wolozoff Tagen, hat er 
ihn doch nie geiehen. 

— Eben deshalb jagt er es. 

— Das Steht niht. Er ſucht ſtets meinen 
Mann, wenn er fommt. 

— Und bat das beiondere Unglüd, ihn nie 
zu treffen. | 


— 11) — 


— Deine böfe Zunge joll diesmal doch 
nicht Recht haben; jo erfahre denn, daß Wolozoff 
in zwei Tagen abreift. 

— Ich weiß es, doch nur bis nad 
Warſchau. 

— Was ſoll das „nur“ bedeuten? 

— Das bedeutet, daß er dort leicht auf— 
zufinden iſt. 

— Durch wen? Du meinſt doch nicht 
durch mich? 

— Nein. Ich meine Deinen Gatten. 

Seraphine glaubte bereits, die Grenzen des 
Scherzes erreicht zu haben, und nn in helles 
Lachen aus, 

In diefem Momente gingen fie an einem 
der Schießlöcher vorüber. 

— Siehe "mal, wie liftig dieſe Gefangenen 
find, — Jagte die Blum, dem Geſpräche eine andere 
Wendung gebend. — Da tet Ihon wieder Einer 
den Finger durch's Drahtgitter heraus. Ä 

Seraphine warf einen flüchtigen Blid auf 
das bezeichnete Gitter und ſah, wie fi dort ein 
herausgeſteckter Finger bewegte. R 

— Wenmes die Wache bemerfte; — a 


die Blum. sit oblaiist 
— Was ai er ienn? tr; frug 
Seraphine neugierig. un ua ma mumane sad 


— Es ift. ihre; Semohnkeit,, Habe es oft 
bemerkt. Mein Mann: jagt ‚fie: thaͤten dies des⸗ 


— 1856 — 


halb, um die Leute aufmerkſam zu maden, daß 
dort Stuatsgefangene find. 

— Und was nüßt ihnen das ? 

— Nun, es kann barmberzige Seelen ge= 
ber, die ihnen Papier und Blei, oder einige Gul— 
denzettel durch's Gitter hinein ſchieben, wenn es 
die Wache nit bemerft. 

— Haft Du es vielleicht auch ſchon gethan ? 

— Nein. Du weißt, dab Das Geld bei mir 
nicht gerade im MUeberfluffe vorhanden iſt; mit 
den Schreibrequifiten fünnten fie etwas Kompro— 
mittirendes anftellen. 

— Ich mwühte nit, mas? Sch gehe hin. 

— Thue e3 nicht, denn wenn es der Fer 
ftungslommandant erfährt, verbietet er und das 
Spazierengehen bier. 

— Ich will ihın ja nur einige Gulden ge= 
ben; wie fünnte er dies erfahren ? | 

— Thue es nicht, es fünnte uns ſchaden. 

— Wie, wenn es aber ein Bekannter iſt, 
einer bom „vorigen“ Frühjahr?! 

Die zwei jungen Frauen ſahen einander 
bei dieſem Worte an, und die Blum rieth Sera— 
phinen nicht mehr ab. Ein kleines Fünfgulden— 
Zettelchen wird dem Armen ſehr gut befommen. 
Vielleicht iſt er Einer von Jenen, der Einer oder 
der Anderen der Damen einſt duftende Bouquets 
im Werthe von zwanzig Gulden überreichte, und 
der jetzt von ſiebzehn Kreuzern leben muß. 


— 187 — 


Die Damen warteten, bis ihnen die Schild— 
wache den Rücken kehrte 

Dann gingen fie zwei= bis dreimal hinter 
ihr einher und beobachteten ſtets, wie fich der 
Finger deutend bewegte. 

Einmal blieb Seraphine zurüd, während 
die Blum ihren Spaziergang hinter der Schild: 
wache fortjekte, damit dieſer das Rauſchen der 
Kleider höre, mährenddem fih Seraphine eiligft 
dem Fenſter näherte. 

Sie hielt die Banknote zufammengewidelt 
zwiichen den Fingern, um diefelbe ſchnell durch's 
Gitter ſchieben zu können. 

Der Halb berausgeftredte Finger fam bei 
Seraphinens Annäherung bis zum dritten Gliede 
im Vorſchein; auf diefem dritten Gliede konnte 
Seraphine jenen Dpalring mit dem natürlichen 
Kreuze erbliden, den fie bei ihrer Verlobung Ro: 
bert gegeben hatte. 

Seraphine ftieß einen furdtbaren Schrei 
aus und ftürzte ohnmächtig zufammen. 


(Ende des zweiten Bandes.) 








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Andere Beiten 


andere Menichen. 


Roman in vier Bänden. 


Von 


Mori Zokai. 


Dritter Band, 





De, 


Druderei des „Athenäum'. 


1869. 
Berlin, Verlag von Otto Aanke. 











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Dritter Band. 


Wellen war der Ring? 


Wenn Seraphine, als fie zu Hauſe, in wei: 
hen Bette liegend, von Aerzten umgeben, zum 
Bewußtſein erwachte, genug Seelenkraft beſeſſen 
hätte, einen furchtbaren Gedanken, welcher ihr 
ganzes Weſen durchdrang, nicht zu verheimliden ; 
wenn fie davor nicht zurüdgeihredt wäre, mit 
faltem Blute zu unterfuhen, ob das, mas fie ge- 
jehen und erfahren, Wahrheit oder Irrthum jet; 
wenn fie nit jene peinlihe Ahnung- verihwiegen 
hätte, welde ihr die Ruhe ihrer Nächte raubte 
und ihre Nerven fieberhaft erzittern machte, fo 
wäre fie den unläglihen Schmerzen entgangen, 
welche fie fpäter zu erdulden hatte. 

Wenn Seraphine nicht zurüdigeichredtt wäre, 
einem Phantom in die Augen zu jehen, weldes 
fih gleih einem mahnfinnigen Rieſen in ihrer 
Phantaſie aufrichtete, jo wäre fie von vielen böje 

—— 


— — 
— 


Träumen verſchont geblieben; denn es gibt ver— 
folgende Gedanken, die man während des Tages 
bannen fann, die aber, wenn für andere Glüd- 
liche die Nachtruhe eintritt, aus ihrem Verſteck 
hervorkriechen und ihre ſyſtemloſe Peinigung be= 
ginnen. Die Seele vermag fid vor ihnen nit 
in das glücdlihe Reich der Träume zu retten, 
denn fie folgen auch dorthin. 

Wenn Seraphine nur mit einem Worte der 
Urſache, weßhalb fie den Schredensihrei ausge: 
ftoßen und ohnmädtig zuſammengeſunken mar, 
gegen Jemanden Erwähnung gethan hätte; oder 
wenn fie, al3 fie an das verhaͤngnißvolle Fenſter 
trat, die Frage geftelt hätte: wer es eigentlich 
fei, an deflen Finger fie Robert's Ring erblidte 
— ſo hätte fie ungefähr folgende Geſchichte er— 
fahren : 

Pußtafi ftieg an dem Tage, wo er aus dem 
Sumpfe entlam und ſich über das Gebirge retten 
wollte, auf eine Abtheilung Grenzer, weldhe ihn 
gefangen nahm und nad Arad eskortirte. 

Er kannte die Feſtung gut; er war beider 
eriten Uebergabe derjelben gemweien. 

Das Lokale, in welches man ihn geiperrt, 
war bon den Ungarn als Speckkammer benütt 
worden; jpäter machte man eine Kanzlei daraus; 
die zerknitterten Papierftüde und Streifen lagen 
jetzt noch in den Eden umber. 

Rund an der Mauer am Rande des Fuß— 


— 
— — ı) s — 


bodens, gähnten verichiedene Löcher, deren Noth— 
wendigleit zwar nie fonftatirt worden, die aber 
an jolhen Drten üblih find, um für die Ratten 
al3 Aus: und Eingang zu dienen. 

In der Epohe des Spedes hatten e3 die 
Ratten freilich gut; im papierenen Zeitalter aber 
umſo ſchlimmer. 

Das Lokale hatte fein Fenſter, blos eine 
Heine Deffnung über der Thüre, durch welde ein 
matte3 Licht von dem dunklen Korridor drang. 

Die Möblirung beitand aus einem Xijche, 
einem eldbette und einem Stuhl. Sonft gab esan 
Utenfilien nod einen Krug und einen bledhernen 
Leuchter, in welchem eine Unſchlittkerze ſtak. 

Pußtafi, mwelher den ganzen Marſch zu 
Fuß gemadht und obendrein noch etwas an den 
Füßen zu Ichleppen hatte, was man damals derlei 
Rebellen anzulegen pflegte, war ſehr ermüdet 
und warf fi auf das Bett. 

Dod kaum Hatte er fih einige Minuten 
Ruhe gegönnt, als eine alte Ratte erihien und 
mit eifriger Kunftfertigleit die Sohlen jeiner 
Schuhe herabzutrennen begann; auch andere be— 
zeiteten fih vor, an dasſelbe Werk zu gehen. 

Pußtafi jah fi genöthigt, auf der Platte 
des Tiihes Zufluht zu juhen, wohin ihm Die 
Ratten nicht folgten. Er ftellte daher die bren- 
nende Kerze auf den Stuhl, und legte fih auf 
den Tiſch. 


DS 


Bon dort aus betrachtete er dann mit 
jener Ruhe, welche nur Diejenigen empfinden, 
die Alles verloren haben, was um ihn herum 
geihah. 

Die Ratten wühlten in den Papierhaufen 
herum, pfiffen und freifchten, fragten an den 
Wänden und nagten wüthend an den Fühen des 
Tiihes, zum Zeihen, daß fie mit der neuen 
Mendung der Situation unzufrieden jeien. 

Pußtafi ließ fie wüthen. 

Da geihah es, daß eine dickbäuchige alte 
Ratte den Stuhl erklommen, fih auf deſſen 
Lehne jekte und mit der brennenden Kerze lieb— 
äugelte. Nicht als ob fie an der Flamme ein 
bejonderes Vergnügen empfinden möchte, Tondern 
weil fie vermuthlich argumentirte, daß es biel 
beſſer wäre, mit der Kerze, anftatt daß fie bier 
unnükes Licht verbreite, das Glück einer hun— 
gernden Ramilie für einen Tag wenigftens zu 
begründen. Wie konnte aber das bewerfftelligt 
werden, wenn die Kerze brennt ? 

Die Ratte ftieg von der Lehne des Stuh— 
les herab, beichnofelte die Kerze und ledte gie: 
rig an den Unfdlitttropfen, welche an dem Leuch— 
ter klebten. . das reizte den Appetit nod mehr. 
Die Ratte richtete fih empor, als wollte fie das 
Licht ausblafen, verjengte fi aber dabei Schnur— 
bart und Augenbrauen. Da gerieth das Thier in 
Wuth, faßte die Kerze in der Mitte, riß dieſe 


— 7 — 


ſammt dem Leuchter vom Stuhle und ftürzte, 
troß des brennenden Dodtes, in den Winkel zwi— 
Ihen dem Papierhaufen hinein. 

Pußtafi betrachtete al diejes mit der Gleich— 

giltigleit eines gebrodyenen Mannes, 
Das Papier entzündete fih. Pußtafi hatte 
den Waflerfrug an der Seite; er ftredite nicht 
einmal die Hand darnad aus, jondern jah ruhig 
zu, wie das Papier weiter brannte, wie das Feuer 
das Feldbett ergriff; er rührte fih nicht. | 

Als aber der ftarfe Rauch durch die Deff- 
nung über der Thüre drang, da fam eiligft der 
Profoß und die Drdonnanz, fie riffen die Thüre auf 
und fragten, was es gäbe. | 

Pußtafi erzählte, was geichehen. 

— Warum haben Sie das Feuer nit ges 
loͤſcht? — frug der Profoß. | 

— Das ift niht meine Pfliht,; — antwor= 
tete Pußtafi, ruhig in feiner Lage verbleibend. 

— ber Sie hätten ja ſelbſt verbrennen 
fonnen. 

— Geht mih nichts an... 

Der Profoß Ichüttelte den Kopf und 
-brummte etwas in den Bart hinein ; dann wollte 
er jeine Macht die Ordonnanz fühlen laffen und 
befahl derjelben, das Zimmer von dem Papier: 
wert zu reinigen. 

Die Drvonnanz hieß Wenzel, war ein lu— 


— oe 


ftiges Linzer Kind, und trug an der blauen 
runden Kappe ein fünftlihes Blumenbougnet. 

Während Wenzel mit dem Aufräumen be— 
Ihäftigt war, begann er zuerft zu pfeifen, dann 
eines jener Lieder anzuftimmen, welde unter dem 
Namen „Gaffenhauer” bekannt find. Wielleicht 
hatte er die Ablicht, dem ernten Manne dort, 
weldher auf dem Tiſche auegeſtredt lag, die Zeit 
zu verkürzen. 

Das Lied lautete: „Mich ſchlägt der Wein, 
ih Schlag’ den Wirth, der Wirth Schlägt fein 
Meib, didldum, didldum ! ... die Wirthin liebt 
mich, ich liebe den Wein, der Wein liebt den 
Wirth, didldum!“ 

Er wiederholte ganz luftig hreimal jein ſon— 
derbares Lied, und ſchien jehr mit ſich zufrieden 
zu fein, denn er lädhelte wohlgefällig den ernften 
Mann am Tiihe an. 

— Höre, Freund Wenzel, — ſprach ihn 
Pußtafi an, indem er jeine beiden Hände als 
Polſter unter den Kopf legte. — Du liebft auch 
in der Wirklichkeit den Mein ? 

— Hätte ih nur welden. 

— Ich Tonnte Dir ſehr viel und fehr gu: 
ten Wein verihaffen, wenn Du auf mid hören 
wollteft. 

— Wenn Ste nihts Böſes vorhaben ? 

— Fürchte nichts. Ich verlange nichts 
Böoͤſes don Dir. 


— — 


Ich hätte nur eine Botſchaft einer ſchönen 
Frau auszurichten, woran Niemand Schaden lei— 
den kann. Dieſe ſchöne Frau wohnt in Komorn, 
ihr Gatte iſt in der Schlacht gefallen. Dies hätte 
ih ihr zu berichten, damit fie abermals heiraten 
fünne. 

— Das konnte man Thon thun. Wo ift 
aber der Wein oder das Trinkgeld. 

— Das fiehft Du ja, daß ich feinen Wein bei 
mir habe, und das weißt Du, daß id) fein’Geld bei 
mir führe. Ih kann Dich aber an einen Drt 

weiien, wo man jehr guten Wein umſonſt be— 
lommt. 

— Wenn man ihn ſtiehlt? | 

— Nein. Man braudt ihn nur aus der 
Erde zu heben, wo er begraben liegt. Dhnedem 
bat der Wein feinen Herrn. 

— Wo ift das? 

— Ich werde es Dir erllären, doch früher 
veriprehe mir, gib mir Dein Eideswort, daß Du 
diefe Botihaft auf die Voft geben wirft, gib mir 
ein Stückchen vom dem vielen ſchlechten Papier dort. 

Menzel reihte ein Stück Papier hin. 

Pußtafi Ihrieb, damit e8 auch Menzel ver- 
ftehen könne, deutſch: der Frau Robert Zeleji in 
Komorn. „Ihr Gatte ift bi S... gefallen, Puß— 
tafi hatte ihn begraben, er hat aud feinen Ring.“ 

— Kannſt Du’s leſen. 

— Ja. 


za 
- 0 — - 

— Run fo trage das auf die Poſt, und jende 
es an die Adrefle. 

— Gut. Deßhalb wird mir doch nichts ge= 
ſchehen. 

— Fürchte nichts. S' iſt ja nur eine Fami— 
lienangelegenheit. . . Doch fieh jetzt nach Deinem 
Lohn, die Weinflaſchen haben wir vergraben in die 
Ecke des Kellers der Kaſematte Nr. 2, als wir vor 
einem Monat hier gewohnt hatten. 

— Das iſt ja eben die Kaſematte Nr. 2. 

— Das wußte ich nicht. Nun um ſo 
beſſer; gibt Acht. Wenn Du über die Stiege 
hinabkommſt, wende Di links; dort wirft Du 
zwei lange Balfen, auf welhe man die Fäller 
zu ftellen pflegt, finden. Hebe den äußeren auf 
‚und wende ihn um; dort, wo mit rother Delfarbe 
ein Ring gemalt ift, wühle die Erde auf. In 
der Erde wirft Du einen meflingenen Knopf fin= 
den, an diefen Knopf ift eine dünne Kette be- 
fejtigt, ziche an, und es wird eine didere Kette 
zum Vorſchein fommen ; ergreife dieje feſt, ziehe 
fie an, und es wird fih jene Fallthüre öffnen, 
unter welcher jene vielen und guten Weine und 
Liqueure liegen, die wir einft im Glauben, daß 
wir wieder zurückkommen, dort verborgen haben. | 

— Na, id) werde es jehen. Wenn es wahr 
it, jollen Sie aud) davon haben. | 

— Ich danke Dir Wenzel. Früher aber | 
gib das Briefhen auf die Poſt. 


— Das werde ih thun, Herr, was ıd 
einmal über mid nehme, thue ih aud gewiß. 

— Ich erjuhe Did aber lieber, ſchöner 
Menzel, gehe früher auf die Bolt, und grabe 
erit dann nad den verborgenen Schätzen, jonft 
fönnteft Du darauf vergeflen. 

— Ich Ihwöre es Ahnen, mein Herr, daß 
ih nicht vergeſſen werde. 

— Dennod bitte id) Dich jehr, laſſe den 
Wein zulegt. 

— Gut, Herr. Es joll geihehen. 

Unterdeffen hatte Wenzel die Papierfegen 
zulammen und zur Thüre binausgelehrt. 

— Mo joll ih die Kerze Hinftellen, damit 
fie die Ratten nit wieder fortichleppen ? 

— Nimm fie mit hinaus, id) werde 
ſchlafen. 

— Es iſt aber Ordre, daß hier immer 
Licht brennen muß. 

— Dann hänge den Leuchter auf die Thür- 
klinke. Gute Nadt. 

Auh Wenzel wünſchte gute Naht, und 
ihloß die Thüre ab; Pußtafi ſchloß die Augen; 
der fröhlihe Burſche jang auf dem Korridor fein 
Lied weiter: „Mich liebt die Wirthin, id) liebe 
den Wein, der Wein liebt den Wirth“. (Wes— 
halb der Wein den Wirth liebte, wäre ſchwer zu 
errathen.) 

Menzel aber dachte bei ih, daß von 


— SED 
praktiiher Seite betrachtet, in der Reihe der 
Vorrichtungen jedentall3 der Hebung des Meines 
das Vorrecht gebühre, die Poſt kommt erjt danır. 
— Eine böje Nachricht kann ſich ſchon eine Nacht 
veripäten, für- eine gute Flaſche Wein ift es 
aber ſchade, wenn fie nur eine Stunde in der 
Erde liegt. 

Eine Schwierigkeit ergab ſich aber,dadurd, 
dag Wenzel zu jenem Seller feinen Zugang hatte, 
denn in diefem Keller hielt der Feldbäcker feinen 
Mehlvorrath, hatte folglich auch den Schlüffel 
dazu. | 

Es war daher fein anderes Expedient bor- 
handen, als die Bekanntſchaft des Bädergejellen 
zu benügen, dieſem das Geheimuig aufrichtig mit- 
zutheilen, und ihn zur Theilnahme an dem Un- 
ternehmen aufzufordern. 

So that er aud. 

Der Bädergejelle Hubert war ein jehr Ta- 
pazitirbarer Zunge, und hatte auch den Schlüfjel 
zu jener Abtheilung des Kellers. 

Nah dem Zapfenſtreiche ſchlichen fich die 
beiden hoffnungsvollen Jünglinge über die Stiege 
in den Kafemattenkeller, und gelangten ungehin- 
dert an die durch Pußtafi bezeichnete Stelle. 

Als jie den eriten Balken hoben, hatten fie 
den rothgemalten Ring alliogleih entdedt; nun 
hatten fie volles Vertrauen in die Entdedung 


Pußtafi's. 


= A 


Mit Hilfe einer Mehlſchaufel und einer 
Feuerzange wühlten fie nun die Erde auf, und 
fanden alsbald den meſſingenen Knopf. 

An diefem Knopfe war die dünne, an der 
dünnen die didlere Kette befeftigt; als jie an letz— 
terer zogen, öffnete jih die eiſerne Fallthüre, 
melde ſechs Quadratfuß groß jein mochte. 

Der Anblid, welder fih ihnen bot, über= 
traf alle ihre Erwartungen. Die Deffnung war voll 
der verſchiedenartigſten Weinflaſchen. 

Der erſten Flaſche, welche ſie aus der Oeff— 
nung hoben, wurde auf kurzem Wege der Hals ab— 
gehauen und der Inhalt einer faltiſchen Prüfung 
unterzogen. . . . Das war ein fünigliher Wein, 
Muskateller! Nicht folder Wein, wie ihn der 
Wirth liebt; mit dem bat gewiß noch fein 
Wirth eine Liaifon gehabt. 

— Hörft Du, Hubert, trinken wir nicht 
zu viel, jonft fünnen wir uns einen Zopf anhaͤn— 
gen. Im Keller ift es nicht rathſam, viel zu trin= 
fen, id weis es aus Erfahrung; jondern neh: 
men wir uns jo viel mit hinauf, als wir für 
genug halten, das Uebrige verbergen wir aber= 
mals und holen es uns theilmeile hinauf, 

Hubert fand den Antrag annehmbar. 

Es mar jet nur noch die Frage, melde 
Wahl fie treffen jolen? Zu dem  gelofteten 
Muslkateller paßte die ſchlanke Flaſche vortreff: 
fi, in weldher granatfarbener Menefer funtelte 


— 141 — 


— 63 folgte nun die Auswahl der Liqueure. 
Mannahm eine Shmwarze Flaſche mit Abſynth und 
eine mit Arraf. Es gab die verihiedeniten Gattun= 
gen: Roſtopſchin, Curacao, Allah, Marasquino ; 
für Kenner find das Namen von bezauberndem 
Klang; — das Ganze war in der That ein fa- 
belhafter Schat für Einen, der das Alles zu 
würdigen weiß. 


Menzel reichte eine Flaſche nad der andern 
dem Hubert hinauf, da ergriff er plößlih den 
Hals einer mit bunter Zinkplatte überzogenen 
Flaſche, melde er aber, nachdem er fie ein wenig 
in die Höhe hob, — wieder auf den Boden 
zurückſetzte. 

Dieſe Flaſche, welche kaum größer als eine 
Champagner-Bouteille geweſen, ſchien wenigſtens 
acht Pfund zu wiegen. 

Wenzel war ein Junge von raſchem Ber: 
ſtande und raiſonnirte folgendermaßen: 

Solchen Wein gibt es auf der Welt nicht, 
von welchem eine Flaſche acht Pfund wiegen 
ſollte. Eine Flaſche von ſolchem Gewicht kann 
nur Gold enthalten; jetzt verſtehe ich's, warum 
man eben dieje jo jorgfältig verwahrte. 

Er raifonnirte weiter: den Inhalt dieſer 
Flaſche mit Hubert zu theilen, wäre eine große 
Thorheit, übrigens lautet unſer Kontrakt nur auf 
Mein. 


a WE 


Diefes Naifonnement bewog Wenzel an 
Hubert die Worte zu richten: 

— Ich glaube, wir werden mit dem Weine, 
den ih Dir gereicht, für diefe Gelegenheit genug 
haben ; trage die Flaſchen nur hinauf, ich werde 
einftweilen die Kallthüre Ichliegen und den Schaf 
verbergen ; bis dahin verwahre Du die Weine an 
einem fihern Drte. 

Hubert fand das Ganze ſehr vernünftig ge: 
ſprochen, verbarg die für das heutige Gelage be— 
ftimmten Weine unter jeinem Mantel, und jtieg 
über die Treppe des Kellers hinauf. 

Als die Sellerthüre in ihr Schloß fiel, 
wartete Wenzel noch den Nugenblid ab, wo er 
das Knarren der großen Mehltruhe vernahm, 
denn er wußte, daß Hubert nur dieſe als fiheres 
Verſteck für den geiftigen Proviant wählen könne; 
dann erft griff er nach der geheimnißvollen Flaſche. 
| Hubert mohte das Warten nad) feinem 
Freunde verdroffen haben, es war jedod gut 
für ihn, wie es die Folge lehren wird. 

Die ſchwere Flaſche war aus undurchſich— 
tigem Glas, man vermodte von Außen den In— 
halt nicht zu prüfen. 

Aber, wie jhon erwähnt, war Wenzel ein 
geihulter Junge, und mußte es, meldes das 
allerihmerfte Metall der Welt ſei; demnad konnte 
in diefer Flaſche nur Gold ftedken. | 

Die Flaſche zu entlorfen und die Dufaten- 


a. 8 


ftüde einzeln Hberauszurütteln wäre mit vielem 
Beitverluft und Verdacht erregendem Geräuid) ver— 
bunden geweien; dann wäre e3 bei einem jolhen 
Bunde lächerlid) gewesen, die Flaſche zu jchonen. 
Er hatte fih daher den Plan geftelt, um mög: 
lichſt Schnell zu arbeiten, den Hals der Flaiche 
an jeinem Stiefelabjage zu zerbrechen, die her: 
ausrollenden Goldfüchſe in die Taſchen zu bergen, 
und dann Hubert den einfadhen Rapport abzu= 
ftatten: es jei eine Branntweinflaihe zerbrochen 
und deren Inhalt in den Sand geronnen. 
Welch' wahnfinniges Vorhaben der junge 
Mann damit ausgebrütet, follte der naͤchſte Mo- 
ment lehren. | 


Die Flaihe enthielt fein Gold ſondern 
Knallqueckſilber. 


Wenn Jemand Zweifel darüber hegen 
ſollte, daß mit dem Kunallqueckfilber durch— 
aus nicht zu ſyerzen ift, dem wollen mir 
furz jagen: daß Snallquedjilber jene gelblich— 
weiße Subftanz ift, mit welcher man die Zünd- 
büthen füllt, womit man wieder die Schießge- 
wehre losfeuert. Dieſes chemiſche Produkt befigt 
die Eigenſchaft, daß es bei der kleinſten Berüb- 
rung erplodirt, und daß feine Zerftörungskraft 
hundertfünfzig Mal größer ift, al3 die des Pulbers. 

Acht Pfund Knallquedfilber üben daher die— 
felbe Wirkung, als hätte Jemand in zwölf Zent- 
ner Pulver die Lunte geihleudert ... 


— — 


Was nachher geſchah, das konnte Wenzel 
Niemandem mehr erzaͤhlen; wir wiſſen es aus 
den Ausſagen Hubert's, welcher in dem Momente, 
als er die Bouteillen in die Kleien bergen wollte, 
mit Gewalt in die Truhe geſchleudert wurde, und 
dann ſammt ſeinem Gehaͤuſe durch die Luft an's 
jenſeitige Ufer der Maroſch flog. Sein Glück war, 
daß er, durch die Kleien geſchützt, nicht zerſchmet. 
tret wurde. Man fand ihn am Ufer der Maroſch, 
bon ſeinen Flaſchen umgeben .... Die Wirkung 
der letzten Flaſche war further! .. 

Eilf Gemäder flogen in die Luft. Der 
Kommandant, welher bei der Erplofion aus dem 
Zimmer ftürzte, fiel in einen Abgrund, wo ihn 
die Trümmer erihlugen. Die Kaſematten waren zer— 
ftört, die Wälle niedergeriffen, auf taufend Klafter 
war die Umgegend mit Steinen und Ziegeln bedeckt. 

Wenzel fand man an die Wand des Kel— 
lers gellebt, eine bingeftrihene Maffe, feine Kno— 
hen waren jo zerbrödelt, als hätte man fie in 
einem Mörjer zerftoßen. 

Pußtafi fam wie durch ein Wunder davon. 
Auh ihn hatte die Erplofion in die Lüfte ge- 
jhleudert, er fiel aber unweit auf eine Stroh: 
trifte. Er hatte fi) das Haar und den Bart ver- 
jengt, ſonſt geihah ihm fein Leid. 

Den anderen Tag hatte man ihn troß des 
Unfalles mit mehreren anderen verdächtigen Ge— 
fangenen weiter transportirt. 

Aubere Zeiten, andere Menfchen. III. Band, 2 


ze. IR 


So gelangte er in die Komorner Kajematten. 

Er war es demnah — nahdem es ihm an— 
ders nicht gelungen, die Botihaft ſeines gefalle- 
nen Freundes an Scraphine auszurichten — melder 
den Finger mit dem Ninge durch das Gitter 
ftedte, um Seraphine wifjen zu lafjen, was dieſe 
zu willen fi jo lange gejehnt hatte. 

Und dennoch befam Seraphine darüber nie 
eine fihere Auskunft, denn fie hatte nicht den 
Muth, nadhzuforihen, wer der Träger des Rin— 
ges fei, in der Angft, fie Tönnte als Antwort er- 
halten: „Der Beliker des Ringes ift Dein er: 
fter, Dein jo Schnell vergeflener Gatte Robert.“ 


Wie Major Kolbay einen Türken 
gefangen. 


Die neue era hat aud) in die Lebensver- 
Hältniffe des alten Majors Kolbay einige Kleine 
Veränderungen gebradt. E3 kamen Tage, an wel: 
hen der alte Herr ganz ernftlid) den Glauben hegte, 
daß aud) er noch zu Etwas nützlich fei. 

Seine Beihäftigung beftand nun darin, daß 
er täglich in die Feftung ging, um nachzuſehen, ob 
man feine friiden Gefangenen gebradt habe; es 
war ihm leicht, zu ihnen zu gelangen. Nun beeilte 
er fi, ihre Heinen Wünſche zu erfüllen, und machte 
alle Gänge für fie, vom Profoßen angefangen bis 
zum General; er war überall wie zu Haufe, Der 
Eine hatte den Wunsch, zulefen, und verlangte nad) 
Büchern. Der Andere wollte fih in der freien Luft 
ergötzen; Manden wollte feine Gattin bejuchen ; 
wieder Andere dürfteten nad) einem Släschen Wein ; 
der hatte eine zu Feuchte Wohnung u. ſ.w.; der Alte 
tegiftrirte in feinem Gedaͤchtniſſe die verſchiedenen 
Begehren und juchte fie möglicht zu erfüllen, 

2% 


— — 


Einem jeden Einzelnen erzählte er die ganze 
Rebensgeihihte, Kamilienverbindungen, und Cha— 
rafterzüge jener Mächte, mit denen fie in Be— 
rührung famen. Und welche Freude hatte der Alte, 
wenn er für einen jchweren Gefangenen erwirfen 
fonnte, daß er jeine Gattin ſprechen dürfe, daß 
er Bücher lejen oder gar Tinte und Papier er= 
. Halten fünne. 

Man nannte den guten Alten bereit den 
„Vater der Gefangenen.“ 

Wenn er nad) feinen Bejuhen in der Fe- 
ftung des Mittags und Abends nah Haufe ging, 
nahm er ftetS jeinen Weg am Haufe der Laͤbay 
borüber, Kopfte an das Fenſter, und frug: „Sind 
die geftrenge Frau zu Haufe ? Laſſen Sie das 
ewige Weinen, Ihrem Sohne ift nod) nichts ge- 
ihehen. Sonft hätte ih ſchon längft etwas über 
ihn erfahren haben müſſen.“ 

— Wie konnten Sie über ihn hören, wenn 
er geftorben ift? Lebte er, fo würde er mid 
gewiß benadhrihtigt haben! — Das war der täg- 
lihe Zweifel der alten rau. 

— 63 ift jetzt ſehr ſchwer, Briefe zu jchrei- 
ben, überhaupt wenn man Flüchtling ift. 

— Daß aber aud feine Gattin nicht ſchreibt? 

— Diefe ift eine prächtige Frau, weßhalb 
gehen Sie niht ſelbſt zu ihr, um mit ihr zu 
ſprechen. 

— Peſt iſt jetzt tauſend Meilen von un 


— 9 


entfernt. Man muß einen Paß haben, um ihn 
alle Augenblide den Gensd’armen vorweiſen zu 
fönnen, um ihn auf'3 Polizei-Bureau zu fchiden ; 
ihn. von dort perfönlid abholen, eigenhändig den 
Namen unterfchreiben, von hundert veridiedenen 
Menichen dabei genedt werden, das Alles ift nichts 
für eine alte Frau. 

Kolbay räufperte ih, — ſagte weder Gutes, 
noch Böſes und ging von dannen. 

Die Unterhaltung wurde täglih in der— 
jelben Weile wiederholt, die alte Dame erichien 
mit immer berweinteren Augen beim Benfter und 
betheuerte mit einer von Tag zu Tag wachſen— 
den Zuberfiht, da ihr Sohn geftorben fein 
müffe; in demjelben Maße wurden ihre Klagen 
immer bitterer gegen die Schwiegertodter, welche 
fie mit feinem Sterbenswörtchen benachrichtigte. 

Der alte Soldat tröftete die Witwe von 
Tag zu Tag, und vertheidigte dabei ſtets 
Judith. | 
An einem Mittag jah man den Veteranen 
mit ungewohnter Haft und in fehr aufgeregtem 
Zuftande über das holperige Pflafter eilen. Es 
ihien, al3 wollte er einen Wagen einholen, 
welcher, mit Reifigbündeln belaftet, vor ihm bers 
humpelte, und welden, troß feiner nicht beſon— 
deren Schnelligkeit, einzuholen, dem alten Ve— 
teranen mit Seinen morſchen Knochen ſehr 


ſchwer fiel. 


— 22 — 


Er konnte ihn auch erſt dann einholen, als 
der Wagen in den Hof der alten Zavay fuhr, 
und der Fuhrmann, unſer alte Bekannte Andreas 
Käpor, die Reifigbündel vom Wagen herabzuladen 
begann. 

Kolbay Humpelte an den Wagen heran, 
ergriff eine der Radipeihen, al3 wollte er das 
Fuhrwerk mit Beihlag belegen. 

— Schnell, Ihnell, Freund Kaͤpor! werft 
eiligft dieſen Ballaft herab, und führt mid) 
eiligft von dannen ! 

— „Guten Tag!” — erwiderte Kaͤpor den 
Gruß, den man ihm gar nit geboten hatte, 
und jeßte gleichgiltig Jeine Arbeit weiter fort. — Es 
wird nicht gehen, denn ih muß noch eine Fahrt. 
für die geftrenge Frau auf die Inſel machen. 

— Verſchiebt das auf eine andere Zeit, 
jetzt mügt Ihr mid fahren! 

— Und wohin denn? " 

— Ich werde e3 ſchon jagen, eilet nur ! 

— Auf wie lange Beit?... 

— Ich weiß es nidt.... Vielleiht auf 
einen halben, vielleiht auf einen ganzen Tag, .. 
auf eine Mode, oder jo lange ih den Menſchen 
nit eingeholt habe. 

— Wen wollen fie einholen, Herr Major ? 
— rief die Stimme der alten Frau dazwiſchen, 
welche dem Alten ſchon das vierte Mal einen 
guten Tag geboten hatte, ohne gehört zu werden. 


— 94. = 


— Ah!guten Tag, liebe Freundin!.. daß 
ich Doc) endlich diefen Menſchen erwiſchen könnte ! 
— Wen haben Sie denn erwiiht ?! 

— Denten Sie fi diele unerhörte Dreiftig- 
feit. Gerade jekt, beim helllichten Tage, fuhr er 
auf einem Magen durh die Gaſſe. Ach habe 
ihn jelbit mit Diefen meinen lebenden Augen ges 
ſehen; mit meinen eigenen Mugen, jonft würde 
ich's nicht geglaubt haben. 

— Ren? — frug die Alte mit fliegendem 
Athen ; fie hegte für einen Augenblid den Ge— 
danfen, e3 jei ihr Sohn, den der Veteran gejehen. 

— Mer würde an eine jolde Dreiftigkeit 
glauben ? Gerade in diefe Stadt zu kommen; 
am hellen Tage, mit dem eigenen Gefiht? ES 
ift wahr, daß fein Kinn ausrafirt geweſen, ſolch 
eine Larve erkennt man aber jelbit dann, wenn 
er fie wie immer verdreht. 

Frau Lavay wurde abermals traurig. Hier 
fonnte nicht von ihrem Sohne die Rede jein. 

— Wen haben Sie aljo gejehen, Herr 
Major ? | 

— Men Andern, als diefen nichtsnugigen 
Bärfing, welder mid im vorigen Jahre auf der 
Gaſſe, an diefer Stelle da, mit dem Hängen be- 
drohte, mich, den Major Kolbay ! Sie haben e3 
ja ſelbſt gehört, geftrenge Frau, es geihah ja 
in Shrer Gegenwart. Daß ich ihn endlich erwiſcht 
habe! ... 


— 24 — 

— Was beabſichtigen Sie jetzt zu thun? 

— Ich werde ihm nacheilen und werde ihn 
erwiſchen, den Nichtswürdigen! .. 

— Sie ſelbſt ?... 

— Ja, ich ſelbſt. Habs noch Niemanden 
angethan. Hab’ anderen unglücklichen Flüchtlingen, 
braven, verirrten Leuten zur Rettung verholfen; 
Dieſem aber werde ich den Hals brechen. 

— Laſſen Sie das, Herr Major, das iſt 
fein Geihäft für Sie. 

Ich weiß es, ih weiß es jehr gut. 
Der „Major“ in mir wird darob zürnen, aber id 
bin es dem „Teufel“, den diefer Menſch in mir 
wadgerufen, ſchuldig; der muß heute noch Men- 
ſchenfleiſch freſſen! 
| — Lieber Herr Major, verdient e3 denn 
diefer Menſch, da fid) ein jo ehrlicher Mann mit 
ihm befaflen joll ? 

— Gut, gut, meine Freundin, geben Sie 
fi nit unnüge Mühe... Ich habe ihn geſe— 
ben. Er lädelte mih an, als gäbe er feinen 
Hund für mid. Der fol mir nicht entlommen. 
Er kann no nicht weit fein. Werde ihn ſchon 
einholen, ihm nachjagen, und wenn er bis Lili— 
putanien laufen follte. D, ich werde, ih muß ihn, « 
erwiſchen, das gelobe id) Ihnen heilig !.. 

— Und mas werden Sie dann mit ihur 
beginnen ? 

— Mas ih mit ihm beginnen werde ? 


wu DR 

Was ? ... Ich werde ihn kurzichliegen, ja kurz— 
ſchließen laſſen, ebenſo, wie er mir gedroht, mir, 
dem alten Mann, dem Major Kolbay, ſoll er's 
verkoſten, was das Kurzſchließen heißt. Freund 
Käpor, beeilt Euch mit der Arbeit. Wir ge— 
ben auf eine Menichenjagp ! 

— Na, wir wollen jehen, was der zurnige 
Fäger von feinem Ausfluge zurüdbringt. 

Kolbay wollte niht einmal warten, bis 
Kaͤpor mit feinem Wagen nah Haufe fuhr, um 
Verſchiedenes herzurichten; der Fuhrmann brauchte 
ja jeinen Tornifter mit Lebensmitteln, da man 
nit wifjen fünne, wie lange die Reife dauern 
wird; feinen Guba, da es falt werden oder reg: 
nen fann; aud ein Sitz wäre herzuftellen, der 
Major kann fih doch nicht auf den Boden des 
Wagens ſetzen. 

— Nein, nein, keine Minute Verzug. Fah— 
ren wir allſogleich, um ihn einholen zu können. 
Ich brauche feinen anderen Sig al3 cin Stroh— 
bündel, das wird und die geftrenge Frau Thon 
geben. 

— Nein, feinen Halm gebe ih ber! — rief 
Frau von Lavay haſtig. 

— WMir geben Sie fein Bündel Stroh ?Mir ? 

— Nicht einen Halm... Nie werde id 
zu Jemandens Verfolgung beifteuern. 

— Aber zur Verfolgung Bärfings ; zu Bär: 
fings Verfolgung! Verftehen Sie mid. ” 





— 26 — 


— Ich weiß es am Beſten, wer dieſer Bär- 
ſing iſt, daß er mein und meines Sohnes Feind 
iſt; doch frage ich nicht darnach. Jetzt weiß ich 
nur ſo viel, daß er ſich flüchtet, daß Sie, mein 
Herr, ihn verfolgen wollen, und ich leihe hiezu 
nicht einen Halm Stroh! .. 

— Sie ſind ja eine furchtbare Frau! 

— Das ſpricht man längft von mir. 

— Alſo wollen Sie mir — kein Stroh 
zu einem Sit geben ? 

— Ein anderes Mal a ih Ihnen Sa= 
fran, jet nicht einmal Stroh. 

— Wie, wenn id) zornig werde ? 

— Werden fih) ſchon wieder verjühnen; — 
jagte die gute alte Dame gelaflen, und blieb bei 
ihrer Weigerung. 

— Und dennod) werde id) gehen ; werde mic 
neben dem Kutſcher ſetzen. 

— Gehen Sie nit, mein guter Herr, Sie 
werden jehen, daß Sie Gottes Segen: nit be= 
gleitet, e8 wird Ihnen ein Uebel am Wege zu— 
ftoßen. Su etwas ift nicht für Sie, Sie find 
fonft ein jo guter Menſch. 

— Hente will id aber böfe, furchtbar böje 
fein! — eiferte zornig der Alte, und kletterte auf 
den Sit neben dem Kutſcher. 

— Treibt ſchnell vorwärts. 

Die alte Dame jah ihm Fopfichüttelnd nad) 
und ging dann in ihr Zimmer zurüd, 


er — 


Der Alte jagte aber ſchnell der Brüde zur. 

Das Gewagte diefes Unternehmens vermag 
nur Derjenige zu ermeſſen, der da weiß, was es 
heißt, auf einem Pflafter, welches aus Kaiſer 
Foje3 Zeiten datirt, und welches überdies durd) 
Bomben und Granaten unterwühlt worden, auf 
einen rüttelnden Bauernmwagen, mit von Gicht 
zerireffenen Gliedern, auf einem harten, nadten 
Brett fißend, im Galopp dahin zu jagen. 

— Fahrt jchneller, 's macht nidts!.. 

An der Brüde frug er die Zöllner, ob fie 
feine grüne Kaleſche geliehen hätten, in welder 
ein Mann im grauen Mantel mit rothem Kragen 
faß?.. Die Zöllner hatten ihn geiehen. Vor 
einer halben Stunde jagte er der Veler Pußta zu. 

— Bor einer halben Stunde?.. dann 
fönnen wir ihn noch einholen. Vorwärts! 

Wo jih der Weg bei der Ziitvabrüde 
gegen Bel wendet, da arbeiteten ein Baar Zim— 
merleute an der Ausbefferung der Brücke; aud) 
diefe befragte der alte Kolbay, ob fie den Ge— 
genftand feiner Verfolgung gejehen ? 

Sie bejahten &8. Er fuhr vor einer 
BViertelftunde über die Brüde. 

— Ganz gut. Demnad) find wir ihm um 
eine Biertelftunde näher im Rüden. 

Weiter ftieß er an Fiſcher, welche am Ufer 
der Ziitva ihre Neke zum Trocknen ausipannten, 
auch dieſe wurden interpellirt, ob fie die grüne 


— —— 


Kaleſche geſehen hätten? Dieſe gaben zur Ant— 
wort, daß beſagtes Fuhrwerk erſt vor einigen 
Minuten vorüberfuhr und ſoeben hinter jenem 
Weidenwalde verſchwand, wo man noch den auf— 
gewirbelten Staub ſehen fünne. | 

— Gebt ſchont weder Pferd, noch 
Magen, no die Veitihe! — rief Kolbay feinem 
Fuhrmann zu. — Wir find auf feinen Ferien, wir 
halten ihn bereit3 am Sragen!.. das gäbe ich 
niht um Hunderttaufend Gulden, nein, nicht um 
hunderttaufend Gulden. Legt fol er mir nicht 
entwiſchen! ... 

Als fie aus dem Weidengeholze heraus— 
kamen, wurden ſie jener kleinen Kolonie anſichtig, 
auf welcher Ungarns berühmteſter Tabak waͤchſt. 
Dieſe Kolonie beſteht aus einigen zerſtreut ge— 
bauten Haͤuſern, welche mit Pappeln umpflanzt 
waren. | | 

Nun müfjen wir aber wiſſen, da auf dieſer 
Kolonie aud Major Kolbay ein Stüdhen von 
feinen Ahnen ererbtes Tabakfeld beſaß, welches 
ein ehrliher Slovale in Pacht hatte, der Pacht— 
Ihilling beftand aber in einigen Zentnern Tabak, 
welche der alte Major von Jahr zu Fahr theils 
felbft verraudte, theils aber verſchenkte. 

Diefes patriarhaliihe Verhältniß wurde 
dur die jüngfte Wendung der Dinge getrübt, 
denn man durfte den Pachtſchilling nit mehr in 
Natura entrihten, die Gintreibung desſelben 


— 9 — 
in baarem Gelde blieb aber eine ſehr problema— 


tiſche Frage. 

So oft Kolbay an dieſes ſein Beſitzthum 
dachte, gerieth er in ſehr verdrießliche Laune. 

As er in das oft erwähnte Dörflein hin— 
einfuhr, fam ihm der Feldhüter entgegen. Kolbay 
hielt ihn an. Natürlih war die Frage, die er 
an ihn richtete, feine andere, als die er auf dem 
ganzen Wege geftellt Hatte. 

— Sie ift da, die Kaleihe, — ſagte der 
ſlaviſche Magyar — jehen Sie Pan velkomozsnye, 
dort fleht fie vor dem Haufe des Richters. 

— Sitzt der Herr mit dem grauen Mantel 
darin ? 

— Nein, der ift bereit abgefttegen, mit 
noch einem andern Herrn, welcher Brillen trägt und 
ſlaviſch verfteht, nur daß er ftatt „dobre“ 
„dobzse“ jagt. | 

— Wohin find fie gegangen ? 

— Zu dienen. Sie befahlen dem Richter, 
fie zu begleiten, nahmen noch zwei Geſchworne 
mit, und gingen gerade auf das Tabakfeld Eurer 
Gnaden hinaus. 

— Auf mein Fed? Was thun fie dort? 

— Mit Vergebung Euer Gnaden, fie koſten 
die Erde. 

— Seid Ihr verrüdt ? 

— Nein, bitte gehorfamft. Hab's jelbit mit 
eigenen Augen geiehen. Sie treuen die Erde auf 


=. SB er 


die Zungenipige, drehen fie im Munde herum 
und fpeien fie dann wieder aus. 

Wird eine Art von Zauberei fein; vielleicht 
wollen fie dadurh die Erpflühe verjagen, damit 
fie die Tabakspflanzen niht verwüſten. 
| — Ahr jeid betrunken! — rief der Major; 
— fahren mir meiter, Käpor. 

Kolbay konnte ſich's durchaus nicht er⸗ 
klääͤren, was dieſen Menſchen an dieſen Ort ge— 
bracht haben konnte. 

Als er zum Gemeindehaus gelangte, ſah er 
zu ſeiner Verwunderung, daß die grüne Kaleſche 
bereits umgekehrt ſtand; ein Zeichen, daß man 
nicht weiter flüchten wolle. 

Kolbay ſtieg mit einer Eile vom Wagen, 
daß er ſelbſt ſeine Gicht vergaß. Beim Ge— 
meindehauſe hatten einige Faullenzer Maulaffen 
feil. Einen derſelben forderte er auf, er möge ihn 
dahin führen, wohin die Leute die aus der Ka— 
leſche ſtiegen, gegangen ſind. 

Nachdem fie durch einige Gräben und Rohr: 
hecken gedrungen, gelangten fie in einen Zwetſchlen— 
garten, welder das Eigenthum Kolbay'3 war, wo 
er aber nie in feinem Leben gewejen. Aus der 
Döorrkammer wurden verſchiedene Stimmen ber: 
nehmbar, darunter die Bärfing’s, mwelder mit 
Semandem eifrig ſprach. 

Kolbay ſchlich mit großer Behutſamleit 
hinter den Dörrofen, um bon dem Menſchen nicht 


—ı; BU: u 


bemerft zn werden; es gelang ihm dann wirllich, 
die Xhüre zu. verftellen.. Da jah er Bärzfing in 
feiner leibhaften Größe vor der Dörrbank ftehend, 
“wie er mit einem Rothftift auf ein langes Pa- 
pier Notizen ſchrieb. 

Kolbay trat mit dem flammenden Gefichte 
eines rächenden Cherubs in die Kammer. 

— Sind fie alfo hier, mein Herr Barfing ! 
— Bärling war durch das Eintreten Kolbay's 
wirflih überrajcht, diefe Ueberraihung war aber 
eine freudige. 

— Ah, das ift herrlich; Sie kommen wie 
anf Wunſch. Wie gut, daß Sie bier find. 

Kolbay trat betroffen zurüd, 

— MWephalb mag fi diefer Menſch freuen, 
daß ich hier bin? 

— Belieben ganz a propos zu kommen. Wir 
find eben mit Ihrer Angelegenheit beihäftigt. 
Wie konnten Sie aud) bei der Faſſion ihre Fel- 
der in die dritte Klaſſe einschreiben laſſen, da fie 
doch offenbar in die erfte gehören ? 

Den alten Herrn hatte dieſes unerwartete 

Impromptu derart aus der Faſſung gebracht, daß er 
feiner Antwort fähig war. 
0 Ja, ja; — betheuerte der andere en 
— Sie beliebten falſch zu fatiren, indem Sie Ihre 
Felder als zur dritten Klaffe gehörig angaben, und 
die übrigen Beſitzer machten's Ihnen nad). 

Dann ergriff wieder Bärfing das Wort: 


— Während doch die Tabakfelder als Garten: 
grund betrachtet werden. 

Hierauf ſetzte der andere Herr fort: 

— Denn obwohl der Grund nur Sand ift, 
fo ift er doch unihägbar, wirklicher Humus, 

— Defien Ertragsdurdihnitt auf jährlich 
120 Gulden berechnet werden fan. 

— Sodann ift es natürlih, dag man dieſe 
Felder nad) jenem Schlüfjel bemefjen muß. 

Kolbay dachte aber, daß er doch eigentlich 
nicht deshalb hieher gekommen, um die Qualität 
und Klaffifizirung feiner Felder zu erfahren, fon= 
dern um Bärfing beim Kragen zu faflen, und 
ihn zur Verantwortung zu ziehen, darüber, was 
er vor einem Jahre gethan und was er geweſen! 
Schließlich brach feine Leidenihaft 108, 

— Wer find denn der Herr?! — herrſchte 
er Bärfing an, mit der Spige feines Zeigefingers 
die Schulter des edlen Jungen berührend, jo daß 
diefer beinahe in den Dörrofen gejtürzt wäre, 

— Bitte, bitte, — beeilte fi) der andere 
Herr zu erwiedern, — Herr Bärfing ift in amtlicher 
Eigenihaft hier als Kataſtral-Kommiſſions-Rekla— 
mations-Hilfsgerihtsadjunft. 

Kolbay jah verwundert drein. 

Braucht doch ſelbſt der Maikäfer zwei 
Jahre bis er aus einem Engerling zum fliegen- 
den Käfer wird. 

— Verzeihen Sie, Herr, — fagte dann 


Barfing ih in eine amtlihe Stellung werfend 
indem er die Hände in die Taſchen feiner Pan— 
talong ſteckte und fich zeitweile auf den Ferien er: 
bob. — Ih weiß es recht gut, was id Ihren 
früheren Verdienſten chuldig bin, und werde es 
nie bergefien; wo es aber die Intereſſen des 
Staates erheiſchen, bin ich bemüßigt, jede per— 
ſönliche Rüdfiht bei Seite zu jeßen. Dies muß 
ih Ihnen im Voraus erklären. 

Jetzt begann wieder der andere Herr zu 
ſprechen, welcher feine Kenntniß von den früheren 
Berdienften des Veteranen hatte, "und fid) daher 
in jarkaftiihen Ausfällen gegen den Alten erging. 

— Das fommt daher, weil es die „Herren“ 
nit einſehen wollen, da die Millionen aus 
Pfennigen entftehen. Wenn Jeder fein Beſitzthum 
um eine Klafje niedriger angibt, jo entfteht dar: 
aus ein Verluſt von vielen Millionen für den 
Staat. 

Bärfing knüpfte an: 

— Was zu fontroliren, unjere, wenn 
auh nicht jehr angenehme Pflicht ift, die mir 
unter Eid und Ehrenwort übernommen. 

Der Andere fügte hinzu: 

— Uebrigens bin id) jo frei, zu bemerfen, 
daß es auf dem Faflionsbogen Kar gedrudt fteht, 
daß die Angaben der Betreffenden als eidlidhe 
Ausſage gelten. 

Bärfing ſprach: 


yindere Zeiten andere Menſchen. Il. Band. 5 


— — 


— Ich bin zwar zur Entſchuldigung des 
Herrn Majors geneigt, anzunehmen, daß Sie 
vielleicht über die Qualität Ihrer Felder ſelbſt 
nicht im Klaren geweſen, und die bon der Wahr: 
heit abweichenden Angaben blos aus Irrthum 
eintrugen. 

Worauf abermals der Andere das Wort 
ergriff. 

Dann, ſprach Bärfing in falbungsvollem 
Zone: 

— Denn, belieben mir zu glauben, Herr 
Major, dag mir auf diejem Gebiete To vieler 
Bosheit und Heimtüde begegnen, daß es gar 
niht Wunder nehmen kann, wenn man ſchließlich 
gegen die ganze Nation erbittert wird. — Nie 
hätte ih an fo viel heimtüdiiche Geheimnißthuerei, 
binterliftiges Handipiel, Verftellung, an fo viel 
zur Verkürzung des Staates inizenirte Falſchheit, 
und an ein jo hartnädiges Beitreben zur Hin- 
tertreibung der heilfamjten Inftitutionen geglaubt, 
wie fie bei dem ungariſchen Volke, insbejondere 
bei deſſen „bevorzugt“ genannten Klaſſen vor- 
fonmen. 

— Gelbft bei Denen, — beeilte ſich der 
andere Herr hinzuzufügen, — die vermüge ihrer 
Stellung berufen wären, den heilſamen Inſtitu— 
tionen des Staates Hilfreih unter die Arme zu 
greifen. — Dabei ſchoß der Redner einen be- 
zeichnenden Blid auf den Major. 


— Nein, nein! — fiel Bärfing, feinen Kol: 
legen beihwichtigend, ein. — Ich will den Herrn 
Major durdaus nicht der Abfichtlidhkeit beichul- 
digen, kenne ic ihn doch jeit Langem Thon als 
einen braven, loyalen Mann. 

— Altkonſervatib-loyal, — ſcherzte der an— 
Herr. 

— Der gewiß ſeinen Irrthum einſehen, 
und vermöge ſeiner ſteten Treue bemüht ſein 
wird, den begangenen Fehler gut zu machen. 

— Zu welcher Freundlichkeit, unter uns ge— 
ſagt — er auch gezwungen ſein wird. 

Kolbay ließ ſich, ſo zu ſagen, von einer 
Hand in die andere werfen. Er hörte — ohne 
ein Wort zu ſagen — zu, wie ihm Menſchen, 
wie Baͤrſing, über Treue, Loyalität, über hin— 
terliftigen Betrug zur Verkürzung des Staates 
Lektionen gaben ; wie Menichen, wie Bärfing, 
ihn, den Major Kolbay, und die ganze Nation 
des Betruges anihuldigen; wie man ihn anklagt 
und entihuldigt, wie man ihn in's Verhör nimmt, 
veripottet, dann wieder lobt ; wie Leute, wie 
Bärfing und Kompagnie, ihn für Nichts achten, 

Er hörte zu, ohne ein Wort hervorzubrin- 
gen ; da fielen ihm aber die Worte der alten 
Frau Lavay ein. „Hat es mir doch dieſe Erimi- 
nelle Frau gejagt, daß mid Gott auf diefem 
meinem Wege ftrafen wird; nun hab’ ich's auch 
erfahren.‘ 

3* 


zeug — 


Stumm jah er den Xeuten zu, wie fie die 
Rubriten ihrer Hefte mit verfhiedenen Kleckſen 
ausfüllten, wie fie dann diefe Hefte zufammen- 
handen und fortgingen, ohne ihn zu grüßen, fort 
auf feine Felder hinaus, wo fie die Erde be- 
ſchnefelten und beledten, die Ausjagen der Bauern 
zu Protokoll nahmen ; wie fie es beftimmten, wie— 
viel Humus jene Erde enthalte, welche fiebenund: 
fiebzig feiner Ahnen mit ihrem Blute getränft ; 
und ihm geihieht das, dem Letzten dieſes Stam— 
mes, der aus dem Sriege niemals ohne Wunde 
heimgefehrt ift. 

Da fühlte er es nod mehr, welch' trauri- 
gen Stand jo ein „alter Knochen“ habe, der 
Ihon längft geftorben, ſchon längft dem Jahrhun— 
derte entrücdt ift; nur daß er es vergaß, fich be- 
graben zu laſſen und nun als Gefpenft aus 
Fleiih und Blut herumwandelt. 

Bon dieſem Tage an ging er nicht mehr 
in die Keftung. 


Ein Menſch, der nidt das if, was 
er iſt. 


Die Baronin von Dolnay war eine der ges 
feiertften Patriotinnen. 

Das legte Wort ift auch neuen Urſprungs; 
einjt hatten Söhne des Vaterlandes deſſen Ange- 
legenbeiten geſchlichtet; jetzt müflen ſich entweder 
dieje Angelegenheiten jehr vermehrt haben, oder 
find die Männer im Kampfe derart ermüdet, daß 
auch die Töhter an den Kämpfen theilnehmen 
müfjen, was diefe auch mit nahahmungswürdigem 
Eifer thun. 

Die Frau Baronin Dolnay war eine Der- 
jenigen, deren Namen noch lange in dankbarer 
Erinnerung leben wird. Ihr Kaſtell war ein fürn: 
lihes Spital für verwundete Srieger, jpäter ein 
Aſyl der Flüchtlinge; diefe hatten in ihren Ver— 
fteden, um fi) die lange, drückende Zeit zu ber: 
treiben, verihiedene Heine Handarbeiten angefer: 
tigt, mit welden dann die Baronin zu reichen 
Damen haufiren ging, auch die von berühmten 


ei I 


Männern angefertigten Kleinigkeiten für fabelhafte 
Preife verkaufte, um das Erträgnig dann den Flüdht- 
Iingen und Staatsgefangenen zu gute fommen zu 
laffen. Auch die Hälfte ihrer eigenen Einkünfte hatte 
fie zu ſolchen Zweden verwendet. 

Biele Hunderte damals Unglüdlicher ſegnen 
die Baronin heute noch; fie hat dieſe Segnungen 
auch verdient, denn fie war eine chte Patriotin. 

Und wenn eine Patriotin einen Fehler haben 
fann, fo ift e8 eben nurder, daß fie ein Weib ift. 

Eines Schönen Tages heiratete die Baronin 
den ruffiihen Fürſten Wolozoff. 

Gott ift mein Zeuge, dab ic) fie nicht des— 
halb tadle, meil fie einen Ruſſen geheiratet; 
der Fürft war ja ein ſehr liebensmwürdiger, gebil- 
deter Mann, und keineswegs das Prototyp jener 
fruppigen Kolalen-Hetmanns, die in allen Witz— 
blättern der Welt karrikirt, verewigt worden 
find ; er war ein Anhänger der neuen Ideen, ein 
Freund Herzens und Bakunin's, der zwar 
an der Campagne gegen Ungarn teilgenommen, 
doch ſeine Sympathien für die „noble Nation“ 
bewahrt Hat; — ih habe nur den Einwurf 
gegen diefe Heirat zu machen, daß die Baronin 
erft dreiundfünfzig, der Baron aber bereits 
dreiunddreißig Zahre zählte. 

Die Fürftin Wolozoff blieb auch nad) ihrer 
Heirat Patriotin, obwohl fie zu den früheren 
Zwecken nicht mehr io viel verwenden konnte: 


— — 
doch wurde ſie dafür durch die freiſinnigen Worte 
des Fürſten entſchädigt, mit deren Verbreitung 
ſie auch keineswegs karg umging. 

Ein halbes Jahr nach der Heirat ſtarb die 
Fürftin. 

Damals gab es ſchon Geſetze, melde das 
von den Ahnen erworbene Befigthum nicht mehr 
an den Namen der Familie banden; jeder Ein- 
zelne konnte frei über das ihm gehörige Gebiet 
verfügen. Die Fürftin hatte ihr ganzes Ber: 
mögen dem Fürften vermadt. 


Auch dies führe ih nit als Vorwurf an, 
der Fürſt war bemüßigt, — wie man all: 
gemein ſprach — um das ungariihe Indigenat 
erlangen zu künnen, feinen ungeheuren Befigungen 
in Rußland, welhe mehrere taujend Quadrat— 
meilen umfaßten, zu entjagen,; auf diejen Be— 
figungen hatte er über drei Millionen Unter: 
thanen, welche er für hundert Rubel per Stüd 
verkaufen durfte; die Befigungen trugen ihm ein 
Jahreseinkommen von 10 bi3 20 Millionen. — 
Ob dieſe Zahlen genau und pünftlih angegeben 
jind, kann id nit verantworten; dod hat man 
mir in gut unterrichteten Kreiſen jo berichtet ; 
und id war eben in der Laune, Alles zu glauben, 
mas man wollte. | 


Seitens des Fürften war es demnad ein 
wahres Opfer, den Beſitz eines elenden ungari— 


— 40 — 
ſchen Gütchens anzunehmen, welches kaum zwanzig- 
tauſend Joch betrug. 

Bei der Inſtallation fungirte Fertöy als voll⸗ 
ziehende Macht. 

Auch darüber habe ich nichts Beſonderes zu 
bemerken. 

Der Fürſt hatte noch bei Lebzeiten ſeiner 
Gattin zwei „Niecen*, ganz liebenswürdige und 
hochgebildete Fürftinnen, in feinem Kaſtell. 

In welcher Samilienverbindung dieje zum 
Fürſten ftanden, damit fann id in der Schnellig: 
feit nicht dienen, da man e3 bon mir nidt ver— 
langen kann, dag ih, durch alle Hinderniffe mid 
Ihlagend, nah Moskau reife, um dort im Kreml 
das goldene Bud) des rufliihen Adels aufzuihlagen 
und nachzublättern, in weldher Linie die Fürftin- 
nen Dlga und Feodora mit dem Fürftenjtamme 
Molozoff verwandt find; — wir thun demnach am 
beiten, wenn wir uns damit beruhigen, daß Dlga 
und Feodora wirklid) die Niecen Wolozoff's find. 

Beide find fürftlihe Schönheiten, die Eine 
blond, mit runden, vollen Formen, die Andere 
brünett, blaß und ſchlank. 

Die Fürftinnen Dlga und Feodora ftatteten 
nad der Suftallation der Frau von Fertöy einen 
Beſuch ab und Iuden fie zum Gegenbeſuche ein; 
die Schidlidfeit verlangte c3, daß Seraphine die 
Einladung annahın. Seraphine braudte demnach 
nicht einmal nad Warſchau zu reifen. 


a HE 


Doch verleumden wir Niemanden im Vor: 
hinein. Ferlöy ging ja ſtets mit feiner Gattin; 
und der Fürft war ein Mann von edlen Herzen, 
er trug noch ſechs Monate nah dem Tode feiner 
Gattin Kleider von graumelirtem Tuche und 
machte einen wahren Kultus aus dem Andenlen 
der BVerftorbenen. 

Troßdem mar es jeinen Gäjten gejtattet, 
ſich nach Herzensluft zu unterhalten. 

Fertöy machte ſehr häufige Beſuche im 
fürſtlichen Schloſſe, und vergaß nicht nur ſich 
ſelbſt, ſondern auch ſeine Gattin auf längere 
Zeit dort. 

Der Fürſt war ein ſehr ſchöner Mann, eine 
weibliche Schönheit in Mannesgeſtalt. 

Er hatte einen ritterlichen Wuchs, ein fei— 
nes, glattes Geſicht, blaue Augen, einen ſchönge— 
ſchnittenen Mund und volle blonde Haarlocken, 
wie man Adoniſe zu malen pflegt. 

Er hatte auch das vollſte Bewußtſein ſeiner 
Schönheit und hütete dieſe ſo ſorgfältig, wie der 
Mann der Bibel das ihm anvertraute Talent, 
über deſſen fruchtbare Verwendung er Rechnung 
ablegen muß, wenn das Ende der Zeiten heran— 
rüdt. 

Die ganze Welt jprad) bereits darüber, daß 
zwiihen dem Fürften und Seraphinen ein gewij- 
ſer Herzensbund bejtehe, und zwar mit Eimvilli- 
gung des Gatten. Vielleiht war es nod nicht 


_ 2 — 


10; aber die böjen Zungen eilen dem böjen Ge- 
danfen ftet3 voraus, | 

Die Fertöy's brachten ſehr viel Zeit im 
Schloſſe des Fürften zu. 

Manchesmal geihah es, daß fih der Fürſt 
und Fertöy auf die Jagd begaben und die drei 
Damen: Dlga, Beodora und Seraphine allein 
blieben. 

Sonderbar ſchien es, daß ſich Seraphine in 
der Geſellſchaft der beiden Niecen nicht wohl fühlte. 
Wenn fie mit ihnen allein blieb, überfam fie ftet3 
eine Antipathie, eine Aufregung, worüber fie ſich 
feine Rechenſchaft geben konnte. 

Sobald fie es demnach thun konnte, ent: 
wiihte fie in den Garten, nahm irgend einen 
Roman mit, und jekte fih in ein Bosquet, um 
zu lejen oder zu träumen, bis fie von den Für: 
fiinnen aufgefuht und unter Laden und Scher— 
zen. in's Schloß als Deferteurin zurüdgeführt 
wurde, | 

Oder fie jah ftundenlang zu, wie der Gärt- 
ner zwiſchen den Blumenbeeten arbeitete, wie er 
pflanzte und jätete mit Aufmerkſamkeit und Geſchick. 

Der Gärtner war Einer von den Bedien- 
fteten, bezüglich welcher die verftorbene Fürftin 
legtwillig wünjdhte, daß fie niemals aus dem 
Dienfte entlaffen werden dürfen, und deren Be- 
zahlung fie in einem unantaftbaren Fideilommiß 
ſicherte. 


Er 

Er war nody ein junger Burſche, faum 25 
bi5 26 Jahre alt; er hatte ein glattrafirtes 
Geſicht, war vermuthlich deutihen Urſprungs und 
‘prad aud nur deutih. Er trug eine flahe Muͤtze 
mit langem Schirm und eine grüne Bloufe. 

Seraphine Ihaute dem Manne lange zu 
und fragte ihn nad) dem Namen der einen oder 
anderen Blume. Der Gärtner antwortete ihr auf 
Alles mit pflihtihuldiger Bereitwilligkeit. 

Einmal, als die arbeitenden Taglöhner 
ziemlich weit entfernt waren, ſprach Seraphine 
den Gärtner an: 

— Wie heigen Sie? 

— Friedrid. 

— Lieber Friedrih, haben Sie die Güte, 
mir jene blasgelbe Roje zu pflüden, ich fürchte, 
mir die Hand an den Dornen zu verlegen. 

— Die gelbe Roſe hat keine Dornen. 

— Dann pflüde ich fie felbft. 

Seraphine pflüdte die Role, der Gärtner 
jekte ſeine Arbeit fort. 

— Leber Friedrih, warum hat diefe Roſe 
feinen Duft? In Italien habe ich duftende Roſen 
diefer Gattung gejehen ? 

— Hier verlieren fie den Duft, den fie im 
eigenen Vaterlande haben. 

— Willen Sie, wie man die Roſen wie— 
der duftend mahen kann? Kommen Sie ber, ich 
werde es Ihnen zeigen. 


— Bi 


Der Gärtner trat näher. 

— Geben Sie At! 

Seraphine hatte bisher deutih geſprochen, 
jegt ſprach ſie ungarisch, aber fo feife, das man 
fie kaum verſtehen konnte. 

— Mein Freund, Sie ſind ſchlecht maskirt. 

Der Gärtner blickte ſie erſchrocken an. 

— Schon zwei Menſchen haben Sie erkannt; 
der Eine bin ih, der Andere Fertiy . . . Sie 
find Bela Lavay... 

Der Angeiprodene erjtarrte bei der Nen— 
nung dieſes Namens. 

Glaubte er dod, er ſei hinter dieſer Maske 
jo gut verborgen. Wer hätte ihn in dieſer Ge— 
jtalt erkennen ſollen, wenn niht das Auge deifen, 
der liebt, und das Auge deſſen, der haßt? 

— Kommen Sie mir nah in’3 Glashaus, 
— flüfterte Seraphine ihn zu. 

Der Züngling folgte ihr mechaniſch. 

Hier im Schatten der grünenden Pflanzen, 
von Niemandem bemerkt, legte Seraphine alle 
Zurüdhaltung ab und wurde ganz — Weib. 

Sie ergriff die Hand des jungen Mannes, 
welche gebräunt und ſchwielig war, und bevor er 
e3 verhindern konnte, bededte jie dieſe Hand mit 
Küſſen. Dann brad ſie in Thränen aus, 

— Die Hand joll jekt niedere Arbeit verridy- 
ten. Im Erdreich ſoll jie wühlen, dieje Hand, die 
berufen war, den Himntel herabzubolen. 


— — 


— D, Madame, — ſprach der Füngling, — 
die Erdarbeit ift die fühefte, und. das grüne Laub 
ift der befte Freund. 

— Aber Sie dürfen nicht lange bier blei— 
ben, — ſprach Seraphine heftig und trodnete mit 
ihrem Spigentudhe Augen und Wangen. — Ich jah 
das Geſicht Fertöy's, als er Sie lange betrad: 
tete — damals Ihöpfte er blos Verdacht; ein: 
mal aber blidte er Ihnen plöglih in's Geſicht, 
da erkannte er Sie. Ich beobachtete ihn und 
weiß, daß er fie fennt. Nur daß der Fürft ihn 
auf die Jagd mitgenommen, bat es verhindert, 
daß er Ihnen bis jet nicht geihadet; wenn Sie 
ihn bier erwarten, jo find ‚Sie verloren. 

— Ich danke, Madame, aber ih bin auf 
Alles gefaßt. 

— Auf Alles ? 

— a! — und bei diefen Worten zog er ein 
Iharfgeihliffenes Meſſer aus der Taſche und 
zeigte es Seraphinen. 

Bevor man mich gefangen nimmt, habe ich 
einen freien Mann aus mir gemacht. 

— Aber mein Gott, mit was für Gedan— 
fen tragen Sie ſich? Sie gehen mit einem ſchar— 
ten Meffer zu Bette,Zund tragen den Tod über dem 
Herzen. Darüber fann man wahnfinnig werden! 

— Nicht DoH,F Madame; diefer Gedante 
maht den Menſchen zum Gott. Der ift ein gar 


großer Herr, der da weiß, daß er fterben kann 
wann er will. 

— Nein, nein, nein; das ift nicht wahr, 
Das it die Sache feiger Menihen — der tapfer 
Mann kämpft. Mid kann dies Los nit treffen, 
dern ich bin ein Weib, ſchwach und feig; Sie 
aber find ein Mann. Geben Sie mir das Mefler. 

— Mas intereflirtt es Sie, Madame, ob 
ich früher oder jpäter fterbe ? 

— Sie behandeln mich verächtlich, und 
glauben, daß Sie im Rechte find. Sie haben 
unrecht. Alle Welt verwünſcht, verleumdet und 
verurtheilt mid, und alle Welt bat Red, 
nur Sie find im Unrecht. Nur Sie dürfen mid) 
nicht verurtheilen. Sie wiffen, warım. So oft 
man auf mic tritt, wie auf einen kothigen Stein, 
müſſen Sie daran denken, daß Sie aus dieſem 
Stein einen Diamant hätten ſchaffen können. Ich 
liebte Niemanden — Niemanden und niemals. 
Sie willen es gut, Sie kennen mid) jeit meiner 
Kindheit, was ich für meine Mutter fühlte, das 
war Furcht; was an meinen verftorbenen Robert 
mich knüpfte, das war grenzenloje Achtung; mas 
mich meinem jegigen Gemal in die Arme führte, 
das war falte, eitle, weibliche Intrigue. Mer 
weiß, was nod aus mir werden kann? Das 
Sündenregifter ift noch nicht vol. Aber Einen 
liebte ich, liebte ich wahr und innig, mit ganzem 
Herzen und ganzer Seele, wahr und inniglid. 


Daß ich ihn liebte, es ift wahr, denn keiner Seele 
Jagte id) davon. Aber — das ift nun vorüber. 

Auf Bela machte dieſe Szene einen ſchmerz⸗ 
lichen Eindruck; er hätte ſich ſo gerne davon 
befreit. 

Seraphine erfaßte ſeine Hand. 

— Wenden Sie ſich nicht ab von mir. 
Sie wollten mein Richter ſein: ſo hören Sie 
denn, was ich beichte, und urtheilen Sie dann. 
Ich habe nicht mehr das Recht, Jemandem zu 
ſagen, daß ich ihn liebe, denn ich ſagte dies ſo 
oft, wenn es nicht wahr geweſen; aber es gibt 
einen Gedanken, der mich mehr niederdrückt und 
zermalmt, das iſt der Gedanke, daß es noch ein 
Weib gibt, welches ihn mehr und wahrhaftiger 
liebt, als ich, das ſich ſeiner Liebe in dem Maße 
würdig machte, als id fie verſcherzte. Sehen 
Sie, diefer Gedanke tödtet mich und dieſen Ge— 
danken kann ich nicht verichweigen. Sie müffen 
bon bier weggehen. Sie müffen, nicht weil man 
Sie hier gefangen nehmen fünnte, denn ſchließ— 
lid) babe ich Verbindungen, um Ihrem Schidjale 
auch in dieſem Falle eine andere Wendung 
geben zu fünnen; aber Sie müfjen weg von 
bier, weil man in dieſem Kaftell in kurzer Zeit 
Ihre Gattin verleumden wird, weil fie von den 
Dienftboten begeifert werden wird und Sie es 
dann anhören müſſen. 

— Judith! — ſchrie Bela heftig auf, 


Zen AU: 


— Beruhigen Sie fih. Man verleumdet fie 
unberdienter Weile. Ih Tage es Ihnen. Ach 
reiße ein Stüd aus meinem Herzen, . indem ich 
Ihnen fage, daß man Judith unſchuldiger Weile 
verleumdet. | 

D! mir thäte es ſehr wohl, wenn 
fie wirklich ſchuldig wäre; -wenn ich jagen könnte: 
jest fannft Du wieder wählen; doch es ift nicht 
wahr, Judith ift jo rein und treu wie ein Engel. 
D ! fühlen Ste meine fürdterlihe Bein, Ihnen das 
jagen zu müffen ? 

— Ich danke, — jtammelte Bela, indem er 
feine Hand der zitternden Dame entgegenftredte. 

— Gehen Sie, wie glüdlih ih bin? An— 
ftatt die Faͤden, welche Sie an Judith fnüpfen, 
zu zerreißen, helfe ich noch fie fefter zu knüpfen. 

— Und wer verleumdet fie? — fragte Bela 
begierig. 

— Sprechen wir von Ihnen; Sie müflen ſich 
- darum befreien, um fie vertheidigen zu koͤnnen. 
Sie müfjen leben, weil eine Frau, welde Sie 
lieben, Ihres Schußes bedarf. Uebergeben Sie 
mir nun das Mefler ? 

Bela zog den in ſeinem Buſen verbor- 
genen Stahl hervor und übergab ihn lautlos 
Seraphine. 

— Gehen Sie, das ift doch irgend ein 
Seihent von Ihnen. Wohl heißt e8, e3 jei kein 


==, 0/2 

gutes, Zeihen, wenn Freunde einander Meffer 
ihenfen ; dod ih nehme aud) das an. Sehen Sie 
wie thöriht ih bin. Statt mid zu freuen, daß 
ein fteinhartes Herz, ein faltes, erbarmungsiojes 
Herz durch einen noch fälteren Stahl durchbohrt 
werden Soll, ftelle ih mid zwiſchen den Stahl 
und das Herz. Kann ich etwas dafür? Doch jetzt 
hören Sie an, welden Plan ich ausgedacht habe, . 
Ihnen zur Flucht zu verhelfen, damit Ste wieder 
mit Ihrer Frau zufaminentreffen fünnen. 

Jetzt wandte Seraphine ihren Blid von 
Béla's Antlitk ab; bis dahin waren ihre Augen 
auf fein Geſicht geheftet, als fie aber von Judith 
und feinem Zufammentreffen mit ihr zu ſprechen 
anfing, begann die ‚Freude den Blid des jungen 
Mannes zu erhellen, da lauſchte er jedes Wort 
begierig von Seraphinens Lippen ab, welche wäh- 
rend des Sprehens fo jhön waren, und Gera 
phinen that diefe Freude jo weh; fie hatte fie 
verurfacht, doch wollte fie es nicht fehen. 

— Hören Sie aljo meinen Plan, er ift 
einfach und leiht ausführbar. Unweit von bier, 
auf der Pußta Hammwas, wohnt eine gute Freun— 
din von mir; es ift die Gräfin Szeplali. Die 
Gräfin ift Witwe und bat einen einzigen Sohn 
Sie bat mid, ihr Jemanden von meiner Bekannt. 
(haft zum Erzieher für ihren Sohn zu empfeh— 
len. Derjelbe muß ein geborner Ungar ein, 
jedoch engliih und franzöfiih ſprechen. Als ic 

4 


Audere Zeiten, andere Menfhen. III. Band. 


a >50 


Sie heute Morgens troß Ihrer Verkleidung er— 
fannte, war es mein Erftes, der Gräfin zu ſchrei— 
ben, daß ich einen entiprehenden jungen Mann 
gefunden habe. Ihr Name ift bon nun an: 
Albert Komaromi. Sie werden noch diefe Nacht 
abreijen, der Wagen wartet im Wirthshauje am 
Ende des Dorfes. Den Empfehlungsbrief habe ich 
bei mir. In zwei Tagen reift die Gräfin nad 
der Schweiz, und Sie entfliehen mit ihr aus die— 
jem unglüdlihen Lande. Nad zwei Monaten wird 
die Gräfin einer Geſellſchafterin benöthigen, die 
fie auf ihren Reifen begleitet, und eines ſchönen 
Tages wird dann Judith an Ihrer Seite jein. 

Seraphine fühlte einen warmen Händedrud. 
Sie erwiederte ihn jedody nicht, fie empfand feine 
Freude darüber wußte, fie es doch gut, daß er 
nit ihr gegolten. 

— Wer wird dann Anftoß daran nehmen, 
wenn ſich der Erzieher und die Gejellichafterin 
in einander verlieben ? — fuhr Seraphine krampf— 
haft lahend fort; — die Gräfin wird ihr 
Glück gewiß nit zuzhemmen ſuchen. 

Seraphine fiel in ihren gewohnten ſarka— 
ſtiſchen Ton zurück. 

— Gefaͤllt Ihnen mein Plan? 

Béla nickte ſtumm, daß er ihn annehme. 

— Und jetzt „lieber Fritz.“ — weg mit 
allen ſentimentalen Ideen: wir kennen uns aber— 
mals nicht mehr; gehen Sie zu Ihren Azaleen, 


u a 


warten Sie Ihren Herrihaften mit Bouquets 
auf, Abends jehen Sie dann zu, daß Sie fi) 
aus dem Staube maden. 

In dieſem Augenblide nallten zwei Schüffe 
in der Nähe des Glashaujes. 

— Mein Jeſus! rief — Seraphine aus, im 
unbedadhten Momente des Schreckens ſich auf die 
Bruft Bela’s mwerfend, mit beiden Händen deffen 
Geſicht verdedend, als wollte fie ihr mit ihrem 
eigenen Körper Ihüßen. 

Das zweifache Gelächter, welches draußen 
eriholl, Tollte al8 Beweis dienen, daß man den 
Auffchrei gehört und daß der Spaß volllommen 
gelungen jei. 
| Der Fürft und Fertöy fehrten von der 
Jagd heim, und als fie, durd den Park kom— 
mend, fihb dem Glashauſe näherten, war der 
Fürft e8, welder die Stimme Seraphinens er— 
fannte. Man glaubte, das jie in Gejellichait 
der Fürftinnen Olga und Feodora jei und mit 
diefen ein Geipräh führe, worauf Fertöy ein 
Jägerſtückchen ausführte und feine Doppelflinte 
Iosfeuerte, um den Damen eine angenehme Emo: 
tion zu verſchaffen. 

Durch die dichten Blumengruppen und ge— 
blendet von der Sonne, welde auf die Glas— 
ſcheiben ſchien, konnten fie nicht bemerlen, wer 
drinnen ſei. | 

AS die Herren zur Thüre gelangten, hatte 

4 * 


=. BB 

Seraphine bereit3 wieder ihre Rolle aufgenom= 
men; fie ſchritt mit Tiebenswürdigem Trotz den 
beiden Nimrods entgegen, und verlangte zu 
wiffen, wer der Unglüdlidhe geweſen, der den 
Schuß abgefeuert ? 

Der Fürſt verrieth es, daß Bertün es ges 
weien. 

— Ihr Glück; denn Ihnen, Fürft, hätte 
ih e3 nie verziehen. — 
| — Und Ihrem Gatten verzeihen Sie es? 
— fragte der. Fürft ſcherzend. 

— D, wenn ich weiß, daß er mich ſchrecken 
will, habe ich feine Furcht. 

— Und find Sie wirklih erihroden ? 

— Wie nit?! Wenn außer dem Gärtner 
Kemand. Anderer hier gewejen wäre, würde ih 
ihm unbedingt ohnmächtig in die Arme gelunfen 
fein. | 

— Iſt alfo wirklich Niemand font als der 
Gärtner hier? — frug Fertöy herumipähend. 

— Reine Seele, — erwiederte Seraphine. — 
Die Gärtner zählt man in Mostau nicht zu 
den Seelen, nit wahr, Fürſt? ... Ich Habe 
Bouquet3 für uns beftellt. | 

— O ſchoͤne Gnaͤdige ſprechen Sie nicht, 
jo verähtlih von, meinem. Gärtner. Er ift mir, 
von der gottjeligen Fürftin als gut erzogener 
Junge beſonders anempfohlen worden. 


u BR 


Seraphine erihrat ſichtlich; — der Fürft 
hatte ein gefährtihes Thema berührt. 

Fertoy brach in Tpöttifches Gelächter aus. 

Der Fürft war der Meinung, dab Fertöy 
über ſeine Bemerkung lache. 

— Belieben mir zu glauben, dag ein 
Gärtner jehr viel „Latein“ verstehen muß. Ich 
verftehe niht um die Welt die Hälfte von dem, 
was diejer Junge weiß, trogdem, dag ich einen 
‚Hormeifter“ gehabt, der mich feiner Zeit jehr 
ftart mit den Wiſſenſchaften marterte. Ih muß 
mich oft über das riefenhafte Gedächtniß meines 
Gaͤrtners wundern, welcher all’ die tanfend Pflan- 
zen und Blumen beim Namen zu nennen weiß. 

— Ah, das ift unmöglid ; fiel Zertöy ein, 
pilleicht jagt er nur das, was ihm eben einfällt. 

— Au eontraire! er nennt jede Blume 
beim rechten Namen. 

— Na, da könnte ih ihn in's Eramen 
nehmen, denn aud ich bin ein großer Botaniker. 

Seraphine begann Bojes zu ahnen. Sie 
wußte es, daß Fertoy nichtsweniger als Bota- 
niler fei. Er wollte offenbar mit dem Jungen an= 
binden. | 

— Belieben zu vertuhen! — empfahl ber 
Fürſt. — Lieber Friedrih! Zeige diefem gnädigen 
Herrn, daß Du Dein Metier verſtehſt. 

Auf dieſe Art produziren große Derren ihre 
dreflirten Hunde. 


> ur 


Die Herrihaiten traten in's Glashaus. 

Boran Schritt Fertöy, Hinter ihm Bela als 
Särtner, dann kamen der Fürft und Seraphine 
neben einander. 

Seraphine betrachtete Bela mit bejorgtem 
Blick, doch beruhigte fie fi bei feiner erften Be: 
wegung; Bela jpielte feine Role meifterhaft und 
hätte auf dem Xheater fiherlid Triumphe 
geerntet. 

Bor Allem nahm er als gut erzogener 
Diener die Mütze vom Sopfe, während die Herr: 
Ihaften bededt blieben; da bemerkte Seraphine 
erit, da Bela auf dem Scheitel derart fi die 
Haare abrafirt Hatte, daß fein Geſichtsaus— 
drud einen entihieden fremden Typus annahm. 
Dabei z0g er den Hals gerade jo in den Rock— 
fragen hinein, wie es gelernte Gärtner zu thun 
pflegen, wahrſcheinlich deshalb, damit ihnen die 
Raupen nicht in den Hals fallen. Was er 
deutih ſprach, war in einem Lerchenfelder Dialekt 
gehalten, jo daß ihm Niemand anmuthen konnte, 
er hätte dieſe Sprade in irgend einer Schule ges 
lernt. Was ihn am unlenntlihften machte, war 
feine $reundlidfeit und Demuth, denn nie hatte 
man ihn in anderen Zeiten al3 demüthigen Men- 
Ihen gekannt. 

Mit größter Bereitwilligleit und fließend 
zitirte er die Namen der verſchiedenſten Pflan- 
zen, wie es eben Fertöy von ihm verlangt hatte, 


eu Be 

welcher fih im Anfang damit begnügte, die Bei- 
wörter der in „us” endenden Dauptwörter auf 
diefelbe Endung zu forrigiren, und Bela bejak 
biebei jo viel Selbftbeherrihung, daß er ihn 
darüber nicht aufzuklären ſuchte, daß in der la= 
teiniihen Sprade die Namen der Bäume 
und Gefträuhe dem mweiblihen Geſchlechte ange: 
hören. 

— Nun, — ſagte der Fürft triumphirend 
— ift das nicht Wiſſenſchaft! . . Dem Fürften 
verurſachte dieſe Art des „Sports” eine eben 
To große Freude, al3 hätte fein Dachshund einen 
Fuchs aus feinem Loche gejagt. 

— Wahrlich! — ſprach Fertöy, — es ift 
ſchade für Did, Freund Frik, daß Du nit 
Profefſor geworden, da e3 doch jo viele Ejel in 
der Schule gibt. 

— MWie viele mag e3 erjt damals gegeben 
haben, als Sie noch in die Schule gingen, — 
bemerkte Seraphine anfpielend. 

Der Fürft late, Fertöy Hatte dagegen 
die gute Gewohnheit, den Nippenftoß, den er 
von jeiner liebenden Gemalin erhalten, ſtets einem 
Anderen weiter zu geben. 

— Wie heißt dieſes Gewaͤchs da? — frug 
er Bela Haftig, auf einen blühenden Stod bins 
deutend. 

— Dasift, bitte gehoriamft, eine Gloxinia. 

— Und dies da? 


u BE 

— Eine Zinnia. 

— Das ift eine Lüge. Dieſe ift sein 
Zinnia, und jene die Glorinia. 

Der Gärtner verbeugte fih tief, und 
erwiederte mit ftoiiher Gelbjtbeherrihung : 

— Wenn es Euer Gnaden To finden, 
fann ich Nichts dagegen einmenden. 

— Und was ijt das bier ? 

— Mit Berlaub, eine Zebrablume. 

— Woher ftammt fie? 

— Aus Madagaskar, mit Verlaub! 

— Aud das ift eine Lüge; ih weiß es 
recht gut, daß diefe Blume nur auf den Antillen 
heimisch ift, und ſonſt nirgends. 

Der Gärtner ergab ſich demuthsvoll und 
ſprach: „Es ift wohl möglich !” 

— Was ift Dies ? 

— Eine Sieus elastica. 

— Hat fie ſchon Früchte getragen ? 

— Bitte, dieſer Straub pflegt feine zu 
tragen. | 
— Dumme Rede... Ich ſelbſt züchtete ihn, 
und er trug Früdte fo groß wie meine Fauft. 
Dumme Reden, fage id. | 

— Donner nod einmal! — fiel der Fürft 
ein, Sie verftehen es ja jo prädtig, wit Dem 
Geſinde grob zu fein, als hätten Sie von Kindes— 
beinen an ftet3 nur mit der Maßregelung ruſſi— 
her Muyils zu thun gehabt. 


u BI u 


Fertoy ftand in diefem Augenblide jo nahe 
bei Bela, daß ſich beinahe ihre Naſen berührten. 

— Nun, lieber Fritz, genug von Deiner 
Theorie, gehen wir nun zur Praris über: mie 
pelzt man eine Melone in eine Ananas ? 

Bela gab Hierauf keine Antwort, ſon— 
dern warf einen ſchiefen Blid auf den Fürften, 
preßte jeine Kappe unter den Arm, zog aus ſei— 
ner Weitentaihe eine Tabalsdoſe hervor, nahm 
eine tüchtige Priſe und ſah dabei abermals den 
Fürſten an, als wollte er fagen: ih bin nur ein 
Bauer, dieler Herr ift etwas Edleres, aber jeden- 
falls nur ein — „Rop.“ 

Seraphine war mit „Bela“ ſehr zufrieden. 
Er durfte zwar den allgemeinen menſchlichen 
Stolz nit verrathen, doch durfte er auch in fei- 
ner Unterthänigleit nicht jo weit ſinken, daß er 
nicht einmal. den ſpeziellen Gärtnerftols durch— 
Ihimmern ließ, denn da3 Hätte abermals Ver—⸗ 
dat erregt. 

Er hatte in Wahrheit jeine Rolle jo gut 
geipielt, dag es ſelbſt Fertöy in Verwirrung 
brachte, welcher bereit3 in jeinem Verdachte 
ihwanfend wurde. „Es ift doch nicht Bela La- 
vay"— dachte er. | 

In dem Momente gelangten fie zu einem 
prächtigen Aquarium. 

In dem aus farrariihem Marmor gemeißels 
ten Baflin ſchwammen auf der Aryftallhellen 


u Be 


Oberflähe des Waflers Pflanzen neuefter Gat— 
tung, darunter eine Lotos aus dem Nil, welde am 
heutigen Tage den Kelch ihrer erften Blume im 
Rojalarmin mit goldihimmerndem Blüthenftaub 
entfaltete, mährend die großen, dunfelgrünen 
Blätter mit den rothen und gelben Adern auf 
der Waflerfläche ſich ausbreiteten. 

Dieje jeltene Prachtblume lenkte die Auf- 
mertjamfeit der ganzen Geſellſchaft auf fich. 

Diefe Ihöne Blume war es, aus deren 
Kelch Fertoöy's Bosheit jenes Gift faugen wollte, 
welches feinem Gegner, wenn er’3 wirklich war, die 
wahre Geftalt wiedergeben jollte. 

— Sehen Sie, — fagte der Fürft, — dieſes 
Prachtexemplar Habe ih unter meiner eigenen 
Auffiht aus dem Pariſer „Jardin des plantes“ 
mitgebracht, und jehen Sie, heute blüht es ſchon. 

— Wie ift der Name diefer Blume? — 
beeilte ſich Fertöy zu fragen. 

— Lotos! Lotos! — antworteten der Fürft 
und der Gärtner zu gleicher Zeit, in einem Tone, 
al3 verwunderten fie fih darüber, dag es einen 
Menihen geben könne, welder eine „Lotos“ nicht 
auf den eriten Blick erkennt. 

— Das weiß ih, das weiß ih, — fiel 
Fertöy ein, — ih wolltenur erfahren, ob fie nicht 
den Namen irgend einer hohen Dame trägt? 

— D ja! — betheuerte der Fürft — 


— — 


und, ſich gegen Bela wendend: — Wie iſt nur der 
Name, mir entfaällt er jo leicht? 

— „Reine d'Egypte Semiramide.“ 

— Richtig, ſo iſt's, das iſt der Name! — 
ftätigte der Fürft. | 

— Ah bah! ... ſcherzen Sie nicht, Fürft, 
— bandelte Fertöy in naivem Tone. — Als hätte 
ich nicht bereit3 von dieſer berühmten Lotos ge= 
hört, weldhe in Ihrem Aquarium auf den Namen 
einer jhönen Frau getauft wurde. 

— Ich bin der Meinung, daß „Semira- 
mis“ einft eine genug Ihöne Frau geweſen. 

— a einft, zu den Zeiten des Trium- 
birat3 ; bier ift aber von einer lebenden Frau die 
Nede, der Euer fürftlihen Gnaden den Hof zu 
machen belichen; ... o, wir kennen das ſehr gut. 

— Bei Gott, ih weiß nicht3 davon. Das 
ift eine egyptiſche Königin. 

— Eine Rönigin?... Da muß ih auf: 
rihtig geftehen, daß ih meine Aufnerkjamleit 
dieſem jet lebenden Genre nicht zumandte, wenn 
nicht von Balllüniginnen die Rede tft, oder bon 
Xheaterlüniginnen!... 

— Na, damit laffen Sie mid in Ruhe, 
daran ift nichts. Sie bringen dies nur deshalb 
bor, um mich vor gewillen Ohren in Mißkredit zu 
bringen. 

— Ich weiß, was ich weiß, Fürft. Sage 
mir einmal, Meifter Brig, den wahren Namen 


3. WO ie 


diefer Blume; zu welcher Zeit Hat fie der Fürft 
auf den Namen einer jehr, jehr jchönen Frau ge= 
tauft? Nun befenne! ... Dder ſoll ih Deinem 
Gedaͤchtniſſe zu Hilfe fommen ? 

Seraphine bemerkte mit zitternder Angſt, 
wie ſich Bela aus feiner demüthigen Stellung 
emporrichtete, wie jeine Gefihtszüge den urfprüng- 
tihen ftolzen Ausdrud annahmen, und wie er 
feine Mütze trogig auf den Kopf jekte. 

Fertoöy neigte fi) mit einem daͤmoniſchen 
Hohnläheln gegen ihn. 

— Nun, Meifter Frik, heißt dieſe moderne 
Schönheit niht etwa: „Reine du theatre Ma- 
dame Lävay..... * 

In dieſem Momente verſetzte der Gaͤrtner 
dem Fragenden einen ſo derben Fauſtſchlag in's 
Geſicht, daß derſelbe rücklings in das Aquarium 
ſtürzte, mit ſeinem unverhofften Beſuche alle egyp⸗ 
tiſchen Königinnen des naſſen Königreichs zu Tode 
drückend, während fi der Gärtner mit Blitzes 
Ichnelligkeit dur das offene Fenſter des Glas: 
hauſes ſchwang. | 

Der Fürft, über die Szene empört, griff 
nad jeiner Büchſe und zielte nad dem Flüchtling. 

Bevor er loshrennen konnte, faßte Sera: 
phine jeine Hand und rig den Lauf des Geweh— 
tes bei Seite. 

Der Fürft fam aus feiner VBerwunderung 
nicht ‚heraus, Ein Bauer verjegte einem Herrn 


el 


ohne jeglide Urſache einen Fauftihlag, er will 
ihn deshalb züchtigen, und die eigene Gattin des 
Mißhandelten hält die ftrafende Hand zurüd,... 
Wie fol man das verftehen... Im nädften 
Augenblide war der Frebler im Gebüſche ber: 
ſchwunden. 

Zum Gluück konnte Fertöy, welcher ſich mitt— 
lerweile auf dem Grunde des Miniaturmeeres be- 
fand, nichts von der Szene bemerken, und als 
derſelbe nad einigen Minuten gleich einem Waſ⸗ 
fergott. mit. von Moos und Schilf bededtem 
Haupte aus den. Fluthen taudte und zu. huften 
und ſchnauben begann, fand der Fürft die Szene 
fo ergöglih, daß, er darüber. den Tod jeiner „Se: 
miramide“ und den Flüchtling. vergaß. 


Was Zpiel, und was kein Spiel if. 


Erinnert ihr Euch noch jener traurigen 
Zeiten, wo man ſich in grobe Bauerntracht 
Eleidete, in wirklide Bauerntracht, welche nad) Fett 
roh, wo mangroße plumpe Stiefel trug, und zum 
Kutiher oder zum Aderfneht wurde; mo der 
Gelehrte, der Dandy Bferde ftriegelte, oder 
Ochſen trieb. 

Und wenn man fie troß ihrer Verkleidung 
erfannte, gingen fie weiter, gaben fi für einen 
andern Bauer aus, und nahmen in andern 
Häufern Dienft. 

Menn man von Einem in der Gegend zu 
viel ſprach, da nahm er den MWanderftab und 
ging, um der Welt auszumweihen, in die Wälder, 
in die Gebirge, auf Stegen, welde das Hochwild 
duch das Didiht gebroden. 

Borfihtig wurde jedem Dorfe ansgemwichen, 
bis man erfuhr, was für Volt es bewohne, ob 
man feine Sprade verftehe, ob es dem Ungar 
nit feindlih gejinnt, ob feine Gensd’armen 


— OB 


im Orte feien. Man kehrte nur in den Äußer- 
ften Häufern ein, und vermied jorgfältig jedes 
Shindeldad). 

Die armen Flüchtlinge verkrochen ſich in 
der Tiefe des Waldes in Baumhöhlen, um dort 
dem Braufen des Sturmes und dem ängftlidhen 
Pochen des eigenen Herzens zu laufen... Sie 
irrten in finfteren ſtürmiſchen Nächten, wo jelbft 
die Raubthiere in ihre Höhlen fi) verkriechen, 
und jegneten das Unwetter, welches fie mit 
feinen unheilvollen Schwingen vor ihren Verfol— 
gern ſchützte. 

Dod was war das Wetter, was die grim— 
migen DBerfolger, was die Ohnmacht des Körpers 
gegen das, was in der Seele der Flüchtlinge 
vorging. . . Der Gedanke an eine verlorene Ver— 
gangenheit und das Geſpenſt einer marterbollen 
Zukunft. Das waren die Schatten, welche ſich 
an ihre Ferſen befteten. Die Hekhunde der 
Seele, die fie von allen Seiten anbellten, fie 
würgten und zerfleiihten, und feine Raft und 
Ruhe gönnten. 

Wenn erit der Flüchtling eine junge Gat— 
tin zu Haufe hatte! Eine junge Gattin, der fich 
der Gatte niht nähern „darf.“ Wie lange 
währt die Treue des Weibes? Iſt überhaupt 
etwas Wahres an diefer Treue? ... 

Diejenigen, die ſich dieſer Zeiten erinnern 
können, an jene Gefühle zurücddenten, unter deren 


64 i 


Eindruck die Geſchichten, die ih Hier erzähle, 
entftanden, werden e3 begreifen, daß mit einem 
ſolchen Stachel im Herzen, wie Fertöy einen in 
das Herz Bela’3 flieg, man nicht hingeht, um 
eine ruhige Erzieherftelle anzunehmen, und abzu= 
warten bis die Gattin nahlommt, Tondern man 
befragt die Sterne des mädhtigen Himmels, wo 
der Süden ift, und tritt die ſchleunigſte Heim— 
fehr an. 

Zwei Wochen vergingen, bi3 Bela von jo 
großer Entfernung auf Ummegen, wand;mal 
tagelang verborgen, oft auf Irrwege gerathen, 
die Hauptſtadt erreihen konnte. Die lekte Nacht 
brachte Bela in den Lehmgruben der Kerepeicher 
Ziegeleien zu. 

Zu feinem Glüde trat Regenwetter ein, 
und Bela konnte bi3 auf die Haut durdnäßt, in 
feinen kothigen Kleidern fi) zwilhen eine Truppe 
von Taglühnern mengen, die man ungehindert 
die Mauth pafliren ließ. 

Er eilte ftral3 zum Nationaltheater, ob: 
glei er fi) gerade vor diefem Drte hüten follte, 
da er dort die meilten Belannten hatte... Wer 
würde ihn aber in feinen fothigen Lumpen er- 
fennen ? 

Am Thore war ein großer Zettel ange- 
Elebt, und er konnte beim Scheine der Lampe 
deutlich leſen: „Benefiz-Vorftellung der Frau 
Zävay“. 


— 65 — 


Er fühlte nicht mehr das kalte Peitſchen des 
Regens; Körper und Seele wurden von hölliſchem 
Feuer erfaßt. 

Heute iſt alſo Judith's Benefiz! deßhalben 
eilen ſo viele Leute, trotz des böſen Wetters ins 
Theater, deßhalb rollen ſo viele glänzende Equipa— 
gen vor das Thor... Und gegen einen Jeden em— 
pfand Bela die glühenfte Eiferfucht, überhaupt wenn 
jie in Equipagen kamen. 


Er wartete an die Mauer des nachbarlichen 
Haufes gelehnt, auf den Beginn der Vorjtellung, 
und betrachtete die Gefihter der Kommenden, wie 
fie durch den Lampenſchein auf einen Augenblic be- 
leuchtet wurden. Viele jeiner Bekannten gingen vor- 
über, doch Seiner ſah ihn an. 

Judith mußte fchon längjt drin fein, um ſich 
anzufleiven. 

Ein Gärtnerburſche geht mit einen großen 
Bouquet vorüber, welches er mit feiner Schürze 
verdeckt. Diejed Bouquet ſchickt gewiß „Demand“ 
an Judith. 


Wie wandelte e8 ihn an, ven Mann am Kra— 
gen zu fallen, ihm den Blumenjtrauß zu entreißen 
und denjelben im Koth zu zertreten. Da hätte er 
aber erſt erfahren, daß es fein Gärtnerburſche, jon- 
dern ein Theater-Diener ſei, welcher feinen Blumen— 
jtrauß, jondern ein Glas Bier für irgend einen Cho— 

Andere Zeiten, andere Menfchen. II. Banb. 5 


riften, welchen die Hite im Theater burftig gemacht, 
unter feiner Schürze trägt. 

Bald begann die Mufif. Der Schall ver gro- 
fen Trommel drang auf die Straße hinaus. Es 
wird ſomit die Vorftellung bald beginnen. 

Bela war im Geifte jelbft anweſend in den 
bi8 zum Erbrüden gefüllten Haufe, und wartete, 
daß der Vorhang aufgehe. Der Beifallefturn, ver 
auf die Straße drang, zeigte an, baß Judith die 
Bühne betreten habe. Wie lange man ihr entgegen- 
klatſcht. Wer diefe Begeijterten wohl fein mögen ? 
Die fie heißen, warum fie klatſchen, was für Recht 
fie haben ? 

Dann trat Stille ein, das Publikum lauſchte 
dem Spiele und der Deflamation Judith's, das 
übrigens Niemand mit fol gefpannter Aufmerf- 
famfeit, als Bela draußen, ber weder fieht, noch hört, 
aufnimmt. Jede Kutſche, die die Straße hinunter— 
rolfte, erregte feinen Aerger: warum ftörd fie auch 
die Aufmerkſamkert der Zufchauer zu folder Zeit ? 

Und von Neuem erdonnert der Applaus. 
Bielleiht gilt er diesmal nicht Yubith, fondern 
ficherlid) einer Zweiten, Dritten, die vor die Lampen 
getreten. Bela ift aber trogdem auf jeden Applaus 
fo eiferfüchtig. — Darin brüdt ſich die Liebe aus, 
die durch die Wuth gefteigert wird, und der Stol;, 
der mit der Erniedrigung kämpft. Jeder Beifalls- 
fturm, den der Gatte vernimmt, verkündet ihm, daß 


nr a 


diejenige, die er liebt, in diefem Momente Königin 
und Dienerin ift, die Königin des unabhängigiten 
Bolfes, und die Dienerin des despotiſcheſten Herrn 
— des Publikums, 

Er bebt vor dem Gedanken, jet d’rin zur fein 
und fie zu jehen und dennoch drängte e8 ihn fo ehr, 
fie zu jehen, ohne felbjt bemerkt zu werben, und in 
ihren Zügen die Wahrheit zu prüfen, damals, wenn 
fie fich verſtellt. 

Wenn man nur ein Eintrittsbillet befommen 
fönnte, ohne daß er zur Kaffe gehen müßte, wo man 
ihn im Augenblide erfennen würde, Wie aber das 
anjtellen ? 

Bielleicht trifft fich gegen das Ende ber Vor- 
ftellung dennoch ein fo vortreffliher Menſch, der ein 
friſches Beefſteak Höher ſchätzt, als die Hinrichtung 
der Bühnenhelden und dieſelbe dennoch verläßt. 
Bon einem fo groben Jungen könnte man das Re— 
tourbillet verlangen. — So ift e8 im Thore bes 
Theaters üblich. 

Schon nach dem dritten Aufzuge kamen in ber 
That einige Marodeure unter großem Lärm heraus. 
Bela ballte die Fauft und wollte ihnen entgegeu= 
gehen, wahrfcheinlich,um mit ihnen anzubinden, iva= 
nm fie fo zeitlich das Theater verlafjen. 

— Die Hite drin ift unausftehlich ! Ich Tonnte 
mich nicht weiter vordrängen, als bis zum Thürvor⸗ 
bang, und von da aus fah ich nichts. Und doch bin 

5* 


— 68 — 


ich nur zu dem Zwede in Beit geblieben, um Madame 
Lävay zu jehen. 

Bela verzieh ihnen und lehnte ſich wieder an 
die Thürpfojten. 

Wieder fam Jemand aus dem Theater. Der 
fam wahrfcheinlich blos vom Hofe her, denn jeine 
Zigarre brannte. Bela bemerkte dieß nicht. Er zog 
jeine Mütze tief in die Augen und jprach den An- 
fümmling verfhämt an: „Sch bitte um das Re— 
tourbillet !" 

Der Angeſprochene mißverſtand die Bitte und 
gab ihm den Zigarrenjtumpf, den er wegzumerfen 
eben im Begriffe jtand, mit den Worten hin: Hier 
haft du Freund, und werde damit glücklich ! 

— Nas wird da d'rin für ein Stüd gegeben ? 

— Eine Königin, die ihren Liebhaber zum 
Tode verurtheilt, weil er ein Aufwiegler war. 

Dan jagte, dies joll Judith's Meifterrolle 
jein. Andere behaupteten, jie werde nicht genug 
treu die Verzweiflung der Frau wiedergeben, wenn 
die Königin und die Geliebte in ihrem Herzen mit- 
einander kämpfen; fie wird mehr Königin als Ge- 
liebte jein. Auch das mußte man berücjichtigen, daß 
fie erjt unlängjt aus einer jchweren Krankheit aufer- 
tanden war; fie muß daher ihre Nerven jchonen. 
Diele wollten ſogar bemerkt haben, daß Judith jeit 
längerer Zeit jehr zerjtreut fei und erflärten vice 
verſchieden. 


— 69 — 


So viel iſt gewiß, daR der Regiifeur fie auch 
bei viefer Gelegenheit auf alle Bühnenerforderniife 
aufmerffam machen mußte, damit fie nichts mit fich 
auf die Bühne zu nehmen vergejje. Hier ift das 
Gift — hier der Dolch, hier der wegzumwerfende 
King; hier find die verfiegelten Briefe. Das alles 
nennt man in dev Bühnenfprache Requifiten. 

Schon war Judith im erften Afte angefleidet, 
als der Regiffenr nochmals an ihre Thüre Elopfte: 

— Ein Brief. 

— Ich danke. Yegen Sie ihn gefälligft zu den 
übrigen auf die Taffe. 

— Das iſt aber fein Requiſitenbrief! er it 
an Sie jelbit gerichtet; kam foeben mit der Poft und 
trägt die Aufjchrift : „Dringend“. 

Judith nahm den Brief in Empfang, und 
erkannte im Momente die Handjchrift Seraphinene. 

Draußen gab man jchon dem Orchefter das 
Zeichen, aber ter Brief war dringend, fie fonnte 
ihn bis dahin noch durchleſen. 

Der Brief lautete : 

„Liebe Judith! Ich benachrichtige Dich von 
einem unglüdlichen Ereigniffe, das ich bisher vor 
Tir geheim halten mußte, da ich glaubte, e8 noch 
verhindern zu können. ALS ich jüngit mit Fertöh im 
Kaftell des Fürften Wolozoff war, erkannte ich in 
deſſen Hofgärtner Deinen Bela”. 


air: SU, Suse 


Judith ſchrak zufammen, als ob fie ein Blig- 
ſchlag getroffen hätte. „Aber nicht nur ich habe ihn 
erfannt, fondern auch Fertöy.“ 

Judith Tehnte fich zitternd an ihren Garde— 
robetiſch. | 
„Sch eilte Fertöy zuvorzufommen und fprach 
mit Bela; ich rieth ihm, von dort zur Gräfin Sze- 
laknay zu gehen, die ihn als Erzieher ihres Sohnes 
in's Ausland nehmen werde, wohin du ihm dann 
folgen könnteſt. Er ging auch darauf ein.“ 

Judith's Stirne zog fich in Falten zufammten. 
Was haben diefe hohen Damen nöthig, Bela zu 
ſchützen? Sie wußte, daß die Gräfin Szelafnay auch 
jung fei. 

Diejen Wolkenſchatten wijchte bald ver Sturm 
von ihrer Stirne, der aus den übrigen Zeilen des 
Briefes heraufbejchworen wurde. 

„Die Dazwilchenkunft Fertöy’8 verhinderte die 
Ausführung diefes Planes; dieſer wurde, als er 
mit deinem Bela in Wortwechel gerieth, von dem: 
jelben in einer Weiſe verlezt, die ein Mann niemals 
verzeihen kann.“ 

„Bela verſchwand nach diefem Auftritte plöß- 
lich aus dem Schlofje, — Niemand wußte wohin; 
ich allein ahnte, daß er nach meinem Rathe fich zur 
Gräfin Szelaknay geflüchtet. — Ih wollte ver 
Gräfin nicht fchreiben, damit meine Briefe nicht 
Jemanden auf feine Spur bringen. Zwei Wochen 


——— 


waren ſeit dieſem Ereigniſſe vergangen, als ich von 
der Gräfin einen Brief bekam, in welchem ſie mir 
mittheilte, daß der von mir anempfohlene Erzieher 
noch immer nicht bei ihr eingetroffen ſei. — Bela 
bat fich alfo nicht dorthin geflüchtet." 


Es that Judith wohl, dies zu erfahren! Aber 
weiter, was weiter ? 

„Daß Fertöy feinem Beleidiger nachipäht, 
weiß ich gewiß. 

Seine Ahnung ift mit der meinigen identiſch. 
Er erweckte in vem Gatten die Eiferfucht gegen feine 
Frau; Bela wird daher auf dem Lande nirgends 
bleiben, er wird nad) Belt eilen. Die Eiferfucht fieht 
nur einen Gegenſtand und ift gegen alles Andere 
blind, deßhalb bitte ih Dich, den Kath deiner alten 
Freundin nicht übel aufzunehmen, verlaſſe Peſt 
je eher, fomme in unfere Gegend auf aftrolfen. 
Im einer Provinzialftadt Tiefe Bela nicht jo Gefahr, 
wenn er Dir begegmete, als in Peſt. Du kannſt es 
am beten wiffen, warum? Dort Tennt ihn Jeder— 
mann; dabei verfolgen taufend mißtrauiſche Augen 
Deine Schritte und weiß e8 Jeder, daß die Spur 
ren feiner Fuptritte in Deinem Hausthore enden 
werben.” ... 


Judith konnte nicht weiterlefen ; die Welt ver- 
dunfelte fih vor ihr; fie ſank auf einen Seſſel 
nieder. 


Bela verfolgt und auf der Flucht zu ihr; auf 
feiner Spur der geichworene Feind Beider. Wenn 
ihn der Verfolger früher erreichen follte, als er mit 
jeiner Frau zufanmentreffen kann. Judith fühlte e8, 
daß fie unter dev Schwere diefes Gedanfens er— 
ſticken müſſe. 

„Das Spiel hat begonnen, es folgt nun Ihr 
Auftreten! klang die Mahnung des Regiſſeurs zur 
zur Thüre herein.“ 

Ach! in dieſem Momente fpielen l Mit dieſem 
veritörten Antlige vor die Yampen treten; mit die— 
jem Zittern an allen Gliedern königlichen Stolz heu— 
cheln ; eine Rolle vortragen mit einem Wehrufe auf 
der Zunge, der in jedem Augenblide lojreißen will; 
künſtleriſche Affekte zur Schau tragen mit dem Dol- 
che der Verzweiflung im Herzen ! 

Und doch muß es gejchehen. Du biſt ein 
Sklave; aljo vorwärts bein Herr wartet. 

Judith taumelte auf die Bühne. Langer Ap- 
plaus empfing fie; niemal® wurde ein Ölabiator, 
der vor dem Publikum fo ſchön zu fterben weiß, mit 
verdienterem Beifall überihüttet. War doch auch 
ſedes Wort, das Judith ſprach, ein Tropfen ihres 
Herzblutes. 

Jeder fagte, fie habe noch nie fo jchön 
geipielt. 

Selbſt die Kritik anerfannte, daß fie alle Er- 
wartungen übertraf. Die Szene, in welcher fie mit 


BI. VER 


fich jelbft fümpfte, indem fie als Tiebevolles Weib: 
Denjenigen retten will, den fie in dem Zorn der 
Königin auf das Schaffot ftieß, wie treu gab fie 
Judith, und wie malte ji) der Kampf des inner 
und des äußern Menſchen in ihren Zügen ab. 


Die fie fahen in ver Szene, wo fie allein 
bfeibt und jehnfüchtig auf die Zurückkunft ihrer Ab- 
gefandten wartet, die für den verurtheilten Gelieb- 
ten die veripätete Begnadigung gebracht; die fie 
jahen, wie die aufgeregte Fantaſie ihr die Schredens: 
ſzene mit blutigen Zügen malt, und als fie zurück— 
famen mit der Dotjchaft, daß die Gnade zu ſpät 
gekommen, der thenere Kopf im Staube liegt, und 
wie die Königin niederfinkt, die Krone weit weg von 
jich Ichleudert — wer dies gejehen, der muß glauben, 
dies jet der Höhepunft der Kunft, und fie Hatichten 
Beifall der Schauspielerin, die die Leidenſchaft des 
Weibes fo darzuftellen im Stande ift. 


Aber auch Diejenigen, die fie dauu am Boden 
liegen jahen, als der Vorhang bereits gefallen war, 
und bie fie wahre Thränen vegießen ſahen; Diejenis- 
gen auch, die fie halbtodt vom Boden aufhoben und 
und in ihr Zimmer trugen, die ahnten, daß dies 
mehr ſei als bloßes Spiel. Derjenige aber, deſſen 
Bild Judith während des ganzen Spieles bor- 
jchwebte, war jo nahe. Er ging auf und ab vor dem 
Theater. 


—— 


Zu Ende der Vorſtellung kamen die Equipa= 
gen und Lohnwägen an und bildeten eine lange 
Phalanx vor dem Theater. 

Bela muſterte fie mit verdächtigem Blick. 
Welcher Wagen wird es wohl ſein, der Judith nach 
Haufe führt? Dem Wagen wollte er dann nachren— 
nen und auf ſolche Weije die Wohnung Judith's 
‚erfahren. 

Die Vorjtellung war zu Ende, die Wägen 
rollten einer nad dem Andern vor die Halle des 
Theaters ; Fein einziger aber fuyr vor den Ausgang 
des Anfleidezimmers. 

Auch der letzte Lohnfutfcher war müde ge- 
iworden, jeine Dienfte vergeblich anzubiethen, und 
fuhr zurüd, die Straße wurde endlich leer. 

Das thut Bela fo wohl. Judith führt alfo in 
feiner Equipage; fie it alfo feine Favoritin der 
großen Herren, wenn fie jelbft nach ihrer Benefize- 
vorftellung zu Fuße nad) Haufe geht. 

Dann gingen auch die Schaufpieler nad 
‚Haufe, die ihre Rollen früher beendet hatten. 

Bela lauſchte begierig, was fie von der Vor- 
Stellung fprachen. 

— Na das war ein guter Tag. 

— Es bleiben fünfhundert Gulden „rein.“ 

— Das wird ein Kaſſaſtück. 

Die Straße war fchon volljtändig ruhig, als 
die Thüre des Ankfleivezimmers zum letzten Male 


— 15 — 


ſich öffnete und eine Frauensgeſtallt heraus trat, die 
Bela auch im dunkel der Nacht erfannte. Er erkannte 
fie an ihrem Gange, an ihrer Haltung, an ihrem 
Schatten, an ihrem Tritt. Es war Judith. 

Sie kam allein mit einem Dienjtboten, der 
ihre Kleider in einem Korbe trug. 

Es regnete unaufhörlich ; Judith mußte ſelbſt 
ven Regenſchirm halten. Wäre ein galanter Mann 
in der Nähe gewefen, würde ihr den Schirm aus 
der Hand nehmen und ihn über ihren Kopf halten. — 

Bela ftand an den Pfojten gelehnt. Judith 
ging jo nahe an ihm vorüber, daß fie ihn mit den 
Kleidern ſtreifte. — 

Bela ſah ihr aufmerkſam in's Geficht, als fie 
an der Lampe vorüber ging. Auf den ſchönen edlen 
Zügen lag tiefe Betrübniß ausgegofjen. Diejes Bild 
brannte fich ihm ins Herz. 

Judith blickte nur ftarr von fich hin; fie naht 
Bela nicht wahr. 

Bela ließ fie vorangehen und folgte ihr nur 
aus der Ferne, um feinen Verdacht zu erweden. 

Sie ging nicht in die alte bequeme Wohnung 
in die Stadt; jie wohnte jegt in einer Vorftadt. Vor 
einem neuerbauten Haufe blieb fie ftehen, klingelte 
und entſchwand bald darauf Bela’s Blicen. 

Bela blieb noch draußen, um Acht zu geben, 
was für Fenfter beleuchtet werden. Im zweiten Stod 
link, Er durfte nit fragen. 


_ co — 


Jetzt aber mußte er jeden Schritt genau über: 
legen, wie Jemand, der ftehlen geht. 

Er Elingelte dem Hausmeifter. 

Vor diefem muß'e er die erite Probe be— 
ſtehen. 

— Ich komme vom Theater, ich bin der 
Diener; ich habe den Smaragdring der gnädigen 
Frau gefunden, den ſie auf der Bühne verloren 
hat, er lag zwiſchen den Kouliſſen, ich habe ihn ge— 
funden. 

Der Hausmeiſter beſah den Ring; es war 
ein echter Smaragd, derſelbe Ring, den Judith am 
Trauungstage mit Bela gewechſelt. 

— Gut geben Sie ihn her ich werde ihn 
hinauſtragen. 

Bela lachte. 

— Wiffen Sie, mein Freund, aud) mir wird 
ein Trinkgeld gut thun, ich werde ihn jelber hinauf: 
tragen. Yajfen Sie die Thüre offen, id) komme gleich) 
zurück. 

Er mußte auch darauf bedacht ſein, daß der 
Hausmeiſter Acht gebe, daß Niemand in's Haus 
komme. 

— Nicht nothwendig; Sie können durch das 
Wirthshaus gehen; es war auch unnöthig zu 
läuten. Bekannte können durch's Wirthshaus gehen. 
Der Hausmeiſter ging dann in fein Zimmer zurüd. 


— 


— 7 — 


Beim Dienſtmädchen mußte es ſchon ſchwerer 
halten, ſie mit der Rolle des Theatersdieners zu 
täuſchen, denn ohne Zweifel kannte ſie ihn. 

Auf den Korridor konnte er ſich nicht gut 
orientiren, erwußte nicht, welche Thüre in die Woh— 
nung Judith's führe, 

Während er darüber nahdadhte, that fich 
plöglid eine Thüre auf und Judith's Mädchen trat 
heraus, mit einem Krug in der Hand; ohne Zweifel 
ging e8 an den Brunnen. Die Thüre des Vorzim— 
mers ſtand jetzt offen. | 

Bela zog ſich bei Seite, jo daß er von dem 
Mädchen nicht fonnte bemerkt werden. 

AS das Mädchen vorübergegangen, ſchlich er 
rasch durch die Thüre in das Zimmer, wie ein Dieb. 

Im VBorzimmer brannte eine Nachtlampe, bei 
deren Licht er drei Thüren bemerkte, zwei führten 
in’® Zimmer, die dritte in die Küche. 

Deka drücte auf die Klinge der einen Thür. 
Cr befand ſich in einem Alfoven, veffen Hintergrund 
ein Bett mit weißen Borhängen einnahm. 

Den Alkoven trennten Vorhänge von einem 
geränmigen Zimmer, welches jetzt beleuchtet war. 

Bela verbarg fich Hinter den Borhängen, durch 
deren Gewebe er in das Zimmer jehen fonnte. — 
| Gr fah feine Frau dort figen vor einem ge: 
deckten Tiſch, auf welchem ihr bejcheidenes Nacht— 
mal ftand. | 


u WR, 


Die Speifen find unberührt, das Glas iſt 
leer ; Judith ftarrte in das Lampenlicht, fie ſaß un— 
beweglich wie eine Todte, und auf ihren Gefichte lag. 
der Ausprud des Unendlichen, mit welchen ver 
hoffnungsloſe Kummer die lebenden Züge verfteinert. 
Die Augen wollen den Gedanken folgen, die über 
den Gefichtsfreis hinaus jchweifen. 

Die Speijen wurden kalt; die lebendige Säule 
bewegte jich, fie hob ihre Hände in die Höhe und im 
ihren gefalteten Händen gligerte Etwas. Es war 
ein in Gold gefaßtes Medaillon. 

Bela kannte das Medaillon, hatte Doch er es 
Judith gegeben. 

Die Frau Tegte hierauf das Medaillon auf 
die Flache Hand, und als fie e8 fo lange anfah, da 
thaute ihr Blick wieder auf, ihre Züge verloren bie 
Starrheit, aus ihren Augen drangen Thränen und 
ihre Lippen bemwegteu fich, als Tpreche fie zu vem Bilde, 
als ob jie es warnte, ihm Vorwürfe machen würde. 

Die beiden Hände brachten das Bild immer 
näher ben ftammelnden Lippen; als e8 ihre Lippen 
berührten, konnte fie fich nich länger faßen; fie ſank 
ſchluchzend nieder auf das Medaillon und bevedte ven 
Kopf mit den Händen. 

Da fühlte fie einen Kuß auf der Hand, einem 
warmen Kuf. 

Erſchrocken biete fie auf: — Das Bild ftand- 
lebendig vor ihr. 


u WG: ae 


Und e8 war ein guter Gedanfe von der Frau, 
daß fie in dieſem Augenblide ihren eigenen Aufjchrer 
und die Worte ihres Gatten in einen Kuß begrub. 

Wie viel mußte dieſer Kuß fagen. 

Wie habe ich dich erwartet, wie habe ich um 
deinetwillen gelitten, wieviel träumte ich von bir, 
wie liebe ih Did! Wie zittere ich, wie fürchte ich 
für Did, wie bejchügte ich Dich. Wie ftarf bin ich 
und wie ſchwach. Wie freue ich mich und wie fchau- 
dert’8 mich bei Deiner Anwejenheit. Wie glücklich 
bin ich und wie verzweifelt. 

Die äußere Thüre fnarrte. 

— Fort, fort ! in die innere Stube. 

Judith öffnete plötzlich eine Heine Thüre die 
in das Zimmer führte, daß ihr als Stubirftube 
diente, und ſchob Bela Hinnein, bevor das Mädchen 
eintrat. 

Als das Mädchen ins Zimmer fam, faß Ju: 
dith ſchon vor ihrem Tijche, und begann den Braten 
zu verjpeijen. 

Das Mädchen blickte rteugirig im Zimmer 
umber. 

— Tihamer ift ſchon weggegangen ? 

— Ber ? fragte Judith und troß ihrer gewohn= 
ten Selbftbeherrfchung zitterte fie an allen Gliedern. 

— Der dumme Theaterdiener läßt ſich Tiha— 
mer nennen. 

— Das wußte ich nicht. 


— 80 — 


— Der Hausmeiſter ſagt, daß der Diener 
den verlorenen Ring der gnädigen Frau gefunden 
und zurückgebracht habe. 

Zett begriff Yudith den Zujammenhang der 
Fabel. 

— Ja wohl, den Ring brachte man, aber es 
war nicht Zihamer, jondern ein Handlanger, denn 
ich ſelbſt nicht kenne. 

— Befehlen die gnädige Frau nod Etwas ? 

— 3a wohl, bringe noch ein Brot, ich bin 
heute jehr hungrig. 

Der Dieuftbote jah die Frau verwundert an. 
Hungrig ift fie! Freilich, fie Hatte eine ſchwere Rolle 
und mußte viel arbeiten, da bat ſie Appetit be- 
kommen. 

— Noch eins, bringen Sie auch eine Flaſche 
Nein, der Arzt hat mir gerathen, Wein zu trinfen, 
dann, meint er, werde ich ſchlafen können. 

Der Dienftbote glaubte Alles. Es gibt ja 
Frauen, die Wein trinfen. 

Judith erhielt jet die jchwerite Rolle zu: 
getheilt. 

Am folgenden Tag legte fie Tranerfleiver an 
und verkündete, daß ihr Gatte gejtorben jei. 

Sie zeigte ihren Bekannten nen Brief ihres 
Mannes, in welchem er von ihr vom Leben Ab- 
ſchied nahm. Er mochte nicht länger ven Fluch ver 
Unftätigfeit und Flüchtigkeit tragen; er ſchloß ab, 


nn. BT. Sm 


was das Schikſal ohnehin abgefchloffen. Seinen 
Leichnam werden irgendwo bie Wellen ausſpülen. 

Uud Judith fpielte die Rolle der trauernden 
Wittwe, und nahm bie Tröftungen der Mitfühlenpen 
entgegen; fie ließ lange ihren Mann fuchen in den 
Ufernliegenden Reften, nnd wirklich glaubte man 
irgendwo im Zolnauer Komitate in einem von ver 
Donan an’d Land gefpülten Leichnam Bela zu 
erfennen. Judith ließ ihn auf eigene Koften beftatten 
und ihm einen Grabſtein ſetzen; aber fie ging nicht 
zum Begräbniß und befuchte. nie das Grab, woran 
Diele Anjtoß nahmen. 

Aeußerlich trauerte Judith um den Todten, 
im Herzen aber beſaß ſie den Lebenden, und als 
Ereigniſſe kamen, die Jeden zittern machten, da heu— 
chelte ſie wieder Gleichgiltigkeit, denn um den Tod— 
ten mußte man nicht beſorgt ſein, während ſie doch 
im Herzen für den Lebenden zitterte. 

Der Dienſtbote aber kam vor Staunen nicht 
zu ſich, wie gewaltig die Frau den Appetit verändern 
könne. So lange Judith nicht trauerte, aß ſie ſo 
wenig, wie ein Kind, und ſeitdem ſie trauerte, ißt ſie 
ſo viel wie zwei Menſchen. Zudem t rinkt ſie noch 
Wein und raucht Zigarren. 

Eine junge Wittwe, die überdieß Schaufpiele- 
rin ift, findet ſchnell Hofmacher, jo bald es verfautet, 
daß fie Troſt jucht. Es kamen daher zu Judith Hof- 
macher. 

Andere Zeite, andere Menfden IH. Band. 6 


Dieſe kalt abzumweifen, hätte Verdacht erregen 
fönnen, fie mußte fie alfo anhören und mit ausmwei- 
chenden Antworten hinhalten. 

So viel Hofmacher, fo viel Nivalinen, und 
die gefährlichite geheime Polizei ift ein unglücklicker 
Anbeter und eine eiferfüchtige Frau. 

Bald hatte Jedermann herausgefunden, daß die 
Ihöne Wittwe Jemauden im Geheimen mit ihrer 
Liebe beglückt, und Jeder fuchte aus irgend einem 
Intereffe hinter das Geheimniß zu kommen. 

Die getäufchten Anbeter machten auch bald 
die Entdefung, daß der Glücliche nicht aus ihren 
Kreijen gewählt wurde. E8 mußte ein Anderer fein, 
der mächtiger als fie Alle, gegen welchen Keiner von 
ihnen fonfurriren konnte. 

Entweder Tiebenswürbiger, oder reicher als 
Alle mußte er fein. 

Das Erjtere gibt aber fein Liebhaber zu, folg- 
ich mußte Letzteres der Fall fein. 

Fürst Wolozoff aber ift ein fehr reicher Mann 
und bejucht immer das Theater, wenn Judith ſpielt, 
und hält fein Glas immer auf fie gerichtet. 

Das Laub raufcht nicht, wenn der Wind es 
nicht bewegt. 

Der Fürft fährt oft im Geheimen in Lohnwa— 
gen nad) der Vorſtadt, wo er vier, fünf Heine Woh- 
nungen hält; ebenpafelbit pflegt auch eine verſchlei— 
erte Dame zu erfcheinen. Sie kommen bald hier bald 


u Ha En 


dort zujammen, niemals aber zweimal in einer und 
‚verjelben Wohnung. 


Sudith führte alle ihre Anbeter an der Nafe, 
ift lebensfroh, ihre Augen ftrahlen vor Glück und zu 
gewiſſen Stunden des Tages ift fie für Niemanden 
zu fprechen. Aus diefen zwei Umſtänden war e8 leicht, 
eine Kombination zufammen zufchweißen. 

Und endlich nahm Judith wahr, daß ihre Be- 
fannten und Hofmacher fich immer mehr von ihr zu— 
rüdzogen. Sie begegnete nun öfter ſpöttiſchen Gefich- 
tern ; fie fühlte nun mehr denn einmal die verwun- 
denden Pfeile in den Reden ihrer Berufsgenoffen 
und jo blieb e8 ihr nicht lange verborgen, daß man 
fie für die Geliebte eines großen Herrn hielt. 

Und fie jpielte auch diefe Rolle meifterhaft — 
eine Rolle, deren Schminfe die Schamröthe ift. 

Die fpötiichen Blicke und verlegenden Anfpie- 
lungen wußte fie mit jenem trogigem Lächeln zu 
empfangen, mit welchem die gefallenen Engel einft 
den Bligen des Himmels begegneten, und wovor 
fie in der Tiefe ihrer Seele ſchauderte, trug fie al& 
etwas Rühmliches zur Schau. 

Halfen doch Alle, die fie verlegten und ver— 
leumdeten und mit Hohn und Spott überjchütteten, 
den Schleier dichter weben, welcher Bela’8 Verſteck 
verhüllte. Der fchlechte Ruf der Gattin war der En- 
gelöflügel, welcher ven Gatten bejchirmte, 
6* 


ir. Rd 

Und fanden fie fich denn nicht reichlich belohnt 
dafür ? 

Die Hälfte des Tages gehörte allerdings der 
peinlihen Rolle der Welt, ver Schande ; die andere 
Hälfte gehörte dem Herzen, ver Liebe, dem Troſt. 

Trug die eine Hälfte des Tages die troßige 
Erregtheit der Hölle an ver Stirne, fo trug die 
andere Hälfte himmlische Ruhe im Herzen, und wenn 
draußen jede wohlgebaute Gejellichaft fih an ven 
Märchen ihrer erdichteten Abenteuer ergötte, jo 
fand fie ihr Glück darin, daß in diefen Märchen 
nicht8 wahres gewefen, und fie lachte ſtolz der gan- 
zen Welt. 

In einer Hinficht aber fehlte die Frau dennoch. 
Sie fehlte aber durch die Größe ihrer Liebe; die 
Mutter ihres Gatten jette fie von der Wahrheit 
nicht in Kenntniß. 

Seit dem Briefe Seraphinens hielt Judith den 
Schutzbrief allein nicht mehr ald genügendes Ret— 
tungsmittel für Bela; hatte er doch einen mächtigen 
Feind an Fertöy, ven Bela tödtlich beleivigte. Jetzt 
fonnte fie nicht mehr einem Stüd Papier Tod und 
Leben ihres Mannes anvertrauen, 

Sie mußte die Nachricht von Béla's Tod 
verbreiten. 

Freilich hatte Bela eine alte Mutter, die nur 
wenige Tage zu leben hat, und eg tft graufam, fie 


7 


dieſe wenigen Tage verweinen zu laſſen — allein 
ſieht das Weib jemand Anderen, als ihren Geliebten? 
fühlt es Erbarmen mit Vater und Mutter, wenn es 
ſich um denjenigen handelt, den es liebt? 

Die Mutter mag weinen! weint ſie nicht, ſo 
könnte ſie verdacht erregen. 

.... Über die Thränen rächen ſich an Dem— 
jenigen; der ſie verurſacht hat. ... 


=. Rh 


Ein Tagebuch über Dinge die nicht 
geſchehen find. 


Seraphine unterhält jich vortrefflich ! 

Das glaubte wenigftens jeder ihrer Bekann— 
ten, und ever, ver Etwas über fie hörte. Und 
währe auch ſchwer geweſen, Nicht! zu hören über die 
Schöne Frau, ſah man hie doch überall. 

Sie war eine gefeierte Schönheit, hielt offene 
Salons, hohe Verbindungen zogen einen vornehmen 
Kreis um fie, und diefe fanden in der Nähe der ver- 
ftändigen und gemüthlichen Frau große Entſchädi— 
gung für ihre Herablaffung. 

In der Familie Fertöy geht man niemals vor 
Tagesanbruch zu Bette. Erjt um dieſe Zeit zerjtreut 
ſich die fröhliche Geſellſchaft. 

Jeder durchreifende Künftler, jede militärische 
und politiiche Kapazität weiß von dem luſtigen Geifte 
dieſer Geſellſchaft zu erzählen; aber Keiner weis es 
zu fagen, wo das Kalifornien liegt, deſſen Goldgrube 
die Koften diefer Lebensweiſe bejtreitet. 


Zr: 


Das wußte ver Gemal jelber nicht. 

Fertöy wußte fo viel, daß die Welt glaubt, er 
verwalte auf ganz umverantwortliche Weife fremde 
Kaffen, man ſprach auch von Eifenbahngefellichaften 
und mehr vergleichen ; allein wenn er auch überzeugt 
war, daß die öffentliche Meinung in dieſem Punkte 
nicht ganz im Unrechte war, jo hielt er e8 doch für 
eine gründlich irrige Annahme, als 0b Seraphine 
auf diefem Wege zur Rolle ver Modekönigin gelangt 
wäre, denn er pflegte feine Börfe niemals bei jeiner 
Gattin zu vergeſſen. 

Seraphine hatte nach dem Tode ihrer Mutter 
wohl ein anftändiges Vermögen geerbt, welches ein 
landlicher Gutsbefiger oder ein Krämer in der Stadt 
für ein bedeutendes Kapital gehalten hätte: allein 
für den befannten Luxus konnte dieß keineswegs 
hinreichen. 

Wohl umgaben reiche Hofmacher die Dame, 
und es war faſt unzweifelhaft, daß Einer derſelben 
ſich Seraphine zu liebe ruinire; aber Fertöh konnte 
nicht dahinter kommen, wer von den Vielen es ei— 
gentlich ſei. 

Und mit welchem Eifer er dieß zu entdecken 
ſuchte! Nicht als ob er Genugthuung für ſeine ver— 
letzte Ehre geſucht hätte; aber er ging von den prak— 
tiſchen Gedanken aus, daß es beſſer wäre, wenn der 
freigebige Anbeter nicht durch die Frau alleim rui— 
nirt würde, | 


Allein Seraphine war eine gewandte KRünftles 
rin ! Fertöh und die Spürhunde ver öffentlichen Mei- 
nung kamen nie auf bie rechte Fährte. Seraphine 
umgab ſich ſtets mit folchen Hofmachern und über- 
jchüttete fie mit ihrer fichtbaren Gunft, für welche 
fie niemals wird mit ihrem Seelenheil bezahlen 
müſſen. Plöglich verfch wand der vermeinte Glückliche, 
oder er reifte ab, oder er blieb ganz aus, und die 
Jäger fahen fich dann getäufcht und fingen die Weg- 
warte ftatt des Hafen. 


Fertöh wußte wohl, daß dies blojes Spiel 
fei ; er fannte feine Frau recht gut. Auch darüber 
hatte er nicht die geringjten Zweifeln, daß der Wahre 
fein anderer als Fürft Wolozoff fei. Hatte er doch 
felbft die Sache eingefäbelt ; aber den Faden Fonnte 
er nimmer in bie Hand belommen. 


Er jelbjt war der Verſucher, ver die Schönheit 
der Gegend zeigte; aber dann machte er zu feinen 
Aerger die Erfahrung, daß der fchlaue Grieche ven 
Satan ſelbſt betrügt, im Geheimen bie ſchöne Ge— 
gend im Befit nimmt, von dem Senfal aber nichts 
wiſſen mag. 


Der Fürft fchien das Haus eher zu meiden als 
zu befuchen, und erfchien er auch manchmal bei den 
Seiten, jo unterhielt er fih nicht mit den Damen, 
fondern fpielte mit den Männern, und babei beging, 
er noch die Unart den Hausherren zu plündern. So 


——. Ad. Zu 


pflegen nicht diejenigen zu thun, welche in die Frau 
des Haufes verliebt find. 

Und Wolozoff ift verliebt ! Kein Menfch glaubt 
es, aber Fertöy weiß es. Eben das forgfältige ver: 
meiden alles Auffälligen beftärkt ihn in feinem Ver: 
dacht. Könnte er doch nur einen ſchwachen Seiden— 
faben in die Hand befommen, jo würde er ven gan: 
zen Knäuel auf jeine eigene Hafpel winden; aber e8. 
ging eben nicht. Seraphine ist wetterwendifch, heute 
ift fie Feuer und Flamme für ein neues Geficht, 
morgen ift fie falt wie Eis, und übermorgen ſchwärmt 
fie für einen längjt vergeffenen Bekannten, bis fie 
plöglich in eine tiefere Region hinabftieg, daß jeder 
vor ihr erichrad, um fi dann wieder mit dem. 
Nimbus einer Reuigen zu umgeben, die eitel Xiebe 
und Zreue für ihren Gatten war. — Und Fertöy. 
wußte, daß all’ dies bloße Komödie, Verftellung und 
Intrigue war, um ein Geheimniß zu verhülfen, das: 
er nicht entdecken konnte. 

Aber die Enthüllung dieſes Geheimniffes: 
wurde für ihn immer mehr zur brennenden Noth- 
wenbigfeit. E8 gab gewiffe bedrägende Situationen, 
die einen immer beprohlichen Charakter annahmen, 
einige Deffzite, die neugierige Menjchen an ven Tag. 
bringen wollten, dieje neugierig Menjchen mußten bald 
dahinter kommen, daß das Berhältniß zwifchen. 
den Vorhandenen und eingetragenen Summen fein. 
Reim, jondern bloße Affonance war. 


— 00: 


Zur Ausgleichung des Defizits ift unvermeid- 
ch nothwendig: entweder die Gunft eines großmüthi— 
‚gen und fteinreichen Broteftord, der in der Eigen- 
Ihaft eines entdeckten Hausfreundes gezwungen 
"wire, das NRechtsverhältnig anzuerkennen, daß ver 
Gebrauch eines Schlüſſels zu dem Zimmer eines 
Andern die Ueberlaffung des eigenen Kaſſenſchlüſſels 
an jenen Andern zur Folge haben müfje; over aber 
‚die endlihe Beſitznahme von der Hargithah’jchen 
Erbichaft. 

Betreffs der Tebteren iſt die Schwierigkeit 
‚vorhanden, daß das bezügliche Teſtament bei dem 
Brande des Komitatshauſes wirflih in Verluft 
gerieth, ohne dasſelbe aber eine richterliche Voll: 
ftredung bei dem beften Willen unmöglich ift. Bär— 
fing, der Antwalt, veplizirte übrügens, daß das Te— 
ftament Vorhanden fein müſſe und er e& ficherlich 
finden werde; ed wurde ihm zu diefem Behufe ein 
Termin ausgefegt, die Einkünfte der Güter aber 
"wurden mittlerweile von Amtswege mit Beſchlag 
belegt. N 

Bäarfing fagte auch feinem Freunde Fertöy, 
auf welche Weife er in den Befit des Teſtamentes 
‚gelangen könne. Er fprach ganz rückhaltslos. Fertöh 
mußte blos die Hände darnach ausjtreden, um es zu 
befigen. Aber die Art und Weife, wie dies zu bewerf- 
ftelfigen gewejen wäre, war ven boch jo ungewöhnlich, 
daß Fertöy ein werig Schauder davor empfand, und 


ei 1 


Tieber ven Gedanken zur Geltung fommen ließ, ven 
geheimen Anbeter feiner Gattin mit einem Anlehens- 
plan zu überrajchen. 

Dazu war aber ein Schlüffel nothwendig. 

Zunächſt ver Schlüffel jenes kleinen Schran- 
tens aus Roſenholz, worin Seraphine ihr Tagebuch 
verwahrte. | | 

Daß Seraphine ein forgfältig geführtes Tage: 
buch befite, daß wußte Fertöy. 

Seraphine zieht fich niemals vor Tagesan- 
bruch in ihr Schlafzimmer zurück; auch dann läßt fie 
die Fenfterlädeu nicht verjchließen, und blos die dün— 
nen Spikenvorhänge mildern einigermaßen das 
Hereindringende Sonnenlicht. Sie kann nur beim 
Sonnenlicht ſchlafen. Eine bizarre Thorheit, wird 
Jederman fagen. 

Wenn fie auffteht, ift regelmäßig bereits Mit- 
tag, und da geht fie, bevor fie die Morgentoilette 
macht, an ihren Schreibtijch, öffnet den Schranfen, 
und jchreibt an ihren Tagebuche. | | 

Was für Geheinmiße in diefem Tagebuch ent- 
halten fein mögen, läßt fih auch daraus jchliegen, 
daß Seraphine einen englischen Schlüffel zu dem 
Schranken bat. 

Fertöy mußte dacher ver Allem in ven Befit 
dieſes Schlüffels gelangen. 

Den Schlüßel trug aber Seraphine immer 
mit ſich und ließ ihn nirgens Tiegen. Sie trug an ver 


— 92 — 


Hand eine Heine Stahlkette, woran der Schlüßel 
befeitigt war. 

Einmal aber erkrankte Seraphine, fie litt an 
Kopfträmpfen, welche jie in bemwußtlofen Zuftande 
verſetzten; da bot fich Fertöy theilnahmsvoll an, 
allein an dem Bette der Gattin zu wachen, und als 
er ſah, daß ſie ihn nicht erkannte, da nahm er ihr 
den Schlüſſel von der Hand. Seraphine bemerkte 
dieß natürlich nicht. 

Dann öffnete Fertöy den Schranken. 

Er hatte nun das geheimnißvolle Tagebuch in 
Händen, die wohl verwahrten Myſterien desſelben er- 
Ichloßen fich ihm, die Minfterien, von welchen er for 
viel Nuten fich verſprach. 

Die Frau lag im Delirium und fantafirte, der 
Mann aber lag bequem im Armftuhle und las die 
Geheimniße der Gattin. 

Das Tagebuch begann folgendermaßen : 

„Tagebuch meiner Träume.” 

„Ich Iebe ein Doppelleben ; eines, wenn ich 
wache, das andere, wenn ich ſchlafe; jenes ift heiter, 
voll Scherz, Freude, und Genuß, biefes ift traurig, 
Ichredlich und bange.“ 

„Jenes verachte und werabfcheue ich, dieſes 
flößt mir Entfegen ein.“ 

„Die Wirklichkeit wechfelt mit jedem Tage; 
ber Traum bleibt ſtets derſelbe.“ 


weis OR 


„Sch träume von Robert." 
„Das Verhältniß, welches die Wirffichkeit 
entzweigejchnitten, jpinnt der Traum weiter fort.‘ 


„Immer und immer wieder erjcheint er mir; 
er blieb feinen Tag noch aus." 


„Zange mied ich dieſe Schauererjcheinung ; ich 
wollte mich bereden, e8 fei doch nur ein Traum; 
heute jedoch iſt dieſes Dafein nicht mehr wegzuleug- 
nen ; ich fühlte e8 find Erjcheinungen aus einem an- 
dern Leben.“ 

„Sch werde veshalben jeven Tag aufzeichnen, 
was ich träume, denn diefer ift Doch mein eigentliche8 
Zeben, und jenes andere nur ein Traum." 

„Heute war ich mit Robert auf dem Felde 
bejchäftigt, wir waren Bauern, die ven Boden bear- 
beiten. Er verbarg fih auf folche Weije vor der 
Welt, und ich folgte ihm in die Strohhütte. 

Zur Speije batten wir ſchwarzes Brod, und 
es ſchmeckte mir jo gut. 

Ih mußte mit Robert auf die Aeder gehen, 
um Wurzeln auszugraben. 

ALS der Sad voll war, Tegte ihn Robert auf 
meine Schulter, damit ich denfelben nach Haufe trage. 
Hundert Mal ſank ich unter der Laft zuſammen, ehe 
ich zu Haufe anlangte. 

Zu Haufe mußte ich aus den Kräutern ein 
Mittagsmal bereiten. Und wie ich die Wurzeln 


—— 


wuſch, bemerkte ich eine die von anderer Farbe ale 
die übrigen war. 

Ich zürnte Robert jehr, weil er fo arm war. — 

Und da Tochte ich auch dieſe Wurzel mit den 
übrigen. ö 

Da kam Robert nad) Haufe und af. 

Nach dem Eſſen fing er auf gar fonderbarer 
Weife zu lachen au. Er fragte mich, was ich ihm 
gefocht ? 

Da ſank ich zu feinen Füßen hin und meinte 
und jamerte, daß er boch nicht fterben möge. 

Er aber lachte, und ich fah, wie er ftarb. 

Ah es war fo fchredlich, wie fein Geficht 
blau war. und er doch nur. lachte, ich konnte ihn jo 
ſchwer in meinen Armen halteı. 

Und ich flehte vergeblich zu ihn, er möge 
doch nicht fo entjeglich lachen, wenn er ſchon gejtor- 
ben, und nicht jo ſchwer fein, wenn er noch lebe; er 
aber lachte ununterbrochen und zog mich zur Erde 
nieder, bi8 ich mit ihm Zuſammen hart niederfiel 
und — eriwachte. 

Wie gut da8 Sonnenlicht mic) ummogt ; wäre 
es jeßt finiter, ich müßte wahnfinnig werben. 

„Heute waren wir Fleine Kinder; wir gingen 
zur Schule, Robert und ich. 

Ich beging eine Unart, Robert nahm fie 
auf fich. 


Zu. FOR: Io 


Mich freute e8 fehr, daß man ihn beftrafte,. 
und nicht mich. 


Als man ihn aber mit dem Gefichte zur Erbe 
legte um ihn zu fchlagen, da that mir das Herz ſo 
weh, daß es faſt brach. 

Robert weinte nicht als man ihn ſchlug; er 
ſchwieg. 

Und als man ihm dann ſagte, er ſolle auf— 
ſtehen, ba blieb er doch ligen, denn er war geſtorben. 

Sch wagte auch jett noch nicht einzuftehen, BE 
ich die Schulvige fet. 

IH jah auch wie man ihn in dem Sarg — 
Er war eine ſehr ſchöne, kleine, weiße Leiche. | 

Und wie zürnte ich ihm, daß er mir dadurch 
Schmerz verurjachte. 

Dann ging ich, um mit den übrigen Kindern 
zu ſpielen. 

Was für ein fchlechtes Herz ich doch felbit im 
Zraume habe!” 


— WM — —. A — A —e — 


„Wir waren zuſammen in einer belagerten 
Feſtung. 

Wir waren nur mehr allein, ich und er; die 
übrigeu hatten Seuchen und Kugeln dahingerafft. 

Nur eine Kanone edröhnte noch manchmal, die 
unf'rige. Ich war der Kanonier ; ich mußte das Ge— 
ſchütz bebienen, denn auch die Frauen waren ſchon 
geftorben. Ich fürchtete und fehauderte vor der 


u: Di 


Schlacht; aber wenn er mich anblidte, war ich wie 
feft gebannt. 

Ich wollte jagen, aber ich wagte es nicht; 
„Robert, wir find nur unfer Zwei, wozu der längere 
Wiederftand. Ergeben wir uns; unterjchreiben wir 
die Kapitulation. Sieh’, e8 ift doch jo jchön, zu leben ! 
du kannt es am Beften wifjen, vu, der jo oft gejtor- 
ben und doch nicht todt bleiben willjt und immer 
wieder auferftehft. Komm fteden wir die weiße Fahne 
aus. Sieh’, ich habe meine Handkrauſe herabgeriffen, 
dieſe wird dazu gut fein." 

Robert antivortete nicht, fondern ging vor mir 
auf und ab, die Granaten pfiffen um uns rechts und 
links, e8 traf ihn feine. 

Plöklich blieb er vor mir jtehen, ven Rüden 
gegen die Kanonenmündung gefehrt. 

Ein enjeglicher Gedanke ſchoß mir durch 
den Kopf. 

Wie lange martert mich jchon dieſes Phantom, 
wie quält e8 mich fo unabläffig. 

Wenn ich jet die Lunte an das Schiekloch 
lege — ein Knall, und er wäre zerjchmettert. Ich 
wäre dann auf ewig von ihm befreut, nimmer fonnte 
er zurückkehren. 

Etwas zwang mich, es zu thun, er war mit 
dem Rücken gegen mich gekehrt und konnte nicht 
ſehen, was ich that. Ich war wüthend gegen ihn. Ich 
wollte ihn nimmer wiederſehen. Ich legte die Lunte 


N 


an das Schießloch. Ich verhülfte meine Augen, um 
nicht zu ſehen. Die Erde erzitterte unter mir und ich 
fühlte ben warmen Blutregen, ver mir auf Hals und 
Schulter fiel. 

Dann öffnete ich bebächtig die Augen, und Robert 
Stand noch immer vor mir, nur daß er den Kopf zu- 
rüdgemwendet hielt und mich kalt anblickte. Durch das 
Herz aber fonnte man ihm fehen, denn bie Kugel 
hatte es durchbohrt. 

„Mir war, als ob wir im Czarenpalaſte in 
Moskau uns befänden. Robert wurde nach Sibirien 
geſchleppt. 

Ein Flüchtling, der von dort zurückgekehrt war, 
brachte die Nachricht, daß Robert lebe und in den 
Bleigruben des Uralgebirges arbeite. 

Ich begab mich auf den Weg und reiſte ſo 
fange, bis ich jene ſanderbare Thürme mit ſpitzen 
Kuppeln erblickte, welche ich ſo oft im Bilde geſehen 
hatte und von denen ich ſo lebhaft träumen konnte. 

Ich bedurfte keines Führers, ganz allein fand 
ich mich zu recht. 

Große Glocken ertönten mit betäubendem 
Lärm: man ſagte das Geburtsfeſt des Czars werde 
heute gefeiert. 

Ich wollte mit der Volksmenge zum Thore 
des Palaftes mich hineindrängen ; ein wachehabenber 
Kofak bemerkte mich und fchrie mich an. Ich verftand 


Andere Zeiten, anbere Menfhen. ILL, Band. 7 


OR 


nicht was er ſagtr, und wollte mich vor ihm zurück. 
ziehen. Er langte mit der Spike feiner Lanze nach 
mir und erreichte mit verjelben meine Schulter, ohne - 
mich jedoch verwunden zu fönnen. Ich fühlte aber 
vie Kälte des Eiſens. 

Ich eilte über breite Marmortreppen und 
durch enge Korrivore; endlich verirrte ich mich in 
einen wunderbaren Balfenfnäuel, in welchen ich 
mich nimmer zurecht finden konnte: als ob eine 
Menge Gerüfte neben einander” geftellt wären, auf 
welchen mit Teppich bevedte Dielen ruhten; endlich 
gelang ich zu einer ſchmalen Thüre, die ich öffnete, 
und num jtand ich vor einem mächtigen Tanzſaale. 

Es war dies der Tanzjaal des Gzarenpala- 
ſtes; tauſend Lichter verbreiteten ein Lichtmeer. 

Das glänzende Höflingsheer, die knappen Uni— 
formen, die mit Diamanten beladenen Damen, bie 
verbrämten Kaftans; der ſtramme Zeremonienmei- 
fter, der die Gruppen ordnete; die Militärkapelle, 
welche einen feierlihen Marſch fpielte, im Hinter- 
‚grund der Thron mit hohen Treppen, auf welchem 
der riefig große Czar neben der Gemahlin fit — 
als ob dieß Alles noch jegt vor meinen Augen jtünde, 
‚mir im Obre ſummte. 

Als ich eintrat, wich alles zur Seite, um mir 
ven Weg zum Gzar frei zu machen. 

Ich war jchwarz gekleidet, die Uebrigen trugen 
färbige, goldgeſtickte Gewänder. 


ir I. 


Ih gelangte ganz bis an bie Stuffen des 


Thrones. 

Der Czar winkte mir, das ich ſpreche. 

Und als ich ſprechen wollte, da hatte ich den 
Namen des Mannes vergeſſen, für den ich bitten 
wollte, ven Namen des Ortes, wo er gefangen war, 
jo wie die Urjache, warum man ihn dahin gebracht. 
Bergeblih quälte ich mic) ab, mir das Alles in 
Erinnerung zu bringen; mein Gedächtniß verfagte 
mir den Dienst; ich jtand dort und wußte nicht, was 
ich ſprechen follte. Ich wollte ruſſiſch fprechen, und 
ich hatte es vergeffen, obgleich ich zu Veginn des 
Traumes ruſſiſch zu verjtehen glaubte, Ich wollte 
weinen, die würde man viel leichter veritanden 
haben; allein die Muſik erjcholl, e8 wurde zum 
Zanze aufgefpielt. Da trat ein in Scharlach gehüllter 
Mann zu mir und bat mich um einen Walzer. Ich 
reichte ihm die Hand und vergaß auf Alles, 

Wir flogen und walzten den mächtigen Saal 
entlang, und da an den Wänden überall lange Spie- 
gel hingen, fo jah ich immer mein eigenes Bild.? — 
Das war jo jchredliih: ein ſcharlachrother Tän— 
zer und eine jchwarzgefleivete Tänzerin! Eine 
hölliſche Viſion. | | 

Ih glaubte mein Tänzer fei der Scharf 
richter. 


— — — — — — — — 


7*+ 


—- 100 


Heute ſah ich die Yortfegung meines geftri= 
gen Traumes. 

Auf demſelben Wege kam ich aus dem glän- 
zenden Saale zurüd, auf welchem ich hinein ge= 
gangen. 

Wieder verirrte ich mich in dem Gerüftelnäuel, 
das auch jet mit fchweren Teppichen bededt war. 

Set aber wußte ich, was dies für Gerü- 
jte find. 

Es war das Schaffot. — 

Den Ausgang verfperrten Lanzenmänner in 
alterthümlicher Panzerfleivung ; ich konnte den Ort 
nicht verlaffen. Da verfroch id) mich unter den Tep⸗ 
pichen, welche das Gerüft bedeckten. Dann hörte ich 
die Schritte aufmarfchierender Soldaten, ich hörte 
Trommelfhlag und Kettengeraffel; ich hob einen 
Zipfel des Teppiche in die Höhe, um jehen zu Fön- 
nen, was vorgeht. 

Den Saal beleuchtete grelles Fadellidt. 


Eine Truppe gefeffelter Gefangener tauchte 
aus ber endlofen Finfternig empor. 

Die Gefangenen ſchritten einzeln auf das Ge— 
ruft, unter welchem ich verborgen war, und fo wie fie 
hinaufgeftiegen waren, ſah ich Kleinen wieder, aber 
ich hörte jedesmal einen ſchweren Schlag, als ob 
Iharfes Eifen in einen harten Stamm führe; dann 
hörte ich auch etwas über meinem Haupte bahinrollen. 


— 101 — 


amd darauf einen leifen Fall, auf welchen ein fürzes 
Zucken folgte. 

Das Alfes hörte ich, und mein Herz pochte jo 
heftig, daß ich das Pochen trotz Allem deutlich hörte. 

Da kam der Letzte der Gefangenen hervor. Ich 
erkannte ihn. Es war Robert. Nie jah ich ihn jo 
Ihön. Er trug dasjelbe Kleid, in welchem er einft 
mit mir vor dem Altare ftand. 

Er Tieß nicht, daß man ihm die Augen ver: 
binde. Sein Blid war noch jett jo ftechend wie 
ehedem. 

Mir kam es aber nicht in den Sinn, aus dem 
Verſtecke herauszueilen, mich dem Grauſamen zu 
Füßen zu werfen und um Gnade zu flehen. Ich ver— 
barg mich hinter dem Teppich, verhüllte mein Geſicht 
und verſtopfte mir die Ohren, um nichts zu ſehen, 
nichts zu hören. Aber ich ſah und hörte dennoch. Ich 
hörte die lauten Schläge meines Herzens und ſah 
die entſetzliche Finſterniß, dieſe Schwärze, die 
lebt, bewegt ſich, wächſt rieſengroß und kommt im— 
mer näher! 

Und bald begann ein warmer Regen auf mei— 
nen Hals nieder zu rieſeln. Ich fühlte es war Blut. 

Das Entſetzen weckte mich. Und ich empfand 
die Wärme der Bluttropfen an meinem Halſe. 


— — — — — — — — — — 


„O, wie es mich ſchaudert vor dem Schlaf. 


— 102 — 


Erſt am Morgen gehe ich zu Bette, wenn es 
Schon hell zu werben beginnt. Die ganze Nacht ver- 
bringe ich in unfer tollen Gefellichaft. Ich ertränfe 
meine Seele in betäubendem Trank. Ich bete, bevor: 
ich mich nieberlege ; vergebens, — Alles vergebens. 

Das Gefpenft fommt und lebt mit mir. 

Dieſe Nacht war ich in unferem Fleinen Zim— 
mer in Komorn. Ich lag ſchon in meinem Bette, er 
faß am Rande und hielt meine Hand in der feinen.. 

Er fagte mir, wir werben heute bier fchlafen. 

Mir war, als müßte ich ihn fragen: Wie 
willft du auf meinem Kiffen ruhen, wenn bu fchon: 
geftorben bift ?“ aber ich wagte nicht, e8 zu Jagen. 

Er war fo zärtlich und glättete mir die Stirne. 

Dann neigte ev das Haupt auf meinem Kiffen. 

Er trug eine weiße Jade und ein rothes 
Halstuch. 

Ich fragte ihn: warum legſt du das Halstuch 
nicht ab, wenn du ſchlafen wiltft ?“ 

Darauf antwortete er lächelnd: das kann ich 
nicht, denn das Tuch hält ven Kopf an meinem. 
Rumpf feit, ſonſt fiele er nieder. 

Dann wandte er fich zu mir und wollte mich 
umarmen. 

Entſetzt zog ich mich von ihm zurüd an den 
äußerten Rand des Bettes; er aber fam lächelnp: 
immer näher und bat mich, ich möge ihn Küffen. 


— 105 — 


Sch ſchrie auf. Ich lag vor meinem Bette auf 
dem Teppich. Dort erwachte ich. 
O, mein Gott, wird dies denn ewig dauern ?" 


— A — — EEE — 


Fertöy legte entſetzt das Tagebuch — Gat⸗ 
tin aus der Hand. 

Ungeachtet ſeiner blaſirten Selbſtſucht, war er 
abergläubiſch; es gibt viele Menſchen, die nicht an 
Gott glauben, wohl aber an Klopfgeiſter. 

Was er ſuchte, das fand er nicht; Seraphine 
hatte nicht die Erlebniſſe des Tages aufgezeich— 
net. Kein Wort findet ſich darin über Liebe und 
Geliebte. 

Jetzt verſtand es Fertöh, wie es geſchah, daß 
als er neulich ſeine Frau an ihrem Schreibtiſche 
überraſchte, noch ein Seſſel neben Seraphinen ſtand. 
Er wollte ſich auf den Seſſel niederlaſſen, Seraphine 
aber gab es nicht zu.“ 

„Setzen Sie ſich nicht dorthin.“ 

„Warum nicht?“ 

„Weil .... (hier lachte fie) Bringen Sie 
fih einen andern. 

Jetzt konnte er das „Weil” ergänzen; „weil 
ſchon Jemand darauf fit.” 

Vertöy legte das Tagebuch an feinen Plat 
und ſchloß den Schranf. 


ne IE 


Jetzt mußte er aber den Schlüffel wieder an 
das Stahlfettchen befejtigen, welches Seraphine an 
ber Hand trug. 


Furchtſam näherte er fih. Wäre Jemand da 
geweſen, der ihn gehört, fo würde er geladht haben, 
fo aber fchauderte er vor dem Gedanken, daß er eine 
Frau nahm, die wachend und jchlafend von dem 
Schatten ihres verjtorbenen Mannes verfolgt werde, 
die mit diefem zu Bette geht und aufiteht. 

Die Kranke jchlief unruhig, fie hatte ſchwere 
Träume. 

Vertöy glaubte ven Traum der Kranken zu 
errathen. 

Der entjegliche Rival war anweſend, auf wel« 
chen er nicht eiferfüchtig fein Eonnte. — 


Geine Hand zitterte, als er ven Schlüffel an 
das weiße Handgelenk befeitigte. 


ALS die Falte Kette die Hand der Schlafenven 
berührte, hilt fie ihren Athem plötzlich an; Schreden 
und Entjegen malte fich in ihren Zügen, ihre Xip- 
pen öffneten fich, fie ftöhnte, und als die Kette an 
ihrer Hand befeftigt war, da fchrie fie auf: Henker 
laß ab!" 

Dann wendete fie ſich um und jhlief ruhig. 

Was fie wohl über diefen Traum in ihr Ta- 
gebuch jchreiben wird ? 


— 105 — 


Fertöy blieb nicht länger im Zimmer, er läu- 
tete der Kammerfrau, und trug ihr auf, bei Sera- 
phine bis zum Morgen zu bleiben. Er jelbft eilte in 
fein Gemach. 

Seraphine jchlummerte dann ruhig und in der 
folgenden Naht tanzte fie auf dem Ball. 


Sehr als ein. Vergehen; ein Fehler. 


Vertöh ließ den Plan fahren, einen reichen 
Hausfreund aufzujagen. 

Seitdem er wußte, wer in ben Schlafzimmer 
feiner Gemahlin verborgen, wenn fie fich zurückzieht, 
batte er feine Luft einen Rivalen zu fuchen. 

Aber die Profa des Lebens laßt ſich durch 
Phantome nicht befriedigen. | 

Fertöh mußte um jeden Preis Geld haben, 
man verlangte die Rechnungen von ihm. 

Sein Anjehen und fein Kredit war wohl noch 
immer groß, aber wir wiffen, daß nur ein Kleiner 
Schneeball, wie ein proteftirter Wechfel, fich in Be- 
wegung ſetzen barf, damit bie ganze Lawine ins Rol- 
len gerathe. 

Am Morgen nach diefer traurigen Entdeckung 
ſchickte Fertöh nach Herrn Barfing. 

Der treue Schüler, der jetzt ſchon auf eigene 
Fauſt hantirte und fich Doctor nennen Tieß, beeilte 





— 17 — 


ſich bei feinem einflußreichen Prinzipal zu erfiheinen, 
der ihn dieſesmal noch freundlicher als fonft empfing. 

— Lieber Freund! Ich glaube, e8 wäre gut, 
die Hargithay'ſche Angelegenheit endlich zum Ab— 
Schluß zu bringen. Ich bitte Plaß zu nehmen. 

— DO, ih danfe. Es freut mich fehr, daß 
unfere Wünfche fich begegnen. Ic felbft halte es an. 
der Zeit, die Sache zu erledigen. 

— Der Termin ift ja no weit. Keine Zis 
garre gefällig ? 

— Ja wohl, aber die Vorbereitungen nehmen: 
Wochen in Anſpruch. Ich bitte ein wenig euer. 

— Sie glauben alfo wirklich das unfer Teſta⸗ 
ment verbrannt ift ? 

— Freilich ift e8 zu Aſche verbrannt. 

— Können Sie fih Gewißheit darüber vers: 
Ichaffen, daß e8 nicht mehr ans Tageslicht kommt. 

— Ich weiß e8 ganz genau. 

— Denn darüber müffen wir Gewißheit ha- 
ben für den Fall, als ... Fertöh fand Feinen Aus— 
brud, um die Sache zu nennen. 

— Wenn wir das verbrannte Dofument aus. 
der Aſche wollen erftehen laffen, ſagte Baͤrſing ſo 
Kalten Blutes, als ob e8 ſich um nichts Anderes 
handelte, als aus ber Aſche, die er von der Zigarre 
fchlug, eine neue Zigarre zu jchaffen. 

Fertöy nickte ſtumm, ſprach aber mit feinem. 
Worte aus, daß er einverſtanden ſei. 


— 18 — 


Barfing wollte aber um jeden Preis das 
Wort aus ihm herausbringen. 

— Das Ganze ift blos eine „pia fraus.“ 

— In Wahrheit „pia ?" 

— Ohne Zweifel. Wenn von dem Zuftande- 
Tommen eines Documentes die Rede wäre, das nie— 
mal exiftirt bat, jo könnte nie DBärfing dazu 
rathen, das würde ein Baͤrſing mit der tiefiten In- 
dignation zurückweiſen, da würde ein Bärfing nicht 
Anſtand nehmen, e8 einen Betrug zu nennen; bier 
aber handelt e8 fih um die Reproduktion eines Do- 
cumentes, welches bereits erijtirt hat, welches ung 
gehörte, welches wirkliche und gefertigte Anjprüche 
in unjere Hand gab; wir haben es niemanden ent- 
lockt, Niemanden abgezwungen; wir wurden aus 
freien Stüden eingeladen e8 anzunehmen, und es 
ift aud nicht unfere Schuld, daß es währeud der 
traurigen Revolution vernichtet wurde. Die traurige 
Revolution hat außerordentliche Situationen ge— 
Schaffen, welche die Menjchen in außerorbentliche 
Umſtände verjetten, in welchen mann wieder zu 
außerordentlichen Handlungen genöthigt war. Wie 
viele Menſchen famen zum Beijpiel in die Lage, auf 
Grund falſcher Wechjeln und durch faljche Gläubi- 
ger ihr Vermögen jequeftriven zu laſſen, weil e8 fonft 
fonfiszirt worden wäre. War dies nicht etwa Feine 
pia fraus ? Und machte die Welt ihnen einen Vor— 
wurf daraus ? 


— 109 — 


— Bon der Welt wollen wir nicht fprechen,. 
mein lieber Freund; die Welt hat ihre ganze eigen- 
thümlichen Anfichten, beſonders wenn es fih um 
Regierungsorgane handelt. Da ift e8 ber Richter, 
welcher beruhigt werben muß. 

Bei dem Worte „NRichter” Tegte Fertöy zu- 
fällig die Hand auf die Bruft, was Bärfing glauben 
machte, daß jein Freund den „inneren Richter“ meines. 

— Ah, ah, mein lieber Freund, mein Gewif- 
fen ift darüber nicht in Unruhe. Nicht die etlichen 
taujend Gulden die für mich legirt wurden, bewegen 
mich ; aber der Wille des verftorbenen ift mir heilig. 
Wir find die VBollitredung des Teſtamentes dem 
Todten ſchuldig. Könnte ich ruhig jchlafen, wenn ich 
Hargithay's legten Willen nicht erfüllt Hätte? Wie 
Toll ich einft in der anderen Welt vor ihm hin— 
treten ? 

Fertöy konnte fid) des Lachens nicht enthalten. 
Bärfing aber redete fich immer tiefer in eine empha⸗ 
tiihe Stimmung hinein. 

— Sie wiſſen mein geehrtefter Freund, daß 
dieſes Zeftament nicht blos uns intereffirt, ſondern 
auch gemeinnügige Anftalten betrifft; Schulen, Kir⸗ 
chen, Spitäler und Armenhäufer. Ich finde in diefer 
Sache eine moralifche Größe. 

Bei dieſen Worten ſprang Baͤrſing von feinen 
Site auf, damit feine moraliſche Größe deſto grö«- 
Ber fei. | 


— 110 — 


Jetzt aber lachte Fertöh unmäßig. 

— Nicht von dem Gewiffen fpreche ich, mein 
Tieber Freund, das geht die Pfaffen an; ich meine 
Die weltlihen Richter. Ein folcher Spaß kann unter 
Umftänvdenztheuer zu ſtehen fommen. 

— Aber dieje Umftände fönnen eben nicht ein- 
treten, wenn wir alle Vorſichtsmaßregeln genau beo- 
bachten. Den Text des Teſtamentes habe ich gejchrie: 
ben, er iſt bei mir in erſter Abjchrift vorhanden, es 
wird daher gar fein Unterfchied fein. 

— Aber die Unterjehrift und die Siegel ? 

— Dezüglich zweier find wir glaube ich ge: 
fichert. 

— Vielleicht, aber die übrigen drei? 

— Die find ebenfalls am Leben.) 

— Aber dieſe wollen Sie doch nicht in die 
Sache einweihen ? 

— D nein. Aber fie können Lnterjchrift 
nnd Siegel ohne ihr Wiffen auf ein Document 
ſetzen. 

— Auf welche Weiſe? 

— Die werde ich Ihnen ſogleich ſagen. Sie 
richten in einem Schreiben an die drei abweſenden 
‚Zeugen die Trage an dieſelben, ob fie feine Kennt— 
niß davon haben, daß Barfing das fragliche Docu— 
ment in das Archiv hinterlegt, dann aber wieder 
aus demjelben herausgenommen habe. 


— 111 — 


Sie hätten gegründeten Verdacht, daß Barfing 
Kenntniß davon habe, wo das Tejtament fich befin- 
det und fich dieſes Geheimniß theuer bezahlen Taf- 
fen wolle. 

Fertöy lächelte darüber, wie Bärfing ihm den 
Rath gab, wie er ihn zu verleumden habe. 

— Diefe werden dann antivorten, daß fie von 
der Sache nichts wiffen. Dann gibt e8 einen vor- 
trefflichen Kopirer der die Unterſchriften ganz nach 
Belieben aufs Papier fegen Tann.’ 

Vertöy wußte wohl, daß dieſer geſchickte Menſch 
niemand Anderer als Bärfing felber fei, war aber 
doch jo boshaft, zu fragen, ob er nicht bejorge, daß 
diefer Abjchreiber ihn verrathen fönne. 

— O, bezüglich dieſes Menjchen bin ich außer 
Sorgen, und was die nothiwendigen Siegel betrifft, 
jo werben dieſe auf ven Briefen fein, vie Sie erhal- 
ten, und Sie werden dieſe mit der Schere ablöfen. 

— Das ift ja eine vollitändige Fälfchung. 
Geben Sie mir zwei Wochen Zeit, dieß zu überlegen, 
dann werden wir über die Sache ausführlicher fpre- 
hen. Bis dahin werde ich vielleicht eine weniger ge- 
fährliche Löſung herbeiführen, 

— Die, glauben Sie vielleicht, fih mit der 
jungen Fran verjtändigen zu fönnen ? 

— Ich bin deffen gewiß. Haben Sie ſchon 
gehört, daß Judith ein Sähnchen geboren ? 


BE 


— Ah rief Barfing mit Schabeufrende und 
biß mit feinen großen Zähnen ein Stüd feiner Zi- 
garre ab. Ein prächtiger Skandal, ein Föftlicher 
Skandal! 

— Barum ein Skandal? | 

— Eine Wittwe! e8 find ja bereits vierzehn 
Monate verftrichen, feit dem Laͤway geftorben. 

— Ah, ſo? 

— Wer wohl der Vater des Kindes ſein mag ? 

— Ich Fenne ihn. 

— Wer könnte es wohl fein ? 

— Da Sie mich in ihre Geheimniffe einweih⸗ 
ten, fo will ich Ihnen auch mein Geheimniß mitthei- 
fen, aber id) bitte Sie, dieſes eben ſowohl zu bewah- 
ven, wie ich das Ihre bewahre. 

— Daß ift ganz natürlich. Wer mag alfo der 
Bater des Rinpleins fein ? 

— Niemand anderer, als der Gemahl Judith's 
Alla Laͤway! 

— Ah, feit vierzen Monaten ! 

— 3a wohl, feit vierzen Monaten hält fie ihr 
in ihrer Wohnung verborgen und [pielt vor ber Welt 
die Wittwe, die Courtifane. 

— Ah, das ift nicht möglich. Es. ift nicht 
möglich, daß eine Frau den Hohn und Spott ertrage, 
der von allen Seiten auf fie einbringt, wenn fie ihn 
nicht verdient, blos um ... 

— Blos um die Spürhunde irre zu leiten. 


— 113 — 


Herr Barfing biß jest feine Zigarre in der 
"Mitte entzwei und klagte dag man Katenenhaare in 
Die Zigarre wide, 

— Ih wußte e8 längſt, fuhr Fertöy fort, 
und ich wollte blos das Ereigniß abwarten, welches 
ich vorhergejehen. 

— Und Sie nehmen nit Rache an Laäͤway? 

— DO nein! Es gefällt mir außerordentlich, 
daß fie einander jo lieben. Sch bitte Sie daher ehr, 
‚mein Geheimniß nicht zu verrathen. Trüben wir 
nicht ihr Glück, zerſtören wir nicht das Nejt ver 
Nachtigallen. 

— Es wundert mid, daß Sie vem Burſchen 
jo wohlwollen. 

— Mid aud. Aber jehen Sie, e8 gibt Ge- 
fühle, die man beſchützen muß. Ein folch edles Ge— 
fühl ift die Liebe Judith's fir ihren Mann. Sie 
opfert ihre Stellung, ihren Auf für ihren Mann; 
würde fie nicht vielleicht einen Prozeß wegen eines 
Vermögens aufopfern, in deſſen Befi fie noch 
nicht war ? 

Baͤrſing fing jest an, Etwas von der Groß— 
muth Fertöy’8 zu begreifen. 

— Rache thut mir viel weniger Noth als 
Geld. Was würde ich gewinnen, wenn ich Bela’s 
Verſteck verriethe ? Vielleicht gelänge e8 ihm, fich zu. 
flüchten, und fehlieglich wird eine Amneſtie auch auf 
ihn fich erſtrecken. Aber ich muß ihn zwingen vor mir 

Andere Zeiten, anbere Menſchen. III. Band. 8 


— 114 — 


zu ericheinen. Dazu habe ich einen worzüglichen 
Plan. Ich werde fie zu zwingen wiffen, daß fie mir 
eingeſtehen: „Wir find beifanmen.” Dann halte ich 
fie in meiner Hand. Dann werde ich zu Judith jagen: 
Sehen Sie, e8 it bejfer, mit mir in Freundſchaft 
als in Unfrieden zu leben. Ich könnte Sie jett in 
endloſe Gefahren jtürzen, aber ich thue es nicht. 
Gleichen wir uns aus. Der Preis meiner Freund— 
ichaft ift ein Ausgleich bezüglich des Zeftamentes. 
Und Judith wird daveinwilligen. 

Baͤrſing ſchüttelte ven Kopf. 

— Glauben Sie mir, fo fiber als ich dieſes 
Weib und diefen Mann haffe, jo ficher ift es, 
daß fie für einander zu der tolliten Großmuth 
bereit find. 

Barfing ſchickte fih zum Gehen ar. 

— Bon Ihrem Plane in zwei Woden; big 
dahin bleibt mein Geheimniß unter uns, 

Die beiden Ehrenmänner brüdten einander 
die Hände und gelobten fich gegemfeitig, zu ſchweigen. 

Was während diefen zwei Wochen gejchehen, 
das fonnte Barfing nicht erfahren, eines ſchönen 
Morgens aber erhielt er ein forgfältig werfiegeltes 
Paket von Fertöy. In den Paket waren drei Briefe, 
ein vierte war von Fertöy. Fertöy ſchrieb ihn, daß 
er in die Neproduftion dev Documente nicht ein- 
willige. Herr Bärſing könne aus den beigelegten 
drei Briefen erfchen, daß die Zeugen von den weites 


— 15 — 


ren Phafen des Teſtamentes nichts wilfen, den Plan 
bezüglich Judith's habe er ganz fallen gelaffen, deſ— 
jenungeachtet willige er durchaus nicht in den Plan 
Baͤrfing's. 

Baͤrſing wußte nun, woran er ſei. Fertöy 
hatte ſoviel Aufmerkſamkeit, um die Siegeln an den 
drei Briefen nicht zı verlegen; feinen Namen aber 
ſchrieb er, entgegen feiner Gewohnheit, jo deutlich 
als möglich. 

Auch er kannte feinen Dann. 


Er wußte, daß er Bärfing nur die Mitteln in 
die Hand fpielen müffe, damit er von denſelben Ge— 
brauch mache, Und er täujchte fich auch nicht. 

Nach einigen Tagen wurde Fertöy von beit 
betreffenden Amte in Kenntniß gefett, daß das Do— 
cument dur Bärfing im Originale vorgewiejen 
wurde. 

Jetzt hatte Fertöy nur eine Beſorgniß, und er 
ſäumte auch nicht, diefe feinem Freunde bei jeiner 
eriten Begegnung fogleich mitzutheilen, ob er näm— 
(ich das Teftament auf geſchöpftes Papier ge- 
jchrieben. 

(Denn wenn er zufällig auf Mafchinenpapier 
gefchrieben, dann kann das Donnerwetter in bie 
Geſchichte ſchlagen, denn Die Zeugen würden ben Un— 
terſchied fofort erfannt haben.) 

Baͤrſing blinzelte pfiffig mit den Augen. 

8* 


— 116 — 


— Ueber folche Kleinigkeiten pflegt ein Bär- 
fing nicht zu ftraucheln ! 

Das Teſtament wurde allerdings auf geſchöpf— 
tem Papier geſchrieben, und ein ebenſo großer zwei? 
föpfiger Adler prangte in der Mitte des Falſifikates, 
wie jener auf dem Originale, was jeinerzeit den 
Zeugen den Ruf entlodte. 

„Was für großer Adler !" 

Man hat Bekannte, die man alle drei Jahre 
einmal fieht; man freut ſich außerorventlich, und 
wenn man von einander fcheidet, jo zerbricht man 
fich ven Kopf darüber, was jener wohl für Urjache 
gehabt Haben mochte, Einen zu befuchen. 

Eine folhe Bekannte hatte die alte Laͤvay an 
ver Heinen Perfler. 

Manchmal jahen fie fih kaum Yahrelang, 
dann befragte man fich gegenfeitig nach dem Befin- 
den ; die Blum erfundigte ſich nach dem Söhnchen 
der Frau Laͤvay, das mittlerweile fich zum Advofaten 
herausgewachſen, und Frau Laävay erfundigte fich nach 
dem Befinden der drei Fräulein der Frau Blum, 
welche fich mittlerweile auf fieben vermehrt hatteır. 

Im Jahre 1849 fahen fie fich einander öfter, 
denn Frau Blum Fam oft zu Seraphine ; in ven Noth- 
tagen lebte die längjt vergefjene Bekanntſchaft wieder 
auf, um mit der Zeit wieder einzufchlafen. 

Ihr Zufammentveffen befchränfte fich dann 
6108 darauf, daß Frau Laͤvah zuweilen, von ihrem 


— 117 — 


Obſtgarten fommend, an dem Garten der Frau Blum 
vorüberging und bei diefer Gelegenheit ein Gruß 
gewechjelt wurde. Die alte Frau hatte Feine Lujt, fich 
in einen längeren Diskurs einzulaffen; drinnen war 
gewöhnlich geputte Gejellfchaft, in welche fie mit 
ihrem einfachen Kleide nicht gepaßt haben würde. 
Aber fie war zu jolcher Zeit auch müde, denn fie 
hatte dem ganzen Tag über gearbeitet wie ein Tag— 
löhner. 

Eines ſchönen Sommertages Fam die Perflex 
in den Garten der Frau Lävay; fie kam in Beglei- 
tung eines alten Beamten, der nicht ungariſch wußte; 
Frau Lävay aber verſtand nicht deutſch. 

— 3 fonnte e8 nicht über mich gewinnen, 
Sie nicht zu befuchen, jo verlodend winfen Ihre 
Ihönen Obftbäume. Dei miv wollen fie nicht vecht 
gedeihen, obgleih mein Gärtner alles mögliche 
aufbietet. N 

— Mein Gärtner aber macht es folgender 
Weiſe; ich fomme im Frühling in den arten und 
rühre fleißig die Hände, und ruhe nicht bis im 
Spätherbit. 

— 3a, dies find allerdivgs hübfche Reine- 
Claude’s; ih glaube nicht, daß fie in Verſailles ſchö— 
ner find, „Nicht wahr, Herr Gruber ?“ 

— Ja wohl antwortete Herr Gruber, der 
übrigens gar nit wußte, wovon die Rede war. 


— 113 — 


Fran Lävay fette ihren Gäjten ein Körbchen 
voll reifer Pflaumen vor. 

— Aber meine Melonen find Schöner, jagte 
die Blum, als fie zwifchen ven Melonenbauten ſpa— 
zirten ; ich habe jchon reife Melonen, und bejonders 
die Marfeilfer, die find jo ſüß wie Zuder. „Nicht 
wahr Herr Gruber ?* 

Herr Gruber merfte an dem Geſichtsausdrucke 
der Sprecherin, daß von irgend einer guten Speije 
die Kede jein müffe, und nahm daher nicht Anjtand, 
ein ganz entjchievenes „Ja wohl" zu jagen. 

— Freilih, antwortete die alte Frau, bei 
Ihnen werden die Melonen in Miftbeeten ge- 
pflanzt und unter Glasgloden gejtellt, daher reifen 
fie früher, al8 bei mir, wo fie allem Wind und 
Wetter ausgejett find. Dafür entfalten fie fich deſto 
beſſer und find nur um jo ſchmackhafter zu ihrer Zeit. 

— Ad, wie gut die meinen find, davon ha— 
ben Sie gar feinen Begriff. Ich habe eine Ananas 
melone, die einen folchen Geruch verbreitet, daß man 


ihn noch am folgenden Tag im Zimmer wahrnimmt. 
Dann habe ich eine Turkiſtaner Gattung, die ein 


vollitindig weißes Fleiſch hat, und lauter Saft und 
Süßigkeit ift. „Nicht wahr Herr Gruber ?" 
Dies war die ſchwache Seite der alten Fran. 
— Mit riffiger Rinde? 
— D nein, fie ijt jo glatt wie ein Kürbis; 


— 119 — 


fein Dieb würde fie ftehlen, jo anfpruchslos ſieht fie 
aus. Sie haben Feine jolche ? 

— Ad nein, fagte Frau Laͤvay halb traurig, 
‘halb beſchämt. 

— Num die müfjen Sie doch verjuchen; ma— 
hen Sie mir morgen das Vergnügen Ihres Beju- 
es in meinem Garten. 

— Ich danke jehr, ich werde ein Körbchen 
Pflaumen mitbringen. 

Sie mochte nichts ſchuldig bleiben. 

Frau Blum fand e8 nicht überflüßig zu bemer- 
fen, daß Niemand außer ihr und Herrn Gruber an: 
weijend fein werde. Bor Herrn Gruber aber könne 
man alles Mögliche Iprechen. 

Herr Gruber verjtand aber von der ganzen 
Konverſation doch jo viel, daß er das Feine Körb- 
chen voll Pflaumen nach Haufe tragen müſſe. 

Nachdem vie alte Fran jchlieglich ihren Gä— 
ften alle Obſtbäume gezeigt hatte und von jever 
Obſtſorte einige Stüde mit auf den Weg gegeben, 
begleitete fie diejelben bis an die Straße, kehrte dann 
in den Garten zurüd und fing nun an, darüber 
nachzudenken, was wohl die Blum zu dem Beſuche 
veranlaßt haben mochte, und warum dieje fie zum 
Beſuche eingeladen. Sch habe fein Geld, fagte fie ich, 
mit welchem ich wuchern könnte, ich habe feine vor- 
nehmen Verbindungen, und nicht einmal einen Sohn 


TO 


habe ich, welchem zu Liebe man fich um meine Freund 
ſchaft bewirbt. 

Bei dieſem letzten Gedanken verweilte fie. 

Wäre dies oder jenes gejchehen; hätte fie 
och Bela zum Ingenieur erzogen; hätte fie doch 
eine Frau für ihn gefucht; wären fie doch nicht in 
die Stadt gefommen, wären fie nur fchlichte Land— 
leute geblieben, wenn nur Bela nicht in den Krieg 
gezogen wäre; wäre er bei der National-Garde ge- 
biteben ; hätte er fich doch zu feiner Mutter geflüch- 
tet; hätte er nur eine Frau gehabt, die ihm Gnade 
zu erwirfen im Stande wire — dann jtünde auch 
ſie nicht fo verlaffen da, 

Zum Glück fuchte Niemand ihre Gefellichaft, 
und erfährt fie daher auch nicht, was für einen Auf 

ie Wittwe ihres Sohnes hat. 

Am folgenden Tage legte fie doch Feſtkleider 
an und befuchte die Heine Perfler in ihrem Garten. 

Die fleine Iuftige Frau empfing Frau Laͤvay 
ſehr herzlich, und in der That war im Garten Nie— 
mand außer dev Gejelffchafterin und Herrn Gruber 
anweſend. Frau Blum unterhielt die alte Fran ganz 
vorzüglich ; fie trug ihr nicht nur friſches Obſt, ſon— 
dern auch frifchen Tratſch auf, den bejahrte Damen 
niemals unwillig anhören. 

Der Bräutigam des Fräulein X. machte jich 
vor der Trauung aus dem Staube, weil er hörte, 
daß fein zukünftiger Schwiegervater dem Ruine nahe 


— 121 — 


jei. Herr Y. wurde irrſinnig und lief unbekleidet 
durch die Straßen. Bei einer Trauung habe nicht 
die Braut, fondern der Bräutigam geweint. Herr Qu. 
ließ feine Frau einen Eid ablegen, daß fie ihm nicht 
untreu geworden. Ein vierfchrötiger Bauer habe 
Herrn R., den er in feinem Gehege gefunden, tüchtig 
durchgewalft. Ein vornehmer Herr habe feine Köchin 
geheirathet und jegt wolle ihn Niemand bejuchen, 
Ein alter Junggeſell wollte eine alte Wittwe heira= 
then, die ihm zurückwies; er heirathete dann die 
Tochter. Hundert derlei Gejchichten erzählte Frau 
Blum, und die gute alte Frau gab fich bereits dem 
Glauben hin, daß der geftrige Befuch und die heutige 
Unterhaltung feinen andern Zwed, als eine harm— 
loſe nachbarliche Zuſammenkunft hätten, 

Plöglich aber führt eine Chaiſe in den Hof, 
und bald tritt Herr Fertöh ind Zimmer. 

— Was für Wetter hat den Men’chen hieher 
gebracht, flüjterte Frau Blum der alten Frau zur. 
Laut fagte fie dann: Ah, Herr von Fertöy. Eine 
Unenblichfeit, ſeitdem ic) das Vergnügen hatte, Sie 
fommen gerade recht. Wir haben heute die Melo— 
nenleſe. 

— Ihr ergebener Diener, meine Damen; ich 
küſſe die Hände, meine ſchöne Gnädige. Mein Weg 
führte mich vorüber, und ich konnte es nicht über 
mich gewinnen, meine Freunde nicht zu beſuchen. Bin 
jehr erfreut, auch Frau Yavay bier zu finden, 


= IE 


Fertöy fette ſich hierauf an den Tiſch und 
nahm von der angebotenen Melone. 

— Im Grunde find wir doch Verwandte, 
fagte er, zu Frau Yavah gewendet, aber weiß Gott, 
unfere Verwandtſchaft geht arg in die Brüche. 

— Nicht, daß ich wüßte, entgegnete Frau La- 
vay kalt; wenn auch mein armer Sohn geftorben ijt, 
Lebt doch meine Schwiegertochter, die jeinen Namen 
führt. Sie efjen die Melone mit Zucker, verjuchen 
Sie fie lieber mit Sal;. 

— Ich danke. Ich weiß wahrhaftig nicht wie 
lange fie ven Namen nod) führen wird. 

— So Lange e8 ihr gefällt; bis fie heirathet. 

— (68 ſcheint daß Sie lange nichts von Judith 
gehört haben ? 

— Ich leje die Zeitungen und diefe loben fie 
ungemein. 

— Will hoffen, daß ſie nicht ihr Privatleben 
preiſen. 

Die alte Frau kannte das Verhältniß zwiſchen 
Judith und Fertöy und war daher nicht überraſcht, 
daß er fi) lieblos über fie auszufprechen anſchickte. 
Sie war entichloffen Judith zu vertheidigen. 

— Ach, von Schaufpielerinen erzählt man fich 
gar mancherlei, woran Fein wahres Wort ift. Eine 
andere Frau kann thun was fie will, eine Schau- 
fpielerin aber wird erbarmungslos verleumdet. Ue— 
brigens wenn Sie jo große Luſt baben zu kehren, jo 


— 123 — 


werden Sie wohl vor Ihrer eigenen Thüre zu keh— 
ren finden; nicht wahr, Herr Gruber ? 

Die Heine Blum fonnte fih vor Lachen kaum 
halten, und ſchob die Urjache ihrer Heiterfeit Herrn 
Gruber zu, welcher in jeiner Verlegenheit über das 
unveritandene Thema nicht fogleich mit feinem „Ja 
wohl" herausrüden konnte, und an einem Biſſen 
Gantaloup beinahe erſtickte. | 

Herrn Fertöy erging es wie der Brillen: 
Ichlange, deren Kamm immermehr anjchwillt, je 
mehr fie gereizt wird. 

— Es ijt wahr, daß man den armen Schau— 
jrielerinen vieles nachfagt, woran fie gewöhnlich un- 
ſchuldig find; dennoch bin ich meinerjeits kaum ge- 
neigt zu glauben, daß ficd) die olympiſche Fabel Iu- 
no's und ihres Sohnes Mars, Judith zu Liebe, 
wiederholt haben follte, 

— Sie wiffen es gut, mein Herr, daß ich 
mich anf die lateinischen Fabeln nicht verſtehe und 
demnach auch nicht wiſſen kann, wie e8 der Juno’ 
ergangen. 

— Die Gefhichte ift einfach. Juno roh an 
einer Blume und gebar davon ihren Sohn Mars, 

Die alte Frau legte das gläferne Meffer, wel 
ches fie zu ihrer Melone benütte, auf den Tiſch und 
frug bedächtig: 

— Was ſpricht der Herr da. 


— 


— Sollten Sie keine Kenntniß davon haben, 
daß Judith dieſer Tage einen Sohn gebar? 

— Nein, nein; das kann nicht ſein! .. rief die 
alte Laͤvay aufgeregt, mit der flachen Hand auf's 
Tiſch klopfend ... das iſt nicht möglich. 

— Und dennoch iſt es ſo. Judith verſuchte es 
nicht einmal die Sache zu verheimlichen, denn ſie 
hat ihr Kind bei ſich behalten und zeigt es einem Je— 
den, der ſie beſucht. 

— Das iſt ja fürchterlich, wenn das Warheit 
iſt! ſtammelte die alte Frau mit bleichem Geſichte ... 
Es ſind bereits vierzehn Monate her, daß mein Sohn 
Bela geſtorben. 

— In der That es ſind vierzehn Monate, und 
das Geſetz gibt nur auf eilf Monate Kredit. 

— Wenn es wahr wire? murmelte die Alt, 
und wollte nod immer nicht glauben. 


— Man kann fih am beiten überzeugen, 
wenn man hingeht und mit eigenen Augen jieht. 

— Ha, ha, Sie haben Recht ; ich werde gehen. 
Gleich will ich mir meinen Paß verfchaffen. Aber 
der Herr muß auch mitkommen. 

— Jedenfalls. Und wenn fich meine Behaup— 
tung bewahrheiten follte, was dann? ... 

— Ich weiß es noch nicht was gefchehen wir. 
Vielleicht werde ich wahnfinnig. Vielleicht reife ich 
ihr die Brut aus den Armen, und erwürge fie vor 


— 125 — 


ven Augen ver Mutter; vielleicht tödte ich fie und 
auch mich. 

— Diele Thorheit werden Sie wohl nicht be- 
‚schen, fondern Sie werden Judith zwingen, dem Na— 
men, welchen fie geführt und entehrt hat, zu entjagen. 

— Sie haben Redt, ich habe nunmehr nur 
mit dem Namen, und nichts mehr mit der Perfon zu 
thun, ich werde mit kaltem Blute zu ihr fprechen.... 
fie muß fhriftlich dem Namen meines Bela's entfa- 
gen... . dann werde ich fie verachten und verlaf- 
fen... . doc nein, nein! Ich will Xeute für Geld 
Dingen, welche ihr, wenn fie im Theater auftritt, 
einen Zwiebelfrang zu den Füßen werfen, und fie 
‚auspfeifen. 

— Bleiben wir nur bei unferem erjten Plane. 
Sie werden ihr Ihren, und ich ihr den Namen der 
Familie Hargithay entziehen. Wir wollen vereint 
handeln, die Hand darauf. 

Frau Laͤvay drückte bie Hand ihres ärgſten 
Feindes und gab ihm das Verfprechen, ihn bei je- 
nem böjen Werfe behilflich zu fein, welches ihr Lieb- 
jte& zu vernichten drohte ; der Zorn, die Scham hatte 
fich ihrer ganzen Seele bemädhtigt. 

Sie vermochte nicht länger in diefer Geſell— 
Schaft zu verweilen, und ſchickte fich zum Gehen aıt. 

Die Blum hielt fie zurüd. 

— 68 foll ja erft das Gefrorene kommen. 

— Dante, bin bis in meine Seele erfroren. 


— 126 — 


Die Hausfrau machte Herrn Fertöh Vorwürfe. 

— 68 war unrecht, das jett zu erwähnen. 
Sie haben ung unfere ganze Unterhaltung verborben. 
Wir fühlten ung jo wohl, bis Sie nicht famen, Sie 
böfer Menſch. 

— Laſſen Sie ihn... . unterbrach die alte Laͤ— 
vay die geſchwätzige Hausfrau, und legte ihre Hand 
auf vie Schultern Fertöy's. .. Er ift der einzige aufs 
richtige Menfch, mein einziger wahrer Freund, Alle 
andern haben mid) belogen, haben mir die Wahrheit 
verheimlicht, bis mir dev Koth über den Kopf wuchs ; 
das ift der einzige redliche Mann, welcher mich he— 
rauszog . .. . Sch danke Ihnen mein Herr, danke 
Ihnen. Ich habe Sie nie leiden mögen, habe Sie 
jtet8 gemieden ; von heute an achte ich Sie als mein 
einzigen guten Freund. 

Damit ſchwang fie ihr großes Tuch um den 
Hals und jchickte fich an, zu gehen. 

Die Blum wollte fie zurüdhalten, äußerte 
ihr Bedauere, daß e8 fo gefommen... . Ich möchte 
es nicht für die ganze Infel geben, wenn ich Sie für 
heute nicht gerufen hätte, ... welch ein Unglüd. 

Im Gegentheil bin ich Ihnen ſehr verpflich— 
tet, daß Sie mich geladen, ich freue mich außeror— 
ventlich darüber ; nie werde ich Ihnen biefe Freund— 
lichfeit vergeffen, Gott jegne Sie dafür. Die Melo— 
nen waren prächtig, doch werde ich mir feinen Sa— 
men evbitten. 


— 127 — 


Damit ging fie geraden Weges in die Stadt. 

Es brühten alle bitteren Gedanken in ihrer 
Seele; fie bemerkte gar nicht, wenn fie Jemand auf 
der Gaſſe gegrüßt, Heine Buben, ihre Tauffinderchen: 
küßten ihr die Hände, aud) die ſah fie nicht, fie fchritt 
nur vorwärts, bis fie auf ben Dreifaltigfeitsplag 
fant. Dort ſchaute fie fid) um, wo denn jenes Amt 
fein ſoll, allwo fie einen Reiſepaß fich holen müffe.. 

Sie wollte nicht herumfragen, und von ſich 
felbft fand fie uicht dahin. Andere Zeiten, andere 
Menfchen find über die Stadt gefommen, mit denen 
fie nicht einmal Sprechen konnte. 

Wie fie da herumfpähete, da fieht fie ihren 
alten Bekannten, ven Herren von Kolbay, das alte 
Haus, vom englifchen Garten her auf fie zukommen. 

Sie eilte ihm entgegen. 

— Nun freue ih mich wirklich, daß ich 
meinen guten Herrn treffe. Sie fommen mir wie 
gewünſcht. 

— Wirklich? frug der alte Herr; ſehr erhei— 
tert über ven Gedanken, daß es noch ein lebendes 
Wefen auf ver Welt gibt, das fich darob freut, went. 
e8 ihn kommen fieht. Und womit könnte ich Ihnen 
dienlich fein, gute Frau ? 

— Das werde id) Ihnen ſchon jagen, wills 
aber nicht hier auf der Gaffe thun. Will Sie um. 


— 123 — 


«eine Gefälligfeit bitten: kommen Sie zu mir ins 
Haus, bort werd ich’8 erzählen. 

— Mit taufend Freuden! Hätte mir’ nie ge: 
dacht, daß ich noch eine Gefälligfeit Jemandem zu 
erweifen fähig fei. Eilen wir denn, doch iſt mein 
Haus noch näher, wir könnten da von der Garten 
feite gleich Hingelangen : dort Fünnten Sie mir er— 
zählen, was Sie befehlen. 

— Auch gut. 

Dean konnte vom englischen Garten aus näch— 
jten Weges in das Haus Kolbay's gelangen, deſſen 
Gartenfeite auf jener Gaſſe lag; ver alte Herr 
machte die Thüre des Planfens auf und ließ Frau 
Laͤvay voran. 

Ein trauriger Garten war das: eben fo alte 
verwitterte Bäume, wie ihr Herr, gerade fo zerjchnit: 
ten, zerfägt; Feiner bringt mehr eine Frucht, nur an 
ihren Seiten wachjen noch krankhafte, welfe Waſſer— 
triebe ; auch das Gras will darin nicht mehr grünen, 
und die Blumen wollen nicht Knofpen treiben, nur ein 
mächtiger Epheu läuft herum mit feinen Ranken über 
"Mauer, und dürre Birnenbäumte, vielleicht ein Spröß 
ling aus dem Helvenfranze des tapferen Reden, ver 
fortwächft in die Jahre hinein, damweil das Andenken 
der Thaten des Helden in Staub zerfällt. 

Dort war eine Laube aus Serichorofen, darin 
ein morſcher Tiſch, und eine wadelige Bank; dort 
hieß er Frau Lavay fich nieverzufeten. 


— 129 — 


— Ich weiß e8, daß Sie lieber im Garten 
bleiben. (Wollte fie nicht in die Zimmer führen ; bort 
gibts Unordnung !) | 

— Danfe: wünjche mich wirklich zu ſetzen, 
obwohl nicht müde; aber meine Füße find wie Blei. 

— Alfo womit fann ich Ihnen zu Dienften 
jteben ? 

— Das iſt eine ſchwere Sache. Will morgen 
nad Peit : wollte einen Reiſepaß haben ; mich eckelt's 
aber hinzugeben in das Amt, dag man mich dort 
bin und her ftoßen joll, und herumfragen: kann gar 
nichts deutſch; daß man mich auslache. Es könnte 
noch Jemand mit mit grob jein, und den würde ich 
recht ausmachen. 

— Alſo Sie wollen, daß ich Ihnen einen Paß 
verichaffe, ohne daß Sie perfönfich Hinfonmen ? 
Nichts leichter als das. 

— Wolfen Sie's thun, mein guter Herr? der 
liebe Gott fegne Sie dafür. 

— Warum ſollt' ich’ nicht thun; bin ja gut 
befannt mit all ven Herren ; fojtet nur ein Wort von 
mir. Alfo wollen Ste nach Peit ? 

— Ja. Nur auf einem Tag. 

— &o werden Sie doch befuchen Ihre Tiebe, 
Brave, gute Schwiegertochter ? | 

— Lieb ? Bravo ? Gut? Und Schwieger- 
tochter? fagte bitter die Frau, warum fagen Sie 

Andere Zeiten, andere Menſchen. IU. Band. 9 


— 130 — 


nicht auch noch: „jened tugendpfame. Weib ?' 

— No! Was ift das, frug der Major höchſt 
erſtaunt. 

— Ja wohl; ich will beſuchen dieſes — Weibs— 
bild! aber meinen Beſuch wird ſie nicht unter ihre 
Feiertäge notiren. 

— Nur Ruhe! Nur nicht ins Feuer kommen. 

— Was Feuer? Gift habe ich bis hieher! 
Bis in die Haaresſpitzen. Ja wohl, zu ihr will 
ich, aber um Gericht zu halten, ein ſchreckliches 
Gericht. 

— Gute Frau, ich weiß nicht was Sie gegen 
Ihre Schwiegertochter haben ? daß e8 aber eine Unge— 
rechtigfeit ift, jowiel weiß ich. E8 giebt wenig Weiber 
auf der Welt, vor denen ich den Hut ziehe: bei ihr 
thue ich e8, wenn ich nur ihren Namen höre. Ich weiß 
wicht, wontit man fie bei Ihnen verläumdet Hat, aber 
ich jage e8 Ihnen, daß wenn ich es als greifbare 
Wahrheit in den Händen hätte, jo würde ich fageı, 
eine Lüge iſt's, ich glaube es nicht, jelbft wenn ich 
e8 ſehe. | 

— Mein Herr! Kleinigkeiten bringen mich 
nicht auf; ich gehe feinem Geklatſch nach; aber diejes ift 
eine jo unverhüllbare Schande, was dieſes Weibsbild 
anf mein granes Haupt, auf das Grab meines Bela 
gebracht, daß ich mich fürchtete mit meinem lieben 


— 131 — 


Sohn. im Jenſeits zujammenzutreffen, wenn ich 
es nicht jtrafen jollte. 


— Ich frage nicht darnach, will e8 auch nicht 
hören, was man Ihnen erzählt haben mag; ich fehe 
blos das Bild vor mir, wie id) fie zum letztenmal 
gejehen. Das Weib,welches fähig war auf jenen Ge— 
danken zu kommen, und jelben jo auszuführen; das 
wird feine Schande auf das Grab ihres Mannes 
bringen. Man betrog Sie, arme Frau, 


— Nein. Es iſt Gewißheit. 


— Erinnern Sie ſich noch daran, gute Frau, 
wie ich einft von Ihnen ein Bündel Stroh verlangte 
— zu einem Sit in dem Bauernwagen; da fagten 
Sie mir: „ich gebe feines; ein andersmal einen 
Sad voll Saffran, jett feinen Strohhalm, denn Sie 
wollen auf Menjchenjagb gehen. Ich warne Sie , 
gehen Sie nicht, denn Gott verleiht demjenigen fein” 
Glück, der feinen Mitmenjchen verfolgen geht. Es 
geſchah fo, wie Sie mir gejagt. Gott hat mich ges 
züchtigt dafür, daß ich auf die Verfolgung eines 
Menjchen ausging. Ich ſelbſt fiel in die Falle hinein, 
man ſchimpfte mich herunter, wie einen Schuljungen, _ 
wie einen Deferteur, und ich mußte erleben, daß ich 
erröthen fol. — Nun gute Fran, jetst gebe ich Ihnen 
den Borg zurück: den guten Rath: gehen Sie nicht 
auf eine Menfchenjagd, denn e8 kann gejchehen, daß 


Sie ein anderes Wild erlegen, als welches fie jagten ; 
9* 


— 132 — 


nehmen Sie den guten Rath eines alten Mannes an, 
ver feine Urfache mehr hat Jemanden guten Rath 
zu urtheilen. Reifen Sie nicht nach Peſt; bleiben 
Sie zu Haufe. — Jetzt gebe ich Ihnen Fein Bündel 
Stroh — ich verichaffe Ihnen feinen Reiſepaß. 

— But: alfo werde ich mir jelbjt einen ver- 
Ichaffen : damit fprang die Yavay auf und ging ohne 
zu grüßen von bannen. | 

Kolbay rief ihr noch nach. 

— Frauchen! geben Sie Acht! Erinnern 
Sie fich meiner Menſchenjagd. „Wer das Reh jagt, 
trifft auf ven Löwen“ Sie werden Ihre Familie in 
großes Unglüd jtürzen. 

Doc) die alte Frau hörte nicht auf ihn, fie 
ſchlug die Thüre hinter fich zu, und eilte nach Haufe. 

Wie fie bei ihrer Thüre eintrat, da erwartete 

ſie Schon ihr Dienftmädchen mit einem Briefe, ven 
jo eben ein Diener überbracht hatte. 

Frau Lävay erbrach das Couvert. Es enthielt 
einen Reiſepaß für fie auf ein Jahr ausgeftellt. 

Herr von Fertöy war gefälliger, wie der Ma: 
jor, während dieſer die alte Frau abgewiefen, derweil 
hatte er den Reiſepaß für Sie beforgt und ins Haus 
geſendet. 

In einem Zimmerchen, deſſen Größe kaum 
fünf Schritte in der Länge und Breite betrug, deſſen 
Fenſter ſtets verhängt und wo der Stubenboden mit 


— 133 — 


weichen Teppichen bedeckt war, um den Schall der 
Tritte zu dämpfen, deſſen ganze Einrichtung aus 
einem Bette und einem Schreibtifche und Stuhl be- 
ftand, wohnte feit vierzehn Monaten in ftiller Zu— 
rücgezogenheit Bela Lävay. 

Es gibt Yeute, die dieſes Zimmer einen Ker- 
fer nennen würden. Es geht auf Eins heraus, ein: 
gejperrt zu fein hier oder dort, nur die Ausficht 
durch's Fenſter ſei verſchieden. 


Dem wirklichen Gefangenen geht es noch bef- 
fer, denn er darf ſich zweimal des Tages in der 
freien Yuft bewegen. 


Oder ift e8 etwa Fein Kerker, wenn Jemand 
aus jener Welt, in welcher er früher gelebt, ausge- 
ſchloßen wird; für Einen, der Freunde, anregende 
Unterhaltungen gekannt, ver von jeder Saifon weiß: 
„zetst gibt e8 Bälle, meine Freunde tanzen in den 
von Wohlgerüchen duftenden Räumen ihrer Säle 
Walzer und Polka; unter meinem enter aber wer: 
felt ein Yandftreicher, oder auch ein invalider Hon— 
ved ganz neumodiiche Werfen. Berühmte Virtuoſen, 
Künftler, Ballerinen tragen ihre Kunft auf ber 
Bühne zur Schau; Mimen afrikanischer und ande- 
rer Farbe deflamiren italienisch, franzöfiich und 
engliich ; und dieſer Eine darf nicht gehen, dieſem 
Einen it dies Alles wie aus feinem Leben heraus: 
gejtohlen. — Der Frühling rüdt an, er ijt da mit 


— 134 — 


all’ feinen Herrlichkeiten; dem Gefangenen verkün— 
det ihn nur der Monatsrettig; dann folgen die Bäl- 
le im Kaiferbade, das Wettrennen, er fieht nur die 
Programme von alledem. Die Leute geben auf Reis 
jen, in die Bäder, auf die Jagd und in die Wein 
leſe .. . er fitt ziviichen feinen vier Mauern und 
gewöhnt fi an's Sterben. 

Doch nein, es iſt nicht fo. 

Derjenige, welcher an ver Norbjeite ver Bäume 
das Moos wachen läßt. um dieſelben gegen ven 
rot zu jchügen, hat auch dafür gejorgt, daß Die 
Einwohner der Kerferzellen nicht dem Wahnfinne 
verfallen. 


Bei ven Bewohnern diefer Zellen. jchläft Die 
Leidenſchaft ein, fterben die Wünſche, und die Fantaſie 
eritarrt. Spiele, mit welchen fich draußen Kinder 
unterhalten, füllen die Seele des Gefangenen aus. 
Der nächſtbeſte Gegenjtand erregt fein Intereffe, ihn 
jtören die Sorgen der Außenwelt nit, ſchließlich 
gewöhnt. er fich dermaßen an feine vier Wände, daß 
er. fich fürchtet, von ihnen zu ſcheiden; daß er ſich 
einbildet, diefe vier Wände jeien fir ihn die ganze 
Welt. | 


Und erjt wenn diefe Welt einen Schußengel, 
wie e8 Judith für Bela war, befitt, wenn in dem 


Kerker ein neues Licht, Das Lächeln eines Kindes 
dringt ? der Gefangene brütet aus dieſem Lächeln 


— 155 — 


seinen ganz neuen Yebensplan, eine ganze Märchenwelt 
Heraus, Bela hatte nie an die Genüſſe ver verſchiede— 
nen Jahreszeiten gedacht; er war glüdlich in dem, 
was die Seelen der verjtorbenen beglückt, wenn 
fie nngejehen und ftumm ihre Lieben unfchweben 
fönnen. .... 

Es wird vielleicht Niemanden Wuuder nehmen, 
daß Judith nie die Gefchichte des Geleitſcheines, 
für welchen te fich einjt jo viel bemüht und gelitten, 
für welchen jie ald Todte im Sarg gelegen, Bella 
erzählt. 

Damals war e8 gut. Für Judith war es ein 
berubigendes Bewußtfein, für den Gatten eine 
Schrift errungen zu haben, welche ihn gegen vie 
größte Gefahr ſchützte; als aber ver Geliebte wieder 
ihr Eigenthum geworden, als fie ihn bejaß, als es in 
ihrer Macht jtand, ihm nicht mehr zu verlieren, wie 
konnte fie e8 gejtatten, daß er auf einen jo Schwachen 
Fahrzeuge fich dem wogenden Meere anvertraue, 
deſſen Ufer noch mit den Trümmern verunglüdter 
Fahrzeuge bevedt war? ... 

| 68 iſt ja allbefannt, daß es Yeute gab, Die ihre 
Schätze vergruben, und nicht das Vertauen hatten, 
dieſelben gegen eine gejchriebene VBerficherung herzu— 
Leihen, 4.4.% Iſt ein Gatte nicht ein theuerer Schaf, 
als alles Gold der Erde? | 

Viele von und werben fich jener Frau erin- 
nern, die ihren Gatten in ihrem Häuschen int Ge— 


— 136 — 


biete Peit-Dfens verborgen hielt; wo ihn Niemand 
fand jo oft man ihn auch juchte, trotzdem daß er ſtets 
zu Haufe geweſen ... aber wo ?Unter einem breiten 
Stein, in der Mitte des Herdes..., Wenn die 
Hausdurchſuchung Fam, hob fie den Stein ſammt 
den tarauf brennenden Holzicheiten auf, und der 
Gatte flüchtete in fein Berfted ; der Stein wurde an 
jeine Stelle gefetst, die Frau fochte mit fröhlichen. 
Gejichte weiter, während man den Gatten im Keller 
und am Boden juchte. 

Die Frauen können jehr jtark in ihrer liebe— 
vollen Eiferincht fein ! 

Es gab außerdem noch andere bedenkliche Um— 
jtände, welche jene Schrift nicht überwinden konnte, 
denn wenn auch Judith Beruhigung fand, daß das 
Leben ihres Gatten durch den Geleitichein geſchützt 
fet, jo blieb doch die Beſorgniß, daß man ihn zum 
Militär einreichen werde. Im günftigiten Falle 
mußte man darauf gefaßt jein, daß man ihn nach 
jeinen Geburtsort abjchiebe und dort internive. 

In diefen Falle hätte fie entweder von ihrem 
Gatten oder von der Bühne Abjchied nehmen müffen. 

Schließlich ſagen wir e8 aufrichtig heraus, 
daß fie fo viel verlodend Schönes in dem Gedanfen 
fand, daß nun Derjenige, ven fie jo lang, mit ſolcher 
Wärme und fo aufridhtig geliebt, nur ihr Allein 
und Niemand Anderem auf diefer Welt gehöre, daß Fein. 


— 137 — 


einziger feiner Gedanfen fich in die frivole Welt verir- 
ren fönne ; daß jener Mann, der ihre ganze Seele aus— 
füllt, ebenfo auf ihre Schritte, auf ihre Stimme 
lauſcht, wie fie einjt in ihren jchlaflofen Nächten auf 
feine Stimme, auf feine Schritte gelaufcht hatte; 
daß der vergötterte Gatte nnr, ihr ganz ihr gehört, jo 
wie das Kind ausschließlich ver Mutter gehört, bevor 
es das Licht ver Welt erblickt! ... 

Es liegt etwas in dieſem Gedanken, was die 
Männer nicht begreifen... . Judith war eben eine 
Frau, und wen ſich ein Mann findet, der fie deßhalb 
verurtheilt jo werden fie jedenfells alle Frauen frei 
Iprechen. 

Kur Melchior, der junge Arzt, war ing Ges 
heimniß eingeweiht. Er wußte zu fchweigen. 

An einem Morgen ſaß Judith an der Wiege 
ihres jchlafenden Kindes und ftriefte an einen winzigen 
Röckchen, als fie aus ihren ſüßen Träumereieu durch 
heftiges Klingeln gewect wurde. 

Judith erhob ſich und erjuchte Bela, ſich an 
die Wiege des Kindes zu ſetzen, bis fie nachſehe wer 
da fomme, 

Außerhalb des Eleinen Zimmers befand ſich 
noch ein Schlaffabinet, deſſen Thüre ſtets abgejperrt 
war, um jedes Lauſchen zu verhindern. 

— So oft ich klingeln höre, erſchrecke ich im— 
mer... ſprach Judith ... ich erwarte deine Mutter. 


— 153 — 


— (68 war gut, doß wir fie durch Melchior 
benachrichtigen Liegen. 

— Ich bevauere 8, daß ich fie jo lange leiden 
und nur dich trauern ließ. Dafür werde ich noch zu 
bien haben, denn man muß für Alles büßen. 

Es geſchah aber, daß unfer Freund Meelchior 
an demjelben Tage nach Komorn reiſte, um Fran 
Laͤvay fiber das Familiengeheimniß aufzuklären, an 
welchem dieje nach Belt fuhr, um von Judith Rechen: 
Ichaft zu verlangen. Die beiden Dampfer begegneten 
fich bei Gran; Melchior erblidte die alte Dame am 
Bord des pejter Schiffes, als fie ſich eben ganz ver: 
traulich mit Fertöy unterhielt. Melchior errietb all: 
ſogleich was Fertöy vor habe. Er jtieg bei Almäs 
‚aus, nahm einen Wagen und eilte nach Peſt Zurücd, 
wo er aber ert in der Früh anlangte. 

Wenn ihn damals nicht jene geführliche fire 
Idee angewandelt hätte, daß es fich für einen haupt: 
ſtädtiſchen Arzt nicht gezieme, in jtaubigen Kleidern 
Viſiten abzuftatten, hätte er die alte Frau noch in 
ihrem Quartier antreffen können; bis er ſich jedoch 
umfleivete, Fam ihm Sertöy zuvor ımd nahm Frau 
Laͤvay mit zu Judith. 

Als Judith auf das Klingeln die Thüre ihres 
Schlafgemaches öffnete, und von ihren Dienftboten 
vernabm, daß draußen eine Frau ei, die fich Laͤvay 
nenne und welche in Begleitung eites Herrn fomme, 
zttterte fie vor dem Zufammentreffen nicht, da fie vie 


— 139 — 


Ueberzeugung hegte, daß der begleitende Herr fein 
Anderer ald Melchior fein Fönnte! Wie er die Rück— 
reife mit Fran Lavan jo jehnell machen Tonnte, war 
ihr unbegreiflich. 

— Laſſe jie herein. 

ALS fich die Thüre öffnete, überzog Todten- 
bläfie das Geficht Judiths, fie erblidte an der Seite 
ihrer Schwiegermutter Fertöy. 

Bor diefem Manne Fonnte fie ihrer Schwieger- 
mutter nichts entdeden, fie mußte fich eben auf das 
Schlimmſte gefaßt machen, das war die Strafe, bie 
Strafe Gotteg dafür, daß fie der Mutter die Freu: 
denbotſchaft vorenthaften ; diefen bittern Kelch mußte 
fie bis zur Neige leeren. 

Judith ergab fich. Kaum vermochte fie fich auf 
den Füßen zu erhalten, fie zitterte an allen Gliederu. 

Die Alte Fran bedauerte fie jehr, als die Ar- 
me fo vor ihr ftand, und begann ihr Muth zuzu— 
ſprechen. 

— Zittern Sie nicht vor mir, Madame, ich 
bin ja in keiner böſen Abſicht gekommen. Ich weiß es, 
daß man Frauen „im ſolchen Zuſtande“ nicht aufre— 
gen darf. Setzen ſie ſich, ich bitte Sie darum, ich 
bin ja nicht gekommen um Unheil zu ſtiften. 

Judith war keines Wortes mächtig, ſie ſtand 
geſenkten Hauptes vor ihrer Schwiegermutter, Sie 
zitterte vor dem Gedanken, daß Bela im benachbar— 
ten Zimmer die Stimme ſeiner Mutter vernehmen 


— 140 — 


und heraus kommen könnte. Sie bemeifterte fick 
jedoch und frug mit jo lauter Stimme, als fie e& 
eben vermochte, ven Zauber brechend, welcher fie 
ſtumm gemacht. 

— Weshalben haben Sie Herrn Fertöy mit- 
gebracht ? Das muß Bela gehört haben, daß nicht 
nur feine Mutter, fondern auch Fertöy hier fei. 

Die alte Frau winfte Fertöh, zu jchweigen ; jie 
ſprach für ihn. 

— Mein Better Fertöy (das Wort Vetter be- 
tonte fie insbeſonders) habe ich deßhalb mitgebracht, 
weil meine Hieherfunft auch eine gewiße juribifche 
Urfache hat: e8 wird nothwendig fein, Einiges 
Schriftlich zu verfaffen, wozu man einen Mann 
braucht, ver es verſteht. Erſchrecken Sie nicht über 
das, was ich Ihnen fage, ich beabfichtige Feine Ro— 
heit zu begehen, obwohl ich vom Haufe aus mit dem 
Vorſatze wegging, daß ich hier fürchterliche Dinge 
verrichten werde; doch überlegte ich mir's auf dem 
Wege und befann mich eines Bejferen ; ich habe Fein 
Recht auf Sie, ich fordere auch nichts von Ihnen 
zurüd, als meinen ehrlichen Namen. 

— Ich werde ihn ablegen Madame. 


— Gie werden e8 ja jelbjt einjehen, daß ſie 
ihn nicht mehr weiter führen können. 

— Ich ſehe es ein und werde mich von dem 
Namen trennen. 


— 141 — 


— Und welchen werden Sie denn annehmen ? 
ven Sie dürfen nicht vergejfen, daß Sie Schaufpie- 
ferin find, deren Namen man lieft. Glauben Sie 
nicht, daß es ein noch größeres Aergernif geben 
würde, wenn Sie plöglih, Ihren Frauennanten 
niederlegend, mit einen Mäpchenfopf vor der Welt 
ericheinen möchten ? 

— Ich will die Bühne verlaffen, ſtammelte 
Judith entjchlofjen. 

— Und wovon werden Sie dann leben ? 

— Ich werde arbeiten. 

— Das ift leicht gejagt: „Ich werde arbei- 
ten” — wenn man e8 aber nicht gewohnt ift. Ich 
mühe mich den ganzen Tag gleich einer TZaglöhnerin 
ab; wenn ich aber von meiner Hände Arbeit Leben 
müßte, könnte ich mir nicht das Salz zum Brode 
verdienen. Dod) ift e8 an der Zeit, daß ich Ihnen 
Tage weshalb ich gefommen. Es war jedenfalls mein 
Wille, Sie aufzufordern, dem Namen meines Soh— 
nes zu entjagen und dann die Bühne zu verlaffen. 
Ich war darauf vorbereitet, daß mir dies viel Ueber— 
redung fojten würde. Es ift mir aber fehr lieb, daß 
fie fich auf mein erſtes Wort fügten und einjehen, 
daß Sie den Namen meined Sohnes nicht weiter 
führen dürfen, nicht wahr ? 

Judith vermochte es nicht, der alten Frau im 
vie Augen zu ſehen. War doch die Anklage furchtbar 
ungerecht; war boch das, was man ihr als Sünde 


— 142 — 


anrechnete, ihre größte Tugend; und doch ift es 
einer ſchamhaften Frau unmöglich, ihren Blick zu 
erheben, wenn fie ausgezanft wird. Das wäre wies 
dernatürliche Komödie, das wäre falte Unverſchämt— 
heit. Indith fenfte ihren Blick ud ftammelte: 

— 68 ijt wahr. 

— Sie werben deshalb auch gezwungen ſein, 
die Bühne zu verlaffen ; ich glaubte Sie auch hiezu 
bewegen zu können, doch glaubte ich nicht, daß es fo 
leicht gehen würde; die Bühne gibt Ihnen ein ehrli- 
ches Brod, und dieſe zu verlaffen, einem närrifchen 
alten Weibe zu Liebe, welches wegen des Namens 
ihres Sohnes Lärm fchlägt, ift eben fein Scherz. 
Ih will nicht, daß Sie Noth leiden follen. Meinem 
Sohne gebührt nach feinem Vater eine Erbichaft von 
ſechstauſend Gulden. Diefe Summe habe ich ihm, 
fo lange er lebte, nicht übergeben ; er war ein Mann, 
auch er hat müffen für feine Eriftenz kämpfen, wie 
jein Vater und Großvater. Unterdeſſen legte ich 
Zins an Zins und vermehrte das Kapital bis auf 
Zehntaujfend Gulden; dieſe übergebe ich Ihnen jet, 
es ift Die Morgengabe Ihres geftorbenen, vergeffe- 
nen Gatten; lebe Sie davon arın, aber ehrlich. 


Nach diefem Worten zog die alte Dame eine 
Obligation aus ihrer geftidten Handtafhe; das Pa— 
‚pier lautete auf Zehntaufend Gulden und war auf 
einen Erundbeſitz am erjter Stelle intabulirt. 


— 1453 — 


Judith's Herz preßte fich vor Schmerz zufams 
men, und Thränen füllten ihre Augen. Die Mutter 
Bela’s entzieht ftch den Biffen vom Munde, um ihn 
der veritoßenen Gattin ihres todten Sohnes zn rei— 
chen .. . . als Strafe. Judith wußte es recht gut, 
daß dies beinahe das ganze Vermögen der alten Lä— 

vay an&gemacht hatte. | | 
Ä — Madame... fchluchzte Judith, ich ver— 
mag Ihnen nicht zu antworten. 

— Das verlange ich auch nicht, fagte Frau 
Laͤvay kalt. Ich glaube e8 Ihnen, daß Sie gerührt 
find. Sie glaubten, ich werde kommen, zu zanfen, um 
. Ihnen Grobheiten zu jagen; nun haben Sie ſich in 
mir getäuscht. Deshalben habe ich Herrn Fertöy mit- 
gebracht, daß er die Sache zwifchen uns ind richtige 
Seleife bringe; ev wird uns die Weifung darüber 
ertheilen, was wir Beide zu thun haben, um mit- 
einander zufrieden zu ſein. 

Judith fühlte, als müſſe ihr das Herz berſten. 

— Nein, ich kann dieſes Geſchenk nicht an— 
nehmen. | 

— Weßhalb niht?.... Sch bleibe darum 
reich genug, ich kann das Geld ohnedies nicht bes 
nügen und wüßte nichts damit anzufangen. 

In dieſem Momente fiel ein Blick Judith's auf 
das Geſicht Fertöy's. Ein ſpöttiſcher Blick aus die— 
ſen wiederlichen Augen erweckte in ihr den Dämon 
des weiblichen Widerſtandes. Vor dieſem Menſcheu 


— 144 — 


durfte fie fich nicht vemiüthigen laſſen. Sie ergriff 
die Schrift und gab fie der Laͤvay zurück. 

— Ib danke Ihnen, edle Frau, für ihre 
freundliche Güte ; ich anerfenne e8, daß ich gejündigt, 

und werde fir meine Sünde büßen ; ich kann trode- 
nes Brod ejjen, werde aber nie nach dem greifen, 
was nicht mir gehört. 

— Sie find noch immer ftoß. Es wird gut 
jein, wenn Sie ſich das abgewöhnen...... Was 
wollen Sie demnach? Was Sie da von Arbeiten 
ſchwatzen, iſt eitler Spaß ; paßt nicht für vernünftige 
Menſchen ... Frauenarbeit! Was wiegt das in der 
Schale? Sie weifen, und zwar mit Stolz mein be- 
fheivenes Anerbieten zurück. Haben Sie vielleicht 
‚andere Ausfichten ? 

— Ich verstehe Sie nicht Madame. 

— Nicht ? Sonderbar. . . Wollen Sie nicht die 
Gefälligfeit haben und mir den Namen des Vaters 
Ihres Kindes nennen ? 

— Weßhalb wünfchen Sie das ? 

— O, wahrlich nicht aus purer Neugierde. Ich 
will es Ihnen aufrichtig gejtehen, weßhald. Wenn 
ich erfahre wer dieſer Menſch ift, werde ich zu ihm 
gehen und allfo zu ihm fprechen: Mein Herr! Sie 
haben eine Frau unglücklich gemacht, die einft meine 
Tochter geweſen; Sie haben nun die Frau ihres 
Namens beraubt, gedenken Sie Ihrer Pflicht, und 
wollen Sie ala Chrenmann gelten, geben Sie dieſem 


— 145 — 


anglüdlihen Gejchöpfe einen Namen... .. Nut 
Madame wie heißt diefer Dann ? 

Die Welt begann fih um Judith zu drehen, 
fie juchte nach einer Stütze mit ver Hand, Anf dieje 
Frage war e8 unmöglich, zu antworten. 

— Ich darf ihn nicht nennen, 

— Ich bitte... . jagte die alte Frau ermun— 
ternd; mißverfteben Sie mich nicht. Ich will ja 
feinen Lärm jchlagen; will ihm feine Vorwürfe 
machen. Sit er arm, um jo bejjer, und wenn es mr 
ein wandernder Komödiant oder ein bungernper 
Dichterling iſt, ich werde weder ihn, noch Ihnen Vor— 
wiürfe machen, jondern werde einfach zu ihn jpre- 
chen : ich nehme Sie in die Erbichaft meines Soh- 
nes auf; vermochten Sie feine Wittive zu gewinnen, 
jo follen Sie dazu auch jein Vermögen befomnten. 

Judith fiel vor ihrer Schwiegermutter auf 
die Knie und bededte ifr Geficht mit beiden Händen. 

— Tödten Sie mih nicht... o tödten Sie 
mich nicht; ich kann, ich darf Ihnen ja nicht ant- 
worten. | 

— Stehen Sie auf, rief die alte Fran im 
trodenen Zone... .ich bin nicht gefommen, um 
Komödie zu fpielen; ſondern um den Namen des 
Berführes zu erfahren ;jeßt fordere ich die Antwort 
von Ihnen. 

Nah diefem Worten riß fie Judith mit“ 
rauher Geberde vom Boden empor. 

Andere Zeite, andere Menſchen. II. Band. 10 


— 146 — 


Diefe pregte die Yippen zuſammen und jchwieg. 

— Werden Sie mir den Namen neunen ? 

Judith vermeinte ſtumm mit dem Sopfe. 

— Ah! Sie wollen ihm nicht nennen. Ich 
verftche es. Sie wollen ihn nicht nennen, weil er 
fein Bettler, fein elender Komödiaut, fein hungern- 
der Poet, jondern ein reicher Herr... . . ein Schuft 
it... Sie wollen das geheim halten, und der 
Frauenehre, Ihrem Nahmen, der Bühne entjageı, 
um die verborgene Maitreſſe eines Nichtswürdigen 
zu werden. Mit dev Zunge jprechen Sie: ich will 
arbeiten, und im Herzen denken Sie: die Schande 
wird mich ſchon erhalten! ... 


— Halten Sie ein.. . rief Judith verzivei- 
flungsvoll. 


In der Stille, welche dieſem Aufſchrei der 
Verzweiflung folgte, wurden Schritte im anſtoßenden 
Zimmer vernehmbar. 


Iundith hörte mit Entſetzen, wie ſich Bela ver 
Thüre näherte . . . ein Moment noch, und er wird 
zwiſchen ſie treten. 


In dieſem Momente der Verzweiflung ver— 
gaß Judith Alles; nur die ihrem Gatten drohende 
Gefahr ſchwebte ihr noch vor. Daß bis in den Tod 
gehetzte Weib warf ſich vor die Thüre, um deren 
Oeffnen mit ihrem Körper zu verhindern. 


Auch die die alte Frau vernahm bie männlichen 
Tritte und ließ fich auf dieſes Geräufch von ihrer 
Leidenſchaft hinreißen. 

— Wer iſt in dieſem Zimmer? dort muß der 
elende Verführer verborgen ſein. 

Damit raunte fie dev Thüre zu. 

— Was wollen Sie, vief Judith entfett, den 
Arm der alten Frau erfaßend. 

— Was ih will... . Hieneinbrechen um 
Aug’ im Auge dem Berführer gegenüber zu ftehen. . . 

— Des werde ich nie zulaffen ! vief Judith, 
ihr den Weg verfperend. 

-- Trolle did aus dem Wege, elendes 
Schandweib! ſchrie die Alte ihre geballte Kauft er- 
hebend — oder ich reife dir die Tracht ehrlicher 
Weiber vom Kopfe, und werfe fie dir zu ben 
Füßen. 

In dieſem Momente öffnete ſich die Thüre. 
An der Schwelle ſtand Bela Lävay .... das Wild 
war glücklich aufgeſcheucht! . . . 

— Mutter, fügte Bela in wehmüthigem 
Zone ; jest weit du c8, was bu wiffen wolltejt, — 
aber deinen Sohn haft du verloren. 





— 14117 — 


10* 


Der Iäger in der Falle, 


Als die ehrjame Dame ihren todtgeglaub- 
ten Sohn durch jene Thüre eintreten ſah, binter . 
welchen fie ven vermeintlichen Schänver ihrer Fami— 
lie zu finden glabte, fuhr fie erjchroden zujammen ; 
anftatt fich an die Brut ihres Sohnes zu werfen, 
anftatt ihm unter tauſend Küffen Vorwürfe darüber 
zu machen, weßhalb er jie jo lange in trojtlojer Un: 
gewißheit gelafjen, wendete fie ſich plößlih um und 
ergriff mit frampfhafter Stärke des jähen Schreckens 
die Hand Fertöy's, welcher binter ihr gejtan- 
ven ivar. 

— Better, mein lieber Vetter! Hören Sie 
und jehen Sie nichts. Ich flehe Sie bei ver Barm— 
herzigfeit Gottes an, verrathen Sie nicht, was Sie 
bier gejehen ! Nicht wahr Sie glauben an Gott ? Nidr 
wahr Sie find ein ehrlicher Dienjch ? Geben Sie ihr 
Ehrenwort, daß Sie alles geheim halten werden ? 
Sie geben mir es? ... | 


— 149 — 


Fertöy betrachtete Judith mit ſchadenfrohem 
Lächeln, die arme Frau ftand noch immer vor ber 
Thüre um ihren Gatten am Heraustreten zu ver: 
hindert. 

Die alte Frau Lävay weinte, jchluchzte und 
drückte Frampfhaft die Hände Fertöy's. 

— Cie waren ja, mein Herr, Schuld daran, 
daß ich hieher gekommen; . . . warum that ich es? 
Welcher Dämon brachte mic) hieher ? Dean hatte 
es mir noch zu Haufe profezeit, daß mich hiefür Gott 
Strafen wird, mit meiner eigenen Hand. . . .. Wef- 
halb fagten Sie mir, dag meine Schwiegertochter ein 
ehriofes Weib iſt? Weßhalb verichaften Sie mir 
einen Paß?... War Das nicht eine Falle? 

— So laffen Sie mich do, Madame! rief 
Fertöy ungeduldig. 

— D, id) laſſe Sie nicht, bis ich Ihr Schwei— 
gen erkaufe; denn ich ſehe es jetst, daß fie ein böfer 
Mensch find. Böſe Menfchen brauchen Geld. Hier 
ichenfe ich Ihnen was ich meiner Judith geben 
wollte ! nur zeigen Eie meinen Sohn nicht an. Sehen 
Sie her, wie ih im Staube vor Ihnen liege und 
Sie anflehe, meinen Sohn zu fchonen und mich nicht 
der tödtlichen Verzweiflung preis zu geben. 

Das bejammernswerthe Weib fiel wirtlich zu 
den Füßen Fertöy's und umfaßte fchluchzend diejel- 
ben, während ver Ehrenmaun mit triumphivenden 
Lächeln auf Judith hinüber blickte. 


== 150) == 


Judith fühlte durch das herausfordernde Lä— 
cheln gereizt, alle Spannfraft ihrer Seele zurück— 
fehren. 

— Bela! jprach fie mit feſter Stimme, gebe 
bin, hebe deine Mutter von ven Füßen diejes Mannes 
empor, umd küſſe ſie . . . Sie hat deine Ehre ver- 
theidigt, uud that vecht daran... .. 

Daun wandte fie fih an Fertöy: 

— Und Sie jehr geehrter Herr, nachdem Sie 
ſich jo eifrig unjerer Familienangelegenbeiten an- 
nahmen, jollen erfahren, daß Bela wor jeder perſön— 
lichen Gefahr jehr gut geſchützt iſt; ev ift einer der 
Komorner Kapitulanten, bier iſt fein Geleitjchein, 
welchen er damals erhielt. Wollen Sie ſich daher 
jeder Sorge für meinen Gatten entichlagen. 

Als Judith den Geleitſchein vorzeigte, hatten 
jich die Blicke der Drei mit verjcbiedenen Ausprüden 
auf jie gerichtet. 

Das bleiche Geſicht Fertöy's Jebien vor Wuth 
zu erſtarren. Auf welche Weife mochte dieſes Weib 
in den Beſitz eines Geleitſcheines gelangt fein ? 

Das Auge Bela’ heftete an jener ſchmalen 
Narbe, welche Judith auf der Stivne trug und nach 
deren Urſache er bisher vergebens geforjcht, dieſe 
Narbe jchien ihm in einem Momente eine lauge Ge- 
Ichichte zu erzählen. Es war die ein Monat, wo wir 
auf einen Angenblid einſchlummern, die Ereigniffe 
eines ganzen Tages hindurch träumen. 


— 151 — 


Die alte Laͤvay aber rutjchte auf ihren Knien 
zu Judith, und ſuchte mit ihren thränen befeuchteten 
Augen auf dem Papiere nach dem Namen ihres 
Sohnes; als fie diefen entzifferte, ergriff fie die 
Hand Judith’, fie, die alte Frau, die Mutter, vie 
Hand ihrer Tochter und bevedte fie mit beiten 
Küffen. 

Judith verſuchte e8, ihre Hand zurückzuziehen; 
Die Alte hatte aber eine eiferne Kraft in ihren täglich 
arbeitenden Händen, 


— Das hat mir ein alter Dann profezeit, 
ſtammelte Frau Lävay, daß ich einft vor meiner 
Schiwiegertochter Fnien und ihr die Händen Füffen 
werde. Die Profezeiung iſt in Erfüllung gegangen, 
und es iſt jehr gut, daß es jo geicheheit. 

Judith hob ſanft ihre Schwiegermutter empor. 

— Kommen Sie mit mir, Mutter, in das Ne— 
benzimmer. Das Uebrige wird Bela ſchon mit dieſem 
Herrn abmachen. 


Die alte Frau ſah Bela an, als wollte fie 
fragen: ob er ihrer Hilfe nicht bedürfe? . . . . Sie 
wäre ja im Starde geweien, dieſen Menſchen zu 
zerfleifchen, gleich einer wiithenden Löwin. 

Die rubige, erhabene Haltung ihres Sohnes 


flögste ihr die Zuverficht ein, daR diefer Mann feiner 
Unterſtützung bepürfe, 


— 12 — 


— Kommen Sie, Mutter, folgen Sie mir in 
andere Zimmer, mahnte Judith ſanft da drinnen 
iſt ja der Andere. 

Der Andere! 

Das Wort riß die Alte mit ſich fort. Groß— 
mütter pflegen ja ihre kleinen Enkeln jo außerordent⸗ 
lich lieb zu — 


Im nächften Augenblide Eniete fie bereitd vor 
der Wiege jenes ſtummen, Heinen Gejchöpfes, wel- 
ched noch den Engeln am Nächjten und am entfern= 
teften vom Menſchen jteht; bei der Wiege jenes un— 
ſchuldigen Geichöpfes, welches fie gejtern noch au 
die Wand zu ſchleidern drohte, und welches jie 
legt mit ihren Küffen, mit ihren Liebkoſungen 
überhäuft.... . 

Draußen wechjelten ernſte Männer ſchwere 
Worte mit einander; hier lachten glücklichen Frauen 
vor Freude und überirdiſcher Liebe. Der kleine, 
ſtumme Mann in der Wiege ſah ernſt in die Welt 
hinein, als würde er über die Dinge, die um ihn 
geſchehen, Gericht halten müſſen. . ... 

Fertöy blieb mit Béla allein. Bela dankte 
num feinem guten Geifte, daß er vor Judith bisher 
verichwiegen, was in der Orangerie des Fürften 
Wolozoff zwiichen ihn und Fertöy vorgegangen ; 
hätte Judith Kenntniß davon gehabt, fie hätte ihn 
nicht allein mit dem ungebetenen Gaſt gelafjen. 


— 13 — 


— Mein Herr — begann Bela, jo nahe an 
feinem Feind herantretend, daR ev ganz leife mit 
ihn fprechen konnte — es jcheint, daß Sie fich mit 
aller Gewalt mir gegenüber jtellen wollten ; num bier 
haben Sie mich. 

Fertöy, welcher ach der erjten Ueberraſchuug 
alle ſeine Pläne, die er ſo fein gefchmiedet zu haben 
glaubte, verwarf, beeilte ſich, ſeine Selbſtherrſchung 
wieder zu erlangen, und erwiederte mit voller Höf— 
lichkeit: 

— In der That wünſchte ich ſehr mit Ihnen 
zuſammen zu treffen. 

— Was ih auch ganz natürlich finde. Es 
gibt Beleidigungen, für welche ich Denjenigen, ver 
fie mir zufügt, ſelbſt in der Stille eines Klosters. 
aufjuchen, ihn von der Wiege jeines Kindes, aus dev 
Umarmung feiner Öattin, vom Altare, wo er betet,. 
reißen würde, — um mich mit ihm auf Leben und 
Todt zu ſchlagen; werde ich verwundet, jo juchte ich 
ihn nach meiner Öenejung abermals auf und fchlag 
mich jo lange, bis nicht Einer von und auf dem 
Wahlplate bleibt. 

— Ich erfinne mich nicht, Ihnen eine folche 
Beleidigung zugefügt zu haben, beeilte fich Fertöy 
mit füßlider Bitterkeit einzufallen. 

— Gie mir nicht, wohl aber ich Ihnen. Uno 
dieſe Beleidigung rechtfertigt in meinen Augen Ihr 
Beitreben, den Beleidiger um jeden Preis, ſelbſt um 


— 154 — 


‚den des guten Nufes feiner Gattin, zur Genugthu— 
ung zu zwingen. 

— Sie ſprechen in Räthſeln, lieber Vetter; 
Sie jollten mich beleidigt haben ? 

Bela veritunmte vor Staunen. Auf folche 
Vergeſſlichkeit hatte er unter ver Sonne nicht gerech- 
net. Er fchlägt einen Menſchen, welcher feine Gattin 
läjtert, in ver Aufwallung ver Yeivenjchaft ins Ge— 
ficht und dieſer Menſch will von der Beleidigung 
nichts wiſſen. Er wäre beinahe verſucht gewejen, die 
Identität diefer Perſon zu bezweifeln. Er verjuchte 
e8, dem Gedächtniße feines Gegners zur Hilfe zu 
fommen. 

— Erinnern Sie ſich nicht jener Szene in der 
Drangerie des Fürften Wolozoff, als er Ihnen feine 
Blumen zeigte? ... 

— 68 ſchwebt mir jo etwas vor. Doch geſchah 
jeither jehr viel, was mir manches aus dem Ge— 
dächtniß jchlug. 

— Betrachten fie mich gut. Erinnern Sie fich 
nicht mehr jenes Gärtners. 

— Wohl erinnere ich mich. Es war ein ge- 
Ternter und gejcheidter deutscher Burſche. An feine 
Züge habe ich mich jedoch wenig gekümmert. 

— Und Sie kamen doch mit ibm einft in fehr 
nahe Berührung. 

— Ich? .... daran erinnere ich mich nicht. 


— 155 — 


— Beim Aquarium, in welchem ver Lotus 
blühte. 

— Ach ja wohl. Der arme Teufel rappelte 
manchmal; in einen Anfalle ſtieß er mich einſt zwi— 
ſchen die Blumen und lief davon; ſpäter hatte man 
ihn eingebracht, der Herzog gab ihn in einer Heil— 
anſtalt, wo er jo viel ich weiß, feinen Uebel erlag. 

— Das wiſſen Sie jeblecht; diefer Gärtner 
bin ich. 

— Können Sie das auch beweijen ? 

Bela mußte jtark an fich halten, um wicht zu 
vergeſſen, daß er in jeiner Wohnung ſei. So viel 
Dreiftigkeit machte ihn ganz verwirrt. 

— Ich, der Beleidiger, joll es beweijen, daß 
ich Sie beleidigt babe ? 

— Natürlich. Da wever ich, noch die Welt 
Etwas davon weiß. Ihre Behauptung könnte nur ein 
einziger Zeuge, der den Zuſammenhang veriteht, 
erhärten ; doch dieſer Zeuge wird jchweigen, denn 
es ijt mein Weib. 

— Ab! Sie wifjen alfo dennoch, wovon die - 
Rede iſt? jagte Bla mit bligenden Augen. 

— Laſſen wir das, licher Better, Eie jind 
noch ein innger Mann und nehmen die Dinge nach 
Ihrer Anſchauung. Sie wollen mir begreiflich ma— 
"hen, daß Sie mich beleidigt hätten, und nun zu ei— 
ner Genugthuung bereit ſind; daß wir uns auf 
fünf Schritte ſchießen können; ich möge meine Se— 


— 156 — 


fundanten fenven ; diefe mögen Ort und Zeit beftim- 
men; doch hat das für mich gar feinen reelen Grund. 
Ein Schlag, welchen ein Bauer, ein untergeorbneter 
Diener, einem Kavalier verjekt, kann feine Beleidi— 
gung, wohl aber eine fträfliche That bilden ; deßhalb 
pflegt die feine Welt feine Genugthuung zu verlan— 
gen.s Daß aber Sie jener Bauer, jener halbver- 
rückte Diener waren, weiß auf der Welt nur ein ein- 
ziges Weib, welches aber jo zu fchweigen, als Mär— 
chen zu erzählen weiß. Diefes Weib hat zwei Urfa- 
chen zu jchweigen ; die erite Urfache bin ich — die 
zweite Sie. 

— Ich. 

— Ja Cie. Ich könnte Ihnen mehr noch über 
diefen Gegenftand erzählen, als Sie vermuthen. 
Glauben Sie mir, das Yaub des Rhododendrons ift 
nicht fo dicht, daß man nicht durchblicken könnte! 
Ob fi wohl der Gärtnerburfche jenes Schufes 
erinnert, welcher ein jchönes Weib aus feiner Umar— 
mung aufgejcheucht hatte. 

— Mein Herr! ... 

— Worauf daun die ſchöne Frau dem eintre— 
tenden Gatten folgendes ſagte: Ich bin ſo erſchrocken, 
daß wenn Jemand außer dem Gärtner noch hier ge— 
weſen wäre, ich demſelben in die Arme geſun— 
fen wäre. 


— Aber mein Herr, 


— 1517 — 


— Bitte. Sprechen wir nicht fo laut. Beden⸗ 
ten Sie, daß ihre Frau im anftoßenden Zimmer tft, 
und das die Erregung den Damen in jolchen phſiſchen 
Zuftänden jehr ſchaden Fanır. 


Das Wild, welches bereitd die Oberhand 
batte, begann zu fühlen, daß der Jäger abermals 
eine neue Waffe 309. 

— Sie wollen ihre Gattin mit mir verbäch- 
tigen ? fragte Bela in gedämpften Tone. 

— Nicht wahr? Es iſt beffer, wenn wir leife 
ſprechen. 

— Ich weiß es nicht, wohin ſie zielen. 

— Na, dieſes Wort haben Sie von mir ge— 
lernt, jegt iſt es an Ihnen zu jagen: „ich verftehe 
nicht, von was die Rede iſt?“ — OD ich wei e8 
recht gut, welch Verhältniß zwifchen Ihnen und mei- 
ner Öattin herrſchte, bevor ich jo glücklich gewefen, 
ihr meinen Namen zu geben. Es war mir auch kein 
Geheimniß, was diejes Weib fo oft und mit folcher 
Gewalt nach dem Yandhaufe des Fürften Wolozoff 
zog, das Weib pflegte fich gerne von der Gefellichaft 


zu trennen, und fühlte fih im Garten am behag- 
lichſten. 


Bela vermochte hierauf nichts zu erwiedern. 
— Dieje Frau hatte in Ihrem Intereffe leb— 
haften Briefwechjel mit ihren Freundinen unterhal- 


— 158 — 


ten, fie wollte Sie ins Ausland entwilchen laffen, — 
zur felben Zeit bereitete fie fich zur Reife inu's Bad 
vor — natürlich auch ins Ausland. — Alles dieſes 
war mir vecht gut bekannt. 


Bela begann zu begreifen, daß in diefem Mär— 
ben der ganze Schein für feinen Gegner ſprach. 


— Yieber Vetter, was ich damals that, war 
nichts Anderes als die Bertheidigung eines in jeiner 
Ehre beprohten Gatten. Ein jeder vetheidigt fich, 
wie er ed eben kann. Schen Sie, ich weiß es recht- 
gut, dan es Fülle gibt, wo man derart vor die Au— 
gen der Welt gedrängt wird, daß nur eine Rettung 
nöglich: dev Rückſprung über dag Grab, oder in 
das Grab — und die ift das Duell. Ic) glaube 
faumt, daß fich auch nur Einer gern jchlägt. Solche 
dumme Yeute gibt es aber noch weniger, die fic) 
wegen eines Geheimnißes jchlagen, um die verborgene 
Schande au's Tageslicht zu ſtellen. . . Was habe ich 
num gegen Sie thun Fünnen?.... Ich mußte Sie 
eiferfüchtig auf Ihre eigene Frau machen. Durch die 
Bemerkungen, die ich in dev Orangerie fallen ließ, 
gelang mir dieß vollfommen. Den Stoß, der mich 
ind Aquarium  fchleuderte, betrachte ich al® den Er: 
folg, . . . denn Sie famen jchnurjtrads nah Haufe 
zu Ihrer Frau. Mehr wollte ich nicht, und fo viel 
zu verlangen, hatte ich da8 Necht wegen meiner ei— 
genen Frau. 


— 159 — 


Billa ſchlug die Hände zuſammen. Vielleicht 
hatte er der geſchickt imprevifirten Komödie guge— 
Haticht. 

— Am demjelben Tage, ald Sie nach Haufe 
kamen, erfuhr ich e& bereits, daß Sie ihre Gattin 
verborgen. Ich verrieth das Geheimniß Niemanden, 
ic ließ Sie ruhig Ihr Verſteckens weiter jpielen, 
wozu Sie übrigens gar feine Urfache hatten. Denn 
weßhalben verbargen Sie fih? Stand Ihr Nante 
auf der Liſte Derjenigen, welche vor das Kriegsge- 
richt bejchieden wurden? Nein!... Sie Hütten. 
wann immer vor die Welt treten Fönnen, wie hun— 
dert Andere. die mehr gravirt find als Sie, frei 
herum gehen, trotzdem, daß ſie heute noch hundert— 
mal demunzirt werden, die Behörden jcheren fich 
nicht mehr darum. Ich wußte es recht gut, daß Sie 
fih ohne Urſache verbergen, aber ich muß es auf- 
richtig geftehen, e8 war mir dieß eine angenehme 
Genugthuung, dag Sie fich felbit fir Monate Haus: 
arreſt gaben und fich nicht von der Seite Ihrer Frau 
rührten. Das war für mich, den Gatten, jehr be- 
ruhigend. 

— Deshalb nannten Sie meine Gattin vor 
meiner Mutter eine „Ehrloſe?“ 

— Ich habe gar nichts gefagt, weßhalb Sie mich 
zum Duell fordern könnten. Ich Habe Ihrer jehrge- 
ehrten Mutter, nichts Anderes gejagt, als das Judith 
einen Sohn geboren babe. Konnte ich c& ven wiſſen, 


—n— rr 


= ION 


daß Sie, ein jo zarter Sohn, Ihre Mutter Jabre 
lang mit dem Gedanken an ihren Zod peinigen konn— 
ten; daß Judith vor ver Welt die Rolle einer Wittwe 
jpielte, das hatte noch einen Sium, daß Sie aber 
vor Ihrer eigenen Mutter die Wirklichkeit verheim— 
lichten, daß Sie fie in wirklicher Trauer herumgehen 
ließen, daran konnte ich nicht glauben. 

Diejer Vorwurf ſchmerzte Bela umſomehr, 

Als es eine ſtrafende Wahrheit von den Lippen eines 
Lügners gewejen. 

— Mein Herr lajfen Sie mein Privatleben 
unbehelligt. Was Sie mir da erzählten, find grund: 
(oje Yappalien. Sie find nicht deßhalb hieher gefom- 
men, Sie hatten eine andere Urſache mich ans Ta- 
geslicht zu ziehen; jagen Sie mir dieje Urjache ? 

— Sie haben recht, theurer Better ; ic) habe 
Sie fehnfüchtig gefucht, ich wollte Sie um jeden 
Preis auffinden. Sch war es, welcher dieje ein wenig 
unangenehme Szene hervorrief, um Sie aus dem 
Verſtecke zu loden, denn ich habe ein jehr wichtiges 
Wort mit Ihnen zu Sprechen, welches zn erwägen fo 
wohl in Ihrem als in meinem Intereſſe liegt. 

— Ich höre Sie. | nn 

— Nun, wir haben einen Prozeß vor dem 

Gerichte. 

— Bisher war es nur Ihr Prozeß; wir 

haben uns nicht viel um die Sache gefümmert. Sie 


konnten darin thun, was Sie wollten. Da wir 
‚aber num ein Söhnlein haben, iſt der Prozeß feinet- 
wegen aud unſer. ... Bon nun an werde ich ven 
"Prozeß führen, weil e8 Jemanden gibt, für wen. ... 

— Ich kam um Ihnen einen Ausgleich an— 
‚zubieten. 

— Mir ? Einen Ausgleich ? fagte Bela bitter. 
Sollten Ihre Chancen jo fchlecht ftehen ? 

— Durdhaus nidt. 

— Demnach wollen Sie den Ausgleich aus 
rein verwandjchaftlicher Liebe? 

— Nein. Trogdem die Ironie nicht ganz am 
Platze wäre, das Ganze ijt eine trodene Gejchäfts- 
fache, den Prozeß werde ganz gewiß ich gewinnen. 

— Werden Sie bis zum Schlußtermin das 
Original des Teftantentes vorweijen können ? 

— Ich werde es vorweifen. 


— Wenn Sie dies fönnten, würden Sie mir 
feinen Ausgleich anbieten. 


— Und dennoch werde ich’8 verfuchen. Seien 
wir aber deshalb immerhin böje. Betrachten wir 
und niht als Verwandte. Glauben Sie alles 
Schlechte von mir, was böje Zungen über mich aus— 
geſtreut; hören Sie aber trogdem meinen Vorſchlag 
an. Ich biete Ihnen ein Drittheil des ftreitigen 
Vermögens. 


— 161 — 


Andere Zeiten, andere Menſchen. III. Band. 11 


— 162 — 


— Woher diefe Großmuth ? Sie wollen auf 
ein Drittel deſſen verzichten, was Sie ganz befigen- 
könnten? Und warum zwei Drtitheile behalten, wenn. 
Cie pas Ganze doch haben fönnen ? 

— Das ift die Frage eines Advocaten. Ic} 
will fie Ihnen beantworten, und Sie follen einjehen,. 
daß es fein „Schwindel,“ fondern ein jehr reelles 
Geſchäft iſt. Wollten Sie mir nicht erlauben, daß 
ich mich ſetze? Sonſt bin ich immer der Meinung, 
als wollten Sie mir die Thüre weiſen. 

Auch Bela war dieſer Meinung. Aber er hatte 
ven Fehler, ein gar zu guter Zunge zu fein; wie oft 
hatte er fich vorgenommten, recht grob zu jein und 
went es darauf anfam, fand ev feine Worte dazu. 

— Ich bitte Pla zu nehmen. 

— Alfo, lieber Vetter, die Sache jteht eigent» 
fich folgendermaßen: das Teftament ift wirklich vor— 
handen. Ich ſelbſt habe es geſehen und mich über— 
zeugt, daß es dasſelbe iſt, welches ich unterſchrieben. 
— Aber — es befindet ſich nicht in meinen Hän— 
dert. — Derjenige, welcher das Document befitst, iſt 
ein ſehr Pfiffiger, ein ſehr geſchickter Menſch. Der 
will num das Document nur gegen bie Hälfte des 
ftreitigen Vermögens herausgeben. Sie find Advo- 
fat, Sie laſſen mit fich ſprechen. Sie werben früher 
meinen Antrag anhören, und dann erft Ihre Kritik 
ausiprechen, mit Judith fteht e8 nicht io. 


— 18 — 


Sie ſchickt die Briefe unerbrochen zurück; fie 
läßt fich in fein Geſpräch ein, fie fagt „nein“, bevor 
fie wußte worauf; deshalb muß ich mich an Sie 
wenden. Die Sache fteht num in Bezug auf mich fo: 
entweder überlaffe ich die Hälfte des Vermögens an 
denjenigen, welcher das Document befitt, oder ich 
vergleiche mich mit Ihnen gegen ein Drittheil des 
Erbtheils. Die Zahlen ſprechen, weshalb ich ben 
Vergleich wählte. Zwei Drittheil find mehr als ein 
Halbe... Für Sie fteht e8 fo: Wenn ich mir das 
Document verjchaffe, fo verlieren Sie das ganze 
ftreitige Vermögen ; wenn Sie ſich mit mir ausglei- 
chen, gewinnen Sie das Drittheil. Was jagen Sie 
dazu, Vetter? ... 

Bela machte mit kurzen Worten der Verhand— 
fung ein Ende. 

— Mein Herr, ich bin es gewohnt, Feines 
Ihrer Worte zu glauben. Was Sie mir da fagten, 
ift alles eitle Lüge. Ich erfuche Sie nun mich nicht 
aufzuhalten, denn ich will zu meiner Mutter, 

— Gut, lieber Belter. Es ift nichts zwifchen 
ung verdorben; wenn Sie fich überzeugt haben, 
daß etwas nur von meinen Worten wahr geweſen, 
jo werben wir ben meggeworfenen Faden wieder 
aufnehmen fönnen. Sch empfehle mid... . 

Bela grüßte ftumm, und ließ ihn gehen. 

Dann eilte er in das nummehr offene Fami— 
lienparadies, wo jo glücliche, fo liebende Herzen 

L1* 


— 164 — 


feiner harrten; Mutter, Gattin und Kind! 

Fertöy aber ſchrieb an diefem Tage jenen ge 
wißen Brief, den Barfing zu dem bewußten Zwede 
benüßte. 


Politifhe Moden. 


Die politiihen Moden, gleichen auf ein Haar 
anderen Moden. So lange fie noch neu find, fo 
lange fie noch glänzen, trägt, bewundert fie die ganze 
Welt; wenn fie aber abzunützen beginnen, wandern 
fie auf ven Tandlmarkt. Einige verfpätete Menſchen 
tragen fie noch, diefe werden dann angeftaunt, doch 
auch diefe legen fie dann ab, wenn fie fehen, daß fie 
allein geblieben. 

Ich habe ſchon Erzellenzherren mit Kalabrefer- 
büten und ungeheuren Federn gefehen, wie man 
fie nicht jchöner wünfchen konnte, und fah Voll: 
bfut-Flamingos, die gar feinen Hut auf dem Kopfe 
hatten. 

Natürlich werden fih Wenige mehr daran 
erinnern, weßhalb man zu einer Zeit Diejenigen, 
welche rothe Federu trugen. Flamingos nannte, 

Nun, das ift vorüber. E8 kam etwas Anderes. 
Mode bleibt Mode. Einmal ift e8 Mode daß bie: 


— 166 — 


Batriotinen Charpie zupfen, ein anderes Mal wie- 
der, daß fie aus einer Tanzunterhaltung in die an- 
dere ftürmen. Heute trägt man die Porträts großer 
Helden oder Redner in den Knöpfen, Armbändern 
und an ven Stodgriffen. Morgen fommt eine Tän— 
zerin, Sängerin oder Kunftreiterin an die Reihe. Es 
giebt jenfible Naturen, die im erften Falle mit ſchmei— 
chelnden Diatriben den begeifterten Publicum an den 
Leib gehen, im zweiten aber dasſelbe mit beifenven 
Satyren geißeln ;der nüchterne Philofoph nimmt vie 
Dinge, wie fie find. Move ijt eben Mode; fie nütt 
fih ab, e8 folgt eine andere, wielleicht noch komi— 
ſchere, ijt aber jedenfalls neu. 

Nicht nur ver Rod, die Chalup, die Krinoline 
unterligen dev Mode, ſondern auch wir fterbliche 
Menfchen. 


Heute donnern uns begeijterte „Eljens“ zu; 
nach einem Jahre fragt man: „Lebſt du denn noch 
immer ?" Heute Schlägt man Einem die Fenſter ein; 
nach einem Jahre Flopfen diefelben Leute ganz unter: 
thänig an feine Thüre. 

Ich glaube in feine poetiihe Ertramwaganz 
verfallen zu fein, denn ich jagte nicht heute und mor- 
gen; ich Tieß ein ganzes Jahr zu, was eine ziemlich 
hübſche Zeit ift. 

Es gibt ader Menſchen ſehr glüdlicher Natur, 
Die fich ftets in der Mode zu erhalten wilfen, und 


— 167 — 


Das ift ein großer Vortheil des Menſchen über die 
Kleider. 

Es gibt nüchterne, weiſe denkende Männer, 
die nicht auf den Trödlermarkt kommen. 

Herr Bärſing z. B. war ſeiner Zeit ein ſo 
guter Flamingo, wie es nur einen gab; er nahm 
die Trikoloren, Kokarden zu dutzenden von den Pa— 
triotinen, ſchrieb Schlachtenlieder, von denen man in 
unſern friedlichen Tagen ſchier das Fieber bekom— 
men möchte, um anderer größerer Dinge gar nicht 
Erwähnung zu thun. Wer würde ihm aber deß 
halb Vorwürfe machen? Es war damals ſo die 
Mode. 

Jetzt iſt er ein vollkommener Doktor der 
Rechte, hat eine ausgedehnte Bekanntſchaft und ein 
ganzes Heer von Klienten; daß er dieſe meiſtens im 
Thorgange des Wechſelgerichtes angeworben, wollen 
wir nur nebenbei erwähnen. 

Dabei iſt er ein ausgezeichneter und hervor— 
ragender Mann; auf der Gaſſe ſpricht er ſtets laut, 
ruft von zehn Leuten, denen er auf der Gaſſe begeg— 
net, neun beim Namen und Titel an; mit ſechſen 
wechſelt er einen Händedruck, vieren winkt er blos 
mit der Hand, ohne den Hut zu lüften. Im Theater 
führt er den Ton, kommandirt die Clacque, läßt 
nach Belieben die Schauſpieler hervorrufen, und 
wenn man gegen ſeinen Willen applaudirt, blickt er 


u 1 


mit zornig zufammengezogenen Augenbraunen auf“ 
die unmiffenden Provinzler, die fih dann befehämt: 
zurüdziehen. 


Bärſing dugt alle neugebadenen Zelebritäten ;- 
er ift bei allen ämtlichen Sommitäten zu Haufe und 
pflegt bei ihnen zu tafeln. 


Seine Jugendfreunde pflegt er mit wahrer 
Proteltormine zu empfangen. Die Dichter aus dem 
Cafe Pilwar grüßt er mit den VBorten „Servus." Es 
ift ihm nur zu gut befannt, daß es viele Leute gibt, 
denen er unansjtehlich ift. Begegnet er jolchen auf 
der Gaſſe, fo drückt er ihnen, bevor fie e8 gewahren 
fonnten, freundfchaftlich die Hände, und erfundigt fich 
nach ihrem werthen Befinden. Und e8 gibt Feineır. 
Menſchen, ver ven Muth hätte zu jagen ; „Was geht 
Sie mein Befinden an?" Im Gegentheil findet das 
lärmende Individuum immer eine Begleitung, einer. 
Haufen junger Leute, die im Bewußtfein ihrer Ju— 
gend darin Beruhignng finden, daß fie nod Zeit 
haben: Charakter zu entwideln; ſtets bereite Zech— 
brüder, bie nur darauf jehen, ob einer ein fideler 
Kumpan jei; der öffentliche Charakter ijt Neben- 
fache; jung gealterte, verſchrumpfte Genies, die 
Träume ihrer Jugend als Verirrungen anerkennen, 
zu faltblütigen Kosmopoliten geworden, und jchließ- 
lich ein Haufe erbärmlicher Menjchen, die nicht ge— 
wohnt find mit dem eigenen Kopfe zu denken, jondern. 


— 169 — 


der Mode huldigen, wie man fie eben fertig im Kauf 
laden befommt. 

Es gibt natürlich auch Leute, welche der 
Gaſſenmode nicht Huldigen, die bei dem geblie= 
ben. find, was fie einmal für fchön und gut 
hielten, nur daß dieſe fih in ihre Nefter zurüd=- 
zogen, zu Haufe figen, in ber Wahl ihrer Freunde- 
ſehr vorfichtig find, und wenig Lebenszeihen von: 
ſich geben. 

Freilich nent man dieſe Menfchen die Eulen.. 

Dieje wollen es nicht einjehen, daß fich die. 
Welt ändert, weil jie fich eben ändern muß; daß es 
feine Apoftafie ift, werın man ein neues Kleid anzieht, 
fondern ein bloßes Umfchlagen ver Meinung in's Bef- 
fere, jo daß man dasjenige, was gejtern für Flug galt, 
heute als Narrheit betrachtet, und was gejtern uns 
möglich fchien, man heute für ganz möglich hält. 

Zu biefen Eulen zählt auch Bela Laͤvay. In 
feiner Eigenschaft als Adwokat, ging er feinen 
Dienftlihen verrichtungen nad, verkehrt mit Allen, 
mit denen er Vermöge feines Berufes verfehren 
mußte, er ſprach aber nur fo viel, als unumgänglich. 
nothwenbig war, und begann erſt dann wirklich zu 
leben, wenn er in feinem engen Familienfreis, welchen 
feine Mutter, Gattin und Kind bildete, und zu wel- 
chem ſich manchmal Melchior gefelite, heimfehren- 
konnte. a 


— 170 — 


Hier war ein Jeder wieder der alte Menſch. 

Die gute alte Frau war umnerfchöpflich iu der 
‘Erzählung der Trübſale der verflofjenen Fahre. 

Sie trug noch immer jene braune Jacke, in 
welche Rafetenfunfen zwei Yöcher gebrannt hattten. 

Dann ſuchte Sie Bela zum Erzählen zu be— 
"wegen, wo er herumgeirrt, was er ausgejtanden, 
welchen®efahren er während feiner Flucht —— 
geweſen? 


Bela ſprach ungerne davon; er hätte es auch 
nie vorgebracht, wie er zu feiner ſcheintodten Gattin 
zurüdgefeht, wenn Melchior nicht das Geheimniß 
der Narbe auf der Stirne Indith's verratben 
hätte, da erjt begamır e8 der alten Frau klar zu 
werben, worauf der mürriſche Veteran bingezielt, 
welcher Judith in den Stleidern ihres Mannes er- 
Tannt hatte, 

— Haft du viel Hunger, Kälte, Müdigkeit 
erdulden müſſen? frug fie ihren Sohn. 

Bela hatte zu viel Zartgefühl, um die Frauen 
mit der Bejchreibung feiner Leiden zu betrüben. 

— Hatte feine Gefahren zu bejtehen. War 
‚Gärtner bei einer Herrfchaft, wo es mir gut 
ging. Als ich mein Wiſſen verwertben konnte, gab 
mir die Öärtnerei, welde ich von meinem guten 
-Bater zur Unterhaltung gelernt, Brot und Obdach. 


— 171 — 


Damit wandte er fich an fein Söhnlein in der 
Wiege und flüjterte dem Schlummerden Worte bit- 
terer Zärtlichkeit zu. 

— Ja, ja mein Herzensfind, wenn du einmal 
groß wirft, will ich dich zum Hanbwerfer erziehen ; 
fürchte nichts, folljt fein Gelehrter werden, wie dein 
Bater, noch zum Theater gehen, wie deine Mutter, 
jondern mit den Händen arbeiten und glüdlich da— 
bei jein. 

Judith, welche an der Wiege ihres Kindes ſaß 
und an einem Theaterkoſtüme nähte, blickte ihren 
Gatten mit den großen dunklen Augen an. 


— Wenn auch wir zufammen brechen, wer 
ſoll dann ſtehen bleiben? Eben deshalb, weil die 
Wiffenjchaft ein Leiden, weil die Kunft das Elend it; 
eben deßhalb, weil du und ich beides burchgefühlt 
haben, fteht e8 uns am, zu ſagen: harre aus, bleibe 
treu, dulve, kämpfe für jene Idee, für welche dein 
Vater und deine Mutter gekämpft, gelitten; jete 
fort, was diefe nicht beenden konnten, werde ein 
Künſtler, ein Dichter, ein Gelehrter. 

Bela erhob ſich und küßte die Stirne feiner 
Gattin. 

— Weib wie groß ift dein Glaube. 

— Würe ih nur ein Mann. 

— Es ijt war, du wäreft ein befferer Mann 

als ich, aber nie gehörteft du diefer Welt an. Du 


— 172 — 


wäreft für einen Mann ebendas, was einft Bußtaft 
geweſen. Könnte er. wenn er noch lebte, heute und- 
zwifchen biefen Menfchen auf ber Erde wandeln ?: 
Am erften Tage würde er Jemanden töbten, ober 
Jemand ihn. 

— Hier ift von feinem Menſchenmorde die 
Rede, fondern davon, daß „der Dann ein Mann 
fein ſoll,“ man kann e8 euch nicht genug in die Oh— 
ren ſchreien: Ihr ſeid jchlechter, al8 die Frauen ;. 
jeder Schmeichler findet bei euch Gehör. 

— Unfer Beruf zwingt uns, mit der Welt im. 
Berührung zu fommen. 

— Aber nicht mit aller Welt Freundfchaft zu 
ſchließen. 

— Thue ich das? 

— Freilich thuſt du es. Wenn ich mit dir an 
deinem Arme durch die Straßen gehe, muß ich dich 
nicht alle Augenblide ermahnen, den Gruß dieſes 
oder jenes Menfchen nicht zu erwiedern. Ich grüße 
Niemanden, ven ich verabſcheue. 

— Ich grüße auch nur aus Artigfeit. Das 
Hutlüften verpflichtet mich zu nichts. 

— Ja wohl verpflichtet e3. — Heute erwiderjt 
du den Gruß, morgen redet er dich an, übermorgen 
macht er bir einen Beſuch und du empfängft ihn; 
findeft, daß er ein jehr angenehmer Mann fei, unt- 
eines fchönen Tages bift du fein Freund. 


— 113 — 


Was dieſe Frau fagte, war die erjchöpfendfte 
Kritik der politiihen Mode. Wir find aber zu 
Schwache, gute Yeute. Wir fchlagen und gerne und 
"bereitwillig, wir jegen aber die Gehäffigfeiten nach 
dem Kampfe nicht fort. Bet nng gibt e8 feine „weiße 
und rothe Rofen ;" feine Guelfen und Ghibellinen, 
"die von Generationen zu Generationen den Kampf 
ihrer Väter fortjegen; es gibt bei uns feine „Pe— 
csovics“ und „Kubingky’8" mehr, wir lieben einan- 
ver fo inniglich, daß wir jelbjt jenem Kritifus zürnen, 
‘der einen fümmerlichen Reimſchmied herabreißt; ift 
er doch auch Blut von unferm Blute; auch fein 
Schmerz jtört und das Bewußtjein, daß wir ſehr 
‚gute Menjchen feien. Und wer weiß es, ob das nicht 
unjere Tugend ift.. . . 

Bela biß fich in die Lippen und ſchmollte mif 
feiner Fran wegen ihrer Worte, 

— Yet zürneft du? fagte Judith, ihren Kopf 
ſanft auf Bela'sSchulter lehnend. 

DD nein erwiderte Bela in bitterem 
Tone, du kennſt mich zu gut, als daß du glauben 
tönnteft, ich fei der Menjch, der fehr Leicht Freund— 
ſchaften ſchließt. 

— Das ſage ich nicht; aber daß du leicht 
vergibſt. 

— Hätteſt noch dazu ſetzen ſollen; am fünften 
Tage beſuchſt Du ihn, am ſechſten trägſt Du ſeine 
Mode. Von mir iſt es ja zu erwarten. 


— 114 — 


Die alte Frau wollte die fich auffteigende Wolke 
welche ven reinen Himmel des Glückes ihrer Kinder 
zu trieben drohte, vericheuchen, und fiel in das 
Geſpräch ein, indem fie natürlich ihrem Sohn 
Recht gab. 

— Bella ift fein ſchwankender Charakter. So 
fenne ich ihn von feiner Kindheit an, bin ich doch 
feine Mutter. Ach er war jo ein ruhiges Kindlein, 
wie diefes in der Wiege da, und als Mann ebenſo 
fanft, wie fein Bater. Wenn er auch nicht grob und 
zänfifch gewejen, jo war er boch jtet8 Mann am. 
Platz. Auch fein jeliger Vater hatte einen Feind, wie 
Bärfing ;auch mir mißfiel e8 ebenfo, wie dir Judith, 
wenn ich fah, daß er ven Gruß feines Feindes erwi- 
derte ; doch meinte er, das Schieffal werde ihm ſchon 
Genugthuung geben, wozu jollte er fich ſelbſt neh— 
men? Und er hatte Recht. 

— D liebe Mntter ! fiel Judith mit von Er- 
rvegtheit gerötheten Wangen ein, wenn diefer Menſch 
„nur“ Bela’s Feind wäre, und man das zu vergeſ— 
fen hätte; wenn es feine andere trennende Kluft 
zwifchen Beiden gäbe, würde ich nit darnach fra- 
gen, ob er mit ihm abgerechnet, ob er die Echuld 
beglichen. Bedenken Sie aber, daß diefer Menſch die 
Namen Derjenigen in den Koth hevabzog, die alles- 
gethan uud alles verloren hatten und die er jeßt, ba 
er obenauf ſchwimmt, als fchwärmeriiche Narren. 


— 175 — 


verlacht. Damals waren Lente feines Schlages die- 
ruhmreichen Helden des Tages, und Männer, wie- 
Bela, die Yandesverräther ; fett ift er der Kluge und- 
Bela der Narr. Und das ift die uuermeßliche Kluft 
zwijchen uns!. 


Diefe Worte Judith's brachten auch die alte- 
Frau in Erregung. 


— Habe ich je geglaubt, daß Bela mit dieſem 
Menſchen noch ein Wort wechſeln könne. Mit jedem 
Anberen eher, mit biefem nie, 


— Und doch werde ich noch viele Worte mit. 
ihm zu wechjeln haben, fiel Bela ein, fich von feinem 
Site erhebend. 

Die beiden Frauen ftaunten ihn an, 

— Das werdet Ihr lange Zeit nicht. ver- 
jtehen, einſt aber joll e8 Euch flar werben ; bis da— 
bin will ich die Laſt Eurer Verachtung geduldig tra— 
gen. Möget Ihr bis dahin glauben, ich ſei Advokat, 
der feine Empfindeleien kennt. 

Da trat das Dienjtbote ins Zimmer und mel- 
dete, ed warte ein Herr draußen, der feine Karte 
ſchickte. 


Dela beſah die Karte, und legte fie auf den 
Tiſch feiner Gattin. Judith warf einen Seiten Blick 
auf das Billet, worauf der Name Barfing ftand, 
und beftete dann einen anderen Blick auf ihren. 


— 116 — 


Gatten. Bela fand e8 für angezeigt, die Slarte vom 
Tische zu nehmen und in die Taſche zu jchieben. 

— Ich fomme gleid) ; führe ven Herrn einjt- 
“weilen in mein Arbeigimmer. 

Damit folgte er dem Dienftboten, ohne weder 
jeine Gattin, noch feine Mutter anzujehen. 

Seit diefem Momente herrjchte im Kreije der 
Familie eine peinliche Gefpanntheit, glei) wie im 
Sommer, wenn die Luft mit Dünften gefcehwängert 
ift und der Himmel fich nicht winwölfen und auch 
nicht ausheitern kann. Man ſchmachtet völlig nach 
einem fleinen Gewitter. 

Denn im Leben ift e3 einmal jo, daß die Liebe 
‚ber beiten Frauen auch die bejte Bantoffelherrichaft iſt. 

Wenn die Frau für Dich alles geopfert hat, 
ihren weltlichen Glanz, ihr Bermögen, ihre Bequem- 
Tichkeit, ihren Rang — kannſt du e8 ja vergeffen, 
daß du ihr Schuldner bift ? — Als du verfolgt im 
Lande herumirrteft, juchte fie deine Spuren durch 
‚die Gefahren und Gräulen des Krieges; fönnteft dur 
fie jett verlaffen um Iuftiger Zechbrüder willen ? 
Die Frau hatte die Rolle des Mannes übernommen, 
hatte wunderbarer Weife das Steuer deines Schid- 
jalsichiffes ergriffen, um es vor Schiffbruch zu ret- 
ten; fönnteft du jeßt dieſe Hand los laffen? Die 
dran wachte ihre Nächte durch an deinem verborge: 
nen Kranfenlager, könnteſt du jeßt ihren Schlaf ftö- 


— 177 — 


ren durch ein lärmendes Thürzuſchlagen, wenn du 
von nächtlicher Schwelgerei heimkehrſt? — Die 
Frau hat ſich von der Welt abgeſperrt, als ſie auch 
für Dich geſperrt war; jetzt als für Dich die Welt 
offen, könnteſt du fie für die ganze Welt verlaf- 
fen?... Vermag ein ganzes lachendes Paradis den 
trauernden Bli in ihrem Auge dir erſetzen? 


D, eine liebende, eine leivende Frau ift eine 
große Macht auf Erden. 

Bela hatte fih in ein an das Wunderbare 
grenzendes Unternehmen gejtürzt, als er es wagte, 
diefer Großmacht Troß zu bieten, 

Niemand wird e8 bemerken, daß dies Judith 
Wehe thut; e8 gibt falfche Töne, welche nur ein an 
die Mufif gewöhntes Ohr wahrzunehmen vermag. 
Bela kannte diefe Töne. 

Wer weiß es, was noch das Ende dieſes Lies 
des jein wird?... 

Als Bela in ſei Arbeitszimmer trat, faß Herr 
Baͤrſing bereit8 auf dem Divan, gleich einen Türken, 
mit unterfchlagenen Füßen . . . Wenigftens hatte er 
Bela die Mühe erjpart, ihm einen Sit anzubieten. 

Bela beeilte fich das erſte Wort zu haben. 

— Womit fann ich dienen mein Herr? 

Das Wort Herr betonte er befonder um 
dem vorzubeugen, daß er von feinem Beſuche mit 
„Du“ augerebet werde. 

Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Bond. 12 


— 178 — 


| — Ach! guten Tag, Bela — mein Herr, wollte 
ih jagen: ergebenfter Diener! Wir haben ung 
zwar einft geduzt, doch wenn es Ihnen, mein 
Herr, fo befjer gefällt, will ich nicht zudringlich fein 
und mich auf alte Beziehungen berufen. Werfen wir 
einen Schleier auf die Vergangegheit, 

— Womit fann ich dienen ? 

— (68 ijt mir übrigens auch lieber, wenn wir 
alle Sentimentalität bei Seite ſetzen — ſagte Baͤr— 
fing auf die zweite trodene Interpelative — umjo= 
mehr, als die Angelegenheit, in der ich Sie ſprechen 
wollte, rein gefchäftlicher Natur ift. Ein Anderer, ein 
Charlatan, würde zwar behaupten, vaß es eine Art 
freundfhaftlichen Dienftes fei; doch will ich die 
"Sache verfchönern, indem ich ein verteufelt aufrich- 
tiger Burjche bin und die Schaufpiele nicht liebe; ... 
bin fein Poet, ha ba hal... . bin fein Bühnen- 
dichter. | _ 

Bela erinnerte fich hiebei jener jchlechten 
Dranten, mit welchen biefer würdige Mann 
einjt deu Dichter Pußtafy gemartert hatte, Doc 
lag es nicht in Bela’s Natur, ihm dieſes vor- 
zuhalten. 

— Gehen wir an die Sache, mein Herr, 
ſowohl ihre als meine Zeit iſt koſtbar. 

— Sie haben Recht, — ſagte Baͤrſiug, ſeine 
große Schweizeruhr aus der Weſtentaſche ziehend, 


— 179 — 


amd nachdem er das zifferblatt aufmerkſam betrachtet, 
bielt er die Uhr an das Ohr und ließ fie Schlagen, 
ob das Werk mit den Zeiger ftimme... — Um 
elf Uhr muß ich zu Sr. Gnaden dem PVorftand 
gehen .... Alſo .... erlauben Sie mir indeh eine 
Zigarre anzuzünden ? 

— Nein; meine Frau duldet den Taback— 
rauch nicht. 

— Ah — die gnädige Frau gebietet alſo auch 
in ihrem Arbeitszimmer? | 

— Ja wohl. — Sagen Sie mein Herr 
Schnell, was Sie wünjchen ? | 

— Ich will Sie bezüglich jenes Teftamentes 
Iprechen. . 

— Ih bin bereit3 von Allem unterrichtet. 
Fertöy war bier und hat mir berichtet, daß das Te— 
ftament vorhanden, aber nicht in jeinen Händen ſei. 
‚Derjenige welcher es befigt, will ed nur gegen die 
Hälfte des Subjtratumes herausgeben. . 

Zu jedem dieſer funzen Süße nicte Bärfing 
mit dem Kopfe, als billige er Alles, was gejagt 
wurde. 

— Ja, fo iſt's. Wei Alles vecht gut. Fertöy | 
hatte Klug berechnet, daß zwei Drittel mehr als die 
Hälfte jeien, und machte ihnen jeinen Vorjchlag, be— 
vor er mit dem Andern unterhanvelte. .... Es iſt 
ihm jedoch nicht gelungen. Um ſo beſſer. Nun ſchickt 

12* 


— 180 — 


mich jener Andere zu Ihnen; ... Sie wiffen, jener 
Andere, der anf gewiffen Irrwegen in den Befig 
des Teſtamentes gelangte, und macht Ihnen durch 
mich dasſelbe Anerbieten, welches Ihnen Fertöy 
gemacht. 

— Welches Anerbieten ? 

— Nun — „Gleich getheilt, wedt nicht 
Neid,” jagt ein altes Sprichwort. — Die Hälfte 
für die Hälfte... . 

— Ich veritehe Sie nicht. 

— Die Sache ift doch fo Har. Während Fer- 
töy zögert, das Teſtament, nady welchem Sie in ber 
Beſitz des Nachlaſſes Ihres Schwiegervaters gelan- 
gen könnten, gegen die Hälfte des Erbtheil® von 
einem Anderen zu übernehmen, fünnten Sie für 
vdenfelben Preis in ben Beſitz des Documentes 
gelangen. 

— Sind Sie etwa der Meinung, daß ich 
da8 Document, wenn es mir das Ungefähr in 
die Hände ſpielen follte, vernichten oder verbergen 
witrde ? 

Baͤrſing wurde fihtlid) verwirrt. Er war auf 
diefe Frage nicht gefaßt. Er hatte e8, feiner Anficht 
nach, mit einen närriſchen Menfchen zu thun, der im 
Stande wäre, aus eitlem Ehrgefühl ein Document, 
welches gegen ihn felbft zeigt, ven Händen des Rich 
ters zu überliefern, anftatt e8 zu unterfchlagen. 


— 131 — 


— Das... ftanmelte er verlegen, Könnte 
vielleicht ein Anderer thun; jener Gewiſſe, bei 
welchem e8 fid) jet befindet, könnte es fchon in ſol— 
chem Zuftande in die Hände gelangen laſſen, daß es 
nicht mehr gelejen werden könnte, 


— Und Sie glauben, daß ich einen jo nicht- 
würdigen Schuft abgeben, daß ich mich zum Kumpan 
einer jo fträflichen Handlung hergeben könnte. 


Bärfing hatte eine fo glückliche Gefichtsfarbe, 
daß er nicht höher erröthen konnte, als er eben ſchon 
non Haus aus voth war; denn das Ganze war ja 
nichts Anderes, als Jemanden ins Geficht einen 
Schuft heißen. 


— Aber geehrter Herr Sie faffen die Frage 
noch immer von fehr dichteriihem Standpunkte auf; 
nehmen wir fie als Advokat. Der Prozeß ift in jenes 
Stadium gelangt, wo, wenn das fragliche Tejtament 
nicht zum Vorihein gelangt, das ganze Vermögen 
Ihrer Öattin zufällt.... . Ein fchönes Vermögen, 
"wahrlich. Lohnt ſchon dev Mühe, dafiir einen Prozeß zu 
führen. Die gnädige Frau hätte es nicht nöthig, Ko— 
medie zu fpielen auf dieſem elenden Theater. 


— Was für ein elendes Theater?... 


— Na, na, ereifern Sie fich nicht; ich wollte 
armes Theater jagen; die Gardinen find in ber 
‚That zerrtiien, hängen in Feten herab. Es iſt ein 


— 12 — 


faueres Brot, Sie müffen e8 am Beften wiffen.. 

Hätte ich eine Frau, nicht um die ganze Welt würde 

ich ihr’8 erlauben, Schaufpielerin zu fein. | 
— Ich bitte Sie, Sprechen wir nicht davon. 


— Ich bradte e8 janur vor, um Sie auf: 
merkſam zu machen, um wie viel Sie und Ihre wer— 
the Gattin vom Einfommen ihres Gutes Ieben könn— 
ten. Kommt aber das Teſtament an’8 Tageslicht, 
dann hat das alles ein Ende; Fertöy wird Univer— 
jalerbe; — ihre Frau hat nichts als das väterliche 
Haus in Komorn, welches zu Aſche verbrannt und- 
deifen Ruinen der Negen verwäfcht. 


— Das Ende des Liedes ift demnach, ich ſoll 
behilflich fein, das Teftament zu vernichten, nicht 
wahr ? 

— Nein das Ende ift nicht das, ſprechen wir als 
Advofaten, als vernünftige Menſchen. Sie und Ihre 
Gattin jtellen mir eine Obligation darüber aus, daß 
Sie mir, im Falle, daß der Prozeß zu Ihren Guns 
ſten entſchieden wird, die Hälfte des Erbtheils für 
die durch mich vertretene Partei überlaffen; vom 
Mebrigen wiffen Sie nichts... . dann foll das Te— 
ftament bis züm Termine nicht zum Vorſchein kom— 
men, fpäter aber um fo weniger. Sie wiſſen von 
demfelben garnichts; Sie haben feinen Antheil an 
dem, was damit gefchehen ift; Ihr Auf bleibt unbe— 
fleckt vor Gott und den Menfchen.. 


— 183 — 


— Nur vor mir und vor Ihnen, nicht war ? 


— Das ift abermals poetifche Schwärmerei ! 
Sprechen wir mein Herr wie e8 Advokaten geziemt. 


— Gut denn, fo will auch ich Ihnen eine Be- 
merkung in biefen Sinne machen. Ich glaube nicht, 
daß diefes Tejtament exiftirt. | 

Baͤrſing ſchlug fich lachend auf vie Knie, 
Seine langen Zähne fchimmerten ihn vor lauter 
Luftigfeit zwifchen den dicken Lippen durch. 

— Na, das habe ich von Ihnen erwartet, 
und habe mich in ihrem Scharffinn nicht getäuſcht; 
ich weiß e8 recht gut, daß Sie jagen werden : „Lieber 
Bärſing, das Lied, das Ihr, Du nämlich und Fertöh, 
mir da abwechjelnd von dem auf myſtiſche Weiſe 
aufgefundenen Documente in die Ohren fingt, ift 
eitel Geplärre; hättet Ihr's, würdet Ihr mir gewiß 
nie in die Nähe kommen. Ihr feid aber einverftanden 
mit einander, um mir Sand in bie Augen zu 
ſtreuen,“ — das wußte ich im voraus, und habe mich 
mit den gehörigen Beweifen verjehen, ba ich mir 
feinen jchlechten Scherz mit Ihnen erlauben wollte. 
So viel Achtung find Sie ſelbſt fehuldig, daß Sie 
von Niemanden vworausfegen, er Tönnte auf Ihre 
Schwachlöpfifeit vechnen, Das Teſtament ift in 
meinem DBefig. Jener gewiße Jemand, hat es 
mir anvertraut, und mich ermächtigt, es Ihnen 
zu zeigen. 


— 154 — 


Hiemit langte er das Document aus jeiner 
Taſche, und überreichte e8 Bela. Und um fein Ver- 
trauen Bela gegenüber zu beweiſen, ließ er das Do- 
fument in Béla's Händen, ftand von feinem Sige 
auf und fpazirte auf das Fenfter zu. Nur warf er 
troß ſeines unumſchränkten Vertrauens haftige 
Blicke in den gegemüberliegenden Spiegel, vielleicht 
nur um die Wirkung zu beobachten, welche das Do— 
cument auf Bela machte. 

Lävay Hatte mit droßer Gleichgiltigkeit 
das Tejtament durchflogen, die Siegel und Unter- 
fchriften geprüft, und machte dabei gar Feine Bes 
merfung. 

Plöglich bemerkte aber Bärfiug, daß Bela 
das entfaltene Document gegen das Yicht halte, 

— Si’jt feine Radirung darin! beeilte fich 
Bärfing im halbſcherzenden Tone zu bemerken. 

— Es ift wahrlich nichts daran radirt; — 
ſagte Bela, das Papier zufanmmefaltend. 

Er hatte aber nicht nach einer Radirung ge— 
ſpäht, jondern ‚betrachtete das Waſſerzeichen der Fa— 
brid auf dem Papier. 

— Nun, was folten wir jet? frug Barfing 
mit fiegreichen Lächeln. 

— Thun Sie, was in gleichen Fällen ehrliche 
Menſchen thun würden. 

— Das ift eine merkwürdige Weifung, ich 
verſtehe von alldem nichts. 


— 15 — 


— Ich hoffe, daß Sie fih erklären können, 
was in gleichen Fällen ein ehrlicher Menſch thut? 

Baͤrſing zuckte mit der Achjel. 

— Die Ehrlichkeit ijt ein jehr relativer 
Begriff. 

— Geben wir aljo der Sache eine andere 
Wendung. Thun Sie das, was in gleichen Fällen 
ein gefchiekter Senfal thun würde. Verkaufen Sie 
Das Document an den Meijtbietenven. 

— Fertöy verſprach mir ein Drittel, und Sie? 

— Ich verfpreche Ihnen Nichts. . . . 

Baͤrſing begann es zu ſchwindeln ob dieſer 
unerwarteten Antwort. Bela warf das Document 
mit folch verächtliher Mine auf ven Tiſch, als hätte 
er eine Spinne oder eine Raupe, welche ihm zu— 
fällig auf die Hand gefallen, und vor der e8 ihm 
efelt, von fich gejchleudert. 

Baͤrſing begriff es, daß bier fein Gefchäft zu 
machen fei. 

— Iſt das Ihr Ultimatum ? 

— Ich habe mich ausgefprochen. 

— Ich noch nicht, denn ich werde appelliren. 

— An wen? 

— An das Fompetentefte Forum; an Ihren 
Rlienten. 


— 136 — 


— An nteine Frau? Ich bitte Sie thuen 
fie es. | 

— Belieben nicht zu lächeln. Auch ich begriff 
es mit meinem Furzen Verjtande im voraus, daß, 
wenn ich mich behufs perjönlicher Befprechung bei 
der gnädigen Frau anmelden lafje, fie mir heraus: 
jagen läßt, fie habe Kopffchmerzen, oder daß fie eben 
ihre Rolle ſtudire; ſchreibe ich ihr einen Brief, ſo 
fendet jie mir ihn, fobald fie an der Adreſſe meine 
Schrift erfannt, unerbrochen zurück; — deßhalb- 
jeien Sie aber überzeugt, mein Herr, daß ber Fuge 
Jäger mehr als jene Patrone mitnimmt, mit welcher 
ev den Lauf feines Gewehres geladen. 

— Nun jo wünfche ich Ihnen viel Glück auf 
die Jagd, ſagte Bela und wandte feinem Gaſt ven 
Rüden, 

Bärfing ſchob das Dokument in feine Rockta— 
ihe und entfernte ſich. 

Bela klatſchte mit den Händen, und feine Au— 
gen funkelten vor Freude, als hätte er einen großen 
Erfolg errungen, dann kleidete er ſich an um aus= 
zugehen. 

So oft er fich vom Haufe entfernte, pflegte er 
es ſtets feiner Gattin mitzutheilen, wohin er ging, 
und wann er nach Haufe komme. Ich weiß e8 nicht, 
wer. dieſes Recht ven Frauen verliehen; fo viel ift 
gewiß, daß fie dieſes Recht ausüben. 


— 187 — 


Als er in das Zimmer Judith's trat, fand er- 
Melchior dort, der Heine Dockter nützte fehr oft die 
Gelegenheit, welche fich ihm als Hausarzt bot, um 
feine alten Freunde zu befuchen. 


Da pflegte er dieſe mit feinem jtatiftifchen und 
chemischen Wiffenjchaften zu unterhalten, welchen 
Vorträgen Niemand mit fo großer Pietät zugehört 
hatte, als die alte Frau, bie e8 fich ſehr zu Herzen 
nehmen fonnte, wenn Melchior erzählte, wie viel 
Perzent Huudeknochen in den raffinirten Zuder 
enthalten feien, und daß bie geitärften Unter— 
röde das Brot von Millionen Menjchen jährlich 
verzehren. 

— Eben war ich im Begriff dich zu beſuchen, 
fagte Bela, als er feinen Freund ſah, welcher die 
Frauen zu überzeugen fuchte, daß die Teppiche im. 
Zimmer Lungentuberkeln erzeugen. 

— Gehen wir alio, fagte Melchior, fih von 
jeinem Site erhebent. 

— Rönnen Sie ihre Angelegenheiten nicht 
bier ordnen? fragte Judith, während fie Melchior 
nöthigte, fich abermals zu jegen. 

— Gewiß können wir dies, antwortete Bela, 
feinen Hut ablegend, das Ganze befteht in einem. 
Worte, Diefes Wort ift der Name eines Städtcheng, 
welchen wir längjt juchten. 


— 158 — 


— Ih habe ihn gefunden. Der Name iſt 
„Neuburg.“ 

Melchior jah eine Weile nah dem Plafon 
als wären bort alle jenen Namen, Ziffern und Kom— 
binationen gejchrieben, die er in dem ungeheuer 
Wörterbuch feiner Erinnerungen angejammelt hatte; 
‚dann fchnellte er von feinem Sige auf, als hätten 
ihn geheime Federn in die Yuft gefchleudert, und ſei— 
‚nes hinkenden Fußes vergeſſend, tanzte er an feinen 
Freund heran, drückte deſſen Hände und rief freudig 
-auflachend : 

— Das geht] im prädtig. Wenn es „Neuburg 
heißt, dann brauchen wir uns ja nicht von der 
Stelle zn rühren; das ift (Diefe Worte fprach er 
Flüfternd) das Jahr 1859. 

— Prächtig, fagte darauf Bela, und lä— 
chelte ganz vergnügt. — Was bedeutet Neuburg und 
1859? fragte die alte Frau mit unüberwindlicher 
‚Neugierde, 

— Das bedeutet ven glänzendften Sieg! rief 
Melchior, und war fchon im Begriffe, alles zu 
erzählen, oder wenigſtens ahnen zu laſſen, von 
"was die Rede fei, doch zupfte ihn Bela an den 
Rockſchößen, um ihn zur nüchternen Vernunft zu 
‚bringen. 

— Gilt eine Wette, erivieverte Bela mit 
vollkommeuer Verflellung ; e8 gilt eine Wette a 
"Mehrere, welche wir gewinnen. 


— 189 — 


— Nun und was habt Ihr gewonnen ? frug: 
bie alte Frau, welche alles glanbte, war ihr Sohn 
ſprach, und nur wiffen wollte; wie hoch bie Wette 
gche, in welche er fich eingelaffen, und ob er nicht 
viel auf's Spiel geſetzt. 


— 9, ehr viel, antwortete Bela, feinerzeit 
wollen wir ſchon den Wettſchmaus halten. Bis dahin. 
erfuche ih dich — Freund Melchior, fein Wort‘ 
darüber zu ſprechen. 


— Ich werde ſchweigen wie ein Arzt. 


— — — : 


Nach einigen Tagen, als die Familie gerade 
bei Tiſche ſaß, Fam der Briefträger mit feinen 
Briefen. Das Heine Männchen ftand bereits- 
feit geraumer Zeit im Dienjte des Publikums ; 
er fannte nicht uur die Einwohner, denen er bie: 
Briefe brachte, fondern auch die Handſchriften Der- 
jenigen, welche vielen zu jchreiben pflegten. Wenn 
er nun einen längft erwarteten Brief in feiner 
Taſche hatte, fprang er je drei nd brei Stufen 
hinauf, mit einer Eile, daß ihm fchier der Athen 
ausging. Der übermäßige Eifer verurfachte auch 
jeinen frühen Tod. 


— Gehorſamer Diener, wünſche beften Appe- 
tit; ein graußliches Wetter da draußen. Hier find 
Briefe für den gnädigen Herrn; für den einen find 


ER |: 


13 Kreuzer zu zahlen. Wie der Regen ftrömt, und 
der Wind noch dazu! Auch für die gnädige Frau 
habe ich einen Brief, habe ihn jeparat gelegt. Uno 
noch dazu ein lieber Brief, fommt vou Komorn, vom 
fieben Herrn Papa. 

— Bon meinem Vater? frug Judith er— 
ſtaunt. | 
— D ich fenne jehr gut die Handjchrift des 
gnädigen Herrn, habe viel Briefe von ihm an vie 
Addreſſe Ihres Herrn Gatten gebracht als er noch 
Jurat gewefen. Da fragte mich der gnädige Herr 
immer, wenn er mich ſah: Sit Fein Brief von Herrn 
Hargitay aus Komorn da? Ob ich dieſe Schrift 
fenne ! 

Der bejcheidene Briefträger wußte e8 frei- 
Lich nicht, daß derjenige, deffen Brief man einft jo 
jehnfiichtig erwartet, ſchon längjt feine Kinder ver- 
Flucht hatte und gejtorben ſei. ... 

Haftig übergab er die Briefe, mit dent 
Beveuten, daß er die 13 Kreuzer ein andermal ab- 
holen werde, da diefe ihm einzuhändigen der ver- 
blüffte Dienftbote vergeffen hatte, und lief um ein 
Haus weiter. Die Addreſſe jenes Briefes war die 
fürmliche Handſchrift des verewigten Hargitay. Es 
“waren diejelben an einander vennenden Buchjtaben, 
mit den oppofitionellen Hörnern, den liberal auslau— 
fenden Haarftrichen und den eigenthümlichen An— 


— 1911 — 


Tangsbuchitaben, die fich mit protejtantijcher Härte 
in den Naden werfen, jo wie mit jenen dicken Erd— 
ftrichen, welcher ftetS das Leben einer Schreibfe- 
ver koſtete. 

Wer nur einmal die Handſchrift Hargitay’s 
geſehen, Tonnte fie alffogleich erfennen. 

Judith fiarrte mit jtieren Augen und blaffen 
Geſichte die Schrift an; felbjt Bela war verblüfft. 
Die Täuſchung war vollfommen. 

— Deffne den Brief, nnd lies ihn, eiferte 
Bela jeine Frau an. 

Judith erbrach das Kouvert, drinnen fand fie, 
mit derjelben glänzenden Tinte, womit ihr Vater zu 
fchreiben pflegte, einen Brief folgenden Inhaltes: 
„Judith von Hargita wurde von dem Schickſals— 
Ichlag getroffen, daß fie ihr Vater wegen Bela Laͤvay 
verfluchte und enterbte. Doch langt die unfichtbare 
Hand der Väter auch aus dem Grabe hervor, um 
jeine Kinder zu ſchützen oder zu zlichtigen. Dieſe um- 
fichtbare Hand hatte den Beweis des väterlichen 
Zornes, das Teftament verjchwinden gemacht; 
doch die Herzen der Kinder wurden weder durch 
das Leben, noch dur den Fluch erweicht, fie 
blieben hart und ftoß. Diefe unfichtbare Hand 
hatte das Teftament, das Zeugniß väterlichen 
Fluches, abermals an das Tageslicht gebracht. 
Ein alter Familienfreund hatte es dem Gatten 


— 192 — 


vorgewieſen und ihm bebeutet, daß nur die Hälfte 
des Fluches gejühnt fei, die andere Hälfte ſchwebe 
noch über ihren Häuptern umb werde mit gan— 
zer Kraft auf fie herabbraufen, wenn ihre Her: 
zen in ber Hartnädigfeit verharreu. Der Gatte 
wieß die verföhnliche Hand ftolz zurüd, und rief fein. 
Schickſal in die Schranken. Die Gattin möge beven- 
fen, daß es fich bier um ihr und ihres Kindes- 
Schickſal handelt. Es fteht noch in ihrer Macht zu 
verhindern, daß der Zornesfluth ihres Vaters ſich 
nicht über alle Häupter feiner Lieben ergieße. Dieß 
möge fie bedenken und befchließen ! 

Das Geficht Judith's blieb todtenbleich; an 
einen jeden Buchjtaben erkannte Sie die Hanpfchrift 
ihres Vaters und boch war deſſen Grabſtein fchon 
längft von Moos und Epheu bebedt. 

Stumm reichte fie den Brief ihrem Manne, 
als wollte fie ihn bitten, er möge doch dieſes Räth— 
jel löſen. 

Nachdem Bela deu Brief durchgeflogen hatte, 
fiel fein Blick auf das blaffe Geficht feiner Gattin. 
Es wäre ihm unmöglich gewefen, zu bemerfen, daß 
der Brief Judith ſehr angegriffen hatte. 

— Es ſcheint mir man hat mich benunzirt ? 


— Aber wer ? erwiederte Judith mit melan= 
choliſchem Blicke. 


— 193 — 


Biſt du vielleicht abergläubifch ? 

— Nein, doch ift die Schrift jo ähnlich. Die 
Augen Judith's füllten fih mit Thränen. 

— Diejer Brief beichuldigt mich, daß ich dein 
Vermögen aufs Spiel fee. Eine ſchwere Bejchuldi- 
gung, daß ich mich mit deinen prozekführenden Ver: 
wandten nicht vergleiche. Du ſolſt e8 einjt erfahren, 
wer diefen Brief gejchrieben. Bis dahin eriuche ich 
dich, diefen Brief unter deine Reliquien zn bewahren, 
und nicht zu vernichten, venn du fannft ihn einft ſehr 
nöthig haben. 


Bela kannte jehr gut die Löſung des Räthjels, 
er fannte fehr gut jene Hand, welche fremde Hand- 
Schriften fo treu nachzuahmen im Stande war doch 
durfte er hierüber noch nichts verlauten laſſen. Er war 
eben ein Jäger, der gegen ein ſehr gefährliches und 
porjichtiges Wild auf den Anftand gezogen; er hat 
jeine Spuren entdect, und war an den Kadaver ge: 
jtoßen, welchen diefes verjchleppt, und wußte ganz 
gut, daß das Wild zurüdfehren und vor ihm aber: 
mals erjcheinen werde; deßhalb hielt er im feiner 
Unbeweglichkeit ven Athem zurüd, ließ ſich von ben 
Mücken martern, jagte fie nicht von feinen Wangen ; 
er blickte nicht auf die Seite, jondern wartete ruhig 
auf jenen Augenblid, wo das Wild in feine Schuß 
weite gerückt; würde er ihm wahrnehmen, es könnte 
ihn hinterrüds anfallen. 


Andere Zeiten, andere Menſchen. III. Band. 13 


— 194 — 


Deßhalb mußte er jelbit vor der eigenen Gat- 
tin fein Geheimniß bewahren. Diefes Geheimniß 
verurfachte beiden jehr viel Leiden; doch gebe ich 
Bela Recht, jelbjt auf die Gefahr hin, daß mich die 
Frauen darob verurtheilen werben, ein Geheimniß 
jo lange vor ihr verborgen gehalten zu haben. Das 
Mittageffen verlief ruhig; fein Wort wurde ge: 
wechjelt. 


Nach dem Mittagtische ſtand Bela auf und 
begab fich in fein Arbeitszimmer. In einer halben 
Stunde folgte ihm feine Oattin, die Bläffe war von 
ihrem Geſichte bereits gewichen. 

— Dur fagft mir, ich möchte den Brief unter 
meinen Schriften verwahren, da ich feiner einft be- 
nöthigen könnte. Ich benöthige ihn nicht, ſondern 
übergebe ihn bir, wenn bu jo willit. 

— Iſt es Dir den gleichgiltig, wer immer 
e8 jei, ver mich anflagt ? 

— Hab ich je darnach gefragt? Iſt es zum 
eritenmal ? 


— Bertrauft Du mir? 
— Rönnt ich fonft leben ? 


— Glaubſt Du es, daß ich noch an den bö— 
jen Tag von Komorn denke? 


— Und id) gedenfe jener „guten Nacht“ 
im Sarge. 


— 1 — 


— Ein lebender Menſch kann uns nicht ſobald 
trennen, 


— Ein todter um fo weniger! 

Gatte und Gattin hielten fich umfchlungen. 
Es wardieß ein Paar, das Tag für Tag den Eid 
wiederholte, welchen es einjt vor dem Altar ge- 
Ihworen. 

Es grenzt ans Märchenhafte. 


(Ende des dritten Bandes.) 


13* 


Audere Beiten 


andere Menſchen. 


Roman in vier Bänden. 


Von 


Moris Jokai. 


Bierter Band. 


—⸗;s⸗7s⸗s⸗ 


Del, 
Druderei des „Athenäum.“ 
18735. 


Berlin. Berlag von Dtto Zanke. 





u = ED an an 


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Vierter Band. 


Die bleiche Fran. 


Das Geficht der Frau Fertöp wurde von Tag 
zu Tag bleicher. 

| Sie hatte es nicht nöthig, ihre Wangen mit 

Prinzeffinwaffer oder Lilionefe zu bleichen ; fie befaß - 

einen unfichtbaren Geift, welcher jede Nacht erfchien, 

um das fchneeige Weiß auf ihre Züge zu hauchen. 

Heute glich fie einer Lilje. 

Fürft Wolozoff trägt feine Schuld daran. 

Er ift in der That einer der aufopferndften 
Anbeter ; bei feinen Eroberungen fröhnt er nur feinem 
Ehrgeize. Es macht ihm eben Vergnügen, wenn bie 
Welt jpricht, er ſei der Geliebte, der ſchönften und 
geiftreichiten Frau. 

Dieje ſchönſte und geiftreichfte Frau hatte nun 
einen Fehler: das die Roſen von ihren Wangen ge⸗ 
wichen. Wolozoff würde ein Reih von Leibeigenen 

| 1* 


—— — 


dafür geben, wenn die Wangen dieſer Frau in ihrer 
früheren Roſenglut prangen würden. 

Es iſt immerhin eine odioſe Sache, wenn die 
Geliebte eines Mannes blaſirt iſt. Die Gattin mag 
es ſein; die andere, die fröhlichere Gefährtin jedoch 
ſoll nie die Lebensluſt verlieren. 

Wolozoff wäre es recht geweſen, wenn Sera— 
phine für welch Preis immer ihr Gemüth erhei— 
tert hätte. | 

Mas diefer Preis fei?... . wiffen nur die 
Männer. Dem Fürjten entging e8 nicht, daß Diefe 
Frau ihren Gatten aus tiefen Herzen hbſſe; hatte 
fie ihn nur deßhalb zum Gatten genommen. 
| Es zählte aber zu ven veinften Unmöglichkei- 
ten, daß eine Frau, welche ihren Gatten haft, möge 
‚fie wie immer bleic) jein, Niemanden auf der Welt 
‚hätte, den fie liebt. 

Der Fürft wußte es recht gut, daß dieſer Je— 
mand nicht er, fondern ein Anderer fei. 

Die ſchöne Frau empfängt feine Komplimente, 
ſpaziert an feinem Arme, tanzt mit ihm, fit in 
feiner Loge, nennt ihn unter vier Augen beim Tauf— 
nahmen; iſt zeitweife luſtig klagt ihm. vertraulich, 
wenn fie einen Schmerz hat; — dennoch wurde der 
Fürſt von Tag zu Tag immer mehr gewahr, daß es 
Jemand Anderen ar ber: mr ganze Seele be- 
ſchaftizt. 


— 5 — 


Diejen Andern muß er ausfindig machen. 

Weshalb ? Um ihn vielleicht zu tödten? Um 
ihn mit der ganzen Wuth der Eiferfucht zu verfolgen ? 
Nein, diefen Jemand muß er finden, daß Seraphine 
endlich glücklich werde ; daß auf ihr nn Geſicht, 
die Roſen ——— 


Es war an einem Abend im Theater. Sera- 
phine betrachtete von ihrer Loge aus, ihrer Gewohn— 
heit gemäß, ftatt die Vorftellung. das verjammelte 
Bublifum. Der Fürft faß ihr gegenüber und heftete 
feine Blicke auf das bleiche Antlig. In einem Mo- 
mente jchien es ihm, als ob ein rofigor Morgenroth 
über diefe fchneeigen Gefilde zöge, und Seraphine 
ganz heimlich Jemanden im Partere gegrüßt hätte... 
Sonit pflegte fie ganz auffallend Grüße zu wechjeln ; 

heute that fie e8 heimlich. 
| Der Fürjt folgte den Bliden Serapbines, und 
‚entdedte Denjenigen, welchem ber Gruß gegol-. 
ten... . Statt eine Frage an Seraphine zu richten, 
erwartete er den Augenblid, wo ein Bejuch in der. 
Loge vorfprach, um fich unbemerkt zu entfernen, nnd , 
ſich auf den Kafinoserfer zu begeben, wo er neben 
Elemer Dombay Pla nahm. 


Diefer Kavalier war berühmt deßhalb, daß e er 


jeden Menjchen, Damen, Mädchen, Herrn, ohne 


Ausnahme Fannte, die nur das Theater zu befuchen 
pflegten, jelbft die Galerie nicht ausgenommen, 


ne 


— Sag mir einmal Elemer, wer ijt jener 
unge Dann dort unter der vierten Loge, welcher auf 
feinen Stod gejtüßt ſteht. 

— Im deu manchefternen Baletot ? der ift der 
Gatte einer Schaufpielerin. 

— Ah, zum Kufuf; und der neben ihm, im 
chamois⸗farben Rod. 

— So? der ift auch der Gatte einer Schau- 
fpielerin. | 

— Die nennt er fich ? 

— Bela Yavay. 

— Was für ein Handwerk betreibt er? 

— Im befjeren Zeiten war er Bublizift ; — 
jest ijt er Advokat, 

— Lach mich nicht aus, wenn ich Div mittheile, 
daß diefer Mann mein geheimnißvoller Gärtner ift. 

— Die Derjenige etwa, von dem du erzähl- 
tejt, daß er einft Fertöh in das Aquarium geſtoßen 
hatte, und dann entjprungen jei ? 

— Derjelbe. Sch erkenne ihn num wieder, und 
erkläre mir num das Räthſel; Fertöy jprach eben 
Davon, daß der Lotos den Namen einer gewiffen 
Laͤvayh führe, und er hierauf den famofen Gruß 
erhielt... .. 

— A, das Klingt ja herrlih was bu mir 
da erzählft, gleih morgen muß ich Bela darüber 
- befragen. 

— Kennſt du ihn? 


— 7 — 


Sehr gut, er iſt ein kurioſer Kauz! J 

— Nun wenn es ſo iſt, erſuche ich dich, dieſer 
Sache vor ihm nicht zu erwähnen, Ich habe eben 
einen anderen Plan. — Wir müſſen uns ſtellen, als 
ahnten wir nichts von ſeiner Identität. 

Ich habe es nicht nöthig, den Gentlemann 
von heute, als meinen Diener von geſtern zu erfen- 
nen, den die Mode ver Bolitif gezwungen hat die 
Liorde anzuziehen. Mein Plan wäre ihn zu meinen 
Rechtsfonfulenten zu wählen. 

— Da hättjt du recht, e8 ift ein ordnungslie— 
bender Dann, und feines Betruges fähig. Uebrigens 
‚babe ich e8 errathen, weßhalben du gerade jett auf 
die Idee gefommen bift ! 

Der Fürſt betrachtete zweifelnd feinen 
Nachbarn. 

— Das haft Du nicht errathen. 

— Wetten wir! 

— Gut. Es gilt taufend Rubel. 

— Geh, fei fein Narr, bift ja nicht in 
"Rußland. | 

— Betten wir dennoch in einer Viertelgulven 
Banknote. 

— Die Wette jteht. Höre alfo: Dir fuhr die 
bizarre Idee durch den Kopf. 

Mein Freund Fertöy pflegt mich vermöge 
‚jener Freundfchaft, welche mich an fein Haus knüpft, 
‚jehr oft zum Vertrauten feiner Gelvangelegenheiten 


—_ 8 — 


zu machen, da pflege ich ihn ſtets an meinen Rechts— 
anwalt zu weiſen, welcher uns beibe verjteht. 


Welch’ eine unterhaltende Wendung wird es 
aber nehmen, wenn ih Bela Laͤvay zu meinen‘ 
Rechtsanwalte ernenne und dann mit unjchuldigfter 
Miene, meinen Freund Fertöy zu ihm fenve, er 
möge beratheu, wenn e8 ihm beliebt. Derfürft lachte, 
der Einfall ſchien ihm bizarr genug, doch ent» 
iprang er nicht feinem Gehirn. Er lachte zwar, doch 
ihüttelte er ven Kopf. Die wahre Urfache hatte fein 
Freund nicht errathen, doch diente dieſ Idee dazu, 
daß man die Wirflichfeit vor den Augen der Welt 
verberge. 


Diefe wird nur die Satyre fehen, nicht aber 

die Idylle, welche hinter derſelben abgejpielt wird. 

Wolozoff gönnte feinem Nachbarn die Freude 

des Triumphes ; nahm mit malitiofen Lächeln einen 

Guldenzettel aus feiner Tafche, bog denfelben vier- 

‚theilig zuſammen, benegte die Kanten mit feiner 

Zunge und riß behutjam ein viertel der Banknote 
heraus. 


Auch dies gehörte zur damaligen Mode. 


— Du haft die Wette gewonnen, ſagte er, 
und legte den Banknoten-Fetzen vor Dombah hin. 


Diefe Anekdote machte noch während ber Vor— 
stellung im Theater die Runde. 


— — 


Alles fand den Gedanken genial, womit ein 
glücklicher Anbeter den ihn bereits zur Laſt werden— 
den Gatten den Weg zu ſeiner Geldkaſſe erſchwert. 

Wolozoff aber ergänzte in ſeinem Geiſte die 
Einzelheiten jener Geſchichte, welche der Welt unbe— 
kannt geblieben ſind. 


Als er nach dem vermeintlichen Miſſethäter, 
ſeinem Gärtner, ſchießen wollte, erfaßte Seraphine 
ſeine Hand und vereitelte den Schuß. 

Seraphine war damals allein mit dem Gärt— 
ner im Wintergarten und pflegte auch ſonſt zu ver- 
Ichwinden, um ihn aufzufuchen. 

Seraphine erzählte ihm einft, daß Frau Laͤvay 
ihre Freundin gewefen ; daß fie in einer Stabt wohn- 
ten, daß ihre Fenter einander gegenüber lagen, und 
daß fie in der Stadt für Nebenbuhlerinen galten. 

Auch erinnerte ſich der Fürft, daß Seraphine: 
einen tiefen Seufzer ausgeftoßen, als fie die Erzäh— 
fung des Romanes ihrer Mädchenzeit mit ven Wor- 
ten beendet hat, „und jett iſt Judith glücklich." 

Wolozoff glaubte nun zu verjtehen, und rai- 
jonnirte folgendermaßen : e8 wäre angezeugter, wenn. 
Seraphine glüdlih, und Judith ein wenig unglüd- 
(ich wäre. 

Denn am Ende fei ja die ganze Weiberglüd- 
jeligfeit nur eitel menſchlicher Scherz und Schid=- 
ſalslaune. 


— 


= 0 


Geraphine wird frölicher fein, weun fie zu 
eben anfängt, vie Künftlerin dagegen wird fich um 
jo mehr ihrer Kunft befleigen, wenn fie vom Schmerz 
heimgefucht wird... ... 

Am andern Tage erhielt Bela einen Bejuch 
von Elemer Dombay. 

— Freund id) bringe Dir gute Nahricht, — 
rüdte Dombay heraus — Fürſt Wolozoff beflagte 
ſich geftern, das die Kommaßations Arbeiten auf ſei— 
nen Gütern ſehr erjcehwert wurden, und baß ber 
Wiener Doktor, welcher bisher feine Rechtsangele— 
‚genheiten geführt, von den Fragen der Kommaffi- 
rung, des Urbarialwejens, der Allodial-Gründe, der 
Negalien und Remanenzien eben jo viel verjteht, 
wie die Henne von a. b. c. und daß er jeßt gezwun— 
gen fei, einen ungariichen Advofaten zum Rechtsan— 
walt zu nehmen, ev bat mich zugleich ihn Jeman— 
den zu empfehlen; da ich wußte, daß Du, mein 
Freund, die Urbarial VBerhältnige zu deinem bejon- 
deren Studium gemacht, nannte ich Deineu Namen, 
‘worauf der Fürft mir alffogleih die Hand gab, 
und in den Vorſchlag willigte. Nun was fagft 
Du dazu ? 

Bela Schlug nicht fo ſchnell ein. 

— Was zum Kukuk, Du zögerft, als ob Du 
dich erſt befinnen wollteft, die Stelle anzunehmen ? 
Freund wenn ich Advokat wäre, würde ich mit bei- 
ven Händen nach einer folchen Gelegenheit greifen. 


we 


Was denkſt Du? Durch eine ſolche Stelle ift dein 
Glück gegründet. 

— Es giebt etwas unangenehmes bei diefer 
angebotenen Stelle, fagte Bela ausweichen, was 
ich Dir nicht erzählen kann. 

— Nun, jo werde ich's Dir erzählen, vom 
Anfang bis zum Ende. Höre mich an. Als Du noch 
politiicher Flüchtling geweſen, fiel es dir einmal ein, 
unter andern Maskirungen auch bie Livree eines 
herrjchaftlichen Gärtners zu verfuchen. In letzterer 
Eigenſchaft dienteſt Du den Fürften Wolozoff, 
‚Haft Dich aber nicht auf die fchönfte Art von ihm 
verabjchiedet, nachdem Du feinen Gaft, der deine 
Gattin verleumdet, in das Aquarium ftießeft, daß 
er heute noch darin läge, wenn man ihn nicht he- 
raudgezogen hätte. Bon dieſem Falle weiß die ganze 
Welt, trotzdem, daß Du ihn Niemanden erzählteft. 
Sndeffen wird der Fürft Dich nimmer erkennen, 
"wenn er Dir begegnet. Auch haft Du jett ein ganz 
‚anderes Geficht, und der Fürft wird e8 nie merken 
laſſen, vaß er fich erinnert, Dich je gefehen zu haben. 
Mebrigens haft Du nur dann mit ihm zu verkehren, 
"wenn ein Vergleich zwifchen ihm und feinen Bauern 
ftattfinden foll. 

— Gut ih werde mir's überlegen, 

— Wa8 bei Dir jo viel bedeutet: „ich werde 
es früher meiner Frau mittheilen," daran thuft Du 
Recht, Freund; fie ift ein Huges Weib, hat mehr 


_ 12 — 


Verſtand als Du und ich. Biſt dabei ein glücklicher 
Mann, haft zwei Köpfe, was Du mit einem nicht 
ausklügeln fannft, darüber Holft Du Rath beim Ar- 
dern. So geziemt e8 fich auch. Deine Gattin wird- - 
dir ficherlich jagen : nimm die Stelle an. 

— Darüber bin ich im Zweifel. 

— Kun fo erfahre es je eher, und benachrich⸗ 
tige mich. 

Dann entfernte ſich Dombay, während Bela 
zu Judith eilte. 
| — Meine Liebe, Fürft Wolozoff hat mir das 
Rechts-Direftorat über feine Güter angetragen. 
Was fagit Du dazu ? 

Judith dachte nach. 

Dann ergriff fie plötzlich Belas Hand und 
ſprach: 

— Nehme es jetzt an. Verrichte in moglichſt 
kurzer Zeit die wichtigſten Angelegenheiten, Und 
dann danke ab. 

Bela bedankte ſich mit einem Handkuß für 
den guten Rath. 

Es fteht entjchieden feit, daß Frauen den 
feinjten Takt befiten. 

Ein wenig weltlicher Tratſch, ein wenig 
Schein, ein klein bischen. Eiferfudht, und aus dieſen 
vielen Kleinigkeiten entfteht ein jo allgemeines Chaos, 
woraus fich der gute Ruf eines Menjchen kaum zu 
retten vermag. Es giebt aber noch Menſchen, denen: 


re 
ver gute Auf theurer, als das tägliche Brot ift.. . 
Wenn Bela ſolch' ein glänzendes Anerbieten 
zurückweiſen follte, würde er einen ganzen Schwarm 
der beleidigendſten Verbächtigungen gegen fich und 
feine Öattin aufhegen. 

Ein Advofat, der einen Fürften, welcher ſeiner 
Gattin, die durch Zufall auch Schauſpielerin iſt, 
Kränze zugeworfen, nicht zum Klienten haben will, 
ſetzt ſich vor den Augen der Welt den ärgſten Ver— 
muthungen aus. — Nimmt er die Stelle an, und 
verbleibt in derſelben, was würde dabei heraus— 
kommen? Ein Advokat, der Gatte einer Schauſpie— 
lerin iſt, welcher ſein Klient, der Fürſt, Kränze zu— 
werfen pflegt; ſetzt er ſich nicht den haßlichſten Zu: 
muthungen aus. 

— Beendige ſeine Angelegenheiten, um de— 
retwillen er Dich berief, dann laß ihn fahren.“ 


— — — — — — — — — — 


Als Fertöy erfuhr, welch’ nene Bekanntſchaft 
der Fürſt mit Bela Laͤvah angeknüpft Hatte, raiſo— 
nirte er folgendermaſſen: 

„Der Fürſt iſt eben ein launenhafter Menſch, 
wie es die Großen zu ſein pflegen, Judith eine ſchöne 
Frau, hat einen ſchönen, hohen künſtleriſchen Ruf, 
und was noch mehr, ſie genießt auch den Ruf einer 
treuen, ihrem Gatten ergebenen Frau; ein wahrlich 
ſehr verlockender Umſtand. Dagegen welkt Serg- 
phine vom Tag zu Tag, ihre Launen langweilen, 


—— 


ſtatt Bewunderuug zu erregen. Der Fürſt konnte 
erfahren haben, daß Bela einſt Seraphine den Hof 
gemacht, und daß diefe nicht gleichgiltig für ihn ge— 
wejen. Er konnte demnach auf die Idee eines gegen- 
jeitigen Tauſches fommen. Alte Flammen laſſen fich 
ja fo leicht wieder anfachen. 

Diefe Kombination hatte Fertöy nicht zufrie- 
den geitellt. 

Er nahm fich vor beider Frauen Zugenb zu 
vertheibigen : 

Die Seraphines gegen Bela, und die Judith's 
gegen den Fürften. 

Es giebt aljo dennoch Fälle wo die Tugend 
einen Werth befigt ! 

Fertöy war ſehr mit fich ſelbſt zufrieden, als. 
er die Details feiner Bertheidigungstaftif jejtge- 
jtellt hatte. 

Die Lage mag fehr verwidelt geweſen ſein. 
Fertöh hatte eine ſchöne Frau und eiue ſchöne 
Niece. 


Seine ſchöne Gattin hatte einen reichen An— 
beter, der zugleich der ſtille Verehrer ſeiner ſchö— 
nen Niece iſt. 

‚ Wäre e8 nicht eine boshafte Esfamotage, 


wenn bie Köpfe der weißen und ſchwarzen Taube 
plötzlich vertaufcht würden. 


— 15 — 


Wem kann man hier vertrauen? Einzig und 
allein Judith. Ihr Karakter iſt der ſtärkſte, ver wie- 
deritandfähigfte unter Allen, 

Fertöy hatte etwas erjonnen, woburd man 
Judith in den Brennpunkt der Intrigue hinſtellen) 
und durch fie das Ganze vernichten konnte. 

Welcher Natur dieſes Etwas gewejen ? werden 
wir jpäter erfahren. 

Ueber das fönnen wir aber heute jchon im 
Klaren fein, daß fo oft Fertöy an feine Niece dachte, 
er diejelbe ſammt ihrer ganzen Familie auf den 
Grund des Meeres verwünjchte; Niemanden jedoch 
haßte er jo, als Judith jelbft. 

Mochte er vielleicht die Ahuung. haben, daß 
vieles Viele im Beſitze jenes geijtigen Kapitals ift, 
welches an Werth feinen Haß paralifirt; und baß 
fie ein ebenſo unverföhnliches Herz ihm gegenüber 
ftelfte, als er eines befigt ? 

Es war an einem ſchönen Herbittage, zur 
Zeit der Weinlefe, ald Bela im Schloße des Fürften. 
anlangte. Er kannte fehr gut die Räumlichkeiten die- 
ſes Schloffes, jo wie auch das Dienftperjonale, 
doch ihn erfannte Niemand, außer dem alten Jagd⸗ 
hunde, welcher ihm im Vorzimmer entgegen ſprang 
und Zeichen ber Freude gab, als würbe er fih aus 
der Vergangenheit des Ankömmlings erinnern. 

Als fih Bela nach dem Fürften erfundigte, 
verwies ihn der alte Kammerbiener in den Garten, 


u: IE 


wo der Fürjt mit einer Gejellichaft bei ver Jauſe 
jaß. Er hatte viele Gäfte aus der Gegend, man 
hatte eben heute die Weinleſe beendet. 

‚ Bela beeilte fich den Fürften aufzufuchen. Er 
‚wußte recht gut, daß fein Lieblings Aufenthalt ein 
aus Eifen und Glas gebautes chineſiſches Lufthaus 
fei, an deſſen Säulen er einft vie Efeu-Ranfen 
pflanzte. Dieſe waren bereit8 hoch herangewachjen, 
liefen bis an das Dad) ver Pagode, und hingen mit 
ihren zarten Ranken wie ſchwebende lichtgrüne 

Schatten herab. 

Die hintere Thüre dieſes Auſthauſes öffnete 
ſich auf ein Garten-Labyrinth, welcher, wie wir wiſ— 
ſen, daher ſeine Benennung hatte, daß man Bäume 
und Geſträuche in Form von Schneckenwindungen 
angeſetzt, wo, wenn man den Mittelpunkt erreicht, 
man wieder genöthigt war, denſelben Weg zurück 
zu machen. 

Wollte ſich der Fürſt einen ſogenannten Jur 
machen, jo ließ er die Thür-Klinfen von den erſten 
drei Thüren ver Pagode abnehmen, ließ die gemal- 
ten chinefischen Vorhänge der Fenſter herabziehen, 
und Derjenige welcher in ven Papillon hinein wollte, 
mußte nun jene Schnedenwindungen betretten, und 
einen Weg von ungefähr taufend Schritten zurüd- 
legen, um im die Pagode zu gelangen. Dieje Erfin- 

‚dung diente dazu, um ſich vor plöglicden Ueberra— 
ſchungen ficher zu ftellen. 


— ME ae 


Bela jedoch kannte fehrgut den Weg, hatte 
doch er die Sefträuche und Bäumchen des Labirin- 
thes zugeſtutzt. Er gehörte auch nicht unter jene wil 
den Säfte, welche ein jedes Fenfter am Pavillon zu 
verjuchen pflegten, ob e8 feine Thüre fei, bevor fie 
ſich entſchloßen hatten den Pfad des Labyrinthes zu 
betretten. 5 

Aus der Pagode drang ein großer Lärın 
Männerſtimmen, Gläfer-Geflirr und Gelächter iu 
einander gemijcht ; zuweilen mengten fich auch ſcharfe 
Srauenftimmen bienein, wahrjcheinlich der Koufinen 
des Fürften. 

Bela am Schauplate feiner einjtigen gärtne- 
riſchen Thätigfeit angelangt, fühlte eine unwillfür- 
liche Erregung der Erinnerung an feine alten Be— 
fannten, an die durch ihn gepflanzten Bäume. 

It e8 doch eine wahre Leidenfchaft, welche 
der Gärtner für feine Bäume hägt; eine Leiden- 
ſchaft, worin Liebe, Kummer, Eiferfucht, Wohlge- 
fühl und finſteres Hinbrüten vermengt find. Welh 
eine Sehnfucht in der Ferne, Fremde im Wieder- 
jehen und Schmerz über das Verwelfen empfinden. 
Ob er gewachien, ob er reiche Blüthen getrieben, 
jener Tulpenbaum, den er einjt in ber Mitte des 
Labyrinth's gepflanzt, mußte er doch bereits fich zu 
einem großen Baume herausgewachjen haben. Bela 
batte in diefen Momente mehr Intereſſe für ven 
Zulpenbaum, als für die ganze Gejelljchaft. 

Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 2 


a 


Der Tulpenbaum war feitdem groß gewach— 
fen, hatte üppiges Laub und reiche Blüthen ; die um 
die Rotonde gepflanzten Hibifbäume neigten ſich mit 
ihren dichten Laub übereinander, dazwiſchen jchlan- 
gen fich die Ranfen der wilden Beern, und bilbeten 
eine lebende grüne Höhle; um das Ganze zu ergän- 
zen, lehnte eine bleiche Frau an dem Baumſtamme, 
gleich einer Dryas der Mythe, mit einer Hand an 
einen hervorſtehenden Aſt geflammert, die andere 
über das blonde Lodenhaupt erhebend, in melden 
ftatt der Blume, halbreife wilde Weinberen prang- 
ten. Die durch das grüne Laub durchdringenden 
Sonnenftrahlen, hatten mit ihren grünlich bläufi- 
chen Licht das genußſüchtige Antlig noch bleicer 
gefärbt,jenes Antlig, deſſen rothe Lippen und Flam— 
menden Augen noch fo viel Anfpruch auf Leben 
machten, 


Die Geftallt, welche an dem Baume lehnte, 
war Seraphine. Bela war ebenfo überrafcht ald 
Seraphine, als fie das Ungefähr jo plötzlich zujam- 
men brachte. Die Befchaffenheit des Labyrinth's 
brachte e8 mit fich, daß fie einander erft bemerken, 
als fie fih Aug in Aug gegenüber ftanden. 

Seraphine, welche aus tiefen Nachdenken zu 
erwachen ſchien, betrachtete mit finnenden Bliden 
den Ankömmling und nur als fie Bela begrüßte, 
trat das befannte Lächeln auf ihre Lippen. 











— Ah, Sie find es Laävay? Ach ! fie verfuchte 
28 ſchalkhaft zu Lächeln. 

— Ich kann wirflich nicht für etwas anderes 
‚gehalten werden, als ic wirklich bin, fagte Bela im 
-gleihem Zone, Sie aber hätten fich füglich als bie 

Dryade diejes Haines haften Fünnen, welche den 
"Worten des Laubes laufcht. 

— Wiſſen Sie e8, lieber Lavay, daß vie 
Sprache des Yaubes in diefem Haufe die vernünf- 
tigjte Sprache ift. Doch was führt Sie hieher ? 
Kommen Sie vielleicht, um nach einem Auge zu 
jehen, ‘welche Sie noch als Gärtner gepfropft 
hatten. 

— Ab möglich. Uebrigens ließ mich ver 
Fürſt in einer fat profaifchen und dennoch erhabe- 
‚nen Angelegenheit zu fich rufen. Er will eben einen 
‚ Ausgleich mit feinen Bauern anbahnen, und ich 
ſoll hierin fein Anwalt fein. 

— Ah das ift jehr ſchön. Dann werden wir 
‚Sie oft jehen. Fertöh gedenkt vierzehn Tage bier 
‚zuzubringen. 

Seraphine jagte dieß mit unverblümten Spott, 
fie wußte es ja gut, daß der Name Fertöy’s Feines- 
wegs die Freuden Belas vermehren werde. 

— Wie bepauere ich die ſchöne Gelegenheit 
in Folge Anhäufung meiner Gejchäfte nicht benüten 
‚zu können, ich muß mich hier fehr beeilen, ven es 
Aparten auch zu Haufe Pflichten auf mich. 

2* 


— 2 — 


— Welch abgejhmadter Mann find Sie La- 
vay, anftatt, vaß Sie fagten,.... daß heißt, Sie brau- 
hen nichts zu jagen. Sie haben es ja nicht nöthig auf 
meine Fragen Antwort zu geben, in jenem Tone, in 
welchem ich Sie frage, ſprechen Sie nichts. Ich ſehe 
Sie dann am liebten, wenn Sie ſchweigen, da pflege 
ich immer über Ihre Gedanken Vermuthungen an: 
zuftellen. Wenn Sie jprechen, find fie viel ſchwerer 
zu errathen. 

Bela lachte. 

— Demnad pflege ich immer anders zu den- 
fen, als ich ae ? Geraphine zudte mit den. 
Achſeln. 

— Wie Sie unausſtehlich find? Ich wollte 
Sie beleidigen, und Sie lachen darüber. Wüßte ich's 
nur, womit man Ihnen nahe treten, Sie beleibi- 
gen kann. 

— Gie mit nichts. 

— Na, na, nehmen Sie fi in Acht, ich 
werde Alles aufbieten, um Sie in Zorn, in Wuth 
zu bringen, und Cie zn zwingen, mit mir zu 
ftreiten. 

— Dann werden Sie von mir nichts ernft 
nehmen, bebenfen Sie, daß ich Advokat bin, und ala 
jolcher, ja oft jtreiten muß, als es meine Klienten 
verlangen, trotzdem, daß ich meinen Gegnern feines: 
wegs Feind bin. 


— 21 — 


— Gut denn, Herr Advokat, auch ich habe 
einen Prozeß, darf ich Sie bitten, denſelben anzu— 
mehmen. 

— Es iſt nur die Frage, ob der Prozeß nicht 
‚gegen einen meiner Klienten gerichtet iſt; der Advo- 
‘Tat darf nicht doppelzüngig fein, ſonſt wird er zum 
Silenziarius gemacht. 

— Ad! kümmern Sie fi beute nicht um 
‚Ihren Klienten, wenn Sie den Fürften meinen. Mit 

‘dem ift heute Fein vernünftiges Wort zu wechſeln. 
- Er hat mit Fertöy gewettet, wer den anderen eher 
unter den Tisch trinkt ? Wie ich beide kenne, wird 
dieſes edle Turnir „h eut e“ faum fein Ende finden. 
Sch verfchwand vom Schauplage des Wettfampfes ; 
"blieben doch der Damen genug bort, um den Sieger 


zu befränzen. Haben Sie etwa Luft, fich ven Reihen | 


der edlen Kämpfer anzufchließen, oder bei mir 
zu verbleiben... .. Ein bittere® Dilemma, nicht 
"wahr ? 

— Im Gegentheil, die Wahl ift fehr ange 
nehm, erwiederte Bela, indem er an der Seite Se- 
-raphinen’s Plat nahm, welche an einer herabgerifje- 
nen Ranfe ver wilden Rebe Faute, vielleicht um fich 
den Ekel nah dem füßen Mahl zu vertreiben. 
Gehen wir alfo zum Prozeß über, den fie mir an- 
"vertrauen wollen, gegen wen ift er gerichtet ? 

— Gegen die ganze Welt, fagte Seraphine, 
eine Handvoll wilder Beeren in die Luft jchleudernd. 


a DE 


— Auf ven Rechtsgrund ver Erbichaftätheis 
lung. Auch ich will einem Theil von jenem Ölüde, 
von jener Achtung, von jener Ruhe, die Allen auf der 
Welt, dem Knechte, dem Bauer, dem Narren zu 
Theil wird, und, an benen nur ich nicht theilnehmen 
fann, ſonſt Feder, der darnach greift. | 

— Liebe Seraphine! Es find dieß zwar 
Rechte die einem Jeden gebühren. ... 

— Ich bitte Sie geben Sie meinen närri- 
ihen Reven feinen vernünftigen Anjtrih. Warum 
lachen Sie jegt nicht, Ihr Lachen könnte mich an- 
ſtecken. Sie bemerfen es nie, wann id) Scherz treibe. 

— Hören Sie mih an — jagte Laͤvah — ih 
icherze nicht; habe Ernjtes mit Ihnen zu fprechen. 
Sie werden es aus einem meiner Worte errathen . 
fönnen, daß ich mich fehr viel um Ihr Schieffal 
fümmere. Ich habe die vergangene Woche damit zu- 
gebracht, ven Beſchluß in mir reifen zu laffen, wo- 
nach ich Sie zu einen entjcheidenden Schritt bewegen 
muß. Ih muß Sie nämlich überreden, fi von 
Fertöy ſcheiden zu lafjen. 

Das Gefiht Seraphines wurde noch bleicher, 
als e8 bisher geweſen, plößlic begann es fich aber 
zu röthen, daß es beinahe zu flammen jchien. Ver— 
wundert und zitternd blicte fie Yavay ar. 

— Weshalb foll ich mich ſcheiden laſſen? 

— Das fann id) Ihnen jett nicht Jagen, weil 
«3 mein Geheimniß ift. Sie müffen mir es jeboch- 


u 


glauben, daß ich e8 nicht ohne Urſache thue. Ich 
war entſchloßen, Sie aufzufuchen oder brieflich auf- 
zufordern, wenn mir das Ungefähr nicht zu Hilfe 
fommt. Die Pietät für die Erinnerungen einer Ver- 
gangenheit, das Wohlwollen, welches Sie mir in 
meinen bitterjten Schickſalen bewiefen, machen es 
mir zur Pflicht, Sie zu einem Schritte zu bewegen, 
den Sie machen müffen, wenn Sie einem böfen Ge- 
ihide ausweichen wollen, welches Sie unbedingt in 
den Abgrund reißen würbe, wenn Sie meinen Wors- 
ten fein Gehör ſchenken. Diefe Worte war ich Ihrer 
Zukunft ſchuldig. Ich will Sie früher von Ihrem 
Gatten geſchieden fehen, und dann erft werde ich 
Ihnen bie Urfache erflären. 

Seraphine blidte träumeriſch in bie Au ger 
Belas, und glaubte aus denſelben Tejen zu Für ren. 

Doch wie täufchte fie fich ! 

Seraphine ließ ſich unwillkürlich auf pas 
Heine weiße Bänfchen der Laube nied.r, als wäre 
fie von einem Schwindel ergriffen. 

Sie war nur zu jehr Fran, um ihr Herz einent 
Gedanken verjchließen zu fönr,en. Der einftige Ju— 
gendgefpiele empfiehlt ihr, fi) von ihrem Gatten 
zu trennen. Ein Mann, an dem fie nie ohne Herz 
Hopfen zu denken vermochte, verlangt von ihr, ein 
Hinderniß aus dem Wege zu räumen, welches zwi— 
ſchen ihnen Beiden ſich befindet, Seraphine faltete 


— — 


die Hände, ſah Bela mit flammenden Blicken an, 
und frug ihn, im Tone innerſter Erregung. 

— Bela! haben Sie jetzt im Ernſte mit mir 
geſprochen? 

Bela war von dem flehenden Blicke ver blei— 
hen Frau ergriffen, und vrüdte ihre zufammenge- 
falteten Hände. 

— Seraphine ! der Himmel möge jene Strafe 
über mid) verhängen, die nie, nie mich treffen kann: 
die Verachtung der Menſchen; wenn ich nicht wahr 
und aufrichtig zu Ihnen fpreche; ſchenken Sie mir 
Glauben. Ich weiß es, daß e8 ein gewagtes Wort 
war, welches ich ausſprach; doch Sie haben von 
„geachtet fein“ gejprochen, das war überflüffig. Ich 
wußte e8, daß eine Frau wie Sie, die im Flaren 
Sonnenschein der Achtung aufgewachfen, veren jeder 
Zug den natürlichen Anhang des Stolzes trägt, ge— 
gen jenes Gut, welches höher als das Leben anzu- 
Schlagen ift, nicht gleichgiltig bleiben kann. Sch habe 
wichtige Gründe, Ihnen ald Wegweijer zu dienen. 
Betrachten Sie mich, als währe ich nicht anderes, 
als ein kalter unempfindlicher Stein, auf welchem 
die Worte ftehen : „gehe diefen Weg." Einem folchen 
Stein würden Sie Glauben ſchenken, ohne zu fra- 
gen: ob er aud) die Wahrheit fpreche ? Ich kann Sie 
nicht über meine Gründe aufklären, denn in denfelben 
liegt die Hand der Nemefis, welche umerbittlich auf 
Ihrem Schidfale ruht. So viel kann ich Ihnen je- 


a DE 


doch fagen, daß Sie falld Sie die Verbindung nicht 
Töfen, einem böfem Geſchicke anheim fallen, das feine 
"Rettung mehr geftaitet. 

— Sie erfchreden mich. | 

— Das will ich eben, einft werden Sie mich 
ſehr gut verftehen und e8 Far einfehen, daß mich zu 
diefem Schritte, weder Laune, noch Intrigue, am We- 
nigjten aber unreife Empfindelei bewog; fondern 
eine natürliche, jehr gerade Berechnung ; Sie werden 
ed einjehen, daß ich Dinge ſehend, die unbedingt 
geſchehen werben, bei jenen Erinnerungen, welche 
ih in meiner Seele herumtrage, nicht ſchweigen 
Tonnte, jondern fprechen, und nur jo fprechen 
mußte. 

— Erlauben Sie mir ein wenig zu rathen. 
Alſo mit Fertöy joll etwas Großes gejchehen, Sie 
Iprechen von einer Nemefis. Soll er vielleicht an 
feinem Bermögen Schaden leiden ? 

— Davon weiß ich nichts, würde auch darü— 
ber nichts ſprechen. Bin überzeugt, daß Sie dann 
am Beſten an feiner Seite ausharren würden. Ar- 
muth gilt zwar als Schande in den Augen Anderer, 
‚aber nicht in unjeren eigenen. 

— Aendert fi) vielleicht die pofitifche Situa⸗ 
tion, und iſt die Stellung Fertöh's gefährdet. 

— Auch das wiſſen Sie zu gut, daß in gegen- 
"wärtigen Zeiten in diefem Lande Niemand bon Po- 
Aitik fpricht. 


=. — 


— Dann beabfichtigt Fertöh einen Streich 
gegen mich zu führen? Kann er miv noch mehr Bö— 
jes zufügen, al® er bereit gethan, würde ich denn 
jeinetwegen nicht ſchon Längjt einem Anderen, wen 
immer in der ganzen Welt angehören, wenn ich nicht 
mir ſelbſt angehörte. | 

— Liebe Seraphine, täujchen Sie ſich nicht. 
Eine Frau gehört nie fich jelbit an. 

— Demnad; ijt fie theilweife das Eigenthum 
eines Anderen ? | 

— Ja, das Eigenthum jene8 Namens, dern 
fie anftatt des ihren angenommen. Diejer kann Sie 
erheben, oder mit fich in den Koth herabziehen, ohne 
daß Sie dagegen etwas zu thun vermöchten. 

— Es droht Fertöy ſonach Gefahr, und zwar 
eine Gefahr, welche feinem Namen ſchaden könnte. 

— 68 ift möglich. 

— Und würden Sie e& nicht für möglich 
halten, daß, wenn die Gattin Fertöy’s erführe, es 
droht ihrem Mann Gefahr, fie, ftatt fih von Ihm 
zu trennen, ihm das Geheimniß entdeckt? 

— Das würde mich durchaus nicht befrem- 
den, im Gegentheil, würde ic) mich freuen barüber, 
wenn dadurch der Schande auszumeichen wäre. Ver—⸗ 
geſſen Sie nicht, daß ich Ihnen fagte: es würde 
mir zur größten Freude gereichen, wenn Fertöh ber 
Gefahr entrinnen könnte. Doch Sie werden ihn. 
nicht retten könnten. 


— 27 — 


— Woraus folgern Sie das? ... 

— Weil er ſelbſt mit Gewalt zu Grunde ge— 
hen will. | 

— Räthfelhafter Menſch! iſt das Ihre Rache ? 

— Nein, nein, ich rühre feinen Finger, um 
ihn zu verfolgen; fein Wort entfällt meinen Lip— 
pen, welches ihn vorwärts treiben Tönnte gegen ben 
Abgrund ; er jelbit eilt demſelben entgegen, und wird 
darin jei Verderben finden. 

— Wiſſen Sie was ich mir jet denke? 

— Ich weiß es. 

— Sie wiffen e8? Nun, mas? 

— Sie denken liebe Seraphine, diefer mein 
Zugendgefpiele will mic) von meinem Gatten ſchei— 
ven! Um.... nun mich auch vom Fürjten tren- 
nen zu fönnen. 

In dem Momente bedeckte Seraphine ihr Ge⸗ 
ſicht mit beiden Händen, als wäre ein Blitz vor Ihr 
nieder gefahren; fie wendete ſich ab von Bela und 
fing laut zu ſchluchzen an. 

Bela richtete ſich vor ihr auf, und ſprach Fein. 
Wort. 

Nach einigen Minuten erhob die bleihe Frau 
ihr thränenbefeuchtetes Antlig, und ſagte fortwäh— 
rend fchluchzend in vorwurfsnollem Zone: 

— BWarım haben Sie e8 nöthig gehabt, dies. 
zu errathen? 


— 28 es 


— Weil das ganze natürlich iſt. Eine jede 

Frau würde in gleichem Falle ſo denken. 
— Deßhalb hätten Sie mir dieß doch nicht ins 
Geſicht ſagen ſollen. Mit dieſem Worte haben Sie 
mich zu Ihrem Sklaven gemacht, von nun an kön— 
nen Sie über mich gebiethen. Nun. bin ich ent 
Tarot; Sie wiffen num, daß ich Furcht vor Ihnen 
habe; mit einem Winfe können Sie mich fchiden, 
‘wohin Sie wollen; Sie wilfen es, daß ich nichts 
‚gegen Sie erfinnen Tann, was Sie nicht alljogleich 
errathen. Was wollen Sie thun mit mir ? 

— Das, was Sie, vor einigen Angenbliden 
von mir gewünfcht hatten: Ihren Prozeß gegen die 
Welt gewinnen. 

— Sie ſchlagen mich in der That mit mei, 
nen eigenen Worten. Ich bat Sie, mich zu verthei- 
digen, und machte es wie der Knabe in der Fabel, 
welchen ver Schuß feines Verfolgers anrief. 

— Gie find ungerecht Seraphine ; Sie wollen 
es mir nicht glauben, daß jenes Gefühl, welches ich 
für Sie bewahrt habe, die aufrichtigfte Achtung ift. 

— Ich vermag e8 nicht zu glauben, weil dieß für 
‚mich entweder fehrwenig, oder ehr viel it. Sie ſpie— 
len fich jetzt ebenfo mit mir, wie in unjerer Kindheit, 
‘wo Sie ein Steinchen das ich Ihnen nehmen wollte, 
feft in die Hand drüdten, und über meine vergebliche 
‚Mühe, Ihnen venjelben zu entwinven, jo herzlich lach⸗ 
ten; Sie waren ftärfer. Sie fühlen auch heute Ihre 


— 19 — 

Stärke, und wiffen es, daß ih ſchwach bin; Sie 

wiffen noch mehr, 3. B. daß wenn Sie ſich mir ge- 
genüber jchwach zeigen wiürben, ich Die Oberhand- 
gewinnen möchte. Und das ift ee, was Sie jo gut zu 
periwerthen verjtehen. Sie haben vor fich eine Fra, 
bie bezaubert von Ihren Füßen liegt, die Sie mit 
der Spike Ihres Fingers emporheben könnten ; Sie 

hüthen fich jedoch Ihr diefe Fingeripite zu reichen, 
— denn würden Sie dieſe Frau erheben, müßten Sie 
zu ihren Füßen finken. 

Auf den bleihen Wangen Seraphinens erglüh⸗ 
ten bei diefen Worten, gleich zwei erblühten Rofen,. 
bie entflammende Leidenſchaft. 

— Ach! — Seraphine, Sie ſchwelgen uoch 
immer im Reiche der Poeſie, und vergeſſen, daß das 
Leben auch eine proſaiſche Seite hat, ſagte Bela,. 
fih neben Seraphinen niederlaffend und ihre glü- 
bende Hand ergreifend. 

! — In den Romanen findet man Helden, die 
fich ftetS mit einem und vemjelben Gedanken befaffen. 
Auf dem Theater beginnt das Drama mit Schwär- 
mereien und die Schaufpieler jprechen durch volle 
fünf Akte ftets über demfelben Gegenſtand. .... 
Was thun fie jedoch in ben Zwifchenaften?.. 
Dort iſt das wirkliche Leben... . dort läuft ber 
Menſch vom Morgen bis zum Abend feinem Ge— 
ſchäfte nach ; kämpft mit fremden Sorgen, lernt und 
lehrt, vafft Erfahrungen nah: und findet feine 


zu Mi 


Freude darin, wenn er nach dem Erfolge fich behag- 
lich ausruhen kann. Das ift die furchtbare Profa des 
Lebens, liebe Seraphine! ... und dieſes wäre Ihr 
Ideal nicht. | 

— ‚Leider, da$ eben dies mein Ideal ift, und 

eben deßhalb, weil e8 mir am entfernteften jteht. 
Ich ſelbſt bin eine Teichtfinnige Närrin, und Dieje- 
nigen, die mir nahe ftehen, find hierin ſämmtlich 
meine Nebenbuhler, und ich bete meine Gegenfüß- 
fer an. a 

Ein bachanalifcher Lärm erfchall von der Pa- 
gode her, und ftörte das Geſpräch. 

Seraphine machte dieſe Störung erbeben, 

— Verlaßen wir diefen Drt, jagte Seraphine 
‚zu Bela. 

— „Diejen Ort,“ frug Bela die Worje ab- 
ſichtlich betonend. | 

Seraphine hatte ihn begriffen. 

— Ja dieſen ganzen Ort. 

— Und follen wir wiederfehren ? 

— Ich habe e8 nicht nöthig wiederzufehren. 
Doch Sie? 

— Ih werde es thun, die Angelegenheit 
"welche mir der Fürft übertrug, will id) beenden ; da= 
xüber hinaus hören meine Beziehungen auf. 

— Sie wollen ihre Stelle bier aufgeben ? 

— Das it mein feſter Entſchluß. 


— 11 — 


In Seraphinens Seele begann allmälig ein 
Glaube Wurzel zu fchlagen; der Glaube an den 
Zraum ihrer Kindheit. | 

‘ Sie drüdte die Hand Belas. 

— Dann übernehmen Sie meinen Chefchei- 
dungsprozeß? 

— Ja und ich gebe Ihnen —* die Verſi— 
cherung, daß derſelbe einmal begonnen, auch bald 
beendet ſein wird. | 

— Nun Gott mit Ihnen, gehen Sie ins 
Schloß zurüd. Heute können Sie nicht mit Wolo- 
zoff fprechen, und fich mit ihm zu unterhalten, wer- 
ven Sie gewiß feine Luft verfpüren.... . Ich gehe in 
ven Park; denn ich bedarf der Einſamkeit. 

Diefe Stunde ift ver Wendepunkt meines Le— 
bens, wo man ſpricht: der Sommer tft zu Ende, und 
der Herbit beginnt. Trachten Sie, daß wir uns hier 
nicht mehr begegnen. Mir felbjt kann ich Diefes nicht 
überlafjen. — Sehen Sie wie ich bis zur Lächer- 
lichkeit aufrichtig bin; — doch ift es fir Sie ſchmei— 
helhaft, wenn fich Jemand vor Ihnen in ven Staub 
wirft, und fich nicht fürchtet von Ihnen zertveten zu 
werben. Gott behüte Sie Bela. Nun drüdte fie die 
beiden Hände Beéla's, und um nicht mit demſelben 
allein die Schnedenwendungen gehen zu müffen, 
brach fie fih durch das Geftrüpp Bahn, mit offen- 
barer Aufopferung ihrer Zoilette. 


— 32 — 


Bela begab ſich in das Schloß zurück, und 
ließ ſich von einem Diener in ſein Zimmer führen. 
Es war dies ein abſeits gelegenes Gemach, 
welches mit der Bibliothek in Verbindung ſtand, 
und dem gewöhnlichen häuslichen Geräuſch ent— 
rüdt war, 

Dila glaubte den Reſt des Tages ruhig zu= 
bringen zu fönnen, doch Hatte er 2 bierin ſehr 
getäujcht. 

Kaum begann es zu bämmern, da vernahm. 
er den Gefang der heitern Weinlefegäfte, und Tritte 
näherten fich feiner Thüre; Es Flopfte. 

Herein — rief Bela. 

Der Fürft trat herein. 

Wolozoff war, dem Naturgejeße gemäß, be- 
trunfen, da er viel getrunfen hatte. Er. ſtand übri- 
gens im Rufe, daß er in einem folchen Zuftande ein 
jehr liebenswürdiger Mann zu fein pflege. Viele 
Damen hatten e8 jchon rund herausgefagt, daß fie 
fih eben dann ihn ihn verliebten, wenn er betrun= 
fen war. 


Er pflegte dann freundlich, verbindlich opferbe= 
reit zu ſein; jeine Heiterfeit hatte etwas anſteckendes 
und feine Züge hatten einen wahrhaft anziehenden 
Reiz. Da öffnet fid) in ihm ein poetiiche Ader, feine 
Einfälle fprühen von Geift; da war er liberal und 
Demokrat. 


— BR — 


Es gibt einzelne ſeltene Exemplare, auf die 
der Wein' dieſe wohlthätige Wirkung übt. 

— Seien Sie willkommen, lieber Laͤvah — 
ſprach der Fürſt, ſeinem Gaſt die Hand reichend. — 
Soeben erfuhr ich, daß Sie eingetroffen; was mich 
jehr freut; deßhalb habe ich mich auch beeilt Sie 
aufzufuchen. Wir wollen jedoch die Prozegangelegen- 
heiten ruhen laſſen, heute bin ich, wie Sie fehen, 
nicht dazu geftimmt, heute Fönnte ich mein letztes 
Hemd wegjchenken, wenn e8 Jemand verlangen wiirde, 
jtreiten aber Lönnt ich mit Niemanden; — ich kam 
auch nur um Sie iu die Gefellichaft abzuholen ; da— 
rum laſſen Sie nur ſchnell Ihre etwaigen Einwen- 
dungen hören, denn ich nehme Sie auf jeden Fall 
mit, und wenn es nicht anders geht, trage ich Sie 
auf ven Schultern hinab. 

— Ich danke Ihnen First; — fagte Bela 
lachend. Es wäre eine zu große Ehre fir mich; ich 
werde Ihnen auf eigenen Füßen folgen wohin Sie 
wünjchen. 

— Doch zum Kufuf, laffen wir die Titulatu- 
ven und dugen wir einander. Wir haben in jetiger 
Zeit wahrlih nicht viel Urſache, mit den Titeln 
wähleriſch umzugehen. Wir find ja gleiche Hunde ; 
Marſch! Kuſch dich! heißt es, und wir müſſen gehen 
und jhweigen. . . . Alſo her da mit der Hand, Bru- 
der! Denk ja nicht, daß jett der Wein aus mir 
ſpricht; und wenn er verflogen, ich Dich morgen 

Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb. 3 


— 34 — 


wieder „Spektabilis“ tituliven werde. Der Wein 
gilt bei mir für feinen Autofraten, wir leben mit 
einander in fonftitutionellen Beziehungen ; ich jchlage 
vor, er fanftionirt, Doch darf er nicht8 mit mir ohne 

mich thun. | 

— Duten wir und denn — eriwiederte Bela 
— Hab’ mid) ſchon mit größeren Herrn gedutzt: als 
- Du einer bit. 

— Parbleu! das ijt ja wahr! die Antwort 
gefällt mir. So hat mir noch Niemand replizirt. Ja, 
fo ift es. Hm! Wo find Sie die Armen?’ Na .... 
wenn ich einmal in einem Zoafte jener „geweje: 
nen Größen” gedenke, dann fchlage mit mir an, und 
fchleudere dein Glas Demjenigen an den Kopf, deſſen 
Augen nicht mit Thränen gefüllt jein werben. 

Der Fürft fchlepte feinen Gaft, ihn fejt am 
Arme haltend, den langen Korridor entlang, die 
Treppe hinab. Während diefer Wanderung erzählte 
er, welch’ herrliche ländliche Genüße da unten ihrer 
harrten. Zwei Zigeunerbanden jollen um die Wette 
pielen, und zwar Märfche, für welche man morgen 
die ganze Iujtige Gejellfchaft einfperren und in Ket- 
ten fchlagen wird, was einen famojen Jux abjeten 
fol. Den Csardas werden die Herren mit ven 
Bauerndirnen, die Damen mit den Burjchen tanzen, 
fein Theil der noblen Gejellichaft wird dabei verlie- 
ren. Am Ende der Luſtbarkeit wird ein Feuerwerk 
abgebrannt, welches einen brillanten Skandal her— 


— 35 — 


vorrufen ſoll, da Fertöh der Arangeur iſt, der gute 
Herr aber derzeit fo betrunken ſei, daß er alles bop- 
pelt fieht. So eben fagte man ihm, feine Gattin Se— 
raphine wünfche ihn zu ſprechen, da frug er mit lal« 
lender Zunge: welhe?... Der Kerl wird mir mit 
feiner Steigrafeten ganz gewiß eine Scheuer in 
Brand ſtecken, oder fich felbjt ein Aug ausſchießen, 
wobei nur das zu bedauern wäre, daß er fich nicht 
beide ausgeſchoßen. 

Bela lieh das Geſchwätz zu dem einen Ohr 
hinein, zum andern hinaus... 

Die luſtige Geſellſchaft befand ich in der Ve— 
randa des Erdgeſchoßes, der Fürft wollte, troß feines 
Zaumels, feinen Haft nicht als Beute der bereits 
„fertig gewordenen Gäſte hinwerfen. ... E8 gibt 
anch keine präfärere Yage, als wenn ein vollfommen 
nüchterner Menfch, in eine bereit8 angetrunfene Ge« 
ſellſchaft geräth. . . Der Fürſt bezeichnete einige 
ſeiner Gäſte beim Namen, wie ſie ihm eben in Wurf 
famen. Einige verzweifelte Patrioten näherten ſich 
Dela, drückten ihn die Hände, und ftotterten etwas 
von „langerſehnten Wunjch, ihn perfönlich kennen zu 
lernen ;* doch der Fürjt zog feinen Gaft mit fich, 
und ließ die Batrioten mit den blutunterlaufenen 
Augen nicht ausreden. 

— Dies ift- meine Kouſine Olga, das Feo— 
dora ... fagte der Fürſt beide vorftellend; dann 
Ihleppte er Bela bei Seite, und raunte ihm ins Ohr: 

3* 


— A — 


Laſſe Dich in kein Geſpräch mit ihnen ein, beide ſind 
dumm, wie Gänſe, tanze ſpäter einen Csaärdäs mit 
ihnen, damit haft Du fie dir verpflichtet... .... dann 
Laffe fie fahren. Siehft vu die ſchöne Frau, welde 
fo bleich ift ; ein ausgezeichnetes Weib, jcheint jedoch 
wieder ihren Mond zu haben, man kann ſich ihr 
nicht nähern, zuvor ließ fie ihren Gatten rufen, 
mit dem Bedeuten, fie wolle mit ihm jprächen. Als 
er fam, und fie frug, womit er ihr zu Dienften 
ſtehen könne, da ſchwieg fie. und maß ihn mit Falten 
Bliden vom Wirbel bis zur Zehe. Als er jeine 
Frage wiederholte, zufte fie mit den Achjeln und 
wendete fich ab, Es iſt am beften, wenn man fie 
est in Ruhe läßt, denn fie ift zum werzweifeln 
Ichön ! 

‚Bela murmelte etwas, al® würde er bie 
Frau Fennen. 

Damit gingen fie zu den Zigeunern. 

Es gibt Stunden, in welchen der Zigeuner 
über die ſchönſten Frauen der Erde fteht. Ach ſchöne 
Frauen verjtehen ſich auf Mufif, und bringen es auf 
dem Klavier zu einer gewiſſen Virtuofität. Wir be- 
wundern — ihre ſchöne rundgeformten Schultern, 
und preijen ihr — gelungenes Spiel, find zumeilen 
entzüdt, über die jchneeige Weiße der winzigen 
Händchen ; über die alabafternen Finger, welche mit 
künſtleriſcher Vertigfeit über die Taſten gleiten, 
am bieje füffen zu Fönnen; wenn jedoch der Zigeuner 








a BR 


da draußen feine Geige anftimmmt, dann füfjen wir 
die ſchöne weiße Hand der himmliſchen Gnädigen, 
und denken, die Schwarze Hand des braunen Zigeu- 
ners ift denn doch etwas anderes. 

Der Fürft war von den Leiftungen feiner Zi— 
geuner entzüct, und verlangte, daß e8 auch Bela 
fein fol. | 

— Schau’ Dir’ mal diefen jungen Kerl an, 
faum zwanzig Jahre alt, ift er fchon das Haupt der 
ganzen Bande. Wie er ven Kopf zurückwirft, wie er 
fich weder um Menfchen noch um Engeln fcheert, als 
wäre feine Welt für ihm da, und er nur für fich 
allein fpielte. Sieh’, wie ihm die Fegen vom Rode 
ärmel heraus hängen, und wie ihm das burchaus 
nicht genirt, er ift ja bewußt, daß er ein viel größe- 
rer Künftler fei, als Ole-Bull. 

Er zwickert nur mit halben Blicken auf uns 
her, doch hat er es bereits errathen, welcher Ton 
zum Herzen bringt? und wenn er will, jo läßt er 
mich aufjauchzen, wie einen Narren, nnd Dich weis 
nen, wie ein vom Xiebiten verlaffenes Fränlein. .. . 

Wie fich jeine Muskeln winden und würgen, 
als wäre er vom alttejtamentarifchen Teufel beſeſſen. 
In jeden feiner Glieder fühlt er, was er jpielt, und 
wie die ganze Geſellſchaft durch fein Spiel wie von 
einem eleftriichen Strome durchzudt wird. Diejen 
Burſchen wollte man zum Soldaten affentiren, ich 
gab ihm das Geld, um ſich loszuldſen; er vertranf 


— 38 — — 


es, ſchlug ſich aber dafür ſeine beiden Vorderzähne 
aus, um die Patronen nicht beißen zu können und ſo 
blieb er vom Militär befreit. Ein Diamant von ei— 
nem Kerl! Dann beſeh' Dir einmal den Alten dort 
mit der Baßgeige! Geſtern hat er noch im Ziegel- 
jchlag gearbeitet, feine Nägel find noch voll Lehm, 
er pflegt der Gemohnheit des Waſchens nicht. 
Welche Melancholie entwicdelt fich in jedem jeiner 
Züge! E8 fpiegelt fi da jener Grundſatz der Le— 
bensphilojfopbie ab, daß von Allem nur das gut ift, 
was man befikt, und das jchlechte, dasjenige deſſen 
man bedarf. Welch patriotiiches Geficht! braun wie 
der ſchönſte Kordovan, der graue Bart, die dichten 
Augenbraunen jcheinen, als wären jie von feinjter 
Wolle. Eine Lode fällt ihm auf die Stirne, um 
eine Narbe zu verdeden, welche er fich in ver Schlacht, 
oder vielleicht auch im Wirthshauſe geholt, mit 
welch majeftätiichem Blick' ruht fein Auge auf ung! 
Er fühlt, daß wir ihn bewundern, doch venft er fich, 
hol Eud) der Kufuf, wäre vernünftiger von Euch, 
wenn Ihr mir ein Gläschen fpenden würdet! Die 
poetijchen Ergießungen wurden durch das Zeichen 
einer ‚Rakete unterbrochen, welche Herr Fertöy in 
die ftille Abendluft jteigen ließ. 

— Na, wenn mein Schloß diefe Nacht üiberlebt, 
ohne abzubrennen, dann brauche ich es nicht mehr 
verfichern zu laffen, rief der Fürſt lachend, indem 
er auf einen Stuhl fpraug, und von dort über ven 


BI 


Köpfen feiner Gäfte, gleich einem Marttichreier gefti- 
fulivend, außrief: 

— Meine Herren und Damen. Das Spefta- 
kel beginnt, an defjen Ende wir muthmaßlich ſämmt— 
Tid) in die Luft gefprengt werben. Dabei ift folgende 
Drdre de Bataille zu beobachten: Wenn Sie meine 
Herrn und Damen fehen, daß Herr Fertöy, feinen 
ganzen Pulvervorrath anzuzünden im Begriffe fteht, 
dann haben Sie fich fchnell auf die Erde zu legen. 
Die Damen mögen feine Furcht haben, ihre Krino- 
Tinen werden fie in den Lüften ſchwebend erhalten. 

Man lachte über den Weinlefewig des Für- 
ften. Nur aus dem Hintergrunde des Hofes, wo der 
Porotechnifer manipulirte, legte eine heifere Stimme, 
welche man als die des Herrn Fertöy erkannte, Ver— 
wahrung gegen das Erplodiren ein. 

— Fürchten Sie fich nicht meine Herrn und 
Damen, Mephifto verjteht es, mit dem "euer um— 
zugehen. 

In dieſem Augenblide begannen zwei feurige 
Räder und vier römiiche Kadeln farbige Funfen zu 
jprühen, in viefer dämoniſchen Beleuchtung, jtand 
Fertöy mit keck auf die Seite gefchlagenem Hut uud 
grinfendem Gefichte, deffen eine Seite blau, die an- 
dere roth, durch das bengalifche Feuer beleuchtet 
war. In der Hand hilt er fein Glas hoch empor, auf 
das Wohl aller Schönen Frauen; der Wein blikte 
im Glaſe als wäre er flüffiges Feuer. Eine mächtige 


— 4 — 

Fanfarre der Trompete und Klarinete erſcholl auf 
den ZToafte, und mijchte fich in das, Ziſchen der 
Raketen. 
— Alſo das hatten wir überlebt; rief der 
Fürſt. Wie heißt dieſe Piege? fragte er dann den 
Arrangeur, als es im Hofe wieder finſterer gewor- 
den, und nur die Lampen auf der Teraſſe leuchteten. 

— Das war „bie Höllenfahrt” des Zauberkö- 
nigs“ erſcholl die heifere Stimme Fertöy's aus dem 
ichwarzen Hintergrunde. 

— Was folgt jet? 

— „Weruption de Bopocatepetl" antwortete 


Fertöy. 

— Na — meine Herrn und Damen, wer 
jest mit gefunden Gliedern davon kömmt, Tann ſich 
eines befonderen Glückes rühmen! ... 
| Troß dem verharrten die Damen auf ihren. 
Plägen. 

— Siehe, fagte ver Fürft zu Bela, wie ver: 
wünjcht launenhaft dieſes Weib ift. Während des 
ganzen Spektafels fit fie mit dem Rüden gegen 
dasfelbe gewendet, um nichts davon zu jehen. 

Im Herzen Seraphines brannte ein anderes 
Feuer. 

Abermals bliste e8 auf und eine Rakete fuhr 
in die Lüfte. 

— Nun Sreundehen, ſüchelte der Fürft war 
das der Popocatepetl? Beſteht darin die ganze 


er, A 


Eruption der Vulkane? das kann man ja in jeber- 
Schmiede. 

— Nur Geduld, die Rafeten dienen nur zur 
Ausfüllung des Zwifchenaftes. Jetzt folgen die Yanı- 
penfchwärmer und die Sternenftöße. 

— Der Sternenftößer wird noch in biefer 

Nacht fein. 
= Man lachte ehr über diefe Bemerkung. Um. 
die Urfache diefes Lachens zu erklären, müſſen wir 
erwähnen, daß der Fürjt mit Fertöy die Wette ein- 
gegangen hat, daß Derjenige welcher im Trinken 
_ länger ausharrt, mit dem andern das Gternjtoßen 
vornehmen kann. — Dieſe ſchöne Unterhaltung 
beſteht aber darin, daß man dem vom Weine bemwäl- 
tigten, Papierſtreifen zwiſchen die Fußzehen ſteckt und 
dieſelben anzündet, daher das homeriſche Gelächter. 

Fertöy antwortete damit, daß er ein halb 
Dutzend Raketen abbrannte. 

Eine derſelben verſagte. Fertöh ging um nach— 

zuſehen und bemerkte daß der Brander ausgelöfcht 
jei. Mit taumelnden Sinnen nahm er die Rakete 
von der Stange, und war. eben im Begriff den 
Brander herauszuziehen, um ihn durch einen neuen 
zu erjegen, in dem Momente fing aber die Kafete 
euer. 

Er jchleuderte fie erfchroden zu. Boden, dieſe 
aber fuhr mit einem hölliſchen Ziehen zwifchen vie 
Zuſchauer. 


a He 


Hierauf erſcholl Laden, Lärmen und Geſchrei; 
die Damen fprangen auf Bänke und Seſſel. Zer- 
trettet jie ! riefen die Weiterftehenden, und e8 gelang 
endlich, das rebelliſch gewordene Feuer zu löſchen, 
um die Erplofion zu verhüten. 

ALS der Rummel fein Ende hatte, erfcholl ein 
Auffchrei aus einer Edle. Alles blickte entjegt. dahin; 
die Kleider Seraphinens hatten Feuer gefangen. 

Die erfchrodene Frau ſprang von ihrem Site 
auf, und rannte ing Freie in ven Hofraum hinaus. 
Durch das Yaufen vergrößerte fich die Gefahr, ver 
Luftzug facht ja das Feuer an. Ein Moment noch 
und die Frau wird in hellen Flammen ftehen. 

Wenn e8 Niemanden gibt, ver dieſen Moment 
benützt um fie zu vetten, muß fie des elendſten Todes 
jterben. 

Doch war Jemand da. 

In jenem Momente, wo der Schred die ge- 
junden Sinne der Gefellfchaft lähmte, daß dieſe in 
ftummer Betäubung der flüchtenden Frau nachjab, 
ericholl die Stimme Bela’s. | 

— GSeraphine halten fie ein. Und die Frau 
‚hielt wie von dem Worte bezaubert an. 

In demjelben Momente ftand Bela an ihrer 
Seite, ummwidelte fie ſchnellſtens mit feinem Plaid, 
und erftidte jo das Feuer. Um dies bewerfitelligen 
zu können, mußte Bela die Knie nnd den ganzen 
‚zitternden Körper Seraphinens mit feinen Armen 


— 13 — 


umfaffen und dieſelben an fich drücken. Er that es, 
um ihr Leben zu retten, um eine jeve ihrer Bewe⸗ 
gungen zu vereiteln. 

Als Seraphine ſich außer Gefahr befand, 
fiel ſie ohnmächtig auf die Schulter ihres Retters. 

War dies ein Wunder, nach ſolchem tödtlichen 
Schreck? oder that ſie es aus andern Urſachen? 

Als der Schrecken und die Gefahr vorüber 
waren, trugen die Damen Seraphine auf ihr Zim— 
mer, legten ſie ins Bett, und verſicherten ſpäter die 
Herrn, daß ſie gar keine ernſte Beſchädigungen erlit— 
ten. Einige Brandflecke und der Schrecken ſei das 
Ganze. 

Wolozoff rieb ſich vergnügt die Hände und 
murmelte. 

Es geht prächtig! Der Gatte ſchießt ſeine 
Frau mittelſt einer Rakete an .... da erſcheint das 
Ideal, um das gefährdete Leben zu retten, Beſſer 
konnte man es nicht mehr geben. 


able moving. 


Später gab es eine Zeit, wo die ganze Welt 
fih langweilte. Dan konnte es fast hören das ſym— 
pathetiſche Gähnen ver Völfermillionen, womit ein 
ſich langweilendes Land, dem andern lebensüber: 
prüffigen Yande antwortete. 

Die Gegenftände des täglichen Gejpräces- 
waren gänzlich erfchöpft, das Tiebenswürdige Ame- 
rika erfand für ihn eins: den tanzenden Tiſch. 

Nachdem man auf der Erve nichts mehr zu ler: 
nen hatte, griff man in überirdiſche Negionen hinüber, 
und arrangirte ein Spielchen mit ven Geijtern. 

Diejes Spiel wuchs fich zur politiihen Mode 
heraus. Ganz natürlich find die Geiſter jammt und 
jonders liberal gefinnt. Sie find abgejagte Feinde 
des Konjervatismus — ſonſt würden fie ihre irdi— 
ihen Hüllen nicht verlaffen haben — und entjchie- 
dene Freunde des rapidejten Fortſchrittes; denn 
wenn man einen ber Klopfgeijter des tanzenden Ti- 
ſches frug, woher er jetzt käme, fonnte man die wun- 


— 45 — 
derliche Antwort erhalten: aus Kalkuta, Tiflis, oder 
Connecticut. 


Außerdem ſind die Geiſter auch Demokraten, 
und in dieſer Eigenſchaft mit materiellen Dingen 
nicht beſtechbar; dagegen zeigen ſie um ſo mehr Nei— 
gung zu Verſchwörungen, worin fie eine wahrhafte 
Virtuofität entwideln. 


Knrz nach dem Bekanntwerden dieſer Erfin- 
dung, wurden Zifche, die bisher durch Iahrzehnte 
ruhig an ihrem Orte gejtanden, durch magnetifche 
Verkettung der daraufgelegten Hände zu den poffir- 
lichſten Tänzen gezwungen; fpäter fand fich bie 
praftiihe Welt veranlaßt, die Erfindung zu ihrem 
Nugen auszubeuten, und man fonnte in jeder Fami« 
lie, vom Handwerker angefangen, bis zum Fürften, 
vom Künſtler bis zum Gelehrten, verlei Fleine drei: 
füffige Tiſche jehen, welche durch Berührung des 
mit ihnen in Verbindung ftehenden „Medium's“ 
auf die bunteften Fragen mit der wunderbarſten 
Präzifion antworteten; diefe Antivorten in Zweifel 
zu ziehen, wäre der größte Mangel an Ehrfurcht vor 
den Geiftern geweſen. Wenn ein folches „table mo- 
ving“ 3. B. darüber befragt, wie ver Großvater des 
Frageſtellers geheißen? den Namen „Mathias“ 
nannte, jener Öroßvater aber durch Zufall ſich ge- 
rade Kriftof genannt hatte; fo fiel e8 dem Betref— 
enden gar nicht ein, die Wahrheitsliebe des Klopf- 


Lu AG. — j 


geiftes zu bezweifeln; er mußte Recht Haben, aber 
der Großvater mußte ein Anderer gewefen fein. 

Wir fahen ernite, in ſchweren Zeiten ergraute 
Männer, wie jie ihre zitternden Fingern auf dem 
„table moving“ drücdend, mit feierlicher Stimme 
ihre Fragen ftellten : wann tritt Diefe oder jene Ver— 
änderung ein ? wann werben wir diefen oder jenen 
berühmten Dann wiederjcehen ? was wird jett in 
den politiichen Kabineten gebraut ? Wer ift der Helo 
dieſer oder jener geheimen That? ... Solche, und 
ähnliche Fragen Tonnnte man hören, worauf die 
Antwort immer günjtig ausfiel, weil fie ein jeder 
jeinem Herzenswunfche gemäß auslegte. 

Wenn fchon die ernften Mäuner fich dieſem 
Spiele hingaben, wer würde e8 jenen ehrwürdigen, 
in Trauer gefleiveten Matronen verargen haben, 
wenn fie fich an dem Geifte des „Table moving“ 
wendeten, um von ihren Berjchollenen, oder vielbe- 
meinten Todten einen Namenszug zu erhafchen, und 
wenn dieß gefehah, wie gaben Sie fih dann dem 
Glauben hin, daß es die unfichtbare Hand ihres 
Theuren gewejenen, welche den Namen niederjchrieb. 

Heute, wo fich die Verhältnige geändert, lachen 
die Leute über das eitle Spiel vergangener Jahren ; 
doch wir, die wir in jenen Zeiten gelebt, erinnern 
uns der tiefen Geheimniße jener büfteren Völfer- 
ftimmung, welche diefe Periode mit einem traurigen 
Flor umzog; wo der hoffnungsloje Glaube einen 


ned 


Strohhalm zum Gott gemacht; wo, nachdem ber 
Himmel keinen Bejcheid ertheilt, man ein Stüdchen 
leblofes Holz um Rath befragte. 

Es gab ſehr berühmte Geifterbefchwörer des 
„Zable moving,“ die man aus weiter Ferne auf: 
Inchte, zu denen ganze BPilgerfahrten unternommen 
wurden; und deren Antworten manchmal einen 
förmlichen politiihen oder religiöfen Fanatismus 
erzeugten, welche beide dann in ein partiiches Ge: 
wirre zuſammen flogen. 

Zu dieſen berühmten Geiſterbeſchwörern zählte 
auch die Feine Blum. 

Unfere Leſer werden fich noch dieſer kleinen 
Perjon, aus jenen Zeiten erinnern, wo fie in Komorn 
Berpflegsbeamtens Gattin gewefen ; heute figurirt 
fie als Finanzräthin. 

Ihr Gatte, der gute Blum ift eben avanzirt. 
Er ift ein äußerft guter Mann, und wird nie Stoff 
zu irgend einem Roman liefern, deshalb laffen wir 
ihn ruhen in feinem Bureau, wo er feine Tage bis 
in den jpäten Abend zubringt..... Um fo mehr 
rührte fich die liebe Frau Blum in der Welt. Sie 
zählt die ganze Stadt zu ihren Bekannten; weshalb 
es uns Wunder nehmen Fan, daß fie Judith nit 
aufgejucht. 

An einem Schönen Tage jedoch, begegnen fich 
bie alten Bekannten auf der Gaffe. Die Blum er: 
kannte Judith allfogleih und fpricht fie an. Die 


— 48 — 


Kleine hat weder Rang noch Titel ſo ſtolz gemacht, 
um ihre Freundinen nicht zu fennen... bie und da; 
‚wenn ed auch Komediantinen find. 

— Ah, guten Tag Judith; hundert Jahre 
find es, daß wir einander nicht gejehen. Nun wie 
geht es Ihnen? Was macht der Kleine? Bekommt 
er ſchon Zähne ? Geben Sie gut Acht auf das Kind— 
lein, denn der Scharlach graffirt jehr in ver Stadt 
— it die alte Frau noch bei Ihnen? Ich babe fie 
jo lieb, weil fie jo aufrichtig ift. Hundert Millionen- 
mal habe ich mir vorgenommen, Sie zu befuchen, 
aber Morgen foll e& ver Tag fein, wo ich komme, 
wenn Sie e8 erlauben. 

— Werde mich freuen; — erwiederte Judith 
troden. 

— Wohin find fie im Begriff zu gehen? ... 
Ich will Sie dahin begleiten. Nicht wahr, Sie gehen 
ind Theater. | = 

— D nein, ich gehe auf ven Markt, um dort 
etwas für die Küche zu Faufen ! 

— Sie! .. Auf ven Marft?... Sie treiben 
etwa Hauswirthichaft?!... Wenn man gewohnt 
ist, Sie auf den Brettern als Fürftin, als Königin 
zu jehen, ift es ſchwer zu glauben, daß Sie zu Haufe 
auch etwas anderes thun, ald Jamben veflamiren.. 
So oft ich meinen Fleinen Tiſch über Sie befrage, 
erhalte ich ftetS die Antwort: Sie jeien mit ihren 
Studien bejchäftigt. 


— 49 — 


— Ihren kleinen Tiſch?... frug Judith ihre gro⸗ 
Ben ſchwarzen Augen auf das Heine Figürchen haltend. 

— Nun jal... den „table moving.“ — Haben 
Sie nod feinen? Haben Sie noch nichts über den 
Klopfgeiftertifch gehört, oder in den Blättern gelejen ? 
Ad ! Sie follten einen haben; er würde Ihnen gewiß 
antworten, da Sie jehr viel Magnetismus befigen. 

Judith wollte die fröfiche Laune bes Heinen Weib⸗ 
chens nicht verderben und gab demnach Feine Antwort. 

— Ah, Sie ſcheinen mir zu den Unglaubigen 
zu gehören; die behaupten daß das Zifhrüden und 
Schreiben nur eine Schwindelei, nur eine Komöbie jei. 
Das verzeihe ich Ihnen nicht; ich muß Sie 'befehren, 
jo wie id) e8 mit vielen Andern gethan, die ſich Philo- 
jophen nannten, bie lachend und Ipötelnd famen, und 
dann überzeugt davon gingen. Morgen, oder noch beſ⸗ 
jer heute Nachmittag will ich Sie bejuchen, und mein 
Tiſchchen mitnehmen, wenn ich nicht ungelegen bin, 

Uebrigens find wir ja alte Bekannte und 
brauchen bei unferen Vifitten nicht fo ftarf auf die 
Etiquetteftunden zu fchauen. | 

Judith ſprach etwas vom Gernefehen. 

Die Blum ſprach dann noch jehr lange über 
bie Freude, welche ihr das Wiederſehen einer fo 
theueren Freundin verurfachte, und ließ endlich Ju⸗ 
bith ruhig auf den Markt gehen. 

.. .. Am Nachmittag traf die Heine Blum 
pünktlich bei Yudith ein. Ein Amtsdiener trug‘ ihre 

Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb. 4 


9 — 


das Kleine Tiſchchen bis zur Thüre nach, dort über: 
nahm es die Blum jelbft, jtellte e8 vorfichtig beifeite, 
und umarmte dann, hingeriffen von den Freuden 
des Wiederſehens, die alte und Junge Lävayh herzlich. 

Yupdith empfing ihren Gaft mit jener Freund- 
lichkeit, welche ver ungarifhen Gaſtfreundſchaft an— 
geboren ift, die alte Frau jedoch mochte die gewiſſe 
Melonen-Spirde noch nicht vergeffen haben, deu fie 
hegte einen gewißen Argwohn gegen den unerwar- 
teten Bejuch der Frau Blum. 

Der Ungar pflegt feinen Nachmittagsgaft 
ſtets bei gedeckten Tiſch zu erwarten. | 

So geſchah e8 auch bier. Die Heine Blum 
machte wenig Umftände, fette fich an den Kaffeetiich 

und begann alffogleih von ihren „geiftreichen" Ge— 
ſchichten zu erzählen. 

Während des Geipräches behauptete die Feine 
Frau, daß, wenn fie ihre Hände fo auf ven Tiſch 
auflegt, jich die Daumen berühren der Tiſch allſo— 
gleich zu tanzen beginne und wäre er noch jo ſchwor 
und würden ihm auch die ftärfiten Männer niederzu— 
balten juchen. 

Die alte Frau bat jedoch ihren Gaft, die Pros 
duction jo lange wenigſtens zu unterlaffen, bis das 
Kaffeegefehirr nicht geräumt ift. 

Die Blum that, als würde fie ſich darüber 
beleidigt finden, daß man von ihren Geiftern in fo 
alftäglichen Zone fpricht. Es fei dies fein Gegenstand 


— 51 — 


des Scherzes ; denn in jedem Tijche wohnt der Geift 
eines großen Dahingejchiedenen. - Diefer Geift wohne 
im Schubfache des Tijches,und wenn er feines hat, 
dort wo er ein Eckchen findet. Ein Tiſch fei daher 
fein gewöhnliches Meubel, wie die andern. 

Die alte Dame war jedoch an diefem Tage 
jehr ungläubiger Natur. Sie fchenfte vorerſt der 
Blum feinen Glauben, dann bielt fie vom Tiſche 
nichts, ſchließlich kamen ihr die Klopfgeifter ganz 
lächerlich vor ; fie hatte von allen dieſen Sachen 
eine ſehr ſteptiſche Meinung. 

— liebe Judith — fagte dann die Blum, 
mit der jungen Fran anbindend. — Sie werben 
ftaunen, wenn Sie das ſehen. Ich bitte Sie nur 
einen Bogen reinen Papiceres, dann um vier Sted- 
nadeln, damit ich die vier Eden des Bogens befe- 
ſtigen kann; denn er darf fich nicht rühren. 

Die alte Lävay bemerkte biezu, die Kleine 
Frau möge Acht geben, daß Sie nicht etwa irgend 

einen Fuß des Geiftes mit der Nadel verlege. 
| — Nun, worüber wollen wir ben Geift be- 
fragen ? Sind Sie etiwa neugierig ben Namen eines 
Geiſtes zu erfahren? Sie follen feine eigene Haud— 
ſchrift fehen, bite Acht zu geben. 

Damit ftelfte die Blum den Heinen breifüßi- 
gen Tiſch auf das Papier, und berührte die Fläche 
desjelben mit ihren zehn Fingern; das Tiſchchen 
begann fih unter ihren Fingern zu bewegen ; 

. 4* 


— 52 — 


während die heitern ſtets geſchwätzigen Züge der 
Blum einen melancholiſchen, dann einen exaltirten 
Ausdruck nahmen; die Augen blickten ſtarr in das 
gegenſtandloſe Nichts, die Lippen ſchienen halb 
geöffnet, Worten zu lauſchen, welche dem Ohre nicht 
vernehmbar ſind. 

Unterdeſſen bewegte ſich das Tiſchchen in 
einem fort, und machte zuletzt einen langen krum— 
men Strid, der wohl da8 Manupropria am Ende 
des Namens bezeichnen jollte. 

— Sehen Sie, meine Damen! rief die Feine 
Frau im Tone innigjter Meberzeugung — und auf 
den gefchriebenen Namen deutend. — Stets derſelbe 
Name „Talleyrand.“ Und das ijt wahrhaftig feine 
eigene Handichrift, jo wie ich fie im Archive ver 
Wiener Hofburg gejehen, fie gleicht Haar für Haar,. 
Stri für Strich, dann wäre ich felbjt nicht um die- 
Welt im Stande, fo zu fehreiben, ich habe ja wie 
Sie wiſſen eine abjcheulihe Schrift, während dieſes 
hier ein echtes kalligrafiſches Kunſtwerk ift..... 
Sehen Sie: die Schriftzüge Talleyrand's..... ; 
Nun, meine guten Damen, befragen Sie ihn über 
etwas, über mag immer ? ausgenommen wie lange 
Sie noch zu leben haben, und welche Nummern in. 
. der Lotterie gewinnen, ben über. das geben bie Gei⸗ 
jter feine Auskunft. 

— Wie fönnte ich mit diefem Herrn fon- 
verfiren ? entgegnete die alte Laͤvah, er ift ja ein 


— 53 — 


Franzoſe und ich ... ich verſtehe nur die ungariſche 
Sprache. 

— O, da muß ich bitten, die Geiſter find 
“jeder Sprache mächtig... . . . Sie find beinahe all- 
wiſſend. 

— Dann iſt es ſehr ſchade, ſie im Leben mit 
dem Unterrichte zu plagen, da fie ohnehiu ſehr bald 
‚ganz felbft zu allen Wiffen gelangen. 

— Die Theorie diefer Sache ift aber, " meine 
Damen, das ein Jeder denjenigen Grad im Jenſeits 
erlangt, in welchem Grad er feinen Geift im irbi- 
ſchen Dafein gebildet. .... Darüber hat man ſchon 
ganze Bücher geſchrieben. 

— Somit iſt es der Lohn eines Gelehrten in 
der anderen Welt, daß er ſelbſt nach ſeinem Tode 
noch bemüſſigt iſt, die lebende Geſellſchaft bei ihren 
Theeabenden zu unterhalten. 

— Sie ſind demnach gänzlich ungläubig? Be— 
fragen Sie den Geiſt über etwas. 

— Ueber was ſoll ih ihn befragen?.... 
Nun gut, er möge mir jagen wie viel Kreuter ich 
im Sade habe? 

Die Blum, weit entfernt davon, beweisen zu 
wollen, daß der Geift Talleyrand’s eine viel zu 
höhere Aufgabe hat, al8 vie vaterländifche Numis- 
-matif in Jemandens Sade zu ftudieren, griff fogleich 
zur Arbeit, um bie pünktliche und richtige Auflöfung 


— 54 — 


dieſes mathematiſchen Problems durch ihren obge— 
nannten Geiſt reproduzieren zu können. 

Das dreifüßige Tiſchen begann ſeine Bewe— 
gungen, die Blum betrachtete mit ſtarren Augen den 
Plafond, die alte Laͤvah zwickerte mit ſchalkhaften 
Lächeln ihrer Schwiegertochter zu, als wäre ſie einer 
unſchuldigen Schadenfreude an dem Fiasko der 
Blum gewiß. 

Nachdem der Tiſch ſeine RR beendet, 
und mit der Antwort fertig geworden, betrachteten 
die drei das Papier; die verſchiedenen Kratzfüße 
hatten jedoch weder mit den Ziffern, noch mit ven 
Buchftaben irgend einer Nation Aehnlichkeit. 

— Ah, das find chinefifhe Zahlen : betheuerte 
die Blum mit ihrem vollen Pathos; — bitte nicht. 
darüber zu lahen. Morgen will id) die Antwort zu 
Doktor Krurfne tragen, er ijt ein ausgezeichneter 
Orientalift, und pflegt mir derartige Hieroglyphen zu 
entziffern. Jedenfalls wird er die Summen ver 
Kreuzer alffogleich heraus haben. 

— Ich erfuche Sie den Hern Doktor Krur- 
fur durchaus nicht zu bemühen — rief die alte Frau 
mit heiterer Laune; habe doch in meinem Sad nicht 
einen einzigen Kremer! . 

Um ihre Worte auch mit der That zu befräf- 
‚tigen, fehrte fie beide Zafchen ihres Rockes heraus, 
‘in welchen fih eine Brille und ein Fingerhut 
vorfand. 


— 55 — 


Unterdeſſen iſt der Kaffee fertig geworden, 
welchen die junge Frau als gute Hauswirhin in einen 
durchſichtigen gläſernen Kolben vor den Augen ihres 
Gaſtes bereitet hatte. 

Dieſer Umſtand unterbrach die Produktionen 
des Klopfgeiſtes. 

Indeſſen war Judith bereits neugierig gewor- 
den. Die Neuheit des Spieles zog ſie an; dann 
hatte Sie noch nicht von jener Melone gefoftet, 
womit diefe Blum einft ihre Schwiegermutter be- 
wirthet hatte; kaum vermochte fie es zu eriwarten, 
daß die Wunder des, „Table moving“ auf die Ta- 
gesordnung kämen, trotzdem, daß die Alte dieſe 
Wunder mit ihren puritanifchen Sarfasmen auf 
ihren mechanischen Werth zu reduziren bemüht war. 

— Kommen Sie, Freundin, fagte die kleine 
Blum zu Judith, mit Ihnen ift noch zu fprechen, 
Sie gehören nicht zu den Ungläubigen. . .. Befra- 
gen wir num den Geift: was Bela madıt ? 

Es wird ſchwerlich eine junge Frau auf ber 
Welt geben, welcher die Beantwortung einer folchen 
Trage gleichgiltig wäre. 

Auch Judith willigte in die Frage; wenn es 
ein blojer Scherz iſt? .... nun dann um fo beffer. 

— Da müfjen aber auch Sie theilnehmen ; 
— betheuerte. die Blum. 

— Wie theilnehmen ? 


— 56 — 


— Nun ja. Auch Sie müſſen mit den Fin- 
geripigen den Tiſch berühren, wenn Sie eine Ant- 
wort haben wollen. Ziehen Sie ihre Ringe von ven 
Fingern, denn ed darf fein Metall an venfel- 
ken fein, | 

Judith gehorchte Tächelnd, und zog die Ringe 
von den Fingern, einen jedoch, ihren Trauring, 
hatte fie an jene Schnur gehangen, an welcher fie 
ein Medaillon trug mit ven Porträts Béla's nnd 
ihrer Mutter. 

Die alte Lavay brummte einen Sat aus der 
Bibel über Heidenthum und Hererei. 

— So jet legen Sie ihre Hand auf ven 
Tiſch, jo daß Sie mit ihren beiden Kleinen Fingern 
die meinigen berühren. — So. Nun ftellen wir die 
. Brage: wo Bela fi) befindet ? 

Das Tiſchchen begann fich zu bewegen, und 
perjchiedene Zeihen auf das Papier zu Frikeln; 
Yutith ftaunte gedankenlos das jeltfamme Werkzeug 
an; auf ihren Lippen ſchwebte ein mattes Tächeln ; 
ed ſchien ihr, als wäre die Bewegung des Tiſch— 
chens ganz willkürlich, ohne Zuthun jeder menjchli- 
Sen Kraft. | 

ALS die Bewegung aufhörte, ftand auf ben 
Papier gefchrieben : 

„Wolozoff.“ 

— Wolozoff?.. . Las die Blum kopffchüt⸗ 
telnd. Was ift das? ein Dorf? 


— 57T — 


Die Kleine ſtellte ſich, als würde Sie es 
nicht am beſten gewußt haben, was dieſer Name zu 
bedeuten habe. 

Judith gerieth in jenes Stadium, wo der 
Menſch an dem zu zweifeln beginnt, was er glaubt. 

— Bela iſt wirklich bei Fürft Wolozoff; er 
ließ ihn in Rechtsangelegenheiten zu ſich — 
— ſagte Judith wie für ſich. 

— Ah! Sie haben an dieſen Namen nicht 
gedacht ? 

— Nein. Ih habe überhaupt auf Nichts 
gedacht; — erwiederte Judith beflommen, und es 
fiel ihr nicht ein, die Frage zu ftellen, ob vielleicht 
die Kleine Frau daran gedacht habe. 

— Fragen wir nun, fuhr die ränfefiichtige 
Frau weiter fort, mit wen Bela in diefem Augen- 
blicke unterhält ? 

— Gut. Befragen wir das. 

Das Tiſchchen fee fich unter ven Händen der 
Damen abermals in Bewegung, und als es ſtill ſtand, 
war auf den Papier zu leſen: 

„Seraph . 
| — Ah, lachte bie Heine Blum. Das ift Köftlich ; 

Bela unterhält fich mit überirdiſchen Wefen. — 
Eine Föftliche Antwort. Man wäre verfucht, zu glau- 
ben, daß Bela um dieſe Zeit feine Nachmittags 
Siejta hält, und fih im Traume mit Seraphinens 
beſchäftigt. 


— 


—— 


Judith fuhr ein Gedanke durch den Kopf; 
und das ſchwache Lächeln ſchwand von ihren Lippen. 
Jetzt erſt wollte ſie Alles recht erfahren, und ſie 
ſelbſt ſtellte die Frage: 

— Worüber ſpricht Bela jetzt? das Tiſchchen 
ſchrieb als Antwort: 

„Prozeß“ 

— Na das iſt wirklich ſpaſſig, lachte die 
Blum, mit ihren Händen klatſchend, — mit ſolch 
überirdiſchen Weſen über Prozeß zu ſprechen. .... 
Nun das iſt ſchon mehr als Scherz. 

— Was für ein Prozeß iſt es, frug Judith mit 
noch ernſterem Geſicht. 

Das Tiſchchen ſchrieb: 

„Scheidung“ 

— Die Antworten ſcheinen mir immer unver- 
ftänplicher zu werben, rief die Blum Fopfichüttelnd ; 
doch will ich noch eine Frage risfiren; es ijt hier 
offenbar ein Scheibungs-Prozeß gemeint; aber gegen 
wen ? 

a 

— Rein, das ift Schon unausſtehlich .. . är- 
gerte fich die Geiſterbeſchwörerin . . . . Seraph ... 
Scheidungsprozeß ... Fertö lauter unverſtändlicher 
Unſinn. Dieſer Geiſt iſt heute abſcheulicher Laune. 
Die Geiſter ſind auch ſehr launenhaft, an manchen 
Tagen iſt keine einzige vernünftige Antwort von 
ihuen zu bekommen, daran iſt aber heute blos ihre 


— 


— 597 — 


Schwiegermutter Schuld. Wenn ein Ungläubiger 
bei der Befragung zugegen, werden die Geiſter ver- 
drüßlich und geben folche alberne Antworten. Da... 
wollen wir heute nicht8 mehr fragen. 

' Damit brach die kleine Finanzräthin die Un- 
terhaltung mit vem „Table moving“ ab; griff nach 
ihrem Hut und Schawl, fchaute das jchlafende Kind- 
hen in der Wiege an, bewunberte deſſen winzige 
Händchen, und empfahl fich. 

Judith begleitete Sie bis zur Thüre. ALS fie 
zurückkam, jetste fie fich an ven Tiſch, und betrach- 
tete finnend das bejchriebene Papier. 

Die Alte nahm ihre Arbeit zur Hand, und 
bhedelte an einen Kleinen Röckchen für das Kindlein 
in der Wiege. ... 

— Finden Sie das Ganze nicht wunder: 
bar, liebe Mutter, unterbrach Judith das Tange 
Schweigen. 

— O ja, ſehr wunderbar, — entgegnete die 


alte Frau, emjig weiter arbeitend. 
— Wer's nicht ſelbſt ſieht, würde es nicht 


glauben, ſetzte Judith traurig hinzu. 

— Ich ſehe es, weiß aber, an was ich zu 
glauben habe. 

— Was? 

— An die Klopfgeifter dieſer Harretbet gewiß 
nicht. Du weift e8 mein liebes Kind, daß ih aus 
jenen Zeiten ftammte, wo man bie Leute noch zu 


u 


‚Chriftenmenfchen erzog, bamit fie das Licht ſehen 
mögen. In meinen Zeiten lernten zwar die Mädchen 
weniger Geographie, aber um fo mehr Bibel. Dort 
steht e8 gefchrieben, daß Derjenige, welcher außer 
Gott aud) noch die wahrfagenden Geifter befragt, 
feine Strafe biefür ſchon in ſich felbft herumträgt. 
Ich Habe es nicht vergeſſen, daß König Saul, weil 
er durch die Here von Endor Geiſter befchwören 
ließ, fich jelbft entleibt Hatte; ich erinnere mich ver 
Leiden und der Verherrlihung Paul's ald er aus 
dem Mädchen von Philippi den Teufel der Wahrfa- 
gerin verjagte. Und wäre e8 der gelehrtefte Mann, 
der mir Glauben für diefe Hererei einflößen wollte, 
ich würde ihm meine Wiffenfchaft entgegen halten 
und ſprechen: Herr, meine Augen find zwar ſchwach, 
aber mein Hlaube ijt ftarf, meine Augen vermögen 
zwar Sie zu täufchen, aber meine Seele nicht. Um 
fo weniger wurde ich mich von einem folch’ ſchnabeln⸗ 
den Papagei, wie diefe winzige Finanzräthin einer 
ift, übertölpeln laffen ; dazu bin ich doch ein wenig 
zu früh geboren. 

— Was denfen Sie aljo über die Gefchichte, 
Mutter ? 

— Ih will e8 dir jagen, was ich vente. 
Dieje Frau. verfteht ihr Spiel jehr gut. Was ver 
Tiſch fchrieb, das hat fie ſelbſt geſchrieben .... das 
ganze Gekrikſel bedeutet ſo viel, daß ſich Seraphine 
von ihrem Gatten Fertöy ſcheiden laſſen will, und 


— — 


dag an dem ganzen Bela die Schuld trage. Fertöy 
bat hierüber der Blum gejchrieben, damit fie den 
Krieg in unfere friedliche Hütte einführe. ... Diefe 
Blum, diefe Blum! als fie fo plötzlich bei uns er- 
ſchien, fühlte ich alfogleih den Geſchmack jener fa- 
moſen Melone. 

Judith wollte etwas wie zur Entjchuldigung 
einwenden. Zu weſſen Entjchuldigung ? Sollte ver 
Gegenftand Bela, die Blum, Seraphine, oder gar 
bie Geifter fein ? fie fam jedoch nicht dazu. Die alte 
Frau fette ihre zornige Polemik fort. 

— Ich glaube an feine Geiftererfcheinungen. 
Ich glaube e8 nicht, daß irgend ein fterblicher Menſch 
fich die Geifter der Dahingeſchiedenen dienftbar mas 
chen könne, daß bieje feine Fragen beantworten und 
auf feinen Ruf die himmliſche Glückſeligkeit oder jene 
hölliſche Verdamniß verlaſſen müßten, von welcher 
man uns in alten Zeiten jo vieles erzählte; dagegen 
glaube ich, das hier auf Erden unter ung böfe Öeijter 
herumwandeln in gepußgten Kleidern uud baufchigen 
Krinolinen, diefe find es, welche das Menſchenkind 
ber irdiſchen Vedammniß entgegen führen. 

— Mutter! Sie glauben doch nit daß 
BEN? ..4% 

— Nein das glaube ich nicht, daß Bela fchul- 
dig fein könne. Ich kann e8 nicht glauben. Ich 
weiß e8 ja, was ich. in den Baum gepfropft ! Das 
kann ja feine böjen Früchte tragen. Aber mandhmal 


2.08: 2 


ſchleicht fich ein unbefanntes Inſekt heran, ſtößt ven 
giftigen Stachel in ein Blatt des Baumes, jo daß e8 
ein Auswuchs wird, deſſen Inneres mit Aſche und 
Schimmel gefühlt ift. Bela ift ein guter Mann, und 
das iſt ein großer Fehler. Auch fein Vater war es, 
er konnte Niemanden böſe fein. Ih mußte mich an 
feinen Feinden rächen. Dieje Frau, die Blum, und 
dieje Seraphine kenne ich recht gut! In den Tagen 
ver allgemeinen Gefahr, war ich durch lange trübfe- 
lige Zeit gezwungen, mit ihnen in einev und derſel— 
ben Hütte zu wohnen. Während diefer Zeit thaten 
fie kaum anders als fich in Lobpreifungen über Bela 
zu ergehen. Sch mußte beinahe annehmen, daß fie 
ihn auch nod) liebte, al8 er fchon der Gatte einer 
andern Fran war. Später, ald einer ihrer geweſe— 
nen Anbeter von Glanz und Ruhm umftrahlt in der 
Stadt eintraf, warf fie jich diefem in die Arme, und 
wurde jeine Frau. Ha, wie fie gelacht haben wird 
über mich, diefe Seraphine! Wie fie fich oft wieder: 
holt haben mochte; da fteht fie einmal dieſe Alte 
verrückte Frau, wie man nur ihren Sohn zu loben 
brauchte, damit fie arbeite und und bediene wie eine 
Magd. ... Später ftarb der helvdenmüthige atte, 
und fie reichte abermals ihre Hand einem Meenfchen, 
wie er eben einer ift. Diejer richtete fie an ihrem 
Bermögen zu Grunde, diefe Menſchen haben mich 
mit ihren nieberträchtigen Ränken umjponnen, um 
mich gegen die Gattin meines Sohnes aufzuhegen. 


—_ 9 — 


Diefe. Leute wollen meinen Sohn verderben. Und 
uachdem Gott ihre Abficht vereitelt, und fie beſchämt 
hatte, wollen fie Zwietracht fäen, zwijchen ung, 

— Mutter glauben Sie das nicht, flebte 
Judith. 


— Wenn ich auch nicht frage, ſo höre und 
ſehe ich doch. Was hat es dieſe Frau nöthig gehabt, 
hieher zu kommen; hat ſie bisher ihre Beachtung 
für uns nöthig gefunden? 

Zum Teufel mit ihrem tanzenden Tiſch, ſie 
hatte mit demſelben keinen anderen Zweck, als uns 
wiſſen zu machen, daß ſich Seraphine von ihrem 
Gatten ſcheiden laſſen will, und daß Bela den Pro— 
zeß führen wird. Iſt Bela bemüſſigt, das zu thun? 
Welche Nothwendigfeit treibt ihn dazu. 

— Daß ift ja auch noch gar nicht gewiß, warf 
JIudith ängftlich dazwiſchen. 

— Es muß zewiß ſein, weil es eben dieſe 
Frau geſagt. Seraphine möge ſich ſcheiden laſſen. 
Wozu braucht ſie jedoch meinen Sohn in die Angele 
genheit zu mengen. 

Judith war der Meinung, daß ſie etwas zu 
der Vertheidigung Bela’8 vorbringen müſſe. 

— Bela iſt ja Advokat. 


— Blos Advokat?! fuhr die alte Frau zor- 
nig in die Höhe... . Bela ift außerdem auch Gatte, 


— DE — 


Vater und Sohn! Er iſt mir, Dir und ſeinem Kinde 
dort in der Wiege verpflichtet und Gott würde ihn 
ſtrafen, wenn er auch nur gegen eines von ung feine 
Pflicht vergeffen könnte. 


Judith lief zur Wiege, und drückte ven halb: 
Ihlummernden Säugling in ihre Arme, als gebe es 
Geſpenſter, gegen welche fie dieſes Heine Wefen ver 
theidigen müffe. 


Die alte Lavay war jeboch Teivenjchaftlich 
erregt und fuhr fort, 


— Vor mir gilt es nicht als Entjchuldigung, 
daß e8 Hunderttaufende gibt, die gleichmäßig handeln ; 
unter den Hundert und Tauſend ift er der Einzige, 
mit welchem Gott ein Wunder verübt, daß er durch 
die Hand einer Frau aus dem Grabe gezogen warb, 

aß die Hand ihm den Reſt feiner Jahre zurüdgab, 
und wenn es num ein Wunder genannt werben kann, 
daß ein Gatte. feiner Frau im Wachen und Träumen 
ftet8 treu geblieben, fo verlange ich von ihm, daß 
er diefes Wunder für diefe eine Frau verübe. 


Judith drückte das lächelnde Geficht ihres 
Säuglings an ihre Wangen, als wollte fie es fo 
gegen dieſe ſchweren Worte [hügen. 

— Ras foll das heißen? Könnte er wegen 


eines bleichen Geſichtes das lächelnde Glück an 
feinem Heerde vergeffen ! Nein, vergefjen joll er es 


— 65 — 


micht, oder ich ſchwöre bei Gott, daß ich zu ihm hin— 
gehen werde um ihm in die Erinnerung zurück zu 
rufen, daß jene Frau, welche für ihn einſt im Sarge 
gelegen, noch immer am Leben ſei. 

— Unternehmen Sie nichts, gute Mutter 
beſchwichtigte Judith die alte Frau in traurigem 
Tone. 

— Dh, fürchte nichts, ich werde Feine Narr- 
heit begehen. Sch war ftet8 aufbraufend in meinem 
Leben, doch kann ich von mir behaupten, daß ich ven 
Nagel ftets auf ven Kopf getroffen. Jemand wird: 
noch die Zeche für die böje Stunde zahlen, und wird 
es nicht einmal wiljen, wer ihm die Rechnung vorge- 
Legt hat. 

— Mutter, rief Judith entjchloffen, bevenfen 
Sie, daß Bela mein „Herr“ ift | 

Bei und nennen die Frauen ihre Gatten ftets 
„Herren. 

— Ich habe das bedacht, Bela ijt Fein Kind 
mehr, fondern ein Herr. Als er noch ein Kleiner 
Knabe gewejen und im arten Judenkirſchen ge- 
fammelt hatte, ſchlug ich im auf die Hände, damit er 
fi) nicht vergifte. Heute kann ich es nicht mehr 
thun, daß ich ihm auf die Hände fchlage, weil er 
ein „Herr“ und ein „Mann“ ift. Aber — das Gift 
— das will ich ihm er heute aus der Hand 
ſchlagen! 


Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 5 


— 66 — 


Ein jeder Zug in dem Geſichte ber altem 
Frau glüht vor Leidenſchaft; die Augen der jun- 
gen Frau ſchwammen in Thränen, das kleine Kind- 
fein aber lächelte Beiden zu, wie ein Engel ver 


Verheißung. 


Die beiden Alten. 


Der alte Garten mit den invaliden Bäumen, 
den quieszirten Roſen-Büſchchen, den penfionirten 
Kaktuſſen, ven amputirten Trillafchen, hatte fich noch 
immer in jeinem verfrüpelten Zuftande erhalten. 
Umſonſt rechnen die Nachbarn darauf, daß fie dem 
Grund ankaufen, ihrem Eigenen anfchliefen und 
dann vom Neuen frijch bepflanzen. 

Der alte Knochen, Major Kolbay humpelt 
noch immer auf der Erde, und zählt noch immer zu 
‚den Lebenden. | 

Und doch hat er faum einen Bekannten in 
der Stadt. 
| Die ganze Bevölferung hat fich umgeftaltet. 

Nicht nur, daß aus den Knaben und Mäbchen, 
Männer und Frauen, daß Männer und Frauen zu 
Greife geworden, daß die Alten heim gingen, um 
„Stilfe Leute” zu werden, fondern es zog auch 
ganz anderes Volk an die Stelle des Alten. 


—— 


Die Führer des einſtigen Komitates, die 
„Taͤbla⸗Biroͤ's,“ hocken in ihren Neſtern auf ven 
Dörfern, und nur eine ſehr dringende Angelegenheit 
vermag ſie zuweilen nach der Stadt zu treiben, dann 
find dieſe altbekannten Geſichter kaum wieder zu er— 
kennen. Das ſonſt glatte Kinn ſtrotzt von einem 
grauen ftachligen VBollbart. Es fcheint, als wollten 
fie jelbft in ihren Aeußeren mit der Vergangenheit 
brechen. 


Einft hatten die fogenannten guten Yeute, ein 
fogenanntes gutes Haus, daß fie mit ihrer fröhlichen 
Familie bewohnten. Wenn mann durch eine Gaffe 
ging, blicte einem beinahe aus jedem Fenſter ein 
freundliches Geficht entgegen, und erwieberte mit 
herzlichen Wohlwollen den Gruß ; diefe Häufer find 
jegt von ihren Bewohnern verlaffen. Ein anderes 
Volk Hauft in ihnen, welches die Fenfter, wo einft 
zwijchen ven blühenden Blumen ein lodiger Blond» 
fopf heraus Tächelte, zu Thüren umgeftallten ließ, 
um davor ein Tiſchken aufzuftellen und zur Illuſtri⸗ 
rung der a. Glückſeligkeit — REDEN 
zu fchenfen. . 


Wenn der alte Mann, * bekannte Major 
Kolbay, ſeinen gewöhnlichen Spazirgang durch die 
ihm nicht ſo bekannte Gaſſe macht, pflegt er für ſich 
ſelbſt murrend aufzuzählen: na, da hat man wieder 
eine Laden⸗Thüre geöffnet ; da hat wieder einer Bän- 


Pe? 


der und Sacktücher feil; ja aus den alten Herrn- 
häuſern werden num Verkaufsbuden. 

Nun ift das der natürliche Gang der Welt, 
welche vorwärts fchreitet; dem „alten Knochen“ fällt 
es jedoch ſchwer, fich daran zu gewöhnen. 

Die neue Öeneration beeilt ſich zu arbeiten, 
und verdienen zu können; fie demüthigt fich, fchachert 
und handelt, und fünmert fi) wenig um veraltete 
Privilegien. 

Das verfteht der alte Knochen nicht. Seine 
Zugenbreminiscenzen führen ihm zurüd in die glän- 
zenden Tage der Schlachten, der reichen Galla-Uni- 
form, des Privilegienthums, und es ift ihm unmög- 
lich, fich in diefe fo gänzlich veränderte Welt hinein 
zu leben. 

Nur das Haus der alten Lävah erlitt noch 
feine Veränderung, ba gibt e8 noch feinen „Greisler- 
laden.” Schade das fie in Peft wohnt, meinte der 
Alte, feitdem fie ihren Sohn wieder gefunden. Wie 
konnte fie fich überhaupt an Peft gewöhnen ! 

Dem alten Kolbayh fiel es fehr ſchwer, daß er 
feine alte Freundin nicht mehr im Fenfter fehen und 
ihr, wenn er zur Mittagszeit vorüberging, feinen 
griesgrämigen „guten Tag“ wünfchen konnte. 

An einem Tage jeboch, als er in tiefen Ge- 
danken verfunken, auf feinem gewöhnlichen Heim- 
wege begriffen war, vernahm er plüklich eine be— 
kannte Stimme aus dem wohlbelannten Fenfter. 


ER | 


— Guten Tag, Herr Major!... Kolbay 
blickte betroffen auf, und feine ftarren Gefichtszüge 
erheiterten fich merklich, als er feiner alten Freundin, 
die er jo oft an dieſem Fenſter getröjtet, anfichtig 
wurde; „jett wird fie des Troftes faum mehr bedür— 
fen,” dachte ver Veteran. 


— Sie würden einen gar nicht bemerken, 
wenn man Sie nicht anjpräche. 


— AG, bei meiner Seele, ih habe alle Tage 
durch Ihre Fenftericheiben gegudt, aber nie etwas 
anderes gejehen als diefe Blumen da. Setzt will 
ib Ihnen aber alljogleih meine Aufwartung 
machen. 

Die alte Damereilte ihrem Gaſte entgegen ; 
im Hofe hatte fie Mühe, den alten Haushund zu 
bejchwichtigen, welcher fich nod immer fein Brod 
verdienen wollte, trogdem er faum mehr zu bellen 
vermochte. 

Der Veteran drückte unter ſiegreichen Lächeln 
die Hand ſeiner Freundin; aus ſeinen Zügen konnte 
man den ſtolzen Gedanken leſen: „hab' ich's nicht 
geſagt daß Ihre Schwiegertochter eine vortreffliche 
Frau ſei;“ er wollte ſich jedoch ſeines Sieges nicht 
rühmen. | 

— Ich glaubte wahrlich jchon, daß Sie für 
immer in Peſt verbleiben, müſſen fich ſehr an die 
große Stadt gewohnt haben. 


es An 


Die alte Frau hieß ihren Gaft auf dem Divan 
Platz nehmen, fie ſelbſt jegte fich an ihren Spinne- 
rocken, ohne die Frage zu beantworten. 

Kolbay glaubte anch ferner icherzen zu 
könnnen. 

— Natürlich gibt dort eine Unterhaltung die 
andere; bie vielen Abendunterhaltungen, Soiréen, 
«oder wie man fie nennt, die vielen Konzerte, dann 
täglich Theater, wenn die Tochter eine Xoge hat. 
Sie müjjen viel Freude an Ihren Kindern erlebt 
‚haben. . . . Sch begreife e8 gar nicht, wie Sie in 
dieſe fremdgewordene Heimat zurüdkehren konnten. 

Ueber das Geficht der alten Yavay rannen 
zwei Thränen herab; ſie ſuchte jedoch dieſelben zu 
verbergen, indem ſie ſich niederbeugte, um an ihren 
Spinnrade etwas zu richten. 

— Herr Major — begann fie dann im ern- 
ften Tone — hätten Sie mir nicht heute die Ehre 
gejchenkt, jo würde ich Sie morgen bejucht haben. 

— Ih würde mir's als große Ehre ange- 
rechnet haben ; trogdem daß Sie mir bieje Höflich- 
keit jchuldig waren; war doch ich e8, der Sie bei 
Gelegenheit Ihres legten Bejuches beinahe aus dem 
Haufe jagte, und Sie habeu mir für diefe Höflichkeit 
noch gar nicht gedankt. Ich will e8 Ihnen jedod) 
verzeihen... . Was habe ich Ihnen damals gejagt ? 
Habe ich vielleicht nicht Recht gehabt? .... Haben 


U 
ie 


Sie Ihre Kinder nicht als die glüdlichiten auf Erbe 
wiedergefunden ? 

Die alte Dame fehüttelte traurig mit dem 
Kopfe nnd erwiederte mit bitterer Entſchloſſenheit: 

— Meine Kinder find nichts weniger als 
glücklich! 

— Die fo? rief ver Veteran plötzlich herab⸗ 
geftimmt : 

Nicht glüdlih?.... Meine Freundin, Sie 
hatten fich fchon einmal getäufcht ; bedenken Sie jegt 
das zweitemal was Sie da aussprechen. Einmal 
haben Sie diefe Frau Schon verfannt; damals fagte 
ich Ihnen: diefe Frau iſt eine treue, ehrliche Gattin ;- 
das behaupte ich auch noch heute; Judith ijt eine 
brave, ehrliche Frau ! 

— Da haben Sie reht, Judith ift eine brave 
Frau und eine ehrliche Gattin. 

— Dann verftehe ich die Sache nicht, 

— Die Schuld liegt nicht an ihr. 

— Nun alljo, wer trägt den die Schuld ? 
rief der Major entrüftet, — der andere? 

— Ya der Andere! 

— Bela? 

— Bela, mein Sohn. 

— Das ijt furchtbar, fo etwas von Ihnen 
bören zu müffen. Das grenzt an das Unglaubliche... . 
denn erlauben Sie mir Freundin : felbft wenn Judith 
nicht fo fchön, fo vernünftig und fo gut wäre, als fie 


— 73 — 


es iſt, ſondern eine Harpie, mit einem Meduſenhaupte, 
und dumm! wie ein Klotz, müßte ſie ein erlicher 
Mann, wie es Bela iſt, nach all dem, was ſie für 
ihn gethan, was ſie in ihrer grenzenloſen Liebe un— 
ternommen, noch immer den Händen herum— 
tragen. 

— So iſt es. Judith it ihön, gejcheidt und 
gut; — dennoch hatte Bela alles dies vergeffen. 

— Unglaublid. Sie erzählen mir da ein 
Märchen. Gibt e8 denn eine Frau, die den Muth 
hätte als Nebenbuhlerin einer Gattin aufzutreten, 
die für ihren Mann durch die Hölfe gebrungen, bie 
ben Muth hatte den Mann Judith's zu verführen? 

— Es gibt eine! 

— Das muß ein herzloſes, ein böſes, ein 
ränkeſüchtiges Geſchöpf ſein. 

— So iſt's, Sie iſt eine hemleſe eine ränke⸗ 
ſüchtige Frau dieſe Fertöy!. 

Kolbay taumelte zur, er mußte fih an die 
Lehne des Divans ftügen. 

— Seraphine?... Meine... meine Nichte? 

— Ya. Ihre Nichte; — woher das fam?... 
wie e8 fam?... . wer könnte ergründen?.... Ges 
nug baran, einft traf Bela mit ber Fertoh beim 
Fürſten Wolozoff zuſammen. 

— Beim Fürften Wolozoff? 
| — a. Ich weiß es nicht, wer das ift? Will 

ed auch nicht wiffen. Aber fo viel weiß ich, daß Bela 


on 


ſich, ſeitdem er von dort zurückgekehrt ift, ganz ver- 
ändert hat. Er that geheimnißvoll vor mir und 
jeiner Frau; that ſtets mürriſch nnd launifch, ging 
jehr oft auf Reifen, ohne zu jagen, wohin ? Wir ver- 
mochten es nicht zu errathen. . . So viel wußten 
wir, daß ſich Seraphine von ihren Gatten jcheiden 
laffen will, und daß Bela ihren Prozeß führt. 

... Ah — ah! ... machte der Alte, was 
Sie mir da für Neuigkeiten erzählen. 

— Sie wiſſen das nicht? Nun ſo erfahren 
Sie es denn, daß Beéla im Intereſſe Seraphinens 
die lange Reiſe bis nach Siebenbürgen macht. Dort 
ſoll vie Scheidung leichter vor ſich gehen... . wel— 
hen Lohn er biefür zu erwarten bat, ift fein Ge— 
heimniß. Dabei vernachläßigt er jeine Frau merklich. 
Auch diefe hat einen Erbſchaftsprozeß, die Schluf- 
verhandlung fteht vor der Thüre und er hat in die- 
jem Prozeße ſeit Monaten feinen Buchitaben gear- 
beitet. Wenn ich ihm darüber Erwähnung that, fer- 
tigte er auch mich mit den furzen Worten ab, daß 
alfes in Ordnung ſei. ... Und Judith ahnt Alles ; 
würde fie nie Frau und Gattin fein, wenn fie nicht 
alles ahnen würde. Sie fieht, fie fühlt es täglich, 
daß Sie vernachläßigt wird, doch ſchweigt und duldet 
jie, ohne e8 Jemanden merken zu laffen. Sie ift zu 
jtolz, zu erhaben in ihrer Liebe um ihren Schmerz 
der profanen Welt zu verrathen. Nie habe ich fie 
weinen, nie Hagen gehört, nur ihrer Stirne fieht 


ur, Mn 


man es an, daß fie viel nachvenft.... Mein Frennd 
von dieſer Frau habe ich viel gelernt. Sie iſt eine 
Märtyrerin, ein Engel. Mit feinem Blicke hatte fie 
noch ihrem Gatten Vorwürfe gemacht, im Gegentheil 
Sie vertheidigt ihn gegen meine Anfchuldigungen. 

— Das find ja infame Geſchichten, die Sie 
mir da erzählen, rief ver Veteran im vollem Zorne 
ausbrechend. Werhalb mußte Seraphine die Ruhe 
einer ehrlichen Familie jtören, wo fie doch von Wien 
bis Peſt genug jener galanten Kavaliere findet, die 
es werth find, um von ihr genarrt zu werden. Muf 
Sie fih denn einen verheiratheten Mann in ihr 
Net ziehen? ... Ich danke Ihnen meine Freundin, 
daß Sie mir dies mitgetheilt, und ich werde es, 
ſowohl Ihnen, al8 auch andern beweijen, daß ver 
-alte Kolbay noch nicht jo alt ift, als er fcheint. 

— Was beabfichtigen Sie zu thun? 

— Was? Gleich morgen reife ich nach Bet, 
fuche dort Seraphine auf, und werde fie zur Rechen- 
Ichaft ziehen. Es foll ihr dies bitter bekommen. 

— Das habe ich von Ihnen erwartet, ſprach 
die Yavay fich von ihrem Site erhebend und bie 
‚Hand ihres alten Freundes drückend. 

— Nicht wahr, Sie waren im voraus über- 
zeugt, daß ich fo handeln werde ? Sie jollen fich in 
mir nicht getäufcht haben. Ob, fie joll mir u: 
Rechenſchaft geben. 


* 


— 76 — 


— Dann werden wir zuſammen reiſen. Auch 
ich reife morgen nach Peſt znrüd. 

— Niht wahr? auch Sie werden Ihren 
Sohn zur Rechenfchaft ziehen. 

— Das werde ich thun, und zwar aus allen 
Kräften. 

— Na, dann möchte ich ſehen, wer ung bei- 
ben wieberftehen kann, wenn wir uns vereinigen! 
das foll einmal ein Angriff werden! und erſt vie 
Rechenjchaftslegung ! ereiferte der Alte. 

— Ich danfe Ihnen wein Herr. Ich bin nur 
deßhalb heraufgereift, um mit Ihnen in diefer An- 
gelegenheit zu jprechen und Sie zum Beiſtand auf- 
zuforbern. Ä 

Der alte Kolbay war ganz entzückt darüber, 
daß Frau Laͤvah, jo viel Vertrauen in feine Aufrich- 
tigkeit und Macht fette; als er nach Haufe ging, 
trat er mit feinen fteifen Beinen viel ftolzer auf als 
fonft, und murmelte ununterbrochen: Das ſoll eine 
große Rechenfchaftslegung werben ! 

Seraphine war fehr überrafcht, als fie an 
einem Nachmittage von ihren Spazierfahrt heimkeh— 
rend, die Vifitfarte des Majors Kolbay auf ihrem 
Tiſche fand. 

Kolbay flog aus feinem Nefte! Er, ver fich 
feit zwanzig Jahren nicht über die Grenzen der 
Stadt begab. Und daß er gerade feine Nichte auf- 


— 


a: ar 


fuchte, welche er noch vor der Hochzeit mit ihrem 
erſtem Manne fo zornig abgewiefen hat, veutete das 
nicht auf außergewöhnliche Umftände? 

Der Alte muß aber etwas Großes vorhaben. 

Seraphine war in den Iepten Tagen von 
ihren neuen Fantasmagorien derart eingenommen, 
daß die Erinnerung an den Alten ihr Gemüth in 
völligen Aufruhr brachte. 

Seit jenem Tage, wo ihr Bela den Rath ge- 
geben, fih von ihrem Manne zu trennen, und feit 
jenem Abend, wo er fie vom Flammentode gerettet, 
hatte das Gemüth der launenhaften Frau eine völ- 
lige Umwandlung erlitten, ven Tag hindurch fuchte 
fie die Einfamfeit, um ihren Träumen, ihren Fan- 
tafien nachzuhängen. Und ihre Nächte ? 

Was fagten ihre nächtlichen Träume — 

Auch dieſe hatten ſie bethört. 

Seit jenem Tage verſchwand das ewig lebende 
Geſpenſt aus ihren Träumen, als wollte es einem 
andern Trugbilde Platz machen, als wäre es mit 
den Tauſche einverſtanden. 

Von nun an war der Geſpiele ihrer Jugend, 
ein ewig wiederkehrendes Bild ihrer Träume. In 
hundert Geſtalten, in hunderterlei Verhältniſſen 
ſtets dasſelbe Bild; in den verſchiedenartigſten 
Szenen, der Aufmunterung, der Zufriedenheit, des 
Familienglücks, der Leidenſchaft, der Eiferſucht ſtets 
und immer dasſelbe Bild. — 


m 


— TB 


Das Geſpenſt Roberts erjchien nicht mehr.. 


Auf den Wangen der bleichen Frau begann abermals 
die Roſe des Lebens zu blühen. 


Der Fürft welcher fie zuweilen bejuchte, eiferte 


fie an, ſich jegt portraitieren und das Porträt vergan- 
gener Jahre vernichten zu laffen, weil e8 entjchieden 
schlecht fi. | 

Seraphine hatte fich in eine unbejtimmte, 
geitaltlofe Zukunft jo hineingelebt, daß das Auf: 
tauchen ihrer befannten Vergangenheit, welches ver 
Name ihres Onkels hervorrief, auf fie denjelben 
Eindruck machte, wie auf einen der Geneſung entge- 
genjchreitenden Kranken, die neu hervorbrechenden 
Symptome des alten Uebels. 

— Weßhalb mag Kolbay gekommen fein ? 


Er hatte dem Kammerbiener veriprochen, 


nach einer Stunde zurüd zu fehren. That er dieß, 
jo wird er e8 gewiß auch halten. 

Diefe Stunde reichte für Seraphine nicht hin, 
um fich darüber zu entjcheiden, welche Rolle fie 
einem Manne gegenüber fpielen jollte, der in die 
Schablone ihrer Umgebung gar nicht paſſen kann? 
Soll fie heiter, fcherzhaft, ſpitzfindig fein, ſoll fie 
ihren Einfällen freien Spielraum gewähren, wie fie 
e8 zu Haufe in ihren Mädchenjahren gewejen ? oder 
ſoll fie eine gewiffe Oravität zur Schau tragen, wie 
e8 einer großen Dame geziemt? Soll fie fich herzlich, 
freundlich, füßlich benehmen, wie man es einem 


un BO! 


Bermwandten gegenüber thut, den man lange nicht 
geliehen ? Oper foll fie fich blafirt ftellen, wie einer, 
dem es ganz gleichgiltig ift, wer immer kommt 
oder geht. 

Der Onkel erſchien pünktlich. Seraphine ver- 
nahm, wie er im Borzimmer jchon fein bekanntes 
Räuspern von ſich gab. Der Kammerdiener wies 
ihn zur gnädigen Frau, welche ihn bereits in ihrem 
Bouboir erwartet. Seraphine fiel e8 nicht auf, daß 
Major Kolbay mit einer gewiffen militärifchen 
Steife herein trat: es war dies eben, feine Manier. 
Seraphine empfing ihn trogdem fehr freundlich: 
„Willkommen lieber Onkel! Tauſend Yahre, daß 
wir uns nicht gefehen. Welcher gute Glückſtern führt 
Sie zu ung." 

— Zu Euch ? Erwieberte der Alte, das letzte 
Wort betonend. Hajt wohl jagen wollen zu Dir. Ich 
babe Dich im Haufe Fertöy's gejucht und erhielt 
zum Bejcheid, daß Ihr fchon feit einigen Monaten 
getrennt lebt. 

— Ya wir find im Begriff uns fcheiden zu 
laffen. Nehmen Sie jedoch Plat bei mir Onfel. 

Seraphine war fjehr überrafcht, daß fie Kol- 
bat beim erjten zufammentreffen mit Du anfprach, 
was er ſonſt nie gethan hatte. 

— Dante, erwiederte der Major. Ih kam 
eben um die Urfache Eurer Scheidung zu erfahren. 





— — 


— Rennen Sie Fertöy ? 

— Db id ihn fenne! 

— Dann müffen Sie auch über die Urfache 
unferer Scheidung im Reinen fein. 

— Uebrigens muß ich dir bemerken, daß ich 
Vertöy keineswegs befjer fenne, als du ihn gekannt 
haft, bevor du ihn geheirathet. Verjtehe ich e8, weß— 
halb du dich von ihn trennen willit, dann werjtehe 
ich nicht, weßhalb du ihn geheirathet haft? Und ver: 
ftehe ich's, welche Urjachen du gehabt haft ihn zu 
heirathen: dann weiß ich nicht, weshalb du did) von 
ihm jcheiden laſſen willft. 

Seraphine hatte das Unglüd, — anjtatt fich 
aus diefem Dilemma mit einem Bonmot beraus- 
zuzichen : die Frage an den Onkel zu ftellen : 

— Die verftehen Sie das ? 

Darauf erhielt fie, was fie fuchte. 

— Liebe Seraphine nehmen Sie e8 nicht übel, 
(der Alte dutzte fie nicht mehr) Sie können es auch 
nicht übel nehmen, wenn ich Ihr Leben mit kritifchem 
Blide verfolgte. Sch that diefes feit Langem; habe 
ich doch nichts mehr auf der Welt zu thun, als jenen 
Roman zu ftudiren, welchen Sie aus Ihrem eigenen 
. Reben machen. 

— Bitte, fiel Seraphine ein; die Feuilleton 
Romane, pflegt man erjt zu beurtheilen, wenn jie zu ; 
Ende jind. 


u — 


Jene Fälle ausgenommen, wenn ber Stoff 
des Romanes in jene Regionen hinabjinft, wo der 
Lefer unwillfürlich ausruft: „auf dieſes Blatt prä— 
numerire ich nicht mehr.“ 

— Wäre dies auch bei meinen Romane der 
Fall ? rief Seraphine in beleidigtem Zone. 

— Vielleicht, vielleicht auch nicht. Deßhalb 
fomme ich auch nicht als Kritiker, Sondern als guter 
Freund um den Verfaffer auf Etwas aufmerkſam zu 
machen, denn wenn dev Roman einmal zu Ende it, 
dann fällt er der unerbittlichen Kritik anheim ; dann 
ift nichts mehr an ihm zu verbejfern. Jetzt fönnte bie 
Entwidelung noch en famille geordnet, jetzt ift das 
Streichen, das Ausbeſſern noch erlaubt. 


Seraphine war über die Gewähltheit der 
Ausdrücke ihres Onkels, der fonft eine gerade unge— 


juchte Sprache führte, höchſt überraſcht. Es muß 
eine große Veränderung mit ihm vorgegangen ſein. 

— Liebe Seraphine, Sie wiſſen es recht gut, 
wie wenig ich Ihnen mit der Langweiligkeit meiner 
Bemerkungen, die ich mir bei Gelegenheit der merk— 
würdigen Wendung Ihres Schidjals ſtellte, ungele— 
gen kam. . . . Ich ſagte mir: dieſe Frau iſt zu ſtolz, 
um von Jemanden einen Rath anzunehmen, möge 
fie ihren eigenen Pfad wandeln. . ... Jener Weg, 
welchem der Stolz als Weiſer dient, kann wohl 
auf's Eis, ins Waſſer: — nie aber in den Koth 
führen, 


Andere Zeite, andere Menſchen. IV. Band. 6 


u 99 


Die Lippen Seraphinen’s zucdten bei die— 
ſen Worten; fie war micht mächtig ein Wort zu 
erwiederit. 

— Ein jedes Mitglied unjerer Familie bejaß 
‚Stolz ; das gefiel mir; — fuhr der Alte fort, indem 
er feinem Halfe in der hohen Militärkravatte eine 
noch fteiferes Halten gab. Die Yeute hatten ung nicht 
bejonders lieb, fie fagten, wir feien ftolz. Ich ver: 
langte nichtS anderes von ihnen. Wir waren vie 
„Haute volée“ der Gegend. Dan verjpottete uns, 
jedoch gefiel mir diefer Spott. Ihr Vater war nicht 
nur ein Geburts- jondern auch ein Gelvarijtofrat; 
er hielt fich für etwas mehr im Somitate, als ver 
Dbergeipan. Sein Stolz fojtete ihm viel Geld: ich 
jah es wie er fein Geld mit vollen Händen ftreute, 
um diefem Stolz zu fröhnen. — Er hätte eine Mil- 
Tion hinterlaffen können, wenn er vemüthig geweſen 
wäre; er war es jedody nie; ich hielt e8 ihm mie 
vor weil ich die ſtolzen Leute liebe. — Bon mir will 
ich gar nicht Sprechen. 

Weiß es doch Jedermann, daß, wenn ich in 
der Stadt, die ich bewohne, den einzigen Menfchen, 
den ich für Werth halte anzufprechen, und feine 
Worte anzuhören, nicht jehe und antreffe, ich für die 
Vebrigen ein Taubſtummer bin. 

— Sprechen Sie demnach von mir Onfel!... 
Drängte Seraphine, welche durch die lange Einlei- 
tung bereits nervög geworden. 


u, BE — 


— Sogleich will ih von Ihneu ſprechen. — 
Auch Sie waren ein fo ſtolzes Kind. Ich habe Ihnen 
veßhalb uie Vorwürfe gemacht. Als Sie Robert 
heiratheten, wies ich die Rolle des Beiftandes zurüd, 
weil ich wußte, daß diefe Heirath mit einer Demü- 
thigung enden wird... ... 

— Ich bitte Sie, Tieber Onfel; ſprechen Sie 
nicht von Robert... . 

— Ich ſpreche ja nicht von ihm ; nur vondhnen. 

Auf Das Geflatih irgend eines irrenden 
Flüchtlings, legten Sie Wittwenkleiver an. Ich be- 
zweifle nicht, daß Sie dazu Grund hatten, es find ja 
ſchon acht Jahre feit dem verfloffen. Die Wittwer- 
tracht iſt das Zeichen ver Demuth: die im jener Zeit 
in Trauerfleidern gingen, waren auf diefe ihre Tracht 
ſtolz; Sie aber hatten, bevor das Zrauerjahr ablief, 
ihren Schleier zum zweiten Male mit dem Braut- 
kleide gewechjelt, uub wurden die Gattin Fertöy's. 
Da dachte ich mir: Fertöy wird Karriere machen, 
Steht ihm hiezu doch der Weg offen ; Seraphine ift 
ſtolz, hochmüthig und wünſcht zu glänzen. Ich Tiebe 
die Menſchen ja, die von der Ölanzjucht befallen 
find. Uebrigens wechſeln auch Männer für bobe 
Stellungen und Titel, ihre Hüte, warum ſollen 
rauen nicht ihre Hauben wechſeln? 

— Ich verfihere Sie Onkel, daß es nit 
deßhalb geſchah — warf Seraphine im Tone jchüch- 
terner Entjchuldigung ein. 


6* 


— 84 — 


— Ih ſage ja nur, daß ich „damals“ ger 
glaubt; daß es aber nicht jo gewejen, brauchen Sie 
mir erſt nicht zu beweilen. 

— Gie fannten die jchlechten Eigenfchafter 
Fertöy's, und eben biejerhalben wählten ihn zum 
Gatten. Ich erjuche Sie nicht in Aufregung zu ge- 
rathen, bisher haben weder Sie noch ieh Urſache 
dazu. Jetzt können wir noch fromm und freundlich 
mit einander reden, das ift noch alles reiner Scherz. 
Später werden wir eine Sprache führen, daß mir 
von unfern Siten auffpringen und einen Lärm an- 
Schlagen, daß die Nachbarn und die Leute auf ver 
Gaſſe zufammen ftrömen .... daß Sie mich durch 
Ihren Diener hinaus werfen laffen, und ich jelbit 
noch von der Stiege zu Ihnen hinauf fchreien werde; 
bis dahin bleiben wir bei falten Blute. 

Seraphine faltete zitternd die Hände, als 
wollte fie um Schonung flehen. 

— Nun fahren wir fort. Sie haben ſehr gut 
mit jenem Fond gewirthichaftet, ven man die Nach— 
ficht eines nichtswürdigen Gatten nennt. Sie konn— 
ten thun was Sie wollten. All’ dies war fein Ge 
heimniß vor der Welt; doch war es verbedt Durch 
den Namen des Gatten! Es mag eine Gattung des 
Stolzes geben, die den Schatten, welchen eine fürjt- 
fiche Krone auf fie wirft, für blendendes Licht hält; 
ich theile diefe Anficht nicht, doch verdedt der Name 
eined Gatten auch diefen Schatten. 





ein BB- 


— Onkel, Sie find zu grauſam. 

— Laffen Sie mich hinauswerfen. Ich jelbft 
Bitte Sie darum in Ihrem Interefje, venn ich habe 
Die Abficht noch grauſamer zu werden. 

— Ich werde jchweigen. 

— Und ich behaupte, bisher wur dieje Frau 
ſtets ftolz, ihr Stolz hatte zwar eine fchiefe Nichtung, 
es war jedoch immer noch ein Stolz, eine Ambition der 
Weltfrau, welche fich neben dem Range ihres Gatten 
auch durch den Glanz der fürftlichen Krone ihres 
Anbeters gejchmeichelt fühlt. Plöglich find fie jedoch 
aus Ihrer Rolle gefallen. Das Schidjal führte fie 
unverſehens mit einem Manne zujammen, an ven 
Sie mit ven Banden erjter jugendlicher Xiebe ge- 
fnüpft find. Da hatten Sie vollends ihren Kopf 
‚verloren, 

Seraphine zitterte, wie ein ſchwaches Kind, 
und erbleichte, als fie ihr Geheimniß entdeckt ſah. 

— Hören Sie mich an, Seraphine, fuhr der 
‚unerbittliche Alte fort: Sie und Ihr Yugendfreund 
‚hatten in einer Zeit Gelegenheit genug, wo man 
ungehindert die Worte: „Sch gehöre Dir und Du 
bift mein,” ausjprehen kann und darf. Warum 
Sie es damals nicht thaten, müffen Sie felbjt am 
beiten wiſſen, warum Sie e8 eben heute thun, werde 
id) Ihnen erzählen. 

— Es thut mir jehr leid, daß ich es jagen 
muß, aber ich muß es, weil mein Leben nur mehr 


— 86 — 


eine Szene iſt. Möglich, daß ich meine alten Knochen 
ſchon morgen zur ewigen Ruhe legen muß, und 
wenn ich heute nicht ſpräche, wäre ich, bei Gott, 
gezwungen mich morgen in eines jener albernen 
„Table moving's“ zu verkriechen, um als Klopfgeiſt 
Ihnen meine Meinung fundzugeben..... . Ich mache 
Sie jedoch nochmals aufmerkſam, daß, wenn Sie 
irgend ein Mittel gegen die Ohnmacht befigen, Sie 
diefes zur Hand halten ſollen, denn was ich Ihnen. 
jage, ift eine verteufelt graufame Gefchichte. 

— Ich werde fie anhören umſomehr, als ich 
die Geſchichte Schon kenne. 

— Liebe Seraphine, dieſe Öejchichte ift Ihnen 
unbefannt. Sie find vielleiht der Meinuug, daß ich- 
Ihnen fentimentale Borftellungen machen werde 
über die aufgejtörte Ruhe einer glüdlichen Familie, 
wegen ber vergoffenen Thränen der jungeu Lävay... 
Was fcheere ich mich um das ? Was fümmern mich 
die Laͤvay's. Ich habe es nur mit Ihnen zu thun. 
Nun hören Sie! die Scheidung von Ihrem Gatten: 
hat Ihnen Bela Laͤvay angerathen. 

— Woraus vermuthen Sie das? frug Sera- 
phine betroffen. 

— Wenn Sie mich weiter anhören, werden 
Sie e8 erfahren. Herr Bela hatte kebie Luft, Sie 
zum Altar zu führen, denn man überlegt es fich 
zweimal, Ihren Yaunen ewige Geduld zu ſchwören. 
Es beliebte ihm nicht, Sie zur Frau zu nehmen und 


u BT; 


um ber vergänglichen Freude willen, die Ihr Lächeln 
bietet, Herz, Ruf und Gefchid ihrem Leichtfinn an- 
zuvertrauen. In dem Augenblid aber, da wir ber 
Welt nichts mehr Ichuldig zu fein glauben, nähern 
wir ung einander wieder. Die Frau it fchön, und 
taugt fie auch nicht zur Gattin, jo kann fie defto 
angenehmer jein als — Geliebte. - 

Auf diefe Worte fchrie Seraphine auf, als 
hättte fie eine Tarantel geftochen. 

— Nichtwahr, diefe entjeglihe Grobheit ha— 
ben Sie nicht erwartet, ſprach Kolbay von feinem 
Site aufftehend und nach dem Hut Tangend. Und 
doch, bin ich noch Feineswegs zu Ende. Noch ein 
Wort. | 

Seraphine fchritt hocherregt auf und ab im 
Zimmer. Wie ein fchöner Yeopard im Käfig unter 
dem machtvollen Blick des Bündigers ; ihr Bufen 
wogte jtürmijch, ihre Lippen zitterten. Einen Augen— 
blie€ ftand fie an dem Fenſter jtill, als ob fie darau 
ſänne, die Flügel zu öffnen und fich jählings hinab— 
zujtürzen, um nicht das hören zu müffen, was der 
Alte noch auf der Zunge hatte. 

Diejer aber fuhr erbarmungslos fort: 

— Bisher waren Sie etwas: eine Frau, 
deren Gatte ihr alles durch die Finger fieht. Ein 
unbedeutender Zitel, aber noch immer gut genug. 
Jetzt Scheiden Sie von Ihrem Gatten und fie werden 
— mas man „eine jehöne Frau” zu nennen pflegt. 


— 88 — 


Alle Welt wird Ihnen ſagen, daß Sie eine ſchöne 
Frau ſind, und alle Welt wird — das Recht haben, 
Ihnen das zu ſagen. Und es wird dies keine Schmei— 
chelei ſein, und die Frau, welcher man es ſagt, wird 
kein Recht mehr haben ſtolz zu ſein. 

Seraphine ſetzte ſich dem Alten gegenüber, 
entſchloſſen, den Becher zu leeren, wenn er auch 
Gift enthalten ſollte. 

— Seit drei Tagen ſuche ich Ihren Gatten, 
um ihm ins Geſicht zu ſagen, daß ich ihn unter allen 
Leuten, die ich achte, für den allerletzten halte, und 
daß er mit einem Fuße ſchon jenen Pfad betreten, 
auf welchem elende charakterloſe Menſchen wandeln; 
doch er verſteckt ſich, läßt ſich abläugnen. Ich weiß 
es, daß er ſich anfangs betroffen zeigte, als Sie von 
der Scheidung ſprachen, doch hatte er ſeine Skru— 
pel aufgegeben, als ihm der „reiche Mann“ mit 
ſeinen Beweismitteln näher rücke; und jetzt iſt auch 
er für die ſchnelle Löſung des Prozeßes. Wenn ich 
ihn nicht finden follte, werde ih ſchon. ven „reichen 
Mann” und Ihren Aovofaten finden. Das find 
Männer, denen es werth ijt Grobheiten zu ſa— 
gen.... Denn Sie müſſen es wiſſen, theuere 
Kouſine, daß ich der Bruder Ihrer Mutter, nichts 
anderes hinterlaſſen werde, als ein verwahrlojtes 
Haus und eine Kleine elende Wirthichaft; aber 
meinen Namen will ich Ihnen fo vein und unbe: 
fleckt Hinterlaffen, wie ich ihn von meinem Vater 


Br 8: 


‚geerbt. — So, jetzt fönnen Sie mich fortjagen. .... 
ich habe ausgefprochen. 

Seraphine fuhr von ihrem Sie empor und 
ergriff haftig die Hand des Alten, welcher im Be- 
‚griff ſtand, fich zu entfernen. 

— Dleiben Sie noch. ... Gehen Sie nicht 
zu Jenen, die Sie erwähnten. 

— Sie fürdten für Jemanden? ? vielleicht 
‚gar für mich den alten Knochen ?! 

— Warten Sie bi8 morgen Mittag; da 
jolfen Sie etwas erfahren; und wenn Sie auch 
"dann nicht zufrieden find, jo Fönnen Sie thun, was 
“ Sie für nothwendig erachten, gegen mich, oder gegen 
Jedem andern. 

— Dis morgen ie ? Wann iſt bei Ihnen 
Mittag ? 

— Um zwölf Uhr. 

— Gut. Ich werde Punkt zwölf Uhr bei 
Ihnen erjcheinen, bis dahin will ich mich nirgends 
zeigen. 

Damit entfernte fich ver Alte; und Seraphine 
„blieb allein. . . . . Allein ? Ab, fie hatte eine ganze 
‚Hölle zur Gejellichaft. 

Was ihr diefer Alte Mann gejagt, blendete 


fie wie der Feuerjchein eines über den Köpfen bren- 
‚nenden Haujes. 


— 10 — ⸗ 


Da war ben glüdlichen Träumen mit einem 
Male ein Ende gemacht und dahin waren die verlo- 
enden Fantafiegebilde — dahin, zerronnen, im. 
Schaum und Nebel aufgelöft, vor dem einen frofti- 
gen Gedanken : Er machte dich nicht zur Gattin, aber 
als Gelichte bift du ihm gut genug. 


Der Eng der Abrechnung. 


Der folgende Tag war auch fonjt ein merk: 
würbdiger Datum für die beiden Familien. 

Am Vorabende diejes Tages hatte Bela zu 
feiner Familie gejagt, daß er die ganze Nacht wach 
bleiben werde, weil er dringende Geſchäfte habe, die 
bi8 am Morgen beendigt fein müſſen. 

— Morgen ift die Schlußverhandlung in dei— 
nem Prozeße gegen Fertöh, jagte die alte Frau zu 
ihrer Schwiegertochter, der junge Herr hat die 
Sache vernachläßigt, jetst muß er eilen. 

Bela wachte in der That die Nacht hindurch 
und noch am Morgen konnte man hören, wie er im 
Zimmer auf.und abjchritt. 

Er lieh fih auch das Frühftüc in fein Zim- 
mer bringen, denn noch hatte er nicht alles beendet. 

Um neun Uhr ließ er einen Lohnwagen holen 
uud er trug einen ganzes Acdtenbündl unter dem 
- Arm, als er zu den Frauen hinüber fam, um fich, 
wie er es gewöhnlich that, von ihnen zu berabfchie- 


er BE 


den und ihnen zu jagen, wohin er ſich begebe und 
wann er zurüdfehren werde. 

— Heute wırd die Schlußverhandlung in 
deinem Prozeße jein, fagte er, indem er Judith in die 
Arme jchloß ; fonft gab er ihr Feinerlei Erklärung. 
Dann erfundigte er fich nach dem Befinden des Kin— 
des und ob e8 in der Nacht gehuitet. | 


— Das würdeſt du wohl gehört haben, denn 
du warjt wach, antwortege die Mutter. 

— Ich wahr ſehr vertieft in der Arbeit. 

— Nicht wahr, du haft dich mit den Arbeiten 
an Judith's Prozeße verjpätet. 

— In Judith's Prozeße? O, daran babe ich 
nicht gearbeitet, da ift die Replik eine ganz einfache, 
die ich im Gerichtsſaale niederfchreiben werde. 

Alles ſchwig hierauf. Der Diener meldete, 
daß der Lohnwagen angefommen ; Bela nahm feinen 
Hut und ging. | 

Die alte Frau begleitete ihn gar * hinaus, 
wie ſie zu thun pflegte. 

Alſo auch in der Nacht, da daß Vermögen 
ſeiner Gattin, ſeines Kindes auf dem Spiele ſteht, 
beſchäftigte er fich mit den Angelegenheiten jener 
andern Frau. Die alte Yavayp war in Verzweiflung. 
Judith aber lehrt ihr Kind das Wort „Vater“ aus- 
Sprechen. Bela fuhr directe nach der Wohnung 
: Seraphinens. 


— 93 — 


Für ihn mar das Haus auch zu fo früher 
Stunde offen; der Kammerdiener wußte, daß er ihm. 
zu jeder Zeit ven Eintritt gejtatten dürfe. 

Die blafje Frau war heute bejonbers ſchön. 
In den Augen der magnetische Glanz einer Betäu- 
bung, bie eine durchwachte Nacht erzeugt, ihr uuge- 
ordnetes Haar ruhte in einem Perlennege. Auf den 
blaffen Zügen aber ruhte das ſelbſtbewußte Lächeln, 
welches das farblofe Geſicht fo jtrahlend macht. 
Ihre Morgentoillette war mit Geſchmack gewählt; 
ein geſticktes weißes Oberfleivd mit blauem Gürtl. 
Sie fah darin wie ein Kind, wie ein junges Mäd— 
chen aus. 

Bela fiel e8 unwillkürlich ein, daß er vor 
Fahren ein folches Kind gefehen, mit einem folchen 
unſchuldigen Yächeln, mit einem ſolch' eng anfchlie- 
genden weißen Kleide und in ſolch' vertrauli- 
her Nähe. | 

.... Doch was geht dies den Advokaten an. 


— Euer Gnaben werben entjchuldigen, daß 
ich jo früh fomme, doch muß ich zu einer Verhand⸗ 
fung eilen, und wie ih Ihnen jchor öfter erklärt, 
wird es mir ſehr lieb ſein, wenn in dieſem Prozeße 
früher ein Urtheil gefällt, als in dem Andern. 

— Iſt das der Prozeß „Ihrer Gattin" 
frug Seraphine. 

— 68 iſt der Prozeß Judith's. 


— 94 — 


— Gegen meinen „Gatten“? 

— Ja, gegen Herrn Fertöp. 

Seraphine betonte die legten zwei Worte jo 
ſtark, daß dieſe Betonung einem jedem Andern aufge- 
fallen wäre, nur Bela bemerfe es nit. Er dachte 
gar nicht daran, wo Seraphinens Gedanken weilen 
Tonnen. 

— Demnad wäre e8 Ihnen angenehm, wenn 
in diefem Prozeß ein jchnelleres Ba gefällt 
"würde ? 

— Ich habe meine Gründe, weßhalb mir dies 
angenehm, aud) habe ich alle Aften mitgebracht, da— 
mit Sie einige derjelben, mit ihrer nothiwendigen 
Unterfchrift fertigen. 

— Alto iſt auch. meine Unterjchrift noth- 
"wendig ? 

— Natürlich. 

— Wünſchen Sie, daß ich fie ungelefen unter: 
zeichne ? 

— DO nein, Sie müſſen e8 mit Aufmerkſam— 
feit durchlejen, worunter Sie ihren Namen jchreiben. 

— Auch wenn Sie das Schriftſtück verfaßt 
haben? 

Seraphine blickte bei dieſen Worten Béla mit 
jo verführeriſchen Lächeln an, wie fie es nie zuvor 
gethan. 

— Auch ich fünnte irren, Deßbalb erſuche ich 
Sie zu leſen. 


u IE: 


— Soll das gleich geihehen ? 

— Ich habe Eile. 

— Sie foheinen fih der feinen Geſellſchaft 
ſehr entrüdt zu haben. Ein Mann von größerer 
Höflichkeit würde fagen: Möge mein Warten eine 
Ewigfeit dauern. Doch will ich Sie nicht Länger 
aufhalten. Sie haben heute Ihre Gattin gegen Fer: 
töp zu vertheidigen; was feine kleine Aufgabe ift. 
Sie fünnen ſich daher nicht mit mir bejchäftigen. 
Laſſen Sie mir diefe Schriftjtüde zurück; ich werve 
mit denjelben bis zu Ihrer Rückkunft fertig werden. 

0 Es wire mir lieber gewejen, wenn Sie 
dieſelben in meiner Gegenwart gelefen und unter= 
zeichnet hätten. Bis halb ein Uhr glaube ich wieder 
bei Ihnen zu jein. 

— Um halb eins ? lachte Seraphine. 

Bela fragte nicht, weshalb fie lache ? Er fuchte 
jene Schriftitüde hervor, die fie purchzulefen und zu 
unterzeichnen hatte; dieß legte er auf einen Kleinen 
Tiſch; die übrigen band er in ein Bünd'l zufammen 
und legte fie an einen anderen Ort. 

— Sie werden alfo bis Halb ein Uhr zurückkeh— 
ren, und ich kann Sie alljo erwarten, ſprach Sera: 
phine, dem fich verabſchiedenden die Hände reichen, 
und tief in jeine Augen blidend — Sie werden ganz 
‚gewiß zurüdfehren ?! Das ift Schön von Ihnen, das 
ijt herrlich von Ihnen. 


— 9% — 


Dabei ftreichelte fie mit ihren zarten Händen 
den Bart Bela’s, wie e8 zarte Herzen ihrem Ge— 
liebten gegenüber zu thun pflegen ; und nachdem er- 
bie Thüre Hinter fich gejchloffen hatte, begann fie zu 
lachen, und ihrer Einfamfeit ließ fie die Worte 
hören: 

„Es wäre ihm alfo nicht zuwider, mic 
zu lieben. 

Der Berfammlungsfaal des weiland Komi— 
tate8 war zu diefer Zeit in Heine Bureaus einge- 
theilt. E& war eben eine Epoche hereingebrochen, 
wo man nicht mehr bverlei große Säle benö— 
thigte, wo taufend Menfchen zufammen die Neden 
Einzelner anhören mußten. Die Räumlichkeiten 
mußten benußt werben, aus ‚dem großen Saale 
ſchuf man kleine Bureaus, man zog Ziwifchenmauern ; 
brachte Thüren an, und verjah felbe mit Nummern. 
Der gefällige Leſer möge mir e8 verzei hen, daß ich 
die Urjache deſſen nicht angeben Tann, warum Num— 
mer 14 gerade jene Dertlichfeit war, wo im Pro- 
zeße Fertöy's contra Hargitay die Schlußverhand- 
lung ſtattfand, daß ich die dort Anweſenden nament- 
lich nicht anzugeben weiß und warum Herr Blum, 
der gewejene Verpflegs-Beamte dort ald Präfident 
fungirt ? Auf all’ dies kann ich mich ebenjo wenig 
erinnern, wie auf einen Traum, von dem man plüß- 
lich aufgeſchrockt worden iſt. 


Nun id thue Buße wegen meiner Vergefilich : 
feit. Doc möge e8 mir zur Entſchuldigung dienen. 
daß ich in jener Zeit fo viel Namen gehört und fo 
viele Gefichter gefehen, daß ich mich deren nicht mehr 
erinnern kann. 

So viel kann ich jedoch ficher behaupten, daß 
der Präfes Herr Blum gewejen, und daß die übri- 
gen Herrn auch jehr ehrenwertbe Männer geweſen 
jein durften, die in einem andern Yande auch heute 
noch in hohen Ehren ftehen, wie fie es auch verbie- 
nen ; doch unter unſerem Meridian erinnert fich ihrer. 
kaum noch Jemand mehr. Die Herrn Fertöy und 
Bärfing befligen fich pünktlich zu erjcheinen ; nicht 
jo Bela Laͤvay, auf den, man noch eine halbe Stunde. 
warten mußte. | 

Herr Blum vermochte es nicht 5 zu unterlaſſen 
um Herru Fertöy im Geheimen sub rosa zuzufli- 
ftern, daß fein Prozeß ohne Zweifel gewonnen ei. 
„Seripta manent“ (da8 Gefchriebene bleibt). Das 
eingereichte Teftament ſchließt jeden Zweifel aus ; 
das Gericht kann nicht anders entjcheiden, als das 
Fertöy in das Befisthum Hargitay's als geſetzlicher 
Erbe allſogleich einzuſetzen ſei. 

Trotz dieſer Verſicherung ſchien Herr Fertöy 
heute ſehr niedergeſchlagen. 

Es gibt Geſichter, welche die Welt ſehr lange 
als jung betrachtet hatte, und die an einem ſchönen 
Morgen ihre Bekannten damit überraſchen, daß fie 
Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb- 7 


alt geworden find. Falten die bisher Niemand be- 
merkt hatte, beginnen ganze Furchen über das Ge- 
ficht zu ziehen, und die Zeit beginnt auf der Stirne 
ven gebührenven Pla einzunehmen. Fertöy ſchien 
heute um zehn Jahre älter, ald er es geftern ge— 
weſen ift. | 

Herr Bärfing allein jchien feiner guten Laune 
nicht8 vergeben zu wollen. 

Er reichte jedem der Beifiger die Hand, und 
verftieg fich im feiner Laune fogar jo weit, daß er 
nad der Tabaks-Doſe des Herrn Blum langte, und 
um die Vortreflichfeit des Inhaltes derjelben mit 


großer Oftentation darzuthun, in furchtbares Nieſen 
ausbrach. 


Herr Blum war ein ſehr guter Freund der 
beiden anweſenden Herrn. 


Endlich erſchien der gegneriſche Advokat, Herr 
Blum winkte den Gerichtsbeiſitzern ihre Plätze ein— 
zunehmen. Die Verhandlung begann. Ein junger 
Mann mit einem für ſeine Ohren gefährlichen Va— 
termörder bewaffnet, damals Auskultant genannt, 
las etwas aus den Schriften vor, und, als er geen- 
digt, jegte, Herr Blum feine Brille auf, ſah ſich den 
‚gegneriichen Advokaten an, und befragte ihn, ob er 
noch etwas vorzubringen habe, Bela verlangte Falt- 
blüthig, man möge ihm das Original des Teftamen- 
tes vorweiſen. 


9 — 


Auf jein Verlangen übergab man Bela das 
"Dokument. 

Er that jetzt pasfelbe, was er in Gegenwart 
Baͤrſing's gethan: er hielt e8 nämlich aufmerkſam 
‚gegen das Licht und ſchaute eine Weile durch das 
Papier. 

Dann legte er ed ruhig auf den Tiſch des 
Gerichtsſaales nieder, und fprach, feine Worte Ida 
‚betonen : 

— Diejes Dofument ift gefäljcht! 

Fertöy fuhr zufammen, während Barfing wie 
son einer Tarantel gejtochen von feinem Site 
ſprang, und etwas von Unverjchämtheit ftotterte. 

Dlum nahm feine Brillen von den Augen, 
und winkte Bärfing er möge jchweigen. 

— Womit beweisen Sie, daß diejes Dofu- 
‚ment gefäljcht ſei? 
| — Die Beweisführung ift ganz einfach. Die 
‚geehrten Beifiger des Gerichtshofes werden e8 wif- 
jen, dag man einft Dokumente nur auf gejchöpftes, 
und nicht auf Mafchinen-Papier fchrieb. 

— Das ijt ja doch gefchöpftes Papier — rief 
Buaͤrſing dazwiſchen, während die Sommerfproffen 
‚in feinem Geſichte gleich Sternen zu funfeln begonnen. 

— Bitte mich zu Ende zu hören. Diefe Ge- 
pflogenheit hatte eine fehr rationelle Urſache. Auf 
das geichöpfte Papier ift in Wafferfchrift ver Name 

7* 


der Fabrif angebracht und dabei ein Buchſtabe 
welcher das Jahr bezeidhnet, in wel- 
chem da8 Papier erzeugt worden ift.. 
Im erjten Jahre der Errichtung der Fabrif wendet 
man den Buchftaben A. in zweiten B. u. f. w. an. 

Wenn nun Jemand ein Dokument fälicht, und es 
antedatirt, wird das jpäter erzeugte Papier zum 

Berräther an ihm. Ich machte in diefer Hinficht ein— 

gehende Studien im Archive der Föniglichen Kurie,. 
bei einem gleichen Prozekfalle noch aus dem vorigen. 
Jahrhundert. — Was im vorliegenden Falle bemer- 

fenswerth ift, daß der Name der Fabrik auf ven 

Wafferzeichen des Papiers gar nicht vorfommen 

fönnte, denn dieſe Fabrik wurde erjt im Jahre 1851 

errichtet, während das Dokument von 1847 datirt. 
Der Buchſtabe E. beweift aber Far, daß das Doku— 

ment im Jahre 1856 verfaßt wurde, alfo neun: 
Jahre fpäter nach dem Tode des angeblichen Zefta-- 
ment-Berfaffers. 

Fertöy fiel bei dieien Worten ohmächtig vom 
Stuhle; man mußte ihn bei Seite tragen. 

Baͤrſing aber erhob fich otternd, und ftotterte 
zähneflappernd, man möge auch ihm das Dokument - 
zur Befihtigung übergeben, welches die Beifiger 
einer nach. den Andern gegen das Licht hielten und- 
dabei, wie entrüftet ven Kopf fchüttelten. Einer ver: 
jelben behauptete fogar, er wäre anmejend geweſen 
als man diefe Fabrik in Böhmen mit großer Feier- 


— 101 — 


Hichfeit eröffnete, dies fei aber drei Jahre fpäter 
‚gewefen, ald das Zeftament datirt fet. 

Herr Blum zog feine Tabaksdoſe aus der 
Taſche, öffnete deren Dedel, jedoch nicht um Herrn 
Barfing nochmals eine Prife anzubieten, ſondern 
‚um deren Inhalt, welcher durch die Berührung von 
den Fingern eined Fälſchers profanirt wurde, 
-verächtlich auf die Erde zu jtreuen. 

Dann Elingelte er ; die zwei Gendarmen, welche 
ven ohnmächtigen Fertöh hinausgetragen hatten, 
‚erjchienen. 

Herr Blum ſprach Faltblütig zu den Dienern 
des Gerichtes: 

— Diefe zwei Herrn find im zwei verſchiedene 
‚Zellen in proviforifche Unterfuchungshaft zu bringen. 

Bärfing wunderte fich nicht darüber, daß 
ihn ein folches Fatum ereilte; fondern, daß Herrn 
Fertöy ſolch' menjchliche Dinge paffiren können. 

Tertöy war ein gewaltiger Herr, ein Mann 
von großen Einfluß, und hoher Autorität und was 
mehr, ein alter Freund Blums. Trogdem hatte 
Blum mit jo Falter gleichgiltiger Miene dem Gefäng— 
nißwärter aufgetragen, dieſen beiden Herrn jedes 
Schreibzeug, Meffer, u. f. w. abzunehmen, als hätte 
er ed mit gefährlichen Betyarn, oder fechsfreuzer- 
ſtück Fälſcher dus einer SEE 
zu thun. 


— 102 — 


Dann wandte er fich mit gleich kaltem Blute 
zu Bela: 

— Wollen Sie gefälligft Herr Advokat ihr- 
Schluß-Plaidoyer zu Protofoll geben, das vu. 
wird Sache des Stuatsanwaltes fein. 


— — — — — — — — — — - 


Als Bela ven Gerichtsſaal verließ, traf er 
auf den Korridor mit feinem Freund Melchior zu— 
jammen. | 

— Man rief mich eilig aus dem Spital 
bieher, ich mußte Herrn Fertöy zur Ader laffen. Er 
ift bereit zur Befinnung gelangt, doch fühlt er fich, 
wie Einer, ven man einen ganz regelrechten Kopfhieb 
verjegt hat. u 

— Das will ich glauben, und ber Andere ? 

— Der bat vor lauter Schreden ungeheueren: 
Hunger befommen, und hat joeben in das benach- 
barte Gafthaus um eine Portion! Beafſteak geſchickt. 

— Wie e8 fcheint, will diefer Schurfe alles 
dem Fertöy in die Schuhe jchieben. Um fo ſchlechter 
für ihn. Bift du bereits von Allem unterrichtet, was 
bier gefchehen ift ? 

— Bon Allem. Während pn drinnen fchriebft,. 
berichtete mir. ber iR alles, was drinnen vorge— 
gangen. 

— Dann erfuch ich dich zu meiner Frau zu 
eilen, wenn du; Zeit haft. 


— 108 — 


— Wennich Zeit habe? Welch’ eine Sprach F 

— Um ihr über den Ausgang der Angelegen- 
beit Bericht zu erftatten. 

— Wie? rief der Heine lahme Mann, der 
Erfte zu fein, welcher diefe Botſchaft deiner Gattin 
und deiner Mutter überbringt ? Ah, Freund, meld, 
goldener Mann du bift! Ich laufe. 

— Damit du beifer laufen kannſt, nehme 
meinen Fiafer, welcher unten beim Thore fteht; ich- 
habe ohnedies bis Mittag noch einen Weg zu machen, 
doch will ich ihn zu Fuß zurüdlegen. 

Melchior überglüclich der Ueberbringer einer 
ſolch' freudigen Botſchaft zu fein, ftürzte trotz feiner 
Lahmheit mit folher Schnelligkeit die Stiege hinab, 
daß er in der That feinem Freunde zuvor Fam. 


Dar an 

Bela Lävah Fehrte zu Seraphine zurüd. 

Mit dem vielen offiziellen Gefchreibjel verging: 
die Zeit derart, daß er fich beeilen mußte, um zur 
veriprochenen Zeit dort zu jein. Die Eile hatte ihr 
ganz erhitt. Als er jo aufgeregt in das Vorzimmer 
-Seraphinen’s trat, fand er ſich plöglih dem alten 
Kolbay gegenüber, welcher fich jo eben entfernen 
wollte. 

Das Gefiht des alten Herrn ftrahlte vor 
Zufrievenheit, welche in eine Fröhlichkeit ausbrach, 
als er Bela's anjichtig wurde. 


— 104 — 


— Ab, ergebeufter Diener Euer Gnaden! 
Beliebten zu fommen. Freut mich ſehr Sie zu 
treffen ! Belieben vielleicht meine Nichte zu bejuchen ? 
‚Bitte nur bienein zu jpazieren, bitte, Sie ift gauz 
allein und erwartet Sie, 

Alles dies war in einem Tone gejprochen, 
wie er ihn vom alten Herrn noch nie gefehen. 

Doch hatte er ven Kopf mit ganz andern Ge— 
danken voll, um ſich darnm zu fümmern, was wohl 
diejen empathifchen Freuden-Ausbruch des Alten 
verurfachen mochte ? Er eilte zu Seraphine. 

Die Dame erwartete ihn in vem Empfangs— 
falon. Sie war ganz für die Öelegenheit angefleivet ; 
trug ein dunkel violettes Sammtkleid mit ſchwarzen 
Spiten aufgepußt; nach der vamaligen Mode auf 
der Bruft fühn ausgefchnitten ; die langen herabwal- 
lenden Locken fpielten mit den jchneeigen Schultern, 
und den marmorenen Buſen. Sie war eine blen- 
dende Schönheit. 

Ah, guten Morgen, rief fie mit bezaubernden 
Lächeln, wie ſchön von Ihnen, daß Sie fo pünktlich 
erſcheinen. 

Bela mißfiel es heute beſonders, daß Sera- 
phine ſich „ſo ſchön zu ſein“ bemühte. 

— Ich kam, um die Dokumente abzuholen. 
Haben Euer Gnaden bereits unterzeichnet? — Die 
Dokumente find fertig, ſagte Seraphine mit ironi- 
ſcher Sanftmuth; — und zeigte dabei auf die Flam— 


— 105 — 


men des Kamins. Was dort brennt, ift eben ber 
Prozeß, wern Sie Einfiht nehmen wollen, können 
Sie e8 immerhin noch thun. 

Bela blickte die Dame noch immer verwundert 
an. Seine Augen jchienen zu fragen, was dies zu 
bedeuten habe ? 

— Wie Sie fehen, habe ich „Ihren Prozeß" 
in das Feuer geworfen. | 

Dabei blickte fie ihn mit der fiegreichen Miene 
dämoniſcher Rache an. 

— Und nun erfahren Sie es mein Herr, 
worüber Sie vielleicht bisher im Zweifel ſein 
konnten. Ich war die Geſpielin Ihrer Jugend, es 
war zwar Scherz, doch betete ich Sie an. Sie wurden 
der Gatte einer anderen Frau; ich die Gattin eines 
andern Mannes. Sie vergaßen mich gänzlich, troß- 
dem betete ich Sie an, meinen guten Auf verdun- 
felte die Verläumdung jener Kreaturen, die jchlechter 
gewejen, als ich; Sie mieden mich, Ste verachteten 
mich, um fo mehr betete ich Sie an. Plößlich dachten 
Sie: Diejes Weib ift ſchon elend genug dazu, um 
liebens würdig zu fein. Da näherten Sie fi mir; 
und ich, ich lache Sie jett aus, 

In Bela's Adern erjtarrte das Blut. Wie 
denn nicht; war doch diefer Spott, diefes Lachen 
kälter, als eine Nacht der Eis Region. 

Dazu hatt Seraphine ihre mit feinem Atlas- 
ſchuhe befleivetes zierliches Füßchen auf das mej- 





— 106 — 


ſingerne Geländer des Kamins gelegt, als wollte 
fie pasjelbe beim Feuer des brennenden Scheidungs- 
Prozeſſes wärmen. | 

— Unglüdliche Frau, was haben Sie gethan! 
rief Bela, traurig die Hände faltend. — Wann 
haben Sie diefen unglüdlichen Gedanken geträumt ? 
So eben fomme ich vom Gerichte, wo man Fertöy 
als Fäljcher ins Gefängnif warf! 

Seraphine ftieß einen entjeglichen Schrei aus, 
und zog ihren Fuß zurüd, als würbe fie denjelben 
verbrannt haben. 

— Ich wußte e8 längft, daß Fertöy ein ge- 
fälſchtes Teſtament eingereicht hat. Als unumjftögli- 
cher Beweis diente das Papier jelbft, auf welches er 
e8 jchreiben ließ! doch wartete ich mit der Ent- 
deckung; als ich mir darüber Gewißheit verfchaffte, 
war mein erjter Gedanke der: Diefer Menſch iſt 
mein Feind; er hat ſich felbft zu Grunde gerichtet; 
boch feine Gattin ift meine Freundin, fie war die 
Gefpielin meiner Jugend, fie darf nimmermehr mit 
ihm untergehen. Verſtehen Sie mich gut. Ich hatte 
das glühende Eifen in Händen, womit ich auf den 
Namen eines Menfchen, ver e8 verdient hatte, ein 
unauslöjchliches Schandzeichen brennen mußte; war 
es uicht meine Pflicht, die Gattin jenes Mannes, 
wenn ich die Frau einft verehrt habe, zu warnen: 
gehe aus dem Wege, damit meine Hand, nicht auch 
dich verwunde ? 


— 117 — 


— Ad, ftöhnte die bleiche Frau bis in das: 
Innerſte ihres Herzens getroffen, griff mit beiden 
Händen nad) ihren Schläfen, und knickte gebrochen. 
zufammmen. 

— Ich mußte es, daß bie Schmach Fertöy's 
fein ganzes noch übriges Leben in den Pfuhl der 
Schande herabziehen wird. Ich beeilte mich, Ihnen 
die Hand zu reichen, um fie jenem Abgruude zu ent». 
reißen, in welden er Sie mitgezogen hätte. Tag und 
Nacht arbeitete ich dafür; klopfte bei allen Gerichten 
an; reifte von Stadt zu Stadt; verheimlichte alles vor: 
meiner Gattin, verjtehenSie das, vor meiner eige- 
nen Gattin, um, wenn ich den unabwenbbaren 
Schlag auf den Namen Fertöy’s führen mußte, Sie 
im Stande feien zu jagen: diefer Name ift nicht 
mehr der meine, id) habe mich von ihn Losgejagt, 
bevor ihn die öffentliche Schmach getroffen. 

Seraphine erhob fich zitternd von ihrem Sitz; 
ihre Augen waren mit Enſetzen, flehend auf Bela: 
gerichtet. 

Diejer fuhr fort. 

Und Sie fahen in alldem nicht® anderes, als 
das Erwachen einer niedrigen, verächtlichen Neigung. 
Ich bin Ihnen dank ſchuldig für diefe Lehre, „Bift 
du Advokat, haft du mit den Herzensangelegenheiten 
nicht8 zu tun,“ Und Sie, Madame, tragen Sie 
nun den Namen ihres Gatten, und erbulden Sie- 


— 198 — 


‚jenes Schidjal, welches Sie felbft über fich berauf 
beſchworen. 

Die ſtolze Dame ſtürzte zu den Füßen des 
Mannes nieder. 

Sie verſuchte ed nicht, dieſe Hand nochmal 
zu ergreifen, die fie gerade in jenem Momente fo 
ſpöttiſch zurüdgewiefen, als dieſelben fie erheben 
wollte. Sie ftürzte zu den Füßen des Mannes und 
Ichluchzte! In diefem herrlichen Sammtfleive, ‚mit 
den wallenden Seivenhaaren, mit dem wogenden 
Marmorbuſen, mit den vor Schluchzen zudenden 
Achſeln, lag fie da auf ven Knieen, ein Bild des 
glänzenden Jammers, die Worte wiederholend: 
„zertretten Sie mich." 

Bela fühlte noch immer Bedauern für die 
ſes Weib. j 

— Gegen mid haben Sie nicht gefündigt, 
nur gegen ſich felbft. Sch verzeihe Ihnen vom Her- 
zen, wenn Sie ſich ſelbſt verzeihen Fönnen. Meine 
Abfiht war gut, Sie wünschten es ja felbft, ich möge 
Sie der Welt gegenüber vertheidigen. Sch habe ven 
Prozeß eingeleitet, und würde ihn auch gewonnen 
haben. Ich wollte Sie Ihnen felbft zurückgeben, Sie 
mißverjtanden mich, und als Sie mich zu ftürzen 
wähnten, fielen Sie jelbft. Hilfe ift hier nicht mehr 
möglich. Die Dokumente des Scheidungsprozeſſes 
find verbrannt. Man kann einen Prozeß gegen eine 
“Partei nicht erneuern, welche im Kerfer ist. Was 


— 109 — 


werden Sie von nım an fein? Die Gattin eines- 
Fälſchers; eine Schmach zieht die andere nach jich, 

und der Menſch auf dem die Schande laftet, ſinkt 
unter diefer Laſt von Stufe zu Stufe tiefer. Die 

Schande verleiht ein gewiſſes Recht, und die Schande 

der ſchönen Frauen, wird zu einen furchtbaren Bri- 
vilegium. Es wäre fehr angezeigt für Sie, in ein 

anderes Yand zu ziehen. Geftatten Sie mir daf id) 

Sie empor hebe. 


Beéla reichte noch einmal feine Hand dieſer 
Frau; doch nahm fie diefelbe nicht an. Sie krümmte 
fich verzweifelnd noch immer vor feinen Füßen. 

— Zertreten Sie mich, zermalmen Sie mid. 
Ach gegen Sie habe ich gefüindigt, und dieſes ift 
meine größte Sünde. Ich habe das, was ich Ihnen 
früher vorwarf, auch Ihrer Gattin gefchrieben.. 

— Ad, rief Bela zornig, die Hand zurüd- 
ziehend. — Sie haben ein böfes Herz ! 

Und ohne das Weib mehr eines Wortes zu 
würdigen, griff er haſtig nach feinem Hnt, und 
jtürzte zur Thüre hinaus. Ein jeder Tropfen Blutes 
fochte in feinen Adern. Er rannte durch Die Gaſſen, 
ohne den Gruß jeiner Bekannten zu erwiedern. Er 
dachte dabei : bift du Advokat, fo fei fein Narr, ſei 
nicht großmüthig. Uebergibt bir Jemand einen Pro- 
zeß, fo fage ihm: zahle im voraus, entrichte bie, 
Taxe, die Stempelgebühr, das Honorar, 


— 1109 — 


Nichts darfſt du in der Hoffnung thun, 
daß dich dein Bewuſtſein entjchädigt, daß Dich die 
Welt dafür achtet, und dag du im Jenſeits dafür 
belohnt wirft, du evelmüthiger Advokat, welch’ eine 
Yächerliche Figur jpielft du: du läufſt, ſchlägſt dich 
herum, nügeft dich ab, für ein halbverrüdte eitle 
MWeibsperjon, nur deßhalb, damit fie dir das Haus 
über dem Kopf in Brand ftede, und dir das Mahl, 
welches du mit deiner Familie einnimmft, vergifte. 
Made es nun, wen du in Stande bijt einem Weibe 
begreiflich, daß nicht jenes andere Weib Recht gehabt. 
— Mit welhenm Gefichte wirft du vor fie treten? 
Wird fie nicht deinen Kuß, und zwar mit Recht zu: 
rüdweifen, in vem Wahne, das du ihn deßhalb bie- 
tejt, weil ihn die andere nicht empfangen, 

Es wäre beſſer geweſen, wenn du dich wäh- 
° rend biefer Zeit mit der Heilung franfer Ratten 
beſchäftigt hätteſt. 

Bela zittert vor Wuth und Erbitterung, als 
‚er die Thüre feiner Wohnung öffnete. 

Judith trat ihm entgegen. 

Bela Ihrad bei ihrem Anblid zurüd, als 
hätte er wirklich gegen fie geſündigt. 

Doch kam die Gattin nicht mit vorwurfs— 
vollen Blick, fie lächelte, umarmte herzlich ihren 
Gatten, und brüdte einen innigen Kuß auf feine 
Rippen. Ihr folgte die Mutter, auch ihre Zärtlichkeit 


— 111 — 


kannte feine Grenzen. Schließlich fam noch Melchior, 
welcher auch veögleichen that. 

Bela kam e8 vor, ald wäre er von der Hölle 
plöglich in den Himmel gefahren. 

Judith war heute jehr wortlarg. Sie nahm 
ihr Kindlein in die Arme, und trug e8 zu dem 
Gatten, als würde e8 mehr ſprechen können. Bela 
nahm Beide in feinen Schoß, und glaubte ven Him— 
mel auf Erden zu befigen. 

Die alte Lävay jedoch Fonnte das Glück nicht 
jo ruhig hinnehmen, fie brach in ein förmliches Ge- 
witter 108. „Er bat fie befiegt; er hat fie niederge- 
ſchmettert! Bis in den Koth hat er fie getreten!... 
Und wir träumten nicht einmal davon. Er bat uns 
‚alles verjchwiegen ; und that Recht daran, Wir find 
‚Weiber, wir hätten e8 in unferer Freude ausgeplau- 
dert; die andern hätten e8 erfahren, und fich plöß- 
lich zurückgezogen. Als wir Bela dafür ausichalten, 
daß er fich mit ihnen abgibt, die wir fo ſehr haſſen; 
da haßte er fie ftärker, er hat fie wie die Füchfe aus 
dem Bau gelodt, um fie in der eigenen Yalle zu 
fangen. Nun hat er fie auch verborben, und fo ift e8 
gut! Enplich ift der Tag der Abrechnung gefommen ! 
O, dieſe Leute hatten viel auf der Rechnung ftehen ; 
— jetzt ift die Schuld getilgt. Bela ift wieder mein 
Sohn." — Dann wendete fie fih an Judith: Weib 
achte diefen Mann! wer fo zu hafjen verſteht; — 
weiß auch heiß zu lieben. | 


— 112 — 


Judith war eine gehorfame Schwiegertodhter 
Sie umarmte und küßte ihren Gatten. 

Doch ſchwebte auf der Stirne Bela’s noch 
ein Schatten, welchen jein Kuß zu verfcheuchen ver— 
mochte. In feiner Seele ſaß noch ein Stachel: ver 
unwürdige Verdacht Seraphi-nens .... ob diefer 
Stachel auch in Judith's Seele fit ? ... 

Diefe aber errieth, was der Schatten auf,der 
Stirne ihres Gatten zu bedeuten habe ? 

— Eehen Sie, liebe Mutter, jet wiffen wir 
auch, weßhalb Bela ven Echeidungsprozeß Seraphi- 


nen® jo bejchleunigen mußte; . . . . Heute morgens 
zürnten wir jogar darüber. 
— Nur ich habe gezürnt: du nicht... .. . Ich 


habe ihn geſcholten, du vertheidigteſt ihn. 

— Konnte er es den zulaſſen, daß eine Frau, 
Die einſt „meine“ gute Freundin geweſen; gerade 
wegen meiner, und gerade durch ſeine Hand, ſammt 
ihrem Gatten der Schande anheim fallen? ...* 
Recht thateſt du, mein Bela, daß du Seraphinen 
gerettet. .... Nun kann Sie das Schichkſal ihres 
Gatten nicht mehr treffen. 

— Ja wohl, ſie wird davon betroffen werden; 
— erwiederte Bela ernſt. ... Sie ſelbſt will das 
Schickſal ihres Gatten theilen, und hatte die Alten 
des Scheibungsprogeffes verbrannt... . . Wie kann 
fie ihn im Unglüde verlaffen?.... 


— 113 — 


— Das war ein fohöner Zug ihres Cha- 
rakters! ... 

Die Anweſenden theilten die AnſichtJudits! 

— Ein wahrhaft ſchöner Entſchluß — rief 
Melchior, ſich vergnügt die Hände reibend. 

Bela gab die Vertheidigung Seraphinen's 
vor der Melt noch immer nicht auf. 

Do wollte ver Schatten von jeiner Stirne 
nicht weichen. 

— 68 fällt mir jo eben ein — rief Judith 
plöglich, daß ich vor faum einer Stunde einen Brief 
zugeftellt befam, auf deffen Adreffe ich die Echrift- 
züge Seraphins erfannte. 

— Haft du ihn gelefen ? — frug Bela. 

— Du weißt es ja, daß ich feit jener Zeit, wo 
ich den Brief, mit der nachgeahmten Schrift meines 
Baters erhielt, (jetzt weiß ich auch fchon von wen) 
feinen berjelben öffne, bevor dul ihn nicht gelejen; 
dann ſteht e8 deinem Gutdünken frei, ihn mir zu 
geben, oder von mir ungelejen zu vernichten. 

— Haft du jenen Brief bei dir? frug Bela, 
indem der Schatten von feiner Stirne zu weichen 
begann. | 

— Ich trug ihn in der Tafche; da ich Did 
mit bemfelben- erwartete. 

Damit z0g Judith aus ber Taſche ihrer 
Schürze, den auf grünes Papier gefchriebenen Brief 
hervor. 

Andere Zeitn, andere Menſchen. IV. Band. 8 


— 114 — 


— Das verbreitete alfo jenen Duft, den ich 
bei Dir fo fremd fand ? 

—- Du Schalf, wolltejt jagen „bekannt.“ 

Béla's Stirne verfinjterte ſich abermals. 

— Zürne nicht — beichwichtigte Judith. Es 
war nur ein Scherz. Was foll mit dem Brief 
gejchehen ?” 

— Erlaubſt du e8, daß ich ihn ungelejen zu— 
rüdjende ? 

— Wird e8 Seraphine nicht für Beleidigung 
nehmen ? 

— D, du wirft Sie fehr glüdlich machen, 
wenn du ihr dieſen Brief unerbrochen zurüd. 
jendeft. 

— Thue nad deinem Gutvünfen. 

Bela ging auf einen Augenblid in fein Ar- 
beitszimmer, und jchrieb dort folgende zwei Zeilen 
an Seraphine: 

„Niemand bat den Brief gelejen; den In— 
halt verzeihen Ihnen alle.“ 

Gr that diefe Zeilen, und den verbangnißbollen 
Brief in ein anderes Kouvert, verſiegelte dieſes, und 
ſandte es allſogleich an Frau von Fertöy ab. 

Als Seraphine den Umſchlag öffnete, darin 
ihren eigenen unerbrochenen Brief gewahrt und die 
begleitenden Zeilen las, fiel fie auf die Kniee und 
betete unter Schuchzen und Thränen. 


— 15 — 


Dann zerriß fie.ihren eigenen Brief in hundert | 
Stüde und warf diefe ins Feuer. 


Das Papier. aber mit den zwei Zeilen fal- 
tete fie forgfältig zuſammen, küßte es, und ——— 
es in ihrem Buſen. 

Eine Stunde früher, hatte ſie einen ganzen 
Stoß jener Handſchrift verbrannt; — und doch 
hatte dieſe Hand nur für ihr Heil gentbeitet, 

Die Lävay's fchwelgten unterdeffen in ihrem 
Glücke, und vergaßen auf Seraphine ganz... . 

Melchior muß zum Mittagtifch bleiben, damit 
fie ſich alle zufammen freuen können. 

Der Heine Doftor betheuerte hoch und theuer, 
daß heute jelbjt fein lahmer Fuß geheilt fei, und er 
gute Luft zum Tanzen verfpüre. 

Diefer Tag hat ja feinen Freunden ihr Ver, 
mögen, die Ruhe der Familie, uud die Entgeltung 
gebramt. 

Dieſe dachten jedoch weder auf das rücker— 
worbene Bermögen, noch auf die befriedigte Nache, 
noch auf die neue Aera ihrer Liebe; ... ihre Auf- 
merkſamkeit ift nur einem einzigen Gegenſtande zu- 
gewendet und dieſes war das Heine Kindlein, wel- 
ches zuerjt den Namen „Vater“ Talte. 

Die Schatten wichen von allen Stirnen ; nur 
die beiden gleichförmigen Narben auf der Stivne der 

8* 


— 116 — 


Gatten erzählen von geheimnißvollen Zaubermär-- 
chen, welche einander wunderbar ergänzen. 

Diefe beiden anauslöjfchlichen Zeichen erzäh- 
len es deutlich, daß es einft einen Mann und eine 
Frau gegeben, deren Yiebe über alles irdiſche erha- 
ben gewejen. | 

Judith ftieß einen Seufzer aus, welder in das 
Reich der geftaltlofen Wefen hinüber flog. 

— Siehe Mutter: und dennoch bin ich glücklich... 


Das Geſpenſt. 


Der Menſch ven die Schande drückt, finft 
"von Stufe zu Stufe! 

„Die Schande der fchönen Frauen ijt ein 
furchtbares Privilegium." | 

Wie Recht hatte Bela, als er Seraphine dieſe 
traurige Philoſophie lehrte. 

Fertöy ift elend gefallen. Er war jo unrettbar 
verloren, daß er fich nicht einmal vertheidigen konnte. 
Vene politiiche Mode, welche Herrn Fertöy auf die 
Oberfläche ver damaligen Gejellichaft hob, war be- 
reits im DBeralten begriffen und eine neue politi- 
jhe Aera trat heran! Im Lnftkreife diejer Aera 
‘war Fertöh für: die Mafßgebenden unmöglich 
‚geworben, da er im öffentlichen Leben in Folge 
feines Auftretens verhaßt gewefen, und da kam ber 
‚Heine privat Skandal ganz gelegen. um ihn fallen 
zu laffen. 

Niemand Hatte mehr Luft, einen gemeinen 
Delinquenten zu feinem politifchen Parteigenoſſen 


zu zählen. Daß ift ſchon die Sitte der Welt. — — 


-Derjenige, welcher gefallen, wird am meiften von 


— 113 — 


Denjenigen mit Fußtritten bedient, die e8 die Welt 
vergejfen machen wollen, daß fie mit ihm auf glei- 
chem Fuße geitanden. 

Das Geſetz füllte ein eben fo ftrenges Ur- 
theil über Fertöy, wie es die öffentliche Meinung 
gethan, 

Was kann aus der Gattin eines verurtheilten 
Fälſchers werden ? 

Was kann aus einer fchönen Frau werben, 
bie eine „größere" Schande nicht mehr zu fürch- 
ten hat. 

Was kann aus ihr werden. 

Entweder ein jchöner Leichnam, ven bie blauen. 
Bellen ver Donau eines fchönen Morgens auf den 
weißen Uferfand fpielen ; — oder eine ſchöne Maske, 
welche mit ewig heiterem Yächeln eine Unterhaltung 
nach der Andern bejucht — der Luft und dem Tau— 
mel nachjagt, und Niemanden offenbart, welch” 
tödtliher Wurm an ihrem Innern nagt.. . 

Seraphine wußte zu leben! Sie hatte bereits 
einen großen Auf. Eine andere Benennung wäre- 
ſchwer zu finden. 

Freude, Heiterkeit, leichtjinniges Leben! 

Wer fönnte ihr vorwerfen, daß jie ihre Zeit ſchiecht 
beuützte ?. 

Niemanb, nur jie felbft. 

Sie hatte abermals die Gewohnheit angenom⸗ 
. men, bei Tag zu fchlafen. Bis 10—11 Uhr fih im 


% 


— 119 — 


Theater oder im Konzerte zu unterhalten, dann eine 
fröhliche Geſellſchaft zu empfangen, deren Held ſtets 
Fürst Wolozoff geweſen; die Nacht mit Trinfen und 
Kartenspiel zuzubringen, und erft, als das Grauen 
des Morgens durch die Vorhänge drang, fich jchla- 
fen zu legen; das war ihre Tagesordnung. 

Im Bette hatte fie jedoch faum einige Stun- 
den verbracht ; trotzdem blieb ihr Zimmer bis Mit- 
tag verſchloßen. 

Aber nicht um etwa die unfehlbaren Kosme- 
tifen der modernen Weltverfhönerer zu ſtudiren — 
war fie doch jchön auch ohne diefe — jondern um 
mit jenem umerbittlichen Berfolger Rüdiprache zu 
nehmen, den der fühlende Menſch ſein eigenes 
Gewifjen nennt. | 

Denn wenn e8 wahr wäre, womit die Weifen 
des Materialismus ihre Sünger fo Schön beruhigen, 
daß nämlich die Seele nicht8 anderes als ein Flui— 
dum fei, vieleiht wäre es dieſem zu gebieten, jet 
mußt du Freude, jett Heiterfeit empfinden, jett haft 
du ruhig zu fein, jetst mußt du fchlafen.... . aber bie 
Seele gehorcht nicht... . . fie denkt; fie träumt von 
ganz andere Dingen, ald e8 der nervoje Körper wün— 
ſchen möchte ; — das Gewiſſen quält und peinigt und 
läßt fich nicht in den Schlaf wiegen. 

Seit jener Zeit, als Seraphine durch. Béla's 
Arme vom Feuertodte gerettet wurde, hatte fie 
aufgehört ein Tagebuch über ihre Träume zu 


— 120 — 


führen. Diefe Träume bejchäftigten fie nicht mehr 
mit dem zurüdfehrenden Antlite des Verſtorbenen 
.... fie wiegten Seraphinen in andere Phantafie 
gebilve, welche fie nicht mehr zu Papier geben konnte. 

Seit jener Szene aber, wo Bela ſich mit den 
Worten vou ihr verabjchiedete: „Sie haben ein 
böfes Herz," hatte das alte ZTraumgefpenft ihren 
Plat wieder eingenommen und erjchien pünktlich in 
hunderterlei Geftallten, um den urwächhigen Schlaf 
Seraphinens mit feiner Gegenwart auszufüllen. 

Seit diefer Zeit nahm Seraphine ihr Tage: 
buch wieder auf. 

Sie mußte ja ihre quälenden Träume vereiwi- 
gen. Dann hatten dieſe Träume ihre neuen Studien, 
je nach dem, als fich die Außenwelt gejtaltete. 

Eine ausgedehnte Amneftie, welche zu jener 
Zeit erlaffen wurde, hatte viele, die als Opfer ver 
vergangenen bewegten Zeiten in verjchievenen Ker— 
fern begraben lagen, von dieſem Tode erweckt, und 
fie dem Leben, ihren Familien zurüdgegeben. 

Wie viele der Feſte gab ed da im ganzen 
Lande! ... Feſte der Freude für die Heimkehrenden, 
Gattin, Kinder, Geſchwiſter und Freunde harrten des 
Heimfehrenden, um das Geficht jenes Mannes zu füj- 
jen, der mit ſchwarzem Barte die Laufbahn ver Bewe- 
gung betrat, und jetzt mit grauen Haaren zurückkömmt. 

Doch was gefchah mit jenen traurigen Ge— 
ftalten, die niemand mehr erwartete ? 


— 121 — 


Mit jenen, über deren muthmaßliche Rück— 
{ehr man zitterte? ... 

... Einft befam Seraphine ein Gedicht zu 
leſen; welches in irgend einem Morgenblatte erſchie⸗ 
nen war. Der Refrain diefes Gedichtes lautete: 

„Weshalb kömmt er zurüd, den man ſchon 
längſt begraben ?!" ... Das Gedicht erjchien pſeu— 
donym unterzeichnet, dennoch fühlte fih Seraphine 
vom Inhalt dieſes Gedichtes im Tiefjten ihres Her- 
zens getroffen. - 

Es kam ihr vor, als jähe fie Denjenigen, 
welcher e8 gefchrieben, vor fich ſtehen. 

„Längſt ift ver Platz ihon ausgefüllt, ven er 
einjt eingenommen. 

Auch ift fein Angedenfen Tängjt im leeren 
Raum zerronnen. 

Ein neues Glück erblüht hier. 

Das alte iſt vergeſſen.“ 

Weßhalb kömmt er zurück, den man ſchon 
längſt begraben ? 

Auf Seraphinen machte diefes Gedicht einen 
ichauerlichen Einprud. 

Sie hatte vor dem Falten Geſpenſt Furcht, 
welches feinem Grabe erjteigen könnte. 


— 12 — 


Wenn e8 plötzlich erichiene, mitten in ver 
gläuzenden Abendgejellichaft, unter den Klängen der 
Muſik, und fie „zu einem Tanz aufforderte! ....“ 

Welch graufiger Gedanke... . 

Seraphine hatte feine Ruhe. Sie forfchte jo 
lange, bis fie erfuhr, daß unter einem falfchen Na- 
men,.ein politifcher Gefangener in feinem düfteren 
Kerker einen Band Gedichte gefchrieben, den aber 
fein Berleger anzufaufen fich getraue, da der Ver- 
faffer feinen wahren Namen hartnädig verläugnete ; 
und weil das Publikum in feinem patriotifchen 
Schmerze gar feine Bücher außer den Kalendern 
kauft. ... Sie verfuchten e8 demnad) das Werf im 
‚Subffriptions Wege zu veröffentlichen. 

Seraphine übernahm allfogleich einen dieſer 
Bögen. Schrieb 200 fingirte Namen darunter und 
zahlte den Preis; und jo machte fie e8 möglich, daß 
die Gedichte baldigſt gedrudt zu ihren Händen 
gelangten. | 

Der Titel des Buches Tautete : 

„Herbe Lieder“ 
gejungen 
bon einem Geſpenſt. 

Seraphine hatte jede Zeile des Buches ſtudirt. 
Sie jchlief damit ein, und nahm e8 beim Erwachen 
zur Hand. Aus jeder Zeile ſchöpfte fie die Ueberzeu— 
gung, daß das dichtende Gefpenft, nur „ihr Geſpenſt“ 


— 123 — 


jein könne, können denn Verse, wie die folgenden, a. 
Jemanden Andern ald an fie gerichtet fein. 


„Wäre ich doch längſt geftorben 
In der Erde Schoß begraben; — 
Du und ich, wir alle Beide 
Würden e8 viel beffer haben. 


In der Erde würd’ ich ruhen, 
Und du bier auf Erden; 

Keines von ung Beiden könnte 
Seiner Liebe untreu werben.“ 


Können diefe Worte an jemanden Andern 
gerichtet jein ? 

Das Tagebuch Seraphinens begann fich zu 
einer. wirklichen Anthologie umzugeftaliten. Sie hatte 
ganze Bruchjtiide der Gedichte in dasfelbe übertra— 
gen, mit ihren Bemerkungen, ihren Geftänpniffen ; 
gegen manche Stellen vertheidigte fie fich, bei andern 
hatte fie jelbjt die Anklage verichärft. 

Ein namenlofer Ankläger ſtand ihr gegen» 
über ; beide aber jtanden vor einen unfichtbaren Rich— 
ter; täglich zu jeder Stunde des Alleinfeins. 
.... Und dieſer Prozeß dauerte lange, jehr lange. 

Bei einer Stelle, wo der Dichter klagt: daß, 
als er obgachlos, zerlumpt, vor Hunger und Mü⸗ 
digfeit erjterbend, mit blutenden Wunden umher— 


irrte, man ihm wohl Obdach und Speife gab, feine 
Wunden verband, für das blutende Herz jedoch feinen 
Balſam hatte, fchalt Seraphine folgendes ein: 

„Es ift wahr, — auch meine Großmuth war 
dieſer Art, auch ich handelte in verfelben Weife. ... 
auch ich gab ja denjenigen, die für die Staatsgefan- 
genen heimlich fammelten, Geld, Kleider, Arzneien 
im veichlichften Maße — nie habe ich aber ein gutes, 
jelbjt nicht ein fragendes Wort für ihm eingelegt, 
Glaubte ich doch dem Worte eines einzigen Men- 
ſchen, daß er gejtorben jei; — und dieſes war das 
Wort eines Fälſchers. 

Somit Iaftete auch Fertöy's Schuld auf 
ihrer Seele. 

Der Fälicher von heute, konnte er nicht auch 
damals ein Fäljcher geweſen ſein, als er den Tod 
Roberts bewies?!. 

Das finſtere Gemüth des Dichters äußerte 
ſich an vielen Stellen in den ſchärfſten Sarkasmen; 
wie ein auf die Gaffe geſetzter Raſender fchien er 
die Fenfter jenes Haufes, das einſt ihm gehört, mit 
Koth zu bewerfen; feine Gedichte waren wie bad 
Hohnlachen eines Todtengerippes, welches feinem 
Grabe entjtieg, um die Freuden der Lebenden zu 
verhöhnen. 

Seraphine hatte beinahe die fefte Ueberzeu— 
‚gung fich beigebracht, daß der Verfaßer diefer Ge- 
dichte Fein Anderer, ald Robert fein könne, daß er 


Sn Me 


möglicherweife unter ber Maske einer derjenigen 
finftern Geftalten fteden könne, die unter den Thor⸗ 
gängen der Häufer fich verbergend, das Handwerk 
des Betteln lernen. Sie jagen blos „mein Herr," 
„Madame“ und auch daß nicht jedem Meenfchen, 
höchſtens dem Zehnten, zu dem fie Vertrauen haben, 
daß er fie nicht verachten, nicht zurückweiſen, ihnen 
nicht jagen wird, daß fie noch arbeiten könnten. 
Einige haben vielleicht bereit graue® Haar und 
Ihwarze Kleider, die fadenfcheinig, zerriffen und ge= 
flieft find. Seraphine pflegte ihnen kleine Münzen 
zu geben, ohne fie anzubliden. Später wird fie ihnen 
nicht8 mehr geben, denn fie wird es nicht wagen, 
vor ihnen jtehen zu bleiben, die Augen zu ihnen zu 
erheben — den fie könnte unter den Bettlern ihn 
erkennen. 

Ja, dieſe Gedichte — jedes einzelne derſel— 
ben war ein Dolchſtoß gegen das Herz Seraphines. 
Hätte der Dichter das gewußt, welche Grauſamkeit 
er an einer Frau begeht, die ihm nichts zu Leid 
gethan! | 

Wir wiffen e8 wohl, daß nicht Robert dieſe 
Gedichte gejchrieben, denn er ift längſt bort, wo 
man alle Unbill verzeiht, und von wo Niemand zu= 
rüdfehrt, um Rache zu üben. 

Der anonyme Dichter dachte ficherlich nicht 
an Seraphine; vielleicht wußte er garnichts, von 
ihren Erlebniffen. Es war blos Einbildung; e8 war 


‘das Gewebe einer Spinne, Die aus dem angejam- 
melten Gift bunte Seidenfäden ſpinnt; oder es war 
vielleicht da8 Drama eines anderen Menjchen, wel: 
ches zufällig Aenlichkeit mit Seraphinens Lebens— 
ereigniffen hatte. 

Die Frau, auf welche die Gedichte fich bezo- 
gen, iſt vielleicht nicht einmal die Gattin desjenigen, 
der die Gedichte gejchrieben. Vielleicht ift fie ſchon 
geftorben ; vielleicht hatte fie nie gelebt ? wer wollte 
es mit den Idealen des Dichters jo genau nehmen. 

Seraphine litt durch dieſe Gedichte außeror— 
dentlich. Nachgerade wagte ſie ſich nicht mehr zu 
Fuße auf die Straße, und wenn ſie einer Geſtalt 
begegnete, bezüglich welcher ſie eine dunkle Ahnung 
hatte, fie in glänzenden Tagen geſehen zu haben, 
dann zog fie ſich ſcheu in den Hintergrund des Wa- 
gens zurüd. „Wie wenn er e8 wäre.“ 

Arme Frau! er Schläft ſchon lange, 

An einem Falten Dftobermorgen fam Bela 
eilig nach Haufe aus irgend einem Gerichtähofe. 

— Halt Junge, wirf mich nicht um, jchrie ihn 
eine heiſere Stimme an und eine eigenthünlic 
verwitterte Geftalt faßte ihn an der Bruſt. 

Bla war von diefer ungewöhnlichen An— 
ſprache überrajcht. Es ift jchon lange her, daß. man 
ihn Junge genannt, und auch. damals nahm nur 


— 127 — 


ein Menſch diefe Kühnheit fich heraus. Er jah dem 
Menſchen ſcharf ins Geficht. 

Es war eine jehr verwahrlofte Erjcheinung. 
Haare und Bart wirr, ftarf mit Grau gemifcht; die 
Geftalt Shwerfällig, die Stirne gefurcht, das Geficht 
aber hatte die Kupferfarbe, welche ftarfe Getränfe 
‚an die Haut malen. Die Kleider hingen ihm blos am 
Leibe, als ob er fie nur ausnahmweiſe trüge, ſonſt aber 
in bloßen Hemde zu gehen pflegte. Das Halstuch 
dürfte ohne zweifel jeit mehreren Tagen ihm nicht 
von Halje gekommen fein, e8 ift jo verknüpft, daß 
man e8 nur durch Zerjchneiden löſen könnte. 

— Na, das fehlt no, daß auch du mich 
nimmer erfennft! grollte ver Mann. 

Darauf fiel ihm Bela um den Hals und 
füßte ihm. 

Pußtafi! 

— Ja wohl, Pußtafi! fprad) ver Mann und 
lachte bitter. Du haft alfo doch meinen Namen nicht 
vergeſſen. Schau! ich habe Dich erkannt. 

— Du haft Dich ſehr verändert. 
— Nicht wahr? ich bin Did geworben? ja 
die armen Gefangenen leben jehr gut. 

— Nein aber du bift grau geworben. 

— Das hätteft.du wohl wilfen fönnen. Wir 
find nicht erjt feit gefjtern auf ver Wander. Sag” 
mir aufrichtig, iſt mein Geficht fehr Fupfern gewor- 
den, ſeitdem du mich nicht gejehen ? 


— 1283 — 


— Komm’ zu mir, verlafjen wir die Straße r 

— Hm, mit welder Beratung du von der 
Straße fprichft. Dir ift es leicht, haft fie oft genug. 
durchiwandert. Mir aber gefällt die Straße, mir 
gefallen die Menfchen, die mich rechts und links bei 
Seite jchieben, die ſchönen Mäpchen, die zurück 
hauen, und die großen Herrn, die mich nicht einmal. 
anbliden. Solche Genüße findet man nicht dort, wo 
ich gewanbert. Aber, zum Teufel, du mußt nicht 
glauben, daß ich Dich mit meinen Kerfererlebniffer 
zu unterhalten gedenfe, wie ein neugebadener Mär- 
tyrer, der ſechs Wochen gefeffen und nun bei jedem 
Schweinſchlachten davon erzählt. — Thut nichts. 
Alles in Ordnung. Das Leben ift ſchön. Alfo führe 
mich in deine Höhle, wo ift fie? 

Bela nahm feinen Freund an der Hand, der 
fo ſtolz war, daß er nicht einmal ihm mitiheilte, wo- 
er fih aufhielt. Dafür wird er Vorwürfe genug er- 
halten, wenn fie allein find. 

Und Bela that fehr wohl, daß er ihn an ver 
Hand nahm, denn die Beine des braven Mannes 
ſchwankten bedenklich. | 

Bela ſah ihn traurig an. Was ift aus dir 
geworben ? | 

Befondere Anftrengung foftete es Bela, ihn 
auf die Treppen hinaufzubringen. Pußtafi behaup- 

tete, daß feine Beine gejchwollen jeien, 


— 120 — 


| — Ab, du haft ja eine herrliche Wohnung, 
Tagte Pußtafi, ale Bela ihn in’s Zimmer führte; 
feine jolche, wie jene, die in einen Garten ſtieß, wo 
ich Dich das letztemal gefehen. Aber e8 gefällt mir 
beſonders, daß du feinen Spiegel: im Zimmer haft. 
Gehört aud) nicht in das-Zimmer eines Mannes. 
Denn weißt du, e8 gibt viele Gefichter, die ich wicht 
gerne ſehen mag, und zu biefen gehört vor allen 
Andern das meinige. Neun Jahre ſind's, daß ich in 
keinen Spiegel gejehen. Aber da fpreche ich fchon 
wieber nur von mir. Dumme Rede. Wie geht es 
dir ? Sprich bavon. Noch immer die Honigmonate ? 

— Noch immer. 

— Ich weiß e8, barüber machte ich mir feine 
Sorgen. Das Band welches ich gefnüpft, zerreißt 
nicht leicht. Haft Du viel „neue Generationen ?" 

— Eines ift die ganze Armee, 

— Ein Knäblein ? 

— Ja, aber e8 ift noch fehr jung. 

— Na, das werbe ich erziehen. 

— Das braucht noch eine Amme und feinen 
Erzieher. 

— So würde ich wohl ſagen: gut, ich werde 
feine Amme. Aber ich jelbft lebe nur von einer 
Ammme. Trinke nur Milh. Der fromme Wirth 
zur „blauen Katze“ ift meine Amme. 

Bela wußte nicht ob er weinen oder la— 
hen ſoll. 

Unbere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 9 


y 


— 130 — 


Pußtafi gab die Entjcheivung. Er fing jo laut 
zu laden an, daß der Seffel unter ihm krachte und 
feine Augen fich rötheten, die er dann mit einen fehr 
bunten Seidentuche trodnete. 

— Giehft du, mein Sohn, wie toll das Leben 
ilt, fagte er dann ernit, als er bemerkte, daß das 
Gelächter bei Bela nicht verfangen wollte. Reich mir 
die Hand, ich möchte aufjtehen. 

Bcela half ihm vom Seffel auf. Der Dichter 
neigte fich zu ihm und flüfterte ihm in die Ohren: 

— Seit geftern Abend bis zu unfer heutigen 
Begegnung habe ich ununterbrochen getrunken, bald 
Wein, bald Branntwein. 

— Um Öotteswillen, Du tödteft Dich damit. 

— Auch Du glaubft es ? 

— Ich bin ernftlich beforgt. 

— Schau, das haben mir jchon viele gejagt, 
welche ich für Freunde halte, „Wenn du fo fort 
fährft, mußt Du in einem Jahre fterben.“ 

— Und Du glaubft ihnen nicht? 

— Gerade veßhalb trink ich ja, weil ich ihnen 
glaube, 

— Haft Du aljo mit ver Zukunft abge: 
ſchloſſen? 

— Sprich nicht ſo thörichtes Zeug, mein 
Junge! Siehſt Du, ich muß ununterbrochen trinken, 
damit ich ein guter ruhiger Mann ſei. Aus mir 
macht der Wein einen ſanften ſpaſſigen Menſchen. 


— 131 — 


Und das ift jehr nothivenbig, denn wenn ich auch 
nur auf eine Vierteljtunde ermüchtere, daß ich Herr 
meiner Gedanfen und Gefühle wäre, dann müßte 
ih wahnjinnig durch die Straßen laufen und Jeden 
ven ich antreffe, wie ein ſcheues Roß ftoßen und 
beißen, ich müßte mich auf den Markt ftellen und 
aus voller Kehle fluchen. Ein Glück, daß ich nie 
nüchtern bin. Zaucht irgend eine Erinnerung in mir 
auf, jo gieß ich ihr jogleich ein Glas Wein auf den 
Hals, damit fie einjchlafe; oder ftedt aus dem 
Sumpfe ver Zukunft irgend ein myſtiſches Gefpenft 
feinen Kopf hervor — fo gieß ich Wein darauf, fo 
Lange, bis e8 erfäuft. Schließlich umgibt mich dann 
dieſe fromme, ruhige, bezilinderte Gegenwart mit 
ihrem eintönigen Getöje, das mich zu andern Zeiten 
wahnfinnig gemacht hätte. Wein und immer nur 
Wein darauf, bis ich in ver Fluth ſchwimme, wie 
ein armer, in's Waſſer gejtürzter Tropf, ver, fo 
lange er lebt, immer zu Boden finkt, und nur wenn 
er geftorben ift, an die Oberfläche taucht. 

— Aber der Menih Hat nicht nur für fich 
‚zu leben. | 

— Für wen fonft? 

— Fir fein Vaterland. 

| Pußtafi lachte auf, und fein Gelächter Flang, 
wie wenn ein kranker Menſch aus ganzer Kraft 
huſtet. * 
9* 


=. 189 = 


— Seinem Baterlande? Hahaha! Möchteft 
Du mir nicht erklären, was das ift, ob eine Stabt, 
ober ein Komitat, oder gar ein ganzer Statthalterei- 
diftrilt ? Bedenke, daß ich in der Wojwodina geboren. 
bin. Oder verftebjt du ein weitere® Vaterland. Viel- 
leicht gar den ganzen Rheinbund, fprichft bu von 
meinem engeren oder bon meinem weiteren Bater- 
lande? Denn ich weiß nicht, welchem ich den Schuld— 
brief unterfchrieben habe. 

Bela wendete fich traurig ab. 

— Na, na, guter Junge, erzürne Dich nicht 
* wende Dich nicht ab. Siehſt Du, Ihr Uebrigen, 
Ihr habt Recht. Ihr ſagt, ſeien wir Ameiſen, tragen 
wir atomenweiſe zuſammen, was der Blitz auf ein⸗ 
mal zermalmt hat, und Ihr ſeid ſchon geſtählt durch 
die Arbeit. Aber ich bin jetzt aus den Wolfen nieder⸗ 
gefallen, ich fühle mich wie Jemand, ber ein Jahr: 
zehente gejchlafen und, nun erwacht, nicht zu glauben: 
vermag, daß andere Loſungsworte die Geſchichte des 
Tages dirigiven. Ein Steinfchleuder nach Erfindung 
des Schießpulvers. Was foll ich hier unter Euch ? 
Soll ih Stempel auf Alten kleben? Oder foll ich 
mit traurigen Batrioten auf die Wander gehen, um 
den „Szoͤzat“ zu fingen bei feierlichen Gelegenheiten ? 
Oder joll ich verrüdte Verſe über Liebesgefchichten 
ichreiben ? Oder fol mich wie ein Narr anftellen 
und neun Purzelbäume fchlagen, um mit dem Kopf 
nach unten gelehrt, einen zweibdeutigen Wit zu fchlä« 


— 133 — 


‚gen, mit welchem ich die Zenfur betrüge. Soll ich 
von China, vom Monde, von Liliput Allegorien 
jchreiben ? Oder joll ih ale Sklave zu irgend einem 
Blatte mich verdingen, und den fandigen, fterilen 
Boden der europäifchen Diplomatie adern ? 

— Nein, es iſt nicht nothwendig, daß bu 
irgend eines von alldem wähleft. 

— Was fonft? 

— Du ladteft mich aus, da ich fagte, daß 
das Baterland Rechte an dich hat. Hat das Vater- 
land feine Anjprüche, jo habe ich ; lebe für mich. 

Pußtafi umarmte Bela, drückte ihn an fi 
und weinte, 

— Du bift ein närrifher Junge! warft es 
immer. Ich joll für Dich leben ? für Dich ? 

— Das wäre doch wohl ganz einfach. Es ift 
dies ja eine alte Gejchichte zwifchen uns. Hatten wir 
ein Stüd Brod, fo theilten wir e8. Wir werden dies 
fortſetzen. Es geht ja auch mir fo mit der Welt, wie 
Dir. Ich ziehe darin viel umher, aber ich lebe nur 
zwifchen ven vier Wänden. Bleibe bei uns. Du wirft 
ein Heines ruhiges Zimmer haben, wo Niemand 
Dich ftört, und "alle, die Du ſehen wirdft, find er- 
probte Menfchen, meine Mutter, meine Frau und 
Melchior. 

— Deine Frau? fagte Pußtafi, und iwieber 
30g jener ſatiriſche Zug über fein Geficht herauf, der 


— 134 — 


einer weicheren Stimmung gewichen war. Er dachte 
ungefähr: „Sch ſoll deiner braven Frau einen jolchen 
Säufer ins Haus bringen, wie ich einer bin ?' 


— Ya wohl, meine Frau erwähnt Dich öfter. 
Hat jo unfer Leben kaum eine Epoche, in welcher Du 
feine Rolle fpielteft. Sie wird fich jehr freuen, wenn. 
Du bei unsbleibft, das kann ich Div wohl fagen. 


| — Weißt Du Kamerad, fagte Pußtafi mit 
abweijendem Hochmuth. Ihr ſeid feine Menjchen für 
mich. Ich brauche Menfchen die mich haffen, die ihre: 
Seffeln bei Seite fchieben, wenn ich mich unter jie 
ſetze, Die ihre Ohren verftopfen, wenn ich fpreche, und- 
bie Galffieber befommen, wenn fie mit mir gejtritten. 
Sch gehe am liebſten unter Diejenigen, die mich bei- 
Ben; und bie ich auch beißen kann. Die bei jevesma- 
ligen Zufammentreffen mit mir wüthender werden, 
die mich mit ftechenden Blicken anſehen. Wenn fünf 
oder ſechs mich anfallen, wie klaffende Hunde, die 
eine Schlange aufgejagt und fie,nicht anzurühren 
wagen — jo ift dieß mein Vergnügen. Ich jage 
ihnen Örobheiten, die mir das Herz erleichtern. Ih 
weiß uicht, ift dies der Vorgefhmad der Seligfeit, 
oder der Verdammniß, aber jedenfalls ift dies eine 
überirdiiche Unterhaltung. Bei euch würde ich mir 
am erſten Tage den Hals abſchneiden. Einen Mann 
zu jehen, ver ehrlich ift, eine Fran bie treu, einen: 
Freund, der mich liebt, ein Schickſal, das gerecht, eine 


— 135 — 


Familie, die glücklich ift und dazu mid) und biefe 
Welt. — Das würde mich wahnfinnig machen. Laß 
mich herum beißen mit den Menſchen. Vielleicht 
erjchlägt man mich irgenbwo. Doch fürchte nichts, 
man jchägt mich nicht tobt, denn man geht mir aus 
dem Wege. 

Es war dieß ein Meer voll Bitterfeit, deſſen 
Ufer und Grund man nicht jehen Fonnte. 

Bela blieb trauererfüllt vor diefen Ruinen 
ftehen, die man nicht mehr aufbauen fonnte. Selbit 
der Künſtler, deſſen Werf fie war, könnte fie viel- 
leicht nicht wieder erbichten. 

— Doch laß mir jegt etwas zu trinfen rei- 
chen ; nein nein, mißverjtehe mich nicht. Nicht Wein 
gib mir zu trinken, fondern Waffer. Ich muß heute 
noch eine jchöne Frau bejuchen, und es wäre mir 
unangenehm, wenn man ben Wein an mir wahr: 
nehme. | 

— Du? Du bereiteft dich vor zu einer ſchö— 
nen Frau zu gehen ? 

— Ja. Zu Frau Fertöy. Sie ift ja auch, 
Deine Bekannte. 


— Was haft Du dort zu N Fragte Bela 
verwundert. 


— Ich habe eine menge Unfinn unter pjeubo- 
numen Namen zufammengefchrieben, auf welche die 


———— 


fromme Seele zweihundert Subſkribenten ſammelte, 
dafür muß ich ihr danken. | 

— Du willft perfönlih dafür danken, daß 
man beine Werke kauft? Wo ift dein Stolz hin- 
gerathen ? | 
| — Stolz? ſprach Pußtafi mit chnifchem 

Spotte. — Niſtet alſo dieſes Thier noch unter die— 

ſem Klima? Ich glaubte, daß dieſe Race längſt aus— 
geſtorben, wie die dead Mopſes. Denn wenn nur ein 
Kleines Theilchen des ſchamhaften Stolzes auf diefen 
vertheilt wäre, jo müßte jeder Menſch mit verſchlei— 
ertem Gefichte auf der Gaſſe gehen. Iſt es denn 
nicht die höchſte Potenz der menjchlichen Unver-- 
Ihämtheit, vaß „wir“ noch leben? Doch laſſen wir 
die Sophiftil, Ich wollte ein Geheimniß vor Dir 
verbergen, und verrieth mich dabei. Das ift’8 nicht, 
weßwegen ich Frau Fertöy aufjuchen muß. 

— Du würbdeft e8 auch vergeblich fagen, denn 
ich würde e8 nicht glauben. 

— Du haft Recht; ich kann für Nichts danken. 
Hab’ ich etwas, jo iſts gut; habe ich Nichts, auch gut. 
Alios vidi ego ventos! Ein Staatsgefangener er- 
hält täglich fiebenzehn Kreuzer, und das ift ein enor- 
mes Geld. Ein Tapezierer, der mit mir in Joſefſtadt 
eingefperrt war, ift der einzige Menſch, welcher mich, 
in meinem Leben befchämte — ber erjparte noch 
täglich acht Kreuzer, welche er feiner hungernden 


— 137 — 


Familie jchiekte, und lebte dabei von den übrigen 
neun Kreuzern wie ein Fürft. Doch bitte ich Dich, 
mir den Gefallen zu thnn, mir einen Rippenftoß zu 
verjegen, fo oft ich von meinem Serferleben zu er- 
‚zählen beginne. Es jcheint mir auch etwas von ber 
Manie angeflebt zu fein, aus den Gefängnißerleb- 
nißen ein Aneldotenkapitl zu fchlagen um von 
deſſen Zinjen zu leben ; alfjo ich wollte von Sera- 
phine jprechen. 
— Ya wohl. 


— Ja wohl. Du faltblütiger Gatte. ... Er 
ſagt beim Namen einer ſchönen Frau „ja wohl." — 
Ich habe ihr zwei Nachrichten mitgebracht von ihren 
beiden Gatten. 

— Bon ihren beiden Gatten ? 

— Nun ja; von dem Todten und von bem 
Lebenden. Dabei barfit Du aber ja nicht etwa 
glauben, daß ich mit Geiftern verfehre, außer im 
flüßigen Zuftand. 

— Robert ift alfo wirflich geftorben ? 

— Gewiß. Ich jelbft habe ihn begraben. Ich 
bereitete ihm eine römifche Leichenfeier auf ven Ro- 
gus. Konnte e8 nicht anders; wurde durch Kofafen 
und Wölfe verfolgt. In feiner Sterbeftunde betraute 
er mich mit einer Nachricht, die ich wegen Fleinlichen 
hindernden Umftänden bisher nicht ausrichten Tonnte. 


— 1358 — 


— Mit ihrem andern Gatten — den Du in eine fo 
fhöne Sauce getunft — traf ich in meiner alten 
Wohnung zufammen. Der brave Mann wurde in 
dasfelbe Koch geitedt, aus welchem man mich hinaus 
ſchmiß. Ich habe ihn alſogleich erkannt, trotzdem, 
daß ich ihn nur ein einziged mal im Leben fah. 
Hahaha!... Welch eine Hlägliche Figur der Aermſte 
fpielte. Seitdem er im Arrejte figt, hat er weder 
jeine Haare, noch jeinen Bart und Schurbart ge- 
färbt; mit den weißen und ſchwarzen Borften, die 
ihm nachmuchjen, jah er wie ein auftraliiches Sta- 
chelſchwein aus. Ich liquidirte ihm all meinen Befig- 
thum, welches ich mir während den fieben Jahren 
theil8 an irdenem Geſchirr, theis an Erfahrungen er— 
worben ; wofür er mir mit loyalerÖffenheit erzählte, 
welche Fatalitäten Du ihm auf ven Hals gebracht. 
Wahrlich ein profaifches Fatum! Auf einem Heinen. 
Bogen Papier fich den Hals zu brechen ! Er erzählte 
mir auch, wie Barfing während des Transportes 
auf der Eifenbahn entwijchte, 

— Was? Barfing ift entwijcht ? 

— Du fannft ficher fein, daß er einjt noch als 
ein für das Vaterland leidender Emigrant zurüde 
fehren, und über minder radikale Patrioten, als er 
gewefen, urtheilen wird. Seiner wartet noch eine 
große Rolle. Erinnere Di einft, wenn bein Hals- 
unter die Guillotine geräth, daß DBärfing es ift, der 


*=109 = 


dir den Kopf abbauen läßt; weil er ein größerer 
Patriot ift als Du. 

Pußtafi ließ ein bittere Lachen bei dieſen 
Worten vernehmen. 

— Wie oft hörte ich dieſen Menfchen deklami— 
ren und wie oft ſah ich ihn laufen! wo etwas zu eriwis 
ſchen war, da müßte er dabei fein; wo e8 zu Thaten 
kam, da trollte er fich aus dem Staub. Stets fand 
er ein gehörntes Vieh, daß ihm Glauben fchenkte, 
ſtets ein dummes Roß, daß ihm willig den Rüden 
bot.... Die Gelfe, welche fich mit Blut vollgefaugt, 
fchuldigte die Biene der Selbftfucht an ; weil fie ſich 
fur die Zufunft abnützt..... Elende, unbankbare 
Zeit! Die du alles vergißt! Den Arm, welcher 
gekämpft, das Herz, welches geblutet, das Haupt, 
welches vom Denken grau geworben ; nur bie Zunge 
vergiß nie Du, welche dir die Ohren voll ſchrie. . . - 
Ich bitte dic) Bela, verfeg mir Doc) einen Rip- 
penitoß. | 

— Ich bitte Dich fahre fort. ; 

— Wie fchöu das Leben ift; jehr ſchön. Könnte 
ih mir ein größeres Glück wünſchen, als daß 
ich, der Kourier eines Spigbuben fein kann, 
welcher mid) dazu benütt, um an feine Gattin 
Nachrichten zu fenden, die eine par exellence:. 
fchöne Frau ift. 

Ah, wie mich die Götter lieben; wie zum 
Teufel jollten ſie's auch nicht thun ? 


— 140 — 


Als man für Pußtafi das Waffer herein 
"brachte, trank er den ganzen Innhalt des Kru> 
ges aus, — 
— ©..... Nun erinnere ih mich auch 
‚welche Nachrichten die beiden Gatten am ihre ge- 
meinfame Gemahlin fandten? Die Botjchaft des . 
einen lautet ſehr kurz: „mein Blümchen, ih bin 
todt, kannſt mich vergeffen." Die des andern deſto 
länger. Der fleht im Gegentheil, daß jeine Frau 
feiner ja nicht vergeffe; fie möge ihm dies und jenes 
ſchicken, namentlich fo viel Geld als möglich, denn 
er brauche es. Woher fie es nehmen möge, das läßt 
‚er ihr nicht jagen; doch Fonnte ich feiner Reden 
‚entnehmen, daß eine Menge gefeßlicher Nafarener 
jein Vermögen mit Beichlag belegt hatten und daß 
auch die Mitgift ver Frau bereits in Gefahr fei; 
doch daß fie gute, alte Freunde habe, — weißt Du: 
‚gute Freunde! — Unter andern irgend einen 
ruffiichen Fürften, der viel für fie thun könnte. Unter 
uns gefprochen, wenn ich eine Fran wäre, könnte ich 
auch in bie Ruffen verliebt fein. Das ift jo mein 
Geſchmack. Auch fo find fie Gegenstand meiner Be- 
wuuderung, feit Mentjchifoff mit dem Hute auf dem 
Konpfe in den Divan ging. Doch bitte ich Dich, gib 
mir einen Stoß — damit ich nicht politifire. Siehe 
was für ein alter Schwäter ich geworden. — Ich 
verjchwende die Worte, als ob man mir per Bogen 
‚dafür zahlte. 


— 141 — 


Bela’s geiftiger Blick fehweifte zu jenem Grabe 
zurüd, von welchem pußtafi nur ſo vorübergehend 
geſprochen. 

— aAlſo Robert ift wirklich todt? 

— Ja, mein liebes Kind. Und ſeither erblühen 
aus ſeiner Aſche ſo ſchöne Herbſtblümchen, wie ſie 
eben nur gegen Oktober vorkommen. Wenn Du über 
eine übrige Zeit verfügft, fommjt Du mit mir, nach 
Siebenbürgen; ba fuchen wir jenen Sumpf auf 
und führe Dich Hin zu jener Weide, wir rollen 
einen Stein an den Ort, wo unferer tapferer 
Kamerab ruht, und graben feinen Namen in ben 
Stein. 

— Ich nehme Dich beim Wort. Noch in die- 
fem Winter, wenn der Moraft zufriert, da kann man. 
leichter dahin kommen. 


— Armer Burſche! Sein lettes Wort war: 
Kamerad, vergeffe meinen Trauring nicht. Ich ver- 
gaß auch nie darauf, trug ihn immer auf dem Finger, 
als wäre ich mit ihm verlobt gewefen. — Und wie 
oft doch hätte ich ihn mit einem guten Maaß Wein 
umtaufhen können! Der Gnädigen fchrieb ih noch 
von Arad, daß Ihr Mann geftorben, und ihr Trau- 
ring bei mir zu haben, doch fam fie nie darum, oder 
befam meinen Brief nicht. — Nun kommſt Du ficher- 
mit mir zu Seraphine ? 


— Ich gehe nicht. 


— 142 — 


— Du fommft nicht ? 
— Ich meide dieſes Weib. 

— Du auch? Was verbrach denn dieſe Frau? 
daß fie heute dieſen liebte, morgen jenen ? Iſt denn 
das eine Sünde? Wenn ein Mann binnen Jahr 
und Tag feinen Glauben, feinen Gott, feine Überzeu— 
gungen fiebenmal gemwechjelt hat, jo bleibt ver ein 
Ehrenmann; wenn aber ein Weib, veffen Herz der 
‚Schöpfer jo zart gebaut hat, den füßen Worten der 
Liebe zuhört, und fich lenfen läßt, wodurch fie Nie- 
manden gejchadet ; dann ijt fie entehrt! Was that 
fie denn ? Hat fie geraubt ? Nein. Sie hat Gejchenfe 
ausgetheilt. Hat fie gemordet? Nein. Sie hat be- 
glüct. Und die Welt verurtheilt fie dennoch. Ich 
‚vertheidige fie aber! und wenn alle Welt Steine auf 
ihr Haupt wirft, fo werfe ich die Steine auf alle 
Welt zurüd, 

— Donnere nicht mein Alter, jo gewaltig. 
Ich werfe feinen Stein über Frau Fertöy. Ich ſchenke 
ihr die ganze Schöne Welt, Soll ihr gehören. Ver— 
jtehe mich recht. Ich muß bier zu Haufe darüber 
Rechenſchaft ablegen, wo ich herumgehe ? 

Pußtafi jchlug ſich vor die Stirne. 

— AH! Ich amerifanifcher Büffel! Daß ich 
dieſes nicht errieth, daß fo ein Ehrenmann, wie Du, 
nothmwendigerweife unter Bantoffelherrichaft fteht. 
Erröthe nicht, mein Kind! daß ift die einzige Tyran- 


— > nn 


nei, die man vespektiven muß. Komm, laß did ums 
armen. 

Bela leugnete mit feinem Wort. 

— Es ift fo. Iſt man jung, fo fieht man bie 
Welt jo groß, man denkt fie ift voll mit lauter guten 
Freunden, Geliebten, Verehrern, Unterthänigen, Die- 
nern, Dann ſchrumpft die Welt allmäblig zufammen 
bi8 mans erfährt, daß die ganze Welt die vier 
Wände find, und daß einzige, was und gehört, das 
Weib, die Mutter und das Find. 


— Eine jchredliche Wahrheit, die Du aus- 


ſprichſt. Wenn ich Hundert Menſchen befrage, wie 


es geht: fchimpft ein jever über die chlechte Welt, 
doch eine fo graufame Kritif — ſprach noch Reiner 
darüber, wie Du in ven Worten „ich bin glücklich 
— zu Haufe" — doch wenn ich die Leute jo är- 
gern könnte! 

— Du Fönntefi es. Erobere Dich ſelbſt zu: 
rüd, und fei, was Du vorhin geweſen: der Stern 
deines Landes. 


— Lieber Freund. Sterne gibt ed nur noch auf 
ven Krägen der Beamten. Mein Geift und Körper 
gehen ihrer Auflößung entgegen. Was ich fchreibe, 
ift ägendes Gift: Fein Gefang mehr, nur gereimtes 
Fluchen. Wenn ich verrede, wird jeder Menjch 
jagen ; „wohl geihab ihm!" — doch nein, nein. 
Seien wir nicht ungerecht zu meiner Nation. Man 


azın u 
er HER 


wird mich pomphaft beerbigen. Es ift ja eine natio= 
nale Unterhaltung bie geftorbenen Dichter glänzend 
zu begraben. Und alle Welt fo mich binausbegleiten 
wird, joll mir unisono nachrühmen: „war auch ein 
großer Mann, hat fih auch zu todtgefoffen.” 
Hahaha! 

— Ach ich bitte Dich: ſpreche nicht, lache 
nicht ſo! 

— Nein, nein. Du wirſt auch dabei ſein und 
dir denken: dieſer Menſch hat ſich nicht die ſes 
Begräbniß gewünſcht. Ich bitte Dich, laß mir noch 
einen Krug voll Waſſer geben, Du ſiehſt ja, —* ich 
noch immer betrunken bin. 


Armer alter Poet. Betrunken si Du, 
und bleibjt bis zu deinem Tode. Doch nicht vom 
Wein, fondern von dem bittern Kelche, ven Du bie 
zur Hefe geleert! 


— Alſo bleibe Du zu Haufe. Ich finde mich 
ſchon allein hin, wo bie ſchöne Dame wohnt. Ich 
fah fie bei ihrer Thüre herausfahren. Notirte mir 
das Haus. Es ift zwar unter dem Thorgang ge- 
fchrieben, daß das „Betteln und Haufiren verboten. 
ift,“ aber vielleicht wirft man mich nicht hinaus. Ich 
verlaffe mich auf die Proteltion ihres Bedienten, 
den ich auf dem Bock erkannte. Ich glaube, er heißt 
Wenzel. Lernte diefen Hochgeftellien Mann 


— 145 — 


in Komorn Tennen. Damals gab ich ihm einmal 
zwei Silberzwanziger zum Trinkgeld und ich las 
in diverfen Romanen, daß die Menjchen vie Wohl- 
thaten zu vergelten pflegen. Vielleicht erwirkt mir 
"Wenzel, daß ich vor ihre Herrin treten kannn. — 


Hahahahaha! 


"Andere Zeite, andere Menſchen. IV. Band. 10 ° 


Der Ring des Gatten. 


Zwei Tage früher, vor dem im obigen Kapitel 
geichilderten, hatte Seraphine einen böfen Tag. Bis 
zum Abend empfing fie Niemanden. Am Abend blieb 
fie zu Haufe; für die Nacht jperrte fie ihr Zimmer 
ab, und war bis zum Morgen wach! Sie hatte an 
ihrem Tagebuch gefchrieben. Ein neues Kapitel be— 
gonnen: „Heute jah ich ihn. Als mein Wagen aus 
dem Thore fuhr, ftand er vor mir. Er wäre beinahe 
zertreten worden. 

Er lächelte jevoh und grüßte. Das Blut 
gerann mir in den Adern. Diefe Züge, diefe Augen, 
biefer Blil!.... Er war e8. Zeit, Elend und - 
Schmerz hatten fein Antlig gefurcht; demnach kann 
ih es mir nicht verleugnen, daß ich ihn erfannt. 
Meine Seele Hammert fich an eine vage Idee, wie an 
einen rettenden Strohhalm: es fcheint, als hätte es 
Jemanden auf der Welt gegeben, ver Robert ähnlich 
jab, und als hätte ich diefen Jemand einft gefannt, 


» 


— 147 — 


doch firenge ich vergebens mein Gedächniß an; ... 
vielleicht hatte ich e& auch nur geträumt?.. . Wie 
jollte ich Jemand Tennen, den ich nicht kenne?. 
Er grüßte mich mit einem befannten Lächeln; dieſes 
hatte etwas bämonijches, etwas hölliſch bitteres, 
was mir in das Herz ſchnitt. Seine Lippen ſchienen 
zu jagen: „Wie gut wäreft du gefahren, wen mich 
deine glänzende Equipage niebergefahren hätte.“ — 
Ich ſehe jetst noch jein Geſicht. Er iſt's! Die Todten 
Tommen altjo zeitlich zurüd?...D! er wird mic 
ganz gewiß beſuchen. ... Wie gerne möchte ich mit 
ihm „Verſteckens“ fpielen: — er käme von der an- 
dern Welt, um mich auf diefer aufzufuchen, während 
ich bereits brüben wäre... . Wie werbe ich ihm 
aber jo begegnen fönnen; wie ihm antworten, wenn 
er an mich die Frage ftellt: wie heißen Sie Ma- 
bame?.... Womit werde ich mich entjchuldigen ; 
wie feinen anflagenden Blid ertragen fönnen? Er 
wird mich tödten! ... O, thäte er e8, aber ſchnell, 
auf einmal, in einem Augenblide; — aber nicht 
langjam mit bem verzehrenden Feuer feiner vor⸗ 
wurfsvollen Blicke. 

Es iſt mir jedoch unbegreiflich, weshalb er 
nicht kömmt, da er mich ſchon aufgefunden? .. 

Weshalb er auf ſich warten läßt; weßhalb er 
mic) damit peinigt, baß er fich zeigt und wieber 
verſchwindet. 

10* 


— 148 — 


Er fieht es ja, daß ich ihn nicht fliehe, daß ich 
ihm nicht zu entweichen fuche ; ich warte ihn ab, wie 
der Verurtheilte ven Hieb des Henkerbeiles. ... 

Ich habe es gefunden. 

Morgen iſt mein Geburtstag. Ungerufen ver— 
ſammeln ſich fröhliche Gäſte, wie es die Sitte 
mit ſich bringt. Andere werden fommeu, um bie 
„ſchöne Fran“ zu begrüßen... . Auch Er wird 
erfcheinen, um feinen Glückswunſch darzubringen. ... 
Wenn die Mufif am lebhafteſten rauſcht, wird eine 
beifere Stimme ertönen, und mit ihrer eifigen Kälte 
die Unterhaltung erjtarren machen: 

„Es lebe das allerımtreuejte Weib!" 

Aller Blicke werben auf den ftruppigen Dann 
gerichtet fein; und fragen: Was fucht der hier? ... 
Oder e8 wird ihn niemand fehen, nur ih; nur vor 
meine lebende Seele wird er fich ſtellen; nur ich und 
mein Herz werden evzittern und bie flammenden 
Lichter angeweht von der Grabesluft die ihn um: 
giebt... . Das wird eine furchtbare Szene geben ! 
Und ich kann, ich will ihr nicht ausweichen... . Sch 
Ich werde ihm nicht fliehen, ich will ihn erwarten, 
bis er mit feiner eifigen Hand die meine ergreift!... 
Dann... will ich ihm folgen! 

Welchen Wahnfinn ich da niederjchreibe ! 

St e8 doch fein Todter, der feinem Grabe 
entjtiegen, jondern ein freigelaffener Gefangener, 
ven feine Gattin vergeffen hatte. | 


— 149 — 


Man hatte mich bisher die „bleiche Fran” 
gefpottet; von nun an wird das Roth der Schande 
auf meinen Wangen flammen,. welches felbit vie 
Hand des Todes nicht verwilchen können wird... . 
Ich habe einen Gatten verlaffen, der ein Held ge: 
wejen und mich geliebt hat; und reichte die Hand 
einem Andern, der falſche Haare und eine faljche 
Seele hat... . Morgen, wenn diefe von Golpflitter 
gligernde Gejellfchaft, meine duftenden Salons füllt, 
wird er fommen... und da ftehen ein grauer ftrutp- 
piger Mann in jchäbigen Kleidern, und vor 
ihm werde ich im prunfendem Gewande auf den 
Knieen liegend feine Hände füffen, und um Er« 
barmen flehen! Ha, welche Szene! alfo morgen! 
morgen!... — — — — — — — 

Am Abend des künftige Tages kamen die 
zehlreichen Freunde Seraphinens mit ihren Wün— 
ſchen und Geſchenken jeder nach ſeiner Manier. Auch 
der Fürſt Wolozoff erſchien mit den Fürſtinen Olga 
und Feodora, die immer noch ſeine Nichten ſind. 

Nur der Erwartete kam nicht! — In den 
Salons ging es fröhlich her. — Seraphine ſchlich 
ſich dreimal in den Vorſaal, um Wenzel den ftren« 
gen Befehl zu geben, den grauen Mann mit ben 
Ihäbigen Kleidern ja nicht zurüd zu weiſen; ihn 
vielmehr allſo gleich in den Saal eizuführen. 

Bis Mitternacht erjchien er nicht. Da, als es 
die grauenvolle Stunde jchlug, öffnete plöglich Wen- 


22. 


zel die Thüre des Saales, und meldete, daß ... 
pas Soupe fervirt fei. — Alles begab fich in den 
Speifefaal zur reichbejegten Tafel. Seraphine hatte 
den Vorſitz eingenommen, der Zufall ließ einen Platz 
an ihrer Rechten leer; den Linken hatte der Yürft 
eingenommen. 


— Gnädige Frau Sie Re bemerfte ver 
Für ft. 

— 68 ijt mir in der That kalt erwiederte Se⸗ 
raphine. Dabei warf ſie einen ſcheuen Blick auf den 
leeren Stuhl an ihrer Seite, und ein kalter Schauer 
überflog ſie. „Da wird er ſitzen.“ — 

Vergebens verſuchten es die Nachbarn fie auf- 
zubeitern ; vergebens waren die geiftreichen, die ge— 
fühlvollen Toafte, vergebens das Liebesflüftern des 
- Fürften, und der fchäumende Wein im Becher: — 
die ſchöne Frau fühlte ſich nur von dem leeren Plate 
an ihrer Seite berührt, 

Jener aber, den fie erwartete, jaß zu jener 
Zeit bei der „blauen Kate,“ und genoß im reichli- 
chem Maaße die Milch feiner nährenden Amme, des 
Wirthes .... während der Andere, der wirkliche, 
draußen in der grünen Einöde, als Herbftzeitrofe den 
nädtlihen Thau bed Himmels tranf!.... Das 
Feſt währte bis zum Morgen. Der Lärm, der Tanz, 
der Zaumel vericheuchte allmälig die Bejorgniß 
Seraphienend. Die Erregung hatte ihre Phantafie- 


— 1511 — 


gebilde zerſtreut; fie tanzte, trank und ſchwärmte in 
bachantiſcher Laune umcher; fie am Ende 
wahnſinnig. 

Alles betheuerte, daß ſie nie ſo liebenswur⸗ 
dig geweſen. 


Das war ein herrlicher Tag; — ſagte der 
Fürſt, als er ſich am Morgen verabſchiedete. — 
Lange ch hatte ich Sie jo ragle — ſchöne 
Frau!. 

— Man fagt bei nn — daß 
man ſeinen „Untergang fühle! — 

— Eine ſo ſchöne Frau kann nimmer unter⸗ 
gehen, man würde ſie ſogleich aus den Fluthen 
herausfiſchen. 
| — Was würden fie dazu jagen, Fürft, wenn 
Sie morgen erführen, daß ich tobt ſei? ... 

— Ich würde e8 fo lange nicht glauben, bis 
äh es von Ihnen felbft erfahren Hätte. 

— Gute Naht! — — — 

Als auch der Iekte Wagen mit den legten 
Gafte davongerollt war und man unten: das Thor 
ſchloß, da nahm Seraphine ihren alten Kammer- 
diener Wenzel noch einmal ing Verhör; ob man ven 
‚grauen Mann nicht etwa abgewiejen habe? 
Sie ſchickte ihn weg, damit er fich bei ben 
Ubrigen Dienftleuten und Portier erkundige. 


— 12 — 


Wenzel kam mit einer verneinenden Antwort‘ 
zurüd. Hierauf legte ſich Seraphine zu Bette, ihre 
mübden Glieder fuchten ven Schlaf... .. 

Es war ein Fühler büfterer Tag auf bie 
Feſtlichkeit gefolgt. . . Die „Ihöne Frau" erhob. 
jih heute viel früher als ſonſt; fie ließ Feuer im 
Kamine anfachen, weil e8 fie ungemein fror, und 
zog dann ihre einfachiten — an, als wollte ſie 
aufs Land. —F 
Wenzel putzte im Vorzimmer mit einem Tuch— 
lappen, bis auf die Hemdärmel entkleidet, die geftern 
gebrauchten filbernen Leuchter "und Bejtede: heute 
erwartete man feine Gäſte, wenigftens feine vor— 
nehmen. | 


Plötlich Eingelte Jemand. Wenzel war ver 
Meinung, e8 fei der Briefträger, oder eine Mamſell 
der Mopiftin, und zog bebächtig feinen Frack an, 
bevor er öffnen ging. 

Derjenige jedoch welcher klingelte, fchien nicht: 
zu die Geduldigen zu gehören, denn er riß haftig und 
wiederholt an der Glocke. 


Wenzel beeilte fich nun, bie Thüre zu öffnen. 
Bor ihm ftand der graue ftaubige Mann. 

— Thuſt wohl daran Dich zu beeilen wen 
ich anläute; fonft könnte der Griff diefes Spielzeuges- 
da leicht in meiner Hand bleiben. 


— 1535 — 


— Was ift gefällig? fragte der Kammerdie⸗ 


ner halb zornig halb erſtaunt. 
— Mir iſt auf dieſer ganzen dummen Welt 


gar nichts gefällig; wenn Du aber die Urſache 


meines Erſcheinens erfahren willſt, ſo kann ich 


fie dir in Kurzem jagen. Iſt beine Gebieterin 


zu Haufe? 
Wenzel drehte mit beleidigter Mine ben 
Kopf bei Seite. 


— Brauchſt deine Naſe nicht zu rümpfen, 
daß ich Dich „Dutze“, kannſt dasſelbe thun, 's wird‘ 
mich ſogar freuen. Jetzt antworte mir aber, ob deine 


Herrin zu Haufe ſei? 


— Ich weiß es nicht .... erwiederte der 


Kammerdiener mißtrauiſch. 


— Nun, ſo erfahre es; denn davon hängt 
es ab, ob ich dir weiter etwas erzählen jolf 


oder nicht ? 
— Was wünjhen Sie von ihr ? 


— „Bon ihr" nichts; „mit ihr" aud- 


nichts ; aber „zu ihr” möcht ich etwas ſprechen. 


Wenzel betrachtete die fremde Geftalt vom. 


Wirbel bis zur Zehe. 


— Kannſt ſchauen Bruderchen. Siehit, ich- 
fomme jo eben von einem Bal⸗Paré, wo man dieſes 
Koftüm trägt, drum fei nicht fo wähleriſch und 


melde mich an. 


ze: 4 


— Wollen Sie ihre Vifitkarte geben ? | 

— Hahaha! Eine Viſitkarte; — Brüderchen 
‘ich pflege mich ſtets felbft zu vertreten. 

— Dann bitte ih, mir ihren Namen zu 
nennen. 


— Was follte dir das nuten?.... Weder 
Du noch deine Herrin würde mich deßhalb erfen- 
N Sage ihr fo viel, daß ein Menjch fie zu 


ſprechen wünſche, der fie in Komorn getroffen, 
und ihr Nachrichten aus weiter, jehr weiter Ferne 
bringt. 

Wenzel warf einen bevenflihen Blick auf ven 
"Mann fowoHl als auf das Silbergefhirr, als bielte 
er es nicht für rathſam, beide mit einander allein zu 
laſſen, doch fiel e8 ihm ein, wie oft feine Gebieterin 
geftern nach einem Menjchen von diefem Ausjehen 
gefragt, und er ging verbrießlic, ihn anzumelpen, 

fehrte jedoch bald mit freundlich grinjendem Lächeln 
zurüd. 

— Die gnädige Frau erfucht Sie mein Herr, 
nur noch einen Augenblid zu gedulden, bis fie mit 
ihrer Toilette fertig geworden. Bitte, unterdefjen in 

‚ven Saal zu jpazieren. ... Wünfchen vielleicht ven 
Dberrod abzulegen. f Zu 

— Ich wünſche e8 wohl, weil e8 bier verdammt 
‚heiß ift, nachdem er jedoch zugleich Salonrod ift, fo 

werde ich ihn ſchon anbehalten. 


— 15 — 


— Wünfhen Eure Gnaden, daß ich ben 
Staub von ihren Stiefeln abwifche ? 

— Laffe das gut fein Brüderchen, bin felbft 
Ihon ganz zu Staub verwandelt. Brauchit dem 
Staub nicht zu zürnen; wer weiß es, ob biefer da 
auf meinen Stiefeln nicht die Aſche Deines Groß- 
vaters ift? 

Nun begann auch Wenzel jenes Graufen zu 
fühlen das feine Herrin beim Anblick dieſes Menſchen 
. ‚empfand, und trug ihm zitternd noch einmal an, in 
ven Saal zu treten. 

Pußtafi folgte der Einladung. Der Saal war 
noch leer, er hatte demnach Zeit, fich umzuſehen. 
Die Tapeten an den Wänden, die Vorhängen 
aan den Fenftern, der Ueberzug der Möbeln, alles 
war Seide. 

Pußtafi haßte alles was Seide war. Er haßte 
Altes, ob hoch oder nieder, was fich in Seide Fleidete, 
Er duldete fie nicht einmal als Rodfutter, und wenn 
er irgendwo ein Stüdchen erwiſchen Tonnte, fo ge- 
brauchte er fie zu den niederften Dienſten, als Sad» 
tuh oder als Fußlappen; er glaubte an dieſen ver- 
haften Gewebe dadurch Rache zu nehmen. 

Pußtafi fühlte ſich ſehr unbehaglich in dem 
ſeidenen Gehäuſe des Schmetterlings. 

Da öffnet ſich eine Seiteuthüre und die 
„bleiche Frau“ trat in den Saal. 


— 156 — 


Kaum vermochte fie ihr Zittern zu verbergen ; 
faum ihre Blicke zu diefer jchäb igen, ftruppigen Ge— 
ftalt zu erheben, und doch zwung fie Etwas unwi— 
derjtehlich, fih Schritt für Schriti zu nähern, um in 
dem jeit jo vielen Jahren veränderten Gefichte nach 
den befannten Zügen zn forfchen, und jenen Namen 
auszufprechen, welcher durch ihr Herz dringen würde, 
wenn ihre Lippen auch verichloßen blieben; und- 
doch war es ihr, ald würde ihr die Nennung dieſes 
Namens den Tod bringen. 

ALS fie den grauen Mann, zu dem fie fih von 
einer magnetiſchen Kraft Hingezogen fühlte, ſchon 
ganz nahe war, ftredte diefer feine Hand aus, und 
zeigte ihr einen glänzenden Gegenftand, den er zwi— 
ſchen den Fingern hielt. 

— Schöne Gnädige — ich bringe Ihnen: 
diefen Ring zurüd!... 

AS Seraphine des Opalringes, mit dem 
Ichwarzen Kreute in der Mitte des Steines, anfich- 
tig wurde, bebedte fie plöglich ihr Geficht mit bei= 
den Händen und ftammelte das einzige Wort :: 
„Robert !" dann neugte fie ihr Haupt auf Die Seite, 
und brach zufamment. 

Pußtafi war der Meinung, daß die Ohnmacht 
mit viel theatralifcher Routine gejpielt war, er hob 
die Dame in ein Fauteuil, und pflanzte fich vor ihr 
hin, um zu jprechen. 


— 157 — 


— Meine Dame, ich bin nicht Robert, der 
Sie reclamiren füme. Wir ſahen uns zwar einſtens 
Ähnlich ; doch heute ift e8 nicht mehr der Fall. 

Ich habe gealtert, er ift jung geblieben, weil 
er ftarb. Er hatte mich beauftragt, feinen Tod zu 
vermelden, und übergab mir zum Beweis diejen 
Ning; welchen ich hiemit auf diejen Tiſche nieder— 
lege, wo Sie ihn, wenn e8 Ihnen zu erwaden be— 
liebt, finden werden, Und nachdem ich Ihnen. länger 
nicht läftig fallen will, habe ich die Ehre mich zu 
empfehlen. 

Der Kopf der Dame bing bleih von der 
Lehne des Fauteuils herab; Pußtafi war jedoch der 
Meinung, daß ohmmächtige Frauen alle8 zu hören 
pflegen, was in ihrer Nähe gejprochen wird. 

Er hielt daher feine Sendung für vollendet, 
und entfernte fich mit tiefer Verbeugung. 

— Bruder, ſagte der ſich entfernende Dichter 
zu Wenzel — ruf das Hausgefinde, man möge Eifig 
‚und fliegende Salze herbeiholen, denn deine Herrin 
ſcheint ohnmächtig geworben zu fein. Die gute Seele 
hielt mich für ihren verjtorbenen erften Gatten. ... 
Und doch kann ich Dich verfichern, Bruder, daß der 
‚ebenjogut Staub ift, al8 das, mas Du von meinen 
Stiefeln pugen wollteft...... Gott jegne dich 
Bruder. 

Damit entfernte er ſich. 


— — — — — — — — — —— 


— 158 — 


Nachmittags traf Pußtafi mit Melchior zu- 
ammen, biejer beeilte fich zu erzählen, daß er vor 
einem merkwürdigen Falle fomme, man habe ſoeben 
ein ärztliches Parere bei ber Frau von Fertöp 
abgehalten. 

— ft die Schöne Frau krank? 

— Nein. Einige Minuten fpäter, als Dir 
von ihr gingeft ftarb fie an Gehirnfchlag. 

— Schade um fie; war eine gnte Pränume— 
rantenfammlerin. 


(Ende des vierten und legten Bandes.) 


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