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Full text of "Vom fels zum Meer"

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MUSKEGON, MICHIGAN 
MAY 257 1848. 


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Bweiter Band 


(April bis September 1884.) 


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Stuttgart. 
Drud von Gebrüder Kröner. 


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Inhalt. 


Bweiter Band (April bis September 1884). 


Seit 
Romane, Hovellen, Blaudereien u. dgl. 


Amyntor, Gerhard, von. Wer wars? . 194 
Beder, A. Eleonore 16. 157. 280.381.545. 641 
Berger, M. Wär’ ich geblieben doch — ig 

meiner Heiden! . s 7 


Ganghofer, Ludwig. Der Lehte 211 
Godin, A. Die Madonna mit den Lilien 484. 616 
Yolai, Maurus. Die Caldaria . . 330 
Juſtinus, Oskar. Eine glückliche Kur 676 
gaujer, W. Ein unbheimlicher Reifebegleiter 51 
Löhn— Siegel, A. Ein alter —— 450 
Malſer, Hans. Herr Florin 433 
Oelſchläger, Herm. Engel Kirk 512 
Rangabé, A. R. Die Najade 2.0, 188 
Ze Dtto. Siebenſchläfer. 351. 530 

Schwebel, Osfar. Die Feſte der * Bing 

zeit in Deutihland . 272 
Voß, Richard. Vedi Napoli 241 


Zänder- und Völkerkunde, — ic. 


Halifar, John. Aus dem himmlischen 
Neiche der Mitte. Mit 10 Iluftrationen . 

Heinzel, Mar. In Kübezahls Revier . 
Mit 20 Jluftrationen von R. Schuiter. 

Hellwald, Friedrid von. Leben und Treiben 
in Merifo. Mit 10 uuftrationen . . 559 

Herzfelder, J. Bon Interlafen zum großen 
St. Bernhard } 

Hollmweg, Bernhard von. Bei den Rothäuten 
Mit 12 JUuftrationen. 

Martini. Die Mafia in Sizilien ; 

Mehlis, E. Eifenberg. Mit 4 IMuftrationen . 

Pecht, Fr. Eine Perle unter den deutjchen 
Städten. Mit 10 IMuftrationenv. BP. Mannfeld N; 

Pietſch, Ludw. Die landihaftliche Umgebung 


Berlins. Mit 13 Iluftrationen von DO, Strühel 258 
Ruthner, Anton v. Oberöfterreihiiche Seen 599 
Mit 15 Aluflrationen von I. I. Hirdner, 
Bogel, H. W. Im Fluge durch Amerifa . 62 
2Rit31 Mutationen von. RNAirchner, O Strüpel 
un rö 
Weſſely, J. € Die raotfge Schweiz 417 


Mit 18 Jluftrationen von E. Geyn. 


Naturwiſſenſchaftliche, naturgeſchichtliche und 
eilwiſſenſchaſtliche Auffühe, 
Bebber, J. van. Die Begründung einer 
deutſchen meteorologiſchen Geſellſchaft 31 
Jäger, Hermann, Die Eiche. Mit Illuſtratlonen 671 


Kleinihmit, U. Aus dem VBienenleben 
Mit 10 Jluftrationen von G. Schmidt. 

Knauer, Friedrich. Loſe Blätter aus meiner 
Wandermappe. Mit 3 Muftrationen . . 

Müller, Molf. Der Geſang der Bögel 
Mit 7 Illuftrationen, 

Müller, Hermann. Alpenblumen 
Mit 6 Mluftrationen von R. Püttner, 

Mylius, Difried. Die Kunft der Tariderimie 
Mit 11 Mluftrationen. 

Mylius, Otfried. Die fünftlihe Straufen: 
zucht in Südafrifa. Mit 6 Mluftrationen 

Uffelmann, J. 


fulofe . . 
Vogt, Karl. Die Zoͤologiſche Station in 
Neapel . 365. 


Mit 12 Auftrationen vo von a. Schröder 
Weech, Friedrih von. Das rote Kreuz in 
Deutjhland . Br % ee a 


Gefchichte und Aulturgefdjichte, 


Köppen, Fedor von. Bismard in Frank: 
furt am Main . . 

Löher, Franz von. Ein amerilaniſches Urteil 
über Deutichland 
Nordmann, Hohannes. 

Defterreich 
O. B. Ein Prozeß aus der Beieröburger 
Geſellſchaft 
Zernin, RE 
Mit 2 Mluftrationen. 


Bildende Kunſt. 


Schorn, D. von. Malerei und Jlluftration 
in Japan, mit 11 Iuftrationen , eu 
Koppel, Ernit. Arnold Bödlin . 


Zitteratur, 


Klaiber, Julius. Schiller auf der Solitüde 
Mit 2 IUuftrationen. 


Kluſik. 
Gouvy, Th. Ein — für Pippo. 
Walzer 415. 
Hiller, Ferdinand. Morgens er 
Parlow, Edmund. Ständchen 
Umlauft, Paul. unge Liebe . . 
Waldmann, Wilhelm Robert Franz in 
feinen Liedern. Mit 1 Iuuftration 


Vereinsleben in 


Der "Hohentwiel 


IV 


Artikel verſchiedenen Inhalts. 


Amyntor, Gerhard von. Die Sn — 
und die Menfchenlibe . . . 
Baldamus, E. Frühlingsboten 
mit 4 Auflrationen. 
Hönig. Die ruffiiche MWeichjelftellung 
Lammers, A. Knabenhorte . . 
Zammers, Mathilde. Deutiche gchrerinnen 
im Auslande ; —* 
Noe, Heinrich. Im finftern Wad . . 
Nördlinger, Th. Die deutfchen Holyölle 
Pecht, Friedrich. Die Meißener Borzellanfabrif 
mit 25 luftrationen. 


Gedichte. 


Avenarius, Ferdinand. Mailiedhen . 

Avenarius, Ferdinand, Natur 

Barthel, ©. Emil. In einer Sturmnadt 

Bartſch, Karl, Sanlt Julian 

Bartſch, Karl. Berlieren und finden 

Calm, M. Albumblatt . aa Kar a 

Dilmann, Hermann. In der Heimat . 

Sehter, Bodo. I. Märchen. II. Geftändnis 

Frey, A. Sommernadt 

Friedrichs, Hermann. Diej junge Bompejia- 
nerin . 

Greif, Martin. Seinſuchi nach dem Frühlinge 

Hoffs, Friedrid ven. Mit einem ri 
fträußchen . 

Hoffs, Friedrich van. "Warnung i 

Holkendorff, Franz von. Des Gelehrten 

Bleib’ wie du bift! ; 


Frühling 
Krebs, Hugo. 

Kunze, Wilhelm. Worauf es anfommt 
Littauer, Hugo. Sprud . : 
Noderid, U. Sprud . ». 2... 
Souchay, Theodor. Emanuel Geibel 


Don Himmel und Erde, 
Der geftirnte Himmel 117. 225. 341. 467. 


581. 

Sammler. 
Zur Zeitgeſchichte 107. 219. 335. 47. 
567. 


Unfer Hausgarten. Bon D. Hüttig. 109. 
Mit 33 Aluftrationen. 221. 337. 460. 571. 
Tradten der Zeit. Bon Ida Barber. 
Mit 24 Muftrationen. 111. 222. 338. 461. 573. 
Der Iuftige Gefellfhafter 113. 227. 
349. 468. 580. 

Zum Kopfzerbrechen 114. 226. 342. 464. 


576. 
Aus berühmten Muftern $ 
Sdhad . 115. 228. 343. 465. 577. 
Die Kunft im Haufe. Bon F. an 


Mit 9 Alluftrationen. . 345. 
Ausder Technik. Mit 10 — 117. 
344. 

Zeitgemäßes aus Küche und Haus. Bon 
L. von Pröpper. 117. 228. 343. 465. 
577 


Inhalt, 
Excite 
Die Holzblumen. Mit 1 Muftration . 
Der Rattenfönig. Mit ı Muftration 
471 | Ein biftorifhes Kartenspiel 
101 Mit 4 Alluſtrationen. 
Vom Büchertiſch 120. 229. 345. 467. 579. 
191 | DieNaturanftalteninderdäuslidleit. 
413 Von Dr. Karl Ruf.. Mit Illuſtration. 224. 
Naturmwiffenfhaftlider Aberglaube . 
137 | DOftereier. Bon 2. Meggendorfer. . 
392 Mit 20 luftrationen. 
41 | Picyeling. Bon 9. Vogt. - . 
141 | Pergleih des Innafriutinen Alters 
mit einigen Kirchenliedern 
Athletiiher Sport . . 
Die Humboldt:Nuine zu Earäcas, Bon 
140 John Henry Wyrell. Mit 1 Muftration . 
680 | Der Geldwert der Nahrungsmittel 
631 | Elektrifher Fidibus . . . 2 20. 
32 | Gehälelter Stern. Bon Gabriele Hil— 
658 lardt. Mit 1 Illuſtration . . 
364 | Diefranzlerihe Ede unterden Linden. 
640 Von Dora Dunder. Mit 2 Muftrationen . 
61 | Zur Geſchichte der Taubenpoft i 
333 | Praftiihe Kühengeräte. Mit uuftrationen 
Zwei Adreffen. Mit 2 Iuftrationn . . . 
544 | Salonmagie. Bon Alerander. . 469. 
173 | Eleftrifhe Novitäten. Von — 
Peſchl. Mit 4 Muftrationen . 
240 | Eine jhwere Kopfarbeit . 2 
568 | Chemifdhes und Bhufitalifches i 
Neue Mufilalien . . 
433 | Photographierter Blig. Mit 3 Muftrationen 
416 | Praktiiche Hausgeräte. Mit 2 uuftrationen 
475 | Der PHotorevolver . care 
299 | Ludwig Nidter 7. Mit Auftration . 
196 
257 Voll- und Einzelbilder, 
Guter Appetit. Bon M. Kaltenmojer, 
„Du, du liegft mir im Herzen.“ Von 
9. Kaufmann. . 
693 | Ein Abend in den Schweizer Bergen. 
Von Joh. Gottfr. Steffan. 
Der Tod der Virginia i 
681 | Neapolitanerin. Bon Dürk. . . 
Holländifhes Mädden. Der Herr 
683 Burgemeifter. Von F. Bergen. 288. 
Nach der Arbeit. Bon G. Hadl. . . 
684 | Demasfiert. Bon A. Keller. . . 
Die Heine Blumenjudherin. Bon. Kal: 
691 tenmojer. . 
Ein Fiſcheridyll. Bon £ RI Neggendorfer. 
688 | Bor dem Gewitter . 
115 | Hirtenfinder. v. Salentin. 
689 
Dumorifiifche Bilder, 
* Wo iſt der Sünder? Von L. Meggendorfer. 
* Ertrabeilage. 
Juſtinus, O. Unſerem 50 000ften Abonnenten! 
686 Mit Fuüuſtrationen von 2. Meggendorfer. 


— — — — — — 


sin amerikanifhes Urteil über Deufſchland. 


Bon 


Franz von Föher. 


am Mittelalter ärgerten fich an- 
ve dere Yeute über die Deutjchen, 


9 


weil bei dieſen zwei Dinge gar 
zu groß ſeien, ihr Durſt und 
ihr Nationalſtolz. Gute Trin— 
— fer find unfere Landsleute alle: 

weil — der Stolz aber auf unſer Volk 
wurde in den unſeligen Zeiten des dreißigjährigen 
Krieges ſo ſehr niedergebrochen, zermalmt und 
vernichtet, daß er in den letzten fünfzig Jahren 
erſt wieder anfing, ſich aufzurichten, und daß trotz 
der letzten Kriegsthaten, trotz der immer offener 
anerkannten deutſchen Hegemonie, gleichwohl 
manchem unter uns leiſes Bangen anſchleicht, 
wenn wiederum dunkle Wolken ringsum heran— 
drohen. Kein Volk der Gegenwart hat in ſeinem 
Schoße ſo viele unglückliche Schwarzſeher und ſo 
viele freche Verkleinerer und Verdächtiger ſeiner 
Leiſtungen und wohlberechtigten Hoffnungen. 
Und wagt es einmal ein Deutſcher darzulegen, 
was andere Völker dem ſeinigen verdanken, ſo 
erſcheint ſicher alsbald ein darob erzürnter Lands— 
mann, der dieſe Lorbeeren mit den Zähnen zer— 
reißen möchte. Da thut es gut, unparteiiſche 
Stimmen von vielkundigen Ausländern zu ver— 
nehmen, und es iſt ein ſchönes Verdienſt desſelben 
jungen Göttinger Gelehrten, der jüngſt ſo gründ— 
lich über Geſchichte und Reform der Erbpacht 
geſchrieben, Dr. Wilhelm Ruprecht, daß er uns 
mit dem Zeugnis des berufenſten Sachverſtändigen 
bekannt macht, das in Amerika Aufſehen erregte, 
in Deutſchland aber kaum beachtet wurde, da es 
in der in Europa wenig geleſenen Zeitſchrift der 
amerikaniſchen geographiſchen Geſellſchaft er— 
ſchien. Es iſt ein Vortrag, welchen vor einem 
halben Jahre in dieſem Vereine Dr. Andrew D. 

White über the new Germany gehalten hat. ?) 





) Neu:Deutichland. Aus dem Enalifhen über: 
jegt von Dr. Wild. Rupredt. Göttingen 1883. 
Vandenhoek & Ruprecht. 


— — — — — — — — — — — —— III — — — — 


berühmten Cornell-Univerſität in Ithaka (New 
VYork), die für die Vereinigten Staaten ein ganz 
neues Princip aufjtellte, nämlich durch geſchicht— 
liche wie juriftifche, politifche wie volkswirtſchaft⸗ 
liche Studien Männer für den Staatsdienſt vor: 
zubilden. Es war eine große Kühnheit, aber 
auch hohe Einficht und Vaterlandsliebe, welche 
den Mut eingab, ſolch ein Princip in einem Lande 
aufzuftellen, wo alle Nemter gute Beute der 
Barteiführer find, wo nicht Fähigkeit, nicht Recht— 
ſchaffenheit, fondern nur die Dienfte, welche man 
der Partei geleiftet hat, zum Amte verhelfen, 
und wo es den meilten im Grunde ebenjo 
lächerlich erfcheint, Konfurrenzprüfungen für ein 
Staatsamt, wie für das nädjte beſte Krämer: 
aeihäft einzuführen. White hat indefien das 
Glück gehabt, daß mehr und mehr bedeutende 
Männer aus allen Parteien ihm zuitimmten, und 
daß feine Hochſchule an Zahl der Bejucher wie 
an Anjehen bejtändig zunimmt. Die Idee zu 
feinem Werfe hatte er in Deutjchland geſchöpft, 
wo er jtudiert hatte und wohin man vor vier 
Jahren feinen zum Gejandten befjer pafjenden 
Mann zu ſchicken wußte, als gerade ihn. Zwei 
jahre lang befleidete er die Stellung eines ameri— 
fanischen Gejandten in Berlin, machte während 
diefer Zeit in Deutjchland, das er bereits ſechs— 
mal befucht hatte, noch ergänzende Studienreifen 
und fehrte dann auf feine geliebte Cornellhoch— 
ſchule zurück. 

Ergötzlich hebt White hervor, wie oberfläch— 
liche Touriſten die deutſche Gegenwart ſchildern. 
Den Engländer trifft in Deutſchland ein tiefer 
Schmerz: man kommt ihm nicht mehr ehrerbietig 
entgegen, er findet Zunahme der nationalen 


Selbſtachtung und, ach, ſteigende Gleichgültigkeit 
gegen engliſches Urteil; dergleichen ſetzt ihn in 
Der Verfaffer ift Urheber und Präfident der | 
ı berechtigt hält. Der Franzoſe kann nicht begreifen, 


Erjtaunen, weil er es für ganz verkehrt und un: 


warum die Deutſchen behalten wollen, was fie 
eroberten, und warum Herrn v. Bismard mehr 
1 


2 


ander guten Meinung feines eigenen Landes, als 
an der Frankreichs gelegen iſt. Der Amerikaner 
aber entjest fi darüber, daß in Deutſchland 
Männer, Weiber und Kinder Bier trinfen und 
der Muſik laufchen, während es ihm doch paf: 
jender jhiene, wenn die Männer Branntwein 
tränten und fich rauften, die Frauen aber foviel 
Thee tränfen und foviel klatſchten, wie es bei 
ihm zu Haufe allgemeine Sitte iſt. Weniger 
ernſte Yankees find außer ſich Darüber, daf viele 
Deutſche mit dem Meſſer eſſen und in Gurgel— 
tönen Sprechen, während fie doch durch die Naje 
ſprechen fönnten. 

Mas aber die meijten Amerikaner empört 
und weshalb fie meinen, auf einer höheren mo: 
ralifhen und religiöfen Stufe zu ftehen, das iſt 
der religiöjfe Unglaube, in welchem fie Deutſch— 
land verfunfen wähnen. White ruft ihnen zu: 
„An ihren Früchten follt ihr fie erkennen!“ und 
erklärt in Bezug auf Deutjchland gerade heraus: 
in feinem Lande ſei das Familienleben reiner; 
nirgends des Einzelnen Hecht unverbrüchlicher, 
fein perfönliher Charakter forgfältiger von der 
Preſſe gewahrt; nirgends würden private Ge: 
ſchäfte folider, öffentliche ehrenhafter betrieben ; 
nirgends Wiſſenſchaft, Litteratur und Kunft in 
einem höheren und würdigeren Geifte gepflegt; 
nirgends junge Herzen weniger durd; Skandale 
verborben, nirgends herrſche weniger Unehr: 
bietigfeit und Spötterei; nirgends feien Trunfen: 
heit, Raufſucht und Verbrechen weniger ver: 
breitet. Ganz bejonders legt White Gewicht 
darauf, daß erin vier Jahren feines Aufenthaltes 
in Deutſchland zufammen nicht jo viele Betrun: 
fene geſehen habe, wie in Amerika an einem 
einzigen Feitfonntag. Unfer freundlicher Schub: 
redner denkt freilich nicht daran, daß die Deut- 
chen, deren ewiges Keuchtigfeitsbedürfnis nod) 
aus dem langen Wohnen in den germanifcdhen 
Wäldern herſtammt, ebendeshalb auch mehr ver: 
tragen fünnen als andere Leute. Vollitändig aber 
möchte ich nad) eigener Beobadhtung fremder 
Völker beiftimmen, wenn White zwei Gegenſätze 
an den Deutichen hervorhebt. Es gäbe fein 
Volk in der Welt, das in feiner großen Mehr: 
heit fich jo gleichgültig gegen Dogmen und Li: 
turgie verhalte, fein Yand, wo man furdtlofer 
die Wahrheit zu erfennen ſuche und die biblische 
Kritik beharrlicher betreibe — und doch fünne 
man jagen, daß fein Volf eine tiefere Ehrfurdht 
vor dem Höchften im Herzen trage, feines erniter 
nad) Religion ftrebe, feines für den Gedanken 


— — — — — 


Franz von £öher. 


der Pflicht empfänglicher fei, feines tiefer von 
Sittlichkeit durchdrungen, feines mehr zu heiliger 
Begeifterung für erviges Recht und Gerechtigkeit 
geneigt, Feines jtanbhafter darauf bedadıt iſt, 
Ideale zu verwirklichen, als das deutfche Volf. 
Aus dankbarem Herzen fügt White noch bei: 
„Ich Tann es nicht vergefien, daß in den büfter- 
jten Stunden unferes furdhtbaren Bürgerfrieges, 
während andere, fich hriftliher Strenggläubig- 
feit rühmende Völker offen und inögeheim die 
Anarchie in Amerika förderten und bereit waren, 
Bündnifjie mit der Sklaverei zu fchlieken, 
Deutſchland allein den Glauben hatte, daß noch 
Gerechtigkeit in der Welt herrſchen müfje und 
mit Herz und Hand zu uns ftand.“ 

Der Deutſche ift im täglichen Leben oft jehr 
grob, das will auch unfer amerifanifcher Freund 
nicht verfchweigen, er fett aber hinzu: er fenne 
fein Zand, in welchem der bloße Reichtum ohne 
Bildung fo wenig gelte, wo ein auf ſchmutzige 
Weife Reichgewordener jo unauslöſchlicher Ver: 
achtung anheimfalle, wo man weniger gemeine 
Prunkſucht finde, alsin Deutſchland. Diejes Lan— 
des ganze gejellichaftlihe Ordnung jet von dem 
Gedanken durddrungen, daß der Menſch nicht 
vom Brote allein lebe. Aus verborgenen Quellen 
fließe hier der Wirklichkeit etwas von einem 
höheren idealen Leben zu, und es jei ein wunder: 
barer Charafterzug der deutſchen Gejellichaft, 
daß jelbjt der Menge derer, die in dem alltäg- 
lihen Getriebe fait aufgingen, noch ein deal 
der Treue, Schönheit und Güte bleibe. 

Der Amerikaner hat vor allem fcharfen Blid 
für das, was zum Geſchäftsleben gehört und be: 
merkt fofort, woran es da fehlt. Im gemöhn- 
lichen deutſchen Gejchäftsbetriebe findet aud) 
White vielfah, und zwar mit vollitem Nechte, 
eine gewiſſe Engherzigfeit und Kleinlichkeit, eine 
jeltfame Aengjtlichteit, von den großen Handels: 
ſtrömungen Vorteil zu ziehen. Es fällt ihm auf, 
daß das Gewerbe in deutihen Städten für 
weniger ehrenvoll und ehrlich gehalten wird, als 
in amerifanifchen Städten gleihen Umfanges. 
Handeltreibende Amerikaner beanfpruchen Leicht 
größeren Gewinn, aber man findet bei ihmen 
weit weniger Heinliche Betrügereien, als in den 
entjprechenden deutichen Schichten. Man iſt aud) 
in Amerifa viel gewifienhafter und geſchickter 
in der Wahl des zu verarbeitenden Nobjtoffes, 
und die Arbeit ſelbſt wird ſolider, geſchickter, 
wirtſchaftlicher ausgeführt, als in Deutjchland. 
Kein amerikanischer Handwerker von nur einigen 


Ein amerifanifches Urteil über Deutichland. 3 


Rufe würde 5. B. daran denken, zur Herjtellung | wenn er thatfächlich diefelbe Rechtäfrage fi vor 
der gewöhnlichſten Möbel jo erbärmlich getrod: | 


netes Holz zu verwenden, wie es in Deutjchland 
häufig zu wirklich fünftlerifchen Arbeiten ge: 
braucht wird. Bon einer großen Anzahl fcharf: 


finniger und wertvoller Methoden der Konjtruf: | 


tion, die in Amerika allgemein verbreitet find, 
hat das deutjche Handwerk faum eine Ahnung. 
Solde Schattenfeiten lafjen ſich leider nicht 
leugnen. Sie hängen zufammen mit demriefigen 
Alp von Handels: und Gemwerbebefchränfungen, 
die erjt in unferer Zeit weggefhafft wurden. 
Troß des jelbitjüchtigen Englands gefährlicher 
Nebenbuhlerfhaft nimmt unfer Welthandel 
mächtig zu, das rajche Aufblühen unferes Kunft: 
gewerbes bringt die Franzojen zur Verzweiflung, 
und endlich wird es doch der erleudhteten Für: 
jorge der Regierungen gelingen, die Nete und 
Schlingen vollends zu zerreißen, mit welchen 
die nadte Geldwirtichaft, deren höchſtes Princip 
die höchſte Freiheit im Geldverdienen ift, unfer 
gemwerbliches Gedeihen noch umſchlungen hält. 
„Man darf ſich nicht verhehlen, daß Deutſchland 
in dieſer wie anderer Hinficht ftetige und gefunde 
Fortſchritte macht." 

Es war White vorzüglidh darum zu thun, 
jeine amerikanischen Landsleute auf jo mander: 
lei Hinzumeifen, was fie an Deutichlands Bei- 
jpiel lernen könnten. Nicht genug kann er be: 
tonen, daß die Grundanjhauung der ganzen 
deutſchen Staatöverwaltung die ſei, dab jeder 
Beamte, vom Reichskanzler bis zum niedrigjten 
Schreiber, nit im yntereffeirgendeines Menjchen 
oder einer Clique oder Partei, fondern einzig 
und allein im Intereſſe des ganzen Volkes han- 
dele. Diefes Grundprincip des deutſchen Staats: 
weſens findet er namentlich aud) in der Yuftiz: 
verwaltung lebendig. Sie ſei ftreng, jedoch ge- 
recht, und laſſe der Sophifterei und Rechtsver— 
drehung jo wenig Naum als möglich, während 
das amerikanische Syjtem die Begehung von Ver: 
brechen erleichtere, die Beſtrafung erfchwere, 
und in den großen Städten eine organifierte 
Klafje von Verbrechern habe aufkommen laſſen, 
die zuzeiten deren Führer in den Stand gejett 
habe, den Richtern Bedingungen vorzuſchreiben. 
Auch aus dem deutjchen Civilrechte könnten nad) 





Whites Anficht feine Landsleute noch viel Wert: | 


volles lernen, obgleich er die Methode des ge- 


meinen Rechtes in Amerifa nicht gegen die deutſche 
vertaufchen möchte. Wir erlauben uns zu zwei: 
feln, ob er diefe Anficht noch feithalten würde, 


deutfchem und amerikaniſchem Gerichte abfpielen 
fähe. Das letztere ift nicht ganz jo Foftipielig 
und umftändlic und die endliche Entſcheidung 
nicht ganz fo ungewiß, wie bei dem Verfahren 
in einem englifchen Gerichtshofe gegen einen durch 
Geld oder Vornehmheit mächtigen Gegner, allein 
im großen Ganzen find die Fallftride im ameri: 
fanifchen Eivilprogefje doch beinahe ebenfo ſchwie— 
rig zu vermeiden, wie irgendwo an ber Theiß 
oder unteren Donau. 

Wenn Deutjchland in geiftiger Entwidelung, 
wie allgemein anerkannt werde, das erjte Yand 
der Welt fei, jo habe fi, erklärt White, dieſer 
Zuftand aus dem früheren, wie alles Gute in 
Deutfchland, durd) lange andauerndes Denken, 
Arbeiten und Kämpfen entwidelt. Das Lehren 
jei bei den Deutjchen ein ehrenvoller Beruf, 
eine Zebensaufgabe: der Lehrer werde nicht an- 
gejtellt, weil er billig, jondern weil er gut ar: 
beite. Für die niederen Schulen herrfche De: 
centralifation, für die höheren Gentralifation. 
Jeder Bauer habe die Volksſchule vor der Thüre, 
ganz Deutjchland aber nur 21 Univerfitäten, 
während in den Vereinigten Staaten 360 An: 
ftalten Univerfitätsdienfte zu leiften behaupteten, 
wozu ihnen doch die Mittel fehlten. White 
ſchlägt vor, es follten 20 bis 30 diefer Colleges, 
nämlich die beftausgeftatteten, dahin jtreben, all: 
mählich die Dienfte wirklicher Univerfitäten zu 
leiften, und Zuhörer anzuziehen, die wirklich 
den Bildungsgrad von Univerfitätstudenten 
hätten: die übrigen Anftalten aber müßten 
Mittelfchulen werden und den Ruhm von Eaton 
und Harrow in England fi zum Biele ftellen. 
Allein der Präfident der Cornell:Univerfität, 
der fein Land von ganzer Seele liebt, wird 
wohl jelbjt nur ſchwache Hoffnung hegen, daß 
feine Vorfchläge zur Ausführung fommen. Ge: 
ſchehen könnte es, aber erft dann, wenn dreimal 
ſoviel Deutfche, als jet, in den Vereinigten 
Staaten angefiedelt und in Geift und Einn 
deutjch geblieben wären. Bis dahin werden dort 
der Univerfitätsentwidelung wohl zwei Hinder: 
niffe unüberwindlich entgegenitehen: das eine 
ift der Family Compact, das ift in jeder Land— 
ſchaft der allherrfchende Zufammenhalt geld: 
reicher Familien, das andere der Mangel geifti- 
ger Freiheit, der unentbehrlichen Lebensluft für 
die Wiſſenſchaft. 

Vol Trauer im Hinblid auf die übermütige 
und nod) lange, wie es den Anjchein hat, un: 


4 franz von £öher. 


austilgbare Herrihaft des Seltenweſens in | wo im fechzehnten Jahrhundert „Deutjchlands 
Amerika jagt White: „ES ift in der That un: | 


möglich, einem Deutjchen verjtändlich zu madıen, 
warum es lutheriſche Mathematik, kalviniſtiſche 
Philologie, episfopale Naturphilofophie, uni: 
tarifche Chemie, baptiftifche Geologie oder me: 
thodijtiiche Botanik geben foll, oder wie es über: 
haupt eine jolche geben kann.“ 


Deutjhland wird gewarnt. 
Bewunderung für das deutfche Unterrichtsmwejen 


geographiihe Lage die Einwirkung des Aus- 
landes herbeiführte und eine Anarchie neuer 
Art, nicht nur eine politifche, ſondern eine 
Anarchie feines ganzen Lebens einriß. Deutjche 
Litteratur und Kunſt wurden mit einer diden 
Krufte franzöfifcher Frivolität überzogen. Der 


erloſchene Bulfan war mit Unfraut überwuchert. 
Vor der Methode aber des Unterrichts in | 


„Bei all meiner | 
beſaß Deutjchland noch nichts der Art.“ 


muß ich mic zu der Ueberzeugung befennen, | 
daß in vielen Schulen zuviel ſcholaſtiſcher Drud | 


herrfcht, daß die Jugend zuviel lernen, aber zu 
wenig denken muß, daß die Kunft der Initia— 
tive gefährdet, die individuelle Kraft unter: 
graben wird. Bismweilen habe ich, wenn ich 
vor der Hlafje eines der verſchiedenen Gymna: 


I 


jien oder unter den Studenten einer der ver: | 
ſchiedenen Univerfitäten, die ich befucht habe, 


jaß, einen Mangel an jener zurüdgehaltenen, 
noch unverbrauchten Kraft zu bemerfen geglaubt, 
welde die amerifanifchen und engliichen Stu: 
denten im praftiichen Leben fo fehr fördert." — 
Wollte Gott, dies wäre mit Unrecht gefagt! Es 
ift nicht zu ermeſſen, wieviel fernige Kraft und 
Friſche auf unferen Gymnafien durch kleinliche 


Gelehrſamkeit ausgemergelt, oder durd einen | 


furchtbaren Ballaſt von Studien, die für die 
Nation, wie für das praktische Leben unfrucht— 
bar bleiben, geradezu erdrüdt wird. Das wird 
wohl nicht eher anders werden, als bis nie: 
mand mehr öffentlicher Yehrer oder Beamter 
wird, der nicht ein Jahr lang ſich in England, 
Frankreich und den Vereinigten Staaten umge: 


ſehen hat. 


Unfer amerifanifher Gönner erklärt ſich 
„das majeftätische Eintreten Deutſchlands in die 


Neihe der Weltmächte“ nicht etwa als Folge 
eines glüdlihen Zufalles oder eines höheren 
Defpotenftreihes, fondern als die notwendige 
Folge fortgefegter Opfer und langwierigen Ar: 
beitens und Kämpfens. Deutjchland habe die- 
fen Ruhm nicht nur durch den Sieg im Felde, 
fondern noch weit mehr durch den Sieg über 
ſich felbft, über Neigungen zur Trägheit und 
Unvernunft gewonnen, und „es ſei der deutjche 
Reichtum an kriegerifchem, ftaatsmännifchem und 
diplomatifhem Genie deshalb fo erhaben und 
ruhmvoll, weil er durch heldenhafte Anjtrengung 
eines gefunden Vollscharakters errungen ſei“. 
White blidt zurüd auf die traurigen Zeiten, 


| 





Zange, nachdem alle anderen europäifchen Na- 
tionen eine moderne Litteratur entwidelt hatten, 
Es 
wäre hier wohl beizufügen geweſen, welch herr: 
lie Litteratur die Deutfchen ſchon im Mittel: 
alter beſaßen, reicher und mächtiger damals als 
irgend ein anderes Volk. 

Ueberhaupt würde die jehige gebietende 
Stellung Deutjchlands, deſſen Kaiſerhof im 
vorigen Sahre von Königen, Kronprinzen und 
Fürſten lebhafter befucht war als jemals das 
Paris des erjten Napoleon, den Nichtdeutichen 
natürliher und deshalb erflärliher, deshalb 
aber aud weniger gefahrdrohend erjcheinen, 
wenn man allerorten befjer würdigte, daß das 
Deutſche Neich bereits eine ähnlihe Stellung 
einnahm, und zwar fat neun Jahrhunderte 
lang von Karl dem Großen bis auf Ferdinand 
den Zweiten. Dann aber folgte freilich eine 
Zeit, wo unfer ganzes Volk roh und arm wurde 
und fein Yand fo verwüftet, daß, wie auch 
White beftätigt, in einigen Gegenden Bevölte: 
rung und MWohlhabenheit erjt im letzten „jahr: 
zehnt den Punft wieder erreicht haben, auf 
welchem fie im Jahre 1618 ftanden. „Beide 
Kirchen, die Fatholifche wie proteftantijche, über: 
boten einander in dem Streben, die heilige 
Schrift zu einer Stütze des Dejpotismus zu 
machen, und man muß geftehen, daß das deut: 
ſche Luthertum darin die Mutterfirche übertraf. 
Noch im laufenden Jahrhundert wurden mächtige 
unmoralijche Kräfte von außen gegen Deutjd): 
land in Bewegung geſetzt. jede Heinere deut: 
ſche Reſidenz wurde der Schauplatz ruſſiſcher 
Intrigue, die ſchlimmer als die franzöſiſche war, 
weil ſie nur rohe Gewalt darſtellte.“ White 
ſelbſt wohnte einer Scene im Winterpalaſte 
bei, wo der vorige ruſſiſche Kaiſer bei ſeinem 
Regierungsantritte, als der Krimkrieg ſich in die 
Länge zog, den öſterreichiſchen und den preußi— 
ſchen Geſandten anfuhr, wie ein gekränkter 
Schulmeiſter ungehorſame Schulbuben. 

Das hat ſich gar ſehr geändert, und zwar 
auch zur inneren Ehre Deutſchlands. „Auch 


Ein amerifanifches Urteil über Deutichland. 


andere Völker,“ jagt White, „haben fih den 
Weg zur Größe erfämpfen müfjen, aber Deutſch— 
lands Kampf iſt bei weitem der längite und 
prüfungsreichite geweſen. Die Schwierigkeiten 
und Gefahren, die Deutſchland bedrohten, 
waren nicht nur materieller und friegerifcher, 
jondern aud) geiftiger, fittlicher und jocialer Art. 
Deutfchland, das ſich in jenem langen Kampfe — 
jeiner Hauptthat in der Gegenwart und auf 





Jahrhunderte hinaus — entwidelt hat, gleicht | 


einem ftarfen, gefunden Manne, der alle in ihm 
Ihlummernden Kräfte im Kampfe mit Hemm: 
niffen und Gefahren entfaltet.” In der That, 
es darf ſich feiner Gefundheit rühmen im Hin: 
blide auf die greuliche irische Not, für welche der 
brutale Engländer feine Arznei weiß, auf das 
noch immer fiebernde Rußland, auf Frankreich, 
das in einer Art fittlichen Niederganges begriffen 
ſcheint. 
Deutſche umgrenzen, nehmen an ſeiner ruhigen 
Lebensluft teil. Aber wahrlih, an ernſteren 
Gefahren fehlt es durchaus nicht. Im vorigen 
Jahre, als der Fürft von Bulgarien das ruſſi— 
iche Joch abjchüttelte, war auf ein Haar der 
allgemeine Kriegsfall gegeben, und troß aller 
Friedensſehnſucht und Friedensgewißheit, troß 
höchſter Klugheit des Hauptes, welches all die 
europätichen Verſchlingungen überfchaut, könn— 
ten plößlich furchtbare Anforderungen an jeden 
Mann in Deutſchland herantreten. Vor ein 


paar Tagen jchrieb id einem Freunde ins | 


Stammbud: 
Zwei Weiber an der Seite, 
Die wütend Rache ſchrei'n, 
Tüdbolde im Geleite, 
Die finfter ſchauen drein: 
So, Deutiher! mußt du jchreiten 
Ins neue Jahr hinein, 
Kein Gott dir hilft zum Streiten, 
Als Kraft und Recht allein. 


Zum Glüd haben wir ein Heer von andert: 
halb Millionen, von denen jeder Mann völlig 
auögebildet ift und jeder genau weiß, was er 
zu thun hat. 


AL die Heineren Reiche, welche das | 





1 


„Ich hatte,” erwähnt White, | 


„bei den großen Revuen das Glüd, mit den | 


erjten militärischen Bertretern verjchiedener eu: 
ropäiſcher Mächte zu fprechen, und fie alle er: 
fannten an, daß fein anderes Heer der Gegen: 
wart in jo hohem Grade die Eigenfchaften eines 
riefigen lebendigen Organismus zeige, der von 
patriotiſchem Vertrauen erfüllt, feinem Haupte 
gehordht, wie die Glieder des menſchlichen Kör— 
pers dem Gehirn.“ 





Er bewundert, wie wirt: | 


5 


ſchaftlich dieſe gewaltige Schöpfung durchgeführt 
jei, fo daß die direkten Koften im Jahre nur 
400 Millionen Mark betrügen, während die 
tleine englifhe Armee 320 fofte. Gegenüber 
der Thatjache, daß in den amerikanischen Groß: 
jtädten (und wohl aud) in vielen anderen) „eine 
Klaſſe von Söhnen reicher Leute aufwächſt, die 
ichläfrig, verderbt, hohl und unfähig für alle 
Thätigkeit, ohne Sinn für Wiſſenſchaft, Littera— 
tur und Kunft find und gar nicht den Vorjat 
oder Wunſch haben, irgend etwas zu thun oder 
zu werden,” ift das deutſche Heer eine Hoch— 
ſchule männlicher Tugenden und gewährt jchon 
durch ſich felbjt eine Laufbahn. „Hiermit hängt 
eine der größten Ueberraſchungen für den rem: 
den, der die deutjche Gefellihaft erjt Fennen 
lernt, zufammen. Er geht zu Hofe oder irgend 
einer anderen glänzenden Verſammlung und ſieht 
die jungen Leute in ftrahlenden Uniformen ſich 
bis Mitternacht im Tanze drehen, anjcheinend 
unfähig zu ernſter Beichäftigung. Und wenn 
er am nächſten Morgen fpazieren geht, fieht er 
diefelben Leute ftaub: und ſchweißbedeckt ihre 
Truppen vom Morgendienft zurüdführen.” Nur 
der Anblid diefer gewaltigen Heeresmadt ver: 
hindert, daß den guten Deutichen in Ungarn 
und Siebenbürgen, in Rußland und jeßt aud) 
in — ganz Defterreid nicht noch ärger mitge: 
jpielt wird. Daß die niedrige Verfolgung, die 
unfere Landsleute nad) unjern großen Siegen, 
freilich auch infolge derjelben, in jenen Län— 
dern erleiden, eine Schmad) für die Nation find, 
hat unfer amerifanifcher Freund nicht erwähnt. 

Und wenn er von dem hohen Eindrud jpricht, 
welchen jeder denkende Bejucher von der Feſtig— 
feit, Unabhängigkeit und Würde des Deutfchen 
Neichstages gewinne, hätte erhinzufegen können, 
daf in feinem anderen Lande Männer und Par: 
teien möglich wären, die aus Eitelfeit oder Ver: 
bifjenheit oder politifchem Unverjtand fo frevel- 
haft die notwendigen Bedingungen unferer 
Stellung befritteln und befämpfen. 

An unferem ehrwürdigen Heldenfaifer findet 
White befonders eigentümlid drei große Cha: 
rafterzüge: Schärfe des Blides-in der Beurtei- 
lung militärischer und ſtaatsmänniſcher Genies, 
treues Felthalten an ihnen troß aller Oppo— 
jition, hohes Vflichtgefühl gegen den Staat. 
„Kein Zebender hat durch jeinen Charakter und 
jeine Handlungen foviel dazu beigetragen, die 
demofratijhe Zeititrömung zu befiegen, als der 
Deutſche Kaiſer.“ 


6 M, Kaltenmofer, 


Von Bismard heit es unter anderem: 
„Indem er die ungeredhtfertigten kirchlichen 
Anfprühe, die vom Watifan ausgehen, be: 
fämpft, ftreitet er nicht bloß für Deutjchland, 
fondern für die ganze civilifierte Welt, für die 
Katholifen nicht weniger als die Proteftanten.“ 
Eigentümlih feſſelnd ift die Schilderung von 
des Neichäfanzlers Redegabe. „Wenn man 
ihn zum erjtenmal hört, fcheint er alles andere 
als ein guter Nebner zu fein. Sein mächtiger 
Körper fcheint fich vergeblich anzuftrengen, feine 
Gedanken herauszubringen. Dieſer Mann, 
defien Neden Bände füllen, fcheint anfangs an 
einem unglüdlihen Mangel an Geläufigkeit zu 
leiden. Man hört ein Keuchen und Schnaufen, 
unweſentliche Behauptungen und verwirrte Säße. 
Aber plöglic fommt ein Wort, das helles Licht 
über ein ganzes Gebiet der Politik verbreitet, 


Guter Uppetit, 


eine ganze Partei niederftredt, ein Wort, das 
fih wie ein Lauffeuer zündend durch das ganze 
Volk verbreitet. Dann folgen vielleicht einige 
lofe aneinander gereihte Erinnerungen, und 
plößlich mitten dazwiſchen eine jchlagende hijto: 
riſche Auseinanderfeßung. Darauf etwa nad) 
einer Menge weitichweifender perfönlicher Be: 
merfungen eine Reihe zwingender Schluffolge: 
rungen, die wie Blite über die Verfammlung 
dahinfahren. Und endlich erjchallt nach einem 
halb düſtern, halb mutlojen Selbſtgeſpräche eine 
donnernde Herausforderung feiner Gegner, ein 
Appell an das deutſche Volk, an das fommende 
Gejchlecht, der die ganze Berfammlung, nein — 
ganz Deutfchland mächtig erregt. In den 
Staaten der Gegenwart hat es viele Männer 
gegeben, die beredter geſprochen haben, aber 
wohl faum einen, der jo machtvoll zu reden ge: 


ein grimmiger Ausdrud, der einen Gegner oder wußt hätte.“ 





Guten Uppetit! 





Don M. KAaltenmofer. 











Der Burgberg vom Rrauiminfel aus. 


Ssine »erle 
unter den deutfhen Städten. 


Von 


Friedrich Pedt. 


enn man Deutſchland und die 
Deutſchen lieben lernen will, ſo 

muß man beide in ihren Dörfern und 

ı feinen Städten kennen lernen, bier 
faft allein find fte denen der ganzen 
Wisrehtähurg und MWafferburg Melt überlegen. Wir ziehen Jahr aus 

Jahr ein zu Taufenden nad Italien; 

und von Riva bis Nocca di Papa oder Nemi, Terracina oder Caprı find uns alle fchlechten Wirts: 
bäufer befannt. Wie wenige von uns aber haben das mitten in Deutfchland, vom ſchönen 
Dresden in einer Stunde mit der Eifenbahn, in anderthalb mit dem Dampfſchiff zu erreichende 


| 
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4 
| 

\ 

| 

















8 Friedrich Pech. 



















Meißen gejehen, das all jenen ſchmutzigen 
und finjteren Naubneitern, die nur durd) 
ihre Umgebung Intereſſe erhalten, gerade 
an echt malerischem Reize fo unendlich über: 
legen ift. Das überdies, obwohl voll von 
Zeugnifjen einer ehrwürdigen Vorzeit, den- 
noch heute blühender und jchöner ift als je, 
aljo den wohlthuenden Eindrud vollfom 
menjter Harmonie des Einſt mit dem Jetzt 
macht, während jene uns nichts als die 
verkommenen Nejte einer glanzvollen, mit 
der unſäglich armjeligen Gegenwart im 
traurigiten Kontraſt ftehenden Vergangen 
heit zu bieten haben. Ich fannte einmal 


Eübieite ber Etadt, vom Nubenberg aus geſeben. 
Weftieite bes Gisthala, von der Vooſchwitzer Höhe aus geichen, 





eine adlige Dame aus der Marf, Die jich nicht wenig 
Darauf zu aute that, daß jteben ihrer Ahnen als 
Schnapphähne gelungen worden ſeien, und es kann 
ja nicht beſtritten werden, daß der Galgen eine in ihrer Art 
auch erhebende Erinnerung ſei. Jedenfalls it fie die ein 
zige, welche die gegenwärtigen Einwohner jener italtenischen 
Neſtchen mit ihren alorreihen Vätern verbindet, Wenn 
uns aber felbit die kühnſte Nomantif in Italien uber den 
Schmutz und die Berlommenbeit der Gegenwart höchſtens 
in den großen Städten wie Venedig, Nom und Florenz hin 
wegzutragen vernag, jo kann fie Dies auf Dem Yande, in 
den Dörfern und Städtchen unmöglich mehr, während ac 
vade fie unfer Stolz find. 
Nirgends ıjt dieſer Stolz aber beſſer gerechtfertiat, als 
in dem lieblichen Meissen, Diefer Perle, von der man nun 
Cftleite. vom Ruhboc aus geichen bedauern muß, daß fie nicht am Arno, ſtatt an der Elbe 
lieat, da dann Die Deutichen unzweifelhaft zu Tauſenden 
hinwalliahrten und jich von gierigen Gaſtwirten prellen lajlen wirden, um ſie zu jehen, was 
ihnen jest gar nicht einfällt. Doc ich will ja hier nicht tief eingewurzelte nationale Schwächen 
belämpfen, fondern lieber in Verbindung mit unferen Bildern verfuchen, wenigſtens annähernd 


1 


Eine Perle unter den deutichen Städten. 9 


einen Begriff von dem zu geben, mas gerade 
diefes Städtchen fo bezaubernd macht, obwohl 
es ſehr ſchwer ift, das feitzuhalten, wo Natur 
und Gejchichte, Volkscharalter und Fürſten— 
gunft, Zufall und Abficht fo eigentümlich zufam: 
mengewirkt, um diejes einzige Ganze zu bilden. 


















Der arohe Oohlweg 


Am beiten thut man, in Dresden eines 
der jtündlich fahrenden Danıpfboote zu be 
jteigen, um den lieblichen Ort zu erreichen. 
Da fieht man denn bald die Höhen des 
mit einem Wald von DObftbäumen und 
malerischen Dörfern dicht beſetzten linken Ufers 
des Stromes ſich mehr und mehr nähern, wäh 
rend zur Nechten die Weinberge der Dresdener 
Villen = Vorftadt Lößnitz noch entfernt herab: 
grüßen. Nah anderthalbjtündiger Fahrt auf 
dem ſich jo behaglich herum windenden Strome, 
der offenbar nur zögernd ſich entſchließt, dieſes 
üppige Gelände zu verlaffen, verengt ſich das 





ı 
f 
| 


! 


Thal, die jet mit herrlichen Wäldern und ſtolzen 
Burgen gefrönten fteiler gewordenen Höhen der 
linfen Seite, die nunmehr dicht an den Strom 
herangetreten find, öffnen fi hier einem vom 
Erzgebirge herfommenden, tief in fie eingerijje: 
nen Thal, um auf der anderen Seite des das: 
jelbe durchſtrömenden Flüß— 
chens alsbald wieder ſich zu 
einem kühn emporſteigenden 
iſolierten Felſen zuzuſpitzen, 
der gekrönt von einem ſtolzen 
Schloß, der berühmten Al— 
brechtsburg, und dem Dome 
von Meißen nur durch eine 
überaus maleriiche Brüde mit 
dem weiter hinten liegenden 
Zt. Afraberge verbunden ift. 
In der zwiichen dieſen ver: 
jhiedenen Höhen gebildeten 
Mulde lieat nun die Stadt 
jelber be: 
haglich 
hinein: 
gebettet, 
klettert 
aber auf 
allen Sei— 
ten ſo keck 
die ſteilen 
Abhänge 
hinan, daß 
die Häufer 
einander 
oft ebenjo 
auf den 
Köpfen zu 
ſtehen 
ſcheinen, 
wie nur je 
in Amalfi. 
Das iſt 
nun aber 
um jo ma: 
leriſcher, 
als auf dem gegenüber liegenden rechten Ufer der 
Elbe die Berge hier auf einmal auch ſo dicht an 
den Strom getreten ſind, daß man wohl an— 
nehmen kann, ſie ſeien einmal mit dem Schloß— 
berg vereint geweſen und irgend eine Erdrevo— 
lution habe ſie erſt ſpäter geſprengt und dem 
Strom freie Bahn geſchaffen. Wie dieſer von 
zwei maleriſchen Brücken überwölbt, mit Schiffen 
> 


“ 


Portal am Friedhoſe ber Stabikirde. 


10 


aller Art belebt, die Schlöffer und Kirchen, 
Klöfter und Stifter, Felfen und Wälder der 
teilen Ufer wiederfpiegelt, gibt das eine ganz 
einzige Scene. Denn nicht nur find das fürftliche 
Schloß und der Dom, welche die ganze Um: 




















Inneres bon Santa 
Ara 


gebung beherr— 
schen, an ſich ſchon 
hochintereſſante, 
ebenſo kühne als 
majeſtätiſche Bau 
werke, ſondern al: 
les andere ſchließt 
ſich ihnen auch ſo 
überaus harmo— 
niſch an, um uns die Entſtehungs 
geſchichte des Ortes während eines 
halben Jahrtauſends mindeſtens bis 
in die friſcheſte Gegenwart hinein 
leicht erraten zu laſſen. Entſtammen Schloß und 
Dom der gotiſchen Periode, fo gehört das Städt— 
chen felber größtenteils jener der Nenaifjance, ein 
weiterer Teil dem Notofo an. Die Gegenwart 
jeit 1870 aber zeigt dann wiederum den Beginn 
einer neuen Phaſe voll unermüdlicher Thätigfeit 
und daraus folgenden behaglichen Wohlftandes, 


Eanta Wfra, 







Friedrich Pecht. 


der fich überdies in all diefen Bauperioden durd) | 
eine auffallende Verzierungaluft äußerte. Faſt 
jedes Haus zeigt davon die Spuren durch reich 
gejchnigte Thüren, zierlihe Erker, köſtlich ge: 
ihmiedete Gitter, reizend verfchnörfelte Giebel, 
dazwischen die anmutigften Gärtchen, aus denen 
die frucdhtbeladenen Bäume ihre Aeſte voll Uep— 
pigfeit über die Mauern hinüber hängen ; jedes 
Fenſter hat fein Blumenbrett mit Rofen: und 
Veranienftöden und, was nicht am wenigſten 
anzichend, mit neugierig forfchenden, hübfchen 
Mädchengeſichtern dahinter. Denn auch die 
Meifnerinnen felber, nicht nur ihre Stadt, ge: 


nießen eines klaſſiſchen Nufes der Anmut. Sicher: 


lich wird fie nicht dadurch gemindert, daß die 
Vorhänge, zwiſchen denen fie euch nachſehen, 
ebenfo blendend weiß find als ihre eigene Wäſche. 
Ueberhaupt ift vom italieniſchen inneren und 
äußeren Schmuß hier feine Spur zu finden, 
alles atmet deutſche Zucht und Ehrbarfeit, un: 
ermüdlichen Fleiß und die regſte Betriebjamtfeit ; 
da hämmert und klopft, fägt und 
hobelt eö den ganzen Tag, niemand 
geht müßig und felbjt die ganz nad) 
altdeutjcher Art mit zierlihen Gelän- 
dern geihmüdten Freitreppen vor 
den Hausthüren zeigen uns nur 
itridende oder nähende Frauen und 
Mädchen auf den fteinernen Bänfen 
nebenan. Selbſt der blondlodigen 
und blauäugigen Kinder rofig blühende 
Geſichter unterſcheiden fih von den 
weljchen Lockenköpfen bejonders da— 
durh, daß fie rein gewaſchen und 
ſchön „geitrählt” find. Hier in diefen 
unter Blumen und Blüten, Wein: 
geländern und Jasminhecken ganz ver: 
jtedten, lujtig den Berg hinauf klet— 
ternden Häuschen, auf den mit rei: 
chen Brunnen, mit Statuen der alten 
Marfgrafen und einem ganz modernen 
Siegesdenkmal von 1870 geſchmück— 
ten, jo unendlich malerischen lägen, 
in den behaglich gewundenen fteilen 
Gäßchen und Treppen, wo man überall 
durch die reich verzierten Thore, in die reinlichen 
Höfe, die fpiegelblanfen Fenfter und die in 
Blumenfülle prangenden Gärtchen die reizendften 
Blide hat, wird der Maler auf Schritt und Tritt 
unmiderftehlich gereizt zum Zeichnen nieberzu: 
figen. Um fo mehr als er bald hoch oben die 


— 
— 


ſtolzen Zinnen und Galerieen der Schlöſſer und 


Eine Perle unter den deutichen Städten. 11 


Kirchen herabblicken ſieht oder tief unter ſich den 
reich belebten mächtigen Strom zwiſchen Thür— 
men und Dächern, Treppengiebeln und Kaminen 
heraufblitzend gewahrt. Ueberall aber begrüßt 
uns ein ſtill beglücktes und befriedigtes Daſein 
mit ſeinen ſauren Wochen und frohen Feſten, 
überall ſteht das blühende rührige Leben der 
Gegenwart mit der ehrwürdig ernſten Vergan— 
genheit in ſchöner Verbindung, kein unheilvoller 
Bruch trennt ſie von ihr. Hier in dieſem lachen— 
den Thal, wenn irgendwo in der Welt, meint 
man, müſſe das Glück wohnen! 

Von hier aus hat denn auch Ludwig Richter 
mit ſeinen Bildern des deutſchen kleinbürgerlichen 
Lebens die halbe Welt entzückt, 
hier hat er alle feine Inſpiratio— 
nen geholt, die roſigen Kinder 
und drallen Mädchen, die flot: 
ten Burſche 
und wunder: 
lichen, unüber⸗ 
trefflichen al: 
ten Philiſter 
geſehen, mit 
denen er uns 

Jahrzehnte 
lang ſo köſtlich 
unterhielt. In 
Dresden ge: 
boren und zum 
Künftler ge: 
bildet, war er 
erſt mehrere 
Jahre in Sta: 
lien gewejen, 
ohne irgend: 
wo einen red): 
ten Stoff für 
ſich finden zu 
fünnen, malte 
aber eigenfin: 
nigitalieniſche 
Landſchaften 
und Figuren wie andere vor ihm, ohne viel Glück 
damit zu machen. Zurückgekehrt erhielt er die 
Stelle als Zeichenlehrer an der altberühmten 
Porzellanfabrik und heiratete nun auch ſofort. 
Da, im jungen Familienglück inmitten dieſes Pa— 
radieſes, ging ihm nun erſt ſeine wahre Aufgabe 
auf, die er in Welſchland vergeblich geſucht! Auf 
ſtillen Spaziergängen in die dicht verwachſenen 
Thäler hinein, dem Bach entlang, zwiſchen den 


SE N nr — * 
— * 
——— 
* 
— 


FE NM 


in Blüten faft erftidenden Gärtchen und ben 
Meinbergen zum Schloß hinan, da entdedte er 
endlich jene Welt voll Schönheit, die er bisher 
achtlos Liegen gelaffen, wie Taufende von Deut: 
ſchen vor ihm das Ideal in blauer Ferne juchend, 
ohne es jemals zu erhafchen. Denn nirgends auf 
der ganzen 
weiten Erde 
wird man eö 
ihöner be: 
währt fin: 
den, daß tiefe 
keit, Herzens: 
wärme und 
innere Zu: 
friedenheit 
ſich auf 
Schritt und 
Tritt, in al: 
lem und je: 
dem fo wohl: 
thuend aus: 
prägen mie 
bier in bie: 
jem beim: 
lihen deut: 
jhen Eden. 
Hier lernte 
Richter den 
Schatz von 
Ehrlichkeit 
und Fleiß, 
von Unſchuld 
und Ehrbar: 
feit, Treue 
und Beſchei⸗ 
denheit, die 
unfer Bolt 
befitt, für 
die Kunſt 
verwerten 
und der Na: 
tion durch feine harmloſen Bilder wieder Freude 
an der eigenen Exiſtenz, an der eigenen fchönen 
Heimat beibringen. Das war das Geheimnis 
jeines unermeßlichen Erfolgs! 

Nas die Nichterichen Bilder dann befonders 
jo auszeichnet, jene Bejeelung der ganzen Yand: 
ihaft, ja ihre vollfommene Umgeftaltung durch 
die fie bemohnenden Menſchen und Tiere und 
deren inniges Verwachſenſein mit derjelben, das 















Ser Wartturm am Seelenſteg. 


Sriedrich 


12 






* 


— 


* 


— 
2 


— 
28 


— a % 
—*3 






Eingane £E 
zum Jahnagiſchen Hof e \ 


A 


hat der Meifter erit hier in volliter Schönheit 
aefehen, empfunden und mit dem Auge des 
Poeten und Malers zugleich wiedergegeben. 
Ohne die unermüdlihe Arbeit der Menschen 
wäre Meißen nichts als ein waldiges Flußthal, 
wie ed Hunderte gibt; feine eigentliche Schönheit | 
erhielt es wie Venedig erjt dur die taufend: 
jährige Thätigfeit feiner Bewohner, jie türmten 
das ftolze Schloß auf, bauten den majejtätifchen 
Dom, errichteten mit ihren frommen Gaben bie 
Klöfter und Stifter, bepflanzten mit ihren Neben 
die fteilen Höhen, verwandelten durch ihren 
Fleiß den fargen Boden in ein blühendes und 
grünendes Paradies, liegen feinen Zoll desfel: 
ben unbenußt und ungeſchmückt. 

Diejer Bienenfleiß in Verbindung mit einer 
Gemütlichkeit, die mit ihren Blumen den Fein: 
ften led verziert, die Reinlichfeit des Dafeins, 
die alles aud) fauber, zierlich und alänzend, woh— 
lig und freundlich haben will, diefes tiefe Wohl: 
wollen, das jelbit die Tiere heranlodt und im 
Winter den beftederten Sänger füttert, den der 
Italiener wegſchießt oder blendet, das den Teich 
mit Enten, die Miefe mit Blumen belebt, dem 
die Natur nicht ſtumm, fondern die liebite Ge: 
fährtin ift, der künſtleriſche Zinn, der ihre Kor: 





Pecht. 


men ſelbſt in ſeiner Baukunſt überall wiedergibt, 
Gitter und Bogen mit ihrem Laubwerk verziert, 
kurz dieſes, die Deutſchen vor allen anderen 
Völkern auszeichnende innige Verhältnis zur 
Natur, das hat Nichter zuerft in Meißen für 
die Kunſt entdedt. Er hat ihr damit unftreitig 
em aanz neues Gebiet erobert, denn alles, 
was Schon Dürer und die uns ftanmverwandten 
Niederländer nach diefer Richtung hin thaten, tft 
doch noch weit entfernt von feiner Daritellunas: 
weite. Bollends die Italiener und Franzoſen 
iind hier ganz arm, weil fie überhaupt fein 
inniacs Verhältnis zur Natur und noch weniger 
zur Tierwelt haben, beide nur vom Gejichts: 
punfte der möglichiten Ausbeutung betradten. 


RR Nur die Engländer, und auch Dieje viel fpäter 
5 als Richter und offenbar nad) jeinem Vorgang 


haben eine ähnliche Richtung zur Behandlung 
der Natur gewonnen. Mit ſeiner idyllischen Art 
der Auffaſſung hat aber Nichter befanntlich eine 
ungeheure Einwirkung auf die deutſche Malerei 
achabt, die das Feld, welches er ihr aufdedte, 
jeither nach allen Zeiten auszubeuten veritand. 
- - Das alles aber hat ihn das liebliche Meißen 
arlehrt, wo er abends vom Schloß herabiteiaend 
alle Beivohner vor den Häuſern oder im Bart: 
chen figend und arbeitend, die Kinder auf der 
Straße jpielend, die Herden heimfehrend fah, 
mit den Tauben und den Spaten auf dem Dad), 
ben Enten und Gänfen im Teich, den Hühnern 
im Hof jenes innigite, auf gegenfeitiger Freund: 
ichaft beruhende Verhältnis einging, das ſich in 
feinen Werfen jo erquidlicd wiederſpiegelt und 
das im Grunde nur der patriarchaliichen Stim— 
mung der ganzen Stadt entiprad, die dem 
Fremden eine einzige große Familie zu bilden 
ſcheint. War das fo vor fünfzig Jahren, fo iſt 
es bis heute faum viel anders geworden, wie 
man alsbald an den köſtlichen, echt altdeutſchen 
Wirtshäufern fieht. Denn elegante Hotels zur 
Abfütterung von Taufenden wie in der Schweiz 
gibt es auch heute noch nit da, obwohl die 
Stadt im legten Decennium nad allen Seiten 
hinaus mädtig gewachſen ıft. Noch vor zwei 
Jahren, als ıch fie zum letztenmal befuchte, 
war der auf dem Markte gelegene erite Gaſt— 
hof genau noch jo wie vor vierzig „Jahren, da 
ic) das eritemal in ihm gefneipt hatte. Noch 
jtund die jteinerne reitreppe, auf deren Höhe 
euch die jtattlihe Wirtin empfing und in Die 
große, braun getäfelte, echte alte Nenaifjances 
jtube führte, Noch bedienten, ftatt hochnäfiger 


Eine Perle unter den deutſchen Städten, 13 


Kellner im Frad, die anmutigen Töchter des 
Hauſes gleich ihrer Mutter damals mit fittiger 
Freundlichkeit den Gaft, und trank man den 
dunfelroten Landwein ftatt gefälichten Bordeaur 
auf ſchneeweißem Linnen. Auch hier jtand man 
ſchon nad) der erften Stunde auf fühler Terrafe 
hinten am Haufe im Angefihte des herrlichen 
Schloſſes den Kaffee trinfend mit der ganzen 
Wirts⸗ 
familie 
und allen 
Stamm: 
gäften in 
einer Art 
von 
freundlich 
wohlwol: 
lendem 
Verhält: 
nis, wie es 
eben nur 
in ſolch 
kleinem 
abjeits lie- 
genden 
Orte mög- 
lich iſt, und 
ſich ſelbſt 
in der von 
Fremden 
überfluteten ſächſiſchen Schweiz 
nirgends mehr findet. 

Die Grundlage des heutigen 
Wohlſtandes der Stadt iſt die 
weltberühmte, allein ſchon viele 
Hunderte von künſtleriſch gebil 
deten Arbeitern beſchäftigende 
Porzellanfabrik, an welcher auch 
unſer Richter angeſtellt war. 
Früher im Schloſſe einquartiert, 
wo ſie weder zur Erhaltung noch 
Verſchönerung beitrug, vielmehr deſſen völligen 
Ruin herbeizuführen drohte, wurde ſie denn auch 
endlich in ein eigenes Gebäude oberhalb der 
Stadt im ſchönen Driebiſchthal verlegt. Immer— 
hin hat ſie das Verdienſt, den gewerblichen Un— 
ternehmungsgeiſt zuſamt mit dem techniſchen 
Geſchick und der ſich am kleinſten Häuschen 
offenbarenden Verzierungsluſt in dieſer Bevöl— 
kerung geweckt zu haben. Dieſe waren es, welche 
ſie in den Stand ſetzten, alle keramiſchen Gewerbe 
mit Vorliebe zu betreiben und dabei ſowohl von 








Un ber Driebiſch 
(Das Grunertide Dans.) 


dem in der Nähe bei Aue gefundenen vortreff: 
lihen Material ald von dem großen Ruf der 
Meißener Fabrik Vorteil zu ziehen. So hat fi) 
unabhängigvonihreine Privatinduftrieentwidelt, 
die, gemöhnliches Porzellan, ganz befonders aber 
jehr zwedmäßige und gefällige Majolifaöfen 
erzeugend, ihre Produkte in die halbe Welt er: 
portiert, ihnen einen großen Ruf eroberte, da fie 
bald den Mut hatte, jelbjtichöpferifch vorzugehen. 
Beionders tit hier die Fabrik von C. Teichert 
ob ihrer trefflichen Leiſtungen zu nennen. 

Das herrlich kühn gebaute Schloß aber wurde 


| nach der Austreibung der Fabrik feit 1863 mit 


anerfen: 
nensiwer: 
tem Ge: 
ſchick re: 
ftauriert 
und feine 
zahlreichen 
prächtigen 
Säle und 
Gemächer 
von den be⸗ 
deutend⸗ 
ſten Künſt— 
lern der 
Dresdener 
Schule mit 
Wandbil⸗ 
dern, wel: 
che die Ge: 
jchichte des 
Hauſes 
Wettin 
darſtellen, 
verziert. 
Manche 
derſelben 
find jovor: 
trefflich, 
daß man die Albrechtäburg ſchon deshalb von 
Dresden aus zu bejuchen niemals verjäumen 
jollte, da fie auch in diefer Beziehung in Deutſch— 
land faum irgendwo ihresgleihen finden dürfte. 
So haben Dietrih und Kiesling, Choulant, 
Breller jr., Heinrih Hofmann, Spieß aus Mün: 
chen, ganz bejonders aber Prof. Julius Scholz 
dort überaus interefjante Geſchichtsbilder aus: 
geführt. Die zwei Säle, welde der letztere 
mit feinen Gemälden angefüllt, gehören jeden: 
falls zum Bedeutenditen, was die moderne 


Etabt- oder Frauenkirche. 


14 


deutfche Hiftorienmalerei nad) diefer Seite hin 
aeleiftet. Beſonders ijt ber Empfang eines 
Kurfürften durch die Meißener Natsherren und 
die übrige Bevölkerung, unter Voraustritt von 
Bagen u. dal., jo köſtlich wahr und individuell 
dargeftellt, hat dabei jo hohen Reiz der genial 
freien malerifchen Ausführung und des geijt- 
vollen Bortrages, daß er nad) diefer Seite hin 
wohl alles Aehnliche übertreffen möchte. 

So interejjant als das Schloß iſt auch der 
daneben ftehende, leider unvollendet gebliebene 











“au 


Waſſerburg 
Kapelle. 


Dom mit den Gräbern der alten Meikener Her: 
zoge. Vor demjelben fteht dann nod das 
Bronzemonument Albrecht des Beherzten von 
Hultzſch, eine jehr tüchtige Arbeit; auf dem Plate 
jelber aber genießt man überall die entzüdendite 
Ausfiht auf die zu unferen Füßen liegende 
Stadt und die herrliche, in der Ueberfülle der 
Vegetation oft fat eritidende Umgebung. Dem 
Schloßberg gegenüber und mit ihm durd die 
auf unjerem Bilde dargeitellte malerische Brüde 
verbunden, liegt der St. Afraberg, welcher die 
hübſche gotische Kirche diejer Heiligen und das 
Gebäude der einjt jo berühmten Fürftenfchule 
trägt. 1543 gegründet, hat fie Gellert, Nabener 
und Lefjing unter ihren Schülern gezählt und 
genieht aud heute noch eines quten Rufes. 
Der zwölfjährige Leſſing fam am 21. Juni 1741 





©t. Wolfgane. 





Friedrich Pecht. 


dahin und lebte ſo gerne da, daß er ſpäter die 
Jahre, die er in Meißen zugebracht, ſür die ein— 
zigen glücklichen erklärte, die er in ſeinem Leben 
überhaupt genoſſen. Hier fing er denn auch zu— 
erſt an zu dichten! Wer möchte ſich den Knaben 
Leſſing nicht gerne in dieſe ſo maleriſche als hoch— 
poetiſche Umgebung denken, die ſeiner Dichter: 
phantaſie die reichſte Nahrung bot, vor allen 
Dingen jene Vaterlandsliebe in dem jungen 
Menſchen nähren mußte, die den ſpäteren Leſſing 
in ſo hohem Grade und ſo wohlthuend auszeich— 
net. — Kunſt und Natur, die Geſchichte ſeiner 
Nation und ihre Gegenwart mußten ihm hier 
immer noch am eheſten wohlthuende Eindrücke 


hinterlaſſen, wo alles ſo harmoniſch und orga— 


niſch ſich entwickelt hat, wo er 
die Tugenden ſeines Volkes im 
beſten und ſeine Fehler im milde— 
ſten Lichte ſehen, 
ſich daher auch am 
eheſten zu jenem 
furchtloſen Käm— 
pfer für dasſelbe 
ausbilden konnte, 
der er geworden. 
Hier träumte er ſo— 
gar von einem gol⸗ 
denen Zeitalter, 
das die Menſchen 
ſich ſofort verſchaf⸗ 
fen könnten, wenn 
ſie nur wollten! 
Wie dürfte man 
da zweifeln, daß zu 
dieſem Glücksge— 
fühl die herrliche Umgebung, in der er lebte, 
nicht am wenigſten beitrug? Als er die Schule 
nach fünf Jahren endlich verließ, war denn auch 
der junge Held fertig. 

Drüben überm Thale nach Oſten zu ſieht man 
dann das ſchöne Schloß Siebeneichen und weiter: 
hin noch eine wahre Ueberfülle uralter Klöfter, 
Kirchen und Kapellen ſowohl als neu entſtan— 
dener Schlöffer und Villen, Fabriken und ge: 
werblidher Anlagen aller Art, fo daß man wohl 
fagen kann, daß fich eine in ihrer Art hodhadht: 
bare, ja glänzende Vergangenheit nirgends orga— 
nijcher und wohlthuender mit der thätigen und 
tüchtigen, fröhlich blühenden Gegenwart ver: 
binde. — Daß die leitende Rolle aber, die da 
einft die Herren Markgrafen und der Adel famt 
Klerus, dann fpäter die Gelehrten der Schule 





Eine Perle unter den deutjchen Städten. 1 5 


fpielten, heute an den unterm Schuße des ange: 
ftammten Frürftenhaufes fröhlich aufftrebenden 
Bürgerftand mit feinen Bewerben übergegangen 
it, das dürfte fiherlih als fein Nachteil zu be: 
trachten fein. 

Meißens Umgebung ift felbftverftändlicd) 
überreih an den reizendſten Spaziergängen. 
Einer der ſchönſten 
ift aber der längs des 

Driebiſchflüßchens 
hinauf bis in das 
etwa eine halbe 
Stunde entfernte 
Buſchbad. E3 iſt das 
ein Weg, wie man 
ihn fich in feiner ent: 
züdenden Waldein— 
ſamkeit nicht Schöner 
denfen Tann und 
wie ihn nur Viktor 
Scheffel in all feinem 
Reiz zu Schildern ver: 
möchte. Für mid) 
fnüpft ſich aber eine bejonders rührende und 
erhebende Erinnerung an denjelben, die mir das 
einfadhe unter Maldbäumen verjtedte Haus un: 
vergeßlich macht, wo man weit und breit nichts 
hört als den Gefang der Vögel, nichts atmet 
ala Waldes- und Blumenduft. Denn dort be: 





Der Meine Hohlweg. 





Dichterlingen, die ich perfönlich fennen gelernt, 
hat aber nie mehr einer, jelbjt Wilbrandt in 
feiner Jugend nicht, fo fehr den Poeten ſchon 
in feinem Aeußeren ausgejprochen, vorab einen 
jo wunderfhönen Dichterfopf gehabt als diefer. 
Noch habe ih vor mir an der Wand hängend 
feine Totenmaske, und felbjt dieſe zeigt jo ſehr 
den geborenen Bar: 
den, daß man jofort 
meint, fie müjle die 
Züge des Walter 
von der Vogelweide 
oder des Gottfried 
von Straßburg wie: 
dergeben. Dabei war 
ihm eine Gabe der 
Nede verliehen, daß 
er den Hörer unmill: 
fürlih mit fortriß, 
ihm Thränen in die 
Augenloden ober ihn 
lächeln machen, ihm 
atemlofe Beflom: 
menheit oder die helle Freude einflögen konnte, 
uns im Handumdrehen neue fremde Welten vor 
die Seele zauberte, daß man wie beraufcht von 
ihm wegging. Man ftaunte nur, wo der in 
einem thüringiihen Städtchen aufgewachſene, 
fajt immer in größter Armut lebende junge 


ſuchte ich einjt vor mehr als dreikig fahren den | Mann dieſe tiefe Menjchenkenntnis, dieſen 
jo hochbe— Reichtum 
gabten als von Ideen 
unglüd: her hatte! 
lichen Did): Wenn ir: 
ter Otto gendwo, 
Ludwig, lernte man 
der in die— bei ihm, an 
fer verſteck— Inſpiration 
ten, grünen an den 
Wildnis Seherberuf 
Geneſung des Dich— 
von ſchwe⸗ . ter3 glau- 
rem Leiden Tas Klofter zum Heiligen Areny. ben. Und 
gefucht diefe herr: 


hatte, das den damals noch herrlich kräftig aus- 
jehenden Mann wenige Jahre jpäter zu jeinem 
eigenen Schatten machen jollte. In jener Zeit 
aber war der Dichter des „Erbförſters“ noch 
voll Hoffnung auf Heilung und voller Pläne 
für eine große Zukunft, die ihm ja unzweifel- 
haft bevorjtand, wenn er gejund geblieben wäre. 
Unter den vielen echten Poeten und noch mehr 


liche Kraft hat die Natur gleichgültig zu Grunde 
gehen lajjen! Da fteht man vor dunfeln Rät— 
feln, die uns nichts fo wünſchenswert machen 
als ſolch friedlich ftille und ſüße Beſchränkung, 
wie fte die Heine enge Welt noch bietet, in die 
den Leſer einzuführen ſich Zeichner und Schrift: 
ftellev vereint bemüht, um ihm zu zeigen, wie 
hier der Fuß überall geweihten Boden betritt. 


16 


Nuguſt Beder. 


Sleonore 
Roman von Auguſt Beker. 


Erfles Buch: Der Kandelaber. 
1. 


n Trift und Dorfanger vorüber, 
Forſt und Heide entlang, brauft 
im weiten Flachland, aus wel: 





der Kartoffelfeuer fteigt, von 
Norden heran ein Schnellzug der Hauptſtadt zu 
und rollt, zwiſchen der = unjcheinbaren Anfängen 
jeine Haft mäßigend, in die Bahnhalle, um feine 
Menſchenfracht auf den eben nod) leer und ftill 
gewejenen Perron abzufegen. 


chem rechts und linfs der Naud 


Rolt zum Dünenfand, 
Weilt die ſchönſte Frau, 
Blidt jo hoch und hebr, 
Wenn die Möwe fliegt 
Ueber das weite Meer, 
Das im Traum — — 


Und nun,“ unterbrach er fic) plötzlich ſelbſt, 
als er des Schutzmanns anfichtig ward, der unter 


‚ der Inſchrift orders for cabs an der Ausgangs: 


Es war genau jechs Uhr abends, die Herbft: 


fonne hinter den Föhrenwäldern des Horizonts 
bereits hinunter. 
Mährend die Ausfteigenden in buntem Ge- 


 wimmel dem Ausgang zudrängen, fcheint einer 


derjelben, deſſen ausdrudsvolles blondbärtiges 
Haupt merklich über das Niveau der Maſſe ragt, 


wenig oder gar feine Eile zu haben. Beſchaulich 
verweilend, doc) feineswegs träge, gleitet fein | 


Blid, wenn auch vergeblich, nad) irgend welchem 
befannten Gejicht umher. Dann treibt er ſelbſt 
achtlos im Gewühl an der Tafel vorüber, die 
vor Tajchendieben warnt, und fummt dabei un: 
bewußt vor ſich hin, als ob irgend eine Erinne- 
rung oder Stimmung ummillfürlich in ihm nad): 


| 





flinge — laut genug, daß einige Nachbarinnen | 
im Gedränge nicht bloß die eigenartige, vom | 


Grundton in die Dftave fpringende Weife, fon- 
dern felbjt den Tert vernehmlich unterjcheiden 
fonnten. 

Der Fremde im dunfeln Reifegewand und 
hellem Filzhute, ein junger ftattliher Mann 
von etwa dreißig oder zweiunddreißig Jahren 
und dijtinguiertem, aber nichts weniger als 
ftugerhaftem Aeußern, fummte in feiner Selbft: 
vergefienheit nämlich alſo vor fich hin: 

„An der Oſtſee Strand, 
Wo die Woge blau 


| 





thüre ftand, „antworte du mir, Orakel, bejahend! 
Gerad' oder ungerad'!“ Und an den Unifor: 
mierten fich wendend fügte er mit gelaſſener 
Verjtändlichfeit hinzu: „Haben Sie die Ge: 
wogenheit !* 

Der Angeſprochene löfte eine Blechmarke 
von feiner Schnur und reichte fie dem Neifenden 
dar. Als diefer einen Blid auf die Ziffer warf, 
welche ihm eine der draußen haltenden Drofchten 
ficherte, runzelten fi merklich feine Brauen. 

„Schlechte Nummer!“ dachte er überlaut, 
Marke und Reifetafche einem der bereitſtehenden 
Gepädträger überliefernd. 

„Bitte, mein Herr,“ bemerkte diejer ehr— 
erbietig, „die Nummer tft nicht fchlechter als 
eine andere, und fo gut als irgend eine.” 

„Das wird fich zeigen. Wo bleibt die 
Droſchke?“ 

„Hundertſiebenunddreißig!“ rief der Mann 
hinaus, worauf der Wagen alsbald vorfuhr. 
„Sonſt kein Gepäck, mein Herr?“ 

„Nein!“ ſagte der Fremde kurz, reichte 
unter der gewöhnlichen Klage des Kutſchers 
über Zeitverſäumnis dem Gepäckträger ſeinen 
Lohn und ſtieg ein. Nachdem er noch als Ziel 
eines der eleganten Hotels unter den Linden 
genannt hatte, ging es in gemächlichem Drofch: 
fentrab an den Werkjtätten des „Voigtlandes“ 
vorüber durch das Oranienburger Thor in die 
Unabfehbarfeit einer Straßenperfpeftive hinein, 
welche bereits im gedämpften Licht des ſchwin— 
denden Tages lag. Wo einmündende Gaſſen 
den Blick weitwärts frei fießen, blidte der braun: 


Eleonore. 


rote Dämmerglanz des Herbitabends auf das 
Straßenleben herein. 

Unberührt davon fuhr der Fremde dahin. 
Das Drafel, obwohl eigentlih nur im Scherz 
angerufen, hatte ihn etwas verftimmt, da es ſich 
feinen Angelegenheiten während eines kurzen 
Aufenthaltes in der Hauptjtadt nicht günftig er: 
wiejen. Als er jedoch auf der nächſten Brüde 
von feinem Drofchfenfise aus den Anblid des 
weithin warm angeleucdhteten Flußipiegels mit 
Frachtſchiffen und Kähnen genoß, fchienen die 
Erinnerungen, die den Grund feiner Seele 
füllten, fo lebhaft angeregt, daß fie auch den 
leichten Unmut über die ungerade Nummer zu 
dämpfen vermochten. Denn wieder fang er leije 
vor ſich hin: 

„Ihrer Adern Gut 
Kühlt die weiche Flut, 
Die jo wunderbar 

Perlt vom Lodenhaar, 
Wenn dem Meer entjteigt 
Der gejchmeid'ge Fuß 
Und ihr Haupt ſich neigt 
Zum erfehnten Gruß.” 

Co fic feiner Stimmung überlaffend, ver: 
fanf er tief in Träumereien und wurde e3 faum 
gewahr, daß jein Wagen in die weite Straßen: 
anlage unter den Linden einlenfte und endlich 
vor dem Eingang eines palaftartigen Gebäudes 

ielt. 
ü „Ad, ein einzigmal, 
Daß ich fie gejeh'n, 
Nun ift mir zur Dual —“ 

„Wir find an Ort und Stelle,” unterbrach 
jegt der Kutjcher den Träumenden, der auf: 
Ihredend fein gemohntes Abjteigquartier er: 
fannte. Er zahlte feine Droſchke und ftieg aus. 

„Sind meine Koffer angefommen ?" fragte 
er einen hübfchen jungen Mann mit wohlfrifier: 
tem, glänzend ſchwarzem Haupthaar, der ihm 
aus der Droſchke geholfen hatte. 

So höflich als vorfichtig erkundigte fich diefer, 
wen man zu empfangen die Ehre habe. Ohne 
weiteres ward ihm Expreßſchein und Adreſſe 
hingereicht. 

„Jawohl, Herr Doktor, gewiß!“ ließ ſich 
jetzt nach einem flüchtigen Blick in die Karte der 
junge Mann freundlichſt vernehmen und griff 
zuvorkommend ſelbſt nach der Reiſetaſche. „Alles 
Gepäck ſchon auf Ihrem Zimmer, Herr Doktor!“ 
ſetzte er verbindlichſt hinzu. „Alles beſorgt!“ 

„Gut,“ bemerkte der Reiſende, indes man 
an der Portierſtube vorüber die Treppe hinan 


wegte Jungfrau erſchien. 


17 


in einen Vorraum gelangte, wo durch hohe 
Fenſter noch genügende Helle in das Innere des 
Gaſthofs fiel, während die weiterhin ſich aus: 
dehnenden Räumlichkeiten fchon ſtark umfchattet 
oder doch bereits im unficheren Zwielicht lagen. 
„Ich bringe einigen Appetit mit,“ fette er hinzu. 
„Was gibt’3 zu jo ungelegener Stunde?“ 

Während der Kellner dienjtbefliffen nad 
Wein: und Speifefarte lief, fah fi) der Ange: 
langte gleihmütig um, ließ den Blid in die 
anjtogenden Räume jchweifen, über das par: 
fettierte Foyer hin nad) den Salons, die, durch 
Kolonnaden geſchieden, hinter Glaswänden fid) 
ausdehnten und wie gewöhnlich zu diefer Abend: 
ſtunde, furz nad) der Haupttafel, wenig bejucht, 
ja anfcheinend völlig leer waren. 

Soviel in der Dämmerung zu bemerken 
war — man hatte ſich im Hotel noch nicht be: 
müßigt gefunden, die Lichter anzuzünden — 
befand fich hier noch alles im früheren Zuftande; 
feine nennenswerte Veränt sung hatte jtatt: 
gefunden. Nur in der tiefen, bejchatteten Ver: 
längerung des Borfaales, die fi wie ein Korri— 
bor hinzog, fiel dem Blid etwas auf, deſſen fi) 
der ‚Fremde von vergangenen Tagen her nicht 
entjinnen fonnte — eine dunkle Figur nämlich, 
die man bei der zweifelhaften Beleuchtung im 
eriten Augenblif nad Form, Umriſſen und 
Haltung für eine junge Dame halten fonnte, 
Ihre Unbemweglichkeit fam jedoch folcher An: 
nahme nicht weiter zur Hilfe. Statuen dagegen 
pflegen aus lichtfarbigem Stoff zu fein und nicht 
zwedlos inmitten eines Hotelfoyers aufgejtellt 
zu werden. So war e3 denn eher ein großer 
Kandelaber, wie man fie zuweilen in modernen 
Gaſthöfen trifft oder auch nur ein das Dedgebält 
ftügender Pfeiler, der etwa als Träger eines 
neu angebrachten Gurtbogens im düfteren Zwie— 
liht den Schein einer menſchlichen Geftalt ge: 
wann. 

Der Fremde fühlte fi für jett nicht auf: 
gelegt, feine Beobachtung weiter zu verfolgen. 
Sleihwohl erregte es feine Teilnahme, als er 
nunmehr in der Figur eine Karyatide zu erfen- 
nen glaubte, die jedoch nicht in der leichten 
Haltung jener Gebälfträgerinnen der Karya- 
tidenhalle auf der Akropolis, fondern eher ala 
eine von der Bürde bedrüdte, fchmerzlich be- 
Irgendwo nämlich 
hatte ihn der Anblick folcher weinend dargeſtell— 
ten Mädchenfiguren einmal tief gerührt. Aber 
wo, an welchem Prahtbau? Am Louvre nicht; 

8 


18 Auguſt Beder. 


denn ba treten die Gejtalten nur als anmutiger 
bilderreiher Schmuck paarweiſe unter den Kranz: 
jteinen des Pavillongefimfes hervor. Wo nun 
denn? 

Bevor er ſich deſſen zu entfinnen vermochte, 
hatte ihm der Kellner die Speifefarte eingehän: 
digt, die er mit einem Blide überflog. 

„Ein Beefiteaf genügt für's erfte, halb 
durchbraten!“ bedeutete er. „Eine halbe Flaſche 
Moſeler nebjt Selters. Sie beziehen doch Ihren 
Mofeler aus Hußgens Lager in Trarbadh ?“ 

„Freilich!“ verficherte der Kellner aufleuch: 
tend ob der Vertrautheit mit den Gepflogen: 
heiten des Haufes. „Gewiß! Wünſchen der 
Herr Doktor auf Ihrem Zimmer zu fpeijen?“ 

„Nein, nachher hier innen,“ erwiderte der 
Fremde, nad einem Raum deutend, der fchon 
völlig im Dunkel lag, immerhin aber die Mut: 
maßung begünftigte, daß er nicht ganz leer jei. 
Machten fi doch Laute von da vernehmlich, als 
ob jemand hinter der Tafel zehre, mit Gefühl 
und Verftändnis einer Mahlzeit obliege, wenn 
aud von dem Gafte nichts zu unterfcheiden war, 
als ein leuchtender Diamant am Finger, die am 
Kragen befeitigte Serviette und eine nicht min: 
der blanke, über den Scheitel bis in den Naden 
reichende Stime. Auch ein dröhnender Ton, 
fajt wie ein Trompetenjtoß, verfündete aus der 
Dunfelheit, daß da, weil an einen Hornijten 
füglich nicht zu denken war, ein ältlicher Herr 
mit muftfalifher Anlage fein Taſchentuch ge: 
braucht haben müſſe. Wenigftens machte der 
neue Gaſt diefen Schluß. 

Vorerjt wollte der Fremde — auf feiner 
Karte ftand einfah Dr. Bruno Herbig — nad) 
den Strapazen einer Eifenbahnfahrt fich auf 
fein Zimmer zurüdziehen. Nachdem ihm nod 
der Kellner auf feine leicht hingeworfene Frage 
wegen der Karyatide im Foyer ebenjo flüchtig 
verfichert hatte, nichts von einer Karyatide zu 
wiſſen, vernüchterte fih deren Erſcheinung aud) 
für ihn. Der vermeintlihe neue Gurtbogen 
erwies ſich nur ala hochdrapierter Vorhang ; die 
Figur darunter erfchien jegt als ein großer 
Gusridon, oder vielmehr als einer jener manns⸗ 
hohen Kandelaber aus Bronzeguß, deren Form 
in ungewifjer Erleuchtung allerdings die Um: 
rifje einer nad) neuejter Mode gefleideten Dame 
ziemlich täufchend vorzufpiegeln vermag. 

Da ſolche Leuchterfolofje heutzutage in 
großen Hotels nichts Auffälliges mehr find, 
fehrte der Fremde dem Kandelaber den Rüden, 


um fih von einem furzjadigen Heinen Auf- 
wärter, der mit der Neifetafche und brennenden 
Kerzen voraneilte, vollends die Treppe hinan 
geleiten zu lafjen, während feine Gedanken zu 
Erinnerungen zurüdfehrten, die ihn jetzt zumeift 
erfüllten. 

„Auf der Dünenhöh' 

Küßt die kecke Bö 


Ihre Wangen kühn, 
Daß ſie röter blüh'n.“ 


Damit auf den erſten Treppenabſatz gelangt, 
bemerkte er bei einem Streifblicke zurück mit 
Verwunderung, daß der Gaſt des dunkeln Saales 
— klein, dick, reich gekleidet und ſehr barhäuptig 
— in das Foyer heraus und auf die Stelle 
losgeſchritten war, wo der Kandelaber ſtand, 
um ſich vor demſelben haſtig und wiederholt wie 
eine Pagode zu verbeugen und eifrig auf den— 
ſelben hinein zu ſprechen. Die raſchen Bücklinge 
vor dem bronzenen Leuchterkoloß auf dem Parkett 
des Foyers machten einen wunderlichen Eindruck. 
Einigermaßen betreten verweilte der Zuſchauer 
eine Weile, wollte ſich jedoch nicht zu lange da— 
bei aufhalten. 

„Der feiſte Glatzkopf ſcheint ſich einen Zopf 
angetrunken zu haben!“ dachte der Fremde und 
erſtieg, ohne ſich nach weiterer Erklärung des 
ſeltſamen Auftritts umzuſchauen, vor ſich hin— 
ſummend vollends die Treppe. 

„Und der Wogen Schaum 
Flockt dem ſtolzen Weib 
Weiß wie Schwanenflaum 
Um den edeln Leib.“ 

Mittlerweile hatte der kleine Kurzjack die 
Flügelthüre eines eleganten Gemaches geöffnet. 
Der Fremde zögerte jedoch einzutreten und be— 
hauptete lebhaft, das ſei nicht ſein Zimmer. 

„Doch, mein Herr, hier innen ſteht Ihr 
Gepäck,“ beteuerte der Kleine, indem er die 
Reiſetaſche einigen Koffern zugeſellte, welche 
auf einem feldſtuhlartigen Geſtell oder daneben 
auf dem Boden ſtanden. 

„Allerdings iſt dies mein Gepäck,“ er— 
widerte der Fremde unwirſch. „Indes iſt dies 
nicht mein Zimmer. Ich habe Nummer zwölf 
beſtellt, und dies iſt Nummer dreizehn.“ 

„Nummer zwölf iſt beſetzt — eine Dame 
wohnt da,“ erklärte die Kurzjacke. „Hier iſt es 
gemütlicher und freundlicher, mein Herr. Nichts 
weiter zu befehlen?“ 

„Was ſoll ich mich ärgern!“ dachte der 
Fremde, nachdem der kleine Menſch wieder 


Eleonore. 


draußen war. „Der Zufall nedt mid nun ob 
der wunderlichen abergläubiihen Anmwanblung, 
von geraden Zahlen Schidjalsgunft zu er: 
warten.“ 

Indem er die Kofferfchlüffel erprobte und, 
nachdem er alles in Ordnung gefunden, Rod 
und Weſte abwarf, um fich in der Flut des 
mächtigen Porzellanbedens auf feinem Waſch— 
tiſch Geficht und Hände zu fühlen, war aud) 
fein Unmut hinweggeſchwemmt. Raſch war die 
nötige Toilette zu Ende. Das Feniter öffnend 
lehnte er hinaus und jah über das Getriebe der 
Strafe hinweg bei finfender Nacht weitwärts, 
woher der braunrote Dämmerjchein noch durch 
die Säulen des abjhliegenden Prachtthores in 
die beginnende Dunfelheit hereinglühte. Eine 
gute Weile hielt er am offenen Fenfter. Und 
wieder fam die Stimmung zu ihrem Rechte, in 
welcher fein Geift am liebſten ſchwelgte. 

„gern am Horizont 

Zeuchtet mir ein Bild — 
Locken duntelblond, 

Augen tief und mild; 

Wie bewegte See 

Wallt des Buſens Schnee, 
Und ein Angeficht 

Winkt wie Dämmerlidt ...“ 

Magen rafjelten vorüber, und mit der 
Dunfelheit wehte empfindlid die Nachtfühle 
herein. Er achtete deſſen nit, fich feiner 
Schwelgerei in einer Erinnerung überlafjend, 
die auf Augenblide in heißes Verlangen um: 
ihlug oder fi in warme Sehnſucht auflöfte. 

„Mein Gemüt fo bang 
Schwankt nun tief bewegt, 
Algen gleih und Tang, 
Wenn die Flut ſich regt. 

Und warum, warum,“ unterbrach er ſich 
felbit, „habe ich nicht den Mut, dem Drange 
zu folgen, der glüdverheigend mich verzehrt! 
Warum Laffe ich nicht kurz entfchlofjen den Freund 
allein dahin ziehen, wo die Myrte ftill und hoch 
der Lorbeer jteht, — warum eile ich nicht zu— 
rüd — meinem Herzen nad? 

Wenn der Sehnfuht Wahn 
Mich auf Flügeln hebt, 

Daß mein Herz als Schwan 
Hin zur Dftjee ſchwebt . . .* 

Noch eine Feine Weile hing er fo ſehnſüch— 
tiger Träumerei nad. Dann raffte er fich plöß: 
lich auf, mit einem förmlichen Ruck, als rufe er 
ſich jelbit zu: Dies weiche, vergebliche Hinhängen 
an einen vorübergegangenen Traum thut nicht 


| 
| 
I 


19 


gut. Weiter! — Und genau eine Vierteljtunde 
nad feiner Ankunft im Hotel erfhien er im 
fleinen Speifefaal, der jet ebenfo hell erleuchtet 
war, wie alle übrigen Näume. Sein Beefſteak 
wurde aufgetragen, die Flaſche Mofeler und 
der Krug Selters entkorkt, und er ließ ſich's 
ichmeden. 

„Wie fommt’3,“ fragte er, als fein Mppetit 
einigermaßen geftillt war, beiläufig den vorüber: 
eilenden Kellner, „daß man nicht auch den großen 
Kandelaber draußen leuchten läßt?“ 

„Welchen Kandelaber, Herr Doktor?” fragte 
derjelbe lächelnd zurüd, indem er den gejcheitel: 
ten Kopf herfehrte. 

„Den im Foyer linfs vom Eingang.” 

„Links vom Eingang?” 

„Den mannshohen Kandelaber oder Gueri- 
don, wenn Sie wollen, aus Bronzeguß.“ 

„Da fteht weder ein Gueridon, Herr Dok— 
tor, noch ein Kandelaber aus Bronzeguß.“ 

„So mag er brongefarbig angeftrichen fein,“ 
verjegte der Gajt etwas ungeduldig, indem er 
jeinem Notizbuche den Stift entjog, um auf die 
Rückſeite der Weinkarte einige Striche zu werfen. 
„Ich meine den Kandelaber im Foyer — hier 
in dieſer Form!“ 

Der Kellner warf einen Blick auf die Zeich— 
nung — eine Figur von großer Aehnlichkeit 
mit einer nach neueſtem Geſchmacke gekleideten 
Dame. Dann ſchüttelte er den Kopf und be— 
teuerte mit verblüffter Miene: 

„Wir haben ſolchen Kandelaber nicht im 
ganzen Hauſe.“ 

„Nun denn,“ ſagte der Fremde, mit einiger 
Ungeduld ſich erhebend, „ich habe ihn bei meiner 
Ankunft doch deutlich genug geſehen.“ 

Damit trat er raſch in den Foyer hinaus 
und ſah ſich auf dem glatten Parkett um. Hier 
aber fand ſich in der That kein Kandelaber; 
dagegen ſtand in einer Ecke das Geſtell eines 
Kleiderrechens, das jedoch durchaus nicht mit 
einem Kandelaber zu verwechſeln war, obwohl 
der Kellner dieſe Möglichkeit in Betracht zog, 
worüber der Gaſt in etwas ärgerliche Stim— 
mung geriet. 

„Um da Nehnlichfeiten herauszufinden, 
müßte man die Augen eines Narren haben,“ 
äußerte er gereizt. „Ebenfogut würde ich Sie, 
mein junger Herr, mit dem Schah von Berfien 
verwechjeln oder Apollo mit Fitlipugli. Hier 
ftand er, als ih anlangte, hier an dieſer 
Stelle.“ 


2 Auguſt Beder, 


„Er?“ wiederholte der Verblüffte. „Es war 
fein Mann, Herr Doktor, es war eine Dame,” 

„Wer war eine Dame?“ 

„Die Sie hier ftehen fahen und melde 
nachmittags gleichzeitig mit dem älteren dien 
Herm anfam.“ 

„Mit welchem dien Herrn?“ 

„Demjelben, der noch im Salle a manger 
faß, da Sie jelbjt anlangten, Herr Doktor.“ 

Nun konnte er fich des kleinen diden Herrn 
mit der großen Glatze wohl entfinnen, glaubte 
fogar nad) flühtigem Erinnern, daß ihm ber: 
jelbe etwas befannt vorgefommen ſei, daß er 
ihn mindejtens jchon einmal früher gejehen 
haben müfje. Doc) erfchien ihm das jet minder 
wichtig. 

„Uber die Dame?” fragte er, „wer ift die 
Dame?“ 

Der Kellner, der noch von anderen Gäſten 
in Anſpruch genommen war, die inzwiſchen an: 
gelangt in den Sälen umherſaßen, hatte fi 
ſchon zu lange vermweilt und zog fich mit einer 
Entjhuldigung zurüd, als jeßt der Oberkellner, 
ein Herr mit hellblondem Haar und Badenbart, 
einnehmendem Weſen und ruhig vornehmer 
Haltung, hinzutrat und mit einer Berbeugung 
den fremden begrüßte, indem er fein Bedauern 
ausſprach, daß er bei deſſen Auskunft wegen 
augenblidliher Verhinderung nicht zur Stelle 
gewejen. 

„Und wer iſt die Dame?“ 

„Bitte, einen Augenblid Geduld, will gleich 
nachſehen,“ antwortete der Oberfellner willfährig 
und verbindlich, worauf fein blondes Haupt in 
der Portierjtube verſchwand, um gleich darauf 
wieder aufzutaudhen, „Bedaure ſehr,“ ſprach 
er in feiner gelafjenen und milden Weiſe, „weder 
die Dame noch der Herr haben fich bis jett ein: 
geichrieben.* 

„Iſt fie noch jung?* erfundigte fi der 
Fremde jest, gleihjam nur beiläufig. 

„Eine noch junge und ſehr hübjche Dame.” 

„Hochgewachſen?“ 

„D ja.“ 

„Blond ?* 

„Doch nicht.“ 

„Ich meine dunfelblond.“ 

„Aber jehr dunfelblond,* erwiderte der 
Dberfellner noch immer mit einiger Zurüd: 
haltung, indem er den Nachdrud auf „dunkel“ 
legte. Er hatte eine jehr diskrete Art, fi aus: 
zubrüden und ſprach mild und ruhig. 


„Iſt fie die Tochter des älteren Herrn — 
oder,“ fügte der Fremde hinzu, ala der andere 
die Achſeln zudte, „feine Gemahlin ?* 

„Richt wohl. Die Beziehungen ſchienen 
feine fo vertraute.“ 

„Und woher fam das Paar?” 

„Bedaure, nicht dienen zu fönnen, Beide 
fuhren gleichzeitig mit anderen Fremden vor,” 
berichtete der Oberfellner noch ausweichend. In— 
des jchöpfte er doch aus dem vertrauenerweden: 
den Aeußeren des Herrn Doktors, ſowie aus der 
Teilnahme, die immerhin aus deſſen Erfundi- 
gungen leuchtete, und aus Erwägungen verſchie— 
dener Natur Gründe genug zu etwas größerer 
Mitteilfamteit. 

Und fo erfuhr jener nod) folgendes. 

Sofort nad) ihrer Ankunft ließ fich die junge 
Dame das Adreßbuch geben, verjah ein Billet 
mit der Aufſchrift und warf dasjelbe eigenhändig 
in den Schalter des Hotels. Hierauf nahm fie 
nod) am Schluffe der Table d’hote teil, um ſich 
dann auf ihr Zimmer zurüdzuziehen, das fie 
unabhängig von ihrem Begleiter bejtellt hatte. 
Während nun der fahlhäuptige Herr im kleinen 
Saal für ſich allein ſpeiſte, fam fie wieder in 
ben Foyer herunter, verweilte befonders in der 
oberen Fenfternifche oder ging auf und nieder, 
verharrte wohl aud) längere Weile auf derjelben 
Stelle, um wieder ruhelos über das Parkett 
binzufchreiten. Kurz, ihr Weſen verriet Un: 
gebuld, als erwarte jie jemand, 

„Kam fie mit dem Stettiner Nachmittags— 
zug?“ warf hier der Fremde hin. 

„Wohl möglich,” lautete die Antwort. 

„Und nun ift fie weg?“ erfundigte ſich jener 
im Tone leichten Geplauders. 

„Allerdings. Gleih nah Ihrer eigenen 
Ankunft, Herr Doktor, verlangte fie nad) einem 
Wagen. ch jelbjt winkte einem Droſchken— 
führer, fie jtieg ein und fuhr weg.“ 

„Mit dem alten Herrn?“ 

„Nein. Der fpazierte zu Fuß unter den 
Linden in die Stadt hinein.“ 

Jetzt erfundigte jich der Fremde näher nad) 
dem Fenjter, wo fie verweilt, und da man nicht 
anjtand, ihm dasſelbe zu bezeichnen, begab er 
ſich in die Nifche, in welcher indes nichts Beſon— 
deres zu bemerfen war, al daß im Fenfterhaud) 
der einen Scheibe ein mit der Fingeripige ge: 
fchriebenes Wort ftand. Wegen der draußen 
herrſchenden Dunkelheit vermodte er es nicht 
gut zu leſen; jo nahm er einen Leuchter von 


Eleonore. 


dem Marmortifhchen und hielt ihn nahe an die 
Scheibe. Aber die Buchitaben waren fchon etwas 
zerflofien. Es konnte Streber, Streben, 
aber auch Sterben heißen und mar wohl 
ebenjo bedeutungslos, als es gedanfenlos hin: 
gefrigelt war. 

Der Fremde fing an fich feiner Neugierde 
zu ſchämen, fuchte feinen Pla im kleinen Saale 
wieder auf und äußerte beim Norüberfommen 
dem Oberfellner gegenüber in einem Tone, als 
ob ihm alles andere feine befondere Teilnahme 
einzuflößen vermöge: 

„sh dachte in der That, es fei ein Kan- 
delaber. * 


o 


Menn der Oberfellner, der eigentliche Ge: 
ſchäftsführer des Hotels, im feiner delifaten 
Weiſe auch nicht that, als gebe er fich befonderen 
Gedanken über die Erfundigungen des Gajtes 
hin, jo war er doch der Ueberzeugung, daß, 
troß der anfcheinenden Flüchtigfeit jener Nach— 
fragen, denjelben ein tieferes Intereſſe zu 
Grunde Tiegen müſſe. Blofe Neugierde oder 
gar frivole Späherei würden ihn wohl, bei aller 
Verbindlichkeit jeines Weſens, zugefnöpfter und 
ablehnender gefunden haben. 

Indes ſaß der Fremde, ein junger Gelehrter, 
der auf einer Reife ins Ausland beariffen von 
Königsberg fam und die Fahrt bis zur pommer: 
ſchen Küfte zur See gemacht hatte, nachdenklich 
bei jeinem Glaſe. In der Eingenommenheit von 
einer flüchtigen, Doch tief nachwirfenden Begeg: 
nung an der See, nur mit halbem Augenmerk 
für anderes, hatte er hier im Foyer eine junge 
Fremde für eine Karyatide oder gar für einen 
Kandelaber angejehen und dann an die Mög: 
Iichkeit geglaubt, in ihr die jchöne Frau vom 
Dftfeeftrande wiederzufinden, zu der alle feine 
Empfindungen zurüdfehrten, während ihn doch 
der Zwed feiner Neife an einen anderen, ent: 
gegengefegten Pol wies. 

Da das wirkliche Leben nur ausnahmsweiſe 
unferen Hoffnungen durch romanhafte Zufälle 
zu Hilfe kommt, erichien ihm bei nüchternem 
Betracht jene Illuſion als eine unbegreifliche 
Schwäche. Das Bewußtſein einer erfchlaffenden 
Schmwärmerei drüdte ihn. Er fühlte mit tiefer 
Verftimmung, daß er die Freude an der ge 
ſtellten Aufgabe einbüßte, ſelbſt den Anlaß zu 
furzem Verweilen in der Hauptitadt aus den 


nn —— 


21 


Augen verlor. Indem er jo keineswegs erfreu: 
licher Gedanfenfolge nachhing, ſank auch fein 
Körper fchlaff in fich zufammen. 

„Die Einfamfeit thut mir nicht gut!” ſprach 
er für fi, worauf er mit einemmal den Kopf 
hob und fich in den Hüften aufridtete: „Herr 
Oberfellner !* 

„Ras ſteht zu Befehl, Herr Doktor?“ 

„Wiſſen Sie zufällig, wo jetzt Geheimrat 
von Betting — oder fennen Cie überhaupt den 
Mann?“ 

„Dem Namen nad ſehr!“ Tautete die Ant: 
wort in einem Tone, der hinzuzufügen jchien: 
wir willen doc auch unjere bedeutenden Männer 
zu ſchätzen! 

„Als dankbarer Schüler und wärmiter Ver: 
ehrer möchte ich dem alten liebenswürdigen Herrn 
meine Aufwartung machen. Es ijt wohl etwas 
ſpät, fi) anzumelden,“ fügte er die Uhr ziehend 
hinzu. „Doc iſt heute wohl Empfangsabend. 
Früher wohnte er Kronenftraße.“ 

„Der Herr Geheimrat bewohnt jett fein 
eigenes Haus — am Tiergarten“ bemerfte der 
Oberfellner, indem er fi) nad) dem Adreßbuch 
umfah. „Indes, ob er jhon aus der Sommer: 
frifche zurüd jein wird?!“ 

Der Fremde ſchien hieran nicht zu zweifeln, 
Tief fich das Adreßbuch geben und einen Lohn— 
diener zur Beforgung einiger Billets bejtellen. 
beſchrieb noch einige Bifitenfarten, die er mit 
Couverts und Adreſſe verfah, übergab fie dem 
Lohndiener und verlangte nad) einem Wagen, 
indem er jein Glas vollends austranf, den 
Handſchuh über die Linke jtülpte, den Hut auf: 
jeßte und das Hotel mit den Worten verließ: 

„Am neun Uhr bin ic) ficher wieder da, — 
wenn jemand nad) mir fragen ſollte!“ 

Draußen winften, riefen, pfiffen unterbes 
Hausknecht und Portier eine Droſchke herbei, 
die den Fremden aufnahm. Raſch brachte fie 
ihn durch das Brandenburger Thor, den Saum 
des Tiergartens entlang in eine jener ſchönen 
jtillen Straßen, die von den Wohnfigen einer 
beneidenöwerten Gejellichaftsflafje gebildet wer- 
den. Endlich hielt das Fuhrwerk vor einem 
villenartigen Gebäude, das, durch ein Vorgärt— 
chen von den Nachbarnhäufern getrennt, ſich als 
das Heim des verehrten Mannes erwies, dem 
der junge Gelehrte zunächſt feine Aufwartung 
zu machen wünjchte. 

Der Geheimrat hatte ſchon feit Fahren feine 
akademische Lehrthätigkeit, doch nicht fein Wirken 


22 Auguft Beder. 


für die Wiffenfchaft aufgegeben, wenn aud) fein | 


Name meift hinter feinen Leiftungen zurüdtrat. 
Bis in fein Alter hatte er fich den Enthufiasmus 
des Gelehrten gewahrt. Die ehrliche felbitlofe 
Hingabe an die Sache, an die Forſchung ſelbſt, 
die neidlofe Anerfennung fremden Verdienftes bei 
oft grillenhafter Verkennung und Verleugnung 
des eigenen, die Uneigennüßigfeit und Opfer: 
freubigfeit, mit der er ſtets bereit war, durch 
Rat und That wiffenfchaftliche Bejtrebungen und 
Unternehmungen zu fördern: hatte dem alten 
Herrn die Verehrung weiter Kreife gewonnen, 
und bei vielen feiner früheren Schüler gab fi) 
eine Anhänglichkeit fund, die glängenderen Na: 
men oft verfagt bleibt. 

Mit jolhen Gefinnungen war denn aud) 
Dr. Herbig gefommen. Aus dem Bedürfnis, ſich 
einmal wieder feinem hochverehrten, unvergeß— 
lihen akademiſchen Lehrer vorzuftellen, war zu: 
meist ein kurzer Aufenthalt in der Hauptſtadt 
hervorgegangen. Doch gewährten jett, als er 
vor dem geihmadvollen Haufe ausjtieg, deſſen 
unerleuchtete Fenster wenig Hoffnung auf Er: 
füllung feines Wunſches. 
den Drofchfenführer warten und begab ſich zu 
vorläufiger Anfrage in das Haus, das, von einem 
abblühenden reichen Rofenflor umhegt, etwas von 
der Straßenlinie zurüd ftand. Schon unterm 
Eingang ftieß er auf einen Mann, den Haus: 
meifter oder Gärtner, der ihm auch jofort bebeu: 
tete, daß die Herrichaften leider verreiſt feien. 

Als hierauf der Fremde verwundert fragte, 
ob der Herr Geheimrat noch nicht von der See 
zurüd jei, da er feines Wiſſens ſchon vor einigen 
Tagen Misdroy verlaſſen habe, — bejahte dies 
der Mann mit der Ergänzung, daß man daheim 
nur furze Raſt gehalten, um mit der Anhalter 
Bahn weiter — an den Rhein — zu reifen. 
Der Herr Geheimrat wolle einige in engeren 
Kreifen verabredete, nod aufeinander folgende 
wiflenfchaftlihe Konferenzen nicht verfäumen ; 
die gnädige Frau aber gedenfe wegen einiger 
Angegriffenheit infolge der Seebäder zur ſchö— 
nen Herbitzeit noch mitteldeutihe Wald: und 
Bergluft in Ruhe zu genießen. Und fo vergehe 
heuer der ſchöne Herbitrojenflor daheim unge: 
nofjen, feste der Mann faft Hagend hinzu. 

indes gab der Fremde feine Karte ab, ſprach 
fein Bedauern aus, die Herrichaften nicht ge: 
troffen zu haben und begab ſich — mit einem 
Blick über die Gartenplanfen und im Worüber: 
fommen eine überhängende Rofe pflüdend, von 


welcher ber Gärtner verfierte, daß es eine 
jelbjtgezogene, beſonders jchöne und nad der 
gnädigen Frau genannte Varietät ſei — nad) 
dem Wagen zurüd. Er ftedte die Roſe, deren 
Farbe jich bei Nacht nicht gut unterfcheiden lieh, 
die aber eigentümlich duftete und fich weich, 
feucht anfühlte, ins Knopfloch und fuhr weiter. 

So freundlich das Anweſen und fo jehr es 
des Geheimrats Mittel erlaubten, teuer zu 
wohnen, blieb dod) der Entſchluß des alten finder: 
lojen Herrn, ſich noch die Laſt eines Hausbefiges 
aufzubürden, bemerfenswert. Wie lange mochte 
er ſich defjen noch erfreuen?! Aufrichtig Teid 
that es dem jungen Gelehrten, da er nicht, wie 
gehofft, mit dem väterlichen Freunde fi über 
feine nädjten Aufgaben auszusprechen, Finger: 
zeige, Aufichlüfie erhalten fonnte, die feinen 
Reifezwed förderten. Doc) hatte das Bedauern 
über den verfehlten Beſuch auch einen weniger 
jelbitfüchtigen Grund ; den größeren Anteil ſogar 
hatte die Erwägung, ob er dem Antlit des ehr: 
würdigen Mannes je wieder begegnen würde, ob 


| er nad) jahrelanger Abwejenheit den unvergeß: 
Vorſorglich hieß er 


lihen Zehrer in diefem Haufe begrüßen bürfe, 
von welchem er jetzt als Andenken nichts mit in 
die Fremde nahm, als eine hinmwelfende Roſe. 

Mit folhen Betrachtungen fuhr er wieder 
durch belebte Strafen in die faſt taghell beleuch: 
tete Stadt zurüd. Da und dort ließ er halten; 
— mo e3 einen Bekannten zu fprechen, einen 
Freund zu treffen galt, regelmäßig mit demſelben 
ſchlechten Erfolg, mit befjerem dagegen überall, 
wo im Vorbeikommen kleine Einfäufe beforgt wer: 
den fonnten, wie fie Reijende zu machen pflegen. 
Zulegt rafjelt der Wagen noch vom Spittelmarft 
aus gedehnte, lange Strafen entlang in einen 
ganz neuen Stadtteil und hielt erjt wieder auf 
einem großen, vom Kanal durchichnittenen Plage, 
der, von prächtigen Häufern begrenzt, ſich nad) 
Nord und Süd in hellbeleuchteten, mit Baum: 
reihen bepflanzten, ftattlihen Uferjtraßen fort: 
ſetzte. 

Hier, in einem Eckhauſe, vor welchem bereits 
eine andere Droſchke hielt, wohnte nach Aus— 
kunft des Adreßbuches ein Univerſitätsfreund, 
mit welchem der Abend angenehm verbracht 
werden ſollte. Seinen Droſchkenführer verab— 
ſchiedend, ſtieg der Fremde die mit einem Teppich 
belegte, beleuchtete Treppe hinan und las die 
Namen der Bewohner von den Klingelſchildern; 
endlich auch den des Freundes, wobei er wider 
Willen Ohrenzeuge eines halb hinter, halb unter 


Eleonore. 2 3 


der Thüre geführten Zwiegeſprächs zwischen | Wieder fäumte das Meib mit der Antwort, 
Frauen wurde, welche, den Eingang fperrend, | wohl verblüfft durch den hervorleuchtenden Ent: 
ihn notgedrungen zum Warten veranlaßten. ſchluß. Dennoch nannte fie hierauf Straße und 
„J, ſieh' mal, Sie fommen von auswärts!” | Hausnummer. 
ließ jich die Stimme eines Weibes vernehmen, „Iſt e8 weit von hier?“ erfundigte fich die 
das dem Ton und Ausdrud nad) eine richtige | Dame noch unter der Thüre. 
' Köchin oder Haushälterin war. „Na nu, wie Das Weib ließ ein „Gottbewahre!“ hören 
geäußert. Und Sie werden verjtehen, Madamfen, | und befchrieb dann mit geläufiger Zunge den 
dak Herr Kammergerichtsaffefjor unter folden | Weg: vom Dranienplat den linfen Hafendamm 
Umſtänden weder heute, noch morgen, noch über: | entlang, um das Engelbeden herum, an ber 
morgen zu fprechen find. Herr Kammergerichts- Michaelskirche vorüber gegen Bethanien zu, aber 
aſſeſſor haben jet anderes im Kopfe!“ nicht rechts über die Brüde, jondern links hinein, 
„Gerade dieje Umftände heifchen dringend, | dann rechts in die Querſtraße gleich das zweite 
daß ich ihn heute noch ſpreche!“ verjette im | oder dritte Haus. Man könne aber auch gleich 
Umgangstone ber gebildeten Klaſſen eine Frauen: | hier über die Dranienbrüde auf das andere 
jtimme voll Wohllautes, dem nur der fharfe | Ufer fchräg in die Straße hinein, dann rechts, 
Nahdrud bejtimmten Entjchluffes einigen Ein: | dann links, immer gradaus über die Brüde, zu: 
trag that. legt rechts in die richtige Straße: es fei gar 
„J, Gott bewahre, das kann 'malnicht fein!” | nicht zu fehlen. . 
entgegnete die andere. „Stehen Sie ihm denn Die Fremde dankte und trat, wohl fo flug 
fo nahe, daß Sie eö durchſetzen möchten?” ala vorher, vollends heraus, während das Meib 
„Das mag er ſelbſt entjcheiden!” lautete die | noch nachrief: 
Antwort. „Nichts zu danken, Madamfen, gute Nacht 
Die Fremde, welche übrigens mit merflih | und fallen Sie man nicht ins Waſſer.“ 
nordweſtdeutſcher Betonung der Silben fprad), Der junge Gelehrte war mit dem Hute in 
ſchien nicht gewillt, mehr zu jagen, ala der auf: | der Hand beifeite gewichen, um ber Dame den 
dringlid) dreiften Neugierde gegenüber unbedingt | Weg frei zu laffen, die von feinem Anblid etwas 
von nöten war. betroffen, doch ohne weitere fichtliche Verwirrung 
„Na, hören Sie 'mal Madamken, wie war | feinen Gruß mit einer ftummen Beugung des 
das mit der Entſcheidung?“ lieh fich die andere | Hauptes erwiderte, dann, ohne fi nochmals 
wieder und zwar mit einiger höhnifcher Gereizt: | umzufchauen, mit einer gewiſſen entſchloſſenen 
heit vernehmen. „Sind Sie etwa Herrn | Haft die Treppe hinunter eilte. Da fie den 
Kammergerichtsaffefjors feine Fräulein chweiter | Schleier herunter geſchlagen hatte, war von ihren 
oder jonftige auswärtige Blutöverwandte, find | Zügen nichts wahrzunehmen. Aber es war eine 
Sie?“ geſchmeidige ſchlanke Figur von eleganter Hal- 
„Mehr als das!“ kam nad) einigem Zögern | tung und Bewegung. Ueber dem Gewande von 
als Entgegnung. dunkler Bronzefarbe trug fie einen fait gleich 
„Ale Wetter, mehr ala das?“ wiederholte | farbigen Ueberwurf. So viel man von ihrem 
das Weib. „Iſt viel gefagt, Madamten. Und | Haar jehen konnte, war es fraus und Schwarz. 
— wie ijt denn der werte Name?“ Zu weiteren Beobadhtungen ließ ihr rajches 
„Um den handelt ſich's hier weniger, ala | Verſchwinden dem Nachblickenden feine Zeit. 
darum, ob der, in deſſen Dienjt Sie ftehen, zu Als unterdefien die Haushälterin den Frem- 
Haufe ift oder nicht.“ den bemerkte, zupfte fie raſch ihr Halstuch zu: 
„Ra nu“, fing das Weib jet an, „das ift | recht, ftrich mit der Hand über die Schürze und 
nu eflig mit den Damens! ch habe ja gejagt, | frug mit verbindlich zugeſpitzten Lippen nad) 
Herr Kammergerichtöafleffor find vor einer hal: | deſſen Begehr. 


ben Stunde ausgegangen.“ „Alſo Aſſeſſor Steuber ift nicht zu fprechen?“ 
„Wohin, wenn man fragen darf?“ fagte er kurz. 
Das Weib zögerte, erflärte dann aber: „zu „Leider, mein Herr. — Kammergerichts- 
Herrn Kommiffionsrat Patzky, wenn Sie die | afjefjor Steuber find nicht zu ſprechen, wie ich 
Familie kennen.“ eben dem Frauenzimmerchen da geäußert habe, “ 


„Wo wohnt der?” verjegte fie mit einem verftändnisinnigen Blid, 


24 


während ihm ein gewiſſer mit Liqueurbuft ver: 
mengter Kühengeruh das Weib noch unan- 
genehmer madte. „Sie müfjen es ja gehört 
haben, werden Ihr Teil gedacht haben, hi, hi, 
hi! Schon wie fie fam, fagte ih mir: da iſt 
waslos! Und richtig!” fuhr das überſchwenglich 
vertrauensvolle und unnatürlich redfelige Weib 
mit unnahahmlichem Augenaufſchlag fort.’ Nein, 
das war einzig! Hab’ gemeint, ich joll ftiden ! 
Und wer iſt fie? ‚Mehr als das!‘ Sie haben 
ja gehört. Aber eine Thränendrüfe ift Das nicht, 
— nein, alles was redjt ijt — eine Thränen 
drüfe ijt das Frauenzimmerchen nicht. Der Herr 
Gerichtsaſſeſſor,“ lenkte fie auf eine ungeduldige 
Gebärde des Fremden ein, „Herr Kammer: 
gerichtsaflefior Steuber haben fich nämlich für 
den Abend zu den Schwiegereltern begeben. 
Reiche Leute, jehr reiche Leute.“ 

„Er iſt alfo verheiratet?“ 

„Noch nicht. Aber morgen foll Hochzeit fein. 
Und da fommt nun das Frauenzimmerden ba- 
her, na! Aber eine Thränendrüfe ift es nicht.“ 

„Bitte, hiermeineKartemit — Glückwunſch,“ 
unterbrach der Fremde die überjtrömende Mit- 
teiljamfeit, indem er ein ‚gratulor‘ hinzufrigelte 
und fich beeilte, wieder ins Freie zu fommen. 

Da jeine Droſchke weggeſchickt, eine andere 
nicht vorhanden und von der jungen Dame nichts 
mehr zu jehen war, ſchlenderte er den Hafen: 
damm entlang mit Gedanken an das eben Er: 
lebte und an fein Mißgeſchick, das ihn feinen 
feiner früheren Freunde treffen ließ. Die Nacht 
warfriich, faſt rauh. Das abfallendeLaub der Lin: 
den: und Haftanienallee rafchelte zu feinen Füßen. 
Im Scheine der Gaslaternen glänzte da und dort 
zwijchen den ruhenden Frachtbooten unheimlich) 
die träge, dunkle Flut des Kanals auf, deren 
Dämpfe als merkliche Nebelihicht an den Rän— 
dern hingen. Auf den Bürgerjteigen des Kanal: 


uferö, längs der jhönen Häuferreihen herrſchte 


zu diefer Stunde nicht das fonftige Zeben. Die 
Fabriken hatten fich bereits früher entleert, die 
Theater gefüllt. Köchinnen und Hausmägde 
hatten zumeift noch daheim zu thun. Nur die 
Grenadiere vom Urban her trieben ſich durch das 
Waſſerthor zahlreiher auf den Hafendämmen 
umher, um fich bis zum Zapfenjtreich noch der 
Freiheit und ihres jungen Kriegerlebens zu er: 
freuen. 

Weniger von diefen Beobachtungen als von 


feinen Grübeleien in Anſpruch genommen, mar 


der Spaziergänger an das ſchöne, große Waſſer— 


Auguft Beder. Eleonore. 


beden gelangt, das feinen glüdlihen Namen von 
dem vergoldeten Bilde des Erzengels überm Por: 
tal der gegenüber ſich erhebenden katholiſchen 
Mihaelsfirhe führt. Die reizende Umgebung 
des fchönen Kuppelbaues jenfeits des Waſſer— 
ipiegels, für ihn fo gut wie neu, nahm feine 
Aufmerffamteit fo fehr in Anſpruch, daß er zu 
längerer Betradhtung fih nad einem günftigen 
Standpunkt umjah, den ihm ein Kandelaber 
zu bieten ſchien — jeltfamermweife wieder ein 
| Kandelaber —, welcher dicht am Rande des Engel: 
bedens im Dunfeln ftand. Mit den gewöhnlichen 
Gasleuchtern ringsum war eine Verwechslung 
‚ nicht möglich. Allein, es fonnte ein Kandelaber 
‚ fein, ber hier für außerordentliche feitliche Ge: 
| legenheiten als Fadelträger angebradit war. 
Als er jedoch näher fam, bemerfte er nicht ohne 
Betroffenheit, da er derfelben Täufhung in 
derjelben Weife verfallen war, wie im Foyer 
feines Hoteld. Da ftand, wie nicht länger zu 
verfennen, eine dunkle Frauengeitalt, die regungs: 
los in die Flut des Engelbedens blidte, während 
auf dem Fahrdamm daneben eine Droſchke lang: 
ſam daher rollte und nun völlig till ftand. Die 
harrende Dame ſchien e3 nicht wahrzunehmen. 
| Was fefjelte fie jo ſehr an die Stelle, was 
erregte dieſe verfteinernde Aufmerkjamfeit da 
unten? Was jtarrte fie jo unbeweglich hinunter 
in das feuchte Element? Zog fie der Nefler 
des Gaslichtes jo fehr an? Stand fie in brüten: 
der Betrachtung oder in Ungewißheit über den 
Meg und die zu verfolgende Richtung? Herbig, 
nicht mehr im Zweifel, daß er die Fremde vor 
ji) habe, die er vor der Thüre des Freundes 
getroffen, erwog mit einer Regung ernten Mit: 
gefühls für die Einfame, ob er fid) ihr mit fei- 
nem Nat oder Beijtand aufdrängen dürfe, ob er 
ihr feinen Schuß anbieten jolle, oder ob das 
Zartgefühl überhaupt ein Dazmwifchentreten zu: 
laſſe, eine Störung ihrer Einjamfeit erlaube. 
| Jm Begriff fich zurüdzuziehen, um aus adhtungs: 
voller Entfernung über ihre Schritte zu wachen, 
| bemerkte er, daß fie plöglich zufammenfchredend 
| das Haupt hob. Als ob fie jett erjt feine Nähe 
| inne geworden, gab fie ihre jeitherige Haltung 
haftig auf und eilte jheu, vom Rande des Engel: 
| bediens hinweg, indem fie im Bogen auswich, 
der Droichfe auf dem Fahrdamm zu, worauf 
der Magen mit ihr in befchleunigter Fahrt 
um das Waſſer und die Häuferreihe des Engel: 
ufers entlang rollte. 
| Noch eine Meile ftand Herbig und ſah dem 











26 


davonjagenden Gefährt nach, bis deijen Geräuſch 
in der Ferne erlojh. War die Fremde wirklich) 
entjchlojien, feinen Freund aud im Schoße der 
Familie feiner Braut aufzufuhen? Daß bier 
Beziehungen von ſehr delifater Natur vorlagen, 
war leicht zu ermejjen. Was er von der Un: 
befannten gehört und gejehen, ftellte fie feines: 
wegs unter das Niveau der guten Gejellichaft. 
Ihr Auftreten verriet, troß jenes auffälligen 
Schrittes, weniger unmweiblihe Dreijtigfeit als 
den Ernſt unbeugiamen Entſchluſſes und hielt 
ih, abgefehen von der Unerflärlichfeit ihres 
Vorhabens, ftreng genug in den Grenzen ber 
Schicklichkeit. Welchen Grund hatte ſie, den 
Bräutigam einer anderen nod am Abend vor 
der Hochzeit fprehen zu wollen? Welcher 
Endzwed führte fie zu diefem Behuf in die 
Hauptitabt? 

Solde Fragen und daran ſich fnüpfende 
Gedanten begleiteten ihn, als er ſich von der 
Umgebung des Engelbedens ab und wieder nad) 
dem Mittelpunft der Stadt zurüdwandte. Nach— 
dem er die belebte Brüde hinter ſich hatte und 
in verfehrreiche, elegante Straßen zurüdgelangte, 
blieb erda und dort betradhtiam ftehen und wollte 
ſich allmählich den Linden wieder nähern, um nad) 
jeinem Hotel zurüdzufehren, als er an einer Ge— 
jellichaft von mehreren Damen vorüber fam, 
welche im Geleite eines Herrn lautſprechend eben 
um die Straßenede bog. In der Stimme des 
Herrn, welcher die fleinfte der drei Damen am 
Arme führte, glaubte er ſich nicht zu irren. In— 
dem er den Plaudernden in nicht auffälliger 
Weiſe folgte, bejtätigte ihm, als fie in ein Mode: 
magazin eingetreten waren, ein Blick durd) die 
großen Spiegelfenfter, daß er ſich nicht getäufcht 
hatte. Der Begleiter der Damen war Kammer: 
gerihtäafjefjor Steuber. Nun trat aud) Herbig 
ein. Konnte er ſich doc gelegentlich noch mit 
einigen Kleinigfeiten für die Weiterreife ver: 
ſehen und dabei den Freund ſprechen, den ihm 
das Schickſal nun dennoch in die Hände führte. 

Aſſeſſor Steuber hatte jih in den Jahren, 
daß fich die Freunde nicht mehr gejehen, nur 
wenig verändert. Er fleidete ſich noch mit der: 
jelben modischen Peinlichkeit, die ihn ſchon auf 
der Univerfität vor andere ausgezeichnet hatte, 
ihwang die noch immer einnehmende Gejtalt 
mit derjelben leihten Tournüre, wie ſonſt. Erit 
bei genauerer Betrachtung zeigten die von den 
Augenwinkeln ausgehenden unzähligen Kleinen 
Fälthen, dann aud) das über der Stirne dünner 


Auguſt Beder 


gewordene Haar, daß die Zeit nicht ganz jpur: 
[08 an ihm vorübergegangen war. 

Bei einer zufälligen Wendung in dem präch— 
tig erleuchteten Raume ftand er plößlich dem 
Freunde gegenüber, ſchien denfelben jedoch nicht 
zu erfennen und wandte ſich wieder zu den Da: 
men. Als aber deutlih und laut genug fein 
Name ausgefprocdhen wurde, fehrte er ſich jchein: 
bar unangenehm überrajcht, wieder um, drüdte 
das Monocle ins Muge, ließ es wieder fallen 
und eilte dann mit ausgeitredter Hand dem 
Freunde entgegen. 

„Herbig, du hier! Wie freut mid das!” 
ſprach er, deſſen Rechte drüdend, und ſchien aud) 
in der That erfreut, jchritt aber dennoch erit, 
alö die Damen, aufmerfjam geworden, näher 
traten, zu der üblihen Vorſtellung. Mit etwas 
breitmäulig blödem Lächeln, das einigermaßen 
ſchadhafte Zähne zeigte, nahm die Heine unfchein: 
bare, aber reichgekleidete Braut die Glückwünſche 
des Fremden hin. Auch die beiden anderen wur: 
den ins Geſpräch gezogen — eine längliche 
mittelalterlihe Schweiter der Braut mit erd- 
fahlen hohlen Wangen und rauher Männer: 
ſtimme, ſowie eine nicht verwandte blonde Dame 
von wohlmwollendem Geſichtsausdruck, eine jener 
Frauen, denen jedermann fofort vertraut und in 
die fi niemand verliebt. Es war ein Fräulein 
Lenz und zufällig mit den Patzkys und dem 
Bräutigam zufammengetroffen. 

Natürlich erfolgte eine Einladung zur Hod): 
zeit, auch mit fittig verſchämtem Wifpern jeitens 
der Braut. Allein Doktor Herbig, auf einer 
Nomfahrt begriffen, fand Entſchuldigungen ge: 
nug, die bei dem Aſſeſſor bald durchichlugen, 
da der Freund ſchon am Abend des folgenden 
Tages in Halle eintreffen mußte, um mit einem 
mitreifenden Kollegen noch einige Vorbereitungen 
zu treffen. 

„Schon, daß ich hier verweile,“ bedeutete 
Herbig, „it wider Plan und Verabredung. 
Sonſt hätte ic) gerne dieje nordiſchen Herbittage 
an der See zugebracht.“ 

„Die Abende und Morgen dafelbit jind doch 
ſchon recht rauh und nebelig,“ meinte hier Fräu— 
lein Lenz. „Wir bedauerten unfere Heimreiſe 
nicht, da Bettinas ohnehin noch an den Nhein 
wollten.” 

„Sie fennen, meine Verehrte, den Geheim 
rat Betting ?“ fragte Herbig. 

„Beller deilen Frau,“ war die Antwort. 
„Zie ift meine vertrautefte Freundin.” Und 


Eleonore. 27 


dabei warf fie einen Blid auf die Roſe an 
Herbigs Ueberrod, als ob ſich ihr diefelbe durch 
Farbe und Geruch fenntlich made. 

Herbig überjah es, von einer anderen Er: 
innerung in Anſpruch genommen, während die 
beiden Patzky fi) wieder der Auslage zumandten. 

„Und Sie waren mit in Misdroy?“ fragteer. 

„Volle drei Mochen. * 

„So!“ äußerte der junge Gelehrte und jah 
wie abweſend vor ſich hin. „Das iſt mir ja fehr 
interefjant!” entjhlüpfte ihm. Dann jchwieg 
er gleichjam betroffen über diefe unmillfürliche 
Aeußerung. War es ſchicklich, nunmehr Erfun: 
digungen nad) ber unbekannten hohen Frau ein: 
zuziehen, die gleichzeitig dort gemweilt hatte? 
Indes er überlegte, wie mit dem Schein der 
Unbefangenheit die Nede auf deren Erfcheinung 
gebracht werden fonnte, wurde jedoch Fräulein 
Lenz von der Schweiter der Braut an den Aus: 
lagetijch gerufen, dem auch der Bräutigam alle 
Aufmerkjamfeit wieder zumandte. 

„Komm,“ ſprach er munter zum Freunde, 
„laß dich ebenfalls ins Intereſſe am Stoff 
ziehen und ſtehe uns bei der Wahl mit dem 
äjthetifch gebrillten Geſchmack zur Seite.“ 

Während diefe Worte fielen, traten noch 
andere Bejucher des Magazins ein, unter ihnen 
eine junge Dame von jchlanfer Figur in dun: 
felm Gewande. Sofort hatte Herbig in ihr die 
Fremde vom Dranienplag und Engelbeden er: 
fannt. Mit begreifliher Spannung folgte er 
ihren Bewegungen, da fie fich der langen Tafel: 
barriere näherte, hinter welcher elegante Com— 
mis ab: und zuliefen. Sie fand — ob gefliffent: 
lich ließ fih nicht erraten — ihren Platz ganz 
in des Freundes Nähe, der jedoch ahnungslos, 
von feiner Braut und deren Schweiter an den 
Auslagetiſch gezogen, nur die Warenballen im 
Auge hatte, welche von den Commis herbei: 
geihleppt und aufgerollt wurden. Gleichzeitig 
eilten andere Bedienftete des Gejchäfts den neu 
hinzutretenden Kunden entgegen. Ruhig an 
ihrem Plate ausharrend, wartete die junge 
Dame, bis einer der Commis Zeit für fie finde 
und ſchien durchaus feinen Anlaß zu dem Auf: 
tritt geben zu wollen, den Herbig bei ihrem 
Eintritt befürchtet hatte. Endlich wandte fi 
einer der jungen Leute an die mit bejcheidener 
Geduld Ausharrende: 

„Was befehlen Sie, mein Fräulein?“ 

„Eine fornblaue Damajtbinde,“ antwortete 
fie vernehmlich. 


So einfad) die Antwort, hatte fie doch eine 
ſeltſame Wirkung, die indes nur von Herbig be— 
obachtet wurde, da die übrigen Beſucher des 
Magazins allaufehr von der Mufterung der vor: 
gelegten Stoffe in Anſpruch genommen waren. 
Nod immer auf die Auslage niedergebeugt, 
ſchnellte nämlich Freund Steuber bei jenen Wor— 
ten förmlih empor, wandte mit frampfhaftemn 
Nud den Kopf und ſah mit verfärbten Wangen 
und dem Ausdrud tödlicher Beftürzung auf die 
junge Dame. Um die Halsbinden prüfen zu 
fönnen, hatte fie den Schleier zurückgeſchlagen, 
jo daß ein zwar bleiches, doch feines, von ſchwar— 
zem Haar umrahmtes Gefiht mit rotem, fait 
üppigem Munde, aber jonjt jehr vergeijtigten 
Zügen zum Vorfchein fam. Dabei heftete fie 
den dunfeln Blid nur einmal und wie zufällig 
auf den Aſſeſſor. 

Er vermochte ihn nicht auszuhalten. Die 
Augen ſenkend kroch er förmlich in fich zufammen. 
Faffungslos, tief gebüdt, wie verfunfen in den 
Anblid der vor ihm ausgebreiteten Stoffe jtand 
er, während die fremde ruhig die vorgelegten 
Seidenbänder mujterte. Plauderten feine Braut 
und deren Schweiter faufluftig, arglos eifrig in 
ihn hinein, fo nidte er nur mit blödem Lächeln 
ihrer Meinung zu, ohne den Blid zu erheben 
oder ein Wort fallen zu lafjen. 

Dem Freunde, dem nichts entging, fchien es 
Zeit, ihn aus dem unwürdigen Banne zu löfen. 
Er legte ihm die Hand auf den bei der Be- 
rührung zudenden Arm und jagte, ſich ver: 
beugend: 

„Geſtatten Sie, meine Damen, mic) kurz zu 
verabichieden und den freund auf wenige Mi- 
nuten entführen zu dürfen. Bitte, mein Lieber, 
geleite mich nur vor die Thüre. “ 

Der Kammergerichtsaſſeſſor richtete fich mit 
bereitwilliger Haft empor und ging, des Freundes 
Hand in der feinen, ohne weiteres mit hinaus, 
Draußen wandelten beide mehrmals jchweigend 
auf und ab. Jeder ſchien dem anderen bas erjte 
Wort überlafien zu wollen. 

„Als ich dich befuchen wollte,“ begann end: 
lich Herbig, um dem anderen den Anftoß zum 
Ausfprechen über feine Lage zu geben, „traf ich 
eine junge Dame vor deiner Wohnung mit 
gleicher Abficht. Erwarteſt du jemand von augen 
zu deiner Hochzeit? Cine nahe Anverwandte, 
ein Bäschen?“ 

„Nicht, daß ich wüßte!” antwortete Steuber 
mit gelajjener Beitimmtheit nach wieder gewon: 





2 8 Auguft Becker. 


nener Faſſung. „Wohl ein Mißverſtändnis, eine 
Verwechslung. Laſſen wir ex nexu! — Die 
friſche Nachtluft thut jo wohl!“ 

„War dir unwohl?* 

„Nun ja, ein wenig. So unerwartet, plöß- 
lid überfam es mid. ndispofition! Kon: 
gejtionen! Die Luft da drinnen iſt jo beflommen, 
Man iſt als ein Stüd Staatshämorrhoidarius 
Anfällen von Schwäche, Uebelfeiten infolge von 
Ueberarbeitung unterworfen. Wir find geplagte 
Leute, Juſtitia iſt blind fürdie Leiden ihrer Jünger. 
Hypochondrie, Neuralgie, Abſpannung — kurz, 
es hat ſein Unangenehmes — ſprechen wir nicht 
mehr davon — es iſt vorüber. Doch treten wir 
aus dem Licht, die Gasflammen blenden ſo!“ 

Und nun ſprach er über die ungleichartigſten 
Dinge raſch, flüchtig, heiter, lachte ſogar einige: 
mal über feine eigenen Einfälle, verfiel allerdings 
dazwiſchen in grübelndes Schweigen, um dann 
mit befonnenem Ernſt fich über dies und jenes 
zu äußern, worauf er abjpringend wieder zungen: 
fertig gewandt von allem möglichen redete, nur 
nicht von dem zunächſt gelegenen, nicht von dem 
fremden Mädchen und nicht von feiner Hochzeit. 
Ja, ervermicd jede Andeutung, jedes anfpielende 
Wort, behielt aber gleihmohl, auch aus größerer 
Ferne, die Ausgänge des Modemagazins im 
Auge. — Den Freund fonnte feine weltmännifche 
Haltung überfeinen Gemütszuftand nicht täufchen, 

Mittlerweile war einmal die unanfehnliche 
Geftalt der Braut unter der Thüre erfchienen, 
um fich nad) dem Verlobten umzuſehen. Unruhig 
geworden über deſſen Verbleiben, ohne feinen Nat 
und Beiftand bei der Wahl der Stoffe, famen 
die Damen zulegt famt und fonders heraus und 
ſchauten, ohne eingefauft zu haben, verftimmt 
und verdrießlich ſich um. 

Auf dies hin berief fih Steuber auf die Un: 
geduld der harrenden Frauen, griff zu letztem 
Drud nad) des Freundes Hand und lieh fie mit 
den Worten: „Alfo, wenn du dic; durchaus nicht 
aufhalten lafjen willft, lebe wohl!“ wieder haftig 
fahren, indem er ſich den Damen anfchloß und 
mit denfelben fo eilig den Platz verlief, daß 
Herbig feine Zeit mehr zu einer legten Ver: 
beugung vor den Frauen fand, 

Im Grunde bebauerte er dies bloß, weil 
er nicht mehr mit Fräulein Lenz über das Leben 
an der See fprechen konnte, Er warf nur nod) 
einen Blick in die Zadenräume des Magazins, 
ob auch das Mädchen aus der Fremde diefelben 
verlafjen habe. Man war eben im Begriff die 


Auslage zu fließen. So hielt denn Herbig eine 
langfam daherfahrende leere Droſchke an und 
fuhr unmittelbar nad feinem Hotel unter den 
Linden zurüd, 


3 J 


Beim Eintritt in das Hotel hörte der Heim— 
kehrende, als er ſich ſchon auf der Treppe er— 
kundigte, daß ein Herr dageweſen, der ſeiner Aus— 
ſage zufolge brieflich herbeſtellt worden ſei, ohne zu 
wiſſen, von wem. Herbig überlegte. Er hatte doch 
zu den verſendeten Billets ſeine Adreßkarte ſelbſt 
benützt! — Ob der Herr nichts hinterlaſſen habe, 
fragte er in die Portierloge hinein. — Nichts, 
als daß er wiederfommen wolle. — Wie er aus: 
gejehen? — Ziemlich groß, hager, vorgebeugt, 
grünlice Brille, eine Bapierrolle im Rode, — 
Schuhwerk, Haar und Bart ſchwärzlich — be: 
ſchrieb ihn der ſchwärzliche Kellner, indes der 
Vortier auf blauer Brille und aſchfarbigem Aus: 
jehen bejtand. 

Kopfichüttelnd ſchritt Herbig weiter, nad) 
einer bequemen Nüdzugsede umfchauend. Auf 
des Kellners Verficherung, daß noch überall Platz, 
die meiften Gäfte noch im Theater jeien, begab 
er fih in den nächſten Speijefaal, wo bereits 
einzelne Fremde oder auch Gruppen mit Damen 
ſaßen. Er wies vorläufig Wein: und Speife- 
farte zurüd, ließ ſich bloß Selterwaſſer und 
Zeitungen bringen, las, was er ſchon oft gelefen, 
zuletzt auch die Inſerate, und verfanf endlich aus 
Langeweile, während die Räumlichkeiten ſich all- 
mählich mehr füllten, in Träumerei. 

Ihn reute der verlorene Tag, den er alüd: 
licher an ber Oſtſee verleben fonnte. Von allen, 
denen er feine Anmwefenheit gemeldet, hatte fich 
feiner — den Aſchgrauen rechnete er vorläufig 
nicht — eingeftellt oder auch mur fchriftlich ent: 
Ihuldigt. Eine große Bitterfeit ſchlich fich bei 
ihm ein, der Gedanke an die Wertlofigfeit fo 
vieler Bekanntſchaften. „Ein Wintertag — und 
tot find alle diefe Fliegen!“ Und einen hatte 
er unter Umſtänden getroffen, die vertrauten 
Verkehr ausſchloſſen, in einer Zwangslage, 
von Gewiſſensregungen erſchüttert, niedergedrückt 
durch jene Fremde, deren Augen ſcheu auszu— 
weichen er gewiß allen Grund hatte. Aber mit 
deſſen raſcher Verabſchiedung war auch die Ge— 
legenheit entzogen, bei jenem Fräulein Lenz Er— 
kundigungen einzuziehen nach der ſchönen Frau 
vom Oſtſeeſtrande, die ſeine Gedanken, ſeine Ge— 


DY J ek ‚ogle 


Eleonore, 2 9 


fühle beherrichte, wie feine vorher. Im Geifte 
verjegte er fich wieder an die Küjte, verlor fi) 
allein in die Dede der Dünen, wo ihm die herr: 
liche Erfcheinung geworden war. Kein anderer 
Laut ſchlug da zwifchen Sand und Welle an fein 
Ohr, alö weit draußen der Mömenjchrei und, 
wenn diefer verjtummte, das trübe Rafjeln des 
Strandhafers im Winde, der taftmäßig dumpfe 
Anſchlag des Meeres. Betrachtſam ftill ſaß er, 
in die Meite blidend, verloren in jehnfüchtige 
Träumerei, fi und feine Umgebung ganz ver: 
gefjend, — als ihm plötzlich fein voller Name 
vernehmlich ins Ohr Hang. 

Im Augenblide war ihm zu Mute, wie Sr: 
wings Rip van Winfle, den in der Wildnis der 
Katskillberge am Hudſon eine unbefannte Stimme 
bei Namen rief — oder aud) wie dem Studenten 
von Alcala, der im verlafjfenen Dachſtübchen Le 
Sages hinkenden Teufel in einer Phiole jeufzen 
hörte. Aufblidend fand fih Herbig in der elegan: 
ten Umgebung eines Speifefaales feines haupt: 
ftädtifhen Hotels, — und vor ihm jtand ein bis 
zur Halsbinde zugefnöpfter Herr mit grünlicher 
Brille, afhfarbenen Wangen, gebeugtem Haupte, 
vorgeftredter Hand. Derjelbe fonnte ein Päda— 
gog, ein Gelehrter, ein Schriftjteller oder etwas 
anderes fein und fah wie ein abgegriffenes Lerifon 
im Futterale aus, entſprach übrigens der Be: 
ſchreibung des Kellner und Portiers. Aus der 
Ueberrodtafche gudte die erwähnte Papierrolle 
faft aufdringlich. 

„Bruno Herbig fennt mid in der That 
nicht mehr,” fagte der Herr in jener gebrochen 
hohen Tonlage wijpernd, wie man es bei nord: 
deutjchen Gelehrten nicht felten findet. „Drä- 
ſow,“ fügte er ſich vorjtellend hinzu, „Dr. Daniel 
Dräſow“. 

Herbig hatte bereits die dargereichte Rechte 
ergriffen. Freilich Dräſow — wie konnte er's 
überſehen! — Dräſow, der ſchon als Student 
bei großem Fleiße ſich kümmerlich durchgeſchla— 
gen, dennoch nicht zu einem praktiſchen Lebens— 
beruf zu bejtimmen war und fid) jet im Sfammer 
deutſchen PBrivatdocententums ala Nepetent an 
der Univerfität und mit fchriftjtellerifhen Ar: 
beiten forthalf. Herbig hatte feiner in der That 
vergefien, konnte fi) auch nicht entfinnen, ihn 
von feiner Anmefenheit benachrichtigt zu haben, 
ſprach aber gleihwohl lebhaft feine Freube dar: 
über aus, daß doch einer der alten Bekannten 
den Abend mit ihm verbringen wolle. 

Er war in Wirklichkeit dem Zufall dankbar, 


der ihm einen Studienfreund zugeführt hatte. 
Nichts verftimmt mehr, als in einer Stadt, wo 
man Freunde hat, am Abend fremd unter Frem— 
den zu fißen. Indem er fürs erjte Grund und 
Urſache der Erſcheinung Dräſows im Hotel dahin: 
gejtellt jein ließ und dem Zweck derjelben nicht 
weiter nachfragte, lub er mit aufrichtiger Herz: 
lichkeit, liebenswürdiger Zuvorfommenheit beim 
freundlichften Empfang den Stubengelehrten zum 
Sitzen ein und rief nach Wein: und Speijefarte. 
Ein Refüs ließ er nicht gelten, wenn aud) Dräfom, 
feinen Ueberrod mit der Papierrolle ablegend, 
eifrig verficherte, daß er bereits geſpeiſt — „ganz 
in der Nähe!" Raſch war ein gutes Souper für 
zwei und vorläufig eine Flaſche Marfobrunner 
beitellt. 

Es warin der That nötig, daß er für Dräſow 
entſchied. Denn der fuchte noch immer auf der 
Weinfarte nach dem billigften umher, fonnte ſich 
durchaus nicht in den Zurus eines Soupers im 
feinen Hotel finden und fchlug endlih eine 
frühere Stammfneipe vor — „ganz in ber 
Nähe!” — wo man bei einem fleinen Kommers 
willfommen wäre. 

Jedoch Herbig fchüttelte jih. „Nein!“ jagte 
er bejtimmt, indes der Kork jprang, worauf er 
raſch einfchenkte und auf alte Freundichaft an: 
ftieß. „Bin froh, dem Grölzen vom jchwarzen 
Walfiſch zu Askalon entronnen zu fein. Ein 
altes hehres Studentenlied hört man da nicht 
mehr. Weißt du: ‚Auf des Geijtes lichtge- 
wohnten Schwingen!‘* 

Dräſow fah ihn verftändnisinnig an, dachte 
dabei an die Kojten des Soupers, an die „Magie 
des Reichtums,“ griff bald zur vertraulichen, 
bald zur höflichen Anrede (Herbig machte es in: 
des auch nicht anders), langte übrigens mit 
Appetit zu, nachdem einmal aufgetragen war. 

„Und nun, Dräfovius, wie geht es „ihnen?“ 
fragte Herbig teilnahmsvoll. 

„Wie foll es, ohne Moneten von Haus 
aus, einem deutfchen Privatdocenten ergehen? 
Ich eſſe Luft und werde mit Verſprechungen 
geipeift, aber nicht fett dabei, wie der feifte 
Dänenprinz.“ 

„Bugegeben. Was haben Sie jet unter 
der Feder?“ 

Ich Schreibe meine Aeſthetik der Karrifatur 
fertig. Allein, ein anderer Buchhändler fucht 
mich zu einem Kommentar über Leſſings Drama: 
turgie:Briefe zu bejtimmen. Und diejfer Ver: 
leger, der mir das neue Offert gemacht . . .“ 


30 Auguſt Beder. Eleonore. 


„Bringt fih um, wenn Sie nicht annehmen, 
He?“ 

„Das gerade nicht,“ verſicherte Dräfom, 
„allein, er hat mich doc vor meinem jeitherigen 
Buchhändler ernftlid gewarnt.“ 

„Und fo ſchenken Sie ihm natürlich Ihr Ber: 
trauen. Das erinnert mid an eine Gejdichte, 
darf ich fie erzählen? Gut. — Da kommen 
gleichzeitig ein Engländer und ein Franzoſe in 
einem rheinischen Hotel an. Xebterer nimmt 
den Wirt beifeite: ‚Nehmen Sie ſich vor diefem 
jemmelblonden Anglais in acht, ein großer 
Filou!‘ — Darauf fommt der Semmelblonde 
im Vertrauen: ‚Hüten Sie fi) vor jenem ſchwarz⸗ 
bärtigen Halunfen, id) fenne ihn.‘ — Und der 
Wirt denkt: Welche gegenfeitige Verkennung! 
Eines Tages gegen Schluß der Saifon waren 
beide ohne Zahlung und mit einem Teil des 
Silberzeuges verſchwunden, um ihr Heil anderswo 
zu verfuchen. “ 

„Und die Moral der Geſchichte?“ wifperte 
Herbigs Gaſt. 

„Müſſen Sie fich ſelbſt ziehen, Dräſovius. 
— Wie fommen Sie übrigens dazu, einen Kom: 
mentar jchreiben zu wollen?“ 

„Ic dächte doch, man fünne über alles einen 
ſchreiben.“ 

„Allerdings. Eine paſſende Beſchäftigung 
für einen alten Herrn, der noch ein bißchen mit 
Tinte ſudeln will. Wie ging es mit Ihrem 
letzten Buche?“ erkundigte ſich Herbig weiter. 

Dräſow trank, winkte verdüſtert ab und af 
dann weiter. 

„Das Buch war gut,“ ſagte er, „aber — 
die Kritik, wiſſen Sie, die Kritik! Sie ſoll an— 
regen, erheben. Die Welt hat ſich jedoch um— 
gekehrt. Das Urteil liegt heute bei der unreifen 
Jugend.“ 

„Die wählte ſtets gerne dieſen Tummel— 
platz,“ ergänzte Herbig. „Wie ſchreibt Lord 
Byron an den jungen Freund? ‚Sie kritiſieren 
ſehr fcharf, mein Kind —, wenn Sie einmal 
älter find, bleiben Sie von allem unbefriedigt 
und werben niemand übel behandeln!‘ Alfo, 
lieber Dräfom, feine Schwäche! Da gibt’3 zweier: 
lei. Entweder Sie beadhten den Tabel nicht, 
oder machen es ein andermal bejjer. Freilich, 
unter Umftänden gibt es noch ein Drittes.“ 

„Das wäre?” 

„Sie laugen Ihren Gegner gehörig ab und 
bearbeiten ihn mit dem ironiſchen Bügeleifen. 


Oder, jhlagen Sie ihm doch einmal mit Thors 
Hammer um den Kopf.“ 

„Wer das vermöchte!“ 

„Sum Teufel aud), jo fahren Sie ihm mit 
der Feder tüchtig durch die Ohren, heften Sie 
ihn mit dem Stift an die Wand! Nur fein litte: 
rariſches Gezänt! Gleich den Kerl wie eine 
Melone zerſchneiden, wie einen Kürbis zerhaden. 
Dann Beſſeres ſchaffen, wenn man ſich hierzu nicht 
gleich von vornherein entſchließen kann. Ergo 
bibamus!* 

Dräſow feufzte, nachdem er fein Glas ge: 
leert hatte. 

„Muß mich wohl dem Modegejhmad an: 
bequemen, * fagte er dann. „Mode macht Brom: 
beeren teuer wie Ananas! Nicht an die Kunjt 
oder Wiſſenſchaft hält fie ſich, ſondern an deren 
Schein. Ich werde eö mit einem Efjay über die 
Bartfeife der Trojaner verſuchen. Oder mit 
etwas recht Modernem, mit einer laut verfün- 
beten, rüjtigen Dummheit. Wiffen Sie mir 
feine?” 

Herbig dankte für das chmeichelhafte Ber: 
trauen, fonnte jedoch im Augenblid nicht dienen. 
Indes fuhr Dräſow fort, Meſſer und Gabel 
fleißig gebrauchend. 

„Und was ift eö mit Ihnen? Haben Sie das 
baltiſche Weſen fatt und wollen es mit unjerem 
lumen orbi verſuchen? Oder treffen Sie Vor: 
bereitungen zu einer Entdedungsreife in die 
Mongolei, Sie Ethnograph?“ 

„Nein, Freund! Morgen jchon geht es ſüd— 
wärt3 auf meiner zweiten Nomfahrt!” 

„Slüdlicher! Könnte ich mit!“ 

„Nicht doch. Sie blieben überall ſtehen, 
längjt gefammelte Notizen nochmals zu jammeln; 
ich müßte weiter. Aber, wollen Sie feine Zu- 
fpeife zum Rumpſteak, etwa eine Salzgurke?“ 

„Ih ziehe mit Petrarca Notrüben vor.“ 

„Und mit Taſſo Malvafier!* meinte Herbig, 
wieder zur Weinfarte greifend. „Lauras jchein: 
heilig langweiliger Anbeter fol hier nicht allein 
über Sie beftimmen.” 

„Muß es fein, dann Claret!” fiel Dräſow 
ein und meinte, während der Bordeaux beitellt 
wurde: „Schade, daß wir nicht Est est oder 
Falerner miteinander in einer von Citronen und 
Lorbeer umbdufteten Lokanda trinfen werben. 
Dann hätte ich Stoff für mein nächſtes Bud). 
Nicht ?* 

(Fortfegung folgt.) 


J. van Bebber. Die Begründung einer beutichen meteorologiichen Geſellſchaft. 


Die Begründung einer deutfchen 
mefeorologifhen Geſellſchaft. 


Ton 
3. vau Bebber. 


ur Erforfhung der den atmofphärischen Er: 

ſcheinungen zu Grunde liegenden Geſetze iſt 
es durchaus notivendig, die Witterungsvorgänge 
an verſchieden gelegenen Orten auf möglichit 
großem Gebiete zu fennen, fie miteinander zu 
vergleihen und aus dieſen Wergleichungen 
Schlüſſe zu ziehen, ſei es, daß man die gleid): 
zeitig jtattfindenden Wetterphänomene, oder aber 
den durchjchnittlichen Charakter der Witterung 
für längere Zeiträume in Betracht zieht. Hier: 
aus ergibt ji) al3 notwendige Forderung mög— 
lichjte Einheit und Vergleichbarkeit der Beob— 
achtungen und die Innehaltung gewifler, genau 
definierter Zielpuntte. In der That gibt es feine 
Wiſſenſchaft, deren Erfolge fo fehr von dem 
nad) feſten Grundſätzen geregelten einheitlichen 
Zufammenmwirfen der Fachgenoſſen abhängen, 
als die Meteorologie. Die Wahrheit diefer Be- 
hauptung wurde im Auslande bereits lange da— 
durch thatſächlich anerkannt, daß faft überall die 
vorhandenen Kräfte fich zu Gefellihaften ver- 
einigten, um die meteorologifche Wiſſenſchaft zu 
pflegen, zu fördern und jo viel wie möglich für 
praktiſche Ziwede zu verwerten. Bei dem Mangel 
einer jolchen Gejellichaft hatten ſich die deutſchen 
Meteorologen der öfterreichiichen Geſellſchaft für 
Meteorologie angeihlofien, wo diejelben teils 
alö ordentliche, teils als Ehrenmitglieder Auf: 
nahme fanden; allein in einem Lande, mie 
Deutichland, wo die wiſſenſchaftlichen Arbeiten 
und Beitrebungen an verſchiedene Gentralpunfte 
gefnüpft find, erjchien e8 durchaus wünjchens- 
wert, einen engeren Verband aller auf dem Ge: 
biete der Meteorologie thätigen Kräfte zu fchaffen, 
um fo einheitliches Zuſammenwirken zu erzielen 
und zum Studium ber Witterungsfunde allfeitig 
anzuregen. 

Diejes warder Gedanke, welcher die Meteoro: 
logen der Seewarte bewog, die deutichen Fach— 
genofjen zu einer Zufammenfunft zu dem Zwede 
einzuladen, die Gründung einerdeutfchen meteoro: 
logiſchen Gejellihaft zu beraten. Diefer Ein: 
ladung wurde auch von allen Seiten mit der gröf: 
ten Bereitwilligfeit Folge geleijtet. In der erjten 


— — 


— — — — — — — — — — 


31 


Sitzung vom 17. November 1883 wurde ſofort 
in die Beratung der Statuten eingetreten und 
am 18. konſtituierte ſich die deutſche meteoro— 
logiſche Geſellſchaft. Aus den Statuten der Ge— 
ſellſchaft wollen wir nun einige Punkte hervor— 
heben. Zweck der Geſellſchaft iſt die Pflege der 
Meteorologie ſowohl als Wiſſenſchaft, wie in 
ihren Beziehungen zum praktiſchen Leben. Als 
Mittel zur Erreichung dieſer Zwecke dienen Ver— 
ſammlungen der Geſellſchaft, ihrer Zweigvereine 
und Organe, Herausgabe einer Zeitſchrift für 
Meteorologie, Unterſtützung wiſſenſchaftlicher 
Unternehmungen, Vorträge und andere Maß— 
regeln zur Verbreitung meteorologiſcher Kennt: 
niffe in meiteren Kreifen. Die Geſellſchaft ift 
eine allgemein deutſche, der Vorort wird auf 
je drei jahre gewählt, alljährlich findet eine 
Wanderverfammlung, in der Regel im Anſchluß 
an die Naturforjcher-Berfammlung, ftatt. Es ſei 
noch bemerkt, da die Gründung von Zweig: 
vereinen an möglichit vielen deutſchen Orten in 
Ausfiht genommen ift. Die innere Drganifation 
diefer Zmweigvereine ift letzteren völlig überlafjen 
und es find diefelben berechtigt, auch Nicht: 
mitglieder der meteorologishen Geſellſchaft in 
beliebiger Zahl aufzunehmen. Als Vorort der 
Gejellichaft wurde Hamburg, als Präfident der 
Direktor der Seewarte, Geh. Admiralitätsrat 
Prof. Dr. Neumayer und als jtellvertretender 
Vorjigender Prof. Dr. v. Bezold einjtimmig 
gewählt, der übrige Vorftand befteht aus zwölf 
gründenden Mitgliedern. 

Noch am Abend des Tages der Gründung 
hielt die Geſellſchaft die erite Vorſtandsſitzung 
und gleich darauf die erjte allgemeine Sigung 
ab. In der letzteren wurde als Berjammlungs: 
ort für das nächte Jahr im Anſchluß an die 
Naturforiher:VBerfammlung Magdeburg gewählt 
und eine Neihe von Mitteilungen fahmännifchen 
Inhaltes gemacht. 

Zunächſt teilte Dr. Hellmann Reſultate der 
Beobadhtungen von Dämmerungserjcheinungen 
mit, die teils von ihm ſelbſt, teils auf feine Ver- 
anlafjung in Spanien angeftellt waren. Hier: 
nach erlischt rejp. beginnt die Dämmerung, 
wenn die Sonne 15,6% im Yahresmittel unter 
dem Horizonte fich befindet, im Sommer iſt 
diefer Winkel Eleiner, im Winter größer. Die 
Morgendämmerung hat durchichnittlih eine 
längere Dauer, als die Abenddämmerung, eine 
Erſcheinung, welde in den Feuchtigfeitsverhält: 
niſſen der Luft ihre Erklärung findet. 


32 Karl Bartſch. Sanft Julian. 


Dr. v. Bebber erläuterte an der Hand einer | Eingehend beiprah Dr. Köppen eine neue 
Reihe von Wetterfarten den Verlauf und die | Prüfungsmethode der Metterprognofen, wodurch 
Ummwandlungen merfwürdiger Wettererichei: | jede Beeinflufjung durd das ſubjektive Urteil 
nungen, welche vom 11. bis 13. November 1883 ausgeſchloſſen wird, und welche fihere Auskunft 
fi vollzogen und welche eine faft volljtändige | darüber gibt, welcher Wert der Grundlage bei— 
Analogie mit denjenigen vom 8. bis 11. Sep: | zulegen ift, auf welcher Wetterprognofen beruhen. 

| 





tember 1876 aufmeifen. In diefen beiden Fällen | ZurErläuterungdiefer Methode wurden für einen 
bewegte fich eine Depreifion, von der Nordfee | hinreichend großen Zeitabjchnitt einerjeits Die 
fommend, oſtwärts nad) der füböftlihen Dftfee, | Prognofen der Seewarte und anderjeits die in 
anderfeit3 eine andere von der Adria nad | neuerer Zeit in Zeitungen zc. fo fehr verbreiteten 
Polen hin, beide bildeten zuerft eine Furche nie: | MWetterprognofen auf längere Zeit voraus ge— 
deren Luftdrudes, verfhmolzen dann zu einer | wählt, Während bei den erfteren eine reale 
einzigen Depreſſion, und diefe, zu einem abgerun: | Bafis zweifellos nachgewieſen wurde, jo ergab 
deten Minimum fich ausbildend, fchlug den ano: | fi), daf lettere jeglicher verwertbaren Grund: 
malen Weg nad) Weſten ein. Bei diejer Gelegen: | lage entbehrten, aljo denfelben Erfolg haben 
heit teilte derjelbe einige Reſultate feiner Unter: | müßten, als wenn fie vollftändig aus der Luft 
fuhungen über anomale Bewegungen der De: | gegriffen wären. 

prejfionen mit. Hiernach beſchränken ſich die nad) Es iſt zu hoffen und zu erwarten, daf die 
Nord gerichteten Bahnen der Minima auf den | meteorologische Geſellſchaft, ſowohl durch direkten 
Sommer, wo die höchſte Wärme im Diten liegt, | Anſchluß ala durch Bildung von Zweigvereinen, 
die ſüdwärts gerichteten auf den Winter, wo der | in ganz Deutihland raſch alljeitig Verbreitung 
Weiten die höchfte Temperatur aufweist, jo daß | finden und das Berftändnis der Witterungsfunde 
aud) diefe unregelmäßigen Bewegungen dem Ge: | in allen Kreifen der Bevölkerung anbahnen wird, 
jeße folgen, daß die Depreffionen bei ihrem | denn diefe Wiflenfchaft ift berufen, wegen ihrer 
Fortfchreiten die höchſte Wärme rechts liegen | eminent praftiichen Seite, das Gemeingut der 
laſſen. ganzen Nation zu werden. 





— Sankt Julian. — 


Von 
Rarl Bartid. 


In alten Zeiten flehte man Ich weiß mir eine Herberg' wert, 
Sanft Julian um Berberg’ an; Nach der mein Herz hat lang’ begehrt; 
Manch frommer Pilger ward bei Nacht Die it fo wonnig, ift fo warm: 

Dom Heil'gen Ins Wuartier gebradht, Die Herberg' in der £iebiten Arm. 


„Ach, weißt du nicht, du fremmer Chriit, 
Daß fol Begehren fündlich ift? 

mit folchem Berbergfuchen gab 

Ich heil’ger Mann mich niemals ab.” 


Sanft Julian, du heil'ger Mann, 
Nimm dich aud; meiner gnädig an, 
Und dib mir wandermäden Gaſt 
Auch einer Herberg’ holde Kafl. 


Du frommer Mann, du thuft mir leid, 
Was ift dann eure Seligfeit? 

Zum Himmel trüg’ ich fein Begehr, 
Wenn nicht die £iebfle drinnen wär. 


„Yun fage mir, du frommer Chrifl, 
Wo dir die Kaft am liebiten iſt; 
Und wenn ich es vermag zu thun, 
Sollt du da gütlich aus dich ruh'n.“ 





ie Erzeugnifie der japanischen Malerei, deren 

Anfänge ſich bis in das ſechſte Jahrhundert 
nah Chriſti Geburt verfolgen laſſen, nehmen 
gegenüber denen der europäiſchen Kulturvölfer 
eine völlig eigenartige Stellung ein. Nur in der 
Abgeſchloſſenheit, in welderfichdie innere Kultur: 
entwidelung der japanischen Völker vollzogen 
hat, läßt fih eine Erklärung dafür finden, daß 
wir in den Malereien der jpäteren Jahrhunderte 
noch derjelben naiven Daritellungsmweije begeg: 
nen, welche die früheren Arbeiten fennzeichnet. 


Gemälde, wie fie von europätichen Künftlern | 


zum beforativen Schmude monumentaler Ge: 
bäude an den Außenwänden oder im Inneren 
al fresco ausgeführt werben, fennt der Japa— 





ner nicht; ebenfowenig aber werden von ihm 
Staffeleibilder mit Anwendung der Delfarben 
nad) der in Europa üblichen Weife hergeitellt. 

Es find ausfchlieglich drei verſchiedene Arten 
von Bildern, aufderen Ausführung der japanische 
Maler im Bereiche der jogenannten hohen Kunft, 
welde die Verzierung von Induſtrieerzeugniſſen 
ausſchließt, bejchränft ift, die Kakemono 
(Wandbilder), die Mofimono (Rollen) und 
die Biobu (Wandſchirme), denen fich die Illu— 
jtrationen, welche entweder in Büchern oder 
auf einzelnen Blättern, meist durch Holzſchnitt 
vervielfältigt, ſchwarz oder farbig gedrudt er: 
icheinen, anſchließen. 

Die Kakemono find Gemälde von ſchmalem 

5 


34 


Längenformat und zum Aufhängen an den Wän: 
den ala Schmud der Zimmer bejtimmt. Da es 
bei den Japanern Sitte ift, in jedem Wohnraume 
nur jehr wenige, meist nur ein einziges Gemälde 
aufzuhängen, für welches gegenüber der Ein: 
gangäthüre eine befondere Nifche bejtimmt iſt, 
pflegt der Beſitzer einer größeren Zahl diejelben 
in aufgerolltem Zujtande in bejonderen Käſten 
zu verwahren. Das Material, auf welches ge: 


_— 





Gig. 1 (6. 38). 


malt wird, ift Seidenftoff oder Papier, welches 


auf eine grobe Yeinwand aufgeklebt wird, wäh: | 


rend man fich noch heute zum Malen ausſchließ— 
ih mit Haufenblafe gebundener Wafjerfarben 


©, von Schorn, 


der landichaftlihen Natur und der Tierwelt ent: 


nommen. „jn den meilten Fällen zeigt ein ein- 
zelmes Bild ein abgeſchloſſenes Ganze und nur 
jelten finden ſich zwei, höchſtens drei durch ihren 
Inhalt zufammengehörige, fich ergänzende Ge— 
mälde, welche gewöhnlich nad) dem Fortgange 
der dargejtellten Handlung nebeneinander auf: 
gehängt werden. 

Die zweite Art von Gemälden, die Mat: 
mono (Rollen), tragen dieſe Bezeichnung , weil 


| fie zum Aufhängen überhaupt nicht verwendet 





werden. Das Material, auf welches gemalt 
wird, bejteht auch bei diefen aus Seide oder 
Papier, die Streifen aber, deren man fich be- 
dient, haben höchſtens eine Breite von 192 Fuß, 
nach welcher die Behandlung der darzuftellenden 
Figuren und Gegenftände ſich zu richten hat. 
Am oberen und unteren Ende find fie durch oft 
ſehr foftbare Stüde von gemuftertem Seidenftoff 
abgeſchloſſen, die an der unteren Seite befejtigte 
Rolle aber ift an den, an beiden Seiten deö 
Streifens hervorftehenden Enden mit Knöpfen 
verjehen, welche nicht jelten aus Elfenbein her: 
geftellt und mit reihem Zierat ausgeſtattet find. 
Zum Zufammenbinden der Nolle find in der 
Mitte des oberen Randes zwei farbige feidene 
Bänder befeftigt. 

Obſchon derartige Streifen urfprünglich für 
Manuftripte verwendet wurden, bediente man 
jih ihrer doch ſchon ſehr frühzeitig zur Her: 
ftellung von Bildern, teils mit, teils ohne Tert. 
Durch ihre Länge boten fie befonders günftige 
Gelegenheit zur Darftellung figurenreicher Sce: 


ı nen und Aufzüge. Die auf ihnen behandelten 





Stoffe wurden deshalb früher faſt ausſchließlich 
der Mythe und der Geſchichte, vom fechzehn: 
ten Jahrhundert an aber aud dem täglichen 
Leben entnommen, wobei figurenreiche Prozeſ— 
ſionen eine hauptſächliche Berüdfichtigung finden. 

Die geeignetiten Flächen für größere Ma: 
lereien bieten die Biobu oder Mandfchirme dar, 


' welche, gewifjermaßen als Erjat der nur in ſehr 


bedient, wie es ſchon in den frühejten Zeiten | 


üblih war. Da von dem japanijchen Maler in 


der Detailausführung das Wunderbarjte erreicht | 


wird, müfjen die Binfel, deren er fich bedient, 
von auferorbentlicher Feinheit fein. 

Die auf den Kafemono behandelten Stoffe 
umfaſſen das ganze Bereih der fünftlerifchen 
Darjtellung. Sie find der Mythe und dem 
Kultus, der Gefhichte und dem täglichen Zeben, 


geringer Zahl vorhandenen Möbel in keinem 
japanischen Zimmer fehlen. Da gemöhnlic zwei 
derartige Schirme zufammengehören und jeder 
derjelben für ſechs einzelne, gleich große Blätter 
Naum enthält, können zwölf nach ihrem Inhalt 
zufammenhängende Gemälde, 3. B. fortlaufende 
Scenen einer Schlacht, zur Daritellung gelangen. 

Wie auf den vorher bezeichneten Bildern 
werden indeflen auch auf den Wandfchirmen die 
verfhiedenartigiten Gegenftände behandelt, jo 


Malerei und Illuſtration in Japan. 35 


daß ſich auch hier, bei den älteren Bildern be: | in den japanischen Malereien ein großer Neid: 
ſonders, die religiöfe, die Schlachten: und Genre- tum an Phantafie, eine feine Beobadhtungsgabe 
malerei, bei den neueren vorherrichend die von | und eine hochentwidelte techniſche Geſchicklich— 
Koftümfiguren, Tieren, Yand: feit. Da die Kunft in japan gegen das 
ihaften und Pflanzen ver: ef Ende des ſechſten Jahrhunderts von Corea 
treten findet. Nur die eigent: aus durch einen Gejandten des dortigen 
liche Porträtmalerei ift von Königs Eingang fand und von 
den Japanern in feiner Zeit diefem, nachdem er fich dauernd 
geübt worden, und läßt die am königlichen Hofe niederge: 
Darftellung der Köpfe trotz laſſen, die erſte Malerfchule ge: 
der feinen Beobad): gründet wurde, haben 
tung und des ein: ji im Laufe der Zeit 
gehenden Studiums zwei bejtimmte Stile 
der Natur, welches wir herausgebildet, von 
bei ihnen bewundern, denen der ältere als 
eine eigentliche Indi— der chineſiſche, der ſpä— 
vidualiſiecung und tere, von den ftrengen 
Charakterzeichnung chineſiſchen Formen be— 
beinahe vollſtändig freit und zu nationaler 
vermiſſen. Selbſtändigkeit ge: 
In der Abgeſchloſ⸗ langt, als der eigent— 
ſenheit des Landes lich japaniſche zu be— 
und der durch dieſelbe zeichnen iſt. Aber auch 
bedingten inneren Kul: in legterem machen fich 
turentwidelung ift, wie wiederum zwei be: 
bereits erwähnt wurde, allein ftimmte Nidhtungen 
der Grund dafür zu finden, geltend, deren eine, 
daß ſich die urfprünglichen die klaſſiſche, fh in einfachen ftrengen Linien 
naiven Kunftanfchauungen bewegt, während die andere, die realiftifche, ſich 
diefes Volkes bis auf die die unmittelbare Wiedergabe der natürlichen Er: 
neuere Zeit erhalten haben. 
Die Negeln der Perſpektive 
und der Scattenfonjtruftion, 
die Wirkungen von Licht und 
Schatten und der Luftperjpeftive, jowie das, was 
wir unter Kolorit und Stimmung eines Gemäldes 
zu verftehen pflegen, find dem japanischen Maler 
bis auf die neuejte Zeit volllommen fremd ae: ı 
blieben, ja bei den alten Künstlern tt jogar von 
jeder Andeutung eines Terrains, nach welchem 
fih die dargejtellten Fiqurenjcenen bewegen, 
Abitand genommen, fo daß die verichiedenen | 
Gruppen und Geſtalten bei aller ihrer lebendigen 
Mannigfaltigfeit frei in der Yuft zu ſchweben 
ſcheinen. 
Eine gleiche Naivität gibt ſich auch in der 
Behandlung der Farbe zu erkennen, bei welcher 
nur dominierende Lokalfarben zur Verwendung Fig. 3 (€. 40. 
fommen, demnach alfo eine dur Abtonung und 
Uebergänge erzeugte harmonifhe Farbenftim: | fcheinung zur Aufgabe macht. Ein anjchauliches 
mung überhaupt nicht vorhanden iſt. Beifpiel hierfür bieten, wenn auch nur in flüch— 
Troß diefer Beſchränkungen offenbart fih | tiger Zeichnung, die beiden Figuren 1 und 2. 

















36 ©. von Schorn. 


In ihnen jehen wir denſelben Gegenftand, eine 
mythologiſche Geftalt, zur Darftellung gebracht, 
aber in ihrer künſtleriſchen Auffafjung und Be- 
handlung tritt uns der Unterfchied der beiden 
Stile deutlich entgegen. 

Jahrhunderte hindurch blieb in Japan die 
Malerei ein ausfchliegliches Privilegium der vor: 
nehmſten Kaſten und wurde allein vom Adel aus- 
geübt. Gegen das Ende des zehnten Jahrhun— 


derts bemächtigten fih ihrer die Priefter des 
Bubdahdienftes, um fie für ihre Kultuszwecke 
zu verwerten, und erit im ſechzehnten Jahrhun— 
dert, in welchem ber eigentliche japanische Stil 
fih zu entwideln begann, traten Maler aus den 
bürgerlichen Kreifen hervor. 

Auf einem jener älteren bubbhiitifchen Ge: 
mälbe erblidt man ben Bis-ja-mon, den Gott 
des Ruhmes, zugleich die Perfonififation aller 





Flag. H ıS. 40) 


ritterlihen Tugenden, zur rechten Seite des 
Buddha, welher auf der Lotospflanze fteht, in 
majeftätifher Erfcheinung. Mit einem Fuße auf 
einen unter ihm fich frümmenden Dämon tretend, 
eriheint er in prachtvolle Gewänder gekleidet, 
welche feinen Panzer und feine kriegeriſche Aus: 
rüftung teilweife bedecken. Auf dem Haupte 
trägt er einen reich verzierten Helm mit einer 
roten Feder, während er in der einen Hand ein 


dreizadiges Schwert, in der anderen eine Pagode | 
hält. Sein Haupt ift von einem Freisförmigen 
Heiligenfhein umgeben, auf deſſen Nand drei | 


feurige Kugeln als Symbol der menſchlichen 
Seele ſich befinden. Zur Linfen Buddhas fteht 





die Figur des Gottes Tudo, des Symbols der 
Strafe, eines mit tiefblauem Leibe dargeitellten, 
zum Teil mit Flammen umgebenen Dämons. 
In feiner rechten Hand hält er ein blanfes 
Schwert, in der linken das Ende eines Schiffs: 
taues. In der buddhiſtiſchen Kunſt ſpielen die 
Dämonen eine hervorragende Rolle. Sie ſind 
meiſt, um ihr teufliſches Anſehen zu erhöhen, in 
ſehr lebendigen, bunten Farben, in Grün, Rot, 
Blau, Gelb u. ſ. w. gemalt und nicht ſelten ge— 
hörnt und mit fletihenden Zähnen dargeitellt. 

Ein größeres Gemälde aus dem elften „Jahr: 
hundert gibt eine Anfchauung von der Art und 
Reife, wie der japaniſche Künftler das inferna: 





Malerei und Jiluflcation in Japan, 


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37 


Ma. 5 (8. m, 


liſche Gebiet ſich vorjtellt. Dasjelbe vergegen: 
wärtigt in einer Reihe von Darftellungen, deren 
Handlung auf der rechten Seite des 11Ye Fuß 
langen und 10" Zoll breiten Bildes beginnt 
und nad) links fich fortjegt, die Vorgänge in den 
verfchiedenen Teilen der Hölle. Bon den vier 
größeren Abteilungen, welche das Bild enthält, 
zeigt die erſte drei in Grabgewänder gehüllte 
Geftalten, welche durch ein dunkles Thal ihren 
Weg fuchen. Ein Wegweijer deutet ihnen das 
Ufer eines wild vorbeiraufchenden Fluffes an. 
Die eine derfelben, in der rechten Hand einen 
Stab haltend, mit der anderen ihr weißes Ge: 
wand emporhebend, jcheint über das Waſſer hin: 
überzufchreiten, während die beiden anderen dem: 
jelben zitternd fich nähern. 

Das Thal und der Fluf find hier offenbar 
als die Symbole des Todes und des Grabes 
gedaht. Daneben aber ſitzt, an den abgeſtor— 
benen Stamm eines Baumes gelchnt, eine häß— 
liche, grauhaarige Niefin, welche unter furdt- 
barem Grinjen bemüht ift, die Geftalten ihrer 
Gewänder zu entkleiden; und fo fehen wir fie 
denn jenjeits des Fluſſes nadt vor den ſchreck— 











Die zweite Abteilung zeigt die Darftellung 
des Tribunals, bei welchem der Richter, ein 
furdhtbarer Niefe, eine mächtige Keule in der 
Hand haltend und von zähnefletihenden Dä— 
monen umgeben, hinter einem Tiſche fit, und 
zwar auf einer Ejtrade, von welder Stufen 
hinab zur Hölle führen. Einem der in diejelbe 
eintretenden Weſen hält ein roter Dämon den 
Spiegel der Erinnerung vor, in welchem er die 
von ihm begangenen Verbrechen erblidt. Anders 
gefärbte Dämonen treiben mit anderen Ver: 
dammten ihr teuflifches Spiel. 

Die gräßlichiten Strafen fehen wir in der 
dritten Abteilung fich vollziehen. Hier werben 
Sünder in Stüde zerhadt, mit Mefjern gefol: 
tert und in ſchwere Felsmaſſen eingequeticht, 
wobei grüne, blaue und rote Teufel in Thätig- 
feit find und Blutſtröme den Boden bededen. 
Nach budohiftifcher Auffaffung muß jeder Sün— 
der nad) dem Tode diefelben Dualen wieder er: 
dulden, welche er bei Yebzeiten andere hat er: 
leiden laſſen. 

In der letzten Abteilung endlich jehen wir 
ein vom Winde hin: und herbeweates Flammen: 


lichen Richter treten, welcher ihr Urteil fpricht. | meer, in welchem die Sünder die höchſten Qualen 


* 
Br AT 


Bert Tr 


Fin. 6 1&. 40, 


erwartet, denen fie endlich erliegen. Schlangen 
lauern in den Eden, um die Entfliehenden zu 
fangen, und über dem ganzen entfeslichen Höllen: 
pfuhl ſchwebt das gigantifhe Haupt des An— 
Hägers. 

Mit dem Beginne des zwölften Jahrhun— 
derts tritt die fchauriggroteste Behandlung der: 


artiger Stoffe mehr in den Hintergrund und die 


Hiftortenmalerei nimmt einen fräftigen Auf: 
ſchwung, für welchen noch zahlreich vorhandene, 
lebendig fomponierte Schladhtenbilder Zeugnis 
geben. 

Der hervorragendjte Meifter jener Zeit war 
auf diefem Gebiete Kiomori, welder an den 
Kämpfen, die er in feinen Gemälden jchildert, 
ohne Zweifel perſönlich teilgenommen hat. 

Wie bereits bemerft wurde, machte ſich erjt 
im Laufe des ſechzehnten „Jahrhunderts ein 
vollftändiger Umſchwung in der japanijchen Ma— 
lerei bemerkbar. Bon da an verſchwindet mehr 
und mehr die bis dahin übliche pathetifche Auf: 
fafjungsweife und an ihre Ztelle gelangt mit 
der Beobachtung und Wiedergabe der unmittel: 
baren Wirllichfeit die Genremalerei zu allge: 
meiner Aufnahme und Verbreitung. Hiermit 
aber beginnt zugleich die Kunſt eine volkstüm— 
lihe zu werden, denn nicht allein die Gegen: 
jtände für ihre Daritellungen werden dem Volks— 
leben entnommen, jondern auch die Künſtler ſelbſt 
gchen aus dem Volfe hervor — die Kunit hört 


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auf, als ein aus: 
ſchließliches Pri: 
vilegium der höch⸗ 
iten Stände zu 
gelten. 

Wenn aud) be: 
reits im ſechzehn⸗ 
ten Jahrhundert 
einzelne Maler 
begonnen hatten, 

Manujffripte, 
welde in Buch 
form, anjtatt auf 
Rollen hergeftellt 
waren, mit feinen 
Miniaturen aus: 
zuihmüden, jo 
wurde doch erit 
im  fiebzehnten 
Jahrhundert die 
Verwendung der 
Bücher für die 
Wiedergabe künſtleriſcher Darftellungen allge: 
meiner üblich, und wurden von da an zahlreiche 
Holzjchnittwerfe mit und ohne Tert veröffentlicht. 

Die Bücherilluftrationen jener Zeit find alle 
in einem Tone — in Schwarz — gedrudt und 
mit breiten Strihen, zwiſchen denen größere 
ſchwarze Flächen fihtbar find, behandelt. Zum 
größeren Teile bejtehen fie in Neproduftionen 
von Daritellungen aus der buddhiſtiſchen Lehre 
und aus der Gejchichte berühmter Männer und 
Helden, welche deutlich erfennen laſſen, daß es 
bis dahin die chineſiſche Schule war, welche die 
hohe Kunſt in Japan repräfentierte. 

Anders erfcheint dies in einem größere. 
Werke vom „jahre 1722, weldes alle möglichen 
japaniſchen Yebensverhältniffe in ihrer vollen 
Wahrheit darftellt und infolgedejlen eine große 
Popularität erlangt hat. Ein im ‚jahre 1745 
gedrudtes Werk in 9 Bänden (Jiki-ſhi-ho von 
Monkuni) enthält Zeichnungen, welche dazu be: 


ſtimmt find, als Vorbilder für den Unterricht 


und für kunſtgewerbliche Zwede zu dienen. Das: 
jelbe umfaßt alle Zweige der Kunſt und zeit 
vielfach noch den Einfluß des chineſiſchen Stils 
neben völlig felbjtändigen und eigentümlichen 
Zügen, wie aud) das auf der eriten Seite befind- 


liche Bildnis des Herausgebers in der Behand: 


| 


lung einenentjchieden japanischen Charaftertrügt. 
Der japanifche Künftler, welcher für den 


Holzſchnitt arbeitet, fertigt feine Zeichnung auf 


Malerei und Jluftration in Japan. 39 


äußerſt dünnem Papier, weldes alsdann auf 
den Holzichnitt aufgeklebt und vom Holzichneider 
durchſchnitten wird, während bei uns die Her: 
jtellung der Zeichnung auf der mit einem weißen 
Grunde verjehenen Holzplatte jelbit erfolgt oder 
photographifc auf dieje übertragen wird. il 
aus erflärt es ſich, da Drigi: 
nalzeihnungen von hervor: 
ragenden japanijchen Illuſtra— 
toren in verhältnismäßig nur 
geringer Zahl vorhanden find. 
Die erften Beifpiele von 
farbigen Druden im neuen 
Stile erſcheinen zwiſchen 1765 
und 1780, und als Neuheit 
treten am Ende des achtzehnten 
SahrhundertsNbbildungen auf, 
bei welchen die Umrifje ſchwarz 
und die Zwiſchenräume mit far: 
bigem Drud ausgefüllt find. 
In der Zeichnung für den 
Holzichnitt erreichte die neue 
Richtung ihren Höhenpunkt 
während der eriten Hälfte un: 
feres Jahrhunderts in Hofu- 
fai, der uns in feinen zahl: 
reichen Arbeiten als ein emi: 
nenter, mit einem unerſchöpf— 
lihen Ideenreichtum begabter 
Meifter entgegentritt. Geboren 
in Jeddo als der Sohn eines 
Verfertigers von Metallipie- 
aeln, jtarb er 1849, nadıdem 
er ein Alter von 89 Jahren 
erreicht hatte. Die Zeit jeines 
Nuhmes begann erſt in der 
zweiten Hälfte feines Yebens. 
Im Jahre 1810 eröffnete er 
eine Schule für Kunftinduftrie, 
welche ſich bald eines großen 
Erfolges zu erfreuen hatte. 
In demfelben ‚jahre veröffent- 
lihte er unter dem Titel 
„Mangoua” fein erftes größe: 
res Werk, ein Kompendium, welches dazu be: 


ſtimmt war, jeinen Schülern Vorlagen zu bieten. 
Das Wort „Mangoua“ bezeichnet eine ſchnell 


hingeworfene Skizze, eine auf den eriten Wurf 
vollendete Zeichnung. Der erite Band des Wer: 
tes enthält hervorragende Perſonen der buddhi— 
ftifchen Legende, berühmte Krieger und Helden; 
diefen folgen Daimios, Männer und Frauen der 





verſchiedenſten Berufsarten, bet ihrer Arbeit ent: 


weder in Thätigfeit oder ausruhend. Don den 
Menſchen zu den Tieren übergehend, zeigt uns 
der Künftler die Vierfüßler, die Fiſche, Wögel 
und Mollusfen, dann die Pflanzenwelt in ihren 
mannigfaltigen Erfheinungen, und endlich Häu: 
jer, Gartenzäune, Felſen und 
flüchtig hingeworfene land: 
ſchaftliche Studien. Diejer erfte 
Teil des „Mangoua“ enthält 
demnad eine in ffigzenhafter 
Weiſe gegebene Ueberſicht aller 
Erjcheinungen der ganzen ſicht— 
baren japanischen Welt. 

Die dargejtellten Gegen: 
jtände und Figuren find kaum 
3—4 cm hoch und ohne 
Boden, auf dem fie jtehen, ohne 
Hintergrund, von dem fie jid) 
abheben, auf jeder Seite von 
oben nad) unten bunt durch— 
einander geworfen. Letztere 
aber jind in Bezug auf die 
Charakteriſtik ihrer Stellungen 
und Bewegungen in jo vorzüg: 
licher Weife gegeben, daß in 
ihnen der hödjte Grab von 
Lebendigkeit erreicht iſt. Da: 
bei entwidelt der Künſtler einen 
ebenfo frischen als feinen Humor 
und überall tritt bei ihm eine 
geſunde Komik zu Tage. 

Dem erjten Bande der 
„Mangoua“ find von 1810 bis 
1840 unter demjelben Titel 
13 weitere Bände gefolgt, wäh 
vend der Meifter gleichzeitig 
eine große Zahl von Zeich— 
nungen in einzelnen Büchern 
und Albums mit und ohne 
Tert, Illuſtrationen zu Ro: 
manen, jowie auf einzelnen 
Blättern Plafate und Pro— 
ipefte der verjchiedenften Art 
veröffentlichte. Nicht weniger bedeutend als in 
jeinen figürlihen Kompofitionen erjcheint Hoku— 
jai in feinen landſchaftlichen Darjtellungen. Alle 


ſind voller Naturwahrheit und zugleich voll von 
| Poeſie. 


einer Stimmung Ausdruck zu geben und auf das 


Mit wenigen Strihen veriteht er es, 


' Gemüt des Bejhauers zu wirken. Einen haupt- 


! ſachlichen Vorwurf für die künſtleriſche Behand— 


40 ©, von Schorn. Malerei und Junflratton in Japan, 


lung in allen möglichen Auffafjungen und 
Beleuchtungen bietet ihm derBerg Fufiyama, 
ein in der Nähe von Jeddo befindlicher 
Bulfan, welder bei allen Japanern die 
höchite Verehrung genießt. In einem befon- 
deren Werke zeigt er ihn in hundert ver: 
ſchiedenen Anfichten, von denen einzelne mit 
reicher Staffage ausgejtattet find. 

Unfere Slluftrationen bieten einige 
Proben aus Hofufais Werken, melde feine 
geiftreihe Behandlungsweife verſchieden— 
artiger Stoffe in flühtig hingeworfener 
Zeichnung erkennen laſſen. Den einzelnen 
Köpfen der dem Zufchauerraum eines Thea: 
ters entnommenen Gruppe (Fig. 3, ©. 35) 
ift mit wenigen Strihen und Punkten ein 
Ausdrud von Aufmerkſamkeit und Leben ver: 
lichen, wie wir ihn in den Zeichnungen der 
älteren japanischen Meifter vergebens ſuchen 
werden. Vollitändig ebenbürtig den Zeich— 
nungen eines Granboille in der Beobachtung 
des Tierlebens und in der feinen Satire 
menschlicher Eigenfchaften erfcheint das vom 
Künitlerals , Schlupfmwinkel“ bezeichnete Bild, 
in welchem er die mit dem Reishandel ver: 
bundene Thätigkeit auf das Leben der Mäufe 
überträgt und in ihren verſchiedenen Stadien — 
ſchildert (Fig. 4, ©. 36). In einem kleinen 
Strandbilde werden wir mit den Eigentümlich- fung, welche hier durch die einfachſten künſt— 
feiten der Anlage eines japanifhen Hafens, zu: | lerifhen Mittel erreicht ift, den Reiz der Farbe 
gleih aber aud) mit dem Leben und Treiben | kaum vermifjen, das gilt aud von Fig. 79. 
in deſſen unmittelbarer Nähe befannt gemacht Bon Hofufais zahlreihen Schülern und Nach⸗ 
(Fig. 5, S. 37), und das Heine Mondſcheinbild ahmern iſt der bedeutendſte Hoffai, befonders 
„Kommen und Gehen in der Naht“ (Fig. 6, | berühmt durch eine Reihe vorzüglicher, im Jahre 
2.38) läßt uns in feiner ftimmungsvollen Wir: | 1840 erſchienener Farbendrucke. Daß aud) die 
Silhouette, aleihwie bei uns,-bei den Ja— 
panern eine Zeitlang in Mode war, be: 
weift ein 1867 erjchienenes Album, wel— 
ches eine große Zahl derartiger, ganz in 
Schwarz gedrudter, in den Umriſſen aber 
lebensvoll gezeichneter Porträts enthält, 
deren jedes mit einer farbigen Arabesken— 
umrahmung eingefaßt tft. 

Alle bisher erwähnten Werke find von 
Heinem, ziemlich gleihem Format und 
durch Zufammenheften der einzelnen Bogen 
zu einem Ganzen verbunden. Eine andere 
Art der Publikation ift dagegen die von 
einzelnen zu einem Album zufammen- 
gelegten Blättern in großem Format. 
Auf ihnen fehen wir neben allerhand an- 
deren Dingen hauptſächlich Theaterfcenen 














Th, Mördlinger. Die deutichen Holzzölle. 


al 


behandelt, deren Mittelpunft in der Negel | anziehenden Eigentümlichfeiten der urſprüng— 
Japans berühmtejte dramatische Künftler bilden. | lichen japanifhen Malerei und Illuſtration all: 


Noch find endlih die unter dem Namen 
„Meiſho“ veröffentlichten Werke hervorzuheben, 
welche in jeder japanischen Bibliothef durch die 
Zahl und die Größe ihrer Bände die Aufmerk— 
jamfeit auf fich ziehen. Ihren Inhalt bilden 
illuſtrierte Führer durch die Sehenswürbdigfeiten 
einzelner Zandesteile und Städte. Für jede 
Provinz befteht ein befonderer „Meifho“, deren 
mander an 20 Bände umfaßt. Da diefe Werke 
in früheren Zeiten nur dazu bejtimmt waren, 
das Wolf mit den Tempeln, den Klöftern und 
heiligen Orten befannt zu machen, alfo ausſchließ— 
lich religiöfen Zweden dienten, tragen die Dar- 
jtellungen der älteren Ausgaben einen etwas ein: 
förmigen Charakter, während den jpäteren durch 
Hinzufügung einer lebensvollen Staffage mehr 
Abwechslung und Mannigfaltigfeit verliehen ift. 

Im Laufe der legten Jahre hat die japani: 
{che Kunft durd) den zunehmenden wechjelfeitigen 
Verkehr zwiſchen Japan und den Völkern Euro: 
pas, welcher zunächſt durch die Einführung 
der internationalen Auöftellungen hervorgerufen 
wurde, eine völlige Umgejtaltung erfahren. Mit 
dem Eindringen der Europäer in das bis dahin 
allen fremden Kultureinflüfjen völlig verſchloſſene 
Land und dem Bekanntwerden einzelner Glieder 
jenes von Haus aus begabten und intelligenten 
Bolfes mit den europäifchen Verhältniffen muB: 





I 


ten ebenfo, wie durch die Ein: und Ausfuhr der 


beiderfeitigen Induſtrie- und Kunfterzeugnifie 
die volfswirtfchaftlichen Zuftände in Japan eine 
wejentlihe Veränderung erfahren. 


fluß auch bald auf die japaniſchen Künftler und 


mählich mehr und mehr zu verſchwinden drohen. 
D. von Schorn. 





Die dentfhen Holzzölle. 


Bon 
Th. Nördlinger. 


uf der XI. Jahresverſammlung deutjcher 

Forftmänner, welche in den Tagen vom 28. 
bis 31. Auguſt 1882 zu Koburg jtattfand, bil: 
dete den zweiten Beratungsgegenjtand die von 
Dandelmannals Referent eingeleitete Frage: 
„sit ein Zoll auf Holz und Rinde im Intereſſe 
der deutſchen Foritwirtichaft geboten oder minde: 
ſtens gerechtfertigt?“ Es wurde damals ſchließ— 
lih von der Verfammlung, an der fich über 
200 Forftmänner und Freunde der Yorjtwirt: 
ſchaft beteiligt hatten, mit großer Majorität ein 
Antrag des Neferenten angenommen, der dahin 


' ging, in Erwägung, daß die deutſche Forftwirt: 
Selbftverftändlic mußte ein bezüglicher Ein: | 


die Art ihres Schaffens fich geltend machen. | 
Während fie früher mit einem mäßigen Gewinne | 


jich begnügten, juchten fie nunmehr, durch die 
großen, aus dem Nuslande eingehenden Be: 
itellungen verlodt, in möglichit kurzer Zeit Ver: 
mögen zu erwerben. Am leichtejten glaubten fie 
diefes aber dadurch zu erreichen, daß fie die ihrer 


ichaft den einheimischen Bedarf an europätfchen 
Nusholz quantitativ und qualitativ zu deden 
vermöge, zu erflären, daß eine Erhöhung des 
im Zolltarif vom 15. Juli 1879 vorgefehenen 
Zolles auf Rohnugholz und vorgearbeitetes Nub- 
holz im Intereſſe der deutichen Walbwirtfchaft 
dringend wünfchenäwert jei. Zugleich wurde 


' das Präfidium beauftragt, obige Erklärung zur 


Kunft urjprünglich eigentümlichen Formen ver: 


ließen und den europäiſchen Anſchauungen fich 


anbequemten. So ſehen wir in den heutigen | 


Erzeugnijjen der japanischen Kunſt fchon viel: 
fach die Einwirkung der zahlreich dort einge: 


führten Zeichnungen, photographiichen Nbbil- 


dungen und Abgüſſe europäiſcher Kunſtwerke in 
oft völlig mißverftandener Weife zur Geltung 
gelangt, während gleichzeitig die in ihrer Art fo 


‘ 
' 


! 


| 


Kenntnis des Fürften Neichsfanzlers zu bringen. 
Eine diesbezügliche, von der Reichsregierung 
während der letten Legislaturperiode an den 
Reichstag gebrachte Vorlage hat allerdings die 
Genehmigung des letzteren — wir jagen 
„leider“ — nicht gefunden. Doch ſcheint uns das 
vorliegende Thema aud nach der ablehnenden 
Haltung der deutſchen Volfsvertretung wichtig 
genug, um vor den Leſern diejes Blattes be- 
ſprochen zu werden, umfomehr, als wir die Hoff: 
6 


42 j Wilhelm Waldmann, 


nung nicht aufgeben, es werde genannte Körper: | dem deutſchen Zollgebiete ift eine verhältnis: 
ſchaft ein andermal in richtigerer Würdigung der | mäßig geringe und erjtredt fich hauptſächlich auf 
fattifchen forjtlihen Verhältniffe den Yorderun: | Pechkiefer (Pitch Pine), Weymouthsföhre 
aen unferer Waldwirtſchaft gegenüber fich ent: | (White Pine), rotes Gedern: und Hidory: 
gegenfommender zeigen. Sodann hat Dandel: | holz und auf ſchwarze Walnuß, für welche 
mann, der auch in den Neichstagsverhandlun: | Hölzer übrigens Preiſe bezahlt werden, die das 
gen die Vorlage als Bundestommiflär zu ver: | Zwei: bis Vierfache der Preife unferer einhei: 
teidigen Satte, in einem lichtvoll geſchriebenen miſchen hochwertigjten Nutzhölzer ausmachen. 
Werke „Die deutſchen Nusholzzölle, eine Wald- Soweit zur Beantwortung der Frage über 
ihugichrift“, das ſich auf ein umfangreiches | die Notwendigkeit und Höhe der Waldſchutzzölle 
handels- und forftitatijtiiches, dem Verfaffer von | die gegenwärtige Yage der Waldmirt: 
Reichs- und Staatöbehörden bereitwilligit zur | Schaft im Deutihen Reid; einer näheren Be— 
Verfügung gejtelltes Material gründet, die be: trachtung unterzogen werden muß, it daran zu 
antragte Erhöhung der deutſchen Nutzholzzölle | erinnern, daß letztere allerdings jeit den Frei: 
einer eingehenden, auf thatfächliche Verhältnifje | heitsfriegen unter dem Einfluffe der Volfsver: 
aeftügten Erörterung unterzogen. Er mußte ba: | mehrung, einer aufblühenden Holzinduftrie, der 
bei zu dem Ergebnifje gelangen, dai eine mäßige | Marfterweiterung durch Schienenwege, der 

| 

| 

| 











Erhöhung der genannten Zolltarifpofition dur | Waldentlajtung von Grundgerechtigfeiten, der 
die Notlage unſerer Waldwirtichaft geboten und | Kortichritte in foritlicher Wifjenfchaft und Technik 
mit den berechtigten Intereſſen der übrigen be ſich in befriedigender Weife entwidelt hat, Holz- 
teiligten Erwerbs: und Lebenskreife wohl ver- | preife, Waldrenten und Waldgüterpreife dem: 
einbar jei. Es dürften viele feiner Ausführungen | zufolge allmählih geſtiegen find. Aber in den 
auch für manchen außerhalb des Faches Stehen: | legten fünf Jahren trat ein empfindlicher Nüd- 
den von Intereſſe fein. Führen wir etliches an! ſchlag ein, hat ſich die günftige Yage in eine ge- 
Unter den Holzausfuhrländern, d. h. | drüdte und bedrängte verwandelt, deren ort: 
denjenigen Ländern, welche Nutholz nad dem | dauergeeignet erfcheint, die Fortentwidelung der 
Deutihen Reich ausführen und dadurd unfere | Waldwirtichaft zuhemmen, die Waldrentabilität 
inländische Produktion ſchädigen, jteht das euro: | zu vernichten, die Rückkehr zu extenſiver Wirt: 
päiſche Rußland obenan, und esift nicht abzu: | Schaft herbeizuführen und in letter Linie die 
ſehen, daß die Ausfuhr ruffiihen Nutzholzes Walderhaltung jelbjt auf abjolutem Holzboden 
und deſſen Konkurrenz auf dem deutichen Holz: | in Frage zu Stellen. Wenn die Notlage eines 
marft in nächiter Zeit bei dem großen Wald: | Gewerbes fi im Nüdgange der Nenten und 
reichtum des Ruſſiſchen Reichs und der fortſchrei- Preife offenbart, jo kann das Zinfen der Wald: 
tenden Berbeflerung der Berfehrswegedurh Fluß: | renten, Unzulänglichkeit der Holzpreife und der 
requlierung, Kanalifierung und Erweiterung des | die Nentabilität bedingenden Nutholzausbeute 
Gijenbahnneßes eine wejentliche Verminderung | für unfere Gegenwart offenkundig Fonjtatiert 
erfahren werde. Nächſt Rußland hat Dejter: | werden. Deswegen hätte die Bewilligung der 
reih: Ungarn die größte Bedeutung für | geheiichten Nutholzzollerhöhung feitens des 
die Nugholzeinfuhr nad) Deutichland, ungeadytet | Neichstages bei der bedrohten Zukunft des 
feiner ungünjtigen fommerziellen Lage. Erft in | Waldes, diejes Trägers und Erhalters von 
dritter Linie kommt Shweden in Betracht, Millionen Eriftenzen, gewiß den Intereſſen der 
das, begünftigt durch Waldüberfluß, feine mari- Gefamtheit von jet und ſpäter gedient. 
time Lage und Verbindung mit den Konſum— 
tionsländern,, fowie durd die Ueberlegenheit 
feiner Holzindujtrie feit jahren im Welthol;: 
handel unbejtritten die erfte Stelle innehält. 
Die Holzausfuhr der Vereinigten Staa: | 
ten vonNordamerifa, diefem Yand einer im | 
großartigen Stile betriebenen Waldverwüjtung, 
wo 26 000 Sägmühlen im Betriebe ftehen, die | ls in Bayreuth die Bogen am höchſten 
| 





Robert Franz in feinen Siedern. 


Wilhelm Fahnen 


im Jahre 1878 Nohmaterial im Werte von fluteten und alle Welt mit Aufmerkjamteit 
500 Millionen Dollars verarbeitet haben, nach | verfolgte, was von dort ausging, wurde in 


e 


Robert Franz in feinen Eiedern. 43 


Mufiferkreifen die Mitteilung weitergetragen, 
daß Richard Wagner die Lieder von Robert Franz 
beſonders hochſtelle und ſie häufig in feinem 
Heim ſich vorfingen laffe. — Richard Magner 
und Robert Franz! Man wußte feine Erflärung 
dafür, fchüttelte den Kopf — und lief die Sache 
auf ſich beruhen. 

Nun berührte es von neuem eigentümlich, 
als nah Wagners Tode in dem „Leipziger 


Wagner habe den 
Balladenfomponiften 
Loewe ſehr hoc) gehal: 
ten und defjen Werte 
mit Eifer ſtudiert, 
ebenſo — die Lieder 
von Robert Franz! 

Wieder Richard 
Wagner und Robert 
Franz — das iſt ja 
kaum zu begreifen! 
— War's der völlige 
Gegenſatz, der Wag— 
ner reizen konnte, 
dieſe Lieder auf ſich 
einwirken zu laſſen 
und bei ihrem Anhö— 
ren Freude zu empfin⸗ 
den? Wagners leiden: 
ihaftlihe Mufif, die 
durh Kühnheit der 
Modulation, durch be: 
jtridenden Reiz der 
Klangwirkungenfeſſelt 
— und. dann Franz’ 
Lieder — die keu— 
icheften, die mohl 
überhaupt fomponiert 
find, die dem Herannahenden jpröde ent: 
gegentreten, feiner jinnlihen Negung Bor: 
ſchub leiften, -- rein und weiß wie Marmor 
daftehen! 

Der Schreiber diefer Zeilen frug Nobert 
Franz gelegentlich, was er von jener Mitteilung 
halte, und erfuhr von ihm: „Auf einer Reife 
in die Schweiz — in den 50er Jahren — be: 
ſuchte ih Wagner, der damals in Zürich lebte. 


Im Verlaufe der Unterhaltung öffnete er feinen | 


Notenſchrank und ſprach auf deſſen inhalt deu: 


! Sch hielt daS Ganze für einen Aft der Höflich: 


feit und legte demnach Fein befonderes Gewicht 
darauf. Jetzt iſt mir freilich manches verftänd- 
licher und cs mag wohl Wahrheit fein, daß ſich 
Wagner gerade für diefe Lieder lebhaft inter: 
eſſierte. ch zeigte Ihnen ſchon früher, wie hier 


ı Mufit und Wort jih deden und daß die 


Muſit gleichſam aus dem Texte hervorblüht; — 


| auch Wagner huldigt ja diefem Princip. Daß 
Tageblatt“ die Bemerkung zu leſen war, unſere Ausdrudsformen divergieren, hat einen 





Rob. Iran E 


jehr anderen Grund, 
und hätten wir beide 
denjelben Gegenjtand 
behandelt, dann wür: 
den die Refultate ver: 
ſchieden genug ausge: 
fallen fein.” Mit we- 
nigen Worten gibt 
. Kranz hier jelbjt eine 
Löſung des Rätjels. 
Was befagt nun 
die Wiedergabe des 
Textes durch die Mu: 
ſik? — Mufifaliich: 
realiſtiſche Malerei, be: 
fanntlih ein Fehler, 
— iſt es nicht, wohl 
aber die plaftifche Dar: 
jtellung des mufifali- 
ſchen Empfindens, das 
der Tertinhalt in uns 
erregt. Wagners Leit- 
motive find eine logi: 
iche folge diefes Prin— 
cips und im Grunde 
nichts Neues; — im 
Gegenteil etwas fehr 
Altes und Gebräud;: 


liches, nur daß Wagner ihre Verwendung aus: 


drüdlih zum Grundfat erhob. Bachs Mufit 
wimmelt von folhen Motiven; bald handelt 
fih’S dabei um Erſcheinungen in der Natur, 
bald um Borgänge im pſychiſchen Gebiete. Es ſei 
mir gejtattet, hier ein Wort Spittas (%. ©. 
Bad) I. ©. 488) einzufügen: „Das malerische 


‘ Element fehlt bei ihm (Bad) nicht; — jtreng 
‚ genommen ift es ungenau, von Malerei zu reden, 


| 


tend: ‚Das iſt alles, was ih an Muſikwerken 


beſitze!“ 
und meine Lieder! — 


Es ftanden da — Bad, Beethoven 
Was follte id) dazu jagen? 


wenn die Mufif Bewegungen der fichtbaren Welt 
in ihrer Weife nahahmt, In jeder bewegten 
Erjcheinung der Außenwelt erfennt der Menſch 
ein Spiegelbild gewiſſer eigener Gefühlsitrö: 
mungen, und das Gefühl ift uns das unmittel- 


44 Wilhelm Waldmann. 


barfte Zeugnis des Yebens. Das Leben aber, 


— — — künſtleriſch darzuftellen, ijt die eigent- 
liche Aufgabe der Muſik. Hierin beruht die 
innere Berechtigung der fogenannten Nachah— 
mungen von dem Riefeln der Quelle, dem Wogen 
des Meeres, dem Zittern der Blätter u. ſ. w.“ 

Das iſt feitzuhalten, — man joll die Natur 
und deren Eindrüde nicht abmalen wollen, man 


Kunſtwerk. 

Spitta führt J. S. 544 und 592 und II. 
S. 359 u. a. O. bezügliche Beiſpiele aus Bachs 
Kantaten an (Fig. 1): 





und Mo = yfe an 
Nehnliches findet fih in der Kantate „Sie 
werden aus Saba alle kommen“ — in ber | 
Baharie: „Gold aus Ophir“ u. f. w., wo die | 
Arbeit der Bergleute deutlich vernehmbar wird | 


(vergl. J. Schäffer, Saba-Kantate) Fig. 2: 


—— 











Bi. 2. 

Spitta J. S. 554: „Israel zum Fall“ — 
tiefer Sprung der Singſtimme (aus der Kan— 
tate „Tritt auf die Glaubensbahn“). 

II. ©. 390: In der Kantate „Bleib' bei 
und, denn es will Abend werden” — im An: 
fangschor — tiefdunfle Töne der Geigen und 
Bratihen, — welde hier weniger die fried: 
volle Stimmung abendliher Nuhe, als jenes 
unheimlihe Bangen, weldes das allmählidhe 
Schwinden des Tageälichtes begleitet, — wieder: 
geben. — 

Man kann gewiß fein, daß Bad) da, wo das 
Wort „Himmel“ ericheint, die Singjtimme in 
hoher Tonlage, und jobald das Wort „Hölle“ 
vorlommt, in der Tiefe fih bewegen läßt. — 





Motive find mufifaliihe Formen, durch 
welche Vorftellungen oder Vorgänge ſymboliſch 
zum Ausdrud gelangen. Ein ſolches Abbild 
fann, von verſchiedenen Komponiften behandelt, 
ſehr verfchieden geraten; da jedoch die Men: 
ihen in ihrem Empfinden mehr oder weniger 
inmpathijieren, fo werden wir uns auch beim 


‚ Hören derartiger Motive mehr oder weniger be: 
muß vielmehr diefe in fi aufnehmen, in fid | 
durdleben und dann gleihjam aus ih heraus 
neugeftaltet wiedergeben; — fo entjteht ein | 


friedigt finden. 
Wenn im Barfifal, Aft I, Gurnemanz fingt: 
Er naht, fie bringen ihn getragen, 
DO, weh! Wie trag’ ich's im Gemüte, 
In feiner Mannheit ftolzer Blüte 
Des fiegreichften Geſchlechtes Herrn 
Als feines Siehtums Knecht zu jeh'n. — 
Behutjam! Der König ftöhnt! 


und das Stöhnen durch das Motiv in Fig. 3 
auf der folgenden Seite wiedergegeben wird, 
jo erſcheint es uns, da wir den Tert fennen, 


vollkommen charakteriſtiſch; — würde uns ba- 
| gegen die Dichtung fremd fein, wer könnte wohl 


ihren Inhalt aus dem Motiv erraten? 
Dem muſikaliſchen Gedanken durch melodi- 
ſche, harmonische und rhythmifche Formen einen 


‚ bejtimmten Charakter aufzuprägen und biejen 


dem Tertinhalte auf das 
genauefte anzupaflen, 


— — — dieſes Geſtaltungs— 





— vermögen beſitzt unter 
den Liederkompo— 
niſten niemand in 
dem Maße wie Ro— 
bert Franz und hier 
iſt eben der Berührungs- 
punft mit Richard Wag— 
ner. Hundertfach lafjen 
ſich aus Franz’ Liedern 
Beijpiele dafür anführen; ja, es wird die 





' Wahl ſchwer, um bei dem Reichtum an folchen 
die am meiften charakteriftiichen zu treffen. 


Ich greife nad dem op. 4; man nehme bie 
„Herbitforge von Oſterwald“ — eines der ſchön— 
iten unter Franz’ Liedern: — „Trübe Schwere 
lagert fih auf uns; wie ein banger Traum 
naht der Gedanke, — fie, die du Liebit, iſt für 
dich verloren ; 
Er (der Sommer) fommt zurüd, er bringt uns 
neuc Lieder, 
Doch wird durch ihn die Angft auch fortbeihworen, 
Daß ich dich Hab’, mein einzig Glüd verloren?“ 
— bejänftigend, alö wäre im Augenblid alles 
Weh veraefien, tritt bei den Worten: „bringt 


Robert franz in feinen £iedern. 45 


und neue Lieber” — das Motiv in dur jtatt in | Das Lied: „Ihr Hügel dort am ſchönen 
moll auf (Fig. 4). | Don” von Burns — ſchildert ein fchmerzer: 


























Hört! Der Kö : nig ftöhnt 
J — 
‚IN, ASS ABEL ——— — — 
TE nen 























"2, 7 BOEEN SA — — 
2— — — — —— —— — — ——— — 
— ——— = Te zer ==: — 
*2 7 Ya 
Big. 3. Pa “ ‚zo 


fülltes Gemüt einer heiteren Natur gegenüber: | Wendungen deuten auf Blütenfhmud (Fig. 5), 
gejtellt : Die Hügel grünen und blühen, die Vögel | dann beginnen die Vögel zu fingen in ftetem 





— 
fig. 6. — 
” 





Wetteifer (Fig. 6), bis das Mollmotiv der 
wi. = Singjtimme — die eigentlihe Pointe des 
“ Liedes — wiebereintritt. Man jehe fich'3 ge: 
fingen jo füß, jo wonnevoll, — von meiner Liebe | nau an, es liegt hier von Franz’ muſikaliſchem 
fang auch ich, doch es blieb von der Nojenzeit | Empfinden ein vorzüglices Beijpiel vor. 
A Wo ift ein 
Lied, welches 
das: „Ichmöch⸗ 
te froh fein, doch 
mein Herz iſt 
tot” padender 
wiedergäbe ala 
Nr. 2 in op. 9? 
— Soll ih an 
das oft geſun— 
gene Wr. 6 des 
op. 17: „Die Heide iſt braun“ und an feine 
Stimmung erinnern, wo mitten im Yeid die 
vergangene glüdliche Zeit jo hold uns anweht, 








nur der Dorn im Herzen zurüd. — In der An: 
fangäbegleitung fehen wir Hügel neben Hügel 
in reinen Linien fi aufbauen; mwohlflingende 





46 Wilhelm Waldmann. 


fobald das Motiv ftatt in emoll in cdur 
wieberfehrt? (Fig. 7.) 





— — — 
er — — 
— is) 171 
SE ER e— Hr —— 
Die Welt ift fo öd', fie war nidt fo ſchön 


Piit lento 





nah” — in einem ergreifenden Nachſpiel uns 
den Wortinhalt empfinden läßt. Ohne Heran- 


ziehung fremdartig 
Elingender Inſtru⸗ 
mente geben bie 
Tonverhältnifie 
den Ausdrud an 
und für fi Hin: 
länglid) fund. — 

In Nr. 6 des 





— 

Wie tröſtend klingt in dem tiefernſten Nr. 5 
des op. 11 „Auf dem Meere” die Stelle: „Die 
fügen Augen!” — Nr. 8 des op. 5 „ch lobe 
mir die Vögelein“ — man fpiele das Cin- 
leitungömotiv (Fig. 8), iſt es nicht, als hörte 





man das „dodeldi, dodeldi” der munteren Sän: 
ger in den Bäumen? — 

Dann Nr. 4 des op. 18 „Meerfahrt” — 
lauter Poefie und Duft! Die Mufifbilder tau— 
chen hier in deutlichiter Anfchaulichkeit auf. — 
Bejonders interejfant ijt (Mr. 1 des op. 48) der 
Schluß des Heinefchen „Wenn zwei voneinander 
icheiden” ; derjelbe lautet: 

Wir haben nicht geweinet, 

Wir feufzten nicht Weh und Ad! 
Die Thränen und die Seufzer, 
Die famen hintennach. 

Ich wähle dies Beifpiel im Hinblid auf das 
oben von Wagner citierte. Iſt auch die dra— 
matifche Verwendung der Motive eine ganz 
andere als die lyriſche, jo mag doch ein jeder 
jehen, wie Franz entiprehend den Morten: 
„Die Thränen und die Seufzer, die kamen hinten: 





op.30: „Zieh' nicht 
jo ſchnell vorüber,“ 
hat Franz den Auf: 
ruhr des empörten 
Herzens, das im 
tobenden Gewitter 
feinen Verbündeten 
findet, draſtiſch genug dargeitellt; bei den Wor: 
ten: „Dann rüttelt all ihr Blitze“ — ift der 
muſikaliſche Nusdrud geradezu erfchredend: man 
ſieht den Blitz grell und zudend am Himmel 
dahinfahren. Je nach dem Wortinhalte wird in 
den verjchtedenen Verſen die Form der Beglei: 
tung geändert. Der Aufruhr in der Natur dient 
der Zingjtimme als Hintergrund, welchem gegen: 
über Zorn und Groll über die Untreue der Ge: 
liebten hervorbrechen. — 

Wer Franz’ Lieder nad) diefer Richtung 
hin ftudiert, wird bald einfehen, wie das betreffs 
derjelben gebräudjlihe und wenn aud in ge: 
wiſſem Sinne bezeihnende Wort „Stimmungs: 
lieder” eigentlich nicht genug ſagt; die Lieder 
find fehr viel mehr! Nr. 1 op. 36: „Das Meer 
hat jeine Perlen * — dieje grogempfundene Kom: 
pofitionift, um mich etwas parador auszudrüden, 
geradezu mufifaliihe Skulptur: man fann in 
den Tönen fait gegenftändlih den Tertinhalt 
greifen. Das gilt aud) von Nr. 2 des op. 42: 
„Die helle Sonne leuchtet aufs weite Meer her: 
nieder.“ — Einzelne Lieder wirken wieder mehr 
maleriſch, es ift, als fänge und Hänge dann die 
ganze Natur um uns her. Wie mutet 3. B. der 
Schluß des „Im Grafe lieg’ ich manche Stunde” 
Nr. 5 op. 17 an! Man hört das Summen des 
Immchen, aber man hört es mufifalifch, nicht 
realiſtiſch nachgeahmt! — Und wieder andere 
Lieder erfreuen durch fymbolifche Züge — vom 
weiten Meer, von Berg und Thal, von Sonnen: 
glanz und Nebel gewinnt man den Eindrud durch 
muſikaliſche Formen. Man vergleihe: Nr. 3 
op.9 „Bitte“ (Weil’ auf mir du dunkles Auge). 
— In Nr. 4 des op. 9: „Allnächtlih im 


Robert franz in feinen Kiedern, 


Traume“ folgt am Schluſſe: „und das Wort, und 
das Wort“ — eine Pauſe, als grübele man noch 
weiter — dann erft „hab ich vergejjen.*“ — In 
dem grogangelegten Liede Nr. 10 op. 5 „Ber: 
geſſen“ fühlt man bei der tremulierenden Be: 
gleitung alle Fibern des Herzens dem Gedanken 
entgegenbeben, der immer mehr aus banger 
Ahnung zur Wirklichkeit wird. „Du bift ver: 
geſſen!“ — und in ſchweren Tönen entringt ſich 
der tiefe Schmerz der Bruft: 

Vergeffen, ach! vergefjen fein 

Vom liebſten Herzen in der Welt, 

Das ift allein die größte Bein, 

Die auf ein Menjchenherze fällt. 

Man beachte den mit der Singftimme fano- 
nisch geführten Baß, — ein Abbild des uner: 
bittlihen, jtarren Schidjals. — Nr. 4 op. 28 
„Nebel“: die abmwärtsgehende Anfangsfigur 
jcheint auf „das Thal“ zu deuten, 
Steigung von gis auf e durch anderthalb Dftaven 
bei dem Worte „Berg“ höchſt charakteriſtiſch iſt. 


Die weiten Lagen der Accorde fpannen ſich wie | 
nebelhafte Schatten über der Scene aus und | 
die breite Bewegung der Kantilene ijt völlig 


im Einne des Tertinhaltes. — Nr. 6 op. 10: 


„Umſonſt“ mit dem durd das ganze Lied pul= | 


jierenden a im Baß tft eine Frage, wie ſie das 
Menſchenherz jo mannigfach ungelöft in ſich trägt, 
— ein Welträtjel. 

Nahet man unter dem Gefichtspunfte der 
poetischen und mufifalifchen Einheit den Liedern 


von Robert franz, dann ijt es, als würde ein | 


Licht auf ein Dunfel geworfen, ald würde eine 
Scheidewand, die uns bisher von ihnen trennte, 
fortgezogen; — je jpecieller man auf den Tert 
eingeht, umfomehr Wärme ftrömt uns aus den 
Tönen entgegen. Obwohl bereits verjchiedene 
Autoren, die eine Charakteriftif von Franz' 
Liedern gaben, Liszt, Ambros, Schuiter, 


Hüffer, Saran — auf dies Moment hindeute: | 


ten, jo jcheint dies immer noch nicht ausreichend 
geſchehen zu fein. 
fennung begrüßte ich es daher, 
„Grenzboten“ (1881 Nr. 27— 28: das deutjche 
Lied jeit Rob. Schumann) H. Kretzſchmar aus: 
ſprach: „Franz imponiert durch die Meifterfchaft, 
mit der er die Dinge in ihrer eigenften Art 
iprechen läßt; — — worin ihn niemand über: 
trifft, das ijt die energiſche Hingabe an die 
Didtung. — Mit Leib und Leben wirft ſich der 
Komponift in die Situation, mit einer Feſtigkeit 
und Beitimmtheit, welche überwältigt und fort: 


jowie die | 


Mit um jo größerer Aner: | 
als in dem 


47 


| reißt!“ — Das iſt es! Wer die Schönheit der 

| Franzichen Lieder erfaſſen, ſich in fie hineinleben 
will, muß zuerſt die Terte jorgfältig ftudieren. 
Heutzutage ficht man's leider oft umgekehrt; die 
Zingenden beachten nur die Kantilene eines 
Liedes, laſſen fi durch den etwa vorhandenen 
Reiz derjelben bejtimmen, und richten danach 
ihren Vortrag ein, ohne ſich weiter um den In— 
halt des Gedichtes zu fümmern. 

Robert Franz ftellt ſich uns in feinen Liedern 
höchjt eigenartig dar; — manden derjelben ijt 
zwar eine gewifje Aehnlichkeit gemeinfam, obſchon 
dabei von „Manier“ feine Nede fein kann. 
Dergleihen Erſcheinungen erklären ſich aus dem 
Vorherrſchen der moll-Tonarten, und aus der 
thematifhen Behandlung des Grundmotivs 
bald in höheren, bald in tieferen Tonlagen. Man 
vergleiche: 

„Aus meinen großen Schmerzen.“ 
„Mädchen mit dem roten Mündchen.“ 
„Da der Sommer kommen ijt.“ 
„Abendlich Schon rauſcht der Wald.” 
„Weißt du noch.“ 

„Daß ih an dich dente.* 

„sah weiß ja, warum id) jo traurig 

bin.“ 
„An dem Dornbuſch blüht cin Rös— 
lein.* 

„Derweil id) fchlafend lag.“ 

„Hör’ id ein Böglein fingen.“ 
„Wenn fich zwei Derzen jcheiden.“ 
| u, j. mw. 
| Diefen Zug haben diefe Gejänge mit den 
altdeutſchen Wolfsliedern gemein; lange Zeit 
war ein derartiges Verhältnis Franz ſelbſt un: 
bewußt, denn niemals hat er ja bei feinen Kom: 
pofitionen refleftiert und Nehnlichkeiten beabſich— 
tigt. Einzelne derjelben find ſchlichtweg als 
Volkslieder bezeichnet, andere wie in ein alter: 
tümliches Koſtüm gekleidet. 

op. 23 Nr. 1 „Mei Schägel das hat mi verlafjen.“ 
op. 23 Nr. 4 ART) weiß ja, warum ich jo traurig 


1 
5 
.11Nr. 4 
4 
. 16 Nr. 5 


2 
4 
. 20 Nr. 2 
2 
1 
5 





in 
26 Nr. 2 “In dem Dornbuſch blüht ein Rös— 


. 36 Nr. 3 „sobt ihr fie fhon geſehen.“ 
.40 Nr. 1 „Mein Schag ift auf der Wander: 
ſchaft.“ 
und andere. 

Sehr bezeichnend hat Liszt, deſſen hohe und 
edle Auffaſſung aus jeder Zeile hervorleuchtet, 
welche er über Robert Franz ſchreibt, die Lieder 
charakteriſiert: „Der muſikaliſche Kern eines 

| jeden Liedes iſt durchweg einfach: eine harmo— 

nische, thematische oder deflamatorifche Wendung 


op. 


32 
ee 


48 


ober Phraſe beitreitet gewöhnlich den ganzen 
Verlauf. Sie ift jtets von großer Elaftieität und 
er macht es dadurch möglich, den verfchiedenften 
Nuancen der Stimmung dienjtbar zu werben. 
Die Modulation beftimmt durchſchnitt— 
lich die Entwidelung des Gefühls weit 
mehr als die Melodie.” 

Betrachten wir die Lieder nad) ihrem Inhalt, 
dann find es befonders zwei Motive, die wir 
muſikaliſch behandelt finden, — Naturftim: 
mungen, — und Liebesleid. 

Naturlaute finden wir jo zahlreich, in ſolcher 
Vertiefung bei feinem anderen Liederfompo- 
niften; in dieſer Eigentümlichfeit liegt aber das, 
was uns untrennbar an ihn fejlelt. Das Natur: 
gefühl ift dem germanischen Stamme angeboten, 
es ſteckt ihm, wie man zu fagen pflegt, im Blute; 
— ift der Himmel blau, — hangen ſchwarze 
Wolken droben, — leuchtet die Sonne, ſenkt fid) 
der Abend nieder, murmelt die Quelle, brauft 
der Sturm — kurz, es gibt nichts in der Natur, 
was nicht in unjerer Seele Wiederhall fände. 
Man wird faum eine Färbung des Naturlebens, 
die ein Empfinden in uns wachrufen fann, in 
den Liedern von Robert Franz vermifjen. — 

Mit den Naturbildern verbindet ſich unge: 
zwungen das alte, — ewig junge Motiv der 
Lyrik, — die Liebe. Frühling und Liebesglüd, 
Herbitllage und Liebesſchmerz gehen in der Did): 
tung wie im Gefange Hand in Hand. Man höre: 


„Im wunderichönen Monat Mai“ Nr. 5 op. 25. 
„Wenn der Frühling auf die Berge fteigt* Nr. 6 
42 


op. 42. 

„Die blauen Frühlingsaugen ſchau'n aus dem 
Gras hervor“ Nr. 1 op. 20. 

„Es iſt mir wie dem kleinen Waldvögelein zu 
Mut“ Nr. 2 op. 2). 

„Da der Sommer fommen iſt“ Nr. 4 op. 11. 

„Die Haide ift braun“ Nr. 6 op. 17. 

„Das gelbe Laub erzittert” Nr. 5 op. 31. 

„Bor Kälte ift die Luft erſtarrt“ Nr.5 op. 21. 

„Aus den Himmelsaugen droben, fallen zitternd 
lichte Funfen“ Wr. 3 op. 5. 


Nur muß man nicht erwarten, daß Franz 
in dem Liebe: 

Bor Kälte ift die Luft erjtarrt, 

Es kracht der Schnee von meinen Tritten :c. 
etwa eine Minterlandichaft mit Schneedächern, 
oder in Nr. 5 op. 31 „Abſchied“ das Erzittern 
des gelben Laubes nadjgebildet habe, — es gilt 
vielmehr, die allgemeine Stimmung des Tertes 
muftfalifch zu reproduzieren. Man vergleiche 
in diefer Hinficht Nr. 3 op. 40 „unter'm weißen 


Wilhelm Waldmann. 


Baume jigend" — die anfangs der Minteröde 
entjprehend jtarre Begleitung ohne allen mu- 
ſikaliſchen Schmud, bis fie fi) mit dem Früh— 
lingsmotiv unter Triolenbewegung reicher und 
reicher geftaltet. — Scheint am Anfange eines 
Liedes die helle Frühlingsfonne und bringt das 
Ende Herzeleid, — fo ijt es nicht felten, daß 
ſchon der Anfang des Liedes einen ſchmerzlichen 
Zug erfennen läßt, gleich einer Wolfe, die ihren 
Schatten weit vorauswirft, — fo z.B. Nr. 1 
op. 36 das vollendet ſchön fomponierte: Erſter 
Verluft „Geftern hielt er mid) im Arme*. — 

Wie Franz die mufifaliiche Malerei auffaßt, 
dafür ift auch Nr. 4 op. 16 „Abendlich ſchon 
rauſcht der Wald“ ein harakteriftifches Beifpiel; 
man empfängt den Eindrud des Abendfriedens; 
— es wird till in Wald und Feld, die Menfchen- 
arbeit ſchweigt — und (wovon im Tert fein 
Wort jteht) wie aus weiter Ferne hört man in 
der Begleitung die Abendglode des Kirchleins 
anfchlagen. — Da ift noch ein merfwürdiges 
Stüd: „Altes Lied” op. 39 — voller Malerei 
in dem geſchilderten Sinne; man verfolge es, 
wie fi die Begleitung zu der in den verſchie— 
denen Verſen wiederkehrenden Rantilene je nad) 
der Situation ändert: ſchwüle Sommernadt, — 
dumpfes Raufchen des Tannenwaldes, — un: 
heimlicher Elfentanz, — am Ende Schludzen 
und Stöhnen. — 

Wie mag es wohl in der Liederjeele Franz 
Schuberts ausgejehen haben, deſſen füher Wohl: 
laut uns beftridt, wo wir ihm begegnen, — ber 
mit Schönheit vergoldet, was er mit Tönen be- 
rührt; — den naiven Frohſinn ſeines Sanges 
treffen wir in den Liedern von Franz jeltener. 
Auch Lieder, wie Nobert Schumanns hohes Lied 
der Liebe „Ueber'm Garten durch die Lüfte” 
finden fich hier weniger vertreten; — das etwa 
Korrejpondierende bei Franz iſt mehr der Aus- 
drud des Schnens nad) vollem Liebesglüd. 
Ich ſagte es ſchon oben, Franz iſt vornehmlich 
der Sänger des Liebesleids. In einer Zeit 
nun, wo man das Heiraten am bequemiten durch 
Gomptoire bejorgen laſſen fann, werden vielleicht 
manche nicht geneigt fein, Robert Franz auf dies 
Gebiet zu folgen; wer ein Lieb verloren hat, 
nimmt ſich ein anderes, weiter hat man feine 
Schmerzen. Wem aber ein Gemüt zu teil ge: 
worden, das tiefe Weh nachzufühlen, wer jelbit 
den „Dorn“ im Herzen empfand, der wird 
jiherlid aus den Liedern unferes Meiſters Mit: 
gefühl, Verföhnung und Troſt gewinnen. 


Robert franz in feinen Eiedern. 


Es ift auf das Ethifche in diefen Gefängen 
bingewiejen worden; freilich finnlich pridelnde 
Erregung der Nerven darf man ſchwerlich von 
ihnen erwarten, das ift aud) nicht ihr Zwed, ob: 
wohl fie an der rechten Stelle fo ſüß klingen, 
wie die irgend eines Komponiſten. Man muß 
nur bei dem Worte „ethifch” nicht, wie viele es 
thun, an etwas Moralifierendes denken; es be: 
deutet hier nur, die Schönheitsgejege in der 
Kunft zur Anwendung gebracht zu jehen, welche 
jeit Jahrhunderten maßgebend waren; folder 
Schönheit folgt ftets eine Erhebung, eine Läu- 
terung des Hörenden, des Beichauenden. — 
H. Schuſter in feiner Brofchüre ſieht denn auch 
den Grund der ethifchen Bedeutung von Franz’ 
Liedern in ihrer hohen Schönheit und darin, dafs 
fie uns ein wahres Abbild des Empfindens 
geben. Saran, der auf jenen ſchmerzlichen Zug 
hinweist, wie er jedem auffällig werben muß, der 
fich mit dieſen Rompofitionen befchäftigt, — und 
der jelbit in den Liedern heiteren Inhalts nicht zu 
fehlen pflegt, äußert ſich ähnlich: „Ueberhaupt 
trägt das Franzſche Lied jenen Zug der Nefig- 
nation an fih, den wir an den edelſten Volks— 
liedern wahrnehmen; wenn man will, etiwas von 
jenem „Weltſchmerz“, der das charakteriftifche 
Gepräge aller neueren Lyrik fein dürfte, Er ift 
aber bei ihm ohne jegliche barode Verzerrung, 
ohne jegliche heuzutage fo beliebte krankhafte 
Selbjtbeipiegelung, — vielmehr ein reiner treuer 
Ausdrud der tiefen Sehnſucht nad dem 
Idealen, die jedes Menfchenherz durchdringt. 
— Hierin liegt, wie mit Recht hervorgehoben 
worden tt, die hohe ethische Bedeutung der 
Franzichen Lieder.” — 

Ich ſprach von Liebestrennung, Liebesleid, 
:groll, =zorn, und wir haben bereits Lieder diefes 
Inhalts fennen gelernt, man braucht danad) nur 
die Hefte aufzufchlagen: „Vergeſſen“ Nr. 10 
op. 5. — „Wajlerfahrt“ Nr. 2 op. 9. — „Du 
hajt mid verlaſſen, Jamie“ Nr. 6 op. 4. — 
„An die Wolfe“ Nr. 6 op. 30. — „m Herbſt“ 
Nr. 6 op. 17. — „Mit ſchwarzen Segeln jegelt 
mein Schiff” Nr. 6 op. 18. — „Verfehlte Liebe, 
verfehltes Leben“ Nr. 3 op. 20. — „Die Liebe 
hat gelogen” Nr. 4 op. 6. — „Na, du bift 
elend” Ar. 6 op. 7. — „Erſter Verluſt“ Nr. 1 
op. 36. — „Will über Nadıt wohl durch das 
Thal” Nr. 4 op. 5 u. a. — Ein tiefes Weh ift 
hier verborgen, und bei der Wahrheit des Aus: 
drudes deſſen, was fie wiederipiegeln, erweden 
fie in uns das edelſte und reinjte Mitempfinden. 


49 


— Welch verſchiedene Phaſen laſſen fie uns 
durchſchauen: bald iſt es völlige Dede — bald 
ein wehmütiges Erinnern an eine frühere glück— 
liche Zeit — bald iſt die Liebe ohne Hoffnung 
— bald ein Ausruf höchſten Schmerzes. — 
— Das bereits geſchilderte Lied „An die Wolke“ 
ſtellt den Zorn des Liebenden der Untreue der 
Geliebten gegenüber dar: er ruft Donner und 
Blitz auf ala Mahner des verübten Unrechts. 
Wie verfchieden ift Schumanns „ch grolle nicht“ 
von dem verwandten „Ja du bift elend“ von 
Rob. Franz! Aus dem Liede Schumanns jcheint 
Verzeihen und Mitleid hervorzutönen, daher eine 
leidvenschaftlihe Bewegung der Melodie und 
Harmonie; das Franzſche Lied dagegen atmet 
dämoniſche Kälte. 

Lieder des Liebefehnens, Scenen des Hof: 
fens, des Glüdes finden wir in: „Du liebes Auge 
willſt dich tauchen,“ Nr. 1 op. 16. — „Ständ: 
hen“ Nr. 2 op. 17. — „An ihren bunten Liedern 
Hettert die Lerhe empor” Nr. 4 op. 21. — 
„Im wunderfchönen Monat Mai” Nr.5 op. 25. 
— zn dem herrlichen „O jäh' ich auf der Heide 
dort“ Nr. 5 op. 1. — „Frühlingsgedränge” 
Nr.5 op. T — in „Die Harrende” Nr. 1 op. 35 
— indem zartichelmijchen „Frühling und Liebe“ 
Nr. 3 op. 2 — in dem frifchen „Waldfahrt” 
Nr. 3op.14 — in dem leidenjhaftlihen „Wie 
ſehr ich dein, joll ich dir jagen“ Nr. 6 op. 14 
— in dem vielgefungenen „Stille Sicherheit“ 
Nr. 2 op. 10 u. ſ. w. 

Außer den geichilderten bieten ſich noch viele 
Lieder anderen Inhaltes, 3. B. das munter 
humoriftiihe Nr. 3 op. 18: „Nun hat das Leid 
ein Ende” — Nr. 6 op. 36 „Nun hat mein 
Steden gute Raſt“ und das reizende Nr. 3 
op. 36 „Habt ihr fie fchon gejehen, fie, meinen 
Schatz“ u. a. m. 

Es ſei mir geftattet, noch einiger Punkte Er: 
wähnung zu thun. Liszt hat in feiner Brojchüre 
auf Franz’ Verhalten den verjchiedenen Dichtern 
gegenüber hingewiejen ; Heine, Oſterwald, Yenau, 
Burns, Eichendorff, Geibel, Möride und Goethe 
find die vorzugsweise behandelten. nterejjant 
it es nun zu beobachten, wie der Kompontft die 
eigenfte Art der Dichter wiederzugeben verfteht; 
das Perjönliche, was diefe ihren Gedichten un: 
bewußt mitteilen, was fie in diefelben gleichſam 
hineingehaucht haben, fpiegelt ſich ebenfalls in 
den Kompofitionen unferes Künftlers wieder. 
Man nehme das Goetheheft op. 33; gleich die 
erite Nummer: „Irodnet nicht, trodnet nicht, 

‘ 


50 Wilhelm Waldmann. 


Robert Franz in feinen £iedern. 


Thränen der ewigen Liebe” — mie wunderbar | habe? — Gott behüte, — man geht ftets den: 


aufgefaßt ift das Lied, in prägnanter Form vieles 
fagend, ganz der vornehmen Art Goethes ent: 
iprehend! Und gibt es anmutigere Lieder als 
Nr. 2 und Nr. 3? Wie anders dagegen die 
Behandlung der Heinefhen Terte! — Das 
Schmerzli-Hingebende, das Nedifch:Anmutige 
in Formen gekleidet, die Heine fo harafteriftiich 
von den übrigen Dichtern unterfcheiden, finden 
auch in der Mufif unferes Komponiften den be: 
redteſten Ausdrud. — Und wieder Eichendorff: 
ſche Stoffe, z. B. „Meeresftille” in op. 8: das 
ift nicht mehr des Tages Licht und Leben — 
fondern eine Traum: und Märchenwelt, die uns 
umflutet! 

Das Verhältnis der Gefänge von Franz zum 
deutichen Volksliede hat Saran Hargeftellt. Es 
liegen nun noch Terte, fremden Litteraturen ent: 
nommen, vor. Lieder von Burns finden wir 
vielfach; komponiert, fodann böhmiſche, ſlaviſche, 
ruffiihe Motive, ein Tert aus Krain u. a., und 
es iſt wohl der Mühe wert, zu unterfudhen, ob 
der Komponiſt aud hier Charakteriftifch-Natio: 
naleö gegeben habe. Man fehe fich das Goethe: 
ihe „Schweizerlied“ Nr.5 op. 33 darauf an; 
— ebenfo Nr. 5 op. 40 „Ad ihr Wälder, 
dunfle Wälder” und, worauf ich noch befonders 
hinweiſe — Nr. 4 op. 14 „Hatte Liebchen 
zwei“ (ungariih) und Nr. 6 op. 49 „Nor: 
wegiſche Frühlingsnacht.“ 

Noch ein Wort vom Konzertvortrage. — Un: 
längjt hörte ich die Behauptung aufitellen, Franz’ 
Lieder jeien ihrer ganzen Art nad) im Haufe an 
ihrem Plate, für den öffentlichen Vortrag möchten 
ſich nur wenige eignen. Allerdings zeigen fie eine 
ſolche Wahrheit und Innerlichkeit des Gefühles, 
daß der Eingende durch den Vortrag felbit zu 
Stimmungen fortgerifjen wird, die man lieber 
einem engeren Kreiſe, als einem größeren Publi— 
fum gegenüber ausfpriht. Doch jo eng be: 
grenzt ift der Kreis der „Konzertlieder“ nicht. 
Aber hier hat man wieder einmal Gelegenheit 
zu fehen, wie ſchwerfällig und kurzſichtig unfer 
Blick zu fein pflegt. Wird öffentlich ein Franz— 
iches Lied gefungen, jo hört man immer und 
immer wieder: „O danke nicht für diefe Lieder“ 
— „Er ift gefommen in Sturm und Regen” — 
— „Die Heide ift braun“ — „Die Höh'n und 
Wälder fteigen“ ; — es läge doc) nahe zu fragen, 
ob nicht ein Komponift, der jo Herrliches diefer 
Art aefhaffen, noch Achnliches uns gefchenkt 


jelben betretenen Pfad, ohne einen Blid nad) 
rechts und links zu thun, und Schätze bleiben 
ungefannt liegen. 

Es würde leicht fein, eine erhebliche An: 
zahl für den Konzertvortrag vollkommen geeig- 
neter Yieder auszuwählen. — 

Mer Robert Franz in feinen Kompofitionen 
fennen lernen will, darf nicht nad dem einen 
oder anderen Liede urteilen wollen, — man muß 
jih vielmehr eine Zeitlang eingehend mit den: 
jelben beichäftigen, ganz von felbjt gewinnt man 
dann das Verjtändnis für die Tiefe und Innig— 
feit der mufifaliihen Empfindung, die in den: 
felben liegt. Man lafje die Mühe, welche etwa 
die Begleitungen bieten, fein Hindernis fein; 
eben durd fie find diefe Lieder Kunſtwerke. 
Begleitung und Singjtimme ergänzen fich; ift 
eritere der muſikaliſche Ausdrud der Situation, 
fo jpricht letztere die Stimmung aus, die ſich der 
Situation bewußt wird. Auch Klavieripieler 
finden hier hohen Genuß, denn die meijten 
Begleitungen tragen die Gejangsmelodie in fich, 
und in Liedern, wo dies weniger hervortritt, läßt 
fie ſich leicht ergänzen. 

Man will die Beobachtung gemacht haben, 
daf die Gefänge von Robert Franz in den letzten 
Jahren befonders in den mittleren und Hleineren 
Provinzialftädten am meiften gefungen werden; 
ich möchte unjerem Volke dazu gratulieren, aus 
den Provinzen jtrömt frisches, verjüngendes Blut 
nad) den großen Centralorten. 

Es ift eine befannte Thatjache, daß unfere 
Nachbarn gewöhnlich das als Schwäche aus: 
legen, mas fie jelbjt entbehren — und fo wird 
uns Deutfchen der Idealismus oftmals vor- 
gehalten. Ohne ihn würden wir doch nicht 
Deutſche fein; — wehe der Beriode, in der wir 
uns feiner entfleidet haben. — Für das Wolf ift 
eben das bejte gut und der Jdealismus der 
Franzſchen Lieder gehört zu dem beiten, 
was wir befigen. Man muß nur von Mufik fid) 
nicht bloß anregen lafjen wollen, man muß ihr 
auch etwas aus ſich entgegenbringen, dann ſchenkt 
fie doppelt wieder, was man ihr gab. 

Empfindungen, von denen fie gar nicht 
ahnen, daß fie in ihnen jchlummerten, gehen 
allen verloren, welche die Lieder von Robert 
Franz ignorieren. Muſik kann das Edelfte im 
Menſchen weden, und dies thun im wahren 
Sinne die von uns darakterifierten Gefänge! 


Wilhelm £aufer. Ein unheimlicher Neifebegleiter, 


51 


Sin unheimlider Reiſebegleiter. 


Von 


Bilhelm Saufer. 


ie haben dieſen ganzen Faſching 
hindurch fajt jede Nacht getanzt 
| und ſtatt vernünftigermeife 
durch einen langen Tagesjchlaf 
fih zu erfrifchen, haben Site 

ihren Ehrgeiz darein gejeht, 
des Morgens immer der erſte im Amte zu fein 
und bei der Arbeit zu bleiben, bis die Stunde 
da war, von neuem den rad und die tauben: 
grauen Handihuhe anzuziehen. Sie wollten nicht 
hinter ihren fpiegbürgerlichen Kollegen, die doch 
ſchon vor zehn Uhr abends, um nicht ihrem Haus: 
meifter den Sperrjechjer zahlen zu müſſen, nad) 
Haus und zu Bett gehen und nicht hinter unferer 
goldenen Tugend zurüdjtehen, die doh nad) 
durdhtanzter Nacht bis zum hellen Mittag die 
Federn nicht verläßt und fi dann durch eine 
mehrftündige Fahrt im Prater zuneuen Leiſtungen 
jtärft. Die Bellemmungen auf der Bruft, über 
die Sieflagen, das Herzllopfen, das ſich für einen 
ſonſt kräftigen Menjchen wie Sie jo wenig ſchickt, 
rührt nur von diefer Lebensweiſe her. Da gibt 
es nur ein Mittel, rafch und ganz zu genejen: 
Verreifen Sie, reifen Sie nad) Italien, reifen 
Sie allein, vermeiden Sie jede Gelegenheit, jede 
Geſellſchaft, die Sie aufregen könnte.“ 

Alfo ſprach mein würdiger Freund und Arzt. 
Ich gab ihm recht wie immer, fehr froh, daß er 
mir feine Arznei und befondere Diät verfchrieb, 





padte ein und ſaß am anderen Morgen bereits | 


im Schnellzug nach Venedig. Für Geld und gute 
Morte lieg mich der Schaffner ganz allein im 
Wagen. Ungeftört fonnte ich mich dem Wonne— 


gefühl hingeben, das mid) jtets ergreift, wenn | 


ih nad längerer Sehhaftigleit wieder in die 
weite Welt hinausfahre. Das Puſten der Lofo- 
motive und das Knirſchen der Räder wandelt 


fih in meinen Ohren zu melodifchen Tönen, dem | 
fi) Tange vergefjene Jugendlieder, die mir in | 
den Sinn und auf die Lippen famen, unmill: | 


fürlih anpaften. Wien lag noch feine Stunde 


Fahrzeit hinter mir, jo überrajchte ich mich ſelbſt 


| dur das Singen des Verſes: „Federleicht ift 
mein Gepäde und mein Mut jo jung und friſch.“ 
Meine Genefung war offenbar ſchon auf gutem 
| Wege. 
* * 
* 
Ein Nachwinter mit reichlichem Schnee hatte 
die bereits grünenden Wieſenthäler und die 
tannendunkeln Höhen des Semmering wieder in 
ein weiß ſchimmerndes Gewand gehüllt; nur 
hier und dort lugte, wie ein ſüßes Verſprechen, 
an Büſchen und Bäumen freundliche Frühlings— 
farbe unter dem überhängenden Schneedache 
| hervor. Der fühle Hauch, der die Nerven jtärfend 
| zum halb geöffneten Wagenfenfter hereindrang, 
| wid, als die Höhe des Gebirges überfchritten 
war, wohlthuender Sonnenwärme, und in lachen: 
dem Lenzesſchmuck grünte und blühte Flur und 
Feld der herrlihen Steiermarf. Der Süden 
‚ begann bier feine reihen Schätze zu entfalten, 
während in den zadigen Gebirgäformen, den 
erniten Tannenmwäldern, welde den Horizont 
begrenzten, und den zahllofen Flüffenund Bächen, 
welche thalwärts eilten, noch der Charakter der 
nordiihen Landſchaft fortlebte.e Das immer 
wechſelnde Schaufpiel fejfelte Auge und Sinn, 
bis die untergehende Sonne und die falte Abend: 
luft gebot, fi für die Nadhtfahrt im Wagen 
häuslich einzurichten. Mit einem Hunger, dejjen 
jich mein durch feine Soupers verdorbener Magen 
ſeit geraumer Zeit entwöhnt hatte, verzehrte ich 
dad mitgenommene „NReijebrot“, tranf ein 
Fläſchchen Bordeaur aus, widelte mich in meinen 
Pelzmantel, um, von Cigarren träumend, deren 
| Genuß mir der Arzt verboten, einzufchlafen. 
So gut follte es mir freilich nicht fobald wer: 
‚ den. Kaum hatte ih die Augen geſchloſſen, jo 
traf mein Ohr ein ſeltſames Geräufch, zuerft von 
fernher ein Pfeifen und Ziſchen, wie wenn der 
Wind fih in den Schlöten der Häufer fängt, 
dann näher und näher fommend ein Saufen und 
Braufen und Knirfchen, wie von einem Orkan, 





52 


der einen Urwald niederlegt, ein Rollen nieder: 
ftürgenden Gefteins, das Krachen zufammen: 
brechenderTelegraphenftangen ;und endlich ſchlägt 
der wilde Sturm, Die aus denfahlen Felsihluchten 
des Karjtes hervorstürzende Bora, mit Rieſen— 
gewalt an den Eifenbahnzug, wie wenn fie ihn 
in die Schwarze Tiefe hinabreigen wollte. Wie 
mit den Kräften der Verzweiflung arbeitet fi) 
die jtöhnende Yofomotive noch langjam vorwärts, 
die Wagen drohen fi) unter dem Windesanprall 
zu heben und zur Seite zu neigen, ihre Wände 
erzittern, ihre Fenster, von daherfliegenden Kieſeln 
und Erdſtücken gepeiticht, rafjeln, wie wenn fie 
in Stüde gehen wollten; ein eifiger Hauch dringt 
durch alle Riten ein, läßt die Vorhängchen empor: 
flattern wie Fahnen in freier Luft und durch— 
fältet mid) troß der Pelzhülle bis auf das Mark 
der Knochen. Stundenlang tobte das Unmetter. 
Da ich, aber niemand bei mir hatte, für den ich 
zu bangen gehabt hätte, fo war ich im Grunde 
nur verdrießlich darüber, daß dasjelbe mid) jo 
lange verhinderte, auch noch die legte Probe 
meiner beginnenden Genefung zu machen und 
mich endlich einmal wieder, worauf ich durd) die 
Tagesreife mic) fo gut vorbereitet glaubte, gründ: 
lich auszufchlafen. Ich wußte mich ſchon auf 
italieniſchem Boden, als endlich ein leichter 
Schlummer über mid fam. Es war fünf Uhr 
morgens vorbei, da blieb unfer Zug ftehen ; ich 
erwachte, wir waren in Venedig angefommen. 


= * 
* 


Die Wagenthüre ging auf und ein Herr, 
den Hut in der Hand, fragte mich, mit einer 
tiefen Verbeugung in der Sprache Dantes: 
„Habe ich die Ehre, mit Herrn... zu ſprechen, 
der ein Quartier im Gafthof ... am Canal 
Grande bejtellt hat?“ Auf mein ‚ja neue, nod) 
tiefere Berbeugung : „Wollen Sie nur die Gnade 
haben, mir Ihren Gepädjchein zu geben und hier 
in die Gondel fteigen, die für Sie bereit liegt.“ 
Entzüdt, allen Aufregungen, ragen und allem 
Lärm entronnen zu fein, die ſonſt auf den An: 
kömmling einftürmen, legte ich mich auf die Polſter 
der Gondel und freute mid) über die ſchmucke 
Geſtalt des Gondeliers, der mid) mit einem 
füßen Lächeln grüßte, als wolle er mic) zu einer 
Inſel der Seligen führen. Zwei Minuten darauf 
ihwammen wir bereits geräuſchlos über das 


dunkle Wafjer der Laqunen dahin. Die ganze | 
Stadt war nod in tiefen Schlaf verfunfen. 
Einzelne Gaslaternen warfen ein ſchwankes Licht 


Wilhelm Laufer. 


auf die Kanäle, durd) welche unſere Gondel glitt, 
feine Begegnung, fein Ton ftörte die märchen— 
hafte Stille, bis wir an dem Hleinen, zierlichen 
Palajte Iandeten, der erſt feit wenigen Wochen 
ı zum Gajthofumgewandelt war. Mie die Außen: 
jeite, jo gli aud noch das Innere mehr dem 
behaglichen Heim eines reichen Patriziers der 
Vorzeit alö einer Herberge für alle Welt. Eine 
eigene Feine Treppe führte mich zu der nad) 
‚ allen Seiten abgejchlofienen Mezzaninwohnung, 
ı die für mich bejtimmt war. In dem fchönen 
Marmorfamine meines Zimmers fladerte ein 
luftiges Feuer, unter meinem Fenſter wiegte 
fih die Gondel, die mich hergetragen und die 
der Nuderer, um mir zu jeder Stunde zur Ber: 
fügung zu ftehen, eben an einem Pfahl feitge: 
bunden hatte. Alles atmete hier Wohlbehagen, 
Stille und Nuhe. Ein ſeit lange nicht mehr ge: 
fanntes Gefühl wohligen Ermattens überfam 


mid) und ich fanf aufs neue in den Schlaf des 








Gerechten, nachdem ich faum die Vorhänge rings 
um mein Bett zugezogen hatte. Als ich wiederum 
erwachte, ſchien bereits die helle Sonne in meine 
Stube herein; von meinem Lager aus konnte ich 
auf die jchöne große Kuppel von Santa Maria 
della Salute hinüberſchauen, und wie eine Ein: 
ladung zu ſüßem Weiterträumen ließen fich 
Glockentöne von mandem nahen und fernen 
Kirchturme vernehmen. Wie in einem Zauber: 
reiche, wo ewiger Friede herricht, flojjen mir 
unmerflid die Stunden und Tage hin, ob id) 
nun im Fenſter liegend dem Hin: und Herfahren 
von taufend Barfen auf dem großen Kanal zu: 
ſchaute, oder mich um die Mittagszeit nad) dem 
Lido hinaus rudern ließ, oder ziellos durd) die 
Lagunen am Fuße herrlicher Paläfte oder an den 
Hütten der armen Stadtviertel vorüberfuhr, oder 
den Marfusplaß auf und ab wandelte, oder mid) 
in einer Kirche oder Galerie in das Anfchauen 
eines Gemäldes verlor. Ein Brief meines ärzt: 
lichen Freundes aus Wien erinnerte mid) endlid) 
wieder daran, daß ich mein Befinden zu prüfen 
habe. Ich hatte dies — das bejte Zeichen meiner 
völligen Genefung — lange ganz vergejlen. In 
meiner Antwort fonnte ich mitteilen, daß ich mich 
wieder friſch und fräftig fühle wie vor langen 
Jahren, da ich Italien zum Zwed von Forſchungen 
über altchriftlihe Kunſt durchreifte, und daß ich 
beabjichtigte, nachdem ich einmal längeren Urlaub 
genommen, mich jet nad) Herzenslust aufmeinem 
alten Stedenpferde zu tummeln. Als nächite 
Briefitation gab ich ihm Bologna an. 


| 
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| 
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Ein unheimlicher Reifebegleiter. 


Gemifienhafter als während des dolce far 
niente in Venedig erfüllte ich in Bologna die 
Pflichten des Reifenden. Vom Morgen bis zum 
Abend durdjitreifte ich die ehrwürdigen, alten 
Gaſſen der Stadt, die Kirchen, Paläſte und Ge: 
mäldefammlungen, endlic die berühmten Fried— 
höfe und Klöfter der Umgegend. Sn der frifchen 
Luft, die von den Apenninen herüberwehte, er: 
wachte meine alte Luft zum Fußwandern und 
Bergfteigen. Das ärztliche Verbot gewaltjamer 
Anftrengung fonnte nicht für übertreten gelten, 
wenn id) den faum eine Stunde entfernten Monte 
della‘ Guardia zu der herrlichen Wallfahrtsfirche 
Madonna di ©. Luca hinanftieg. Gern ließ 
ich meinen bequemen Führer am Fuß der engen 
Treppe zurüd, auf der man zum Dach der Kirche 
gelangt. Ich mochte jchon geraume Zeit in dem 
jtillen Genufje der wundervollen Ausficht ge: 
ihmelgt haben, die fich auf diefer gefährlichen 
Höhe von den Apenninen bis hinüber zum Adria: 
tiichen Meer eröffnet. Da ftörten mich plößlich 
Schritte aus meinen Träumen auf; eine hohe 
Mannögeftalt trat aus der Treppenthüre auf 
das Dad heraus und näherte fi dem Nande 
über der jchwindelnden Höhe. Noch die Breite 
eines Zolls — und der Fremde, defjen Mantel 
ſchon im Winde über den Nand hinausflatterte, 
ſtürzte rettungslos in die Tiefe; halb aus Ent: 
jegen, halb aus Zorn ftieh ich ein „Donner: 
wetter!” aus und fahte nad feinem Mantel: 
zipfel. Mit gleichgültiger Ruhe drehte jich die 
Geftalt um und ich fchaute in ein tiefernites, 
bleiches Gefiht. Wie traumverloren ruhten die 
Augen des Mannes furze Zeit auf mir, dann 
griff er, als bejänne er fich, nad feinem Hute, 
ſprach ein deutjches „Danke“, dem, wenn id) 


53 


legten Abenden durd) das Leſen von Zeitungen 
auf die Stunde des Bettgehens vorbereitet hatte. 
Mein gewohnter Sit war nicht mehr frei; ich 
hatte meinen Unbefannten vom Dache wieder 
vor mir. Derjelbe erhob ſich raſch mit welt: 
männtfchem Anftande, frug mich mit verbindlichen 
Lächeln, ob er mid) vielleicht eines lieben Stamm: 
plates beraubt habe, entjchuldigte fich dann viel: 
mals, daß er vorhin nur fo knapp für den von 
mir gezeigten guten Willen gedankt habe; er ſei 
jedoch ſchwindelfrei wie ein Schieferdeder, mir 
aber nichts dejto weniger für meine Dazwiſchen— 
funft jehr verbunden. Ein Wort gab das andere, 
wir machten gegenjeitig Bekanntſchaft. Er war 
Ruſſe, machte feine erjte Reife in Italien, halb 
zum Vergnügen, halb um kunſtgeſchichtlicher 
Forfhungen willen. Es traf fich herrlich: auch 
er beichäftigte ſich vorzugsweiſe mit altchrijtlicher 
Kunft. Die byzantinischen Ueberlieferungen in 
der Kirche feines Waterlandes hatte er gründlich 
unterfucdht und zu diefem Zwecke bereits auch 
glückliche Forſchungsreiſen nad Konftantinopel, 
durch Kleinafien und Syrien gemadt. Jetzt 
waren diealten KunjtdenfmälerHoms fein Haupt: 
ziel; er hatte aber heute einen Brief aus Ra— 
venna erhalten, der ihn benadprichtigte, man fei 
gerade im Maufoleum der Galla Placidia auf 
eine bisher verichüttete Moſaik geſtoßen, die ohne 
Zweifel aus dem fünften Jahrhundert ftamme. 
Morgen früh mit dem erſten Zuge wollte er dahin 
fahren; ob ich mich vielleicht anfchliegen wolle? 

Wie wäre es möglich geweſen, eine foliebens: 
würdige Einladung auszufchlagen, eine jo herr: 


liche Gelegenheit zu verfäumen? Meine Zufage, 
ihn zu begleiten, erfüllte ihm fichtlich mit der 


größten Freude. 


recht hörte, noch der Ton eines Seufzers folgte, 
und begann, als hätte er da oben nicht gefunden, 


was er ſuchte, raſch wieder die Treppe hinab— 


auf meinem luftigen Sitze. Meine ruhige Stim— 
mung wollte ſich nicht wieder finden. Die ſelt— 
ſame Erſcheinung hatte mich aufgeregt und ver— 


gebens ſuchte ich die immer neu ſich aufdrängende 


Frage niederzudrücken, wer dieſer Fremde ſei 
und ob derſelbe ſoeben bei vollem Bewußtſein 
mit ſeinem Leben geſpielt habe. 

Ich kam an dieſem Abend ſpäter als gewöhn— 
lich in meinen Gaſthof zurück. In dem prächtigen 
Speiſeſaale war ſchon ein Teil der Lichter aus— 
gelöſcht. Ich ging auf die noch hell erleuchtete, 
behagliche Ede zu, in welcher ich mich an den 


| 


1 
t 





„Bon Ravenna fahren wir 
dann,” ſagte er, „zufammen nad Rom und 
durchforfchen miteinander die Katalomben; ein 


' Landsmann, an den ich Empfehlungen habe, 
zufteigen. Auch mic litt es nicht mehr lange | 


ein Kunftfreund und Bildhauer, wirddort unjeren 
Gicerone machen.” Auch die Ausficht auf ein fo 


‚ langes Zufammenfein und auf noch weiteren 


geſellſchaftlichen Zuwachs hatte nichts Unan— 
genehmes mehr für mich. Wir ließen ein paar 
Flaſchen Chianti kommen und tranken auf eine 
glückliche gemeinſchaftliche Reiſe. 

Mitternacht war bereits herangerückt. Der 
Ruſſe ſchien mich aber durch verdoppelte Liebens— 
würdigkeit und Geſprächigkeit vom Schlafen— 
gehen abhalten zu wollen. Als ich zuerſt vom 
Aufbrechen ſprach, ſcherzte er, ich ſei kein echter 
Deutſcher, daß ich mich vor einem ſo leichten 


54 Wilhelm £aufer, 


Weine, wie der Chianti, fürdte. Dabei jchien 
er zuvergeilen, daß er mir faft allein das Trinfen 
überlajjen hatte. Endlich fagte ich ihm, ich müßte 
es als ein ungünftiges Vorzeichen für unjeren 
gemeinſchaftlichen NReifeplan betradhten, wenn 
wir damit begännen, unjeren erften Zug zu ver: 
ſchlafen. Dffenbar etwas verjtimmt erhob er 
ſich endlich. Der Kellner fchritt uns jchlaftrunfen 
mit zwei Kerzen auf der breiten Steintreppe 
voran, um uns nad unjeren beiden Zimmern, 
die nebeneinander lagen, zu leuchten. Die 
Treppe — ein jeder Bejucher Boloanas fennt 
fie — hat in der Mitte einen breiten Abſatz; 
antife Sarlophage, Gedenktafeln, Büften find 
von dem früheren Funftliebenden Palaſtherrn 
längs der Mauer aufgeftellt. So oft ich die 
Stelle betrat, war es mir fait, als jchritte ich 
dur einen verlaffenen Tempel. Die Lichter 
des Kellners, der ſchon auf der Höhe der Treppe 
angelangt war, warfen nur einen ſchwachen, 
zitternden Schein herab; bloß die weißen Marmor: 
büjten und Sarfophage trogten dem Dunfel, das 
uns zu umbüllen begann. Da unterbrach plötzlich 
der Ruſſe das Schweigen, indem er mich mit 
der Hand am Arme faßte, fein Geſicht ganz dem 
meinigen näherte und mich fragte: „Tragen Sie 
auch Piſtolen bei ſich?“ — „Nein, wozu aud) ?* 
antwortete ich kurz. — „O,“ fagte er in düſterem 
Tone, „man weiß nie, was einem begegnen fann; 
jehen Sie, dies trage ic Tag und Nacht bei 
mir.“ Damit zeigte er mir einen Revolver, den 
der herzugetretene Kellner mit größerer Auf: 
merkſamkeit als ich betrachtete. Einem Verſuch 
meines Nachbars, unter meiner Thüre eine neue 
Unterhaltung anzufnüpfen, wich ich aus. 
Solange ich mich ausfleidete und die Vorbe: 
reitungen zur morgigen Abfahrt traf, wollte mir 
die jeltfame Frage und der Ton, in dem fie ge: 
iprochen worden, nicht aus dem Kopfe. Mein 
Nadıbar war offenbar ein jonderbarer Menſch. 
Was hatte er jetzt noch, jtatt fih zur Ruhe zu 
begeben, mit großen Schritten in feinem Zimmer 


auf und ab zu gehen und halblaut mit fich felbit | 


zu Sprechen? Dies beſchäftigte mich, ſolange ich 
noch die Augen offen hatte. Eine Stunde etwa 
mochte ich aeichlafen haben, da hörte ich meinen 
Nachbar an die Zwilchenthüre pochen und mehr: 


mals dringend meinen Namen rufen. ch ſprang 


aus dem Bette und riegelte die Thüre auf. „Was 








it ihnen? find Sie unwohl?* war meine Frage | 


an den Ruſſen, der, feine fait herabgebrannte 


Kerze in der Hand, Todesbläffe im Geficht, mit ' Beweifen, mit Gründen, die er aus Di 


unheimlich glänzenden, weit aufgerifjenen Augen 
mid) anftarrte. „Mir fehlt nichts,” antwortete 
er, offenbar bemüht, in feine Stimme mehr Ruhe 
zu legen, als er wirklich beſaß; „aber haben Sie 
denn bei dem entjeßlichen Geräufche ſchlafen kön— 
nen, das der Sturm in den Gängen und Kami— 
nen und an den Fenfterläden verurfaht; mar 
fünnte glauben, der jüngfte Tag breche an.“ Ich 
wünjchte innerlich den Störer in das Land, wo 
der Pfeffer wächſt. Er ſchien durch meine Ver: 
fiherung, daß ich nichts gehört habe und auch 
jest nichts höre, zwar nicht überrajcht zu fein ; 
aber, meinte er, nachdem er mich f hon aufgeweckt 
habe, werde es mir wohl nichts ausmachen, wenn 
er den Reſt der Nacht vollends auf meinem Zim— 
mer zubringe; es werde dann ohnedies um fo 
ficherer derjenige, der zuerst aufwache, den anderen 
rechtzeitig weden können. Wohl oder übel mußte 
ich zufehen, wie er fich auf meinem Sofa aus: 
ſtreckte. Dort war er bald in tiefen Schlaf ge- 
junfen, während mic) lange der Eindrud dieſes 
jeltfamen Auftrittes nicht zur Ruhe fommen ließ. 


* * 
* 


Faſt rührend waren die liebenswürdigen Auf— 
merkſamkeiten, womit am Morgen mein Reiſebe— 
gleiter mich die Unannehmlichkeiten dieſer Nacht 
vergeſſen zu machen ſuchte. Wie im Fluge legten 
wir plaudernd die Fahrt nach Ravenna zurück. 
Welches reiche Wiſſen, einen wie klaren Verſtand, 
eine wie reiche Einbildungskraft, welche Gabe zu 
erzählen, zu ſchildern, zu ſcherzen entfaltete mein 
Genoſſe! Unſer erſter Gang vom Bahnhofe war 
zum Mauſoleum. Es waren eben einige Alter: 
tumsforfher aus der Stadt und der Nachbar: 
ihaft da, um den Wert des neuen Fundes zu 
prüfen. Die Navennaten waren alle von der 
Ueberzeugung durhdrungen, die Mſaik rühre 
aus der Zeit, da die Tochter Theodofius’ des Oro: 
ben die Kirche, die jett den Namen S. Nazarto 
e Celſo trägt, gegründet. Ihre Kollegen von aus: 
wärts wollten nicht ohne weiteres beiftimmen ; 
Kirchturm: Batriotismus und Wiſſenſchaft ent- 
brannten in heftiger Fehde; an die Stelle der 
Gründe traten bald gegenfeitige Vorwürfe und 






nun, als es jtille geworden, mit fo znfpingenden 
Funds 


Ein unheimlicher Neifebegleiter. 


orte jelbjt, aus dem Material des Wertes, aus 
der Ausführung desfelben in feinen Einzelheiten 
jchöpfte, den viel jpäteren Urſprung diefer Moſaik 
dar, daß ihm ſchließlich alle, Die Ravennaten nicht 
ohne Schmerz, recht geben mußten. Die ganze 
Geſellſchaft ſchloß fih uns bei der Befichtigung 
aller übrigen Sehenswürdigfeiten der Stadt an; 
und mit einem Xiebesmahl, das bis in die fpäten 
Nachtſtunden dauerte und das den über dem 
Grabe einer jchönen Hoffnung Ravennas ge: 
ſchloſſenen Frieden befiegelte, endigte der genuß— 
reiche Tag, den ich meinem Neifebegleiter dankte. 

Inzwiſchen hatten wir ganz vergefien, uns 
nad) einem Quartiere für die Nacht umzuſchauen; 
es war zu jpät geworden, noch unfer Gepäd vom 
Bahnhofe draußen hereinzuholen, und fo ent: 
ſchloſſen wir uns furzwegs, inden nächſten beften 
Gaſthof einzutreten. Allzufreundlich jah es da 


freilich nicht aus; die Wirtsleute felber und die | 
paar Gäſte, die nod) bei trübem Lampenſchein im 
unteren Naume faßen, flößten uns wenig Ber: | 


trauen ein; allein wir blieben doch, nachdem wir 


\ 
| 





einmal die holperige Treppe hinaufgeftolpert und 
in zwei leidlich Hergerichtete, aneinander ſtoßende 
Stübchen geführt waren. Erft ala der Wirt ſich 
wieder entfernt hatte, bemerften wir, daß an der 
CEingangsthüre fein Schloß war. So leicht woll: | 


ten wir e8 denn doch nächtlichen Einbrechern nicht 
machen; unter Yachen und Scherzen rüdten wir 
einen Tiſch und ein paar Stühle an die Thüre; 


lange noch, nachdem ſich der Ruſſe im vorderen, 


ich im hinteren Zimmer mich niedergelegt, ſpann 
ſich unfer fröhliches, lautes Zwiegejpräd) fort. 


Endlich machte die Natur ihre Nechte an mich 


geltend, nur wie im Traum hörte und erwiderte 
id) noch manchmal die Worte meines Nachbars. 
Ich mußte längſt Schon eingefchlafen fein, da 


ihredte mich mit einemmal ein unheimlider | 
Ton auf, der aus einer anderen Welt zu lommen | 


ſchien, ein Stöhnen, wie es fih nur einer mit 


Todesqualen fämpfenden Menfchenbruft entringt, 


und zugleich traf mein Auge das Licht der Kerze, 
die immer noch das andere Zimmer erhellte. In 


einem Nu war id von meinem Lager auf, um | 


nad) dem Ruſſen zu jehen. 
requngslos auf der Thürſchwelle jtehen bei 
dem eıttjeglichen Anblid, der fich mir bot. Auf: 


Ich blieb jedoch 


recht jaß der Mann in feinem Bette, geifter: | 


bleih war jein Antlitz, und wie auf ein verſtei— 


nerndes Medujenhaupt ftarrten feine aus den | 


Höhlen herausgetriebenen Mugen auf die Mün— 


55 


den beiden Händen entgegenhielt. Durch mein 
Hirn ſchoß mit Bligesfchnelle die peinliche Er- 
innerung an das, was in Bologna vorgefallen 
war, jowie das lichte Bild geiftiger Hoheit, das 
diefer Mann ſoeben noch dargeftellt und das 
ſchmählich unterging, wenn nicht Rettung fam. 

Auf den Unglüdlihen losftürzen und ihm 
jeine Schießwaffe entreigen, war denn das Werk 
einer Sefunde. „O, warum laffen Ste mid) nicht 
ſterben?“ jammerte er auf, „nur der Tod fann 
mid) von der Dual und Angſt meiner Seele er: 
löfen, nur er vermag die Schredbilder zu ver: 
jagen, die mir nachts den Schlaf rauben und mic) 
auch bei Tag nicht mehr loslafjen wollen.“ Da- 
bei ſenkte er, wie von Scham niedergedrüdt, fein 
Geſicht auf meine beiden Hände nieder, die er 
mit einem Strom von Thränen beneßte, während 
frampfhaftes Schluchzen feine Bruft zu zer: 
iprengen drohte. Jedes andere Gefühl in mir 
wich einem tiefen Mitleid mit dem Manne, defjen 
Geiſt ich jebt in fo wilder Zerrüttung jah. Alles 
Bemühen, ihn zu veranlafen, er möge mir dod) 
fein Herz ausfchütten, wies er zwar ängſtlich zu: 
rüd, aber er beteuerte mir, was id) ihm gern 
glaubte, daß er mehr unglüdlich als ſchuldig fei, 
und er bat mich, ihn in feiner Not nicht allein zu 
laſſen; er hoffe, mir nicht lange zur Laſt zu fein; 
Nachrichten aus der Heimat werden dod) endlich 
anlangen und ihn aus einer Ungewißheit über 
fein Los reißen, die jeine Nerven bis zum Wahn: 
finnigwerden, bis zum Gedanken an Selbjtmord 
überreize. ch ließ ihn lange ohne Unterbrechung 
fortreden; nicht nur feine, jondern auch meine 
eigene Aufregung , die fich bereits wieder in be- 
denflihem Herzklopfen anfündigte, fonnte dadurch 
nur bejchwichtigt werden, und ich gab ihm das 
Verjprechen, ihn nicht zu verlajlen nody von dem 
Vorgefallenen irgend jemand etwas zu verraten. 
Er wurde denn aud allmählich wieder ruhiger; 
ich blieb am Nande feines Bettes ſitzen, bis er 
fejt eingefchlummert war. Am Morgen war er 
wieder ganz der Alte, fein Geift jo friich und 
ichnellfräftig wie Tags zuvor. Nur ſchien feine 
Liebenswürdigfeit mir gegenüber etwas von der 
Art eines Kindes zu haben, das ſich an den 
ihütenden Arm des Vaters mit Vertrauen 
ſchmiegt. Auf unferer Fahrt nach Nom war von 
den Vorgängen diefer Nacht nicht die Nede; um 
fo reichliheren Stoff zu unbefangener Unter: 
haltung bot die Erinnerung an den gelehrten 


: Kampf im Maufoleum von Navenna, 
dung des geipannten Nevolvers, den er fid) mit | — 


* 


56 


Im Bahnhofe zu Nom jtellte fi) uns der 
ruffiihe Bildhauer vor, an welchen mein Reife: 
begleiter Empfehlungen hatte. Ich mochte nicht 
fragen, ob derjelbe, ohne daß ich darum wußte, 
telegraphiih von unferer Ankunft verftändigt 
worden war. Immerhin etiwas befremdet, hatte 
ich feine Luft, mic) einzumijchen, als der Bild: 
hauer mit zubringlicher Höflichkeit feinen Lands: 
mann bejtürmte, ſtatt in einem ungemütlichen 
Gafthofe bei ihm Wohnung zunehmen. Als beide 
ſchließlich ihr Geſpräch in ruffischer Sprache zu 
führen begannen, hielt ich mid jeder weiteren 
Verpflichtung für ledig, verforgte mein Gepäd 
und verabjchiedete mich von meinem Ruſſen mit 
gleichgültiger Höflichkeit, wie von der nächſten 
beſten flüchtigen Reifebefanntichaft. Ich ftieg in 
einem mir feit lange wohlbefannten Albergo ab, 
deſſen Wirt mic mit alter Herzlichkeit begrüßte; 
das Zimmer war das nämlidhe, von dem aus id) 
in früheren Tagen zu meinen Wanderungen in 
Stadt und Campagna ausgezogen war; von dem 
Fenſter ſah ich drunten an der Straßenede noch 
die nämlidhe alte Obitverfäuferin figen, die für 
den Dottoretedesco immerihreſchönſten Früchte 
aufbewahrte; in der Auslage des Kunſtladens 
gegenüber ftanden noch die nämlichen faljchen 
Altertümer, welche den unfhuldigen Engländern 
jtets jo ins Auge ftachen; nichts fchien hier 
verändert, und ich fonnte mich ganz einer Art be: 
haglichen Heimatgefühles hingeben, mich wieder 
ganz von der Aufregung der legten Tage erholen. 
Der erite Abend brachte mich in der traulichen 
Künftlerfneipe mit den deutjchen Freunden von 
ehedem zufammen und mandem Fiasco ſüßen 
Drvietos wurde zur Feier des Wiederjehens der 
dünne Hals gebrochen. 

Wir ftanden am Vorabend des berühmten, 
durch Scherzgedichte und Luftige Abbildungen ſchon 
mehrerer Gejchlechter gefeierten Gervaro: Feites, 
einer Art Maifeſt, welches die deutfchen Künſtler 
Noms im Verein mit italienischen Genoſſen nad) 
altgermanifcher Sitte durd) Mummenſchanz und 
waderes Trinken in den Gervaro:Höhlen zu feiern 


pflegen, Ueberbleibjeln großer Steinbrühe aus | 


der alten Nömerzeit, etwa fieben Miglien vonder 
Stadt in der Nähe der alten Via Collatina ge: 
legen. Diesmal hatte die ganze Künſtlerſchaft 





Noms, ohne Unterfchied der Nation, ihre Betei: | 


liqung zugefagt. Daß aud) ic) morgen beim Stell: 
dichein nicht fehle, wurde mir noch beim Nach— 


gemacht. 


Wilbelm Kaufer. 


Ich fand denn morgens alles, was fid) in Nom 
zu fo früher Stunde dem Bett entreißen konnte, 
an der Porta Maggiore verfammelt, um den 
Karneval der Deutfhen, wie die Nömer das Feſt 
tauften, mitzumachen oder wenigitens zu fehen. 
Unter einer endlofen Reihe von Wagen, Neitern 
und Fußgängern zog ich mit landsmänniſchen 
Kunftfreunden und Künſtlern auf der fonft jo ein: 
jamen alten Via Präneftina hinaus zu der Tor 
de’ Schiavi. Hier, auf dem herrlichen grünen 
Rafenplage um die alten Nuinen hielt der Vor: 
ſtand des deutihen Künftlervereins Mufterung 
über feine Truppen. Kein Feldherr fonnte je mit 
vergnügteren Sinnen auf fein fieggewohntes Heer 
Ihauen als diejer Inhaber einer Eintagsmadit. 
Stolz jaß er, in feinen altdeutſchen Kaiſermantel 
gehüllt, auf dem Throne des fahnenumraufchten, 
von vier Ochjen gezogenen Maimagens, um: 
geben von den Großen der Krone und von den 
Hofnarren treulich unterftügt in feinem hohen 
Amte. Neben ihm fuhr mit dem ftattlichen Ge: 
Ipann von vier Schimmeln der Prachtwagen des 
Imperator Bitellius, den ein italienischer Maler 
darjtellte, einen riefigen Kochlöffel als Zepter 
feiner Majeftät ſchwingend, während fascestra- 
gende Liktoren, römische Soldaten, barbariiche 
Söldlinge, in Tierfelle gekleidet, und Auguren 
auf ihren Ejeln den Herrfcher Roms umgaben. 
Unter dem raufchenden Spiel dreier Mufifbanden, 
die in befränzten Omnibufjen fuhren, begann der 
Umzug des feitlihen Heeres, voran der Kuchel— 
wagen, bejett von Ganymeden, deren Kopfbe: 
dedung umgejtülpte Weinflafhen waren, dann 
jtolze venetianifche Reiter mit gezüdtem Degen, 
eine Neiterin mit der ſchön gemalten Bundes: 
fahne der deutfchen Künitler, ſodann endlofe Ge: 
ſchwader von Ejelsreitern, Artillerie in der Uni: 
form der weiland Reichsarmee und endlich die 
Nitter des berühmten Bajocco-Ordens mit dem 
Beher am roten Bande, der das Anrecht auf 
die gemeinfchaftliche Atzung verlieh, unter den 
leteren mancher Veteran, deſſen Bruft mit un: 
zähligen Bajocchi, Ehrenzeichen aus alter Zeit, 
bevedt war. Nach beendigter Mufterung ver: 
fammelte der Kapellmeifter feine Getreuen um 
fih und es wurde das Bundeslied der Künjtler 
geſungen. 

Der Anblick dieſer buntbewegten und bunt— 
farbigen Menge, der Campagna ringsum, die 


‚in ſaftigem Grün und im Blumenſchmuck des 
haujegehen von den Freunden zur heiligen Pflicht 


Lenzes prangte, der Kirchenfuppeln, die fern 
von Nom herüber grüften, und der aus dem 


Ein unheimlicher Reiſebegleiter. 


| 


Morgenduft auftauchenden Spitzen und Ketten 


des Sabiner und Albaner Gebirges war ent: 
züdend ſchön und erfüllte mein Herz mit feit- 
licher Freude. Nach kurzer Naft brad der Zug 
wieder auf. Bor den Gervaro-Höhlen hatte 
fih bereits eine unabjehbare Wagenburg ge: 
bildet; fliegende Wirtjchaften entjtanden wie 
durch Zauber; Gampagnolen waren mit ihren 
Frauen und Mädchen in Maſſe herbeigeftrömt, 
und von Minute zu Minute wuchs die jchau: 
Iuftige Menge, die von Nom herauspilgerte. 
Böllerfchüffe verfündeten jebt den Beginn des 
Hauptfeites. Die Priefter des Vitellius ſchlach— 
teten mit feierlichen Geremonien, häufigen Liba— 
tionen und unter brünftigem Gebet zu den Göt— 
tern ein Opferlamm. Der \jmperator flehte 
mit den Seinigen um günftige Vorbedeutung 
für das Felt. Die Eingeweide wurden unter: 
fucht, und fiehe da, im Herzen des Tieres fand 
fih ein wohlverfiegeltes Sendichreiben der Gott: 
heit an den Vorjtand der deutjchen Künjtler, 
das der Hofnarr des letzteren entzifferte und 
vorlas. Es war eine Aufforderung an die 
Künftler, das Felt luftig und in brüderlicher 
Gefinnung zu begehen. Ein Tuſch der Muſik 
und allgemeines Hochrufen antwortete auf die 
frohe Kunde. Nun ftieg man in die Höhlen 
nieder, wo aller ein überrafchender Anblid war: 
tete. Auf einer kleinen Anhöhe hatte der 
Herricher der Künſtler deuticher Nation und der 


römijche Kaifer Vitellius mit feinem glänzenden | 


Hofjtaate ſich aufgeitellt. Zu ihren Füßen be: 
wegten ji die Gruppen der Koftümierten um 


die Menge der anderen Gäfte, mworunter gar | 
manches jchöne Frauenbild aus Nom und der | 





f 
\ 





deutjchen Heimat, und das aus den zerriffenen | 


Flanken des Hügels in einzelnen Strahlen 
hereinfallende Tageslicht wirkte belebend und 
lufterregend wie der Glanz von Kronleuchtern 
in einem Feſtſaale. Nach einer neuen Anjprache 
des Vorjtandes an die Säfte nahm man unter 
den Klängen der Muſik und taufend Scherzen 
das leder bereitete Mahl ein. 


zu Pferd und zu Ejel; der Schauplat war eine 
Wieſe zwiſchen dem Ausgang der Gervaro: 
Höhlen und den Krümmungen des hier vorbei- 
fliegenden Teverone, Die Neiter in ihren 
mannigfaltigen Trachten, die komiſchen Zwi— 
ſchenfälle, zu denen die ftörrifchen Ejel und die 
ſchlechten Mietgäule reichlichen Anlaß gaben, die 
Gruppen der Zufchauer im Thale und auf den 


J 


57 


Höhen feſſelten die Aufmerkſamkeit der meiſten 
ſtundenlang. Aber ohne Vergleich lohnender 
ſchien mir der hier eröffnete Ausblick über die 
weite Campagna, entlang den grünen Ufern des 
Teverone, hinüber zu den blauen oder noch mit 
Schnee bedeckten Sabiner Bergen, dem ſtattlichen, 
aus ihrer Mitte emporragenden Monte Gennaro 
und feitwärts zu den Bergen von Albano. Nur 
zögernd fonnte ich mich gegen Abend von dem 
wunderbaren Schaufpiel trennen und mich dem 
Zuge der Heimfehrenden anſchließen. 

In dem Jubel gleichgeſtimmter Yandsleute 
über das gelungene Feſt waren mir kaum hin 
und wieder die Unheimlichkeiten des Fremdlings 
eingefallen. Derſelbe ſchien nicht bloß ſeinen 
Vorſatz, mit mir die Kunſtſchätze Roms zu be— 
ſichtigen, vergeſſen zu haben, ſondern auch dem 
Verkehr mit der Welt überhaupt ausweichen zu 
wollen. Denn warum hätte er ſonſt bei dem 
Feſte gefehlt, an dem doch alle in Rom weilen— 
den Fremden teilgenommen hatten? Der Ge— 
danke, es möchte ihm etwas zugeſtoßen fein, be— 
ſchäftigte mich aber doch bei der Nachfeier des 
Feſtes, die mein Freundeskreis in unſerer 
Lieblings-Trattoria beging: da trat er, gefolgt 
von ſeinem Landsmanne, in den Saal ein. 

Täuſchte ich mich nicht, ſo lag etwas wie 
eine Wehmut oder Reue in dem Gruße, mit 
dem er an mich herankam. Unſere Unterhal— 
tung kam nicht in Fluß wie ehedem. Es fiel 
mir auf, daß meine Landsleute mit verdrießlicher 
Miene wegrückten und ſich der Teilnahme am 
Geſpräche enthielten, als ſich der Bildhauer zu 
uns ſetzte. Dieſer merkte nichts oder that, als 
ob er nichts merke. War er mir ſchon beim 
erſten Anblick widerlich geweſen, ſo wurde er 


mir dies noch mehr, indem er nicht nur gegen— 


über unſerem gemeinſchaftlichen Bekannten einen 


Ton der Ueberlegenheit anſchlug, ſondern auch 





erſtaunt ſchien, daß ich nicht das Gleiche thun 


wollte. Der Menſch machte mir den unwillkür— 


lichen Eindruck, als ſei er in das Geheimnis 


des anderen eingedrungen und wiſſe dies nun 
Alsdann begann draußen das Wettrennen 


auszubeuten. Dieſer unbehagliche Eindruck 
wuchs noch, als mir beim Auseinandergehen 


meine Freunde ſagten, es herrſche gegen den 


Bildhauer ein allgemeines Mißtrauen; vor 
Jahren mit einem Staatsſtipendium nach Rom 
geſchickt, habe derſelbe noch keine einzige Arbeit 
gezeigt; er pflege ſich ſeinen reichen Landsleuten 
anzuhängen und müſſe wohl hiervon, wenn nicht 
von Schlimmerem, leben. 

8 


58 


Bon gemeinichaftlichen Kunftausflügen fonnte 
nun freilich die Rede nicht mehr fein. Aber auch 
eine Warnung vor dem bedenklihen Umgang 
ſchien mir nußlos, denn fo oft ich den beiden 
begegnete, fiel mir die Beihügermiene, die der 
Bildhauer zur Schau trug, und die Ergebung, 
fajt Unterwürfigfeit auf, womit der andere ſich 


dies gefallen ließ. — Einige Tage nachher traf | 
ich ihn auf dem Korſo, den Bildhauer wie feinen | 


Schatten an ihn geheftet. Er jah matter und 
abgejpannter aus als jemals. Nachdem wir 
uns begrüßt und einige gleichgültige Worte ge: 
wechielt hatten, ſprach ich ihm von meiner Ab: 
ſicht, Neapel zu befuchen, wo man einen nahen 
Ausbruch des Veſuvs erwartete. Ich war nicht 
wenig erjtaunt, als er den Wunſch äußerte, 
mich dahin zu begleiten; aud war es mir, als 
fähe ih plöglich in dem Auge des Bildhauers 
einen Strahl tüdifcher Freude aufleuchten. 
Wäre es noch möglich geweſen, feine Gejell: 
ſchaft abzulehnen, jo wurde dies durch den 
Eifer vereitelt, womit er, ohne meine Antwort 
abzuwarten, fortfuhr: „Wir wollen gleich heute 
noch reifen; wir nehmen gar fein Gepäd mit; 
ich laſſe,“ wandte er fich zu dem Bildhauer, 
„meinen Koffer bis zu meiner Nüdfehr bei 
Ihnen.“ Der Bildhauer war offenbar über 
diefe Ausficht befriedigter ala ih. Was würde, 
nad den Erfahrungen von Bologna und Ka: 
venna, mein ärztlicher Freund in Wien zu 
diefem neuen gemeinschaftlihen Ausfluge gejagt 
haben? Vielleicht: „Sich Neapel und ſtirb!“ 


= = 
* 


Der Zug, in welchem wir die Nacht hindurch 
nach Neapel fuhren, war mit Reiſenden überfüllt. 
Wir wurden mit einer ſechs Köpfe ſtarken eng— 
liſchen Familie zuſammengepfercht; an Schlaf 
oder Unterhaltung konnte nicht gedacht werden. 
Zerſchlagen und verſtimmt langten wir in Neapel 
an. Obwohl uns am Bahnhofe hundert heiſere 
Kehlen den Namen aller möglichen Gaſthöfe zu— 
ſchrieen, mußten wir eine unerquickliche Stunde 
lang herumfahren, um immer wieder den Be— 
ſcheid zu erhalten, daß alles beſetzt ſei. Endlich 
nahm uns in einer Seitengaſſe der Chiaja ein 








| 


Milhelm Cauſer. 


der uns bis zum Obfervatorium bradite. Das 
Wetter hatte ſich inzwiichen ganz zum Schlimmen 
gewendet. Ein dider Nebel legte fich um die Höhe 
des Berges, leifer Regen, der allmählich ſtärker 
wurde und uns bis auf die Haut durchnäßte, ſank 
auf den mißfarbenen Aichenftaub nieder, in dem 
wir bis an die Kniee wateten. Am Ende weiger: 
ten fich gar unfere Führer weiter zu gehen, da 
an feinen Umſchlag des Wetters mehr zu denfen 


ſei und fie, durch Nebel und Regen am Aus: 


ichauen verhindert, uns nicht gegen drohende Ge- 
fahr ſchützen könnten. Stumm und verdrießlich 
traten wir den Rückweg zum Obſervatorium an, 
trockneten am Herdfeuer notdürftig unſere Kleider 
und fuhren dann im geſchloſſenen Wagen wieder 
nach Neapel. Die ſonſt in ſo herrlichen Farben 
leuchtende Umgebung der Stadt glich der trüb— 
ſeligſten und langweiligſten holländiſchen Land— 
ſchaft, Grau in Grau ſchmolz der Regenhimmel, 


die Buchten und die nächſten Inſeln des Meeres 


ineinander, und von der Heerſtraße wie von den 
ſonſt ſo belebten Gaſſen der Stadt hatte das Un— 
wetter Menſchen und Tiere verjagt. Von dem 
ganzen Tage war nichtS mehr zu retten; es blieb 


nichts übrig, als heute einmal mit den Hühnern 





ſich jchlafen zu legen. Auch mein Gefährte hatte 
nichts hiergegen einzumenden, 

Mehrere Stunden war ich in bleiernem 
Schlafe gelegen, als mic) ein jhredhafter Traum 
aufwedte. Doc, träumte id nod) oder war es 
Wirklichkeit? ch hörte ganz deutlich, daf etwas 
durch mein Zimmer ſich bewegte ; es machte Kleine 
raſche Schritte, es fchleppte einen Gegenftand 
am Boden hin, hielt einen Augenblid inne, dann 
fnadte es wie von brechenden Knochen ; es hob 
ein Ziſchen und Anurren an, ein Streiten und 
Balgen mehrerer, die in nächtlihem Kampfe be: 
griffen und ihre zornigen Stimmen zu dämpfen 
ſchienen; dann hujchten fie wieder auseinander, 
und abermals begann e3 unter ſchwerem Schnau— 
fen und Stöhnen hin und her zu wandeln, ge: 
heimnisvoll zu ziſchen und zu zanfen und ſich hin 


‚ und her zu zerren. Eben richtete ich mich, völlig 


erwacht, in meinem Bette auf, da ſtürzte zur 


‚ Thüre mein Neifebegleiter herein, mit von Angſt 


neu eröffneter Gafthof auf, in deſſen zweiten | 


Stode neben allerlei Borratsfammern zweielende 
Zimmer frei waren. Troß unferer Müdigkeit und 
trogdem fich das Wetter jehr zweifelhaft anließ, 
wollten wir noch am nämlichen Tage den Veſuv 
bejteigen. Wir trieben endlich einen Wagen auf, 


halb erjtidter Stimme nad Hilfe rufend. Ich 
machte jhleunig Licht und Half dem Unglüdlichen 
auf, der fih in Zudungen am Boden wand; noch 
lange geberdete er fih wie ein Wahnfinniger, 
während ich mich abmühte, ihn zu beruhigen; er 
redete von Feinden und Berfolgern, die ihm, dem 


Unſchuldigen, nadjitellten, von jeinen Seelen: 


Ein unbeimlicher Neifebegleiter. 


qualen, die ihn nirgends zur Ruhe kommen ließen; 
es gebe für ihn fein Entrinnen mehr, dies hätten 
ihm die Stimmen der Naht in die Ohren ge: 


raunt. Er lächelte trüb und ungläubig, als ich 


ihm fagte, auch ich habe ganz deutlich das un: 
heimliche Geräufch vernommen, und wir werden 


ohne Zweifel bald die Urfache desjelben erforiht 


haben. Ich unterfuchte zuerjt mein und dann fein 


Zimmer, ohne etwas zu finden ; unferen Fenftern | 
3 ; 


gegenüber erhob fich, durch eine schmale Gaſſe ge: 
trennt, eine mehrere Stod hohe fenfterlofe euer: 
mauer, auch dorther fonnte das Geräufch nicht 
rühren. Wir traten auf den Gang hinaus; aud) 
hier und im ganzen Haufe alles ſtill. Umſonſt 


zerbrach ich mir den Kopf, wie dieje nächtliche | 


Störung entjtanden fein und plößlich wieder auf: 
gehört haben fonnte. Cs blieb am Ende nichts 





übrig, als auf die Löfung des Nätfels vorerft zu 
verzichten und meinen inzwijchen etwas beruhig⸗ 


teren Neijebegleiter zu Bette zu bringen. Allein 
faum hatte ich die Lichter ausgelöjcht, jo fing der 


nichts zu erbliden, als ich rajch wieder Licht ge: 


59 


' der mir aufitieß, war mein Neifebegleiter und der 
Bildhauer. Der eritere faßte mich unter den 
Arm und forderte mich auf, mit ihm zur Poſt zu 
gehen, wo er einen Brief abzuholen habe; um 
den Bildhauer fümmerte er ſich nicht. Doch folgte 
uns dieſer, obgleich aud) ic) fein einziges Mal 
das Wort an ihn richtete. Was mochte zwiſchen 
beiden vorgefallen fein? Statt wie zuvor füg: 
jam, begegnete mein Begleiter dem Bildhauer 
mit unverhohlener Verachtung, welche dieſer mit 
herausforderndem Troße zu erwidern ſchien. — 


| An dem Schalter für eingefchriebene Briefe reichte 


man meinem Begleiter einen Brief heraus, den 
derjelbe mit zitternder Hand erbrach. Aber faum 
hatte er einen Blid in denjelben geworfen, jo ſtieß 
er einen lauten Freudenſchrei aus und ſtürzte 
ohnmächtig zu Boden. Ich rannte nad) dem näch— 
jten Brunnen, um in meinen Hut Waller zu 
ichöpfen und dem Armen Stirn und Schläfen zu 
benegen. Zu meiner inneren Entrüftung blieb 


‚ der Bildhauer teilnahmslos an eine Säule ge: 
Höllentanz von neuem an, und abermals war | 


macht. Mißmutig, meinen Begleiter nicht dur) | 
in abgerifjenen Worten für die ihm bewiejene 


natürliche Gründe beſchwichtigen zu können, er: 
gab ich mich ſchließlich darein, mit ihm zu wachen, 
bis der hereinbrechende Morgen unſere Lichter 
überflüffig machte. Sobald es im Haufe hell 
wurde, befraate ich den Wirt und feine Yeute, 
ob jie Den Lärm in diefer Nacht nicht vernom: 


men und feine Kenntnis von der Urſache des: | 


jelben hätten. Man beteuerte uns bei allen Hei— 
ligen, daß niemals im Haufe etwas Unheimliches 
fi vernehmbar gemadıt habe, und man beihwor 
uns, um des Nufes des neu eröffneten Gajthofes 


| 


willen über das zu ſchweigen, was wir gehört ı 


zu haben glaubten. Ich war in einer eigentüm: 
lihen Yage: jo groß meine Ungeduld war, das 
Geheimnis diefer Nacht aufzuflären, fo dringend 
aebot mir die Menfchlichkeit, meinen Reiſebeglei— 
ter nicht zu verlafien, dem in Neapel der Boden 
unter den Füßen brannte und der mich beihwor, 
auf der Stelle mit ihm nah Rom zurüdzufahren. 


Endlich entſchloß ich mich, auch noch diejes lebte 


Opfer zu bringen, und fo langte ich denn nach 
bloß zmweitägiger Abwejenheit wieder in der 
Zichenhügelitadt an. 


* % 


* 
Nachdem ich einige Stunden in meinem Gaſt— 
höfe gerajtet hatte, aing ich aus, um frische Yuft 
auf dem Korſo zu fchöpfen. Der erite Bekannte, 


lehnt. Endlich fchlug der Ohnmächtige die Augen 
wiederauf; Thränen, aber offenbar Freudenthrä: 
nen rannen ihm über die Wangen, er dankte mir 


Liebe, umarmte mich ftürmifch und lief dann fort, 
ohne zu jagen wohin. Seltfam erariffen von 
diefem Vorgange, blidte ich nad) dem Bildhauer. 
Diejer hatte eben den zerfnüllten Brief vom Bo- 
den aufgehoben und las laut, wie um feine un: 
verschämte Neugier zu bemänteln, den kurzen In— 
halt desſelben: „Lieber... ., ein paar Stunden, 
nachdem Du diefen Brief erhalten, werde id) bei 
Dir eintreffen. Dein Oheim . . .“ 
Der Bildhauer murmelte etwas wie einen 
Fluch zwiſchen den Zähnen, dann bat er mich 
mit kriechender Höflichkeit, mit ihm in unſer ge— 
wöhnliches Cafe am Korſo zu treten, wo er mir 
manches zu meiner Aufklärung jagen werde. 
Ich überwand die Abneigung, mich mit dem 
widerlichen Menſchen an einen Tiſch zu ſetzen. 
‚ Bald genug erfuhr ich denn, was ich längſt ver: 

mutet hatte: Der Bildhauer hatte gleich in der 
eriten Nacht, die mein Begleiter in jeiner Woh— 
nung zubradhte, den Zuitand des letzteren er: 
fannt und fich offenbar auch nicht ohne Erfola 
bemüht, die Urfachen desjelben zu erforichen. 
Nie mußte mein armer Freund durch eine ſolche 
Mitwiffenichaft gelitten haben! ch jchnitt dem 
Bildhauer zu feinem großen Verdruſſe das Wort 
ab, als er fich in ziemlich durchfichtigen Anden: 
tungen darüber ergina, daß ein ſchweres Ver: 


60 


brechen auf der Seele ſeines Landsmannes lajten 
müſſe. Und eben war ich im Begriffe, wieder weg: 
zugehen, da trat mein Reifebegleiter zur Thüre 
herein, hinter ihm ein hochgewachſener Mann im 
Reifemantel; er fchritt auf meinen Tiſchnachbar 
zu, fpudte vor demfelben aus und ging zu einer 
anderen Thüre wieder hinaus. Der Bildhauer 
hatte fich leichenblaß von feinem Site erhoben, 
fand aber erſt Worte, als die beiden ſchon wie: 
der draußen waren; dann brach er in eine Flut 
von Verwünfchungen aus und rief, er werde 
jeinen Beleidiger aufs Schafott bringen, der— 
jelbe fei ein gemeiner Verbredyer, ein Mörder. 
Der ganze Auftritt, der viele Zeugen hatte, war 
mir im höchſten Grade peinlih. Ich ließ den 
Bildhauer in ohnmädtiger Wut forttoben und 
trat auf die Straße hinaus. Hier fam mein 
Neifebegleiter rafch auf mich zu und bat viel: 
mals um Entſchuldigung, daß er mir jenen Auf: 
tritt nicht erjpart habe; aber er habe, bevor ihn 
jein Oheim, General . . ., nach der Heimat ent: 
führe, an dem Elenden ſich rächen müffen, der 
fein Vertrauen betrogen, ihn durch die Drohung, 


tert und ihn ſchließlich fogar bejtohlen habe. Der 


Wilhelm £aufer. Ein unheimlicher Neifebegleiter. 


zu leiten, faſt klöſterlich abgeſchloſſen in dem 
Flügel des Schloſſes, den ſie bewohnte, ſo daß 
wir nur äußerſt ſelten und kurz uns ſprechen 
konnten. Das zweite Hindernis war, daß meine 
Geliebte durch ein älteres Familienüberein— 
kommen bereits einem anderen, einem Garde— 
offizier, den ich ſelbſt wegen ſeines freundlichen 
Weſens zu meinen liebſten Bekannten zählte, 
ſo gut als verſprochen war. Um uns endlich 
über die Löſung dieſer beiden Verhältniſſe be— 
ſprechen zu können, hatte mich die Geliebte eines 
Abends ſpät, da ſie die Großfürſtin auf dem 
Hofball wußte, zu ſich geladen. Wir waren über 
die Schritte, die zu thun ſeien, einig geworden 
und voll ſeliger Hoffnungen trat ich aus ihrer 
Thüre, als ich mich dem Offizier gegenüber be— 
fand, der unglücklicherweiſe gerade in dieſer 
Nacht den Dienſt in dieſem Schloßflügel hatte. 
Den Auftritt zu beſchreiben, der nun folgte, 
müſſen Sie mir erlaſſen. Umſonſt war all mein 
Bemühen, ihn zu überzeugen, daß ich nicht un— 
ehrlich gehandelt habe; er ſchrie nur immer, ich 


habe ihn und ſeine Braut entehrt und einer von 
jein Geheimnis zu verraten, entjeglih gemar: 


Bildhauer hatte feinen Koffer während unferer 


Abwesenheit in Neapel mit einem Nachſchlüſſel 
geöffnet und alles Geld aus demjelben genom: 
men; nur einige Bankicheine, die zwiichen den 


Blättern des Baedekerſchen Neifehandbuches ver: | 


borgen lagen, waren feinen biebifchen Händen 
entgangen. Außerdem hatte er ſich aus feinem 
Briefwechſel alle diejenigen Stüde angeeignet, 
die er vielleicht einmal als Erprefiungsmittel 
benugen fonnte. 

„Lieber Freund,” fuhr der Ruſſe dann fort, 
„ich bin leider ein ſehr unheimlicher Reijebeglei: 
ter für Sie gewejen. Aber für alle Aufregung, 


uns beiden müſſe tot auf dem ‘late bleiben. 
Endlich folgte ih ihm, um nur nicht durch den 
Lärm noch das ganze Schloß in Aufruhr zu 


‚ bringen, in die Wadtjtube; dort riß er einen 


Säbel von der Wand, warf mir denfelben hin 


‚ und drang dann mit wütenden Streichen auf 


mid ein. Die ihm untergebenen Soldaten, die 
ohne ich zu rühren zufchauten, mußten nachher 
bezeugen, daß ich mich immer nur zu deden 


ſuchte. Aber einmal war mein Säbel, unter der 





Wucht eines Hiebes, tief gefunfen, mein Geg— 


ner ftürmte vor und rannte ſich meine vorgehal: 
tene Waffe in den Magen. Laſſen Sie mid 


die ih ihnen verurfacht, für alle Freundichaft, 
die Sie mir bewiejen, bin ich Ihnen zum min: | 


deiten Mahrheit fchuldig. Ste wiſſen, welche be: 
neidenswerte Stellung ich in der gelehrten und 
gejellichaftlihen Welt von St. Petersburg ein: 
nahm. Nichts fehlte mehr zu meinem Glüde, 
als die Hand eines Yräuleins am Faiferlichen 
Hofe, das ich liebte und das meine Yiebe er: 
widerte. (Es waren nur zwei Hinderniffe zu 
überwinden. Die Großfürftin . . ., deren Ehr: 
geiz ift, eine national ruſſiſche Oper zu gründen, 
alaubte in meiner Geliebten wegen ihrer präd): 
tigen Stimme ihre fünftige Primadonna aefun- 
den zu haben und hielt fie, um ihre Ausbildung 


nicht bei dem Jammerbilde verweilen, wie das 
blühende Leben des Freundes in wenig Minus 
ten verlofch, wie ich umſonſt dasjelbe zu bannen 
fuchte und er mich noch mit feinen letzten Wor: 
ten zur eiligen Flucht mahnte, Die Erinnerung 
an dieſe Schredensjtunde, der Schmerz über die 
blutige That, über den Verluft der Geliebten 


und meiner ganzen Zukunft verfolgten mich wie 


die Erinnyen, wohin ich auch den Fuß feste. 
Lange galt ich in meiner Heimat für einen ge: 
meinen Mörder; die Yamtlie des Toten und 
die Großfürſtin jelbit, die fich in ihrer Hofdame 
gekränkt ſah, der ganze Hof, der den Bruch des 
Burgfriedens im Schlofje für ein unverzeihliches 
Verbrechen erklärte, ließen lange feine Entſchul— 
digungs⸗ oder Milderungsgründe für meine That 


Bobo echter 


auffommen. Nachdem mich die Verzweiflung 
bereits in den Zuitand verſetzt hatte, in dem Sie 
mich gejehen haben, überbringt mir jegt mein 
Oheim die endlich erwirkte Erlaubnis des Zaren 
zur freien Heimfehr und das endgültige „ja: 
wort der Geliebten.“ 

Mit großer Nührung hatte ich diefe Erzäh: 
lung angehört und wir verabjcdiedeten uns als 
Freunde fürs Leben. Als ich des Abends in 
meinem ſtillen Kämmerlein alle diefe wunder: 


. Smwei Gedichte. 





| 


| 


61 


man mir einen Brief. Derjelbe war von une: 
rem Gaſtwirt in Neapel. Man hatte nah un: 
ferer Abreife das ganze Stockwerk durchſucht, 
wo wirwohnten, und inden alten Rorratsräumen 
eine Menge Eulen entdedt, die, folange es heil 
war, fich ganz ruhig verhielten, aber einen Höl: 
lenlärm machten, jobald es dunfel wurde. Die 
Eulen feien jest alle weg, jchrieb der Biedere, 
ich folle nur wieder nad) Neapel fommen und 
bei ihm wohnen. Dies gelobte ich denn auch zu 


famen Erlebnifje nochmals überdachte, bradhte | thun, freilich jest ohne Neifebegleiter. 


wei Gedichte. 


Don 


Bodo Sechter. 


I. Märden. 
Als ich heut zum Wald gegangen, 
Weld ein Blühen, wel ein Prangen, 
Weld ein wunderfamer Duft! 
Wie wenn Elfenftimmen riefen 
Aus den dunklen Waldestiefen, 
Geht ein Klingen durd die Kuft. 


Welch ein Raunen, welh ein Rauſchen! 
Klang das nicht wie Küfjetaufchen, 
Nicht wie heimlich Liebeswort ? 

Und was regt fid} in den Zweigen ? 
Welch ein Wiegen, weld ein eigen, 
Welh ein Winfen dort und dort ? 


Harte Blumengeifter ſchwanken 

Um die Kelde, um die Ranfen 

£eife mit Geflüfter hin. 

Und auf duft’gen Blütenfloden, 

Güldnes Krönlein in den £oden, 
Ruht die Elfenfönigin. 


Und fie ſcheint ſich zu erheben, 

Und fie winft im Mäherfchweben 
£ächelnd mit des Scyleiers Saum... 
Herz, und fühlft du nicht ein Glühen, 
Nicht ein neues, reiches Blühen ? 
Sprid, und ift das nur ein Traum? 


I. Geitändnis. 
Stit flüftern Baum und Zweige 
Ein Kied von Kiebesluft; 
Aun fomm zu mir und neige 
Dein Haupt an meine Bruft. 


£cg’ deine Fleinen Hände 
In meine Hände du, 

Und deine Augen wende 
Du meinen Mugen zu. 


Du follft in meiner Seele 
Geheimfte Tiefen fchau'n, 

Und was ich jtets verhehle, 
Dir will id es vertrau'n. 


Dody, daf du im Gemüte 
Hältft treulih es bewahrt, 

Und dag dein Herz behüte, 
Was ich dir offenbart, 


Daf du wirft fchweigen müſſen 
Don dem, was nun dir Fund, 

Verſchließ' ich dir mit Küffen 
Den holden Plaudermund. 





ge Neife nach Amerifa bietet dank den 
gewaltigen Fortſchritten unferer modernen 
Schiffahrtstechnik jest jo wenig Schwierigkeiten 
dar, daß man fie mit größerem Gleichmut unter: 
nimmt, als vor 50 Jahren eine Neife vom euro- 
päiſchen Kontinent nad) London. Man geht nad) 
Hamburg oder Bremen, fest jich dafelbft in ein 
ſchwimmendes Hotel eriter Klaſſe, faulenzt auf 
demjelben bei vorzügliher Naturalverpflegung 
und anerfennenswertem Komfort höchſtens 
14 Tage und fteigt dann, in New Nork ange: 
fommen, wieder aus. Das ift die Neife, wenn 
man abficht von Seeunannehmlichfeiten, wie 
Seekrankheit, Sturm, Kollifionen, Feuer, Ma: 
fhinenbruh u. a. m., Fälle, die vorkommen 
fönnen, aber glüdlicherweife nicht immer ein: 
treten und deren Eintrittöwahricheinlichfeit ſich 
umjomehr vermindert, in je fürzerer Zeit die 
Dampfer die Reife zurüdlegen. 

Cinft, in den fünfziger Jahren, bedurften fie 
mindeſtens 14 Tage für die Neife von Bremen 


— — — — 





Umteitanitchet Obicltvagen IB. Bir. 


oder Hamburg nach New York. Jetzt ſind aber 
Schnelldampfer erbaut worden, wie die „Elbe“, 
Die „Werra“, die „Fulda“, der „Neckar“, 
ſämtlich dem Bremer Lloyd gehörig, welche die 
Reiſe in ca. YBe Tagen beendigen. Und mit 
der Schnelligkeit iſt auch der Komfort und die 
Pracht in der Ausftattung diefer ſchwimmenden 
Hotels gejtiegen. Man hat die erjte Kajüte in 
das Mittelfchiff gelegt, in welchem man die 
Schwankungen des Fahrzeuges und die Schläge 
der Schraube am wenigsten empfindet, und alle 
Kräfte unfres jet jo hochentwidelten deutjchen 
Kunftgewerbes herangezogen, um die Salons 
ſtilvoll auszuftatten. 

Wahre Schmudfäfthen in gediegener und 
geihmadvoller Eleganz find die Damenbouboirs 
und die Herrenrauchfabinette dieſer Schiffe. 
Ich ſage ausbrüdlich Herrenrauchfabinette; denn 
auf engliihen Schiffen beginnt man jetzt fogar 
Nauchkabinette für Damen einzurichten. 

Trifft man nun neben diefem Komfort nod) 
autes Wetter und angenehme Gefellihaft und 
liebenswürdige Offiziere, wie ich auf meiner 
Hinreife aufdem Steamer „Donau“ und auf der 
Rückreiſe aufdem Steamer „Werra“ des Bremer 
Lloyd das Glück hatte, fo vergehen die neun 





8. W. Dogel. 


Reifetage jo überrafhend ſchnell, daß man das 
Ende derjelben faft ungern herannahen ſieht. 
Aber nicht die geſchilderten Neifeerleichte: 
rungen veranlaften mich, das ſchon zweimal 
von mir bereifte Land der Vereinigten Staaten 
zum brittenmal zu befuchen, jondern die Kunde 
von der Fertigſtellung neuer Schienenwege durd) 
die amerifanifche Wildnis. Die amerikaniſchen 
Blätter lieferten enthufiajtiihe Berichte über 
die landichaftlihe Schönheit und Fruchtbarkeit 
der dadurd neu 
erſchloſſenen Län: 
deritreden. Dieſe 
Berihte gingen 
von Mund zu 
Mund und erreg: 
ten das Intereſſe 
der Männer der 
Wiſſenſchaften 
ebenſowohl, als 
das der Emigran⸗ 
ten, die drüben 
eine neue Heim— 
ſtätte ſuchen. So 
bedurfte es nur 
noch eines zwei⸗ 
ten Impulſes, um 
den Entſchluß zur 
Reiſe zu einem 
definitiven zu 
machen und die— 
fer kam unermar: 
tet in Geftalt 
einer liebensmür: 
digen Einladung 
zum Kongreß der 
National Photo: 
graphic Aſſocia— 
tion in Nordamerifa. Am 29. Auguit v. Is. 
betrat ich zum drittenmal den gaftlichen Boden | 
Nordamerikas und die merfantile Hauptitadt des | 
Landes, die Riejenftadt New York. Große tief: | 
eingreifende Veränderungen find hierjelbit in 
den fieben Jahren, wo ich es nicht mehr ge: 
fehen, vorgegangen. Man hat eine gewaltige | 
Hängebrüde über den Meeresarm geichlagen, 
der New Nork von feiner, auf der Inſel Yong 
land gelegenen Nachbarſtadt Brooklyn trennt. 
In allen Tonarten haben New Yorker Berichte 
diefes von zwei Deutfchen, Nöbling, Vater und 
Sohn, errichtete Niefenwerk gefeiert, das an 


Im $luge durch Umerifa. 





Big. 1. Wem York und BroofignBrüde bei Naht. 





6000 Fuß lang it, fich über 100 Fuß über das | 


63 


Waſſer erhebt, über die Dächer der Uferhäufer 
hinwegführt, von vier 15 Zoll diden Kabeln 
getragen wird, einer breiten Fußgängerbahn, 
zwei Fahrwegen und zwei Schienenfträngen 
Raum gewährt und 151 Millionen Dollars ge: 
fojtet hat. Es iſt jet die Hauptjehensmürdig- 
feit von New York und gewährt nicht allein einen 
prachtvollen Anblick ſowohl bei Tage, als aud) 
abends, wenn es von eleftrifhen Lampen er: 
leuchtet it, fJondern aud eine wundervolle 
Nundfiht von 
feiner Höhe auf 
die tief unter ihr 
liegenden Städte, 
den jchiffebelebten 
Meeresarm und 

die grandiofe 

infelumrahmte 
Yai von New 
York (Fig. 1). 

Nicht jo reiz: 
voll, weder im 
Anblid noch in 
dem Ausblid, den 
es gewährt, er: 
ſcheint ein anderes 
Nefultat ameri: 
fanifchen Unter: 
nehmungägeiftes, 
die New Morter 
Hochbahnen oder 
fogenannten ele- 
vatedrailroads. 
Für den unge: 
heuren Berfehr 
der zwifchen dem 
Eajtriverund dem 
Hudfon eingeeng: 
ten, Schlauchartig lang ausgedehnten Stadt 
erwiefen fih die Pferdebahnen längſt nicht 
mehr als vollfommen genügend; fie arbeiteten 
für den eilfertigen Amerikaner zu langfam und 
jo erridtete er Stadtbahnen, wie fie London 
ſchon feit Jahrzehnten und Berlin feit drei 
Fahren bejist. 

Mährend aber London diefelben in die Tiefe 
der Erde verlegte, um die Straßen möglichjt zu 
ihonen, wurden die Hochbahnen New Yorks 
auf eijernen Pfeilern in den Straßen jelbit 
errichtet und jo laufen fie meilenweit in der 
Bomwery, dem Brennpunkte des deutfchen Lebens 
und in verſchiedenen Avenuen entlang. An 


EAN 


64 


zahlreichen Punkten nehmen fie den Bewohnern 
der Straßen Luft und Licht, jie degradieren bie 
Barterrelofalität zu Kellerwohnungen und diefe 
unerhörte Nüdiichtölofigleit, diefe Vergemalti- 
gung jondergleichen wurde von den glüdlichen 
Konzeffionären der Bahn verübt, ohne daß für 
das den Bewohnern Geraubte auch nur ein 
Pfennig Entfhädigung gezahlt wurde. Ent: 
wertung zahlreiher Grundſtücke in den gejchä: 
digten Straßen ift die Folge davon. Man er: 


| 


UM Lu 
rer — 
Ai 





5. W. Dogel. 


jtaunt, wie eine ſolche deſpotiſche Rüdfihtslofig: 
feit in einer freien Republik möglich war, felbjt 
wenn man die Nützlichkeit des Unternehmens 
zugeben muß. 

Abgejehen aber von der Benadteiligung Der 
Häufer, erfcheint das Eijengerüft in den Straßen 


ſo über alle Maßen roh und proſaiſch, daß es 


diefelben in häßlichſter Weiſe verunziert. Man 
hat ſich bei Konftruftion der Hochbahn auf den 
minimaliten Materialaufwand beſchränkt und 


7 


* 
* — 9— 





Fig ?. Bahnbof im Brand Central Debot (3. 604. 


an manden Stellen erfheint das Gerüft auf jo ! Straßen, die von dem Landungsplate der Fähr: 
dünnen Säulen ſtehend, daß der ganze Bau, | boote nad) dem Broadway hinaufführen, Stra: 


mag er auch, wie man verfichert, auf dreifache 
Feſtigkeit berechnet fein, den Eindrud des Ge— 
brechlichen macht. Doppelt jo jchnell als die 
Pferdebahnen legen die Hochbahnen die Fahrt 
durh die 16 englische Meilen lange und am 
breiteiten Teil nur vier Meilen breite Stadt 
zurüd, die Geſchäftsſtadt oder Unterjtadt (down- 


town) mit der Wohnjtadt oder Oberftadt | 


(uptown) verbindend, ein Unternehmen, nüß: 
lid) und abfcheulich zugleich. 
Iſt New York eine ſchöne Stadt? Die Frage 


fann bejaht und verneint werden. New Pork ijt 


häßlich an der Waſſerſeite des Hudſonſtromes, 
dem es nur hölzerne Werften und riefige Waren: 
häufer zufehrt; New York iſt häßlich in den 


| 





ben, die an bodenlofer Unordnung, Geſtank und 
Schmuß ihresgleichen ſuchen. New Nork it häß— 
lich in der Bowery, in den unendlich nüchtern er- 
icheinenden Straßen des Dftend, die man ihrer 
Bewohner wegen auch unter dem Namen Klein: 
deutichland zufammenfaßt. New Vork ift aber 
ihön in der ſtolzen Straße der fünften Avenue 
am Madifonfquare und Unionfquare und in 
einem Teile des Broadway, der Hauptgeſchäfts— 
itraße der Stadt, allenfalls auch an der Batterie, 
dem parfartig ausgeftatteten Züdende, an dent 
Hudjonriver und Eajtriver zufammenlaufen und 
jest der arandiofe Badjteindau der Kornbörfe 
feiner Vollendung entgegengeht. New Nork ift 
Ihön am Gentralparf und noch manchen anderen 


Im Sluge durch Amerifa. 


Punften. Aber Schönes und Häpliches liegen 
dort oft dicht zufammen, und deshalb macht 
die Stadt einen gemijchten Eindrud, trogdem 
auch hier die Neigung, ftilvoll zu bauen, mehr 
und mehr Boden gewonnen hat und Leute genug 
erijtieren, die den Funftgewerblichen Beftrebun: 
gen der Neuzeit fih angeſchloſſen haben. 

Noch weniger günjtig ift der Anblid New 
Vorks bei Naht. Die Strapenbeleuchtung iſt 


| 


65 


ungenügend, fie unterbleibt in Mondſcheinnäch— 
ten; das Gas ift ſchlecht. Als Erjagmittel des: 
felben dient jest majlenhaft eleftrifches Yicht, 
aber leider ift dasjelbe höchit ungleihmäßia ver: 
teilt. Eine regelrecht gleihmäßig durdgeführte 
elektrische Beleuchtung zeigt nur die Hängebrüde 
und die beiden großen Pläbe, der Madiſon— 
jquare und der Unionfquare. Hier find große 
alten errichtet, an denen ein Kranz eleftri: 





ſcher Lampen hängt, leider zu hoch, um nad) 
unten mit der nötigen Intenſität wirken zu 
fönnen, jo daß es nur den zahlreichen, an den 
Häuſern verteilten elektriſchen Yampen der 
Magazine zu danfen tft, wenn die läge Leid: 
lich gleihmäßige Erleuchtung zeigen. In den 
Haufläden, Hotels, Bahnhöfen hat fich eben 
das eleftrijche Licht allenthalben in Amerifa 
Bahn gebrochen, jei es im Diten oder im fernen 
Weiten. War ic doch nicht wenig überrafcht, 
03 jelbit in den einfamen Negionen des Nellow: 
ſton⸗Nationalparks zu finden. 

In erſter Linie freilich iſt es das Bogen: 
licht, welches ſich den Beifall der Amerifaner 
erorbert hat. Der gleißende, blitzende, weithin 


' 
h 


mit prahleriſchem Glanze leuchtende Funke ent— 
ſpricht den Abſichten der Hotels und Geſchäfts— 
häuſer, ſich auffällig, bemerlbar zu machen, am 
beſten; es iſt ein Licht für das Avertiſſement 
und ſo läßt man denn ſeinen Glanz weithin 
ſtrahlen, oft ohne deſſen augenblendende Grell— 
heit durch matte Glocken zu mildern. 

Das mild leuchtende Glühlicht findet man 
auch in Amerifa, aber es ift viel weniger ver: 
breitet als das Bogenlicht. 

Es iſt nicht meine Abſicht, hier eine Detail: 
bejchreibung des ſchon taufendmal beichriebenen 
New York zu liefern. Nur auf das Neue, was 
ich dort vorgefunden, wollte ich den Leſer auf: 
merkſam machen. 

y 


— 


— 


Fig. 5. VEtaburg tS. as), 

Jetzt lade ich ihn ein, mir nach dem 
fernen Weſten zu folgen. Zahlreiche 
Eiſenbahnlinien ſtehen dazu zur Dispo: 
ſition, aber nur ein einziger Bahnhof, das 
Grand Central Depot, der Rew Mort:Een: 
tral und Hudſonbahn zugehörend, findet 
ſich in New Hort jelbit (fig. 2, S. 4). 

Alle übrigen Bahnhöfe befinden ſich 
jenfetts des Nem Hort an der Weſtſeite 
begrenzenden Hudſon, des amerikaniſchen 
Rheines, welder den germaniſchen Strom 
nicht nur durch Breite und Tiefe, ſondern 
auch in vieler Hinſicht durch die maleriſche 
Schönheit ſeiner Ufer überragt. Die 
Städte New Jerſey und Hoboken, wo die 
europätihen Dampfer landen und zahl: 
reiche New Yorker wohnen, nehmen die Dftufer 
an feiner Mündung ein. Zahlreihe „Ferrys* 
(Fährboote, Fig. 3, S. 65) verbinden diejelben 
mit New Norf; fie landen zumeift unmittelbar 
an den am Fluſſe gelegenen Bahnhöfen. 

Ein foldes Ferry trug mid in fpäter Nacht 
nad dem Bahnhofe der Pennſylvania Bahn, die 
mid, über die Alleghanyberge und Pittsburg, 
dem amerifanifchen Birmingham, nad) dem nahe 
an 1000 enaliihe Meilen von New York ge: 
legenen Chicago führen ſollte. 

Zwei Nächte und einen Tag dauerte dieje 


5. W. Vogel. 





— * 


Be 
2 nn 
—_ 


Big. 4. Hufeifenkurve an den Alleghandübergängen 16. dm. 


Fahrt, die man in den bequemen amerifanifchen 
Sleeping cars mit Yeihtigfeit zurüdlegt. Denn 
man hat den Reifelomfort jenfeits des Oceans bis 
zum raffinierten Luxus entwidelt. Die fürftlich 
ausgeftatteten Schlafwagen find öfter wahre 
Metiterftüde der Aunfttiichlerei. Für 2/2 Dollar 
täglich it der Neifende berechtigt, die Bequem: 
lichkeit diefer „Sleepers“ zu genießen, die in der 
Nacht ein breites wohlausgeftattetes Bett, am 
Tage in originelljter Metamorphofe die ſchwel— 
lendſten Polſterſitze, außerdem Eiswaſſer, Waſch— 
toilette nebſt anderen Bequemlichkeiten darbieten. 





Im Fluge durd; Nmerifa. 


Die hohe Ausbildung des Neifefomforts ift eine | 


Notwendigkeit in einem Yande, wo man lange 
Fahrten zu machen gewöhnt ift, wo eine Reiſe 
von New Nork nad Chicago, entiprechend einer 
Fahrt von Berlin nad Petersburg, zu den all: 
täglichen Dingen gehört und infolge der ſtarken 
Konkurrenz zahlreiher nad demfelben Ziele 
führender Linien auch billig (ich zahlte 20 Dol: 
lars) geleijtet werden kann. 

Leider jchafft all diefer Komfort eine allge: 
meine Yandplage der amerikaniſchen Eifenbahnen 
nicht hinweg, das iſt der fchaudervolle Lokomo— 
tivenqualm. Die unfere Lokomotiven an Größe 
übertreffenden Maſchinen, melde meijt der 
Billigkeit halber (denn amerikanische Eiſen— 
bahnen werfen nicht die glänzenden Dividenden 
ab, die man ihnen nachrühmt) mit jchlechten 
Kohlen aeheizt werden, jpeien aus ihrem brei- 
ten dütenförmigen Schornftein eine Maſſe feiner 
Kohlenjplitter und Aſche aus. Dieſe Zub: 
itanzen fliegen bei geöffneten Fenſtern in die 
Wagen (um nicht das aus dem Deutichen ent: 
Ichnte, leider troß Stephan bei uns noch ge: 
bräuchliche mißtönige Wort Waggon zu gebrau: 
den) und bededen mitleidslos die ſchwellenden 
Poljter, die lururiöfe Holzarchitektur, die elegan- 
ten Teppiche, und was das Schlimmite ift, auch 
den, oft von der amerifanischen Hige arg genug 
geplagten, in Schweiß gebadeten Neifenden mit 
einer unangenehmen Patina von Staub. Nicht 
jelten finden die feinen Bartifel auch ihren Weg 
in die Augen und verurſachen empfindliche 
Schmerzen, jo daß man oft genug, jelbit in 
itarter Hitze, die Fenſter ſchließt und auf den 
friſchen Yuftzug verzichtet, bloß um den abjcheu: 
lichen Staub abzuhalten. 

So genoß auch ich den Anblid der male: 
riſchen Alleghanyberge (Fig. 4, S. 66) durd) 
Fenſterſcheiben und hielt mich, hinter den ge: 








67 


gehen kann. Diejes iſt angenehm für den 
Reiſenden, der fi einen Platz ſuchen will, un: 
angenehm für denjenigen aber, der jolden ge: 
funden hat und fich fortwährend durch neue 
durchlaufende Ankömmlinge gejtört fieht. Den 
amerikanischen Wagen fehlen ferner die bei uns 
üblichen Gepädnege oder Bretter. Statt dejjen 
haben ſie dünne leichte Konfole, die höchſtens 
einen Hut zu tragen vermögen. So ijt man 
genötigt, ſchwerere Gepäditüde, die man nicht 
abgeben mag, zwiſchen die Füße auf den Boden 
des Wagens zu jegen, wo fie bei längerer Tour 
recht unbequem werden. 

Von den fühnen Bauten der Benniylvania: 
bahn auf der Strede, wo dieſelbe die Allen: 
hanys überjchreitet, wird in Amerika viel erzählt. 
Dem Europäer, welcher die Semmeringbahn, die 
Schwarzwaldbahn oder gar die Alpenbahnen 
(Brenner, Gotthardt 2c.) geſehen hat, werden 
dieje Alleghanyübergänge ſchwerlich imponieren. 
Unfere Illuſtration 4 ftellt einen der öfter ge: 
nannten UWebergänge, die Hufeifenfurve dar. 
Man erfennt leicht, daß Nehnliches in Deutſch— 
land vielfach zu finden ijt. 

Aber maleriſch ericheint die Scenerie in 
ihrem mannigfachen Wechjel wundervoll bewal: 
deter Berge und fchattiger Thäler. Nur dort, 
wo der innere, aus Kohlen und Eiſenerz be: 
ſtehende Reichtum der Berge die Gemwinnfucht 
herausgefordert hat, findet man oftmals die 
maleriſchen Scenen durch große Berghalden, 


Kohlenhaufen und ſonſtiges rohes Menſchen— 


| 


ſchloſſenen Fenjtern auf friſche Yuft verzichtend, 


ihadlos an dem im Hotelmagen von ſchwarzen 
Kellnern kredenzten Breakfast (Kia. 6, ſ. Titel: 
viqnette). Außer dem fchredlicdhen Yofomotiven: 
qualm bieten aber die amerikanischen Eifenbahn: 
einrichtungen troß allem Komfort mandherlei 
andere Mängel dar, die dem europäiſchen Reiſen— 
den mehr auffallen, als dem Eingeborenen. Die 
amertlantschen Wagen find ohne Coupés; ſie 
bilden große, lange Käſten, die mindeitens 
0 Perjonen faſſen, in der Mitte einen Gang 
haben und durch die Plattform derart verbunden 
find, daß der Reiſende durch den ganzen Zug 


werf geitört. 

Pietät gegen die Natur, deren reiche Gaben 
dort gierig ausgebeutet werden, findet man in 
Amerifa jelten. Am erfreulichiten ift der An: 
blid der Sommerfige auf den Höhen des Ge— 
birges. Dort in der reinen Yuft, in einer 
Höhe von 3000 Fuß hat man ein prächtiges 
Hotel errichtet und den umgebenden Wald in 
einen herrlichen Park umgewandelt, Creſſon 
heißt der anziehende Platz, der freilich ſeine 
Segnungen nur dem Begüterten ſpendet, denn 
der Board beträgt täglich 4!/e Dollar. 

Jenſeits diefer Station ſenkt fih die Bahn, 
Der Zug eilt bergab, ohne Dampf zu gebrau: 
chen, dem berühmten Obioflufje zu, um bald das 
dicht an demjelben gelegene rauchige Pittsburg 
zu erreichen, deſſen Eifen-, Rupfer: und Glas: 
werfe und “Betroleumraffinerieen ungeheure 
Maſſen von Qualm entwideln, in weldem oft 
alles verſchwindet (Fig. 5). 


68 


Für 50 Millionen Dollars Wert wird hier | 


in gedachten Artikeln jährlich fabriziert; jo er: 
zählte mir ein amerikanischer Gentleman, bei dem 


ich mich über den entjeglichen Qualm beflagte | 


und fügte hinzu: smoke is business. Bei aller 
Anerkennung des amerifanifchen Unternehmungs: 
geiftes ift man doch froh, wenn man aus der 
projaifchen Stadt wieder heraus ift und mit 


dem Eifenbahnzuge den von grünen Hügeln be: 


grenzten Ufern des Ohio folgt, der von fleinen, 
jonderbar, gleich fchmwimmenden Pavillons ge: 


einziges, am Hinterende des Schiffes liegenbes 
Schaufelrad getrieben werden. (Ziehe 2 
unfere Abbildung auf S. 66.) 

Manchmal fieht man diefe Dampfer 
al3 Bugfierdampfer wirken; aber jie 
ziehen die Kähne nicht, wie bei uns, 
fondern jtoßen diejelben und, um das 
zu ermöglichen, find die Enden derjelben 
flach abgejtumpft. 

An den Ufern des Dhio wächſt aud) 
Wein — faft hätte ich hier im An: 
denfen an den Grüneberger gereimt: 
Er braucht nicht Regen, nicht Sonnen: 


ſchein. Der Amerikaner jhäst diejes 
Ohiogewächs, aber den vermöhnten 


europätichen Lippen will er nicht recht 
munden. Der Gejhmadijt eigentümlicd) 
erdig. Wenn ich die Wahl habe zwiſchen 


5. W. Dogel, 


Zu diejer Einförmigfeit trägt nicht wenig 
die Vorliebe der Amerifaner für Holzbauten bei, 
die billig und schnell errichtet und, wenn der 
Standplat (der oft nur gemietet ift) nicht mehr 
gefällt, weiter transportiert werden fünnen. In 
den Alleahanys, wo Petroleumquellen aebohrt 
werden, um nach kürzerer oder längerer Zeit 
wieder zu verfiegen, wandern oft ganze hölzerne 
Städte, die den Quellen ihre Eriftenz verdanfen, 


‚ um an neuerfchloffenen Betroleumfundorten fid, 
neu zu inftallieren. Solche Holzhäuser zeigt Fig. 7. 
bauten Steamers belebt ift, welche dur ein 





Ohio und Grüneberger, jo greife ih zum legteren. | 
‚ reizlofer Umgebung, zwijchen flachen Ufern den 
Ohioufern, bald biegt fie nördlich ab und führt 


Leider folgt die Bahn nicht zu lange den 


dann durch weniger interefjante Negionen der 
Staaten Ohio und Indiana. Zwar ift es eine 
fruchtbare Landſchaft, in der zahlreihe Yaub: 
waldungen mit wohlbebauten Feldern wechjeln, 
aber es herriht in der hügelreihen Landſchaft 
eine gewiſſ e Einförmigkeit in der Bodengeſtal— 
tung wie in der Anlage der Wohnplätze. Letztere 
gleichen einander zum Verwechſeln, zum Ver— 
zweifeln. Faſt alle Städte haben denſelben 
Grundriß (er bildet ein Netz ſich rechtwinklig 
durchkreuzender Straßen) und denſelben Ge— 
— — ſoweit von Stil die Rede ſein 
kann. Wer einige amerikaniſche Mittelſtädte 
geſehen hat, findet beim Anblick der übrigen nur 
Bekanntes wieder und das bleibt ſo auf tau— 
ſenden von Meilen. Portland, die Hauptſtadt 
des von den Wellen des Stillen Meeres be— 
ſpülten Staates Oregon, ſieht nicht anders aus, 
als eine Mittelſtadt des amerikaniſchen Oſtens. 





Je weiter nördlich, deſto einförmiger wird 
die Landſchaft. Schließlich bildet es eine relief: 


SHolybäufer an PFetroleumfunborten. 


Sie. 7. 


loje Ebene. Endlid erblidt man in gänzlich 
Michiganſee, einen jener fünf gewaltigen Seen, 
welche, ohne ich durch hervorragende landſchaft— 
liche Reize auszuzeichnen, dennod) eine bemerfens: 
werte Cigentümlichfeit des nordamerikaniſchen 
Kontinents bilden und als Waſſerſtraße jelbit 
Seeſchiffen (melde durd den mächtigen Yorenzo- 
itrom und den den Niagarafall umgehenden 
Wellandfanal in diefelben gelangen) den Ju: 
gang geitatten, jo daß Chicago, obaleih an 
1600 engliſche Meilen vom Ocean entfernt, da— 
durch zum Sechafen wird. 

Vie ein Meer dehnen fi diefe Wajler: 
flähen vor dem Auge des Beſchauers aus und 
vergeblich jucht das Auge das jenfeitige Ufer. 

Endlich; kündigt ſich Chicago an. Die Ein: 
fahrt in diefe „Königin des Weſtens“ iſt nicht 
viel verſprechend. Zwiſchen endloſen Reihen 
elender ruppiger Bretterhütten, weiterhin zwi— 
ſchen qualmigen Fabrikanlagen fährt der Zug 


entlang, um endlich in dem neuerbauten Depot 








Im Fluge durch Mierifa. 69 


(mit dem Namen Depot bezeichnet man im all: 
gemeinen in Amerika einen Bahnhof) zu endigen. 
Die amerifanifshen Bahnhöfe waren Anfang 
der fiebenziger jahre noch entjegliche Inſtitute. 
Man fonnte fie mit Scheunen vergleichen; fie 
boten Obdach vor dem Regen, das war alles. 
Bon Erfriihungsräumen, Wartefälen zc. wußte 
man damals nichts. 
jo. Aber in New Nork, Philadelphia, Waſhing— 
ton, Chicago find jegt neue, zum Teil nad) euro: 
paiſchem Muster eingerichtete Bahnhöfe ent: 
jtanden, welche jo ziemlich allen Komfort bieten. 
Zu Diefen gehört auch das neue Depot, | 


Vielfach ıjt es heute nod) | 





| gangspunft dient (Fig. 8). Diefe „Unton De: 


pots“ find jo ziemlich nad) derfelben nachfolgend 
dargeitellten Schablone angelegt: 





B 


Non dem langen Stationsgebäude B, in 


welches vier verihiedenen Bahnen als Aus: | dem die Burcaus und die Nejtaurants unter: 





Fin. R 


gebracht find, acht ein breiter Weg — Perron — 
P ſenkrecht ab, zu deſſen beiden Zeiten die ver: 
ihiedenen Bahnen einmünden. Oft halten in 
jolden Depots aleichzeitig adıt zum Abgehen 
bereite Züge, und der Reiſende muß wohl auf 
die an denfelben aushängenden Tafeln achten, 
um den richtigen Zug nicht zu verfehlen. 


1. 

Chicago ift an Cimvohnerzahl höchſtens halb 
jo groß wie New Nork, man aibt diefelbe jest auf 
600000 an; aber an Nühriafeit, an geichäft: 
lichem Unternehmunasaeiit und Großa— tigkeit des 
Verfehrs gibt es jener Stadt nichts nach; zwar 
üt es nicht ein univerjeller Weltmarkt wie jenes, 


Untons Tenot im Ghreano, 


' aber es dominiert in Dem Handel mit Brettern, 


(Hetreide und dem im Dentichen Reiche jetst ver: 
botenen Schweinepökelfleiſch. Topographiſch hat 
es vor NewPorf den Vorteil voraus, in feinem 
Wachstum, von der Seeſeite abgeſehen, ganz uns 
gehindert zu fein, Denn rinasum erjtredt fich Die 
endlofe Steppe nach drei OBERE SEHEN, 
reislos und flach wie ein Billard, Bon Terrain: 
ſchwierigkeiten ift feine Nede, Das Yand liegt 
fait au niveau mit Dem Michiganſee und bet 
Zturmfluten ergoß ſich dieſer einft ſogar auf die 
Straßen, Zo bildeten ſich Sümpfe und das 
Uebel wuchs in fo bedenflihem Maße, daß der 
Magiſtrat von Chicago eine Hebung der ganzen 
Ztadt um ca. ſechs Fuß veranlaßte. Durch unter: 
gezogene Balken und ein untergelegtes Schrauben: 


(> v 
\AOOJ I“ 





70 


inftem hob man Haus für Haus aus dem Grunde 
heraus und ftellte es auf neue Fundamente, 
House raising (Häuferhebung ) iſt eine Eigen: 
tümlichfeit Amerikas. Sie wird aud angewendet, 
wenn man die Häufer um ein Stodwerf erhöhen 
will. Hier ſetzt 
man ein foldes 
auf, dort fett 
man's unter. 
Die Stadt 
wird durch den 
Ghicagoflug in 
zwei ungleiche 
Teile geteilt. So 
vorteilhaft der: 
jelbe für bie 
Schiffahrt ſein 
mag, jo unange: 
nehm iſt er durch 
die zahlreichen 
Verfehrsitörun: 
gen, wenn die 
Brüden aufgezo- 
gen werben müſ—⸗ 
fen, um Schiffe 
paffieren zu lajjen. Man hat deshalb an einer 
Stelle den Fluß durd einen Tunnel ähnlich dem 
Themfetunnel untergraben, der nicht nur wie 
jener Fußgän— 
gern, jondern 
auch Wagen und 
Pferden die Baj: 
jage geitattet. 
Chicago iſt 
das erftaunlichite 
Beiſpiel rapiden 
amerifanijchen 
Städtewads: . 
tums, denn 1830 
hatte es erit 12 
Häufer und höd)- 
jtend 100 Ein: 
wohner und erit 
1837 wurde es 
als Stadt infor: 
poriert. Eine fa: 
tale Unterbredung erfuhr jein den Neid anderer 
amertlanifcher Städte erregendes Wachstum 
durch die furchtbare Brandfataftrophe von 1871, 
welche 12500 Gebäude in Aſche leate, 100000 
Menschen obdachlos machte, für 190 Millionen 
Dollars Eigentum zeritörte und den Banferott 





Fin. 9. Dinneapolis (©. 72. 








— — 
Ma. 10. Untondepot in Et. Vaul. Ausgang der Nordpacifichahhn S. 73. 





8. W. vogel. 


zahlreicher Feuerverſicherungsgeſellſchaften zu 
Folge hatte. Man aing raid genug an den 
Wiederaufbau der Stadt, aber lange blieb 
Chicago noh eine Stadt der Brandruinen. 
Fünf Jahre nad) dem Brande, 1876, fand id) 
diejelben noh im 
ziemlicher Zahl; 
jelbit der Bahn: 
hof am See, wo 
ich ausftieg, ge: 
hörte noch zu 
ihnen. Der all: 
gemeine Rück— 
gang der Ge: 
ihäfte in der 
zweiten Hälfte 
der jiebziger Jah— 
re that dem er- 
neuten Aufblühen 
der Stadt wejent- 
lihen Abbruch. 


Jetzt hat jie ſich 
volljtändig wieder 
erholt. Ich fand 
fie 1883 blühen- 
der und belebter alö vor dem Brande, 
Hohbahnen wie New York hat Chicago Gott 
ſei Dank nod) nicht. 


Straßenbahnen vermitteln 
den Verfehr 
hauptſächlich; 

aber ſie werden 

nicht mit Pferden 
getrieben, ſon— 
dern durch end— 
loſe Drahtſeile, 
die unterhalb des 

Pflaſters über 

Nollen laufen 

und durd eine 

Dampfmajdine 

in Bewequng ge: 

fett werden. Der 

EN. Kanal, in wel: 

EEG. dem die Seile 

liegen, iſt mit 

der Yänge nad) 
aufgeichlisten Eijenplatten bededt. Durch den 

Schlitz fommuniziert die Kuppelvorrichtung mit 

dem Wagen. Die Drehung eines Hebels genügt, 

diefe Huppelung mit dem laufenden Seil feſt zu 
verbinden oder aber diefelbe davon zu löfen. Für 

‚ den Neuling haben diefe ohne Pferde laufenden, 





Im Fluge durch Umerifa. 


feinen Be: 
wegungs⸗ 
mechanismus 
zeigenden — 
Wagen (oft 
bilden zwei 
bis drei einen 
Zug und iſt 
von dieſen nur 
der vorderſte 
mit dem Seil 
verfuppelt ) 
etmas Leber: 
raſchendes; fie 
bilden die 
Strikingno- A 
velty von de; 
Chicago. In 
der That jind 
fie jedoch nicht neu. San Francisco bejitt dieſes 
Syſtem ſchon ſeit 10 Jahren. Es iſt die Erfin- 
dung eines Deutſchen, Namens Eppelsheimer. 
Milwaukee, die nur vier Eifenbahnftunden 
von Chicago entfernte, ebenfalls am Michiganſee 
gelegene Stadt zeigt eine bedeutend günjtigere 
Situation wie diefe. Sie liegt auf hügeligem, 
waldreihem Terrain, welches wegen feiner Er: 
hebung über den Eee nicht nur malerifcher, fon: 
dern auch gefünder ericheint, als der Untergrund 
von Chicago. Der See bildet hier eine natürliche 
Einbuchtung, die den Schiffen einen fichereren 


Bin. 11. Rinnebatelall (©. 7m. 


1 


71 





Gay Ditappoiniment 15. 56). 


Anferplat gewährt, als 
die Reede von Chicago, 
und dod) iſt Milwaukee 
in der Entwidelung, bet 
gleichem Alter wie let: 
teres, erheblich hinter 
dieſem zurüdaeblieben, 
jo daß es menig über 
10000 Ginwohner 
zählt, Darunter Die 
Hälfte Deutiche. 
Dennod fehlt es ihm 
feineswegs an Betrieb 
jamfeit. Bierbrauerei, 
Müllerei, Kornhandel 
und Eiſenhüttenbetrieb 
— ſtehen hier in Blüte. 
Die Stadt weiſt ein 
Ausſtellungsgebãude 
von großen Dimenſionen, nicht minder groß— 
artige Geſchäftshäuſer für den Groß: und Klein— 
handel, impojante Hotels und Banfgebäude auf. 
Ohne jolde iſt überhaupt eine amerikaniſche 
Stadt, ſelbſt eine Heine, nicht denkbar. Leider 
find diefe Bauten überall nad) derjelben Schablone 
errichtet. 

Chicago und Milmaufee galten einit für 
den New Yorker als far west. Jetzt find die 
Grenzen des Wejtens durch den Bau der Pacific: 
bahnen viel weiter hinausgerüdt. 

In Europa baut man Eifenbahnen, um große 


Bis. ı2. 


Städte miteinander zu verbinden, in Amerika 
führt man fie in die Wildnis, um diefe der Kul— 
tur zu erichliegen und dadurch zur Gründung 
von Städten Beranlafjung zu geben. Daher findet 
man an den neuen Gijenbahnlinien Ztädte 
in allen Entwidelungsjtadien. Manche nur ein 
Zammelplat elender Holzhäufer, gegen welche die 


ort Enelling IS. 731, 












Die. Id. Mammoth Hotipring 
= b 


im erſten Kapitel ab: 
acbildeten fait als 
Paläſte ericheinen (S. 
68), andere wieder, 
die neben der Majo— 
rıtät ihrer Holzhäuſer 
eimae  Zteingebäude 
zeigen, wieder andere, 
in Denen Die Geſchäfts— 
ſtadt und die Wohn: 
ſtadt Sich aejondert 
haben und leßtere be: 
reits Villen mit wohl: 
gepflegten Gärten auf 
weist, endlich ſolche im 
lebten Ztadium, in 
Denen Die Zteinhäufer 
wenigſtens in Der Ge: 
— ſchaftsſtadt Die Holz 

bauten jo qut wie ver: 

drängt haben. 

Der dritten Periode gehören zwei blühende, 
am oberen Mifitjfippi gelegene Städte an, St. 
Paul (Fig. 10, ©. 70) und Vlinneapolis 
(Aa. d, ©. 70), beide nur zchn englische 
Meilen voneinander entfernt, beide von nahezu 
derjelben Einwohnerzahl (50 — 60000), beide 
von der gleichen Betriebfamfeit und beide, wie 


! 
ne — 


nn 


Im Fluge durd; Unterifa, 


73 


das in Amerika bei Nachbarftädten die Regel iſt, Welt auf, welche ihre Betriebsfraft von den 


gegenjeitig eiferfüchtig auf ihre Entwidelung. 





Bin 19. Minnetontaiee 


St. Paul liegt maleriſcher als Minneapolis; es 
ift auf einem hoch über dem Miſſiſſippi aufitei- 
aenden Plateau gebaut, ein Kranz villengezierter 
Hügel umrahmt die 
Stadt und gewährt 
herrliche Nusblide auf 
diefe und das hügel: 
umrahmte Miſſiſſippi— 
thal. Das beraige 
Terrain hat Veran: 
laſſung gegeben zur 
Abweichung von dem 
regelmäßigen aber 
langweiligen ſchach— 
brettförmigen Grund: 
riß, den fonjt alle 
amerikaniſchen Städte 
zeigen. Aber der weit: 
liche" Charakter der 
Stadt verleugnet ſich 
troß “aller großſtädti— 
ſchen Einrichtungen 
nicht, jo find z. B. die 
Straßen ohne Pflaiter. 


mitten in der Stadt gelegenen Mifjiffippifällen 
leihen, auch St. Anthonys- Fälle genannt. Die: 
jelben find für diefen induftriellen Jwed gründ— 
lich verbaut, jo daß jede Spur von malerijchem 
Charakter, den jie jonjt gehabt haben follen, ver: 
nichtet ift. Den Umgebungen der beiden Städte 
fehlt es nicht an romantischen Punkten. Da 
ift der von Yonafellow befungene Minnehahefall 
(Fig. 11, ©. 71) — das indianishe Wort be: 
deutet: „Lachende Waſſer“ —, bei dem ſich 
eine wenig geteilte Wafjermafje, einer Goſſe 
ähnlich in ein bewaldetes Thal ftürzt, ferner 
das Fort Enelling (Fig. 12, ©. 72), maleriſch 
gelegen auf hoher Felienbanf am Miſſiſſippi, 
jest Si des Generaltommandos für fämtliche 
Forts im fernen Weiten, endlich der Minne: 
tonfafee, der mit feinen zahlreichen Ein- und 
Ausbuchtungen und feinen hügeligen, bewaldeten 


‚ Ufern auffällig an die Haveljeen bei Berlin er: 


innert (Fig. 13). 

St. Paul iſt der eine Anfangspunft der 
neuen Nordpacificlinie(der andere, nördlicher lie: 
gende ift Duluth am oberen See). Eine Fahrt 
von zwölf Stunden genügt, um von hier aus 
das große Gebiet der weitlihen Territorien zu 
erreichen, die erit durd Die neue Bahn der Kul— 


‚ tur im großen Stile erſchloſſen werden jollen. 





Herd] 


Gig. 16, Margo (inte Babnhof der Rorbpacifichahn) IS. 10), 


Negelmäßiger ift das flachliegende Minnea— 
polis angeleat, die Mühlenjtadt par excel- | 
lence, Es weilt die größten Mahlmühlen der | 


Auf der weiten Strede der nunmehr vollendeten 

1900 Meilen langen Bahn ficht man Städte 

in allen oben geſchilderten Anfangsitadien, dar: 
10 


TV 


mr 


24 8. W. Vogel. 


unter Ortichaften, wo ſogar Holzbauten Yurus 
jind und bie Yeute noch in Zelten wohnen. 

Das gewaltige Gebiet zeichnet fih aus durch 
jeine trodenen Sommer, in welden das Gras 
zu einer braunen Maſſe ausdörrt und die Negen: 

loſigkeit 
vielfach eine 
künſtliche 
Bewäſſe⸗ 
rung der 
Felder nötig 
macht. In 
den öſtlichen — 
Territorien * — 
finden ſich 
Bäume in 
größerer 
Zahl nur in 
der Näheder 
Flußläufe; 
Wälder 
weifen nur 
das bergige 
Territorium Montana, 
Wafhington auf. 

Die Reihe der Steppenftäbte wird eröffnet 
von Fargo (Fig. 14, ©. 73), gelegen am roten 
Fluſſe, der die Grenze von Mlinnefota und 
Dakota bildet. Fargo zählt 12000 Einwohner | 
und beiteht 
gleich vielen 


ferner Oregon und | 





Big. 15. Ernten in Tatota S. ıd), 


wenig Intereſſantes enthaltende Zeitungen, Drei 
Hotels, Wafferleitung und ſogar elektriſches Yicht, 
aber fein Pflaſter. Das eleftriihe Bogenlicht 
dient jebt bereits an vielen Pläßen Amerifas zur 


‚ Straßenerleuhtung, aber in ſehr ungeſchickter 


Reife. Man 
errichtet 
150 bis 200) 
Ruß hohe 
erferne Se: 
jtelle (jiche 
Fig. 14) 
oder aber 
Maiten, an 
deren Spitze 
ein Kranz 
eleftrifcher 
Lampen an: 
gebracht iſt. 
Yeider hän— 
gen dieſel— 
ben zu hoch, 
um mit hin: 
reichender Kraft nach unten wirken zu fünnen 


' und die Türme find zu weit voneinander ent: 


fernt, als daß das Yıdıt des einen, die von dem 
andern Licht verurjahten Schatten aufhellen 
fünnte. Fargo iſt ein Hauptverladungsplaß für 
Weizen, das wichtigite Erzeugnis Dakotas. Hier 
finden ſich in 

der Nähe 


anderen Er 4 Ta TE Er jene acwal: 
Ste 5 —— — — — 

Steppen— tigen Far⸗ 
ſtadten aus men, wie die 
zwei Häu— Dalrymble 


ſerreihen zu 
beiden Sei— 
ten der 
Bahn, in 
denen einige 
Seitenſtra— 
hen recht— 
winklig ein⸗ 
münden. 
Kleinere Steppenplätze weiſen oft nur eine 
ſolche, der Bahn parallele Häuferreihe und aar 
feine Nebenftragen auf. Fargo tft unter allen 
Steppenpläßen der Nordpacificbahn die volk— 
reichite und vorgeſchrittenſte. Es hat bereits eine 
ziemliche Anzahl Steingebäude, ein Opernhaus, 
in dem hie und da eine Wandertruppe ſich hören 
läßt, zwei täglich ericheinende, freilich herzlich 





Fia. 18. Pilünen in Tatota IE, 75). 





Farm, die 
bet 20000 
Ader 136 
Ernte: 
majchinen, 
außerdem 
eine ent: 
ſprechende 
Zahl an 
Säe- und Dreſchmaſchinen beſitzt, denn hier 
jind Arbeiter felten und teuer und deshalb weiſt 
man alle Arbeit möglichit den Maſchinen zu. 
Ende Mat beginnt die Nusfaat in den von dem 
harten Winter fußtief aefrorenen Boden, Ende 
Auguſt die Ernte. Viehzucht treibt man hier 
nicht. Das gejchnittene Getreide wird nicht ein: 
gefahren, jondern gleid) auf dem Felde mittels 








Im Fluge durch Amerika, 


75 





Dia. 11, 


Lofomobile und Dreſchmaſchine ausgedrofchen 
und dann zur Bahn abgefahren. Scheunen und 
dergleichen Gebäude find deshalb überflüjjig 
(Fig. 15 u. 16, ©. 74). Ein Ader des Dakota— 
landes liefert 15 bis 30 Buſhel Weizen. 
Je weiter man mit der Eifenbahn nad) 
Leſten fortichreitet, deſto weniger fultiviert er- 
icheintdie Steppe, dejto trifter wird das Anfehen 
der Steppenjtädte, deſto fteriler der Boden. Die 
Bahn überfchreitet den Miſſouri auf hoher eifer: 
ner Gitterbrüde und verbindet hier zwei gegen: 
überliegende miteinander rivalifierende Orte, 








Bismarf. \ 


midenparf gegeben. Der Boden ift wenig zum 
Aderbau geeignet, aber die Sohle der Thäler 
enthält vielfach reichlihen Graswuchs, der Ge— 
legenheit zur Viehzucht gibt. Taufende von 
Nindern weiden bereits hier, um voll gemäftet 
nad) dem Dften verfauft zu werden. Die Eigen: 
tümer halten feine Ställe, die Kühe laufen 
Sommer und Winter frei umher und werden 
zeitiweife durch reitende Hirten beauffichtigt, 
welche die Eigentümer der Kühe an den den let: 
teren eingebrannten Zeichen erkennen. 

In manden Orten, z. B. Little Miffouri, 





Bismard hat ſich die 
(Fig. 17) in der Er: 
und Man: — de liegende 
dau, let: Braun⸗ 
teres mit kohle ent— 
2000, ers 5 zündet und 
jteres mit ' Die über: 
3000 Ein: ee — lagernden 
nen TREE] : Felſen 
Im welt: ——— ganz 
lichen braun ge— 
Thal des brannt, 
Staates ähnlich wie 
Dalota in Deutſch⸗ 
tritt ein land bei 
Sandſtein— Duttwei⸗ 
plateau ler und 
auf, das Königs⸗ 
zum Teil Fia. 18, Osltzerne Brücke über dem Little Mifourl, Eu, 
Braun: Weſtlich 


kohlen einſchließt und von zahlreichen Eroſions— 
thälern durchfurcht iſt. Der Regen hat hier an 
den Abhängen der Felſen eigentümliche pyra— 
midenförmige Geſtalten ausgewaſchen; daher 
hat man dieſem Landſtrich den Namen Pyra— 


von Little Miſſouri erreicht die Bahn bald den 
Yellowſtonefluß, einen aus dem berühmten NYel— 
lowitonegebiet fommenden, der Elbe an Größe 
gleichenden Fluß und fie folgt ihm hunderte 
von Meilen weit bis zu feinem Ausgangspuntte, 


76 5. W. Dogel. 


Erde ent: 
. iprudeln, 
teils ruhig 
zu Tage 
tretend, 
teils als 
permanen: 
te Sprudel 
empor⸗ 
ſpringend, 
teils als 
intermit⸗ 
tierende 
Geiſer 
fochende 
Waſſer bis 
zu mehre- 
ren hun— 
dert Fuß 
empor: 


ſchleu⸗ 


demberühmten Yellowſtone— RE. dernd, 

thal, das jich bei Yiving in manche 

ſtone öffnet. Hier befindet Kalk, an: 
man ſich bereits in dem, dere Kie— 
ſeinen Namen in der That führenden Bergland ſelerde, wieder andere Schlamm und Schwefel— 
Montana. Hohe, zum Teil ſchneebedeckte Pils | waſſerſtoff ausſcheidend. Das erſte Naturwunder 
ragen zu beiden Zeiten der Bahn auf, freilich | diefer Art, welches der von der Eijenbahn kom— 
weniger malertjch wie die der Schweiz, denn Die | mende Reiſende erreicht, ift der Mammoth Hot: 
meisten der Höhen zeigen kahle Abhänge. Die | fpring (Fig. 19, ©. 72), ein folofjaler, terrajjen- 
malerischen Partieen des durch feine zahllofen | fürmiger, aus Kalf beftehender Quellenberg, auf 
heißen Quellen berühmten Yellowitonegebietes | deſſen Stufen ſich zahllofe, Kalk ausjcheidende 
erreiht man, wenn 
man die Hauptlinie 
verläßt, um einer 
Zmweigbahn in das 
Mellowitonethal zu 
folgen. Diefes zeigt 
in feinen oberen Bar: 
tieen einen faſt alpt- 
nen Gharafter, ob: 
gleich feiner der um: 
gebenden Berge die 
Höhe von 12000 Fuß 
überragt. Aber nicht 
die Hodhgebirasnatur 
allein iſt es, welche 
das Mellowitone 

aebiet jo intereflant 
macht, fondern die 
Unzahl heißer Quel: 
len, welche hier der Big. 21. Gaftlegeiier S. ion. 








Im Sluge durch Amerifa. 17 


Beden gebildet haben. Dur dieſe Kalfaus: | worden. Vor demjelben liegt das erit in dieſem 
ſcheidungen feiner Quellen ift der Berg, der von | ‚jahre vollendete Vammothhotipringhotel (in 
weitem einem letjcherfuße ähnelt, aufgebaut , der Figur in feinen Anfängen fihtbar), das erite 





Fiq. 22. Beifernebiet (©. 79), 


Hotel der Art, welches die von der Negierung | engliihen Quadratmeilen foll, laut Kongreß— 
fonzefjionierte PBarkimprovement Company im beſchluß, den Naturfreunden vorbehalten bleiben. 
Nellowftoneparf gegründet hat. Diefe machen denn auch von den ihnen ver: 

Andere Anſiedelungen ſind hier nicht gejtattet, | liehenen Nechten den umfaſſendſten Gebrauch. 
denn das ganze Terrain in der Größe von 10) | Der Amerikaner liebt eine eigene Artder Sommer« 





EEE ſ— 


Big. W. Nebergang Über Glarke'a Fort IS #2. Urbeiteritadt. 


reifen, die er mit Camping bezeichnet. Er be: | führt damit, oft die ganze Familie mit ſich 
frachtet einen Wagen mit Zelt Jagd- und Küchen: | nehmend, ineine durch malerifche Scenerieen aus: 
geſchirren, Lebensbedürfniſſen verjchiedener Art | gezeichnete Landſchaft und hält unterwegs nad) 





78 6. W. Dogel. 


Belieben Raſt zur Herrihtung der Mahlzeiten | genug gegen den Wald, der es ihm Liefert, in- 
und zur Nachtruhe, die teils unter dem Zelte, | dem er leichtfinnig fein Bivouacfeuer brennend 
teils unter freiem Himmel abgehalten wird. | zurüdläßt, dem gar zu leicht der ganze Wald, 
Das Holz zum Abtochen feiner Mahlzeiten Fällt | zum Opfer fällt. Solche Gamppartieen (Fig. 20, 
er, wo er es findet, und er ijt oft undanfbar |. 76) durchichwärmen mafjenhaft den Nellow- 
jtoneparf und Waldbrände gehören 

— daſelbſt zu den Alltäglichkeiten. 

Auch der Präſident der Vereinig— 

ten Staaten, Arthur, bereiſte zur 
Zeit meiner Anweſenheit in dieſer 
Weiſe den Yellowſtonepark. 280 
Maultiere waren nötig, um ſein 
und ſeines großartigen Gefolges 
(er reiſte mit dem Höchſtkomman— 
dierenden der Vereinigten Staaten, 


SR; er “2 fs 
. E u 
a I se — 












ig. 26. Dellomwitoneranion (2. ;uy, 


(Heneral Sheridan, mehreren Governors und 
50 Sergeanten) Gepäck zu befördern. 

Der oben erwähnte Mammothberg liegt ein 
ziemliches Stüd von den großen Geijern ent: 
fernt. In merflicher Zahl zeigen ſich diejelben 
erjt einige Meilen jüdliher am Gibbonfluß. bis an 30 Fuß emporſchießen. An anderen 
Ruhig fliegende heiße Quellen find an deſſen Stellen ift der Boden aufgeflafft und entjendet 
Ufern mafjenhaft verteilt. Man merkt ihre | ziichend Dampfwolfen, die zum Teil mit einem 
(Gegenwart oft nur in den fühlen Morgen: und Geräuſch hinauspfeifen, als würde ein Dampf: 
Abenditunden durd „die ihnen entjteigenden | fejjel abgeblajen. Die Bäume der Umgebung 
Dampfmwolten. Yauter und vernehmlicher offen: | ericheinen von der ausgeichiedenen Kiefelerde oft 
bart jich aber die Gegenwart der heigen Quellen | ganz wei; infruftiert. Manche diefer Geifer find 
in einem in der Nähe des Gibbonflufjes liegen: | Schlammvulfane, d.h. ſie ſprudeln ein ſchmutziges, 
den waldigen Thale, das man das Norris: | oft ſchwarzes Waſſer empor. Weiter nad Süden 
geiferbaffin genannt hat; hier blidt man in einen | am Gibbonsfluffe entlang wird die Geiſerthätig— 
wahren Hexenkeſſel. Der Boden des Thales ift keit wieder eine ruhigere, doc findet man fait 
ganz weiß von tiefelerdeinkruftationen, an mans | allehundert Schritte am Wege mehr oder weniger 
chen Stellen bilden diejelben Beden, aus denen | verftedt eine warme Quelle, oder ein mit fieden- 
unaufhörlich Waſſerſtrahlen mit Dampfwolten | dem Waſſer angefülltes dampfendes Beden, aus 


Fig. 28. Eruption ded old faithfull (€. 79), 





Im Fluge durch Umerifa. 9 


dem oft das Waſſer als immerwährender Spring: 
quell emporſprudelt. 

Größere Geijerbaffins weiſt die Nachbar: 
Ihaft des Fireholeflufjes auf. Man unterjcheidet 
bier ein unteres, mittleres und oberes Geifer: 
baffin. Das lettere ift das großartigite. Hier 
findet fich die folofjalfte aller Geiſer, d. h. inter: 
mittierende beige Springquellen zufammen. Das 
Geiſerbecken it ein weißes vegetationsleeres 





Manche haben ji Krater aus Kiefelerde auf: 
gebaut, wie der Gajtlegeifer (Fig. 21, ©. 76, 
und Fig. 22, ©. 77), andere entjpringen auf 
der Höhe eines janften Hegels, wie der old faith- 
full (Fig. 23, ©. 78), wieder andere wie der 
Grantgeiſer zeigen als Krater nur ein unregel- 
mäßiges Loch in dem Boden des Baljins. Ebenfo 
mannigfach erfcheint die Höhe der fpringenden 
Wajferfäule und die Zeit zwifchen zwei aufein: 


Feld von Kiefeljinter, in welchem die Deffnungen | ander folgenden Eruptionen. Die höchſte Höhe 
| dürfte 250 Fuß fein. In Bezug auf Häufigkeit 


der Geifer die mannigfaditen Formen bilden. 





Fin. 7. Epofanr Kolls (8. 87). 


der Eruptionen fteht unter den großen Geiſern der 
old faithfull obenan, er fpeit jede Stunde eine 
Waſſerſäule bis 150 Auf. Neben diefen großen 
Geifern gibt cs noch eine Unzahl kleiner heißer 
Quellen, die oft regelmäßige, freisrunde, mit 
Niefelfinter aufgebaute Baſſins bilden ( i. Ab: 
bildung), aus denen das heiße Waſſer unauf: 
hörlich in den benachbarten Firekoleriver abflieft. 
Eine andere Gruppe heißer Quellen find die | 
Schwefelquellen. Diefe bilden kreisrunde Beden, 
welhe enorme Maſſen Schwefelwaſſerſtoff aus: 
hauden, durch deſſen Zerfegung in den Höh— 
lungen des umgebenden Gefteins ſich Schwefel 
ausſcheidet, der jich oftmals in ſchönen Kryſtallen 
anjest. Es haben ſich in diefer Art förmliche, 
ganz mit Schwefel durchſetzte Berge gebildet. 


Aber nicht minder intereſſant als die Geiſer 
find die großen Seen, Wafjerfälle und Schluchten 
des Mellowftonegebietes. Sein Hauptwailer: 
beden, der 8000 Fuß hoch Tiegende Nellomitone: 
jee fendet feine Waſſer durch den Yellowſtone— 
fluß thalwärts. Dieſer ſtürzt fih in zwei mäch— 
tigen Waſſerfällen in eine tiefe Schlucht, den 
Nellowitonecanion (Fig. 247 ©. 78), die an 
2000 Fuß tief in das trachytiſche Hochplateau 
eingefchnitten ift. Nicht allein der gewaltige 
Wafierfall feijelt hier die Aufmerkſamkeit der 
Neifenden, jondern auch die im höchiten Grade 
phantaftiichen Geitaltungen und Karben der die 
Schlucht einengenden Felſen. Diefelben aleichen 
bald Türmen, bald Bajtionen oder Kaltellen und 
jpringen weit in die mannigfach gefrümmte 


80 &. W. Vogel. 








Big. 28. Flußubergang burd Ferm IE, 8m. 


Schlucht vor. An manden Stellen bilden fie 
fpige hochragende Zaden, die von Adlerneiten 
gekrönt find. Ihre Farbe zeigt alle Schattierun: 
aen, vom hellen Schwefelgelb und Nojtfarbe 
bis zum tiefen Duntelbraun. Die Höhe der 
Felſen ift mit reichem dunfelgrünem Tannen: 
wald geziert. Wir haben in Europa ähnliche 
Schluchten, der Bodefefjel des Harzes gibt eine 
ungefähre Idee davon im Kleinen — aber wohl 
feine, die neben jo merfwürdiaen Formen und 
Narben ſolche gewaltigen Waſſerfülle aufweiſt. 
Merk— 
würdig iſt, 
daß dieſes 
Wunder— 
land der 
VYellow⸗ 
ſtones bis 
zum Jahre 
1870 eine 
Terra in- 
cognita 
war, daß 
man den Er⸗ 
zählungen 
der India— 
ner von 
ſpringenden 
Geiſern und 
ſiedenden 


Flüſſen 
nicht 
glaubte, 
bis zuerſt 
Lieute— 
nant 
Deane in 
dieſe Ne: 
gionen 
drang und 
die Wahr: 
heit jener 
Angaben 
durch eige⸗ 
ne Wahr— 
nehmung 
erkannte. 
Zwei ah: 
re Später 
wurde Die 
Negion 
durd eine 
große willenjchaftliche Erpedition unter der Füh— 
rung von Profeſſor Hayden durchforscht und nun: 
mehr ift ſie durch Die Nordpacifichahn allen zah— 
lungsfähigen Naturfreunden zugänglich gemacht. 

In landichaftlicher und naturhiftorischer Hin— 
ſicht bildet das Yellowſtonegebiet den interejjan: 
teiten Punkt an der nördlichen Bacificlinie. Die 
Scenerieen, welcde fid) den Neifenden bei der 
Fortſetzung des Eifenbahnweges nah Wejten 
hin darbieten, erſcheinen im Vergleich zu dem 
Nellowitonepark anfänglich etwas nüchtern. Das 





Dig 2% Plukktergang durch Ferm IE. 4). 


Im $luge durch Amerifa, 


ziemlich fomplizierte, eines einheitlichen Charak— 
ters ermangelnde Syſtem von Gebirgsfetten, 
welches man unter dem Namen des Felſen— 
gebirges zuſammenfaßt, bietet nicht entfernt 
die landichaftlihen Neize europätfcher Gebirge 
dar. Die Höhen find meiſtens Fahl oder nur 
mit jpärlihem Grafe, das im Sommer braun 


und verbrannt erſcheint, bededt. Wälder finden | 


ſich nur fporadiih. Einige Abwechjelung ge: 
währen die Flüſſe, deren Lauf die Bahn folat, 
jo der Gallatinfluß und der Miffouri, welcher | 
eriteren aufnimmt. Nach Verlafjen des Mifjouri: | 





81 


thals erreicht Die Bahn die Hauptitabt Montanas, 
Helena genannt, nad) Fargo der volfreichite 
Ort an diefer Strede, denn er zählt 8000 Ein: 
wohner. Die Straßen der Stadt erjcheinen 
häuferreicher, nicht durch jo viele leere „Lots“ 
unterbrochen wie die Fargos und der übrigen 
Steppenpläge, und die bergige Umgebung ift 
nicht unmalerisch, troß ihrer Kahlheit. Die Stadt 
jteht auf goldhaltigem Boden. Ringsum ift der: 
jelbe aufgewühlt durch Goldfucher. est hat 
die primitive Goldwäſcherei dem hydraulischen 
Minenprozefje Pla gemadt. (Vgl. V,p.609 ff.) 





Fia. 90. 


Jenſeits Helena durchbriht die Bahn das 
Gebirge in einem großen Tunnel, der zur Zeit 
meiner Reife ähnlih einem anderen öſtlich von 
Helena befindlichen noch unvollendet war und 
aufeinem provijorischen Seleije umgangen wurde. 
Die Yandihaft in der Umgebung des Tunnels 
it waldreih und maleriih. In Kurven über: 
fchreitet hier die Bahn das Gebirge und erreicht 
in der 5773 Fuß hohen Waſſerſcheide zwiſchen 
dem Atlantifchen und dem Bacifiichen Ocean den 
höchſten Punkt. 

Die Stationen an dieſem Teile der Bahn 
ſind oft nichts weiter als eine Vereinigung einiger 
Zelte oder Bretterhütten. Miſſoula, eine Stadt 
von 1200 Einwohnern, iſt der einzige Ort von 


Um Rolumbialtom IS. am. 


Belang. Ber der einfamen Station Arlee be: 
tritt die Bahn eine Nefervation der Flathead— 
indianer, d.h. einen Landſtrich, welcher regierungs: 
feitig den Indianern als Cigentum referviert 
ift und in welchem fich fein Weißer anfiedeln darf. 
Freilich wird dieſes Verbot oft umgangen. 

Bei der Durchſchneidung dieſer Nejervation 
hat der Neifende reichlich Gelegenheit, Indianer 
und deren Zelte rejp. Hütten zu jehen. Erſtere 


‚ zeigen in Bezug auf Koſtüm die größte Mannia: 


faltigfeit. Schr gern tragen fie bunte wollene 
Deden, welche ihnen auf Negierungskojten ae: 
liefert werden und in denen fie felbit bei glühen: 
der Hite auf den Stationen Parade maden. 


‚ Die Kleidung der Männer bejteht im übrigen 


11 


82 5. W. Dogel. 


aus Ledermokaſſin, Beinkleid und einer Art Kittel. 
Alle haben tiefihwarzes fchlichtes Haar, das in 
zwei Zöpfen zu beiden Seiten des Geſichts 
herunterhängt. Einzelne ſchminken ihre Stirn 
rot. Ein Häuptling, den ich bei der Station 
Arlee fah, trug ein von den anderen etwas ab- 
weichendes Koftüm, ein Lederwams mit aufge: 
nähten bunten 

Lederitüden 

und langen 
Lederfranjen. 
Um feinen Filz: 
hut war ein 
Stüd Pelz ge: 
widelt und eine 
hohe Feder auf 
denjelben ge: 
itedt. 

Die Weiber 
tragen ein lan: 
ges Unterfleid 
von fehr buntem 
Stoff, einenidt 
minder bunte 
ade und ein 
ebenſo farben: 
reihes Kopf: 
tuch. Ihre Kin: 
der (jogenannte 

Bapufen) 
ſchleppen fie in 
einem jadartı- 
gen Tuche auf 
dem Rüden. 

Mit dem 
Verlaſſen der 
Indianerreſer⸗ 
vation erreicht 
die Bahn das 
waldreiche Thal 
des Clarke's 
Fork (Fig. 26, S. 77), eines großen Neben— 
fluſſes des Kolumbiaſtromes, der ſich in das Stille 
Meer ergießt. Wald, Fluß und Gebirge ver— 
einigen ſich hier zu anmutigen, zum Teil ſogar 
großartigen Landſchaftsbildern. 

Leider werden dieſelben erheblich beeinträch— 
tigt durch die Waldbrandverheerungen. Meilen— 
lang dehnen ſich die durch Feuer verwüſteten 
Wälder, deren Stämme, teilweiſe ihrer Aeſte be: 
raubt, wie Schwarze Maſten in die Lüfte ragen, 





Big. 21. Zmwilinasfellen und Rorbpacificbahn am Rolumbiaitrome IB. *4), 


Im Fluge durch Mmerifa, 


an der Bahn entlang aus. Nicht jelten durch— 
eilt der Zug noch brennende Forſten, und davon 
auffteigender Höhenraud) bededt dieganze Gegend 
wie dichter Nebel. 

Die Bahn nimmt hier eine nordweſtliche 
Richtung bis zu dem durch jeine Naturfchönheiten 
berühmten Lake Pend d’Dreille, wendet fih dann 

füdlich zum 
Spokanefluß, 
ebenfalls ein 
Nebenfluß des 
Kolumbia- 
jtromes, welcher 
bier zahlreiche 
Waſſerfälle bil- 
det, deren Waj: 
jerfraft von 
. Eügemühlen 
wader ausge: 
nußt wird, und 
dem jedenfalls 
die Stadt Spo: 
fane Falls (Fig. 
27, S. 79), die 
jetzt ſchon 2000 
Einwohner 
zählt, ihren Ur— 
ſprung ver: 
dankt. 
Weiter weſtlich 
erreicht die 
Bahn das Hoch— 
plateau des 
Territoriums 
Wafhinaton, 
einen öden 
Landſtrich, der 
außer Salbei 
und Sonnen: 
rojen faum eine 
Vegetation auf: 
weift. Hier wird der lodere Boden dur den 
Wind in mächtigen Wolfen von Staub empor: 
gewirbelt, welcher den Reiſenden in unan- 
genehmiter Weife beläftigt. Selbit in der Nähe 
der Flußläufe ericheint diefe Hochebene öde, und 
doch joll der Boden derjelben eine große Frucht: 
barfeit entwideln und reihe Weizenernten ge: 
währen, wenn er von den gewöhnlich im Oftober 
eintretenden Negen durchfeuchtet wird. 
Die Bahn endigte zur Zeit meiner Reife an 


x 








(58 9) quppyaok ze BR 


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el TER a — * * 
* * er“ 











84 5. W. Dogel. 


dem Snake River bei der Station Ninsworth, 
einem aus Bretterbuden beitehenden Steppen: 
plate, hauptjächlich von Arbeitern bewohnt, die 


‘Ye weiter man nah Reiten fortichreitet, deſto 
großartiger wird die Scenerie. Die Bafalte bilden 
phantaftiiche Klippen, welche die Eifenbahn in 

tiefen Hohl⸗ 








hier bei dem großartigen, noch in den Anfangs- 
ftadien befindlihen Bau der Brüde über den 
Snake River beihäftigt find. Bis zur Vollendung 
des Baues werden die Züge bruchſtückweiſe auf 
einer Dampffähre übergefebt. 

Solde Flußübergänge mittels Ferrys find 
für Ueberjegung von Cijenbahnzügen in Amerifa 
häufig im Gebraud. Unfere Figuren 
28 u. 29 (5. 80) zeigen eine der am 
beiten fonjtruierten Anlagen der Art 
am ZSacramento. 

Nah Ueberjchreitung des Fluſſes 
erreicht die Eifenbahn bald einen ande: 
ren Wüftenplat, Wallula, und wei: 
terhin den berühmten Kolumbiaftrom 
(Fig. 30, ©. 81), einen mädtigen 
Fluß, der bis 700 Meilen von feiner 
Mündung fhiffbar und etwa doppelt 
fo breit alö die Donau bei Peſt iſt, er 
durchbricht in feinem oberen Yaufe ein 
Bajaltplateau, deijen ſchwarze Felſen— 
maflen ihn auf beiden Seiten über: 
ragen und feine Spur von Vegetation 
zeigen. Die dunklen Felfen find von 
hellgelbem Flußſand überdedt, und 
an manchen Stellen in der Nähe der 





wegen durch⸗ 
bricht (ſiehe 
Fig. 31, ©. 
»2). Das 
Flußbett zur 
Seite Der 
Bahn ift 
durch breite 
flade Ba: 
jaltinjeln 
unterbro= 
chen, über 
weldhe Das 
FR Waller in 
—=  KRasladen 
hinweg: 
rauſcht. 
Das ſind die 
berühmten 
Strom: 
ichnellen, weldhe unter dem Namen Paſſage 
ofthe Dalles befannt find. Hier erblidt man 
zuerſt die jchneebededten Häupter des vom Ko— 
lumbiajtrome durchbrochenen Kasfadengebirges, 
darunter den Mount Hood von 17500 Fuß Höhe. 
Bei der Station Dalles, einer aufblühenden 
Stadt von 3500 Einwohnern mit großen Hotels, 


Dig. 24. Ghineflihe Reftauration (6, As). 


Bahnlinie bildet derfelbe förmlihe Berge. Er | hübſchen Yaden, einer Gießerei und einem Walz: 
gefährdet oft felbit den ftarfen Bahndamm. | werf, deren Häufer terrafienförmig den Abhang 


Im Sluge durch Amerika. 


am Kolumbiaftrom bededen und eine herrliche 
Ausficht auf denjelben gewähren, ändert ſich plöß- 
ih die Scenerie. Es jtellt ſich reihe Vegeta: 
tion ein. Großſtämmige, oft an 180 Fuß hohe 
sichten bilden impofante Wälder und geben ge: 
meinſchaftlich mit den hochragenden Bafaltklippen 
und dem ftolzen, injelreichen Strome eine immer 
wechfelnde Folge prachtvoller Yandichaftsbilder. 

Endlich verläßt die Bahn den Fluß, um fichder 
an einem Nebenflufje des Kolumbiajtromes, dem 
Willamette, liegenden Hauptitadtvon Oregon, 
Portland, zuzumwenden, das bereits einen ganz 
impofanten Ort von 35 000 Einwohnern bildet. 

Die europäiſchen Mitteljtädte unterfcheiden 
ih von den Großſtädten gewöhnlich dadurch, 
daß ihnen wichtige Verfehrähilfsmittel, Anftalten 
zur Erleichterung des Handels, der Komfort und 


die Eleganz in der inneren Einrichtung der | 


Wohnhäufer und in der äußeren der Straßen 
mehr oder weniger fehlen. Diejer Unterſchied 
bejteht in Amerika nicht. Bei uns haben wir 
zahlreiche Mittelftädte ohne Wafferleitung. Der 


1 





85 


fangen, die im Kolumbiajtrome ſich tummeln. 
Das ThaldesWillamette, in dem Portland liegt, 
it ebenfo ausgezeichnet durd) den Neichtum feines 
Bodens als durd feine malerischen Scenerieen, 
in welchen die von herrlichitem Wald gefrönten 
Abhänge überall den Hintergrund bilden. Fit 
das Wetter völlig klar, was leider infolge der 
auch hier grafjierenden, Höhenrauch erzeugenden 
Waldbrände nicht immer der Fall iſt, jo erblidt 


man auch den fegelförmigen, dem Aetna ähn: 


lichen, 60 Miles entfernten fchneebededten Mount 
Hood, den König des KHasfadengebirges. Ein 


‚ milder Himmel wölbt fich über diefer Landſchaft. 


Die Sommer find nicht allzu heiß, die Winter 
lo mäßig kalt, da Schnee und Eis zu den Aus: 
nahmen gehören. 

Aber Portland iſt nicht der einzige Endpunft 
der Nordpacificlinie. Ein anderer Zweig gebt 
von Wallula aus nad Tafoma am Pugetfund, 


deſſen Umgebung flimatifch, landſchaftlich, land: 


wirtſchaftlich und forſtlich nicht minder gejegnet 


Amerikaner gründet ſolche oftmals, ehe er mit _ 


dem Bau einer Stadt beginnt. In Deutichland 
it das elektrifche Licht noch immer Gegenitand 
des Verfuchs in Großſtädten; in Amerika erhellt 
dasjelbe bereits Wüſtenplätze (fiehe oben die 


Mittelftädte großartige Hotels, Banken, Waren: 


nur noch in der Ausdehnung, in der Einwohner: 
zahl und der Großartigfeit des Verkehrs. 

So ift es auch mit dem fernen, nur 35 000 
Einwohner zählenden Portland in Dregon 
(Fig. 32, ©. 83), das ein Europäer, der feine 
gewaltigen Werften am Willametteflufje, welcher 
für ſchon ziemlich ſchwere Seeſchiffe zugänglich ift, 
und feine Hauptitragen (Fig. 33, ©. 84) fieht, 
für eine echte Großjtadt halten würde. 

Die Entwidelung von Portland beruht auf 
dem Ernte: und Holzfegen des Landes und der 
nahen Verbindung mit dem Stillen Meer. Wie 
in Dafota, fo werden auch hier bereits, troß der 
dünnen Bevölkerung, reihe Weizenernten dem 


Boden entlodt und leichter per Schiff als dort | 


per Eifenbahn in die Kanäle des Melthandels 
geleitet. Sägemühlen ohne Zahl finden fi) am 
Kolumbiaftrome und an dem wundervollen Meer: 
bufen des nördlich davon gelegenen hochmaleri: 
Ihen Pugetſunds, und Taufende von Fiſcher— 
booten find thätig, um die zahllofen Lachſe zu 


ericheint als diejenige des Kolumbiaftromes und 
Nillamettes. Portland liegt 123 Miles vom 
Meere entfernt, und leicht Fannı es fommen, daß 
es von den näher am Meere gelegenen Orten 


‚ überflügelt wird, jobald dieje in das ſich rapid 
‚ ermweiternde Eijenbahnneß hineingezogen werden. 
Beichreibung von Fargo). In Amerifa haben | 
und verfügt jogar über eine deutjche Zeitung, 
lager, Schulbauten ; kurz, der Unterſchied zwischen | 
Mittel: und Großſtadt ift verwiſcht und eriftiert | 


Portland birgt mehrere taufend Deutjche 


einen deutjchen Turn: und Gefangverein. Außer: 
dem aber weiſt es mindejtens ebenfoviel Chineſen 
auf, die hier wie in San Francisco fi) mitten 
in der Stadt angejiedelt, große Handelshäufer, 
Schuh: und Stiefelfabrifen, Wäſchereien, Ne: 
ſtaurants in chineſiſchem Stil (Fig. 34, ©. 84) 
und Joßhäuſer, d. h. Tempel, und ſogar ein 
Theater gegründet haben. Als Kinderwärter, 
Hausdiener, Gärtner find fie allfeitig gefucht und 


‚ umfounentbehrlicher, als die Preiſe, welche euro: 
päiſche Arbeiter hier fordern, unfinnig hoch find, 


und viele, felbjt wohlhabende Familien Port: 
lands, welche die Chinejen nicht lieben, es deshalb 
vorziehen, ſich ohne jeglichen Dienftboten zu be— 
helfen. Denn eine jtarfe Animofität bejteht gegen 
die den Weißen Konkurrenz machenden Bewohner 
des himmlischen Reichs, ein Nativismus, der 
allerdings dadurch eine Berechtigung gewinnt, 


daß die Chinefen fid) nicht mit Amerikanern ver: 
‚ mifchen, in Kleidung, Sitten und Gewohnheiten 
‚ ihrem Mutterlande treu bleiben und ftets, wenn 


| 


nicht lebendig, fo doch als Zeichen nach demfelben 
zurüdfehren, denn die chinefischen Kompanieen, 


5. W. Vogel. 


86 


welde die Einwanderer des himmlischen Neichs 
importieren und dafür von dem Verdienſte ge: 
wiſſe Prozente ziehen, find auch kontraktlich ver: 


I 





Int Fluge durch Umerifa. 


breit, gleich einem fliegenden Meere ; hier wird der 
Ertrag der Yachsfticherei gelandet, um in den 
jogen, Gannaries gekocht, in Büchfen gepadt, ver: 


pflihtet, im Falle des Ablebens ihre Yeiche nad) | lötet und über die ganze Welt verjendet zu 
der Heimat zurüdzutransportieren, und Chinejen: 
leihen find deshalb fein jeltenes Kradhtitüd für | 


europätihe Schiffe, die zwiſchen Kalifornien, 
Dregon und China fahren. 

yet ift durch die von der Arbeiterpartei 
durchgeſetzte Antichinefenbill die Einfuhr der Chi: 


worden. Man landet fie nicht mehr direkt in den 
amerifanifhen Häfen, fondern in Kolumbia. 
Werden in Amerika Geſetze gegeben, jowerden 
zu gleicher Zeit Mittel und Wege erfunden, ſie zu 
umgehen, jo iſt es mit den Temperenz⸗(Mäßig⸗ 
keits⸗)Geſetzen und aud) mit der Antichinefenbill. 
Portland fteht mit San Francisco vorläufia 
no in feiner direkten Eifenbahnverbindung. 
Aber jchnell nähern ſich die die beiden Städte 
vereinigenden Linien der Rollendung. Sn: 
zwiſchen wird der Verkehr hauptſächlich durd) 
Schraubendampfer der Dregon:Eifenbahn: und 
Schiffahrts : Gefellihaft (Fig. 35) vermittelt, 
die wöchentlich zweimal zwifchen beiden Städten 
laufen und drei Tage und drei Nächte Fahrzeit 
benötigen. Die Schiffe berühren auf ihrer Fahrt 
durch den Kolumbiaſtrom die Stadt Aſtoria, einen 
vom Stillen Meere nur zehn engliihe Meilen 
entfernten, den ſchwerſten Schiffen zugänglichen 
Hafenplat. Hier ericheint der von waldigen 
Hügeln eingerahmte Rolumbiajtrom majeſtätiſch 








werden. Im jahre 1881 wurden nicht weniger als 
550 000 Kiſten Lachs im Gefamtwerte von 2°4 
Mill. Dollars verpadt und verihidt. Wiederum 


ſind es Chinejen, die in diefen 49 Cannaries als 


I 


Arbeiterthätig find. Aſtoria birgt wohl von allen 


amerikaniſchen Städten den höchſten Prozentſatz an 
neſen erſchwert, aber keineswegs unmöglich ge: 


chineſiſcher Bevölkerung, denn es hat unter nahe 
6000 Einwohnern 2000 Chineſen. 1500 Boote 


ſind ausſchließlich mit dem Lachsfange beſchäftigt, 


von denen jedes im Durchſchnitt per Saiſon 
1200 Lachſe liefert. Der Fiſchfang wird zur 
Zeit, wenn die Ebbe beginnt, an der Mündung 
des Fluſſes betrieben, nahe der großen Sandbank, 
welche ſchon manchem Schiffe gefährlich wurde. 
Ein ſchöner Dampfer der Oregon-Dampf— 
ichifffompanie, die „Queen of the Pacific“, 
ſtrandete hier zur Zeit meiner Anweſenheit in 
Portland und wurde nur mit Verluſt der halben 
Ladung wieder flott. Weniger glücklich war die 
„Great Republic”, welche vor drei Jahren 
ander Sandbanf Schiffbrud; litt und deren Wrad 
mit Reiten von Mafchinenteilen zur Zeit der 
Ebbe noch heute aus dem Waſſer hervorragt. 
An jener Stelle endigte gegenüber dem Cap 
Disappointment (ſ. Fig. 11, ©. 71) mein Flug 
nad) dem fernen Weiten und vorbei an der ge: 
fährlihen Barre trug mich der Dampfer füd: 
wärts auf dem Stillen Meer nah San Francisco. 





zz | 





Big 95. Dod der Oregon Eitenbabn und Ehiffahrtö-@elenfhalt in Portlanb. 





Mm, Berger. Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden! 


87 


Wär id geblieben dod) 
Auf meiner Heiden! 


Novelle von 
M. Berger. 
Schluß.) 


un hielt er auch jenes in der 
Hand, auf welchem das liebliche 


Geſicht verzerrt, faſt unkennbar 


erſchien; eine düſtere Wolke zog 
F über ſeine Stirn und das Bild 
erweiterte ſich. Mitten in der ſüdlichen Pracht 
und Herrlichkeit Italiens ſah er jenen Ort, an 
dem ſoviel Unglück, ſoviel Sünde geſchah, und 
ſah ſich ſelbſt dort, von einem Ausfluge zurüd: 
kehrend, den Spielſaal durcheilend — aber plöß: 
lich fand er ſeine Schritte gehemmt durch eine 
ihn überwältigende Macht. Er ſah eine junge 
Frau dort mitten unter den Spielern ſitzen, 
einen Haufen Gold vor ſich, mit glücklichem 
Lächeln umherblickend, immer größere Summen 
wagend, bis das Glück ſich wendete und alles 
Gold einem anderen zugeſchoben wurde. 

Und da ſah die Frau jenem Bilde gleich — 
und es war feine Frau. 
weggeholt, wie fie ſchwur, jo oft jie Gelegenheit 
fände, wieder zu jpielen, troß jeiner Bitten; 


' 
I 


| 
| 
| 
I 


Wie er fie von dort | 


warum folle er ihr verbieten, was fie als Kind 


bei Vater und Mutter gefehen und felbit gethan? | 


Das ftand heute lebendig vor feinen Augen; 
aber noch ein anderes ſtand ebenfo fichtbar da: 
neben. Schwach und frank lag fein fchönes, 
blühendes Weib und mit matter Stimme fagte 
fie zu ihm: „Edgar, vergib mir, vergik, was 


id) dort in Monte Carlo that, was ic) dort fagte; | 


ich kann nicht gefund werben mit diefer Laſt auf 
dem Herzen, wie oft ich fie auch gebeichtet habe, 


fie wird nicht von mir genommen, wenn du fie | 


nicht von mir nimmſt.“ 


Und als er verfpradh, zu vergeben, zu ver: | 


geilen, da hatte fie einen Schwur auf das Kruzifir 
verlangt — und er hatte ihr nicht gemwehrt, feine 
Finger darauf zu legen. So war damals im 





befiegelt worden, der ihn und fie zu Gefährten 


wenig Monaten fein ſtürmiſch Herz verlangend 
geihlofien im Rauſche wonnevolliten Glüdes. 
Was hatte ihm diejes Glüd gewährt, hatte es 
gehalten, was es verſprochen? 

Man hörte draußen Schritte. 

Er deutete nad} der Thüre: 

„Sie wäre die Nechte geweſen!“ 

Marianne trat ein; fie jah bleich aus, fo 
träumeriſch, wie nachtwandelnd. 

„Mein Vater will nicht mitgehen,“ ſagte 
ſie tonlos. 

„Und Sie?“ fragte Santen. 

Sie richtete große fragende, angſtvoll blickende 
Augen auf ihn. 

„sh gehe mit, wenn Sie es wollen.“ 

„Gut, wir werden Sie um drei Uhr ab: 
holen,“ erwiderte der Maler. 

Zur bejtimmten Stunde fuhr ein Wagen 
vor und Marianne ftieg ein. 

„Iſt es nicht viel fchöner jo, als mit der 
häßlichen Eiſenbahn?“ fragte Melanie, fie be: 
grüßend, 

„Gewiß,“ entgegnete das junge Mädchen, 
„zumal an diefem wundervollen Tage.” 

„Edgar iſt voraus, es dauerte ihm zu lange 
mit dem Wagen, er muß natürlich jtets etiwas 
anderes wollen.“ 

„Er hätte die beiten Stunden verloren, 
wäre er fo jpät angekommen,“ fagte Marianne. 

„Nun natürlich, die Arbeit geht vor allem,“ 
fpottete Melanie. 

Sie fuhren durd Felder und an blühenden 
Obftbäumen vorüber ; bald hinter der Stadt lagen 
einzelne Villen mit größeren Gärten, überall 
Knospen und Blüten und fröhlihe Menfchen, 


A dem Lebenswege machte, der Bund, den vor 
N) 


dunklen Krankenzimmer aufs neue der Bund | die fi des Frühlings freuten. 







88 


An einem Heinen Wirtshaufe hielt der Aut: 
icher an; „von hier müjjen die Damen zu Fuß 
gehen, immer dort hinaus, bis zum Walde und 
dann gleich rechts den Bach entlang, dort liegt 
die Mühle, von der Herr Santen fagte, daß er 
da warten wolle.“ 

Sie Stiegen aus. Melanie war jehr guter 
Laune und fand alles ſchön und nad Wunſch, 
wie ed auch fam, jelbjt den ſchlechten ausge: 
fahrenen Feldweg mit den großen Rinnen. An 
den Heden blühten Blumen ſie pflüdte eine 
ganze Handvoll. 

Der Weg war nicht weit, der Wald noch 
nicht jo dicht belaubt, man fah die Mühle bald 
und auch Santen dort vor dem Hofthore fiten, 
weldes alt und gebräunt war. Er bemerkte die 
Herannahenden nicht, ganz leife ſchlich Melanie 
hinter ihn und warf ihre Blumen über feinen 
Kopf, daß fie zwiſchen feine Hände fielen. Che 
er fih ummenden fonnte, hatte fie auch jchon 
ihre Arme um feinen Hals geſchlungen und rief 
fröhlih: „Gefangen!“ gab ihm einen Kuß und 
erlöfte ihn. 

Er aber jtand auf, hob fie von der Erde, 
hielt die fleine, zarte Gejtalt hoch in die Höhe, 
daß fie um Gnade bat, fühte jie mehrmals und 
feste fie Dann nieder. 

„Blumenfee,“ rief er lachend, „welch einen 
Ueberfall hajt du dem forglojen Gatten bereitet; 
bift du allein, wo iſt Marianne?“ 

„Dort jteht fie ja, ganz entſetzt über dein 
Benehmen, Edgar, es war aber auch zu arg,“ 
fagte Melanie in gefränkter Würde, die ihr jehr 
komiſch jtand. 

Marianne jtand noch an derjelben Stelle, 
ihren Strauß Blumen in der Hand. Zitternd 
hatte fie der Begrüßung zugefehen. 

„Er hat fie doch lieb,“ jubelte es in ihr. 
Sie wußte nit, dab Edgar, wie heute früh, 
auch jest plößlich denfen mußte: „Bezaubernd 
und doch nicht die Nechte,“ und bei dieſem Ge: 
danken ſuchte er unwillfürlich jene erniten jeelen: 
vollen Augen des jungen Mädchens, die jo vieles 
verschwiegen und jo mandes ausipraden. 

Er begrüßte fie nun auch, indem er ihr gleich 
feine Skizze zeigte; bald war ihr Intereſſe ganz 
und voll bei feiner Arbeit, verweilend bei dieſem 
oder jenem Heinen Detail, dieſem oder jenem 
Lichteffekt. 

„Nun möchte ich ſchnell noch einiges feſt— 
"halten, ehe die Sonne eine andere Richtung 
nimmt, führen Sie einftweilen Melanie im Walde 





M. Berger 


umber, jorgen Sie, daf fie mir nicht ungeduldig 
wird, nicht wahr, Fräulein Marianne?“ 

Melanie fprang herzu, legte ihren Arm in 
den ber Freundin und fie wanderten ins Grüne 
hinein, bald hörte man ihre Stimmen fröhliche 
Lieder fingen. Ihr Geſang hatte anderen ermedt, 
nicht nur Vogelfang; aus der Mühle ertönte 
eine helle Mädchenftimme, fie war nicht ftarf, 
hatte aber einen eigentümlid weichen Klang, 
der eindrudsvoll wirkte. Santen laufhte, es 
waren feine fröhlichen Lieder; Volkslieder, aus 
denen Heimweh herausflang. Auch Marianne 
und Melanie waren ftehen geblieben, kamen 
langjam der Mühle näher. 


Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden, 

Da hätt’ ih nichts verjpürt von all den Leiden, 
Wär’ ich daheim doch nur, wär’ ich geblieben, 

Da hätt’ ich nichts gewußt von all dem Lieben ! 
Bleiben, ach, darf ich nicht und kann nicht jheiden — 
Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden! 


Schon bei den eriten paar Worten mar 
Marianne jtehen geblieben und hatte, Melaniens 
Arm loslaffend, fi an einem jchlanfen Baum: 
ſtamme fejtgehalten; jedes weitere Wort fiel 
auf ihr Herz centnerfchwer; und als ob all das 
Schwere, was auf dies junge Herz fiel, es zum 
Berſten bringen mußte, ſtand's auf einmal Har 
vor ihr: „Du liebſt jenen Dann, der dort drü— 
ben auch dieſem Liede zuhört, der zu dir her- 
blidt, ob du's auch recht hörst und der einer 
anderen angehört.“ 

„Bleiben, ach, darf ich nicht und kann nicht 
jheiden!“ wiederholte das Lied und langſam 
und traurig ſchloß es: 

„Wär' ich geblieben doch auf meiner Hei- 
den!” Ein Heimweh nad ihren Tannen über: 
fiel Marianne, ein Einſamſein überfam fie, 
Thränen jtrömten ihr über die Wangen. 

„Nun haben wir ein Geheimnis miteinan- 
der und das iſt nicht gut,“ hörte fie Edgar jagen; 
alles fam ihr wieder in den Sinn, der Augen 
blid vor der firtinischen Madonna, jo manches 
Heine Zeichen, welches bedeutete — wir gehören 
zu einander und achören einander doch nicht an! 

„Ein langmweiliges Lied, wie einfältig, es 
fommt ja gar nichts darin vor, es ſagt gar nichts, 
nod weniger wie eure Geheimjchrift,“ hörte fie 
Melanie ausrufen, die ihrem Gatten entgegen= 
ging, der nun auf fie zukam. 

„Wie falt deine Hand ift, Edgar, du haft 
zu lange da geſeſſen;“ er aber jah nur das Mäd— 
chen, weldyes immer nod) den ſchlanken Stamm 





u 


— — 


Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden! 


des Eichbaumes im Arme hielt, wie um fich zu 
ſchützen. 

„Ich glaube, es iſt Zeit, nach Haufe zu fah— 
ren,“ ſagte er, „ich will den Kutſcher benad): 
richtigen.“ 

„Aber ich bin fehr hungrig, ic) dachte, wir 
würden ein ländlihes Mahl in der Mühle ein: 
nehmen, das hattejt du mir verſprochen.“ 

Marianne erwahte aus ihren Träumen 
zum Bemußtjein des Gedanfens: „Sie darf es 
nicht willen,“ und mit den Worten: „ch gehe 
in die Mühle, zu jehen, was wir dort befommen 
fönnen,“ lief fie hinweg. Bald war jemand 
gefunden und das Mahl beitellt, welches in der 
mit Oaisblatt bezogenen Laube aufgetragen 
wurde. Auch ein Strauß Goldlad und Nar: 
ciſſen fehlte nicht; Marianne ordnete noch die 
großen Bläfer mit der fhäumenden Milh und 
ſchnitt das friſche Schwarzbrot auf, als Santen 
mit Melanie hereintrat. 

„Für Sie habe ich Bier beftellt und etwas 
Käfe, die Milh würde Ihnen wohl nicht be: 
hagen,“ rief fie ihm zu. 

„5a, das haben Sie gut gemacht,“ entgeg: 
nete er und fie ſetzten ſich alle um den einfachen 
Holztiſch. 

„Wer ſingt bei Ihnen?“ fragte Melanie 
die Müllersfrau. 

„Es iſt ein Schweſterkind, es wohnt hier 
eine Zeitlang, weil es krank war, ſoll ſich er— 
holen; eigentlich hat der Herr Doktor das Singen 
verboten, kann's aber nicht laſſen, 's hat eben 
Heimweh,“ ſagte die Frau, „dort kommt es.“ 

Ein bleiches, zartes Mädchen trat aus der 
Hausthüre und wollte nad) dem Walde zu. 

„O fie foll uns noch fingen,“ rief Melanie. 

„Du hörſt ja, jie darf nit,“ erinnerte 
Santen. 

„Nur nod) ein Lied, das ſchadet nicht.“ 

Die Frau war geehrt, daß des Schweiter: 
Iindes Singen ber feinen gnädigen Frau gefalle. 

„Annele, fomm ber, ſollſt noch eins fingen, 
bein liebjtes, thu's nur,“ redete fie dem Mäd— 
chen zu, als jenes ſich ein wenig zierte. Bald 
aber war es überwunden, fie fette fich in die 
Laube, die Hände in dem Schoße gefaltet und 
fang noch einmal: 


Mär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden! 


Das gefällt mir nun gerade nicht fo gut,“ 
rief Melanie, als das Lied zu Ende war, „finge 
doch noch etwas, mein liebes Kind.“ 


89 


„Aber Melanie, das Mädchen ermüdet ſich,“ 
warf ihr Gatte ein. 

„Lab doch!“ fagte fie ärgerlich). 

Das Mädchen fang weiter, ein Lied nad) 
dem anderen; bleid und teilnahmlos ſaß fie da 
und doch Hang ihr Gejang jo wunderbar und 
ergreifend. 

Melanie dankte endlih, nahm eine Kette 
von roten Korallen von ihrem Halje und gab 
jie dem Mädchen, welches erjtaunt zur Müllers: 
frau hinblidte. Dieje redete durdy Wort und 
Gebärde zu und jo fühte das Mädchen die Hand 
der Geberin und verließ mit der Tante die Laube. 

„sch wollte, du hättejt dies nicht gethan,“ 
fagte Santen zu feiner Gattin. 

„Warum?“ fuhr jene auf. „Edgar, vergiß 
nicht, daß ich Herrin meiner Saden bin und 
durchaus feine Einjpradhe in meine Handlungs: 
weife liebe.“ 

Dabei blidte fie auf und unwillkürlich mußte 
Marianne an jenes Bild denken, noch mehr, als 
Santen mit eiöfaltem Tone jagte: „Meine liebe 
Melanie, das werde ich niemals vergeſſen,“ 
fich fteif und ceremoniös verbeugte und die Mühle 
mit den Worten verlieh; 

„Ich werde den Kutſcher ſchicken, für mid) 
jelbjt ziehe ich die rafchere Fahrt mit der Bahn 
vor.“ 

Er hörte gar nicht mehr, als fie ihm nad: 
rief: „Man kann ja nicht bis hierher fahren, 
wir gehen mit,“ und war fo jchnell im dichteren 
Laubwald verfhmwunden, daß fie das Nachgehen 
bald aufgab. 

Marianne hörte ſchweigend zu, als die junge 
Frau in bittere Klagen ausbrach, ſie dachte nur 
das eine: 

„Wir haben ein Geheimnis miteinander und 
das iſt nicht gut.“ 

Welche Qual brachte das Ende des jo heiter 
begonnenen Ausfluges! 

Melanie war plötzlich müde und faum fort: 
zubringen; fie weinte, ftampfte mit dem Fuße 
auf, wollte nicht weiter gehen, wollte nicht allein 
im Walde bleiben. Faſt verlor Marianne die 
Geduld — „wieviel mehr muß er leiden, und id) 
will ihm nicht dieje Heine Stunde abnehmen?” 

Und wieder redete fie der Freundin zu, nahm 
die Feine rau auf den Arm, fie eine Strede 
weit tragend, bis ihr die Arme fo weh thaten, 
daß fie es nicht länger fonnte: „Wie jchade, das 
war jo Schön,“ lachte Melanie und hüpfte voran 
wie ein Kind. 

12 


90 M, Berger. 


Endlich war der Magen erreicht, ſchon fing | find ſchwere Ketten für einen Mann und doc) 
es an, dämmerig und fühl zu werden; gut in | ijt feiner jo frei im fich ſelbſt, um fich davon 
Deden eingehüllt, lehnte Frau Santen in der | loszumachen. So find nun einmal die Männer, 
Wagenede und war bald eingefhlummert. das bezaubert, betört und dann iſt's zu fpät. 

Wie ſegnete Marianne diefen Schlummer, | Mein Kind, es finden fich nicht alle, die zu ein: 
nun war fie mit ihren Gedanfen allein — und | ander gehören, und wenn fie fich gefunden haben 


doch, fie fonnte ja nichts anderes denken als: | — ja dann werben fie getrennt,“ ſchloß Ferrand 
„Bleiben, ad), darf ich nicht und kann nicht fchei: | bitter, ihren Arm loslafjend, als fie die Stufen 
den! Nein, nein und fann nicht fcheiden. ” der Veranda hinanjtiegen. Drinnen war alles 
So erreichte man endlich die Stadt; durch | heil und friedlich, der Theeleſſel ſummte fein 
das Geraſſel auf dem Straßenpflafter erwachte | altes, ewiges Lied und es lautete gaſtlich und 
Melanie, bald hielt der Magen vor der Villa. einladend. 
Im Garten gingen zwei hohe Männergeftalten, Marianne bereitete den Thee und als fie 
Ferrand und Santen, Sie famen andenWagen. | ihrem Vater, der düfter vor ſich hinfchauend im 
Edgar öffnete und half Marianne heraus. Ihre Seſſel [ehnte, die erſte Taſſe reichte, blidte er 
Hand lag in der feinen, fie fühlte einen leifen | fie jo freundlich und liebevoll an, daß fie leiſe 
| 


Drud. an dem Stuhle niederglitt, ihren Kopf an feinen 
„IH danke Ihnen, Fräulein Marianne, | Arm lehnte und den Thränen nicht länger Ein: 
Sie dürfen uns nicht verlaffen,“ ſagte er zu | halt gebieten fonnte. 


ihr, ohne daß es die anderen hörten, die ebenfalls „Kind, was ijt dir?“ fragte Ferrand er: 
miteinander ſprachen. ſchrocken. 
Marianne nickte ſchweigend mit dem Kopfe. „Und wenn ſie ſich finden, dann werben 


„Sceiden, ad, kann ich nicht!” diefe Worte 
jtanden mit glühender Schrift vor ihren Augen 
und das andere Wort: „Bleiben, ach, darf ich 
nicht!” war ausgelöfcht, vergejjen. mit einem tiefen Seufzer. 

Ihr Vater nahm ihren Arm in den feinen Marianne erhob fi), fie hatte an anderes 
und führte fie dem Haufe zu. \ gedacht, aber es war qut, daß er fie nicht 

„Du haft mir gefehlt, es war überall fo | verftanden, fie wollte ſich jelbjt nicht verftehen, 
ftill und leer; ich habe den Thee beſtellt, brauchſt dann müßte ja auch das andere Wort wieder 
feine Pflichten heute mehr auszuüben, du fiehft | jihtbar werden: „Bleiben, ach, darf ich nicht.“ 
bla und müde aus. Armes Kind! Santen „Zante Agnes hat aejchidt, du möchtejt 
machte fih Vorwürfe, dich allein mit feinem | morgen in der Frühe zu ihr fommen, ſie fühle ſich 
fleinen Satan gelafjen zu haben, und doch wie: | unmwohl. Es ijt mir leid, wenn deine Studien 
der fagte er mit dem Egoismus des Künftlers | hierdurd) geftört werden, aber ich wünſche, daß 
— ‚id fonnte nicht mehr bleiben, fie hat mir | du für Frau von Martin alles thun möchteit, 
meine ganze Stimmung verdorben. Ich werde | was du kannſt,“ ſagte Ferrand nad) einer Weile 
diefe Skizzen nicht brauchen können, ich verliere | zu feiner Tochter. 
die Freiheit im Schaffen, wenn diefes Erlebnis Marianne war gern hierzu bereit, und jo 
mir jtets in den Sinn fommt‘. Wir müfjen ſchon geſchah es, daß, als Santen am nächſten Tage 
treu bei ihm ausharren. Der arme Kerl ift übel | fam, ihre Staffelei leer war, nur das angefan: 


fie getrennt,“ flüfterte fie. 
Er ftrich fanft über ihre heifen Wangen. 
„a, fie gehörte wirklich zu mir,“ fagte er 








daran.“ gene Bild mit den indigoblauen Wellen und den 
„Aber weshalb hat er fie denn geheiratet?” | hellgelben Felfen erinnerte an die Ereignifje des 
ſtieß Marianne endlich heraus. geitrigen Tages. Er fette fi) vor das Bild und 


M Siehjt du nicht, wie bezaubernd die Heine | begann daran zu malen, unter feinen Händen 
Here fein kann?“ fragte lachend ihr Water. | verfchwand bald die grelle Farbe. Er änderte 
„Und außerdem die anfpruchsvolle Künftler: | nichts an der Kompofition — „das tft ihr Ge: 
natur, die nicht bedenkt, wo fie verbraucht, die ı danfe, der muß bleiben, denn er iſt aut.“ 
nicht rechnen kann; Melanie ift ein reiches Mäd— Dann ging er an die eigene Arbeit, aber 
den geweſen, eine jogenannte gute Partie, du | heute war fein guter Tag für ihn. Er war un: 
hörft fie ja ſelbſt ſagen — wozu arbeiten, mein | ruhig, öfters wandte er ſich nad) der Thüre um, 
Vater gibt uns ja alles, was wir wollen. Das | ging ins Nebenzimmer, ſah durch die Veranda 


Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden ! 


nad) dem Garten, malte wieder eine Weile und 
legte dann Pinſel und Palette unmutig nieder. 

Ferrand Fam, eine Heine Thonvaje in der 
Hand: „Hier, Santen, bringe ich Ihnen etwas, 
das Sie eigentlich begeijtern follte.“ 

„3a,“ entgegnete er, „dieje einfache Form 
iſt ſchön und ich habe wirkliche Freude am An: 
ihauen derjelben, aber wenn id} fie mit meiner 
Kunft in Zufammenhang bringen foll, ijt fie mir 
verleidet; denn dann muß ich an die Ausitellun: 
gen denfen, die nächſtens wie ein großer Geſchirr— 
markt ausjehen werden, da fann mich eine Wut 
erfaſſen —“ und er ergriff die Vafe, als wollte 
er fie zu Boden fchleudern. 

Santen ereiferte fih, wie es Ferrand fchei: 
nen wollte, mehr wie notwendig. war, er eilte, 
fein Eigentum zu retten und wollte begütigen. 

„Nein, deshalb brachte ich fie Ihnen nicht, 
daß Sie in eine ſolche Berſerkerwut ausbrechen 
follten. Was haben Sie denn heute gemalt?“ 
fragte er, vor die Staffelet tretend. 

Santen hatte ſich nach dem Fenfter gewandt: 
— „es will heute nichts werden,“ nahm feinen 
Hut und wollte das Zimmer verlajjen. „Ich will 
in die Galerie wallfahrten, vielleicht wird meine 
Stimmung beſſer,“ ſagte er, Abjchied nehmend. 

„Ihr ſeid wunderbare Yeute mit euren 
Stimmungen. Zum Glüf hat Marianne nod) 
nichts Davon,“ fagte Ferrand ihm auf die Schul: 
ter Elopfend. Er beadhtete dieje Worte nicht und 
eilte hinweg. 

Es war um die Mittagszeit, als er in der 
Galerie anlangte. Die Säle waren leer, er ver: 
weilte bald vor diefem, bald vor jenem Bilde, 
jo fam er endlich auch in das Heiligtum — zur 
firtinifchen Madonna. Ohne einzutreten, blieb 
er in der Thüre ftehen, ji an einen der Pfoſten 
Iehnend und fchaute auf das Bild hin. Kein 
Laut jtörte feine Betrachtung, da regte fich plötz— 
lic; etwas in dem kleinen Kabinett, er hörte ein 
unterdrüdtes Schluchzen, er blidte hinein, eine 
Frauengeftalt lag fait in fich zufammengeiunfen 

‚auf dem Diwan, die Hände vor das Geficht ge: 
preßt. 


„Marianne!“ ſchrie Santen auf; jene zuckte 


zuſammen. „Hier finde ich Sie, weshalb ließen 
Sie mich allein? Ich kann nicht malen, wenn 
Sie nicht da ſind, ich bin nun einmal daran ge— 
wöhnt.“ 
Seine Stimme klang hart und vorwurfsvoll. 
„Ich war zu Frau von Martin gerufen 
worden,“ entgegnete das Mädchen, welches ſich 


9 


erhoben hatte, und deſſen jtolze Haltung be: 
weijen jollte, dai es den Vorwurf nicht zu ver: 
dienen glaubte. 

„Ausreden,“ warf verächtlih der Maler 
hin, „und ohne mich in die Galerie zu gehen — 
es ift und bleibt mein Vorrecht, Sie hier einzu: 
führen.“ 

„Seit wann habe ich Ihnen meine Freiheit 
geopfert?“ ſuchte Marianne zu fcherzen. „Ich 
war nicht allein hier, ſondern im Gorreggio: Saal, 
bei den jpanifchen Bildern —“ 

„Und die haben Sie zum Weinen gebracht ?“ 
unterbrady Santen. 

Marianne errötete, er fuhr fort: „Warum 
haben Sie geweint? ich will es willen, ih muß 
es willen, “ 

Er faßte ihre Hand. 

„Sie brauden es nicht zu willen,“ ant: 
wortete Marianne, ihm die Hand entzichend, 
„und nun fommen Sie noch einmal zu der Maria 
in Aegypten‘, die will ich Ihnen zeigen.“ 

Er blieb jtehen. 

„Beriprechen Sie mir eins — gehen Sie 
nicht mehr aus, wenn id) zum Malen fomme, ich 
fann Sie nicht entbehren; das iſt doch wahrlid) 
fein jo großes Opfer!“ 

„Und doch noch größer, als ich zu leiten 
vermag, die Wünfche der Tante Agnes gehen 
noch vor den Ihren. Uebrigens habe ic} jtets 
vergeflen, „ihnen zu jagen, dat Frau von Martin 
Sie kennen zu lernen wünſcht; freilich eben tt 
fie krank und fann nicht viel Menſchen jehen, 
jpäter aber müfjen Sie mit Melanie hingehen, 
fie zu bejuchen. “ 

„Wie Sie wünſchen, Fräulein Ferrand,“ 
ſagte Santen plötzlich verändert, „nun laſſen 
Sie uns zur ägyptiſchen Maria gehen.“ 

Sie traten vor das Bild. Heute ſprach ſie, 
und er hörte zu; jo ſchien es wenigſtens. Dann 
trennten fie ſich und jedes fuchte fein Heim auf. 

Es vergingen Tage, es vergingen Wochen, 
aber fein Taq und feine Mode, an dem Santen 
nicht fam, Marianne nicht an ihrer Staffelei 
ſaß, fie nicht ein gemeinfames Intereſſe am 
Nachmittag oder Abend zufammenführte. Wohl 
waren Melanie und aud) Ferrand ftets mit ihnen, 
und doch war es, als gehörten nur fie zu einan— 
der und Marianne fühlte immer deutlicher, wie 
ihre Kreiheit im Denten und Handeln gänzlich) 
dahin ſchwand, wie fie nur noch lebte in feinem 
Willen und nad) demjelben. 

Nie oft ſchon hatte fie fich empört gegen 


92 M. Berger. 


dieſe Gewalt, die in ihr Leben getreten und ſich 
ihrer mit ſolcher Herrſchaft bemächtigt hatte; wie 
oft gealaubt, fich befreit zu Haben und dann war 
fie doc) wieder zu ſchwach geweſen, einen Ent: 
ihluß, der fie von Santen trennen würde, zu 
fafjen, wenn fie ſah, wie fie feinem Glücke, jeinem 
Mohlbehagen nötig war, wie jelbit Melanie 
durch ihren Einfluß weniger launenhaft, bejtän: 
Diger wurbe. 

„Wirmüffen treu bei ihm ausharren,“ hatte 
ihr Vater gejagt, es war Freundespflicht, fie 
durfte nicht gehen; wie hätte fie es aud) gekonnt, 
durfte fie den Vater verlafien? So war das 
junge, thörichte Herz bald zur Ruhe geiprochen 
und das Verhängnis fchritt langjam feinen Gang 
fort. Ferrand ſah nicht die bleihen Wangen 
und die öfters verweinten Augen, er bemerkte 
nit das Aufleuchten derjelben, wenn Santen 
eintrat, fein Name als Künftler erwähnt wurde, 
auch nicht das müde, abgeipannte Weſen, wenn 
Melanie einen Nachmittag lang allein dageweſen 
war. Mit feinen Studien befchäftigt, ſah er die 
Tochter nur, wenn andere dabei waren, oder 
wenn er ihrer bedurfte und fie zu fich rief; dann 
fand er fie ſtets angeregt und heiter, ftetö bereit, 
dies oder jenes für ihn zu thun. 

Marianne war nicht unglüdlih; wohl litt 
fie namenlofe Bein, wenn fie ſah, wie Santen 
in feiner Häuslichkeit alles entbehrte, was ihm 
zum Glüde nötig war, wohl war es oft eine 
Qual, die fie faum zu ertragen vermochte, 
wenn er gereizt und unzufrieden, auch gegen fie 
bitter und ungerecht erihien; lag es aber dann 
in ihrer Macht, ihn umzuftimmen, gelang es 
ihr, ihn heiter zu jehen, dann war alles Weh 
vergeſſen. 

Die Briefe an den Großvater ſprachen von 
Befriedigung und Freude an den neuen Beichäf: 
tiqungen, den neuen Pflichten, fie fagten aber 
nicht viel von den neuen Freunden. 

„Ehe die Tannen ihr Winterfleid an: 
ziehen, fomme ich zu Dir — o wie wollen wir 
uns dann des Zufammenjeins freuen. Grüße 
mir aud Gertrud.“ 

Aber es war noch lange bis zu der Zeit, da 
die Tannen ihr Winterkleid anzogen; der Monat 
Juli mit feinen glühenden Sommertagen neigte 
ſich faum dem Ende zu. Santen hatte eine fleine 
Reife angetreten, er wollte die Ausftellung be: 
ſuchen, fein Bild hatte dort viel Aufjehen erregt 
und war bald verfauft worden, man erwartete 
ihn in den nächiten Tagen zurüd. 


Melanie hielt ihren Sommerfchlaf, nur des 
Abends erfchien fie und holte öfters Ferrand und 
jeine Tochter ab, um mit ihr auf die Brühlſche 
Terraſſe zu gehen oder eine Spazierfahrt im 
Mondſchein zu unternehmen. 

Nod immer hatte die Einführung Santens 
und feiner Frau bei Tante Agnes nicht ftattfin- 
den fünnen, Frau von Martin war lange Wochen 
leidend geweſen, hatte niemand, felbft Marianne 
nicht ſehen können; nun war fie wieder wohler 
und jobald Santen zurüdgefehrt, follten die 
Freunde das ftille Heim in der Roſenſtraße 
kennen lernen. Marianne fühlte eine gewiſſe 
Scheu vor diefem Ereigniffe, die Urſache davon 
war ihr jelbjt nicht Klar. 

Sie war an ihrer Staffelei fleißig geweſen, 
hatte gezeichnet und gemalt — wie freute fie 
fih, dies alles dem Zurüdfehrenden zu zeigen. 
Würde er zufrieden fein, würde er Fortichritte 
finden? Alfo in die Zukunft denfend, hörte fie 
plöglid, wie die Thüre der Veranda heftig ge: 
öffnet wurde, raſche Schritte durcheilten das 
Gartenzimmer, fie erhob fich, e8 mußte Santen 
fein; ehe fie noch einen Schritt vorwärts gethan, 
ftürzte er ins Atelier, veifebejtaubt und erhitt, 
in freudiger Erregung feinen Hut auf den näch— 
ften Stuhl werfend, beide Hände ihr entgegen 
reichend. 

„Marianne! nun bin ich wieder bei Ihnen.“ 

Sie aber ſtand bleich und ſtumm an der 
Staffelei, dem erſten Impuls, ſeine Begrüßung 
ebenſo ſtürmiſch zu erwidern, nicht nachgebend. 

Auch Santen kam nicht näher, fuhr mit der 
Hand über die Stirne und ſagte nach einer 
Weile: 

„Berzeihen Sie, ich vergaß mid.“ 

Sein Blid wurde ernft und trübe, fein Ge: 
ficht faſt fo bleich wie das ihre; dann aber fam 
er doch auf fie zu, langſam und ruhig. 

„Waren Sie fleißig?“ fagte er mit fehr 
verändertem Tone und betrachtete ihre Studien. 

Marianne durdhzudte ein wilder Schmerz. 
Sie hätte auffchreien mögen, und in ihrem Her: 
zen rief es laut und immer lauter: „Mein bift 
du und doch bift du's nicht, warum, warum!” 

Endlich hatte fie foviel Gewalt über ſich 
gewonnen, um fich zuzutrauen, ihn anzureden: 

„Und Ihr Bild fommt nicht zurüd? ch 
wünſche Ihnen Glück dazu, mir aber thut es 
leid!“ 

„So wenig Ehrgeiz haben Sie für mich?“ 
fragte er mild und freundlich. 


Mär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden! 


„Das nicht, aber es fehlt mir hier,“ ent: 
gegnete fie beherzter. 

„Es war uns ein guter Kamerad, nicht 
wahr? Nun, id fange ein anderes an. Und 
Sie? Malen Sie immer wieder das Meer, 
haben Sie Heimweh danach, Sie Schwarzwald: 
mädchen?“ Und er feste fich vor die Staffelei. 

„a, das Meer hat es mir angethan,* jagte 
Marianne. „Kennen Sie das Lied: ‚Das Meer 
erftrahlt im Sonnenſchein, als ob es golden wär, 
ihr Brüder, wenn ich jterbe, verſenkt mich in das 
Meer.‘“ 

„sa, ja, ich fenne es,“ fuhr Santen lebhaft 
auf und ſummte eine Melodie vor fih hin: 
„Hab’ immer das Meer jo lieb gehabt, e8 hat 
mit janfter Flut fo oft mein Herz gefühlet, wir 
waren einander jo qut.” 

„Sterben wollen wir aber nicht, Marianne, 
wir wollen leben — leben!“ 

Sie legte ihre Hand auf feine Schulter und 
jagte leife und bejtimmt: 

„Sterben wollen wir nit, wir wollen ar: 
beiten!“ 

„sa, arbeiten,“ wiederholte er mit dem 
Kopfe nidend. „Doc ich muß nad) Haufe, Me: 
lanie weiß nicht, daß ich heute zurüdfomme; 
hier dieſes laſſe ich da, ich brauche es gleich 
morgen, wollte e3 nur jchnell im VBorübergehen 
abgeben. Adieu Fräulein Ferrand, auf Wieder: 
jehen! Dod halt, faſt hätte ich vergefien, ich 
habe Ihnen dies mitgebracht.“ Und er reichte 
ihr eine Photographie hin. 

„Nie entzüdend,* rief Marianne freudig 
aus, „it es ein Nelief? Ab, von Thorwaldien, 
wie erinnert es an Goethes: ‚Wer kauft Yiebes: 
götter.‘“ 

„Er nennt eö die Liebesalter. Sehen Sie 
dort den Korb mit den Amoren, neugierig be: 
trachtet von denen, die nicht wiſſen, was jene find; 
dann diefe Geitalt, die jehnfüchtig die Arme nad) 
dem Kleinen geflügelten Burfchen ausbreitet, 
dieje hält ihn feit am Buſen, damit er ja nicht 
entfliege, diefe trägt ihn weinend nur nod) an 
den Flügeln, und jenem ernjten Manne ſitzt er 
im Naden, ihn beherrichend wie ein Joh, dem 
Greiſe entflieht er.” 

Er hatte ihr das Blatt wieder genommen, 
als er es ihr erklärte, jet gab er es zurüd. 

„So, nun nehmen Sie es, und fuchen Sie 
ſich hr Ebenbild, das meine kenne ich.“ 

Er ging und Marianne vertiefte fich mit 
neuem Ernſt in ihre Arbeit. 


93 


Kaum war eine fleine Stunde verflojjen, 
als ein Magen vorfuhr und Melanie eintrat. 

„sch war bei Tante Agnes,“ rief fie, ſich 
fröhlich in einen Seſſel werfend, ftolz auf den 
föjtlihen Streich, den fie ausgeführt. 

„Melanie, du ſcherzeſt,“ jagte Marianne 
erſchreckt. 

„Ich war bei Tante Agnes, Roſenſtraße 20.“ 

„Aber ſage mir, wie war das möglich?“ 

„Nun, das iſt ganz einfach. Heute beim 
Frühſtück las ich in der Zeitung: ‚Ein Papagei 
zu verfaufen, Nofenjtraße 20°, fuhr natürlid) 
hin, denn ich wünfchte mir nichts fehnlicher, als 
einen Bapagei, fomme richtig an, aber der Vogel 
it eine Stunde vorher verfauft worden; jo geht 
mir's ja immer; ich will wieder fort, leſe nur 
noch unten die Namen der Hausbewohner, da 
jehe ich plößlich — Frau von Martin — kehre 
ſchnell um, laufe hinauf, man öffnet, ich gebe 
meine Karte und werde eingelafjen. Etwas mußte 
ich doch haben!“ 

„Konnte es der Papagei nicht fein, jo mußte 
es Tante Agnes fein,“ jagte Marianne lähelnd. 
„ber jo früh am Tage, die arme Tante.” 

„Sie ift auch ſehr erichroden, fie glaubte, 
es fei euch etwas Wunderbares geichehen, als ob 
man mid) dann jchifen würde! Sie hat fid) je: 
doch bald wieder gefaßt; ich erzählte ihr, wie es 
mir mit dem Papagei gegangen und fie [ud uns 
alle auf morgen Nachmittag ein, vorausgejeßt, 
daß Edgar noch heute fommt. Nun wäre dies 
endlich auch joweit und diesmal habe ich es 
fertig gebracht. * 

Marianne malte eifrig weiter. 

„Dein Gatte ijt zurüd, er legte einiges hier 
ins Atelier.“ 

Die feine Frau jprang auf: „Und das jagit 
du mir jeßt erft. Wie wird er zanfen, daß ich 
nicht zu Haufe war; er wird alles aleich jehen, 
was ich in feiner Abwejenheit kaufte, und eine 
Menge Dinge merken, von denen er nichts wiſſen 
jollte!* 

„Haft du Heimlichfeiten vor ihm?“ fragte 
Marianne in faft verächtlihem Tone. 

Mit leichtfinnigem Adjelzuden antwortete 
Melanie: „Ne nun, zuweilen!” 

„Dann fahre jchnell nach Haufe, denn es iſt 
icon eine Stunde verfloffen, feit er hier war.” 

rau Santen nahm eilig Abjchied. 

Als Marianne ſpäter ihrem Vater von dem 
Beſuch bei Tante Agnes erzählte, erheiterte ihn 
diefer Ueberfall jehr. 


92 


Gy. mußt gegen Abend hingehen, um zu 
724 JE die arme Frau dies überftanden hat,“ 
* Poazıng . 

Zante Agnes ſaß auf dem Balkon, als am 
Abend ihre junge Freundin bei ihr eintrat. Sie 
jah müde und angegriffen aus. 

„sh erwartete dich,“ rief fie jener zu, 
„weißt du, daß Melanie Santen bei mir war?“ 

„Deshalb fomme ich,“ antwortete Marianne. 
„Ich bin unjchuldig daran, Tante Agnes, Me: 
lanie ift unberechenbar. * 

„Und das ift die Frau eures Freundes,“ 
fagte Frau von Martin, „iſt er wohl ſehr glüd: 
lich mit ihr? Bafjen fie zuſammen?“ fuhr fie 
fort, das junge Mädchen forjchend anſehend. 

Marianne errötete bis unter die fraufen 
Haare: „Sie ijt nicht immer fo findifch,“ ent: 
gegnete fie. 

„Ihr fommt morgen alle zu mir; ſagte fie 
dies?“ 

„Ja, aber iſt es nicht zu viel für Dich, liebe 
Tante, bift du wohl genug?” fragte Marianne. 

„Ich wünjche es dringend,“ erwiderte Frau 
von Martin jehr bejtimmt. 

Und fo geichah es. 





Ferrand ging mit feiner Tochter ſchon frühe 
nad der Roſenſtraße, alles war fejtlich herge: 


richtet, Blumen zierten das Zimmer, den Thee: 
tifch. 

„Du vertrittit die Hausfrau, mein Kind, “ 
jagte Frau von Martin. 

Endlid fam auch Santen mit feiner Krau, 


Melanie wie eine alte Bekannte Tante Agnes 


M. Berger, 


„sh weiß nicht,“ antwortete Marianne 
zögernd. 

„Wir ſingen ſehr ſchön zuſammen, gnädige 
Frau,“ verſicherte Frau Santen, „zweiſtimmige 
Volkslieder, ohne Begleitung; komm, Marianne, 
wir ſetzen uns draußen auf den Balkon, das 
wird reizend.“ 

Marianne wußte nur zu gut, da, hatte 
Melanie fih einmal etwas in den Kopf gejeßt, 
fie nicht davon abzubringen war, es ſchien ihr 
klüger, nachzugeben. 

„Wenn du erlaubſt, liebe Tante?“ fragte 
ſie. „Gewiß, gewiß,“ entgegnete Frau von 
Martin, „ich freue mich ſehr, euch zu hören.“ 

So ſangen ſie denn alle die kleinen Lieder 
und es war wirklich lieblich anzuhören. 

„Wie hieß doch gleich das Lied, welches dir 
und Edgar ſo gut gefiel, das Mädchen ſang es 
damals draußen in der Mühle,“ ſagte Melanie, 
ſchon in der Balfonthür jtehend, um wieder ein: 
zutreten. 

Santen erhob ſich fo raſch und heftig von 
jeinem Stuhle, daß die Taſſen auf dem Tiſche 


| flirrten. 


„Edgar, wie hieß es?“ beharrte die junge 
rau, 

„Ich weiß nicht, welches du meinſt, es gibt 
viele Lieder, die mir gefallen,“ antwortete er 


| ungeduldig. 


„Ic was; das eine, ich brachte es dir ja 
auch, Marianne: etwas von einer Heide. hr 


wißt es recht qut. So hilf mir doch jemand, id) 


} 


begrüßend, Edgar, etwas befangen und fürmlich, | 
wie er eö leicht Fremden gegenüber fein fonnte; | 
bald aber verſchwand dies und die allgemeine | 


Unterhaltung war lebhaft und angeregt. 
Frau von Martin ſprach am wenigjten und 


öfter begegnete Marianne ihren Bliden, die 
ängftlich und forjchend auf ihr ruhten und dem | 


Mädchen die gewohnte Unbefangenheit raubten. 
Santen jaß zwiichen ihr und der Tante; Me: 
lanie plauderte eifrig an Ferrand heran, der ihr 
wie immer lächelnd zuhörte und zuweilen einen 
Heinen Sieb verjette, den fie weiter nicht be: 
achtete. Santen erzählte von der Neife, von der 
Ausjtellung, Marianne hörte ihm zu, um fo be: 
geijterter, wenn er eines der Bilder beiprad). 

„Wollen wir Tante Agnes nicht etwas vor: 
fingen?” fragte plöglih Melanie; eine düftere 
Wolfe, die Frau von Martin nicht unbemerkt 
blieb, flog über das Geſicht des Malers. 





möchte willen, ob ich jo unrecht habe, ich finde 
es nämlich entjeglich albern,“ wendete fie ſich zu 
Frau von Martin. 

„Ich hörte dich's erſt neulich fingen, Ma: 
rianne, als ich dich abholte und du im Atelier 
ſaßeſt, in deinen Skizzen herumfuchend. * 

Marianne ſchwieg noch immer. Santen war 
erregt und blidte feine Frau unmutig an. er: 
vand, eine Scene fürchtend, redete feiner Tochter 
zu, das Lied zu verfuchen. 

Marianne blieb draußen auf dem Balkon, 
der noch von den legten Strahlen der unter: 
gehenden Sonne beleuchtet war; im Zimmer 
wurde es faſt dunkel, außer Frau von Martin 
fonnte niemand das junge Mädchen fehen. Sie 
aber ſah wie Marianne, das bleiche Gefiht von 
dem Widerfchein des jonnenvergoldeten Himmels 
beleuchtet, nocdy immer regungslos auf dem 
Heinen Sofa ſaß, die Augen in namenlojer 
Dual nad) oben gerichtet, die Hände Frampfhaft 


Wär’ ich geblieben dod; — Auf meiner Heiden ! 95 


gefaltet. Dann fam es plötzlich wie ein eiferner 
Entſchluß über fie und fie fang mit lauter, 
fiherer Stimme: 


Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden, 
Dann hätt’ ich nichts verjpürt von all dem Yeiden, 
Wär’ ich daheim doch nur, wär’ ich geblieben, 
Dann hätt’ ich nichts gewußt von all dem Lieben! 
Bleiben, ach, darf ich nicht, und kann nicht ſcheiden — 
Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden! 


Sie hatte geendet — einen Augenblid waren 
alle jtill; das Lied war eine Gejchichte tiefiten 
Herzeleids, es war der Aufſchrei eines Herzens, 
das verzweifelnd unterliegt im Kampfe mit fid) 
jelbit. 

Und all dies hatte ein jeder gehört und 
auf jeine Weiſe ausgelegt. 

In dieſe Stille hinein ſchlug eine Feine 
Pendeluhr im Nebenzimmer mit hellem Klange 
eilig jieben Uhr. Melanie horchte und zählte. 

„Zollte um fieben Uhr nicht das Theater 
angehen? Marianne, du weißt noch gar nicht, 
daß wir auch für dich ein Billet genommen haben; 
es wird Othello gegeben, ich freue mich fo jehr | 
auf den Mohr! Müſſen wir nicht gehen?“ fragte 
fie den Gatten. 

Sie hatten alle während diejer Auseinander: 


ſetzung der jungen Frau Zeit gehabt, ſich aus 
den Gedanken herauszufinden, die jenes Yied 
Mariannens in ihnen ermwedt. 

Santen jprang auf, als fünne cr nit 
ſchnell genug ins Theater fommen, Tante 
Agnes ſchien einen Verſuch machen zu wollen, 
Marianne dazubehalten, dieje ſelbſt lief willen: 
los über fich bejtimmen und Melanie erklärte: 
„Ohne dich gehe ich nicht, du mußt mitfommen, 
du gehörft zu ung.“ 

So ſchieden fie. 

Man hörte unten an der Hausthüre den 
Maler einen Wagen anrufen, ſie ſtiegen ein, im 
nächſten Augenblick war der Wagen um die Ecke 
verſchwunden. 

Ferrand und Frau von Martin waren allein. 
. „Wie foll das weiter gehen, Ferrand?“ 
fragte fie errent. 

Er ſchien aus einem Traume zu erwaden: 
„Was weiter gehen?” 

_ „Nun, jehen Sie denn nicht, daß Marianne 
<anten liebt, konnten Sie fo blind fein?“ 

„Marianne — Santen liebt“ ſprach Ser: 
—* nach, als wiſſe er nicht recht, was dieſe 
Worte bedeuten ſollten. 


„Und zu Grunde geht,“ ſagte Frau von Mar— 
tin mit Nachdruck. 

„Ach was, ſo unvernünftig iſt Marianne 
nicht,“ wehrte Ferrand ab. 

„Liebſter Freund, damit hat die Vernunft 
gar nichts zu Schaffen; ich jage Ihnen, dieſe bei: 
den gehören zujfammen, find füreinander ge: 
Ihaffen, und ihre Herzen jtreben einander zu, 
troß dieſer unglüdlihen Frau, die das gerade 
Gegenteil ift von dem, was Ihren Freund alüd: 
lich machen fönnte. Und glauben Sie mir, Fer: 
rand, Santen weiß jehr genau, wie es mit 
Marianne jteht, und fein eigen Herz wird er 
auch fennen. Und nun jagen Sie mir, was ſoll 
daraus werden!“ 

„Ich habe das Mädchen niemals jo fingen 
gehört,” ſagte Ferrand wie zu fich jelbit. „Ueber: 
haupt wenn ich fie vergleiche mit dem Kinde, 
das mir in die Arme flog, als id) vom Reifen 
iprad), dort oben auf ihrem Berge bei dem Alten, 
man follte nicht glauben, daß fie diefelbe ift. 
Agnes, jollten Sie recht haben ?* 

„Sie fragen noch und ſehen dies Tag für 
Tag mit an? Schon lange wollte es mich be: 
dünfen, als müfje in Marianne etwas vorgehen, 
was ihr ganzes Sein erregt, id) wollte aber erjt 
mit eigenen Augen urteilen.” 

„Und Sie meinen, daß diefe beiden ſich wirk: 
lic) lieb haben?“ fragte Ferrand. 

„Um Gottes Willen, Ferrand, wie ſchwer 
Site begreifen! Sic) lieb haben iſt noch ein viel 
zu ſchwacher Ausdruck: fie find eine Ceele ge: 
worden ineinander, fie fünnen fich nicht mehr 
entbehren. Sehen Sie nicht, wie Santens Augen 
eintauchen in die Ihrer Tochter, bis man aus 
Mariannens Augen heraus nichts anderes ſieht 
als fein Bild? Hier muß gehandelt werden, 
Marianne muß; fort, ich aber will mit ihr reden.“ 

Ferrand fuhr fich mit der Hand über die 
Stirn: „So furzfichtig follte ich gewefen fein? S 
vertieft in meine eignen Angelegenheiten, daß 
ich mein Kind aus den Augen verlor? Agnes, 
ich Dachte nur immer an Nora, wenn id Mari: 
anne um mich hatte, und Nora fonnte niemand 
anderes lieben, fte liebte mich!“ 

Er legte feine Hand auf die Augen, dann 
fagte er trübe: „Sie meinen, fie gehören zufam: 
men! Ya, dafür jorgt das Schickſal, daf die ſich 
nicht finden, die zufammengehören,“ jchloß er 
bitter. 

Er reichte rau von Martin die Hand. „Ich 
ſchicke Ihnen das Kind morgen früh.“ Cie wagte 


96 


nichts mehr zu fagen, er fah fo namenlos traurig 
aus und fo hilflos in feiner Trauer. 

„Gute Naht, Ferrand.“ 

Und jo ſchieden fie. 

„Die einen jchütteln ihr Schiefal ab, die 
andern ſuchen ihm zu entfliehen; nur wer es 
auf fich nimmt, als vondem Einen geſchickt, der 
die Menfchenfeelen als fein Eigentum zurüd 
haben will, wenn das Leben gelebt ift, nur dieje 
jind nicht davon überwunden worden — fie blei: 
ben Sieger.” 

Leiſe jagte dies Tante Agnes, als fie allein 
war. 

Ferrand ging nad) dem Theater, er nahm 
ein Sperrjigbillet und trat ein. Er ſuchte im 
Haufe umher, ob er feine Tochter ſähe. Dort 
ſaßen fie in einer kleinen Loge, der Bühne ziem: 
lich nahe; Melanie mit alühenden Wangen und 
glänzenden Augen, in voller findlicher Freude 
andem Ungemwöhnlichen, fein Kind auf dem Stuhle 
zurüdgelehnt, bla, falt, teilnahmlos, hinter ihr 
Santen, düſter vor fi hinſchauend. 

Im Zuwiſchenakte ging Ferrand zu ihnen. 
„Ich möchte Marianne abholen, ſie ſieht ſo müde 
aus und hatte einen angeſtrengten Tag,“ ſagte 
er, fie fragend anſehend. 

„D id gehe gern mit, lieber Vater,“ ant— 
wortete fie lächelnd. „Es it wahr, ich bin müde 
und habe Kopfweh.“ 

„te ſchade,“ rief Melanie, „dann fichit 
du nicht, wenn er ſie erbrofielt, das muß ganz 
grufelig werden.“ 

Santen ſagte nihts. Er reichte Martannen 
die Hand, blidte ihr tief in die Augen: „Gute 
Nacht,“ flüfterte er ihr zu, jo wie man einem 
Freunde, den man lange nicht mehr jehen wird, 
„Lebe wohl“ zuruft. 

„Auf Wiederfehen,“ erwiderte Marianne 
im Tone der Gewohnheit. 

Sie ſprachen nicht viel zufammen auf dem 
Heimmege. Ferrand ſchien anzunehmen, daß 
Marianne fogleih zur Ruhe zu gehen wünſche, 
und begleitete fie nach ihrem Zimmer, fühte fie 
auf die Stirn und gab ihr fchweigend die Hand, 

Nun war fie allen — allein, jeit fie gefun: 
gen und im Liede ihr Geheimnis verraten. Er: 
ihöpft ſank fie auf einen Stuhl, thränenlos 
jtarrte fie vor fih hin, die Hände feſt ineinander 
gelegt. „Nun willen fie es alle, und ich weiß es 
aud) ganz klar,“ jagte fie vor fi hin, „und num 
müfjen wir uns trennen. O hätte das Mädchen 
jenes Lied nicht gefungen, niemals hätte ich fo 


m. Berger. 


deutlich verftanden, was mir im Herzen wunder: 
jelig und namenlos traurig lebte. Nun muß id) 
ſcheiden — und darf nicht bleiben,“ fügte fie 
leife hinzu. „Oroßvater, jo fommt dein Kind 
zurüd, jo müde, fo todesmüde! Mär’ ich ge: 
blieben doch auf meiner Heiden!” 

Am nächſten Morgen beim Frühſtück bat 
Marianne den Vater, ihr zu erlauben, auf ein 
paar Wochen zum Großvater zu gehen. „Lab 
mich noch heute reifen,“ fagte fie eindringlich. 

Ferrand geftand es ihr zu, wußte er doch, 
weshalb fie es wünjchte: „Ich ſelbſt werde dich 
hinbringen. ” 

Bald nachdem ſie fich getrennt, trat ſie beim 
Vater ein, zum Ausgehen gerüftet: „Ich will 
Tante Agnes lebewohl jagen.“ 

So brauchte er fie nicht aufzufordern, rau 
von Martin zu befuchen. 

Das Atelier ſtand offen, als fie vorüber 
fam, fie ging hinein, trat an feine Staffelei, an 
die ihre, räumte ihre umherliegenden Skizzen 
zuſammen, legte die Farben in den Kaſten; das 
Bild lieh fie ftehen. 

„Bielleiht malt er noch etwas daran zum 
Andenten!* 

Dann machte fie jih auf den Weg. 
fam an der Galerie vorüber. 

„Nein, nicht dort hinein, Nichts, was daran 
erinnert.“ 

Frau von Martin begrüßte fie liebevoll, 
ohne Gruß ging Marianne auf fie zu, fie reichte 
ihr die Hand, fie fühte fie; als Tante Agnes 
reden wollte, wehrte jie ihr. 

„Ich weiß, was du jagen willft, o ſage es 
nicht!“ bat fie flehend. „Ich muß fortgehen, 
id will es thun, es iſt ein großes Yeid, was id) 
mit mir nehme. Gebe Gott, daß ich es allein 
trage. Ich hätte das Lied nie gejungen, man 
zwang mid) ja dazu, aber als ich es fingen mufite, 
fonnte ich's nicht anders fingen, und da wußtet 
ihr alles, was ich mir ſelbſt noch nicht einge: 
itanden hatte. O meine Mutter! ich will an fie 
denfen und an das, was du von ihr geſagt 
haft: — erfülle dein Herz mit Geduld, Yiebe 
und Treue — wie ſchwer, wie ſchwer, wenn das. 
Leben jo harte Wege führt!“ 

Ueber die bleiben Wangen floſſen Thränen, 
der Ausdrud des jungen Gejichtes aber war 
fajt ſteinern. 

As Marianne ſchwieg, rief Frau von 
Martin aus: „O dafs ich euch nicht früher ſehen 
fonnte, “ 


Sie 


Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden! 97 


Das junge Mädchen ftrich ihr ſanft über die | duch den Garten ein ins Speijezimmer. Die 
Wangen: „Gute Tante,” fagte es wehmütig | Thüre des Ateliers war geöffnet, Santen ftand 
lãchelnd, „laß mich nur zum Großvater fommen, | vor feiner Staffelei, fie mußte ihn noch einmal 
der wird Schon zu helfen wiffen. Es ift mir gar | fehen, er bemerkte fie ja nicht. Als fie fich aber 
nicht jo traurig zu Mute, nur wehe thut es, | dann leife zurüdziehen wollte, wandte er ſich 
fehr wehe. Es ift, als fei ein großes Net über | um und fam erregt auf jie zu. 

mich auögebreitet, aus dem ich mid) befreien „Blauben Sie, ich wäre fortgegangen, ohne 
müſſe, jebt, wo ich nichts mehr für ihm fein | Sie gefproden zu haben? Und wenn Sie bis 
darf!” zum Abend ausgeblieben wären, Sie hätten mid) 

Und wieder blidten die Augen jo ftarr und | hier gefunden. ch habe Ihren Vater geſprochen; 
teilnahmlos in die Weite. Sie wollen fort —, wiſſen Sie nicht, daß Sie 

„Eine Sünde ift es, jemanden fo lieb zu | alles mitnehmen, was mir das Leben lebens: 
haben!” jagte jie nad) einer Weile. wert maht? Ohne Sie, Marianne, bin ich nidts, 

Frau von Martin. juchte vergebens nad) | Sie find es, die mic) begeijtert, zu neuer Arbeit 
einem Worte, welches klären und tröjten follte, | anfpornt, Sie find es, die mich veriteht und 
und doch konnte fie fich nicht entjchliegen, das | ich brauche Verjtändnis — ich kann dich nicht 
Urteil und den Troft auszufprecdhen, den man | gehen lafjen.“ 
für die bereit hat, welche den Mann liebt, der Er redete wie außer fich, er fahte ihre Hand, 
einer anderen angehört. zog die bebende Geftalt in feine Arme, küßte fie 

Sie fonnte nihts von dem jagen, mas fie | mit Leidenschaft. Ihre Kraft war gebrochen, 
ſich vorgenommen, alles verftummte vor der | fie ließ es mwillenlos geſchehen. Dann fank fie 
heiligen Unſchuld dieſer reinen Liebe. auf einen Stuhl und es war einen Augenblid 

„Leb' wohl, Tante Agnes, ih fomme nun | ganz till. 
nicht mehr hierher. Der Vater bringt mic) nad) Er ftand noch immer vor ihr, fie fühlte feine 
dem Heiligenberg; es thut mir leid, daß er allein | brennenden Blide. 
bleiben joll, aber — ic) fomme ja wieder zu ihm! Sie wußte nichts, als daß fie ihn liebe — 
D es mwird alles qut, dort oben unter den Tanz | grenzenlos, und als fie die Augen zu ihm erhob, 
nen beim Großvater.“ da ſtand's dort zu lejen jo klar. 

Frau von Martin nahm das Kind der reun: „Marianne, nur ein Wort; ſag' mir, einmal 
din in ihre Arme; lange hielten fie fih um: | nur muß ich es hören, jag mir, daß du mid) 
ihlungen, fein Wort wurde mehr aeiprochen. lieb haft —“ 

Ron hier aus wollte fie zu Melanie, fie „D Edgar, wie jehr —“ jagte fie leije, 
mußte Abjchied von ihr nehmen, ihr Weggehen | indem fie die Hand auf feine Schulter legte, da 
jollte fein Entfliehen jein; Santen war ja nicht | er nun vor ihr fniete. 
zu Haufe, er malte dort, wo fie ſonſt auch war. Er bededte die Hand mit Küffen. 

Mühjam ftieg fie die Treppen hinauf, ſchon von „Und doc) willjt du mid) allein laſſen, allein 
weiten hörte jie das Bellen des Hundes, er | mit ihr, die bethören kann, bezaubern, aber die 
war auch der erfte, der fie begrüßte und zwar Liebe des MWeibes, wie fie dem Manne nötig ift 
ziemlich feindjelig. zu feinem inwendigen Xeben, zu feinem äußeren 

„Die gnädige Frau ſchläft noch,“ hieß es. | Schaffen, nicht geben kann, weil fie nur ſich ver: 

Sa das hätte fie ſich wohl denken können. jteht, nur ſich liebt; du willſt mich allein laſſen 

Nod war e3 zu frühe, um den Heimweg an: | mit Melanie?“ 
zutreten, fie wandte fi) nad) dem „großen Gar: „Melanie,* jagte Marianne langjam und 
ten,“ fie ging umher auf befannten und unbe: | dann war's, als käme die ganze Energie, deren 
fannten Wegen. fie fähig war, mit einemmal zurüd. 

Iſt es nicht, als fer ich heimatlos? dachte fie. Sie fprang auf. 

Sie war jo müde. Endlich ſchlug die Stunde, In demfelben Augenblid öffnete ſich die 
ju welder Santen das Atelier jtets zu verlafjen | Thüre der Veranda und Stimmen, die in fchnei: 
pflegte. Marianne kehrte um. Sie mied die | dendem Widerjpruche mit dem eben hier Er: 
großen Straßen, fie wollte ihm nicht begegnen. | lebten ftanden, wurden vernehmbar. 

Der Weg dünkte ihr endlos. Nun ftand fie vor | „Hier werden wir fie finden, die paſſio— 
der Billa, fie jchien wie ausgeitorben; fie trat | nierten Künitler, fonımen Sie nur mit, Yieute: 
1: 


98 


nant Steinbach,“ rief Melanie, „warum wollen 
Sie denn nicht eintreten? Edgar, Marianne, 
feht, wen ich gefunden habe!* 

Umfonjt blidte fih Marianne nad) der Thüre 
um. Das Atelier hatte wohl einen Ausgang auf 
den Flur, diefer aber war von außen verſchloſſen; 
nad dem Speifezimmer ftand die Thüre offen, 
man mußte fie von der Veranda aus fchon be: 
merft haben; ein Entfliehen war unmöglid. So 
ging fie denn den Anfommenden entgegen und 
verjuchte, Lächelnd die Gäſte zu bewillkommnen. 
Melanie blidte fie verftört an: 

„Was ift gejchehen — Edgar?“ rief fie und 
ftürmte an dem Mädchen vorbei ins Atelier. 
Dort ftand ihr Gatte, es war ihm nichts ge: 
ihehen, gar nichts — und doh! Warum ftrömte 
ihr alles Blut nad) dem Herzen, warum blieb 
fie an der Thürfchwelle wie feitgebannt ? 

Ein wunderbarer Gedanfe blitte in ihr auf. 

Zum erjtenmal ſah fie etwas vor fi, was 
nicht greifbar und doch wirklich und ſchrecklich 
war. Gie fing an zu begreifen, was ein Wort 
bedeuten fonnte, welches fie, wie oft, lächelnd, 
fpielend gebraucht — verlieren! War es mög: 
lid, konnte fie Edgar verlieren und ſah ihn dort 
vor fich ftehen? Ein wilder Schrei entrang ſich 
ihren Lippen; umſonſt ftredte fie die Arme nad) 
einer Stütze aus; fie ſchwankte und fiel, und 
Dunkel umfing fie. 

Draußen auf der Treppe der Veranda ſtand 


Lieutenant Steinbach, taufend Entfchuldigungen, | 


taufend Begrüßungen ungejchidt jtammelnd, 
Marianne glitt wie eine Nachtwandlerin durd) 
den Speifejaal auf ihn zu, die Hand hinreichend, 
als fie den Schrei hörend fih umwandte. 

Edgar hielt die Bewußtlofe im Arme, toten: 
blaß wie fie ſelbſt; Marianne nahm die erftarrten 
Hände der jungen Frau in die eigenen: Marmor: 
fälte konnte Eifestälte nicht erwärmen. 

„Tragen wir fie in mein Zimmer und dann 
überlaflen Sie mir die Sorge.“ 

Während dies geſchah, kam Ferrand, der 
die Gartenpforte offen gejehen, durch diefe in 
die Veranda. 

Staumend begrüßte er den Lieutenant, der, 
das Geſchehene erflärend, Abſchied nehmen 
wollte: „Ich dachte nicht im entferntejten an die 
Möglichkeit, Sie hier in Dresden zu treffen, als 
ih mid plöslib von Frau Santen anrufen 
hörte, die troß aller Gegenreden mich mit hier: 
her nahm. Doc ich muß eilen, ich werde er: 
wartet, meine Frau — id bin jeit einigen 


I 
I 








| 
J 


M. Beraer. 


Tagen verheiratet, befinde mich auf der Hoch— 
zeitsreiſe. Es war ein langjähriger Wunſch 
meiner Mutter, die meine Frau ſchon ſeit ihrer 
Kindheit kannte, gewiſſermaßen für mich aus— 
geſucht, fie gehörte den Kreiſen der haute- 
finance von Berlin an,“ brachte er endlich unter 
Zögern und Stottern hervor. 

Ferrand jchüttelte ihm die Hand, und da er 
fah, mit welcher Unruhe der junge Offizier nach 
der Uhr blidte, geleitete er ihn durch den Garten 
nad) der Straße, indem er die Gartenpforte 
hinter ihm ſchloß. Als er nad dem Haufe zu: 
rüdfehrte, begegnete ihm Santen: 

„Ihre Frau fühlt fich nicht wohl,“ redete er 
diejen an; „iſt fie befjer?“ 

„Ich weiß nicht, fie ift mit Marianne,“ 
und der Maler ftürmte an ihm vorüber auf die 
Straße. 

Wieder war Ferrand allein, nicht ohne eine 
dunkle Ahnung davon zu haben, es müfje etwas 
geichehen fein, was feiner ausſprechen wollte. 
Wie er an feiner Tochter Zimmer vorbeiging, 
hörte er diefe leiſe fprechen; feiner Hilfe bedurfte 
feines, fo ging er hinauf in fein Arbeitszimmer, 
die Löſung diefer Nätjel zu erwarten. 

Das aber, was Marianne ſprach und er 
nicht verftanden, Melanie hatte es jtürmifch und 
ungeduldig verlangt. Es waren die Worte jenes 
Liedes: 

Wär' ich geblieben doch auf meiner Heiden! 

Still lag ſie, mit geſchloſſenen Augen lau— 
ſchend; auch als Marianne zu Ende war, ſchwieg 
ſie und ſchaute ſie an: „Du liebſt Edgar, und 
nicht allein dies, er liebt dich auch! Was bleibt 
dann noch für mich?“ 

Thränen liefen die bleichen Wangen herab, 
und die braunen Rehaugen richteten ſich ſtarr 
und fragend auf die Freundin: „Muß ich nun 
fortgehen, zurück zu meinem Vater, oder ins 
Kloſter?“ 

„Melanie, wie kommſt du auf ſolche Ge— 
danken?“ entgegnete ſanft und leiſe das junge 
Mädchen. „Du biſt ſeine liebe, kleine Frau, die 
für ihn ſorgt, die ihm ein ſonniges Heim bereitet, 
in dem er ſich wohl fühlt, die ihn begeiſtert, 
wenn er mutlos wird, ihn tröſtet, wenn ſeine 
Kraft erlahmt, die ihm alles erfüllt, ſich ſelbſt 
vergißt und nur in feinem Glücke lebt, die —“ 

„Halt ein, halt ein,“ rief Melanie, die 
Hände der Eprecdhenden ergreifend, „das thue 
ich nicht, das habe ich nie gethan, das kann ic) 
auch nicht thun!“ rief fie tonlos. 


Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden! 


Marianne hauchte einen leifen Kup auf die 
weiße Stirn der jungen rau: „Das wirft du 
aber jet thun, mein liebes Herz, du haft deinen 
Gatten lieb, dann iſt dies alles ganz leicht." 

„O, es dünft mir jehr ſchwer und fehr viel. 
Marianne, ich fürchte mich vor Edgar. Bleibe 
du bei uns.“ 

„Ich gehe in mein Tannenheim zum Groß: 
vater,“ entgegnete jene. „Morgen jchon, heute 
noch!“ 

Feſter noch hielt Melanie der Freundin 
Hand umfaßt, ohne zu ſprechen, eine Weile 
blieben ihre Augen ſtarr und unverwandt auf 
deren Antlitz haften, dann ſchloſſen ſie ſich und 
ein ſanfter Schlaf löſte alles qualvolle Denken 
mitleidig auf. 

Marianne ſaß an dem Lager wohl eine 
Stunde lang, dann löſte ſie ihre Hand aus den 
Fingern der Schlafenden; es wurde leiſe an die 
Thüre gepocht, Edgar fragte nach Melanie. 

„Sie ſchläft und darf nicht geſtört werden,“ 
antwortete Marianne, ohne zu öffnen. 

So verging eine zweite Stunde. Marianne 
durchlebte noch einmal alles, was in den letzten 
Tagen innerlich und äußerlich in ihr Leben ge— 
treten; wie ſie auch dachte, wie ſie auch fühlte, es 
fonnte nicht anders fein, fie mußte gehen, wenn 
es auch ſchwer war und immer fchwerer wurde 
mit jedem Augenblide. 

Wieder kam Edgar an die Thüre. Diesmal 
ging fie hinaus zu ihm; fie jtattete Bericht über 
den Zuftand der jungen Frau ab, fie fagte ihm 
manches von dem, was fie miteinander ge: 
ſprochen: 

„Ich muß gehen, noch heute gehen. Wir 
müſſen frei werden von dem Banne, der unſere 
Herzen beherrſcht, Sie und ich — und nur die 
Trennung kann dieſe Freiheit bringen. Aber,“ 
fuhr ſie ſanft und weicher werdend fort, „gerade 
das, was Sie zu verlieren meinen, wenn ich 
fort bin, ſoll uns verbinden; in der Kunſt finden 
wir unfere freiheit wieder. Das iſt der einzige 
Hare Gedanke, den ich zu faſſen imſtande bin, 
und jo wollen wir fcheiden, nicht im Sturme der 
Gefühle, die uns irre zu führen rohen — in 
der Klarheit dejjen, was uns gemeinjam bleibt, 
ohne da es Sünde wird.“ 

„Sie haben recht, Marianne, wie immer, 
So müjjen wir fcheiden. Leben Sie wohl!“ 

Ihre Hand ruhte in der feinen. 

„Sehen Sie zu Melanie,“ ſagte fie und 
verließ ihn, um ihren Vater aufzufuchen. 


| 


99 


Am Abend reiste Ferrand mit feiner Tochter 
ab, in wenig Tagen waren fie am Ziel. Der 
Fußweg an den Fällen hinauf war für Ma: 
vianne zu beſchwerlich, fie fuhren bis vor das 
Forfthaus. 

Der alte Bollmann, welchen ein Telegramm 
von der Ankunft benadhrichtigt hatte, hob fein 
Enkelkind aus dem Wagen, prüfend die bleichen 
Wangen anfchauend, fopfihüttelnd die fragen: 
den Blide auf Ferrand gerichtet. 

Gertrud nahm der Heimfehrenden das leichte 
Handgepäd ab und führte fie in ihr altes Zim: 
merchen. Auch fie jah „dem Kinde“ ſcheu und 
ängjtlid nad, es fchien ihr verändert. Aber nie: 
mand wagte zu fragen. 

Ferrand blieb nur wenige Tage. Ehe er 
Abſchied nahm, hatte er eine lange Unterredung 
mit feiner Tochter. 

So ſaßen denn der Großvater und das 
Entelfind wieder zufammen unter den Tannen, 
aber es war nicht mehr wie damals, als es Früh— 
ling werben wollte. 

Die Sommerglut war gelommen und hatte 
vernichtet, was nicht Kraft zu widerſtehen fand 
— in der Natur und im Menschenleben. 

Marianne hatte ihre Farben und Pinjel 
auögepadt und begann fleißig zu malen. Der 
Großvater freute jih, wenn er jeine Tannen 
wiedererfannte. Gertrud verwunderte fich ge: 
bührendermaßen, das war doch noch anders als 
die Vögel und Blumen und die Sterne in des 
Fräulein Zimmer auf weißgetündter Wand. 

„Daß iſt's alfo, was du draußen in der Welt 
aelernt?* fragte er Mariannen. 

Sie ftand auf. 

„Zah uns hineingehen in den tiefen Wald, 
Großvater, ich will dir's jagen.” 

Sie fahte feine Hand, wie ſie's als kleines 
Kind gethan und als fie dort zwijchen den 
ichlanten Edeltannen gingen, begann fie zu er: 
zählen von Santen, von Melanie, von dem Tage 
in der Mühle und von dem Liede bei der Tante. 

„Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden, 
Dann hätt’ ich nichts gefpürt von all dem Leiden,“ 
jagte fie leife. „Und doch, Großvater,“ fuhr fie 
fort, plößlich ſtehen bleibend und ihn mit blitzen— 
den Augen anjehend, „dünkt es dir nicht unge: 
recht, auf ein Glüd verzichten zu müſſen, welches 
einem eigentlich gehört? Hat nicht jeder Menſch, 
einer wie der andere, ein Necht auf Glüd, auf 
Liebe; weshalb muß ich hergeben, was mein 
gehört, weil eine andere es ſich angeeignet hat? 


M. Berger. 


100 


Warum darf ich nicht jagen: verlaß diefen Platz, 
es it der meine. Warum muß Edgar mid) ver: 
gefjen, warum muß ich ihn vergefjen, wenn wir 
edel und gut fein wollen? D wie oft habe ich 
gedaht — hinweg mit allen diefen von Men: 
ſchen feitgefegten Begriffen, ich will befigen, mas 
mein gehört! Dann freilich ſah ich dich vor mir 
jtehen und du fchüttelteft den Kopf und winkteſt 
mir mit ernitem Blide hinweg. D ich fcheue das 
Leid nicht ; ich bin jung und kann damit Fämpfen, 
und ic) habe die Kunſt, die kann mid) freimachen. 
Ich muß lernen und fleigig fein, der Vater hat 
es mir verfprechen müfjen, daß er im Winter 
mit mir nach München geht, und wenn ic) dann 
einmal jo jhöne Bilder male wie er — fie hielt 
einen Augenblid inne — dann fann id; wieder 
ganz glüdlich fein.” Der Großvater fchüttelte 
ungläubig den Kopf: „Mein Kind,“ begann 
er langjam und feierlich, „die Kunft ift etwas 
Schönes und Herrliches, aber ein anderes ift 
es, was did allein vom Leide freimachen fann, 
weißt du nicht, was das ıft? Mir würde feine 
Kunft der Welt geholfen haben, mein einfam 
Leben, aus dem alles genommen ift, was Freude 
und Glüd darin war, weiter zu führen, wenn 
ich nicht die Kunst gelernt hätte, es zu des gro— 
ben Gottes Ehre zu leben, der es mir jo geſchenkt 
hat wie es ijt. Haft du daran noch nicht gedacht?“ 
Da fiel Marianne dem Großvater um den Hals: 
„sa, Großvater, ich wußte, daß ich bei dir das 
Rechte finden würde für Herz und Verftand. So 
will ich denn jtill fein und hilf du mir, daß id) 
es einft vermag, all mein Lieben und mein Kön: 
nen, mein Wollen und Mögen dem großen Gott 
anheimzujtellen, dann kann ich auch vielleicht wie 
du mein Zeben zu Ende bringen zu Gottes Ehre.“ 
* * 
* 

Mehrere jahre find vergangen. Ferrand 
lebt mit feiner Tochter in München, wo Martanne 
ernfte Studien gemacht hat. Mit rajtlofer Ener: 
gie und eifernem Fleiße arbeitet fie. Man be: 
glückwünſcht den Vater zu dem Talente der Tod: 
ter. Er hat nur ein wehmütiges Lächeln zur 
Antwort. Keiner begreift den teilnahmloien 
Mann. Keiner weiß, daß fein Herz trauert um 
das friſche, fröhliche Kind, das er vor nicht fo 
langer Zeit vom Heiligenberg geholt hatte, wenn 
er jet die ernite, bleihe Jungfrau unermüdlich 











. — nn —— — — — — — — ——— — — — 


arbeiten ſieht und ihm der feſt geſchloſſene Mund 


und der tiefe Ernſt auf ihrer Stirne von neuem 


auffällt. Es iſt des Morgens früh. Marianne 


| 


‚tritt ein, 


Wär’ id; geblieben dod; — Auf meiner Heiden ! 


bereitet den Thee am Frühſtückstiſche, ihr Vater 
Zeitungen und Briefe in der Han, 
auch für fie find zwei dabei. 

„Bon Tante Agnes,“ ruft fie erfreut, und 
legt das zweite Couvert weg. Erſt nachdem jie 
manches aus Frau von Martins Schreiben dem 
Vater vorgelejen, öffnet fie den anderen Brief. 
Zwei Blätter entfielen demfelben, das eine davon 
war jorglich in ein kleines Couvert gelegt. 

„Bon Lieutenant Steinbach,“ jagt Mari: 
anne erjtaunt, doch je weiter fie lieft‘, um jo 
mehr ſcheint der Inhalt fie zu bewegen. 

Langſam fallen Thränen aus ihren Augen, 
ohne zu reden, gibt fie den Brief Ferrand, nun 
das andere Schreiben zur Hand nehmend. 

Sie öffnet es nicht gleich. Sie blidt vor 
fih hin, als ſähe fie Geftalten aus weiter Ferne 
eritehen und vor fie hintreten. Vorſichtig legt fie 
dann das Blatt auseinander, leife ftreicht fie 
darüber Hin, es waren nicht viel Worte, die 
Handſchrift unficher und ſchwach. Dies war zu 
lejen: 

— „Marianne! Einen legten Gruß und eine 
legte Bitte. Ich weiß, daß du fie erfüllen wirft; 
drum kann ich ruhig fterben. Steinbad) jagt dir, 
was zu jchreiben ich nicht die Kraft habe. Das 
Kind heißt Marianne wie du, möge es dir ähn: 
[ich werden. Edgar. * 

Ferrand blidt die Tochter an, als er den 
Brief zu Ende gelefen: 

„Melanie elend umgefommen, nachdem ſie 
um des Spieles willen Mann und Kind vernach— 
läffigt, Santen geitorben am römifchen Fieber 
oder wahrſcheinlich an fieberhaftem Ueberarbeiten, 
während der gute Lieutenant mit feiner reichen 
Frau in fühem Nichtsthun profperiert. Das iſt 
was ſie Leben nennen! Und du, mein Kind, 
was haſt du beſchloſſen?“ 

Kannſt du fragen, mein Vater,“ entgeg— 
nete Marianne mit einem wunderbaren Leuchten 
in den Augen. 

„Aber deine Kunſt,“ wollte Ferrand ein— 
wenden. 

„War fein Vermächtnis, wie es num jein 
Kind iſt. Laß mich an der Heinen Marianne gut 
machen, was das Yeben Schweres für ihren 
Water brachte.“ 

Ferrand fühte die gerötete Wange feiner 
Tochter: 

„Die Liebe ift eine gewaltige Macht. Für 
das Weib iſt fie das Verhängnis oder die Er: 
löfung.“ 





FSrühblingsboten. 
\ Dan 


&. Baldamus. 





a im „Dunklen“ Erdteile — der gar 
nicht fo dunkel ft, wie das modiſche Epitheton 
vermuten läßt — ging es kurz nach Neujahr auf den 
meteorologishen Stationen der befiederten Nitro 
nomen gar lebendig zu. Das war cin Negen und 
Nühren, ein Blaufchen und Plaudern, cin Jauchzen 
und Jubilieren, wie cs felbit in der ſanguiniſchen 
Vogelwelt nur cin großfrohes Ereignis zu erzenaen 
vermag. Und ein ſolches hatte ſich allerdings für 
die Wintergäjte des vajten Erdteiles vor kurzem zu. 
getragen: die Lebenswederin alles Irdiſchen, Die 
Liebe Sonne, jchritt zufchends dem Norden zu, um 
ihm den ſchönen Frühling zu bringen. Den Früh 
ling! Weißt du, o Menſch, was dies offenbar der 





Bogelfprahe entjtammende Wort für Die aufertropifce — = 





Vogelwelt bedeutet? Diesſeits und jenfeits Der Wendekreiſe: — | N 
Frühling ift Grimmen und Blühen und Duften, iſt Tichten und ae 
Eingen und Jubeln, ift Heimat, Yiebe, Mutterluft und Mutter: i 


laft, iſt alles, 


was das Wogelherz Größtes 


und 1 


Herrlidites in jih fat. Und nun gar Frühlingsahnung! 


Zuerft war fie über die Wintergäfte des 
Südens gefommen. Im Kaplande, an den ſchö— 
nen freien Ufern des Dranje und Limpopo, rings 
um den Ngamijee begann es allmählich Fühler 
zu werden — die Sonnenjtrahlen fielen fchräg 
und fchräger. Bald merken's auch die anderen, 
die weiter nördlich Winternden, daß die Sonne 
auf der Fahrt nach dem Norden tft, nad ihrem 
Heim. Und hätten fie es noch nicht gemerkt, die 


Gäſte der großen Seen und der großen und 
Heinen Flüſſe des kompakteſten aller Erdteile: 
ihre füdlicheren Genoſſen erinnern fie um fo 
lebhafter daran. 

Vieltaufendftimmig ertönt in der Morgen: 
frühe ihr Mahnruf. Am Congo, am Niger und 
am hundertarmigen Nil. „Wißt ihr's nicht? 
Ahnt ihr's nicht, ihr Träumer? Der Frühling 
hat feine Wanderfhaft angetreten! Er zieht 


102 


mit der Sonne nad Norden! Nach Norden in 
unfere Heimat! Auf! erwacht, macht Platz, rüdt 
weiter, ihr Glüdlihen, die ihr vor uns fein 
Nahen verfündigen dürft! Und grüßet, grüßet 
unfer gejegnetes, feliges Daheim! Bald ziehen 
wir jubelnd euch nach! Ade, ade, und vorwärts! * 

Und am Tage und am Abend und in der 
Naht wird 
eö lebendig 
über dem 

dunklen 

Erbteile. 
An feinen 

tiefigen 
Wafleritra: 
Ben entlang 
eilt alles 
nad Weiten 
und Nor: 
den, was in 
dem buch— 
ten: und bil: 
dungenrei: 
chen Europa 
jeine Heimat 
weiß — im: 
mer neue 
und unger 
zählte Echa: 
ren rüden 

nah — 
rüden mei: 
ter bis zur 
lanageitred- 
ten Nord: 
küſte Afri— 
kas. 

„Sie kom— 
men, ſie ſind 
da — ju— 
belte einjun: 
ger Feld— 
lerchenherr, der mit den Seinen zwiſchen 
Senegal und Gambia überwintert hatte und vor 
einigen Tagen nad) Tunefien vorgerüdt war, 
feinem Bräuthen zu — fie find da und nun 
geht's fort über das blaue Meer!” 

„Und dann — dort —“ 

„Und dann?“ wiſperte verfchämt die ſchlanke, 
junge Braut. 

„Du weißt es ja, du meine fühe, herzige 
Liebe! Nach unferer trauten deutfchen Heimat 





E. Baldamus, 


geht es — und dann — bort gründen wir un: 
feren glüdlihen, unferen erfehnten Hausftand. 
Ha, welde Wonne, wenn wir über der grünen- 
den, blühenden Wiefe ſchweben werden, deren 
zartes Laubdach die Wiege unferer Kinder — * 
„O finge mir das ſchöne Lieb,“ unterbrad) 
die glüdliche Braut und lehnte ihr Köpfchen an 
die Schulter 
bes Gelieb: 
ten, ſinge 
mir das rei- 
zende Lied 
vom ‚grünen 
Wiejenplan‘ 
das du neu: 
lich gedich— 
tet haſt, o 
Lieber.“ 
„Ach ja, 
Her von 
Alauda, ‚Ti: 
rili, tirila, 
nun find wir 
wieder da‘ 
bitte recht 
ſehr! Sie 
fingen es ja 
ihon recht 
leidlich, Ver: 
ehrtejter! 
Und drüben 
wird ed nod) 
fehr viel bej: 
fer gehen! 
Hm! Und 
was ich fer: 
nerbemerfen 
möchte: jehr 
viel beſſer 
Hingt es 
doch, als das 
eintönige, 
geſchmackloſe Geleier der Wüſtenlerchen hier 
herum, eurer ſand- und lehmfarbigen Vetter— 
ſchaft. Aber natürlich, ſehr natürlich! Denn 
wie wir Lateiner ſagen: Quale vinum, tale 
latinum! Dieſe jämmerlichen Sand- und 
Steinwüſten, und unſer herrliches Wald- und 
Wieſengrün; dieſes brackige Lagunenwaſſer 
und unſere klaren kühlen Quellenbäche, dieſe 
rieſigen hartgepanzerten Käfer, Schnecken 
und —“ 





Srühlingsboten. 


„Ah! unfere verehrte Gutsherrſchaft,“ unter: 
brach fih Herr Sprehe:- Star diesmal felber. 
Bevor wir jedoch diefe großen Reſpekts— 
perfonen dem freundlichen Leſer vorzuftellen die 
Ehre haben, müfjen wir wohl die Anweſenheit 
des rebjeligen Herrn Sprehe:Star in Tunefien 
erllären. Der merkwürdige Kauz mar, vor 
fünf Jah: 
ven, vorzei⸗ 
tig feinem 
Häuschen 
entichlüpft 
— am 30. 
Mai war's 
— und ins 
najie Gras 
gefallen. 
Dort hatte 
den durch⸗ 
näßten, 
froſtzittern⸗ 
den Neſtling 
ein Knabe 
gefunden 
und ſeinem 
Vater ge— 
bracht, der 
ihn zwiſchen 
Rock und 
Weſte er— 
mwärmt und 
getrodnet 
hatte. Nach 
faum einer 
Stunde 
munbeten 
ihm ein 
Dutend 
Mehlwür—⸗ 
mer ganz 
vortrefflich, 
und von Stund’ ab zeigte er eine rührende 
Anhänglichfeit an feinen Wohlthäter, der ihn 





frei in Haus und Garten umberfliegen und mit 


den legten Nachzüglern gen Süden ziehen lief. 
Herr Star, der feinen erjten Winter in Süd— 
italien und Sizilien zugebracht und dafelbft den 
Namen eines Sign. Stornello geführt hatte, 
war im nächiten Februar zu feinem Netter zu: 
rüdgefehrt, befuchte dann in den nächjten Min: 
tern unter dem Namen Mr. V’Etourneau die 





103 


betta und Südfranfreih, dann Spanien und 
Portugal und war in diefem Winter als Bericht: 
erjtatter und Interviewer nah Tunis gegangen. 
Was nun Herrn Stars „verehrte Butsherr: 
ſchaft“ anlangt, fo hatte ſich diefe jocben aus 
einer größeren Gefellihaft „ver Geſellſchaft“, 
welche in unnahbarer Höhe ihre Kreife zog, in 
Doppel- 
ichrauben: 
mwindung 
ganz in der 
Nähe unfe: 
rer Heinen 
Befannten 
nieder: und 
herabaelaj: 
jen. Diefe 
aber wußten 
fehr gut, daß 
die großen 
Leute den 
Zanf und 
Etreit der 
Heinen zu 
benugen 
pflegen, um 
beide Teile 
zur gerechten 
Strafe und 
im Namen 
des Natur: 
geſetzes zu 
verſchlucken. 
Diesmal ge: 
ihah dies 
nun zwar 
nicht. Ein: 
mal, weil 
Herr Star 
zwar unge: 
wöhnlic) 











laut und deutlich geiprocden, aber doch ganz 


friedlich und feineswegs aggreſſiv; es handelte 
fich ja in der Fremde aud) nicht um Wahlen! 
Dann aber auch, weil zur Zeit ein erfledlicher 
Neptilienfond in Tuneſien vorhanden, welcher 
den Schlund der Herrſchaften bei weitem glatter 
paffierte, alö das Federvolk. Endlih — wir 
müfjen den hochbeinigen und Tangfchnäbeligen 
Boruflen, welche nur durch das Not der eben 


' bezeichneten Extremitäten fich als Angehörige 
herrliche Riviera, die Ahnen des Herrn Gam- | 


des Deutfchen Reiches dofumentieren, Gerechtig— 


104 


feit widerfahren lafjen — endlich freute fich doch 
das gutöherrliche Ehepaar fichtlich des Jufanmen: 
treffens mit ihren heimatlichen Hinterfajjen in 
der Fremde, wenn es auch daheim die nötige 
gefellichaftliche Neferve beobachten mußte. 

Das geht nun einmal jo in der lieben Vogel: 
welt ! 

„Auch bereits zur Neije gerüftet ?* jchnarrte 
Herr von Klapperſtorch-Weißenſtein herablafjen: 
den Tones. 

„Freut mich ſehr, Sie hier verfammelt zu 
finden,“ fügte, das ‚ehr‘ offenbar bereuend, die 
ſpitznaſige Frau Gemahlin hinzu, und reichte 
dem Größten unter den Kleinen die äuferjte 
Spitze des Mittelzehes zum Gruß. 

Herr Sprehe:Star fette ſich eben in Pofitur 
— und das verjtand er gründlich — um in eine 
Flut von Dank: und Ergebenheitäverficherungen 
unterzutauden, als Herr von Klapperjtord den 
langen Schnabel öffnete. 

„In 14 Tagen it Petri Stuhlfeier. Da er: 
wartet uns unfer liebes Schwaben. Noblesse 
oblige! fertig alfo, wer unter unferer ‘Bro: 
teftion reifen will!“ 

„Sehrgnädig, “ ftammelten hochbeglückt Herr 
Star und der Lerchenjüngling. „Wir erwarten 
nur noch,“ ſetzte diefer hinzu, „unjere Verwanb: 
ten und Reifegefährten, Heidelerches, Wiefen- 
piepers.“ — „Ya und Hausrötlings und Wipp: 
jtärts,* fiel Star ein, „die übrigens, wie uns 
joeben der Sahara: Kernfpredher Stephans mel: 
det, famt den Fitifjen der gelben und braunen 
Linie, noch heute eintreffen werden." — — 

Wer zählt die Myriaden fehnfüchtiger Vogel: 
herzen, welde am Abende diejes Tages der 
Heimat entgegenflopfen! Der ganze weite Strand 
von Tanger bis Suez ift bededt von Scharen, 
groß und Hein, welche die eriten fein wollen, 
drüben jenfeits des Mittelmeeres den nahenden 
Lenz zu verfündigen, und ihre altgewohnte oder 
neu zu erfämpfende Heimftätte zugemwinnen! Wie 
fernes Gemitterrollen flingt es bei den erften 
Flügelichlägen. 

Auf! Empor! Hinüber! Nur drüben blühen 
Lenz und Liebe! 

Drüben aber im ſchönen Schwabenlande war 
der Vorfrühling diesmal fhon recht früh ein- 
gezogen: ſchon einen oder zweit Tage vor Petri 
Stuhlfeier. Mit den Schneeglödchen und Schnee: 
tropfen und den goldgelben Chriftwurzröschen 
waren die Vorpoften der Feldlerchen und Stare, 
mit den blauen Märzblümchen und den Lerchen— 





€. Baldamus, 


jporntrauben Heidelerchen und Wiefenpieper den 
bedächtigen Störchen vorangeeilt. 

Ein altes, kleines, fauberes Städtchen mit: 
ten in Schwaben und in fprofjendem Wiefen: 
und Gartengrün. Und darin eine alte Kirche mit 
alten, geräumigen Turme, und gegenüber das 
alte gotische Nathaus mit geräumigem Keller, 
und über dem Ganzen die helle, warme, wohlige 
Sonne von Petri Stuhlfeier. Das war ein 
Sonnenſchein, wie ihn Robert Reinick geſchildert 
hat. Durch alle Thüren und Fenfter drang er 
und jtahl ſich in alle Herzen hinein. Zumal auf 
die hohen hellen Fenſter der Schulftuben hatte 
er's abgeſehen, daß jie wie von felber aufiprangen. 
Und die Buben und die Mädchen fpringen auf 
und jtürzen hinaus auf Straße und Markt — 
und die Yehrer hinterher. Selbſt in das enge 
dunkle Herrenftüble des Ratskellers drängt er 
ſich hinein und ſchürzt und ſchürt und fchärft den 
Alltagsdurft der ehrfamen Bürger beim Früh— 
ihoppen. Aber fein Meifterftüd führt er doch 
im Turmftüble des alten Stadtpfeifers aus. Der 
lugt am Südfenfter ins Himmelblau; am weſt— 
lichen jtehen zwei, die jollen und wollen nad 
Weſten Ichauen — und fie thun’s auch wirklich 
einmal — und: „Vater, die Trompete! Sie find 
da! Da find fie!“ jubeln die zwei und bliden 
ſich glüdjelig in die Augen. Schon hat der Alte 
die Trompete an die welfen Lippen gepreßt, da 
reichte er fie dem jungen braunlodigen Manne: 
„Nein, ich Fann doch nicht Abſchied blaſen! Der 
Ton möchte zittern vor Wehmut, heute, wo id) 
zum fünfzigiten Male — bier, nimm hin, mein 
braver Sohn! Zum Anblafen unferer lieben 
Störche gehören freie Zungen und fejte Lippen!“ 

Drunten aber in den jonnigen Straßen hatte 
man die wohlbefannten Töne vernommen und in 
die Häufer waren fie eingedrungen, und jubelnd 
jtürzte jung und alt hinaus in den Sonnenjdein 
auf Markt und Straße: „Der Stord) iſt fommen! 
Der Storch iſt da! Unfere Störhe! Willtommen, 
willfommen!“ 

Ueber allem Sang und Jubel hatten die 
Leute gar nicht bemerkt, daß die Iuftige Trom: 
petenfanfare heute jo ganz anders Hang. Das 
war ein frijcher, feiter, fröhlicher Ton und der 
doch jo ganz eigen vibrierte. 

Droben auf dem Kirchdache hatte fich in: 
zwijchen das gefeierte Paar niedergelafien, um 
von hier aus mit würdiger Bejcheidenheit die 
Huldigungen der guten Heimatjtadt entgegenzu: 
nehmen, welche ihm reichlich dargebracht wurden. 


$rühlingsboten. 


„ Voyez Madame*, jagte Herr von Storch, 
der noch immer bei feierlihen Gelegenheiten 
einige franzöfifche Broden als zur Repräjentation 
gehörig betrachtete. „Sehen fie nur, rau Ge: 
mahlin, wie uns unfere gute Heimatjtabt ehrt 
mit Sang und Klang! Der Empfang unjerer 
braven lieben Landsleute läßt ma foi nichts zu 
wünſchen. Drüden wir ihnen denn in gewohnter 
würdiger Weife unjern Dank für ſolches Will: 
fommen aus, indem wir ihnen ein richtiges 
Storchenduett klappern!“ 

„Ich danke, Herr Gemahl,“ erwiderte Frau 
von Storch etwas pikiert, „ich danke! Klappere 
du nur allein!“ 

„Aber Frau, was haſt du? Was ſoll ich von 
dir denken?“ fragte der Herr Gemahl, der ſofort 
aus dem ‚„Bejellihaftstone* fiel, wenn feine rau 
Gemahlin übler Yaune war. „it das eine Früh: 
lingsſtimmung, wie wir fie doch heute ganz be- 
fonders empfinden müfjen, da wir —“ 

„Frühlingsſtimmung?“ unterbrad) die Gat: 
tin. „Woher foll fie mir fommen? Stehen wir 
nicht fhon eine halbe Stunde lang auf dieſem 
langweiligen Kirchendadhe, und haft du dich auch 
nur einmal nad) unjerem Haufe umgejehen? hajt 
du — 

„Ei potz! Nein, ich will meiner Würde nichts 
vergeben. Aber galt ihm denn nicht unfer erjter 
Blid, als wir im goldenen Sonnenfchein unfere 
Kreife über diefer Stadt zogen?” 

„So? Nun, ich habe nichts von diefem Blide 
bemerft.“ 

„Aber, liebe Frau!“ 

„Ja, ja! Deine Blide galten nicht der Wiege 
unferer Nachfommen, die doch jedenfalls der Aus— 
befjerung bedarf. Sie galten —“ 

„Nun, Madame, fie galten?“ 

„Thue nur nit fo unſchuldig! Ich hab's 
wohl bemerkt, fie galten, ja, ja, fie gelten — 
denn eben blidjt du wieder nad ihr — ber 
ihmuden Türmertochter galten und gelten fie! 
Lache nur nicht, du Treulofer!” rief fchluchzend 
die arme Frau. 

Und leider hatte fie recht, die arme rau. 
Ihr Herr Gemahl blidte noch eben mit fichtlichem 
Wohlgefallen auf die ſchmucke blonde Dirne 
hinab, welche in freudiger Erregung dem Nats: 
feller zufchritt, um den althergebradhten Labe— 
trunf für ihren Vater in Empfang zu nehmen, 
mit welchem die Stadt die Verfündigung des 
Stordeneinzuges lohnte. Auch weiblich gelacht 
hatte Herr von Storch troß des Schluchzens feiner 


— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — 


105 


armen rau; auch dies müſſen wir leider be: 
ftätigen. Dann aber hatte er das linke Bein 
unter die federn gezogen, wie er ftetö zu thun 
pflegt, wenn er Gehirn oder Schnabel in ernite 
Thätigkeit zu jeben vorhat, und der armen rau 
eine Gejchichte erzählt, welche fie volljtändig be: 
ruhigte. 

Eine Frühlingsblume nad) der andern hatte 
fich entfaltet, den ſelten jhönen März und die 
erite Hälfte des April hindurd. Den Veilchen, 
Primeln und Anemonen war die Sippe der 
Ranunfeln gefolgt. Im Garten blühten Nar— 
ciſſen, Syacinthen und Frühtulpen. Und mit 
jeder neuen Blüte, mit jedem neuen Dufte zogen 
auch neue Klänge durch die laue feuchte Lenzluft. 
Die große Mehrzahl der Sänger — und unter 
ihnen mander Virtuoſe erjten Ranges — war 
bereits von Strich und Zug heimgefehrt und ver: 
einigte fih mit dem zurüdgebliebenen Stamme 
des Frühlingsorcheſters zu den täglichen Proben 
für die große Yenzfantate, welche am 10. Mai 
ihrer Generalprobe entgegenfah und am 12. des 
Wonnemondes zur Aufführung fommen jollte. 
Früher war dieſe troß des zeitigen Lenzes nicht 
wohl zu ermöglichen; denn einige Hauptjoliften 
des gefiederten Orchefters find von Natur fo zart: 
bejaitet, daß fie jedes rauhe Lüftchen fcheuen, 
oder vielmehr jo verwöhnt, daß fie nun einmal 
vor dem 8. Mai nicht eintreffen, oder doch nicht 
bei Stimme find.“ 

„Einen ganzen Korb voll Neuigkeiten, liebe 
Frau,“ klapperte Herr von Storch feiner Gattin 
zu, welche bereits jeit einigen Tagen auf vier 
großen weißen Eiern jaß und von der Zukunft 
ihrer Kinder träumte. „Zunäcjt aber laß mic) 
dein Frühſtück auspaden, meine Teure! Dies: 
mal ift es nicht fo übel und wird, hoffe ich, deinen 
Appetit reizen. Ich jehe, du haft da noch die drei 
Taufröfche vor dir liegen. Auch die fette Ringel: 
natter haft du nicht angerührt. Nun, was jagt 
du zu diefem Häschen und diefem breitägigen 
Entchen? Mit diejer Karauſche nimm dich ein 
wenig in acht, von wegen der Stachelflofjen, du 
weißt ja!“ Unter foldhen Reden hatte der fürjorg- 
lihe Gatte all die Herrlichfeiten vor der Gattin 
ausgebreitet und mit einigen blauen Sumpf: 
BVergifmeinnichtzweigen und Maiblümchen zier: 
lid) befrängt. 

„Es find die erjten; ich habe fie am Wald: 
rande für dich gepflüdt, meine Teure,“ fuhr der 
galante Gatte fort, indem er der Teuren einige 
der Maiblumen über die Naje hielt. 

14 


106 


„Und nun meine Neuigfeiten! Alfo eritens: 
übermorgen iſt Polterabend droben auf dem 
Turme. Der junge Trompeter hat fur; nad) 
Petri Stuhlfeier das Patent als zünftiger Stabt- 
mufifus auägeftellt erhalten. Die Väter der 
Stadt haben die jhmetternde Anzeige unferer 
Ankunft nad Gebühr zu würdigen verjtanden. 
Am felben Tage natürlich ftille Verlobung der 
blonden Babette mit dem braunlodigen Künftler, 
aber doch nicht fo ftill, daß Tauben, Dohlen und 
Segler, welche den alten Turm bewohnen, nichts 
davon bemerkt hätten, und da die drei unge: 
fiederten Turmbewohner den gefieberten ftets 
freundlich gefinnt waren, jo machte Frau Dohle 
den Vorſchlag, die ganze geflügelte Stadtmufif 
aufzufordern, den Hochzeitstag durch ein großes 
Konzert zu feiern. Frau Dohle ſprach wie ge- 
wöhnlich jo beredt und mußte ihre Rede mit 
ihren wafjerblauen Augen jo eindringlich zu be- 
gleiten, daß ihr Vorjchlag allgemeine, und id) 
fann wohl jagen freudige Zuftimmung fand. 

„Und fo iſt denn morgen die erfte Probe im 
Buſchgarten der Wirtſchaft zur Nedartraube, 
woſelbſt das Hochzeitsfeſt gefeiert werden foll, 
anberaumt worden. Auch ich Habe auf Anfuchen 


€, Balbanıns, 


Sröhlingsboten. 


des Komponijten, welcher die geiftreiche Anfıdı 
ausſprach, die Klapper habe das gleiche Anrecht 
auf mujfifalifh=tieffinnige Verwendung, als 
3. B. Peitſche und Beden, und befonders bei 
Hochzeitsmärſchen aud) eine tief finnige Bedeu: 
tung. Ja, meine Liebe, unfer Jnftrument fommt 
noch zu Ehren! Ich werde es aber auch tüchtig 
üben, um den beabfihtigten Effeft nicht abzu— 
ſchwächen.“ 

„Hörſt du? die andern üben gleichfalls! Ah, 
Herr Nachtigall! Er iſt doch der Meiſter, der 
unübertroffene, unübertreffliche! Und dort das 
prächtige Grasmückentrio! Und hier unter uns 
im Stadtgraben der Sumpf- oder Gartenſpötter 
— und über der Wieſe die Feldlerche — und 
am Waldhange die Heidelerche — und Sing— 
droſſel und Amſel und — — O, da muß ich 
auch einſtimmen.“ 

Und Kopf und Schnabel auf den Rücken 
ſtemmend, klapperte Herr von Storch ein be— 
geiſtertes Solo, das ebenſo deutlich, wenn auch 
weniger melodiſch, als die übrigen Sänger, den 
Lenz und die Liebe und das Leben, das Wonne 
leben des Grünens, Blühens und Singens der 
Natur zu preifen verſtand. 








Der Sammler 





2 Bur Beifgefhichte. &» 


Bereinswefen. 


9% erfte Generalverfammfung des 
Dentichen Kolonialvereind tagte 
am 5. Januar in Frankfurt a. M. Der 
PVräfident, Fürft zu Hohenlohe · Langen · 
burg, wies darauf bin, daß zwei Unter ⸗ 
nehmungen den Vorſtand in erſter Linie 
beihäftigten, der Plan Haſſes zu einer 
Eriäliefung Paraguays im Intereffe ber 
deurichen Voltswirtihaft und die deutfchen 
Tempterfolonieen in Syrion. Der Berein 
om diefen erften, wirklich deutſch ger 
liebenen Kolonien, denen die Mittel zu 
raiherer Entwidelung fehlen, durch ein im 
Heimatlande aufzubringendes - Darlehen 
unter die Arme zu greifen. 

Die Begründung eined Weitdeut- 
ſchen Stanalvereind Fund am 5. Januar 
in Miüniter ftatt. em un von 
Sagemeijter, Oberpräfident: von Weit» 
phalen, Vorfitender: Dr. Natorp in Efien. 


Theater und Muflk. 


er Bigennerbaron ift der Titel 

einer lomilhen Oper, die Strauß 
gegenwärtig fomponiert und deren Libretto, 
von Maurus Joiai verfaht, eine biftorifche 
Aneldoie aus der Geſchichte Wiens zum 
Oıgenitande bat. 

„Der Richter von Zalamea’ als 
Oper ift in Euvers (Belgien) über bie 
Bühne gegangen. Berfaljer des Text 
buches find Armand Silvejtre und Detroyat, 
die der Erfolg des Calderonſchen Stüdes 
in Deutidland x ihrer Arbeit veranlaft 
dat. Die Mufit lomponierte der Belgier 
Benjamin Godard. 

„Der Mohr des Zaren‘ von Ric. 
Doh hat, wie jeinergeit in Münden, aud) 
im Stadttheater zu Hamburg eine jehr 
beifällige Aufnahme gefunden. 

Der Fürft Nikita von Monte- 
negro hat rin dreialtiges Drama: „Die 
Balfanfaiierin“ verfaßt. 

Im Breöfauer Stadttheater errang 
am 10. Januar „Penelope“ ein vieraftiges 
Luffpiel von Oxlar Auftinuß, einen vollen 
Grioln. Die Stritit rühmt einftimmig das 
Feſſelnde der in dem Freiheitskriegen ſich 


abjpielenden Handlung und die Feinheit · 


der Diction. 

Zur Säfufarfeier ber erften Auf- 
führung von Schillers „‚iedco in 
Mannheim ift in Mannheim und Leipzig 
das Trauerfpiel in der Faſſung, die es 
vor hundert Jahren hatte, zur Aufführung 
gebradjt worden. 

Flotows nachgelaſſene Oper: „Der 
Graf von St. Megrin* ift bei ihrer erften 
Aufführung in Köln jehr freundlich aufs 
genommen worden. Die Muſit ift durd- 
weg welodiſch. 

Dslar Blumenthals Probepfeil 
ift auch am Lobetheater in Breslau und 
am franfjurter Stadttheater mit entſchie· 
denem Erfolg gegeben worden. Die Kritik 
rühmt die feine Intrigue und den von 
Kalauern nirgends beeinträdhtigten geiſt - 
reichen Dialog. 

Sapellmeifter Dtto Drache in Dred« 
den wurde zum Mufifvireltor am tönigl. 
a daſelbſt ernannt. 

herefe Malten, Aönigl. Kammer: 
fängerin in Dresden, erhielt vom Herzog 
von Sachſen · Altenburg die goldene Ver» 
dienftmedaille für Kunſt und Wifjenihaft. 

‚Zofephine Gallmeyer, unter dem 
Namen: „vie feihe Pepi” der Liebling 
der Wiener und überhaupt aller, welche 
fi) an dem uriprüngliden und genialen 

umor dieſes weiblichen Komilers irgend 
einmal ergöken durften, ift am 3. Februar 
in Wien einer ſchweren, unbeilbaren Stranf« 
heit erlegen, die bereit 1882 von Pro» 
ſeſſor Älbert als Neubildung in der 
Beckenhöhle diagnofiert wurde. Joſephine 
hatte gewünjdt, ohne Sang und Alang 
in einem Mafiengrabe beerdigt zu werden 
wie — eine Bettlerin, als welde fie, 
was ihre Sinterlaffenihaft betrifft, freilich 
auch geftorben ift. Ihre Freunde haben 
indejien dieſe Berfiinung umgeftohen und 
ige am 5. Februar ein ſchlichtes, aber 
an Ehren reiches Begräbnis bereitet. 
Ermeftine Wegner und Pepi Gallmeyer, 
die populärften Vertreterinnen nord» und 
füddeutihen Humores, beide tot, dahin · 
gerafit im beiten Lebensalter, im Zenſth 
ihres fünftlerifchen Ruhmes. Fürwahr, 


da hat Here Mors einen rafjinierten Ge» 
ibmad iejen unbeine ganze Welt voll 
Luſt, eben und jprühender Laune mit 
zwei Senſen ſtrichen rung „Aus is* 
wie der Titel einer hübichen Novelle von 
Hofephine Gallmeyer lautet. — 


Aunft und Penkmatle. 


od. v. Gebhards religiöfed Hi- 
Hftorienbild: „Walhung des Leiche 
nams Ghrifti“, früher unter dem Titel: 
Pieta befannt, ift von der Verwaltung 
der önigl. Gemüldegalerie in Dresden 
angefauft worden, 

Die Erbauung eined Hunfthaufes 
in Darmftadt ift vom dortigen Hunfle 
verein endaültig beſchloſſen worden. 

Der berühmte Nupferitecher Prof. 
Rud. Stang in Düffeldorf ift nach Amfter« 
danı berufen, um dort eine neue lupfer- 
ſtechſchule zu benründen, 

Robert Bolfmann foll ein Grab» 
denfmal erhalten; es bat ſich zu dielem 
Zwede in Budapeit ein Komitee gebildet, 
das Beiträge unter der Adreſſe Herrn 
Guſtav Fuchs, V. Mdlergafie 23, Budas 
peft, entgegennimmt. 

Dr. Scjliemann befindet fih zur 
Zeit in Marathon, um einen in der Mitte 
der Ebene gelegenen Hügel aufſudeden, 
er vermutet in demjelben ein Grabdent» 
mal zu Ehren der Gefallenen. Die grie» 
Hilde arhäotogiiche Geſellſchaft beabfichtiat, 
in diefem Jahre Ausgrabungen im Eleu⸗ 
finifchen Gerestempel, und in Epidaurus, 
wo dem Aöllepios ein Heiligtum erbaut 
war, vorzunehmen und den Meeresgrund 
der biftorijchen Bucht von Salamis unter- 
juchen zu lafien. 


Fefte, 
——— trifft man ſchon jeht Dor« 
CF bereitungen zu dem 500jährigen Aubi⸗ 
läum der Univerfität, welches im Epät« 
fommer 1886 gefeiert werden wird. Aus 
Staatsmitteln werden zu der Feier allein 
160000 Marl bewilligt werden. U. a. 
beabfihtigt man aud die Herausgabe einer 
Sammlung von Urfunden, die fih auf 


108 


die Geſchichte der Univerfität beziehen und 
eines Verzeihniffes aller Profefioren und 
Studenten, bie mit der Univerjität als 
Lehrer oder Hörer in Verbindung ftanden. 

Die Stadt Leipzig bat ſich bereit 
erllärt, für das dajelbft abzubaltende 8. 
deutihe Bundesſchießen nicht allein „ben 
Feſwlatz darzubieten, fondern aud einen 
Garantiefond von 170000 Mark zur 
Dedung der Koflen aus Stabtmitteln auf- 


—— 

Die neuerbaute Stadthalle im 
Mainz, die zweitgrößte Deutidhlands, iſt 
am 5. Januar feierlich eingeweiht worden. 
Diefelbe erhebt jih im italieniichen Re— 
naiflanceftil in unmittelbarer Nähe des 
RhHeines und faht 3800 Perjonen: 

Die Zwinglifeier in Stappel bei 
Zürih am 6 Januar nahm einen ſehr 
würdigen Verlauf. Am Zwingliſtein ers 
mahnte Pforrer Fan in zündender Rebe 
die verihiedenen Konfeffionen zur Fintracht. 

Der Feſtzug nah dem Pantheon 
in Rom als eine Kundaebung nationaler 
Dankbarkeit für Biltor Emanuel und fein 
Wert, fand am 9, Januar unter Beteili 
aung von 25000 Perfonen mit 1500 
Fahnen und 80 Mufiflapellen ftatt. Die 
eier verlief programmmäkig. 

Das 50jährige Stiftungäfelt des 
Wiſſenſchaftlichen Gentralvereins und 
der von diefem geflifteten Humboldt-Alas 
demie hat am 26. Januar in Berlin flatt« 
gefunden, 


BSüdermwefen. 


DEE Nordaus Schrift: „Die fon- 
7 >s ventionellen Lügen ber Kultur · 
menfichheit” ift in Wien wegen Beleidi⸗ 
aung des Slaijerbauies und verſchiedener 
anderer Delikte fonfisziert und von ber 
Genjur in Oeſierreich verboten worden. 

Aus der Feder der Königin von 
England if ein neues Buch hbervorge 
gangen, betitelt: „Ginige Blätter mehr 
aus dem Tagebuche über ein Leben in den 
Hodlanden von 1862 bis 1882*, ein Nach ⸗ 
trag zu ihrem vor 15 Jahren veröfient- 
lichtem Tagebuche. Gine Bollsausgabe 
mit zahlreihen Illuſtrationen und Por« 
träts ift in Vorbereitung. 

In biefen Tagen eriheint ein neues 
Bud von Buſch über den Fürſten Bis. 
mart, das interefjante Gnibüllungen aus 
dem Leben des großen Staatemannes ent- 
halten wird, 


Witterungsverbältniffe. 


Dr Meteorolog Neid in Göttingen 
macht uns für die nächſte Zeit ſchlechte 
Ausſichten. Nah feiner Annahme folgt 
den milden Wintermonaten diefes Jabrs 
wahrſcheinlich im März ein Nadminter 
mit Schnee. 


Berdreden, 


(Din Maubmörber, der ſich ein Ges 
werbe daraus machte, Mädchen unter 
Seiratävorfpiegelungen an fi zu Toden 
und fie dann meuchlings ju ermorden, um 
fid) in den Befit; ihrer Griparnifte zu jeßen, 
it in der Perjon eines gewiſſen Hugo 
Schent von der Wiener Polizei entbedt 
worden. Es iſt bereits eriwielen, daß der 
Verbrecher jeit 1879 vier Mädchen umges 
bradt bat. Auch der Bruder Schents und 
der Maſchinenſchloſſer Schloſſarel, die den 
Mörder bei jeinen Bluttbaten unterftüßten, 
find mit demfelben verhaftet worden. 
Ein großer Poftdichftahl wird aus 
Budapeft gemeldet. An dem dortigen 
Voſtamt ift am 5. Januar eine 38 kg. 
ſchwere Gelbfifte in Lederumhüllung, die 
245000 fl. in Banknoten enthielt, au 
rätjelhafte Weife geftohlen worden. Au 
die Entdedung des Thäters ift eine an⸗ 





Sur Zeitgeſchichte. 


ſehnliche Belohnung ausgejekt, Ein anderer 

BVoftdiebftahl ift auf der Etrede Leipzig — 
Berlin verlibt worden. Hier gelang es 
den bisher unermittelten Thätern Poft« 
beutel mit einem Anhalt im Wert von 
80 000 Marl r entwenben. 

Ein vierfaher Mord ift am 17. Jan. 
in Neuentamp, einem zu der Bürger- 
meifterei Neulirchen bei Opladen gehörigen 
Dt verübt worden, Fin Mann Namens 

uchs tötete ein junges Mädden und 
deijen Water und Mutter, teile durch 
Schnitle in den Ka teils durch Echüfie 
und ſchließlich ſich ſelbſi. Die Unthat der 
die Familie zum Opfer fiel, entſpran 
nicht etwa perjönlicher Rachſucht oder j 
aut brechender Leidenihaft, Tondern der 
verbrecheriſchen Phantafie eines durd den 
Sampf mit Not und Sorgen gänzlidy ver« 
wilderten Menicen. 

Ein Raubanfall, der in Plan und 
Ausführung an denjenigen erinnert, der 
unlängit in einem Etuttgarter Bankgeſchäft 
verübt wurde, ift in Wien zur Ausführung 
—— An die Wechſelſtube des 

anfiers Eiſert drangen am 10. Nanuar 
Abends zwiſchen 5 und 6 Uhr zwei Mäns 
ner ein, welde dem Beſitzer Eiſert Sand 
in die Augen warfen und * mit einer 
Hadce ſchwer verlehten. Eiſert flüchtete 
bitferufend in ein nach hinten gelegenes 

immer, in weldem ſich jeine beiben 

naben mit ihrer Lehrerin befanden, und 
von da in den Hof, verfolat von dem 
einen der Morpgejellen, der dem Bankier 
noch mehrere lebenegefährliche Wunden 
beibradite. Sein Genofie hatte inzwiichen 
die Lehrerin und den älteren Stmaben 
ſchwer verlekt und dem jüngeren Slinde 
das Genid umgedreht. Sodann raubten 
die beiden Verbrecher die Stafje aus, wäh- 
trend ein dritter Genoſſe vor dem Geſchäfts · 
lofale Wade ftand. Obwohl die gräßlicdhe 
That gleich darauf bemerft wurde, gelang 
es den Verbrechern, mit ihrem Haube zu 
flüten. Als mutmaßliger Mörder wurde 
ein gewiſſer Jofevh Pongrak, alias Troitz, 
aud Trauz verhaftet. 


Unglüdsfäle. 


agpin ſchredliches Brandunglüd er 
Deignete fih in Penniylvanien auf der 
Bredbford-Berdell und Ainzna-Bifenbahn. 
Gines der über dem Schienengeleife ange» 
braten Petroleumrefervoire barft und das 
herabftrömende Erdöl entzjlindete ſich in 
dem Augenblid, ald ein Perfonenzug das 
runter durchſuhr. 26 Menſchen erhielten 
ſchwere Brandivunden, drei frauen fanden 
in den Flammen den Tod, 

Der Dampfer City of Columbus 
erlitt am 18. Januar beim Kap Gayhead 
an der Stüfte von Maſſachuſetts Schiffbruch. 
104 Perfonen ertranten, gereitet wurden 
nur 22 Menſchen. 

Die Not und der pefuniäre Schaden, 
weldhen die Ueberſchwemmungen in 
Wheeling und Newport (Stentudy) an« 
gerichtet, bat eine bedenlliche Höhe er 
reicht ; der Berluft allein in Wbeeling be⸗ 
aifert ſich auf ſechs Millionen Dollars. 

on allen Eeiten werben Aufrufe um 
Hilfe erlafien. 


Totenfdan. 


72 Jr ehemaliger Staatsminifter 
und Watgeber Napoleons bes 111. 
ftarb am 3, Februar in Paris. 

Laster, Eduard, Dr. jur., Rechtsan- 
walt in Berlin, hervorragender deutſcher 
Parlamentarier und Molititer, welcher 
einen nadbbaltigen Finfluß auf die Ge— 
fehgebung des neuen beutichen Reiches 
und auf die Geftaltung des Parteitweiens 
neübt bat, geb. am 14, Oftober 1829 zu 
Yarortidin in Pofen, ftarb, aufeinerameri» 


ort in 
hien ⸗ 


taniſchen Reife begriffen, in New 


der Wat zum 5. Januar am 


chlag 

Kolert, Louis, Komponiſt und gr 
ſchãhter Muſilichriftſleller, geb. am 13. Ja⸗ 
nuar 1825 in Stönigäberg, ſtarb am 4. Ja⸗ 
nuar in Wiesbaden. 

Moſtock, Trik, talentuoller Dan 
ſchaftsmaler, Marb in Berlin am 26. De⸗ 
jember, 31 Jahre alt. 

Erblam, Heinr. Wilb., Dr. theol. 
Konfiftorialrat und Profeflor der heo- 


logie an ber Univerfität Königs ftarb 
—* am 9. Januar im 74. Vebend« 
ahre. 


Hohenlohe. Schillingsfürft, Yran- 
jitca v., Gemahlin des Prinzen Chlodwig 
su Hohenlohe und Zodter des Grafen 
mM Efterhazy, aeb. am 24. Septem ⸗ 
—— ftarb am 10. Januar in Ab» 

azia. 

Sudard, Philippe, Begründer der 
befannten Schololadenfabrif zu Eerrieres, 
Kanton Neuenburg, flarb dafelbfi am 
14. Aanuar, 87 Jahre alt. 

Gramer, Alphons v., Genre- und 
Porträtmaler in Düfieldorf, geb. 184 
au ER: flard am 4. Januar in 


Horwitz, Dr. berühmter Schach-⸗ 
fpieler Bretlaus, ftarb fürzlih in Bozen. 

Lange, Dr., Richard, befannter Päpda: 
nog. Inhaber einer höheren Knabenſchule 
in Hamburg, Serausgeber der von Dieiter- 
weg begründeten „Blätter für Etziehung 
und Unterridt“, ftarb in Hamburg am 
10, Januar. 

Mühlenfelö, Elfriede v., benabte 
Diterin , au durd ihre MWohltbätigfeit 
befannt, ftarb in Dresden am 12. Januar 

Ulrici, Dr, Hemann,, Och. Renier 
rungsrat u. orbeutl. Profeiior der Pbilo» 
fophie an der Univerfitär Hale, berühmt 
durd feine Shaleſpeare · Forſchungen und 
Nevifion der Echlegel-Tiedihen Shate- 
jpeare» Ueberſeung, Berfaffer mehrerer 
pbilof, Schriften. geb. am 23, März 1806 
zu Pförten in der Niederlaufig, ftarb im 
Halle am 11. Januar. 


»Ferfonalien. 


er bayer. Aultuöminifter, Johann 

v. Lutz, ift vom Abnig von Bayern 
in den erblihen Freihermftand erhoben 
w 


orben. 

Geh. Hofrat Dr. Rubolph v. Gott- 
ſchall in Leipzig erhielt vom g von 
Sachſen ⸗Koburg⸗Gotha das Homthurkreug 
1. — des Sadjen-Erneftiniihen Haut-+ 
ordend. 

Edmund Kretfchmer, dem flompo- 
niften der „SFoltunger* hat der Abnig von 
Sachſen das Nitterfreug 1. Klaſſe des 
Albreht-Ordens verliehen, 

Dr. Leopold Kompert wurde vom 
Kaiſer von Defterreih in Anerfennung 
feiner litterariichen Thätigleit und feines 
nemeinnüßigen Wirkens der Titel eines 
Regierungsrates verliehen. 

Dr. Hermann Riegel, Direltor des 
Mufeums in Braunſchweig, wurde von 
der tönigl. beigiihen Runitafademie zu 
Antwerpen zum Ehrenmitgliede emannt. 

Antendanzrat Chronegt, der D ref» 
tordes jahien-meiningiichen Hofſchauſpiels, 
ift vom König von Bayern durd Ber» 
leihung bes ———— 1. Klcfie des 
Verdienſtordens vom heiligen Michael aus- 
gezeichnet worben. 

Ein entſekliches Verhängnis ift über 
den befannten Dürer-Biographen Thanfing 
bereingebrodhen. Der geiftoolle Aunſi⸗ 
aelehrte, Profefjor an der Univerfität Wien, 
wurbe in Nom, wo er dem neuerridhteten 
biftorifhen Inftitut in Rom beigegeben 
war, plöglih wahnfinnig. 


©. Hättig. 


Unfer Sausgarten. 
Von O. KHüftig. 


Begonien 


Die Mitglieder diefer Familie (Begonlaceae R. Br., jo 
benannt nad Michel Begon, der 1638 geboren wurde und als 
anzöfliher Intendant auf Et. Domingo ftarb; ein eifriger Ber 
tberer der Pflanjentunde) find jaftige, ihönbtü ende Sträuter 
oder Halbiträuder mit am Grunde ſchiefen Blättern. Ihre 
reihen Arten ſtammen meiit aus den Tropen, einige aus den 
&Ggebirgen von Peru, Bolivia u. ſ. w. Seit ihrer Einführung 
in die Gärten burd den franzöjiichen org Gharles 
Blumier (geb. 1646 zu Marjeille, + 1704 auf der Anjel Gadis 
am Dafen von Gadig) haben fie zu den beliebtejten Pflanzen 
unferer Gewädhshäufer gehört, aber fo vielfältige Wandlungen 
durdgemadt, wie faum eine andere Pflanzenfamilie, und find 
fie ſchließlich zum bevorzugteften Liebling unjerer Blumenfreunde 





Pie. ı. 


Begonia discolor hybrida (8. 110). 


geworden, der in jeinem Fortſchreiten, in feiner Verbeſſerung 
den Endpunkt noch lange nicht erreicht zu haben ſcheint, weshalb 
er auch in dielen Blättern eine Beſprechung verdient. 

Aber es ift überflüſſig, auf die vielen, Seit zwei Jahrbuns« 
derten aufgefundenen und in die Gärten eingeführten Arten viele 
Worte zu verſchwenden, denn die Liebhaber wie die Fachmänner 
unterfheiden heute nur zwei Gaupigruppen: Blatt» und 
Blüten oder Anollen-Begonien. Die erfleren, die Blait« 
Begonien, ftammen alle von einer Art, dem Könin, Begonia 
Rex Ptz. von Oftindien, deſſen Griffel wahrſcheinlich mit dem 
Blütenftaub von Discolor R. Br. und anderen Arten befrudhtet 
wurde, mwodurd viele Blendlinge entitanden find, Pilanzen mit 
kurzem Stamm und dunkelgrünen bis tief purpurroten Blättern, 
die in der Mitte durd eine jcharf abgenrenzte breite, oft ſilber ⸗ 

e Zone gejeihnet find; ihre Unterjeite ift rötlich und mit 
dun slegefroten Nerven veriehen, Die Anzahl dieler Blend» 
linge vermehrt ſich beinahe täglich, weil die ſchönen Blätter mit 
ihren verfchiedenen Farben und Zeichnungen eine jwedinähige 

dung aud in dem leichten, graziös zujammengeitellten 
„Deutihen Blumenftrauß* gefunden haben. 


Unier Bausgarten. 








Die Angehörigen | 


109 


diefer Gruppe find aud gute Zimmerpflangen, die ſich leicht ver- 
more inc bieten fie % Pflege Ks bejonderen Schwie · 

gt Zwed der Vermehrung ent man ein Blatt oder nur 
einyelne Xeile deöjelben mit mehrfach durchſchnittenen Nerven 
auf die fandige Erde einer fladyen Schale, wo es durch mehrere 
Häldyen oder oben aufgelegte Steindyen feitgehalten und oben 





Fia ?. Begonia tuberosa erecta superba (6. 110), 


mit einer Glaticheibe oder Olasglode von der äußeren Quft ab- 
geihloffen wird; man hält es mäßig feucht und in einer Tems 
peratur von + 14 — 160 R. Bald erſcheinen an den Schnitt« 
punkten der Nerven Meine a ie die, nachdem fie ſich 
genügend bewurzelt haben, abgelöjt in ganz Meine, ſpäter im 


IT Q 


Bie. 9. 


Begonia tuberosa Seleni perfocta (8. 110), 


nrößere, mehr flache als tiefe und nie zu große Töpfe mit möge 
lichit fruchtbarer, aber loderer und jandigner Erde gepflanzt werden, 
Sie vertragen viel Sonne, wenn fie and während der Mittags: 
jeit negen diefelbe einigermaken geſchützt fein wollen, Während 
des Wahstums follten fie reichlidh, juweilen mit Dunamwaher 
begofien werden ; Ipäter begieht man wenig, während bes Winters 
beinahe gar nidt. Im Sommer fünnen die niedrinbleibenden, 
buntblättrigen Pflanzen aud zur Einfaffung von Blumen» oder 
Blatipflanzengruppen verwendet werden. Webrigens präfentieren 


110 ©. Hüttig. Unfer Hausgarten. 


fi auch die Blüten des einen Blendlings, der Begonis discolor | mit Erde, fondern 2-3 mm. hoch mit Fichtennadeln, auf Die 
Rox hybrida, Louise Chretien (fyig.1, &. 109) jehr vorteilhaft. | man durch eine feine Braufe geben Tann, ohne befürdten zu 
Gine ſchöne halbftraugartige Hybride ift Begonia erecta | müflen, daß die Samen aus Ihrer Page verſchwemmt werben ; 
«uperba (Fig 2, ©. 109) die ihre aroßen, brennend ſcharlachroten wo Fichtennadeln nicht zu haben find, muß man von unten 
Plumen bis in den Spätherbft entwidelt; ichen, d. r in eine Schale oder einen 
Stedlinge vom Frühjahr blühen aufer- Seller, auf dem das äh mit ben 
ordentlich dankbar jhon im eriten Som« Sammlömern fteht. Die Ausfaat ge 
mer und auch noch im folgenden Win- ſchieht am beiten Mitte März, fpäte- 
ter, weshalb man fi auch niemals alte ftens im Juni, und erhält man 
Pilangen halten jollte, die bald dadurch noch jhöne Gruppen» 
unfhön werden. flanzen, bei der ipäteren Yus« 
Die höchſte Stufe der Boll« aat für den Herbit, Die Säm- 
tommenbeit baben doch bie linge follen, jobalb fie ſich 
Stnollen« ober einzichens fafien laſſen, verftopft (pikiert) 
den Begonien erreidt; fie und dann einzeln in Heine, 
find im Laufe vieler Jahre ſpäter in wenig größere Töpfe 
durch Sreuzungen entitanden, mit jehr frudtbarer Erde oder 
d. b. durch Uebertragung des audı in das freie Land des 
Blütenflaubes der einen auf hbalbwarmen Wiftbeet5 wer« 
das Piftill der anderen Art, wie pflanzt werben, wo fie, auch 
Begonta Boliviensis A. DC. unter dem fyenfter, moglich ſt 
von Bolivia, Veitchi Jos. Hook., viel friihe Luft erbal- 
rosae flora Jos. Hook., beide aus ten müffen und wo dann und warn 
Peru und der von diefen flammenden ein milder, —— Regen viel zu ibrem 
Baftarde Sedeni (Fig. 3, &. 109), Froc- Grbeihen beitragen würde; von bier 
fünnen fie, felbft während der Blütezeit, 
ohne weiteret auf dad Blumenbert oder 
—— in Topfe gepflanzt werden. Im 
Anfonge find fie zu beſchatten, jpäter 
aber ver volen Sonne, mit Ausnahme 
vielleicht der Mittagsfonne, ausjufchen. 
Sie blühen, felbit auf balbihattiner 
worden ift, und zeichnen ſich nament⸗ Stelle, unaufbörlid bis in den Spät- 
li die Züdtungen des Kunft« und herbſt, befonder& wenn fie vor drohen» 
Handelsgärtners Paul Hirt in Uelzen Dig. 4. Begons tuberosa Froebeli. dem Frühfroſt durch eine leichte Dede 










beli (fig. 4) u. a. m. 

Daraus entitanden Pflanzen mit 
Blumen, die an Größe, jhöner, renel- 
mäßiger Form und Mannigfaltinteit 
der Farben — reines Weiß, Gelb, Roſa, 
Scharla u. ſ. w. — alles übertreffen, 
was von Florblumen jemals geliehen 


(Hannover) vor allen anderen vorteil« geſchuht werben. 

baft aus, wie auch unfere Abbildungen beweiſen, die, gleichwie Die Im Herbit fterben unjere Begonien ab, „fie ziehen ein“, 
obigen Blattbegonien, nad den in feinem Garten genommenen aber nur, um im näditen Beäbiahe um fo fräftiger wieder zu 
Photographieen aefertigt find. eriheinen. Die Knollen befreit man im Herbſt vollitändig von aller 


Herr Hirt hat ſtnollenbegonien mit einfachen und folde mit ihnen anhaftenden Erbe, legt fie zufammen oder fortenweis in 
aefülten Blumen, welche Iehteren in ihrer durchaus regelmäßigen trodenen Sand und bewahrt fie an irgend einem trodenen, froft« 
Form ſich mit Balfaminen, jelbft mit freien Ort auf. Im fyebruar bringt man mehrere zufammen in 
Stamelien vergleichen laſſen und die durch j einen Topf oder eine Schale und treibt fie unter dem Fenſter des 
die Verwandlung der männliden Ge⸗ \ Warmbaufes oder des warmen Miitbeet3 an, pflanzt fie dann 
ichledhtsorgane, der Staubgelähr, in einzeln in Heine, jpäter in etwas größere Töpfe oder, wenn zum 
Dlumenblätter entftanden find , ba aber Auspflanzen ins Freie beftimmt, 
die beiden Geſchlechter ſich auf verſchie⸗ weiter außeinander ins Mifibeet, 
dene Siam Berielben TDELASSEDETRINEN, von wo fie, nad und nad an 
jo finden fi auch aufeiner Pflanze frifche, zuleßt an viel Quft ge 
gefüllte Blumen neben einfachen; wöhnt, direlt aufs Blumenbeect 
gewöhnlich ift die mittlere von drei verjeht werden können. Bei biefem 
nebeneinander fihenden Blumen mehrmaligen Berpflanzen kann man 
eine gefüllte, weil männlide, wäh» einzelne Triebe, oder alle bis auf 
vend bie anderen zwei oft einfad, einen abnehmen, um fie als Sted- 
weit weiblid, find, linge zu behandeln. 

Man zieht die Planzen t h \ Die Begonien find eben 
ziemfih leicht aus Samen — — x F — 50 jhöne flangen wie 
— womit nidt behauptet ’ 1 fie auch ſtets das fonnige 
werden joll, daß jedes, einem Fenſter des Wohnzimmers 
Gremplar mit gefüllten Blu» sieren und ein berrlidyer 
nen entiprofiene Samenfom Schmud des Blumentiibes 
auch wieder gefüllte Blumen im Salon fein werben. Auf 
gibt — im Gegenteil! Nur dem Blumentiſch wirb aber 
ein Heiner Teil der Samen: ihr Gedeihen, wohl aber aud ba& 

















Batiat wneben ganthnlig ER Ne ale vr Com 
elultat ergeben, q nk * 8 22 wenn die e e J 
nur die ſchwächſten Samen, ſolde die rl 36: 4 — 817, ers dicht mit Moos umgeben find, 
ſchwer feimen und besbalb jpät aui« N . > —* woburd dem häufigen Wechſel des 
neben, weshalb man die zur Ansjant Er seurbtinfeitägehaltes vorgebeugt wird. 


in Öfter gereichter ſchwacher Dung« 
ouf thut auch bier qute Pienfte, und 
merden unjere Knollen - wie Blatt 
beaonien überall die ude der Blus 
en» und Pflanzenliebbaber fein, ber 
fonders wenn fie, die Samen, Pilan- 
sen oder Ainollen, den Gewächthäuſern 
bes Seren Paul Hirt in Welzen ent» 
flammen. " 


benüßte Erde geduldig und recht lange y N 
balten joll, che man fie wegwirft, auch n 
wenn alle aufgegangenen Sämlinge be: 
reits no find; die Nadızünler 
arben gewöhnlich die hen Blumen. 
(Fe ift deshalb befier, Die beften, nament» 
lich die gefüllten Varletäten, durch Sted⸗ 
linge zu *** ae leicht wachſen 

nn, — Dos Verfahren be 
eek. = hun ——— — Fig. 5. Bougquel biverfer Knolleubegonien. 


Der Same iſt ſtaubfein, die ihm . Ben 
entiproffenen Pilängden anfangs ſehr Hein und die gewöhnliche Die Gärtner Deutihlande haben in überwiegender Mehr. 
zahl den Zollſchut abgelehnt, welden andere, gegenüber der (Fin. 


Grde meiit fo mit Unfrautfamen verunreiniat, daß die aus dieſem ; t 
bervorwachienden Pilanzen die eigentlichen Pitenlinge ſehr leicht fuhr von abgeſchnittenen und anderen Blumen aus Italien bejw. 
Frantreich, ſich von der betr. Behörde erbeten hatten: fie wollen 


unterbrüden. Deshalb follte man zur Auzjaat von Benonien- von j 
famen nur ausgenlübte, alfo unfrautfreie Erde nehmen. Auf diefe die nicht ungefährliche Konkurrenz in anderer Weife unfhäplid 
freut man die reihlid mit feinem Sand gemiſchten machen, indem fie ihren Gejhäftsbetrieb barauf einrichten, während 
SZ amenkörner dünn aus, drüdt fie fejt und bebedt fie leicht, micht des Winters mehr als bisher, ſelbſt möglichſt viele Blumen zu 





Ida Barber. Trachten der Zeit. 


iäpigt, ftet$ und zu entipredenden Preifen fäufer finden, ohne 
den Armen bie Freude an einer mitten im Winter für wenige 
Tiennige erworbenen Roje zu verderben. Dieſem Eireben dient 
ein ebenfo ze ähes wie pradjtvolles Werk der Verlagshand- 
Kae B- rey in Berlin: 


„Die Winterblume. Anleitung für Gärtner und Garten» 
liebhaber zur Wintertultur der für den Shmud der Wohn» 
räume und Glashäufer, für Bouquets. Vaſen xc. gerig 
— einheimiſchen und ausländiſchen Blumen und Blatt: 
pflanzen“, 

von bem ausgezeichneter P 
vielen Jahren anerlannten Königl. 


erzielen, die, weil friid, a nit von einer weiten Reife qe- 


en« und Blumenzüchter feit 
Preuß. Gartenbaudireftor 


. Gaerbt. ein Wert, das fid) in eingehender, — 
aus ptatti “a Weile ſich in eingehender, fahgemäßer, durch 


jur Blüte kommen 
oder auch jhöne Blät- 
ter geben. 


— 
aſſer 
die ee 
neuerding: auch in 
Deuiſchland zu hoher 


Ham- 
bura, Berlin :c. jähr · 
li mehrmals wieder- 
tchrenden Berſteige ·⸗ 


3. &aı 
. Sanders & Go,, 
t. Albans bei Lon⸗ 
don, leicht und billig 
erwerben lann, ſon ⸗ 
dern auch, weil man 
endlich gefunden bat, 
dak ihre wunderbar 
ihönen Blumen mehr 
als andre zum leid 
ten, — „Deuts 
ſchen Biumenftrauf* 
u. dergl. zu verwen⸗ 
den find, der hoffent- 
lich recht bald das 
iteife „Fronzöfiiche 
Vouquei* verdrängt 
haben wird. 

Das Bud, 46 
Bogen in gr. 8, ift 
äuferft elegant, aud) 
mit gelungenen Ta 

in Buntprud 
ausgeftattet und wird 
nicht nur dem praf- i 
tiſchen Pflanzenzüchter von großem Nuhen, fondern wird auch 
jedem Salon zu großer und bauemder Zierde gereidhent. 


Fis. 


FJrachtften der Beit. 
Bon Ida Barber. 


Sy überrafchend großer Auswahl find die für die diesjährige 
Fruhjahrsſaiſon beflimmten Neuheiten bereits vorrätig. Es 
iheint, als wolle man allen auffallenden Moden den Abſchſed 
Heben und in erfter Linie den foliden, formvollendeten zum Durch⸗ 
brud) verhelfen. 

Ber Wahl der Stoffe berüdichtint man die glatten, fein ge 
lüperten, die ſowohl in Wolle wie in Seide In feinen jyarben« 
= ee vertreten find und vormwaltend mit Samt verarbeitet 

er R 

Geftreifte, fonenannte drefierte Gewebe, die wegen ihrer 
Dauerhaftigkeit wohlverbiente Beachtung finden, werden next 
mit glatien Tuchſtoffen fonteltioniert. Aaftimir mit abgepaften 

ordüren oder punltartigen eingeftidten Pleint iſt viel zu den 


l 


Fe WETITTUN 





Big. I. 


111 


engen, eugliſchen Softümen in Berwendung, während bie mit fidhel« 

artigen Saıntfiguren oder Kleinen Balmen durchwebten Stoffe 

=r ” — nad franjoſiſchen Muſſern gefertigten Roben An« 
ang finden. 

Necht apart find die im Sanevasgenre gewebten Stoffe, man 
ficht fie zumeift in dunklen Farben, doch mit fo grellen Muitern, 
die eine Art Areuzftich imitieren, durchſetzt. daß leicht anzunehmen 
ift, man babe eine Tabiſſerie und feinen leid vor ſich 
Derartige auffallende Stoffe werben zu großen Mänteln, Nebin« 
gote# und Polonaifen verarbeitet, mit breiten Eamtftreifen um« 
randet und reih mit Samtmajchen garniert. 

In der Reihe der Seidengewebe ſtehen die did gerifften 
Ottomays immer noch im Vordergrunde. Glatte Taffelas haben 
nur dann eine Berechtigung, wenn fie mit fagonniertem oder 

mit Samtblumen 
durhwirfktem Satin 

- tombiniert find. Aelr 

tere Stoftüme laſſen 

fih durch all die 
gemufterten,, neftreif» 
ten, mit Samtfiguren 

durchſehten Stoffe 
jehr leicht moderni« 

fieren, Belonders ge · 

eignet für Dielen Zwed 

it ein in allen Far⸗ 
ben vorrätiger Atlab- 

ftoff, der in Zwiſchen · 

räumen von je 1, cm 

mit ſenlrecht gehenden 

Samtitreifen durch⸗ 

wirtt ift. 

Saltin · Rhadames 
mitgefchorenen. rips« 
artigen Samiblumen 
und abgefaßten Bor 
dilren wird germ zu 

Schleppen, eleganten, 

mit Spiken garnierten 

Mänteln, aud zu fur» 

jen ſchätpenariig ar: 

rangierten Tuniques 
verwendet. 
Geſtreifte Stoffe 

(Fig. V fieht man 

viel zu durchweg plif- 

fierten Röden, die in 

entſprechenden Ywir 
ihenräumen mit 

nleihfalls gefalteten 

Samtauflanen gededt 

find, garniert; Die 

Echneppentaille If mit 
- Gamt begrenzt und 

durch einen biß zur 

Adiel reichenden 

Samttragen veroll- 

ftändigt. Der vom 

Stoff ber Robe gefer⸗ 
tinte Hut Wird wie wid durchweg plifiiert, der Hopf geſchoppt 
und anfheinend hinten durch eine Schleife zufammengejonen. 

, Mehr für die elegante Befuchstoilette beftimmt ift ber in 
— 2 fkiggierte Anzug. Dad Hauptmotiv bilden die ſpihen 
Zagen, die ſich effeltvoll von dem damoisfarbenen Lederftofte, 
der mit Goldfternen und roten Chenilletupfen durchftickt tft, ab« 
heben. Leber der polonaifeartigen Tunique, deren Kalten von 
der Taille aus berniederfalen, den Nod maleriſch drapieren, ſiht 
ein jehr Heidfames turzes Samtjädhen, das rings herum auch 
an der Kante jpit; gezackt ift und jede Falte und Etoffiwendung 
zu befter Geltung foımmen läßt. 

Gleichfalls ſehr beliebt, elegant und doch einſach iſt das 
Koſtum Siefanie; eine vorn durch Patien und Stahlſchnallen 
geſchloſſene Samttaille (Fig. 3) mit rundem Schoß, dem nad 
binten zu Revers und Puff angeſeht find, dedt faſt zur Hälfte 
einen gleichfalls mit Samt garnierten Doppelrod, deflen Falten 
voll und tief herttiederfallen und cine Art Tunique bilden, ber 
jede Raffung fehlt. 

Derartige glatte Doppelröde mit breitem Samtjtreif werben 
namentlich von nemuflerten Stoffen gefertigt und dürften, da fie 
(weil wenig dem beim Eiten umvermeidlichen Gedrücknwerden 
auzgefebt) ſeht prafiiich find, beitimmend für bie yrübjahrs- 
trat jein. 

Als bequeme und doc Meidfame Gaustradht empfichlt man 
jekt ftatt der Tangen Editeppröde kurze Röde in lebhaften Farben 
und dazu paſſende Ueberwürfe aus bellerem, geblümten Stoff 
rin. 4, ©. 112), die vorn lofe find, an jeder Zeite eine haubbreite 


96 * 
\ 
{ \ 


Big. 2. 


. alte haben und die bloufenartig genrbeitete intertaille zur Geltung 


112 


tommen Taflen; hinten ift der Ueberwurf body nerafft und bildet ı der Ausftellung anerkannt, das beite fteierjche nach 


® ein Mittelding pwiſchen Straßen · und Haustoilette; die Figur 
eriheint in derartigem Softüm vollflommen modegereht, ohne 
eingeengt oder durch Spangen und Andpfe beläftigt zu fein. 
Die Mäntelformen find wenig von denen des Winters vers 
ſchleden. Alt und jung trägt anliegende, lange Façons, bie 
einfacheren find vorn pweireihig gefnöpft mit engen Aermeln, die 
eleganteren vorn zurüdgeihlagen (Fig. 5), ſeitwärts geſchlitzt und 
durch Schleifen zufammengehalten, der Aermel offen und wie 
Ber ganze Mantel mit breitem Samt bejeht. Borftchende Modelle 
find dem Atelier der Madame Breyer in Wien entnommen. 
Allem Anſchein nad werben die dem Stopf feit aufliegenden 
Gapotes wie die die Stirn befepattenden gewölbten Hüte für bieje 
Satfon wenig in Verwendung tommen, Bejonderer Belichtheit er« 
freuen ſich die freiftehenden Fagons. Sie haben zumeift einen 





Big. 4. 16. 111.) 
diademartigen Aufichlag, find aus Satin ober Samt gefertigt, mit 
ftark gefrauften Federn oder auffallend großen Blumen garniert. 

der in fFig. 6 ffijzierte Kapottebut ift faum handgroß, fo 
daß das hinten body frifierte Hoar bervortritt; vorn ein breiter 
mit Golbihnur abgenähter Samıbügel, den linfs eine große gold» 
gelbe Roſe dedt. — Die innen mit Puffen garnierten Hüte 
(Fig. 7) haben einen neihoppten Stopf, vorn eine lange, längs 
des Auhenrandes garnierte Feder, die in dieſer Form trefflich 
Heidet. — Junge Damen tragen die rings herum aufgeihlagenen 
Hüte mit hohem Kopf, deren Rand einen ſich nad vorn ver» 
breiternden Samtbeiah zeigt. Fig. 8 kennzeichnet dieje ſehr kleid ⸗ 
jame und fehr folide Form, die zur einfadhiten, wie jur eleganteiten 
Toilette artragen werden lann. Unſere Hutſtiggen ſind ber 
Mailon Maur (Wien) entnommen. 

Gine eigene Modeinduftrie beidäftint ſich jeht mit der 
Wiedergabe von Scenen aus dem Zierleben, die durch Appli« 
fatıon oder Malerei auf die verſchiedenſten Luxusgegenſtände 
übertragen werden. Man fieht Schleifen, Shawls, Fächer, 
Schärpen u. dergl. mit derartigen Tieremblemen defortert und 
weiß nicht, ſoll man diefe den lieben Bierfühlern zjugewandte 
Sympathie beläheln oder gar gutheiken. Die Schluſvignette jeint 
uns auf Fächern ganz reigende derartige Bilder; nod neuer und 
nicht nur für uns, jondern jonar zum Grport nad Paris be» 
fimmt, find die nah Drujanys Austellung auf der Wiener 
Stodhtunftausftellung aufgenommenen Skizzen, die die fteierichen 
Kapaunen, denen man Nationaltradgt angezogen, in allerhand 
Variationen zeigen und mit dieſen unjere DModegegenitände 
ihmüden. — Der Herr Druſany auf Gut Spindelbof im jchönen 
Steiermark ift ein fachtundiger Geflügelzüchter, der, wie auch auf 





Ida Barber, Trachten der Zeit. 


franzöfiär 
Art gemäftete Geflügel erzeugt, ob er aber dadurch das Reär 
erworben, jeine jeiiten Slapaunen und Truthähne unſeren Zoi: 
lettenrequifiten als Siegel aufzudriden, ift jehr fraglich. Ammerdin 
läßt man fidy einen qut gemäfteten Indian en miniature, den 





Sie. Tr. din. a. 


eine Schöne ald Applifation auf ihrer Buſenſchleife trägt, noch 
eher gefallen, ala die im Borjabre üblichen Spinnen, an deren 
Anblid nervöfe Perfonen ſich erft gewöhnen mußten. 

Der Phantaſieſchmuch zeigt nleihialls Köpfe von allerhand 
Getier, Yöwentllauen, —— Schwanflügel, Eintage; 
fliegen, die, wie ſchon ihr Name jagt, nur zu ſchnell vergeben 
und fo billig fie auch find, immer nod zu teuer bezahlt werden, 
da fie, wenn die Mode ihnen nicht mehr hold, feinerlei reellen 
Wert haben. Für den echten Schmud find mujcelartige Win- 
dungen mit Perlen fehr beliebt. — Seitdem die ſchwarze Perle 
auf fünftlihem Wege täuſchend ähnlich bergeftellt wird (paten- 
tierte Erfindung des Juwelier Scharf, Wien) tft fie ein Mode 


artifel geworden, der anftandslos felbit von Damen, die jonit 
allem Falſchen abhold find, getragen werben fann, 











@3 Der luſtige Geſellſchafter. 28 


(Sreiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willfommen!) 


AUbgangs-Bengnis. 


„In Bezug auf Sauberkeit ließ Minna kaum ettvas ju 
wünſchen übrig, nur ihr Maul war immer ungewaiden.“ 


C 2 
Guter Rat. 


Kaufmann: —* Sie mal, Herr Dollor, was made ich 
mit meiner frau? leidviel ob die Geidhäfte gut oder fahledht 
geben. fie muß alle Jahre 
| Bad. Ihre Reifen nad 
dem nad der Schweij 
und Zirol haben mid ſchon 
ein 
} 


APSSTTTTET FENTUITTE BEE EeT ERLITT TIEETTTITE N t 


weres Geld gekoftet, 
ae bs ih en 


Wozu raten NE 


Eie mir?“ 
Dottor: „Zufügen.“ 


’ 
Zlauſtblet Grm. 


a: „Wiflen Sie, war 
um die in Berlin 
alle fo find ?* : 
®.: „Na ; 
| * — — se 5 
Hnpothelen nicht t, die i 
darauf fichen,* , 


= 


Aus der Reifezeit. 


Dame: „Wie tönnen ; 
Sie eb wagen, mir eine Lie» F 
bederlläring zu maden? } 
Sie find ja verheiratet.“ 


Augenbliali 
a ER a 


Dame: „Strohmil- 

wer? Uba! Darum fatt- 

1 en Sie wohl jo leicht 
euer?* 


| » 
Vom DBerfehen. 


.Ih b te 
* * * verjeht fagte 





IIIrrE PıPerr PPerrIeTTe 77 IT Were 


3 


d da fam er b 
in die Hauptftadt. : 
Sõ bin verfeht!" fagte a 
Ur Quintaner — 
nad Quaria. 


“I bin verjegt!” ſagte die Obrieige — da far fie an die 
»I4 bin verfeit!* fagte die Uhr - da kam fie ins Lethhaus. 


Böfe Arankideit. 
Doltor: „Sie Magen über ein Nervenleiden, Here Ztudiojus, 
Das — nen benn?* 
ns 


t: „Der nervus rerum.* 


s 


%: „Nun, Herr Baumeister, Sie find ja heute fo ernit 
und am?* 


babe [don einige Tage einen neuen Rif; im Notıf, * 


* 
»e» 


—* 





Schweſſer: „Aber, lieber Bruder, wie ſiehſt du aus?“ 
Bruder: „Das Loinmt von unferem Rakenvich.* 





Scheer: Ums Himmelswillen! Bruder, wie fiehit bu aut?" = 
Bruder: „Das fommt von den Menjuren. * : 





nicht probiert habe 


Offenes Geſtändnis. 


Richler: „Wo Haben Sie am letzten Sonntag geſchlaſen ?* 
Zeuge: „In der Predigt. * 


s 
Scderzjfragen. 


Iſt es denfbar, dab ein Herr und eine Dame, die zufammen 
zwanzig Jahre zahlen, ſich verloben ? 

Antwort: Ia! Sie if 
neunzehn Aahre alt und er 
iſt Ginzähriger. 


DD BEI II ZEIT TTS TI TI IT ET TE 


Zehn Jahre Anterfdied. i — 


Wer ift der größte deut 
= fe Staatömann ber 
© Gegenwart? 
Antwort: Gerſon in 
Berlin. Erhatdasgeug 


dazu. 
s 


Neue Hfrafe. 


Onlel Regierungsrat ift 
in der Ichten Zeit wohl recht 
unartig geweien, Rapa?* 

„Weshalb denn, mein 
Eohn?” 

„Na, weil er jekt alle 
Tape in ver fammer fiken 


muß. 
2 
Skat und Ehe. 


Gine Sfatipiel-Nedensart 

Klingt im Eheleben hart: 

Riemals jagt zur Frau der 
Mann, 

Daß ste ihm nid „reigen® 
Tann. 


Hebotene Vorſlcht. 


„Zie! Nehmen Sie fi 
in edit, daß der Herr da 
drüben mit feinem Taidhen« 
meter Ihrer Nafe nicht zu 
nahe kommt.“ 

‚Warum denn?” 


‚Griitupfertcher.” 


v 


Immer nad) eigener Anſchauung! 
N: „Haben Sie ſchon gehört, daß die Haben hundert Jahre 


alt werden fünnen ?“ 


2: „Hundert Jallte? Das glaube ich nicht, folange ich's 


Morgen ſchahſe ih mir aber einen an.“ 


» 


Lin feiner Beobachlker. 
Der Kerr Dortor ſcheint großer Hundefreund zu fein, * 


Woraus ſchließen Zie daß 


„zo oft ıy mit ıbm im Geſellſchaft war, habe ih immer 


einen kleinen Epik bei Ähm wahrgenommen.” 





yy Google 


114 


3 Bum Kopf:Berßrechen. 2» 


Dedeufender Fund. 


63 wurde eine Inſchrift auf einem Steine vorgefunden, in 
welchem die Buchſtaben mit Etiften beieftigt, angebradt waren. 
Ein großer Teil derjelben war jedoch verloren gegangen, fo daß 
an dem Steine außer den verbliebenen Buchſtaben nur noch einige 
Stiften oder wenigftend doch Kleine Aushöhlungen, wo bie Stiiten 
der verlorenen Buchſtaben angebradt waren, erichtlich blieben, 
Diefer Stein ift nun bier getreulidy wiedergegeben : 


















— — 


—— 


I 2 HA» ARELAN 


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URBAN 


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\ gar sr TEN: 2 4 | 


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4 


....” 


Ein Gelehrter entnahm aus den Worten manibus, caper etc. 
daß es fih um ein Opfer handelt, welches den Manen eines Wer» 
ftorbenen gebracht wurde. Die Gelehrten unſerer Zeitſchrift jind 
fi über den Anhalt nicht ganz einig und erwarten Aufidlüfie 
feitens der Leſer. 


KXrithmetifhe Aufgabe. 


Eine Baueröfrau, die einen Korb mit Eiern auf den Marft 
trägt, bat das Unglüd, denfelben fallen zu laffen, fo daf die 
Gier jerbrechen. Ein vorübergehender Dienichenfreund befchlicht, 
ihe den Schaden zu erjeßen, und fragt, wie viele es geweſen 
fein? „da,“ fagt fie, „genau weiß id) e& nicht, wenn ich aber 
die Eier zu zwei, zu ‚„ ju vier, zu fünf und zu ſechs ab» 
zählte, blieb jedesmal eins übrig, wenn id fie aber zu ficben 
abzäblte, blieb mir nichts übrig; ich weiß aber, daß «8 feine 
fiebenhundert waren; wie viel Gier hat die Frau gehabt? 


Dar — 


Wie kann man durch Verſetzen der Buchſtaben aus den vier 
Borten „Arbeit, „Io*, „Eva*, „jhilt* die Namen wweier 
Königinnen ein und desſelben Landes, und aus den vier Wörtern 
„Part“, „Salm“, „ohne“, „Seite“ die Namen zweier Dichter 
diejes Landes erhalten ? 


Quadrafräffel. 


Die mit einem Stern bezeichneten Felder des untenfichenden 
Quadrats find mit je einem Buditaben jo auszufüllen, dab bie 
fünf wagerechten Reiben fünf befannte Wörter ergeben, und daß 
die erfte und dritte jenfrechte Reihe, von oben nad unten gelejen, 
einen berühmten Nomponiften nennen, 














Dediffrieraufgabe, 


2f1w 5a g2i Kamit 120t1 gl2a Alte, 
21 g5v Nidig zitlägfn2fl c21t1a! 
1t biv2wcw, gilt nltgt ylim2ltla. 
1t 


2p Andfm 2vw, gltnitalgig Bflplite; 


Q 
(0) 
3 
Auflöſungen zu SHeft 6, 9. 715. 


Schlüffelrätfel (Schlüfiel dazu): 
99 Iogavıy 
abcdefhıkl 
Ts Yso0oyY}0® 


mnorstuvwz 


Mebus: Kolonialpolitik, 
a Aufgabe: Ein Maler zu Amalfi malte niemals 
unde, 


Sildenräffel: 1. Und, 2. Acht 3. und 4. Hundert, 5. Zehn, 
6. und 7. Adıtjig, 8. Vier. Richtig untereinander geſtellt 
ergibt als Ganzes: 1884. 

Skataufgade: Am Slat liegen: Zreff-Bube und Pique-Zchn 
oder Piqueflönig), Mittelhband bat: Treff⸗Aß, —— 
König (reip. Piqut ⸗Jehn) zc. Hinterhand hat: Coeur · Bube. 
Treffegchn, PiquerHeun und Acht x. — Griter Stich: 
Vorhand PiauerBube, Mittelhand Goeur oder Garreau, 
—*25*8 Coeur · Bube. Zweiter Stich: Vorhand Treffs 

ieben, Mittelhand Treff ⸗ Aß, Hinterhand Treff · Jehn. — 
Vorhand kommt nun entweder mit Pique ⸗Aß ober mit dem 
Garreau» Buben an den Stich und hat dann Reſt. 

Buhfladenverfegung: Durch Berjehen der Vuchſtaben Tann 
man aus den drei Wörtern „Dorf*, „Grille‘, „Seite“ den 
Namen Gottfried Keller, und aus ben vier Wörtern „Rügen“, 
„Rinde*, „NReb*, „ih“ den Titel feines Romans „Der grüne 
Heinrig* erhalten. 


Üuflöfung des Preis-Hhlüfelrätfels in Heft 4. 
a Mädchen, c mit h Schlitten mit Pferd, d Zelte, e Herren 

mit Schlinſchuhen, f Heine Schlitten, g Damen, h (fiche c), 
i Anaben mit Schlittiguhen, k Löcher im Giie, 1 Hunde, 
m Bänke, n Echneehaufen, o Echneemänner, —— s Damen 
mit Shlittihuben, t Mädchen mit Schlitiſchuhen, u Knaben, 
w ahnen, z Schneebälle, 

Luſtig tummelt auf dem Gije 

Alt und Yung fih, Groß und Alein; 

Aeder jucdht auf feine Weile 

Sich des Winters dort zu freu’'n, 








— —— — — 


Shah. — Nach berühmten Muſtern. 11 5 


Schach · Aufgabe Ar. 3 
von D. W. Clark in Zarnaul. 
(Schwarz. 
0DEFGH 


— — 
— — — — 
m © 





Weiß zieht an und jeht in zwei Zügen matt, 


Sdadpartie Ar. 2. 
Evans · Gambit.) 

Dieſe Partie, vor einer langen Reihe von Jahren von dem 
1879 verftorbenen Anderjjen gegen den in Berlin noch jetzt 
lebenden Schadveteranen Dufresne gefpielt, wird an Glanz 
und Eleganz von feiner anderen übertroffen. 


Adolph Anderfjen, Jean Dufresne. 
Mei. dıwarz 
1.e2 — o4 eT—e5 
2. 8g1—f3 Bb8 — ch 
3 Lfl— cä4 Lf8—c5 
4.b2 — ba Le5xX ba 
6.02 — c} Lb4 — a5 
6.42 — di e5 x da 
1.0-0 da4 — 43 
8.Ddl —b3 Dds — f6 
9e4—e5 Die — gel) 
10. Tfi1—el 88 — e7 
11. Lel-a3 brT— b52 
12. Db3 X b5 Tas —b38 
13. Db5 — a4 La5 — 66 
14. Sb1 — d2 Le8s— br 
15. 5d2 — e4 Des — f5? 
16. Lc4 X d3 DIS —h5 
17. Se4 — 16 +3) ETXLE 
18,05 Xf6 Th8— ga8t) 
19, Taı — di Dh5 X f35) 
20, TelXeTr+ 8c6 X 76) 
21.DasXdr+ Kes X dt 
22. Ld3 xXft5++ KdT— e8n 
23. Li6 — dT + K beliebig. 


24. La53 XeT + 


Erläuterungen: DAuf8c6 Xe5 geihieht Tf1 — el 
und gewinnt. 2) Ein Gegengambit zum Zwed ber Schwächung 
des feindlichen Angriffes. 3) Einleitung zu überaus fhönen Epiel« 
wendungen. 4) Mit der Drohung Df3: 5) Dak Schwarz, 
weldes den Gegner ja mit + bedroht, die folgende pradtvolle 
Opferfombination nit ertwogen, wird niemand wunder nehmen. 
A .. folgt das Zurmopfer 47: 7) Bei Kc6 feht 

247 * 


5chachbriefwechſel. 
Die Bilungen der Schachaufgaben Nr. 2 und 3 folgen 
im Maiheft (8). 
Die Schachaufgabe Nr. 4, welche im Maiheft ericheint, 
wird eine Löfungs-Breisaufgabe fein, woranf wir bie 
Schachfreunde ihon jest aufmertſam machen. 


8: 3 ing Sceitert an 1..... ‚„f5— fa Senden 
Eie uns die ragliähen Partieen zur Anſicht ein. 
B. ®. in 5. Wal wegen 1..... ‚Se4. 


3. ®. in 4. Schlagen Sie in Portius' Shahlatehismus* 
Aufgabe Nr, 1 nah. Die Löfung iſt falſch. 
. PD. in. Wie Sie aus der Löfung zu erjchen bes 
lieben, haben Sie richtig gelöft. 
Nr. 1 wurde gelöft von W. Dams in Repelen, W. Lieb» 
mann in Leipzig und F. Vogeler in Ghemnih. 


Nah berühmten Muſtern. 

Das Neujabrsrätfel im 5. Band, welches bei unferen Leſern 
fo außergewöhnliches Interefle erwedte, ift einer Chiffrier-Manier 
nadhgebildet, wie foldye 1793 bei der Wurmferihen Armee am 
Rhein kurz vor ihrem Rüdzuge entbedt wurde. Die Reusffranfen 
bedienten fi ihrer, um mit freunden zu verkehren. Giner 
diefer Briefe lautete: 


Lieber Bruder! 


Morgen früh reife ich 
auf 8 Monate fort, ehn= 
geachtet der fo flürmen- 


Yen Winde. Gott wird 
uns die Freude geben, 
uns wohl wieder zu fe= 
hen. Diefe Linien fol- 
ben Zeuge meiner Liebe 
feyn, bis wir uns wieder 


fehen. 


Legte man dann auf diefe Eeite eine vorher verabredete 
Papier-Schablone, jo erhielt man den wahren Sinn, welchen der 
Abjender dem Adrefiaten mitteilen wollte, nämlid: 


Morgen früh 


ürmen 


wer 


die 


Aernien 
Der Hinweis auf dieſe merlwürdige Korrefponben;, mit 
Schablone und Schreiben findet ſich im Jabraang 1795 des 


bei Johann Ghriftian Dietrid in Göttingen erfhhienenen Ne» 
volutionsalmanads Eeite 283. 








$. £utbmer, Die Kunft im Haufe. 


Die Kunſt im Saufe. 


Bon H. Futhmer. 


116 





Silberfd mu d. 


ie die Toilette unſerer Damen, jo hat befanntlidy auch das 
ee Seihmeide jeine beftimmte Rangorbnung: für Ausnahms- 
gelegenheiten trägt man die Brillantgarnitur — wenn man jie 
bat! — für —— Falle den Goldſchmuc und zum Haus · 
tleid reiht ein Quincaileri»Shmud aus. Wie ſich hinſicht · 
lid) der beiden letzteren Klaſſen die Anſichten in ben letzten zehn 
Jahren verändert haben, das gibt einen begeidhnenden Mahſtab 
für den freieren und ridptigeren Standpunkt, den wir überhaupt 
den deforativen Stünften gegenüber einnehmen. 

Wer kennt nit noch heute den Goldihmud der fünfziger 
und ſechziger Jahre, wie er für die Anjprüche der bejcheideniten 
Kafien in Pforzheim und Schwäbiſch-Gmünd und aud wohl 
nod an anderen angefertigt wurde, und der von ben 
YJuwelierläden unferer Meineren und fleinften Städte auch heute 
noch nicht ganz verbannt ijt, während in den größeren Städten 





ſchon ein 
Ihmähen würde. Dem 





noch ganz intereffant fein, daß 
man das geringwertigſte Bold zu 
diefer Dünne auswaljen und doch 
nod verarbeiten, ibm doch noch 
eine fhreiende Politur geben fonnte 
— vom funftgewerbliden Standpunfie 
bezeichneten diefe federleichten, von Anichen 
unendlih klobigen Edhnörkel, Gartoucen, 
Schleifen x. den vollftändigen Banterott des 
Geihmads. — freuen wir uns, daß es damit 
befler geworden ift; aber midt die vollendeten 
Goldarbeiten unferer Tage, die nad) etruriichen 
und altnordifhen Vorbildern das edle Metall in 
feiner ganzen Schönheit zur Geltung bringen, bürjen 
wir jenen Edaumproduften entgegenftellen, denn 
folive und ausgezeichnete Goldwaren zu teueren 
Preifen gab es aud) damals; wer aber weniger aufs 
wenden will, kann beute edel geformtes, Tolides 
und doch billiges Geſchmeide tragen — denn das 
Silber ift als Shmudmetall wieder in feine Rechte 
eingefeht und gerade in den fleigigen Städten des 
Schwabenlandes, die wir oben anführten, werben 
heute Silberihömudarbeiten bergeitellt, die auch den 
verwöhnteften Geihmad jebigen können. 

Daß das Silber frü ale Material für 
Schmud nicht als ebenbürtig galt, ift eine von den 
Launen der Mode, nad deren Grund man gut thut 
nicht zu fragen. Wenn es auch nicht die leuchtende, 
fröhliche Farbe des Goldes hat, jo ift das feine 
es fein natürliches Meid ift, dohein 
äuferft dankbates Element in der Farbenſtellung 
unjerer Zoilette, zumal wenn diefelbe neuerdings vor leb» 
bafteren Tönen nicht mehr zurüdichredt. Die jonjtigen guten 
Eigenſchaften des Eilberd, vor allem feine Schmiegfamteit 
a Dehnbarfeit, welde ihm von jeher für die edeliten 
Werle der Stleinjtulptur den 
Borrang vor allen anderen ger 
geben bat, jei mur beiläufig 
erwähnt 

Wir fönnen in dem auß 
Eilber gietem Geichmeide 
der neueften Zeit — dem bie 
Lejerin immerhin den Namen 
„Quincaillerie“ geben mag, wenn 
fie es nur trägt — zwei Haupt« 
richtungen unterfcheiden, die eng ⸗ 
liſche und die deutiche. Die erftere 
verwendet das Eilber in beinahe 
weiher Farbe und in einer flumpfen 
Behandlung der Oberfläche, welche 
dies Weiß recht entſchieden hervor» 
treten läßt, Die formen find 
jumeilen ſehr derb und einfach, 
was bei diefem fkünftleriid»dant« 
baren, an ſich aber nicht wertvollen 
Material nicht recht motiviert er⸗ 
fcheint; zumeilen jehen wir aber 
diefen Halstetten und Armbändern 
fchr edle Mujter aus dem grier 





ienftmädchen, welches etwas auf ſich 
Technologen mag es aud) fpäterhin immer 






ält, ihn ver« 
Wie. 8. 


chiſchen und römifhen Altertum 
zu Grunde gelegt, zuweilen aud 
arbariihen Edhmud, keltiſche 
Gräberfunde u. dergl. mit Gefchid 
benußt. Immer ift der Gejamtein« 
drud dieſes engliſchen Genres im Silber- 
Ihmud ein durdaus ruhiger, freundfid- 
erniter, wir möchten ihm in der Toilette 
der Damen ſchon feiner weißen farbe wegen 
ähnliche Nolle wie den Rüſchen, Spiken, Man» 
ichetten u. f. w. zuweifen. 

Weſentlich anders wirft der deutiche Silber» 
Ihmud. Er folgt dem entſchiedenen Zug unferes 
Stunftgewerbes und entlehnt feine Borbilder der 
deutichen Nenaiffance; ein fpäter Meft derielben, 
der ſich im Bauernihmud bis ins vorige Jahr« 
hundert in Süddeutſchland erhalten hatte umd 
jeht noch häufig in unferen Sammlungen in 
außerordentlich reizvollen Beifpielen zu jehen ift, 
bietet ebenfalls beliebte Mufter. Der Charafter 
der lehteren iſt eine burdhaeführte Formenſchön · 
heit bis ins einzelne; in fehr Meinem Makftab 
ift die fehte Mante, das Hleinfte Angelstöpfcen 
noch durdeifeliert. Auch die Müdjeite ift meift 
nod) mit dem Grabfticdel behandelt, Alles dies 
geben unjere modernen Arbeiten, zum Teil wohl 
mit Hilfe der vorprägenden Maſchine wieder 
und beſtht bierin das unterſcheidende Merkmal 
von der wirfliden Jahrmarkt» Bijouterie, die 
natürlich nicht verfäumt bat, auch dieſe an ſich 
ihon billigen Sachen in ſchlechter Prägung plun- 
derig aus verfilbertem Mefjing nabzuahmen. 

Bei der deutlichen Silber» Bijouterie ift die helle 
farbe des nereinigten Silbers nicht beliebt, man läßt es 
ihwad orydieren, ohne, wie die Gontrefagon thut, die 
Tiefe mit Schwarzer Farbe 
zuzufchmieren, Die höch⸗ 
ften Stellen des Orna⸗ 
mentes, welde durd den 
Gebraud) blank werden, 
bilden zu dem zarten Grin 
einen hübſchen Gegenfat. 
Dies letztere ift, wie be» 
reits oben gejant, neben einer 
ftarf farbigen Xoilette ein ſehr 
danfbarer Gegenjab; übrigens 
verträgt oder verlangt fogar auch 
dieſes Silbergrau eine Aufböhung 
durch Farbe an dem Schmude 
ſelbſt. So fehen wir farbine 
Salbedelfteine, befonderd Gras 
naten, aber aud Türkiſe, Lapis⸗ 
lazuli, aud Heine Perlen mit 
Grfolg an dem Silberſchmuck 
verwendet, Bei einer ſolchen, 
einen gewifjen Farbeneffelt erjie» 
enden Behandlung ift natürlich 
auch Bergoldung nit ausge» 
ſchloſſen, doch ift diefelbe mit 





Der geflirnte Himmel im Monat Upril. — Aus Küche und Hans. — Aus der Technik. 


großer Borfiht anzuwenden, um nicht den Eindrud des Un ⸗ 
echten zu maden. Die unjerem Yuffak nem Alluſtrationen 
ſtammen aus den Werkſtänen der . Bauer in Schwä ⸗ 
biih-Gmünd und V. Ritter in Gotha und find nad eigenen 
Entwürfen — Außer den genannten auf dieſem Ge 
biete bewährten Meijtern beihäftigen fih aber im Norden und 
Eüden von Deutihland nod viele Werkitätten mit diefem zwar 
billigen, aber echt fünftleriigen Silberfhmud. 


Der geflirnfe Himmel im Monat Xpril.*) 


In ** Monat kann man den Verſuch machen, den 
Planeten erfur mit blofem Auge aufzufinden und zwar 

Schluß des Monats kurz nad Sonnenuntergang. Der 
Sreignetfte Tag ifl der 25., wo der Planet am wmeiteften öſtlich 
von der Sonne ftebt. Auch Venus ift noch gut zu fehen und 
zwar faft 2 Stunden lang nad Sonnenaufgang. Jupiter ſteht 
anfangs um 7 Ubr, ſchlleßlich ſchon 5%, Uhr abends in Süden 
und geht natürlih auch entiprechend früher unter, zulekt [don 
gegen 2 Uhr nachts. Noch beſchränller ift die Sichtbarkeit des 
Saturn, der bereits 3 Uhr nadmittags im Meridian 
fteht und endlih in der Abendbämmerung ganz unſichtbar wird. 
Das erfte Mondpviertel tritt am 2., der Bollmondb am 
10, ein. Lehterer ift von einer Mondfinfternis begleitet, die 
jedod nur unbedeutend if und von der überhaupt Europa nichts 
fiht. Man wird fie in Oft-Afien, Australien und dem weftlichen 
Amerifa beobadyten fünnen. Das lehte Mondviertel findet 
fatt am 15., der Neumond am 25. ; am folgenden Tage fleht der 
Mond in der Erbnäbe und foll dann nad einem alten, neuer 
— wieder aufgefriſchten Aberglauben, Regen und Wind 

ringen. 


Aus Küde und Sans. 


Bon £. von Pröpper. 





Aüglihe Verwendung der Hpeifenrefle. 


Suppevon Kartoffelbrübe. Man lafie etwas Mehl 
in Butter aufgehen, gieße die Kartoffelbrühe daran, thue Suppen» 
träuter hinein, wie in eine Fleiſchſuppe und hernach geröſtete 
Weißbrotwürfelden, tann die Suppe auch nod mit Ei und 
faurem Rahm abziehen. 

Rartoffelbrühe follte überhaupt nie weggefchlittet werden, 
da fie, wegen ihres Startoffel» und Ealzgehaltes, aud zu Saucen, 
Gemüfen und dergleichen, jo viel beffer ift, ala blofes Wafler; 
doch kann man k nur von geſchãlten Startofjeln benußen. 

Gansbruftreite in Ragoutmuidheln (Coquilles). 
Man ſchneide die Reſte in kleine Würfelchen und ſchwinge fie 
mit etwas friiher heiker Butter einige Minuten lang über dem 
Feuer, gebe fie nun in die mit Sardellenbutter ausgeftrichenen 
Muiheln und ſchlage vorfihtig, damit der Dotter ganz bleibe, 
ein Ei auf jeve Mufdel, falze es, fehe die Muſcheln einige Mir 
nuten vor dem Anrichten in den Badofen (Röhre), dak die Fier 
an aber ja nicht hart werden und ferviere jofort über einer 
achted ig nefalteten Serdiette. 

Aufgezogenes Sauerkraut mit Fiſch. Man kann 
zu dieſer Fehr beliebten Sparf&hüffel, denn fie wird faft immer 
aus Reiten bereitet, faft alle Fiſche benuhen, wenn glei 
Schwaben und en ber ie 

au 


Gechtkraut) bevorzugt wird, 
aber auch Schellfiſch, Kabeljau, Karpfen und dergleichen, find 
fchr gut dazu. 

Dan habe nun einen [hönen Reſt Sauerkraut und ein hübſches 
Stüd gelochten oder gebratenen Fiſch, den man entgrätet und in 
nette Stüde teilt. Dann verllopfe man etwa drei Gier mit einer 
Tafie faurem Rahm und vermiſche den größten Zeil dieſer Mafle 
vermittelft einer Gabel, mit dem Sauerkraut, beitreiche eine Auf« 
laufform wohl mit Butter, beftreue fie mit gefioßenem Weißbrot 
und fege ben größern Zeil des Sauerfrauts hinein, den Fiſch 
darauf und auf diefen Gtüdhen Butter, Salz und eiwas 


& in 





") Auf viele Anfragen teilen wir dierdurch mit, daß bie Etern- 
tarte, welche bem eriten dert beigegeben war, aud für meneintretende 
Abonnenten ober Eolde, denen bad Blatt abhanden gelommen in 
gum Ginfenbung von 30 Pfennig in Briefmarten burg bie Verlags. 

nblang biefer Zeitſchrift zu begichen if, 


117 


Pfeffer, darüber den Reſt des Sauerkrauts und über biejes ben 

Met der Mafle, geftoßenes Weikbrot und Stüdhen Butter und 

8 = is m in den Badofen (Röhre), bis das Weißbrot 
n bräunlich ift. 

Farcierter Pfannkuchen. Man bade einen newöhn« 
lihen Pfannkuchen, fleche aber nicht hinein, weil er nicht loder 
fein ſoll, Lege ihn auf eine Schüffel und laſſe ihn erfalten, nehme 
dann einen Fleinen, etwa eigroßen Reſt Fleiſch, hade ihn mit 
ein wenig Eped und vermenge ihn mit einem Ei. Salz, Pfefſer, 
Muskatnuß und ein wenig in Wafier geweichtem Weihbrot zu 
einer Farce, beftreiche damit den Pfannkuchen, rolle ihn auf und 
drüde ihn mit der Hand ein wenig nieder, jdhneide ibn dann 
der Quere nad in fingerdide Scheiben und bade fie mit Butter 
auf beiden Seiten. — Gute und woblfeile Beilage zu Gemüſe 
und Ealat. 

Groquetten von Kartoffelpüree. Man gebe in die 
übrig gebliebene Püree, etwas in Waller geweichtes Weifibrot, 
ein wenig Diehl, Sal, Muskatnuß, Citronenſchale und ein paar 
Eier, forme längliche Groquetten daraus, wende fie in gefiebtem 
Weißbrot um und bade fie mit Butter in der Pfanne. — Bei« 
lage 7 grünen erh: oder Möhren, oder mit Kompot zu geben. 

rutbahnjhlegel auf ungarifhe Art, mit Pas 
prila. Dan reibe bie reftgebliebenen Schlegel eines gebratenen 
Zruthahns, jeden mit einer ftarten Meſſerſpitze Paprifa (ſpaniſchem 
Pieffer; allenthalben ein, lafje dann ein Stüd frijde Butter in 


einer Pfanne recht hei werden und die Schlegel fünf Minuten 
lan t ftartem er darin braten, worauf man fie recht 
heiß anrichtet und eine weiße Gapernjauce dazu reicht. 


Salat aus Rindfleiidreften. an ſchneide etwa 
Y, kg faltes Rindfleijd in feine, mundgerechte Etüdden, ver« 
re etiwas Genf mit zwei Ehlöffeln didem jaurem Rahm und 
vier Ehlöffeln Eifig, füge dann Pfeiler, Salz, fein gehadte 
wiebelden, Eödragon, Pimpinelle und Pfefferkraut (breitblätterige 
reſſe) Hinzu und menge das Fleiſch damit an, 

Mayonnaije, Su diejer eignen ſich Refte von gebratenem 
Geflügel am beiten, die man neit zerlegt, mit Mayonnaljefauce 
übergieft und mit Salat und Eiern garniert, doc fünnen auch 
Kalbsbratenrefte, in hübſche Scheiben geihnitten, dazu benußt 


werben. 

Folgende Sauce ift befonders zu empfehlen: Man gebe im 
eine Scale einen here Iheelöffel gehadte Schalotten, einen 
Theelöffel gebadte Peterfilie oder Esdragon, einen Theelöffel ge- 
ftoßenen Juder, 8g Sal und ein Eigelb, rühre nad und nad 
einen Ehlöffel feines Del und zwei Eplöffel feinen Eifig hinein 
und eben vor dem Anrichten 1; Liter geſchlagenen Rahm. 

Schneeberg. Man ſchneide Reſte von Stuchen oder Pudding 
in länglie Stüde, beitreihe eine Porzellanſchüſſel mit frifcher 
Butter und lege abwehjelnd eine Schichi von diefen Stüden und 
eine Shit von eingemadten Früchten, welche auch aus ver ⸗ 
ſchiedenen Neften beftehen fönnen, darauf, ſchlage drei Eiweiß 
zu fteifem Schnee, vermilche ihn mit drei Eßloͤffeln gefiebtem 
Yuder und ftreiche dies über die Stüde, befiche ed mt Zuder 
und - — in einem nicht zu beißen Ofen (Röhre), — 
wie Bisfuit, 


Aus der Technik. 
Wenefle Patentanmeldungen. 





Automatifhes Minenfyftem. Zur Pefeitigung eines 
nod ſchwerwiegenden Uebelftandes bei der Verwendung der See- 
minen haben die Herren de Zaund unb Ezigyarto in 
Wien eine Borritung erfunden, mittela welcher die ftets ver« 
änderlihe Wafierhöhe über der Seemine jelbitthätig reguliert 
werden fol, Mit dem zur Beranterung dienenden Stein ijt eine 
Doppelrolle D (Big 1) verbunden, um weldye ſich zwei von der 
Mine ausgehende —— in mehrfachen Windungen ſchlingen 
und dann mit einem Cylinder C, dem Regulator, in Verbindung 
gebracht werden. Diejer Requlator ift oben volftändig verichloffen 
und außerdem nocd zur Serftellung eines als Auftrieb wirtenden 
Iuftgefüllten Raumes mit einer Scheidewand S verfehen, während 
unten ein durchlochter Boden den Berihluk bildet. Zwei von 
oben nad unten durchgehende Röhren R und R’ dienen nur zum 
Durdlafien der Drahtjeile. — Wird diefe Borrichtung nebjt der 
Sremine bei einem beliebigen Waflerftand in der Weile, wie 
dies die Zeichnung angibt, verientt, jo bewirkt der Auftrieb 
ber Sceemine fo lange ein Steigen derjelben, bit das in den 
Requlator eindringende Wafjer diefen derart beihwert, daß er 
dem Auftrieb der Scemine das Gleichgewicht hält. — Durd 


118 


allmäbliches Anziehen und —— Feſtlegen der er Dr ' 
üde. : 


man der Mine die erforberliche Lage unter der Waflero 
Erhöht fih alsdann der Waflerftand über derielben, jo wird 
durch den hierdurch entftehenden größeren Drud ein grö 

Bafjerquantum in den Regulator gedrängt, fo daß dieler nad 
unten fintt, während die Seemine nad oben fleigt. — Das 
Umgefebrte findet na« Drud des Renus 
türlich ftatt, obald fi lators vorläufig allein 
der Waſſerſiand ver⸗ auf theoretiicher Berech · 
mindert, wodurch der nung und dieſe ergibt 
Regulator gehoben und in der Praxis nur gar 


die Sceemine herunter ⸗ u oft fehler, welche den 
gejogen wird. — Unber 84 ganzen Ey» 
dingt ift diefe Vorrich⸗ ftems in Frage zu ſtellen 
tung äußerit ingeniös vermögen, 

erdacht und verjpridt Ein aufammen» 
auch bebeutungsvolle legbarerKeifetiſch. 
Borteile beim Gebrauch Herr Rudolf Peters 


aus Alt⸗Landeberg hat 
einen Tiſch fonftruiert, 
welcher auf jeder Reiſe 
als ein faum 50 cm 
langes und 25 cm brei« 
tes, reip. hohes Hüften 
mitgeführt und an jedem 
beliebigen Ort, wo fi 
Raum dazu findet, alfo 


der Seeminen ; nur bür« 
fen darum die Erwar« 


das Funktionieren einer 
monatelang unter Wai» 
ee befindlien Molle 

neswegs volllommen 





gefihert und ſodann be= audbim@ijenbahncoupe, 

ruht die SHerftellung / mit großer Leichtigleit 

des notwendigen Gleich ⸗ en. ergerichtet und aufge» 
9-1, 


gran jwiidhen dem t werden fann. Die 
uftrieb der Mine und uptbeitandteile diejes 
Tiſches find: Die Tiſchplatte T; dieſelbe bildet beim Transport 
die vier langen Wände des Käfichens, beitcht fomit aus vier 
dur Scharniere miteinander verbundenen Zeilen. Zu berjelben 
gehören vier Steifen S, welche die Plattenteile zufammenbalten 
und 2a mit denfelben verihrauben laſſen. Das Stativ Y mit 
drei durch Scharniere mit bemjelben verbundenen Füßen F und 





Wie. 2. 


drei loſen Streben X. Diefer Teil 
Täkt ſich mit Leichtigkeit zuſammen · 
Mappen und dann im die zum 
Kaften formierte Tifhpfatte ein- 
fhieben. Den Verſchluß des Kaſtens 
bilden dann nod pwei Bodenbreit« 
Ken mit Handhaben, durd melde 
ein Riemen zum Bufammenhalten des 
Da fih in den vorhandenen Zwiſchenräumen des zujammen» 
geflappten Käfthens noch manderlei andere Reifebebürfniffe wie 
auch Lebensmittel ze. unterbringen laflen, erſcheint der Reiſetiſch 
durchaus praftiih und empfehlenswert. (Fin. 2 u. 3.) 

Gin Tafhentintenfaß, Yu den bereits zahlreich vor« 
bandenen Artileln diejer Art hat ein Stubiofus ſtüſter aus 
Berlin ein neues hängen BB‘, 





Ganzen gezogen wird. 





Gremplar erfuns dem SHängering 
den, weldes 0, welcher eben» 
jedoh erwah · alla mit zwei 
nenswerte Bor» ufhängern B'’ 
— aufweiſt. (B) verſehen 
sjelbe befteht ift, dem Geitell 
aus dem halb» mit drei frühen, 
kugelförmigen die ſich nad oben 
eigentlichen Tin» und jwar bis 
tenfaß(A ig. 4) über den vers 
mit Gutiapercha · ſchloſſenen Gut» 
dedel und zwei Gig. d taperdadedel 


loniſchen uf · umklappen lafs 
fen, jo daß dadurch der Dedel feſt nach unten gebrüdt wird 
und das Ganze fih beauem in der Taſche mitführen läßt. Der 
eine Fuß läht ſich durd eine Schiebevorrichtung 8 erheblich ver · 
fürgen, ſo daß das Stativ auf die ſchiefe Fläche eines Pulte 
ſicher aufgeſtellt werden klann. Das Ganze erſcheint handlich und 
prattiſch und iſt ala beſonderer 574 die Hängeeinrihtung zu 
beachten, durch weldhe das Tinlenfaß ſieis eine ag Se ane 
erhalten fann, felbft wenn der Standort wie in Eifenbahnen, 
auf Schiffen zc. erheblich ſchwanlen follte, 

Apparat jurgrapbiihen rl Bed Tönen 
und zum Reprodugieren derjelben. Herr Arthur Freuch, 


Die Holzblumen. 


St, Georg in London, hat einen Äuferft finnreihen Apparat gur 
Patentierung eingereicht, deſſen Zwec darin beitcht, die darch 
ein Zelephon gelangenden Zöne auf photographiihem Wear 
(faubatten und dann jpäter wieder zu reproduzieren. Der 

pparat ift ziemlich einfah und wie folgt beihaffen: Eine mit 
einer lichtempfindlien Schicht verjehene Glasplatte G dreht fi 
in einem Geflell um ihre Udje, was durch ein skiamätie — 

vor 


wird. An ent · 
ſprechender 
Stelle befindet 
ſich ein Tele 
phon T, deſſen 
Rohr eine feine 
Durchbohrung 
O enthält, fo 
daß ein durch 
O fallender 
Lichtitrahl die 


Glasplatte 

trifft. — Nun verſchließt 
Wird nun die Blasiheibe gedreht während Töne das Teledhon 
treffen, fo marlieren ſich le er Zeichen auf der Scheide 
die nachher photographiſch fiziert werden fünnen. — Gi mus 
bierbei bemerkt werben, dak durch Vermittlung einer einfachen 
Vorrichtung der Weg, den obige Zeihen auf der Glasicheibe 
beſchreiben, eine Spirallinie bildet, wodburd die Länge besjelben 
weniger kurz bemefjen wird, 

Sollen nun, nad beliebig langer Zeit bie fo iſch firierten 
Töne wieder wacgerufen werden, jo wird bie Glas. 
ſcheibe in den Apparat eingefcht und fobann anftatt der Klappe 
ein Meines Stüdchen Selen, weldes Metall befanntlich die Eigen» 
daft befigt, die Fleftricität nach Maßgabe des darauf fallenden 

tes zu leiten, vor die Lihlöffnung gebradt und zugleih in 
die Leitung des zum Telephon gehörigen eleftrifhen Apparats 
eingeihaltet. — Sobald jeht Lichtitrahlen durch die Zeichen ber 
gedrehten Glasſcheibe und die Durdbohrung O fallen, wird die 
Membrane des Telephons genau nah Mafgabe des auf das 
Selenftüdden fallenden Lichis in Vibration verjekt und das er» 
wünjdte Tönen tritt ein. So wunderbar die Wirkung dieſes 
Apparats auch erfcheinen mag, jo haben uns dod die Erfahrungen 
ber lehten Jahre belehrt, daß Wirkungen gleich wunderbarer Art 

& thatjädhli hervorrufen lafjen, und ift barum aud bier nicht 
aran zu zweifeln, daß mit diefer Erfindung wieder ein ber 
Deutungsvoller Schritt vorwärts auf dem Gebiete der Eleltro- 
technik gemadt worden ift. 





Big. 5. 


Die Solzblumen. 





Gibt es denn Blumen von Hol, wenn man jelbfiverftänd» 
lich fünftliche Nahbildungen ausjchlieht? fragt der verehrte Leſer 
Allerdings gibt es ſolche und zwar gehören diefelben längf nicht 
7 den von der Diutter Natur am werigften bevorzugten. fprei« 
ich entbehren fie des jühen angenehmen Duftes, des bunten lieb» 
lichen Farbenihmudes unfrer heimatlihen Blumen; — was aber 
ihre Form und Geitalt anbetrifft, jo ift diefelbe, wenn aud) von 
feften,, tienichten Holze, in den meiften ger fo ſchwungvoll 
und anmutig, daß man nicht mit Unrecht ihr häufig den Namen 
Rosa de madera „Holjroje“ beilegt. Die Sache ift jedoch, mir 
es im erfien Augenblid eriheinen mödte, durchaus nidyt neu. 
Der gelehrte Botaniker hat längſt Kenntnis davon genommen 
und fie in den Bereich feiner wiſſenſchaftlichen Forſchungen ge» 
zogen, wie 3. B. ans einer intereflanten Abhandlung bes Grafen 
von Solms-Laubady ) über diefen Gegenſtand hervorgeht. Nichts · 
deftoweniger herricht über die Art und Weile der Entftebung 
noch ein Dunfel, zumal bei derjenigen Art von Holzblumen, 
deren bier insbeſondere gedacht werben joll und deren Heimat 
Gentralamerita ift. Diejelben befiken eine gewiffe Gleich ſoͤrmig · 
feit, find durchgehends von einem proportionierligen, kräftigen 
Unterftamm getragen und haften nicht, wie dies meiftent bei den 
böhft ungleihförmigen, europäifchen Auswüchſen der Fall if, 
unmittelbar flab an dem Stamm des Baumes. 

Die erfte Belanntihaft mit einer foldhen Blume machte ib 
in dem Haufe des MinifterrRefidenten von Guatemala, der ſich 

1) Das Hauftorium der Loranthacen und Thallus der 
— und Balnophoreen von H. Grafen zu Eolmi- 
aubad). 








Lügower. 


Ein biflorifches Kartenfpiel, — Der Rattenfönig. 


Fe eit in Merilo befand. 
ei Selegenheit eines Diners 
war die Tafel mit einer 
„Flor de madera* ge 
ihmüdt und errente durch 
die Gigenartigleit ihrer Er« 
fheinung allgemeine Auf» 
mertjamleit. Leider vermochte 
der Eigentümer nidt über 
die eigentlihde (Entitehung 
diefer jonderbaren Blume, 
die von mehreren Anweſen · 
den jogar als ein fünftliches 
Erzeugnis betrachtet wurde, 
nähere Austunft zu geben, 
er verſicherte jedoch, daß e& 
ein Naturproduft ſei und in 
den Urwäldern Guatemalas 
bei nur einer beitimmten 
Baumgattung vorfäme. 
Diefe Andeutung gab mir 
bei meiner jpäteren Anwejen- 
t in Ouatemala Beran- 
fjung, dem Gegenjtande 


Bierlicjleit und Gleich ⸗ 
mäßigfeit einer blumen 
ähnlichen Geftaltung, wie 
i ber Rosa de madera 
eigen. E 


Fin Hiflorifces 
Kartenfpiel. 


Im vorigen Band un« 
En Zeitſchrift veröffent« 
ichten wir auf p. 199 ff. 
48 Starten eines biftorijdhen 
Kartenipiels. Leider fehlten 
in dem uns zur Berfügung 
ſtehendem jeltenen Eremplar 
die vier Buben, welde zu 
König und Dame in Be- 
jiehung ftehen und in fol 
ender Reihenfolge auftreten : 


119 





Rofat. 


n: 
ergichotte, Kojal, Ziroler und Lützower fpreiheitstämpfer. 


a 
n nachzuforſchen. ledann, daß die DI 
* * En. = gegen le Durd den Beſitzer eines zweiten Exemplars find wir heute in 


weit kg (Guatemala), vier Leguas von Guatemala entfernt, 
in den Waldungen vorfäme, welde ſich am Fuße des Vulcan | der angenehmen Lage, das damals fehlende nachzuholen, und 
del ayuu (Wajier-Bullan) hinziehen. Dort gebeihe die Blume | hierdurch unfere &eler in den volftändigen Bejih des inter 
bei einer befonderen eflanten Kartene« 


Baumgattung , die 
bei den Eingebore» 
nen den Namen 
Quifleroilla führe; 
übrigens fäme bie 
felbe im großen 
Ganzen nur jelten 


ipieles zu fehen. 





Der Ratten- 


vor. Der gütigen Rönig. 
Bermittlung eines 
des rt wei Pen Has — 
55* ge em —— ab * 
ufſuchen einer ogenannter Wat» 
ſolchen Blume be» tenfönig, d. i. eine 
a De a Der 
‚ die m 
Wochen ein vor» Schwängen derge ⸗ 
Fe — ie > ftalt ineinanber'ver« 


Sere der in bei« 
ehender Zeihnung 
nad einer Photo« 





widelt und zufams 
mengewachfen find, 
daß fie durdaus 
nicht voneinander 
tönen, erijtiere, 
Aber man kann 
an dem Morhan« 


Zeile der wirllichen denjein derſelben 
Gröfe. Die beiden denetenen nicht Mg da 
doc zuweilen ſolche 


anderen Eremplare 

erhielt ich einige Zeit fpäter durch biefelben Vermittler, die zur 
GEntihuldigung der Verzögerung anfübrten, daß die „Flor de 
madera* immerhin nur vereinzelt en und das Aufſuchen 


mit mandperlei Schwierigkeit verfnü 


Was nun die Entitehung pen eig tümliden BI 
en Blumen« 
erigeinung anbeteifft, fo ift wohl annehmen, daß dieſelbe ent» 
we 


ireier. 





auf einen Inſelten · 
ſtich, ober, was wohl noch 
wahrſcheinlicher ift, auf die 
Wurzeltraft einer Parafiten« 
pflanze zurüdzuführen tft, 
deren amenlorm, vom 
Winde oder einem Bogel 
ze. in die äußerite 

nojpenjpike eines Zweiges 
gefallen ift, bier allmählich 
auswuchert und vermittelit 

der fid) auöbreitenden Wur · 
ein das eigentümlidhe er 

ilde hervorruft, welches 
immerhin nur als eine Ab» 
normität betrachtet werden 
muß. — Auch bei uns fom- 
men verwandte Erſcheinun · 
nen, 3. B. bei der Eiche und 
beionders beim Locantus 
europarus vor, obgleich 
diejelben mehr den Charal · 
ter eines monftröjen Aus« 
wuchſes tragen und nie die 


Naturfeltenbeiten zu finden find. So wurde vor einiger Zeit 
zu Lüneburg im Grundſtücke des Herrn Oblert an der Groben 
Bäderſtraße ein ſolches Raturwunder entdedt, das unjerer Zeiche 
nung zu Grunde gelenen hat. Es jind ihrer acht Ratten, welde 
freisförmig mit den Köpfen nad) außen, durch ihre Schwanzenden 
feit und fo unlöslih verſchlungen find, dab fie nur mit Ans 


wendung großer Gewalt zu 
trennen geivefen wären. — 
Eine ähnliche Abnormität 
wurde vor vielen Jahren in 
Erfurt in der Schloſſergaſſe 
angetroffen. Hier Hand «in 
altes Haus, welches man als 
Getreibeipeichher gebraudıte. 
Das Gebäude war aber jo 
baufällig geworden, daß c# 
eingerifjen und abgetragen 
werden mußte. Als nun 
die Zimmerleute bie Boden» 
breiter aufboben, ſprangen 
viele Ratten bervor und bald 
fanden die Leute unter der 
Diele eine Rattengeiellichaft, 
welche mit ihren Schwänzen 
derart verwidelt waren, da 
fie fih midt fortbewegen 
tonnten, So fonnten fie 
mit Leichtigkeit aetötet wer · 
den, was natürlich geſchah, 
ohne zu ahnen, was für eine 





© Bergläotte. 


120 


Seltenheit damit dem Shidjal alles Fleiſches überliefert wurde. 
65 warm nämlich elf der gewöhnlichen Hausratten, ſchwärzlich 
aſchenſarbig und volltommen ausgewadhjen. Die Ehwänze waren 
ineinander dit verihlungen und zuſammengewachſen. Sie glidyen 
einem Stnäuel von ber Größe einer Fauſt. Die Berihlingung 
Schwänze fing etwa einen Zollvon den Leibern an. Der Schwani · 
wulft ragte etwas über die Ratten hervor. In Orbnung ge 
bracht, Hildete der Sinäuel den Mittelpunkt, und die elf Ratten 
bildeten ebenfoviel Strahlen, am deren äußeritem Ende ſich bie 
Köpfe befanden. Die ganze ſtreisfläche hatte wohl an 11, Fuß 
im Durdymefier. Unter mehreren herbeitommenden Zuidauern 
ergriffen zmei junge Yeute zwei entgegenliegende Ratten und 
sogen mit Gewalt daran; die eine rig nahe am Leibe ab und 
der Schwanz blieb im Knäuel zurid. Beim Drehen und Wen⸗ 
den diefer Rattenfamilie ſah man deutlih, dab auf dem oberen 
Teile des Schwanzfnäuels die Schwänze wie verſchlungene Stride 
über» und untereinander ſich durdyogen, auf dem unteren aber 
mehr wie zu einem Floh gebildet und ineinander verwachſen 
waren, an weldem 
man beutlih nur i 
Erhöhungen wie 
Nähte ober Leiſten 
gewahr wurde, 

©. Lehmann. 


In‘ 





Dom ı 

- * — 
Büdertild. - 

Der 1. Band der 
im Berlag von Jul. 
Niedner (Wiesba ⸗ 
den 1883) erſchei⸗* 
nenden „Erzählune 
gen aus alten beut« 
ſchen Städten“ von 
9. Bonnet“ enthält 
eine Erzählung aus 
dem 15. Jahrhun⸗ 
dert betitelt „Der 

Geifterbanner 
von Rothen⸗ 
burg.” Der Leſer 
ſieht fi mitten in 
das foziale und po» 
litiſche Veben und 
Treiben einer das 
zumal geiftig wegen 
Stadt verſehl. Die 
NRepräſentanten jer 
ner mittelalterlichen 
Seit find feine che» 
men und weſen⸗ 
Ioje Phantaſte ⸗ 
gebilde ſondern lebentfriſche und Inmpailiihe Geſſalten. Tos 
Zeitlolotit iſt gewahrt, die Dittion nicht ohne Porſie und Wohl⸗ 
laut. Wir werden Gelegenheit nehmen, im turjem Die weiter 
erihienenen Bände an diefer Ztelle anzuzeigett. 

Im Anſchluß an obigeb Wert it der hiſtoriſche Roman 
‚Nürnbern* von Luiſe Oito Weinzia, H. Fiſcher Nachfe zu 
erwähnen, zu deſen Empfehlung wohl die Mirteilung genünt. 
daß bereits die dritte Ausgabe dieſes ſarbenprächtigen, auf 
ernilen Etudien beruhenden Romanes aus dem 15. Jahrhundert 
vorliegt. „Auch ich ſah Dich, und deine Eirine Iprachen”; jedem 
der dies „Melinnienfäitchen des allen deutſchen Reiches“ geſthen, 
wird es ähnlich wie dem Bertafier ergangen fein, welcher „die 
alte Zeit lebendig warb und vor deren geiftigen Auge die Jahr⸗ 
hunderte verfanten wie der ſinlende Tag”, — Mödte das Bud 
recht wiele Leſer finden. 

Um einige Jahrhundert meiter zurück vericht uns E. Hartners 
Roman „UnserdenjhmwargenAreny* Etipzig, A. Reiter). 
Nerfafier vericht es, ſhon nad werigen Zeiten den Leſer zu 
ſeſſeln und ihn für das Merchichise und Hulturbiib, welches er 
friſch und Ichenpig gejeichttet, gu interejkeren. Der Vorwurf. 
den er ſich gewählt, iit der Stamthf, dem die ihrer Götter und 
Freiheit beranbten Preußen im 13. Jahrhunderte mit den Rittern 
des deutſchen Ordens um bicje ihre beditcen Güter gekämpft 
haben. Eo iii ein beißen ſchweres Hingen des alten trokinert 
Heidentums nit dem Khriftetiglauben das unſer ganzes Drnten 
und Empfinden auf fich zicht und fchielt. 





Ger Rattenlönig. 


Dom Buchertiſch. 


‚Dasbift du” iſt der vielverſprechende Titel eine Romane? 
in 4 Büdern von G. dv. Amyntor (Berlin, Fr. Qurdhardt), dei 
nun mehr im Herzen des deutſchen Volles Wurzel ehe Ber 
faſſers der „bupodondriihen Plandereien.“ Daß wir darauf 
verzichten müfjen, an diejer Stelle den höchſt lefenswerten Roman 
eingehender zu anafyfieren, bedauern wir. Bei dem guten Slang. 
deſſen fi der Name Ampntor jedoch zu erfreuen bat, gewügt 
wohl biefer furze Sinmeis, Mit fyreuden begrüken wir qaleid- 
$ a die 2. Auflage des „Neuen Romanzero” (uamburg, 

. F. Ridter), cine Sammlung von lyriſchen eugniflen 
Ampntorß teils geharniſchter und polemifdher Natur, teils pbilo- 
lophiicher und rein menſchlicher Richtung, wie u. a. die „Tyriebhofs 
melodieen* Im ben Romanzen ift vielfach der echte Baͤlladenton 
getroffen ; das den Schluß bildende Myfterium „Der letzte Menih* 
eröffnet einen —5 Ausblid in eine glüdlihere Welt, in 
welcher der Menih wiffend und glaubend bier ſchon bes 
verlorene Paradies wiederfindet, — 

Ein Buch, das fih durch Friſche und Ungeſuchtheit ſtofflich 

wie formell r 

— ans 

jeichnet, iſt die Er: 

sählung „Um Pe⸗ 
tie" von Ad. Bren- 
nede (Zürich, Fäfer 

Shmi eg 

afler ba e gt 

e aus dem großen 
egtjahre 70771 

zum Zeil felbft mit 

— elbt, Wa t 

mifcht ſich mit D 

tung in barmoni« 

ſchem Buß; ber 
offen Ir age te 
tende 


zu Ihämen! 

Der als Inter 
pret der nordiſchen 
Litteratur bereits 
mohlbefannte 8. 
Paflarge hat die 
deutihe Litteratur 
vor Furzem mit 
einem neuen Werl 


hen, ‚„Norwegiſche Balladen“ (B. Edlide, Leipsie) 
betitelt, heteichett. Die Auswahl ift geſchick —— und 
ichr reichhaltig Wir beaeanen Mamen wie Bijörnfon, 


Wom, Abfen, Storm ı1. 0. — auch die Ueberiehung ift ab» 
neietien von wenigen Härten Im Ganzen fließend und poctiid. 
Höcft wertvoll find die suchlirden Frfiärungen unter dem Tert, 
ohne welche ein Verftändeis beim größeren Publitum rein une 
moglich toäre, 

Tal; A. Godin aus dent Herzen jhreibt und deshalb auch 
das Anmere der Leſets erfaiit, boben wir wiederum bei brt 
Lektüte der drei uns vorlienenden Werte der wohlverdient fo be 
liebten EC xhritfiefterin erfahren. Der Noman „Mutter und 
Sohn” Eeipzig, E. Heil) und „Bräfin Leonore* (Leipzig, 
Zdufe u. Fo.) find nur auf breiterer Baſis aufgebaut und 
funftvoller aefägqt als die nenen Novellen, „Shidjale* be 
sitelt, welcht zum Teit wahre KHabinttftüdcdhen unferer modernen 
AFrrzüblungelitterotur genantt Werden dürfen. 

Das Inbenzwärdige Frziblungstalent, welches Helene Stödl 
kereitz viele Freundinnen erworben hat, befundet fih abermals 
vordeilbatt in den an die reiiere weiblide Jugend adrefficr- 
ten vier Erpählungen, welche unter dem Geſamttitel „Ber 
Ihhlungene Yebenspfnde: ıPerlin, Lubarich u. Go.) 
ericienen find. Ta das Barhltialier (pardon, verehrte Leſerin!) 
et ſehr leſeluüſtiges iM, beiten wir durch Nennung eines wahr 
taft auten Buches uns von verſchiedenen Geiten Dant m 
verdiene, -8- 








Verantwortl. Herausgeber: m. Spemann in Stuttgart, Redakteur: Jof eph Kürſchner ebenda. 
Nahdrud, auch im Einjelnen, wird ſtrafrechtlich verfolgt, — Ueberfegungsrecht vorbehalten. 
Drud von Gebrüder Aröner in Stuttgart, 


Meltpofl. — Inieraten:Unhang zu „Don Sels zum Meer’, III Jahrjang, Heft 7 





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Zeitschrift. 












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12 Blatt vers, geg. Fint, v. 31, „4 franco — 
— BET EIER — a t. eın dr, Adol bs BI oto r. Stutter n!, 2 
DER 8 v ‚otog wird briefl geheilt. A Ret.»Mart 
“oben i.@. Gatalog &öban 1.3. (Gatatog gratis. 1966] 966] wird briefl. ge eilt, Anfr. m. Ret.»Marlean 
Das Freisrätfel im Weißnautsdeft, Arthur Heimerbdinger, Straßburg LE. 





I. Baumann» Knobel, 3 
Lintheſchergaſſe 20. 


von dem in dieſem Hefte die rechte Löſung o — — 
veröffentlidyt wird, wurde von den nachfolgend 
Angegebenen richtig gelöft und find Dielen die 
beiftebenben Preiſe zuertannt worden: 
1. Preis: Zürich, 





nie: we e ci Mn Preis des gebundenen Bandes MM. 1., franfo per Fol M. 1. 
— FJ. W. Schmidt, Lübed, Wahm- brachte ingrijdren folgende neuer Bünde: 
3. Preis: Carl Laſſen, Lübed. Bad 57 ZB RN Schmidt, Glaſsmacherleut. Kulturbild aus Dem bahriſchen 
Weitere Löjungen gingen mi&l en und 55. J. Ludwig, Mein Grofoheim und andere Erzäylungen. Mit einer 
Be Pe Tail |” 5, Saiten ton 6 We Beier 
dort die Preile 7-15. . 89. a Harte, Jm Walde von Garquing;. Mit einer Einleitung von 
Sortiekung fiebe nächſte Seiten. 8 Beſtellung genügt Angabe ber Bandnummer, 
— —— 


Derfälſchte ſchwarze Seide. 


Man verbrenne ein Müſterchen des Stoffes, von dem man kaufen will, und die etwaige 
Verfälſchung tritt fofort zu Tage: Echte, rein gefärbte Seide kräuſelt jofort zufammen, verlöſcht 
bald und hinterläßt wenig Aſche von ganz heilbräunlicher Farbe. — Verfälfchte Seide (bie 
leicht ſpeckig wird und bricht) brennt langjam fort, namentlih glimmen die „Schlußfäden‘ 
weiter (wenn jehr mit Farbſtoff erſchwert) und binterläfit eine dunfelbraune Aſche, die fih im 
Gegenfag zur echten Seide nicht Fränfelt, fondern krümmt. 

Zerdrüdt man die Aſche der echten Seide, jo zerftänbt fie, die der verfälſchten nicht. 

Dinfter von meinen echten Seidenftoffen ſtehen Jedermann zu Dienften, 
und liefere ih einzelne Roben und ganze Stüde zollfrei ins Haus, ohne Zoll. 
berechnung. [344] 

Ein Brief nad der Schweiz foftet 20 Pf. Porto. 


Zürich; (Scyweiz). ©. Henneberg's 
Seidenſtoff-⸗Fabrik-Doͤpot. 
Königl. Hoflieferant. 


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Inferaten:Unhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 7. 


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Ag Kiftorifch kritiſche Ausgabe 2 
User Miielrtusg 
hervorragender Germaniften 
herausgegeben von 


Iofeph Rürſchner. 
Verlag von 
B. Spemann, Berlin u. Stutfgart, 


Die neueften Bänbe enthalten: 


Bd. 28. Albertinus Qucifers Hönig« 
reih und Erelengejaidt. Hreab. von R. 
Frhr. Lilienfron.((Erfter Neudrud!) 

d. 29. Abraham a S. Glara „Judas 
der Erzichelm.* Hrägb. v. F. Bobertag. 


Inhalt der Bände 1-27: 


j 105. Orimmelstaufens „Sim 
plicius GSimpliciflimus*, (!Merfe 
1.u.2.2b.)2.Ooetbhes, Faust“. (Werte 
12. Bb.) 3. Schillers „Räuber und 
Wiesto*. (Werte 3. Bd.) 4. Kortums 
„Jobfiade”, 5. Leſſings „Lieder, 
Oden, gereimte Fabelnze., Jugenbdramen. * 
(Werle 1. Bd.) 7. Wielands ‚Obe 
ron ꝛc.“ (Merle 2. Band.) 9, Grim⸗ 
melsbaujens „‚Simplicianiide 
Schriften‘ ®b. 11. Günther: Ge 
didte Bd. 8, 10 u. 19, Etiirmer 
und Dränger. Bd. 1-3. Enthalten 
Klinger, Yeifewik, Lenz, Wagner, 
Maler Müller, CH.%.D. Schubert. 
Bd. 13. Oryphius Werte. Bd. 14. 
Leljings Augendfreunde. Mb. 15. 
Moſcheroſchs Gefihte Philanders 
von Sittewald, Bd. 16. Goethes 
Dramen. Bd. 1. (Der Werte 6. Band.) 
Bd. 17. LVeifinas Augenddramen 
u. bramatijche Meiiterwerte. Pp.2, 
18. Schiller „Sabale und Liebe* 
und „Don ftarlos“ (in 3 Ausgaben). 
(Der Werle 4. Bd.) 19. Simon Dad 
und jeine freunde, Joh. Rölina. 
20. Goethes Gedichte. Bd. 1. (Der 
Werke 1. Bd.) Bd. 21. Biglers Niia- 
tiiheBantje.(DerSchlef, Shule2. Br.) 
DD. 22, Hebels Alemaniſche Ge 
dichte. Bd. 23. Hebels Shapkäftlein 
dedrheiniihenHausfreundes, Bp, 
241 u. 25. Lejlings dramat. Nahlak 
u. dramat. Meiſterwerke. (Werfe 2. Bo.) 
Dd. 26, Die Gegner der zweiten 
ihlefifhen Schule 2 Wd. Bd. 77. 
Goethes Naturwifienib.Schriiten. 1Bd. 
Die „Deutſche National-Litteratur 
iſt Die einzige nach einheitlichen Plane 
angelegte wiſſenſchaftliche Ausgabe der 
geſamten deutſchen Litteraturſchähe von 
ihren Anfängen bie zur Neuzeit. 
Die „Deutiche National-Pitteratur 
—— ſich dabei durch muſterhafte Auss 
attung und eminent billigen Preis aus 
(die Lig. & 6-7 Bogen nur 50 Pf.) 
Die „Deutiche National-Litteratur 
ift ein nationales Unternehmen von 
fo hervorragender Bedeutung, enthält 
eine folhe Hülle der uns zunächft lie 
genden litterarifhen Schäbe, daß eö 
mehr als irgend eined Bemeingut der 
wahrhaft Gcbildeten werden follte. 





Dreisausihreiben für Feuilleton, 


Fortwährend bemüht, die „Neue Mufit-Zeitung‘ zu einem Blatte erften Rang: 
zu geftalten und ihren Leſern gediegenften Unterhaltungsftoff zu bieten, erlafjen wir 
hiermit ein Preisausfchreiben für Feuilletons unter nachſtehenden Bedingungen: 

& 1. Den für die Preisbewerbung beftimmten Arbeiten müflen Motive aus bem 
Künftlerleben (fomponiften, Virtuofen, Sänger, Sängerinnen ıc. zc.) zu Grunde lieger, 
dabei find Geftalten der eigenen Phantafle entiprungen nit ausgeſchloſſen. Sie joln 
in ergäblender Form abgefaßt fein, gleichdiel ob im Gewande der Novelle, der biographı. 
ſchen Erzählung, des Märchens oder der Humoresle. N — 

8 2. Der Umfang eines Feuilletons darf nicht weniger als fünf und nicht mehr 
als fünfzehn Epalten der „Neuen Mufil-Beitung* umfafjen.*) 

5 3. Fur die beiten Arbeiten werden folgende Preife ausgeieht: 


Ein L Preis von 600 Mark 
Ein I. Yreis,von 300 „ 
Ein Il. Yreis von 150 „ 


& 4. Undeutlich geſchriebene und alfo ſchwer Ieferlihe Dianujfripte werben von 
der Stonfurrenz ausgeſchloſſen. E : 

$ 5. Die Arbeiten müflen mit einem Motto verjehen und fpäteftens bis 1. Jımi 
1884 im Befihe des Verlegerö der „Neuen Mufil-Zeitung” (P. I. Zonger in Köln) fein; 
dem Manujtript ift ein verichlofienes Gouvert beizufiigen, welches ganz datielbe Motto 
nebft genauer Adreſſe des Einfenders enthalten muß. Außerdem ift das Motto um» 
der Titel des Manujfriptes anzugeben. 

5 6. Die preiögefrönten Werte werben —*5* des Unterzeichneten. 

$ 7. Es bleibt vorbehalten, nicht prelsgekrönte, aber dennoch gute, zur 
Breisbewerbung eingefandte Arbeiten, für die „Neue Muſit-Zeitung ans 
zuwählen; biefe werden mit 10 Mark pro Drudipalte honoriert und geben 
ebenfalls in das Eigenthum des Ausichreibers über. j 

$ 8. Die unberüdfichtigt gebliebenen Einſendungen können während dreier Monatr 
von Belanntmahung des Refultates an gerechnet, zurüd verlangt werden; bis zu Dieier 
Friſt nicht reflamierte Manuflripte fallen der Vernichtung anheim. 

$ 9. Als Preisricter fungieren die Herren: [1188] 


Felix Pahn, Profeffor in Königsberg, 

Ernfi Rasqué, Schriftteller in Darmftadt, j 
Auguft Beifer, Redakteur der „Neuen Mufif-Zeitung‘‘ in Köln. 
810. Das Refultat wird vorausſichtlich bis 15. Auguft 1884 befannt gegeben werben. 


Verlag der Neuen Mufif-Zeitung 
(P. I. Tounger) in Köln a/Rh. 


*) Eoldhen Bewerbern, welchen die Reue Mufit Zeitung nit befannt tit, ſtehen Proßeblätter 
in jeber Bud und Muftfalienbandlung oder vom Verleger gratis zur Werfügung. 


In allen Buchhandlungen ist vorräthig: (1161) 


Die Diphtherie. 


Ihre Entstehung, Verhütung und Behandlung. 
Von Dr. ©. &. Rothe, Altenburg. 


Elegant in Leinwand gebunden. Preis 2 Mk. 40 Pf. 





Landw. Institut der Universität Leipzig. 


ET 5757 
Der Anfang des Sommer-Semesters ist auf den 22. April fostgesetzt, 
Programm und Stundenplan vom Unterzeichneten zu beziehen. 
Der Director: 


[1156] Geh. Hofrath Dr, Blomeyer. 


Weltpoſt. — Inſeraten⸗Anhang zu „Vom Fels zum Meer‘. III. Jahrgang, Heft 7. 


“ Weltpoft. & 


Pas Preisrätfel im 5. Heft hat 
auch feit dem Grideinen des 8. Heftes 
noch jahlreiche Löjer gefunden, die nadıs 
flebend mitgetailt find, Löfungen, die erſt 
nad dem 10. Februar bei uns eingingen, 
fonnten nidt mehr berüdjihtigt werden. 

1. Preis: P. A. Schmitt, pr. Adr. 
Ebuard Fremann, St. Petersburg, 

2. Preis: rau Hedwig Schemel, Crone 
a. Brabe. 

3, Preis: Mar, Karl und Rofa Rohrwed 
in Wien, Ausftellungsfitake 17 II. 

4, Preis: franz Ihinger, Wien, Nords 
bahnhof 3. 

5. Preis: Frau Dr. Alleemann, Altona. 

6. Preis: Mar May in Meiningen. 

7. Preis: Gugen Paul in Dresden, 
Schumannſtraße 24. 

8. Preis: Dr. Emil Frey, Narau. 

9. Preis: I, Ihannheimer, Aſchaffen⸗ 
burg in ®. 

10. Preis: Mdolf Herzog, Berlin, Zands« 
bergerftrake 4 III. 

11. Preis: Dar Fiſcher in Chemnik. 

12. Preis: Ad. Meigatter in Pyrmont. 

13. Preis: Eduard Fleſch, Brünn. 

14. Preis: Sieg. Guſtav Aönig in 
Walterswpl bei Langenthal, At. Bern. 

15. Preis: Joh. Böttner, Bremen, 
Gellertitraße 38. 

2. R.in9.,0.€.vBinW., 
R. S. in P., J * in P. GER ini, 
J. A. in B. R. M. in G., J. R. v. N. 
i — 6 in 3,9. ın N, 
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Sorben erschienen und in allen Buchhandlungen vorrätig: 


Troilus und Kressida 


(<tı Filostrato). 
Ein Epos In 10 Gesängen und 2 Epilogen von 


Giovanni Boccaccio. 
Zum ersten Male ins Deutsche übertragen von 
Freiherrn von Beaulieu-Marconnay. 
Original-Büttenpapier. Liebhaber-Einband. Preis 5 Mark. 
Verlag von A. Hofmann & Co, in Berlin, [1162] 








Bon Paul Henfe, Georg Ebers, Fr. v. Bodenftebt, ©. Brandes, Jul. Große, 
Mob. Waldmüller, Hieronym, Lorm, E. A. König, R. Döhn, 2. Laiftner u. A. 
als ein höchſt bedeutendes Werl anerfannt: 


Raskolnikow,“Doſtojewſkij. 


Nah der 4. Auflage des ruſſiſchen Originals überfeht von Wilhelm Hendel. 
Berlag von W. Friedrich in Leipzig. 3 Bände, 10 Mark, gbd. 12 M. 50 Pf. 


Georg Ebers jchreibt: „Diefer Roman ift eine furdtbar ſchöne, gewaltige Dich ⸗ 
tung . 2... Ich habe faum etwas Ergreiſenderes gelejen, als dieſes furdtbare Bud, 
weldes ſich er! gemeinen Mord gründet, der doch nicht gemein ift, welches uns das 
Herzensbündnig eines Räubers mit einem gefallenen Mädchen vorführt, weldes uns 
anmuibet wie eine reine, durch Hagelſchlag beſchädigte weiße Blume. Mit fliegender 
Hand habe ich Seite um Eeite gewendet, und als id) fertia war, athmete id auf wie 
nad) einer Wanderung über gähmende Abaründe. Dieſes Werk, diefer Dichter find groß 
und wertb, dak man fie fennen lernt.“ Paul Henie jagt: „Nun erſt fann id Ihnen 
danken, daß Sie mir dazu verholfen haben, dies höchſt merkwürdige Buch kennen zu 
lernen, das in feiner Art vielleicht unerreicht daſteht, von einer pinhologiiden Sraft 
und Tiefe, wie fie jelbft unter den Landsleuten des Berfallers fich elten finden wird,“ 
Georg Brandes: „Das Buch muß als ein Quellenwerk erften Ranges für die Ent 
ftehungsgeichidyte des modernen Rußland betrachtet werden.” (M. fr. Pr.) — Aehnliche 
Urtheile jällten die obengenannten Dichter und Schriftfteller. [1185] 
in Heuser’s Verlag iLonis Heuser) in Leipzig & Neuwied erschienen soeben: 
DIE MORPHIUM-EINSPRITZUNGEN, deren Wirkung, Anwendung und Ab- 

gewöhnung von F. Altvater. Preis M. 1. 80. 

DIE MORPHIUM-SUCHT und ibre Belandlung von Dr. Albr. Erlenmeyer. 

2, Aufl. Preis M. 3. 60. [1139] 

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. 




















Soeben erihien und ift durd alle Buchhandlungen zu beziehen: 


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Unter Nedaction von Dr. Alfred Friedmann. Jeder Band, mit einer 

Titel: Jlluftration von erften Hünftlern, ift einzeln käuflich und koſtet 

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nenten auf complete Eremplare erhalten jeden 25. Band aratıs, 
Ausführlicher Profpect gratis und franco. 

Band I. Aus dem Nleinleben der Großſtadt. Wiener 
Genrebilder von B. Chiavacci, 152 Bogen Octav, 
Mit Titel-Jluftr. von Hans Schliegmann. 

Band II. Novellenfranz von E. von Bauernfelb. 
15 Bogen 8. Mit Titel-JNuftration von %. Yewin. 

Band III. Blätter im Winde. Neue Skizzen von Ferd. 
Groß. Mit dem Porträt des Berfaljers. 

Die weiteren Bände bringen Beiträge von oh. Nordmann, 
Julius von der Traun, Aug. Silberftein, Ada Chriften, Leopold 
Kompert, Ad. Silberjtein, Mar Nordau, Balduin Groller, Ed. 
Mautner, F. von Schönthan, Mar Kalbed, F. Mamroth, Oscar 
Welten, Emil Reichlau, J. R. v. Weilen, Lucian Herbert, J. 
H. Wehle u. v. A. | 1173) 

Berlin, Wien, Yeipzig, Hugo Engel. 


Weltpoft. — Inferaten.Unhang zu „Dom Fels sum Meer’. 


% Weltpoft. ¶ 


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III. Jahrgang, Heft 7. 


Berliner 


73 Tausend Abonnenten 


nebft feinen 4 werthvollen Beiblättern 


K‘“ „Deutfche Leſehalle“ 


iNuftrines Mipblatt, illuſtrirtes beiletriftiiches Sonntagsblatt, 
„Mittheilungen über Landwirthfchaft, Gartenban u. Hauswirthfcaft“ 


un „Snöuftrieller Wegweifer“ 
wurde in Unerfennung ber Reichbaltigfeit, Bielfeitigkeit und Bediegenheit feines Inhalts 


die gelesenste und verbreitetste Zeitung Deutschlands. 


Die Vorzüge des „Berliner Tageblatt‘ beſtehen vornehmlid in Folgendem: 
„Täglich jweimaliges Erjheinen ala Abend» und Morgenblatt. — 
Gänzlid unabhängige, freifinnige, politifhe Haltung. — Spezial« 
Ktorreipondenten an allen widhtigen Pläken und baber raicheite und zus 
verläffige Nachrichten ; bei bedeutenden Greianifien umiafiende Epezial-Telegramme. 
— Ausführlide Nammerbericte des Abgeordneten« und Herrenhaufes 
fowie des Neihötags. — Umfaſſende Handelbzeitung und Gouräzettel 
der Berliner Börſe. — Bollftändige Ziehungeliſten der Preußiſchen und 
Sächſiſchen Lotterie, fowie Uuslooiungen der wichtigſten Loospapiere.. — 
Graphiſche Wetterlarte nad telegrapbiichen Wittbeilungen der Deutſchen 
Erewarte — Militärijhbe und Eport-Nahridhten. — Perjonal-Ber 
änderungen der Givil- und Dilitär-Beamten. — Ordens- Berleihbungen. — 
Reihbaltige und wohlgefihtete Tages-Reuigkeiten aus der Reichs- 
bauptitabt und den Provinzen. — Intereſſante Geritöverhandlungen, — Theater, 
Litteratur, Kunſt und Wiffenichaft werben im fFeuilleton des „B. T.* in 
auspedehntem Maße gepflegt, außerdem erjcheinen in demielben 


Romane und Novellen 


unferer erfien Xutoren. 


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fählih von keiner anderen tägliden Zeltung Deutichlands geboten wird, beträgt 
der Abonnementöpreis auf das „Berliner Zageblatt* 





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Man abonnirt ‚bei allen Boftanftalten bed Deutichen Reiches viertiljähr- 
ih zum Preife von 5 Mt. 25 Pf.; für den IT. und III. Monat eines Quartals 
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von 1 Dit, 75 Pf. Probe-Nummern ans und franfo, 
eträgt daß Abonnement 4,95 Mk. pro 
für das Ausland Monat, 13 Mk. pro Quartal incl. Porto 
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gonnen werben. Beitellungen nebft Abonnements: Betrag find direct an die Expe ⸗ 
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für &ns gebildrte DOoblikum. 


Deutfdies WNontags-Zlatt. 


Diefe durch und durch originelle Litterariich-politifche Wochenſchrift, welche die 
bervorragenditen deutihen Echriftiteller zu ihren Mitarbeitern zählt, enthält eine 
Fülle geiftvoll geichriebener Artikel, die ein treues Epiegelbild der politiichen, Lit 
terarifchen und künfilerifhen Strebungen unſerer Tage darſtellen. Jede neu auf: 
tauchende frage, jede neue Eriheinung in Wiſſenſchaft, Politif, Kumft und Leben 
findet im „Dentihen Wontagd-Blatt‘ unparteiiiche und erihöpfende Behand« 
lung, wäbrend bie gejelliaftlihen Yuftände der Gegenwart in eleganteſter Form 
intereffante Beleuchtung erfahren. Belletriftiiche Feuilletons und Humoresten jorgen 
für die Unterhaltung der Leſer. 

Diefe Iitterarifch-politiiche Zeitichrift erften Ranges, welde am zeitungslofen 
Tage, dem Montage, ericheint, verbindet die Vorzüge einer unterhaltenden und ar« 
vegenden Wochenſchrift mit denen einer wohlinformirten, rei mit Nadrichten 
aus eriter Quelle ausgeftatteten Beitung, und fo entipridt das „Deutſche Don» 
tag&%+Blatt’ in feiner Doppel» Natur einem enticdiebenen Bedürfniß beö ge 
bildeten Leiepublitums, wofür die groke Verbreitung den beften Beweis liefert. 

Ale Neihspoftanftalten und Buchhandlungen nehmen Abonnements zum 
Preile von 2 M. 50 Pf. pro Quartal entgegen. Zur Begegnung von Verwechſe ⸗ 
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Das Sreisrätſel in Heft 6 wird 
in Seit 8 zur Erledigung gebradt, in 
dem wir auch die reitierenden Antworten 
zu geben hoffen, was Diesmal bei der Fülle 
der Finfendungen leider nicht möglich war. 

Nidtige Löjungen dandien ein: 


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A. T. in Et. 

Alter Abonnent. Haben beim Der« 
fafier angefragt. ‚ 

Trener Freund. Dielen Dank für 
die guten Ratſchläge, die wir uns nicht 
nur binter die Ohren ſchteiben, ſondern 
die wir auch befolgen wollen. 

=. W. in St. Der Blütenduft 
in dem Sie Ihre Nadtigall idhmettern 
laſſen, ſcheint Ihre Nerven ftart afjiziert 
au haben. Sie ſehen in dieſein Yultand, 
wie der blaue Himmel die Erde mit gols- 
denem Scheine küßt! . 

.». 8. in®. Gedicht gem accep» 
tiert. Glüd auf zum Erfolg! Der Litter 
ratur-Stalender berüdjihtigt nur lebende 
Dichter. 

Ceſte. 1) Rosge, 2) Ed. v. Harte 
mann, wenn Gie ihn dafür gelten laſſen 
wollen. 3) Soviel uns belannt, ja. Das 
on if Unſinn. Was ift das für ein 


db: 
„Ein junges Mädchen, frob und leicht 
Wie Blajen auf dem Fluſſe“ 


O wie zerfprang da die Blaſe fo bald. 
Gebrauden Sie Blajenpflafter. 

Käthe. Mit Gedichten einer Sieben 
jährigen jollten Sie uns bod) verſchonen. 

A) in A., P MM. in P. Vielen 
Dant. — A. 8. Nibt nur die Böglein 
ihlafen bei Ihrem Gedicht — das lann 
auch Menſchen paifieren, 

A. in M. Das iſt etwas zu viel 
verlangt; wie follen wir Stenntnis davon 
haben, wohin bie Geburts» und Sterber 
alten des vorigen Nahrhunderts, Ihre Heine 
Gemeinde betrefiend, hingelommen find? 
Menden Sie fich doch einmal an die Straß ⸗ 
burger Bibliothet, fie hat vielleicht Kunde 


davon. 

Sidylle B. ?. Co thöricht find wir 
denn doc nicht, auf diefen Leim zu neben, 
das allem Anſchein nad der Mopſtodſchen 
Richtung angehörige Gedicht aufzunehmen, 

A. Sc. in S. Beſten Dant. 
Märzufhlag. Cie wünjden einen 
Erjat für Milhrahrung, da dieſe lehtere 
Strankheitsteime enthalten fann. Es ſchiene 
rationeller, fih nad Mitteln umzuſehen, 
wie eine gejunde Mil zu beſchaffen if. 
An ländlichen Gemeinden hat diejes feine 
Edwierigkeit, nur müflen Cie ſich nad) 
dem Gelundheitszuftande der Kühe erfun« 
digen, deren Mild Sie geniehen wollen, 
Ginfictige Landwirte wiflen jehr wobl, ob 
ihre Tiere gejund find oder verdächtig. 
Geben diejelben wenig Mild und huften 
fie, fo follte der Verkauf der Milch untere 
bleiben. ine weitere Aufſicht über die 
Ställe befteht leider noch nicht, doch drängen 
dazu die Thatſachen, welche wir und Ans 
dere ermittelt haben. Sollten fi, wie 
Sie jagen, „Unzählige” durch dieſe That 
ſache beunruhigt fühlen, jo wäre Hoffnung 
vorhanden, daß jene janitäre Forderung 
durcgejeht wird, Nur mühten ſich die 
„Beunrubigten“ zujammenthun, um auf 
die Behörden die nötige Preifion auszu · 
liben. Prof. lebe. 

R. =. in St. Im. 33 Nr. 3u 4 
des Reihegeiches vom 6. Februar 1883 
ift die Ehe ziwilchen Stiefeltern und Stiefs 
tindern, aber auch zwifchen Perfonen, deren 
eine die andere an Hindesftatt angenommen 
bat, verboten. Da u = Geſeh Neichör 
aeieh ift, geht es den Yandesgejehen ber 
einzelnen Staaten vor. 


Melipofl, — Inferaten-Unbang zu „Dom Sels zum Meer‘. 


w Weltpof. 6 


. Eh. in A. Sie haben gar fein 
Zalent zum Dichten. Sicgen Eie bat 
andıwert auf! — ZI. 3. in S. 
Yieder kommen ung nichts weniger als 
Aieblich— vor. Bei dem Beginn De& 
einen 
„Ueber das leuchtende Meer der Gedanfen 
Seh ih dich, Liebite, = mir fhmwanfen.“ 
dachten wir, Ihre Beliebte litte an allzu» 
großem Durft. Warum wantt fie denn 
Ad) das Iandlied iſt mufterhaft albern, 
nden Sie das nicht jelbit, wenn Eie 
tolgende Berje gebrudt jehen ? 
Tod liegit du 
O Hirihluh 
Mir im Grafe 
Vor der Naſe. 
Der übrige Blödſiun mag verſchwiegen 
jein. — $. in 3. Ganz unbraudbar. — 
® 36. in £. Nein. - B.@. in $. 
uch fiir Die Weltpoft nicht verwendbar. — 
—— za. in 8. — 3. M. 
iginalität. — &. &. in W. 
zu viel dergleihen. — $. 8. 6- i 
m.ing — ®. F. in .„—?}. £ in 
PB: Werden Eıe älter. — En 
r. A. @M. Auch für das (pos haben 
feine Berwendung. — Karlchen in ®. 
Ihre Furt vor dem Papiertorb war 
ü k J A. in B. - 
AMA. — 2 €. * in$.— 
i 3. in 


EP. — € Ming. 
‚ind. Mit Bergnügen acceptiert. 
. BB. in Salvator. Ausb 

rüftung des deutiden Anfante 
riften. Gewicht des Infanteri erehres 
IM 71 mit Bajonett 5,265 kg, ohne Bajonett 
4,5 kg. 80 Palronen, die der Mann 
trägt, wiegen ohne Pag ſchachteln 3,36 kg 
mit Badihadteln 3,48 kg. Gewidt im 
Durdihnitt: der Heim 1, kg, der Mantel 
3,5 kg, ber Sübel mit Scheide 0,92 kg, 
das Beil des tragbaren Infanterie Schanj- 
jeugs mit Futteral 3,5 kp, die Pide des 
tragbaren Anfanterie » Shanzzeugs mit 
utteral 2,5 kg, der Spaten des trage 
baren AnfanterieShanzjeugs mit Futteral 
1,25 kg, der verpadte Tornifter (ohne Man» 
tel) etwa 15 kg. Die gefamte trieggmähige 
Ausrüftung des Infanteriften, in melde 
einbegriffen if: Aeibung, Bewaffnung 
(Gewehr mit Munition), Gepäd an Aus+ 
rüftungsitüden, das Schanzzeug, wiegt 
negenwärtig im Durchſnnt 30 kg. Dieſes 
Gewicht ift etwas größer bei ben nrößeren 
und ftärferen umd geringer bei ben Mlei= 
neren Seuten, wobei das tragbare Schans- 
zeug nicht unerhebliche Gewichts unterſchie de 
bedingt, nicht minder auch die Kleidung. 
68 ift ja befannt, dak das Gewicht der 
Ausrüftung in den Armeen verjdieden ift 
und im Yaufe der Seit ſehr gemedhielt 
bat. Das hödfte Gewwicht erreichte wohl 
das Gepäd der Zuaven in ber franzd+ 
fiihen Armee 1859 während des italieni» 
ichen Felidzuges, es betrug 41,5 kg. — 
Das Angebotene würde die Redattion ſeht 
erfreuen. 
A. in B. Wir empfehlen Ahnen 
in wärmiter Merfe die Anftalt für Glas» 
malerei von PaulGerbard Heineri- 
dorff in Berlin, 64 Unter ben Linden, 
die das Shönjte zu verbälinismähin 
billigen Preiien auf dem Gebiete ber Glat⸗ 
malerei liefert. Sie verfendet ihren in- 
jtruftiven Bericht gratis und franto, 

. £. in ®._ Das gebt nicht! 

.5.i1n 3. Dant für Ihre freund» 

nmerlung. 
3.6. in A. Soll geſchehen. 
3.5. Nur für ben Hausbebarf. 


liche 





II. Jahrgang, Heft 7. 


Mervenfhwäde, Mervofität. 


Ynter den Leiden, welche den Menſchen heinſuchen und häufig durch eigenes Ver⸗ 
ſchuſden oder in Folge von Sünden unierer Boreltern entitanden find, find die Er» 
ranfurgen des Mervenlebens wohl die zahlreihiten, ftörenditen und langtvierigften. 

An den feltenfien Füllen weiß übrigens derjenige, weicher jeine Nerven yerrüttete, 
mas ihm eigentlich fehlt, er tlagt heute über dies, morgen über jenes, balb find es 
Ehmrrjen im dieiem, bald in jenem Körvertheil, die ihn quälen; Mikmuthb und 
Gbereigtheit wechſeln mit freude und Niedergefhlagenbeit; die Geiftesträfte und das 
Gemüth find kranthaft afficirt und neben törperlicher Shmwäde. Mattigfeit und Ab» 
ipannung wird der ſtopf von einer gewiflen Sanbere und Eingenommenbeit befallen, 
denen Ai häufig Shmwindelanfälle und andere Uebel beigejellen. 

Urmaãhlig find die weiteren Grideinumgen, welche je nad dem Grad, melden daß 
Leiden erreigt bat, ſich einitellen lönnen und wenn fie aud in ihrer Art verihieden 
find, dod eine geile Achnlichkeit in ihrem Weſen zeigen. [1177] 

Möge doc derjenige, bei dem ſich derartige GFriceinungen einftellen, nit leicht · 
ſtnnig darüber hinweggehen im ber Hoffnung, e8 vergehe da⸗ Ates von felbit. 

Die Urfadhe diefer Erſcheinungen liegt häufig tiefer, indem febtere in der Regel 
Hand in Hand mit einem mangelhaften, reip. verborbenen Blute achen, das erit auf 
naturgemäße rationelle Weiſe wieder zu feiner normalen Zuſammenſchung gebracht 
werden muß, wenn der Leidende wieder Im den Boubenß jeiner Geiundbeit fommen fol. 

Aus der in der 12. Auflage erihienenen hodinterefanten Brolcüre, betitelt Dr. 
Liebaurs Regeneration, möge man übrigens fich lelbſt über die Urjaden, den Berlauf 
und die Peleitigung dieſer Störungen im Nervenleben informiren. Dielelbe it a 50 Pf. 
in Stuttgart bei X. Ullrich Buchhandlung, Fberbarbsitr. 35 erbältlih und gibt in 
einer für Alle veritändlidien Meite über die geidjilderten Zujlande eingebend Auiihluß. 

[7 und Carneval-+ Gegenstände, Masken 
und Costüme aus Stoff, Orden, Touren, 
. 1 Mützen etc ermpfhiebit die Fabrik von 
Gelbke & Benedictus, Dresden. 
Illustr, deutsche u. franz. Preiscourante 
gratis und franco. [1094] 





An neuerer Zeit wurden von unieret Koryphäüen der medicinischen 
Wissenschaft Die Rich. Brandt 'iden Schweizerpillen einer Prüfung 
unterworfen und diejelben für ebenjo ſichet wirlend, wie angsnchm zu gebrauchen, 


und durbaus unihädtich erllärt. 











dasjenige Mittel er« 
wirien, weldes bie vor“ 
ziglichften Figenichaiten 
in ich vereinigt, Dies 
find denn auch Die 
Mründe, auf welchen 
der Welteuf der Rich. 
Brandr ſchen Schwrizer⸗ 
yillen ſich baſitt. Der 
billige Preis von M. 1 
pro Doſe machen die— 
feiben Icdermann jur 
gänglich doch achte man 
daran, die üchten Rich 
Brandrſchen Zaweijet · 


GraenCongestionen, 
Schwindelanfälle, 
Unreines Blut, 
Appetitlosigkeit, 
verstopfunz, 
Blähungen, Leber- 
& ballenleiden, 
Hämorrhoiden, 
überhaupt acpen Here 
danungöe und Inter» 
leibeſtorungen haben 
fihdie Rich, Brandt- 
ideen Schweizer- 
pillen in unzähligen 
Fällen bewährt und als 
pillen zu erhalten, 
tranen. 
u.9N: Berlin: Ztraukapsthefe, Ginhbomaegoshefe, Breslan: Apotbeler Dr. 
Weißllein; Coln: Finbornapotbete; Dresden: Wohrerapottele; Frankfurt 
a. W.: Adteranothete, Hamburg: Apotheler %, od; Hannover: Lowen · 
abothele; Munchen: Holenapotbete; Strassburgi. E.: Vie imapothefe; Stutt- 
gart: Avotheler Reibten u. Schou Oritereih; Wien: Abotbeltt B. Grob, 
Hohct Markt 12 zdweij: Genf: Myotbeter W. Sauict [866} 


astilles de Bilin 


(Biliner Verdauungszeltchen) 


bewähren sieh als vorzügliches Mittel bei Sod« 
brennen, Magzenkatarrhen, bei Ver- 
dauungzsstörungen überhaupt. wirkenüber- 
raschen im kindlichen Organismus und 
ein hei Atonie des Magens und Darmennals 
besonders 












depanirt 








22 
—2 


welche auf der Doſe ein Füquctt, wie obiae Abbildung zeigt, 
Zu haben in den meisten Apotheken des In- und Auslandes, 

















zufolge sitzender J.elensweise ganz 

auzuemjftehlen, 

Depöts in allen Mineralwasser-Handlungen, in den 
Apotheken und Droguen-Handlungen. 


Brunnen-Direction in Bilin (Böhmen). 


1798] 





Weltpoft. — Inferaten,Unbang zu „Dom Sels zum Meer‘. III. Jahrgang, Beit 7. 


(t i - ® a ® 
9 Zelivch. ® | Die Allgemeine Zeitung 
ta Eli obc mi nem andern garı (mit wifenfhaftliher Beilage und Handelszeitung) 


fen eriftiert nicht, da Schellac nur in —— früher in Augsburg erſchienen 


Epiritus (Altohol) Leicht löslich, dagegen iR in Deutidland und Defterrei R z — 

Fon nat mi Zar & durb die Poftanftalten für 9 Marf vierteljährlich 
in — Be (6 M. für die 2 legten Monate, 3 M. für ben letten Diomat bes Quartals) 
bilfe von Borap in Wafler (beik, raid: zu beziehen, Preis bei directer Verſendung unter Streifband monatlich 4 Mart 


foßend) Löfen, am leidhteften jedod in IN, 5. 60 für die anderen Länder des Neltpoftvereing). 


Ä 

hartem Weingeift (niet unter 909). In | Quarfalpreis bei wöhent!. Verfendung im Weltpofverein M.12. 
Weingeift gelöfter Schellad ift im Anftrid Brobenummern nebft neneftem Duartal-Regiiter gratis. 

jiemlid) ſpröde, weshalb man eine Aleıs 

nigfeit Leindl oder Firnis der fertigen | Leitartikel, wiffenſchaftliche und handelspolitiſche Auffätze 2c. in Nr. 36 bis 42. 
Yöjung zufeßt. Genaue Vorſchriften bier- Militärifche Rüdblide auf das Nahr 1883. (IV.) — Die neue ruſſiſche Verlehrt · 
über zu geben, ermangelt es hier an Raum | ſtraße nach Gentralafien. — Aus der Provinz Pojen. — Der fyremdenartitel der rumã · 
und empfehlen wir Ihnen das Studium | miiden Berfofung. — Die engliſche Ihronrede. -- Die Schlacht bei Tofar. — Ein Stüd 
der über Yadiabritation handelnden und | Gulturtampf in Baſel. — Aus der preußiſchen Rang» und Quartierlijte des Jabres 1884.(1.) 














in jeder beijeren Buchhandlung käuflich ju Wilhelm v. Böll. (Nefrolog.) — Uriprung und Bedeutung von Schlllers Ballade 

habenden Werle. ME „Der Handſchuh“. Bon Dr. M. Yandau. — Yur Aunft-Ardäologie des Mittelalters. -— 

euer Abonnent. Ihr Gedicht ift | Allgemeine deutihe Biographie. — Briefe aus der Reichthaupiſiadt. — Staatsrechtliche 

uns jo aus ber Serle geichrieben , dab | Fragen zun bayeriihen Univerfitätenbupget. — ur neueiten deutſchen Grzählungs« 

wir es bierberjehen. Ueber den Inhalt literatur. Bon Fr. Munder. (III) — Nitlas Ziegler, Albredit Dürer und Hans 

Ihres Briefes müffen wir ſchweigen Schänfelein. Bon fr. Leitigub. — Hermann Ulrici. (Nefrolog.) Bon M. Garriere. — 

O dichte nicht! Genft Haedel: Andifche Neilchriefe. — Hermann Hettnet. Bon D. 2. v. Strauß und 

Wenn du nod Wein zu trinten haft, Torney. — Artiftijpes aus iylorenz. Bon Fr. Pet. — Gin neuer Roman Octave 

So dichte micht, jo dichte nicht! uillets. — Goethe bei Hans. Von H. Dünger, — Stubienblätter aus Ytrien und 
Und feift du aud der lehte Gaſt — Friaul. Von H. Noe. (VIIL) 


Der Wirt, er ſpart die Lichte nicht. — Bant» und Vvötſenzuſtändt in Frantreich. Das Berhältniß bes Hrn. 
So lang das Liebchen dir's vergunnt, Gladitone zu Hrn. Ferd. de Leſſeps in ber Suezcanalfrage. 
O dichte nicht, o dichte nicht! 





So ihön als wie ihr Rofenmund Aufträge für Streifbandjendungen an die 
Eind Bodenftebts Gedichte nicht. Expedition in Münden. 
Haft du nody einen Heller Geld, — In unterzeiänetem Verlage erideint in 24 halbmonatliden Lieferungen a 5-9 
So dichte nicht, ſo dichte nicht! Bogen in ar, 89 elegant ausgeftattet zu dem Preiie von „Eine Mar‘ pro Lieferung 
So armı ala Dichter auf der Welt > 
ee we | Gejchichte Der deutſchen Litteratur 
ureatus. . 
€. $. 4. Unferes Willens sibt es von ihren Anfängen bis auf die nenefte Beit (1884) 
feine — von ze F Tri⸗ von 
cheies weiche beſonders empfehlenswert T 
zum Gebraud) bei Steigungen ift. Eänt- _ , j Franı Birl I. . 
lihe Behitel diefer Art erfordern dagegen Dieſe neue deutſche Litteraturgefhidte will frei aber gewilienhaft, parteilos aber 


bei einigermaßen fteilen Eteigungen einen verftändnisvoll für jede eigenartige Regung des Litleraturgeiſies, ausgehend von wärmiter 
derart geiteigerten Aräfteverbraud (Mus | Liebe und vollem Berftändris für alles, was ber deutfche Geift litterariich geſchaffen, nicht 
tel wie Yungen), daß Velocipebreiter auf nur loje zufammenhängende Fitteraturbiographien neben, jondern in allen Yitteratur« 
Touren bergan abzufteiger und ihre Ma» erjheinungen bie inige Beziehung zu deutſchem Volletum, zu deuticher Spradje und Eitte 
idine vor fidh herjuſchi⸗ den pflegen. Fur nadjuweilen ſuchen. 953] 


eine bernige Gegend, jeltit wen die Bene Beiondere Aufmerkjamteit wibmet der Berfafjer der Behandlung der Literatur unferer 
aut gehalten find, erfiheint die Anihaffung | ; eit umd unterwirft diefelbe einer Beurteilung sine ira et studio. Der ganze dritte 
eines Delocipeds dethalb überhaupt mıdt nd behandelt die Litteratur un.ctes Aahrhunderts, die bis auf das Jahr 1884 be» 


ratjam. in Arpt oder Geiftlicer wird rüdjichtint werden foll. Jede einzelne Dihtungsart, auch jelbft die Heinjte dialeltiſche 
feine regelmäßigen Zouren dort wahr« Abweichung ſoll eingehende Frwähnung finden, 


cheinlich bequemer, raſcher und mit ge Die Behandlung des Stoffes ſoll im höherem Sinne populär gehalten fein; nur eine 
tingerer Anftrengung zu Fuße zurüdlegen, Mode vermag diele neue deutiche Vitteraturgeichichte nicht mitzumaden — bie Mode des 
als mit Benutung eines Velocipeds. fitterariichen Biiderbuches mit begleitendem Text. Dieſes Wert jeht den Inhalt über 


Nicht verwenddare Einfendungen die Form, den Körper über die Gewandung und verzichtet gern darauf ein typographiſches 
madten: xx—x 2. 0.91%, E. W. Raritätenfabinet zu fein. RR — 
i. 8. wWwir hatten eine Gänſehaut, als Der erjie Band behandelt die Ältefte Zeit bis 1500 und wird bis Weihnadten 1883 
Ahr Gedicht von uns verihludt worden vollftändig, der zweite Band enthält die Reformationszeit bis zur Maifiihen Periode, 
war, genügt Ahnen das), D. 8. i. der dritte Band die neue und neueite Zeit bis 1884 und liegt dab Wert Herbit 1884 
Eh.-3., Hhen, 2.R.i.D.,H.P.i. A. J volitändin vor. a 
.* 5 r. Anferieren Sie Ihre Alle Buchhandlungen jowie bie Berlagsbandlung nehmen Beftelungen entgegen. 


goat: in Beibeipe „anni. Dar | Wilhelm Friedrich, K. Hofbuchhandlung in Leipzig. 
Das font Berlangte fönnen Sie durch jede Die „Süddentjchen Blätter für 


Buchhandlung erhalten. PR 
Dr. €. 8. in MB. Sie ſchreiben | un u. Vogelzucht“, Berion 
uns: Am 2. Bde, (1882 Auguft) Heft 11 der Buchhandlung von Friedrich Arnold 
S. 577 finde ih eine rätjelhafte Inſchrift in Münden, empfehlen fih als das 
der auf den Goldmacher Gajetani geprägten billigfte Fachblatt Deutſchlands allen Ge · 
Münze. Die Sache ſiellt ſich aber ſehr flügelzüchtern, Vogelliebhabern und Händ ⸗ 
anfach dar, wenn man annimmt, daß lern zum Abonnement. Zweimal monatlich 
mit oder obme Willen (mie es 5. B. bei erſcheinend, bringen fie reichſtes Material 
Glodeninihriften häufig geihehen ift) die aus berujenen Federn, jämmtliche Bereins« 
Worte reiv. Buchſtaben verkehrt gejeht ‚ angelegenheiten, vergleihende Marftbe» 
richte und in jeder Nummer einen flatt« 


find. Id leſe: Sie (Kys) mundus vult 1 
decipiquia (Kwya!) etalchemistarum lichen Inferatentbeil. Der Preis dieſer 
Seitfchrift ift pro Jahr 3 M., pro Quartal 


plena sunt omnia, ergo (Obere = \ 
ercho = ergo} deeipisatur! — Beiten 75 7. Beſtellungen nehmen alle Budı- 













Dant für die Mitteilung. > bandlungen und k. Poftanftalten entgegen. 
.$.in®B., 3. Sch. in, Wir gi . (SEN 2* Die Poſt nur ganzjährig. Probenummern 
haben vergeblich verfucht, auf Ihre Fragen 


belicbe man von der Werlagshandlung 
Antwort zu erhalten. ftanco zu verlangen. (1191) 


Weltpof. — Inferaten:Unbang zu „Dom fels zum Meer”, 


W Weltpoft. 16 


in 8. Den Ehering wechſelt 
— ui Gegenden glei bei der 


Verlobung. 

in &. Leider bin ich nicht 
Scha pleier aber der „alte Belannte” iſt 
bem Redakteur mit der Jeit nit unbefannt 
geworden, hofft ihn audp dieſen Sommer 


vielleicht wieberguf * nett 
w 
if ie Borbereitu u — 
3.8. in R. Leider nicht mehr aus 
führbar 


‚in 8. Empfehlen Koberfteins 
Grundrib der deutſchen Nationallitteratur, 
Gera Iagebın von Bartich. 
€. 3.in$. Dant für freundliches 
Anerbieten, find aber ſchon zu reich bes 
dacht worden, 
Bm. e. nr Witz em neu, leider! 


—t- 12. M. 

durch jede Bughand ung. 
A. 8. in ®. Freundlichtn wien 
dem treu Gebentenden, aud Herr Haus 


mann, 

A. 9. in HS. Wurde längft in dem 
NAreis der = Geliiiel einbezogen ! 

Da bürfte ein Pferdedoltor 

doch e en net fein als wir, 

Aud na u haben 

ſolche amd nod Wert, denn ihr Inhalt 

gebört zu den harafteriftiichen ertmalen 


der 5 
3. Gin Gonverjationdferiton 
or 2: * jeden Autor berüdfidhtigen. 
Ueber den Grund ber Nihtaufnahme ver 
I die betreffende Redaktion Aus · 
tu FR —— 
in F—t. Bei hunderten 
von ——— tan man die einzelnen 
unmöglid im Gedächtnis behalten. Die 
ige () follen gebradht werden, wenn 
wir nichts Behleres haben. 
Cehtroteniher Bromberg. 
Dantend —— 


in 


F. A 54. i Die neuen Bände 
werben ie meb : als reihlih em⸗ 
dädigt haben, er Dant 
ür ihr ndliches 


Bwei — ——— "in 4. An ſolchen 
—— — trägt nieder Berleger, jondern 
die beiteffende Stelle von der Eie die Hefle 
beziehen die Senn 

Ausdrüden mit 


®. in ®. 
ridgtüffet und dann falt aus 


®. gi n V. 8. Wurde uns ihon 
früher eingeſendet. 
. 3. in — Haben beim 
Berfa er angefran 
‚in. &. Gelegenttid ju verwenden, 


Dant. 

% A. in Mt. Gewiß! Sollen wir 
von Ihnen denen, daß nur derjenige 
einen hinter der Thüre vermutet, der jelbit 
dahinter ee bat? 

A M. in V. Wenden Sie fih an 
Iſchie ſche in ®e 


au 
as iſt ganz richtig, denn 
das Urteil wird mit Nüdſicht auf die ver 
ſchie denen Berbredyen nicht mit Müdjiht auf 
die Ausführbarleit ausgelproden 
&. in M. Veider nicht möglich. 
Beanerin. Der Proben harre id 
nod) immer! Prof, Dr. Weflely in Drauns 


— Fin. Ihre Wü 

n re uſche jollen, 
—— möglich erfüllt werden. Die Bilder 
welche Eie haben mödten, find ſchon 
in Vorbereitung. Das franzöfifche und 
engliihe Wert nad) dem einzigen daraus 
mitgeteilten Eah zu erfennen, ift ein 
Ding der Unmöglichkeit. Fraglic, ob dies 
felbit der Verfafler fünnte. Yon M. wird 
nichts fommen, 


einem U 
wa 


Auflage 315,000; das verbreitetite 


aller deutihen Blätter überhaupt; 
außerdem erſcheinen — — 
gen in breigebn fremden >praden, 
Die Modenwelt. 
Yuuftrirte Zeitung 
ür Zoilette und 
anbarbeiten,. Alle 
14 Zage eine Num- 
mer. Preis viertel» 
jährlich M.1.25 - 
75 fir. Yährlid 
eriheinen: 
24 Nummern mit Toi · 
fetten und Sand» 
arbeiten, enthaltend 





Ihreibung, welde 
das ganze Gebiet 
der Garberobe und a für Damen, 
Mädchen und Anaben, wie für das zartere 
Stindesalter umfafin, ebenſo Die N eibe 
wäjdhe für Gerren und die Bett- und Tiſch · 
wãſche 2c., wie die Handarbeiten in ihrem 
ganzen Umfange. 

12 Beilagen mit etwa 200 Schnitimuſtern für 
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Von Dr. G. Traut. 
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III. Jahrgang, Geft 7 


“ Weltpoft. *% 


€. 6. in WS. Lafien eu fih den 
Weihnadtö-ftatalog von A. F. Shmibt 
in Erfurt fommen. Derielbe ift überaus 
reigend außgeftattet mit einer Photographie 
von Erfurt, um bie ſich getrodnete Blumen 
winben, 
3.0.3. ind. Wir entfinnen uns, 
dem Inferat über nilotinfreie Gigarren 
öfters in der Mluftrierten Zeitung begegnet 
zu pe: vielleicht ſchlagen Eie dort ein» 
mal nad. Senner behaupten, dieſe Er · 
aeugrifie entbehrten des rechten Genuffes. 
in Nein. 
8 eden follen weiter fein, 
Dann fann Weltpoft mit hinein. 
Die Langenſcheidt · 
ſche jet od. in enfalle vorzuziehen. 
Die Zifferblätter find 
mit ——— arde beſtrichen, melde 
am Tage das Licht ein- und in der Nacht 
wieder ausftrahlt. Stellen Eie am Tage 
die Uhr recht int Licht, womöglich bireft 
— — werden Sie die Leucht · 
taft jehr er 
Ienotus. Das Bild ift gebradt 
worden und jivar in dem Artikel über den 
Maler v. — 
€. A. in Schon im letzlen Hefte 
fanden * Fa berieben, weitere jo 
a5 i N aan el» 
mann —— —— 5* hren Wunſch 


zu 
34 Es in. Verfaſſer ift im Dialeft 
gebli 
®- a. in 5ch · Y. Haben zuviel der» 
gleiyen um neues acceptieren zu fönnen. 
.B. in. Das fann nur aus 
Verſehen geſchehen fein. Haben Eie wirf« 
lich die ſchwierigen Rätiel nicht verftanden ? 
Wo Außeraewöhnlices zum erſten mal 
auftaudte wurbe e8 aud immer erläutert. 
Abdonnentin in oshau. Wir 
find von Ihrer guten Abſicht völlig über 
jeugt und danfen herzlich dafür. ber 
wir ſtehen zwifchen zwei ern und thun 
wohl am beiten zu ſchweigen. 
Dchonom auf dem Erzgebirge 
a landwirticaftlice Prefje bei Parch in 
erlin 
Freund und Abonnent in Aal- 


Aufta. Wilfen wir leider nidt. 
Eand. med, in Erfangen. Bertha 
Behrens. Kötſchenbroda bei Dreäden, 


aa u 18. 

28. 8. in 8. Ketten und Bude 
ftabenrätiel nern acceptiert. 

A hi in W. Une iſt ein Schrift 
eller dieles Namens nicht befannt. Wiſſen 
Sie nidyts Mäheres Über ihn? 

A. in S. Jeder Keil der Zeichnung 
bedeutet einen befonderen Buchſtaben 

Jeanne E. in K. Die Antwort if 
nicht vernefien, fondern nur aus Mangel 
an Plah surüdgeftellt worden. Höchſt er- 
freut, Dali aud Ahnen die Weihnachts 
nummer fo qut gefallen hat. 

in Empfehlenswert 
find die automatic ſich verſchloſſen hal · 
tenden Tintenfäſſer und Aſchenbecher, die 
9. Ehomburg & Eohn in Berlin an 
fertigt. Siehe auch Anferat.) 
5ch. 8 A. Welchen Einfluß 
der Genuß der uffer auf die Geſundheit 
des menſchlichen Körpers hat. Dieſe Frage 
fann doch wohl nur ein um fein feiblidyes 
Wohl allqzuſehr Belorgter ftelen; denn es 
ift midht einzufeben, daß eim unſchuldiges 
Badwerf wie Buffer, irgend welcht Nach ⸗ 
teile für den geſunden Menſchen haben 
Könnte. „Allzupiel,* if allerbings, wie 
in allen anderen Dingen „ungefund“, 

— 7. Key fehlt uns die Zeit. 

RA. 8. in®. Eol womöglih ge 
ſchehen. 


Weltpoſt. — Inferaten-Unhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft ?, 


iR Weltpoft. 4 


e Abdounentin in A. (ine 

ut fichere Auskunft vermögen wir 

midt zu erteilen; nad Ahnlichen Fällen 

aber zu urteilen, ift der Zräger nenannten 

Ramens nidt beredtigt, fih ©. v. D. 

nennen. Die ficherfte Auskunft ers 

mn Gie durch das Heroldsamt in 
in. 






































































Berlinersit, 


351.26, 
Königl., Grossherzogl., Herzogl. und Fürstliches 
Hof-Pianoforte und Kunst-Institut 


—— a — liefert anerkannt nur preisgekrönte und preiswerthe 
viel wir wifien, vergeiffen, Sie müßten fie Pianinos, Flügel, Cottage-Orgeln 


alfo antiquariſch juchen lafien. 2) Wenn 
des Preifes fann Ihnen dort jede Eorti- 
ments buchhandlung Beiheid neben, 

„in 8. Dantend acceptiert 


2 
. & de. inB-Mm. © . 
I) 1 »-ı en ac 


3.8in . Die Babefaifon in Streuz« 
BR A de Mai. 


®». ®. in £®. Erſcheint nicht 


3. in 4. BDanfend empfangen. Em · 
diehlung ſoll vorlommenden Falls gern 


erfolgen. 

—— solls. Wenden Sie ih ver · 
trauenövoll an einen guten, zuverlälfigen 
Patentanwalt, der wirb Ihnen zur Aus« 
führung und Patentierung verbelien. 

Aleedlatt in Sannover. Studien⸗ 
föpfe haben wir no zahlreich in unierer 
Mappe, Sie follen nädjftens wieder deren 
zu jeben befommen. 

2.3.in B. Beilen Dant für Ihre 
Mitteilungen überden Norbdeutichen Lioud, 
—* vortrefilihe Leiitungen niemand 

t anerfennt als wir, In jenem Ar—⸗ 
titel follte vornehmlich das engliſch · ameri· 
laniſche Dampfſchffweſen geihildert werden. 

D. in A., P. ind. Beſten 


. in WM. Leider läßt ſich Ihr 
ch nicht erfüllen, 

A. €. in WS. Das mit Kupfer le 
gierte Silber befikt eine weniget alänt« 
jende Farbe als das reine Silber, und 
man ſucht daher die Oberfläche der Abernen 

enftände mit einer Schicht von reinem 
Silber zu überziehen — die Gegenſtände 
werben an« oder weihgeiotten. Man cr: 
bist nämlid die Begenftände zum ſchwachen 

talüben und taudt fie 10—15 Mi 
nuten lang in eine in ein kupfernes Gefäh 
aebradhte Yöjung von 2 Zeilen Kochſalz, 11 
Teilen Weinftein und 32-48 Zeilen Waſſer, 


(amerikan, Harmoniums), 
besitzt vorzügl. Empfehlunzen von Musik-Autoritäten, wie Ritter, Ehrlich, 
Bott, Bemmert, Scheiffler etc., bietet die grössten Vortheile durch Zahlune®- 
Erleichterungen und bei Baarzahlung durch Vorzugspreise. Längste Garantie, 
kteparatur- Werkstätte. [574] 


% Weltpoft. 4 


Frage. ( 
®. £. in $S. wiünſcht zu willen, 
warum man für „in einer Wode* jagt, „in 
8 Tagen,“ während man für zwei Wochen 
richtig 14 Tage gebraucht. Wer kann uns| RE 
Auskunft geben ? | 
Antworten. 

(Frage in Wr. 12 des vor. Jahrg.) 
die Zujammenjehung des Gaftropban von 
Apotbefer I. Fürft in Prag betr.) Duaiiia« 
holz 30 g, unreife Womeranzen 15,0 ge, 
Salgantwurzel 4,0 g, Cardamomen 2,2 £, 
Sternanisöl 10 Tropien, Pomerangen» 
ihalendl 10 Tropfen, Spiritus 180,0 | BE 
Waffer 120,0 g werde digeriert und filtriert.) | 
50 g hiervon koſten 70 Areujer (öiterr. 
Währ.) = 1,4 Mt. (#8 ift die Zuſammen⸗ 
fehung des Elixire gut, ift jedoch erjtändig 
paraltifiert durch das zufammengejehte 
Srangen-Elirir, wie es in jeder Apothefe 
zu billigem reife zu haben ift | 

| 








Griechische 
+ Weine. + 
1 Probekiste 


mit 12 ganzen Flaschen, 12 aus- 
gewählte Sorten von Cephalonia, 
Corinth, Patras und Santorin. 
Flaschen und Kiste frei. Ab hier zu 


19 Mk. 50 Pf. 
1 Postprobekiste 


mit ® ganzen Flaschen, herb und 

süss. Franco nach allen deutschen 

und österr. - ungar. Poststationen 
gegen Einsendung von 


4 Mk. 
J. F. MENZER, 


Ritter des K. Griech, Erlöserordens. 
Neckargemünd. 














(frage Nr, 1 im Heft 1.) GHattel| 
Fleden, jog. Spiegel, auf Hammaarıre 
stofflleidern entiernt man durch Abreiben 
mit Spiritus wur 

(Frage Nr, 2 in Heitl,) Um blind 
neworbene Glasſcheiben zu reinigen, d. bh 
fie von den mitroſtopiſchen Lamellen, welche 
ſich teil durch den Einfluß des Lichte, 
teils dutch Temperaturwechſel von der Ober⸗ 
fläche des Glaſes gelöft haben, zu befreien, 
wendet man am beiten verbünnte Fluß— 
jäure an, die man jo lange mittels eincs 
Sdwammes aufträgt, bis die Scheiben!‘ 
volllommen Nar ericheinen, Zuletzt ſpült 













His fie völlig weiß erfcheinen. Auch kann] man noch mit reinem Mahler nad. Da:| Magazin Ein- 
man verbünnte Schwefeljäure (1:40) und] Berbünnen der Flußſaure darf nur in für t N 
faure fchwefeljaure Aalilöjung anwenden, | Bei» oder Guttaperdjagefähen ausgeführt Bijouterien getragene 


welche letztere ſchon bei gewöhnlidier Tem⸗ 
veratur binreihend wirt. Gewöhnlich 
muß die Operation, nachdem der Genen: 
Hand mit feinem Sand oder einer seien 
Meifinnkrakbürjte abgerieben und dann 
aeglübt worden iſt, wiederholt werden 
Nah dem Anſieden iſt Die Oberfläche der 
Silbergegenftände natürlich matt, weil 
die Silberteilden durd die Operation ae: 
wiſſermaßen voneinander getrennt werden; 
durch Polieren wird fie aber leicht wieder 
glänzend gemacht. 
Alte treue Abonnenten in San- 
nover. Die diesmal aus Haummanpel 
auf der Hatiftifhen Tafel unbericdiihtin! 
gebliebenen Frequenzangaben dertechniichen 
hichuten, jowie der Fachſchulen Deutic- 
lands werden auf der nädhitjährigen Tafel 
in möglidhfter Pollftändigfeit vertreten jein 
ii ». Die ee Adreſſe genünt 
u 


werden, auch ift Dringend Vorſicht geboten 


daß die S icht mit den Händ — & Schutz- 
ie saure mi mi en Banden u . 
Perührung fommt, da fie höchtt ſchmerz ⸗ Double - Gold, Marke. 


bafte und under Umſtänden jelbit nefäbrs . ® 
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fette zahle ich aurüud, falle die elbe inner: 
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— —344* mehr oder minder 

ufinen Wie olung ber Punkte müſſen 
Sie auf F —— raten. 

—— . Mit Vergnügen 

acceptiert. > a 


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— — 


Fin Abend in den 5chweizer Bergen. 
Don Job, Bottfr, Steffan, 











A. R. Rangabe. 


vie Najade. 
Novelle von A. R. Rangabé. 
Deutſch von 3. Pielfd. 


J. 

ohn Littel flanierte am Themſe— 

quai, die Cigarre im Munde, die 

Hände in den Taſchen, die Augen 

in die Weite gerichtet, ſorglos wie 

der reichſte Lord der Regent— 
Street. Aber die durchſcheuerten Ellenbogen 
ſeiner Rockärmel, ſein abgenützter Hut, ſeine 
zeriſſenen Stiefel ließen in ihm kaum einen 
Sproſſen der üppigen Ariſtokratie erkennen. 

Und John Littel war in der That von 
niederer und armer Abkunft; aber ſeine Studien 
in der Schule ſeines Heimatdorfes und die Lek— 
türe einiger Marryatſcher Romane hatten ſeine 
Ideen über die Sphäre, in der er geboren war 
erhoben, und Littel glaubte ſich zu großen 
Dingen beſtimmt. 

Bevor er aber zu einem Romanhelden wer— 
den konnte, mußte er leben; um zu leben, mußte 
man eſſen; zum Eſſen gehörte Geld, und um 
Geld zu haben, mußte man arbeiten, gleichviel 
was. Littel fand dieſe Schlußforderung un— 
widerleglich; infolgedeſſen entſchloß er ſich, 
die Stellung eines Commis in einem Handels— 
haufe anzunehmen. Das it, ſo dachte er, einnot: 
wendiger Anfang, die erite Sprofje der Leiter, 
auf weldhe man den Fuß ſetzen muß, um bis zur 
höchſten Sprofje derjelben empor zu fteigen. 

Diefe untergeordnete Stellung befriedigte 
fürs erjte die Anfprüche Littels. Sie ernährte ihn. 

Aber von jeher hatte Littel eine ganz bejon: 
dere Neigung für das pale ale, das National: 
bier der Engländer; jo verhunzte und parodierte 
er auch den einzigen griechiihen Vers, den er 
aus feinen Schultagen im Gedächtnis behalten 
hatte: „Ariston men hydor* (Waſſer ift das 
beite, was es gibt) in feinem engliſch-griechiſchen 
Accent mit „Airaistos men tziuthos* (Bier 
ift das beite, was es gibt). Er liebte es auch, 


Zmeifellos waren das Schwächen ; er hatte aber 
in feinen Romanen gelejen, daß alle großen 
Männer der Vergangenheit und der „Zukunft 
ftets ihre Schwächen gehabt haben und fie immer 
haben werden. Das verhinderte die feinigen 
nicht, fein Feines Gehalt bis zum legten Pfennig 
zu verbrauchen. Und darum jehen wir ihn mit 
Burslöerten Aermeln, abgenügtem Hut und 
zerriffenen Stiefeln. 

Das war nicht alles: aus feinen Lieblings: 
büchern hatte er mehr als eine Zehre über die 
Unabhängigfeit, die Freiheit, die Würde des 
Mannes geihöpft. 

Eines Tages ſchien ihm die Natur einiger 
Wechſel, die er einzutragen hatte, etwas zwei— 
deutig, und er faßte den Verdacht, daß fein 
Prinzipaldem Sflavenhandel nit ganz fremd fei. 

Ergriffen von edler Entrüftung lief er zu 
ihm und erflärte ihm, er wolle nicht länger einem 
Herrn dienen, der feine Mitmenjchen verhandle 
und aus folhem Handel mit der Freiheit jeiner 
Brüder Gemwinn zöge. 

Der Kaufmann antwortete ihm mit einem 
fo kräftigen Fußtritt, daß er die Treppe, den 
Kopf zuerit, hinunter flog. Daher fam es, daß 
unjer Held hier auf den Quais flanierte, die 
Augen in die Weite gerichtet und die Cigarre 
im Munde. 

An dem jo Beichäftigten ging jemand dicht 
vorüber und jtieß ihn heftig an die Schulter. 

„Ich bitte taufendmal um Verzeihung, mein 
Herr,“ fagte der Fremde. 

„O, es tft nicht der Nede wert,” erwiderte 

höflich Herr Littel. 

„Glauben Sie mir, ic) ſtieß Sie nur aus 
Berftreuung, ich war etwas abwejend, voll: 
jtändig abjorbiert durch das prächtige Schaufpiel 

| der zahllofen Schiffe. Täglich wenden fid) tau— 
fende nad) den vier Himmelsrichtungen. Ich 





im anregenden Kartenipiel Erholung von der | beneidete innerlih denen das Glück, welde 


mechaniſchen Thätigkeit des Kopiften zu fuchen. 


die Welt auf den Flügeln diefer Meeresvögel 


Die Najade. 


durdeilen fünnen. Empfinden Ste nicht ähn— 
liches, mein Herr? * 

Ich teile vollftändig Ihre Anficht, * antwor: 
tete Littel. „ch würde mic) als den glüdlichjten 
Menſchen ſchätzen, follte es mir je vergönnt fein, 
jene unbefannten Küften zu befuchen, an denen 
der civilifierte Menſch fo jelten landet, alle die 
Wunder der Natur zu fehen und den Menſchen 
unter allen focialen Bedingungen zu ſtudieren.“ 

„Ich begreife volltommen Ihre philoſophiſchen 
Neigungen und ich teile ſie. Aber ſtellen Sie 
ſich meinen Kummer vor! Eins der ſchönſten 
Schiffe, das Sie am Ufer ſehen, jene Brigg dort, 
iſt bereit, unter Segel zu gehen zum Zweck einer 
ſolchen wiſſenſchaftlichen Reiſe. Ihr Kommandant, 
mein ausgezeichneter Freund, Herr Spray, hat 
mich aufgefordert, ihn zu begleiten. Unglücklicher— 
weiſe halten mich dringende Geſchäfte zurück 
und zwingen mich, dieſe herrliche Einladung 
zurückzuweiſen.“ 

„Oh! Sie haben unrecht,” rief Littel enthu— 
ſiaſtiſch. „Wäre ich an Ihrer Stelle, fein nod) fo 
wichtiges Gefchäft fünnte mich zurüdhalten.“ 

„So hegen Sie den heißen Wunſch, eine 
ähnliche Reife zu machen?“ 

„Das fragen Sie mih? Nichts fönnte mir 
ein größeres Vergnügen gewähren.“ 

„In dem Falle,“ ſagte der Fremde, „war 
es vielleicht ein glüdlicher Zufall, der mich mit 
Ihnen zufammenführte. Ich habe Ihnen ſchon 
gejagt, daß Herr Spray mein Freund ift. Und 
jo glaube ih, daß ich ihm nicht vergeblich bitten 
werbe, wenn ich ihn erfuche, Sie an Bord zu 
nehmen. Warum nit? Was ift dabei zu ver: 
lieren? Und er hat zudem nod den Genuß 
Ihrer GSejellichaft.“ 

„Oh! mein Herr!” rief Littel ganz außer 
fih, „dürfte ich auf folh ein Glück hoffen? 
Aber nein; ih muß Ihnen aufrichtig bekennen . . .“ 

„Wenn Sie nit wollen...“ jagte der 
Fremde. 

„Nicht wollen? Wie! das iſt es nicht; aber, 
erlauben Sie... ih muß Ihnen wohl geſtehen 

... ich habe nichts, wovon ich meine Fahrt be: 
zahlen könnte.“ 

„Und wo wäre denn die Gunft, die mir 
Herr Spray gewährte, wenn er verlangte, daß 
Sie die Fahrt zahlten. Ich verlange, daß er 
Ste umsonst an Bord nimmt.” 

„Aber... es ift nicht das allein. Ich habe 
wahrhaftig nicht einmal fo viel, um ihm meine 
Kost zahlen zu können.” 


— — — —— — — —— — — — 





123 


„Ah!“ ſagte der Fremde nachdenklich, „das 
iſt eine Schwierigkeit. Aber vielleicht läßt ſich 
doch ein Mittel finden... Sie find ein junger, 
kräftiger Mann von blühender Gejundheit. Wenn 
Sie fih nun aus Liebe zur Wiffenfchaft ent: 
ihliegen, von Zeit zu Zeit mit Hand anzulegen 
.. . Aber was ſage ih? Ohne Zweifel behagen 
Ihnen die feemännischen Arbeiten nicht.“ 

„Ganz im Gegenteil, mein teurer Herr,“ 
rief Littel auf dem Gipfel des Glüds, „im 
Gegenteil, ich habe in ihnen eine gewiſſe Er: 
fahrung. Ich verfichere Ihnen, daß ich nichts 
Bejleres wünſche, als mir durch meine Arbeit 
mein Brot und mein Bier zu verdienen. Ich 
will Ihnen ſelbſt nicht verhehlen, daß es mein 
Selbitgefühl beleidigte, wenn ich ihm zur Laſt 
fein müßte.“ 

„Oh! dann wird fich die Sache wundervoll 
einrichten lafjen,“ fagte der Fremde. „Sie 
fönnen jelbit, außer auf Nahrung und Bier im 
Ueberfluß, auf einige Belohnungen, auf ein 
feines Gehalt rechnen. Wenn Sie alfo wollen, 
fo holen Sie Ihr Gepäd; ich werde Sie hier 
erwarten, und Sie gleich meinem reunde, Herrn 
Spray, voritellen. “ 

„Mein Herr,“ antwortete Yittel, „mein 
Gepäck, ich trage es an mir.“ 

„So gehen wir dann.“ Und fie ftiegen in 
die nächſte Barle. 

„Und wohin wird die Neife gehen?“ 

„Nach Afrika, nach all den Orten, an denen 
die Natur einen würdigen Gegenſtand für das 
Studium oder die Betrachtung bietet.“ 

Littel drückte ſtumm die Hand feines Be: 
aleiters. Seine Dankbarkeit war jo groß, daß 
er fie mit Worten nicht auszudrüden vermochte. 

Der Kapitän Spray empfing den Freund 
feines Freundes mit großer Yiebenswürdigfeit, 
reihte ihn in feine Mannſchaft ein und verſprach 
ihm, wunderbare Dinge zu zeigen, Dinge, von 
denen er ſich feine Vorftellung machen fünne, 

Am nächſten Morgen verließ die Najade 
jtolz die Mündungen der Themje, alle Segel 
vom Nordwind gebläht, und einen Monat fpäter 
ducchfchmitt ihr Kiel die Wellen Senegambiens 
angefichts der Weſtküſte Afrikas. 

Während der Fahrt Schienen unferem Freunde 
die Manieren des Kapitäns fchroffer als bei dem 
eriten Zufammentreffen. Mehr als einmalhatte er 
ihn geſehen, wie er, die Biftole in der Hand, dem 
erſten, der ihm nicht gehorchen würde, drohte, 
eine Kugel durch den Kopf zu jagen. 


124 4. R. Bangabk. 


Nach Littels Gefühl war das für den Chef 
einer wiljenfchaftlichen Erpedition ein wenig zu 
wild; aber jo find die Manieren der Seeleute! 
Die Gewohnheit der abjoluten Gewalt macht fie 
oft tyranniſch. 

Uebrigens war ber gute Littel — ſtets be: 
müht, feine Pflicht aufs Genauejte zu erfüllen 
— jelten der Gegenftand des Zorns oder auch 
nur der Beachtung feines Vorgeſetzten. 

Eines Morgens bei Sonnenaufgang ftand 
Herr Spray am Steuerbord der Najade und be- 
obachtete aufmerkſam den verlaffenen Hafen, den 
man joeben paffierte, und eine ſchmucke Goelette 
in deſſen Hintergrunde, die dort vor Anfer lag. 
Der von der Spite des großen Majtbaums 
Hatternde Wimpel ließ in ihr ein Kriegsſchiff 
erfennen. 


Auch die Goelette ſchien die Brigg bemerft | 


zu haben, denn ſchnell wurde ihre Flagge auf: 
gehißt und ein Kanonenſchuß betätigte es. Die 
Meerbrife entrollte die Falten des Banners. 

Hätte die Najade irgend ein Intereſſe daran 
gehabt, dieje ſymboliſche Frage nicht zu beant: 
worten, jo würde fie jchleunigft ihre weißen 
Flügel in voller Weite ausgejpannt und ihre 
Spite ins Meer hinaus gewendet haben. 

Anderfeit3 aber würde, wenn es ſich um 
einen Schnelligfeitäfampf zwifchen den beiden 
Schiffen gehandelt hätte, die fleine, einer 
Schwalbe gleich leichte und jchlanfe Goelette 
alle Chancen haben, den Sieg über ihren Gegner, 
die ſchwere ſtarkbauchige Brigg, davon zu tragen. 

Kein derartiges Intereſſe ſchien die Be: 
wegungen der Najade zu beeinfluffen. Sie hißte 
unmittelbar darauf, wie es einem Schiff zu: 
fommt, welches weiß, wie es fi) zu benehmen 
hat, die Kauffahrteiflagge derjelben Nationalität 
auf und begrüßte die Goelette, die ariſtokratiſchen 
Allüren der föniglihen Marine nahahmend, 
jogar mit einem Kanonenſchuß. 

Zu gleiher Zeit wendete fie, ihrem Bug 
eine Neigung gleich einer graziöfen Berbeugung 
gebend, zum Eingang des Hafens hin; bald lief 
jie in denfelben ein und warf im Fahrwaſſer der 
Goelette Anker. Die Schnelligkeit und die Ge: 
nauigfeit, womit ihre Segel eingezogen wurden, 
erregte die Bewunderung, vielleiht fogar die 
Eiferſucht ihrer Nachbarin. 

Das Boot der Najade wurde fofort ins 
Meer gelaffen. Einige Minuten fpäter ftieg 
Kommandant Spray, gefolgt vom Matrojen 
Littel, die Treppe der Goelette hinauf. 


„Habe ich die Ehre, mit dem Kapitän diefes 
Schiffes zu fprechen?* fragte er einen jungen 
Dffizier, der ihm entgegen fam. 

„sa, mein Herr,“ antwortetediefer, „Arthur 
Filthon, Kommandant der königlichen Goelette 
‚Der Dauphin‘,* 

„Welche Freude für Landsleute, Komman- 
dant Filthon,“ rief Spray voller Wärme, „fich 
hier in diefen wilden Ländern zu treffen, fo ent: 
fernt von dem gemeinfamen Vaterlande, unferem 
luftigen England !” 

„Aber wünſchen Sie vielleicht meine Papiere 
| 








zu fehen?“ 


„Wenn Sie die Güte haben wollen,” fagte 


der Kommandant, mit einer höflichen Verneigung 
dad eifrige Anerbieten Herrn Sprays beant- 
wortend. 

Diefer zog fogleih ein goldgeftidtes Porte— 
feuille aus feiner Tafche, nahm einige Papiere 
| heraus und übergab fie dem Offizier. Der 
| Kommandant des Dauphin las die Dofumente, 

las fie dann noch einmal und noch ein drittes 
Mal, und fhien ihnen eine Aufmerkfamfeit zu 
ſchenken, die nicht befonders im Einklang ftand 
mit der Nüdjicht, die man einem fo refpeftabeln 
Schiffe wie der Najade ſchuldete. Endlich gab 
er fie Herrn Spray, der geduldig wartete, zurüd. 

„Nehmen Sie die Bapiere zurück,“ fagte er, 
„Ste find in Ordnung.“ 

Und nachdem er einige Augenblide ge: 
zögert: „Herr Spray,” fügte er hinzu, indem 
er diefen prüfend anblidte, „Sie reifen alfo 
zum Zwed wifjenfchaftlicher Forfhungen? Sind 
Sie deffen ganz gewiß?“ 

„Ob id) es bin!“ ermwiderte der andere, die 
Stirn runzelnd. 

Aber gleich darauf lächelte er hinterhaltig 
und jagte, fich zu Littel wendend: „Laſſen Sie 
uns allein, fehren Sie zur Barfe zurück.“ 

Dann trat er auf den Kommandanten zu. 

„Kapitän Filthon,“ fagte er in geheimnis- 
vollem Ton, „ich darf mich ohne Furcht einem 
Dffizier Ihrer Majeftät anvertrauen? Kennen 
Sie diefe Unterſchrift?“ 

Und er überreichte ihm ein anderes Papier. 

„Es ift die des Ministers der Kolonieen, “ 
fagte Filthon. 

„Ganz ridtig. Sie fehen: der Vorwand 
für meine Fahrt ift eine Erpedition zu wiſſen— 
ihaftlichen Forihungen; aber der geheime Zwed 
meiner Sendung ift der, die franzöſiſchen Nie: 
derlafjungen und Faktoreien längs der ganzen 








Die Najabe. 


afrifanifchen Küfte zu beobachten. Sie werben 
begreifen, daß man ein Kriegsſchiff nicht, ohne 
Verdacht zu erregen, mit einer folhen Aufgabe 
betrauen fonnte. So haben Sie die Erflärung 
für das, was Ihnen an meinem Schiff nicht 
ganz in der Ordnung erfcheinen mag.“ 

„Ah! in dem Fall verftehe ich ... das er: 
klärt gewiß... .“ 

„Und nun werden Sie erlauben, daß ich 
mich zurüdziehe, nicht wahr, Herr Kommandant?" 
fuhr Spray fort. „Aber da ich das Glüd hatte, 
Ihnen bier zu begegnen, enticheide ich mich, 
für diefe Nacht hier im Hafen zu bleiben. Darf 
ih hoffen, daß Sie mir heute abend gegen 
acht Uhr mit Ihren Offizieren die Ehre erwei: 
fen, an Bord der Najade ein gutes Roaſtbeef 
und einen Plumpudding zu eſſen?“ 

Der Offizier fchien einige Augenblide zu 
zögern; dann aber, als hätte er feinen Ent: 
ihluß gefaßt, antwortete er: „Mit großem 
Vergnügen, mein Herr! Auf acht Uhr aljo. 
Und id) bin um jo mehr erfreut, ald wir uns 
auch morgen noch nicht trennen werden. Auch) 
ih fahre morgen nah Süden, und fo werde 
ih die Ehre haben, als Bededung mit Ihnen 
zu ſegeln.“ 

„Welch' unerwartete Freude für mich!” rief 
Kapitän Spray. „Wie munter werden wir 
reijen !* 

Darauf zog er fich zurüd, zwiſchen den 
Zähnen murmelnd: „Diefer Herr fieht mir 
ganz danad) aus, als beargwöhne er die Ne: 
Ipeftabilität meiner armen Najade.” 

An Bord zurüdgekehrt, gab er die Befehle 
für den abendlichen Empfang. 

Der Kapitän Filthon feinerfeits rief feinen 
Lieutenant. „Die Phyſiognomie des Schiffes 
dort will mir nicht recht gefallen,” fagte er zu 
ihm. „Wie denfen Sie darüber, Lieutenant 
Saltwater?“ 

„3a,“ antwortete dieſer; „es it ſtarkbau— 
big; und dann fcheinen mir an feinen Maſten 
mehr Lappen zu hängen, als es fich für ein 
ernftes und vernünftiges Schiff gehört. Ah, 
ah! Sie haben nicht unreht, Here Kapitän. 
Aber haben Sie denn feine Papiere nicht ge- 
jehen ?* 

„Sie find in Ordnung, ich fage nicht nein,” 
antwortete Filthon. „Er hat fogar geheime 
‚nitruftionen. Aber das alles ift mir nicht 
ganz Far. Ein Zeugnis kann gejtohlen oder 
gefälfcht fein. Er hat uns zu heute abend zum 


125 


Souper zu fih an Bord geladen. ch will, daß 
wir hingehen. Da foll es ihm nicht gelingen, 
uns zu täuſchen.“ 

„Und wenn er uns nachts entwiſcht? ...“ 
fagte Lieutenant Saltwater. 

„Sie haben recht,“ antwortete der Kapitän. 
„Befehlen Sie, daf alles bereit jei. Sobald 
wir zurüdgefehrt find, lichten wir die Anker 
und pojtieren uns vor dem Eingang des Hafens. 
Und ich garantiere Ahnen, daß er uns nicht 
entwijcht; er müßte fih denn in eine wirkliche 
Najade verwandeln. ” 


— — * 


II. 


Abends ließ Kapitän Spray, der eine Ehre 
darin ſuchte, ſeine Gäſte aufs beſte zu empfan— 
gen, alle ſeine Boote ins Meer. Er ſelbſt ſetzte 
ſich in eines derſelben und fuhr an die Goelette, 
um in Perſon die Herren Offiziere zu geleiten. 
Es waren ihrer vier an Bord des Dauphin. 
Der Kapitän Filthon nahm drei von ihnen mit 
fih. Der vierte, ein Ajpirant, der die Schiffs- 
wache hatte, mußte troß alles Drängens des 
gaftfreundlichen Herrn Spray an Borb des 
föniglihen Schiffes bleiben. 

„Wann foll id) die Barfen fhiden, um Sie 
zurüdholen zu laſſen?“ fragte der Afpirant. 

„Oh! Sicher nit vor Mitternacht,” rief 
Herr Spray. 

„Alſo um Mitternacht,“ jagte der Kapitän 
Filthon. 

Die Beſucher wurden auf dem Deck der 
Najade mit der Muſik der Nationalhymne „God 
save the king* empfangen. Herr Spray hatte 
diefe Schiffstapelle aus allen Dilettanten an 
Bord zufammengeitellt. 

Dann ließ er ein Feuerwerk abbrennen, das, 
obwohl es nur ein ſehr einfaches war, doch durd) 
die Neuheit des Schaufpiels die Bewohner die: 
jer wilden Einöden in Erjtaunen ſetzen mußte. 

Schließlich bat er feine Gäfte, in den Salon 
hinabzufteigen. Das Gemach war glänzend er: 
leuchtet, der Tifch lururiös ferviert. 

„Ste haben ein ſchönes Schiff, Kapitän 
Spray,“ fagte Filthon. „Wollen Sie nicht 
die Gefälligteit haben, uns dasjelbe im Detail 
bewundern zu laſſen?“ 

„Es tt nicht eigentlich ſchön, Kapitän Fil- 
thon,“ antwortete Spray; „es ift zu rund, zu 
mweitbauchig. Ich habe mir vorgenommen, e3 


126 


künftig nicht wieder zu benützen; aber Sie wiſſen, 
weshalb ich für diesmal feine unſchöne Geſtalt 
anderen eleganter und leichter gebauten vor: 
ziehe. Aber mit dem größten Vergnügen werde 
ih Ihnen das Schiff zeigen. Da Sie dasjelbe 
der Ehre Ihres Beſuchs gewürdigt haben, würde 
es mid) glücklich mahen, wenn Sie fi der 
Mühe unterziehen wollten, dasjelbe vom Mait: 
forb bis zum Kiel zu befichtigen. Sie werden 
erkennen, dab meine Najade beſſer iſt, als fie 
ausfieht. ch werde mir nach dein Souper die 
Erlaubnis erbitten, Ihnen auf derjelben die 
Honneurs zu machen.” 

Das Bankett war ausgezeichnet und dehnte 
ſich bis in die Nacht hinein aus. Als es beendigt 
war, als die Flaſchen wohl zwanzigmal herum: 
gereicht waren, erhoben ſich die Offiziere, und 
der Kommandant Filthon jprah den Wunſch 
aus, das Schiff befichtigen zu dürfen, bevor er 
auf das feine zurüdfchre. 

Lichter!“ rief der Kapitän Spray. 

Sogleich traten Littel und ein anderer Ma: 
trofe, Laternen in den Händen tragend, vor. 
Sie ſchritten voran und unter ihrer Yeitung be: 
gann die Befichtigung des Schiffes. 

Mit Ausnahme der Kapitänsfajüte bildete 
der ganze Raum zwifchen den beiden Verdeden 
einen einzigen großen Saal. Auf dem Boden 
und in den Wänden desjelben waren in einer 
Entfernung von je drei Fuß untereinander feite 
eiferne Ringe angebradt. 

„Was bedeutet diefer Saal und was dieſe 
Ringe?“ fragte der Kommandant Filthon, Spray 
erftaunt anblidend. 

„Sie find für feltene afrifanifhe Tiere be: 
jtimmt, die ich auf meinen willenschaftlichen 
Erkurfionen erwerben und lebend dem Londoner 
zoologischen Garten überliefern will,“ antwortete 
Spray. „Das heit, Kapitän,“ fügte er mit 
leifer Stimme hinzu, „das bezwedt nur, andere 
auf eine falihe Fährte zu führen. Sie erraten, 
wen.“ 

„sch errate es,” antwortete Filthon und 
wars dem Lieutenant Saltwater einen aus- 
drudsvollen Blid zu, den diefer mit einem be: 
jahenden Neigen des Kopfes beantwortete. 

Von da gingen fie in den unterjten Schiffs: 
raum und in die Pulverfammer., 


enormer Haufen von eijernen ftarfen Ketten. 


„Und dies, was bedeutet das?“ fragte der 


Offizier. 


Der erite 
Gegenftand, auf den ıhre Blide fielen, war ein 


U. NR, Rangabi. 


„Ah! Habe ic) Ihnen mein Abenteuer nod) 
nicht erzählt?“ fragte lächelnd Kapitän Spray. 
„Denken fie nnr, vor einigen Tagen begegneten 
mir auf der Höhe von Senegal einem Schiff, 
deſſen Aeußeres uns ſehr verdächtig erichien. 
Auf zehn Meilen roh man den Händler mit 
Menſchenfleiſch. Ich näherte mich ihm und rief 
es an. Der Kapitän fragte mich, ob ih die 
Erlaubnis habe, auf feindliche Schiffe zu kreuzen, 
und mit welchem Recht ich ihn anriefe. Ich 
zeigte ihm meine Kanonen, und gegen dieje Do- 
fumente hatte er nichts einzumenden, Sch be: 
mächtigte mich feines Steuers, jchiffte die 
Neger an dem Drte, wo er fie aufgenommen, 
wieder aus, und nadıdem ich die Ketten fonfis- 
ziert und zu mir an Bord hatte bringen lajjen, 
ließ ih ihn jelbit das Weite fuchen, da ich 
in der That nicht die Vollmacht hatte, ihn zu 
hängen.” 

„Wir aber, wir haben diefe Nutorifation, 
Kapitän Spray,“ ſagte der Offizier. 

„Nun dann hängen fie ihn, wenn fie ihn 
haben,” jagte Spray mit halb naivem halb 
ironiſchem Lächeln. 

Littel drehte fih um und blidte erftaunt 
auf feinen Chef. Er begriff den Zweck diefer 
ganzen Lüge nicht. 

„Uber wijlen Sie, Herr Spray,“ bemerfte 
der Kommandant des Dauphin, „Sie thun nicht 
flug daran, eine jolhe Beute an Bord zu be: 
wahren. Sie fünnte peinlihen Verdacht erregen 


' und dem Nuf der Najade fchaden. Ich würde 


! 


Ihnen raten, dies Eifen an Bord des Dauphin 
zu deponieren. “ 

„Ih glaube wahrhaftig, Sie haben recht,“ 
fagte Spray, „und ich werde Ihrem Rat folgen.“ 

„Jetzt aber, meine Herren, ift es Zeit, auf: 
zubrechen,“ ſagte Filthon zu feinen Offizieren. 
„Morgen alfo, Herr Spray, werden wir ge: 
meinfam reifen. Es iſt ſogar wahrſcheinlich, 
daß wir noch zahlreihere Geſellſchaft finden. 
Schiffe der föniglihen Marine und zwar folche 
vom größten Kaliber, liegen in diefen Gegenden 
vor Anker. ch zweifle nicht, daß fie, wenn ich 
ihnen einige Signale gebe, die Gefälligkeit 
haben werden, uns zu begleiten und die Ein: 
förmigleit unferer Reife zu unterbrechen.” 

„Ah! ! welch! ein Glück!“ rief Kapitän Spray. 

„Brechen wir auf,” fagte der Kommandant 
des Dauphin. 

„Die Barfe des Kapitän Filthon!“ rief 
Spray mit lauter Stimme, 


Die Najade. 


„Noch nicht angekommen,“ antwortete eben: 
fo der wachhabende Matroje. 

„Wie! iſt das möglich!” fagte Filthon. 
„Mitternacht ift doc) vorüber.“ 

„Oh! das Unglüd ift nicht groß,” fagte 
Spray. „Gedulden Sie fi, fie wird fommen. 
So habe id) das Vergnügen, einige Augenblide 
länger Ihre Gegenwart zu genießen.“ 

Daraufhin nahmen fie wieder Platz an der 
Tafel und leerten noch einige Flaſchen mouſſie— 
renden Porters. Eine Stunde nad) Mitternacht 
war die Barfe noch immer nicht erfchienen. Der 
Lieutenant Saltwater verlangte ein Spradrohr 
und es an den Mund jegend, rief er dreimal: 
„Oho, vom Dauphin! Die Barke des Komman- 
danten.“ 

Und dreimal wiederholte das Echo der 
Berge rings umher die Worte. 

„Nun kann es ja nicht mehr lange dauern, 
ſie muß bald kommen,“ ſagte Herr Spray. 
„Setzen wir uns.“ 

Bei jedem Anſchlagen der Wellen lief der 
Lieutenant hinaus, um nachzuſehen; aber wie— 
der verging eine halbe Stunde und die Barke 
lam nicht. 

„sh weiß nicht, was ich davon denken ſoll,“ 
ſagte Kapitän Filthon. „An Bord des Dauphin 
ſchläft alſo alles, und auch Greedyfiſch wird 
eingeſchlafen ſein! Kapitän Spray, werden Sie 
mir Ihr Boot leihen?“ 

„Das Boot ins Meer!“ rief Kapitän 
Spray. 

Wenige Augenblide fpäter verabichiedeten 
fih der Kapitän und die Offiziere des Dauphin 
vom Kapitän der Najade bis zum nächſten 
Morgen, an dem er, wie Herr Filthon wieder: 
holte, das Vergnügen haben würde, gemeinfame 
Neife zu mahen. Eie jtiegen in die Barke und 
jteuerten auf die Stelle zu, an der der Dauphin 
vor Anker gelegen hatte. 

Die Matroſen ruderten kräftig; zwanzig 
Minuten waren vergangen, da ſtießen fie ans 
Land. 

„Was heißt das?“ rief Filthon zornig. 
„Lieutenant, Sie ſitzen am Steuer, aber Sie 
haben jchlecht gelenkt, mein guter Yyreund. Ge— 
ftehen Sie nur, daß der Porter Ihnen bie 
Windrofe im Kopf verwirrt hat. Laſſen Sie 
mir das Steuer!“ 

„Herr Kommandant,” antwortete der Of: 
fizier, um zu bemeijen, daß er nicht vom Wein 
benommen jei, „da ift der Thron der Kaſſiopeia 


127 


und da ber Krebs, dort müßte folglich der 
Dauphin liegen. “ 

„Sie haben recht,“ ſagte der Kapitän; „dort: 
hin werde ich wenden.“ 

Er wendete in der That dorthin; aber er 
fehrte bis nahe zur Najade zurüd, ohne auf 
den Dauphin zu ftoßen. Nun lavierte er nad) 
allen Richtungen hin. Keine Spur der Goelette. 

„Was für eine verteufelte Geſchichte! was 
bedeutet das?” 

„Mir fällt eben ein,“ bemerkte Saltwater, 
„ich habe dem Kadetten Greedyfifch den Befehl 
gegeben, die Anker zu lichten, damit wir uns 
nad unferer Nüdfehr vor den Eingang des 
Hafens legen fünnten. Hat er mich vielleicht 
falſch verftanden und follte unverzüglich los— 
gedampft fein?“ 

„Das wird es zweifellos fein. Er iſt fo 
unbejonnen, diefer Maſter Greedyfiſch,“ ant: 
wortete Filthon, und mit einem heftigen Nud 
das Steuer nad) rechts drehend, wendete er das 
Boot gegen den Eingang des Hafens hin. Aber 
die Nuderer waren ſchon müde und die Ent: 
fernung noch jehr beträchtlih. Es waren ihrer 
ſechs; drei von ihnen ruderten, die anderen 
follten ihre Kameraden jpäter ablöjen. _ So 
wurde die Schnelligfeit des Bootes um die 
Hälfte verringert, und als man endlich an den 
Eingang des Hafens fam, begann es fchon zu 
tagen. Die Offiziere ließen die Blide rings: 
umberfchweifen, aber nirgends entdedten fie 
den Dauphin. 

Filthon war ganz außer fih. Er fonnte 
nit daran denken, auf diefem gebredplichen 
Fahrzeug ins Meer hinauszufahren; das er: 
laubten weder die erjchöpften Kräfte der Ma- 
trojen, noch der Zuftand des Meeres. Er jah 
ſich alfo gezwungen, zur Najade zurüdzufehren. 

Aufs äußerſte überrajcht hörte Spray den 
Bericht der Offiziere an. 

„Es iſt ganz Far,“ ſagte er, „daß ſich Ihre 
Mannſchaft empört hat. Aber feien Sie ruhig, 
mein teurer Filthon: fo forpulent meine Najade 
ift, fie hat einen raſchen Schritt, fie fönnte noch 
dem Achill damit aushelfen. Die Burſchen 
mögen frühftüden und ein wenig ausruhen, 
fie haben ja die ganze Nacht gearbeitet. Und 
id werde mich jtärfen, um den Dauphin ein: 
zuholen, “ 

Das Frühftüden und Ausruhen der Bur- 
ichen und das Lichten der Anfer nahm den 
halben Tag in Anſpruch. In jeder Minute 


128 


der ſechs Stunden ſtießen die vier Offiziere im 
Chor ein energiſches Goddam! aus, und in den 
Zmifchenpaufen zermarterten fie ihr Gehim, 
um zu begreifen, was aus dem Föniglichen Schiff 
geworben jei; aber fie begriffen es dennoch nicht. 

Aber nichts zwingt uns, gleichfalls in ſolcher 
Ungemwißheit zu verharren. Eine Stunde, nad: 
dem die Offiziere mit dem Kapitän Spray den 
Dauphin verlafjjen hatten, hörte man von ber 
Goelette aus das Geräuſch der Nuder einer fich 
nähernden Barfe. Die Mannfchaft des Dauphin 
ichlief; die Wache rief: „Wer da!“ 

Die Barfe legte darauf auf Badborbfeite an. 
„Wir fommen vom Kommandanten Filthon,“ 
fagte eine Stimme. „Ich habe dem Herm 
Dffizier der Schiffswache einen Brief zu geben 
und ihm einige Worte zu fagen.“ 

Das Individuum, welches eben jo geſprochen 
hatte, ftieg in Begleitung zweier anderer Ma- 
trofen auf das Ded und übergab Herrn Greedy— 
fiich, der vorgetreten war, ein Schreiben. Aber 
in dem Augenblid, wo diefer die Botjchaft las, 
jtürzte ji) der Seemann, der fie ihm überreicht 
hatte, auf ihn, warf ihn mit herfulifcher Stärke 
zu Boden, ſchloß ihm mit der einen Hand den 
Mund und feste ihm mit der anderen die Piftole 
auf die Bruft. „Wenn Sie ſich rühren, wenn 
Sie einen Schrei ausſtoßen, find Sie verloren, 
Sie und Ihre ganze Mannfchaft,* fagte er. 

Die beiden anderen Matrofen ftürzten ebenfo 
auf die Mächter, entwaffneten fie, fnebelten fie 
und banden ihnen die Hände. 

Gleichzeitig famen noch zwei andere Barfen 
heran, die fich bis jet im Dunfel verborgen 
gehalten hatten. Ihre Ruder waren mit Segel: 
tuch ummunden, damit fie geräufchlos gegen die 
Wellen fchlugen. Sie flammerten fih an der 
anderen Bordjeite des Schiffes feit, und bald 
waren ungefähr zwanzig bis zu den Zähnen be: 
waffnete Männer aus den drei Fahrzeugen ge: 
ftiegen und aufs Ded geſprungen. Die einen 
ftürgten in das Arjenal, um ſich der Waffen zu 
bemädtigen, die anderen aufs Zwijchended, wo 
fie die Mannjchaft, die ihrer Anführer und aller 
Verteidigungsmittel beraubt war, ergriffen und 
banden. 


U. R. Rangabe. 


mit gejpanntem Hahn in der Hand, wurden als 
Wache aufgeftellt, acht andere lagerten fich auf 
dem Verded, der Reit beftieg wieder die Barfen 
und fehrte geräufchlos in dem Augenblid, als 
Kapitän Filthon und feine Tifchgenofjen die 
erite Flafche Champagner leerten, zurüd. Die 
aht an Bord des Dauphin gebliebenen Ma- 
trofen Sprays durchſchnitten mit einem Arthieb 
das Anfer und bald verließ die Goelette, von 
einer friſchen Brife, wie fie in diefen Gegenden 
jeden Abend vom Lande her weht, getrieben, 
den Hafen und fuhr Scharf nad Norden. 

Das war der Grund, warum Filthon fie 
vergeblich fuchte. 

Endlich, gegen Mittag, fette ſich auch die 
Najade in Bewegung. Anfänglich ſchien ihre 
Schnelligkeit nit dem Lobe ihres Komman- 
danten zu entſprechen, zwei Stunden lang trieb 
fie jchwerfällig im Golf dahin, ehe fie das 
äußerfte Vorgebirge erreichte, welches die Aus: 
ficht nach Norden abſchließt. Hier aber wendete 
fie nad) Süden; und es jchien, als zöge fie den 
Seitenwind dem ihr im Rüden wehenden vor. 
Denn kaum hatte fie diefe neue Richtung ein: 
geſchlagen, als fie auch gleich einem faulen 
Pferde, das die Sporen in den Flanken fühlt, 
ihre Schnelligkeit verdoppelte, und mehr als 
zehn Knoten in der Stunde zurüdlegte. 

So fegelte fie den Neft des Tages und die 
folgende Nacht. Der Dauphin war weit und 
breit nicht zu erbliden. 

„Kapitän Filthon,“ fagte Spray zu dem 
Offizier, als fie fih bis auf geringe Diftance 
einem öden Landvorſprunge genähert hatten, 
„wie Sie wiffen, geht meine Route nach Süden, 
der Dauphin aber fcheint nicht diefe Richtung 
genommen zu haben, wir hätten ihn ſonſt ein: 


' geholt. Fahren Sie noch weiter mit uns, fo 


Im Augenblid waren der Offizier, die Wade | 


und die Mannichaft in den Schiffsraum ge: 
worfen; man jchlof fie ein und drohte, daß fie 
bei dem geringiten Verſuch, denfelben zu ver: 
lafien, über die Klinge fpringen müßten. Die 
Luke wurde geſchloſſen, zwei Männer, die Biftole 


entfernen Sie fih vorausfichtli immer mehr 
von ihm, und das kann Ihnen nicht angenehm 
fein. Das bejte, was Sie thun fönnen, ift, Sie 
erwarten hier irgendwo Ihre Goelette.“ 

„Nein, mein Herr,“ antwortete Filthon. 
„Im Namen der Königin befehle ich Ihnen, 
das Schiff zu wenden, damit wir den Dauphin 
in einer anderen Richtung ſuchen.“ 

„Mein teurer Herr Filthon, ich möchte 
mich ihnen gern gefällig zeigen, aber Sie wiffen, 
meine Inſtruktionen . . . Es ift mir unmöglich). 
Ich darf unglüdlicherweife feinen anderen Be: 
fehlen gehorchen, alö denen meiner Inſtruk— 
tionen.” 


Die Najade 


Dann rief er mit jchallender Stimme: 
„Ein Boot ins Meer!” Und fih zu feinem 
Lieutenant wendend, fagte er: „Sorgen Sie 
dafür, daß man für einige Tage ausreichende 
Lebensmittel in das Boot ſchaffe. Die Herren 
werden vorausfichtlich feinen Markt in der Nach: 
barjhaft finden. Nehmen Sie aud Waffen. 
Sie werden ihnen diejelben übergeben, wenn 
jie auf feitem Lande find. Ich zweifle nicht 
daran, daß Herr Filthon die Jagd liebt. Möge 
es Ihnen gut gehen, meine Herren! Seien Sie 
verjichert, daß es mich ganz troftlos macht, jo 
bald Ihrer liebenswürdigen Gefellichaft beraubt 
zu fein.“ 

Die Offiziere ſahen ein, daß unter ſolchen 
Umpftänden ein jeder Widerftand unmöglich und 
Läderlih fe. Ohne ein Wort weiter zu ver: 


lieren, ftiegen fie in das Boot und wurden mit | 


ihren Waffen und ihren Vorräten an dem eriten 
Felfen des Vorgebirges ans Land geſetzt. 


Als das Boot wieder zur Najade zurüd: 


gelehrt war, hißte Herr Spray die Flagge auf 


und ließ den Kommandanten ber föniglichen | 


Goelette Dauphin reglementmäßig falutieren. 
Drei Tage jpäter lief die Brigg in einen 


Guchtenreihen, tief ins Land einfchneidenden | 


Hafen, der hinter einem Labyrinth von un: 
zähligen Heinen Inſeln verborgen lag, ein. Ein 


fremdartiges Signal wurde bei der Einfahrt | 


in dieſen Hafen auf der Höhe ihres Majtes 
befeitigt: ein in zwei Hälften geteiltes Faß, an 
dem ein langer ſchwarzer Lappen hing. Bald 
darauf wurde ein gleiches Signal auf einem 
der umliegenden Hügel fihtbar. Darauf jtieg 
Kapitän Spray in fein Boot und lieh fich, 
während das Schiff Anker warf, ans Yand 
fahren. Die anderen Boote der Brigg folgten 
bald dem feinen. 

Wie groß war die Freude John Littels, 
der feinen Chef begleitete, endlich wieder fejten 
Boden zu betreten! So jollte er denn endlich 
diefes jungfräuliche Land fehen, diefen Boden, 
dem die menschliche Werdorbenheit noch nicht ihre 
Spur aufgeprägt hat! Ganz in der Nähe jollte 
er die wilden Bewohner diefes Landes, diefe 
erjtgebornen Kinder der Natur und der rei: 
heit beobadıten. 

Die Barke des Kapitäns bog von der Küjte 
aus in einen ziemlich breiten Yluß ein und 
fuhr denfelben zwiichen niedrigen und waldigen 
Hügeln eine halbe Stunde weit hinauf. Sie 
war mit Kiften und Tönnchen beladen. 


129 


Man war faum gelandet, als ein riefiger 
Neger aus dem Gebüfc trat und den Reifen: 
den entgegenfam. 

„Mongas ijt willkommen!“ fagte der Kapi: 
tän Spray. „Nun, haben wir die dreihundert 
Stüd Ebenholz? Sieh’ her, ich habe mein Ver: 
iprechen gehalten.“ 

Und er zeigte ihm die Kiſten. 

„Dreihundert, nein!“ fagte der Schwarze, 

| indem er englisch zu radebrechen verfuchte, „drei: 
hundert, nein, nur zweihundertundneungig. * 

„Wie, Sir Mongas, deine Majejtät hält 
ihre Verpflichtungen nicht?“ 

„IH, Majejtät, halte Verpflichtung,“ ant- 

wortete Mongas, „aber ih, Majeftät, Fönnen 
| nicht mehr. Bin gegangen nachts, tief nachts 
Königreich Hotto-Ho. Arme Ebenholz jchliefen. 
Waren dreihundertundfünfzig. Ich drüber her: 
gefallen, fie lebend zu fangen. Schwarzer Teufel 
aufgewacht und gefämpft wie Hund. Er ge: 
‚ tötet zwanzig von Mongas, Mongas getötet 
ſechzig von Hotto-Ho. Dreihundertundfünfzig, 
verloren ſechzig, bleibt zweihundertundneungig. 
' Da find fie alle.“ 
t Er führte den Kapitän hinter einen Felfen, 
und John Littel jah voll Entſetzen auf einer 
‚ Heinen Ebene mit gebundenen Händen und 
Füßen die zweihundertundneunzig Hotto-Ho, 
die Gefangenen des Königs Mongas, bewacht 
von dreißig Wilden feines eigenen Stammes. 

„Du haft mir zweihundertundneunzig zu: 
geführt,“ fagte er zu Mongas. „Hier find 
1450 Liter Branntwein, fünf Liter fürs Stüd. 
Hier find auch, wie es abgemacht war, die 
Stoffe zu den Schürzen und die allerfeinften 
Halsbänder, alle aus rotem und blauem Glas.“ 

Mongas betrachtete diefe foftbaren Gegen: 
ftände, bejonders aber jeinen geliebten Brannt: 
wein mit ftumpfjinnigem Yäceln. 

„Seht, ihr da, vorwärts!” jagte ber 
Kapitän zu feinen Leuten, indem er ihnen 
die am Boden liegenden Neger zeigte. 

Die Matrojen holten fofort aus dem Boot 
Holzftüde, die der Yänge nah in der Mitte 
gejpalten waren. In denſelben befanden ſich 
immer in der Entfernung von je einem Fuß 
voneinander runde Deffnungen. Durch jede der: 
jelben wurde der Hals eines Schwarzen ge: 
ſteckt und dann darin feit geſchloſſen. Dasjelbe 
| Schandholz genügte für acht bis zehn dieſer 

Unglüdlichen. jeder Matrofe nahm das vor: 
dere Ende eines diefer feltfamen Joche auf die 
17 


130 A. R. Bangabe. 


Schulter und führte dies menſchliche Vieh daran „Sind fie eingeſperrt?“ fragte der Kapitän, 
hinter ſich her. „Ja.“ 

Littel war ſprachlos bei dieſem Anblick. „Iſt noch Platz übrig?“ 
Ihm dünkte, daß dieſe Anordnungen nichts mit „Für die zehn, die uns fehlen.“ 
wiſſenſchaftlichen Forfhungen gemein hätten. „Und meint Ihr nicht, daß wo Platz für 
Seine Beitürzung jtieg aber aufs hödhjite, als | zehn ift, auch noch wenigſtens für dreißig wäre?“ 
Kapitän Spray ihm in dem Augenblid, in wel: „Wie foll das möglich fein?“ jagte der 


chem ſich die erite Abteilung diefes ſcheußlichen Lieutenant. „Wir geben jedem nur ein und 

MWarenzuges in Bewegung ſetzte, eine Peitſche | einen halben Fuß Raum in der Breite; in der 

mit den Worten gab: „Begleite diefe hier, und | Länge ſtoßen die Füße aneinander.“ 

wenn das Ebenholz nicht marſchieren will, fo „But, qut, feien Sie nicht zu gemifjenhaft. 

fchlage zu, bis das Blut fließt.“ Eie mögen fi ein wenig zufammenprefjen; nur 
Alles Gute in Johns Seele empörte fi ‚ um zwei Zoll follen fie aufeinandergejchoben 

bei diefen Worten. | werden. Mas find zwei Zoll? Dadurch gewin— 





„Ich, ich jollte diefe Unglüdlichen ſchlagen!“ | nen wir vierhundert Zoll, dreiunddreißig Fuß, 
„Du wirft fie Schlagen, du wirft ihnen das | aljo Platz für zweiundzmanzig Stüd.“ 


Fleiſch zerpeitihen. Siehſt du, der erfte, der | „Aber wo finden wir diefe zweiundzwanzig 

da, will nicht jchnell vorwärts.“ Stuück?“ fragte der Lieutenant ſchon volltommen 
„Aber feine Füße find ja durch den Strid | überzeugt. 

angeſchwollen!“ „Das werden wir ſehen,“ antwortete Spray, 


„Schlag zu; ich will nicht ſo viele Worte.“ und trat wieder zu Sr. Majeſtät dem König der 
„Niemals!“ rief Littel, die Peitſche weit Mongas. 
fortſchleudernd. „Ich ſchlage nicht Geſchöpfe „Lieber Mongas,“ ſagte er zu ihm, „ich 
Gottes, Menſchen, die unabhängig und frei ge- habe noch Branntwein übrig, die fünfzig Liter, 
boren ſind, unſeresgleichen und unſere Brüder.“ die ich dir als Preis für die zehn Schwarzen, 
„Ah! du ſchlägſt nicht?“ | die du mir nicht verfchaffen fonnteft, beftimmt 
„Nein, ich werde nicht chlagen. Und nun | hatte. Wir find Freunde. Nimm die fünfzig 
thun Sie, was Sie wollen, Kapitän Spray.” | Liter! Ich will nicht knickerig fein. Rufe deine 
„Wir werden fehen,“ rief diefer wütend. | Leute her, damit wir ihnen einfchenfen.“ 








„Werft diefen Mann zu Boden.“ | Die dreifig Neger, Mongas jelbit, jeine 
Sofort ergriffen die Matrojen Littel und | Frau und feine Tochter festen fih um den 
warfen ihn nieder. Kapitän Spray. Man jchlug das mit Brannt- 


„Bieht ihm die Kleider aus und gebt ihm | wein gefüllte Faß auf, und jeder fuchte jo viel 
zweihundert Peitichenhiebe auf den Rüden. * als möglih von dem „inhalt ſich anzueignen. 
Die Matroſenriſſen ihmdie Kleidervom Leibe. Bald lagen fie einer neben dem anderen ſchnar— 
„Verzeiht Mann diefem,* ſagte Mongas chend oder volltommen betäubt und bewußtlos 
zum Kapitän. „Verzeiht, er es thun zu Gefallen | auf dem Boden. Nur der König, dejien Natur 


mir, ic) bitten Kapitän.“ fräftiger war als die der anderen, hatte fich 
— „Haben Sie denn feine Unverichämtheit | noch einige Funken von Vernunft bewahrt. 
nicht bemerkt ?“ „Freund Mongas,“ ſagte der Kapitän, „ich 


„Er nicht gewollt ſchlagen armen Echwar: | habe dir noch nicht das koſtbarſte Produkt un: 
zen. Ich bitten fehr, ſehr,“ wiederholte der qute | ferer Länder gezeigt.” Er öffnete eine Kifte, 
Mongas,. nahm eine Flafche heraus und goß in ein Hei: 
„Es fei, aus Nüdfiht für Eure Majeftät, | nes Glas zwei Tröpfchen eines roten Liqueurs. 
will ich ihm verzeihen. Geh’ mir aus den Augen. | „Kofte mal das,“ fuhr er fort. Der Neger 
Seiner Majeftät magit du es danfen, daß du | trank und fchien in himmlische Verzüdung ge: 
mir entlommen bijt,“ fagte der Kapitän, in | taucht. 


befien befonderem Intereſſe es lag, dem jchwar: „Wir nennen das ‚Liqueur‘,“ fagte der 
zen Monarchen zu jchmeicheln. Kapitän. 
Auf folhe Art wurden alle Schwarzen in „Bitte, gib Liqueur, Freund Kapitän,“ 


die Boote und von diefen an Bord des Schiffes , lachte Mongas in einem Tone, als verlange er 
transportiert. das größte Gut der Erde. 


Die Najabde. 


„Oh,“ antwortete Spray, „oh mein Teurer, 
das geht nicht fo. Der Liqueur ift teuer, ſehr 
teuer. Ich kann dir nichts davon geben.” 

„Mongas gibt, was Kapitän will, wenn 
Kapitän gibt Liqueur.“ 

„Mongas hat nichts zu geben; Kapitän 


wird feinen Ziqueur geben,“ antwortete Spray, | 


die Sprache des Schwarzen nachahmend. 

Ich bitte, ich bitte.” 

„Es gibt fein ‚ich bitte‘, das ihn dir ver: 
ſchafft . . . Höre! MWillft du mir die Men: 
ſchen, die da ſchlafen, überlaſſen, jo erhältit du 
den Liqueur. Eine Flache Liqueur für fünf 
Stück Schwarze, weil du mein Freund bift.“ 

„Warte! warte!” rief Mongas und zählte 
an feinen Fingern ab: „Fünf und fünf zehn, 
und fünf fünfzehn, und fünfzehn dreißig. So 
hat Mongas ſechs Flaſchen, jechs Flaſchen?“ 

Und der Unglückliche klatſchte in die Hände 
und tanzte vor Freude. 

Herr Spray gab ſeinem Lieutenant ein 
Zeichen, worauf dieſer mit ſeinen Matroſen 
herantrat, die dreißig Neger auf die weiter 
oben geſchilderte Art in den Pfahl ſteckte und 
fie nad) den Barken führen ließ. 

„Nimm die jehs Flaſchen,“ fagte der 
Kapitän zu dem fchwarzen Oberhaupt. Diejer 
ergriff fie, öffnete die eine und leerte fie mit 
einem einzigen Zug. Der fpirituofe Inhalt 
derjelben raubte ihm, deſſen Bewußtjein jchon 


nicht mehr flar war, jede Spur von Vernunft. | 


„Gib mir auch, mir aud,” jchrieen feine 
Frau und feine Tochter wie zwei bellende 
Hunde. F 

„Geht oder ich erwürge euch!“ heulte 
Mongas in feinem Naufh, und er fuhr fort 
zu trinken. 

„Gib mir auch, mir auch!“ mwinjelten die 
beiden Frauen. 

„Freund Kapitän, nicht auch nehmen dieje 
beiden? Mongas gibt fie umſonſt,“ fuhr der 
Neger fort, der ſchon nicht mehr wußte, was 
er fagte. 

„sh will fie nicht umſonſt,“ antwortete 
Spray. „Ich habe noch diefe beiden Flaſchen 
mit grünem Liqueur, der ift ſehr koſtbar. Willſt 
du fie?“ 

„Nimm diefe hier, nimm diefe hier,“ rief 
Mongas wieder, indem er die beiden Frauen, 


die ihm unaufhörlich den Reft des nhalts der | 
Flaſche ftreitig machten, zum Kapitän hinſtieß. 


„Dieje nehmen, mir grünen Liqueur geben!“ 





131 


Der Kapitän gab ihm die beiden Flaſchen, 
und während der Unglüdliche aus ihnen tranf, 
wurden die beiden Frauen von den Matrofen 
zu den Barfen gejchleppt. 

„Laß es dir gut gehen, Mongas,“ fagte 
der Kapitän Spray. „Trachte nur, mir fürs 
nädjte Jahr dreihundert Stüd bereit zu halten, 
ich werde dir viel Liqueur mitbringen.” 

Und er beſtieg fein Boot. 

„jest blidte Mongas um ſich und ſah mit 
Erftaunen, daß er allein ſei. Ein Strahl von 
Vernunft ſchien in feinem Gehirn aufzuleuchten. 
Zugleich hörte er die Stimme feiner Frau und 


‚ feiner Tochter, die in dem Augenblid, als die 


Barke vom Ufer abgeſtoßen wurde, troftlos auf: 
ſchrieen. 

Wie ein Pfeil flog er an das Ufer des 
Fluſſes. 

„Freund Kapitän,“ rief er, „gib mir Frau 
zurück, gib mir zurück Linga, Tochter meine. 
Linga iſt mir Sonne, nicht mir Sonne nehmen.“ 

Und der arme Neger lief längs der Küſte 
hin, dem Lauf des Schiffes folgend. Die beiden 
Frauen ſtreckten die Arme nach ihm aus, aber 
Kapitän Spray ſtellte ſich taub. Das Boot 
verließ endlich den Fluß und näherte ſich dem 
Schiffe. 

Als Mongas es ſich entfernen ſah, ſtürzte 
er ſich in die Fluten, und durchſchnitt dieſelben 
mit der Schnelligkeit eines Delphins. Sein 
Rauſch war in dem kalten Waſſer augenblicklich 
verflogen. Schwimmend erreichte er die Brigg 
und nun fing er von neuem an zu ſchreien: 
„Gib mir Frau zurück, gib mir Linga zurück, 
meine Tochter.“ 

„Soll er haben, was ihm zukommt?“ fragte 
der Lieutenant, feine Piſtole ladend. 

„D nein! Was fällt dir ein?“ fagte Herr 
Spray. „Wirf ihm ein Tau zu und hilf ihm 
herauf.“ 

Littel hörte diefe Worte und dachte bei ſich: 
„Der Mann ijt alſo doch nicht durch und durch 
ein Schurfe.* 

Das Tau wurde ins Meer geworfen, Mon: 
gas erariff es und fletterte mit der Geſchicklich— 
feit einer wilden Kate auf das Ded. 

„Sind wir bereit?“ fragte der Kapitän. 

„Wir find bereit,“ antwortete der Lieu: 
tenant. 

„Man lichte den Anker.” 

„Freund Kapitän,” fagte Mongas, „gib 


‚ mir rau, gib mir Tochter.“ 


132 U, R. Rangabé. 


„Legt diefen Neger neben - die beiden | Naummangel, die Tortur, die ihmen die zu 
Frauen,” fagte Herr Spray. „Geh’, damit feſt gefchnürten Bande verurfachten, bereiteten 
man dir deine Frau und beine Tochter geben | den unglüdlichen Gefangenen die ſchrecklichſten 
kann.“ Qualen, lähmten ihre Kräfte und machten ſie 

Er verſetzte ihm einen Fußtritt vor den krank. Zwei oder drei, die ſchwächſten unter 
Leib. In demſelben Augenblick ergriffen den | ihnen, ſtarben nach einem mehrſtündigen Todes— 
Unglücklichen vier Matroſen, ſchleppten ihn lampf; aber ſie blieben bis zur Zeit der In— 
ins Zwiſchendeck bis zum äußerſten Ende des ſpektion in ihren Ketten, dann erſt wurden ſie 
Raums, in dem die dreihundertundzwanzig | von denſelben befreit und ins Meer geworfen. 
Wilden auf dem Boden lagen, und ftedten „Wir müffen uns auf einen Berluft gefaßt 
bier als eine befondere Ausnahme feine Füße | machen,“ fagte der Kapitän Spray zum Lieute- 
in denſelben Blod, welder die feiner rau | nant; „der zehnte Teil der Mare wird wohl 
und feiner Tochter umſchloſſen. umlommen. Um fo mehr werden wir den Preis 
der übrig bleibenden erhöhen. Unterdeſſen ge: 
winnen wir dadurch immer etwas Platz.“ 

Die Inſpektionsbeſuche fanden dreimal wäh— 
rend des Tages und dreimal während der Nacht 
itatt. Der Kommandant durshichritt bei den- 
jelben, begleitet von feinem Lieutenant, die 
Reihen der Neger. Ein Matrofe fchritt ihnen 
voran und ein anderer folgte ihnen. Bei der 
Inſpektion am Mittag und am Abend gab man 
den Negern ſchwarzen, aus Gerfte und MWafjer 
gefneteten Zwiebad. Als der Kommandant am 
eriten Abend an Mongas vorüberging, ftredte 
der Gefangene feine fraftlofen Hände aus und 
frallte feine Finger, als wolle er feinen perfiden 
Henker zerreißen. Aber der großherzige Herr 
Spray warf ihm trotzdem fein Stüd Brot hin 
und fagte: „Da if, Mongas!” 

Der Matrofe, welcher hinter dem Komman: 
danten ging, war Littel. 

Als er feinerfeits an den Neger herantrat, 
beugte er fich faſt unmerflich zu ihm nieder und 
ließ einen kleinen Gegenitand in feine hoch aus: 
gejtredte Hand gleiten. 

„Ah!“ rief der Wilde. 

Er hatte eine fleine Feile erfannt. Yittel 
nahm die Peitſche, die er am Gürtel trug und 
ließ fie über dem Kopf Mongas durch die Luft 
faufen, da die ſchmalen Riemen aneinander 
klatſchten. 

„Was gibt's?“ fragte der Kommandant. 

„Diefer Neger wollte ſchreien, und ich habe 
ihn geichlagen.* 

„Gut jo, mein Junge,“ fagte Spray. „Ich 
jehe, daß dir die Yeltion genüßt hat. Deine 
Erziehung tft fertig.” 

Nachdem die Inſpeltion beendet war, richtete 
Mongas an die gefeſſelten Neger einige Worte 
in ihrer gemeinfamen Sprache und bald darauf 
begannen alle einen eintönigen Geſang, eine 





III. 


Man kann ſich die Empfindungen des Negers 
eher voritellen als fie bejchreiben. König feines 
Stammes, bis jett unbeftegt, ungebändigt wie 
ber Löwe der Sierra Leone, hatte er feinen 
Namen zu einem von Senegambien bis zur 
Pfefferküſte gefürchteten gemacht. Jetzt lag er 
zu Boden geworfen, bejiegt von Branntwein, 
vertiert durch die Trunfenheit, ein Gegenjtand 
des Spottes und der Verachtung; gebunden 
führte man ihn fort, um ihn in Amerika wie 
ein Laſttier zu verfaufen, damit er dann unter 
den Veitjchenhieben erbarmungslojer Herren 
jtürbe. Seine Augen, die fih auf unnatürliche 
Art erweiterten, unterliefen mit Blut; auf feine 
Lippen, welche er wie ein Tiger fletichte, trat 
ein rötliher Schaum. Gebeugt jaß er da, denn 
er hatte feinen Platz, um ſich auszuftreden; er 
jtieß eine Art Geheul aus und heftete ftarre, 
ichredliche Blide auf feine Frau und feine Tod): 
ter, Die Najade fette die Segel bei und ge: 
wann gegen Abend die hohe See. 

Nach einer mehrjtündigen Fahrt durch das 
Inſelmeer, welches den Eingang zu dem Hafen 
ſchloß, mündete fie in das offene Meer. Der 
Wind fam noch immer aus Nordweiten und war 
fogar frijcher geworden. Diejer Wind war ber 
Brigg günftig gewefen, als ihr Kurs von Norden 
nach Süden ging, jet aber war er ihr fonträr, 
denn der Kapitän wollte Virginien in den Ver: 
einigten Staaten erreichen, um dort feine Waare 
auszuſchiffen; und gerade aus jener Nichtung 
wehte der Wind. Die Najade mußte nörblid) 
jegeln, um den Wind zu gewinnen und begann, 
ſich bald nad) rechts, bald nad) links zu wenden. 
Das Schaufeln des Schiffes, der Luft- und 


— —— — — —— — — — — — — — — nn 


Die Najade, 


Art wie Klagelied anzuftimmen. Ihre Stimmen 
erfüllten das ganze Zwifhended. Der laute 
Schall derfelben übertönte das Knirſchen der 
Feile, mit der Mongas das Schloß feiner 
Feſſeln zerftörte. Plöglich liefen fih Schritte 
auf der Treppe hören, und haſtig verbarg ber 
Wilde feine Feile. 

„Was bedeutet dies Geheul?* fragte der 
Kapitän. 

„Armer Neger weint Vaterland jeines, “ 
antwortete Mongas mit Hläglicher Stimme. 

„Sage ihnen, fie follen nicht fo laut weinen, 
jonjt werde ich fie anders weinen lehren.“ 

Der Kapitän ftieg wieder hinauf, um ſich 
zum Schlaf niederzulegen. Während der ganzen 
Nacht wurde nun der Hlagegejang nur von Zeit 
zu Beit und weniger laut wiederholt. Die Feile 
begleitete ihn mit mehr Vorſicht. 

Am nädhiten Abend trat der Lieutenant wäh- 
rend der Inſpektion plöslich auf Mongas zu. 

„Was haft du da?“ fragte er ihn. 

In der einen Hand hielt Mongas die Feile, 
in ber anderen das Stüd Brot, dad er am 
Mittag erhalten hatte. Schnell ſchloß er die 
Hände aneinander und verbarg die Feile in der 
Krume des Brotes. 

„Es ift eine Brotrinde zum Eſſen,“ fagte er. 

„Ah! eine Brotrinde,“ antworteteder Lieute— 
nant. „Aus Eigenfinn haft du fie nicht verzehren 
wollen. Gut. Ich will fie ins Meer werfen; 
wir werden ja fehen, was du eſſen wirft.“ 

„Gebt mir Brot zurüd,* fagte Mongas mit 
flehender Stimme. „Armer Neger hat Hunger. 
Gebt zu efien armen Neger.” 

„AH! Appetit ift aljo wieder da?“ ant: 
wortete der Lieutenant und warf ihm, wie einem 
Hunde die Brotfrufte hin. 

Mongas ergriff fie und begann fie zu ver: 
zehren. 

Die Dffiziere hatten ihre Runde noch nicht 
beendet, als plößlih eine Stimme aus dem 
Maftkorb herab erfholl: „Ein Segel! ein Segel 
am Horizont!” 

Der Kapitän und jein Lieutenant ftürzten 
auf das Ded und nahmen ihre Fernröhre zur 
Hand. 

„Oh! ſchlechte Neuigkeiten !” jagte der 
legtere. Es ift wahrhaftig ein Schiff und zwar 
einer der größten Dreimafter! Cs läßt feine 
Wimpel wehen! Es ift ein Kriegsſchiff!“ 

„Donnerwetter! Es hat uns gefehen!“ rief 
der Kapitän. Es hißt die Flagge auf! Halt! 


133 


Die Trifolore ! Diefer Herr ift Franzofe! Ab, 
ſieh' doch! Er hat die Nafe auf unferer Spur. 
Er hängt alle feine Lappen aus. Er fcheint 
jehr nach unferer Belanntfchaft zu verlangen! 
He, ihr da!” ſchrie er feiner Mannſchaft zu. 
„Jeder auf feinen Boften! Achtung! Alle Segel 
auf! Badbord gejteuert! Noch mehr! Nod) 
mehr! Mit dem Winde gejegelt !“ 

DieNajade, deren Bug bis jest nach Norden 
gerichtet war, wendete ſogleich nach Süden um 
und flog, von der Wirkung des Windes auf ihre 
voll entfalteten Segel getrieben, gleich einem 
wilden feurigen Pferde auf ihrer flüffigen Bahn 
dahın. 

Aber nad) einer Viertelftunde ſah der Kapi— 
tän, daß alles vergeblidh ſei. Das fie ver: 
folgende Schiff ging bedeutend fchneller und 
ſchon erſchien es hinter ihnen gleich einer riefigen 
Schneepyramide. 

„Durd Schnelligkeit erreichen wir nichts, “ 
fagte er zum Lieutenant. „Verſuchen wir es 
mit der Lift. Sobald es dunkel ift, ziehen wir 
den größten Teil der Segel ein, damit er uns 
aus den Augen verliert. Während er uns nad) 
Süden hin fucht, werden wir den Kurs nad) 
Norden nehmen, wir werden und dem Lande 
nähern; vielleiht gelingt es uns, dort einen 
Schlupfwinkel zu finden. Iſt er aber morgen 
früh noch auf unferer Spur, fo bleibt uns noch 
ein anderer Ausweg.“ 

„Welcher ?* fragte der Lieutenant. 

„Wir werfen von Zeit zu Zeit einige der 
Schwarzen ins Meer. Während der Herr Fran: 
zofe feine Zeit damit verliert, fie aufzufifchen, 
werden wir anderen verfuden, jo fchnell als 
möglich fort zu fommen. Und jollten jelbft alle 
drauf gehen, jo wahren wir doch unjere Haut, 
und die ift foftbar genug, daß wir den Verſuch 
machen, fie zu retten.“ 

John Littel hörte diefe Worte und ſchauderte. 

Bei Einbruch der Dunfelheit ließ es ſich der 
Kapitän, der durchaus nicht ruhig war, vor allem 
angelegen fein, dem Schiffe einen anderen Kurs 
zu geben. Littel benügte diefen Augenblid, um 
in die Kajüte des Herrn Spray zu treten. Sein 
Herz ſchlug mächtig. Er ergriff einen Bund 
Cchlüffel, das über dem Bett des Komman- 
danten hing, nahm nacheinander jeden der 
Schlüſſel und legte ihn auf einen Wachsabdruck, 
den er in der Hand hielt. Endlich fand er unter 
ihnen einen feinen, der vollitändig zu diefem 
Abdrud paßte; er löfte denfelben von dem Bund 


134 


ab, hing diejen wieder an feinen Blat und ging | 


hinaus. Bei der mitternächtlien Inſpektion 
begleitete John wieder feinen Chef. 

Als er bei Mongas vorüberging, gelang es 
ihm, diejem einen Heinen Schlüſſel in die Hand 
gleiten zu laſſen, und er wies dabei auch mit 
dem Finger auf die Ketten der Neger. Dann 
ließ er wieder jeine Peitiche knallen und rief 
mit lauter Stimme: „Rühre dich nicht, wenn 
man es dir nicht erlaubt hat.“ 

„Diefer Littel wird ein befjerer Neger: 
wäcdter, als ich erwartete,” ſagte der Kapitän 
lachend. 

Nach dieſem Beſuch begann der Klagegeſang 
von neuem. Der Kapitän und der Lieutenant 
waren vollkommen durch die Beobachtung des 
franzöſiſchen Schiffes in Anſpruch genommen, 
deſſen großes weißes Segelwerk ſich deutlich von 
dem Haren Himmel der Tropen abhob. Es 
ſchien, als ob der Feind jeinerjeits die Be- 
wegungen der Najade verftand oder doch arg: 
mwöhnte, denn auch er verringerte die Zahl feiner 
Segel. 

Mährenddes hob Mongas mit Hilfe feiner 
Frau und feiner Tochter das obere Holz feines 
Blodes, zog feine Füße daraus hervor und 
öffnete geräufchlos, bis zu dem ihm nächjt liegen: 
den Schwarzen kriechend, die Ketten, die deſſen 
Hände und Füße belajteten, übergab ihm den 
Schlüfjel und nahm jchleunigjt wieder feinen 
Platz ein. Der erfte Schwarze that das gleiche 
beim zweiten, der zweite beim dritten und jo 
ging e3 weiter bis zum legten, der den Schlüfjel 
an Mongas zurüdgab. 

Um vier Uhr, der Stunde der zweiten 
nädtlichen Inſpektion, waren alle Neger von 
den Feſſeln befreit, aber nicht einer von ihnen 
bewegte fih. Nur Mongas gelang es, den 
Schlüter an Littel zurüdzugeben, der jich, jo: 
bald er wieder auf Ded gejtiegen, beeilte, den: 
jelben auf feinen alten Plaß zu bringen. 

Am Morgen hatte jich das franzöſiſche Schiff 
der Najade bis auf zwei Meilen gemähert. 
Und nun begann eine verzweifelte Jagd ohne 
Raſt und ohne Aufihub. Während die Najade 
alle ihre Segel entfaltete, als jege jie all ihre 
Hoffnung einzig in ihre Schnelligkeit, wendete 
fie diejelben bald nach rechts, bald nach links 
und verfuchte durch unerwartete Manöver zu 
entfliehen, gleich einer Maus, welde die fic 


<< A AA ——— — — — 


MR, Rangabé. 


ſeinen erſten Kanonenſchuß, die Kugel zerriß 
das große Segel des Negerſchiffes. 

Das geſchah in dem Augenblick der Morgen— 
inſpektion der Schwarzen im Zwiſchendeck. 

„Uns bleibt kein anderes Mittel,“ ſagte 
Herr Spray zu dem Lieutenant. „Wir müſſen 
ihnen das Bad geben, müſſen die Ware opfern, 
um unſer Leben zu retten. Bringen Sie mir 
die Schlüſſel. Die Mannſchaft ſoll mit uns 
herunterſteigen. Aber paſſen Sie auf, daß man 
ſie nur immer zu zehnen hineinwirft. Während 
er ſie auffiſcht, gelingt es vielleicht, uns in jene 
Sackgaſſe zu retten. Da ſoll er uns nur auf— 
ſuchen! Die Enge hat kaum acht Fuß Waſſer. 
Unfere Najade kommt durch. Der Herr Fran— 
zoſe ſoll nur kommen und ſich hineindrängen, 
wenn er dort feſtſitzen will wie der Tower zu 
London!“ 

Er ſah auf den Kompaß. 

„Ruder nach Steuerbord!“ kommandierte 
er. „Oſten, ein Sechzehntel Nordoſten!“ Und 
mit einer Handbewegung gab er dem Steuermann 
die einzuſchlagende Richtung an. Dann nahm 
er das Schlüſſelbund und ſtieg, von der Mann: 
ſchaft gefolgt, ins Zwiſchendeck. „Die dort unten 
müſſen den Anfang machen,“ ſagte er, auf die 
im Hintergrunde liegenden Neger zeigend; „die 
liegen am engſten aufeinander gepreßt. Es iſt 
gut, wenn ſie mehr Raum gewinnen.“ Und er 
ging mit den Matrofen auf fie zu. 

In dem Augenblid, als er an Mongas vor: 
überging, beugte ſich Littel zu dieſem nieder 
und murmelte ihm zu: „Es it Zeit.“ 

Der Kapitän war bis zur Mitte des Saals 
gefommen. 

„Auf, Kinder Mongas’! Auf! Hotto⸗Ho!“ 
ihrie das ſchwarze Oberhaupt mit fchallender 
Stimme, indem er, feine Feſſeln weit von fi 
ſchleudernd, aufiprang. 

Sogleih erhoben fich die dreihundertund: 
zwanzig Neger, warfen ihre Bande von fih, um— 
zingelten die waffenlofe, volljtändig wie erftarrte 
Mannichaft, warfen die Matrofen zu Boden, 
und legten fie in ihre eigenen Ketten. Mongas 
entriß dem Kapitän die Schlüffel, ſchloß die 
Sclöffer der Ketten und bejtimmte fünfzig 
Schwarze als Gefangenwärter. Dann lief er 


' mit den anderen ins Arfenal und legte Hand 


verfolgende Katze täufchen will. Alles vergeblich. 


Gegen acht Uhr fendete ihr das fremde Schiff 


auf die Waffen. Dann ftürzte er auf das Ded, 
bemächtigte fich dort der wenigen auf demfelben 
gebliebenen Matrofen und des Steuermanns, 
und lie fie das Schidjal der anderen im Zwi— 


Die Yajade. 


ichended teilen. Nicht einer von ihnen wagte 
den geringiten Widerjtand. 





In dem Augenblid riß eine zweite von dem | 


franzöfiihen Schiff gefendete Kugel eine der 
Schoten des Fodmaftes fort. Aber ſchon war 
die Najade, die die gleiche Nichtung beibehalten 
hatte, in die Meerenge eingelaufen, und fegelte 
in einen tiefen Golf. Das franzöfiihe Schiff 
durfte fich nicht in denfelben wagen; es mußte 
die Verfolgung aufgeben und ſich damit begnü— 
gen, der Najade Kugeln nachzuſenden, melde 
ihm aber mit der wachjenden Entfernung immer 
ungefährlicher wurden. 

„Was nun thun?“ fagte Mongas zu feinem 
Befreier Kittel, „Schwarze Haut nicht können 
Schiff regieren.“ 

„Willſt du alles thun, was id) dir fagen 
werde?“ fragte Littel. 

„Du armen Mongas gerettet und Frau und 
Tohter. Mongas dir gehorchen und ftürzen ins 
Meer, wenn du ſagſt.“ 

„Haft du irgend einen mutigen, ergebenen 
Mann?“ 

„Varidas!“ rief Mongas. 

Ein ſchwarzer Koloß näherte ſich. Littel 
führte ihn ins Zwiſchendeck, in dem ſich die Ge— 
fangenen befanden und ſagte, eine Fallthüre 
aufhebend: „Nimm dieſe beiden Piſtolen. Wenn 
dieſe Leute auf irgend eine Art ihre Ketten 
brechen, und ihre Wächter bewältigen, ſo gib 
Feuer in dieſes Loch: es iſt Pulver darin; wir 
werden dann alle in die Luft geſprengt.“ 

Mongas erflärte dem Neger dieje Worte. 
Darauf fette ich derfelbe mit großer Nuhe an: 
gefihts der entjegten Mannſchaft neben die 
Fallthüre. 

„Du, Freund Mongas,* fuhr Littel fort, 
„ſteigſt jetzt auf Ded und hältſt deine Leute in 
Gehorjam.” Littel feinerfeits löfte nun alle 
Segel und ließ eines nad) dem anderen fallen; 
denn er allein fonnte fie nicht handhaben. Er 
ließ nur eines der Eleinften entfalten; dann nahm 
er das Steuer zur Hand, während der Wind vom 
Nüden fam. Plöslich fieht er vor ſich in der 
Tiefe des Golfs auf einer Höhe, die hoch über 
dem Meere aufragte, einen Gegenjtand, der ſich 
in Form eines Signals bewegt. Es waren vier 
an der Spite einer Stange befeftigte Stüde 
weißen Segeltuchs. Er wendet augenblidlid, 
das Steuer und gibt der Spite die Richtung 
darauf hin; mit einem Arthieb jchlägt er die 
Schoten des legten Segels herab, damit das 


FELL — u nn — — 


135 


Schiff nit weiter fahren fann, jest mit Hilfe 
der Neger das Boot ins Meer, bejteigt, die 
Najade Mongas’ Obhut überlaffend, mit einigen 
Schwarzen die Barfe und jteuert dem Orte zu, 
an welchem das improvifierte Signal weht. 

Vier Männer waren oben auf dem ein: 
famen Hügel. Wie groß war die Freude Yittels, 
als er die vier von Spray verratenen Offiziere 
des „Dauphin“ erkannte. Er lief auf fie zu, 
erzählte ihnen, was geihehen war, nahm jie in 
jein Boot und führte fie zu der Brigg. 

„Kapitän Filthon, bis jest habe ich die 
Brigg geführt; jetzt lege ich die Führung der: 
jelben in Ihre Hände.“ 

Der Kapitän nahm fogleid) das Steuer, ver: 
teilte die Arbeit der Matrojen zwijchen Littel 
und feinen drei Offizieren, ließ die Segel auf: 
hifien und wendete das Schiff dem Ausgange 
der Meerenge zu. Die Fregatte lag vor der: 
jelben zum Angriff bereit. Aber der Kapitän 
Filthon ftieg eiligit in fein Boot, begab fi an 
Bord des franzöfiihen Schiffes, nannte dort 
jeinen Rang, jchilderte feine gegenwärtige Lage 
und erbat den Beiftand feines Kameraden. Er 
erhielt zwanzig Matrofen Verſtärkung und fehrte 
zur Najade zurüd. 

Seine erite Sorge war, ein Kriegägericht, 
aus feinen drei Offizieren beftehend, unter feinem 
eigenen Vorſitz zu bilden, den Kapitän Spray 
und den Lieutenant vor dasfelbe zu jtellen, beide 
fummarifch zu verurteilen und fie im Verlauf 
einer halben Stunde, den einen links, den an: 
dern rechts an der Segelftange des Hauptmaftes 
aufhängen zu lafjen. 

Nachdem das abgemadht, richtete er das 
Schiff nad) Norden. Nachdem er einige Stun: 
den gejegelt war, fam er zu jenem Golf, in 
weldhem der Dauphin fo ſchnell auf jo wunder: 
bare Weiſe verſchwunden war. Bald erkannte 
er feine auf dem Schaum der Wellen tanzende 
leichte Goelette. Wahrfcheinlich lagerte fie in 
diefer Gegend, die Nüdkehr der Najade erwar- 
tend, um diefe weiter zu begleiten, denn faum 
hatte fie die Brigg bemerkt, jo änderte fie ihren 
Kurs und kam derfelben entgegen. 

„Ah! ah!” fagte der neue Kommandant des 
Dauphin, ich jehe, dab der Baum der Najade 
Früchte getragen hat. Ich mwette, daß mein 
Vorgänger am Steuer der Goelette ift. ch be: 
grüße Sie, Herr Kapitän Filthon. Was meinen 
Sie zu ihrem Belvedere. * 

In diefem Augenblid rief das Sprachrohr 


136 


den unrechtmäßigen Kapitän und den Lieutenant 
des Dauphin auf die Brigg. Beide beeilten ſich, 
zu gehorchen, und da das Kriegsgericht in Ber: 
manenz tagte, jo hingen beide nad) Verlauf 


| 


einer Biertelftunde an den beiden äuferiten 
Enden der Segelitangen des Kodmaftes. Die | 


vier Ruderer der Barke, welche fie hergeführt 
hatten, wurden feitgenommen und bald darauf 
wehte auf der Goelette wieder die königliche 
Flagge, Die alte Mannſchaft hatte wieder das 
Schiff in Befit genommen und die Näuber, die 
jih zu Herren desjelben aufgemworfen hatten, 
lagen gefettet im unterjten Schiffaraum. 

Nach dreitägiger Fahrt warfen beide Schiffe 
an der Küſte des Königreichs Mongas’ Anter 
und gaben den Negern und ihrem Oberhaupt 
die Freiheit zurück. 

Mongas warf ſich wie ein Kind weinend an 
die Bruft John Littels. 

„Du retten Mongas,“ jagte er, „und Weib 
Mongas’ und Linga, Tochter Mongas’ und arnıc 


Schwarze. Sage Mongas, was du willit, Mon: 


gas wird alles geben, alles.” 
„sh will,“ antwortete Littel, „von dem 


— 


4 
% 


RT 





Der Tod der Dirginia. 


dankbaren Monarchen Abſchied nehmend, „daß 
ihr euch nicht ſelbſt zu Werkzeugen eures 
Elends macht, daß ihr nicht eure eigene Frei— 
heit verratet, daß ihr nicht das Blut eurer 
Brüder verkauft.“ 

Nach wenigen Wochen ſchon lief der Dau— 
phin, die Najade im Schlepptau führend, in den 
Hafen von London ein, 

Der Kapitän Filthon und der Aſpirant Öree: 
dyfiſch wurden vor ein Scegericht gejtellt und 
frei gefprochen. Die Mannjchaft der Najade er: 
ſchien vor demjelben Gericht und wurde in die 
föniglichen Arfenale geſchickt, was gleichbedeutend 
mit lebenslänglider Zwangsarbeit ift. 

Die Najade felbft wurde öffentlich konfisziert 
und zum Tode verurteilt; fie wurde zerſtört 
und zu ihrem Holzpreife verkauft. Der Ertrag 
diefes Verkaufs, ungefähr 60000 Fran, 
wurde dem mutigen Littel als Belohnung zu: 
erkannt, 

Diefer widmete einen Teil der erhaltenen 
Summe zur Hebung des nationalen Bierhandels, 
den Reſt aber zur Unterftügung einer Gefell: 
ichaft, deren Zwed die Befreiung der Neger ift. 





Der Tod der Pirginia. 


Mathilde Eammers. 


Deutfhe Sehrerinnen im Xuslande. 
Von 
Mathilde gammers. 


= den Hunderttaufenden von Ausmwande: 
rern, welche alljährlich über die deutſchen 
Grenzen hinausziehen, um in der Fremde zu 
ſuchen, was die Heimat nicht bietet, bilden 
Frauen, welche fich dem Lehrfach gewidmet haben, 
einen nicht unbedeutenden Prozentjat. Da ſie 
nicht wehrpflichtig find, jo fümmert fid; die Ne: 
gierung nicht um fie; da fie fein Vermögen mit 
hinausnehmen und nur eine Arbeitäfraft jolcher 
Art, an welcher im Baterlande Ueberfluß iſt, jo 
ichit ihnen fein Volkswirt einen Seufzer nad. 
Die Familien, welche fie etwa zurüdlafien, trö- 
ften ji) über dem Schmerz der Trennung mit 
dem Gedanken, daß die Sorge um ihren Unter: 
halt jo am jicherften gelöft ift. Und jo würden 
dieje Wanderzüge jahraus jahrein weiter gehen 
fönnen, würden jegt nicht plößlich von verjchie: 
denen Seiten Stimmen, und zwar gemictige 
Stimmen laut, welche das Schidjal der in die 
Fremde pilgernden Lehrerinnen als ein höchjt 
bedentliches fchildern und damit natürlich bei 
Eltern, VBormündern und den betreffenden 
Frauen felbjt lebhafte Bedenken über die Zu: 
Läfftgfeit einer folhen Auswanderung wachrufen 
müſſen. 

Wenn nun der Zug deutſcher Lehrerinnen 
ins Ausland lediglich auf dem von den Vorfahren 
ererbten germaniſchen Wandertriebe ſich gründete, 
ſo wäre es in jedem einzelnen Falle leicht, ihn 
aufzuhalten, und jede, der ihre perſönliche Sicher— 
heit und ein erträgliches Leben daheim lieber 
wäre, als das Erproben von ſicher verbürgten 
Gefahren im Auslande, würde ſchon von ſelbſt 
zu Hauſe bleiben. In vielen Fällen ſpielt auch 
gewiß das Verlangen, die Welt zu ſehen, etwas 
Neues zu erleben, der Enge der täglichen Ver— 
hältniſſe zu entfliehen, bei dieſer Art der weib— 
lichen Auswanderung ſo gut eine Rolle wie bei 
der von den maßgebenden Gewalten mit viel 
größerer Sorge betrachteten Auswanderung 
männlicher Arbeitskräfte und ganzer Familien. 
Indeſſen würden die Yodungen der Ferne als 
folder allein doch grade bei einzelnen rauen 
und Mädchen fchwerlich jtarf genug fein, fühlten 
fie fih daheim nicht thatſächlich überflüffig, und 


Deutiche £ehrerinnen im Muslanbde, 


137 


| erwarteten fie nicht von einem Aufenthalt im 
Auslande Vorteile, welde die Heimat nicht 
bietet. Solange ein ungeheuer zählebiges Vor: 
urteil den deutjchen Frauen, die im häuslichen 
Beruf nicht mehr Arbeit und Brot finden, die 
Wege zu faft jeder anderen nüßlichen und loh— 
nenden Berufsthätigfeit außer dem Lehrfach 
verfperrt, jo lange wird es mehr Lehrerinnen 
bei uns geben, als wir im Lande gebrauchen 
fönnen, und fo lange werden die Ueberzähligen 
den Blid über die Grenzen dahin richten, wo 
man ihre Arbeit verlangt und bezahlt. Da nun 
obendrein ein Aufenthalt im Auslande nicht bloß 
denen ihren Lebensunterhalt verfpricht, die ihn 
daheim nicht mehr finden fönnen, jondern allen 
eine gewiſſe Weltgemwandtheit und Selbitändig: 
feit gibt, und in einigen Zändern eine Gelegen— 
heit zur Erwerbung von Sprachfenntnifjen, die 

leichter als jedes andere Wiſſen fpäter in der 

Heimat zu verwerten find, jo ſcheint es doc 

wünfchenswert, daf; nicht diejenigen allein zu 

Worte fommen, welde an der Stellung der 

deutjchen Erzieherin im Auslande nur Schatten: 

jeiten gefunden haben und den Schluß unver: 
meidlich machen möchten, daf jedes junge Mäd— 
chen, das als Lehrerin in ein nichtdeutfches Yand 
oder in einen fremden Erdteil zieht, in äußerſter 

Gefahr ift, an Leib und Seele verloren zu gehen. 

Denn das iſt faktisch der Inhalt mehrerer 
fürzlich veröffentlicher \Journalartifel und länge: 
ver Auffäge, welche fih mit diefem Gegenftande 
beichäftigen. Cie ftellen es als die Negel hin, 
daß deutjche Erzieherinnen in der Fremde jchlecht 
behandelt, unmäßig ausgebeutet, von allem Ver: 
fehr mit gebildeten Yeuten ausgeſchloſſen werden, 
daß ihre Körperfräfte unter der unausgejegten 

Arbeit bei unzulänglicher Verpflegung, ihre 

Geiſteskräfte und ihr Gemüt durd) die Demüti: 

gungen, denen fie ausgejegt find, und durch die 

unerträgliche Vereinſamung, in der fie leben 
müſſen, zerrüttet werden, daß fie eine Beute der 
gewillenlojeiten Spelulation nicht nur von jeiten 
der Stellenagenturen, fondern von feiten der 
Selfershelfer des Lajters find, und daß fie alfo 
körperlich, geiftig oder fittlih Schiffbruch leiden 
müſſen — während fie doch nach Meinung diejer 
furzfichtigen Beobachter nur zu Haufe zu bleiben 
brauchten, um allen diefen furchtbaren Gefahren 
zu entgehen. Gewiß haben die Urheber diejer 

Schilderungen im beiten Glauben geſprochen; 

wer wollte daran im geringiten zweifeln? Gewiß 

find ihre Urteile ſämtlich aus fonfreten Fällen 
18 


138 


geihöpft, und es macht ihrem warmen Herzen 
und ihrer Nitterlichfeit Ehre, daß fie ihre Stimme 
erheben, um die Wiederholung folder Fälle un: 
möglich zu machen. Und wenn fie nur folde 
Mädchen abjchredten, die aus reiner Abenteuer: 
luft in die Fremde ziehen möchten, ohne aud) 
nur im geringjten dem Kampf ums Dafein in 
diefer Form gewachſen zu fein, oder die aus 
Hochmut einem wirflih vorhandenen Beruf zu 
Haufe entlaufen, jo hätten fie ein gutes Werf 
gethan, und die Leute mit gegenteiligen Erfah: 
rungen fönnten ftill dazu fchweigen, wenn aud) 
zur Steuer der Gerechtigkeit und Wahrheit wohl 
viele Zeugnifje dahin abgegeben werden möchten, 
daß auch bei Engländern und Franzoſen, bei 
Italienern und Ruſſen, und wo*rimmer Gottes 
Sonne jcheint, ein Mädchen in abhängiger Stel: 
lung rüdjichtsvolle Behandlung, wahre Herzens: 
güte, Wohlwollen, Anhänglichteit und Dankbar— 
feit finden kann, nicht bloß in Deutſchland. 

Im Intereſſe vieler jtrebjamer Lehrerinnen 
ber, die auf ein jo bedeutendes Bildungsmittel 
wie einen richtig ausgenugten Aufenthalt im 
Auslande nicht jchlechthin verzichten fönnen, und 
vieler anderer, Die Dort unter weit vorteilhafteren 
Bedingungen arbeiten können als daheim, tft es 
geboten, daß nicht einzelne trübe Erfahrungen 
allein zu Worte fommen und dann vom großen 
Publikum als die allgültige Negel angejehen 
werden. jeder Einzelne überfieht von der Ge: 
famtheit der Fälle ja doch nur immer eine ge: 
ringe Zahl; je mehr ein Berichterftatter mit alles 
umfaſſenden Behauptungen um fi) wirft, deſto 
vorjichtiger wird man feine Behauptungen auf: 
nehmen müfjen. So verfichert Julius Einfiedel 
in einer bei Gebr. Henninger in Heilbronn er: 
ſchienenen Schrift I), die Zahl der in England 
anmejenden Gouvernanten aus Deutjchland, 
Frankreich und der Schweiz belaufe ſich auf viele 
Taufende, „von denen der dritte Teil bis die 
Hälfte immer außer Stelle ift*. Man möchte 
da doch fragen, auf welche ftatiftische Erhebung 
ſich diefe Behauptung gründet, und wundert jich, 
wenn man, wie die Schreiberin diefer Zeilen, 
eine verhältnismäßig ſehr ausgedehnte Befannt: 
ſchaft unter deutichen Gouvernanten jenjeits des 
Kanals hat, dab, was fo ohne weiteres als Regel 
verfündet wird, auf einen namhaften, feit vielen 
Jahren beobachteten Bruchteil noch nicht zum 

) Das Gouvernantenwejen in England. Cine 


Warnung von Julius Einfiedel. Bd. IX, Heft 3 
der Zeitfragen des chriftlihen Vollslebens. 


| 
| 


Mathilde Cammers. 


zehnten Teil Anwendung findet. Freilich hat 
derjelbe Herr Einfiedel in fehr fcharfjinniger 
Weiſe alle diejenigen, die ihm aus ihrer perſön— 
lichen Erfahrung etwa widerſprechen möchten, 
mundtot gemacht. Er gibt zu, es fei zu ver- 
wundern, daß durch die Hunderte von deutjchen 
Gouvernanten, weldhe die Ferien zu Haufe ver: 
bringen, nicht längſt alle Yllufionen von der 
lodenden Fremde gründlich zerftört und die von 
ihm vertretenen troftlofen Anfchauungen im 
großen Publifum an die Stelle getreten feien ; 
aber diefe „betrogenen Seelen” ahmen bewußt 
oder unbewußt dem Fuchs in Aeſops Fabel 
nad, der feinen Schwanz in der Falle gelafjen 
hatte und nun nicht nur feinen Schmerz verbiß, 
jondern auch ganz jo that, als ob er höchſt zu: 
frieden wäre und alle anderen es ihm nur nach: 
machen dürften. Gegen dieſe Paliſſade läßt ſich 
ichlechterdings nur mit einigen unbejcheidenen 
Fragen Sturm laufen. Wieviel Hunderte von 
den aufgeführten Taufenden von Gouvernanten 
kennt diefer geehrte Herr perfönlih? Won wie 
vielen kennt er die Stellung fo genau, um zu 
wiſſen, wie weit fie zu Klagen berechtigt wären, 
aud wenn fie nicht Hagen? Und wie groß ift 
daher fein Recht, von denen, die er fennt, auf 
die, welche er nicht Fennt, zu Schließen ? 

In den mir zugänglich gewordenen Aufſätzen 
über die vorliegende Frage tft durchweg fo ver: 
fahren, daß über Stellung und Behandlung, 
Ausbeutung, Verlafjenheit, Hilflofigkeit deut: 
icher Lehrerinnen im Auslande ganz allgemeine 
Behauptungen aufgeitellt und zum Beleg dann 
einzelne draftiche Fälle erzählt find. Ich möchte, 
itatt von meinem Standpunkte aus durd) das: 
jelbe Verfahren zu gegenteiligen Schlüſſen zu 
führen — was jehr bequem wäre — lieber » 
ein paar von langjähriger und ausgedehnter 
Erfahrung eingegebene Ratjchläge für diejenigen 
herjegen, welche aus irgend einem Grunde Luft 
hätten ins Ausland zu gehen, aber nicht wifjen, 
was dabei zu beachten iſt. 

Das erite ift das Hinfommen. Der un: 
ficherfte, Fojtipieligite und gefährlichjte Weg — 
darin fcheinen ſich alle einig zu fein, die ihn 
verfuht haben — iſt durd Agenten oder Zei: 
tungsanzeigen. Er ſchlägt nicht jedesmal fehl 
und führt nicht jedesmal in die Irre; aber wer 
ihn betritt, follte fich immer erjt nach einer per: 
jönlihen Bürgſchaft für die Zuverläffigkeit der 
Verhältnifie umjehen, in die er eintreten will. 
Das ift am unerläflichiten für alle überjeeischen 


Deutiche £ehrerinnen im Auslande. 


Länder, Frankreich und das öftliche und füdliche 
Europa, wo, wie mir noch heute eine genaue 
Kennerin diejer Dinge in Webereinftimmung mit 
meinen fonftigen Beobachtungen jchreibt, die fitt: 
lihen Anfhauungen auf einer tieferen Stufe 
ftehen als die unferen; am erjten zu entbehren 
für England und die übrigen germanischen Län— 
der Europas. Leute, an welche man fi am 
ficherften um Auskunft wendet, find Konfuln, 
höhere Polizeibeamte, proteftantiiche Pfarrer; 
natürlich ift Diskretion geboten, wenn man die 
Mahrheit wijjen will. Eine Vermittelung durch 
einen beiderfeitigen Befannten oder durd die 
Direktion einer Lehranftalt ift vorzuziehen, it 
auch billiger als der oben bezeichnete Weg. Iſt 
man einmal draußen, hat feine Stelle aufge: 
geben und fucht eine andere, fo gilt dasjelbe. 
Möchte bald in allen fremden Ländern, wo es 
viele ausländische Lehrerinnen gibt, das Beiſpiel 
unferer Fugen und thatkräftigen Kolleginnen in 
England nahgeahmt werden, von denen ihrer 
etwa 700 jegt ‚einen Verein zur gegenfeitigen 
Unterjtügung, Stellenvermittelung und billigen, 
anftändigen Unterbringung während der Ferien 
oder in ftellenlofer Zeit bilden! Diefer Verein 
deutjcher Lehrerinnen in England hat fein eige: 
nes behagliches Daheim in einem der beiten 
Stadtteile Londons, 16 Wyndham Place, Bry: 
anfton Square W. Wer Mitglied werden will, 
muß über 20 jahre alt fein, ſich perſönlich bei 
den Vorjteherinnen im Daheim voritellen und 
ein Zeugnis von einer Dame beibringen, in 
deren Haufe oder Familie die Betreffende min: 
beitens ein Jahr lang als Erzieherin oder Leh— 
rerin gewirkt hat. Die Vorfteherinnen fennen 
aufs genauejte die Anforderungen, welche das 
engliihe Publifum an deutſche Gouvernanten 
zu ftellen pflegt, und fünnen daher am eriten 
dazu helfen, daß nicht, wie die Engländer fagen, 
ein vierediger Pilod in ein rundes Loch fommt. 

Und dies führt mich aufs zweite, nämlich: die 
Anforderungen, welchen diejenige zu entjprechen 
hat, die eine erzieheriſche Wirkſamkeit im Aus: 
lande ſucht. Sie muß erjtlich förperlich gefund 
und fräftig fein, nicht von zarter Konjtitution 
und ſchwachen Nerven. Das verjteht ſich eigent: 
lich von jelbit, denn in welchen Beruf paßt ein 
zartbejaitetes Dämchen, das vom erſten Wind: 
haud) umgeworfen wird? Aber wer gleich dem 
Manne hinaus muß ins feindliche Leben, hat 
dod noch mehr Widerſtandskraft nötig, ald wer 
feine Arbeit im ſchützenden Banne des Haufes 


139 


findet, und in der Fremde frank werben ijt gehn: 
mal fchlimmer als daheim. Auch eine größere 
moralijche Widerſtandskraft ift in mehrfacher 
Beziehung derjenigen nötig, welche in ein frem— 
des Land geht, als derjenigen, die ſchlimmſten— 
falls in einer Tagereife ihre Bekannten wieder 
erreichen fann. Sie muß das Fremde, Unge: 
wohnte heiter ertragen fönnen, fi von Kleinig: 
feiten und vorübergehenden Dingen nicht beirren 
lafjen, mehr zum Lachen als zum Weinen geneigt 
fein und nicht leicht etwas übelncehmen. Sie 
muß größere Neife und größere Charakterfeitig: 
feit haben als ihre Schweiter, die bei Vater 
und Mutter hinter dem Dfen bleibt, und in 
ihrem Weſen muß e3 ſich ungefucht zeigen, daß 
fie ihrer fittlihen Würde nie etwas vergeben 
wird. Ob ein auffallend hübſches Mädchen, ein 
an Huldigungen der Männer gewöhntes, ein 
agefalljüchtiges, ein puß: und vergnügungsjüch: 
tiges Mädchen irgendwo zur Lehrerin und Er: 
zieherin taugt, wollen wir hier nicht erörtern: 
ins Ausland taugt fie weniger als jede andere. 
Se mehr die deutfche Lehrerin mit den überall 
gültigen Formen der feinen Sitte vertraut it 
und je fchneller und geräufchlofer fie fih den 
befonderen Sitten der Gejellichaft, in die fie 
eintritt, anzubequemen weiß, deſto cher wird 
fie fih auch ohne bejondere Anjtrengung die 
Behandlung zu fihern wiſſen, die ihr als einer 
gebildeten Frau gebührt. ch ſetze, obgleich das 
befremden mag, nichts über ihre wiſſenſchaftliche, 
pädagogische und fünftlerifche Bildung hinzu. 
In diefer Hinficht wechſeln die Anforderungen 
nicht bloß in den verfchiedenen Ländern, fondern 
je nady der Art der Wirkſamkeit und auf den 
einzelnen Stellen zu ſehr, al3 da etwas Allge- 
meingültiges in ein paar kurze Sätze zufammen- 
gefaßt werden fünnte. Folgendes aber iſt zu 
beahten. Es weiß und kann nicht leicht eine 
Lehrerin zuviel, manchmal aber wohl zu wenig. 
Die Eramina in Deutjchland find nicht nad) den 
Anforderungen des Auslandes, fondern nad) 
denen deutſcher Mädchenſchulen bemeſſen; ein 
gutes Examen iſt alſo noch keine Bürgſchaft, 
daß man für jede beliebige Stelle draußen 
tauge. Fremdſprachliche Konverſation und bril— 
lantes Klavierſpiel werden gewöhnlich im Aus— 
lande höher geſchätzt als gründliche Kenntniſſe 
in den Elementarfächern — bei Gouvernanten 
in deutſchen Familien übrigens auch! 

Fürs dritte laſſe man ſich vor Annahme 
einer Stelle nicht nur möglichſt genau ſagen, 


140 


was verlangt wird, und verjpreche nichts, was 
man nicht leiften kann, fondern man mache auch 
vorher aus, wie man in Bezug auf Ferien und 
Freiftunden, auf räumliche Unterkunft, auf 
Plichten außerhalb der Unterrichtsitunden, auf 
Kirchenbeſuch, Gefelligkeit, Kündigung und ähn: 
liches geftellt fein wird. Ein wenig Deutlichkeit 
vorher ijt beſſer als gegenfeitige Enttäufchung 
nachher. Es iſt nüglich, eine bejtimmte Anzahl 
jährlicher Ferienwochen vorher zu vereinbaren 
und auszumachen, ob man fie anderömo und 
auf eigene Kojten verleben muf oder nad) Wahl 
auch auf der Stelle ſelbſt verleben fann. Cs 
ift nur bei wenigen Leuten nicht nötig, ſich ein 
oder zwei tägliche Freiftunden innerhalb der 
Tageszeit zum Selbftitudium und zur Erholung 
auszubedingen, und ift doch zur Bewahrung der 
förperlihen und geiftigen Gejundheit unerläß: 
lich. Wer nicht Luft hat mit feinen Zöglingen 
das Schlafzimmer zu teilen, muß ſich danadı 
vorher erkundigen. Man frage genau, welde 
Aufficht über die Kinder außerhalb der Schul: 
ftunden zu führen fein wird, und fei vorfichtig 
in der bindenden Uebernahme häuslicher Pflich— 
ten, weil viele Gebieterinnen — in Deutſchland 
übrigens jo gut wie anderswo! — darin fein 
Maß kennen. So gut aber wie es die Gouver— 
nante freut und erquidt, falls wohlmwollende 
Leute ihr über die feitgefegten Bedingungen 
hinaus gelegentlich eine Erleichterung ſchaffen, 
ein Vergnügen bereiten, ein Geſchenk machen, 
an ihrem perjönlichen Ergehen Anteil nehmen, 
fich nad) ihrer Familie erfundigen, ihr Vertrauen 
ichenfen, jo jicher verbeſſert und befeitigt es aud) 
ihre Stellung, wenn fie einmal ein wenig mehr 


thut als wozu fie fontraftlich verpflichtet it: | 


einmal bei einem kranken Kinde wacht, in einer 
befonderen häuslichen Not zufpringt und fonit: 
wie zeigt, daß fie zu den feiner gearteten Men- 
ichen gehört, die geneigt find mehr zu thun als 


fie müfjen, und weniger zu verlangen als fie | 


fünnten. 


Daß ein ganz junges Mädchen, und fei fie | 
noch jo trefflich angelegt, jchwerlich fürs Ausland | 


taugt, dürfte aus dem Geſagten ſchon hervor: 
gehen. Anderjeits muß noch foviel jugendliche 
Glaftiertät vorhanden fein, dag man fid) leicht 


in fremde Menſchen und Dinge jchidt, wenn | 
man zum erftenmal die ſchwarzweißroten Grenz: | 


pfähle hinter fih läßt. Leider ift fein Naum 


mehr, zu erörtern, in welder Weife ein Aufent- | 
halt im Auslande für die eigene Ausbildung | 


Serdinand Avenarius, 


— — — m — — 





Mailiedchen. 


beſonders nach der ſprachlichen Seite hin nut: 
bar anzuwenden ift, obgleich gerade darin eine 
der Bedingungen gegeben ift, auf einer halb: 
wegs erträglichen Stelle auszuharren. 

Jeder Platz in der Welt hat feine Schatten: 
feiten, jede Gouvernantenftelle in Deutjchland 
und außer Deutfchland ganz gewiß auch. Wenn 
du die befonderen Laften fpürft, die mit deiner 
bejonderen Stelle verbunden find, fo thue dies. 
Verſetze dich fo unbefangen, wie du fannft, in 
die Lage der Leute, von denen du abhängjt, und 
frage dich, ob fie das, was dich drückt, nad} ihrer 
Art und Eigentümlichkeit leicht ändern könnten 
oder nicht. Meinft du das erftere, jo wage eine 
bejcheidene, freundliche, ruhige Bitte. Wird fie 
dir abgefchlagen, oder ſcheint fie dir fo ausfichts: 
105, daß du fie nicht wagen magjt, jo wäge ab, 
ob die Vorteile deiner Stellung diefen Nachteil 
aufwiegen oder nicht, und danad) trage ent- 
weder in der Stille, was fich nicht ändern läßt, 
oder mach’ ein fchnelles Ende. Und follteit du 
von Herrn Julius Einfiedel zu den Füchfen ohne 
Schwanz gerechnet werben, weil du nicht Hagit, 
fondern meint, daß tüchtige Gouvernanten ge: 
wöhnlich überall in der Welt gut behandelt 
werden und gute Stellen finden, jo tröfte Dich 
mit der Schreiberin diefer Zeilen, der es aud) 


jo aeht. 


Mailiedcdhen. 


Don 


Ferdinand Avenariue, 


Nun lacht das goldene Gottesaug 
cenz in den dunfeliten Tann, 

Da ſeb'n mit bellem Kinderblid 
Maiglöfcden verwundert ſich an, 


Sie ſeh'n fih an und fragen fi: 

Nun fag’ mir, wer du bit? 

Sie feb'n ih — und verſteh'n ihn nid 
Den Salter, der fie kaßt! 


In Eiedern mit der Lerche ſchweht 
Die Seele zum Sirmament — 
Ach, hätt" ich Einen, dem ich recht 
Don Kerzen banfen fonnt' 


s 


* — Hin. 
— —114 
re Be, . 


» m 


- 
| 


Meißener Vorzellanfabrik. 


Friedrich Vechkt.“ 


ie Geſchichte der weltberühmten Anſtalt, von 

der ich hier eine kurze Skizze zu geben ver— 
ſuche, iſt mit der Erfindung des Porzellans ſelber 
ſo genau verknüpft, daß beide nicht zu trennen 
ſind und man notwendig ſogar mit der ihres 
abenteuerlichen Begründers beginnen muß. Ich 
thue das um ſo lieber, als dieſelbe in der That 
wie gemacht ſcheint zu einer kulturgeſchichtlichen 
Behandlung. Allerdings wirft ſie ein mehr 


) Ueber Meißen im allgemeinen ſiehe Pechts 
Aufſatz S. 7 ff. dieſes Bandes. 


va 
wi 2 






Tsd Giatallen in bie Drennöfen. 


arelles als erbauliches Licht auf unſere damalı- 
gen deutſchen ftaatlihen Zuftände ſowohl als auf 
unfere Bildung. Denn zu einer Zeit, wo Frank: 
reich ſchon fait auf der Höhe der feinigen jtand, 
wo es Schon einen Corneille, Nacine und, was viel 
mehr it, einen Molidre und Voltaire nicht nur 
erzeugt hatte, ſondern auch zu ehren wußte, wäre 
bei uns beinahe ein Krieg zwiſchen Preußen und 
Sachſen entbrannt um den Beſitz eines ſchwin— 
delhaften Apotheferlehrlings, der unfere Fürjten 


' und Staatamänner an der Naſe herumführte. 


142 


Diefer Apothekersjunge war niemand an: 
ders, als oh. Friedr. Böttger, der jpätere Er— 
finder bes jo berühmt gewordenen ſächſiſchen 
Porzellans, ein begabter, aber abenteuerlicher 
Geſelle. Er wurde am 5. Februar 1685 zu Schleiz 
geboren, wo ſein Vater Münzkaſſier des regie— 
renden Grafen von Reuß war. Später erhielt 
derſelbe die Stelle als Münzwardein in Magde— 
burg, wo er bald mit Hinterlaſſung des Helden 
unſerer Geſchichte 
ſtarb. Dieſer Va— 
ter war ein ge— 
ſchätzter Chemiker 
und Goldmacher 
dazu, — in der 
Meinung anderer 
wenigſtens — und 
vererbte offenbar 
dem Sohne ſeine 
Talente. Die Mut: 
ter heiratete nad) 
jenes frühem Tode 
einen Ingenieur, 
der diefem Stief- 
john eine gute wil- 
ſenſchaftliche Er: 
ziehung geben lief 
und ihn bei feiner 
bald hervortreten: 
den Neiqung zur 
Chemie ſchon im 
zwölften Jahr zum 
Hofapothefer Zorn 
in Berlin in Die 
Lchre gab. In ſich 
gekehrt, beſtändig 
Chemie und Alchy⸗ 
mie ſtudierend und 
deshalb die Ein: 
famfeit fuchend, fette er jih da bald in den 
Nuf, entweder ein Genie oder ein Narr, jeden: 
falls etwad Beſonderes zu fein. Die Neigung 
aller jungen Leute zum Wunderbaren mag mit: 
gewirkt haben, ihm die Fabbaliftiihe Philo— 
jophie des Helmonte, deren er ſich bemädhtigt 
hatte, intereflanter erfcheinen zu laſſen, als 
einfaches Pillendrehen, und das Forfchen nad) 
dem Stein der MWeijen bei Baraceljus, Bafılius 
Balentin u. a., fowie den Umgang mit dem 
„roten Löwen“ und der „grünen Schlange“ viel 
angenehmer, als den mit den Pflaftern. Durch 
dies Gebahren ward er ſehr bald der Gegenitand 





Jehann Friedrich Wättger. 


Friedrich Pedht. 


einer gewiſſen Aufmerkſamkeit, die er ſorgfältig 
zu nähren und ſich in ein myſtiſches Dunkel zu 
hüllen verſtand. Nun fing er auch an im ſtillen 
zu laborieren, natürlich mit den Materialien 
ſeines Prinzipals. Kam er dadurch mit dieſem 
in Konflikt, ſo wurde er aber auch zugleich durch 
einige Abenteuer bei ſeinen Verſuchen, die ihm 
einmal beinahe das Leben koſteten, zum Stadt: 
geſpräch. Vollends, nachdem er ſich gar an einen 
al3 Alchymiſt her: 

um abenteuernden 
griechifchen Mönch, 
Lascaris, anſchloß 
und von ihm die 
Goldtinktur ſowohl 
als das Rezept zum 
Stein der Weiſen 
angeblich erhielt. 

Immerhin iſt es 
ein Beweis früher 
Reife, daß Böttger 
ſchon in ſo jungen 

Jahren verſtand, 
ſich in einen ge— 
heimnisvollen Nim⸗ 

bus zu hüllen. Der 
nüchtern vernünf: 
tige Prinzipal wur: 

de ihm aber immer 

auffäffiger ob feines 

abenteuerlichen 

Weſens und jo ging 
ihn denn der Yehr: 
ling fchon mit drei: 
zehn jahren erft 
nad) Breslau, danıı 
ein Jahr jpäter in 
eine entlegene Vor: 
ſtadt durch, um 
beidemal nach einiger Zeit reumütig in die Apo— 
thefe zurückzukehren. Das Goldmachen wollte 
er aber troß alles Werbotes nicht laſſen, ja 
brachte es durch allerhand Kunſtſtückchen ſogar 
dazu, fertiges Gold vorzuzeigen und ſeinen Ruf 
geheimer Wiſſenſchaft dadurch nicht wenig zu 
erhöhen. Auch erreichte er es auf Bitten ſeiner 
Mutter vom Lehrherrn Zorn, ſchon mit ſechzehn 
Jahren von der Lehre freigeſprochen zu werden, 


| nachdem er erſt vor deſſen Augen und denen all 


feiner Verwandten in einem Tiegel nad langem 
Glühen wirkliches Gold produziert hatte, freilich 
nur, nachdem er vorher ein „rotes Pulver“ in 


Die Meifener Porzellanfabrif. 


denjelben geihüttet. — Das machte ihn nun 
zum Helden des Tages und nur fein eigener 
Stiefvater war der fehr vernünftigen Meinung, 
er werde wohl Zorn felber das Gold gemauft 
haben, das er nachher im Tiegel gewiefen. Das 




















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Tas Michen and Entwäfern ber geſchlämmten Etde. 


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wurde es in Berlin, wo ſein plötzliches Ver— 
ſchwinden noch Stadtgeſpräch war, bald bekannt, 
daß er ſich dort aufhalte. Der König ſandte nun 
ſogleich ein Kommando Soldaten, um ihn abholen 
Mu laſſen. Das gab ihm aber ein jo gewaltiges 
Nelief in den Augen der Sachſen, daß fie fich 
nunmehr diefes Juwel erft recht nicht wollten 






143 


half aber nicht das mindejte, ganz Berlin glaubte 
jegt doch an ihn, ja fogar der König ließ ſich 
das Gold zeigen, das er gemacht. Da Böttger 
aber wohl wußte, daß er die Erwartungen nicht 
erfüllen konnte, die er erregte, jo blieb ihm nichts 
übrig als die Flucht. Dieſe führte er 
nunmehr jofort aus und ging nad ber 
damals noch ſächſiſchen Feitung Witten: 
berg. So hoch war aber ſchon fein Ruf 
geitivgen, daß der des Goldmachens fehr 
bedürftige König alsbald einen Preis 
von 1000 Thalern auf feine Habhaft: 
werdung ausfette, als feine Flucht in 
Berlin belannt ward, und vor Zorn über 
diefelbe ftampfte. Da Böttger nicht dazu 
gemacht war, fein Licht unter den Scheffel 
zu Stellen, fondern vielmehr in Witten: 
berg raſch wieder Gläubige, fonar unter 
den Univerfüäts: Profefloren fand, ſo 


rauben laſſen, fon: 
dern ihn im Ge— 
genteil auf dem 
Zchlofie wie einen 
vornehmen Ztaats: 
gefangenenfeſthiel— 
ten und behaudelten. Der König von 
Preußen hatte nun gut Botſchaft über 
Botſchaft ſchicken, ja er fonnte dem Wit: 
tenberger Kreisamtmann 10000 Thaler, 
für die Auslieferung verfprechen, Militär über 
Militär fenden, man brauchte in Dresden Gold 
zu notwendig, um einen Mann aussuliefern, 
der es machen Fonnte, wie jedermann überzeugt 
war, Man verjtärkte aljo erft die Garnifon 
von Wittenberg, fchidte einen Generalmajor 
— von Albendyll — und vier Offiziere zur 


144 


Bewachung des Apotheker— 
jungen, und führte ihn zu— 
letzt, als die Reklamatio— 
nen und Verſuche König 
Friedrichs I. immer drohen: 
dermwurden, fort nad) Dres: 
den zur aroßen Befriebi: 
gung der Wittenberger, die 
fich ſchon auf eine preußiſche 
Belagerung gefaßt gemacht 
hatten. 

Daß er aber jegt einen 
Goldmacher in feinem Beſitz haben follte, das 
wirkte ganz eleftriich auf den ob feiner maß: 
lofen Verſchwendung in ewiger Geldnot befind: 
lichen Auguſt II. von Sachſen, der fich gerade 
in Warfchau befand. 
Co hod er daher 
auch die Freundſchaft 
mit feinem preußt: 
ſchen Herrn Bruder 
ſchätzte, jo ſetzte er 
ſie doch lieber aufs 
Spiel und lieferte 
Böttger nicht aus, 
ſondern ſchickte ihn, 
weil er ihn dort ſiche⸗ 
rer glaubte, erſt als 
Staatsgefangenen 
nach dem Königſtein 
und wies ihm ſpäter, 
als Böttger, dem 
die ewige ftrenge 
Bewachung anfınq 
langweilig zu wer: 
den, fi) darum toll jtellte, eine jehr ſchöne 
Wohnung nebjt Laboratorium in feiner eigenen 
Reſidenz an. a der Statthalter, Fürſt zu 
Fürftenberg, reifte ſogar, nachdem ihm Böttger 
erit das Goldmachen angeblich aelehrt, mitten 
im Winter nah Warſchau 
mit deſſen Tinkturen, um 
die Bereitung auch dem 
König zu zeigen, was fie 
denn auch richtig mitein: 
ander am zweiten Weih— 
nachtöfeiertage um Mitter: 
nacht in tiefiter Stille, in 
einem der geheimften Ge: 
mächer der Reſidenz pro: 
bierten und nach zmweijtün: 
digem Glühen der Tinktur 





SEI — 


Yeisener Porzellanfigur. 


Der Former unb Dreßerfaal 





- Dreber bei der Arbeit 


Friedrich Pecht. 


in einem Tiegel, denſelben — voll einer Art 
Blei fanden. 

Da man wie gewöhnlich das Verunglücken 
der Operation auf Nebenumſtände ſchob, die man 
außer acht gelaſſen, ſo ward Böttgers Anſehen 

dadurch 
gar nicht 
geſchwächt. 
Im Ge— 

genteil 
machte er 
jetzt die Be: 
kanntſchaft 
des da— 
mals welt- 
berühmten 



















Optifers und 
Chemifers Wal: 
ther Freiherrn 
von Tſchirnhauß, 
eines hochgebil 
deten Mannes, 
der aber aud) jei- 
nerjeits an dem 
jungen begabten Abenteurer alsbald Tebendigen 
Anteil zu nehmen anfing und famt dem Statt: 
halter felber bei ihm oft ſpeiſte, der auf königliche 
Koften Gäſte beliebig einladen fonnte. Als aber 
der König felber nad) Dresden fam, fand er erſt 
recht Gefallen an dem jungen Mann. Gefange: 
ner blieb er freilich, wenn auch jegt im goldenen 
Käfig, wo man ihn indes, des gehofften Ge: 
winnes halber, bei beiter Laune zu erhalten 


Formen zum Preſſen. 


Die Meißener Porzellanfabrif. 


fuchte, An der Sorgfalt, N) 
mit der man ihn fefthielt, | IN 
änderte felbit der ſchwedi— | A 
ſche Krieg mit feinen. Nie: —99000— 

derlagen nichts. Nach und 
nach erregte es aber doch 
Mißtrauen, daß Böttger 
zwar ſehr viel Gold ver— 
laborierte, aber keines 
machte, ſondern nur immer 
neue Ausflüchte erfand. 
Schließlich machte er 1703 
einen Fluchtverſuch und kam 
bis nad) Linz, ward aber 
dort eingeholt und fortan 
noch jhärfer bewacht. Denn 
an jein Unvermögen, Hold 
zu machen, glaubte man 
deshalb doch nicht, ja in 
der größten Bedrängnis 
durch Karl XII. hoffte der 
für ihn fehr eingenommene 
König immer noch auf 
Böttgers Kunft, der ihn mit 
großer Gewandtheit in Die: 
jem Glauben zu erhalten 
wußte. Nach und nad) be: 
fan er fogar einen Sof: 
jtaat von nit weniger als 
17 Berfonen, teils als Ge: 
jelfchaft, teils als Be: 
wahung. So hatte er im 
April 1704 dem König 
fhon 40000 Thaler ge: 
fojtet, ohne daß diefer von 
jeinem Aberglauben abzu: 
bringen gewejen wäre. Ja, 
Böttger wußte jelbjt die 
wiſſenſchaftlich gebildeten 







































































durch fein anregendes und geiftvolles Weſen zu 
bethören. 

Nun brachte man ihn, als er Ende 1705 
noch nichts erzielt hatte, nah Meißen aufs 
Schloß, „weil er dort ungeltörter arbeiten 
fönne”. Bon diejem ward erim Zeptember 1706 
des Krieges halber wieder auf den Königſtein 
und, nad einem mit anderen vornehmeren 
Stoatögefangenen luftig zugebrachten „jahre, 
1707 zurüd nach Dresden, diesmal in ein Yabo- | 
ratorium auf der Jungfernbaſtei geführt. Der 


König war nun doc) endlich mißtrauiſch geworden 


Techniker Tſchirnhauß und Pabſt immer wieder 
| geben hatte. 


145 


Se past 


In 
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Das Laboratorium 


und drohte, ihn hängen zu laſſen, wenn er ſeine 
Verſprechungen nicht erfülle. 

In diefer Not brachte ihn Tſchirnhauß auf 
die Idee, die Fabrifation des Porzellans zu ver: 
juchen, die er jelbjt Schon vergebens angejtrebt, 
nachdem Auguſt I. Schon Millionen für dieſes 
damals nur aus China und japan zu beziehende, 
aber ebendarum hochgeſchätzte Fabrikat ausge: 
Und ſiehe da, was dem erniten 
wiljenfchaftlihen Forſcher nicht gelungen, ſchüt⸗ 
tete jetzt das Glück dem —— Schwindler 
Böttger in den Schoß! Wie das eigentlich zu: 
ging, darüber weiß man nichts Sicheres; gewiß 

1) 


146 


it nur, baß er fchon im Dftober oder November 
1707 das erfte Porzellan lieferte und der König 
die Errichtung einer förmlihen Fabrik in Dres: 
den genehmigte, bei der ſchon im Jahre 1708 


| 
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gerfhe war erjt rotbraun, wie das unterm 
Namen terra sigillata befannte antife Gefchirr: 
material. Erjt zwei Jahre fpäter gelang es ihm 
das weiße mit Vollfommenheit herzuftellen. Der 
den großen Wert der Erfindung raſch einjehende 


König war nun bald 
verföhnt und fürderte 
Böttgerd Arbeiten 
auf alle Weife, um 
fo mehr, al3 er auch 
jetzt die ftille Hoff: 
nung auf Entdedung 
der Goldtinktur noch 
nicht aufgab. Bött: 
ger felber aber, der 
bei feinem ewigen 
Laborieren offenbar 
viele Kenntniſſe er: 
worben und der ted)- 
nifches Geſchick von 
Haus aus befak, ar: 
beitete jett mit un: 


geheurer Energie troß des bald darauf erfolgen: 
den Todes feines Gönners Tſchirnhauß und ver: 
befjerte die Fabrikation fort und fort, jo daß er 

oft Tag und Nacht nicht von den Defen wegfanı. | 


Friedrich Pecht. 


I N x et. 
NATIEITNI — 


De Glafurſtube. 


— 
| —— 


Gefat aus Meikener Torjellan. 





2 
FD 
Pr 4 


zwanzig Perfonen angeftellt waren. Ohne Zmei: 
fel hat Böttger Tſchirnhauß' frühere Arbeiten 
gekannt und benüßt, da diefer ſchon ein alas: 
artiges Porzellan erfunden hatte. Das Bött: 


Nun handelte es fich aber um einen paflen: 
ben Platz, wo man die Fabrikation ins große 
treiben und doch gehein halten fünnte, um fo: 
wohl den Ruhm als die Vorteile derfelben allein 

zu ernten. Diefe Geheimhaltung wurde fo jtreng 


gewahrt, daß die 
Arbeiter die furcht— 
barjten Eide ſchwö— 
ven mußten, das 
„Arcanum“ nicht zu 
verraten, welches 
doch Böttger ohnehin 
fait allein fannte, ja 
daß man überdies 
centnerweife Mate: 
rialtien, wie Gips 
u. dal. herbeiführte, 
die man gar nicht 
brauchte, blof um zu 
verbergen, welche 
Erde es vorzugsweiſe 
war, die man zur 


Bereitung des Porzellans am geeiqnetiten ge: 
funden hatte. — Weil e3 als auf ifoliertem 
Hügel aelegen, ſehr bequem abzuſchließen und 
die Kontrolle der Einz und Ausgehenden leicht 


Die Meißener Porzellanfabrif. 


durdzuführen war, geriet man jett auf das 
Meißener Schloß als den pafjenditen Platz zur 
Anlage der Fabrik. Durch feierliches Patent des 
Königs vom 27. Januar 1710 ward fie dort 
inftalliert, troß des verzweifelten Miderjtandes 
der Domherren des Stift, die ihre ſchönen Woh— 
nungen mit herrlicher Ausficht fehr ungern auf: 
gaben. Es ward nun eine Adminiftration ge: 
bildet und der noch immer gegen alles Recht als 


Öefangener gehaltene Böttger funktionierte bald 





147 


als ihr Direktor, bald behielt er bloß bie tech— 
niſche Zeitung, lebte übrigens in Saus und 
Braus, um fih für die mangelnde Freiheit zu 
entjchädigen. Die größten Vorfihtsmaßregeln 
aber wurden getroffen, ja eine eigene Schloß— 
wache inftalliert, damit das „Arcanum“ ja nicht 
durch die Arbeiter verraten werden fünne, was 
freilich auf die Länge doch nichts half, nachdem 
einmal der Wert der Erfindung befannt gewor: 
den war. 





Der Boffierfoat. 


Eine halbwegs gute Adminiftration zu or: 
ganifieren, gelang indes nie, obwohl der un: 
ordentlihe und hochfahrende Böttger vorläufig 
noch in Dresden blieb zur Beaufjichtigung der 
dort belafjenen Fabrifationszweige, als des 


Malens, Schleifens ꝛc. und nur zeitweife nad) 


Meißen fam. Deshalb gab die ihren Betrieb 
dod) fortwährend ausdehnende Fabrik noch lange 
feine Rente, fondern geriet immer tiefer in Schul— 
den; nicht am wenigiten durch Böttgers Un: 
ordnung, der allmählich in feiner ewigen Ge: 


fängnishaft ein Säufer geworden war. — m | 
jahre 1714 hatte er endlich die volle Freiheit 


erhalten, die ihm feit 1609 verfagt geblieben 
war. Infolge feiner Ausfchweifungen jtarb er 
indes fchon am 13. März 1719 und hinterließ; 
die Fabrik in einem nichts weniger als blühen: 
den finanziellen Zustande. Cs war dies um fo 
mehr der Fall, als fait alle bejieren Stüde, die 
fie erzeugte, vom König zu Geſchenken verwendet 
wurden, mit denen er außerordentlich freigebig 
war, Man mufz fich nur wundern, daß es Bött- 
ger wenigitens gelungen war, die Produktion 
fortwährend auszubilden troß aller Hindernifie, 
welche jeine und anderer jchlechte Nominiftration 
ichuf, bei der er bald aar feines Anfchens mehr 


148 


bei den Arbeitern genoß, die hier ſelbſt ſchon 
das Streifen mehrfach praftizierten. — Indeſſen 
hatten fich doch alsbald talentvolle unter ihnen 
gezeigt, fo befonders Köhler, der Böttger jchon 
bei den erjten Verfuhen der Bereitung des 


weißen Porzel: 
lans geholfen 
und Cdubert, 
welche beide die 
Bereitung der 
Maſſe, das Ola: 
jieren und Bren: 
nen leiteten. 
Selber lieder: 
ih, wie Bött— 
ger, fonnten ſie 
aber natürlich 
ihre Fabrikge— 
heimnifje nicht 
bewahren, die 
denn auch ſchon 


bald verraten 


wurden und zur 
Gründung von 
ähnlihen Fabri— 
fen in verſchie— 
denen Gegenden 

Deutichlands 
führten, Da: 
neben war Die 
offizielle unge: 
eure Geheim— 
haltung einfad) 
lächerlich. 

Es bleibt nun 
übrig zu zeigen, 
wie weit zu Bött- 
gers Lebzeiten 
die Fabrikation 
gebracht ward. 
Das erſte Ma: 
terial hatte der: 
jelbeinder Dres: 
dener Gegendge— 
funden, dann be— 


nützte er für das rote Porzellan die zu Okrylla 
bei Meißen gefundene Thonerde, die ſchon längſt 
berühmt war. Für das weiße bezog er dann 
den Thon erſt aus der Gegend von Kolditz und 
Waldenburg, beſonders aus Terpizſch, ſpäter 
aber den feinſten Thon von Mehren bei Meißen. 
Ganz gelang die Fabrikation Böttger indes erſt, 


Ftiedrich Pecht. 





Auflegen von Epinen und Blumen auf bat Porzellan. 


als er durch Zufall auf die in Aue bei Schwar- 
zenberg gefundene Erde fam. Diejelbe verkaufte, 
ob ihrer Weiße und Feinheit, der Beſitzer dieſes 
Terrains, Veit Hans Schnorr, ſchon lange ala 
Puder. Böttger, deilen Kammerdiener fie als 


folhen für ihn 
felber verwen 
dete, geriet, ala 
er das erfuhr, 
auf den Einfall, 
fie zur Porzellan— 
bereitung zu ge: 
brauden, was 
jofort glänzend 
gelang. Mehr 
Schwierigkeit 
machte die Er— 
lernung des 
Glaſierens und 
Brennens und 
die Behandlung 
der ſich durch das 
Brennen ſehr 
ſtark verändern— 
den Farben, be— 
ſonders des 
Blau. Indes 
präſentierte man 
doch ſchon 1717 
dem König die 
erſten blauen 
Taſſen. Mußte 
das erſte rot— 
braune Porzel— 
lan noch geſchlif— 
fen und poliert 
werden, ſo lernte 
man nach der 
Erfindung des 
weißen ſehr raſch 
das Malen, 
Aetzen, Gravie— 
ren und Email— 
lieren desjelben, 
wie man denn 


auch die längſt ausgebildete Technik der Email: 
malerei und Glasfabrifation, jo das mit Gold 
und Eilber, Stahl und Scimelzauslegen, das 
Ueberfpinnen mit Gold: und Zilberfäden ꝛc. 
raich auf das neue Material übertrug. Schon 
auf der Oſtermeſſe 1713 kam ſolches mit Gold, 
Silber, Stahl, Schmelz und mail verzierte 


Die Meißener Porzellanfabrif. 

















weiße Por: 
zellan in 
Leipzig, 
1715 aud) in 
Dresden 
zum Ver— 
fauf, wel: 
cher aber jo: 
fort fo be: 


Ser Biumenfaal,. — Porjeflanwaren mit Plumenmalerei. 


149 


dem aber ziemlich gleichzeitig mit Böttgers 
Wirkſamkeit der Nofofoftil in Dresden durch 
des unſterblichen Architekten Pöppelmanns 
Genie aufkam und zu jener größten Aus: 
bildung aebradht ward, die ſchon Semper 
anertennt und deren herrlidiites Denkmal 
der von Pöppelmann 1710 begonnene, um 
1722 vollendete berühmte Zwingerpalaſt iſt, 
fo wirkte das unmittelbar auf die deforativen 
Gewerbe ein. hm folgte der Umbau des 
japanefiichen Palais und die Errichtung 
vieler anderer Gebäude durd den pradht: 
liebenden Auguft Il. Dieje 
Bauten, wie der am Hofe 
herrſchende Luxus überhaupt, 
erzeugten eine Anzahl defo- 
rativer Künftler erjten Nan- 
ges, welche nun alsbald diefen 
alle Welt mit Entzüden er: 
füllenden Stil auf die Por: 
zellanfabrifation nicht weniger 
als auf alle anderen Kunſt— 
gewerbe übertrugen. Das 
Verdienft diefer Uebertragung 
fommt nun allem nad) am 
meiften dem Genie zmweier 
Männer zu, die nad) Bött- 
gers Tode bald die Seele der 
Fabrik wurden. Zunächſt den 
geſchickten Maler Hörold, der 


deutend ward, daß lange nicht alle Nachfrage | den japaneſiſchen feinen Farbenſinn mit dem fo 


befriedigt werden fonnte. Die Erfindung madıte 
nunmehr das ungeheuerjte Aufjehen in ganz 
Europa und Sachſen ward mit Recht allgemein 
um dieſelbe beneidet. Daß Böttgers ohnehin 
großes Selbitgefühl nicht wenig dadurch geitei- 
gert ward, iſt jelbjtverftändlich, wie nicht minder 
das aller Arbeiter. 

Seinen eigentlihen Wert, die ganz ſpecifiſche 
Bedeutung erhielt das ſächſiſche Porzellan indes 
erst durch die Künitler, die jenen eigentümlichen 
Stil für dasfelbe erfanden, der dasjelbe als 
„ Vieux-Saxe* heute noch durch die ganze Welt 
gehen läht. Hatte man nämlich anfangs als 
Mufter zunächſt die hinefischen und japanefischen 
Gefäße, Teller und Tafien benütt, die fchon 
Auguft I. in jehr großen Mafjen in Dresden an- 
gejfammelt, jo war das infofern fehr gut, als 
man dabei doch die mit Notwendigfeit aus der 
Technik und dem Material ſich ergebenden Stil: 
formen überhaupt, dann vorab das fo feine 
japanefiihe Rolorit fich aneignen lernte. Nach— 


zierlichen als pifanten Kolorit der damaligen 
Franzoſen, vorab des Watteau auf die Por: 
zellanmalerei 
verpflanzte. 
— Nod) nad): 
haltiger und 
origineller 
aber wirkte 
der berühmte 
Bildhauer 
Kändler, der 
1731 an der 
Fabrik ange: 
jtellt ward und 
der Produk— 
tion eine ganz 
neue Wen: 
dung gab. 
Dazu fam, 
daß nad) des 
unordentlichen 





Deeibener Porzellanfiaur. 


150 Friedtich Pech. 


Böttgers Tode doch eine wenigitens etwas befjere 
Administration einzuführen gelang, welde die 
grogen Vorzüge auszunüben verjtand, die das 
Meißener Porzellan felbit vor dem chineſiſchen 
voraus hat, feine Dauerhaftigfeit, Härte, Bil- 
ligfeit, und die ihm alsbald einen fehr großen 





dad Auffommen unferer eigenen Induſtrie 
bilden. 

Bei der Meißener Fabrik blieb freilich auch 
jet noch der ſächſiſche Hof der befte Kunde, der 


ungeheure Quantitäten des Fabrifats zu Ge-_ 


ſchenken verbrauchte, allerdings aber dadurch auch 


Nuf ermwar: nicht wenig 
ben, ſobald feinen Ruf 
es durchjene ausbreite: 
Geſchmacks— te, Eben: 
verbeſſe⸗ deshalb 
rung in der und ob der 
Produktion immer noch 
jenen Reiz ſehr man— 
wirklicher gelhaften 
Neuheit ge: Admini- 
wann, ber ftration 
überall fo gabdie Fa- 
unwider⸗ brik nicht 
ſtehlich nur keine 
wirkt. Dieſe Rente, 
verſchaffte ſondern er: 
ihm denn forderte 
auch alsbald oft Zu— 
in ganz ſchüſſe, 
Europa was auch 
Verbrei⸗ nach dem 
tung, ſo daß Ableben 
die Fabrik des ver— 
kaum genug ſchwende⸗ 
liefern konn⸗ riſchen und 
te. Nur das pracht⸗ 
ſtand dem liebenden 
Abſatz an— Auguſt des 
fänglich noch Starken 
im Wege, und der 
daß beſon— Thron⸗ 
ders noch — beſteigung 
die Leipzi— — * Auguſt des 
ger Kauf— Dritten 
leute, die Eaal ber Poliererinnen. nicht viel 
bisher gro: bejier wur: 


hen Gewinn vom Verlauf des hinefiihen Bor: 
zellans gehabt, fih im geheimen der Ver: 
breitung des ſächſiſchen möglichit widerſetzten. 
Alfo genau diefelbe Erjcheinung, die wir aud) 
heute noch in allen möglichen Induſtriezweigen 
wahrnehmen, wo nur zu viele unferer Kaufleute 
das ohnehin jo große Vorurteil der Deutjchen 
für alle fremde Ware noch nadı Kräften be: 
fördern, weil fie vom Vertrieb derjelben mehr 


de. Umfomehr hatte fidh der technische Betrieb, 
befonders durch Hörolds Talent, verbeilert. 
Derfelbe übte Schon gleich nady Böttgers Tode 
den wohlthätigiten Einfluß, befonders dadurd), 
daß erdann 1731 noch Nändler als Movdelleur und 
Lehrer der Modellierfunft anjtellte, defien wahr: 
haft unerfhöpflihe Erfindungen von graziöfen 
Gruppen und Figuren wie Ziergeräten aller Art 
in Verbindung mit Hörolds foloriftiihem Talent 


Vorteil haben und jo das Haupthindernis für | der Jabrifation erft jenen ganz ungewöhnlichen 


Die Meißener Porzellanfabrif. 


Kunitgehalt 
gaben, der fie 
allein durch 
Jahrhunderte 
zu erhalten 
vermochte, 
weil er ſo ganz 
dem Charak— 
ter des Ma— 
terials wie 
dem der Zeit 


ſelber ent— 
ſprach. Man 
— Bebrifzeiäen, Qwichelmufter. Könatbla 
fieht hier em Dradienmulter, Boryellangefüh mit Wattenu 
mal recht was bild, Aumitmaler bet bee Arbeit 
A 5 
geniale Hünft- 


ler einer Induſtrie nüten fönnen! Den Ton, 
welchen PBöppelmann in der Mrcchiteftur an: 
ſchlug, hatten fie allerdings nicht angegeben, 
aber ſie festen ihn doc im Kunſtgewerbe fort. 
Es iſt das Nofofo in feiner klaſſiſchen Form, 
wie es eigentlich nur in Deutjchland zu feiner 
höchſten Ausbildung gebradht ward, und mie 
fih das glatte fühle, zierlihe Material des 
Porzellans ganz vorzüglich dazu eignete. Diefe 
fofetten ala Schäfer und Schäferinnen verfleide: 
ten Hofleute mit dem ewigen fühen Lächeln 
auf den Lippen, diefe Pagodenfiguren mit 
wadelnden Köpfen, die zu allem Ja zu jagen jchei: 
nen, was der Uebermut der Herrjcher befahl, der 
fie erhob durch feine Gunft und in ihr nichts ver: 
finfen ließ, fie zerichmetterte wie Gejchirr, wenn 





Gmaillieröfen. 


er fie ihnen entzog, fie waren eigentlich alle fchon 
von Haus aus porzellanen geweſen und es war 
eine Art von Anachronismus, daß Böttger ihr 
Material erſt erfinden mußte. Die lange Dauer 
der Wirfjamfeit Kändlers, von 1731 bis 1775, 
begünftigte aber auferordentlich die Entwidelung 
des Stils und die Bildung feiner großen Schule 
wie einer feiten Tradition. Während feine 
frühejten Arbeiten noch mehr die üppig über: 
mütigen Barodformen zeigen, wird das zierliche 
aber innerlich nüchternere Rokoko allmählich 


152 


immer herr— 
fchender in den: 
jelben mit fei: 
nen auf die ae: 
brodyenen Ba: 
vodformen nur 
aufgehefteten 
Blumentetten, 
feiner Roſen— 
und Zwiebel: 
muiterver: 
ſchwendung und 
jenem raſch 
wachſenden Na: 
turalismus in 
der Nachbil— 
dung der Plan: 
zenformen, zu 
dem das jede 
Kühnheit ei lau: 
bende Material 
förmlich auffor: 
derte. 
jigen Verwendung von Vögeln und anderen 


Tieren, mit Denen man Die Bafen und Aufſätze 


verzierte, Paliſſys Einſluß maßgebend geweſen, 





Porzelanihole mil Auf. 


wie bei der oft mit merkwürdiger Birtuofität 
betriebenen Nachbildung aller möglichen Blu: 
men, die ganz frei herausmodelliert und auf: 
geheftet wurden. Zugleich entfaltete Kändler 


Unjtreitig iſt befonders bei der jo hau: 


Peryelantabrif iın Trtlebitchthol 


Sriedrid; Pecht. ö 


— zu \ 
der, Ar —* PR —— 


ers 





aber im fernen Kon: 
pojttienen nicht et: 
wa nur Die fran: 
zöſiſche kolette Yü 
ſternheit, wie wir 
ſie z. B. an dem 
mitgeteilten Uhrgehäuſe (S. 153) mit feinem 
ſentimentalen Flötenbläſer, der Lautenſpielerin 
und Dam Juntker, Der einem Landmädchen den 
Hof macht, finden, jondern er verftand ſich auch 
aanz gut auf jenen echt Deutichen, familienhaften 
Zug, wie wir ihn in den beiden fojenden Grup: 
pen finden, wo Die Mutter das Kind an der 
Brust oder dem Vater zulächelnd zeigt ( S. 154), 
wie wir bei der au der Urne des Gatten trauernd 
ſtehenden Witwe und ihrem ſofort bereiten Tröfter 
— 155) auch jenen Humor entdecken, Durch 
den ſich dieſer Künftler ſehr zu ſeinem Vorteil 
vor den Chardin, Watteau und Boucher aus: 
zeichnet, Dre ihm ala Muſter vorgeſtellt wurden. 
Wie die Barod: und Rokoloarchitektur ſelber, acht 
auch dieſe Gefäßbildnerei bloß auf maleriſch pi: 
kante Wirkungen aus, und unterſcheidet ſich da: 
durch grundlich von der Der Rengiſſance. Die 
in allen Farben ſchillernde, ſüße und lokette, 
ſelten tiefe, aber immer pikante und reizende 
Färbung Hörolds, welche Watteau überaus glück 
lich ins lichtvolle des Porzellans überſetzte, unter— 
ſtützte ihn dabei nicht wenig zur Hervorbringung 
in ihrer Art unübertrefflicher und einziger 








Produkte. Durch die ewige 
fabrifmäßige Wiederholung 
diefer Dinge aber bildete 
fi fehr bald ein fo feit: 
ftehender Stil in der Ted): 
nit aus, daß er bis heute 
nicht ganz zu ruinieren ge: 
wefen ift. Und doch hatte 
die Fabrik fo ſchwere Zeiten 
durchzumaden, bejonders 
bei der preußifchen Inva— 
fion 1745 und nod mehr 
bei der im fiebenjährigen 
Kriege, wo fie fait zu 
Grunde ging und ihre Vor: 
räte von den Preußen felbit: 
verftändlich ala gute Beute 
behandelt wurden. Den: 
noch hatte ſich der Abjat 
im Jahre 1752 bereits wie: 
der auf 224 000 Thlr., die 
Zahl der Arbeiter aufnahe: 
zu 400 gehoben, die kurz 
nah dem jiebenjährigen 
Kriege ſogar auf 731 ftieg. 
Friedrich der Große hatte 
während desfelben die An: 
ftalt oft beſucht und fich 
alle Mühe gegeben, die 
Fabrikation nad) Berlin zu 
verpflanzen, ihr überdies 
für mehr als eine halbe 
Million Waren entnom: 
men. Dennod) erlangte fie 
gerade bald nachher ihren 
Höhepunft, den fie bis heute 
nicht wieder erreicht hat. 
Dazu trug nun wohl die 
um diefe Zeit erfolgte Be: 
rufung des berühmten Ma: 
lers Dietrih als Direktor nicht wenig bei, 
deſſen leichtes und gefälliges Talent dem 
Kändlers immerhin verwandt war, wenn es 
auch jenem an echtem Naturgefühl wie Kühn: 
heit der malerifhen Behandlung keineswegs 
gleihlommt. Mit ihm.ging der Humor ver: 
loren und hielt der antififierende Zopf feinen 
Einzug. Nach ihm ward der Bildhauer Acier 
aus Paris berufen, der indes Händler jo wenig 
erjegte als andere Künftler. 

Nahdem jo 1774 die Fabrik mwenigjtens 
materiell ihre größte Höhe erreicht hatte, — die 


— 


Die Meißener Porzellanfabrif, 





Uprgepaufe aus Poryellan S. 1521, 


geiftige datiert allerdings weit früher — ging 
fie erſt langſam, dann immer fchneller zurüd, fie 
verfteinerte ebenjo, wie das geſamte deutſche 
Kunft: und Staatsweſen. Die langen Kriege 
von 1792 bis 1815 waren aber nicht geeignet, 
fie zu heben. Nicht nur ftodte der Abſatz nad) 
Rußland und der Türkei faſt gänzlich, der bis 
dahin der größte gewejen war, fondern die alte 
Kunftfertigfeit war auch faſt ganz verfchwunden, 
die Fabrik von ihren zahlreichen Konkurrenten im 
In: und Auslande vollitändig überholt worden, 
da fie mit dem Rofofojtil ihr N Lebens: 
2 


154 Sriedrich Pecht. 


princip aufgegeben hatte. — Erft die Gründung | jeit Sempers, Rietfchels und Hähnels Wirken 
des Deutfchen Zollvereins einerjeits, die Hebung | in Dresden anderjeits gaben ihr wieder einigen 
der deutſchen und fpeciell der ſächſiſchen Kunſt Aufſchwung. War die Cornelianifche Richtung 
aber nichts weniger als ge: 
eignet für die Porzellantech— 
nif, fo fonnte auch die An: 
itellung bes ihr angehörenden 
Ludwig Richter als Zeich— 
nungslehrer der Fabrikation 
zunächft feine Früchte tragen, 
da er viel zu wenig Kolorift 
war, um irgend günftig zu 
wirken. Seinen eigenen Stil 
der Kompoſition aber, der 
das allenfalls wohl hätte 
thun fünnen, wenn er einen 
Koloriften wie Hörold zur 
Seite gehabt hätte, hat über: 
Meihener Porzelanfigur. dies Nichter nur erit nad) Meihener Porgellanfigur. 
jeiner Verſetzung an die 

Dresdener Akademie recht ausgebildet, obwohl vermocht, diejer Anftalt wirklich neues Leben 
er die Antriebe dazu in dem ſchönen Meigen | einzuflößen. Indes war es wenigſtens voll: 
empfing. Am allerwenigften war aber die neu: | fommen fahgemäß, daß man wieder auf die 
eingeführte, ftreng bureaufratiihe nur aufs | alten klaſſiſchen Produktionen des Rokoko zurüd: 
Rentieren fehende Adminiftration geeignet, der | griff, ihre Formen, die man noch großenteils be: 
Fabrik aufzuhelfen und fo dauerte es denn auf: | fa, wieder neu abdrudte und ihre Malerei fo: 
fallend lange, bis ſich der fünftlerifche Gehalt der | pierte, jo gut oder vielmehr ſchlecht, als man es 
Leiltungen, der einſt jo groß gemwejen war, nur | eben verjtand. Das Witige und Spigige, den 
wieder einigermaßen hob. Dazu war die geniale | geiftreih pifanten Vortrag derfelben verjtand 
Liederlichleit unter Auguft dem Starken mit | man freilich offenbar gar nicht mehr, fonft hätte 
ihrem feinen Geſchmack und ihrer Gleihgültig: | man nicht ihre feingebrochenen, aber fräftigen 
feit gegen das Geld zweifellos viel geeigneter. | Farben durd fühe und ſchwächliche erjegt und 
Selbit das außerordentliche Aufblühen des Kunft: | den Vortrag derjelben, die fede, übermütige 
gewerbes in ganz Deutichland, zufolge der Er: | Pinfelführung mit folder punftierender Lahm— 
eiguiffe des Jahres 1870 mit ihrer ungeheuren | heit vertaufht. Dennoch fteigerte ſchon dieſe 
Hebung des Nationalwohlitandes hat es nicht | fentimentale Nahahmung den Abjat aufs glän- 
zendjte, aberfelbit 
diejer wirkte nicht 
fonderlich auf die 

nur fisfalifche 

Geſichtspunkte 
kennende Leitung. 

Dafür brachte 

man allerdings 
den techniſchen 
— — Betrieb wieder 
Be en; etwas mehr auf 
Sqhale auß Meibener Porzellan. die Höhe der Seit. Gefäh aud Meikener Poryellan, 

War die Be: — 

laſſung der Fabrik in den bisherigen Lolalitäten jelben hinunter ins Triebiſchthal ſich als ab: 
immer ein ſehr großes Hindernis geweſen, fo | jolut notwendig herausftellte, ſowohl um eine 
daß die 1863 ftattaefundene Verlegung der: | Wafjerkraft zu gewinnen, als die Ab: und Zu: 











Die Meifener Porzellanfabrif, 





fuhr zu erleichtern, fo vergrößerte man fie 
jetzt noch einmal zu Anfang der fiebziger 
Jahre und der Abfa erhob fich 1874 bis auf 
1681000 Mark, die Zahl der beichäftigten 
Perfonen auf 655. Angefichts des veränderten 
Geldwertes und der ungeheuer gefteigerten 
Konjumtion ift das freilich faum die Hälfte der 
einitigen Blüte. Jedenfalls hat die gegenwär— 





Melbener Porsellanfigtr. 


tige, vorzugsweiſe auf kaufmänniſche Principien 
bafierte Verwaltung der Anftalt durch ihr Zu: 
rüdgreifen auf die Form des Vieux-Saxe 
wenigjtens jenen praftijchen Blick erwieſen, der 
fih nad) der Nachfrage richtet, allerdings ohne 
irgendwie ſchöpferiſch vorzugehen. 

Aber darüber kann doch feine Frage fein, 
daß der Betrieb einer ſolchen Staatsfabrif ſich 
heute bloß dadurch genügend rechtfertigen läßt, 
wenn man fie als eine Mujteranitalt betreibt, 
die der übrigen bejonders in Sachſen, ja fpeciell 
in Meißen jelbit jehr bedeutenden Produktion 
biejer Art entweder neue Mege zu weifen, oder 
doch auf den alten mit qutem Verftändnis weiter 
zu gehen hat. Daß die Meikener Fabrik bis 
heute aber in ihrer Produktion nur wenig Ein: 
wirfung, weder der fo vortrefflichen Dresdener 
Bildhauerfchule, noch derdortigen ausgezeichneten 
Koloriften unter den Malern, wie 3. B. des fo 
genialen Scholz zeigt, während doch die gefamte 
deutſche Induſtrie den Farbenfinn Mafarts 
fühlen läßt, daß fie ebenfomwenig einen Einfluß 
der unter Graffs Zeitung fo friſch aufblühenden 
Dresdener Kunſtgewerbeſchule zeigt, das bemeift 


155 


doch, wie jehr ihr bis heute neben der finanziell 
untadelhaften Leitung das eigentliche artiftifche 
Verftändnis fehlt. Da fünnte nur ein fünft: 
lerifches Talent helfen, welches, wie jeinerzeit 
das Händlers, der Produktion eine neue Wen: 
dung zu geben, fie auf die Höhe der heutigen 
Kunst zu heben vermöchte, wie dieſelbe ich einft 
auf die des vorigen Jahrhunderts, dank jenen 
Männern, mit fo großem Glüd jtellte. 


* * 


Während zu dieſer Skizze für das That— 
ſächliche, die Biographie Böttgers von Engel— 
hardt, Klemms Werkchen über die kgl. Porzellan— 
ſammlung und Viktor Böhmerts neu erſchienene 
„Geſchichte und Statiſtik der Meißener Por— 
zellanmanufaktur“ neben langjähriger eigener 
Beobahtung der Erzeugnifie diefer Anſtalt be- 
nußt ward, geben unfere Abbildungen die Fabril— 
lofalitäten, wie fie jet find, Die einzelnen tech: 
nischen Vorrichtungen und einzelne Erzeugnifie 
der Fabrikation, So fehen wir auf Seite 141 
das Einfüllen der Waren in die Brennöfen, 
dann unten das Erproben derjelben und oben 
den Heizer jelber, melde uns dieje jo große 
Sorafalt erfordernde Operation des Brennens 
des Porzellans in ihren verſchiedenen Phafen 
verfinnlichen. 5.143 zeigt dann den Apparat 
zum Schlämmen, und das Nundbild den, welcher 
zum Mijchen und 
Entwäſſern der ge: 
ihlämmten Erben 
dient. S.144 führt 
oben einen Dreher 
am Drehjtuhl vor, 
der wie bei aller 
Töpferei, jo aud) 
beim Worzellan, 
ihon darum eine 
Hauptrolle jpielt, 
weil Die große 
Mafle desſelben, 
wie ſie heute er: 
zeugt wird, doch durchaus aus couranten Ar: 
tifeln, Servicen und Tifchgeräten aller Art 
beiteht, das in der Hauptſache auf dem Dreh: 
ſtuhl hergeitellt wird. Neben dem Drehen 
bildet das Preſſen in die Formen, wie wir fie 
unten an diejem Bilde liegen fehen, eine Haupt: 
arbeit. S. 145 führt uns dann das Laboratorium 
mit feinen verfchiedenen Werkzeugen vor, und 





Meibener Porgellanfigur. 


156 


©. 146 zeigt die Glafurftube, während uns im 
Doffierfaal auf S. 147 der Beginn der mehr 
fünftlerifchen Operationen, die Herſtellung der 
Modelle, das Auflegen der Blumen und fonftigen 
Verzierungen auf dieſelben bargeftellt wird. 
©. 148 zeigt das Auflegen der Blumen und 
Spitzen ꝛc. auf die ſchon in der Hauptform her: 
geitellte Ware, und S. 149 den Saal, wo die, 
eine jo wichtige Abteilung der ganzen Fabrik 
bildende Blaumalerei vor ſich geht ſamt ber 
fertigen Ware im Vordergrund. ©. 152 führt 
uns die Fabrik dann felber vor, wie fie fich jetzt 
nach ihrer Verlegung ins Triebiihthal und in: 
folge der neueften Anbauten geftaltet. 

Es folgen nun Mujter der hauptfädlichiten 
Produkte der Fabrik, ſoweit derjelben nicht ſchon 
früher gedaht worden. So auf ©. 151 ein 
durchbrochener Teller, wie feine Herjtellung durch 
jene Verbindung außerordentlicher Geſchmei— 
digkeit und Härte des Materials allein ermög: 
licht wird, die Dinge erlaubt, welche fonft nur 
in Metall möglic) find. Im Fond des Tellers 
fehen wir dann den eigentlichen Kunſtmaler an 
der Arbeit, wie er eben eine Scene in dem fo 


Sriedrich Pet. Die Meifener Porjellanfabrif. 


beliebten Watteaufchen Geſchmack herftellt, die 
wir ähnlich) auch oben am Rande und auf einer 
nebenjtehenden Vaſe mit fönigäblauem Grund 
im Söoreögefhmad angebradt finden, während 
nebenan Drahen und Eidechjen A la Palissy 
zufammen mit Vögeln und Blumen — befonders 
dem fogenannten Zwiebelmufter — alſo die 
fpecififche Drnamentation des Vieux-Saxe und 
ihre technische Kühnheit noch weiter verfinnlichen. 
An den Eden find dann die verfchiedenen Fabrik: 
zeichen dargejtellt, jo das älteite mit Augustus 
Rex, das jeßige mit den zwei Schwertern, eben: 
jo das Graf Brühlſche Zeichen 2c., während man 
unten noch die Cmaillieröfen fieht. S. 150 führt 
uns in die Stube der Poliererinnen, da ſich die 
zarten Frauenhände zu biefem bei dem zer: 
bredlihen Material jo delitaten Gejhäfte am 
beiten eignen. ©. 142 gibt uns des Erfinders 
Böttgers, Porträt, das wenigjtens die Kühnheit 
des Mannes ahnen läßt; nachfolgende Vignette 
aber fchließt das Ganze mit einer chineſiſchen Pa: 
gode, umdie Herkunft derganzen Technik anzudeu⸗ 
ten, wobei wir nur wünschen, daß das Chinefentum 
bloß ihren Anfang, nicht aud) das Ende bezeichne. 





Auguft Beder. Eleonore, 


157 


Sleonore. 


Roman von Xuguf Beer. 
(Fortfegung.) 


a] ein! Indes das erfte Glas 
Pr || ebeln Purpurweins auf das, 

| was wir lieben!“ ſprach Her: 

1] big, indem er anftieß, austranf 
MW und das Glas hinftellte. „Zu 
Bücherzweden reift man allein, 
mein Lieber. Sie bedürfen großer Vorbereitun: 
gen, fchleppen Schreibzeug mit — unter zwei 
Galonen Mlizarintinte, vier Pfund Stahl: 
federn und drei Nies Papier thun Sie's nidt. 
Billiger und bequemer, mein Freund, bleiben 
Sie daheim, fchreiben die Reife in Ihrer Stube. 
Sie laden? Nichts leichter. Mit Gfell-Fels 
und zwei anderen Welſchlandſchilderern vor fich, 
fchreibt man darauf los, nicht zu ſchwunghaft, 
eher verfleinernd — es iſt glaubwürdiger, haus: 
badeneNikolaiiheNüchternheitift zeitgemäß. Bei 
Meflungen die Durchſchnittszahl der früheren, 
oder man übertrumpft nod) die niederfte Angabe. 
Laofoon, den faradiihen Stier, verfchiedene 
Madonnen fee nur fed herunter, Halte dich 
darüber auf, da die medicäifche Venus die Ge— 
jellfchaftstoilette fajtübertreibe, polemifiere gegen 
den gelehrten Smel fungus in Norifs Reife, 
weil er das Pantheon für ein geeignetes Lokal 
zu Hahnenfämpfen erklärt, während du felbjt 
eine Lanze für eine große Welthundeausftellung 
im Kolofjeum einlegen magſt.“ 

„Machen Sie feine jhledhten Witze!” fiel 
hier Dräſow vollen Mundes ein. 

„Gar nicht. Bin feft überzeugt, bie beite 
Reife durch Italien wird neben einem Meidinger 
Dfen gemadt. Näubergefhichten ziehen nicht 
mehr. Dagegen große moderne Gefichtöpunfte. 
Welche Nemefis! Einjt zogen wir aus den ger: 
maniihen Sümpfen, um jenſeits der Alpen 
Schätezufammenzuraffen. Jetzt raffen wir Schätze 
daheim zuſammen, um fie hinüberzutragen. 
Um das ganze Mittelmeer herum ſitzen Frank: 
furter und Berliner Banquieräfrauen und werfen 
Geld ins Wafler. Das als Grundmotiv. Sonit 





mag man, nad Barnftaples Nat bei Kapitän 
Marryat, die Seefranfheit nad) der Meerfahrt 
auf dem feiten Lande befommen — merkwürdig, 
weil ungewöhnlid. Schade übrigens, daß hr 
Bud nicht ſchon fertig ift. Sch würde es mit: 
nehmen — mit deiner Erlaubnis als Opiat! 
Denn — Macbeth kann nicht mehr fchlafen.* 

„Hm!“ machte Dräſow mit Meſſer und 
Gabel hantierend. „Und was treibt denn Sie 
über die Alpen ?* 

„Mich?“ verfegte Herbig und fchlürfte lang: 
fam an feinem Glafe. „Verſchiedenes. ch weiß 


es felber nicht. Es iſt fein rechter Raum mehr 


zur Geiftesthat. Der Baum, unter deſſen Schat: 
ten wir geflüchtet, fchattet zu viel — es wird 
fühl, feucht, dumpf, muffig — Starke Pilzent⸗ 
widelung. Kurz, ich dachte an Afrifa, mitten 
durch von Biferta bis zur Tafelbai, fühle jedoch 
noch feinen Beruf zum Märtyrer, am wenigſten 
den, von Dfenhodern meine Entdedungen an: 
gezweifelt zu ſehen. Aljo fürs erjte eine Wall: 
fahrt nad) Rom und Sizilien.“ 

„Auch die Schwalbe treibt der vandaliſche 
Wind!” bemerkte Dräſow nachdenklich, indes 
Herbig fortfuhr: 

„Und dennoch — fo ſeltſam iſt des Menfchen 
Sinn — bei diefer Fahrt nad Süden weiſt mein 
Herz gleich der Magnetnadel nad) Norden, nad) 
den vandaliſchen Küſten.“ 

„An den Oſtſeeſtrand zurück?“ wiſperte 
Dräſow empört. „Iſt man ein Bernſteinkäufer, 
ein Salzfiſchhändler, ein Heringsmakler?“ 

„Iſt die Perlenſchnur alter Hanſeſtädte von 
Lübeck bis Wisby nichts? Dann das Heiligtum 
von Arkona, Harthaſee, Vineta ...“ 

„Phantasmen! Problematiſcher Nebel! 
Hyperboreiſches Düſter!“ 

„Sonnenauf- und Untergang breiten mehr 
Licht und Glanz um Rügens, Uſedoms, Wollins 
Küſte, als ich in Neapel finde,“ verſetzte Herbig, 
der ſich eine Cigarre anſteckte, nachdem er ſich 


158 


überzeugt hatte, daß auch fonft in ben voller ge: 
wordenen Sälen geraucht wurde, „Und dann 
jene duftige Verfchleierung von nah und fern, 
Waldjee, Düne, das weite Meer...“ 

„Alfo immer nod) rei an Stimmung,” fiel 
Dräfow ein. „Wir ahnten ſtets den großen 
Lyriker in Ihnen. Aber wo erſchienen Gedichte 
von Bruno Herbig?“ 

„Zhorheit. Dies alles muß dem Publikum 
vorgefungen werden. Der Dilletantismus, dem 
feine Eitelfeit teuer zu ftehen fommt, plagt mid) 
nicht. Genug, wenn man zuweilen noch Poejie 
erlebt.“ 

„Und das haben Sie, erſt jüngft, auf der 
Reife!” ſprach Dräſow ihn durch die Brille ſcharf 
firierend. „Und es handelt ſich um ein Weib!“ 

„Er könnte recht Haben!“ meinte Herbig an 
die Dede blidend. 

„Meine Scharfficht täufcht mich nicht!“ fuhr 
Dräſow jelbitgefällig fort, indem er Meſſer und 
Gabel aufitemmte. „Allein, wenn fonft nichts, 
Freund, jo gedulden Sie fi. Jenſeits der 
Alpen werden Ihnen flanımende Blide, flaumige 


Dberlippen, römische Büjten und Naden aus 


dunklem Laube wie Goldorangen glühen.“ 

„Kein italiiches Weib kann fih mit ihr 
meſſen!“ ermwiderte Herbig ernithaft. 

„Mit Ihrer Braut?” 

„Wäre ſie's!“ 

„Wer tft fie denn?” wifperte Dräſow ver: 
traulich. 

„Weiß ich's? Ich ſah ſie nur ein, zweimal. 
Allein, um dieſes Weib könnte ich ein anderes 
Troja zerſtören und wieder aufbauen.“ 

„Schwärmerei! Unſer nordiſches, verküm— 
mertes zartes Geſchlecht ohne Nacken und Büſte, 
nur Haut, Knochen und — Geiſt!“ 

„Auch ſolche waren dort. Allein, als fie — 
dem Meere entſtieg.“ 

„Alſo eine wahrhafte vandaliſche oder obo— 
tritiſche Schaumgeborne, eine nordiſche 
Aphrodite!“ 

„Ein viel erhabeneres Weib.“ 

„Eine Walküre?“ 

„Nein, auch das nicht, Dräſow. Hab' die 
Walküren ſatt. — Können Ste ſich eine Vor: 
ſtellung machen von der hehrſten und ſchönſten 
der göttlichen Vanen ...“ 

„Von welchen die Vandalen ihren Namen 
haben.“ 

„Mag ſein. Alſo eine Freya Vanadis! Nur 
darfſt du ſie dir nicht zu hell denken, ſondern 








— — — — — — — — — — — — 


| 


Auguſt Beder. 


dunfelblond, das Antlit blaß, aber gleichjam 
mit durchſichtigem Braun untermalt. Nicht zu 
milhblütig, fondern wohl imjtande zu zürnen, 
wie es in der Edda heißt: 

Wild ward Freya und fauchte vor Wut, 

Die ganze Halle der Götter erbebte. 

Kurz, wenn du willft, eine germaniſche Pallas 
Promados.“ 

Dräſow hielt eine Weile vor Verwunderung 
im Benagen eines Rebhuhnflügels inne, drohte 
dann ſeinem Gegenüber ſcherzhaft mit dem 
Meſſer und fuhr in ſeiner Beſchäftigung wieder 
fort, indem er ſagte: 

„Me Hercle! Bei Ihnen ſitzt es tief. Die 
hohe Athena mit einem modernen Weibe ver— 
gleichen, dem weder Homer noch Pindar etwas 
iſt, wenn er nichts in die Küche liefert!! Allein ich 
weiß ſchon von unſeren Schulfreunden Odyſſeus 
und Aeneas her: auf Reiſen iſt man zum 
Schwärmen für Frauen leicht aufgelegt. Denk' 
an Schiller, der, auf der Flucht, zur Verzweif— 
lung des Begleiters eine gewöhnliche Kellnerin 
anſchmachtend, nicht zum Fortbringen war! 
ja,“ fuhr Dräſow mit dem Anſchein und dem 
Gebahren eines jtarfen Geiſtes zu wiſpern fort! 
„Das ewig Weibliche zieht uns nicht hinan, fon: 
dern herunter. Und wenn man mit Gänfen 
jprechen will, muß man zifhen. Und muß es 
fein, fo bleibe man nur mit Haut, Knochen und 
dem bißchen Bildung daheim. Ich ziehe den 
römischen Typus vor, willen Sie, — unterſetzt, 
Büfte, Naden, Flaumlippe!* 

„Sie wollen mid) wohl umbringen, wie 
Simfon die Philiſter!“ fuhr jetzt Herbig los. 

„Indem ich eſſend und plaudernd den Kinn: 
baden gegen Sie gebrauche? Nicht übel. Aber 
genug!” Und Dräſow legte Meſſer und Gabel 
weg und griff nad der ihm hingereichten Negalia, 
die er — ein wahrer Zündholzmörder — wohl 
ein dutzendmal anzündete, mitunter auch verfehrt 
in den Mund nahm. „sch bin jet bereit, die 
empfindfamfte Gejchichte anzuhören. Vor allem 
erzählen Sie mir, wie man bei folder Schwär— 
merei für die Meiber noch nicht unter den Pan— 
toffel geraten tft.“ 

Herbig winfte dem Kellner zum Abräumen. 
Bevor er antwortete, ſah er fich im gut venti: 
lierten Saale um, — aud) der Nebenfaal hatte 
fich gefüllt, zum Teil mit Damen. Dann hielt 
er feinem Gegenüber eigenhändig die brennende 
Gigarre zum Anzünden, was nur für den Augen: 
blid half, fette fich bequemer, indem er aus 


Eleonore. 


einer friichen Flafche einfchenkte, mit Dräfom | 


anftieß und nun zu der nachfolgenden Mit: 
teilung ſchritt. 


4. 

„Sie wiffen, oder wiſſen es vielleicht nicht, * 
begann Herbig, „ich ſtehe völlig allein im Leben. 
Vater und Mutter liegen längft hinterm heimi— 
ihen Oberrhein begraben, und ich felbjt ſitze 
droben im hohen Nordoſt als Privatdocent in 
der Stadt der reinen Vernunft, wie Sie hier, 


| 


lefe Länder: und Völferfunde mehr zu meinem | 


Vergnügen, als zu anderer Belehrung, — und 
mein Vermögen reicht gerade hin, ſolchen Luxus 
zu führen und — feine reiche rau nehmen zu 
müfjen. Dies zur Erklärung des Umſtandes, 
auf den Sie zuletzt Bezug genommen. So fa 
id mich nad) einer gebildeten um und die ge: 


bildete nach mir. Allein, ich ließ fte fiten oder 
— man weiß e8 nicht recht — fie mich, denn fie 


hat ſich im Frühjahr anderweitig qut verheiratet. 
Thränen flofjen nicht. Aber einfam, unbefreundet, 
ward ic ungejellig wie ein eingefangener Wolf. 
Und da ich für den Winter doch ſchwerlich ein 
Kolleg zujammenbringe, Sudan mir dod zu 
weit und heiß ijt, gehe ich nad) Rom, — Schupp 
in Halle will mit und erwartet mid. Von 
Königsberg aus fuhr ich zur See mit dem 





159 


vereint am Ufer wandelten. Nun lag vor mir — 
im Vordergrund — der helle, feinfandige, feite, 
belebte Badeftrand. — Eine Weile fah ich dem 
Treiben zu. Bald aber war id — der Fremde 
unter Fremden — des Anblids fatt und lang: 
weilte mich auch hier. Doch meines Schidjals 
Uhr ſchlug ihre Stunde. Eben wollte ich alfo, 
des Schauſpiels überdrüffig, mid) wieder hinweg 
wenden zur Rüdfahrt. Da entitieg ein Weib 
dem Meere...“ 

„Dem Badekarren wollen Sie jagen!“ warf 
Dräſow ein, dem die Regalia zum fünfzehnten 
Male ausgegangen war. 

„Müſſen Sie denn immer dreinfprechen!” 
braujte Herbig auf, doch minder rauh und ärger: 
lich al aus gut gelauntem Uebermut. „Sie 
thun befjer, Ihre Cigarre ordentlich anzuzünden 
oder eine andere zu nehmen. Ich jage: ein Weib 
ftieg heraus. Götter, welch' ein Weib! Die 
Herren riffen fhon von ferne die Hüte von den 
blanken Scheiteln, die Damen trippelten fnidjend 


‚ und fchnatternd hinzu; ein Heiner, dicker, glatt: 
köpfiger, reich gefleideter, ältlicher Herr fam mit 





Dampfer nad) Swinemünde, befuchte Herings: | 
dorf auf Uſedom, wo ich mic langmeilte, und 
dann aud mit befonderer Gelegenheit — Mis: | 


droy auf Wollin. —“ 

„Und da geſchah es.“ 

„sa, wohl geſchah es!” verfette Herbig 
feinem Gegenüber zunidend. „Um etwas mehr 


von der Inſel zu fehen, hatte ich mich in einer | 


tief einfhneidenden Bucht des Haffs — beim 


Teerofen — ausjegen laflen, durchwanderte 
den fhönen Wald und watete, ohne mich lange | 


im Dorf mit feiner fehenswürdigen Kirche auf: 
zuhalten, langjam vorwärts durch den heißen 
Dünenfand der Inſel. Mid ganz dem Zufall 
und zwedlojen Umherſchleudern überlafjend, ge: 


riet ic in die Dünen, die gegen den Nordwind | 
ihügen. Indem ih einem Hohlweg durch die 


Sandhügel folgte, jhlug ein Tofen — erit leife, 
dann immer vernehmlicher — an mein Ohr. 
Und nun lag es vor mir — das tiefblaue Meer. 


| 
| 
I 


einem Shawl herbei undftellte ſich auf die Zehen, 
um ihr denjelben um die Schultern zu legen, — 
und fie nahm es hin, ala fei der faubere Alte ihr 
Grom oder Gemahl. Ich aber ſtand unbeweglich, 
eine Salzfäule, ſtarrte nad) ihr wie verzaubert. 
Ob fie mic) überhaupt bemerkte! Sie war zu jehr 
umringt, und ic) mußte zufehen, mie fie inner: 
halb des Schwarms dahinſchwand, aus der Ferne 
nur noch an ihrem blauen Paraſol erkenntlich.“ 

„Und das war alles?” fragte Dräſow, unter: 
des fleißig dem Glafe zufprechend. 

„Das war für jet alles. Andere Leute 
gingen noch genug da auf und ab. Dennod) er: 
ſchien mir der Strand verödet, der Himmel um: 
wölft, der Meeresfpiegel gleihjam umgewendet, 
grau wie Quedjilber. Endlich wich ich jelbit von 
der Stelle, fuchte mit dem empfangenen Eindrud 
die Einfamfeit, verlor mid) immer weiter am 
Geſtade hin, wo es öde, wild wird, — rechts 


der teilen Düne häuferhoher Flugfand, links 





Hier glatt, dort gefräufelt, eine Welt voll Licht | 
und Glanz. Dann fuchte id Menfchen auf, dort, 
wo Männer und Frauen getrennt badeten und 


da3 weite, weite Meer. Ya, das Meer! feinen 
Anblid erjett fein anderer. Es lag jebt da 
wie im Sclafe, dabei tief atmend; und bei 
jedem Atemzug jhlug eine Welle an das Ufer 
und rollte jhäumend und braufend über den 
Sand zurüd. Und weit, weit, weit draußen 
ſchoß eine große Möwe mit fchrägen weißen 
Schwingen über die Flut. Ich ſah ihr lange 
nad), zuletzt nicht mehr allein. Hinter mir von 


160 


der öden Düne erſcholl ein Menfchenlaut, der 
mir ans Herz ging. Es riß mich herum. Und 
wen ſah ih? Wer ftand oben auf dem Strande 
des Dünengrates?“ 

„Sie!” ergänzte Dräſow, wieder ein Streid): 
holz erprobend. 

„Natürlich fie, das bedarf feines Kommen: 
tars, Dräfovius. Sie ftand oben, zuerft allein. 
Nun traten andere hinzu. Gleichzeitig jah ich 
das blaue Paraſol vom Rande fliegen und — 
es hatte fich inzwilchen ein Wind erhoben — 
die ſchroffe Sandwieſe herunter feewärts treiben. 
Im Nu fprang ich hinzu, wie ein Löwe auf 
feinen Raub. — Ich rettete das Paraſol und 
begann mit meiner Beute fofort die bewegliche 
Düne zu erflimmen. Sie war nicht allzuhoch, 
aber grundlos, verräterifch nachgiebig, leidlich 
loder. Dennod glaubte ich in meinem leiden: 
ihaftlihen Eifer alle Schwierigkeiten zu über: 
winden. Ich hob die Kniee, ich fletterte, ich 
ftieg, ich Homm, Fam aber dabei nicht mehr von 
der Stelle. Vergebliches Bemühen! Bis zur Er: 
ſchöpfung ftrengte ih mid) an, im Zickzack empor 
zu fommen. Ein mühjames Werk, Der Strand: 
hafer, an den ich mich hielt, ſchnitt mir in die 
Finger‘ oder gab nad; mit jedem Schritt im 
lojen Sande glitt id) zwei zurüd. Sie ſchütteln 
den Kopf? Berfuchen Sie's einmal. Mit fand: 
gefüllten Stiefeln und gefundenen Händen 
hätte ich vielleicht doch das Plateau erreicht, von 
welchem fich Die edle Geftalt noch immer herunter: 
bog. Aber ganz plöglich ſchoß etwas Rundes, 
Dides den loderen Hang herunter und hätte mich 
wohl mit in die Tiefe gerifjen, wenn ich nicht 
den Stiefelabjat vorgehalten, da es mir vor 
die Füße rollte. Jetzt richtete ſich der ſchwarze 
Knäuel vor meinen Augen aus dem Sande auf 
und entwidelte ſich als dasjelbe feifte Männchen 
mit dem blanfen Scheitel, das mir ſchon am Bade: 
jtrand aufgefallen war. Er bat um das blau: 
jeidene Paraſol. Was wollte ih machen; — id) 
gab es hin. Aber wie fam es hinauf? Indes 
brauchte ih nicht lange dafür zu forgen. Von 
einem erfinderijchen Kopfe, der alle vorrätigen 
Tücher zu einem Nettungstau verbunden, wurde 
unter dem lachenden Beiltand der übrigen das 
Parafol ſamt Männchen wieder emporgezogen. 
Noch ſah ich deſſen Beinchen in der Höhe ſtram— 
peln, jah die hohe Frau fich huldreich zu mir 


niederbeugen, hörte fie Eangvollen freundlichen | 


Dank jagen. Dann entihwand die Gefellichaft 
unter Lachen und Scherzen hinterm Dünen: 


Auguft Beier, 


rand, den zu erreichen ich mich vergeblich be- 
mühte.“ 

„Und warum zog das ewig Weibliche nicht 
auch Sie hinan?“ erkundigte ſich Dräſow, als 
Herbig eine Pauſe eintreten ließ. 

„Lernen Sie rauchen, ſtatt ſo unnütz zu 
fragen,“ bemerkte Herbig, mehr neckiſch als 
übellaunig, indem er einſchenkte. „Schon wieder 
ausgegangen? Nehmen Sie einmal diefe! — 
Und was meinen Sie denn? Ich war der Ge: 
jellichaft völlig fremd, die Düne fteil und ein 
Menſch ift feine Möwe, um ſich hinanzuſchwingen. 
Als ich auf einem Umweg dennoch oben anlangte, 
lag die Düne öd, ohne Spur jener Menschen, 
— vor mir in einiger Entfernung das Dorf 
mit feiner Kirche, hinter mir die bewegte See, 
und im Flugſand drüben tauchte ein Mann auf, 
der winkte und rief. Es war mein Fährmann, 
hohe Zeit zur Nüdfahrt. Wir fanden jenjeits 
des Waldes unjer Boot, fteuerten zwifchen nie: 
deren Binfenwiefen — dahinter Dörfer, Wind: 
mühlen — in die Swine hinein. Und ſchwer— 
mütig erwachte ich anderen Morgens im „Deut: 
ihen Haus“ zu Greifswalde, das ich nod am 
fpäten Abend mit dem lebten Zug von Smwine: 
münde aus erreicht hatte. Mit taufend Fäden 
30g es mid) nad Misdroy zurüd. * 

„Warum find Sie nicht dort geblieben?“ 

„Weil — wahrlich, Dräſow, Sie haben eine 
böfe Art zu fragen an fih. Das müſſen Sie 
fih abgewöhnen. Ich hatte in Rojtod zu thun, 
wollte Rügen noch beſuchen. Zurüdgefehrt 
ſchickte ich von Smwinemünde mein Gepäd vor: 
aus und fchiffte mich wieder nad) Misdroy ein. 
Auf der ganzen Tour — laffen Sie uns einmal 
anjtoßen und trinfen! — auf der ganzen Tour 
aljo hatte ich nur einen Gedanken: fie! nur eine 
Vorjtellung: fie! Ich hätte den Dcean durch— 
ichifft, fie nochmals zu ſehen: die hohe, eben: 
mäßig ſchöne Geftalt, das edle Dval des wie 
halbes Dämmerlicht myjteriös blafjen Antliges, 
— die mehr breite als hohe Stirne vom Haar 
ummogt und umjchattet, wie Nügens Kreidefels 
von Wald und Meer, — das Auge geheimnis: 
voll zwijchen Braue und Wimpern ruhend, wie 
im Waldesbunfel der Herthafee, die Miene ver: 
fchleiert, die Stimme tieffinnig und der Gang —“ 

„Lächelnd,“ warf Dräfom ein, da Herbig 
ſich beſann. 

„Bei der fünften Rippe Ihrer Großmutter!“ 
braufte diefer auf, „Mann, unterbrich mich nicht 
mit jo jchnöden Gloſſen!“ 


Eleonore. 


Diefer bejtand jebocd darauf, daß ein lächeln: 
der Gang zu einer tiefjinnigen Stimme gehöre 
und jchon dageweſen ſei. 

„Rein, unkundiger Thebaner,“ hielt Herbig 
entgegen, „ihr Gang glich jenem, den Homer ber 

"Hero und Athene zufchreibt, vem Scheuer Tauben.” 

„Sp, fo! Einen Taubentritt hatte fie. 
Schön. Aber weiter, wie ging es das zweite 
Mal in Misdroy?“ fragte Dräfom mit vorge: 
beugtem Haupt und der wieder auögegangenen 
Cigarre zwifchen den Lippen, in einer Haltung 
und dem Ausdrud fcheinbar erwartungsvolliter 
Spannung, während Herbig fortfuhr: 

„Ich juchte nad) ihrer Fußſpur im Sande, 
— vermweht. Ih frug ihr beiläufig nad im 
Gajthofe; man fonnte aus meiner Beſchreibung 
nicht flug werden. — Was niden Sie fo zu: 
ftimmend, Dräfom?! — d) erfundigte mid) 
vorfihtig am Strande nad) ihr, auch bei den 
Fildern, — man iſt ja Ethnograph. Und einer, 
der klügſte, jchien mic) zu verftehen und ſprach 
etwas von einer „Domänenrätin”, — die 
Damen fämen öfter auf den Kaffeeberg. Ich 
ftürzte mid) auf den Kaffeeberg, wartete und 
wartete, vergeblid. Jetzt hieß es, viele Gäſte 
jeien inzwifchen abgereift, unter anderen aud) 
— id hörte zufällig den Namen — Geheim: 
rat Betting. Wenn Sie meine Verehrung für 
den vortrefflihen alten Hern fennen, mögen 
Sie ſich vorftellen, wie leid es mir ſchon feinet: 
wegen that, nicht ſofort nach Misdroy gegangen 
oder da geblieben zu fein. Es ift der Mann, 
dem id) die freundlichſte Erinnerung bewahre. 
Nun ihm fo nahe gemwejen ohne Ahnung von 
dem liebenswürdigen Greife. “ 

„Greis!” wijperte Dräſow, die nicht bren— 
nende Regalia aus dem Munde nehmend. 
„Breis?! Schlägt aus, wie eine hohle Weide, 
der man den Kopf ftußt.“ 

„Bitte, rauhen Sie nicht immer falt und 
ſprechen Sie nit jo von einem Manne, der 
unfere höchſte Achtung verdient.“ 

„Die verfag’ ich ihm ja nicht. Aber diefer 
reis hat vor drei jahren wieder geheiratet, 
ſag' ich ihnen, — ein weibliches Weſen — —“ 

„Selbſtverſtändlich.“ 

„Ein Frauenzimmer,“ fuhr der andere fort, 
wieder eine Anzahl Streichhölzer vertilgend, 
„eine junge Dame...“ 

„Das ſpricht für die Empfindungen, die der 
vortrefflihe Mann noch einflößt. Gewiß ein 
ausgezeichnetes Weſen.“ 


——— ———— — — —— — — — — — — — — 


161 


„Man fagt es. Sie foll ihn vortrefflich 
halten. Es ift die Tochter eines an Gelehrſam— 
feit und Kindern reichgefegneten, an Glüds: 
gütern armen Schulmannes aus einer Land— 
ſtadt,“ berichtete Dräfom, indem er nunmehr 
nad) jedem Wort oder Satze mühfam, für den 
Zufhauer geradezu beflemmend, an feiner 
Cigarre 320g. „Hat ihren jüngeren Brüdern die 
griechischen — und lateinischen — Lektionen — 
überhört. An Freiern — mag's niht — gefehlt 
haben. Aber der Alte — pflegte — wie der 
Doktor Erythropel in der Vafteuper Heide — 
jeden zu eraminieren: „Haben Sie Sanskrit 
itudiert ? — Zend? — Aramäiſch? — Neues 
aus der Steinzeit oder über den Gletjcherichliff 
an unferen Fündlingen zu Tage gefördert? — 
Diatomeen unterjucht? — oder auf atrophyjfifa= 
(chem Wege Bemweife für Qungenatmer auf dem 
Monde beigebraht? — Niht?! — Und Sie 
wollen mein Schwiegerfohn werden? — Pflan: 
zen Sie Buchweizen, — züchten Sie Heid: 
ichnuden, — ſchaffen Sie Material für Mett: 
und Schladwürjte, — aber meine Tochter ſchlagen 
Sie ſich aus dem unentmwidelten Cerebralſyſtem!“ 
— Der Geheimrat befam fie.” 

„Sehr begreiflich,“ bemerkte Herbig. „Aber 
hat denn aud) dieje feinen Zug? Sie ftrengen 
ſich ja fürdhterlih an, Dräſow. — Schade 
übrigens, daß ic) den verehrten Mann hier 
nicht traf.“ 

„Sie fommen — aber auch — zu einer 
Zeit — wo niemand hier iſt.“ 

„Sind Sie niemand? — Werfen Sie doch 
einmal den Stumpf weg und fommen Sie zu 
Atem. — Auch Steuber traf ih, wiſſen Sie, 
der immer ausſah, als wäre Apollo jein Pate 
und hätte ihm feinen Konfirmationsrod geſchenkt. 
Er heiratet.“ 

„Sa,“ bemerkte Dräfow ruhig, „er hat fich 
ihon als Neferendar in Hannover mit einem 
Fräulein Pauline Brofholt verlobt.“ 

„So!! — Er heiratet jedoch Fräulein 
Patzky, wie es ſcheint, eine reihe Erbin. * 

„Alfo dennoch!” fprady Dräſomw ſichtlich un- 
angenehm berührt. „Abſcheulich. ch genoß eine 
Weile fein Vertrauen, mahnte ihn ernftlih an 
jeine Pflicht. Seitdem hat er mich allerdings 
vernachläſſigt. — Sprechen wir nicht weiter von 
ihm. — Sind Sie etwa hier auf der Spur 
Ihrer Unbekannten von Misdroy?“ 

Herbig jeufzte und erklärte aufrichtig, daß 
er gehofft Habe, bei Bettings einigen Aufſchluß 

21 


162 


über diefelbe zu erlangen, da fie jedem im Babe 
aufgefallen fein müſſe. 

„ber,“ fette er hinzu, „ich erlangte nichts 
als die Kunde von der Weiterreife der Herr: 
haften und diefe nelfenduftige Roſe.“ 

„So, daher ftammt der ſeltſame Geruch,“ 
bemerkte Dräſow. „Webrigens dachte ich mir 
fhon den ganzen Abend, warum du in deinem 
anonymen Schreiben diefer nelfenduftigen Roſe 
nicht alö Erfennungszeichen ermähnteft, da du 
doch von mir, um VBerwechfelungen vorzubeugen, 
ala Merkmal eine Papierrolle in der Rodtafche 
verlangteit. Cie jtedt noch im Ueberrod, — 
eine ungedrudte Abhandlung von mir über ‚die 
Mütter: und den Homunkulus im zweiten Teil 
des Kauft.” 

Herbig fah den anderen groß an. Defien 
Reden erſchienen ihm nachgerade unbegreiflid. 

„Was ſoll ich gethan haben?“ frug er be— 
troffen. „Gott bewahre mich! Ich habe dir 
weder geſchrieben noch ein Zeichen verlangt, — 
gar eine Papierrolle mit den Müttern und dem 
Homunkulus.“ 

„Keine Papierrolle?“ 

„Fällt mir gar nicht ein.” 

Statt aller Antwort langte Dräſow ein 
Billet aus der Brufttafche und hielt es dem 
Leugnenden hin. Nach einem Blid darauf fagte 
jedoch Herbig, das fei nicht feine Handſchrift. 

„Etwas verftellt,“ bemerkte Dräſow, „um 
mir eine Ueberraſchung zu bereiten.“ 

„Nichts wollte ich Ihnen bereiten. So hübſch 
und charaftervoll fchreibe ih nicht!” beteuerte 
Herbig. „Es ift nicht von mir.“ 

Beide waren fehr verwundert über den Um: 
ftand. Sie prüften die Schrift wiederholt und 
lafen den Inhalt: eine anonyme ernite Bitte in 
achtungsvollen Morten, zwiſchen acht und neun 
im Hotel — mit einer Papierrolle in der Rock— 
tafche als Erfennungszeihen — erfcheinen zu 
wollen. Am Schluß wurde zum voraus Danf 
für diefe Gefälligfeit und das Erfuchen auöge: 
Iproden, die Anonymität fürs erfte noch zu 
geitatten. 

Es war doch ſehr feltfam. Dräfom fonnte 
fi durhaus nicht denken, von wem fonft das 
Schreiben herrühre, obwohl ihm die Schrift nicht 
völlig unbefannt deuchte. Sie mußte ihm fchon 
irgendwo vorgefommen fein. Daß das Billet 
nicht von Herbig ftammte, fonnte er durch feine 
eigene Schrift leicht beweiſen. 

So fräftig die Züge des anonymen Schrei— 


Anguſt Beder. 


bens, war die Annahme einer Frauenhand nicht 
ausgeſchloſſen, und Herbig fcherzte nachgerade 
über römifhen Typus, Naden, Flaumlippe. 
Allein Dräſow, merklich verbüftert und nad): 
denklich, bat endlich jehr ernfthaft und in über: 
rafchend eindringlihem Tone, die Angelegenheit 
für jegt auf fich beruhen und den Gegenjtand 
fallen zu laſſen. Er brachte die Nede auf Her: 
bigs zweiten Befuh in Misdroy zurüd und 
fragte nad) dem weiteren Ergebnis besfelben. 

Herbig, noch immer mit dem Drange fi 
auszufprechen über das, was fein Gefühlsleben 
am tiefiten berührte, überlegte, wo er anfnüpfen 
folle. Indem er einfchentte, mit Dräſow anſtieß 
und trank, legte er fi) rauchend auf die Lehne 
zurüd. 

„Richtig!“ begann er dann die Fortſetzung 
jeiner Mitteilungen. „ch vermochte alfo in 
Misdroy nicht zur Gewißheit zu gelangen, ob 
fie noch da, ob fie abgereiſt ſei. Um ficher zu 
gehen befuchte ich beide Gafthöfe, ohne etwas 
zu erfahren. Ich ließ mir zulegt ein Glas Grog 
und die Fremdenliſte geben. Ich blätterte in 
legterer herum, bei jedem Frauennamen er: 
mwägend, ob Stand und Herkunft zu der Er- 
iheinung pafje. Alfo: Frau Schiewe, Kanzlei: 
direktorswitwe aus Poſen — nichts; Fräulein 
Hilda Sandel, Schulratätochter aus Breslau — 
nichts; Frau Schurf, Kohlenhändler — — 
nichts; Frau von Krewig, geb. Schlewitz, auf 
Plewitz bei Drewig — aud nichts; Fräulein 
Linda — — Hier veranlafte mic) jedod ein 
lautes, einem Pofaunenftoß ähnliches Geräuſch, 
aufzubliden. Ich war nicht mehr allein im Lokal. 
An einem anderen Tifch hatte ein kleiner, dider, 
behäbiger, rotwangiger, feingefleideter Glatzkopf 
Plat genommen, der eben im Begriff war, fein 
Taſchentuch einzufteden. Der 9 7 it 
dem Kellner über eine Luſtpartie, an der teı 
zunehmen er verhindert geweſen; der ‚Jordan: * 
fee wurde genannt. Seine Erkundigungen 
waren fo genau und ausführlih, daß denfelben 
mehr als bloße Neugierde zu Grunde zu liegen 
fhien. In feinem Benehmen hatte er etwas 
Geſetztes und befonders in der Art, wie er das 
Tafchentuch benüßte. Es ift unbefannt, wie er 
es anftellte, aber es ift Thatſache, daß feine 
Nafe dabei wie eine Trompete dröhnte. Dieſe dem 
Anſchein nah ganz unfhuldige Eigenihaft er- 
warb ihm indefjen die Hochachtung des Kellnerz, 
fo daß der jedesmal, wenn ihm jener eigentüm= 
lihe Ton zu Ohren fam, den Kopf fchüttelte, 






Eleonore, 


fih verneigte und fragte: Was befehlen 
Sie?“ 

Hier benüste Dräſow eine Heine Pauſe, um 
zu fragen, ob der Heine Herr identifch mit jenem 
Kollegienrat Schitſchikoff eines ruffiihen Ro: 
manes fei. Herbig verneinte, indem er fortfuhr: 

„Gogols Schilderung feines Helden wandte 
ich nur, weil pafjend, beiläufig und teilweije 
auf mein Alterhen an, in welchem ich übrigens 
bereits das Männchen vom Strande und von der 
Düne erfannt hatte.“ 

„Soldhe Exemplare,” wandte Dräſow ein, 
„nd nicht allzu felten und finden ſich allent: 
halben. Auch im Nebenjaal fit eines. Doch, 
erzählen Sie weiter.” 

„Ohne mehr bei der Sache zu fein,“ fo be: 
richtete Herbig, „blätterte ich alfo in der rem: 
denlifte; allein, jo war nichts herauszubringen. 
Aufſchluß, und zwar genauen Aufſchluß, fonnte 
mir eben nur ber kleine Herr mit dem gejetten 
Weſen geben. Aber meine Scheu, ihn darum 
zu erfuchen, war unüberwindlih. Mechaniſch las 
ich alſo weiter, ihn dabei jtets im Auge behal: 
tend : Fräulein Linda Strumpf — nichts; Frau 
Hempel, Fräulein Stempel — nichts — nichts 
— alles nichts. Aber hier: Frau Theodora 
von Frey, hier! — Domänenratsgattin! — — 
Kellner! rief id aus vollem Halje, ärgerte mich 
jedoh, da der gefette kleine Herr fih etwas 
erftaunt nad) dem Schreier umblidte. Wenn er 
der Domänenrat felbjt wäre! — Alſo nur 
flüfternd erfundigte ih mid: Nicht wahr, Kell: 
ner, es ift eine kleine unanfehnlide Frau, die 
Domänenrätin?! — Förmlich bejtürzt ſah mich 
der Burſche an. — Alfo groß? — J ja, fehr!‘ 
— Eie iſt e3, jubelte es in mir. — Noch hier? 
— ‚Will gleich nachfragen!‘ Und damit wandte 
er fich zu meiner Beftürzung gerade an den ält: 
lichen Herrn. Der drehte nochmals langſam den 
Kopf nad) mir und quäfte: ‚Wenn Sie die große 
Dame meinen mit dem blaufeidenen — — Zu 
dienen ! fiel ich haftig ein. Eben die mit dem 
blaufeidenen! — ‚Die ift vor fünf Minuten hier 
vorüber nach dem Badeltrande hHinausgegangen !* 
— Verbindlichſten Dank! — Anfcheinend ruhig 
tranf ich meinen Grog aus, zahlte, verabſchiedete 
mich, lief aber, einmal aus dem Gejichtäfreis, 
wie ein Winbhund nad) dem Strande zurüd, wo 
nad) wie vor die Meereswellen in filberweißen 
Schaumlinien brandeten, fonnte jedoch die fchöne 
Frau nirgends vor den Badepläßen entdeden. 
— Können Sie mir nicht jagen, wandte ich mid) 


163 


an den nächiten beiten, wo die Frau Domänen: 
rätin von Frey — — — ‚Hier,‘ fiel mir der 
Mann ins Wort, ‚hier!‘ und wies lädhelnd mit 
einer disfreten Handbemwegung auf einen vor: 
überwandelnden Turm. Ich fage Ihnen, fieben 
oder acht Fuß maß diefe Domänenrätin, die in 
einem blaujeidenen Kleide da ihren Spaziergang 
madte. Sie hätte fih auf einem Jahrmarkt 
ſehen laſſen können. Aber feine Spur von einer 
Hehnlichkeit! — Nun mögen Sie fi denken, 
wie begofjen ich daftand, dann von hinnen ging, 
die nächſte Gelegenheit zur Rüdfahrt ergriff. 
Ich wollte dem Glatzkopf nicht wieder vor die 
Augen kommen. Zu meiner Beihämung gejellte 
fi die Ueberzeugung, daß er mic) geflifjentlich 
auf falicher Fährte lieh, indes er jelbit die 
Rüdkunft der jhönen Frau von dem Ausflug 
erwartete. Und jo ließ ich fie zurüd, fam mit 
ungeftillter Sehnjucht hierher. Meine Nom: 
fahrt iſt mir verleidet. Ich fühle nur zu tief, 
dab all mein Lebensglüd von diefem Weibe 
abhängt.“ 

„Das iſt Schwärmerei!” bemerkte Dräfom, 
als Herbig ſchwieg, mit unverfennbarem Ernit. 
Seine Stimmung war mit der Entdedung, daß 
jener nicht der Abfender des empfangenen Bil: 
lets, völlig umgefchlagen. „Seien Sie froh,” 
fuhr er fort, „daß nicht jedem Wunſch Erfüllung 
wird. Beſcheiden Sie fich mit Ihrem Los, das 
Taufenden als das große erſchiene. Gerade 
das am heißeſten erſehnte Glüd ijt,fo oft die 
Quelle bitterjten Leids, qualvolliter Neue.“ 

Höchlichit eritaunt jah ihn Herbig an. 

„Sind Sie des Teufels, Sie flaumlippiger 
Sittenprediger! Sie fallen ja ganz ins Triviale, 
wie ein fchnapsdufeliger Macbeth im vierten 
Akt. Und bei folhem Wein! Trinken Sie ein: 
mal aus, Sie Streihholztiger!” jagte Herbig 
und hätte zweifelsohne in dieſer jofos poltern: 
den Weife noch fortgefahren, wenn nicht während 
der Trinfpaufe jener mehrfad erwähnte Nafen: 
ton jo kräftig aus dem Nebenfaal erihollen wäre, 
daf beide aufmerkfam wurden. 

„Sum Donner auch, ich glaube, er iſt's!“ 
rief Herbig herumfahrend. 

„Ich jagt’ es ja,“ ergänzte Dräſow ruhiger, 
„e3 fie einer drinnen. * 

„Kellner!" Der Schwärzliche Tief herbei. 
„Was ift der alte Herr, der fo viel Talent 
zum Stabstrompeter zeigt? Noch nicht einge: 
ſchrieben?“ 

„Doch, Herr Doltor,“ verſetzte der Herbei— 


164 Auguſt Beder. 


gewunfene. „Rentier Venulo aus Amfterdam. 
Die Dame figt bei ihm.“ 

„Welche Dame?“ erfundigte ſich Herbig leb- 
haft, und fein Geficht ward blaß und dann blutrot. 

„Die Sie im Foyer ald Kandelaber anfahen, 
Herr Doktor,” äußerte der Kellner im Hin— 
wegeilen. 

Herbig ſchien damit wieder mehr ernüchtert. 

„Es ift jeltfam, lieber Dräſovius,“ wandte 
er ji an feinen Gaft, „ich jah am Abend nad) 
meiner Ankunft hier in jeder Dame nur einen 
Kandelaber, fo erfüllt war ih von der einen. 
Wenn fie's wäre! Diefes holländischen Rentiers 
Gattin oder Braut?! Ich muß dahinter kom— 
men. Soll ih hinein?“ fragte er, mit dem 
Kopfe nad) dem Nebenfaal winkend. Doc fam 
er davon raſch ab zu einem anderen Entichluß. 
„Herr Oberfellner! Haben Sie die Gemogen: 
heit: die beiden, der kleine Herr mit der Glate 
hier innen und die Dame ftehen demnach in in: 
timen Beziehungen ?“ 

„Bezweifle,“ war die gelafjene Antwort, 
die mit einer anmutigen Bewegung des Blond: 
fopfes verbunden war. „Die Belanntichaft iſt 
feine vertraute.“ 

„Uber fie kamen doch mit dem Stettiner 
Zug?“ 

„Mit der Lehrter Bahn. Der holländifche 
Herr äußerte zu mir jelbjt, er habe die Dame 
nur flüchtig auf der Reife, an den Haltftationen 
gejehen und kennen gelernt. Sie ift fehr ein: 
filbig gegen Mynheer, gibt nur furze Antworten, 
fcheint etwas übellaunig und zerftreut, fieht 
manchmal gejpannt nach dem Eingang, als er: 
warte fie jemand, kurz — — ich glaube übri- 
gens, die Dame will ſich zurüdziehen. Ent: 
ſchuldigen Sie, meine Herren!” 

Und der Herr Oberfellner begab ſich in den 
Nebenjaal. In der That wurden dort Stühle 
gerückt. Man ſchied da drinnen — ziemlich 
fremd, unter förmlihen Verbeugungen. Und 
nun fam fie — für einige Augenblide fichtbar 
— vorüber, warf einen fcheu forjchenden, faft 
finfteren Blick umher, jtußte beim Anblid Her: 
bigs zwar nur merklich, erwiderte aber deſſen 
Verbeugung mit einem furzen, fremden, ftolzen 
Niden und jhritt dann raſch durch das Foyer 
nad) der Stelle, wo ein Stubenmäbchen ihrer 
harrte, um fie auf ihr Zimmer zu geleiten. 

Herbig jah jehr betroffen drein, während 
Dräſow ihr ſchweigend, nicht ohne eine gewiſſe 
Bewunderung nadhblidte. 


— — — — — — — — — —ñ— eú — — — — 





„Iſt ſie's?“ fragte er leiſe. 

„Wer?“ 

„Vom Oſtſeeſtrand? Eine ſehr anziehende 
Erſcheinung. Schlank, nicht zu groß, ſchwarz— 
lockig. So denke ich mir den ſabiniſchen Typus.“ 

Herbig verneinte. 

„Es iſt das Mädchen aus der Fremde,“ 
erklärte er, „dem ich heute abend nochmals 
unter ſehr eigentümlichen Umſtänden begegnet 
bin.“ Und nun teilte er das Nähere mit. 

Aufmerkſam hörte Dräſow zu, von dem 
Vernommenen anſcheinend tief erſchüttert. 

„Wenn ſie es wäre,“ ſagte er, „Pauline 
Brokholt, Steubers verlaſſene Braut! Und 
dieſes anziehende, geſcheite Weſen — ich habe 
einmal einen Brief von ihr geleſen — konnte 
er verlaſſen!“ 

Eine längere Pauſe trat ein. Auch nachher 
blieb das Geſpräch einſilbig, ſtockte nicht ſelten 
ganz. Zum Trinken ſchienen beide nicht mehr 
aufgelegt. 

„Sie ſind müde, Freund. Flüſtern wir 
nicht weiter zuſammen,“ meinte Herbig, „ſonſt 
könnte die Welt noch auf den Verdacht kommen, 
wir ſeien in einem Komplott gegen ſie. Komm 
morgen wieder, Freund, bitte — begleite mich 
zum Bahnhof. Jetzt aber halt' ich dich nicht 
länger auf und ſchreite zu weiteren Thaten.“ 

„Was haſt du noch Großes vor?“ 

„sch werde noch eine Cigarre rauchen und 
dann zu Bett gehen.“ 

So ſchieden fie für die Naht. — 

„Es iſt ein vortrefflicher Menſch, ein ganz 
— vortreffliher — Menſch,“ fagte Dräſow auf 
dem Heimmeg zu ſich jelbit. „Allein — er liebt 
rauhe Ausdrüde!” Der Streihholztiger lag ihm 
noch in den Ohren. Und nun überließ er fi 
ſtets ſchwermütigeren Erwägungen. — 

„Welch ein Wrad von einem Mann!“ fprad) 
Herbig, in feinem Zimmer auf: und nieder: 
jchreitend. Dann horchte er, ob fich nichts in 
der Nebenjtube rege. 

Es war alles ftill. 


5. 


Spät erjt erwachte Bruno Herbig andern 
Morgens aus einem verworrenen Traum. Er 
fonnte ſich des einzelnen nicht mehr entfinnen. 
Nur foviel war ihm erinnerlich, daß ihn die See: 
flut wie ein brüllendes Ungeheuer den Flugjand 


fs 


Eleonore, 


der Düne hinan verfolgte, wo er fih an einem 
Rofenitraud hielt, deſſen Dornen feine Hände 
zerfleifchten. Aus jeder Roſe jah ihn ein befann- 
tes Frauenantlitz an, ſchwarzäugig, braunäugig, 
blauäugig, ftrahläugig — und die ſchönſte brach 
unter feiner Hand vom Zweige, und während 
fie über den Abhang rollte, ſtürzte er ſelbſt tief, 
tief, immer tiefer in die See, die zum Sandmeer 
ward. Alles Mühen, dasjelbe zu durchwaten 
und wieder zu der Nofe zu gelangen, die mit 
eigentümlihem Nelfenduft die ganze Sahara 
erfüllte, war umfonjt. Keuchend, lechzend ſank 
er immer tiefer ein, und der Müftenfand wehte 
und legte ſich über ihn hin. 

Matt und immer nocd feuhend lag er jeht 
da mit offenen Augen. Seine erfte Wahrneh: 
mung bildeten die golbbraunen Tapeten des 
Zimmers, die zweite ein Geräufch Hinter der 
Wand im Nebenzimmer — leife Tritte, Deffnen 
und Schließen von Koffern und Schränfen. Ein 
Gemiſch von Rojen: und Neltengerud durch— 
duftete die Stubenluft. Noch eine Weile lag er 
ftill, bis er den Kopf hebend zu vollem Bewußt— 
jein fam. Die in den Teppich vor feinem Bette 
geftidte Roſe fonnte doch die Täufhung nicht 
hervorbringen! Er fah nochmals hin, — er 
redte die Hand aus und hob eine wirkliche, welfe 
Nofe auf. Ihre Hauptfarbe war ein — wie mit 
Goldſtaub bejtreutes — dunkles Braunrot, das 
nad) außen hin in eine bläulich⸗ weiße Schattierung 
überging, der Rand tiefafchgrau. Nun erinnerte 
er ſich, daß er eben erft, noch halb im Schlaf, 
die jeltene Roje auf dem Marmortiſchchen neben 
dem Bette liegen gejehen und danad) gegriffen, 
aljo wahrſcheinlich ſelbſt fallen gelaffen Hatte, 
um im Nu, im Moment des Erwachens, noch 
ein ganzes Schidjal zu durchträumen. 

Die Rofe fiel in feiner Hand auseinander, 
die einzelnen Blätter flogen vor dem Hauch 
feines Mundes zum Teil wieder auf die Diele. 
Er jtand auf, fammelte fie forgfältig und legte, 
halb angefleidvet, die zarten Blumenteile in 
ein leeres Schächtelchen, das er in einem Koffer 
barg. Warum er es that? Er wußte ſich jelbit 
faum Rechenſchaft darüber abzulegen, wenn nicht 
zur Erinnerung an einen hochverehrten Mann 
— es fiel ihm jeßt ein, — deſſen Hausgärtchen 
er die Hofe entnommen hatte. 

Nachdem er ſich völlig angefleidet, ben Kaffee 
auf feinem Zimmer getrunfen, die Koffer ge: 
ſchloſſen und alle Vorbereitungen zur Abreife 
getroffen hatte, machte er, obwohl ihm Zeit ge— 


165 


nug blieb, feinen weiteren Verfuch, noch andere 
Belannte aus der gelehrten Welt zu treffen, 
fondern ließ in gewohnter Weiſe das Gepäd 
zum Bahnhof befördern und nad) Halle aufgeben, 
um forglos reifen zu können. 

Gegen Mittag, als eben die Sonne etwas 
hervortrat — der Himmel war heute bewölkt 
und der Wind ging — kam der Eleine Kurzjad 
gelaufen mit der Meldung, daß der Herr von 
gejtern abend mit der grünlichen Brille — Herr 
Doktor Dräfom — unten warte. Erfreut, nod) 
einige Stunden verplaubern zu können, eilte 
Herbig hinunter. Es war ja dod) eine treue, an: 
hängliche Seele und ein zuverläffiger Menſch, 
diefer Dräſow! Der Empfang war herzlicher 
als geftern. Herbig beftellte noch ein Frühjtüd. 
Eine Menge Erinnerungen, die abends nicht zur 
Spradje gefommen waren, wurden aufgefrijcht, 
eine Reihe wifjenjchaftlicher Streitfragen erör: 
tert, wobei fih Dräjom dem Freunde als ein 
überrafchend jcharffinniger und denfender Kopf 
zeigte. Ganz in die Freudigfeit des Gedanfen- 
austaufchs verloren, wandelten die Freunde jetzt 
lebhaft plaudernd im Foyer auf und nieder, 
Herbig mit ftolz und hochgeredtem Haupt, der 
andere mit dem Kopf zwifchen den Schultern 
und auf die Bruft vorgefunfen — das Bild 
eines deutſchen Stubengelehrten. 

Eben waren fie bei einem bejonders inter: 
efjanten Thema angelangt, als eine der fremden 
Damen, welde im Hotel wohnten, hinter der 
Glaswand die Treppe herunter fam, indem fie 
noch die feinen ſchwediſchen Handſchuhe feiter 
zwiſchen die zarten Finger drüdte. Eine hübſche 
fchlanfe Figur, leider verjchleiert — das etwas 
windige Wetter rechtfertigte dies, — dagegen 
hell gekleidet. Die Gejtalt erinnerte an das 
Mädchen aus der Fremde, aud die Haltung. 
Bei aller gemefjenen Bewegung erfchien ihr 
Gang entſchloſſen, als fie vorüberfommend die 
Verbeugung der beiden ruhig erwiderte und 
dann draußen bei dem grauföpfigen Portier 
ftehen blieb, den fie dem Anfchein nad) bat, 
ihr eine Droſchke herbei zu winfen. 

Während fie noch an der Stelle verweilte, 
trat der kleine Kellnerjunge mit der kurzen Jade 
zu den beiden Herren im Foyer mit einem 
fauberen, fait zierlihen Paket heran und fagte, 
er jet beauftragt, dasfelbe an Herrn Dr. Gott: 
hold Daniel Dräſow, Privatdocenten an der 
Univerfität abzugeben. 

„Das wäre nun allerdings id,” ſagte der 


166 


Gebeugte mit der Brille, indem er das Papier: 
pädchen hinnahm und in der Hand wog, worauf 
er nad) der Adreſſe ſah. Es war genau und 
richtig die feinige ; es gab feinen andern Privat: 
docenten dieſes Namens in der großen Stadt, 
und zum Ueberfluß war noch Straße, Stadtteil 
und Hausnummer feiner Wohnung angegeben. 
Dräſow hielt die Adrefje dicht vor feine Brille 
und machte dabei ein jehr verblüfftes Gefict. 
Was ihn zumeift in Verwirrung fehte, war der 
Umftand, daß das Pädchen mit denfelben klaren 
charaftervollen Schriftzügen beichrieben war, wie 
das anonyme Billet, welches ihn abends in das 
Hotel beſchieden hatte. 

Unterdes war draußen die Drofchfe vorge: 
fahren. Denn die junge Dame grüfte nochmals 
mit einem ftummen Abjchied herüber, nidte dem 
Kellnerjungen zu, als ob fie befondere Urjache 
habe, mit demfelben zufrieden zu fein, und ließ 
fi dann von dem grauföpfigen Portier über den 
Tritt und durch den geöffneten Schlag helfen. 
Bon einem Feniter des Foyers aus fonnte Herbig 
noch bemerfen, wie fie dem Alten die Hand 
drüdte und der mit einer tiefen Verbeugung 
danfend und ſchmunzelnd ſich zurüdzog. Ein 
Peitſchenhieb, und die Drojchfe war davon, be: 
vor fi Dräfow von feiner Ueberrafhung erholt 
hatte. Noch immer wog er das Palet in der 
Hand. Und ehe er fich entjchliegen fonnte, das 
Siegel zu erbrechen — es zeigte eine von einem 
Pfeildurdhbohrte Taube, — fragte er den Fleinen 
Kurzjad, wer ihn mit der Ueberreihung des 
Pädchens beauftragt habe. 

„Die junge Dame, die foeben abgefahren, * 
war die Antwort. 

„Sich', ſieh'!“ Tachte Herbig auf. „Du bift 
denn doch nachgerade der Knopf auf Yortunas 
Mütze, machſt aber ein Gefiht, als fei dir ein 
Donnerfeil in die Tafche gefahren.” 

„Was mag es fein?" fragte Dräſow, und 
das Paket zitterte in feiner Hand. 

„Was e3 fein wird? Lieber Nefthetifer, und 
du fragit noch. Ein Bändchen Lyrik, über welches 
man dein Urteil verlangt, — ein Manuffript 
von Liebesfeufzern und Elegieen, über welche du 
dein Gutachten abgeben follit. Brich einmal das 
Siegel entzwei und ſieh'!“ 

Mit bebender Hand befolgte Dräfom den 
Nat. Es ergab ſich jedoch nichts, ala ein weite: 
res verfiegeltes Couvert mit feiner Adrefje und 
eine Heine goldgeränderte Karte, die die Worte 
enthielt: 


\ 





Auguſt Beder, 


„Die Abfenderin erwartet von Herrn Dr. 
Dräſow Diskretion, daß er die weiteren Siegel 
nicht vor abends ſechs Uhr öffne.“ — 

„Geheimnisvoll !” bemerkte Herbig, nachdem 
er ebenfalls die Worte gelejen hatte. 

Eine Unterfhrift hatte diefe Bitte nicht, 
allein es war diefelbe Hand. Uebrigens fühlte 
fih der Inhalt des Pakets in der That wie ein 
Heft von Gedichten an. Es fonnte jedod auch 
etwas anderes fein. Halt! Da auf dem inneren 
Siegel fteht etwas faum merflih: Streben und 
Sterben! Aber Aufihluß gab es nicht. 

„Hör’ einmal, Dräfovius,* begann Herbig, 
indem er ihm das Paket wieder zurüdgab. „Es 
ift nicht möglich, daß dir hiermit ein fibyllinifches 
Buch übergeben ift, das all deine Lyrik über den 
Haufen wirft; daß du, während ich vergeblich 
danach tradhte, bei aller trodenen Nüchternheit 
und ungeſucht in einen Roman verwidelt wirft. 
Gar launenhaft wirft das Schidjal feine Loſe, 
meine Teilnahme iſt gewedt, abends ſechs bin 
ich ſchon in Halle. Löfe die Siegel.” 

„Das werde ih unterlajjen,“ ermiberte 
Dräſow bejtimmt. „Die Abjenderin fol nicht 
umjonjt meiner Diskretion vertrauen.“ 

„So wollen wir mindeftens hören, wer dieje 
ſchlanke Parze oder Cumäiſche Sibylle war.“ 
Und Herbig winfte dem Oberfellner, der eben 
mit dem Bortier ſprach. Jener trat heran, dieſer 
hielt ji mehr im Hintergrunde. „Wer war die 
Dame? Ich meine die junge entjchloffene im 
hellen Kleide, die eben abfuhr? Cine Eng: 
länderin ?“ 

„Eine Deutſche. Kannten Sie fie nicht mehr, 
Herr Doktor?” ‘ 

„sh Habe eine beitimmte Vermutung. 
Alfo?* 

„Diefelbe,“ berichtete der Oberfellner, die 
geftern mit dem ältlichen holländifchen Herrn 
gleichzeitig anlangte, und die Sie dann für einen 
Kandelaber hielten.” Der Oberfellner fügte 
nod) die Bemerkung hinzu, daß fie die Note des 
Hotels, weldhe jeden Morgen übergeben zu wer: 
den pflegt, fofort berichtigt; für die Bedienung 
noch etwas Beträchtlihes zugelegt habe, bevor 
fie wegfuhr. Und Oberfellner und Portier zeig: 
ten dabei jehr hochachtungsvolle Mienen, während 
Herbig, in feiner Mutmaßung beitärkt, weiter 
fragte: 

„So kehrt fie nicht mehr zurück?“ 

„Doch, doch. Ihre Koffer ftehen noch in 


ihrem Quartier.“ 


Eleonore. 


„Wohin fuhr fie?” 

„Zur Michaelstirche, befahl fie dem Droſch— 
fenführer,“ antwortete der Portier aus dem 
Hintergrunde. 

„Und — mie heißt ſie?“ 

„Sie wollte ſich erſt einfchreiben, wenn fie 
zurückkomme.“ — 

„Alles jehr geheimnisvoll,“ äußerte Herbig 
zu Dräſow gewandt. „Zweifelsohne ift jedoch 
die Karyatide, für welche id) Verblendeter fie 
zuerft anjah, mit dem Kandelaber am Luifen: 
ufer identiih. Ob deine Vorausfegung über 

"ihre Perſon richtig, laß ich dahin geitellt, bis 
fih dir abends ſechs das Nätfel mit dem Siegel 
löft, wenn du es bis dahin aushältit.“ 

„Gewiß,“ beteuerte Dräſow, indem er jet 
das Paket in’der Brufttafche feines Nodes barg. 

Ich hätte gute Luft, noch zu warten, wel: 
hen Ausgang dies Abenteuer nimmt,“ fuhr 
dann Herbig fort. „Da ich jedoch feinen Teil 
daran habe, die Pflicht ruft, Wunſch und Sehn: 
fucht ſchweigen muß, brechen wir allmählich auf. 
Meine Rechnung, Herr Ober — — halt! Da 
fällt mir ein, wo ic) die weinende Karyatide ge: 
fehen, deren Anblid mich damals jo erjchütterte. 
Es ift ein Bildwerf Quellins im Rathaus zu 
Amfterdam. Wo ift Mynheer mit der Glatze 
hingefommen ?“ 

„Bereits auögegangen, Herr Doktor.” 

„Nun, der Holländer fümmert mich weiter 
nicht. Bitte alfo, meine Nechnung, Herr Ober: 
kellner!“ 

Wie bewegte See 

Wallt des Buſens Schnee, 
Und ein Angeſicht 

Winkt wie Dämmerlicht! — 


Dies vor ſich hinſummend, hatte Herbig ein— 
mal das Foyer der Breite nach durchſchritten 
und kehrte ſich dann plötzlich zu Dräſow. 

„Wo ich am liebſten wäre, brauche ich dir 
nicht zu erklären,“ begann er. „Doch darf ich 
nicht länger ſäumen. Mein Reiſegefährte in 
Halle erwartet mich bejtimmt heute nod. — 
Morgen geht eö weiter nad Süden. Sieh’ 
mein Los, lieber Freund, der du Fortuna für 
deine Stiefmutter hältſt. Es ift doppelt traurig, 
nicht dahin zu dürfen, wohin das Herz neigt, 
fondern in entgegengefegter Richtung weiter zu 
müſſen, zumal auf fo langweiliger Fahrt, die 
feinen Anblid, als märkiſche Kiefernheide, feine 
Abenteuer bietet, als ſolche, die gegebenenfalls 
mit einem Genidbruch verbunden find,“ 


167 


„Du fliegft darüber weg,” bemerkte Dräſow 
halb abmwejend. 

„Stundenlang auf einen Sit geheftet, 
zwifchen dufeligen Schnarchern eingepferdt, 
nennt du fliegen?! Sonst,“ fuhr Herbig fort, 
„mit dem Hauderer war's anders, die Zange: 
weile machte es intereflant, wenn einen ein Ad}: 
ſenbruch zwifchen Jüterbogk und Treuenbriegen 
in eine fliegenbelebte Dorfſchenke warf, wie es 
dem Mündhaufen Immermanns wiberfuhr. 
Dort auf dem Sandplateau des Flemming, wo 
der Dorfichulg jedem fein Quantum Wafjer vor: 
wiegt, halte ich einmal im Schatten märfifcher 
Binien bei Dünnbier von Zahna poetifche Som: 
merfrifche, wenn ich's erlebe. Ich liebe Einfalt 
der Natur und unauägetretene Pfade. * 

Dräſow wies auf die Schladhtfelder von 
Großbeeren und Dennewig an der Bahnlinie 
hin, auf die Höhen von Blanfenjee mit der 
Kapellenruine rechts von Trebbin, auf Jüter— 
bogf, deſſen Schmied, Tetzels Ablaßkaſten, die 
Schloßkirche von Wittenberg, die dem Romfahrer 
eine Mahnung mitgebe, — auch möge fich der: 
jelbe zmifchen Elbe und Mulde des frommen 
Eängers von ‚Befehl du deine Wege‘ erinnern. 
Herbig beteuerte jedoch, ſich an gar nichts er: 
innern zu wollen, al3 bei der „Warze“ des Mil: 
denfteins, daß der Sand hinter ihm liege und 
die Erde wieder Knochen zeige — an der Saale 
hellem Strande. Einmal in Halle, fügte er 
hinzu, fei ihm durch die märfifchen Steppen der 
Nüdzug abgefhnitten. Sei e8 denn!“ 

Nun ward die Redhnung berichtigt, und 
Dräſow fuhr mit zum Bahnhof. Zum legten: 
mal reichten fich beide die Hände, und der Zu— 
rüdgebliebene fah noch eine Weile dem Zuge 
nad. — — 
Abends, zur Zeit des Sonnenuntergang, 
ftand auf dem Perron des Bahnhofs in Halle 
ein unterfegter Herr mit dunklem energijchem 
Gefiht, martialiihem ſchwarzem Schnurrbart 
und einer behaarten Warze neben der Naje. Als 
der Zug hereinfuhr, eilte er mit mächtigem 
Schritt zum biedern Willfomm eines der Aus: 
fteigenben. 

„Schön, daß Sie jelbft fommen, lieber Her: 
big,“ ſprach er mit dröhnendem Baß. „Sonft 
hätte ich Ihnen fchreiben müflen. Meine Schwie: 
germutter ift geitern angefommen zu dem längjt 
in Ausficht geitellten Beſuch. Sie bleibt jedoch 
nur auf acht Tage.“ 

„Aber, lieber Schupp, was geht dasmich an?“ 


168 


„sa, Sie begreifen, daß ich fo lange nicht 
wegfann, — fie würde es übelnehmen, und ich 
habe Gründe, — kurz, vor acht Tagen wird 
aus unferer Nomfahrt nichts, denn, mie die 
Dinge liegen, dürfen Sie nicht fort ohne mich.“ 

Herbig war erblaft. „So wollt’ ih, daß 
ein Donnerwetter —“ 

„Wie?“ 

„Mich an die Dftfee zurüdichlüge!” 

„Was thun Sie an der Oſtſee, Herbig? 
Alles ehrt von da heim, fagte mir unfer alter 
Geheimrat Betting — Sie fennen ihn ja — da 
er mit feinem Weibchen bier durch fam, ich 
glaube an den Rhein. Sie wifjen doch, daß er 
wieder gcheiratet hat.” 

„sh weiß, ich weiß, weiß alles, — daß er 
glüdlich ift — alles weiß ih. Aber was nun 
anfangen, was hier thun?!“ 

„Sie können die Halloren auf ihren Ur— 
ſprung unterfuchen,* ließ fich der biedere Baß 
des Freundes vernehmen, indes man dem 
Droſchkenplatz fich näherte, „— nad) den Denf: 
fteinen des Drufus an der Elbe forſchen — 
vielmehr an der Saale, die nad) dem Tacitus 
als Dberelbe gilt. Es wird Sie interefjieren, 
daf hier in Halle das Calägia des Ptolemäus 
gejtanden habe.“ 

„Iſt mir ganz einerlei, wo das Nejt ge: 
ſtanden hat.“ 

„Mebrigens bieten aud die Frendifchen 
Stiftungen — 

„Kümmern mid) nicht foviel!“ 

„Sie machen Ausflüge nad) Wettin, Hohen: 
turm, zu der Pfeilerbafilifa auf dem Peters: 
berge.“ 

„Fällt mir gar nicht ein.“ 

In diefer Weife wurden noch Gibichenftein 
— mo Ludwig der Salier den Flohſprung ge: 
macht haben ſoll, — die Rudelsburg, Jena, 
Weimar in Vorfchlag gebracht, jedoch fo vergeb: 
lic wie Leipzig. Keinen Schritt wollte Herbig 
in diefe Krambude ſetzen. 

„So vergnügen Sie fih, wie Sie wollen, 
meinetwegen am Brüllen der Thüringer Wald: 
hirfche am Rennſteig,“ meinte Schupp. „Es ift 
gerade Zeit.” 

Er werde thun, was ihm gefalle und nie 
wieder eine Verabredung mit dem Hallenſer 
Schupp treffen, verſetzte Herbig, indem er fi 
in den Wagen warf und mit bitterem Groll gegen 
fein widriges Geſchick nad) dem Gafthof fuhr. 
Wie anders hätte er diefe acht Tage an der Dit: 


Auguſt Beder, 


jee verwerten können oder felbjt in der Haupt: 
ftabt mit dem treuen Dräfovius. Was der wohl 
jest trieb?! — 

Vorerſt nichts Befonderes. GebüdtenNadens 
war diefer Stubengelehrte nad) der Abreife des 
Freundes um die Südfront der Hauptitadt bis 
zum Thorbeden gewandert und hatte, um fi 
Bewegung zu machen, von da unter den laub: 
abwerfenden Baumreihen hin, an ſchönen Häufern 
und Villen vorüber, längs des Kanals, zulett 
die Brüde beim Engelbeden erreiht. Er war 
dabei einem innern Triebe gefolgt, durch diefen 
ihm faft noch unbekannten Stabtteilheimzufehren, 
auf den er dur die Mitteilungen Herbigs — 
des glüdlihen Menfhen! — aufmerffam ge: 
worden war. Der ſchöne, würdevolle, romanijche 
Kuppelbau der Kirche innerhalb der jenfeitigen 
Anlagen mit dem golbblinfenden Drachentöter 
über'm Portal, feſſelte auchihn. Menſchen ftanden 
drüben umher, Karofjen hielten vor der Kirche. 
Und als ſich diejelben in Bewegung ſetzen wollten, 
entftand eine Bewegung am Rande des Waſſers, 
aus welchem Schiffer etwas heraufholten und an 
der Wagenreihe vorübertrugen, daß der ganze 
Zug — wenn auch nur auf Augenblide — ftodte, 
Dann ging alles wieder feinen gewohnten Gang. 

Dräſow überzeugte ſich durch einen Griff an 
feine Brufttafche, daß er das ihm fo überrafchend 
zugeftellte Pafet noch hatte. Das Engelbeden 
umſchreitend, folgte er dem Menfchenftrom in 
der Richtung, wo er feine ſchlichte Wohnftätte 
zu erreichen hoffen durfte, zwischen deren engen 
Wänden fi ihm noch abends das Siegel des 
anvertrauten Geheimnifjes öffnen follte. Vor— 
überfommende hatten von einer Hochzeit ge: 
fprochen, einer Trauung, die in der Michaela: 
kirche jtattgefunden, und daß man während 
derjelben eine Leiche aus dem Wafjer gezogen 
habe. Er wollte Näheres hören. Niemand wußte 
ober ſprach noch davon. Das Leben jchhlug feine 
Wellen braufend darüber hinweg durch bie 
Straßen und Pläße der großen Stadt. 


Bweiles Buch. Der Bopf. 
1 


Der Weg — eine alte, Nord und Süd ver- 
bindende Heerftraße über das Waldgebirg — 
wird, wo er die Höhe erreicht, noch im Anfteigen 
breit wie eine Fahrbahn durd die Heide, teilt 


Eleonore. 


fi) in mehrfach) auseinanderlaufende Geleife, die 
wie die verfchiedenen Ninnfale eines Stromes 


ſich Doch immer wieder im alten Bette zufammen: _ 


finden. Weiß: und Notbuchen mit weitaus: 
ladenden Aeſten, fnorrige Eichen, dazwischen ein 
Hagedorn, dunkle Fichtenpyramiden, ftahlgrünes 
Wahholdergebüfch ftellen fic) ihm entgegen oder 
begleiten ihn gruppenmweije, wo der geſchloſſene 
Zaubforft ihn nicht einengt. 

Mer diefe Strafe heute wandert, ift ein 
glüdliher Mann. Ein goldener Herbittag liegt 
warm über dem Bergwald, der in buntejter 
Farbenpradt fi weithin über Höhen und Thäler 
ſchwingt, dort die ſchroffe Schludt hinunter: 
klimmt, die enge Felsfpalte übermölbt, hier aus 
der dunflen Tiefe an den Wegrand herauffteigt. 
Und draußen — fteil aufragende fahle Wände, 
überwaldete Halden, zum Teil urbares Tafel: 
aelände, eines hinter dem anderen, dunkles 
Maldplateau, langaezogene oder maleriſch ſich 
fchneidende Höhenlinien, der fhöne Gebirgszug 
felbft, in deffen Faltenwurf die Anfiedelungen 
der Menſchen fi) bergen — alles in bläulid;- 
weißer, halb durchſichtiger Verſchleierung, alles 
wie ſchwimmend im milden Dufte des herbitlichen 
Nachmittags. 

Manchen Rüdblid gönnt fid) der Wanderer, 
der allein diefes Meges waldeinwärts zieht. Aus 
einem andern waldfriihen Thal des Landes 
hatte ihn der Bahnzug heute unter jenen hohen 
Kaltwänden, die in hellen fahlen Rillen fchroff 
wie eine Alpfluh abfallen, durch eine Thalenge 
voll idylliiher Siebelungen hergebradt. Das 
Feengeipinft der Eommerfäden flog über das 
herbitliche Gefilde oder hing fih an die flingen: 
den Telegraphenfaiten, weldye den Schienenweg 
begleiten. Auf dem geſchorenen Rafen der Thal: 
wiejen weideten fchedige und einfarbig braun: 
rote Kühe, die vorüberfaufende Magenreihe gut: 
mütig anglogend und inftinftiv die Zeitlofen ver: 
meidend, deren Roſenkelche mande Strede mit 
einem zarten Farbenjchimmer übergofjen. Kaum 
ftand der Zug am Ziel, fo jprang der Neifende 
heraus. Dort die Burg der Burgen, hier gleich 
gegenüber lud der Bergforft — dunkle Fichten — 
in feine Dämmerung ein. Im nädjten Gafthof 
wufc ſich der Neifende den Staub ab und lieh 
ihn von feinen Kleidern bürften; dann fort über 
die Brüde, in die Fichten hinan, an Berahöfen 
vorbei, über die Höhe in den ftillen Thalſchluß, 
bei der Quelle unter der Eiche vorüber durd) 
das Wildgatter in den Forft, bergan im fallen: 


169 


den Buchenlaub, die fchattigen Halden entlang 
und hinaus auf eine jener alten „Wein: 
jtraßen“, die zum Rennfteig hinanziehend und 
denjelben freuzend, über das Gebirg nad) Fran: 
fen führen. 

Co war er heraufgelommen an die Stelle, 
wo die Bergheide beginnt, der Weg fich teilt, 
die Fahrbahn links noch im Schatten des herauf: 
fteigenden Laubwaldes weiter zieht, der breite 
Gangfteig jedoch, bald auf bald ab, über die 
Höder des Felsrüdens daneben führt. Heide: 
fraut, zum Teil noch blühend, färbt die Höhe 
braun und, wo es zurüdtritt, breiten Moos: 
teppiche die wunderbarften Samtfarben aus. 

Oben, an einem der zahlreihen dichten 
Wachholderbüſche, lagerte fi) der Wanderer, 
das Antlit nad Norden gewendet. Die Auf: 
merfjamfeit, mit welcher er auch die Einzelheiten 
der Naturerfcheinungen betrachtet, das Kleine 
nicht überficht, verrät naturwiſſenſchaftliche Bil- 
dung. Bald hebt er einen Käfer aus der Sands 
rille zwifchen dem Heidefraut, bald pflüdt er 
eine Beere aus dem Nadelgeheg des Wachhol— 
ders, um fie auf ihren äußeren Bau hin zu 
betrachten. Aber darüber büßt er den Ueber: 
blid des Ganzen, die freude an der Landſchaft 
nicht ein. 

Die Stadt felbft, von welcher er herauf: 
geftiegen, liegt verjtedt, faft ohne eine Spur 
ihrer Nähe. Doch erinnert mancher in die Ein: 
jamfeit heraufgellende Pfiff an das unfichtbar 
vorüberfaufende Dampfroß und an den belebten 
Bahnhof. Nun fonnte es nicht ausbleiben, daß 
der fagenberühmte ſchroffe Kalkrücken gegenüber 
die Blide nad) Tannhäufers letztem Zufluchts— 
ort bei feiner heidniſchen Liebe z0g. Allein, 
immer häufiger und länger fehrten die Augen 
des Manderers zu den Hügelmellen zurüd, die 
nad; Norden im bläulichen Dufte des Herbit: 
tages ſtets täufchendere Achnlichleit mit dem 
zum Horizont anfteigenden Meere gewannen. 
Und zuletzt verlor ſich feine Seele ganz in diefen 
Anblid. 

Die Einſamkeit entfejjelte Herz, Bruft und 
Stimme. Das Gefühl der Menfchenferne hier 
über dem Bergmwald verlieh den Mut, zu fingen, 
was er fonft nur zu funmen gewagt. Er fang 
ein Lied, das, auf der Reife entjtanden, ihn 
überall hin begleitet hatte. Er fang es aud) 
jett nicht allzulaut, aber doch mit tief inner: 
lihem Klang vor fih hin bis zum Ende, ohne 
abzufegen oder etwas auszulafien. 


170 


An der Ditfee Strand, 
Wo die Woge blau 

Rollt zum Dünenjand, 
Weilt die ſchönſte Frau, 
Blidt fo hoch und hehr, 
Wenn die Möwe fliegt 
lieber das weite Meer, 
Das im Traum fi wiegt. 


Auf der Dünenhöh' 

Küßt die fede Bö 

Ihre Wangen kühn, 

Daß fie röter blüh'n; 
Und der Wogen Schaum 
Flockt dem ſtolzen Weib 
Weiß wie Schwanenflaum 
Um den edlen Leib. 


Ihrer Adern Glut 

Kühlt die weiche Flut, 
Die jo wunderbar 

Berlt vom Lodenhaar, 
Wenn dem Meer entiteigt 
Der geichmeid'ge Fuß 
Und ihr Haupt ſich neigt 
Zum erjehnten Gruß. — 


Ad, ein einzig Mal 

Daß ich fie geſeh'n! 

Nun wird mir zur Qual, 
Wenn die Yüfte weh'n, 
Wenn der Yaubwald rauſcht 
Hier im Binnenland, 

Seit ih ihr gelaufcht 

Dort am Dftjeeftrand. — 
ern, am Horizont, 
Yeuchtet mir ein Bild: 
Loden dunfelblond, 

Nugen tief und mild; 

Mie bewegte See 

Wallt des Bufens Schnee, 
Und ein Angeficht 

Winft wie Dämmerlidt. 
Mein Gemüt jo bang 
Schwankt nun tief bewegt 
Algen gleih und Tang, 
Wenn die Flut fi reat, — 
Wenn der Scehnfuht Wahn 
Mich auf Flügeln hebt, 
Daß mein Herz als Schwan 
Hin zur Oſtſee ſchwebt. 


Eine Weile, nahdem das Lied verklungen 
war, jaß er noch) in derjelben Haltung, das Antlitz 
nad Norden gekehrt, als ein leichtes Nafcheln 
dicht neben ihm jeine Aufmerkſamkeit erregte. 
Sieh' doch, aus dem Stahlgrün des Wacholder: 
buſchs, bei weldiem er ruhte, nur wenige Zoll 
überm Boden hob fi ein züngelnder Schlangen: 
fopf, der, platt und breit, deutlich am Halfe ab: 
ſetzend, hin und her hadte und zum Biſſe aus: 
holte. Raſch fprang Herbig auf. Eine harm— 


EEE — 


| 





Auguſt Beder. 


tüdische Blid verriet den Giftwurm. Ein Schlag 
mit der ſchwanken Gerte, und das Tier frümmte 
fich betäubt zu feinen Füßen. Ein weiterer Hieb 
tötete es vollends. 

Auf dem Heidebudel des hervortretenden 
Gebirges den Nuheplag mit einer Areuzotter 
zu teilen, war in heißer Tagesftunde eine un: 
gemütliche Raft. Noch mehr des unheimlichen 
Gelichters konnten ſich in dem dichten Dorngeheg 
des MWachholders bergen. Das dunfle Zidzjad: 
band auf dem Rüden, der am Halſe deutlich ab: 
jegende flache Kopf, der dide furze Schwanz 
ließen ohnehin feinen Zweifel aufflommen, — 
die getötete war unverfennbar ein Exemplar 
der reizbarften und gefährlichiten unferer Gift: 
ſchlangen. Da er das Reptil nicht mitnehmen 
wollte oder fonnte, hing er den Leichnam zur 
Warnung für nadhfommende Wanderer an das 
Dorngeäft des Wachholders und jchritt weiter 
auf dem hohen Rüdgrat der Beraheide 

Wie hoch über dem Forft er feine Wande— 
rung fortjeßte, zeigte ein Durchblid am bunt: 
belaubten Hand über jchroff abjtürzenden Fels 
in tiefe Waldaründe. Der Pfad führte jeht 
über einen laubbejtreuten Anger, auf weldem 
eine Herde, aus dem Buchenwald heraufiteigend 
und fcheinbar ohne Hirt — nur von Gnomen ges 
hütet, die fi beim Näherfommen jedod als 
Wachholderſtaudenauswieſen — ihre ®lodenhar: 
monie im Schatten weithingeitredten Aſtwerkes 
eines Paares mächtiger Bäume fortflingen 
ließ. Dann wieder jacht anfteigend, durch wild: 
malerijche Bergheide, fam Herbig an den Stein: 
ji auf der Kuppe, wo fein Blid oftwärts den 
Thüringer Wald entlang bis zu deſſen höchſten 
Punkten flog, während über den Südrand des 
Forftes am Nennfteig einzelne Kegel eines frem: 
den Gebirges, der fernen Rhön, luftblau auf: 
ftiegen. Der jhönfte Ausblid ward ihm jedod) 
unterm breiten Zaubzelt einer wetterharten furz: 
ſtämmigen Eiche, deren weitauögreifendes Aſt— 
werd — eine Eigentümlichfeit aller Yaubbäume 
hier oben — einem Bilde den Rahmen gab, wel— 
ches ſich über tiefe Waldgründe und die Zinnen 
des alten Landgrafenſchloſſes nordweſtwärts auf: 
that: die langgezogenen Linien der Bergterrafien 
im Heſſenlande hintereinander bis zum Yieb: 
Iingsfige der Arau Holda, dem hohen Bafalt: 
plateau des Meiner — in der verflärenden 
Beleuchtung der Herbjtnachmittagjonne. 

Nahende Menichenftimmen und das Gefläff 


loſe Ningelnatter war das nicht. Schon der | eines Köters vertrieben Herbig aus einjamer 


Eleonore. 


Betrachtung, die auch hier wieder zur fernen 
Meeresküfte zurüdfehrte. Alle Schönheit diefer 
Berglandichaft entbehrte für ihn des ſchönſten 
Inhaltes. Am Saum eines Lärdenbeftands 
hinunter fand er fich in der Dämmerung maleri: 
her alter Buchen auch ohne den dort ange: 
brachten Wegweifer zurecht. Von da führte die 
„Weinſtraße“ ihn die Höhe entlang wie durd) 
einen Park, und nun famen zwei ſchöne Landauer 
des Meges, deren Inſaſſen über einen freien 
Waldſchlag hin denfelben Anblid der Beraland: 
ſchaft genofjen, wie Herbig oben im Eichenrahmen. 
indem er vorüber eilte, ward die vom lichten 
Gehölz malerifch umfäumte Bahn wieder einfam, 
fill. Die tiefe Ruhe hier oben that ihm wohl, 
nichts rührte und regte fih. Mit einem Mal 
aber raufcht es vernehmlich. Wer tritt dort aus 
dem bunten Geheg? Bei dem großen Pan und 
Dianens Köcher — der gefrönte König des 
Waldes felbit. 

Nur fünfzig Schritte etwa entfernt ftand in 
der That ein ftolzer Zwölfender. Heräugend 
und den friedlichen Wanderer nicht fcheuend, 
jegte er dann fonder Haft wohlgemut und leicht 
über den Weg ins Gehölz und verſchwand. 

Herbig fühlte fich durch diefe Begegnung 
freundlicher angemutet, als durch andere feines: 
gleichen. Freudiger fah er auf Baum und Bufc- 
holz im buntfarbigen Herbitihmud hüben und 
drüben am Wege, der den Beraforft in fern: 
blidender Waldperfpektive durchzog. Leider ſtand 
die Sonne jeht, des Wanderers Augen blendend, 
gerade im Gejicht, jo daf er Entgegenfommende 
faum mehr unterschied, — aud) ein Frauenpaar 
nicht, das goldumflofjen in der Lichtung erfchien. 
Ob die Geftalten herwärts, ob fie hinmwärts 
Ihritten war jchon der Entfernung wegen vor: 
erjt nicht zu erfennen, zumal das Sonnenlicht 
zwifchen den bunten Waldſäumen in vollem 
Glanze unmittelbar hinter ihnen ftand. Indem 
er ji zumeist auf dem Nafenpfad hielt, der 
hinter Einzelheden und Bäumen daneben hin: 
lief, wandelte Herbig etwas gebüdt, den Hut in 
der Stirne, den Ueberzieher im Arm, aud) etwas 
müde und der Begegnenden wenig achtend, da: 
hin. Seine Gedanken irrten wahllos umher, 
und wie fie Bedeutfames und Unbedeutendes, 
aud) eine Traumerinnerung ftreiften, wähnte 
Herbig fi unverjehens von einem eigentüm: 
lichen, nelfenhaften Nofenduft angeweht, worüber 
der Wanderer auf der Höhe des Waldgebirges 
jelber ungläubig lächelte. 


171 


„Berzeihen Sie, mein Herr,“ fagte eine 
jugendlihe Frauenftimme, ihn aus feiner Ab: 
ipannung jchredend. „Entidhuldigen Sie die 
Frage, ob man von hier oben durd) die Land: 
grafenſchlucht in die Stadt zurüdfommt.“ 

Von der Sonne halb geblendet jah Herbig 
auf. Jenſeits der Hede auf dem Fahrweg ftan: 
den — foviel vermochte er zu unterfcheiden — 
Arm in Arm zwei elegant gefleidete, hochgeftal: 
tete Frauen. Er wiſchte ſich mit dem Tuch die 
Augen und befchäftigte ſich mit dem Binocle, 
indem er fich zur Auskunft anjchidte. 

„Allerdings, meine Damen!“ verfegte er, 
ih des Wegweiſers unter den Buchen beim 
Dradenftein erinnernd. „Schon nad einer 
Viertelftunde werden Sie, wenn Sie den Weg 
nicht ſcheuen, an einen links zur Schlucht hinunter: 
führenden Pfad gelangen.” 

„Sie find jehr gütig,“ ſprach diefelbe Stimme 
wieder. „Allein, wollten Sie nicht die Freund: 
lichkeit haben, uns ein Merfmal des zu wählen: 
den Wegs näher zu bezeichnen?“ 

„Wollen die Damen nur Die Güte haben, ſich 
ſtets auf der Weinftrafe hier weiter zu bemühen, * 
erflärte Herbig nod) immer mit undeutlich jehen: 
den Augen, „bis der lichte Wald auf jchmälerem 
Joch aufhört und der Weg unter großen alten 
Buchen ſich im dämmernden Schatten zu ver: 
lieren jcheint. An einer der Buchen jteht der 
Megmweifer. Dort wollen Sie fid) nur den ftarf 
betretenen Pfad links hinunter wenden, fo 
fünnen Sie nicht fehlen.“ 

„Und der Weg führt richtig zur Stadt 
zurück?“ fragte diefelbe Stimme weiter, die ihm 
faft das einzige Unterfcheidungsmertmal der 
beiden Damen blieb, jo jehr flimmerte es ihm 
nod) vor den Augen. 

„Sicher, wenn Sie fih im Grund der 
Schlucht an den Waſſerlauf halten, der links 
ins Marienthal hinausführt.“ 

„Sehen Sie,“ wandte fich hier die Wort: 
führerin heiter zu der anderen und dann wieder 
an den Ausfunftgeber: „Lohnt der Weg?“ 

„So viel ich von früher weiß, ſehr!“ ver: 
fiherte Herbig, der einzufehen begann, daß es 
bei jo umftändlicher Erfundigung galt, die Be: 
gleiterin zu überzeugen. „Schon der Abjtieg 
ift reizend und die Schlucht felbjt ein maleriſch 
enges, überwaldetes Felsthal.“ 

„Wir danken Ihnen, mein Herr?“ fiel jebt 
die andere Dame ein, und der vollere Klang 
diefer tiefer liegenden Stimme ließ die Abficht 


172 


durchtönen, der Beläftigung bes Fremden ein 
Ende zu bereiten. „Entjchuldigen Sie die 
Störung.” 

Und damit entfernten fie fich, wie fie ge 
fommen waren, Arm in Arm, die Weinſtraße 
auf der Höhe des Gebirgs entlang. 

Herbig rieb fi nochmals und emfiger die 
Augen. Diefe Stimme! Er fonnte fi nicht 
enthalten, den Dahinſchwebenden nachzuſchauen. 
Beide ſchlanke Gejtalten in lihten Gewändern, 
elaftiihem Schritt, die eine mäbchenhaft hager, 
ſchmächtig, die andere noch etwas höher und 
mit mehr weiblicher Fülle. Es entging ihm 
nicht, daß fie zufammen flüfternd leife lachten, 
ſich wohl über ihn, den blödfichtigen Auskunft: 
geber luftig machten. Welche reizende Erfchei: 
nungen im berbitlihen Bergforft! Da fie von 
der Abendſonne hell befchienen dahinmwandelten, 
fonnte er nachſchauend und der Sonne abge: 


wandt, deutlicher und genauer unterjcheiden. | 


Sie trugen die Sonnenschirme geihlofien, — 
wenn fie diefelben nur aufipannten! Menn 
fie nur noch einmal zurüdblidten! Diefe ftolze 
Figur und — ihre Stimme! Um Gott, wäre 
es denn möglich, feine Täufchung ! 

Herbig jtand tief erregt, in großer Unruhe. 
Er wußte nicht, was beginnen, um fich zu über: 
zeugen, daß er jih irre. Warum fehrte die 
ſchöne ftattlihe Frau ihr Geficht nicht wieder 
her? Nadırufen, fingen, um fie hierzu zu be: 
wegen, verbot die Schielichkeit. Aber wie, wenn 
fie etwas verloren hatten, das er zurüdbringen 
fonnte? Sein Auge flog den Weg entlang, — 
nichts, kaum ihrer Tritte Spur war zu be: 
merken. Wenn er mit feiner eigenen Börfe, 
als angeblid; gefundener, nachlief? Oder fie 
noch auf ein ficheres Erfennungszeichen des ein: 
zufchlagenden Pfades aufmerkſam madıte, ihnen 
als wirkſamſtes Mittel gegen Verirrung feine 
Begleitung anbot? — Ad), zu fpät. Sie lachten 
ihm wohl ins Geficht, wie ja feine tölpifche 
Blödſichtigkeit bereits den rechten Moment ver: 
fäumt und ihren Spott herausgefordert hatte, 
Die Entfernung zwijchen ihm und ihnen ward 
immer größer. 

Und nun waren ſie völlig hinter Busch und 
Baum bei der allmählichen Biegung des Wegs 
entſchwunden, ob er aud den hohen Rand des: 
jelben bejtieg, um noch ihren Anblid zu er: 
haſchen. Es war jeine fefte Ueberzeugung, daß 
diejelbe Stimme ihm aud den Dank vom 
Dünengrat an der Dftfee zugerufen, daß fie es 


| 





Auguſt Beder. Eleonore. 


geweſen, ihr ſchwebender Gang, ihre fcheue, ftolze 
Haltung. Nüchterne Ueberlegung machte zwar 
ihre wiberftreitenden Zweifel geltend. Allein, 
er vermochte faum von der Stelle zu weichen. 
Und voll innerer Erregung wandte er fich erjt 
dann dem Walddurchſchnitt zu, der ſchnurgerade 
nad) dem alten Jagdhauſe am Rennſteig führt, 
als die Erwägung in ihm aufjtieg, daß er da 
wohl Aufihluß über die Damen erhalten und 
dann, auf der Heerjtraße ins Marienthal hin: 
unter, den beiden zuvorfommend, ihrer ruhig am 
Ausgang der Landgrafenſchlucht harren konnte. 

Holz: und Bauernfuhrwerfe hielten auf dem 
Sceitelpunft der das Gebirg überfteigenden 
Chaufiee vor dem Gafthaufe, wo fie den Nenn: 
fteig und die Weinſtraße freuzt, und Männer 
und Frauen ſaßen innen beim Bier. Es war 
hier oben auf der Firft des „Waldes“ noch 
mild genug, um einem Wirtözimmer an dem 
ſchönen Herbjtabend jeden Platz im Freien vor: 
zuziehen. Herbig trat in den Wirtögarten an 
einen Tifh, auf welchem noch Kaffeegeſchirr 
ftand und fragte den halbwüchfigen Burfchen, 
der herbeieilte, um die Tafjen wegzunehmen 
und die Tafel abzuwiſchen, ob der Platz nicht 
belegt fei. Seines Wifjens, antwortete der 
junge Menſch, feien die beiden Damen weg. 
Und wohin? Seines Wiffens über die Mein: 
jtraße und durd die Landgrafenſchlucht. Dann 
ließ er als Aufwärter die frage folgen, was 
dem Herrn gefällig ſei. 

Herbig beitellte vorerjt ebenfalls eine Tafje 
Kaffee und erkundigte ſich beiläufig weiter, ob 
die Damen einheimische gewefen feien. Seines 
Wiſſens ja! war die Antwort; die eine wenigſtens 
habe er jchon öfter hier oben gefehen und vorige 
Woche zweimal. Und die andere? Hierauf zu 
antworten fand der junge Menfd) feine Zeit, 
da er lebhaft an einen Tiſch gerufen ward, mo 
eine Gruppe junger Forſtakademiker beluftigt 
einem müßigen Fremdenführer zuhörte, welcher 
den Wachtel: und Nachtigallenſchlag, Hühner: 
aegader und andere Naturlaute nahahmte. Der 
Beifall ermunterte denfelben zulett zu einer 
arofartigen Nede über die Notwendigkeit des 
Fremdenführerweſens und die Ueberflüffigfeit 
aller Bädeder und leblofen Wegweiſer. 

„Kann Ihnen,“ fuhr er fort, Herbig ins 
Auge faſſend, „ann ein gedrudter Bädeder oder 
ein toter Wegweifer Ihnen auf dem Wege die 
Zeit vertreiben, was vorpfeifen, Witze reißen, 
oder das Gepäd tragen, den Nod ausziehen, 


Martin Greif. Sehnfucht nadı dem Früblinge. 


ja die Börfe abnehmen, wenn Sie's für gut 
halten? Kann er Ihnen ein Glas Bier bejtellen, 
jelbft austrinfen und, wenn Gie fi einige 
Groſchen nicht gereuen lafjen, Ihre Gefundheit 
ausbringen, dazu eine gejchmadvolle Rotwurſt 
verzehren, um Ihren eigenen Appetit zu reizen? 
Niiht kann er, gar niſcht. Aber ein Führer, 
wie fi) einer in mir vorzuftellen die Ehre hat, 
fann es und noch mehr. Machen Sie nur ein: 
mal die Probe. Und hätten die beiden Damens 
hier am Tiſche — ſchöne Damens, noble Damens, 
meine Herren, auögezeichnete Damens — hätten 
Sie fih, ftatt allein zu gehen und tote Weg: 
weijer zu befragen, meiner Obhut anvertraut, fo 
wären fie geborgen geweſen,“ ſchloß er unter 
Halloh, „wären von mir, ihrem Kavalier, ge: 
führt, geleitet und verteidigt worden, in der 
Landgrafenſchlucht oder im Liliengrund, bis auf 
den legten Tropfen Bier.“ 

Herbig empfand es unangenehm und wenig 
erquicklich, daß ich feine Gedanken in wunder: 
licher Weiſe mit denen diejes armen Schluders 
freuzten, reichte ihm abwinkend einige Grofchen, 
worauf der ſchnurrige Gefelle auch mit tiefer 
Verbeugung, fchiefbeinig und in frumm ge: 
tretenen Sohlen den Abmarſch antrat. Gleich 
darauf brachen die jungen Forſteleven auf, und 
Herbig ſaß für eine Meile fajt allein. Nicht 
gefonnen, feine Erfundigungen ſchon aufzugeben, 
wiederholte er, als nun fein Kaffee gebracht 
wurde, die unbeantwortete Frage, ob nicht auch 
„die andere* öfter hier gejehen werde. Seines 
Wiſſens nit, lautete die Erwiderung des 
Jungen; mwenigitens fo lange er hier bediene, 
fei fie zum erftenmal dagemefen. Aha, dachte 
Herbig, — und wer denn die Damen feien, 
fragte er. Seines Willens Schweitern, Tautete 
die Antwort. Ob fie jüngft in einem Oſtſee— 
bade gewejen feien? Seines Wiffens nicht. 

Es war aud) unwahrfcheinlih. Selbſt wenn 
er den Worten des jungen Menſchen fein Ge: 
wicht beilegte, erſchien ihm nachgerade feine 
Vorausſetzung als eine täufchende Vorfpiege- 
lung feiner Phantafie. Warum follte er die 
Unbelannte von der Ditfee hier wiederfinden, 
wohin ihn der Zufall, eine Verzögerung feiner 
Nomfahrt, geichleudert hatte. Mit ſolchen Er: 
mwägungen heruntergeftimmt, dachte er nicht 
mehr an rajhen Aufbruch, zumal nad) mehr: 
ftündiger Wanderung in der Sonnenhite das 
Bedürfnis einer gründlicheren Erfrifhung und 
Erholung fich einftellte. Sein Wahn war aus, 





173 


die hoffnungsreihe Annahme ein Irrtum. 
Allein, hatte er nicht ſelbſt die eine die andere 
mit „Sie* anfprehen hören? Das war ein 
Punkt, der mit dem ſchweſterlichen Charakter 
wenig übereinjtimmte, ein Moment, mit dem 
man mindeftens vorerft noch nicht ins reine zu 
fommen vermochte. 

Nachdem er mit dem Kaffee fertig war, lief; 
er jih ein Glas Bier geben. Er verſchloß ſich 
nicht gänzlich mehr anderen Eindrüden und den 
Erſcheinungen feiner Umgebung. Allmählic be: 
gann das abendliche Leben und Treiben um das 
Gafthaus auf dem Nennfteig ihn von den irren: 
den Gedanken abzulenfen. Zudem war nun die 
Luft fo erquidend, die ſchwindende Beleuchtung 
der Fichtenwipfel fo warm, die herbitlih an: 
gehauchte Belaubung der Eichen und Buchen 
genau fo farbenfhichtig, wie man es auf Land— 
ihaftsbildern für unnatürlich hält. Dann und 
wann brüllte eine Kuh oder ein Ochje unterm 
Joch der Fuhrwerfe draußen auf der Straßen: 
höhe, oder es wieherte ein Pferd vor den Equi: 
pagen, die aus den Bädern heimfehrend nod) 
hier heraufftiegen und nad) furzem Aufenthalt 
wieder weiter rollten. Und jest, als bräunlich 
grüne Abendichatten fich über den waldumhegten 
Naum am Nennfteig oben legten und die rötliche 
Färbung der Wege und des Plates vor dem 
Haufe auffälliger hervortrat, hielten draußen 
die Graufchimmel des Brauerwagens; polternd 
verſanken die vollen Bierfäfler im Kellergewölbe, 
geihäftig wurden die leeren zur Seite gerollt, 
und auch das weibliche Dienftperfonal ging 
ſchäkernd ab und zu. Und als aud) das vorüber, 
famen nod) jpät ganze Züge von Gäften durch 
die Waldesitille herauf und trällernd über die 
Freitreppe hinan ins Haus. 

(Fortfegung folgt.) 





Sehnfucht nach dem Srühlinge. 
Don 
Martin Greif. 


‚Fräßtingster, der dich erlebt, 
Mag an deiner Pradıt fich freuen, 
Ded den man zuvor begräbt, 
Ihm auc wirt du Blüten fireuen. 


Und es it am Ende gleich, 

Ob es fo, ob fo wird werden, 
Wenn nur du an Knoipen reich 
Wiederum erfcheint auf Erden. 


Die kunſt der Tazxidermie 





Vorbereitungen zum Musitopfen. 


117% heute ein älterer Mann die Säle eines 
naturhijtorifhen Mufeums betritt und die 
dajelbjt aufgeftellten ausgeſtopften Tiere mit 
denjenigen Specimen vergleicht, welche man vor 
vierzig bis fünfzig Jahren daſelbſt zu jehen ge: 
wöhnt war, fo muß er in biefer Kunſt des Aus 
ftopfens der Tiere einen ungeheuren Fortſchritt 
fonjtatieren. Die Taridermie oder das Aus: 
itopfen, wie es vor einem halben Jahrhundert 
geübt und in den älteren Büchern von Sukow 
u. a. m. gelehrt wurde, ift aus einem Handwerk 
au einer wirklichen Kunst emporgewachſen, welche 
fürdie Naturwiſſenſchaft und das praftijche Yeben 
eine unberechenbare Bedeutung erlangt hat. Alle 
Ansprüche, welche an die Plajtif gemacht werden, 
gelten nun aud) für die Taridermie; wir dürfen 
nun mit Necht und mit Erfolg von den neueren 
ausgeftopften Tieren und Vögeln nicht nur 
Schönheit, ſondern entſchiedene Naturwahrheit 
in Haltung, Tracht und Modellierung und ebenfo 
Veranfhaulihung des Typus und der Indivi— 


dualität verlangen. Die moderne Taridermie hat 
in den größeren Säugetieren, in den Familien: 
gruppen von Vögeln mit ihren ungen und in 
den verſchiedenen Sommer: und Winter, Hoc): 
zeitö- und anderen Kleidern wahrhaft fünftle: 
riſche Meifterwerke aufzumeifen, welche für die 
Naturkunde von ungemeiner Wichtigkeit, von 
unbezahlbarer Lehrhaftigkeit find und Wefen und 
Leben der Tiere unendlich deutlicher veranjchau: 
lichen als alle noch jo vollendeten Kupferwerke 
und Atlanten in Aquarellfolorit oder in Farben: 
drud, Die fünftlihen Färbungen auch der beiten 
mit dem Pinſel folorierten Abbildungen ver: 
bleiben mit der Zeit, zumal in den feineren 
Nuancen und Uebergängen; die natürlichen Far: 
ben der gut ausgejtopften und wohl aufbewahr: 
ten Tiere troßen der Zeit, wie dies in den 
größeren Sammlungen gar häufig an Exem— 
plaren zu beweijen ijt, welche, wenn aud) etwas 
lintifh und ungefügig, ſchon vor achtzig und 
hundert jahren ausgeftopft worden find. Ein gut 


Die Kunft der Tapidermie. 


ausgejtopftes und naturmahr dargeitelltes Tier 
oder ein Vogel ift taufendmal praftifch lehr— 
reicher und für Gedächtnis und Unterſcheidungs— 
vermögen wirffamer, als die bejte Abbildung, 
und dies reiht die Taridermie unter diejenigen 
nüslichen Künſte, welde heutzutage eine ganz 
befondere Beachtung beanjpruden dürfen und 
ſowohl als Dilettantismus wie als gewerbs— 
mäßiger Broterwerb fid) eine Menge Jünger 
erworben haben. 

Dies mag e3 rechtfertigen, wenn wir unfe: 
ren verehrten Leſern im nachſtehenden an der 
Hand einiger Holzichnitte einen furzen Begriff 
vom Weſen und der Praris der Taridermie und 
ihrer Zeiftungen zu geben verſuchen, joweit fie 
den gebildeten Leſerkreis zu intereffieren geeig: 
net iſt. 

jeder Meidmann und Jagdfreund, jeder 
Freund der Naturmwiljenichaft, jet er nun Yieb: 
haber oder Fachmann, interejjiert ſich angelegent: 
lich für Taridermie und verjucht jich in ihr, denn 
fie jest ihn in den Stand, ſich die ſchönſten und 
feltenjten Exemplare feiner Jagdbeute oder 
feines Fangs dauernd zu fonjervieren, damit 
feine Wohnung zu Shmüden und ihn die charak— 
teriftifchen Merkmale der einzelnen Arten und 
Varietäten fennen zu lernen. Der Ornitholog 
3. B. fann einiger Vertrautheit mit und einiger 
Uebung in der Taridermie nicht entbehren, weil 
fie zumeift feine Studien zu fördern und ihm 
mande Mußejtunde angenehm und nütlich aus: 
zufüllen und ihm das Specififhe der Fauna 
feiner Umgebung dauernd vor Augen zu führen 












175 





Ausgeftopite Gufe. 


vermag. Daher fchon einerfeits die Menge von 
Naturfreunden, welche zugleich dilettantiſch 
jünger der Taridermie find. Allein diefe Kunſt 
findet auch noch) aus anderen Gründen Verehrer 
in jenen Freunden des Naturjchönen, welchen 
eine Gruppe von ſchönen, reich und bunt be: 
fiederten einheimischen oder erotischen, gut aus: 
geftopften Vögeln unter einer Glasglode oder 
in einem Glaskaſten ein anregenderer und 
ſchönerer Zimmerſchmuck iſt, als die verjchiede: 
nen Nippes und Bibelots, welche wir in unferen 
Salons anhäufen. Und 
Die Zahl dieſer zu ver: 
mehren, ift ja teilweiſe 
auch das Ziel, weldes 
wir mit den gegenwär— 
tigen Zeilen im Auge 
haben. 

‚Die Vorfrage einer 
erfolgreichen Yeiftung in 


Ausgellopfter Eharlahibis und junges Arotobll. 


176 Die Kunft der Taridermie. 


der Taridermie ift das Beichaffen guten Mate: 
rials, alfo der Bälge von Säugetieren und 
Vögeln, der Häute von Fiſchen, Schlangen, Ei: 
dechſen u. f. w. Diefe Gegenftände find aller: 
dings leicht Fäuflih, denn es fehlt nicht an 
Naturalienhändlern, welche ungeheure Vorräte 
davon auf Zager haben, wie Hagenbed in Ham- 
bura, Jamrach in London, Frank in Amjterdam, 
die Nachfolger von Verreaur Freres in Paris, 





Henry A. Ward in Rocheſter, Staat New Norf 
u. a. m. Aber wir gehen von der Vorausſetzung 
aus, daß der Liebhaber Jäger oder Vogelfänger 
ift und ſich fein Material felbft verſchafft, weil die 
Beurteilung der Güte und Brauchbarkeit käuf— 
licher Bälge ohnedem einige Erfahrung erfordert. 
Da ift denn die Hauptfache die geſchickte Ablöfung 
und Vorbereitung, jowie Aufbewahrung des 


| 
| Balgs — das „Abziehen”, weldes minder gut 


Ausgetopfte Walbiänepfe mit Jungen. 


zu befchreiben als praftifch zu erlernen ift. Wir 
beſchränken uns, hierüber nur einige Andeu— 
tungen nad der Vorſchrift des rühmlichit be- 
fannten Ausftopfers Waterton zu geben. Die 
erprobtefte Art der Konfervierung eines Bogel- 
balgs 3. B. erheifcht eine forgfältige Aufmerf- 
famteit von dem Augenblid der Erlegung bis 
zu der Zeit, wo derjelbe zum Ausftopfen bereit 
it. Die Wunden müfjen zunächſt mit Baum: 
wolle oder gehadter Hede (Abwerg) veritopft, 
die blutbefchmierten Federn mit einem feuchten 


Schwamm abgewaihen werden. In heißen 
Ländern muß der erlegte Vogel ſogleich ab: 
gezogen werden; anderswo darf man den Vogel 
erſt alt werden lafjen. Mit einem Einſchnitt 
am Bruftbein beginnend, wird die Haut lang: 
ſam entfernt, indem man ein ftumpfes Inſtru— 
ment ungefähr von der Geftalt eines Löffelſtiels 
unter diejelbe zwängt, gleichzeitig aber Sorge 
trägt, die Haut nicht zu ftreden. Die Flügel: 
knochen werden an den Schultergelenten ab: 
geſchnitten, dann die Nüdjeite des Schädels 


Die Kunft der Taridermie. 





177 





Ausgeftopfter Seeſiſch. 


bloßgelegt und die Halswirbel vom Kopfe ge: 
trennt. Nun wird das Hirn aus dem Schädel 
genommen, die Augen werden entfernt, indem 
man die kleinen Knochen zerbricht, welche die 
Augenhöhlen vonder Dede des Mundes trennen; 
von dem Unterkiefer wird alles Fleifch befeitigt 
und dafürSorge getragen, die Ohröffnungenund 
die Augenlider nicht zu verlegen. Hat man es mit 
Meeresvögeln zu thun, welche gewöhnlich jehr 
thranig find, jo muß man gepulverten Kalf reich: 
lih verwenden. Die Haut wird fodann mit 
Arfenikfeife oder einer Löſung von korroſivem 
Sublimat eingerieben und die entjprechenden 
Vorkehrungen getroffen, um diejelbe zu trodnen. 
Unmittelbar nah dem Erlegen des Vogels müfjen 
genaue Notizen über jeine Mafverhältnifie, die 
Farbe feiner Augen und Füße, fein Geflecht, 
die Jahreszeit u. ſ. w. gemacht und dem Balge 
beigelegt werden; dann mwidelt man den Balg 
in ein weiches Papier, etwa wie man ein Schreib: 
heft aufrollt, und dreht oben und unten die 
Enden des Papiers übereinander. Soll der 
Balg auf gröfere Entfernung zum Ausjtopfen 
verjhidt werden, jo muß man ihn, einzeln oder 
mit anderen, in eine Schachtel paden, deren 
fämtlihe Ritzen und Fugen verpicht werden, 
um die Inſekten abzuhalten, zu welchem Behufe 
auch reichlich Kampfer oder irgend ein anderer 
ftarfer Niechftoff in die Schachtel gelegt wird. 
Werden die Bälge beim Berpaden einzeln in 
weiches Papier eingelegt, wie Pflanzen in einem 


Herbarium, fo halten fie ſich auf langem Trans: 
port noch bejier. 

Bevor man mit dem Ausjtopfen eines Vogels 
beginnt, wird der Schädel mit forrofivem Subli: 
mat gewafchen und der Balg vom Hals aus 
wieber darüber gejtülpt, dann werben die Flügel 
und Füße genau angepaßt mittels Stüdchen 
Eifendraht, die man mit einem Mitteljtüd ver: 
bindet, welches fi der Yänge nad) vom Kopfe 
bis zur Schwanzfpite erjtredt und hier ein Dreied 
bildet, um die ausgebreiteten Steuerfedern zu 
jtügen. Einer der Hauptfehler ausgejtopfter 
Vögel ift eine fcheinbare Verlängerung des 
Beins. Die drei Anochen, welche das Bein 
eines Vogels zufammenjegen, find nämlich bei: 
nahe in Geſtalt eines Z eingelentt, und obwohl 
im Falle der Watvögel, wie Stord), Reiher und 
Kranich, das obere Glied des Schenkelknochens 
weniger geneigt ift, als bei den Waldvögeln, fo 
iſt es dod) niemals ganz gerade. Zur „Puppe“, 
d. h. zum Ummwideln des ftarfen Mitteldrahts, 
welcher die künſtliche Wirbeljäule des auszu— 
ftopfenden Vogels bilden joll und der niemals 
die volle Dide des Rumpfs des Kadavers er: 
reihen darf, nimmt man Hede (bei großen 
Vögeln auch Seegras), weldyes man leicht mit 
Karbolfäure tränfen kann; zum Nachitopfen, um 
dem Körper die nötige Plajticität der Musfeln 
zu geben, bedient man fich der Baummolle, des 
zerhadten Flachſes, der Hede und der zerzupf: 
ten Schiffstaue. Diefes Nachftopfen muß immer 

23 


178 Die Kunft der Taridermie. 


langfam und mit befonderem Bedacht geichehen; | fieder rundum mit Baummollgarn ummunden, 
auch darf man beim Stopfen oder Zunähen die | wie bei der nachitehenden Abbildung der Harle: 
Haut nicht jtreden, noch die Teile verdrehen. | finente (S. 181), damit die Federn in der Lage 
Die Augenhöhlen werden mittels einer Zange | bleiben, bis der Balg volllommen troden ift. 

mit gehadter Baummolle ausgeſteckt, um fie für Beim Abziehen eines Säugetiers legt man 
die Aufnahme der Glasaugen vorzubereiten, | diefes auf den Rüden, die Bedenfeite gegen 
welche mit einem Falfhaltigen Kitt an den Schä: | fich, den Kopf des Tiers von fi abgemandt, 
del befejtigt werden. Sollte die Nidhaut her: | veritopft Nafenlöcher und Kehle mit Baummolle 
vortreten, jo muß fie mit der Spitze der Yanzette | oder Werg, teilt das Haar in einer geraden 
zurüdgedrüdt werden. Iſt dem Vogel die ent: | Linie zwijchen zwei Bunkten, deren einer zwifchen 
ſprechende Stellung gegeben, jo wird das Ge: | den Vorderbeinen und der andere in der Nähe 


r 


— ar m J Lan 
nn 
Sr Ra, | J Y 





Werkitätte eines Ausftopfers. 


des Schwanzes liegt, und macht auf diefer Yinie 
mit dem Sfalpell, Mefler oder der Schere 
einen Einfchnitt. Man wendet dann den Kada— 
ver mit feiner Seite gegen fih, hebt die Haut 
an ber Bruft mit Zeigefinger und Daumen em: 
por und trennt fie mittels der Finger, des Griffs 
des Skalpells oder des obenerwähnten löffel- 
artigen nftruments vom Körper, joweit man 
reichen fann, gebraucht die Klinge des Meſſers 


lauf vorwärts, durchſchneidet das erſte Gelenf, 
welches in Sicht fommt, und läßt das Schenfel: 
bein am Körper. Hat man dann dasjelbe aud 
an der andern Seite gethan, fo ftreift man ben 
hinteren Teil des Kadavers vollends ab und 
ichneidet den Schwanz ab. Nun legt man den 
Kadaver auf die Bruft, zieht ihn dem Nüden 
entlang ab, trennt den Vorderlauf am unteren 
Gelenk des Knochens, welcher mit jeinem oberen 
nur, wo es abjolut nötig ift, und ftopft Baum: | Ende an den Unterteil des Schulterblatts an: 
wolle oder Papier hinein, um die Haare rein zu | gewachſen ist, widelt den Rumpf in Papier, da: 
erhalten. Man muß befondere Sorge tragen, | mit er den Operationstiſch nicht beſchmutzt, ſchiebt 
nicht in die dünne Haut zu jchneiden, welche die die Haut ohne Zerren über Hals und Kopf her: 
Eingemeide bededt. Dann drüdt man den Hinter: | unter und fchneidet ſehr behutiam die Ohren 


Die Kunjt der Loridermie. 179 


Fiſche jagen, das ein befonderer Zweig ber Tari: 
dermie ijt und zwar von vielen geübt, aber 
nur von wenigen zu einiger Vollendung 
gebracht wird. 
Wenn Fiſche aus dem Waſſer ge: 
nommen werden, haben fie 
noh einen  befonderen 
Glanz auf ihrer Haut, 
welchen man dem 
Reif oder Duft 
auf einer 
reifen 


herunter und rund um bie 
Augen herum. Der Hals wird 
diht am Schädel abgeſchnit— 
ten, die Augen entfernt und 
das Hirn durd) das Loch des 
Rückenmarks herausgezogen; dann 
befeitigt man alle Musteln und ſchabt 
die Knochen ganz rein. Die Vorderläufe 
werden dann herausgejtülpt und bis zu den 
Zehenwurzeln von allen Muskeln entblößt und 
der Schwanz jo weit abgezogen, als dies mög: 
lich ift. Hierauf wird die Haut von jeder Spur 
von Fett und Muskeln gereinigt und die Schrot: 
löcher zugenäht. Iſt dies gejchehen, jo iſt die 
Haut zum Ausftopfen fertig; kann dies aber 
nicht ſogleich vorgenommen werden, jo pinfelt 
man die Knochen mit Sublimatlöfung, bejtreicht 
fie und die ganze Fleifchjeite der Haut mit 
Arfenikfeife und trodnet fie an einem luftigen 
Drte im Schatten. 

Für die Säugetiere wird von Traht und 
bei größeren auch von Holz und Eiſen ein ähn: 
liher künſtlicher Nüdgrat gemadt, in welchem Ehdemeritunilörd Keen. 
die Drähte für die Beine und den Schwanz ein: 
gelaflen werden, und darüber wird die jogen. | Zwetiche vergleichen möchte. Um diejen zu 
„Puppe“ gejtopft. Da aber eine praltifhe | bewahren, muß der Fiſch unmittelbar nad) 
Demo nftration hierüber unendlich lehrreiher und | feinem Fang abgezogen und ausgejtopft werden 

und zwar hödjitens eine halbe Stunde jpäter 
und von einer forgfältigen und erfahrenen 
Hand; auch jollte, nad MWaterton, Goadby und 
' anderen Autoritäten, der Fiſch, um feine Schup: 
' pen und farben zu bewahren, vor dem Abziehen 
der Haut mit Battijt oder Seidenpapier um: 
| widelt und die abgezogene Haut in ein nafjes Tuch) 
eingejchlagen werden, um fie geſchmeidig zu er: 












halten. Wie ausgeitopfte Fiſche aufgeitellt wer: 
den, ift aus dem voritehenden Holzichnitte zu 
erjehen (S. 177). 

Das jeither Geſagte betrifft den mechani— 
ichen Teil des Ausftopfens, und nun beginnt ber 
fünftleriiche, dem Tiere die Stellung, Tradıt, 
Bewegung, Habitus, neben der plaſtiſchen Natur: 
wahrheit aud) das Typiſch-Charalteriſtiſche, die 
Individualität zugeben. Dies tft das Schwierigite 
in der Taridermie, dies erhebt fie aus dem Hand: 
werk zur Kunſt. Dazu gehört Naturbeobadhtung, 
genaue Kenntnis des Charalters, der Lebensweiſe 
des betreffenden Tieres und künſtleriſche Be— 
gabung. Selbſt berühmte Ausſtopfer, Meiſter 
häufig zu erlangen iſt, ſo nehmen wir von einer ihres Faches, welchen keine der obigen Eigen— 
weitläufigen Beſchreibung Umgang und wollen ſchaften abging, waren nicht gleich glücklich im 
noch einige Worte über das Ausſtopfen der Ausſtopfen von Vögeln und Säugetieren. Der 





Oſenſchirm aus reinem Pfau. 


180 


verjtorbene Konſervator Hermann Ploucquet in 
Stuttgart 3. B., welcher 1850 in Leipzig die 
erjten charakteriftiihen und individualifierten 
Tiergruppen ausftellte und in feinem Fade 
förmlich bahnbrechend wirkte, ftopfte feine Säuge: 
tiere lange nicht fo vollendet charakteriftifch und 
lebensmahr aus, wie feine Vögel und nament: 
lich feine Raubvögel und fein Federwild. Wie: 


Die Kunft der Taridermie. 


der andere, wie z. B. Herz aus Darmitadt, 
nun in Stuttgart, haben ihre Force in Säuge: 
tieren, namentlich in den großen Katzentieren. 
Sind die obigen Eigenſchaften nit alle in 
einem Taridermiften vereinigt, jo fommen auch 
bei Meiftern Monftrofitäten vor, die das Nuge 
des Kenners verlegen, fo 3. B. wenn ein Aus- 
ſtopfer einen Adlerbalg mit hängenden Schwingen 





Waldlauy mit Hort und Jungen- 


und beinahe mit dent Boden parallelem Körper | 


ausftopft und ihm dadurd das träge Ausfehen 
eines Geiers gibt, während der Habitus des 
Adlers Würde, Mut und Anmut ausdrüdt. Oder 
wenn ein Nusftopfer einer Eliter, diefem In— 
beariff von Schlauheit, Beweglichkeit und Bor: 
ficht, eine ſchwerfällige trübfelige Stellung gibt; 
oder wenn einer einem Fuchſe, der als ein Nacht— 
tier, elliptiiche oder Natenaugen hat, runde 
Hundsaugen einjeßt und dadurd das liſtige 
lauernde Weſen Neinedes ganz verfehlt. Bei 
dieſem legten Alte der Taridvermie muß auch auf 
das Kleinjte forglich geachtet werden; es muß 
das Verhältnis, welches jede Kurve oder An— 


| 
| 


ihwellung, jede Spannung oder Zufammen: 
ziehung eines einzelnen Teils zum Ganzen ein: 
nimmt, genau ftudiert und wiedergegeben werben. 
Vor allem aber ift alles Theatralifche, alles 
Forcierte zu vermeiden, weil es naturmwidrig und 
unwahr it; das Tier foll im Affekt dargejtellt 
werden, aber nicht auf Koften der Wirklichkeit, 
der anatomischen und phyfiologischen Geſetze. 
Deshalb ift es jo ſchwer, einem ausgeitopften 
Naubtiere, einem Löwen, Tiger, Panther, 
Jaguar, Leoparden, einem Wolf den wahren 
Charakter des Naubtieres aufzudrüden, ohne die 
Natur zu überbieten, ihr Zwang anzuthun, thea: 
tralifch zu werden, wie es oft von Beitellern ver: 


Die Kunft der Taribderntic. 


langt wird, welde nichts von Naturgeſchichte 
verjtehen und nicht zwifchen dem Idealen und 
dem Realen zu unterfheiden verjtehen. 

Wie nun einerjeits Die Taridermie dem Laien 
und Dilettanten eine Quelle des reinften Ver: 
gnügens und dauernder Belehrung in der Natur: 
geſchichte ift, jo bildet fie anderjeits aud) einen 
erheblihen Zweig des Kunjtgewerbes. Es ift 
in Amerifa und England Mode, den Meijter- 
jtüden der Taridermie an Schmudvögeln und 
Ihönen Säu: 
getieren auch 
einen Plaß.als 

Zimmer: 
Ihmud anzu: 
mweijen, und 
niemand wird 
in Abrede zie: 
hen können, 
daf ein Ofen: 
ihirm aus 
einem ausge: 
itopften Pfau 
(5.179) min: 
deitens ebenſo 
ihön wie ein 
geitidter oder 
ſtramingenäh— 
ter oder mit 
japaneſiſchen 
Zeichnungen 
bedeckter iſt, 
daß eine 
Waldſchnepfe 
mit Jungen 
(S. 176), eine 
kaliforniſche 
Wachtel, ein 
Felſenhuhn 


u. dal. auf einer Konſole unter Glasglocke min: | 





Darlelinente im Verband, 


t 
| 


181 


ichlecht bezahlt wird, als in England und Amerifa, 
in jenen größeren Städte, wohin die Schäße ber 
exotiſchen Faunen in Menge auf dem Handels: 
wege zujammenfliegen. Gleich manchen anderen 
Künften und nduftriezweigen fteht auch die 
Taridermie in England und in den Vereinigten 
Staaten auf einer entjchieden höheren Stufe als 
bet ung und wird von einer Reihe von tüchtigen 
Meijtern mit entichiedenem künſtleriſchem und 
materiellem Erfolg ausgeübt. Dieſe Meifter 
haben große 
Lager von 
Säugetieren 
und Vogelbäl⸗ 
aen und ftop: 
fen einzelne 
Tiere und 
Öruppen auf 
den Verkauf 
aus, und es 
fehlt ihnen 
nicht an Kun: 
den in Geftalt 
von Privaten, 
Sportsmen 
und zoologi— 
ſchen Muſeen, 
in deren Er— 
richtung der— 
malen die grö— 
herenamerila- 
nischen Städte 
untereinander 
mwetteifern. 
Derartige 
Meiſter find 
Edwin Ward 
in London, 
welhem die 
oftindischen Offiziere und Weidmänner immer die 


deitens fo ornamental und jedenfalls anmutender ſchönſten EremplareihrerLeoparden, Tigeru. |. w. 


und lehrreicher als eine Majolikavafe ift, und daß 
eine Eulengruppe mit dem Horit (S. 180) in 
einem hübjchen Glasjhrant an der Wand dem 
Effelt eines gewöhnlichen Delgemäldes gleich): 
fommt. Niemand wird daher der Taridermie die 
Berechtigung wie die Befähigung bejtreiten fon: 
nen, zum Schmucke unferer Wohnräume beizu: 
tragen, und dieje Kunst hat deshalb, abgejehen 
von ihren höheren wiſſenſchaftlichen Zielen, noch 
eine große Zukunft — weniger vielleicht bei uns 
in Deutſchland, wo fie noch verhältnismäßig 


zufenden und die er auf Beitellung in jeder be: 
liebigen Stellung und tadellofer Naturtreue 
liefert und wobei er in jedem einzelnen Falle 
erit Studien im Zoologiſchen Garten im Negents: 
park macht und ſich feine Skizzen nad) der Natur 
zeichnet; ferner der ſchon erwähnte Amerikaner 
Henry A. Ward in Noceiter, N.Y., heutzutage 
einer der größten Naturalienhändler, welcher 
eigene Sammler und ‘Jäger nah Aſien und 
Afrika ſchickt, und mittels feiner ungeheuren 
Thatkraft und riefigen Sammlungen Außer: 


182 


ordentliches zu leiften imftande ift, wovon nad): 
ftehend nur ein einziges Beiſpiel. Als die 
Filchereiausftellung in Berlin vorbereitet ward, 
die man am 18. April 1880 eröffnete, ſchrieb 
im März der Präfident White, der damalige 
nordamerifanifche Gefandte in Berlin, an Ward, 
welder damals in Paris war, er möge doch die 
Ausstellung mit den Fiſchen Amerikas beſchicken. 
Zwei Tage nad) Eröffnung der Austellung langte 





ERS <> 


- _— — 





Golbabler. 


in Berlin eine beinahe vollftändige Sammlung 
amerikanischer Filche an, bejtehend aus fünfzehn: 
hundert auögeftopften Eremplaren, welche binnen 
Monatäfriit aus dem amerikanischen Haupt: 
quartier durchaus Haffifiziert, etifettiert, be: 
namft und verpadt abaefandt worden waren. 
In ähnlicher Weife hat der verjtorbene 
Ploucquet in Stuttgart jchon vor Jahren mehrere 
große Sammlungen von Säugetier: und Vogel: 
aruppen teils zur Ausftellung teil zum Berfaufe 
hergeitellt. Die erſte derjelben, zum Teil die 
Gruppen enthaltend, welche Ploucquet 1851 auf 
der Londoner Weltausſtellung gezeigt hatte, 


ging durch Kauf an einen ſchweizeriſchen Forſt- 


— —— ———— — — — — — — — — — — — — — — — — 


J 


Die Kunft der Taridermie. 


mann, Chalande, über, der fie erft in allen 
größeren Städten der Schweiz ausjtellte und 
dann an das naturhiftoriihe Mufeum in Neuf: 
chatel verfaufte, mo fie noch zu jehen ift; eine 
zweite größere, welche Ploucquet felbjt in Etutt: 
gart mehrere ‘Jahre und dann 1866 während des 
Kriegs in Wien ausgeitellt hatte, ward nad) 
London verfauft, wo fie num im Sydenham: 
Kryftallpalaft aufgeftellt ift. 

Unfere deutſchen Ausjtopfer, wie geſchickt 
und verdient fie auch fein mögen, ſchlagen ſich 
notdürftig dur; in Amerifa werden die ge: 
ſchickteren unter ihnen reiche Zeute, aber auch die 
minder gejchidten finden nod ihr gutes Aus: 
jehen, denn die Taridermie fpielt dort im öffent: 
lichen und gewerblichen Leben eine größere Nolle 
als bei uns. Der Geflügelhändler will für fein 
Schaufenfter ausgeftopfte Hühner, der Wildbret- 
händler Hirfche, Truthühner, Faſanen, Wild: 
enten, der Fleifcher Zämmer und Kälber, der 
Blumenhändler Schwäne und Tauben, der Milch: 
mann ruhende Kühe, der Kürfchner aufgerichtete 
Bären, jchreitende Löwen und Tiger, und ber 
Sportöman und der Neifende verzieren ihr Heim 
mit der ausgeftopften Beute, welche fie mit: 
brachten. Die Leitungen der Taridermie er: 
icheinen im häuslichen und öffentlichen Leben der 
Amerikaner unter hunderterlei Gejtalten. 

Eine eigentümlihe Beihäftigung it ber 
Taridermie drüben neuerdings zugefallen: es 
find mehrere gefchichtlich berühmte Pferde ausge: 
jtopft worden, jo General Sheridans Schladhtroß 
„Rienzi“, welches ihn von Wincheſter zwanzig 
Meilen weit trug, ift jegt auf Governors Island 
zu fehen; Shermans berühmtes Pferd „Te: 
cumſeh“, welches er „von Atlanta bis zum 
Meere” ritt, ift inder Univerfität von Wisconfin 
zu Madifon, und General Nobert E. Lees’ 
Kriegspferd „Traveller* in dem Mujeum der 
Waſhington und Lee Univerfity in Virginien 
aufgeftellt. So jchwierig auch die furzhaarigen 
Tiere wie Pferd, Giraffe, Windhund u. a. aus: 
zuftopfen find, fo hat man es doc) hierin neuer: 
dings wunderbar weit gebracht, jo daß aud) der 
Kenner von ausgeftopften Tieren nicht die leijejte 
Schwellung oder Ausladung einer Ader, Schne 
oder Musfel vermißt und der edle Habitus und 
feurige Charakter des Tieres voll zur Geltung 
fommt. 

Das eben Gefagte mag beweiien, daß die 
Taridermie, welche bei uns bisher eine fold 
untergeordnete Nolle jpielte und faum beachtet 


Die Kontagiofität der Cuberkuloſe. 


ward, noch einer großartigen Entwidelung ala 
Kunst, Kunftgewerbe und nützlicher Zeitvertreib 
fähig ift. Sie einigermaßen mehr in den Brenn: 
punkt der öffentlichen Aufmerkſamkeit zu rüden 
und dem Intereſſe der Gebildeten näher zu 
führen, ift die Abficht der vorliegenden Spalten. 


Die Kontagiofität der Tuberkuloſe. 


3. Affelmann. 


—. 


It fehr alt ift der Verdacht, daß die 
Schwindſucht eine anjtedende Krankheit fei. 
Durch eine Reihe von Schriften tüchtiger Nerzte 
des fechzehnten und fiebzehnten Jahrhun— 
derts zieht ſich ein foldher Glaube hin; ja, wir 
finden ihn angedeutet bereits in noch früherer 
Zeit. Die Erfahrung, die Beobachtung in der 
Praris gab eben den Aerzten zahlreiche Indi— 
zien dafür, daß die Uebertragung des Leidens 
von dem Kranken auf einen bis dahin völlig ge: 
funden Menſchen möglich fei. Sn dem näm- 
lichen Verhältnis, wie die Zahl der Fälle wuchs, 
in denen man eine folde Anſteckung vermuten 
mußte, nahm auch der Glaube an die letere 
zu, und jo jehen wir, daß derjelbe fich gegen 
Ende des vorigen Jahrhunderts, menigitens 
bei jehr vielen Medizinern, zur völligen Ueber: 
zeugung fteigerte. Die angejehenften Praftifer 
traten für die Anfiht auf, daß die Schwindjucht 
anſteckend fei; in einzelnen Yändern fam es fo: 


gar dahin, daß auf Grund dieſer Anficht bejon-. 


dere Geſetze zur Verhütung der genannten 
Krankheit erlafien wurden. Am fchärfften ging 
man in Neapel vor. Dort ordnete die Negie: 
rung, auf ein Gutachten des oberjten Geſund— 
heitärats ſich ſtützend, an, daß jeder Fall von 
Schwindfuht der Behörde angezeigt werden 
mußte, befahl ferner, daß ärmere Schwind: 
füchtige jofort nach Bekanntwerden ihrer Krank— 
heit in ein Spital zu überführen, daß die 
Räume, in welchen jolde Patienten gelebt hat: 
ten, zu desinfizieren, ihre Kleidungsjtüde zu 
vernichten jeien und bedrohte jede Kontra: 
venienz, insbejondere auch das Verkaufen, bezw. 
Verſchenken der betreffenden Kleider mit den 


183 


rigoröfeften Strafen. In Florenz und Venedig 
ichritt man zu ähnlihen Maßnahmen, und aud 
Portugal erhielt ein Schutzgeſetz gegen die 
Uebertragung der Schwindjudt. Dies war zu 
Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahr: 
hundert. Seit jener Zeit verlor die Anficht 
der damaligen Nerzte allmählich wieder viele ihrer 
Anhänger; der Verdacht, daß die Tuberfulofe 
anjtedend fei, wurde minder oft ausgeſprochen, 
die Ausführung der Schugmaßregeln filtiert, 
wo fie angeordnet worden waren. ‘jet aber 
jcheint fi) herauszuftellen, dab das, was vom 
oberiten Gefundheitärat zu Neapel vor hundert 
Jahren mit folcher Beftimmtheit als richtig hin- 
gejtellt wurde, thatfächlich richtig ift. Die Ent: 
deckung des Tuberfeljpaltpilzes, des Trägers 
des Schwindjuchtgiftes, die Konjtatierung der 
Thatjache, daß die Ueberimpfung diejes Pilzes 
die gefürdhtete Krankheit hervorruft jelbjt bei 
folhen Tieren, welche fonjt von ihr durchaus 
verjchont bleiben, ſowie der Nachweis, daf der 
Auswurf Schwindfüchtiger allemal den Träger 
des Giftes beherbergt, daß er nad) erfolgter 
Trodnung und Zerjtäubung Tiere, die ihn ein: 
atmen, tuberfulös macht, haben gezeigt, daß das 
Leiden eine fpecifiiche Urjache hat, daß es über: 
tragbar ift und daf die Uebertragung auf Men— 
chen, wenn nicht noch auf andere Weiſe, fo 
wahrjcheinlich durch den Schleim gefchehen fann, 
melden die Patienten aushuften und welcher 


dann die Luft mit infektiöfen Keimen erfüllt. 


Der Beweis, da dieje leßteren die wirkliche 
Urjahe der böjen Krankheit find, daß ihre 
Uebertragung das tuberfulöje Yeiden hervorruft, 
wurde mit folder Bejtimmtheit erbracht, daß 
ein Zweifel an der Nichtigfeit der foeben auf: 
geftellten Sätze nicht mehr zuläffig ericheint. 
Fortan haben aljo Aerzte und Hygieiniker mit 
der Tuberkuloje als einer Infektionskrankheit 
zu rechnen. Hielt man fie noch vor furgem für 
die Folge der Vererbung, hygieiniſcher Uebel: 
jtände und focialen Elends, jo muß man jebt, 
ohne deshalb das Gewicht diefer faufalen Mo— 
mente geringer zu fchäßen, immer daran denfen, 
daß die eigentlihe und legte Urſache 
doch ein jpecififcher Keim, ein patho: 
gener, zu deutih franfmadender, 
Pilz tit. 

Die Feititellung der Thatjache, daß die 
Schwindſucht eine Infektionskrankheit ift, be: 
weiſt nun freilich für ſich noch keineswegs, 
worauf ſo vieles ankommt, daß ſie anſteckend 


184 


it. Selbjt jenes Faktum, daß der zerjtäubte, 
von Tieren eingeatmete Auswurf Schwind: 
füchtiger bei jenen Tuberfulofe hervorruft, kann 
für fich allein noch nicht zeigen, daß diefes Leiden 
von einem Menfhen auf den anderen durch 
die Luft übertragbar tft. Es bedarf einer Er: 
gänzung durch die ärztliche Beobachtung, bedarf 
der Konjtatierung von Fällen, in denen die An 
ſteckung thatfählih ſtatthatte. Nah dieſer 
Richtung hin iſt nun die Wiſſenſchaft in aller— 
jüngſter Zeit ſehr thätig geweſen. Dasjenige, 
was ſie ſammelnd und ſichtend zu Tage förderte, 
im Detail zu ſchildern, iſt nicht hier der Ort. 
Wohl aber ſcheint es mir am Platze zu ſein, 
einzelne belangreiche Daten hier kurz zu re— 
giſtrieren und zu beleuchten. Das Collection 
Investigation Board in England, der leitende 
Ausſchuß einer Geſellſchaft, die ſich zum Zwecke 
gemeinſamer Erforſchung von Krankheiten und 
Krankheitsurſachen gebildet hat, erhielt bis jetzt 
1028 Antworten auf die Frage, welche be— 
züglich der Kontagioſität der Schwindſucht an 
die Mitglieder gerichtet worden war; von dieſen 
Antworten lauteten im ganzen 262 rein be: 
jahend und 673 rein verneinend. Unter den 
Fällen, in welchen eine Anjtedung angenommen 
war, befanden ſich 119, in denen der Ehemann 
die Frau, und 69 andere, in denen die rau 
den Mann mit der Tuberfulofe angejtedt haben 
follte. In 130 diejer Fälle fonnte bejtimmt 
fonjtatiert werden, daß das in zweiter Reihe er: 
frankte Individuum vor der Ehe nicht an Tu: 
berfulofe litt und ſogar auch frei von einer erb: 
lichen Anlage diejes Leidens war. Eine jüngſt 
veröffentlihte Schwindſuchtsſtatiſtik des Vereins 
ichleswig:holfteinifcher Aerzte enthält die Notiz, 
daß beim Tode von 938 an erworbener Tuber: 
fulofe dahingerafften Eheleuten 101mal die 
Tuberfulofe des anderen Ehegatten fich feſtſtellen 
ließ, daß Ehefrauen häufiger von tuberfulöfen 
Männern, als diefe von tuberfulöfen Frauen 
angeftedt wurden, und daß die Hebertragung 
auf dem Lande entſchieden häufiger vorfam als 
in der Stadt. Mehrere Gefängnisärzte, ins: 
befondere Dr. Baer zu Berlin, berichteten über 
das außerordentlich häufige Norfommen der 
Schwindjuht in den Gefangenanitalten und 
bradıten dasjelbe in faufalen Zuſammenhang 
damit, daf die Tuberkulöfen mit den Gefunden 
vielfah gemeinfam arbeiten, vielfach in einem 








I Nifelmann, 


reichende Desinfektion neuanfommenden Sträf: 
lingen überwiefen werde. Zahlreiche Aerzte end- 
lid) veröffentlichten Yyälle der eigenen Praris, in 
denen die Uebertragung der fraglichen Kranf: 
heit auf einen bis dahin völlig gefunden Men: 
ſchen als einzig mögliche oder doch höchſt wahr: 
ſcheinliche Urfahe anzufhuldigen war. So er: 
wähnt ein anderer Arzt der Thatfahe, da im 
Militärinvalidenhaufe zu Berlin die Tuber: 
fuloje bei den zufammenlebenden Inſaſſen dop- 
pelt jo häufig ift wie bei den einzeln wohnenden. 

Dod audiatur et altera pars! Es gibt 
Aerzte, welche beftimmt erklären, es feien ihnen 
in großer Praris feine Fälle vorgefommen, in 
denen mit Sicherheit die Kontagiofität der 
Schwindfuht von ihnen Fonftatiert werden 
fonnte. Ja, was ungleid wichtiger ift, die fta: 
tiftiihen Erhebungen in den Schwindfuchts- 
ipitälern befonders Englands zeigen jehr deut: 
ih, daß unter dem zahlreichen Warteperjonal, 
welches dauernd in denjelben den Dienjt ver: 
fieht, das Vorkommen von Tuberfulofe durch— 
aus fein häufiges, vielmehr ein relativ feltenes 
ift. Diefe Thatſache, denn als ſolche darf fie 
getroft bezeichnet werden, wollen wir uns jorg: 
ſam merfen; fie verdient vollauf die Beachtung 
eines jeden, der fi mit dem Studium der Kon— 
tagiofitätöfrage befaßt. Auch den vorhin er: 
wähnten Mitteilungen der Gefängnisärzte ftehen 
andere gegenüber, welche gar nicht für die Kon: 
tagiofitätslehre jprechen. So liegt mir in diefem 
Augenblide ein Bericht über die ſchwediſchen 


' Gefangenanftalten vor; diefelben hatten wäh— 





Saale ſchlafen, und daß die Hleidung der Tus 


berfulöfen der Regel nad) ohne zuvorige aus— 


rend des ganzen Jahres 1881 die erjtaunlich 
niedrige Ziffer von nur 38 Schwindfuchtäfterbe: 
fällen. 

MWägen mir alles gegeneinander ab, jo 
müffen wir fagen, daß ein enticheidendes Urteil 
noch nicht aegeben werden fann. Doch dürfen 
wir jedenfalls aus dem vorliegenden Material 
fo viel ſchließen, daß die Gefahr der Ueber: 
tragung von Tuberfuloje durch Anjtedung Feine 
jo große ift, wie fie in jüngjter Zeit von ver: 
ſchiedenen Seiten geichildert wurde. Es bedarf 
ficherlih außer dem Vorhandenſein des fpeci: 
fiichen Pilzes noch gewiſſer die Einniftung und 
Wucherung desfelben begünftigender Momente, 
welche entweder in dem Individuum ſelbſt oder 
außerhalb desjelben liegen fünnen. Wäre dies 


' nicht der Fall, fo müßte die Anftedung ungleich 


häufiger beobachtet werden, als bisher möglich 
war. Die Thatjache, daß bei gewiſſen Arbeitern, 


Die Kontagiofität der Tuberkulofe. 


welche infolge ihres Berufs ſehr leicht eine Ver: 
legung der Schleimhaut ihrer Atmungsorgane 
ſich zuziehen, Tuberkulofe ungemein oft vor: 
fommt, gibt einen bedeutjamen Fingerzeig da: 
für, daß Veränderungen der normalen Beſchaf— 
fenheit der Atmungswege ein fehr wichtiges, 
die Einwanderung des Pilzes beförderndes Mo- 
ment abgeben. Es ift ferner befannt, daß alle 
Infektionskranlkheiten mit Vorliebe geſchwächte 
‚Individuen befallen; und auch dies Faktum 
dürfte einen belangreihen Anhaltspunkt dafür 
bieten, weshalb in einem Falle die Anſteckung 
geſchah, in einem anderen aber unterblieb, ob: 
ſchon in leßterem vielleicht die Gelegenheit zur 
Uebertragung eine größere war als in erjterem. 
Doch kann ich diefe disponierenden Momente 
hier nur andeuten, nicht ausführlich befprechen. 

Iſt aber auch die Gefahr der Anſteckung 
feine fo überaus große wie bei manchen anderen 
Infektionskrankheiten, 3. B. der Diphtheritis, 
dem Scharlach, den Mafern, dem Keuchhuſten 
u. ſ. w., fo ijt fie doch vorhanden. E3 würde 
nicht richtig fein, die zahlreichen pofitiven Daten 
gegenüber den negativen einfach) zu ignorieren. 
Wenn aber jene Gefahr vorliegt, fo muß fie 
auch bekämpft werden. Handelt es ſich doch um 
den Schuß vor einem der böfeften Leiden, welche 
den Menſchen befallen. Wie aber foll man dem 
Feinde entgegentreten? Das ift eine der wid: 
tigen Fragen, welche nad) Erkenntnis des wahren 
Charakters der Tuberkulofe jet auf der Tages: 
ordnung jtehen. 

Gehen wir näher auf das foeben bezeichnete 
Thema ein, fo ift das Geftänbnis vorauszuſchi— 
den, daß eine definitive Löfung der Aufgabe 
zur Zeit noch nicht gegeben werden, ja noch nicht 
einmal verfucht werden fann. Wir fennen den 
Feind, kennen fein Aeußeres, dad Gefährliche 
jeines Wefens, auch die hauptſächlichſten Stätten, 
an denen er vorlommt. Aber noch fragmentär 
und unzureichend ift unfer Wiſſen bezüglich feiner 
Lebensbedingungen, ich meine bezüglich der Mo: 
mente, welche fein Wahötum, feine Wucherung 
befördern oder aufhalten, feine Mebertragung 
auf den Gefunden begünftigen oder verhindern. 
Nach diefer Richtung hin Aufklärung zu ſchaffen, 
jind viele Forfcher zur Zeit fleißig bemüht. Bei 
dem großen Eifer, mit welchem fie zu Werfe 
gehen, läßt ſich hoffen, daß das erftrebte Ziel 
bald erreicht werde. Che dies aber nicht der 
Fall ift, kann unmöglich eine rationelle Prophy— 
lari3 nad) allen Seiten Platz greifen. Und doch 


185 


| läßt fih ſchon jett jehr vieles thun, um die 

| Macht des Yeindes zu breden. Ja, es würde 
ein großer Fehler fein, wenn man zu joldem 
Zwede die neuerlangte Kenntnis, fo jehr fie 
aud) noch der Ergänzung bedarf, nicht ausnutzen 
wollte, 

Auf dem jüngjten internationalen Kongrefie 
für Hygieine, welcher im Jahre 1882 zu Genf 
abgehalten wurde, und auf welchem der in der 
Gelehrtenwelt rühmlichſt befannte Profeſſor 
Dr. Alfonfo Corradi aus Pavia einen in: 
terefjanten Vortrag über die Kontagiofität der 
Tuberfulofe hielt, war es Leudet, welcher im 
Anſchluß an die Worte Corradis folgende Säße 
aufftellte, um die empfehlenswerten Maßnahmen 
des Schutzes zu präcifieren: 

1. dem Abſchluſſe der Ehe einer tuberfu- 
löjen mit einer gefunden Berfonift zumiderraten; 

2. die Iſolierung der Kinder einer tuber: 
fulöfen Familie voneinander ijt vorteilhaft; 

3. die Iſolierung der Tuberfulöfen tft zwar 
wünfchenswert, in praxi aber meiftens nicht zu 
realifieren, aud) nicht einmal in Spitälern. 

Es iſt klar, daß Maßnahmen, wie die von 
Leudet vorgeſchlagenen, zu wenig beſtimmt 
und zu negativ ſind, als daß ſie viel nützen und 
die Hygieine befriedigen könnten. Die letztere 
verlangt mit vollem Recht ein entſchiedeneres 
Vorgehen gegen die Krankheitsurſache ſelbſt. 
Man ſoll den Feind aufſuchen und vernichten; 
das iſt die Parole im Kriege eines Volkes gegen 
das andere, aber fie iſt es auch im Kampfe gegen 
die feindlichen Infektionsſtoffe, welche uns be— 
drohen. Wir haben den Tuberkelpilz unſchädlich 
zu machen, wo wir ihn nur faſſen können; auf 
dieſer Baſis muß die Prophylare ſich aufbauen, 
nachdem feitgejtellt wurde, daß er die Urſache 
der Schwindfucht ift, daß dieje nicht ohne ihn 
entjteht. 

Als eine Hauptquelle dieſes Pilzes und als 
ein Hauptherd feiner Ausbreitung muß der 
Auswurf Shwindfüchtiger Individuen betrachtet 
werden; ihn hat man deshalb in erſter Linie 
unfhädlic zu machen. Das ift rationell, ver: 
fpriht den größten Nugen und ift außerdem 
praktisch leicht durchführbar. Es wird zu ſolchem 
Zwede anzuordnen fein, daß der Tuberfulöfe 
den auögehufteten Schleim allemal in einen Be: 
hälter entleert, welder ein gemwijjes Duantum 
einer deöinfizierenden Maſſe, 3. B. 5° Car: 
bolfäure enthält, und daß diefer Behälter mehr: 

‚ mals täglich gereinigt wird. Ferner ift jede 
24 


186 


Verunreinigung des Zimmers mit dem Aus: 
wurfe ftreng zu verbieten, meil fie ficher eine 
Anfüllung der Luft mit dem Pilze zumege 
bringen würde, ift aber, wenn fie trogdem ftatt: 
hatte, fofort gründlich zu befeitigen ; und endlich 
muß dafür geforgt werden, daß Tücher, die etwa 
zur Aufnahme des Schleimes benugt wurden, 
jedenfalls noch vor dem Trodenwerben des let: 
teren aus dem Mohnraume entfernt und des- 
infiziert werden. Solde Maßnahmen find ge: 
eignet, die Gefunden zu fhügen und dem Kran: 
fen dasjenige, was zur Heilung feines Leidens 
in erjter Linie nötig ift, zu fichern, nämlich eine 


vom Tuberfelpilz möglichjt freie Luft. 


Bereits wurde in zahlreichen Spitälern diefe 
Unfhädlihmahung des Auswurfs der Schwind: 
füchtigen mit Ernft ins Werf gejet ; von vielen 
Aerzten ift fie auch Schon in der privaten Praris 
angeordnet worden, und zweifellos wird fie 
binnen furzer Frift allgemein eingeführt fein. 

Man könnte vielleicht den Einwurf erheben, 
baf die Feftitellung der Natur des Leidens, von 
welchem hier die Rebe ift, nicht immer, zumal 
im Anfange, leicht fei, und daß es aus gemifjen 
Rückſichten fich nicht empfehle, in noch zweifel- 
haften Fällen Anordnungen zu treffen, welche 
den Kranken und feine Angehörigen möglicher: 
weife ängftigen Fönnten. Darauf ift zu er: 
widern, daß die Natur des Leidens in der über: 
wiegenden Mehrzahl aller Fälle thatſächlich ſehr 
leicht feitgeftellt werben fann, wenn nur der 
Auswurf von fundiger Seite unterfucht wird, 
Jeder Arzt muß jest mit der Methode der Auf: 
findung des Tuberfelpilzes befannt fein; das 
darf von ihm gefordert werden. Wenn es aber 
möglich ift, leicht Gewißheit zu erlangen, fo fann 
es faum noch vorfommen, dag man Maßnahmen 
der vorhin bezeichneten Art unnötigermeife 
anorbnet. 

Ein weiterer Shut liegt in der ausgiebigen 
Ventilation aller Näume, in denen der Tuber: 
kulöſe fih aufhält. Durch fie erzielen wir Fort: 
führung der mit dem Krankheitsſtoffe erfüllten 
und Zuführung reiner, quter Luft, in jedem 
Falle alfo eine ſtarke Verminderung ber Zahl 
der Pilze. Auch damit wird wiederum den Ge: 
funden, wie den Kranken genüßt, und es ift 
gleichfalls eine leicht zu Handhabende Mafregel, 
gegen welche nur leider allzu oft jeitens der 
Patienten Oppofition gemadt wird. 

Wir müffen ferner ins Auge fallen, daß 
aud die Aleidungsftüde und Betten des Tuber: 


3. Uffelmann. 


fulöjen den Krankheitsfeim beherbergen und jo- 
mit anftedend wirfen fönnen. Gelegenheit zur 
Aufnahme desfelben haben fie ja häufig genug, 
vielleicht in jedem Augenblide, da die Luft in 
den Wohn: und Schlafräumen der fraglichen 
Kranfen, jelbit bei ausgiebiger Ventilation, nicht 
frei von den betreffenden Pilzen if. Würde 
man den Kleider: und Bettjtaub unterfuchen, jo 
würde man biefelben zweifellos in großer Menge 
vorfinden. Auch hier werden wir alfo den Feind 
vernichten oder unfhädlih machen müſſen. Es 
it jedenfalls angefichts der bejtehenden Gefahr 
nicht zu geftatten, daß ein Gefunder die nicht 
ausreichend desinfizierten Kleidungsftüde und 
Betten eines Schwindfüchtigen benugt. Am 
zwedmäßigiten wird immer fein, diejelben nad) 
dem Tode des leßteren furzweg zu verbrennen ; 
da man dieſes aber in den niederen Ständen 
ſchwerlich wird erreichen fönnen, fo follte man 
in ſolchem Falle eine Desinfektion durch heiße 
Luft, bezw. fiedendes Waſſer anraten und an: 
ordnen, daß alle Effekten, welche eine derartige 
Behandlung nicht zulafjen, erſt nad) langer Lüf- 
tung wieder benußt werben, wenn der Befiter 
fih nicht entſchließen kann, fie zu vernichten. 
Endlich ift es jetzt nach befierer Erforſchung 
des Wefens der Tuberkuloſe unabmweislich, nicht 
bloß in der Auswahl von Ammen, fondern auch 
von Märterinnen für Kinder, überhaupt von 
Dienftperjonal, größere Vorficht als bisher an: 
zuwenden, damit einer Uebertragung der böfen 
Krankheit von vornherein vorgebeugt werde, 
Die Notwendigkeit einer derartigen Vorſicht 
liegt fo jehr auf der Hand, daf eine nähere Be: 
gründung nad) dem vorhin Gefagten überflüffig 
erſcheint. Deffentlihe janitäre Schutzmaß— 
nahmen, die einzelne jüngit verlangt haben, 
fönnen zur Zeit fchmerlich bereits angeordnet 
werden, weil es dazu noch an der nötigen Unter- 
lage fehlt. Man wird fich nicht Schon dazu ent: 
ſchließen, die Iſolierung der Schwindfüchtigen 
zu fordern, wie damals in Neapel, wird nicht 
die Ehe Tuberfulöfer mit Gefunden verbieten 
wollen, fo jehr dies auch im Intereſſe des öffent: 
lihen Wohles liegen würde. Am frühejten 
könnte man nod) ein Vorgehen gegen das Ver: 
faufen und Verfchenfen oder Weberlafjen der 
Kleidungsftüde und fonftigen Effekten Tuber: 
fulöfer erwarten. Aber es mangelt, wie eben 
gejagt, noch allzufehr an der ficheren Unterlage, 
als da man jhon eine geſetzliche Negelung der 
Schutzmaßnahmen erhoffen dürfte. Um fo drin: 


Dereinsleben in GOeſterrelch vor dem Jahre 1848. 


gender ift es nötig, daß privatim für den ein- 
zelnen Fall alles das angeordnet wird, was nur 
prophylaftiich angeordnet werden kann. Nach 
diefer Richtung hin dem Nichtarzte Belehrung 
zu bringen, war der Zwed diejer meiner Dar: 
jtellung, die übrigens, wie ih faum zu betonen 
nötig habe, feineswegs das ganze Schußver: 
fahren, fondern lediglich die Verhütung der von 
dem tuberfulöfen Kranken felbft drohenden Ge: 
fahren einer furzen Beiprehung unterziehen 
wollte, 


Dereinsleben in Deflerreid 
vor dem Dahre 1848. 


Don 
Dohannes Nordmann. 


—— 


& iſt nachgerade Brauch geworden, die politi— 

ihe Zeitrehnnng in Defterreih vom März 
des jahres 1848 zu datieren. Ein ſchweres 
Unrecht aber wäre es, nicht mit der Kultur: 
bewegung rechnen zu wollen, welche diefem 
Sturmjahre vorangegangen und es vorbereitet; 
wie ja auch, allerdings in größerem Stile, die 
geiftige Arbeit der Encyklopädiſten die Mevo- 
lution des vorigen Yahrhunderts in Frankreich 
vorbereitet hat. Bon jenen Hebelfräften des 
geiftigen Lebens in Wien, die für jene Kultur: 
bewegung im Vormärz in Thätigfeit waren, will 
ich ſprechen. 

Ein Vereinsleben, wie wir es derzeit fennen, 
fonnte ſich vor dem Jahre 1848 nicht entwideln; 
der Horror der Negierenden gegen ein ſolches 
war jo ftarf, daß man beifpieläweife dem Turner 
Steffant gejtattete, nicht eine Turn-, fondern 
nur eine gymnaſtiſche Schule zu begründen und 
einzurichten, welche leßtere Bezeichnung fajt ben 
Schluß erlaubte, ala hätte man ihm damit das 
Recht, Kunftreiter und Cirkusſpringer, nicht aber 
kräftige Männer für eine gelegentliche That heran: 
zubilden, einräumen wollen. Ein wahres Wun— 
der ijt e8 zu nennen, daß man damals jene, 
denen „Geſang gegeben,“ fich unter dem Namen 
„Männergejangsverein“ zuſammenſcharen ließ; 
und einen eigentlichen Kampf erforderte es, den 
Namen: „Juridiſch-politiſcher Leſeverein“ für 


187 


gleihgefinnte Männer, die fich finden und über 
die Zeitereigniſſe ausſprechen werben, durch— 
zuſetzen. Mit den beiden letztgenannten Gruppen 
wardie Summe des Vereinslebens in feiner zahm— 
jten Bedeutung erſchöpft. Was äuferlic und 
offen al verpönt galt, mußte aljo auf geheimen 
Wegen erreicht, das politifche Vereinsleben mußte 
durch Fitterarifche und geiftige Berührungs: und 
Bereinigungsgruppen angebahnt werden. 

Wenn einer eine Reife thut, heit es in 
einem alten und viel verbrauchten Sprichworte, 
fo fann er was erzählen. Nun habe ich fchon 
eine ziemlich lange Wegitrede des Lebens, immer 
nur mit leichtem Gepäde, da3 gleich dem eines 
fahrenden Schülers nur in Pennal und Tinten: 
faß beftand, zurüdgelegt und habe mir alſo das 
Recht ergangen, von meinen Erlebnifjen zu er: 
zählen. Mein Streben war zeitlebens bei vielen 
Quer: und rrgängen vorzugsmeife auf die Litte- 
ratur gerichtet; diefe war mein Hauptzielpunft ; 
was ich erreicht und errungen, ift gering und 
wiegt feberleicht ; mas ich auf meinen litterarifchen 
Manderungen erlebt, dürfte aber von einigem 
Intereſſe fein. Sch rechne bei meinen Rüdbliden 
mit den Alten und Jungen; mit den Alten, die 
fich vielleicht nicht ungern manche Erinnerungen 
aus halbvergangener Zeit auffrifchen laſſen; mit 
den Jungen, die fich gleichfalls nicht jträuben 
werden, zu erfahren, wie das politifche und litte: 
rarifche Leben in Wien geartet war, bevor das 
Sturm: und Gemwitterjahr 1848 die Luft in 
Defterreih von vielen verderblichen Miasmen 
gefäubert hatte. 

Es war ein ſchlechter und wohlfeiler Brauch, 
der vor jenem freimachenden Jahre „draußen im 
Neiche” gang und gäbe war, und mit dem man 
über die geiftigen Regungen und Strebungen in 
Deiterreich den Stab brechen zu fünnen glaubte. 
Durch zwei Dichter: durch SchillerundGrillparzer, 
von denen der eine als unrichtiger Interpret von 
dem „Lande der Phäaken“ und der andere von 
Wien als von einem „Capua der Geiſter“ ſprach, 
wurde man in dem abfälligen Urteile noch be— 
ſtärkt. So ſchlimm ſtand es denn doch nicht in 
unſerer damals viel verläſterten Heimat. Wenn 
richtig iſt, daß Zahlen ſprechen, ſo wäre mit 
dieſem Faktor der Beweis zu führen, daß die 
Oeſterreicher ſich nicht in dem verſchrieenen Zu— 
ſtande geiſtiger Verwahrloſung befanden. Es 
iſt eine unbeſtrittene Thatſache, die auch heute 
ihre Gültigkeit nicht eingebüßt hat, daß Oeſter— 
reich und namentlich Wien der beſte Abſatzmarkt 


188 


für die Produktionen des deutfchen und fremden 
Buchhandels war. 

Nun kann nicht angenommen werben, daß 
dieje Bildungsmittel, für welche die Defterreicher 
mit dem Gelde nicht jparten und mit denen fie 
fich reichlichit verforgten, pur: und wirkungslos 
an ihnen vorübergegangen wären. Und fie 
mußten fich diefe Bildungsmittel in den meiften 
Fällen nicht ohne Mühe und Gefahr verſchaffen. 
Die Mühe des ungefeglihen Schmuggelgeichäftes 
hatte allerdings nur der hiefige Platzbuchhändler, 
welcher die verlangte verbotene Ware feinen 
Kunden beforgen wollte; vor der Gefahr einer 
Hausdurhfuhung und fonftiger Drangfalierung 
vonfeiten der Cenfur: und Rolizeibehörden hatten 
wieder jene nicht zurüdzufchreden, die fich joge: 
nannte „freifinnige Schriften“ einwirtſchaften 
und nicht Die Bevormundung, deren Bedarf erga 
Schedam decken zu bürfen, gefallen laſſen 
wollten. Die luftigften Gejhichten wären dar: 
über zu erzählen, wie die Sortimenter in Wien 
folhe Bücher eingefhmuggelt hatten. Eine Un: 
zahl von Eremplaren des „Leben Jeſu“ von 
David Strauß ging unter den Titeldedblättern 
der beftbeleumundeten Andachtsbücher nachOeſter⸗ 
reich, und ganze Ballen von Börne's „Parifer 
Briefen” wanderten unter den Titelumfchlägen 
Glauren’iher und anderer unverfänglider Ro: 
mane aus dem Revifionsamte, wo allerdings 
diefe geiftigen Schäße nicht immer von Argus: 
augen gehütet wurden, fondern wo der eine und 
andere freifinnige Beamte ganz gut jah, aber 
nicht fehen wollte, wenn mit einem fchon revi— 
dierten Balete mehrere Kolli, die einen weitaus 
verbäcdhtigeren Inhalt vermuten ließen, verladen 
wurden. Wäre eine Vigilanz par Ordre du 
Mufti jtrenge geübt worden, jo würde nicht 
möglich gewefen fein, daßdie „Spaziergänge eines 
Miener Poeten“ von Anajtafius Grün und 
Herwegh's „Lieber eines Lebendigen”, die mit 
dem ſtrengſten Interdikte belegt waren, fait in 
feinem gebildeten Haufe fehlten. Ich weiß aus 
dem Munde des Verlegers, daß mehr als zwei 
Dritteile aller Auflagen der „Lieder eines 
Lebendigen” nach Defterreich gingen, und kann 
noch als Kuriofum mitteilen, daß die aner: 
fennendfte Kritik über diefe Lieder in dem von 
einem öfterreichifchen Cenſor, nämlih von 
dem Dramatifer Deinhardftein- redigierten und 
in Wien erfchienenen „Jahrbuche“ veröffentlicht 
wurde. Ein Erflärungägrund diefes Kurioſums 
liegt freilich darin, daß das „Jahrbuch“ eine 


Johannes Mordmann, 


ſehr geringe Verbreitung hatte, aljo nahezu 
wirkungslos bleiben mußte. Mit diefen furzen 
Andeutungen follte nur bewiefen werden, daß 
der Defterreiher von „Anno dazumal“ der litte: 
rarifchen Bildung nicht aus dem Wege ging, 
fondern daß er dafür mit allen erlaubten und 
unerlaubten Mitteln feine Opfer fcheute. 
Abgefehen von der komiſchen Seite dieſes 
Schleihhandels, mit dem die Bildungämittel in 
das Land gebracht werden mußten, war damit 
ein ganz eflatanter Nachteil und Schaden vom 
volkswirtſchaftlichen Standpunft aus verbunden, 
da man das fertige Bud auch als Ware zu 
betrachten hat. Der Import diefer Ware wurde 
mit den angebeuteten Mitteln ſchwunghaft be- 
trieben, mit dem Exporte aber jah eö verdammt 
täglid aus. Es fehlte im Lande nicht an den 
produzierenden Händen, das Imprimatur ber 
Genfur aber, das ihren Werfen gleich einem 
Brandmale aufgepreßt wurde, war fein Marken: 
ſchutz, ſondern das Bud, das die Firma eines 
öfterreichifchen Verlegers trug, war vorwegs ge: 
richtet und fand weder in der fremde, nod in 
der Heimat Käufer. Von diefem Fluche wurde 
einzig und allein der Verlag medizinifcher Werke 
nicht getroffen; für alle übrigen Hervorbringungen 
war er eine auönahmälofe Regel. Die Folge 
davon war, daß die beiten Produzenten ihre 
Merfe von deutfchen WVerlegern aus der Taufe 
der Druderichwärze heben liegen, und daß Leip— 
zig, Stuttgart und Hamburg den öſterreichiſchen 
Schriftftelleen die Wege der Anerkennung in 
ihrer eigenen Heimat bereiten mußten. Das eigene 
Fabrikat erhielt erft dann einen Verkaufswert, 
wenn ed aus dem Auslande bezogen wurde. 
Die notwendige Folge war wieder, daß nicht 
allein das Produkt, fondern aud der Produzent 
feine Heimat verließ, in der er feinen Schuß 
und vielmehr Verfolgung für feine Geiftesarbeit 
zu erwarten hatte. Der „fahrende Poet“, Carl 
Bed, dem erft, nachdem er die längfte Zeit 
verurteilt war, „die harten Treppen des Erils 
auf: und niederzufteigen, “ in feinen alten Tagen 
gegönnt war, fich in der Heimat aufdas Kranfen- 
lager zu betten, hatte für eine ganze, kaum 
poetifh flügge gewordene Echar das Beilpiel 
gegeben, fich von ihrem Vaterlande loszureißen. 
Mit der dürftigften Habe, deren problema— 
tiſches Wertftüd ein Manuffript war, wanderten 
fie aus. Was diefe modernen Argonauten er: 
beuteten, war fein goldenes Vließ, und fie wirt: 
ſchafteten ſich in den meiſten Fällen Kummer und 


Dereinsleben in Oeflerreich vor dem Jahre 1848. 


Elend ein. Das machte fie nicht mutlos, und 
fiewaren ſchon überaus glüdlich, wenn fie draußen 
einen Verleger fanden, der ihrem Manuffripte 
Gevatter jtand, nicht etwa deshalb, weil ihn 
dejjen Wertſchätzung beftimmt hätte, fondern aus 
dem viel trivialeren Grunde, weil er damit, wenn 
e3 mit dem non admittitur der Nichtzuläffigfeit, 
oder gar mit einem damnatur der Berbammung 
der öfterreichifchen Cenſurbehörde belegt wurde, 
auf ein gutes Geſchäft rechnen konnte. Die 
Buchhändlerſtadt Leipzig war zunädft der 
Bielpunft diefer Zugvögel; es trieb fie dahin 
vor allem die ſächſiſche Einundzwanzigbogen— 
Freiheit für Bücher ; eine problematifche Wohl: 
that, deren Wert heute nicht mehr erfannt wird, 
während fie damals als das höchſte erreichbare 
Gut betrachtet wurde. Nun war es aber feine 
geringe Sorge für die freiwilligen Erulanten, 
mit ihren [hmächtigen Liederheften dieſe zwanzig 
Bogen und darüber zu füllen, und ich erinnere 
mid) noch lebhaft, wie Morig Hartmann eines 
Tages auf meine Stube in der „großen Feuer: 
fugel* in Leipzig fam, in welchem Haufe die 
aus „Dichtung und Wahrheit” befannte Scene 
zwiſchen Goethe und Gottſched vorfiel, und mir 
fein Leid klagte, daß der Drud feiner Gedichte 
fchon beim fiebzehnten Bogen halte und er aud) 
nicht einen Vers für den erforderlichen Reſt 
habe. Da war guter Nat teuer, und er fühlte 
fich gerettet, als ich ihm einriet, fein Buch durch 
Ueberfetungs: Fragmente ausder „Königinhofer- 
Handihrift” zu ergänzen. 

Eine eigentlihe Kolonie von Poeten hatte 
fi vor dem Jahre 1848 in Leipzig angefiebelt, 
für die bald als Pendant zum außer Mode ge: 
fommenen „jungen Deutfchland” der Schelmen- 
namen „junges Defterreih“ gefunden war, um 
fie für die ſcharfe Vigilanz der Polizei zu ftig: 
matifieren. Die jungen Iuftigen Poeten aus 
Deiterreich waren zum Verdruffe und Leibe einer 
Anzahl von deutſchen Schriftftellern gerne ge: 
fehene Gäfte in den beiten Kreifen der Leip— 
ziger Gefellichaft; das machte fie ihrer Heimat 
nicht fremd, an der fie troß alledem mit Leib und 
Seele hingen. 

Nachdem ich in allgemeinen Zügen eine ſchüch⸗ 
terne Verteidigung des vormärzlihen Defter: 
reichers verfucht, und ihn gegen ben Verdacht 
und Vorwurf, er hätte fi ald Genußmenſch 
jeder geiftigen Strömung ferne gehalten, in Schuß 
genommen habe, rüde ich meinem eigentlichen 
Thema an den Leib: nämlich das litterarifche 


189 


und geiftige Leben in einer Zeit zu ſchildern, in 
der das politifche Leben noch im langen Winter: 
ichlafe lag, der erft durch die Frühlingjonne des 
jahres 1848 gelöft wurde. Cine joldhe Schilde— 
rung wäre unmöglih, wenn ich gleichjam von 
Haus zu Haus ginge, um bie Durchſchnitts— 
bildung des damaligen Wiens zu ermitteln; und 
fie wird jedenfalls leichter gelingen, wenn ich die 
feftgegliederten Gruppen fennzeichne, in denen 
das litterarifche und geiftige Leben und Streben 
pulfierte und zur Erſcheinung kam. Ich laſſe 
dabei den „juridiſch-politiſchen Leſeverein“ abſeit 
liegen, nicht etwa, weil ich deſſen ſtarke Bedeu— 
tung für die freiheitliche Entwickelung in Dejter: 
reich nicht erkennen und anerkennen würde, fon: 
dern weil diefe Gruppe nicht in den Rahmen 
meiner Schilderung paßt. Man weiß aus Er: 
fahrung oder Tradition, daß aus diefer Gruppe 
Männer hervorgegangen, die zum Segen und 
auch zum Unheil in die politifhen Gefchide 
Oeſterreichs eingegriffen. Dieſes Kapitel aus: 
führlicher zu behandeln, bleibt ald Aufgabe einer 
fundigern Hand vorbehalten, und ich deute nur 
foviel an, daß der „juribifch-politifche Leſeverein“ 
das Treib: und Warmhaus für unfere volfstüm- 
lihen Minifter nad; Metternich war. 

Als Einleitung zur Oruppenfhilderung des 
litterarifchen und geiftigen Lebens in Wien pro: 
duziere ich ein Dokument, das wenigftens durch 
fein äufßeres Anfehen den Schein einer hiftori- 
hen Urkunde heuchelt. Diefe Urkunde ift „zur 
ewiglichen Gebädhtnuß und frumben Erinnerung 
der gemein Stabt Wien mit Vleiß zufamen: 
getragen, auögefertigt, ingleichen mit Poeſie gut 
verfehen von Pater Hanfen Krampelmayer, 
Kuchelmeifter des P. B. Dominikaner Kloſters“, 
und ift unter dem während ber Stabtermeiterung 
und Verjüngung Wiens gleichfalls demolierten 
„Savallir” in dem fteinernen Sarkophag diejes 
Chroniften nad) dreihundert Jahren aufgefunden 
worden. Darin ift die Rede von einer „Bruder: 
ſchaft von Gelarten, Doktores, Authores, Muda— 
thores, Geologen, Meteorologen, Vhilofophen, 
Poeten und Bybliopolen“, die ſich wöchentlich an 
einem Abend bei Speife und Trank zuſammen— 
gefunden haben. 

„Und wird unter fie fürnemblich ein ficherer 
Casustelli als erſter Hauptnaturforfher und 
animalium hominumque amicus feyn Tert 
und moralifhe Sprüchlein dareingeben; item 
Doctor Schmidelius, der waz ein gelart literä- 
riſch Diariumebiret ;item Ludovicus Augustin 


190 


der Frankler, feynes Zeychens ein Voet; item 
Carajanus, der waz ein wahrer Janus der deut: 
ſchen Sprüche und Verälein; item Hanns Nord- 
mann, der Yayerer zubenambit; item Lupus, 
der Wolf, welcher ift ſtark und gewandt in der 
hyspaniſchen und anderen Litteratur u. f. w.“ 

Diefe Bruderfchaft, wie fie der Chronift, 
hinter deflen Pieudonym-Masfe fi) der in alten 
Büchern überaus fundige Feil barg, benamite, 
hieß eigentlich die Gefellichaft der „Namenlojen“, 
und deren Mitglieder waren außer dem leichten 
Federvölklein von Poeten und Litteraten in 
der Majorität ernfte Gelehrte und Afademifer. 
Ihr Beitand war nicht ein allzulanger, nicht 
etwa aus dem Grunde einer geringen Teilnahme, 
fondern weil fie durch die hereinbrechende Revo: 
Iution aus den Fugen gebradht wurde. 

Die Gefellihaft der „Namenlofen“ war ein 
Ableger der „Concordia”, die nad) langer Fahrt 
fhiffbrühig geworden war. Der Yournaliften: 
und Schriftitellerverein „Concordia“ hat feiner: 
lei Verwandtſchaft mit jener gleichfalls „Con: 
cordia” getauften Gefellihaft. Von einem 
Statut fonnte nicht die Rede fein, da nach dem 
Regime jener Zeit jedes Vereinsweſen verpönt 
war; man buldete aber, daß fie an einem Tage 
in der Woche ihre gejelligen Zufammenfünfte 
hielt, für die ein großer Saal und mehrere 
Heinere Zofalitäten im Gajthofe zur „Kaiferin 
von Dejterreih“ in der Weihburggaſſe ge: 
mietet waren. Was zur Kunft und Litteratur 
gehörte oder dazu zählen wollte, ferner Kunſt— 
liebhaber und Litteraturfreunde ambitionierten, 
als Mitglieder in jene „Concordia“ aufgenom: 
men oder wenigitens als Gäjte zu ihren Sym: 
pofien zugelafien zu werben. Das hielt aber 
fchwerer, als es heute fällt, fich irgend einem 
der hundert Vereine in Wien anzufchließen. 
Es wurde für jene Geſellſchaft eine Ballotage 
geübt, die zuweilen den drakoniſchen Charakter 
annahm. So wurde beifpielsweife, als von 
einem Mitgliede die Aufnahme Donizetti's ven: 
tiliert war, von einem andern Mitgliede, das 
fich als eingefleifchter Widerfacher der italienischen 
Muſik gebärdete, Einſprache gegen diefen Kom: 
pofiteur erhoben; doch brauche ich zur Ehre der 
„Concordia“ nicht erjt zu erwähnen, daf diefe 
Dppofition von der größten Majorität nieder: 
geſtimmt wurde. Alle einigermaßen hervor: 
ragenden Perjönlichfeiten Wiens waren in der 
„Concordia“ vertreten, und alle Berühmtheiten, 
die aus der Fremde nad Wien famen, mußten 


Johannes Nordniann. Vereinsleben in Deflerreich vor dem Jahre 1848. 


erſt in dieſer Geſellſchaft die Feuerprobe beftehen. 
Im Winter verſtrich nicht ein einziger „Con— 
cordia”:Abend, an dem nicht mehrere illuſtre 
Gäſte zu begrüßen waren. Die beiten Bilder 
ſtanden, bevor fie ihren Weg in die Kunſtaus— 
ftellungen nahmen, früher dort auf der Staffelei. 

Damals war noch das Virtuofentum in der 
üppigiten Blüte; die Mitglieder der „Concordia“ 
hatten immer früher die Künftler gehört, bevor 
fich dieſe im Konzertſaale produzierten. Dehlen- 
ſchläger und Anderfen, Hektor Berlioz, Felicien 
David und Liszt, von zahllofen anderen Gelebri- 
täten, die in Wien ſich aufhielten, nicht zu fprechen, 
hätten es als ein Vergehen angefehen, würben 
fie nicht der „Concordia“ ihren erſten Beſuch 
gemacht haben. Trotzdem diefe Gejellihaft vor: 
zugsweiſe nur Unterhaltungszwede verfolgte und 
fih auf die litterarifche und Fünftlerifche Pro: 
duftion befchränfte, war fie der Polizeibehörde 
und namentlicd dem Grafen Sedlnigfi ein Dorn 
im Auge und es war die Gefahr vorhanden, daß 
fie ftrenger überwacht oder gar verboten würde. 
Diejer Gefahr vorzubeugen, wurde von einem 
Mitgliede, das im Auswärtigen Amte arbeitete, 
der Vorſchlag gemadt, dem Staatskanzler Fürften 
Metternich das Proteftorat der „Concordia“ an— 
zubieten, und e8 wurbe deſſen Annahme in fihere 
Ausfiht geftellt. Dieſer Vorfchlag fand feinen 
Enthufiasmus, und er wäre, hätte man ihn als 
Antrag zur Abjtimmung gebracht, zuverläffig ge: _ 
fallen. Im Winter des Jahres 1846 tagte die 
„Concordia“ zum legtenmal. 

Eine andere Gejellichaft, die gleichfalls, aber 
nur zum geringeren Teile litterariichen Zweden 
gewidmet war, und in der notorische Lebemänner 
tagten, deren Wit fozufagen die Kojten des 
Humors für ganz Wien trug, war das „Soupi: 
ridon“. Die Aufnahme in diefe Gejellichaft war 
an ſeltſame Bedingungen gefnüpft; der Neophit 
hatte ein Eramen zu bejtehen, aus dem er nur dann 


\ mit Erfolg hervorzugehen hoffen fonnte, wenn 


er eine Glocke zu läuten verjtand, die gewöhnlich 
nicht zur Andacht gefhmungen wird. Der vor 
furzem geitorbene Dichter Egon Ebert, der nad) 
manden Stürmen ein ftiller und frommer Mann 
geworden, war in dem Ehrenbuche des „Sou— 
piridons“ als der beite Kandidat verzeichnet. 
Der Ernft und befonders die Langeweile waren 
aus dieſer Gefellihaft verbannt. Wer etwas 
vorlefen wollte, mußte ſich gefaßt machen, mit 
Spott und Schande abgeführt zu werden, wenn 


| er nicht ſchon nad) der Lektüre der erften Blätter 


Boenig. Die ruffifhe Weichſelſtellung 


die Lacher auf feiner Seite hatte. Der aus 
dem Jahre 1848 befannte Dr. Taufenau hatte 
eines Abends die ganze Gejellichaft myftifiziert, 
indem er ein humoriftifches Stüdlein von Jean 
Paul vorlas, gegen das auch richtig mit einem 
Höllen:Charivari Verwahrung eingelegt wurde. 
Troß diefem Zwifchenfalle, der, als der Dolus 
des Schelmes einbefannt war, nicht veritim: 
mend wirkte, fonfumierte das „Soupiridon“ 
eine ftarfe Quantität ferngefunden Wites, und 
es war der Ausgangsort von den meiften luftigen 
Bonmots, mit denen ſich die Kaiſerſtadt über die 
feineswegs erquidliche politifche Wirtfchaft hin- 
weglachte. (Schluß folgt.) 


Die ruffifhe Weichſelſtellung. 


Bon 


Hoenig. 


eit Jahren wird ſchon das Geſpenſt eines 

deutſch⸗ruſſiſchen oder gar eines deutfch-öfter: 
reichiſch — ruſſiſch-franzöſiſchen Krieges an die 
Wand gemalt, und wenn man nicht beſſer wüßte, 
ſo müßte man glauben, daß wir mitten in einem 
Kriege lebten. Neben den Gelegenheitsrüſtungen 
franzöſiſcher und ruſſiſcher Generäle hat die Preſſe 
ſich weidlich in die Zukunftskriege und Zukunfts— 
ſchlachten ver — flacht, jo daß heute jeder ſeine 
„fertige“ Anſicht darüber hat, wie die Dinge ver— 
laufen werden. Wo ſoll das enden, wenn die 
Kombinationsjagd ſo weiter geht? In den Krei— 
fen, welche wirklich ein „Wörtchen“ mitſprechen 
könnten, herrfcht tiefes Schweigen und im ftillen 
mögen fie fich nicht felten ob der fonderbaren 
veröffentlichten Bhantafiegebilde amüfieren. Ge: 
gen die Zeitungsftrategen follte indefjen einmal 
ernftlich Front gemacht werden, denn im Grunde 
genommen richten fie mit ihrer Hypotheſenfech— 


| 
| 





191 


wort aus der Welt: „Er lügt wie gedrudt!“ 
Ein jeder follte befonders dahin wirken, daß eine 
fo ernſte Sache wie der Krieg nicht leichtfertig 
behandelt werde, daß man ſich nicht gewöhne, da- 
von wie von einer Partie Pifett zu reden. 
Da find wir aber bereits angelangt, und bie 
Zeitungen maden den Eindrud, als ob fie ohne 
Kriegsbilder nicht mehr beſtehen könnten. Oder 
jollte das Publitum wirklich glauben, daß ſich 
unter all den tagaus tagein redenden Zeitungs: 
ftrategen einerbefände, welcherpolitifch autorifiert 
und militärisch qualifiziert fei, die Anfichten ins 
öffentliche Leben zu tragen, die bei der maß: 
gebenden Stelle herrihen? Diejen Glauben muß 
man ihm fategorifch nehmen ; wehe dem General: 
jtabsoffizier, der das Geheimnis verlegte, welches 
in diefer Behörde beitehen muß und welches in 
Deutichland auch beiteht. Alle Auseinander: 
ſetzungen können daher nichts anderes als perjön- 
liche Anfchauungen fein, die aufmehr oder minder 
ernten Privatunterfuhungen, Reifen und Stu: 
dien beruhen. Wenn man die Sache fo auffaßt, 
verlieren die Kombinationen mit einem Schlage 
ein Weſentliches; jo muß fie aufgefaßt werden 
und dieſes Schidfal teilen auch die nachfolgenden 
furzen Darlegungen. 

Der Koloß Rufland wird mehr gefürchtet, 
alö er es verdient. Diefes riefige Reich ift, mit 
den anderen großen Militärmächten verglichen, 
infolge feiner verhältnismäßig auf großem Raum 
jpärlihen Bevölkerung, feiner mangelhaften 
Kommunikationen, feiner Finanzlage, feiner Aus: 
breitung über zwei Weltteile, jeiner inneren und 
äußeren politischen Verfaſſung — troß der abfolut 
höheren Heeresziffer als die Deutſchlands — dod) 
nur eine Militärmadht zweiten Ranges, und 
ſchwerlich wird es ihr gelingen, eine dem deutſchen 
Heere gewachſene Stärke ins Feld zu ſtellen. 
Indem wir diefen Sat voranſchicken, müfjen wir 
allerdings auf feine Beweisführung mit Zahlen 
verzichten; dafür fehlt hier der Naum, jedoch 
darf dieje Anſchauung hier hingeftellt werben, 


' weil in ihralle Berechnungen eingemeihter Ktreife 


teret eine heilloje Berwirrung an und fieerzeugen | 
eine verberbliche Unruhe im Publikum, die wie | 
ein Alp auf dem ganzen öffentlichen Leben laftet. | 
\ fie fprehen doch wejentlich mit, und wenn wir 
behaupten, daf das deutjche Heer für den fon: 


Gott behüte, daß wir die Freiheit der Prefie an: 
greifen wollten; nein, wir wollen an ihre hohe 
Aufgabe erinnern, vor allen Dingen verftändig 
zu fein. Was man nicht genau weiß, jollte man 
nicht Jagen, viel weniger jchreiben ; vieleicht käme 
dann auch das bisher nur allzuberedhtigte Sprich: 


übereinftimmen. Die Zahl der Feldarmee, ihre 
innere Organifation und taftifhe Tüchtigkeit 
find im Kriege zwar nicht allein entjcheidend, aber 


freten Fall eines Krieges zwifchen Rußland und 


Deutſchland dem ruſſiſchen in dieſen drei Rich: 


tungen entſchieden überlegen ift — troß dem 
Vorjprung, den Rußland in einzelnen Beziehun- 


192 


gen hat —, fo überheben wir uns nicht; wir 
fagen vielmehr die nüchterne, durch die Ge: 
fhichte geheiligte Wahrheit. 

Rußland ift Deutſchland gegenüber aber 
außerdem in Bezug auf die allgemeine ftrategi- 
ſche Lage unterlegen. 

Schon allein der Umstand, daß die Baſis 
feiner Kriegävorbereitungen ein Land ift, welches 
in der Zeit der Nuhe gewiß 100 000 Mann ab: 
forbiert, um niedergehalten zu werden (Polen), 
ift für Rußland ein großer Hemmſchuh. Polen 
zu allgemeiner Erhebung zu bringen, fo daß 
die ruffischen Kriegävorbereitungen nod) wejent: 
licher behindert würden, würde nicht ſchwer fallen. 

Rußland hat dies erft in neuerer Zeit er: 
kannt, wenigſtens fann man fidh jonft nicht er: 
Hären, warum es dort die notwendigjten mili: 
tärischen Maßnahmen bis dahin geradezu vernach⸗ 
läſſigt hat. Aber auch dies beruht auf politischen 
Gründen. Bis in die neuefte Zeit erblidte Ruß— 
land in Deutfchland (Preußen) feinen ſtillſchwei— 
genden Verbündeten, jobald es ſich um polnische 
Bewegungen handelte, und daß Preußen der 
Verbündete war, hat die Geſchichte ja bewieſen. 
Heute ftehen die Dinge umgekehrt. In jedem 
Kriegsfalle zwifchen Rußland und Deutſchland 
wird erjteres zunächſt innerhalb feiner eigenen 
Grenzpfähle einen nicht zu unterfhägenden Geg— 
ner — höchſt wahrjcheinlich einen Verbündeten 
Deutſchlands — zu befämpfen haben, und zwar 
unmittelbar auf der Ausgangsbafis für diefen 
Krieg. Dies ift feine verlodende Kriegsausficht. 
Im Jahre 1877 gedachte Rußland anfangs die 
Türkei zum Teil dur die Inſurgierung Bul: 
gariens zu Fallzu bringen. Es gründete hierauf 
feinen Kriegsplan und es eröffnete infolgedeſ— 
fen den Krieg mit gänzlich ungenügenden Mit: 
teln. Einen ähnlichen Fehler wird Deutjchland 
nicht machen, aber daß das große, hilfäquellen: 
reihe Polen eine ganz andere Rolle ala das 
arme und verfommene Bulgarien fpielen fann, 
liegt auf der Hand. Damit nicht genug. Will 
Rußland Deutihland niederwerfen, jo muß es 
einen großen Offenfivfrieg führen, fein Heer muß 
in Berlin einziehen. Doc) dafür liegen alle Be: 
dingungen fehr ungünftig, troß der geographi: 
ſchen Nähe Berlins von der ruffifch = polnischen 
Grenze. Die Bolen flankierenden Provinzen Dft: 
und Weftpreußen — an eine der ruffifchen über: 
legene Kriegsflotte auf dem Meere gelehnt — ver: 
hindern wegen ihrer geographiich  militärifchen 
Geftaltung fo zu fagen ein Eindringen der Rufjen 


Koenig. 


in die Flankenſtellung, von der aus Deutfchland 
jederzeit in ber Lage ift, vom rechten Weichſel— 
ufer aus — auf Thorn, Danzig und Königsberg 
geftügt — die Dffenfive auf Warfchau zu er: 
greifen; und gejeßt den Fall, daß Rufland ſich 
gegen dieſe Flanke vollftändig fihern könnte, fo 
müßte e3 gegen eine Front angehen, die ihm zu 
bezwingen ebenſo bejchwerlih würde: einmal 
wegen der Stärke berjelben mit ber Central: 
ftellung Bofen, und dann, weil die ruſſiſchen Heere 
von Schlefien aus wiederum in ihrer linken Flanke 
bebroht find, allerdings nicht fo jehr als in der 
rechten von Preußen aus. 

Diefer Kriegslage gegenüber war die ruf- 
ſiſche Weftfront jo unzulänglich wie möglich und 
fie wird — aud) nach Vollendung aller im Bau 
begriffenen Eifenbahnen und Feitungen — nichts 
weiter als eine ftarfe Centraljtellung werden mit 
durchaus defenfivem Charakter, wenigſtens fo 
lange, als Rußland nur einen Weichfelübergang, 
den bisherigen bei Warfchau, hat. 

Thatfählih war Warſchau nicht im vertei: 
digungsfähigen Zuftande; die dasjelbe ſchützen 
follenden jechs Forts, welde auf 3—600 Meter 
entfernt liegen, gewähren ihm heute feinen Schuß 
mehr. Es ift aljo natürlich, da; man dem abzu- 
helfen fuchte und daß man andere wichtige mili- 
täriſche Punkte mitbedadhte. Die ruffische Weich: 
feljtellung liegt an und hinter der Weichſel zwi: 
ſchen den Zuflüffen der legteren, Bugqund Wieprz. 
Ihren Gentralpunft bildet Warſchau mit einem 
MWeichfelübergang, in dem alle aus dem Oſten 
fommenden Bahnen über die Weichjel geführt 
werden. Einen ftarfen Tagemarſch nördlich folgt 
Nowo Georgiewsk am Bug, 3—4 Kilometer füd- 
ih Iwangorod auf beiden Seiten des Wieprz. 
Ungefähr 140— 150 Kilometer öftlich dieſer Linie 
liegt die Feſtung Breſt-Litewsk. 

Alle diefe Punkte haben eine gemifle ftrate- 
giſche Bedeutung; folange aber bei Nowo Geor: 
giewsk und Iwangorod feine ftehenden Brüden 
über die Weichjel führen, ift dieſe eine Defenfive. 
Daran ändern die Verftärfungen der Feitungen 
an fich, ſowie ihre Schienenverbindungen unter 
fih nichts. Was nun Wahres daran ift, daß die 
genannten vier Feltungen zu den modernen An: 
forderungen entjprechenden Waffenplätzen umge: 
baut werden, ift bis heute nicht mit Bejtimmtheit 
feftzuftellen. Thatfächlich wird feit Jahr und Tag 
an allen gebaut. Handelte es ſich aber um größere 
Bauten, jo würden diefe unbedingt mit aller Be: 
ftimmtheit in ihrem ganzen Umfange befannt ge: 


Die ruſſiſche Weichfelftellung. 


worben jein; denn folhe Dinge find nicht geheim 
zu halten, allein nicht wegen der vorausgehenden 
Enteignungen von Grund und Boden u. ſ. w. 

Nehmen wir an, jene Plätze würden Feltun: 


gen erften Ranges, fo würde auch hierdurch nur | 


die Defenfiofraft — nicht die Offenfivfraft — 
ber einzelnen wie des ganzen Feſtungsſyſtems 
gehoben. 

Nach Norden ſchließen ſich an dasſelbe wei: 
tere Befeſtigungen bei Bialyſtock, Grodno und 
Kowno zum Schutze der Eiſenbahnverbindungen, 
und zwar die Befeſtigungen von Bialyſtock und 
Grodno für die Linie Warfhau-Wilna, die von 
Kowno für die Bahn Königsberg Petersburg. 
Die Werke von Bialyftod liegen um den Schnitt: 
punft der Bahnen Warſchau⸗Wilna und Königs: 
berg = Lößen: Breft:Litemsf, die von Grobno 
und Kowno dienen dem Schuße der Eijenbahn: 
übergänge über den Niemen. 

Auf dem linten Weichjelufer find nur einzelne 
Heinere felbftändige Werke zu nennen, welche 
zum Schuße der Thorn-Warſchauer Bahn bei 
Kutno und an der Warthe bei Sieradz und Kola 
erbaut worden find. Diefe haben ebenfalls eine 
rein defenfive Bedeutung, jedenfalls zwingt die 
ganze Konfiguration Bolens dazu, gefamte Trup: 
pentransporte bei Warſchau endigen zu laſſen, jo 
daß der jtrategifche Aufmarjch innerhalb des oben 
ſtizzierten Feſtungsſyſtems auf dem rechten Weich: 
ſelufer erfolgen müßte. Ohne auf die Leiſtungs— 
fähigkeit der ruſſiſchen Eiſenbahnen einzugehen 
und einer vergleichenden Zeitberechnung für die 
Transporte dies- und jenſeits abſichtlich aus: 
weichend, kann mit Beſtimmtheit vorausgeſetzt 
werben, daß, trotz der großen in Polen angehäuf: 
ten Truppenmaſſen, Deutſchland weit ſchneller 
zur Eröffnung eines Krieges bereit ſtände als 
Rußland und daß es von vornherein numeriſch 
weit jtärfer als jenes auftreten kann. Die ruf: 
ſiſche Weichfelftellung hat für Deutichland feines: 
wegs foviel Bedrohendes, daß an fie, wie eö ge: 
fchehen, jo vielfahe uns beunruhigende und 
die ruffifhen Heigfporne ermunternde 
Kombinationen gefnüpft werden mußten. 

Dies wird um fo Harer, wenn man die Di: 
menftonen im ganzen überſieht. Dieje betragen 
von Norden nad Süden ungefähr 110, von 
Weſten nad Oſten ungefähr 150 Kilometer, ein 
Raum, der auf längere Zeit einem Heere von 
2—300 000 Mann faum die erforderliche Unter: 
funft gewähren fann, wenigftens hier nicht ; die 
Umgegend von Warſchau ift mit der von Paris 


193 


— oder aud nur Me — nicht zu vergleichen. 
In einem Dffenfiofriege würde der Umſtand 
weniger zur Sprache fommen ; einen ſolchen wird 
Rußland ſchwerlich mit Ausficht auf Erfolg gegen 
Deutfchland unternehmen fünnen. Wird Ruß— 
land aber in die Verteidigung geworfen, dann 
erft dürfte fich zeigen, daß die Weichjelitellung 
auflängere Zeit ſolchen Maſſen feine Unterkunft 
bieten fann, wie fie ſich hier gegenübertreten 
würden. 

Immerhin hat die ruſſiſche Weichjelftellung 
feine geringe militärifche Bedeutung. Sie 
det zunächſt jeden Aufmarſch gegen Weiten in 
verhältnismäßiger Nähe der Weſtgrenze des gro: 
ben Reichs, die bisher fo ziemlich ſchutzlos war; 
fie ift ferner für die Niederhaltung Polens von 
großem Wert und fie wird im Falle einer Nie: 
derlage dem Bordringen des Gegners große Ver: 
legenheiten bereiten, die allerdings Deutſchland 
keineswegs die Möglichkeit nähmen, an ihr nörd: 
lich vorbei zu gehen, fall das im Plane der 
Heeresleitung liegen follte. Auch laſſe man fich 
nicht durch die inneren ftrategiichen Linien blen: 
den. Innere Linien haben ftrategiid 
nur Sinn, wenn fie fofort ausgenußt 
werden. Dies ift von der Weichſelſtel— 
lung heraus fajt unausführlich, weil die 
ganze Dffenfivarmee über mehrere 
Brüden gehen müßte, von denen alle, mit 
Ausnahme der ftehenden bei Warfchau, erſt wäh: 
rend der Operationen geichlagen werden müßten, 
und wie ſchwierig Uferwechjel find, hat neuer: 
dings die eingefchlofjene Armee des Marjchalls 
Bazaine gelehrt. Dadurch entitehen ſolche Ver: 
zögerungen, daß der Zeitgewinn wegfällt; ge: 
trennten Heeren gegenüber haben innere Linien 
zudem nur dann Wert, wenn fie erlauben, den 
einen Gegner zu Schlagen, bevor der andere heran: 
fommen fann. Eine auf dem Schlachtfelde in 
beiden Flanken angegriffene Armee befindet ſich 
auch auf der inneren Linie, jedoch ift dann ber 
ſtrategiſche Vorteil in den taftiichen Nachteil um: 
geſchlagen und ähnlichem iſt ein auf Warſchau 
bafiertes ruffisches Heer Deutſchland gegenüber 
immer ausgeſetzt. 

Diefe Darlegungen find nichts als per: 
fönlihe Anſchauungen, jedoch hoffe ih, daß 
fie dazu beitragen werben, jowohl in Rußland 
als in Deutſchland die Dinge zu betrachten, 
wie fie find! Dies ift der befte Meg, ſich von 
großen und gefährlichen Abenteuern fern zu 

‚ halten. 


25 


194 Gerhard von AUmpyntor. 


Ber war's? Kine Parabel. 


Bon 


Gerhard von Umpntor. 


— en u das Dunkel des abendlihen | blidenden Bupillen von einem magischen Glanze 
1 Waldes jhimmerten die leuch— | erfüllt gewejen wären, ber jeden Beobachter 
tenden Fenſter eines Schlofjes | überrafchen und feſſeln mußte. In allen diefen 
hinaus, das in feinem inneren | Augen brannte es wie jtolzes, nimmer ruhendes 
2. | merkwürdig genug eingerichtet | Begehren; wie flammende Fragezeichen bohrten 
— —— war. Es mochten in dem Ge: | fie fih in die Dinge der Außenwelt und es 
bäude für die untergeordneten Bewohner des- ſchien, als ob jeder Gegenftand, den dieſe Blide 
felben wohl noch verjtedte Fleinere Näume vor: | trafen, verjengt fi Frümmen und in helle Zohe 
handen fein; in der Hauptfache aber war das | auflodern müßte. Aengftlih wurde die hohe 
Schloß nur in zwei rießengroße Säle geteilt, in | Thür zu dem Nebenfaale bewacht, daß feine 
denen eine eigentümliche Gefellfhaft haufte. Der | frevelnde Hand fie auch nur ein Nitschen weit 
eine Saal war troß des Spätjahres ungeheizt, | öffnete; man fcheute ſich vor der Atmofphäre, 
und felbit die zahllofen Lichter, die in prächtigen | die nebenan herrichte. 
Kryitalltronen brannten, verbreiteten einen eiö- Diefe Scheu ſchien allerdings nicht unge: 
hauchenden Glanz; feines Blumengewirr, das | rechtfertigt, denn in dem anderen Saale war es 
die großen Scheiben der hohen Fenſter von | erftidend heiß. Die Gefellihaft, die dort ver: 
außen bededte, verriet, daß die Temperatur | Tehrte, war nur durch die Glut dreier Kamine 
des Saales eine ungewöhnlich niedere und jehr beleuchtet. Die Kamineinfaffungen waren aus 
weit unter den Nullpunkt gefunfene fein mußte, | foftbarem Stoffe und mit allegoriihen Orna— 
denn im freien waren immerhin noch einige | menten verjehen. In dem roten Scheine, der 
Grad Wärme dem langjam abjterbenden Walde | ab und zu von den Feuerftätten in den Saal 
vergönnt. In der Mitte des Saales ftand auf | flammte, erſchien über dem einen Kamine ein 
marmornem Sodel eine Statue, deren Haupt | freuzähnliher Schmud, über dem anderen ein 
und Glieder dur ein faltiges, dichtgewebtes | goldener Anker, über dem dritten eine aus Edel: 
Gewand verhüllt und nur in den allgemeinen | fteinen gebildete, herzförmige Figur. An den 
Umrifjen erfennbar waren. Die Menſchen, die | Wänden entlang ftanden verhüllte Schränke ; fie 
in diefem Saale verkehrten, befleigigten fih | mochten mit Büchern gefüllt fein; der Staub, 
eines faſt trappiftifchen Schweigens; fie fchienen | der aber in den Falten der Verhüllung lagerte, 
ein jeder nur mit fich ſelbſt befchäftigt; und nur | bewies, daß die Deffnung diefer Schränfe zu: 
jelten redete einer den anderen an, um eine | fällig oder abfichtlich ſchon lange unterblieben 
furze, exalte Antwort auf die ebenſo kurze, war. Auf den Schränken lagen umgemorfene 
erafte Frage zu erhalten. Wenige Weiber | und bejhädigte Inſtrumente aller Art: Deftil: 
waren fichtbar ; die überwiegende Mehrzahl der lierapparate, Aſtrolabien, Elektrifiermajchinen ; 
Berfammlung beftand aus Jünglingen, Män— auch Globen und Atlanten; alles unbenugt, ver: 
nern und Greifen. Betrachtete man die einzelnen | rottet und verfommen; gezähmte Eulen hodten 
Berfonen genauer, jo mußte es einem auffallen, | zwifchen den Trümmern und gloßten mit großen, 
daß fie fait alle übermäßig entwidelte Stimmen | leuchtenden Augen in das Helldunfel. Die Dede 
und ihre Gefichter dadurd; etwas Abſtoßendes, des Saales war mit flimmernden Sternen be: 
Koboldartiges hatten; ja, man würde diefe Men: | malt, und unheimlid hufcte dann und wann 
ihen außerordentlich häflich gefunden haben, | eine Fledermaus dur den Raum und jtreifte 
wenn nicht ihre großen, Eugen Augen mit den | mit flatterndem Flügel die Scildereien des 
energifch zufammengezogenen, weit in die Ferne Plafonds. 

















Wer war's? 


Die Menſchen in diefem Saale hatten fich | 
in dichten Gruppen vor den Kaminen verfam: | 
melt. Frauen und Jungfrauen bildeten den 
Hauptbejtandteil der Gefellichaft ; nur vereinzelt 
waren Männer und Jünglinge zu erbliden. Da 
gab es in allen Farben fchillernde, ftolz auf: | 
geblähte Toiletten, aber aud die einfacheren 
Koftüme der Bürgerfrauen und Bäuerinnen, bi3 
zu den fchlichten weißen Hauben und ſchwarzen 
Kleidern der Nonnen und Ordensſchweſtern. 
Man jhaute ſchwärmeriſch in die Gluten; man 
warf jehnfüchtige Blide zu den gemalten Ster: 
nen des Plafonds oder man harrte mit halb: 
geſchloſſenen Augen in geheimem Zwiegeſpräche 
mit den eigenen unklaren Gedanken. Nur wenn 
einer der anwefenden Männer das Wort ergriff, 
und Ermahnung oder Belehrung in fanftem, 
wohllautendem Fluſſe von feinen Lippen ftrömte, | 
erhoben ſich all die Schönen Augen zu dem Quell 
der Beredfamfeit, und oft wäre es ſchwierig ge: 
wejen, zu entjcheiden, ob das Verlangen und 
ſchmachtende Hingeben, das fih in den Zügen | 
der an den Feuern Sigenden malte, dem Ned: | 
ner oder dem Inhalte feiner Rede galt. War | 
eine diefer fürzeren Anjprachen beendet, dann | 
intonierte wohl eine geübte Stimme ein feierlich | 
getragenes Lied; die anderen Stimmen fielen | 
unifono ein, und weithin tönte der mächtig anz 
jchwellende Gefang, jo daß die Bewohner des 
Nebenfaales feindlihe Blide nach der Verbin: 
dungsthür warfen und, in ihren Meditationen 
geftört, fich verbrieglich die Ohren zuhielten. 

Draußen im Walde ſchritt ein Mann durch 
die Dämmerung. Groß und von wunderbarem 
Ebenmaße der Glieder, trug er nur ein leichtes, 
malerifch drapiertes Gewand und an den bloßen 
Füßen Sandalen. Sein goldlodiges Haar war 
am Hinterhaupt aufgebunden; nur einzelne 
Loden fielen auf die Schultern, und ein Teil | 
bes Haares war über dem Scheitel in einen | 
Knoten verfhlungen. Bon feinem Antlit jchien 
ein Leuchten auszugehen, und deutlid war die 
hehre Anmut und jugendlihe Schönheit diefes 
Antlitzes zu erkennen. Er hielt in der Rechten 
einen Bogen, und auf dem linken Unterarme 
ruhte ihm ein Saiteninftrument an der Bruft. 

Wie er die hellen Fenfter des Schlofies jah, 
blieb er ftehen, und wehmütig zudte es um den 
blühenden Mund. 

„Die Thoren!“ rief er, mitleidig lächelnd, 
noch immer die alte Feindfchaft! Während die 
einen erfrieren, erftiden die anderen in ber 








195 


heißen, verborbenen Luft! Ich will mich ihrer 
erbarmen.“ 

Er jchritt in das Schloß, blieb in dem 
Korridor vor den beiden Sälen jtehen und griff 
präludierend ein paarmal in die Saiten feines 
Inſtrumentes. Silbernen Klanges tönten die 
AUllorde durch die MWölbungen. Ueberraſcht 
horchten die Leute in den Sälen auf. Doc) es 
war feine freudige UWeberrafhung. Die Be: 
wohner der Eisregion blidten finfter drein und 
ſchienen unentſchloſſen, ob fie den Störenfried, 
der feine Klimperet fo dreift zum beften gab, 
nicht follten fortjagen lafjen. Die Schwärmer 
und Träumer von den Kaminen des heißen 
Saales wurden dur die Klänge noch unan- 
genehmer berührt; nicht nur als Störung em: 
pfanden fie diefelben; fie mwitterten in ihnen 
auch etwas von fündhafter Weltlockung und 
verberbenbringender Sinnlichkeit. Ein hagerer, 
bleicher, aöfetifch vertrodneter Mann, der eben 
die Reſte eines Aitrolabiums auf einem der 
Schränke mit einem Stode vollends zu zertrüm: 
mern fuchte, faltete die Stirnhaut zwischen den 
Augenbrauen und rief in die Verfammlung : 

„Sollen wir diefen tempeljchänderifchen 
Klingllang nicht zum Schweigen bringen? Auf! 
laßt uns ein Erempel ftatuieren an biefem 
buhleriſchen Muſikanten!“ 

Wer weiß, zu welcher Gewaltthat die Ver— 
ſammlung vielleicht fortgeſchritten wäre, wenn 
der Leierſpieler draußen nicht von neuem ein— 
geſetzt und die Empörung der Kaminhocker wie 
durch Zauberkraft geſänftigt hätte. Widerwillig 
lauſchte man in beiden Sälen den wunderbaren 
Melodieen; die ſtarren Herzen wurden über— 
wältigt; ein feuchter Schimmer verſchönte die 
Augen der Hörer; die Galle wurde aus dem 
Blute weggezehrt — befreit, erlöft gab man 
fich jelig der Wirkung der Akkorde hin und hatte 
nur den einen Wunfch, daß diefe Muſik nimmer 
enden möchte. 

„Die Katharjis beginnt!” fagte der Mufi: 
fant befriedigt lächelnd zu fich felbit, „mag neue 
Lebensluft die Genejenden ummehen!“ 

Kräftiger rührte er die Saiten. Da erbebte 
das Schloß in feinen Grundfeften, und die 
ängitlid gehütete Thür zwiſchen den beiden 
Sälen jprang dröhnend auf. Scharf blies die 
falte Luft in den dumpfen überhigten Saal, 
deſſen Olutatmofphäre oben nad dem eifigen 
Nahbarraum entwih. Die an ben Feuern 
Hodenden ſchauerten erft empfindlich zufammen; 


196 


U. Roderich. Spruch. 


bald aber atmeten ſie erleichtert auf, erhoben | ging, verneigte ſich dankbar vor ihm und küßte 


fih und begannen auf: und abjchreitend bie 
Muskeln zu fpannen. Auch die Gäfte im Eis- 
zimmer fühlten ſich anfangs durd die zu: 
ftrömende Wärme läftig berührt; es dauerte 
aber nicht lange, und die frofterjtarrten Glie— 
der löften fich behaglich in der lebenwedenden 
Temperatur; man näherte fich der geöffneten 
Thür und warf neugierige und fait wohl: 
wollende Blide nad) den bisher ängjtlih ge: 
miedenen Nachbarn. 

Wenn fi) aud die Temperaturunterfchiebe 
in den beiden Sälen ausgeglichen hatten, jo 
fehlte der Luft immer noch das erfrifchende und 
wahrhaft belebende Element. Der Mann mit 
der Leier trat in den Raum, ſtellte ſich auf die 


Schwelle der Verbindungsthür und ließ die | 


fundigen Finger wieder durch die Saiten gleiten. 
Sofort fprangen alle Fenfter auf, und der Odem 
des Waldes flutete in breiten Wogen in die 
Säle. Es war, als ob ein neues Leben über 
die Verfammelten füme. Heiter ftrahlten alle 
Mienen. Der Bann war gebrohen. Man ging 
aus einem Saal in den anderen, und die vorher 
getrennten Parteien verfchmolzen zu einer ein 
zigen Gefellihaft. Die Friſche der einftrömen- 
den Luft des Spätjahres wurde durd) die Ka: 
minfeuer und die jet wärmejtrahlenden Kerzen 
wohlthuend gemildert ; jeder fühlte ſich behaglich 
und zufrieden. Die Rollen der Gäſte fchienen 
ausgetaufcht. Der Astet, der vor kurzem nod) 
gegen den Leierfpieler ein Attentat zetteln 
wollte, ſtand wißbegierig vor der verhüllten 
Statue der früheren Eisregion und fuchte mit 
zager Hand einen Zipfel des Schleiers zu heben. 
Ein einfamer Grübler, der bisher hartnädig 
geſchwiegen hatte, war in den Nebenfaal ge- 
gangen, hatte vor dem Kamine mit dem Freuz: 
ähnlihen Shmude Platz genommen und ſprach 
warm und beredt mit den Umftehenden über 
das anthropologifhe Phänomen des Glaubens. 
Frauen, welche fid) vor dem Feuer unter dem 
Edeljteinherzen faft geröftet hatten, ſchleppten 
das zertrümmerte Ajtrolabium herbei und baten 
einen Gaft aus dem Nebenraum, das nitru: 
ment wieder herzuftellen und ihnen zu erklären. 
Der Aufgeforderte gehorchte gern; es bildete 
fi) ein Kranz von Zuhörern um den Stern: 
fundigen und er erläuterte den Zaufchenden bie 
Kreife der Himmelskugel. 

Der ſchöne Yüngling auf der Schwelle 
lächelte befriedigt. Jeder, der bei ihm vorüber: 


| 
| 


| 


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ihm ehrfurdhtsvoll den Saum der Gewandung ; 


der Gehuldigte aber wies mit der Rechten nad) 
oben, al3 wollte er jagen, daß auch er gott: 
gejandt wäre, und daß der Dank einem Höheren 
gebührte. Noch einmal lieh er die Saiten tönen, 
und filberner Klang hallte wieder durch die 
Säle; dann grüßte er königlich und verließ das 
Schloß, um in der Tiefe des Waldes zu ver: 
Ihmwinden. Ein Leuchten ging von feiner Fuß- 
jpur aus, und ein magiſcher Schimmer deutete 
die Richtung, in der er entſchwunden mar. 


* = 
* 


Wer war der Jüngling? Der finnige Lejer 
hat e3 längit erraten. Nur wer dies zauber: 
gewaltige Wefen fennt, wer ihm dient oder be- 
freundet iſt, nur der hat die Verfühnung der 
Gegenfäße, die wie verberbenhungrige Klippen 
auch unter der ſcheinbar glatteften Oberfläche 
eines Menfchenlebens lauern. Nicht immer und 
überall erlöft ihn der ſchöne Jüngling aus 
Kampf und Konflikt; das Dafein ijt feines jener 
Rechenerempel, die ohne Reft aufgehen; aber 
wer mit den Augen diefes Jünglings in die 
Melt blidt, dem verſchwindet thatfächlich jener 
gorgonisch:rätfelhafte Zug in ihrem Antlitze, der 
das Hirn wirbeln, das Mark erftarren mad, 
und den gelähmten Menjchen in die Hölle der 
Ertreme jchleudert. 

Wer den Jüngling nicht fennt, wer nie 
die Sonnenhöhen reiner Anſchauung erftiegen 
bat, der ahnt wohl auch nichts von der Polari— 


tät feiner eigenften, inneren Natur. Ein Solcher 


mag fich in unduldfamer Abgefchiedenheit am 
Kaminfeuer weiter röften oder in der erftarren: 
den Temperatur des Saales mit dem verhüllten 
Bilde nicht nur die Nafe, fondern aud das Herz 
erfrieren; er wird nie zu einem erlöften und 
erlöfenden reinen Menfhentum gelangen, und 
für ihn find und bleiben diefe Zeilen unver: 
ftändlih, und das fiebenfahe Siegel, das fie 
verfchließt, wird er nimmer fprengen. 


a3prud. 


Da ſuchſt das Glack im Weltgebrande; 
€s bleibt dir fern, fcheint es auch nah. 
Du finden nicht, wär’ fie auch da, 
Die Perle in dem Wäflenfande, 
U. Roberid. 


Martini, Die Mafla in Sizilien. 


Die Mafta in Sizilien. 
Von 
Martini, 


DD: Mafia? werden viele Leſer fragen. Was 
ift da3? Eine Eigentümlichfeit Siziliens? 
Und mander, der einſt diefe ſchöne Inſel befucht 
bat, antwortet darauf vielleicht: „Achja, ich er: 
innere mid), damals davon gehört zu haben ; Mafia 
ift der fizilianifche Name für Verbreherbanden, 
wie fie früher die Inſel heimjuchten.“ Dann 
werben wohl noch ein paar berüchtigte Namen, 
wie die der „leßten” Briganten, genannt und 
eine Schauergeihichte zum bejten gegeben, womit 
die Sache abgethan ift. — Nun, in Sizilien felbft 
ift die Sache durdaus nicht abgethan; große 
Landſtriche und volfreihe Städte werden durch 
das Treiben der Mafia gejchredt und zu Zeiten 
aus der dumpfen Zethargie aufgerüttelt, welche 
die Sizilianer gebannt zu haben und von er: 
folgreihem Vorwärtsſtreben abzuhalten ſcheint. 
Sit doch die Induſtrie des gefegneten Landes 
gänzlich unentwidelt, gleich Null geblieben; der 
Aderbau ift arg vernachläſſigt, von der Vieh: 
zucht gar nicht zu reden. Es jcheint unglaub: 
lich, ift aber doch eine Thatjache, daß fortwäh— 
rend die Dampfidiffe von Neapel Fleiſch und 
Geflügel nad) der Hauptitadt Palermo über: 


führen. Weit Schlimmer noch würde es um die | 


Inſel jtehen, wenn nicht ihre natürlichen Hilfe: 
quellen jo überaus reihe wären; Landespro— 
dukte, wie Südfrüchte, Wein, Schwefel u. a., 
werben in bedeutender Menge ausgeführt und 
bilden die beträchtlichite Einnahmequelle. Die 
Hauptihuld an dem Nüdgang Siziliens trägt 
die fittlihe Wermwilderung eines großen Teils 
der Bevölkerung, ihre entſetzlich vernachläſſigte 
Bildung und die lähmende Unficherheit, welcher 
Perſon und Eigentum ausgeſetzt find. Die bei- 
den erft angeführten Urſachen bedingen bieje 
Unficherheit, indem fie Erjcheinungen, wie das 
Brigantenwefen und die Mafia, entjtehen und 
eritarfen lafjen. Jenes tft, wie wir unten jehen 
werben, weit harmlofer als feine gefährliche 
Schweiter, die Mafia; hier mag nur angeführt 
werben, daß es nad) wie vor in Süditalien, be: 
fonders Kalabrien, und in Sizilien fortbefteht, 
und daß die fünigliche Regierung bisher nicht 
imftande gemejen ift, ihre Verſprechungen bei 


197 


| Einigung der Monarchie, und die Hoffnungen, 


welde man auf ihr Eingreifen in diefe traurigen 
Zuftände gefeßt hat, zu erfüllen. Ohne weiteres 
Eingehen hierauf follen nur einige Vorkomm— 
nijfe der allerlegten Zeit obige Behauptung 
unterftügen. So fand z. B. am 25. Auguft v. J. 
bei San Giovanni Belfiore ein Zufammenftoß 
der bewaffneten Macht mit der Bande des Bri- 
ganten Ricca ftatt, ein lebhafter Kampf ent: 
jpann fich, welcher erſt nad) anderthalb Stunden 
abgebrochen wurde, indem fich beide Parteien 
unter Mitnahme der Toten und Verwunbeten 
zurüdjogen. Man hatte es mit mwohlorgani: 
fierten und gut bewaffneten Banditen zu thun, 
welche in der Folge noch mehrmals mit wed)- 
jelndem Glüde befämpft werben mußten. — 
Um diefelbe Zeit wurde dicht vor den Thoren 
der Stadt Girgenti der Grundbefiter Santoro 
bei der Rückkehr von feinen Feldern nach der 
Stadt von Briganten „fequeitriert”, d. h. in 
die Berge fortgeichleppt. Seine Freilaflung 
erfolgte erjt nad) Erlegung eines beträchtlichen 
Löfegeldes. — Weit größeres Aufjehen erregte 
die Gefangennahme des Herzogs Francesco 
Galvino. Derfelbe fehrte am Abend des 3. No— 
vember v. %. wie gewöhnlich von feinem Land- 
gute nad) Trapani, feinem MWohnorte, zurüd. 
Als fein Wagen fi) der Stabt bis auf 2 km 
genähert hatte, wurde er plößli von zwölf 
vermummten Männern mit faljhen Bärten an: 
gehalten; fie fchafften Wagen und Pferde in 
einen nahen Hohlweg, wo diejelben vorläufig 
nicht leicht entdedt werden fonnten, banden ben 
Kutiher an einen Baum und lichen zu feiner 
Bewahung einen Mann zurüd. Der Herzog 
wurde fortgejchleppt und nad einigen Tagen 
gegen ein Zöfegeld von 150000 Frank frei: 
gegeben. 

Derartige Begebenheiten find nicht vereinzelt 
und es ijt verwerfensmwerte Schönrebnerei, wenn 
man bei Erwähnung eines jeden ſolchen Vor: 
fommnifjes immer wieder von neuem von der 
„Nunmehrigen Vernichtung der leiten Refte des 
Brigantentums“ fpriht. Die Zeitungen, welche 
in diefer Weife handeln, find für folche berech— 
net, welde die Verhältniffe nicht fennen, wäh: 
rend fich in Sizilien niemand mehr durch ähn: 
liche Berichte täufchen läßt. Und wahrlich, wer 
fih auf fein qutes Recht und den Schuß des 
Staates verlafjen wollte, wenn er einmal in 
die Hände der Briganten geraten ift, wer ihnen 
das Löjegeld verweigerte oder Verrat übte, 


198 


würbe fi gewiß recht fchlecht dabei befinden: 
es thut das eben aud) niemand in ſolchem Falle, 
fondern rechnet lieber mit den thatjächlichen 
Umftänden, alſo mit der Macht der Banditen 
und der Schwäche des ftaatlihen Schußes ihnen 
gegenüber. Ein Hauptfaktor für die erftere ift 
das Anfehen, in welchem die Räuber beim nie: 
deren Volfe, welches nichts von ihnen zu fürch— 
ten hat und meift ihre Partei ergreift, ſtehen. 
Sie find daher beſſer bedient und mit Nachrichten 
verfehen als die Gendarmerie. Diefe mächtige 
Stüte wiſſen fie wohl zu ſchätzen und wählen 
ihre Opfer ausfchlieglih aus den Kreifen der 
reihen Grundbeſitzer und Bürger; den Bauern, 
Pächtern und Hirten dagegen immer freundlich) 
begegnend und oftmals ihre Dienjte entfprechend 
belohnend. 

Während die Briganten ausfchließlicd dem 
Raube leben und gewiſſermaßen aus der menjd}: 
lihen Geſellſchaft ausgeſchieden find, fteht es 
mit der Mafia ganz anders, welche fid) feit ihrer 
Blütezeit unter der bourbonifchen Regierung 
nur wenig in der Art ihrer Organifation und 
ihres Wirkens verändert hat. Die Mafia aljo 
fällt juriftifch unter den Begriff der „Associa- 
zione di malfattori“, eine „Bereinigung von 
Verbrechern“, ähnlich der neapolitanifchen Ga: 
morra. Sie eriftiert in Stadt und Land und 
wo fich auch eine derartige Gefellichaft gebildet 
hat — ihre Entſtehungsgeſchichte ift immer die 
gleiche. Die Begründer einer Mafia find Leute, 
welde mit Verfchlagenheit gemaltthätige Ge: 
finnung und Berwegenheit verbinden; es darf 
einem Capo mafioso nicht darauf anfommen, 
den gefährlichen Feind, den Verräter oder den 
widerfpenftigen Untergebenen nieberzuftechen; 
hat er erit Proben rüdfichtölofer Gemaltthätig: 
feit abgelegt, jo wächſt jchnell fein Ruf und 
Ansehen. Unzufriedenheit mit feiner Lage und 
der Trieb, eine geheimnisvolle Macht über feine 
Mitbürger zu erlangen, find feine Beweggründe 
zur Gründung der geheimen Gejellihaft; man 
darf jedoch nicht glauben, da nur verlorene 
Eriftenzen ihr angehören; nein, mwohlfituierte 
Leute und angefehene Bürger ſchließen fich ihr 
an oder find ſelbſt die Anftifter, und ihre Pro— 
teftoren, welde fie zu Zeiten für ihre ſpeciellen 
Zwecke benugen, findet fie in den höchiten Ge: 
ſellſchaftsklaſſen. Natürlich fehlen in der Mafta 
anderfeits nicht die niedrigiten Elemente, Aus: 
geſtoßene, alte Verbrecher und Zuchthäusler, 


welche fih gegen materiellen Gewinn gern als | 


Martini, 


ausführende Organe brauchen laſſen. Der Capo 
fagt: morgen muß der und der jterben! Der 
Mafioſo vollführt gehorfam den Befehl, ohne 
auch nur nach der Urſache desfelben zu fragen. 
Daß diefe Angaben nichts weniger als über: 
trieben find, wird aus den am Schlufje mitge- 
teilten Thatſachen neuejten Datums hervor: 
gehen, welche der Balermitaner monftröfe Mafia: 
prozeß im verflofjenen Herbſte mit erfchredender 
Deutlichfeit aufgededt hat. Iſt die Mitglieder: 
zahl der Mafia, welche manchmal in die Hun— 
derte fteigt, genügend angewachſen, fo beginnt 
ihre eigentliche Wirkſamkeit, welche ſich in großen 
Städten meiſt über einen beftimmten Stadtteil, 
in Hleineren Orten über beren ganzes Gebiet 
und die benachbarte Landſchaft ausdehnt. 

Mas nun die Zwecke der Mafia anlangt, fo 
fann man diefelben kurz unter folgenden drei 
Hauptpunften zufammenfafjen: 

Erftens unbedingter Schuß jedes Mitgliebs, 
fei es im Recht oder Unrecht, gegen die außerhalb 
der Mafia ftehende Gefellichaft und gegen Juſtiz— 
behörden und Staatögewalt; daneben Förde: 
rung der Privatintereſſen der Mitglieder durd) 
erlaubte und unerlaubte Mittel. Hat ein Mafiofo 
ein offenfundiges Verbrechen begangen und ift 
nicht mehr zu halten, jo wird ihm wenigſtens die 
Flucht ermöglicht, auch im Auslande bleibt er 
im Berbande, wirbt neue Genofjen und wartet 
geduldig, bis er ohne Gefahr wieder zurüd: 
fehren kann. 

Zweitens Befriedigung der Privatradhe, 
Unſchädlichmachung oder Befeitigung der Feinde 
der Mitglieder des Geheimbundes, ihrer Kon: 
furrenten im Gejchäftsverfehr, unbequemer Auf: 
paffer und aller, die dem Ganzen gefährlich 
werden könnten. Ohne Schonung und Erbarmen 
entledigt fi die Mafia ihrer Widerſacher und 
meijt ereilt ihre Nahe die Opfer, fei es früh 
oder jpät. 

Drittens endlih Beeinfluffung aller Tom: 
munalen Angelegenheiten, der Bejetung der 
Aemter, der gefamten allgemeinen Intereſſen 
des Bezirks, gelegentlih auch der politischen 
Wahlen; kurz, Terrorifierung der Mitbürger 
durch Einfhüchterung,, durch Anwendung von 
Lift und Gewalt und durch ebenfo prompte als 
graufame Beitrafung des Ungehorjams. 

Hierin, im Letztangeführten, liegt ber 
Schwerpunft des Wirfens der Mafia; fie be: 
einflußt die Thätigfeit aller Privaten und Be: 
amten durch die Furcht, fie wird zu einer ver: 


Die Mafia in Sizilien. 


hängnisvollen Macht, deren verderbliches Trei: 
ben auf Schritt und Tritt fühlbar ift. Während 
der Brigantaggio ſich mit gemeinem Naube be: 
gnügt, verfolgt die Mafia ferner liegende, in 
ihrem Sinne „höhere“ Ziele, weshalb man an 
ihrer größeren Gefährlichkeit für das Land nicht 
zweifeln kann, da fie ſchließlich allmächtig wird 
und in alle Berhältnifje eingreift. Freilich ver: 
ichmäht auch fie nicht den Naub, um die Kaſſe 
zu füllen, ſondern vollführt zu diefem Behufe 
hin und wieder Schläge der fediten Art. So 
glaubt man jet in Sizilien, die oben erwähnte 
Gefangennahme des Herzogs Calvino auf das 
Conto einer Mafia ſetzen zu müſſen. Solde 
Ausnahmemaßregeln werden aber von den 
Häuptern der Mafia womöglid vermieden, denn 
fie haben fihere Mittel zur Förderung ihres 
Unternehmens. Dieje Mittel bejtehen aus dem 
den Mitbürgern auferlegten Tribute, wovon 
wieder ein beträchtliher Teil regelmäßig in die 
Taſche der Capi wandert; find diefe doch nie: 
mand über die Verwendung der aufgebrachten 
Gelder Rechenſchaft jhuldig und laſſen deshalb 
feineswegs ihr Privatinterefje außer acht. Der 
Tributzahlung an die Mafia werden nicht nur 
die kleinen Gewerbtreibenden und die Kaufleute 
ihres Bezirks unterworfen, fondern aud die 
höchſtgeſtellten und einflußreichiten Perſönlich— 
feiten müfjen diejelbe leiften, um ihr Eigentum 
zu fihern oder wenigjtens vor den ſchwerſten 
Brandihagungen zu ſchützen. Verſuche, ſich 
jener Abgabe zu entziehen, nehmen meiſt ein 
ſchlechtes Ende. So paſſierte letzten Herbſt in 
Palermo folgender Vorfalle Ein reicher Ariſto— 
frat engagierte einen neuen Wächter für feine 
ausgedehnten Fruchtgärten, welche dicht an der 
Vorſtadt gelegen find. Diefer Mächter, ein 
reblicher und furdhtlojer Mann, trat vor feinen 
Herrn und erjuchte ihn, in der Folge den bisher 
üblihen Tribut an die herrichende Mafin Amo— 
rofo (jo genannt und befannt nach dem Namen 
der Häupter) nicht mehr zu entrichten: er wolle 
Tag und Nacht eifrig über dem Beſitze feines 
Brotheren wachen und jei von der Polizei durch 
fojtenfreie Erteilung eines Waffenpafies für 
das Tragen eines Gewehres unterftüst worden, 
um fein Unternehmen wirffam durchführen zu 
fönnen. In der That wurde die Abgabe an 
die Mafia alsbald eingeftellt und als diefe durch 


199 


ihrem Vorhaben zu fehr geftört. Daraufhin er: 
hielt der Eigentümer der Gärten den Beſuch 
eines Abgefandten der Mafia, welcher ihm in 
wenig Worten auftrug, den neuen Wächter binnen 
furzer Frift zu entlaflen. Solcher Aufforderung 
war in früheren Fällen regelmäßig entfprocdhen 
worden; hier jedoch geihah es nicht, und nad) 
wenigen Tagen fand man den treuen Hüter 
hinterrüds erſchoſſen unter den üppigen Limo: 
nen und Orangen. Seitdem ging der Tribut 
wieder regelmäßig ein. 

Es ift auch vorgefommen, daß ein fimpler 
Krämer, welcher feinen Laden in eine belebte 
Gaſſe verlegt hatte, wo er der Kontrolle der 
Mafia entrüdt zu fein glaubte, die Zahlung der 
ihm auferlegten Abgabe verweigerte. Ein jein 
Leben gefährdender Dolchſtich war die Strafe. 
Der Mann wurde im jtädtifchen Hofpital forg: 
jam gepflegt und vom Tode gerettet. Als er 
vernehmungsfähig war, fragte man ihn nad) 
dem Vollführer der That. Er gab an, denfelben 
wohl zu fennen, war aber nicht zu bewegen, ihn 
den Gerichten namhaft zu machen. Allein das 
geringe Vertrauen, welches er in den Schuß der: 
jelben jegte und die eingewurzelte Furcht vor 
der weitreihenden Macht der Mafia hielt ihn 
von der Denunziation ab; zu feinem Gejchäfte 
zurückgekehrt, beging er nie mehr die Velleität, 
die Tributforderung abzufchlagen. — Ueber: 
haupt läßt der Sizilianer die Behörden gern 
außer Spiel; es ift für ihn eine größere Genug: 
thuung, jelbit Nahe zu nehmen für erlittenes 
Unredt, und häufig wiederholen fich die Fälle, 
in welchen der Geſchädigte fich weigert, feinen 
Feind den Gerichten anzugeben. Er zieht es 
vor, ihn eigenhändig bei nächſter Gelegenheit 
niederzuftoßen, ſelbſt wenn er dann lanajährige 
Freiheitsſtrafe zu verbüßen fihere Ausficht hat. 
Ganz diejelbe Erfcheinung findet fih auf Sar: 
dinien und Horfifa wieder, und durch die gleichen 
Urſachen erklärt fich die dort verbreitete Aus: 
übung der Blutrache. 

Ueber die innere Organifation der Mafia 
läßt fih mit Beftimmtheit jagen, daß ihre Sta: 
tuten von drafonifher Strenge find. Verrat 
wird unbedingt mit dem Tode beftraft, und die 
Furcht hält ſchwache und ſchwankende Mitglieder 
in Bann. Ungehorfam gegen die Oberen unter: 
liegt ebenfalls der härtejten Ahndung; mit allen 


Beraubung und Verwüſtung der betreffenden | Mitteln wird der Beſitzſtand des ungehorfamen 


Gärten Repreſſalien ausüben wollte, fand fie 
ſich durch die Unerfchrodenheit des Mächters in 


Mafioſo ruiniert, jeine Erwerböquelle veritopft, 
jeine bürgerlihe Stellung zeritört. Wie der 


200 


Ungehorfam aud von Nicdhtmitgliedern bejtraft 
wird, haben wir bereits an den erzählten Bei: 
ipielen geſehen; die letzte Gemwaltmaßregel ift 
immer der Mord, wenn anders Fügfamkeit nicht 
zu erlangen iſt. Die Mafia hat ein anerkanntes 
Oberhaupt, welches in allen Fragen endgültig 
entjcheidet und die Blutbefehle erläßt; ihm fteht 
ein Beirat von hervorragenden Mitgliedern der 
Gejellichaft zur Seite, welche ebenfalls einen 
gewiſſen Einfluß auf alle Entſchlüſſe ausüben, 
aber doch nur beratende Stimme haben. Ein 
Sekretär führt die Korrefpondenz mit den aus: 
wärtigen Mitgliedern ; diejelbe wird möglichit 
beihränft und nur unter den herfümmlichen fal: 
chen Namen geführt, da fie am leichteften zum 
Verräter werden Tann, wie es in der That jchon 
geihehen ift (vergl. unten Prozeß Amorofo). 
Die Kafjenverwaltung behält ſich in der Regel 
der Capo jelbft vor; er beftimmt die Anteile an 
der Beute für die einzelnen Mitglieder, erteilt 
ihnen Unterftügungen und Belohnungen und 
nimmt jedesmal den Löwenanteil für die Kafie 
oder — für fich felbft vorweg. Unterſchlagun— 
gen feitens der Mitglieder werden weit härter 
beitraft als fonft im bürgerlichen Leben durch 
die Gerihte. — Die Maftoft fennen fi nicht 
einmal alle gegenfeitig, ein Grund mehr, nie: 
mals vor etwaiger heimlicher Beobadhtung ficher 
zu fein und eine wirkſame Waffe in der Hand 
der Oberen. Dieje ſelbſt find als folche meiſt 
aller Welt bekannt und ihr Name tft gefürchtet, 
ihr Einfluß unbeftritten. Auch die Polizei fennt 
fie und ihre Thaten, doch nicht in dem Maße 
wie das Voll. Sie werden nad) befonders 
frehen Handjtreihen und bei dringendem Ver: 
dacht in Unterfuhungshaft genommen, ein Pro— 
zeß gegen fie inftruiert. Dann verdoppelt ſich 
die Thätigfeit der Mafia zum Schuge ihrer An: 
gehörigen und verfhärft jich ihre Ueberwachung 
der Mitwiſſer; die Einfhüchterung des Publi- 
fums wird mit vergrößertem Eifer betrieben. 
Denn über die Gefängnismauern hinaus reicht 
die Macht des Mafiojo, und der Prozeß endigt 
meift mit feiner Entlaffung aus Mangel an Be: 
weiſen, da belaftende Zeugenausjagen jelten zu 
befürchten find: die Furcht jchliegt den Mund 
des Volkes, Um fo weniger ift den Häuptern 
der Mafia anzuhaben, als fie fi) wohl hüten, 
durch Unvorfichtigkeiten ihre eigene Perfon zu 
fompromittieren, und troß polizeilicher Weber: 
wachung, trot oft wiederholter Hausfuhungen 
ftehen die Behörden ihnen ohnmächtig gegen: 


— — — — — — — — —— nme rn = — 


Martini. 


über. Die Polizei von Palermo zum Beifpiel 
unterhält jehr zahlreiche, bezahlte Spione, deren 
Beihäftigung mit großen Gefahren verbunden 
ift, aber felten Früchte trägt, da fie die ge: 
ſchloſſenen Reihen der Mafia nicht zu durch— 
brechen vermögen. In Stadt und Land entfaltet 
die Polizei eine wahrhaft unermüdliche Thätig: 
feit, und wird durch das ausgezeichnete und zu: 
verläffige Gendarmeriecorps der Garabinieri mit 
aller Anftrengung unterftügt. Auch Militär 
wird noch heutzutage auf Sizilien in meitejter 
Ausdehnung zu dem wenig anmutenden Shirren: 
dienfte verwendet. Alle Hauptitraßen der Inſel 
find durch maffive Wachthäuſer mit militärischer 
Bejatung bejett und häufige Batrouillen werden 
von diefen bei Tag und Nacht zu oft recht an: 
ſtrengenden Nonden ausgefendet ; ja felbft ohne 
ausgeſprochenen Wunsch erhalten NReifende Be: 
dedung, wo es ratjam jcheint. Allein das mäch— 
tigite Hindernis für die endliche Befeitigung der 
Unficherheit liegt, wie gejagt, im ſizilianiſchen 
Volke felbft, und die Bemühungen der italieni- 
Ihen Regierung werden fo lange nur unge: 
nügende Rejultate ergeben, als die Sizilianer 
die von ihr gefchidten Beamten als hafjenswerte 
Fremdlinge, die Polizei als eine Kafte zur 
Unterbrüdung des Volkes betradhten. Wie tief 
diefe Voreingenommenheit, fait könnte man 
jagen dieſer Haß, eingewurzelt ift, zeigt der Un: 
wille und die Widerjpenftigfeit, womit das 
niebere Volk (welches überhaupt in diefer Be— 
ziehung hauptjählih in Betracht kommt) den 
ausführenden Organen der Staatögewalt be: 
gegnet. Iſt es nicht Abſcheu erregend, daß Sa: 
rabiniert bei ihren pflihtgemäßen Streifereien 
binterrüds ermordet worden find, ohne daf per: 
ſönliche Feindſchaft oder etwa Selbjtverteidigung 
jeitens der Thäter das Motiv geweſen wäre? 
Nein, die graufame Genugthuung, ungeſtraft 
einen ber verhaften Wächter der öffentlichen 
Sicherheit niederjtreden zu können, bildete allein 
den Beweggrund. Faſt niemals wagen fi da- 
her die Gendarmen einzeln hinaus. 

Die Häupter der Mafia Amorofo in Pa: 
lermo verurteilten einen Better gleihen Namens 
zum Tode und ließen ihn in der That ermorden, 
„weil er den Familiennamen durd) das Tragen 
der italienischen Carabinieri-Uniform geſchändet 
hatte“, obwohl jener brave Jüngling ſich von 
ihrer verbrecherifchen Gemeinſchaft abjolut fern 
gehalten hatte und daher nicht einmal imftande 
gewejen wäre, ihr durch Verrat zu ſchaden. 


Die Mafla in Sizilien, 


201 


Wenn die Mafiofi ſich bereits in den Hän- | welche von den fünf Brüdern Amoroſo, wohl: 


den der Gerechtigkeit befinden, denkt ihrer das 
leicht impreffionierte Volk eher mitleidig als der 
armen Verfolgten, denn als der ftrafwürdigen 
Verbrecher. Nur deshalb war es möglich, da 


vor zwei jahren in Palermo Gefangene, welde 


im Bolizeiwagen unter Eskorte vom Gefängnis 
nadı dem Gerichtögebäude geführt wurden, der 
Begleitmannjchaft auf offener Straße entrinnen 
fonnten, nachdem fie den zu wenig ſolide ge: 


bauten Wagen von innen auseinander gejprengt 


hatten und hinausgefprungen waren, Das aus 


| 


I 


| 
| 


Neugier in Majje verfammelte Volt bot ihnen | 
bereitwillig Mithilfe zur Flucht, indem es ihnen | 
eiligjt Platz machte, fi aber dann vor den Gen= | 
darmen wieder wie eine undurdpdringliche Mauer | 
zuſammenſchloß. Lesthin war das Tribunal bei | 
Gelegenheit des großen Mafiaprozefies vor: | 


jichtiger; nicht nur wurden zum Geleite der 
Gefangenen Gendarmerie und Militär in über: 


großer Stärke befohlen, und waren im Situngs: | 
ſaale Boliziften und Soldaten in unverhältnis= | 


mäßiger Anzahl aufgejtellt, während die Ange: 
Hagten hinter einem jtarfen Gitter wie wilde 


Beitien im Tierkäfig ſaßen; nein, ſelbſt alle | 


Straßen, durch welche der Transport führte, 


wurden für Fußgänger und Wagen zunädhjt wäh: 


rend der ganzen Dauer der Situng, dann auf 
lebhafte Reklamationen der KYadenbefiser hin für 
die Dauer des Transports geſperrt. Man hatte 


eben vor einem gewaltjamen Befreiungsver: | 


juche Angſt. 


| 
| 





Der erwähnte Prozeß, ſchon an und für jih 
interefjant, rief in allen Schichten der Balermi: 


taner Bevölkerung, in deren Mitte ſich die darin 
verhandelten Vorgänge abgejpielt hatten, Auf: 
regung und Spannung auf den Ausgang her: 


vor; man ſprach von nichts anderem, als von | 
der Mafia Amoroſo und debattierte lebhaft die | 


Chancen der Angeklagten. Die Mannigfaltig: 


teit der fih im Laufe der Verhandlungen auf: | 
rollenden Bilder aus dem Verbrecherleben, die | 
entſetzliche Grauſamkeit, womit die Maftofi 
Ströme von Blut vergofjen hatten, die zur 
Sprache fommenden Scenen der vollendetiten | 
Näuberromantif alles vereinigte fih, um das 


Publikum bis zum Schluß in atemlojer Span: 


nung zu erhalten. Einige furze Notizen über | 


dieſen Prozeß mögen ſchließlich zur Illuſtrierung 
der vorangehenden Skizze über die Mafia dienen. 
Angeklagt wahren 23 Bewohner von ‘Palermo, 


wovon drei flühtfig, als Mitglieder der Mafia, 


habenden Befisern, in der Vorjtadt Orto Bota- 
nico vor länger als zehn Jahren gegründet 
worden war und jeitdem jenes Stadtviertel 
terrorifiert hatte. Die VBorunterfuhung hatte 
mit unendlichen Schwierigkeiten zu kämpfen ; 
freilich fprachen die Yeute auf der Strafe Davon, 
daf; die Amoroſo diefen Mord und jenen Raub 
vollführt hätten; allein jobald der Unterfuchungs- 
richter nad) Beweifen für die Nichtigkeit feiner 
und aller Meberzeugung forjchte, wurde jeder: 
mann überaus zurüdhaltend und vorfichtig: 
einer hatte es immer nur vom andern gehört! 
Ein Ehepaar, defjen jugendliche Tochter. als 
Aufmwärterin im Haufe der Amorofo beichäftigt, 
den Lüften eines der Mafiofi zum Opfer ge: 
fallen und darauf eines Tages auf Nimmer: 
wiederjehen „verſchwunden“ war, fand erit nadı 
Wochen den Mut, bei der Polizei die betreffende 
Anzeige zu machen: jo jehr war man von der 
Nuslofigkeit diefes Schrittes und von der Furcht 
weiteren Unglüds überzeugt, falls man die 
Mafia reize. Wie einem Verhängnis beugte 
man fid ihr. — Der Staatsanwalt wünſchte 
fih — nad) jeinem eigenen Ausdrud — Argus: 
augen, um alle die unzähligen Verbrechen der 
Mafia ergründen zu können. Endlich hatte er 
genug Bemweismaterial gejammelt zur Weber: 
führung der Mafiofi, feit dem Jahre 1874 
neun Morde vollbracht, deren zwei verfucht zu 
haben: dies genügte, ihnen den Hals zu brechen. 
Die meiften waren teilweife wegen derjelben 
Verbrechen, für welde jie nun zur Rechenſchaft 
gezogen wurden, jchon früher wiederholt, dod) 
immer rejultatlos, zur Unterfuhung gezogen 
worden. „Mangel an Beweiſen“ hatte fie jedes: 
mal der Freiheit und ihrer verbrecheriſchen 
Thätigkeit zurüdgegeben. Unter anderem war 
eine rivalifierende Geheimgejellihaft gleicher 
Art von der Mafia Amorofo aufgerieben, ihre 
Mitglieder faſt vertilgt worden, obwohl einſt 
zwiichen beiden ein mit Blut unterjchriebener 
Sriedensalt vollzogen war. — Die wertvolliten 
Beweismittel über Organifation und Wirkſam— 
feit der Mafia erhielt der Staatsanwalt durd 
Ueberjendung einer Korreſpondenz feitens eines 
Ziziltaners, welcher in New Orleans ein Haupt: 
mitglied der Mafia, den berüchtigten Salvatore 
Marino, kennen gelernt hatte. Auf dem Sterbe: 
bette bat ihn dieſer, gewilje Briefe vor feinen 
Augen ins Feuer zu werfen. Der Betreffende 
rettete die Briefe, an ihrer Stelle wertloje Pa— 


a, 


202 C. Mehlis 


piere den Flammen übergebend, und unterſtützte zeit zogen ſich die Geſchworenen in das Be— 
durch ihre Ueberſendung aufs wirkſamſte die Be- ratungszimmer zurück; den Nachmittag und die 
hörden bei der Inſtruktion des Mafiaprozeſſes. ganze Nacht hindurch waren fie mit der Beant— 
Am 29. Auguft 1883 begannen die Ver: | wortung der ihnen vom Tribunal geftellten 
handlungen vor den Geſchworenen. Jeden der | Fragen, an Zahl nicht weniger als 424 (!) be- 
drei Transporte, in welchen die Angeklagten | jhäftigt, und erjt am nädjften Morgen um 
zum Gerichtögebäude geführt wurden, begleite: | 7! Uhr fonnte das Reſultat derfelben ver: 
ten mehr als 50 Polizisten und Soldaten, wäh: | fündigt werden. Die Vorlefung des Spruchs der 
rend der betreffende Straßenzug, welcher paffiert | Geſchworenen nahm allein zwei Stunden in An: 
wurde, fürs Publikum gefperrt war. Zur | fprud. Nun ftellte der Staatsanwalt feine An: 
Dienftleiftung im Situngsfaale waren circa | träge und nachmittags um 4 Uhr wurde vom 
150 Mann unter ihren Offizieren fommandiert. | Gerichtöhofe das Urteil gefprochen, welches über 
Die langwierigen Situngen, in deren Verlaufe | zwölf der Angeklagten die Todesitrafe, über die 
etiva 300 Zeugen vernommen wurden, fanden | anderen langdauernde Freiheitsftrafen (bis 
nun täglich außer an den Sonntagen ftatt. Die | 25 Jahre Bagno) verhängte. 
Verftodtheit der Angeklagten während der Ber: Alle Gutgefinnten begrüßten das ftrenge 
handlungen war grenzenlos; ſchlechte Wite und | Urteil mit offenbarer und unverhehlter Genug: 
Lachen war bei ihnen etwas Alltäglihes, und fie | thuung; der Staatsanwalt hatte richtig vorher: 
machten den Eindrud von Zufchauern einer | gejagt: „Wenn auch die Füße der Gerechtigkeit 
Theatervorftellung. — Erſt am 17. Dftober | von Blei find und fie nur langjam vorwärts 
1883 fand die Schlußfigung in diefem für alle | fchreitet, endlich erreicht fie dennod die Schul: 
Beteiligten in höchſtem Grade anftrengenden | digen und zertritt diefe zum Wohle der Menfch: 
Prozefje ftatt. An diefem Tage um die Mittags: | heit!“ 


Siſenberg. 
Fine römilde Induſtrieſtadt der Vergangenheit auf deuffdem Boden. 


„Civis Romanus sum*. — „Ich bin rö- | Kultur, den fie jedem einzelnen der befiegten 
mijcher Bürger“ , diefe Signatur galt ja lange | Völfer aufzudrüden verjtanden. Noch heute 
Jahrhunderte nicht nur bei den wirklichen Wel: | zeugen ja die Arenen und Waflerleitungen, die 
ichen fondern auch bei den echten Deutfchen als | Tempel und Kaftelle, die Münzen und Inſchrif— 
hervorragender Chrentitel. ten, die wir im Bereiche des ganzen Imperium 

Und wahrhaftig fein Volk der Vergangen: | Romanum auf und unter der Erdoberfläche 
heit darf ſolche Bezeihnung des Bürgerrehtes | vorfinden, von der gewaltigen Kulturhand, die 
mit größerem Stolze tragen als die Bezwinger | der bezwungenen Völker ganze Kraft zufammen: 
des Erdfreifes — die Römer. faßte, um in römischen Formen den römischen 

Nicht nur Punier und Griehen, Afiaten | Zweden zu dienen. Und ebenjofehr legt von 
und Afrifaner, Gallier und Germanen über: | diefem durchdringenden Einfluffe der Tiber: 
wand die kriegsgeübte Jugend Roms und | bewohner das innere Leben der romanifierten 
Italiens, jondern jenen Völkern, welden fie | Nationen Zeugnis ab. 
allen das bejte ihrer Einrichtungen, ihrer Kulte, Römiſche Sprade, römijches Net, rö— 
ihrer Bildung entnommen hatte, brachten fie | mijche Sitte, römische Götter hielten ihren fieg: 
im reichlichen Maßſtab das Entgelt für folde | reichen Einzug zu den niedergeworfenen Stäm: 
Vergemaltigung in dem Stempel der römischen | men an dem Euphrat und ar, der Rhone, an 


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der Themfe und am Rhein, und das einheimijche 
Leben verfieloder wurde umgewandelt au Gunſten 
des jtärferen Typus. 

AL dies hat in den einzelnen Phaſen des 
Sejamtprozejles von feiten der Archäologen 
und Hiltorifer ſchon verdiente Beadhtung ge- 
funden. Eins nur hat man biäher bei der Be: 
trachtung diefer Rulturentwidelung weniger der 
Beahtung unter: 
zogen — den Ein: 
fluß römiſcher Ted): 
nif. 

Menn aud) der 
Nömer, bejonders 
in dem eriten Jahr— 
hunbertjeinerHerr: 
ihaft am Nhein 
und an der Donau, 
als Krieger dem 
Barbaren gegen: 
übertrat, jo aing 
doch jelbft in folcher 
bewegten Zeit eine 
Reihe von neuen 
Bildungselemen: 
ten in die benad): 
barte Germanen 
mwelt über, welche, 
wie der Stein im 
Waſſer, jenſeits des 
Grenzgrabens ihre 
Kreiſe zogen. Ge 
rade aber in der 
techniſchen Behand: 
lung des Thones, 
des Steines und 
des Metalles hat: 
ten die Römer als 





Eijenberg 








203 


Technik und Kunſt im dichten Dunkel ihrer Wal: 
dungen nicht über die Stufe erheben Fönnen, 
welche die Wilden des heutigen Tages, Neufee: 
länder und Congoneger, mit ihren einfachen Ge: 
räten und Vorjtellungen zu erreichen wiljen. 

Mit Mühe und Not verftand es der Ger: 
mane, aus dem Sumpferz und dem Rafeneijen 
jtein das nötigfte Material für den Pflug und 
die Yanze zu ge: 
winnen; mit ein 
jahem Griffel zeich 
nete er rohe Orna 
mente in Die Schlecht 
gebrannten Gefäße 
ein, welche der 
Nundungder Dreh: 
icheibe entbehrten; 
anftatt ehren Göt— 

tertempeln und 

Marmoritatuen 
dienten feinem re: 
ligiöſen Bedürfniſſe 
unförmliche Klötze 
oder phantaſtiſche 
Bilder. 

Aber mit dem 
tampfbereitenYegi: 
onär rüdte allac 
mach der Handels 
mann, der Hand: 
werfer und Der 
stünftler ein in das 
Didicht des Hercy 
niſchen Waldes, 
und von den Mit 
telpunkten aus, 
welche der wieler 
fahrene Welſche an 








gelehrige Schüler 
der Griechen und 
Etruäfer, der Spanier und Punier Tüchtiges zu 
leiften gelernt, und dieſe Fähigkeiten fetten all: 
gemach in das Yand der barbariihen Nachbarn 
an den Zandesarenzen über und aingen dafelbit 
in das Fleisch und Blut der Halbwilden über. 

War auh die Hausfunft der Germanen, 
von weldhen wir im bejonderen reden, ſowohl 
nad den Nachrichten der Autoren wie Tacitus 
und Plinius, feine ganz niedere, und weiß erfte: 
rer jelbit von dem Schmucke zu reden, mit dem 
die Rheinanwohner des Aeußern ihre fonft pri 
mitiven Blodhäuier bedachten, jo hatte ſich doch 


den Hauptpunkten 
tes Mheins und 
der Donau gegründet hatte, Ttrahlte das Yıdıt 
aus, weldes nach jähem Niederaange während 
des Sturmes der Völferwanderung zwar erloſch, 
aber in der Renaiſſance der Karolingerzeit feine 
Leuchte wieder erhielt, um fortan ohne Störung 
das Emporblüben des germaniſchen Kultur 
baumes hell zu beitrahlen. 

Molle der geneigte Leſer uns zu einem fol 
chen Gentrum begleiten, während deſſen Blüte 
periode der Nömer dem Germanen zum VBorbilde 
die von Stalten mitgebrachten technischen Fertig 
fetten verwandt hat, um mit einheimischen Ma 


Bildnie des Malbgoites Eilvanus (©. zuı). 


204 « 


terial feiner Poſition neue Stützpunkte für Krieg | 
und Frieden zu verjchaffen. — 
Von der Saar führte über das niedrige | 
Hartgebirge, welches längs der ganzen Linie | 
vom Rheinkamm bei Bafelbis zur Rheinniederung 
beiföln die bequemften Bafjagen von Weſt nad 
Oft bot, ein uralter Straßen: und Handelszug | 
längs den Mooren bei Landſtuhl und Kaiſers- 
lautern und weiter zum Urſprung der Alfenz, | 
über den Paß des Schorlenberges in das Eis: | 
thal. Der Weg ftieg in diefes hinab und z0g | 
an feinem rechten oder jüdlichen Hochufer durch | 
den Wald hinaus in die Ebene bis nad) Worms, 
dem altgalliihen Borbetomaqus. Die mittlere 
Mofellandichaft mit dem in feinem Gentrum ge: 
legenen Divodurum—Meb, dem Hauptorte der 
galliihen Mediomatricer und das mittlereRhein: 
land waren durd) diefen Straßenzug ſeit uralter 
Zeit auf dem geradejten Wege miteinander in 
Verbindung geſetzt. Die älteften Anſiedler, 
welche fich noch des Steinbeiles bedienten, hatten 
ſich ſchon längs dieſer Linie angefiedelt, und als 
ihre Nachkommen vom Süden her mit der jchim: 
mernden Bronze befannt wurden, errichteten fie 
die hohen Grabhügel, ihre Totenmale, gleichfalls 
längs diejes Volkerweges. Die Nömer, welche 
jtetö die Errungenschaften ihrer Vorgänger ſich 
zu eigen machten, benußten ebenfalls dieje di- 
refte Straße, um fid von Auguſta Treverorum, 
Trier, und Divodurum, Met, aus mit dem halb 
aalliichen, halb germanischen Gebiete am unteren 
Mittelrhein, deſſen Hauptjtadt Borbetomaqus, 
Worms, war, in nächte Verbindung zu fegen. 
Co wandeln wir, wenn wir die Quelle der 
Aljenz bei Alfenborn verlaſſen und über den ein: 
jamen waldigen Bergrüden des Schorlenberges 
dem Rhein zu nach Oſten fürbaß ziehen auf altbe: | 
tretenem Pfade. Mäßig führt die Straßebergan, | 
um in fteileren Scjlangenlinien dem klaren 
Waſſer eines Fleineren alpinenhaften Sees zu: 
zuftreben,, in welchem der Bad), dem wir jetzt 
zu folgen haben, die Eis, ihren Urjprung erhält. 
Ningsum iſt der kryſtallhelle Eisweiher oder die 
Eiswog von waldbededten Höhen eingeſchloſſen, 
welche zum jogenannten Stumpfwalde gehören, 
urkundlich „stamp* genannt. Der ganze weite 
Forſt bildet den Tummelplat zahlreichen Wil: 
des, vor allem der borftigen Wildfchmweine, und | 
die Jäger der ganzen Vorderpfalz zieren ſich 
gern mit den Hauern der erlegten Ungetüme. | 
Das war ſchon zur Römerzeit jo, und des iſt 
Zeuge das im Sandftein Funftreih gehauene | 








Mehlis. 


Bildnis des Waldgottes Silvanus, das hoch 


| erhaben vormals auf dem Bergrücken zur Linken 


ſtand und von Waldarbeitern voreinem Menſchen— 
alter (anno 1843) in drei Stücke gebrochen dort 
vorgefunden ward. Der Gott iſt faſt in Lebens— 
größe mit dem kurzen Jagdgewande (S. 203) 
dargejtellt, auf der Bruft hängt die Jagdtajche, 
in der Rechten hält der bebartete Mann den 
jtarfen Speer und zu feinen Füßen liegen links 
und rechts zwei Nüden, welche den Hirfchen und 
Sauen tüchtig nachjegen follen. Das Piedeftal 
trägt eine Anschrift, nad) welcher ein Römer 
| oder ein romanijiertereGallier Yucidus Cinonis 
(Sohn des Gino?) zur Erfüllung eines Gelüb— 
des dem Gotte Silvanus dies Denfmal weihte. 
Vielleicht, dak dem Votanten vor Zeiten hier 
ein Kernſchuß gelang, vielleicht daß ihn die Gott: 
heit ausUnheilerrettete! Die Technik des Votiv- 
fteines zeugt von recht gutem Verſtändnis; der 
Gott und feine Begleiter find mit Sicherheit 
und Verftändnis aus dem Material, dem Bunt: 
jandftein des Hartgebirges, herausgearbeitet. 
Wir verfolgen den Waldweg zur Rechten, 
moofig und verlafjen, doch feit und wohlgefügt. 
Es iſt die alte Nömerjtraße, welche oben auf dem 
Bergrüden den nächſten Weg verfolgt, während 
die moderne Straßenanlage dem Thale zu in 
janften Windungen läuft. Bald fallen uns 
mächtige Steinringe zur Nechten und Linken auf; 
Hügel wohl 40—50 Schritte im Durchmefjer, 
welche bald in gewiſſen Abjtänden, bald regellos 
den Weg begleiten. Es find Grabmale vor- 
römischer Volksſtämme, deren Tote hier mit 
Schmud und Waffen aus Bronze, mit rohen 
Ringen und perlengeftidten Zeibgürteln, ſowie 
mit rohen Urnen unter primitiver Steinwöl- 
bung im Schatten der mächtigen Buchen ſchlum— 
mern. Aber daneben liegen andere, mehr ovale 
und noch ausgedehntere Steinhaufen, welche 
aus Eifenjchladen beftehen, weldye ſchwer wiegen 
und eine hellgefhmolzene, mehr getropfte wie 
geflofiene Mafje zeigen. Die letteren lehnen fich 
zumeift an die Hänge von Hügeln an, und ihre 
Unterfuhung hat gezeigt, daß es die Ueberrefte 
alter Eifenjchmelzen find. Schon vor den Nömern 
in den eriten Jahrhunderten vor Shriftus haben 
die erfindungsreihen Urbewohner dieſer mit 
Eifenftein aller Art reichgejegneien Gegend es 
verstanden, in einfacher Weife durch ſtarken 
Holztohlenbrand dem Eifenerz einen Teil feines 
Gehaltes zu entnehmen. Nur die Hälfte oder 
wenig mehr des Eifenftoffes ward flüfftg und war 


Eifenberg. 


zu Waffen und Werkzeug zu verfchmieden, das 
andere Material blieb gefangen in der Schladen: 
maſſe. 

Noch legt manch verbogenes Eiſenſchwert, 
manch ſtarker Eiſenring, der in den anſtoßenden 
Grabhügeln ausgegraben ward, Zeugnis ab, 
wie dieſe vorgeſchichtlichen Anſiedler das Eiſen 
zu ihren Gewaffen umzuſchmieden verſtanden. 
Aber weiter durch den dichten Forſt, in welchem 
nur hie und da ein Gehöfte verſtreut liegt, hin— 
aus in die Thalmulde! Pochen und Hämmern 
tönt an unfer Ohr, wir fehen im Eisthale unten 
gedehnte Fabrikhallen und ſtark qualmende Efjen 
ſich erheben. Da wird geſchmolzen und gegojien, 
gehämmert und geformt, daß weit und breit das 
Thal von dem Lärme lebendig wird! Es ijt das 
Eifenhüttenwerf der Gebrüder von Gienanth, 
der pfälzifchen Krupp, das ſeit 120 Jahrhun— 
derten die Eiſenerze der Umgegend verhüttet 
hat und jet im Eifengufje Vortreffliches leiſtet. 
Und weiter unterhalb der weitgedehnten Fabrik: 
anlagen jhimmern glänzend rote Ziegel und 
gelblihe Ornamentjtüde. Der feine Thon hierzu 


205 


Walzen und Mobiliargegenftände, alles aus dem 


) 


ſchweren Blute der Erde, dann wieder Waggons 
voll blendender Erde und roten Dachziegeln gehen 
mit Dampffraft gen Worms, dem Rheinthale 
zu, um von dort in aller Völker Länder zu wan: 
dern. Dort drüben am Hange einer bewaldeten 
Kuppe, hinter Lehnen mit weißfchimmernden 
Thonlagern, überragt von einemmittelalterlichen 
Befeftigungsturme, den Meifter Klapperbein be: 
wacht, liegt das induftriereiche, aber menfchen: 
arme Eifenberg, bewohnt von etwa 1 taufend 
Seelen, 

Die ganze Umgegend des Ortes und diefer 
ſelbſt, befonders aber die Südſeite des Thales, 


‚ auf welcher die Bahngebäude und oberhalb des: 





jelben der Friedhof liegt, bildet eine wahre 
Fundgrube für römische Altertümer, Kein Tag 
vergeht, ohne daß der fleißige Adersmann ein 
„Heidenköpfchen”, wie hier die Nömermünzen 
genannt werden, der ſchweren Scholle entnimmt. 
Hunderte wertvoller Münzftüde und Medaillons 
von allen Kaifern, in allen Größen, aus Gold 
und Silber, aus Billon und aus Kupfer find 


wird an den Hängen der weitgedehnten Thal: | dem Boden entnommen worden. Nicht nur Ge: 


mulde gewonnen, welche das Eisthal von Eifen: 
berg abwärts bildet, und der ſonſt feltene weiße 
und blaue, der gelbe und braune Thon, der in 
tiefgehenden Lagern rings gewonnen wird, geht 
zu Fabrikationsſtellen, welche weit entfernt von 
hier liegen. Die allgemein befannten Mettlacher 
Plättchen, die Kölner Pfeifen, das frühere Fran: 
Tenthaler Porzellan, die großen Terracottavajen, 
die bauchigen Drainageröhren und hundert an: 
dere Gegenftände der mafjenhaften Heritellung 
beſſerer keramiſcher Gegenjtände werden aus 
dem Material des Eisthales fabriziert. Und 
Thon und Eifen hat vor Jahrhunderten bereits 
der Gallier und der Römer hier aufgeipürt, 
verarbeitet und exportiert — tout comme 
chez nous! 

Wir find längs dem ſüdlichen Hochufer der 
Eis weitergewandelt und ftehen jet an dem 
Bahngeleife, das uns in wenig Minuten zum 
Bahnhofe von Eifenberg bringt. Das alte jan: 
bere, das Schon im 20. Negierungsjahre Kaifer 
Karl des Großen, aljo Ende des 8. Jahrhunderts 
in Urkunden erfcheint , ift nach langem Schlafe, 
während deſſen die Stätte wohl ausgeruht 
hat, von dem bunten Leben zur Nömerzeit wie: 
der aufgewacht und entrichtet dem Verkehre und 
dem Merkur feinen leicht zu bezahlenden Tribut. 
Eijenteile und Thonwaren, Säulen und Kefiel, 


fäße, Heine Bronzen, Gläſer, Waffen, Inſtru— 
mente, Eijenteile aller Art aus der Okkupa— 
tionözeit vom 1.—5., Jahrhundert n. Chr. bil: 


| ben die Gegenjtände der jeit Menjchengedenfen 


| 


andauernden Funde, auch wertvolleredegenftände 
find darunter. Am rechten Ufer zog ſich inmit— 
ten des heutigen Ortes eine römifche, mit Häu— 
jern bejegte Straße. Hinter jedem Wohnplatz 
befand fich ein tiefer, nad) unten ſpitz zulaufen: 
der Ziehbrunnen. Am Boden eines derjelben 
grub man aus dem Flötzſande eine Goldwage, 


ein Ohrlöffelchen und Zängchen, alles aus Bronze, 





dazu eine eiferne Fibel. Die vier Gegenjtände 
lagen in einer kunſtreich abgedrehten Doppel: 
fajferole mit Durchſchlag. Diejelbe hat einen 
charafteriftiichen breiten Stil mit Abjägen, und 


das Metall zeigt Spuren von Vergoldung. Das 


Stüd gehört in deutfchen Mufeen zu den ſel— 
tenjten Gegenitänden. Cine andere, öftlid des 
Bahnhofes und längs der Bahnlinie laufende 
Gebäudereihe lieferte neben zahlreihen Münzen 
einen großen Keſſel, eine weitbauchige Flaſche, 


beides aus Bronze, und neben Gefäßen der 


mannigfaltigiten Art einen Metallgegenftand 
von vorzüglicher Arbeit. Ein Bronzebefchlag, 
(S. 206) diente ed, wie andere der Art, dod) 
von roherer Form, nach Anficht des Altmeifters 
der deutschen Altertumsfunde, des Direktors 


206 


€. Mehlis. 


Eindenihmit zu Mainz als Deichſelbeſchlag. diefes Vicus an der Eis, dem Bade entlang 


Dasjelbe tft funftreich hohl gegoffen und forg: 
fältig ornamentiert. Das Schlußende läuft in 
einen fein jtilifierten Adlerkopf aus, der eine 
Erbje im Munde hält. Der unten angebradhte 
Aufhälter hat die Geitalt eines Bafilisten, der 
ſich dem Adler mit dem fanımgejhmüdten Haupte 
zumendet. Leider find die meisten feltenen Fund: 
jtüde nad) aller Herren Länder verjchleppt; 
Eifenberger Münzen haben allerwärts quten 
Nlang und das Ausland beſitzt deren mehr, oft 
unter fremdem Namen, als die Heimat. Seit 
neueſter Zeit find charakteriftische Funde im ger: 
maniſchen Nationalmufeum zu Nürnberg und 
im Provinzialmufeum zu Speyer aufbewahrt. 

Bon der intenfiven Kolonifierung und dem 
langandauernden Aufenthalt der Römer an 
diefer günftigen Stelle, wo man den Verkehrs— 
abern nahe war, ohne des Schutzes von Wald 
und Berg zu entbehren, zeugt die Thatſache, daß 
nicht weniger als drei Friedhöfe aus der Nömer: 
zeit zu Eifenberg fonjtatiert wurden. Der eine 
liegt drüben zu Ende der Brunnenftraße, mo 


das Thal gen Worms zu zieht; hier war die | 


Aſche in Urnen beigeſetzt, die einfach in den Erd: 


boden geſtellt waren. Die als Obolus daneben 


liegenden Münzen gehören dem 1. und 2. Jahr: 
hundert n.Chr. an, Ein zweiter Begräbnisplat; 
lag dem eriten gegenüber am rechten Ufer, eben: 
falls außerhalb der Wohnpläge nad) Oſten. Ein 
Hügel, Senderfopf genannt, defien Name wohl 


von Welt nad) Dit zogen und zwar zu beiden 
Seiten desjelben, lag das Centrum der hiefigen 
merfantilen und militärifhen Nömermadt am 
ſüdlichen Hocdufer der Eis, wo die Hauptver- 


‚ fehrsader, die Straße nad Worms und Mes 


zog. Etwas oberhalb des Bahnhofes liegt nad) 


ı Norden, Weſten und Oſten von fhluchtenartig 





von incendarium, Verbrennungsplaß, her: | 
rühren mag, ſtreckt fich dort mit flachem Scheitel | 


empor, Hier waren die Nichenurnen in ausge: 
höhlten Steinfiften beigeſetzt oder zwifchen ge: 
ipaltenen Steinplatten aufgejtellt. In jedem 
Grabe lagen außer der Haupturne gehenfelte 
Amphoren, Thränenfrüglein, Ihonlämpchen, 
Glasbecher und Münzen. Lebtere weifen auf 
die Benugungszeit des Friedhofes im 3. und 
4. Jahrhundert n. Chr. hin. Einer noch fpäteren 
Beriode, welche bereits in die Zeit des Chriften: 
tums hineinreicht, gehört der dritte Yeichenhof 
an. Er liegt etwas weitlid von der altroma: 
nischen Kirche des Ortes. In wohlbearbeiteten, 


eingerifjenen Verbindungsſtraßen umgeben ein 
kleines Hochplatcau. Bon diefem aus hat man 





Bronebeſchlag einer Teichſel S. 2051. 


einen freien Blick auf die ganze, wohl zwei Stun— 


den lange Thalmulde, die bei Aſſelheim, dem 
Förderungsplatze eigenartiger Bauſteine, von 


| 


jteinernen Sarkophagen, die von Weſt nad Oſt 


lagern, wie es der Chrijtenglaube verlangte, 
waren hier die Leichen bejtattet. Daneben lag 
manch geijhmadvoll und eigenartig verzierte 
Urne, mander Reft von perlenverzierten Gürtel, 
auch eine zu Stein gewordene Salbe u. a. 
Während die Straßen des römischen Platzes, 


ihrer Farbe „Kapuziner” genannt, mit einer 
Thalenge abſchließt. Gen Dften bemerkt man 
die Türme des Wormſer Domes und dahinter 
des Odenwaldes fegelförmige Berahäupter, im 
Norden lient die weite Hochfläche, wo der Naj: 
fauer Adolf gegen den Habsburger anno 1295 
Krone und Yeben verlor, im Mejten dreuen die 
dunklen Waldhäupter des Stumpfwaldes und 
Schorlenberges und im Süden bliden über die 
Hochfläche einzelne Bergmaſſen, welche das Iſe— 
nachthal begrenzen. Hier war im Eisthal für 
Land und Leute, Gut und Geld am leichteften 
Wacht zu halten; der Ort heißt bedeutungsvoll 
„Hochſtatt“ und jeine Fläche und deren nächſte 
Umgebung bildete, nad) den gefundenen Dent: 
mälern und Baurejten zu ſchließen, den Mittel: 


Eijenberg. 207 


punkt und das Reduit der ganzen römischen An: | man denfelben in mit eingejchnittenen Mujtern 
fiedlung. Das Ganze war nad) Art eines | bededte Schüffelformen und bejtrid) die Gefäße 
Kaftelles von einer ſtarken, imBiered ziehenden | nad) ihrer Brennung mit einem rotglänzenden 
Mauer umzogen. Im Inneren desfelben erhob | Firnis. So erhielt man die prädtigen Gefäße 
fih auf 3m diden Mauern ein 25 m langes | aus fogenannter terra sigillata oder aus ja: 
und 19 m breites Gebäude; dasjelbe enthielt | mijcher Erde, von denen man früher annahm, fie 
ſechs Gelafje und hatte feinen Eingang nad | feien auf dem Boden Italiens oder gar in Sa: 
Norden. Aſche und Kohlen, verbranntes und | mos hergejtellt worden. Allein hier und im 
gejhmolzenes Metall, zerbrohenes und ge: | nahen Rheinzabern, vem Tabernae Rhenanae, 
ſchwärztes Geſchirr, mafjenhafte Knochen von | war die Fabrifationsftelle für dies römiſche Bor: 
Rind und Wildſchwein im wilden Durcheinander | zellan, das vom Mittelrhein nah allen Seiten 
mit Ziegelftüden und Mauerbroden, was man als Handelsartifel verfandt wurde. 
alles in den letten Jahren bei Nachgrabungen Gefäße gröberer Art von gelber, vötlicher, 
vorfand,, vermelden von dem Greuel der Zer: | dunfelblauer, ſchwarzer Farbe wurden aus dem: 
jtörung, mit dem hier, wie an allen Bunften | felben, hier gegrabenen Thone, den man jeft 
diefer Römerfolonie, das blühende Leben zu | nod dazu verwendet, auf der Drehicheibe her: 
(Srabe getragen ward. ' geftellt, mit einem Ueberzug von Graphit über: 
Auf der Hochſtatt und nahe derjelben hat | zogen oder hell glafiert und dann in Mafje in 
der Landmann ſchon manchen goldenen Schat | den Defen gebrannt. Kein Ort wohl am ganzen 
gehoben und derAltertumäfreund Schon manden | Mittelrhein ift jo reih an römiſchem Geſchirr 
jteinernen entdedt. Ein Altarjtein von hier | der verfchiedenften Art, von der groben Milch— 
trägt auf vier Seiten die Bildnifje der Fortuna, | ſchüſſel und dem primitiven Vorratsgefäß bis 
der Diana, des Merkur und der Minerva. Ein | zu den feinften und reid) ornamentierten Prunf: 
anderer, tleinerer ift der nährenden Ceres ge: | vajen. 
weiht. Hier gefundene Töpferjtempel erzählen So war wohl ein großer Teil der Koloniſten 
von ihren Meiftern, welche fich Jcelius, Taiuba, | an diefer Stelle mit der Herftellung von Topf: 
Alpinius nannten. Zwei Römer, Angehörige | waren bejdäftigt; jhon vor den Römern mögen 
der Familie der Paternier, hatten hier dem. | zu folder Fabrifation die reihen und reinen 
höchiten Gotte, Jupiter, zu Ehren einen Denk: | Thonlager angelodt haben. Allein erjt feit 
itein errichtet. Dem Mars und der Viktoria, | Ende des erjten Jahrhunderts, als in den all: 
den Siegesgöttern hatte ein anderer, wohl ein | mählich aufblühenden und an Bevölkerung zu: 
Eingeborner, Giamonius Sina, der die Würde | nehmenden Rheinlanden der Bedarf an Thon: 
I 








einesOrtsbürgermeifters befleidete, und fich des: | geichirr befjerer Art ein größerer wurde, nahm 
halb magister vicanorum nennt, ein funft: | hier dieje Induſtrie für den Erport einen 
veich drapiertes Monument gejtiftet (S. 210). | größeren Aufſchwung. 

Aber nicht nur von Kampf und Streit, von | Daß Thonwaren in diejer an Verfehrs: 
Höttern und Göttinnen, von Töpfern und | mitteln nod armen Zeit auf weitere Ent: 
Bürgermeijtern, von zu Grunde gegangenem | fernungen verjandt wurden, darf uns an Be: 
Geld und Gut weiß die Hochftatt uns zu be- quemlichkeiten aller Art gewohnte Menſchen— 
richten, fie war no) mehr damals, als der Les | kinder der Neuzeit nicht befremden. Berichtet 
gionär auf hoher Mauer den Speer feithielt und | doch der griechifche Hiftorifer Strabo, daß bereits 
der Landeseinwohner vor ihm den Naden beugte. | in ſehr früher Zeit Töpfergejhirre von dem 
Hier war zugleich der Mittelpunkt für Maffen: Mittelmeere aus ſelbſt nad Britannien gelangten 
induftrie, die hier zur Nömerzeit in Thon und | und zugleich mit Salz und eherner Ware die 
Eifen betrieben wurde. hauptſächlichſten Taufchmittel gegen die Zinn: 

Auf dem Plateau der Hochjtatt hat man | ausfuhr bildeten. Zeigen uns doch die Grab: 
vor kurzem Brennöfen, aus der römischen Epoche | hügel Süddeutfchlands, jo die von Rodenbach 
herrührend, ausgegraben, welche mit ganz und | in ber Pfalz, vom Kleinajpergle bei Ludwigs— 
halb gebranntem Geſchirr gröberer und feinerer | burg, von Hallſtadt im Salzburgifhen, von 
Art angefüllt waren. Man grub wie heute den | Tägersmweiler im Thurgau, von Uetliberg bei 
geichmeidigen roten und weißen Thon in den | Zürich, daß Jahrhunderte vor der römischen 
nahen, mächtigen Lagern. Ye nahBedarfdrüdte | Decupation fein bemalte etrurifche Thongefäße, 


208 


Becher und Schalen über die Alpen nad Süd: | 
deutjchland gelangten. Wie jegt noch ambulante | 
Töpfer mit ihren Karren und Geſchirren die 
Melt durchziehen, wie es im Mittelalter die | 
„Wattenheimer* vom Nachbarorte Eijenbergs | 
thaten, jo mag es aud im Altertum gewefen fein, | 
Wenn wir den Erdboden auf der Hoditatt | 
in der weitgedehnten Flur, die ſich nach Nor: 
den zur Eis abdachen, aufmerffam betrad): 
ten, jo bemerfen wir, daß die Aderfrume mit 
Hleineren und größeren ſchwarzen Steinen ver: 
mengt ift. Bei näherer Betradhtung entpuppen 
fich diejelben als gut gefloffene, reguläre Eifen: 
ſchlacken. Wir überfchreiten unterhalb der Hoch— 
jtatt die Bahnlinie und treffen ca. 100 Schritte 
davon nad) Norden auf eine eben aufgededte 
Stelle des Erdbodens. In Mannstiefe ftehen 
bier innerhalb einer durch die Kultur verebneten 
Scladenhalde drei zuderhutförmige, aus Thon 
beftehende Dfenmäntel. Ihre Höhe variiert von 
!s m—1"js2 m; der eine links hat mehr die 
Geſtalt eines halben Eies, die anderen zwei zur 
Rechten haben die Form eines veritablen, oben 
etwas abgejtumpften Zuderhutes (S. 209). 
Außerhalb der drei fonderbaren Brennöfen liegen 
Maſſen von Schladen und Roteifenftein unter: 
mijcht mit Reiten von Gefäßen und Ziegeln, 
welde unverkennbar auf römiichen Urfprung 
deuten. Bei näherer Befichtigung zeigt fi eine 
durch den Mantel fichichtef hindurchziehende Röhre 
aus Thon. Im Inneren, deſſen Lichtraum bei den 
einzelnen Schmelzöfen — denn das find die 
thönernen Bienenförbe — von 20—40 cm 
wechjelt, liegen in der unteren Lage ſtark eifen- 
haltige, dide Schladen, darüber einzelne Holz: 
fohlen; letztere treffen wir aud an den mit 
Klebfand, der fich gleichfalls zu Eijenberg vor- 
findet, befchmierten Seitenwänden an. In diefen 
Thonmänteln gewann man vor anderthalb Jahr: 
taufenden aus dem gerinahaltigen Roteifenftein 
der Umgegend mittels ftarker Holzfohlenfeue- 
rung das dem Nömer wichtigſte Metall, das 
Eifen. In Kleinen Klumpen wurde es als 
Schmiedeeifen direft aus den Erzen reduziert, 
nicht wie heutzutage als Roheifen in mächtigen | 
Hochöfen aefhmolzen. Auf der Sohle der kleinen, | 
mit Blajebälgen aus Tierhäuten verjehenen | 
Rennöfen oder Wolfsöfen jammelte ih nad) | 
längerer Feuerung der Eifenfuchen, der fofort 
durch Klopfen von den Schladen befreit und 
auf dem Amboß in die gebräuchliche Form ge: | 
bracht wurde. Werfuche, welche Graf Wurm: | 


€. Mehlis. 


brand zu Hüttenberg in Steiermark mit foldyen 
Defen angejtellt hat, beweifen, daß man in den: 
felben nah 26ftündiger Arbeit einen Eifen: 
fumpen von etwa 12 Pfund Gewicht erhielt. 
Die SHerjtellungsmethode war berechnet für 
billige Holzfohlen, und der Preis derjelben war 
vor anderthalb Fahrtaufenden bei den minder: 
wertigen Arbeitsfräften und dem in den nahen 
Forſten aufgeitapelten Holzvorrat ein fehr 
geringer. Schon früher hat man auf demfelben 
Flecke zu Eifenberg, der den Namen „in den 
Geldädern“ führt, ähnliche Defen aufgegraben; 
doch erjt der Neuzeit war es vorbehalten, den 
Zweck derjelben ins richtige Licht zu ftellen. 

Mag fich der Lefer mit uns das Bild vor: 
ftellen, wie hier der Römer zu feinem Schuß 
und Truß lange Jahrhunderte das Erz gewann, 
das ihm Angriffswaffen gegen die Rheinſtämme 
lieferte und ihm den Stoff zu den Werkzeugen 
bot, die das Land mit den Künften des Friedens 
befannt machen jollten. 

Auf weitem Plane leuchten nebeneinander 
wohl zwanzig Defen, aus deren Deffnungen das 
glühende Gas hoch herausfchlägt. Rußige, 
nervige, fehnige, ſchlankgewachſene Gejtalten er: 
ſcheinen im rotſchimmernden Lichte wie Dämonen 
der Unterwelt. Die einen brechen die glühen— 
den Erzflumpen aus den Defen, die anderen 
löfchen deren Glut in nahen Wafjertümpeln ; 
andere hinwiederum jchmieden auf den erklingen: 
den Ambofjen den funfenfprühenden Erzkuchen 
zu länglichen Eifenluppen. Und daneben ſteht 
ipähend eine kleinere, hagere Geitalt, das breite 
Schwert zur Linken und den Kommandojtab in 
der Rechten führend. In fremdländifcher Zunge 
erteilt er von Zeit zu Zeit laute Befehle, und 
an jchwere Arbeit gewöhnt, gehorchen die gal: 
lifchen Eifenarbeiter. Ihnen felbit gehörte vor: 
mals das Land, jest müfjen fie für den fremden 
Zwingherrn die Waffen fchmieden, womit der 
Welſche fie züchtigt. 

Die Eiſenluppen wie man die überſchmiede— 
ten Barren nennt, haben längliche, in der Mitte 
verdickte Geſtalt (vgl. S. 200). Der Durch— 
ſchnitt der Luppe, die aus vortrefflichem Schmie— 
deeiſen beſteht, hat viereckige Form. Die Länge 
derſelben wechſelt von 48—55 cm, das Gewicht 
von 4-6 K. Jede dieſer Luppen iſt als die 
Ausbeute einer Tagesarbeit in einem Renn— 
ofen anzuſehen; das hat Graf Wurmbrands 
Verſuch bewieſen. 

Ihre Form machte ſie ebenſo geeignet für den 


Eifeuberg. 


Innereh eined Schmelzofens (©, 208). 


Transport, der mittels Maultieren bewerfitelligt 
wurde, wie für den Käufer, der nur ein zugeſpitztes 
Ende zur Probe in das Feuer zu fteden brauchte, 
dies heiß ausjchmicdete, dann bog und brad). 

Und diefe Eifenluppen finden ſich zum Be: 
weife, daß fie wirflid von Eifenberg aus nad) 
verschiedenen Nichtungen erpediert wurden, an 
einer Neihe von nahegelegenen Punkten, deren 
Verbindungslinie faft einen Kreis mit unferem 
Plage als Mittelpunkt bildet. hr Befund 
jteht bei den meiften mit Altſachen aus der 
Nömerzeit in Verbindung. 

Auf römischen Pflaſter fand ſich auf der 
GEbernburg an der Nahe, im Norden unferer 
Fabrifationsftelle ein folder Eifenbarren. Bon 
Ramjtein im Wejten find deren zwei befannt. 
Im Süden liefert Dürkheim zwei, Im Dften 
fennt man von Studernheim einen. m Nord: 
often hat das Mufeum zu Mainz zwei, und bei 
Monzenheim in Nheinhefien fand man 1868 
26 Stüd der gleihen Art. Nach diefen Fund— 
ftellen ging der Haupterport in der Nichtung 
des Rheinthales, der Hauptfeitung im römischen 
Germanien zu, gen Mogontiacum, Mainz, dem 
Schlüffel des Germanenlandes. 

Die Umgebung von Mainz entbehrt des 
Eifenerzes, und das Eiſenberger Nohmaterial 
mußte herbei, um im Kaftell, wo taufende von 





— 


römischen Kriegern lagen, daraus Schwerter 
und Speere, Beile und Hobel, Meſſer und 
Scheren, Anfer und Ketten zu fchmieden. Ein 
zweiter Zug der Ausfuhr fcheint nad) der zweiten 
Nömerfeftung im Mittelrheinlande, nad Argen: 
toratum, nad Straßburg, gegangen zu fein. 
Den nahen und gefürchteten Barbaren gegen: 
über am rechten Nheinufer wird der Nömer 
hier, wie anderswo, mit wohlerwogener Vorficht 
die Eifenbereitung ald Staatömonopol betrieben 
haben. Daher rührt denn die Dürftigfeit der 
meiften Gräber zu Eifenberg her; fie gehörten 
zumeift den armen, leibeigenen Schmieden an, 
die für färglihen Lohn im Schweihe des An: 
gefichtes das Eiſen ausgruben und bearbeiteten. 

Und foll eine. Stätte, jo wichtig für die 
Behauptung des Nheinlandes, feit alters Si ge: 
winnreicher Induſtrie, namenlos in alten Zeiten 
gewefen fein? Eifenbergs Name felbft, im Mit: 
telalter Iſanburec, finbure, rührt ohne Zweifel 
vom deutjchen Worte für „Eifen“ her und er: 
innert mit neuem lange an verfchwundenes 
Leben. Much auf diefe Frage gibt die Forſchung 
Antwort. Der Alerandriner Ptolemäus, der 
im zweiten Jahrhundert n. Chr. eine geo: 
araphiiche Beichreibung des den Alten befannten 
Erdfreifes mit Angabe der Yängen: und Breiten- 


grade verfahte, gibt für Übergermanien, oder 


o” 
27 


210 


Germania superior, wie der Römer das linfe 
Rheinufer von Bajel bis Mainz nannte, eine 
Reihe von Städten an. 

In das Gebiet der Bangionen, welche ſüdlich 
der Rheinbiegung zwiſchen Mainz und Bingen 
zwiſchen dem Strome und dem Saargebiete 
wohnen, verſetzt dieſer Autor Borbetomagus 
und Rufiana. Jenes liegt etwas ſüdlicher, wie 
das erſtere, und zwar etwas nordweſtlich von 
Noviomagus im Gebiete der Nemeter, das ſich 
mit Speyer deckt. Lange umſonſt ward dieſe 
Stadt im Vangionengau, dem Wonnegau des 
Mittelalters, von den Gelehrten geſucht. Die 
einen ftellten Rufiana auf den Plat von Oppen— 
heim zwiihen Mainz und Worms, die anderen 
auf die Stätte von Nuffady im Oberelſaß. Mit 
beiden Orten hat Nufiana nichts zu thun. Es 
jtimmt jowohl die geographiiche Angabe des 
Alerandriners, wie die Bedeutung unferes 
Platzes, wenn wir Rufiana mit dem altrömischen 
Eiſenberg gleichjegen. Hier hatten schon Gallier 
gefiedelt, die der Stätte von dem roten Eijen: 
erz den Namen „Rotjtadt“ (von der Wurzel 
ruf glei „rot“ ) verliehen; die Gunft der Lage 
und der Bodenſchätze erfannte auch der jenen 
nachfolgende Römer an. Jahrhundertelang trieb 
hier, in der Vangionenjtadt Ruftana der Süd— 
länder Induſtrie auf Thon und Eifen; jahr: 
hundertelang ward von hier aus das Mittel: 
rheinland mit Thongejchirr und Eifenluppen ver: 
forgt, bis die Barbaren von jenjeits des Rheines 
in die Provinz einbrachen und mit Schwert und 
Feuer die altangejejjene Kolonie vermwüjteten. 

Der Gott, der Eifen wachſen lieh, 
Der wollte feine Knechte. 

Des Inhalts war der Racheruf, mit dem 
Alemannen und Franken jahrhundertelang an- 
gehäufte Schmach ſchrecklich rächten! Aber das 
gefangene Rom hat den wilden Sieger doch an 
jic) gefeffelt und mit Banden, feiter als Stahl, 
an fi) gebunden! 

Und in folhe Betrahtungen über ver: 
gangene Zeiten verfunfen, deren Entwidelungs: 
prozeß die Kunft und Technik der Römer, ihrer 
Tracht und Sprade wieder aufleben lieh; in der 


€. Mehlis. 


l 
| 


Karolingerzeit, trifft uns der lebte fcheidende | 


Strahl der Sonne. Er fommt vom Schorlen: 
berge her, weit über das dunkle Gebirg und er 
vergoldet mit ſeltſamem Lichte die alten Schladen 
vor uns, daf fie alühend leuchten, wie das 
Rheingold, des Alberih Schatz. ja, in ihnen, 


Eijenbera. 


ein wertvoller Schab, und das ſchwarze Erz und 
die Kunft, es der Muttererde zu entnehmen, hat 
mehr Segen dem Menſchen gebracht, als des 
Goldes unheimlich Gefuntel. 

Und horch! Von oben her ertönt noch ber 
ſchweren Hämmer raſche Folge, hoch wirbeln im 
Hüttenwerk Gienanths aus den ſchwarzen Eſſen 


Ban 3 hat Ku —— — — 
PB: 


” Zum, 


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Pie! 
2” — — 52 
4 u. 


Ein römilder Grabſtein (©. 207). 


die blinfenden Funken zum Abendhimmel empor! 
Ya, dies Lodmittel, das die Natur hier in den 
Boden gelegt hat, der gelbe Thon und das rote 
Erz: fie haben den Menſchen nicht mehr von 
hier losgelafjen. Dem Ureinwohner folgte in 
deren Gewinnung der Gallier, der Römer dem 
Gallier, dem Nömer der Franke, dem Mittel: 
alter die Neuzeit, und fo hat ſich Generation 
auf Generation abgelöft, vem Boden feine Schätze 
abzugewinnen und den Erlös durd den Weg 


im Eifen und feiner Gewinnung, ruht gleichfalls | des Handels nad) Kräften zu verwerten, 








£udwig Ganghofer. 


Der £ebte. 211 


Der Seßte. 


Fine Hohlandsgelhidte von Fudwig Ganghofer. 


erirrt! Das iſt ein unbehag: 
5 | liches Wort. 

1 Man fteht zu herbſtlich däm⸗ 
"| mernder Zeit auf ödem Felde 
| und fieht in der Runde, fo weit 
— —A die Blide reichen, fein Dad), 
feinen Kirchturm und feinen fteigenden Rauch 
— man fteht im Walde, in dem die Vögel 
ſchon zur Ruhe gegangen, und fieht feinen Weg, 
nur finftere Bäume; und über den dunklen 
Heften ſchimmert fein Stern, der zum Weifer 
dienen möchte. 

Da fteht man nun lange Minuten, blidt 
ratlos und verlegen umher und rührt mit unbe: 
haglichem Empfinden die Schultern unter der 
Joppe. 

Schließlich rückk man den Hut und wan— 
dert zu und immer zu, im Dunkeln ſtolpernd und 
ſtürzend über Steine, Wurzeln und Gräben — 
man ärgert ſich, man brummt und flucht wohl 
auch; aber man weiß, daß man am Ende doch 
zu einem Wege, zu einem Hauſe und einem 
Dorfe gelangen muß. 

Schlimmer iſt das in den Bergen. Da hat 
der heiße Jagdeifer bei Verfolgung eines wun— 
den Wildes den Jäger in die Wände gelockt — 
und da ſieht er ſich plötzlich an einer Stelle, an 
welcher jeder weitere Schritt den gewiſſen Sturz 
bedeutet. 

Das heißt dann nicht mehr „verirrt“, das 
heißt „verſtiegen“ — und dieſes letztere Wort 
hat einen noch bei weitem unliebſameren Bei— 
geſchmack als das erſtere. Davon weiß ich zu 
erzählen. Doch will ich eine ſolche Geſchichte 
nicht um ihrer ſelbſt willen berichten, ſondern 
dem alten Manne zuliebe, den ich dabei kennen 
lernte. 

Es war ein Tag in der erſten Auguſtwoche. 
Bei dämmerndem Morgen verließ ich die hoch— 
gelegene Jagdhütte und folgte einem Pirſchpfade, 
den ich des öfteren ſchon mit Waidmannsglück 
begangen hatte. Er führte mich vorerjt durch 









— — — — — — nn — — —— —— 


ein ſchmales, grobſteiniges Felſenthal, das von 
zahlreichen Murmeltieren bewohnt iſt, deren 
ſchrille Pfiffe auch ab und zu die tiefe Morgen— 
ſtille unterbrachen; dann ſenkte der Weg ſich 
niederwärts über lärchenbeſtandene Hänge und 
ſtieg wieder empor durch latſchenüberwucherte 
Mulden und Rinnen, bis er ſchließlich in ziem— 
lich gleichbleibendem Niveau die in weitem Bogen 
gekrümmten Wände und Schroffen umkreiſte. 

Langſamen Fußes ſchritt ich dahin, jedes Ge— 
räuſch vermeidend, auf- und niederblickend mit 
emſigen Augen. Mir zur Linken ſenkte ſich der 
Grund dem Bergwald zu, und leiſe rauſchten 
da drunten vor dem thalwärtsziehenden Winde 
die zierlichen, lichtgrünen Wipfel der Lärchen. 
Breite Lawinengaſſen hatten ſtellenweiſe den 
Wald durchbrochen und Liegen den Blid hinunter: 
gleiten in die graue Seetiefe, Darüber noch die 
vielgeftaltigen Frühnebel wallten und mwogten. 
Mir zur Rechten jtiegen die brüdigen Felfen 
ihief auf zu einer Höhe von etwa hundert 
Meter, in eine fchütter bewaldete Kuppe ſich 
verlierend. 

Wieder bog id um eine Ede — da rollten 
und Flapperten mir zu Häupten die Steine, und 
ich jah einen feiften Gemsbod in furzen Sätzen 
den höher gelegenen Feljen entgegenflücten. 

Nun galt e8, gut zu zielen, mein Schuf; 
durfte nur ichwer verwunden, da ein tödlicher 
Schuß das Wild in unmwegbare Tiefe gejtürzt 
hätte. Jetzt krachte meine Büchſe — das Tier 
wanfte, verhielt fi) wieder, z0g mit gefrümm- 
tem Rüden über den rinnenden Sand und die 
rolfenden Steine der Höhe zu und entſchwand 
zwiſchen Hogigen Felſen meinen Bliden. 

Lautlos verharrte ich eine geraume Weile; 
dann fchritt id den Steig dahin bis zu einer 
Stelle, von welder aus mein Auge einen Weg 
hinter jene Felfen fand, und da fah ich aud) 
auf einer leichtgeneigten Platte den Gemsbod 
liegen, bereitö verendet. 

Ohne langes Belinnen begann ich den Auf: 


212 


ſtieg. Anfangs machte fih die Sache ganz 
paſſabel; je mehr ich aber zur Höhe Fam, defto 
jteiler wurde der Grund und dejto brüdiaer 
auch, fo daß ich bald für Hand und Bergitod 
feinen fejten Halt mehr zu finden wußte und 
nur dadurd vorwärts fam, daß ich mir für 
jeden Schritt mit fcharrendem Schuh in das ver- 
witterte Geſtein eine Stapfe ſchürfte. Minuten: 
lang jtand ih oft an einer Stelle, um zu 
raften und wieder ruhigen Atem zu befommen. 
Ich dachte wohl an die Umfehr; dieſe wäre 
jedoch bei weitem noch gefahrbringender geweſen 
als der fernere Aufitieg, da ich in dem Stein: 
grund, der einzig aus fhhiefliegenden Splittern 
und Blättchen bejtand, wohl noch für den auf: 
itrebenden, aber nicht mehr für den nieder: 
greifenden Fuß einen halbwegs verläßlichen 
Halt finden fonnte. So ftieg ich denn mühjelig 
höher und höher, von dem erfihtlichen Trofte 
gejtärft, daß von der Stelle an, an der die 
maſſigeren Felfen begannen, der fernere Auf: 
jtieg biS zur Kuppe zwar immer nod) eine Be: 
ſchwerde aber feine Gefahr mehr zu nennen war. 

Sp gelangte ich endlich in die Nähe des 
erjten großen Felſens, den ich auf dem brüchigen 
Gehänge noch umgehen mußte, da er zu hod) 
und zu glatt war, um überklettert zu werben. 
Wieder ſchürfte ich mir eine Stapfe, als plößlich 
unter dem tiefer ftehenden Fuße der Grund zu 
weichen begann. Zeit, um zu denfen, war da 
nicht mehr — mit einem herzhaften Satze jprang 
ich dem Felſen zu und faßte hier auch glüdlich 
feften Fuß, während hinter mir das ftaubüber- 
wirbelte Geröll zur Tiefe fuhr. 


Da ſtand ih nun auf einem grafigen Flecke 





von der Größe eines Stuhlbrettes; ein leichtes | 
Zittern rührte meine übermüdeten Kniee; ich | 


nahm meine Büchſe vom Nüden, lehnte fie mit 
dem Bergitode in die Felsecke, fette mich nieder 


und betrachtete meine Hände, die den Händen 
eines Maurers glihen; das alles that ich völlig | 


aedanfenlos — in den erſten Nugenbliden nad) 


einer überitandenen Gefahr verfagt das Gehirn | 


des Menjchen, und es überfommt ihn eine felt: 


fame Art von Stumpffinn. Wird er dann wieder | 


eines flaren Gedankens fähig, jo denft er vor: 
erit nur das eine: wie es nun wohl um ihn 
jtünde, wenn er die Gefahr nicht überjtanden 
hätte, 

Es waren recht unerquidliche Bilder, die 
meine Bhantafie mir unter dem Zwange diejes 
Gedankens zeigte. 





£udwig Gunghofer, 


Nad) kurzer Raſt erhob ich mid) wieder, um 
vorerft meine Yage des Genaueren zu muftern. 
Das Ergebnis war fein beruhigendes: vor mir 
und mir zur Linken das unmegiame, jdiefe: 
tige Gehänge, mir zur Nechten und hinter mir 
der glattaufragende Fels, der von einer Höhe 
war, daß ich Arme von doppelter Yänge hätte 
haben müſſen, um feine Kante zu erreihen. So 
etwa fünfzig Meter unter mir umzog der fichere 
Steig die Wände — über ihm draußen aber lag 
die gähnende Tiefe. 

Da gab es nun für mid, um wieder vom 
Flecke zu fommen, drei Möglichkeiten, die ic) 
freilich mit gleihem Rechte auch Unmöglichkeiten 
nennen durfte. Ich Fonnte verfuchen, im Sprunge 
mit den Händen die Kante des Felſens zu er: 
faflen und dann über den ſcharfen Nand mid) 
emporzuziehen. Wenn ich aber zu furz fprang? 
— Ich fonnte in fitender Stellung über das 
Gehänge hinunterrutfchen, in der Hoffnung, 
daß ich mich doch wohl troß des heftigen Auf: 
pralls am Steige zu halten vermodte. Wenn 
aber diefe Hoffnung trog? — Ich fonnte aber 
auch den Verſuch machen, noch einmal den frühe: 


ren Weg zu betreten, um auf dem brüdigen 


Steingrunde den Fels zu umflettern. 

Hierzu entihlo ih mid auch, ergriff den 
Bergftod und begann mit feiner fcharfbefchlagenen 
Spitze tiefe Stufen in das fteile Gefchiefer zu 
bohren. 

löslich hielt ich inne in dieſer ſchweiß— 
dringenden Mühe und laufchte der Höhe zu. 

Was ich gehört hatte, das war wie ber 
Tritt eines menschlichen Fußes geweſen und wie 
ein Räufpern oder Hujten. 

„Hu—u—u—up!“ rief ich durd die ge: 
höhlten Hände über das Gehäng empor. 

„Hoho!“ Hang eineheiferfreifhende Männer: 
ftimme zur Antwort. 

„Wer is denn da droben?“ 

„Ich bin’s — der Weindler-Mickei!“ 

„So jo!" rief ich befriedigt entgegen, ob: 
gleich ich jest genau fo viel wußte wie zuvor. 
Hurtig ftülpte ich meinen Hut über das ftumpfe 
Ende des Beraftodes und hob ihn über den 
Hand des Felfens. „Siehſt mein’ Hut?“ 

„Ah ja!“ 

„Kannit "runter bis daher?“ 

Eine Weile war Stille. Der da oben be: 
ihaute fi wohl den Weg, den er zu gehen 
hatte — dann hörte ich ihm rufen: „Ah ja — 
es acht ſchon!“ 


Dir £rgie. 


„Zo komm!“ 

Ich hörte das Geräufch feiner niederwärts 
fteigenden Tritte und hörte und ſah zu meiner 
Yinfen und Rechten das Geröll in ftaubigen 
Mafien zur Tiefe follern. 

„seh — da liegt ja a Gamsbock — und 
was für einer!” 

„sch weiß Shen — komm nur!“ 

Näher und näher famen die ſchweren Tritte 
— und über dem Rande des Feljens erjchien 
nun ein altes Geficht, grau, wie aus Stein ge: 
hauen. Ein weißer Itruppiger Bart verhüllte 
den Hals und die Wangen; an den Schläfen 
quollen lange weiße Haare unter einem Hute 
hervor, welcher ringsum mit diden Büfcheln 
frijh blühenden Edelweißes beitedt war, und 
aus dem Schatten des vorderen Hutrandes blick— 
ten, überdacht von buſchigen weißen Brauen, 
zwei graufcillernde, blutunterlaufene Augen 
auf mich hernieder. 

„Ah jo — Sie find’s, Herr!“ 

„Kennt mich denn?“ 

„sa — wiſſen S' — ich hab! Ihnen halt 
drunt’ im Ort jchon diemal g'ſehen — ja! 
No — da haben S’ ihnen aber ſchön verftiegen! | 
Kreuzfaren! Wann ich jett beim Edelweiß: 
broden net grad im Zufall daherfomm', da 
hätten S’ woltern adummsNausjteigen g'habt!“ 


213 


gelblichſchwarzen Yodentudhes, das in feiner 
Mitte durch einen freisrunden Ausfchnitt den 
mweißhaarigen Kopf hervortreten lieh. Das 
Linnenhemd, das er darunter trug, war arob 


' und jchmußig; an den engen Aermeln qudten 


durd) große franfige Löcher die beiden Ell— 
bogen, die ſich anfahen, wie die graufnorpeligen 
Gallen eines Pferdefuhes. Der Bergſtock, den 
der Alte führte, war ein förmlicher Baum. 

Als ich wenige Minuten fpäter auf den 
Steinen fniete, um das erlegte Wild zu öffnen, 
fehrte der Alte mit dem Fuße den Kopf des 
toten Tieres hin und ber und befühlte mit 
den Fingern das ſtarke ſchwarze Gehörn. 

„Der hat a paar Kruden! Kreuzjaren! 
Da zahlet ih doch gleich a Maß Bier dafür.“ 

Ich lachte. „Mein, Alter — die Kruden 
wärn mir un a paar Eimer net feil. Aber den 
Gamsbod felber, den wann d' magſt, den kannſt 
als a ganzer haben, dal dod) weißt, um was 
mich da 'rauf'zogen hat.“ 

Gin verlegenes, ungläubiges Yächeln um: 
jpielte die Xippen des Alten, und mit blinzeln: 
den Augen jah er mir ins Geſicht. 

„Is ihon wahr! Er hört ſchon dein!” 
‚ beteuerte ich. „Aber weißt, 'nuntertragen mußt 


| ihn halt ins Ort, daß ihn der Förſtner z'erſt 


Erft bot ich ihm meine Büchfe und den | 


ſieht.“ 
„Ah ja! Ah ja!“ kicherte der Alte ver— 
gnügt. „Ich traget ihn an ganzen Tag weit, 


Bergſtock empor; dann reichte er mir die beiden 


Arme hernieder, die ich knapp noch erfaſſen 
konnte — ein Sprung — ein Nud - 
jtand auf der ebenen Platte des Feljens. 

Kräftigen Drudes jehüttelte ih dem Alten 
unter danfenden Morten die dürren, aber eifen: 
harten Hände. 

„Nie zu danfen! Is gern g'ſchehen!“ 
brummte er und jchritt mir voran der Stelle 
zu, an weldier meine Beute lag. 

So hatte ich Gelegenheit, ihn zu betrachten. 
Sein Gang war langjam; bei jedem Schritte 
anf er in die Kniee, als trüg' er eine 
ihwere Laſt am Nüden. Aus großen, knol— 
ligen Edjuhen, an denen das Eiſenbeſchläg 
wohl nad Pfunden wog, ranten zwei fteden- 
Dürre, von grausrupfigen Strümpfen lotterig 
umfclofjene Beine. Entgegen dem Tandes: 
üblihen Gebrauhe trug der Alte eine bis 
unter die Anice reichende Bundhoje aus ver: 
wetztem, mit vielen Flicken überpflaftertem 
Bodleder. Statt einer Joppe hing ihm über 
Bruſt und Nüden nur ein vierediges Stüd 


| 
J 





wann ich weiß, daß er nachher mein g'hört. 


und ich No — und ich dank' halt recht ſchön — ja! 


Und geben S' ihn nur gleich her — den Kerl!“ 

Bei dieſen Worten hob er das Tier an den 
verſchränkten Läufen über den Rücken und ſtieg 
dann mir voran den Reſt des Felſenhanges 
empor. 

Als wir die Kuppe des Berges erreicht 
hatten, deutete der Alte aufſchnaufend mit dem 
Bergſtocke nach einer Alm, die in kurzer Ent— 
fernung vor uns in einer grasreichen Mulde 
lag, und die ih vom Sehen wohl fannte. 

iur S', Herr, in derer Hütten, da bin 

-ja — id und mein Bua, der Seppei.” 

„Wem g’hört denn die Alm?“ 

„Mir! Mir jelber!” 

Ich überflog den Alten mit einem wägen: 
den Blide — und er mußte aus der Art diefes 
Blides wohl meine Gedanfen herausgefühlt 
haben. Er fniff die Lippen ein, in feine roten 
Lider fam ein fieberndes Juden, und während er 
mit dem Kopfe langſam vor fi) hinnidte, fagte 


214 


£udiwig Ganghofer. 


er: „Ja mein — wiſſen S’ — in frühere Jahr’, | Ueber einem hager aufgeſchoſſenen Leibe, deijen 


da wär’ ich ſchon alles z' ftolz g'weſen, als daß 
ich jelber an Senner g'macht hätt’. Aber jetzt 
— du mein! Der Wind, warn er richtig blaſt, 
nachher wirft er die didjten Baum’! Wifjen S’ 
— id hab’ halt viel Unglüd g'habt im Leben 
— ja — viel Unglüd — viel! Da hätten 
zehne dran g'nug g’habt! Mein — bei mir 
hat's allweil 'was "geben, wo's Geld nur grad 
jo g’flogen is. Und wie's halt nachher ſchon 
is — da hab’ ich amal a klein's Kapital auf: 
nehmen müflen. Und bei der G'ſchicht' bin ich 
halt an’ Unrechten "fommen. Mein — der 
Bauer iS halt in manche Sachen a dummer 
Teufel — was verjteht denn der von fo "was! 
Grab "zahlt und "zahlt hab’ ih — und doch is 
dv’ Schuld allweil mehrer worden. Der Tropf, 
der eisfalt’, der jpeggaliert halt auf mein Häusl. 
No — wird auch nimmer lang dauern, nachher 
g'hört's ihm —“ 

Da ſchlug dem Alten die Stimme um 
und er mußte ſich mehrmals räuſpern, bevor 
er weiter ſprechen konnte: „Ja — im letzten 
Jahr’ ſchon hab’ ich die Zinſen nimmer z'ſamm' 
bracht. Und heuer — du mein — da fehlt's 
weit! Kaum daß man leben fann z' dritt. No 
— wie foll’s ei'm denn da nachher noch a Sen: 
nerin leiden? Mein’ Alte drunt’ fann fo "mas 
nimmer dermahen — die hat all unfer Unglüd 
noch ärger herg'rifjen als mih! Da bin ich halt 
nachher jetzt felber heroben — id; und mein 
Bua — der Seppei. No — gar arg aufg’richt' 
bin ich freilich net mit ihm. Hüten fann er halt 
— hüten — wiſſen S’ — font nir! Ja — in 
meine Jahr', da fommt ei'm fo 'was hart an. 
Aber mein — wird ſchon fo jein müfjen — das 
— und alles andere. Ah ja!“ 

Mit einem puftenden Seufzer hob er den 
für kurze Naft zur Erde gelegten Gemsbod 
wieder auf die Schultern; mit nidendem Kopfe 
und raunenden Lippen jchritt er dann dahin; 
ich folgte ihm ſchweigend. 

Als wir aus dem jtruppigen Grunde auf 
das fteinüberfäte Weideland heraustraten, Jah 
id) in geringer ferne inmitten der grajenden 
Kühe auf einem verwitterten Yelsblode einen 
Burfchen figen, welcher lange Schnüre zu einer 
Zopfgeißel verflocht. 

„Seppei!“ rief der Alte. 

Da hob der Burfche fein Geficht, ließ ſich 
vom Steine auf die Füße gleiten und Fam 
uns fchwerfällig ſchwankenden Ganges entgegen. 


j 


1 


070 nn mm — — — — 


Arme bis nieder zu den Knieen reichten, ſaß 
ein unförmlicher Kopf, an welchem die borſtigen 
Haare faſt mit den Brauen verwachſen waren. 
Die Ohren ſtanden weit ab; die Augen waren 
kreisrund und aufgequollen; die naſſe Unter— 
lippe hing bis über die Hälfte des Kinns. Der 
Burſche war mit größerem Rechte nackt als be— 
kleidet zu nennen; außer dem Hemde, das an 
Hals und Bruſt weit offen ſtand und deſſen 
Aermel bis zu den knochigen Schultern empor— 
geſtülpt waren, trug er nur eine aus altem, 
hellblauem Soldatentuche gefertigte Kniehoſe, 
welche ſo kurz war, daß ſie ihm kaum mehr die 
halben Schenkel bedeckte. An den von dicken, 
riſſigen Schmutzkruſten bedeckten Füßen waren 
die Zehen verkrüppelt und nach aufwärts ge— 
bogen. 

Sein Alter war nicht zu ſchätzen; er konnte 
ebenſogut fünfzehn wie fünfundzwanzig Jahre 
zählen. 

Als er uns bis auf wenige Schritte nahe— 
gekommen war, fing er, gegen ſeinen Vater ge— 
wandt, mit beiden Armen zu geſtikulieren an; 
dabei kamen aus ſeinem weitoffenen Munde, in 
dem ſich die dicke Zunge ſchwer bewegte, wild— 
kreiſchende Laute, die ſich etwa anhörten wie ein 
immer wiederholtes: „Ai — laha —a—la— * 

Aufmerkſam hörte ihm der Alte zu — er 
mußte dieſe Sprache wohl verſtehen — dann 
ſtrich er ihm mit zitternder Hand über die ſtrup— 
pigen Haare und fagte: „So? So? Kreuzſaxen! 
Das laßt dir net g’fallen! Ja — hau's nur recht 
durch, wann's net parieren will! Ja!“ 

Der Mund des Burfchen verzerrte ſich zu 
breitem Grinfen — und wieder begann er in 
feiner Weife mit den Armen und mit ftammeln- 
den Worten zu reden. 

„So? Ya, ja — is ſchon recht!“ jagte der 
Alte entgegen. „Aber gelt — Steiner därfit 
mir fein feine net 'neinfledhten. Gelt — ver: 
ſprichſt mir's. Ya — nachher Friegft morgen 
'was 3’ eſſen — fo 'was Gut's haft ſchon lang 
nimmer kriegt! Und jet geh’, Seppei. Geh’! 
Geh’ zu! Sigft es — dahint' — 's braune Kalbl, 
das will ſchon wieder weiß Gott wohin!“ 

Der Burſche folgte mit den Augen der an: 
gedeuteten Richtung, fein Geficht färbte ſich 
dunfelrot, ein zorniges Zittern befiel feinen 
Kopf, und unter lauten, abgeriffenen Schreien 
humpelte er zwiſchen den Steinen dahin, die 
langen Arme drohend in die Höhe werfend. 


Der Cetzte. 215 


Schweigend jchritten wir weiter. Nach einer | „Kehren S’ net a bißl zu in meiner Hütten?“ 
Weile blieb der Alte plöglihd am Wege ftehen | fragte der Alte, als ich hier den Schritt verhielt. 
und wandte fi zu mir: „Der Seppei — das | „isch hab’ an ganz an frifchen Buttern.“ 
iS der legte — ja. Wiſſen S’ — ſechſe hab’ | Ich fchüttelte nur den Kopf. Dann riß id) 
ich g’habt im ganzen. Und,“ er fehrte fich wieder | aus meinem Tajchenbuche ein Blatt, jchrieb dar: 
von mir und folgte langjamen Ganges dem wenig | auf einige Zeilen an den Förfter bezüglich der 
betretenen Pfade — „g’wiß wahr — von die | Beitimmung meiner Jagbbeute und reichte das 
andern fünfe war feiner jo — jo — fo — — | Blatt dem Alten. 

Ja — da is einer fäuberer g'weſen wie der ander’ „So — das gibft nachher dem Förjtner. 
— lauter ware, frijche Burfchen! Kreuzfaren — | Und jegt b’hüt did Gott, Midei! B’hüt dich 
um meine Buaben war ja grad 's G'riß unter die | Gott!“ Als ich dem Alten bei diefen Worten 
DeandIn. No — der erjte war bei der Mili- | die Hand zum Abfchied drüdte, ſchoß mir das 
tari. Und da hat's ihm halt net "taugt. Ja — Waſſer in die Augen. 

allweil iS er in der Straf g'weſen. Und amal „B’hüt Ihnen Gott, Herr! Und halt nod) 
— da hat er Holz flieben müſſen — und da | amal an recht an ſchönen Danf —“ 

hat er fihan Finger abg'hadt. Da haben ſ' ihm „Nix zu danken! Is gern g'ſchehen!“ 


nachher 'naufdispadiert, er hätt's mit Fleiß Ganz unmwilltürlih waren mir des Alten 
’than, damit da er frei werden thät! — no — | eigene Worte auf die Zunge getreten. 

und da haben j’ ihn nachher eing’sperrt. Ja So trennten wir uns. 

— und in der Feſtung is er verftorben — wiſ— ri 2 

jen S' — in der Kränfung halt. Der zweite — * 

no, das hat mehrer 'troffen — der is in Frank— Es war genau zwei Monate fpäter; in der 


reich "blieben. Den dritten, den haben ſ' bei der | erjten Woche des Oktobers. Da ftieg ich wieder 
Nauferei in’ Bauch 'neing'ſtochen — und da iS | zu Berge, um in der Nähe jener Gegend, in 
er drauf'gangen. Der vierte liegt im See drun= | welcher mir die Hände des alten Mickei aus jo 
ten — ja — und den fünften haben's mir beim | unangenehmer Lage geholfen hatten, auf Hirfche 
Wildern derjchoffen. Mein, ich hab's ihm oft | zu jagen. ch hoffte mir guten Erfolg — es 
g'nug g’jagt, aber er hat's halt net laſſen kön- war ja Brunftzeit. 


nen. No — der Seppei — das is jebt der Der Tag war nicht allzuheiß — und dod) 
legte — ja. Den hat man halt zu gar nir net | lag eine feltiame Schwüle in der Luft. 
brauchen können — net zur Militari und net Ich brauchte mich nicht zu eilen; wenn ich 


zur Zumperei — und drum is er mir ’blieben. | nur vor Einbruch der Dämmerung die Jagd: 
No — es wird ſchon jo fein haben müffen! | hütte erreichte. Dazu hatt’ ih fünf Stunden 
Wiſſen S', ich hab’ mich halt verfündigt gegen | vor mir, um einen Weg zu machen, den ic) ſonſt, 
unjern Herrgott — ja. Wie's mit dem erjten | wenn es Eile galt, in der Hälfte dieſer Zeit 
jo 'gangen is, da hab’ ich mir denkt, es wär’ zurücklegte. 


mir lieber, wanın’s net der — fondern — wann So folgte ich gemachen Fußes dem beque: 
— wann — — No — und jet — jest hab’ | men, ziemlich breiten Pfade. 
ich dengerſt den Seppei lieber als wie alle die Im halben Wege ließ ich mich zu behag— 
fünf andern. Mein — ich hab’ ja font fein’ | licher Naft unter einem weitäftigen Ahorn nieder 
mehr — es is ja der legte!“ ins weiche trodene Moos. 

Mir war es eisfalt am ganzen Leibe. Um Drunten in dem von fteil aufragenden Fel— 


jo tiefer hatte mid) der Inhalt dDiefer Worte be: | fen umbordeten Thale lag jhon der Schatten. 
troffen, als fie fo ruhig, gelafjen und gleich- | Hier oben aber ſchien noch die gelbe Nachmittags: 
mütig geiprochen waren. fonne in das leife flüfternde Yaubwerf. 

Nun aber verjtand ich diefe ſchneeweißen | Zu herbſtlicher Zeit ift der Bergwald am 
Haare, diejes graue fteinerne Geficht und diefe | fchönften. Da gibt es in der Welt feine Farbe, 
fümmerliche, gebrochene Geftalt. | die er nicht zeigt: jei eö an jeinen hundertfäl: 

So etwas legt ſich freilich in die Kniee. | tigen Moofen und Flechten oder an feinen hun- 

Da waren wir an der Stelle, an welcher | dertfarbigen Steinen, ſei ed an feinen welfenden 
der nach dem Jagdhauſe führende Pfad ſich feit: | Blumen oder an feinen gereiften und reifenden 
lid) abzweigte in das Weideland. Beeren, ſei es an den fnorrigen Ninden und 


216 


inmergrünen Nadeln jeiner Fichten und Föhren, 
oder jei es an den weiß und grau erglänzenden 
Stämmen und Aeſten feiner Buchen und Ahorne, 
deren Blätterfarbe von dem lang bewahrten 
Grün hinüberjpielt in brennendes Gelb und in 
das tiefite Not. Und mit der einzigen Farbe, 
die der Bergmwald jelbjt entbehrt, mit dem lich: 
ten lachenden Blau überdacht der flare, wolfen: 
reine Himmel das zahlloje Wolf feiner Bäume 
und Steine. 

Zange lag ich, die Arme unter dem Naden 
gefreut, ſchaute träumerifchen Sinnes mit nim— 
merfatten Augen in die Pracht, die mich umgab, 
und achtete des mannigfachen Yebens, das am 
Grunde und in den Yüften ſich reate. 

Auf allen Aeſten huſchten, flatterten und 
zwitfcherten die Vöglein durcheinander, die fich, 
wohl bewußt der nun kommenden jchweren Zeit, 
in doppelter Luft der letzten Schönen Tage freu: 
ten; da ftrichen mit endlojem Gurren die wilden 
Tauben, mit geſchwätzigem Kreifchen die Häher 
von Stamm zu Stamm; da hadte und klopfte 
der Specht, dafs jein roter Schopf im Eifer der 
Arbeit nur fo zitterte; da jammelte und heimfte 
das Eichhorn; da wimmelte alles Moos von 
winzigem Getier — und die Fliegen und 
Schnaken, denen ſchon die Flügel zu eritarren 
begannen, wollten das Fliegen nicht laſſen und 
flammerten fich deshalb mit allen Füßen an 
die in den Lüften treibenden jilberglängenden 
Marienfäden. 

So lag id) und laufchte und jchaute, bis ic) 
jählings aus meinen wohligen Träumen durch 
ein Geräuſch erwedt wurde, welches all dieje 
liebliche Harmonie recht ftörend unterbrad). 

Es war das ein Schnauben und Puſten, 
ein fchlurfendes Klappern langjam ſchwerer 
Tritte, und das holpernde Rollen und quiel: 
ſende Pfeifen eines ungeölten Nades. 

Diejes Geräufh kam näher und näher am 
höheren Steige; mid halb erhebend ſchaute 
id) Laufchend den Hang empor, und jah um 
die nächſte buſchbeſetzte Ede einen flachen nie: 
dern Schubfarren biegen, welcher eine Laſt trug, 
die einem Menschen nicht unähnlich war — num 
erichten auch der Führer des Karrens: der alte 
Mickei. 

Ich konnte ihn nur aus der ganzen Geſtalt 
erkennen; ſein Antlitz ſah ich nicht, denn das 
hutbedeckte, bei jedem Schritte nickende Haupt 
hing ihm tief auf die Bruſt hernieder. 

Und der andere, der auf dem Karren ſaß, 


£udwig Ganghofer. 


mit rüdwärtö fallendem Kopfe, mit fteif über 
die Lehne baumelnden Armen — das muste 
Seppei jein. 

War der Burfche krank? Hatte er fich bei 
einem Sturze einen der Füße verletzt? 

Näher und näher fam das ſeltſame Gefährt 
— jet erfah mic) der Alte und nidte mir ftill- 
ernten Grußes mit dem Kopf entgegen — 
jest ſtand er vor mir und verhielt den Karren, 
welder — nun fah ich's genau — eine Leiche 
trug. Und welch eine Leiche! Es widerftrebt 
all meinem Gefühl, dieſe Leiche zu ſchildern. 
Ein graufiger Anblid! 

„Mider, um Gotteswillen!“ fuhr mir's, in: 
des ich von der Erde jprang, in jähem Schreden 
über die Lippen. 

„Um Gotteswillen ?* raunte der Alte, 
die beiden eriten Silben dieſes Wortes fo eigen 
betonend, mit einer Stimme, die halb. wie ſpot— 
tendes Yachen, halb wie dumpfes Stöhnen Hang. 
„Jetzt is alles ein Teufel!“ Und müde hob er 
den Arm, um mit dem Nüden der Hand den 
didaeperlten Schwei von feiner Stine zu 
wiſchen. Dann nidte er mit dem Kinn gegen 
den Toten, fehrte mir langſam die blutumrän— 
derten Augen zu und jagte: „Da hauen S' her 
— was fagen S' — han? Das war der lette 
— jet is der auch hin!“ Er fuhr mit den 
zitternden Händen unter den Xodenmantel und 
rieb fich den gefrümmtenHüden. „D’Halsbräune 
hat er kriegt — und wiſſen S' — bei jo 'mas 
geht's halt g'ſchwind. Gejtern am Tag, da hat 
er ſich g’leat und heut’ am Morgen, da war's 
ihon gar mit ihm.“ Er fuhr mit den dürren 
Fingern an die Yider und hielt fie eine Weile 
zugedrüdt. Doc) jah ich feine Thräne auf feinen 
Wangen — fie waren troden und welf. Seine 
Züge zeigten nicht mehr jene jteinerne Härte; 
fein Geficht fchien länger geworden, die Baden 
waren hohl und jchlaff, die Schläfe gelb wie 
verregnetes Heu, die Kiefer flafften, und Kleine 
Schaumbläschen ftanden ihm in den Winfeln 
des farblojen Mundes. 

Ich wollte dem Alten ein Wort des Troſtes 
fagen — und brachte feinen Yaut über die Yippen. 

Da jtreifte jein blinzelnder Blid mein am 
Ahornitamme Ichnendes Gewehr. 

„Geht's wieder jaagern jebt? Ja, ja — 
die Hirsch’ — fie fchreien woltern ſchon. Ja — 
gleich Hinter meiner Hütten jchreit einer — a 
rechter Teufel. Die halbete Nacıt lang hat ex 
fein’ Ruh' net 'geben — grad g'ſchrieen hat er! 


Der £epte. 


Mein — ich hätt’ am liebſten felber g'ſchrieen! 
Aber willen S’ —,“ wieder nidte er mit dem 
Kinn gegen den Toten, „bald er g'merkt hat, 
daß mid d' Ruh’ verlaft, da i8 er ganz 
wild worden. Ja — er hat mid) gar arg gern | 
a’habt. Warum auch net? Es hat ihn ja fonft 
fein Menfch net mögen. Und — fo einer, der 
braucht d' Lieb’ noch ehnder ald wie an anderer. 
Ja — heut’ in der Naht, da hat er noch 
g'ſagt: —“ Weit öffnete der Alte den Mund, 
doch Schloß er ihn lautlos wieder und fchüttelte 
den Kopf. „Mein — Sie fünnen’s ja net 
wiſſen — ih aber — ich hab’ ihn ſchon ver: 
ftanden — ich ſchon — ih ſchon — mein — 
a Vater — und nachher — der legte —“ 

Kaum vermochte ich diefe Worte noch zu 
verftehen; das war feine Stimme, fein Neben 
mehr; es war wie das Gurgeln und Röcheln 
eines Erftidenden. Ein falter Schauer rüttelte 
meinen Naden. ch fühlte mich nicht mehr wohl 
auf dem Boden, der mit mir zugleich fold einen 
Jammer trug. Unmillfürlic griff ich mit beiden 
Händen nad) Gewehr und Bergitod. 

Der Alte nidte. 

„sa, ja — derſchießen S’thn nur! Er fangt 
ſchon zum fchreien an, lang vor’3 Nadjt wird. 
A Mordsterl — a zwölfe muß er g'wiß haben!“ 

Nidend rüdte er den Hut und wandte ſich 
von mir. „Komm, Seppei — fomm — jett 
machen wir, daß wir heim kommen!“ Nunfpudte 
er fauchend in die gehobenen Hände, rieb den 
Speichel in die Schwielen und büdte ſich nad 
den Stangen des Karrens. „Mein, Seppei — 
was wird d’ Mutter jagen, warn ich dich bring’ 
— fo — bijt ja der letzte.“ 

Langſam ſchwankte er dahin — und in das 
ſchlurfende Klappern feiner Tritte mifchte fich 
das quiekſende Pfeifen des Karrenrades. — 

Einmal noch hab’ ich den alten Midei ge: 
jehen, doch nur von Ferne. Es war zehn Tage 
fpäter. Ich ftieg nach erfolgreicher Jagd von den | 
Bergen zu Thal. Am Abend zuvor war heftiges 
Regenwetter eingetreten, und ic) mußte, da ich | 
nun aus dem Walde auf die Wiejen trat, bis an | 
die Knöchel im Moraft und im Sumpfe waten. 

Da hörte id) von der Landſtraße her einen 
heifer kreiſchenden Juhſchrei, an den fich mit 
johlendem Gefange die Worte ſchloſſen: 


Geh’, Weib, nimm a Au—a—ah, | 


— — 





Dem Schinder treib's zu—a—a, 
Sonft kriegt unſer Bu—a—a 
Zum Tanz feine Schuah! 


217 


Der jchwerfällige Jodler, der fi daran ſchloß, 
endete in ein miauenbes Geheul. 

Die Stimme war mir fremd und doch wie: 
der nicht; in einzelnen Tönen klang fie mir fo 
befannt. 

Ich nahm meinen Felditecher aus dem Ruck— 
ſack und juchte mit ihm die Straße ab. 

Vier Menſchen fah ich gehen: zwiſchen zwei 
Gendarmen einen alten hutlofen Mann, deſſen 
Gewand und Haare von Schmuß und Waſſer 
troffen; und Hinter den breien her wanfte ein 
gebrechliches Weib, mit beiden Händen eine blaue 
Schürze vor das geneigte Antlit prefjend. 

Ich befchleunigte meine Schritte. Als ich 
das Dorf erreichte, ſah ich vor dem Wirtöhaufe 
die halbe Einwohnerfchaft des Ortes verfammelt. 

Ich hielt einen des Weges Ffommenden 
Bauern an: „Was hat’3 denn ’geben — han?“ 

„Mein — gar nir B’fonders — berftochen 
i8 halt einer worden — a Güterhändler aus 
Reichenhall. Den alten Weindler:Midei — gel: 
tens, den haben ©’ ſchon 'kennt? Wiſſen S’ — 
dem iS von dem Neichenhaller heut’ 's Häusl 
verjteigert worden und 's ganze Vieh — ja — 
und da find dem armen Teufel nachher grad 
noch fiebundzwanz'g Mark blieben. Damit is 
er ins Wirtshaus und hat fih an Schampani 
geben laſſen — ja — und wie er 3' viel 'Friegt 
hat, da hat er '3 Spedaggalieren ang’fangt. No 
— beim Wirt haben ſ' ihn halt außag'ſchmiſſen, 
daß er ſich nur fo fugelt hat in der Straßen. 
Und wie's jett a dummer Zufall will, fommt 
grad der Reichenhaller Häusljchnapper daher 
— und da fpringt der Midei auf in der rauſchi— 
gen Wut — und — no ja!” 

Der Bauer machte mit der rechten Fauft 
eine gar wohl verftändliche Bewegung. 

„Wie's g'ſchehen war, da is er freilich völlig 
dernüchtert — und wie d’ Leut' z'ſamm'g'rennt 
find, da hat er grad allweil umeinander g'ſchaut 
— wiſſen ©’, fo g'wiß wild — und g’rad in 
ei'm Trumm allweil hat er g’jagt: ‚Wird ſchon 
fo fein haben müfjen! Wird fchon jo fein haben 
müfjen!‘ Erft, wie ihn d' Schandari padt haben, 


| da is der Naufch wieder aufjabrodhen aus ihm 


— und grad g'ſchrien und g’rebellt hat er! No 
— jetzt haben ſ' ihn halt dahin! Ja — er dauert 


‚ an jeden, der arme Kerl! Um denfelbigen —,“ 


er winkte mit dem Kopfe hinüber nad) dem 


Wirtshauſe und näherte jeinen Mund meinen 


Ohre, „no — ih will nie fagen — aber — 
ſchauen Sie's nur an, wie j’ da bei'nander jtehn: 
28 


Därf. 


218 Yleapolitanerin. 

die Hälfte davon is ihm fhuldig g’wefen — | daß man dem Alten fein Weib jest von G'meinds 
dem Leutſchinder! Das war einer — mein! Da | wegen verhalten muß. Jetzt ich ſag' allweil —“ 
jammert jett nachher freilicd feiner um ihn. „Hanſei!“ jcholl in diefem Augenblid von 


G'rad der Bürgermeijter fhimpft — no — 
wegen was iS er Bürgermeifter. Er denkt halt, 


‚zu 


MNeapolitanerin. 


Bauer auf. „Das i8 fein fein’ gute! B'hüt 
Ihnen Gott, Herr!” Er wandte fi von mir 
und eilte mit langen Schritten feinem Hofe zu. 

‘ch weiß nicht, wie es fam — ich mußte 
ihm nachjehen, bis er verfchwunden war. Mid) 
fröftelte. Das Wirtshaus in weitem Bogen um: 
gehend, fuchte ich meine Wohnung auf. Dumpf 





einem Haufe her eine fchrillende MWeiberftimme. 
„Jeſſes! Mein’ Alte fchreit mir!” fuhr der 


4 


Bon Dürk. 


und ſchwül fam mir die Stube vor. Ich öffnete 
die Glasthüre und trat hinaus auf den Iuftigen 
Balkon. Pochenden Herzens laufchte ih dem 
feucht anziehenden Winde entgegen — und 
meinte von einer fernen Höhe der Straße einher 
die hohen, Ianggehaltenen Töne eines Jodlers 
zu vernehmen. — Armer Midei! 





— — 


—— * 








«3 Zur Seitgeſchichte. 20 


Aus der Geſeſſſchaſt. 


=D" GEntlarbung eines ſpiritiſtiſchen 
Mediums durch feinen Geringeren 
als den Aronprinzen und den Erbherzog 
Johann von Defterreih hat in den weites 
ften Streifen außergewöhnliches Aufſehen 
erregt und den ſpiritiſtiſchen Schwindel 
felbn bei feinen Anhängern arg diöfreditiert, 
Wir benuben die Gelegenheit, auf ben 
intereflanten Artifel Etindes über die Kunſt · 
Hüde der Spiritiiten zu verweilen, (®d, II 
(1882), p. 102 d, 9.) 

Paris iſt neben manden anderen 
Standalen, in jüngfter Zeit aud der Schau 
plag einer flandalöjen Spielgeſchichte 
geworden. An dem eleganten Petitfiub, 
der ſich aus der voruchmilen franzöfichen 
Geſellſchaft zuſammenſeht und vom Prin« 
en von Sagan · Talleyrand präfidiert wird, 

t man entdedt, dab mit falichen Starten 
gejpielt wurde. Bei einer Durchſuchung 
der Alubbedienfteten fand man eine Menge 
Gold und Wertpapiere und zugleib hun» 
derte für Falichfpieler bergerichtete Karten« 
fpiele. Die Hauptihuldigen find natürs 
lich unter ben Mitgliedern des Alubs jelbit 
wu ſuchen, ob man fie aber jemals heraus» 

kommen wird, iſt noch jebr die Frage, 
da der Diener wenigitens bis jehl jede 
Austunft verweigerte. 

Madame Maday, bie wie es ſcheint 
ebenjo eitle als eryentriihe Gatlin des 
amerifaniiben Stölus, bat den Sturm 
der franzöfiichen Zeitungen gegen fi her» 
aufbeihworen, weil fie ihr von Meiffonier 
gemaltes Porträt vernichtet. Das Bild 
foll wenig glüclich geweſen fein, und als 
die Beitellerin fich weigerte, es anzuneh⸗ 
men, brobte ber Maler mit einer lage, 
Frau Maday bezahlte darauf 70000 Frant 
und verfuhr mit bein Opus wie angegeben. 


Ausflelungen. 


‚en Per if eine Ausflellung von Gr 
CH jeugnifien der Goldſchmiedekunſt 
eröffnet worden, in der fi unter anderen 
bodintereffanten Etüden aud 7000 alt 
ungarifhe goldene und ftlberne Kunft: 
grgenftände befinden, 


Die nãchſte alademiiche Ausftelung 
von Werten lebender Künſtler des Ans 
und Auslandes findet im Auguft und 
September im Hauptgebäude ber Berliner 
Spgieineausftelung ftatt. 


Expeditionen. 


=» Greely- Expedition, welche bes 
fanntlih im Polarmeer verſchollen 
ift, fon jeht aufgejucht werden, zu weldem 

wede die amerilaniihe Regierung den 

alfiihbampfer „Hope“ für 20000 Pd. 
Sterl. erwarb. Bor zwei Jahren hat Eir 
Alan Young das Schiff bereits zur Unter» 
fügung der Norbpolarerpedition von Leigh 
Smith benußt, 

Fine Erpedition mit wiſſenſchaftlichen 
und fommerziellen Zweden nah Ynner- 
afrita wird von dem portugiefiichen 
Marineminifterium vorbereitet. 


Theater und Auſiſt. 


9 aeniale Mlavierwirtuofe und Dirigent 
Haus v. Billow hat jüngjtdurd einen 
Ausfall aufdas Regime des Herrnv. Hilien, 
Intendanten der fönigl. Bühnen in Berlin, 
einen großen Sfandal hervorserufen. (fr 
fongertierte im der deutſchen Neihshaupts 
ftadt mit feinem Ordeiter und lich, nad» 
dem er begeiiterten Beifall gefunden, ben 
Marſch aus dem „Propheten“ fpielen, Als 
aud mad diejer Leiftung nicht enden mol» 
lender Jubel laut wurde, hielt er eine 
Anipradie an das Publitum des Inhalts, 
er hätte zeigen wollen, wie ber Marſch 
arfpielt werben müffe, nachdem biejer jüngjt 
im „Girkus Hilfen“ in jämmerlider Weiſe 
„maflafriert* worden ſei. Diefe Art der 
Kritil hat matürlih nicht verfchlt, Un« 
millen bervorzurufen, jo ſehr aud alle 
Ginfitigen von dem üblen Etand ber 
Hofbühnen und dem fünftlerifchen Unver · 
mögen ihres Leiters überzeugt find. Fine 
dfientlidhe Grllärung Hüllens, melde es 
nicht verihmäht, Bulow kleinliche Motive 
unterzufbieben, madt die Sade nidt 
beiier, um jo weniger, ala Hülfen darin 
erllärt, gegen Bülow in defien Stellung 
als Hofjbeamter vorgehen zu wollen. 


Dem Deutihen Theater in Berlin 
fcheint nicht die glänzende Geſchichte feines 
franzöfifhen Vorbildes beichieden zu fein, 
Abgeiehen von mancherlei Miklungenem 
im Repertoir, bat jeht eines ber zugfräf« 
tigiten Mitglieder die Geſellſchaft verlaflen. 
Fricdrich Haafe Faufte ſich durd Gr» 
legung einer Summe von 17500 Marf 
und die Verpflidtung, bis 1886 an feiner 
anderen Berliner Bühne zu jpielen, von 
feiner Mitwirlung am Deutihen Theater 
frei. -- Die Peſſimiſten ſcheinen wieder 
einmal Recht zu behalten. 

Die diesjährigen BVorfiellungen von 
Wagners „„Barfifal” in Bayreuth begin: 
nen am 21. Nuli und dauern bis zum 
8. NAuguft. Jeden zweiten Tag findet 
eine Aufführung Statt. Der Umftand, dat 
der Preis nur 20 Marl betränt, macht 
aud weiteften Kreiſen den Beſuch möglich 
und in der That liegen bereits jahlreidhe 
Anmeldungen vor. Bon dem unverän« 
derten, ja geiteigerten Imterefie an der 
Wagnerſchen Kunit — die überall ftatt« 
gejundenen Xrauerfeierlidfeiten am 13. 
Februar — dem Fodestage Wagners — 
berebies Zeugnis abgelegt. 

Von Spielbagensneueflem Drama 
„Berettet‘ jagen die „Hamburger Nach⸗ 
richten”: „Die eriten beiden Alte ſind vor: 
treftlih, voll Schalt und Wirkung, ber 
dritte und vierte Alt entſprechen jedoch 
nicht denjelben und erregen eher unerquid» 
liche peinigende Spannung. ald das Gefühl 
der angenehmen, rubigen (Frwartung.* 

Fine beihende Satyre auf die Eman · 
zipationdbeftrebungen der Frauenwelt 
bildet ein in Bofton aufgeführtee Stüc— 
„Der Geift des Jahres Bu oder die Frau 
der Zufunft”. U. a. madt darin eine 
Altertumsforiherin Die Entdedung. dab 
Ehaleipeare ein Weib geweſen fei! 

errigd „Nero“ — eine der vielen 
Tragodien dieſes Namens — hat bei feiner 
eriten Aufführung am Weimarifchen Haf« 
theater einen Ihönen Erfolg davongetragen, 
Der Dichter bat in dem Stüd mil grokem 
Geſchid den Frägern einer verfaulten 
Kultur die Träger der neuen fittliden 
Weltordnung des ChHriflentume gegenüber« 


220 


geftelt. Das Publitum zeigte ſich durch 
Diefe tiefergreifenden Gegenſätze mächtig 
erichlittert 


Don jonjtigen Novitäten find zu er» 
wähnen: das vieraltige Luſiſpiel „Node · 
ri Heller‘ von * von Ehönthan, 
welches im Berliner Schaufpielhaufe mit 
Grfolg aufgeführt wurde, das Echaufpiel 
„va banque* von Oslar Welten, eben» 
fans mit Beifoll, und zwar in Königs- 
berg aufgeführt, u. a. m. 


&itteratur. 


=D" Scriftftellerei übt wie es ſcheint 
aud auf netrönte Häupter einen un« 
widerftehlidhen Reis. Yu den manderlei 
Schriften von irren önlidhkeiten, 
welde uns die Ichten Jahre gebradit 
baben, geiellte ſich ſoeben ein Bändchen 
Gedichte „Poesias de Paz de Bour- 
bon“, welche von feiner Geringeren als 
der Pringejfin Ludwig Ferdinand von 
Bayern berrühren. 

Gegenüber dem berüchtigten Bude 
8 reg — Ara‘ - yes 

ellſchaft zeichnet as eben erſchie · 
nene des P. Didon über Deutic- 
fand durd die chrlihe Abfiht aus, mit 
der der Verfafier in unjere Verhältnifie 
einzubringen beftrebt ift. Bor allem Tann 
Didon nicht genug unjere Hingabe an bie 
Größe der Nation und unfere Zucht und 
Einheit rühmen. 


Seitwiffenfdaft. 


Sie Diphtheritis, namentlih für 
3 Gliern ein Echredgeipenft der auf: 
regendflen Art, bat in Berlin allein inner» 
halb zweier Monate 1424 Perjonen er» 
eriffen, von denen 562 flarben, Unter 
die Mittel, die der heimtüdiſchen Arantheit 
erfolgreidh enigegengeicht werden Fönnen, 
rechnet ein engluͤcher Arzt die Einatmung 
des Dampfes eines Gummibaumes. Die 
Blätter der Eulalyptus werben ju dem 
Zweck mit fiedendem Wa 323 der 
dadurch entſſehende Dampf wird in feinen 
Wirkungen noch unterftügt, dak man innen 
den Hals des Patienten mit einer Löfung 
aus Stahl und Glycerin pinfelt. 


Gine wichtige Entdedung hat Bafteur 
gemacht, dem es gelang, Hunde durch 
Einimpfung anderer Mikroorganiemen 
gegen Wutgift unempfindlich zu machen. 


Entdedungen und Erfindungen. 


Murſchwitz hat man am Fuße des 
a) Berges Naal eine germanifce 
Töpferwerkftätte entdedt. Die (Ent 
dedung gewinnt dadurch an „Interefle, 
dak man Scherben von einer Bildung 
fand, wie fie bisher in feinem präbiftori: 
ſchen Grabe gefunden wurden. 


Die Außgrabungbarbeiten auf dem | |, ihrem „Geidäftsinterefie” bereifen. Audı 


St. Georgöberg in Goslar ſchreiten 
rüflig weiter. Nach dem bis jeht zutage 
Geförberten darf man überzeugt fein, von 
einem Bau Aenntnis zu erhalten, der das 
früher entbedte Petersftift an Schönheit 
nod übertrifft. 

Argeblihb hat man bei Eonora in 
Merito eine Pyramide von der doppelten 
Höhe (4350 Fuß) der Gheopeppramide 
entdedt, die aus Granititeinen gefügt if, 
Eine Fahrftrage fol fi bis zum Gipfel 
derielben binzichen. 

Kapitän John Erichon hat nach lang- 
jährigen Verfuchen endlich einen Sonnen- 
motor erfunden, burd ben «5 mönlid 
wird, die Eonnenwärme durch einen 
Nefteltor zu fongentrieren und zur Er— 
jeunung einer medaniihen Triebkraft 
nubbar zu maden. 





dur Zeitgeichichte, 


zrilitärifdes. 


& beutiche Heer bat jeit dem Kriege 
1870/71 bedeutende TFortichritte gt 
madt und eine heute eriolgende Mobil« 
ar würde 300 000 Mann mehr auf 
die Beine bringen fünnen, alö damals. 
Außerdem könnte im Notfall nod eine 
zweite Mejervearmee von 500 000 bis 
600 000 Mann 2852* werden. 
Die ruffif rmee wird in ber 
lge bie Dienftzeit ihrer Freiwilligen 
beutend verlängern, und zwar jo, daß 
die biäher zu drei bis ſechs Monaten Ber: 
—— nun zwölf Monate, die übrigen 
fämtli 14, Jahr dienen müſſen. 

In Spanien zählt die Infanterie 
m Zeit 11 784 aktive Offiziere und 1427 
Re Referve, die Eruppen befichen aus einem 

en 


aus einer 


eer von 306327 Mann und 
ejerve von 295 238 Mann. 


Unglüdsfäle. 


Dt Dynamit zeigt ſich als wahrer 
Fluch, der auf unferer Generation 
Taftet. u faum eine Woche, welche 
nicht Kunde bringt von verheerenden Mir: 
tungen, bie das furdtbare Eprengmittel 
angerichtet bat. So berichtet man vom 
Januar aus der apfolonie, daß in Tebeers 
unmelt ſtimperley elf Magazine durd 
33 Tonnen Dynamit, 7 Tonnen Schieß 
pulver und 300—400 000 Patronen in 
die Luft geiprengt wurden. Troßk biefer 
enornen Maſſen von Sprengmaterial find 
doch nur drei Menfchenleben zu beflagen. 
Auf ein verbredheriiches Vorhaben iſt die 
Donamiterplofion zurüdzuführen, welche 
auf dem Biltoriabahnhofe zu London 
—— Auch auf anderen Bahnhöfen 

ndons wurden Palete mit Dynamit 
gefunden, ebenſo ein joldhes dem Prinzen 
von Paris zugefandt. 

Eine Wajjerhoje bat in Lima große 
Berwüflangen angerichtet, abgeſe von 
Berluften an Menjhenleben wurden an 
Saden für 500 000 Soles vernichtet. 

Durd einen großen Brand, der auf 
dem Moskauer Kaufhofe in Charlow 
am 11. Februar ausbrah und zehn Mar 
gazine in Aſche legle, find Werte von mebr 
als einer Million Rubel vernichtet worbent. 

Ein entiehlides Schidfal hat 150 
Schiffer betroffen, die bei Aftradan auf 
einer Gisiholle ins ſtaſpiſche Meer ges 
trieben wurden. 


Berdreden. 


Berlin ift neulich ein Taſchendiebs 

prozeh zur Verhandlung gefommen, 
in dem die Hauptrolle eine Frau Pus⸗ 
mentierer ipielte, welche an der Spitze einer 
nanzen Bande ftand und dieſe mit großem: 
Geichid dirigierte. Sie verteilte die Rollen 
unter die Mitglieder und lieh alle Mefien, 
über die man genaues Berzeihnis Flibrte, 


bejondere fehtlihe Anlaſſe wurden zur 
Ausführung von Diebftählen wahrgenom« 
men. Wie eb bei dielen Leuten moraliſch 
ausjehen muß, beweiit die Stelle aus 
dem Briefe eines Mitangellagten an 
feine frau: „Die Geſchäſte gehen ſchlecht, 
aber der liebe Gott wird ſchon 
weiter helfen“! 

Der in Wien jo viel Staub auf- 
wirbelnde Projeh gargen den Profefior 


— — — — — 
— — —— — —— — — — — 


—— —— —— —— —— —— — —— — 


Dr. Neminar, der wegen betrügeriſchen 


Handlungen und ſchuldbarem Banterott 
vor den Schranken des Schwurgericdt® 
ftand, hat damit geendet, dak N, mir 
wegen ichuldbarer Grida zu ſechkmonat · 
lichem ſtrengem Arteſt verurteilt wurde, 


Der Neuſtettiner Synagogenpro | 


zeß, der bei den erſten Verhandlungen zu 
einer Berurteilung der Angellagten führte, 


iſt jeht zu Gunsten der lehteren entſchieden 
worden. Sümtlidie Angeflagten wurden 
en 


frei . 

tuttgart ift abermals der Schau · 
plah eines fredhen Raubattentates gewor- 
den, bei dem leiber ber Angegriffene fein 
Leben verlor. Am 23. Februar wurde 
neun Uhr abends inmitten ber Altſtadt 
der Pfandleiher Reinhardt erſchlagen, die 
Ladentaſſe ausgeraubt. Der Ihäter iſt 
noch nicht entbedt. — Noch graufiger ift der 
Raubmord, der am 22. fyebruar in 
Hermanuſtadt ausgeführt wurbe und 
dem ein Regimentsarjt Friedenmanger, 
nebft rau, Kind und Magd zum Opfer 
fielen. — In Nöthen hat vier Tage vorher 
der Rentier Dönide ih und feine ran 

fin. — Ein € al, wie e& deren 
hoffentlich wenige gibt, ift in der Perfon 
eines verfrüppelten Bettlerd neulih in 
Techau verhaftet worden. Der Strüpnel, 
welcher fi) nur auf den Händen fortbe: 
wegen fonnte, lohmte nad und nach jede 
Mitleidige, die ihn auf feine Bitten ein 
Stüd des Weges trugen, damit, daß er 
ihnen den Hals durchſchnitt und fie beraubte, 


Totenſchau. 

hu Hutton Balfour, namhafter 
F enalij Botaniker, Cuſtos des igl. 
botaniſchen Gartens in Edinburg, ſtarb 
bafelbit am 11. fyebruar. 

Berghaus, der befannte Geograph, 
farb im Februar zu Etettin. 

Bernitein, Dr. 4., der 1812 in 
Danzig geborene voltswirtihaftliheechrift« 
fteller, farb im Februar zu Berlin, Der 
Verftorbene ift befonders auch durch Be— 
nründung der Berliner „Bollögeitung“ 
belannt geworben, die aus der ebenfalls 
von ihm begründeten „Urmwählerzeitung“ 
hervorging. 

Buͤchmann, Ph., bekannt ala Her 
audgeber des in zwölf Auflagen erihiene- 
nen Buches „Beflügelte Worte* jlarb am 
4. Februar zu Berlin. 

etewayo, der Fönig der Yulus 
laffern, ift am 8. Februar in Ellowe 
mit Tod abgegangen. 

Ghenery, der Ghefredalteur der 
„Zimee“, farb am 11. fFebruar in London, 

riefen, v., jähfticher Staatöminifter 
a. D., Harb am 25. fFebruar in Dresden. 

Heyſe, Theod., verbienter Philologe, 
flarb Ende Februar zu Florenz. 

Kadri Palha, ehemaliger Brofr 
vezier, farb als Gouverneur von Adrian» 
opel am 11. Februar. 

Arilan, par emer. in Neufladt 
a. D., der Ichte Lühower, farb am 13, 
Tebruar, 94 Jahre alt. 

La Mode, auögejeicdneer Schau ⸗ 
fpieler und Iehter Schüler Goethes, ftarb 
hochbetagt am 11. März in Wien. 

Lüderit, Guſtav, ein mit Recht ge 
feierter Aupferfteber, Profefior am der 
Alademie der Hünite zu Berlin, ftarb da · 
ſelbſt 80 Yahre alt. x 

Miültenhoff, Karl, auögezeichneter 
Germanift, Profeſſor an der Uniderſität 
Berlin, ftarb am 19. Februar dajelbit, 

Motter, Friedrich, befanntals Schrift« 
fieller, wie al& Weberjeher, ftarb am 15, 
Februar im 83. Jahre zu Stuttgart. 

Preöber, Herm., geibähter Novelliſt 
und Augendfchrijtiteller, ftarb am 3. März 
in Frantiurt a. M. 

Die jranzöfiichen Generäle Ehramm 
und Wimpfien, von denen der lebte 1870 
bei Sedan eine grofe Rolle ſpielle, ſtarben 
im ebruar. 

ümpling, v., General der Sa» 
vallerie, bis vor lurgem Kommandenr des 
6. Armeelorps, farb am 13, Februat zu 
Breslau, Geboren am 30. Dejbr. 1809, 
Bollmar, Lud. Maler von Genres 


bildern, jlarb am 1. März in München, 





BAarT. 2 Urt EAnson. Ent 


A| 


ns 


hen Kur, GE 5} 


- 


LP TH 


— — 


Unfer Hausgarten. 
Ton 9. Kültig. 


Die Sartennelhe. 


eh der Rofe ift wohl die Nelle feit alten Zeiten die belieb · 
Steite Blume aller Aulturbölter, wwenigfiend Europas, geweien, 
Wie Gartenbaudiretor H. Gaerdt in feinem ſchönen Buche „Die 
Winterblume* nah Ovid erzählt, jol Diana einft in übelſter 
Laune und unber 
friedigt: von der 
Jagd heimgelehri 
fein, weil ein jun« 
ger Edyäfer durch 
die Tone der Schal · 
mei ihr das Wild 
verjagt hatte; jorn« 
enibrannt riß fie 
ibm die Mugen 
aus; aber bald 
hatte die Reue fie 
erfaßt, fie erinnert 
fid, daß feine Aus 
nen milb bittend 
fie angeblidt, und 
dieje will fie nun 
veremwigen, fie wirft 
fie auf ihren Ger 
birgspfad. Saum 
haben die Augen» 
fterne den Boden 
\ berührt, jo erheben 
aus ihnen ſich duftende Blüten, das Mbbild des Auges mit 
dunkler Iris (Megenbogen), An Frankrelch iſt Die Nelte feit 
Sahrhunderten eine gebeilinte Blume, die —— von feinem 
Kreuzzuge 1270 vom Morgenlande eingeführt haben fol. Epäter 
nannte man fie die Blumedesgroken Gonde, dei Siegers 
von Noccoy in den Ardennen (Louis IL le grand Conde, 
aeb. 1621), der fie leidenjdhaftfid; liebte und für ihre Pflege be⸗ 
fondere Vorichriften herausgab; im feiner Fehde genen Mazarin 
und Turenne madte er fie, bie hochrote Melle, unter jeinen 
Soldaten belicht und zur Parteiblume und als foldye erblih in 
dem Haufe Bourbon. Eelbit in der Echredenszeit der Revolution 
von 1793 fpielte fie ihre Rolle: e8 wurde Eitle, daß die zum 
Tode Derurteilten eine jolche beim Beſteigen des Bluigerüifles in 
der Er trugen. 

An England erjhien die Nele zuerft im 16. Jahrhundert. 
Der Gärtner ber Königin Glifabeih (1558—1003) fol Die erjten 
Ihönen Reiten aus Polen erhalten baben, und wurde bie Blume 
der fofbarjte Ehmud der hohen Ariftofratie, man jagt, dak 
für eine Nelle eine Guinee gezahlt worben fei, und ein Stranz 
aus Nelken, den die Derjopin von Devonfbire bei einem fyeite 
kun. 100 Guineen geloftet babe, — In Belgien iſt die Nelte 
Noltsblume geworben, beſonders die der Arbeiter in den Stein« 
tohlengruben, die ihre Lieblinge täglih mit dem Waſchwaffer 
begießen, das fie wieder zu weißen Menjchen gemadt, nachdem 
fie ihrer gefahrvollen Wrbeit 
alüdlich entronnen find; fie ınei- 
nen ihnen dadurch ein tippigeres 
MWadhstum, ber Blume eine dunt« 
lere Farbe verſchaffen zu könnten. 
Die Arbeiterwitiwe aber erinnert 
ſich bei ihrem Anblid wehmütig 
ihtes Berluftes und dem jungen 
Arbeiter ift fie Das Sinnbild des 
bäuslihen Schmudes und der 
Friedſertigleit. Auch in Atar 
lien iſt Die Meife zur Dieb⸗ 
lingsblume de Molles gewor« 
den; fie dient nicht nur der länd« 
lichen ſchwarzhaarigen Schönbeit 
als Schmud beim Weit, ſondern 
iſt Überhaupt der Zalitman ber 
Liebe. Eine gleiche Morliebe 
für die Melle, aber nur für 
die rote Blume, finden wir in 
{ Spanien, 

Auch im Deutfchland ift die Nelte, wenn auch nicht mit dem 
Toltsleben verwadien wie in Belgien, Frankreſch und alien, 
bei deu höheren Ständen beliebt und wegen ihre® Dufted ger 
Ihäpt, und die Dichter erhoben fie zum Sinnbild der treuen 
Freundſchaft, weil die Blumenblätter ihre Farbe nicht verändern; 





Big ı1- Hilbedheimb Rirfen-KaiferKelke. 





Big. 2, Strichnelle. 


Lt — — 


©. Hüttig. Unſet hausgarten. 


221 


aber als Erzieher und Pfleger haben ſich lange Zeit nur die 
Geiftlihen auf dem Lande der e mit den jhönen Blumen 
angenommen, und unter ihnen b Poete fi der Berein der Nellen» 
liebhaber mit einem beionderen Wörterbuch für die Gigen« 
ichaften ihrer Shühlinge und für die Zeihnung, Form und Farbe 
ihrer Blume. Ihr 
Dolinetiher war 
Dr. Weißmantel, 
der ſchon vor 100 
Nahren dab von 
Rudolfi, Hübner 
u. a, fpäter er 
vn Nellen- 
pftem aufitellte, 
Die beten Nelten- 
züdjter aber finden 
wir unter den 
mbelägärtnern 
iens unb ber 
Stadle in Thürin- 
gen, namentlich in 
Grfurt tHaage & 
Schmidt, Chr. Lo» 
tveny u. a.). 

Auch der Ders 
fafjer dieſer Zeilen 
liebt die Nelte fehr 
und bat fid viele 
Jahre bindurd mit 
ihrer Anzucht und 
Dilene beihhäftiat: 
aber er gehört nicht 
der Zunft ber Nels 
tenliebhaber an; er macht deshalb auch nicht wie dieſe fo hohe An- 
fprüde an bie Blume; wir lieben den Wohlgeruh und die Farbe 
der Blume, aud; wenn fie die nicht ganz regelmäßigen Formen 
der von Max Dergen jr. II. 
in Köftrih angebotenen Riejen- 
faifernelte (Fin. 1) eiat, die mit 
ihrem leuchtend zinnobericar« 
lachroten Farbenione das Auge 
biendet und die auf der Garten« 
bauausitelung in &iehing« 
Wien 1880 ein Gertififat eriter 
Alafie erhalten haben ſoll 
Wir fragen bei einer jhönen 
Nelte nicht mach der Klaſſiſita⸗ 
tion, wie fie die „Zunit der 
Liebbaber* fordert, nit da⸗ 
nad), ob fie eine „Eaume* oder 
„Deutibe" oder „Nömijche 
Pilotieꝰ fei(Steichnielte, Frig, 2, 
mit einer Zeihnungsfarbe auf 
weißem ober gelbem Grunde) 
oder eine „Pifott-Jrfotte* (mtit 
wei Beihnungsiarben) oder 
eine „Doubleite* (Bandblume, 
Fig. 3, auf der die Zeichnung 
durch das ganze Blumenblatt bis sum „Nagel“ läuft und breite 
Banpditreifen bildet) oder eine „ Betufchte Blume“ (Faxe bejw. Feuer⸗ 
Fage von fax = Fadel mit der Zeichnungtfarbe in der Grund» 
farbe verwaſchen; die Umterjeite 
des Blattes ift immer weiß) oder 
ein „Salamander“ mit der Zeich⸗ 
nungsfarbe als Bunfte über dem 
ganzen Blumenblatt zerjireut; 
wir gehen in der Slcherei jogar 
fo weit, dak wie felbit die ein⸗ 
fache Nelte noch ſchön finden, 
die wie feine der gefülten zum 
elegant und leiht gewundenen 
beuticden Blumenstrauß ſich ver⸗ 
wenden laäßt. 

Und deshalb fünnen wir 
auch der Anzjzucht junger Nelken 
aus Samen bas Wort reben, der 
nicht immer das erwartete Reſul · 
tat ergibt, aud wenn er von ber 
dichtejt gefüllten Dlume gewon · 
nen wäre Dan ſchaffe fich quten 
Samen von einem befannten 
Neltenzüchter (5. B. einer der 
oben genannte Firmen) und fäe ihn im Mai dünn in eine Mache 
Scale, die man im Zimmer nod mit einer Glasjcheibe bedeck, 
oder bie man in ein abgelragenes Miftbeet, auch wohl ins Ber 
mebrungshaus ftellt; die jungen Plängden werden in andere 
Schalen verftopft und dann ins Freie Yand des Gartens mit 





dig. 4 Dianthur plumariun (fhotlifhe 
gefüllte Federnelte, ©. 222.. 





Diantbus plumarlus 
fi. pl. Achille (&. 22). 


Bis. 5: 





Ole. 8 Banbrelle (Zoubletien. 


Dioitiz: 





(OOgle 


222 


unter Erde verfeht, jo daß fie wenigftens 25 cm. Raum nad 
allen Seiten erhalten, Weber Winter det man fie wenig mit 
Laub, Eie blühen im nächſten Jahr, und kann man dann die 
Pflanzen mit den jhönften Blumen in Zöpfe feen mit fräftiger 
Erde, die aus altem ſtompoſt, alt verwittertem Kuhmiſt, Teich ⸗ 
—— mürbem Lehm, Sand und Meinen GHolztohlen beſtehen 


ann. 

Alte Stöde find nicht mehr ſchön, aber fie fünnen zum 
Blüben im Winter gezwungen werden, wenn man fie im August 
in Zöpfe jeht, bis zum Anwachſen feucht, dann trodner hält, 
bei beginnenden Frojiwetter in einen fonnigen aber fühlen Raum, 





aber vom De» Gartennels 
jember ab in ten” (D. Ca- 
einen fjonnie ryophyllius 
gen warmen semper- 
Raum, 3. ®. florens), die 
an das Fen ⸗ man ebenfalls 
ſter des Wohn⸗ aus Samen 
jimmeräftellt, nr tann, 
wo fie wieder I ft mit beir 
mehr Wafier rer Ausficht 
nötig baben Ku ein gutes 
werben als in Resultat als 
dem falten bei der erft« 
Raume. beiprodhenen 
Aber es gibt Gruppe. Will 
eine Gruppe man aber eine 
von Garien ⸗ ute Blume 
nellen, deren halten, ſo 
eigentlidye muß man bie 
Blütezeit in Pflanze durd) 
den Winter Stedlinge 
fänt; dat find Gig. 6. Dianthus barbatus vermehren (Die 
die „remon« oculatus marginatus, mübfame Ars 
tierenden beit des „Ab» 


entens“ fommt nur nod felten vor), was beinahe das ganze 
abr hindurch geſchehen lann, am beiten aber im März oder 
April, jedenfalls vor der Blüte, indem man furje fräftige 
Seiten« oder Stodtriebe mit 2— 3 Blatipaaren mitten durch einen 
Sinoten wagerecht abſchneidet, diefen bis 1-3 mm jpaltet, 
ein Sandlorn in den Spalt ſchiebt, um ihm offen zu halten (alte 
Nellenzücdhter nehmen hiezu ein Stüdchen Nellenblatt), dann die 
Blätter zur Hälfte abſchneidet und die jo vorbereiteten Stedlinge 
einzeln in 2, 3—4 cm weite Töpfe oder ju mehreren in arößere 
Zöpfe, dicht am Nande, mit fandiger Heideerde fett, fie mit einer 
Glasglode bededt und im Gewächthauſe oder Dimmer, gegen 
die Mittagsionne geihüht, aufftellt. Beim Begiehen muß man 
vorfichtin jein und die Glasglode nicht cher aufſehen, als bis 
die Blätter (oder Dlattrefle) abgetrodnet find. Die Bewurzelung 
beginnt nad 3 Wochen und feht man die Pflangen dann einzeln 
in Zöpfchen, hält fie kurze Zeit in gefchlofiener Yuft und pflanzt 
fie nach geſchehener Abhärtung ins freie Vand, wo man ihnen 


35—40 cm nad als bis fie qut 
allen Eeiten ausgebildete 
Raum gibt, fie Blütenfnojpen 
aber ſonſt wie jeigen. 
die Sartennellen Gute Sorten 
behandelt. Im von Remon« 
Erptember tantnellen 
pflanzt man fie find: Le Gre- 
in 11-14 cm nadier, feuterrot, 
weite Töpfe, bält President De- 
e einige Leit graw, L’Her- 
in geihlofiener mine und 
Luft, beichattet Louise Zeller 
fie, wenn nötig, rein weiß, Alc- 
und ftellt ſie dann gatiöre jamt- 


in einem fonnie 
gen Raume mit 
einer Temperns 
tur von + 7 bis 
100 ©. (6 bis 80 
R.) auf, bringt 
fie aber nicht eher 
ins warme 





Dig. 7. Dianthas Multiforus, 


artig und dun; 
felrot, F. Peter 
weis mit firidh» 
rot geitreift, 
Christine Lo⸗ 
renz ift groß, 
rojenfarbig und 
dunkler geitreift, 


Wohnzimmer, Kronprinzes- 
sin Victoria ift arokblumig und rein weiß, Souvenir de la 
Malmaison, zart Heiihtarbie, u, a. m. 

Die fFedernelte (fFia.s, DianthusplumariusL.) bildet eine 
weitere Öruppe von Gartennelfen, die befonders zu Ginfafjungen 
von Vlumenbeeten, Wegen u. |. w. benüßt werben fünnen; fie 
iind bedeutend härter als die andern Gruppen und nur bie feinften 
Eorten, von deren die firma Haage & Schmidt in Erfurt uns 
einige Abbildungen geliefert, dürften eine leichte Winterdede nötig 
haben. Auch jie werden leicht durch Stedlinge vermehrt. Gute 
Sorten find, außer der bier abgebildeten „Achille* (fig. 5): 
Abbotsfordianus purpurroſa, Fimbriatus albus rein weil, 


Ida Barber. 


Nelly rofa, Virginal weiß und großblumig, Victoria ſchwarz - 
purpur mit rein weißen Flecken, w. a. m. 

Schlleßlich erwähnen wir nod einer Gruppe, der immer« 
blühenden Hybridnelte (D. hybridus semperflorens 
Hort.), vielleicht dasjelbe, was die Engländer die „Vielblumige* 
nennen, twelde von September bis April ununterbroden ihre 
ſchön gefüllten, würzig bujtenden Blumen entwidelt, jelbjt ohne 
den von anderen Pflanzen geforderten Sonnenidhein. Die Blüte 
iſt meiſt farminrot; doch vergeihnen H. Gannell & Sont 
Swanley, Kent, England, von ihren D. multidorus (Fig. 7) 
aud) folgende Sorten: Marie Part rein weiß, Striatus fleifch» 
farbig mit weißen Strihen und Punften, Napoleon III. hoch-⸗ 
rot, Rose perpetual rofafarbig u. a. m, 


Tradten der Beit. 
Bon Pa Warber. 





ennſchon dem Stalender nad der langerjehnte Frühling 

* einen Einzug gebalten, verhindert die unbejtändige Witte» 

rung unfere Modedamen body noch, die zu feinem Empfange an» 
geihafften Neuheiten jpazieren zu führen, 

Man trägt jet zumeiit noch farbige Euchfleider mit vollen. 
dem Samtbejah, Belouröroben mit Marabouts garniert, einfache 
Koftüme von grobem Linfey-Wolfey oder Anidersboder, nur mit 
diden Seidentorbeln bejeht, Kaſchmirroben mit japanefiihen und 
perfiihen Etidereien, und als Gleganteftes farbige Seiden- oder 
Samtfleidber mit lebhaften Goldftidereien. 

Die Mäntel find zumeift aus leichtem, gerauhtem Woll» 
Hoff, aus Ottoman oder geblümten Samt gefertigt, eriterer mit 
reichen Paflementericen, die Samt- und Seiden-flonfeltions vor» 
waltend mit Federn oder 
Stidereien beiegt. Breite 
Ghenillefranfen, Pom- 
pons, Spitzen oder Seiden- 
Grelots umgeben den Rand 
der in dieſem Jahre be« 
fonderd reich garnierten 
Umbänge Gin leichtes 
farbige: Seidenfutter wird 
am Rande mit fingerbrei« 
ter Guipür beieht und 
teitt, Scheinbar abiichtelos, 
doch mehr als nötig herr 
vor. Beliebt find nod 
immer bie großen, fait 
die ganze Figur dedenden 
Redingotes. 

Fin. 1 geint uns 
einen ſolchen, ber aus 
fanevasartigem marine» 
blauen Stoff gefertigt und 
mit breiten, gleichfarbi» 
gen Samtftreifen beiekt 
it. Mom Grunde bes 
ftumpfen Etoffes heben 
fih effeltvoll eine Art 
Iheinbar im Zapifferie- 
ftih ausneführter Blumen 
ab, die den ganzen Dlan« 
tel dbeden, 
derartige ®ewebe „ Tapiſſe⸗ 
rieb*, findet fie momentan 
Ihön, ohne ihnen, da fie — 
ſeht auffallend find, eine m - - 
längere Daurr voraube 
fagen zu wollen. Der 
Mantel iſt hinten reich 
nefaltet, an der Achſel 
auffallend Ihmal, mit Suwarow-flragen von Samt, bodr 
ftehenden, halbweiten Aermeln, die inmendig mit Epiken reich 
beieht find; vorn eine große Mantelichliefe von Sorallen, bie 
mit der Farbe der Hutfeder und der des nur handbreit hervor« 
fichenden roten Rodes übereinftimmt. 

Den glüdlihen Beliterinnen echter Shawls aibt die dies ; 
jährige Mode Gelegenheit, ihre Herrlichfeiten, die, ach! fo lange 
undewundert unter Schloß und Riegel verwahrt blieben, in befter 
Form zu zeigen. Die neue Fagon orientale wird aus indiſchen 


yyau 
Man nennt 2 Wer) 


ii 


— 





die. 


Trachten der Zeit, 223 


ober türfilden Ehamwltühern derartig gefertigt, daß das Tuch 
nicht zerichnitten zu werden braucht. Unſere Figur 2 zeigt den 
binten in Puflen und fyalten brapiertn Shawl mit breiten, 
feitwärts gerafiten Doppelärmeln und abidliehendem Eamtfragen 
fo gut fikend, als ob das Ganze nady der Fiagur neichnitten 
wäre; fogar die hochgeſtellten Achſeln, der geſchweiſte Rüden iſt 
vollkommen jtilgerecht hergeſtellt, und dieſes ſcheinbare Wunder 
dadurch ermöglicht, daß die Nähte jeſt unternäht, gebügelt und 
an ev Eteden mit Samt: Pafiementerieen gededt find. 
Ohne ſich aljo des Vandalismus jhuldig zu maden, wertvolle 





Bi 1. la. 4. Big. 3. 


Tücher ju zerſchneſden, werben unfere Modedamen jekt in der 
Lage fein, ihre edlen Shawls wieder zu Ehren ju bringen. 

Die neuen mit Gold durdftidten Roben find zwar für die 
Straße eiwas u grell, als elenante Bejuchs» oder Geſellſchafit · 
toilette imdes ſeht beliebt. Fig. 3 ſiellt eine aus braunem 
Surrahs gefertigte Robe mit polonäjeartinem Ueberwuri dar. 
Der Rod ift bis hinauf mit ſchmalen, in Quetichialten gelegten 
Volants gededt, der aus Ottoman gefertigte, durchweg in hand» 
breite Falten gelegte Ueberwurf ift in der Mitte offen, fo daß 
das Unterfleid zur Geltung fommt, vorn mit furzem goldgeitid« 
tem Schutj, langen, nad unten ipik zulaufenden Goldbordüren 
und einer Art Goldweite, deren Vorderteile ſaſt bis zur Dlitte 
des Ueberwurfs binabreihen. Die Golditiderei iſt in Nrabeöten« 
form mit feinftem Gold ⸗Soutache, der von braunem Seiden · Sou · 
tadye begrenzt ift, nefertiat. 

Am Gegenfah zu diejer ettwas auffallenden Robe ftellt Fig. 4 

eine einfache, doch ehr elegant ausjebende dar, Sie ijt aus 
brofsierter Seide und paflendem Samt gnefertigt; unten ein Rod 
mit drei Wolants von glattem Etoff, darüber ein Rod in band» 
breiten Falten, Die unten augelpikt find und Samtſchlupfen 
zwiidhen den Spitzen bervortreten lafien; nadı oben hin kurz 
drapierte Tunique mit gleihartigen Eamtichlupfen begrenzt und 
mit großer Samtrojette auf der Hüfte nerafft. Gleiche Nofette 
auf der Achſel als Abſchluß des in der Art der Tunique travers 
nefalteten Bruftteiles, das Samtmieder it tief ausgeidnitten, 
ipik zn mit hohen Achſeln. 
; ie für die Strahe beitimmten Koftüme werden mehr als 
im — mit farbigen Etoffen garniert. Gin dunkles Blau · 
grün gilt als Modefarbe. Fig. 5 zeint uns eine ſolche aus 
blaugrünem Kaſchmit gefertigte, mit perſiſchen Bordüren gar 
nierte Nobe, deren Zaille mit Shawllragen und geitidten Latz 
nearbeitet iſt. Der reich gefaltete Doppelrod ift oben rings 
herum purfenartig gebaut, durch ein Band zufammengebalten, 
das vorn in langen Schlupfen endigt. Der untere Rod beitcht 
aus jivri breiten Pliſſees, die durch eine handbreite gejtidte Bor ⸗ 
düre voneinander getrennt find, 

Man verſucht neuerdings — aud einmal die Probe von 





dem Gegenteil — die vorm fradartig *2 Zaillen (Fig. 6) 
in Aufnahme zu bringen. Namentlich für ſtarke Figuren if 
diefe Zradıt ſehr kleidend umb dürfte wielleicht in Streifen der 
Banting-Berehrerinnen Aufnahme finden. Unier Koſtüm (Fig. 6), 
wie die zuvor ffigzierten dem Atelier der Dime, Haizinger (Wien) 
entnommen, ift aus braunem Diagonal nefertint, der Mod bo 
tronffiert, die Taille mit goldgelbem Paſſepoil umtandet, hinten 
auf der Zournlire aufliegend, vorn in langen fradartigen Schößen 
endinend. 

Die neueften Frübjahröhüte zeigen einen Reichtum an echten 
Epiken, Federn und Jalbperlen, daß man flaunt, wie all dieſe 
Serrlidfeiten auf der winzigen ſtopfiläche Plag finden fünnen. 
Die Gapottes find weniger Uein alö im Winter, hoch geſchweift, 
innen vol garniert, mit breiten Spikenbarben abſchließend 
Hite für junge Mädden werben entweder aus gejonenem Seiden- 
ftoff, aus —— Tuüll oder durchſichtigen Chenilleborten in 
möglihft freiftchenden, an einer Seite aufgefhlagenen Formen 

efertigt. An Stelle der feinen Federtocques ſieht man lange, 
ajt bis zur Hälfte des Riidens berabhängende farbige federn 
tragen; auch Federrüſchen längs der engliſchen Baretts, 

Wie ih draußen in ber Natur bie lieblichen Hinder Floras 
nod nicht bervorwagen, fo treten fie aud nur vereinzelt an 
Hutgarnituren auf. JR ihnen bie Quft noch zu raub? Wollen 
fte erſt dann in voller Pradt erſcheinen, wenn aud ihre 
Schweilern in Flur und Au ihr Wieberauferfiehungsfeit gefeiert 
haben? Faſt ſcheint es jo; die ſchon jeht im einzelnen Typen 





Dia. n. ie 


borrätigen Eommerhite find fait mit Blumen überladen; man 
fieht jogar Gapottes, die ganz aus Heinen Streublümden ju ⸗ 
fammengelceht find, andere, die Statt der Bänder Blumenguirs 
landen baben, welch Ichtere man unter Dem Kinn Mnüpit und 
dann als Tarllenfhmud herabfallen läßt. Doc, noch ift fie ja 
nicht da, Die von Roqueties Didtermund jo ſchön befungene 
noldene Roſenzeit, in der man dirfe Herrlichleiten tragen wird; 
bleiben wir einfitweilen bei der Betraditung unierer nicht minder 
elegant ftilifierten Tull ⸗· und Stoffhütden, an denen ich in diefer 
Sarjon beionders die foitbaren Flach -und Blajcitidereien, die 
reigeriden Perlennähereien hervorheben möchte, die den faum 
bandgroken Hüten oft einen Lunfitleriihen Wert verleihen, Schr 
in Aufnahme find aud die ans Goldſäden geflochtenen Hut: 
formen, die man, um dem arellen Schein zu mildern, mit ſchwarzen 
Marabouis garniert, deren einzelnen Fädchen ſchwarze Perlen ein« 
nelnüpft find. Aeltere Damen fangen wieder Damit an, die chedem 
beliebten weißen Hutruſchen zu tragen, Ob die Jugend folgen 
wird? Man findet, daß die Michen olt maden; Grund 
genug nerabe jeht, wo die Mode auſchließlich jugendliche Trach⸗ 
ten beglinftiot fonar feinen Anitand nimmt, die Matrone in 
derfelben Tracht wie das eben erit in die Geſellſcheft eintretende 











224 


ſechehnjährige Tauſendſchönchen erſcheinen zu laſſen, daß bie in 
Unrenung gebrachte Neuerung nicht durchdringen werde, 
ung ſein! iſt die Parole; und wer es nichtmehr fein kann, 
der verſuche es zu fcheinen! 
So wenigſtens iſt das Streben jener nad Gunbertiaufenden 
zählenden Frauen zu verflehen, die Zeit und Geld und Bequem« 
lipleiten opfern, um tro& alledem und alledem — feſch aufzutreten. 


Dafuranfalten in der Häuslichkeit. 


Bon 
Dr. Karl Auf. ') 


5. Stubenvögel. (a. Der goldgelbe Sänger.) 


Anjährliih finden in Deutſchland viele Hundert Bogelaus« 
ftellungen flatt. Wir haben ja auf den Gebieten der Vogellunde 
und »Liebhaberei, der Geflügelzucht und des Geflügeliports in 
Deutihland, Oeſterreich- Ungarn und der Schweiz wohl gegen 
fünfhundert Vereine vor und und alle wetteifern darin, in 
immer größeren Streifen des Publifums Anhänger für ihre Bes 
ftrebungen zu werben. Bei allen diefen Ausitellungen aber 
werden Stanarienvögel als zahlreihe und nicht felten ſogar 
als —*—— der Verloſungen verwendet, und in der That, 
fie dürfen als ſolche leineswegs fehlen. 

Wenn in ben Meinen und minder wohlhabenden Vereinen 
auch immerhin geringwertige Ranarienvdgel mafienhaft als Ger 
winne gegeben werben, To ſetzen die größeren und bebeutendberen 
Bereine doch auch eine Ehre darein, flets einen ober mehrere der 
toftbarften Harzer Kanarienvögel, im Wert von 75 Mark und 
derüber als Hauptaewinn zu ſpenden. 

Da tritt uns nun aber von vornherein eine trübjeline Er- 
ſcheinuug * Troh des auferordentlihen Auffhwungs, 
weldyen die Liebhaberel fir den Kanarienvogel im allgemeinen 
allenthalben und vornehmlih in Deutihland in den lehten 
Jahrzehnten gewonnen, gibt es boch nur verhältnismäßig wenige 
begeifterte Berchrer und Kenner des Harzer Vogels, die zu 
ermejjen willen, dab derjelbe zu den —E Sängern gehört, 
welche wir unter den Stubenvögeln überhaupt vor uns haben, 
alte übrigen jehen den Stanarienvogel eben als einen allbefannten 
Gaft in der Häuslichleit an, dem gegemüber fie weder bejondere 
Rücſichten zu nehmen, nod außergewöhnliche Vorſicht zu beachten 
brauchen; und boch geht er, wenn ihm ſolche nicht zu teil wird, 
nur zu leicht zu Grunde. Ueberaus einfach, mühe und koftenlos 
int feine Verpflegung, trobdem vermag er fih nur dann feine 
wertvollfte Figentümtlichleit, den abjonderlihen herrlichen Ger 
fang, zu bewahren, wenn man ihm bie erſtere mit Kenntnis 
und Verlländnis angedeihen läft. 

Bedenken wir, welche ftaunenswerte Fülle von Sadıfenninis, 
Ausdauer, Geld: und Zeitopfern dazu gehört, um einen ſolchen 
vorzüglihen Sanger in feiner möglichiten Bollommenbeit aus» 
jubilden, fo bedauern wir es einerjeitd von nanjem Herjen, 
wenn berjelbe in der Hand des Unfundigen erbarmungslos ver 
fommen muß, und wir mödten entſchiedene Berwahrung dagegen 
einlegen, dab gerade er zum Anlodungsmittel bei einer Vogel« 
Lotterie dienen foll; erwägen wir dann aber im Gegenſah Dazu, 
daß die Gefahr für den Sänger unſchwer abzuwenden ift, wenn 
wir nur guten Willen vorausiehen dürfen und zwar gleicher 
weife bei den ey welche die Bogelauzftellungen veran- 
ftalten, wie bei den Empfängern, welche die Bögel gewinnen, fo 
fehen wir anderjeits mit Vergnügen ein, dab die Schwierig« 
keiten fih wohl überwinden lafien und daß wir gerade den 
noldgelben Hausfreund als einen der Vögel, welde am bejten 
dazu geeignet find, die Liebhaberei für die gefiederte Welt in 
den weiteiten Areifen zu verbreiten, anerlennen und mit Freuden 
begrüßen dürfen. 

Bor allem folten die Veranſtalter von Bogellotterieen es 
ji immer angelenen fein laſſen, jeden Empfänger eines Harjer 
Hanarienvogels über alle Figentümlidjkeiten besielben zu belehren 
und Anleitung zur jahnemäken Verpflegung zu geben, nicht 
minder aber jollte der glücliche Gewinner — wenn er es nicht 
vorzieht, den wertvollen Vogel ſogleich zu verlaufen — ernſtlich 
dahin ſtreben, die nötige Aenntnte ſich anzueignen. 

Von diefem Gefihtapunft aus will id im nadjiehenden die 
entſprechenden Anleitungen geben und zwar mit nachdrücklichem 


1} Bal, Seit 6 dieſet Jahrzanges. 





Dr. Karl Ruf, 


—— darauf, daß ber —— dann, wenn man ſeine 
jachen vedůrjniſſe fenmt und diefelben mit beftem Willen zu 

edigen ftrebt, in fo vollem Grade wie nur wenige andere 
u als wilfommener Gaft in der Häustichkeit fi zeigen 


Wie bereits erwähnt, werden wohl jahlzeide Leſer meinen, 
daß folde Auffaffung von vornherein nicht der Wirklichkeit Rech⸗ 
nung =. denn ben Stanarienvogel, der bereits ſeit 300 Jahren 
bei uns in Deutſchland heimiſch und Gaft faft in jeder Däuß« 
—— iſt, kennt ja u A wohl —— —— ke 
leitung zu feiner Verpflegung jei daher wahrlidy ü üſſig. 
Dies Py lea oder doch wenigſtens im allgemeinen ridtig, 
nämlid dem gemeinen beatidex ftanarienvogel 
—— In betreff feiner weiß man, daß er im erſten beiten 

auer, oft agenug fogar im winzigften und unbequemften, bei 
Wind und Wetter draußen auf dem Blumenbrett ober vor dem 
‚Fenfter und felbft bei großer Kälte drinnen am fFenfter, im 
dunftigen, ſchwülen, raudigen Stübchen, wie im zugigen Bor« 
—— einfach mit Hanf und allenfalls ſogenanntein Hangrien · 
utter (Rüb», Sanarien- und gequetichter Hanffamen) gefüttert 
und bin und wieder mit Zuder, Kuchen, Safjeejemmel, ar: 
toffel und allen möglichen anderen Yedereien verjorgt, wohl 
zwanzig Jahre und darliber gut ausdauert. Will man ihn 
indejien nit bloß im einzelnen Ausnahmefall, fondern unter 
allen Umftänden gefund und lebenskräftig erhalten, jo füttere 
man ihn einfad bloß mit gequetichtem Hanf, Kangrien · und 
Nübjamen zu gleihen Zeilen, nebft etwas gefpeljiem Hafer und 
gebe ihm zur Grquidung hin und wieder ein Apfelſchnitichen, 
etwas Salat oder Vogelmiere und als Leckerei ein Stüdchen 
Yuder; alle übrigen unnatürlihen Nahrungsmittel halte man 
ihm durchaus —— Die Hanflörner müſſen an jedem Tage 
friſch, vermittelft eines Rollholzes oder einer Mörterteule auf 
einem Hadbrett nur angelnicit, nicht aber zu Echrot zermalmt 
werden. Alle diefe Sämereien müſſen im vorziiglichiten Yuftande, 
nit aber in dem erwähnten Gemiſch wohl gar jhon alt und 
ranzig geworben oder hart getrodnet fein. Ferner wolle man 
bedenten, dab es geradezu eine Zierquälerei ifl, wenn man 
den Stanarienvogel in einem ju engen Käfige hält. Man möge 
micht eimwenden, daß er ja von Jugend auf daran gewöhnt ift, 
im Heinften Raum zu fihen, fondern immer bebenten, daß er 
bei ausreihender Bewegung ih nicht allein wohler fühlt, fon» 
dern auch beſſer gedeiht. Der Käfig für dem einzelnen Hanarien« 
— ſollte 30—50 cm hoch, 30—40 ein lang und 22—28 cm 
ief fein, 

Wollte man in ganz gleiher Weile den Harzer Kanar 
rienvogel behandeln und verpflegen, jo müßte ſich daraus 
ergeben — wie es ja in Wirklicjleit bei Unkundigen leider nur 
zu oft geſchieht —, daß der Vogel, ſelbſt wenn er dabei nejund 
und am Yeben bliebe, doch die Stimme und jomit den herrlichen 
Gejang einbüßen würde, Wer, hingeriffen von dem Genuß an 
der Löltlihen Yeiftung des Sängers einen jolden anſchaffen und 
halten will, bezw. wen der Glüdsfall bei einer Yotterie ibn 
zugeführt, foll vor allen Dingen dod prüfen, ob er auch twirf« 
lich in der Nage kit, die immerhin geringen, aber um jo mehr 
beveutungsvolen —— zu befriedigen, welche die Pflege 
des Vogels an ihn ftellen wird. Zunächſt darf biejer geficderte 
Gaſt, in Anbetracht defien, dab er im Harz ſowohl, als auch 
in anderen Züchlereien leider durchgängig in einer hohen Tem— 
peratur und zwar von 18—24 Grad R. gezüchtet wird, feinen« 
falls von vornherein in einem tüblen oder gar nahfalten Raum 
beherbergt werben. Man bat ihn vielmehr ſorgſam vor jeber 
Ertältung dur plößlices Einfen der Temperatur zu bewahren. 
Das Zimmer, in weldem er gehalten wird, muß eine möglichſt 
hohe, vor allem aber gleichmähßige Stubenwärme haben, welche 
auch zur Radıt nicht unter 16 Grab R. finten darf. Ganz 
allmählih erft gewöhne man ihn dann an eine geringere bis zur 
gewöhnlichen Etubenwärme von 15 Grad R. im Durchſchnitt, Die 
aber nachts doch Feinesfalls unter 14 Grad R. ſtehen darf. So⸗ 
dann gewähre man ihm einen rubigen Stanbort, wo er vor 
Schrect und Beängftigung, insbrfondere aber auch vor YJugluft 
bewahrt ift. 

Der Käfig für den Harzer Kanarienvogel (f. Abb. 
S. 225) ſei von der vorhin angegebenen Größe, nad Geſchmad 
und Belieben hübſch auögeftattet, immer aber einfach = elegant 
und nicht mit unnötigem Prunk überlaben. Seine Geftalt jei, 
wie die Abbildung zeigt, länglich vieredig, das Veitel laͤnn aus 

edrechſelien und polierten bölgernen Säulen, auch aus cin» 
achen SHolsfläben oder am allerbeiten von verzinntem Drabt 
fein; im eriteren Fall ift das Gitter dann aud von Diefiinge 
draht mit raſch und ungemein hart antrodnendem japanehiden 
Ya geſtrichen, jo daß es jeder Feuchtigleit widerficht, feinen 
Grüntpan anjeht und pradtin ausjicht; im lehteren Fall ift 
es aus verzinntem Draht, Während der Sodel je nad der 
Ausftatiung auß poliertem Holz oder Weißblech angefertint wor ⸗ 
den, muß die Schublade felbitveritändlid jedenfalls von Metall 
fein. Als eine praltiſche und zugleih ſchöne Vorrichtung er» 
ſcheinen die mit mattgeichlifienen Werzierungen auegeftatteten 


















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18 




















Der geftirnte Himmel im Monat Mai. 


Glasſcheiben, welche die unteren Wände des Häfigs bilden; fie 
verhindern, daf Sand, Hülfen u. a. verftreut und bie Stuben» 
dielen verunreinigt werden. Die Anordnung der fyutter- und 
Trinfgefäfle, deren erfleres eine ftappe von ze bat, damit 
der —— die Körner nicht herauswerfen fann, ferner die der 
Eprungbölger und der Schaufel (meld lehtere aud füglich fort« 
bleiben darf) ergibt die Abbildung, 
Auch die Yütterung des Kar 
3 andere fein als die feines 
uptſache nad in dem vorzüglicften Sommerrübjamen,, joviel 
der Vogel eben freflen will, nebſt einer täglidhen Gabe von 
trodenem Löffelbistuit vom Stonditor oder einen Meinen 
Theelöffel vol von Böderjhem —— Diejes letztere beftcht 
einfach in gleichen Zeilen von hart tem, auf einer fauberen 
Neibe fein geriebenen Hühnerei (Gimweif und Eigelb zujammen) 
und — enbrot —— Semmel oder Weden, 
altbaden und * 
oder auch im M * 
ſtohen), beides ee 
untereinander 
daß es eine m 
lodere Maſſe bildet. Wer 
die Mühe der täglich fri« 
ſchen — —* 
ners ſcheut, kann, wie 


Fu 
erwähnt, den Köffelbisfuit 
reihen, doch follte man 
dann wenigftens alle drei 
bis vier Tage mit einer 
etwa bohnennroken Gabe 
von blokem bartgelodten 
Eigelb abwechſeln Wenn 
der Harzer Kanarienvogel, 
etwa durh übermäßi 
Gejangbleiftung angegrife 
cheint und bei vor« 
r Unterfuhung 
einen ſpihen Brufttnoden 
zeigt, jo darf man ihm 
aud, inöbefondere aber 
im ES pätiommer vor der 
—— tãglich einen hal · 
Theelöffel voll ger 
—2 Hanflamen bie» 
ten; jonft aber feinenfalls. 
Um bie Darjer Hana» 
rienvögel zum herrlichen, 
leihmäßig ruhigen (bes 
ns zu —— werden 
" meiftens in verdedten, 
und qut verbunfelten 
rY gen gehalten, Wer 
feine Slenntnis dieſer gan · 
kn. ‚Bogeljudt hat, eradı- 
et das erwähnte Beriah« 
= wohl für eine Tier 
auälerei; eine ſolche iſt 
es aber thatfählich nicht, 
denn einerjeits fühlen fich 
die Vögel dabei ja augen» 
ſcheinlich wohl, denn fonit 
würden fie doch wahrlid 
ihren wundervollen Ges 
fang nit mit foldem unendlichen Eiſer üben und amderjeits 
liegt darin auch die einzige Möglichkeit, um fie zu folden 
Gefangstünitlern zu erziehen; wenigftens in lehleres die weit» 
verbreitete Meinung, welde freilich einige der hervorragendſten 
Kenner nicht teilen. Gleichviel aber, wer audy recht habe — id 
will das Syalten der Harjer Ranarien in verdunfelten Stäfigen 
feineswegs empfehlen, nur den Rat muß ich bier anfügen, daß 
man einen foldyen Gaſt, wenn er zu ſehr zu ſchreien anfängt, 
mwenigftend mit einem leichten leinenen Tuch bedede und nur oben 
am Gitter eine Oeffnung freilaffe. Dieſes Berfahren ſchadet 
ihm nichts, Führt ihn aber dazu, daß er wieder rubiger, mit 
mebr Sammlung und größerem Gifer feinen Gefangsitudien 
obliene 
Die Kanarienvögel von den Raffen, welche nicht als Sänger, 
Sondern vorzugsweile oder hauptjädlid als Schmudvönel gehal · 
ten werben, wie es ja im weſentlichen auch mit dem Stanarien« 
vogel von deme iner deutſcher Raſſe der Fall iſt, find im all« 
gemeinen fo zu verpflegen, wie der lehtgenannte. Es find ber 
Nanarienvonel von holländiiher Naife (Trompeter, 
Pariier, Lord Mayor, Brabanter, Brüfleler) und die engliſchen 


Kanarienvogeld muß eine 
ertwandten. ie beſteht der 


in IN! ii) 





Vogelbauer für Kanarienvönel. 





J 


225 


Farbenkanarien (Norwich-, Yorlſhire-, Londoner, jimt 
braune, Lijards⸗· Lancaſhire ⸗ oder Riejenfanarienvogel) und 
außerdem bie lefsteren in allen N ne dur Gayennes 
pfefferfütterung orangerot gefärbt 

Die Holländer werden einfadh mit Kanarienſamen nebft 

ugabe von ein wenig Hanf und die leeren nur mit Stanarien« 
amen gefüttert. 

Den englijhen yarbenfanarien gibt man, falls fie durch 
Sieteefätterung —5*— werden ſollen, vor und während der 
Mauſer ein ichfuttergemilch, welches in folgender Weiſe zu» 
bereitet wird: beften friichen roten Gayennep ‚ feinft gepulvert, 
einen gehäuften Theelöffel vol, bringe man mit einem hart · 
gelochten, fein zerriebenen ühnerei und einer gleihen Menge 
von üßem, ſchwach angefeuchtetem Bistuit zu einem frümeligen, 
feinesfalls ſchmierigen Gemenge zujammen und davon befommt 
jeder Vogel, joviel ald er eben verzehren will, während ihm 
die Körnernabrung mog · 
lichſt oder gar ganz ent» 
zogen wird. 

Es ift felbitverftänd«- 
lich, daß ich bier auf alle 
Ginzelpeiten nicht naher 
er eben und insbefondere 

ih feine Anleitungen 
—* die Züchtung aller 
diefer Stanarienvogelrafien 
geben lann; ich babe bier 
nur die Befihtepunfte ins 
Unge zu faflen, ‚von 
denen aus man dem eine 
rm ——— wie dem 

rchen anarien als 
Schmuckvögel ein behag ⸗ 
liches Dafein bieten fol, 
jo daß aud) der anarien- 
vogeltäfig in der Reihe 
der Naturanftalten in ber 
Hauslichteit voll und ganz 
feinen Plak ausfülle, 
für Die Liebhaber, 
welde fih damit aber 
nicht begnügen, fondern 
auch Anleitungen dazu 
aben wollen, wie 
anarienheden einrichten, 
wo jie die entiprechenden 
Näfige, fFpttermittel u. a. 
und namentlich die ver- 
ſchiedenen Vögel jelber am 
beiten beziehen können, 
feien auf mein Bud „Der 
Stanarienvogel® (4. Aufe 
lage, Magdeburg 1884, 
Preis 2 Mark) verwielen. 


— 





Der geſtitnle Simmel 
im Monat Mai.') 

In diefem Monat 
find die Abende zur Der 
obadıtung des geſtirnien Himmels nod durchweg günftig, obgleich 
in der eriten Hälfte der Mondſchein jtören wird, da am 2. das 
erjte Biertel, am 10. der Vollmond eintritt, während der 
Neumond auf den 24., das lchte Viertel auf den 31. füllt. 

Merkur iit während des Mai nicht zu jehen, denn am 17 
fommt er in untere Honjunftion mit der Sonne. 

Venus dagegen fommt erft 3 Stunden nad ber Sonne in 
den Meridian und erreicht überhaupt als Abenditern ihre größte 
öftlihe Ausweihung von der Sonne. 

Jupiter gebt immer früber unter, man muß ibn baber 
ipät abends in der Nähe des weltlichen Horizonts fudsen,; Saturn 
endlich ift ganz unfidibar. 





*; Auf viele Anfragen teilen wir hlerdurch mit, daß die Eiern. 
farte, melde dem eriten Seite beigegeben war, audı für neueintretenbde 
Abonnenten oder Solche, denen das Blatt abhanden gefommen ift, 
gegen Giniendung von 30 Pfennig In Briefmarken durch die Derlagb: 
handlung dieler Zeitſchriſt zu beziehen ift. 


29 


3 Bum Kopf⸗Zerbrechen. 2» 
Rebus. 





Fin Näffel Goethes. 

Dem Buchhändler Conrad in Gotha danken wir die Mit- 
teilung untenfichenden Rätjels. Er macht zu demjelben folgende 
Bemerlung: Diejes Gedicht fand fi abſchriftlich in ben Papieren 
des verjtorbenen Grafen Friedebald von Saliſch mit folgender 
Notiz: „Ungedrudtes Gedicht von Goethe. Mitgeteilt von Fräu⸗ 
lein Sophie von Schlotheim. 18. Februar 1859. Ihr mitgeteilt 
1828 von Mad. Biewweg geb. Campe. * , 

wei ftile Ece'n, der Himmels reinfte Spiegel 

ohnt ein Geiſt, der Milo’ und Hoheit eint, 
Nicht Bäume, Büſche, nicht begrünte Hügel, 
Des Geiftes Bild iſt's was darin eriheint, 
Und nahſt du dich mit ſtill beſcheidnem Blid, 
Strahlt dir dein eigen Bild verſchönt zurüd. 
Und Perlen wohnen in den tiefiten Gründen, 
Due Fiſcher nur die wiſſen fie zu finden, 

h! daß wir heut’ beglüdt den Einen fänden 
Und ew'ge Feſſeln für den Anbern wänden, 
Der Heimat Bild, des MWiederfeh'ns Entzüden 
Und der Erinnerung namenloje Luſt 
Sie fliegen dann aus froh bewegter Bruft, 
Um uns aus jenen See'n zu beplüden 
Und ewig wünfdgen wir hinein zu bliden. 
Ob! gönnte doch Apoll die lehte Silbe mir, 
Die beiden Erften wirdig zu befingen, 

Und rubten fie, die Luft und Freude bringen, 
Dod) freundlich heut’ auf unfer'm Spiele bier, 


Räktſel. 


Wer Freund der beiden Erſten it, 

Vertrau' dich dem zu feiner Friſt! 

Thuſt du das Letzte aus Herzenegrund, 

Dann biſt du heimiſch im Erdenrund. 

Das Ganze lobt nicht, was hoch iſt und hehr, 
Für Hübſches, Schelmiſches taugt's umfomehr. 


rs eine Knoſpe, mag fie dich erfreu'n! 
Irs eine Wunde, gibt's erneuten Schmerz. 
Ares ein Brief, ſchau, wer es darf, hinein! 
Ars deine Safe, trifft ein Schred dein Herz. 


Der, wer mid liebt und adıtet, 

AR kaum ein Menſch zu nennen; 

Wer mich zu gewinnen tradıtet, 

Muf keinen Ehrgeiz kennen, 

Frau’ dem, der mid verrät, 

Nicht dem, der mid, veritcht. 

Was dir auch beſchieden an Weh oder Seil, 
Bon allem bleib’ ich doch das Gegenteil, 


Das Erſte drüdt wohl mandın Mann, 

Auch wenn er jelbit nicht Schul daran. 

Das Zweite tragen Büffel durch die Sümpfe, 
Das Ganze Hilft dem Griten auf die Strümpfe, 





Derfekräffel. 


Mit e am Fuße — bin ich aus der Dichtung 
Des arofen Meifterd wohl auch euch befannt, 
Gin Mädchen. das bei häuslicher Berrihtung 
Gleich einer Böttin vor dem Jüngling ftand, 
Sein 3 entflammt P ihwärmeriihem Lieben 
Und abnungslos ihn in den Tod getrieben. 
Mit o am gu — erfülle ih nicht minder 
Mit jühen Bildern Phantafie und Herz; 

Oft trieb auch ich bethörte Menſchentinder 
Schon in den Tod — burd ber äuſchung Schmerz; 
Und doch — ich winke, und es legen wieder 
Viel Taufende ihr Scherflein vor mir nieder. 


AXuflöfungen zu Heft 7, 9. 114. 


Birdeutender Fund: Unbaltäpuntte zur Entzifferung 
bieten die Anfannsbuchftaben des Namens des Berftorbenen mit 
der Zahl der verlorenen Buchitaben und das Jahr. Das Jahr 
iſt bezeichnet mit . .C..... V, aljo zwei Punkte, db. i. zwei 
Buchſtaben vor C und fünf Buchſtaben nah C. Ein ‘Profelior, 
dem der Fund vorgelegt wurde, madıte folgende Kombinationen 
und verjuhsweile Jujammenitellungen: Nachdem die Zeitredyr 
nung von der Erbauung der Stadt Rom mit 753 vor Ghrifti 
Geburt beginnt, jo dürfte mit ziemlicher Wahrſcheinlichleit an« 
genommen werden, dak die eriten zwei Budhitaben D und C, 
d. i. mit Hinjurechnung des verbliebenen Buchftaben C 700 Jahre 
nadı Grbauung der Stadt Nom find. Die nod folgenden vier 
Buchſtaben dürften nad der nad) den Eindrüden zu entnehmen 
den Form X fein. Wenn für diefe vier Punkte X angenommen 
wird, jo ergibt fi 40, alſo zufammen 740; dann fommt noch 
ein Punkt und hierauf V. Diefer Puntt kann nur I oder X 
andeuten. Nach der aus den Etiften ꝛc. zurüdgelaflenen Gin« 
drüden entnommenen form dürfte es I fein, daher I und V 
das ift IV 4. Die Bejamtzahl beziffert fi jonad mit 744, 
d. i. 9 Jahre vor Ehrifti Geburt. In diefem Jahre iſt Horaj 
—— Die Punkte bei H gezählt geben 2 joviele Bud» 

aben alö dad Wort Horatii erfordert. aber erieint ent» 
äiffert: manibus Horatii, den Manen des Horaz. — Jetzt 
ergänzen ſich die Buchſtaben leichter. In hac area anno 
DUCXXXXIV caper nimis magnifieus com: (foll offenbar 
eopfert oder verbrannt bedeuten, aljo combustus, was gleich ⸗ 
all& mit der Zahl der verlorenen Buchſtaben ftimmt. I dürfte 
in und F..O fumo bedeuten, woraus erhellt, daß die Alten 
einen großen Wert auf die Entwidelung des Rauchts, als gutes 
Zeichen der Gefälligleit des Opfers, legten, Weiterhin fommt 
der Name desjeninen, dem das Opfer galt, wie ſchon erwähnt 
Horatii, dann eine befondere Spende in Geld, und zwar nases. 
Nachdem dies eine Heine Münze ift, fo dürften die zwei Puntte 
vor D entweder MM oder MD bebeuten; wahricheinlicher ift das 
erste, weil ohnedies ein D folgt und man fonft ftatt zwei D ein 
M angebradt hätte, Daher MMD - = 2500 assen. „IV... dürfte 
dives bedeuten. . Dann folgt der Name des Dpferipenders 
TUMELICUS CLITUS, befien Gigenihaft als callidus tenan 
haralterifiert wurde: ein reicher, lluger, bedächtiger, In jeinen 
Grundſähen feitee Mann, Daher das Ganze: In hac area 
anno DUCKXXXXIV caper nimis magnificus combustus in 
fumo. Immolavit manibus Horatii et donavit MMD asses 
dives Tumeliens Clitus callidus tenan. Zu deutih: Auf 
diefem Grunde wurde im Jahre 744 ein über Die Maßen präd« 
tiger Bod verbrannt, und pwar in vollem Raudye, für die Manen 
des Horaz. Geopfert und noch ein Geſchenk von 2500 Alles 


negeben hat der reiche, kluge, daralterfeite Tumelicus Glitus, 
Ein Schüler des Profeſſors las jedoch die übrig gebliebenen Budy« 
ftaben im Zuſammenhange wie folgt: Ha! a Reh a no (aud 
nob), su Capern is magnific, comifo (comme-il-faut). 
I moan, man hät do das für unmögli calten (g’halten), 


Quadraträtfel: 


Aritbmetifde Aufgabe: 301 Gier, 

Berfehaufgade: Durd Berjehen 
der Budıftaben fann man aus den 
vier Wörtern „Arbeit“, „Jo*, „Eva“, 
„Ihilt“ die Namen „Elifabetb*, „Dies 
toria*, und aus den vier Wörtern 
„Bart“, „Salm“, „ohne“, „Seite“ die 
Namen „Shaleipeare”, „Milton“ er⸗ 
halten, 


Dediffrier- Aufgabe: Nicht an 


die Hüter hänge dein Gert, — Die das 
- Leben vergänglih zieren! — Wer 
befikt, der Terme verlieren. — er im Glüd ift, der lerne den 


Schmerz. 


@3 Der luſtige Geſellſchafter. €» 


(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtommen!) 


Beim Hewehr-Xppell. 

Lieutenant: „Mudletieer Malewöty, 'mal vor! Ihnen en 
doch — der ganze Blodaberg in den Magen fahren; ba 
Eie Sterl Ihre Flinte, Ihre Ehre, Ahr am Se und Gut fc 
weit einroften laſſen, daß ſelbſt das jdärffle Falkenauge nicht 
mal hindurchſehen kann. Feldwebel, notieren Sie ſich den Kerl, 
aber machen Sie ein dides Kreuz dahinter, damit ihm das Stand- 
gericht zum erflenmal klarmacht, was «6 heißt, feine Knarte ver« 
roften lafjen.” 

Treldwebel: „Der Musfetier Malewily hat vergefien, den 
Mündungsdedel von feinem Gewehr zu nehmen.“ 

Lieutenant: „Dann mahen &’ nod ein Streu; dahinter, 
damit ihm das Etandgericht zum zweiten Marmadıt, was cs 
heißt, jeinen Herrn und Meifter ins offene Geſicht zu betrligen!* 


F 
Erkenntnis. 


„Ih nehme mir die Freiheit“ — ſprach 
Ach ſchüchtern zu Amanden, 

Als ih ihr einjt mit O und Ad! 

Hab' meine Lieb’ geftanden, 


Nun ift in zwanzigiähr'ger Eh’ 
Grlenntnis mir gelommen; 

Id hab’, als ich fie freite, weh’! 
Die freiheit mir genommen. 


2 
Deuffidie 5prache. 


Herr (järtlih): „DO mein fyräulein! Was gäbe id) dafür, 
wenn id wüßte, woran Sie jeht denten!* 
Dame: „Vielleiht genügt es Ihnen zu erfahren, woran id 
nicht dente.* 
er: „Und das wäre?* 
ame: „Ih denfe nicht daran — bie Ihre zu werden.“ 


* 


Gipfel-Firagen. 


1. Bas ift der Gipfel des Aberglaubens? 
Wenn man feinen Roman Freytags lieſt. 
2. Was ift der Gipfel der Eigenheit? 
Wenn man den Staub jogar von dem Flügel — bes 
Schmetterlings wiſcht. 
3. Was ift der Gipfel des Deipotismus? 
Wenn man nit einmal feine Briefe freimacht. 


> 


Aus dem lateinifhen „Sxercitienheft des Duintaners 
Frig Vfiffg. 
(Fortiehung.) 

Nil admirari — Das Nil-Wunber. 

Post nubila Phoebus — Phoebus fährt mit der Wollenpoft. 

Nemo fit casu beatus -- Dur einen Käſe wird feiner 
olüdlih nemadıt. 

Juste vivas — Jufte, du ſollſt leben! 


* 


Im Theater· Foyer. 


Wiſſen Sie ſchon? Unſer Theater Hat jetzt eine Zugkraft 
allererſten Ranges gewonnen. 

Sie machen mich — Darf man den Namen erfahren ?* 

„Der Name thut nichts zur Sache, die im Rede ftehende 
Zugkraft it — ein drefjierter Odhle.* 


Menſch und Bier. 


Es ift zwei Uhr madhte. Draugen ſtürmt und regnet es. 
Doltor M. ift eben von einem Strantenbefuhe nah Haufe zurüd» 
nelehrt und im Begriff, ſich niederzulegen; da Mlingelt es von 
neuem, Mikmutig öffnet er das Tyenfter: „Was nibt's?* 

„Herr Dult'r komme Se ſchnell ze meiner Bäuer'n, fe is 
wieder ſchwer frank!“ 

„Nun, Jochen, wo haft du das Geſchirr?“ 

„Do hab’ id) feens mit. Wos denke Sc denn, bei fu än’ 
Saumetter jieht mer dod kee Pfärd aus'm Stalle.* 


“ 
WMylhologiſche Betrachtung. 


Daß Venus aus dem Waſſerſchaum 
Eimporitieg, ſcheint mir glaubhaft faum, 
Ja, wärs Champagnerſchaum geweien — 
Das ließe ih ſchon cher leſen. 


» 
Fatal. 


Der Meine Fritz ift mit feiner Mutter im Geſellſchaft und 
läßt ſich alles vortrefflich ſameden. 

„Aber Frihchen,“ jagt die Mutter, als er das dritte Stüd Kuchen 
verihlang, „du verlangit zu Haufe nie ein zweites Stüd Audyen ?* 

„Weil ich doc keins befüme,* 

„D,” fagte eine der Damen, „doh nur, wenn bu nidpt 
artig warft 1“ 

„DO nein,* jagt Fritzchen raſch, „wir haben nie ein zweites. * 


v 
Probat. 


Stubiojus Pfiff fteht vor dem Framen, fit deshalb oft zu 
Haufe, um zu ochſen; zu feinem grökten Werger wird er aber 
Dabei durch die Beſuche feiner Aommilitonen geitört. Um fie los 
zu werden, ſchreibt er mit großen Yettern an jeine Thüre: 


ICH OCHSE! 


s 


Auf einen V lagiator. 


Die Stahblfeder gebraucht er fo foyal, 
Daß alle Welt es wei: die Feder ftahl. 


’ 


Mißwerſtanden. 
Wie ut es Ihnen, Kerr Profefior, jeitdem Sie in Frant . 


furt wohnen?” 


„Id danke, ich habe Ausſicht auf ein ſehr gutes Geſchäft.“ 
„Sie und Geihäft?! Was joll das beihen?* 
„Das ſoll heißen, dag — Rothſchild mir vis-A-vis wohnt.* 


v 


Fogik des Teichlſinns. 


Zeit wäre Gelb? Verkehrtes Wort! 
te bab’ ich Geld, Zeit immerfort. 


» 
Ruch eine Auſchauung. 


X.: „Mt Ihr Arzt Homdopath oder Allopath? 
D.: „Der is Allebad'; denn da mag een'm fehl'n, was will, 
gebadet wärd'r.* 


228 
Schadaufgabe Ar. 4 


von 9. von Düben in Zandbskrona, 


$Föfungspreisaufgabe. 
(Shwarz.) 








(Weig.) 
Weiß zieht an und feht in vier Yligen matt. 
Diejenigen, welche die richtige Loſung diejeß Problems bis 
zum 30, April an die Redaltion einjenden, erhalten in freier 
Zuſendung je einen Band der „Collection Spemann“ nah Wahl. 


Föfung von Ar. 2. 
Die Unterfhrift diefer Aufgabe muß heißen: Weiß zieht an 
und febt in Drei (midht in zwei) Zügen matt, 
1. Ka7 — a6 eT— de: 
2. Lea — d5 c6 — ds: 
3. Dd2 — c3 matt, 


Föfung von Ar. 3. 


1. Tes — g6 Ket — f5: 1... ..... Ke4ı — ds 
2. 817 — de matt. 2. Les — c6 matt. 
Ke4 — f3 


Fingelaufene Löfungen. 
Nr. 1 wurde ferner gelöft von G. H. in A. Dr. O.M. int. 
Ar. 3 wurde gelöft von I. Geer in Nördlingen, W. Licb- 
mann in Leipjig, Schmaberer in Ingolflabt, Dr. G. Sohn in 


Hamburg, 
Briefwedfel. 


Mi. H. in Hall. Unter Gambit verficht man das Preis» 
geben eines Bauern (mitunter in Verbindung mit dem einer 
Figur) zur Grlangung eines nachdrüclichen Angriffs vermöge 
rapider fyiaurenentwidelung. Die Bezeichnung fommt von dare 
jl gambetto (ital,): ein Bein ftellen. 

D. 8. v. D. in Lüded. 
wenbbar. 

>. 6. in Mördfingen. Ebenſo 

6.38. in £ Sie haben Recht. Die Bedingung der 
Schachauſgabe Nr. 2 in Heft 6 muß heiten: „Weiß zieht an umd 
ſeht in drei (nicht in zwei) Zügen matt“. — In Beile 10 unter 
„Aus der Schachwelt“ lies: M. Bier (Matt Bör);, beim 11. Zug 
der Schahpartie Ar. 1 (ftatt Lfi — b5) Ld3 — bB. 


Milteilungen aus der 5chachwell. 


Die Augen der gefamten Schachwelt find gegenwärtig auf 
Norbamerifa gerichtet, weil die berühmten Matadore W. Steinik 
und 4. H. Yulertort (abgefehen von dem amerifanifden Cheß 
Ghampion Kapitän George H. Madenzie) ſich dafelbft aufhalten. 
Beide geben Blindlinge» und Eimultanvoritelungen in ben 
Schachtlubt, jo zu New Nork, Philadelphia, Chicago, Et. Youis, 
Dabana, Yım Orleans, Zulertort pflegt bis zu 12 gleichzeitigen 
Blindlingepartieen und bis zu 30 und mehr Simultanvartieen 
(nleichzeitigen Partieen am Brett), Zteinig bis zu 8 und bey. 30, 


schach. — £. von Pröpper. Zeitgemäßes aus Kühe und Baus. 


Madenzie bis 30 und 2 ühren. Steini die 
tr m! 
w 

bu mr zu Paris hat am 2 x er ein von 

on! legrabh begon vier 

geliebt von * — ug; Gelamteinjag 4000 dran; 

feine Koften bat jeder Alub felbft zu tragen. — 

Der „Deutihe Shahbund* umfaht 9 Schachvere ine 

mit 2300 Mitgliedern. Der nädjite — im Jahre 1885 

zu —— ftatt. Dem Bunde nicht angehören weitere circa 

Aubeı m Juli D. 9. der beit Rongerh Des Cawrfbentigen 
Ehaybundes flatt. 


Zeifgemäßes aus Kühe und Haus. 


Bon Ss. von Pröpper. 





Rezepte für den Mai. 


Einfache Jüsfuppe mit Cidottern Man fhneide 
,k Nindfleiſch zu groben Würfeln und gebe es nebit dem 
nötigen Salj in einen trodenen, ſehr erbikten eifernen Topf, 
dede ihm feit zu und lafle das Fleiſch etwa jehn Minuten lang, 
unter öfterem Umſchüneln dämpfen, wonah es in jeinem 
Saft liegen wird und man ben Zopf nun offen läßt, damit der 
Saft verdbampfe und fib am Boden eine braune Mafie bilde, 
welde man, während diefes Abdampfens beftändig, aud etwa 


' zehn Minuten fang, mit einem Löffel umrühren mu, daß fie 


nicht anbrenne. At fie nun ſchön braun, fo gieke man 11, bis 
2 Viter lochendes Waſſer daran, De Suppengrün hinzu und laſſe 
es eine halbe Stunde foden, ziehe die Suppe mit einem Ektöffel 
Kartofielmehl ab und gebe fie durd ein Sieb in die Terrine. 

Iekt babe man rohe, recht friiche und wohl abgewaſchene 
Gier, brede fie auf, giehe das Weihe ab und lafje nur das 
Gelbe in einer halben Schale, flelle die Eier, um fie zu halten, 
auf einen Zeller mit feinem Salz und ferviere fie jo zu der 
Suppe, die aber jehr heiß fein muß, damit die Dotter darin 
etwas fleif werden können, Um die Eier aufzubrechen, daß fie 
einen glatten Rand belommen, bediene man fidh eine® ſcharfen 
Meſſers oder noch beſſer einer Yaubfäge und ſchneide das Häut« 
den dann mit einer Schere durch. 

Ramenauins. Man rühre 105 g friſche Butter zu Saum, 
dann fünf Eidotter, 45 geriebenen Parınefan« und 45 g Echweijer« 
fäle und eine Meine Zafje ſüßen Rahm binein, . den 
Schnee von acht Eiweiß, fülle die Maſſe in Papierfapfeln, bade fie 
in frifcher Ofenbige und jerviere fofort über einer adıtedig 
gefalteten Servictte. - 

Rinderbraten auf franzdfiijhe Art (Boceuf à la 
mode & la Jardiniere). Dan durdjiche etwa 3k Schwanz« 


Süd eines jungen Ochſen mit fingerbiden und fingerlangen 


Die Stellung ift nicht ver | 


Speditreifen, melde in eine Miihung von Ealz, geſtohenem Ge 
würj, Majoran und geriebenen Zwiebeln gemälst worden; lege 
dann in eine Staflerole zuerft feine Epedicdeiben, darauf das 
Fleiſch und über dieſes Salz, Gewürz, Yorbeerblätter, Citronen« 
ſchale und einiges Wurzelwerk und gieße U, Liter weißen Wein und 
N, Liter Fleiſchbrühe daran, thue einen recht feſt ſchließenden Dedel 
auf die Taſſerole und lafie das Fleiſch fo langſam ſchön braun 
dämpfen; richte es nun auf erwärmter länglier Schüſſel an 
und umlene es mit, wie gewöhnlid abgelodhten und mit feinem 
Bat zu Bündchen gebundenen, fchönen Spargeln, weldye man, 
die Köpfchen nad oben, ſchräg an den Braten anlehnt und jedes 
Bündden mit einer Ihönen, ebenfall& in gejalgenem Waller ab« 
gelochten Blumentohlrofe trennt; die Sauce wird durch ein Sieb 
gegoflen und in einer Sauciere zu dem Braten jerviert. 
Spargelpüree mit TZaubenloteletten. Dan ſchneide 
wie gewöhnlid gepugten, dünnen Spargel, fogenannten Brech⸗ 
ipargel, in 1c lange Stüde, ode fie in Wafler mit etwas Ealz 
gehörig weich, lafje fie abtropfen und treibe fie durch ein Eieb; 
vermiſche fie, wenn es ein Suppenteller voll ift, mit 60 g Butter 
und dem Sajte einer halben Gitrone und rühre es über dem 
feuer, bis es ſich mit der Vntter qut vermifcht —— 
Außer zu feinem gebratenen Geſlügel gegeben, eignet ſich 
dieſe Pürce auch zur ſelbſtändigen Schüſſel, wenn man fie mit 
Giern und Groutons umlogt oder mit über den finger gerollten 


| Scheiben von robem Schinken oder grräuderten Yads, und es 


fönnen auch die Spiken von neihohenem Spargel, der aber 
nod feine Eritenyweige haben darf und etwa dc lang ab« 
neihnitten worden, jchr gut dazu benubt werben. 


Weltpoſt. — Inferaten:Unhang zu 


% Weltpoft. 


Dad Breiörätfel in Heft 6 hat noch 
die nachſtehend verzeichneten Loſer gefunden, 
bei der Werlojung der nal bat fi fol- 
gendes Refultat ergeben 

Den 1,—6. Preis, beſtehend aus 
je 5 Bänden der Collection Sp 
mann erhielten: 

U. Lehmann, Dresden, 

ge Wegerftorfe, Wien, 

— EHEIMERN, Schwenningen. 
- Budde, Herf ford, 
dei Gar, amburg. 

— Uhlich, Ghemnik. 

Den T.—12. Preis, eſtehende aus 
ie 3 Bänden der Collection Ep 
mann erbielten; 

Jeannete Furoht, 

Dr. Witt, Botba 

Feldmann, Altona. 

Paul Dietirih, Deutih Liſſa. 


Wien. 





4.6 ellmutb, Arnſtein. 
Paul Mareſch, Wien. 

E. F. in W., ©. in Nieder-W., R. 
in &,WM.in®B,U.9inD, ©. 
Sch in BB, HR in M. Dr... indQ., 
2.8.18, RX in Uh L. B. in Et, 
8.8, HM in, © 2. in 
D,I Eh. inR,O®.v2.inP,G 
ed. in H., U. T. in 9,3. T. in®, 
F. W. in Ei, 60. inte: in 
St. G Frau Ed. in * B. in A 
a.» in D. bei $., in F. 3. 
S. in®. —BR— B in X, 
ẽ cq ia a. F. 5 Es W. 5%. in 
®. 9. ©. in B, ‚2m 2, 68. 
in D, Brüder © jr 3:3 ME 8. 
9.9 in P., ESt inch, A. M. in B. 





Fortſegung ſiehe nächſte Seiten 





Seidenltoffe 


&Birert — hne Smilrhenhbündler). 


i 


arbi 
Geflreif 
Weihe Failles und Taffele . 
Schwarze und farbige ganz fe 

verfende in einzelnen Roben und ganzen Stüden porto: und 


Failles und Taſſete 


Pr 


Mufter umgehend zu Dienften. 


Zürich (Schweiz). 


Band 60. 


= | Mit dem jorben erſchlenenen achten Bande liegt vollftändig J 
= vor die zweite, bis zur Gegenwart fortneführte Auflage von; 
| Ill a 
| uftrirte n 
* | > ; — 
— rg 
it = 
= unse 
z Begrüindet von Held und Corvin, fortgeführt = 
= von 2. F. Dieffenbadh, Prof. Dr. ®. Dieftel,. an 
= Profeifor Dr. ©. Kämmel, Dr. €. Lammert, 
| #® 3.8.Bogt, Gumn »Direftor Dr. B. Bol ıc, 8 
dm: Mit über 2500 Abbild., Tontaieln, Karten x S 
e: In vier Ausgaben beziebbar : 1) In 142 Ye = 
m ferungen a 50 Pf 30 Ir. 2) In 24 Lie ı x 
— ferungen a — Ufl. 80 tr. 3) In adi E 
|. = Bänden, geheftet. 4) In adıt Bänden, in. * 
» Halbfranz gebunden [1206] : * 
— — Beflellungen nehmen ale Buhhandlungen enfgegen. = 7 





warzj- und weiffeidene Atlafe 
warzfeidene Failles und © i 
warzfeid. fevantines, Safins-£urorn. Satin merveilfenx 


te und carrirte Seidenfiofle 


„Dom Fels zum Meer”, III. Jahrgang, Heft 8. 


(ollechon Spemann 


Preis des gebundenen Bandes M. 1., franlo per Poll M. 1. 25. 
brachte inzwiſchen folgende neue Bände: 
Briefe von Wilhelm von Humboldt an eine Freundin. Band 1, 
Mit einer Einleitung von Ludwig Geiger. 
. 61. Bergil’d Werte. Band 2. Aeneid. Mit Einleitung und Anmerkungen 
bon Dr. Hand Dütfchte. 


Dei Bejtelung genügt Angabe der Banbnummer. 































N —— von M. 1.25 bis M. 13.50 pr, Meter 
affete. . an: ©. | GE: ı ©: : Vo 
DON ur BE 
= ; 2 von M. 220... 860 5% u 
>» © E80 2 Be 
i u 05 a 660 ö 
idene Damafle. R =» 28:85 „ 14.50 


jollfrei in’s Haus, 
Briefporto 20 Pi. nad der Schweiz. 


G. Senneberg’s 
Seidenftoff-Fabrif-Depöt. 
Königl. Hoflieferant. 









Inferaten:AUnhang zu „Vom $els zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 8. 






Rusgabe 9) 

niit ripiefung, 

hervorragender Germaniften 
herausgegeben von 


Iofeph KRürſchner. 
Verlag von 
@. Spemaun, Berlin m. Stutigert. 


—— 


Die neuelten Bände enthalten: 
BP. 30 u, 31, see fämtliche Ge⸗ 


dichte. Mit Bi » &ronologi 
Zabelle u, ſ. w. Oeb. * — 


Inhalt ber Bände 1-27: 


Glieder 
objiade”., : 
Öben, gereimte Fabeln etc. 


ron ac.“ (Merle 2. Band.) 9. Grim⸗ 
mel&sbaujens „‚Simplicianifäe 
Schriften“ Bd. 11. GBüntbers Ge 
dichte. Bd 


m R. 
rud!) 
.29. Abraham a S. Klara „Judas 
der Erzichelm, * 6.0. Bobertag. 
Die „Deutfche National-Ritteratur" 
if die einzige nad einheitlihem Plane 
angelegte wifienihaftlihe Ausgabe der 
sılamten deutſchen Litteraturichähe von 
ihren Anfängen bis zur Neuzeit. 
Die „Dentfche Rational-Litteratur‘ 
we ſich dabei durd; mufterhafte Aus⸗ 
attung und eminent billigen Preis aus 
(die Dfg. A 6—7 Bogen nur 50 Bf. !} 


Die „Deutſche National-Litteratur' 
ift ein nation Unternehmen don 
rgenb eineß Grmelngi 





gegenüber 
der 
Sch loß · 
ruine 
































Sa y 


Unmittelbar über dem Nedar, 15 Minuten vom Schlof und 10 Minuten dom der 


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Friedrid Spitz. 


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schule {Ar Masik 


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Stuttgart, Reinsburgftraße 34, TIL 
Klavier: die 9.9. Prof. Speidel, 
Röder, Blattmacer, Frau Größler- 
— und Fred, Grauer. Kunſtge- 
ang: Her N. Emmerich. Violine: 
err Hefmuſtkus Duſt. Sioloncell: 
dert Hofmufitus Sei. Orgel: Herr 
- int, Tonfak: Herr Profejlor 
Speidel. Enfembleipiel: die D.H. 
SL KHünzel und Seig. — 
ginn des neuen Gemellers am 
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BOSHUNSWORRENSEES 


Weltpoſt. — Inferaten-Unkang zu „‚Dom Fels zum Meer‘, III. Jahrgang, Beft 8. 





Wormfer Brauer:-Nkademie. 








W. v. B. Fin, Programm und Auskunft für den nächſten Curſus zu erhalten durch die 
‚@. int, 6.9. in [1221) Direktion Dr, Schneider. 
i Ge 5: a 8 5 ETET PS YATE — ſſ11— 
Em in’A., — Blutentmiſchung. 
nB,®. in H.. eht die normale Verwandlung der Nähritoffe in Blut nit i öri 
.6.5S.in vor fi, jo weicht die Jufammenfekung diefes ——— — che 


a: lihen Zuſammenſetzung ab und Aranfheiten, wie Scropheln ode bercul 
\ 3. Ein 2.0 find däufig die Folgen. den phe x Tuberculofe, Flechten etc. 
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JA. in B.. 6. * Die Urſachen, welche vornehmlich dieſe Blutentmiſchung hervorrufen, find: end 
R. B. in 8 B. J erbliche Anlage, indem der Nachtomme mit einer ſchlechien — nthatt fans 
in B. W. d. in von Geburt an ausgeitattet ift oder zweitens, und diefe Urfache ift wohl die häuflafte, 
‚GR. in 9., Dr. | wird die fehlerhafte Blutbildung durch eine unrichtige ober leichtſinn ige Lebene weiſe 
‚ing, D. in®, erworben. 

Dr. %. Sch in®., ®. So find aufer jenen, die ihre Gefundheit durch Selbſtverſchulden, Gebraud von 
6, 3.2Bin 2,4. Jod und Duesfilber zc. untergraben haben, aud alle diejenigen, welche eine vorwienende 
Sp., C. K. in®, figende Lebensweiſe führen (ſtaufleute, Beamte, Gelehrte zc,) und ſich nicht genilgend 

9 C. ©. in Ö,, Dewequng in freier Duft machen, ferner Mädchen und Frauen, welde durd Nähen, 

:@.W.in®B, R. B. Stricken, überhaupt Handarbeiten den Tag verbringen, ſeht leicht zur fchlerhaften Blut» 
, D.R. in ©., Prof. bildung geneigt und fie ift bei Dielen thatfählih vorhanden, ohne daß den fie be 

Kin D. AD. in®,, gleitenden Erſcheinungen bie nöthige Beachtung geſchentt wird 

A. M. in 8 C. © i Da num ein fehlerhaft zujammengejehtes Blut ſchlecht⸗rdings nicht den normalen 

& 2,90%. ink, F. Lebentzreij auf die Nerven ausüben fanır, jo muß die ganze Gejundheit darunter leiden 

‚ind. M. A in Ch., und einem Heer von Srankheiten wird ein frudtbarer Boden vorbereitet. 

H. B. in NR, M. M.i Der Bedeutung des Biutes nun bat der langjährige Chefhoſpitalarzt Dr, med. 

Sch. H. nn ſt. R. R Liebaut feine bereits in 12. Auflage erſchienene Broſchllre „Die Regenerationstur* ges 

ng,v6, in, 4. widnet, erhältlib A 50 Pf. in Stuttgart bei X. Ullrich's Buchhandlung, Eberhards- 

Bine, Min D, ſſraße 55, und find wir überzeugt, daß Jeder, welder an Blutentmifhung leidet, diefe 

‚in®., Frau ed. i äuferit Ichrreihe Broihüre mit höchſter Pefriedigung leſen und durch Befolgung der 

,‚3.3.nR, 6. Sch. J darin gegebenen Racthſchläge ih auf einfahe und bewährte Weile wieder in den Moll» 

nt, M. F. in St. F. bett feiner Gejundheit ſehen far. [1178] 

Ed. in St., E. F. ın == — — — 

‚Dr. 2. in H., 8%. in . on 

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‚Yrau@ inN, M. 

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eg (Biliner Verdauungszeltchen) 

; = “s Amer bewähren sich als vorzügliches Mittel bei S0d- 
.®.in®W., 6. PR brennen, Magenkatarrhen, bei Ver- 
in $., rau @. in R., dauungsstörungen überhaupt, wirkenüber- 

b nn ee raschend im kindlichen Organismus und 
6.%.nB, 0. R sind bei Atonie des Magens und Darmcanals 
5. 9.10%, ©. zufolge sitzender Lebensweise ganz besonders 

- ni 's. — ®. 2 anzuempfehlen, (798) 

4A. Sch. Dr. 2. — Depöts in allen Mineralwasser-Handlungen, in den 

J nn er" nn Apotheken und Droguen-Handlungen. 

— Brunnen-Direction in Bilin (Böhmen). 

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R. W. in D,v. 19.6, Brüning, Frankfurt a, IR. Anerfannt beites Enthaarungk · 
W. RM. B. inH., mittel, giftftei, ganz unſchädlich, greift die zarteſte Haut nicht 

in H. Dr. 8. in Jan und ıft dekhalb Damen ganz bejonders zu empfehlen. Das 

‚in 9., €. 2. in 9. Pulver, mit Waller iu einem Brei angerührt, wirft mild er. 

2. in 8, € 2. in weidyerd veip. auflöfend auf die Haare und kann zur Gmt« 
9. D. in B, W. 9. fernung der ſtärkften Bärte verwendet werben 

B,R.AG ins, Edugmarle we Es iit das einzige Mittel, welches ärztlich 

rau H. inh., U. Sch empfohlen wird. m 
ER 8. ine, Sch. Drisinaldoie a ME. 2 „ PReoberofe a Mt ı ‚ der dabel ju verwendende 
.Min®B,I8. Biniel ME 25 [1222 
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Weltpoſt. — Inferaten-Unhang zu „Dom Sels zum Meer”. III. Jahrgang, Beft 8, 


% Weltpoft. 


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Allgemeine Beifun 
(mit wiſſenſchaſtlicher Beilage und Handelszeitung) 
früher in Augsburg erfchienen 
ift in Deutſchland und Oeſterreich durch die Poflanftalten für 9 Mart vierteljährlich (6 M. für 
die 2 legten Monate, 3M. für den legten Monat des Quartals) zu beziehen. Preis bei 
direeter Berjendung unter Streifband monatl. AI. (M. 5. 60 für die and. Länder d. Weltpoftv.) 
Quartalpreis bei wöchentl. Verſendung im Weltpoftverein DIE. 14,40, außerhalb des. ML. 19,50. 

Brobenummern neoft neueftem Quartal-Regifter gratis. 
Zeitartitel, wiffenichaftliche und handelspoltitiſche Aufläge ze. ꝛc. in Nr. 316 bis 322. 

Das Lorbmayor-Banfett. — Yur Orientirung im Dften. (LII.) — Die neuen Bezic- 
—— Spaniens zu Deutſchland. — Das friebenägeläute. — Die Heere und die Schulden 

uropa’s. — Die Heorganifation der bayerijden Staatsforftverwaltung. 

Die jhönen Tage in Rheinsberg. Bon R. Waldmüller-Duboc. — Dr. Anton Mayers 
Buchdrud ergeſchichne Wiens 1482— 1892, Bon Dr. ſt. v. Scherzer. — Cine Geſchichte der 
directen Steuern in Bayern. — Engliſche Reden und Schriften zur Luther ⸗Feier. — Gin 
Schweizer Etaatiinann als Prediger. Bon H. Blum. (111) — Giebener Studien über 
Maria Etuart. Bon W. Onden. (V. Edlufartitel.) — Die Gemeindewirthſchaft und der 
Bauer in Rußland. Bon Dr. E. Petri. — Briefe aus der Reihahauptitant. — Das 
römiſche Pantheon. Bon A. Schöner. — Ein italieniiher Patriot, Bon G. Weber. (111). 
— Zur hiſftoriſchen Erforſchung der deutſchen Sprache — Das Aftrophyfitaliihe Obier- 
vatorium bei Potsdam im Jahre 1882, — Die LuthersfFeier in Genf. 

Leitartitel, wiffenichaftliche und handelspolitiſche Auffäge c. 2c. in Wr. 323 bis 329. 

Die Bistyumsangelegenbeit in der Schweiz. — Die Reiſe des Deutſchen Kronpringen nad 
Spanien. (I.) — Der boeniſch · herjegowiniſche Bijchofitreit. -- Der Aufftend im Eudan. (IIL.) 
— Die Probe auf die Goalition. — Wiederum die deutſche Artillerie frage! — Die mili» 
tärijche Lage in Zongling. — Hafiandra-Rufe des Figaro“. 

Das römijhe Pantheon. Bon R. Schöner. (II) — YXebenserinnerungen von Ludwig 














bu dv. Anonau 1769— 1841. — Bom alten und vom neuen Wien. Bon. . (HIT V.) 
— jrünfzig Jahre ruffiiher Verwaltung in dem baltiihen Provinzen. Amonio oſo 
und Leonardo da Vinci. Bon E. Foörſter. — Die Aeſthenit ber — Die ie 
Ziegelfabrifation und Arhiteltur in Norbbeutihland. Bon Dr. 5. B. Rorbhoff. — Die 
iafienijchen Univerfitäten in der Vergangenheit und Gegenwart. — In der Jahret- 
Dämmerung. Bon U. v. Schweiger ⸗Lerchenſeld. — Zur deutſchen Romanlitteratur. ¶ F. Dahns 
„Bifjula*.) Bon U. Horawitz. — 9. v. Reumonis Lorenzo de’ Medici. Bon H. Hü 


Der Entwurf eines Reichtgeſetzes Über Actlengeſellſchaften und Gommanbitgefellihaften auf 
Uctien. Bon Frhr. von Bö borff. 

ndelö, Bant- und Börjenzuftände in yranfreih. (Budgeldeficit. Steuerverfuge. Han · 
belsbilany und ——— — 
Leitartikel, wiſſeuſchaftliche und handelspolitiſche Auffäge ꝛc. ıc, in Ar. 330 bis 336. 

Zur Lage in Aeghpten. — Die Stataitrophe im Suban, — Die Reife des Deutihen 
Kronprinzen nad) Spanien, (IIV.) — Allgemeiner Deutſcher Bauerntag. — Die hiſtoriſche 
Linte in Italien. — Aus den Vereinigten Staaten von Nordamerifa. — Die deutſche Sprade 
in der Öfterreihiihen Armee. — Die Ausſichten der preußiſchen Finanzpolitik. 

Das romiſche Pantheon. Bon R. Echöner. (III.) — Zur Landioirtbfeaftligen ge. (I/II.) 
— Bom alten und vom neuen Wien. Bon 2. Herbert. (V.) — Die Piyhologte im Dienfte 
der ag — Erinnerungen an die Großherzogin Alice von Heſſen. — Yrany Xaver 
Ritter v. Millofih. — „Unter drei Aönigen.“ Bon ©. Mylius, (TIL) — Dr. Säliemanns 
„Zroja*. — Briefe aus der Reihähauptitabt. — Aquarelle von Ed. Hildebrandt. — Neue 
photographiiche Publicationen von U. Braun, Bon W. Lübke. 

Die Frage des Malzaufihlags in Bayern. Bon Profeffor Georg Schanz in Würzburg. — 
Eind jiherungsgeielichaften auf Gegenfeitigteit oder Berfiherungs» Actiengeſell ſchaften 


vorzuziehen ? 
——— wiſſenſchaftliche und handelspolitiſche Aufſatze zc. ꝛc. in Nr. 337 bis 343. 
Die Reife des Deutſchen Sronprinzen nah Spanien. (VIIX.) — Wird Bulgarien felb- 
ſtändig werden? (1) — Die neue afrilaniihe Armee Franfreihs, — Die otihaft des 
räfidenten Arthur. — Zur politifgen Situation der Philippinen. — Eocialisinus in 
land und Defterreih. (1.) — Das öjterreichtihe Budget für 1884. 
eran. Bon 2. Eteub. — Das römiſche Pantheon. Von R. Schöner. (IV. Schlußartitel.) 
— Geoffrey Chaucer Werke. Von E. v. Dindlage. — Dr. Eteders Rüdkehr aus Wfrika. 
— „Unter drei Aönigen*. Bon DO. Mylius. (III. Schlubartifel.) — Mündener Aunft. 


. I Bon Fr. Pecht. — Bernhard fFrhr. v. Wilerbiorf-lirbair. (Netrolog.) Bon Dr. A. v. Scherger. 


— Eine neue Rechtsphiloſophie. — Riehls „Land und Leute“, — Kutharina II. — Dich 


‚ tungen in —* Mundart, — Vom alten und vom neuen Wien. Bon 2. Herbert. 


(v1. Sclufartifel.) 

Handeld«, Bant- und Börjenzuftände in Frankreich. (Die Verhandlungen über den Suez- 
Ganal.) — Die Aſche der Millionen, 

Keitartitel, wiffenidaftliche und handelspolitiſche Auffätre ꝛc. 2c. in Nr. 344 bis 350. 

Wird Bulgarien jelbitändig werden? (II) — Gocialitmus in England und Oeſter ⸗ 
rei. (II) — Die nationale Strömung im deutf-böhmifchen Voltsflamme. (nu) — Die 
Reife des Deutihen Aronprinzen nah Spanien. (XXIL.) — Auswanderung nad) Ghile. 
Die fpanifche Kriegämarine. 

Ein neues Völferreht von einem ruffiihen Rechtegelehrten. (111.) Bon Dr. 2, Geßner. 
— Zwei öfterreibiihe Wolksditer. Bon B. Walden. — Beriht der deutſchen Gholera» 
Gommiffion. — Uriprung und Finheit des Menſchengeſchlechts — Weihnachtegaben deuticher 
Kunft. Bon Fr. Pecht. — Eine Zurgenjew- Studie. — Erinnerungen eines deutſchen 
Dffiyierd. 1848-1871. Bon F. Biedermann. — Yu Dr. Schliemanns Entbedungen. — 
Die päpftlicgien Archive — Carmen Sylva's neuefte Dichtungen — Naturhiſtoriſche Muſeen 
in Nordamerika. Bon RE. A. Zittel. — Aunftlitteratur, Bon Fr. Pecht. (1228] 

Handels · Banl- und Börjenzuftände in Frankreich. (Staatsfinangen, Börkendisponibilie 
täten am Jabrebende. Börien-linfäle) — Ueber Bermnitunasfoiten deuticher Vebent- 
verficherungsgefelidaften. — Der Malzaufichlag, die Hein n und großen Brauereien in Bahern 


Aufträge für Streifbandfenbungen an die „Expedition in Münden’, 





Weitpoft. — Inferaten-Unbang zu „Dom $els zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 9. 


“ Weltpoft. 6 


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Vereinigte Sanitätsapparaten-Fabriken 
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nent gebabet werd. fanın, 
ohne das loſchen zu 
müſſen. Regulirung des 
Badewaſſers auf jeden 
gewinidt. Wärmegrad, 
Schnelle Heizung. Er- 
plofton ausgejchlofien, 
Babewannen im alleıt 
Grögen, Façons und 
Ausjtattungen. ut 
badewannen, Geruchloſe 
5 Bimmer-Giofets. 
Garten- und Haus: 
feneriprigen x. 


finngetreu und formell bem Original nadı« 

Aehend ind Deutſche zu überjeen. Unter 

den zahlreichen Weberjeßern, die infolge» 

Ss die Feder anfehten, fand fi auch 
ürger, 

Bellen Dant für bie gelungene Yöfung, 
welche Sie und zugänglich machen:; 
Wenn von Allen, die Dir einft ebenbürtig 

im Siebreiz, 
Keine die Deinige wird; — die Deinige 
rd 


wirb. 

Vielleicht verſuchen aud nod andere 

unferer Leſer die Aufgabe zu loſen 

Bonnent A. in £. If uns leider 
unmöglich zu beantworten. Weiß vielleicht 
ein Zarofjpieler unter den Leſern wer ger 
winnt, wenn bei einem Ginier-Spiele der 
Spieler 35 und 1 Blatt, die beiden Partner 
4 und 2 Dlatt haben? 

A. ». in F Das gewiſſe W.r 
Romane* find? Das wiffen wir auch nicht, 
verfiehen überhaupt ihre Ftage abjolut nicht. 

in 
























u. 5. A. „Yinb und Tieblid 
feudtiet ber ig natürlich, nun firdmt 
fie herein die wäflerige Flut der unfeligen 


hlingälieder und Sie ſenden bie erfte 

elle, noch dazu mit gereimter Empfehlung, 
in der von den mandherlei Gaben, die wir 
empfangen, verfiert wird: 

Denn Verſe jhhmiedet jeht ein Jeder 

Und leider ſind fie oft von Leder. 
Das iſt nun nicht ganz richtig, denn wenn 
auch mander Etiefel zufammengeichrieben 
wird, braucht er doch darum noch nicht von 
. Ihre Frrliplingklieder find 

als altuell, denn heuer des 
„Winterd Gram und Schmerzen“ zu ver- 
geflen, war nicht ſchwer und der „flarre 
troßige Geſell? hat uns doch wahrlich 
nicht viel zu ſchaffen gemagt, Warum 
alſo die Aufregung? Die ewige Phrafe 
von ber „Trauer*, weldye der Winter mit 
fi führe, war früher begründet, in unfrer 


ohne Wwafle! 


Eraft eingeihofien ine, / 
—— 





olit Mehles, Baffen⸗Fabrit 
erlin W. i Friedrichftr. 150. 























% Weltpoft. 


mobernen Welt hat fie feine Giltigleit 
mehr, denn die vergnügungsiüicdhtige Menjdh» 
heit hat allerlei Eurrogate der Freude ge« 
funden, um ſich über die ben Tage 
binwegzutäufchen. 

€. P. in Mi. Als Sie Ihren „Abend- 
gefang* anftimmten, muß es in Ihrem 
verehrlihen Schädel auch bereit® bämmerig 
neweien fein. Warum des „Ywielidts 
Heiz” „Träume um ihr Gemüt wob“, 
die jo füß waren, fo ſüß als od fie fhliefen, 
ift uns jo wenig verfländlidh, als daß die 
Träume im Schlaf immer ſuß fein u 
Laſſen Sie ſich übrigens gefagt ſein, da N 
Zeit wo die Blätter fallen, gewöhnlich 
von Saat nicht mehr die Rede ift, alſo 
ihre Beleuchtungseffefte, die Sie wie folgt 
ausdrüden: 

„Wenn Abendrot und Dämm’rung heil 
Die weltei!) Saat erhellt“ 
fi) ein andres Objelt ausjuchen müſſen 

5. 5. in B. Diefes „Berjehen“ ift 
feine Fabel, alfo Vorſicht. 

3. u. 1) Es ift ſelbſtverſtandlich 
daß bei dem Yimmer-Treibhaus der Blech» 
tajten,, in weldem das warme Waſſer 
vorhanden ift in einem Solzlaflen oder 
Holzneftell ſich befindet. 2) Ebenjo muß; 
ter Blehlaften bob an der obern Geite 
aefchloffen jein und die Holzſtäbchen innen 
fi nidyt unmittelbar auf oder über dem 
Waffer befinden. 3) Die Größenverbält- 
niffe Können fie ja gan; nad Belieben 
abändern; in unjrer Darflellung find fie 
eben nur als Norm angegeben, 4) Je 
röher Sie den Blechlaften, welder das 
eihe Wafler enthält, einrichten können, 
um fo befier ijt natürlih das Zimmer 
treibhaus warm zu halten. (Dr. E.R.ı 

. 8. in 8. Zäumen Sie den 
Pegadus ab und freuen Sie ſich Fremder 
Vorfie, da Sie über eigene nicht verfügen. 
Ionen fehlt jhon das einfadhite Geidit 
in Be Hung der Form, kommt Ihnen 
das nicht au jo vor, wenn Sie folgende 
Zeilen durchleſen: 

Ad! Er mödt jo gern nod weilen 

Bei uns, o armer Erdenſohn 

Icho ſchlägt er auf bie Augen zc. 
Warum auch noch die Selbilauälerei des 
alten am Eterben liegenden Mannes, ſich 
auf die Augen zu fchlagen? 

„in K. Farbenblindheit ift feine» 
wegs eine Strankheit, vielmehr eine phyſis · 
logische Eigenartigleit ded hromatiſchen 
Drganed. Bon einer Heilung kann alſo 
gar feine Rede jein. ne große Hülfe 
lann ſich der Farbenblinde für die Unter- 
ſcheidung der Farben durch die Benügung 
gefärbter Brillen verihaffen. Die u 
der Brillengläjer muß eigentlich für jeben 
on von Farbenblindheit bejonders ber 
timmt werben. Im allgemeinen fann 
man aber fagen, dab für die Hot» und 
Grün-Blindheit — und die meifien Farben · 
blinden find rot-grün-blind — ein rofes 
Glas das geeinnetfte if. Hal aber bas 
tote Glas nicht die gewünſchte Wirkung, 
fo nehme man ein grünes Briflenglas. (M.) 

. 8. in 8. An Gefhmadlofigkeit 
läht Ihre Antwort nichts zu wünſchen 
übrig. Wir würden von gefränfter Dicyter- 
eitelfeit iprechen, wenn Ste nicht alles cher 
als Dichter wären. Mit dem Ihig find Sie 
an den Falſchen geraten. 

®. St. in. Cine folde Anweiſung 
täkt fi hier ſchwer geben. Bei der Billig« 
feit diefer IAnitrumente ift übrigens auf 
ratfamer als Selbftveriertinung, zu der fie 
eben aud die Rohre, Bläfer zc, laufen 
müfien und nicht einmal die Garantie des 
Gelingens haben. 

€. £. in €. Inierate werben nur 
gegen Beyahlung aufgenommen, 


en, 
ur 


Weltpojt. — Inferaten»Unhang zu „Vom Fels zum Meer‘. III. Jahrgang, Beft 8. 


% Weltpoſt. 


A. >. in 2a. Ihre nachtliche Bifion 
„Am Eee* muß bie übelften Folgen bei 
Ihnen gehabt haben, wie würben Sie ſonſt 
ſchreiben können 

„Ich ſinke in den Raſen, er ift fo wonnig- 

ti 


ich, 
So einfam, fo verlaffen, für mid fo 
ierlich.* 


eierlich. 

Gin feierliber Hafen! Da ift es ja wohl 
erflärlich, daß es Sie „wie Bann dur ch 
bringt“, nod erflärlicdher wäre freilich 
ein gediegener Schnupfen, der ſich im der 
Regel einzufinden pflegt, wenn man am 
Seeufer bis in die fpäte Nadpt hinein fhläft. 

BR. 5.2. al Sollten Sie bei dem 
Sarg der MWafjergeifter nicht nadı be» 
rühmten Muftern gearbeitet haben? Er 
ift jedenfalls die befte unter ihren Ein 


fenbungen. 

3. 3. Ueber Anzucht ber Alazie 
(Robinia Pseudo-Acacia L.), Anpflan« 
jung. Pflege derjelben und zwedmäßige 

erwendung bes Holzes gibt ein Fleines 
Bud) von H. Yäner, „Die Nubholzpflan- 
jungen und ihre Verwendung” Hannover 
und Leipzig, Verlag von Philipp Cohen) 
vorzünlidie und nach allen Richtungen bin 
ausreichende Auskunft. Das Bildhlein 
belehrt auch über andere Gehölze und deren 
Anwendung in der Technik, . B. Weiden 
(Salix), weshalb wir es an diefer Stelle 
warm empfehlen mödten. (O. H.) 

89; in DB. Wir empfehlen Ahnen 
die Eliddeutihen PVlätter für Geflügel« 
und Bogelzudt (Arnold, Münden), die 
jedem Bogelfreund oder Geflügeljüchter 
um jo willlommener fein dürften, als 
fie nur 75 Pf. pro Quartal (monatlich 
2 Nummern) Toflen. 

- Sd. in D. Segur „Histoire 
de Napoleon* wurde von fottenfamp 
überfeht. Sie bejichen die Ueberjehung 
am beiten durch ein Antiquariat. 

A. 8. in BY. Georg Friedrich und 
Ostar Ehindhelm in Sonneberg verfertigen 


Bogelorgeln. 

A. Sc. in B. Wenden Sie fih an 
die Zelegraphenfabrif von Simens & Haltle 
in Berlin. 





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rend der Dauer dv. 9 Monaten einge 
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Preiscourant in Heft 2 dieser 
Zeitschrift. 











% Weltpoft. {& 


F. A. in 38. Ihr „Abfchiebägruk” 
ift uns Bir nabe gegangen ; wie fehr Sie es 
verstehen, in poetiicher Weife ganz triviale 
Dinge auszudrüden, jo daß man in leb+ 
bhaftefter Weile fi in die Situation ver» 
Du at. beweifen wohl am beften die 

erie: 

„überall noch ſchläft der Alltagskummer, 

feine Sorg' bie Herzen füllt.“ 
aber leider leider wacht biefer verbammte 
Alltagskummer wieder auf und die Herzen 


werben bi& oben wieder gefüllt. Im übri- 
gen warnen wir Ihren Abſchied Nehmen ⸗ 
ben davor, daß er von 


dichten Nebeln rings umbült“, 
das ift nichts für Leute feiner Ronftitution, 
welde 
„Die Bruft beengt vor Schmerzen” 


fühlen. 

A. M. in A. Dffen find Sie, wenn 
Sie jhreiben „mit der Ahnen jedenfalls 
zur Genüge befannten Unverjchämtbeit der 
Diätenden* zc,, und wenn Ihnen Rei> 
mereien nicht jo herzlich unbedeutend wären, 
wir drudten fie vielleicht zum Dant — — 
doch nicht! 

Ein großer Teil der Antworten 
muhte —— ber ſich fo fehr häufen. 
ben Nätjellöfungen auf bas nächte 
Heft aufgeipart werben. 

Fragen. 
€. 8. wänjdt zu wifjen, wer geſlem · 
pelte Briefmarken kauft. 

Adert Berlin möchte cin erprobtes 
Dittel gegen Haarflechten angegeben haben. 

ntworten. 

A. £. in Die Anfrage in Heft 7 
betr. die Bezeichnungen „in 8 Tagen“ und 
„in 14 Tagen“ ift folgendermaßen zu bex 
antworten: Der Deuiſche zählt bei Bes 
jeihnung von nur einer Woche den Ans 
fangs« und Endtag mit, nicht auch bei 
„zwei Wochen“. Der Franzoſe thut dies 
bei „einer Wode* fowohl, als auc bei 
sei Moden. Gr fagt: d’aujourd'hut 
en huit (jours) und d’auj. en quinze, 
Barum? Das ift fo Spradgebraud. 
(Siehe au: Brief 6 der franydf. Sprach» 
briefe db. Methode Zouffaint-Langenjcheidt. 


WE Lungenleidende u 
madhe ich ri mie noch in vorgeicdhrit- 
tenem Stabium zu fiherem Grfolg 
führende Heilmethode aufmertſam. 

Selbſt bruſttrank eig heile ich 
jeist ey auf vieljährige Erfahrung 
geitükt Blutfpuden, Aſthma, Bron- 





hialcatarrhı und ſpeziell Tuberculoſe 
Echwindſucht) jogar in verzweifelten 
en und ſtehen mir Zeugniſſe von 
erfonen aus allen, aud den hochſten 
ur Seite, [1231] 
uppert, Börlik, Schlefien. 


Streifen 
Baul 





CAL.T mm. 


N 


1 










f, vernickelt, sicher schlessend ü „44 8. — 
Zimmerbüchsen 6 mm. fein mit Stecher, 
333 Lauf „4 16. — ohne Stecher MIS. - 

ſmmerplatolen a A G. 8., 11., 14. etc 
Jagdilinten Cefeauch. mit Doppelfchlüffel 
à Mao. - 34.—,40.—, 48, —, 60. etc. 
do. Centralf. a. 45. —, 52.—, 80. etc. 
Derfandtunt. Garantie geg. Nachnahme, 


Johs. Wahl, Waffengeschäft, 2 


Stuttgart. 

















Fer araıgelloie Onyian 
Grntiuma acıulia 
«2. 210. 


Xlpenbiumen. 


Ron 


Hermann Müiller. 


I es jemals vergönnt war, im Juli oder 
Auguſt bei wolfenlofem Himmel auf einem 
Hochkamme der Alpen zu verweilen und mit 
offenem Zinn dem Genuß ihrer eigenartigen 
Welt fih hinzugeben, der findet in dem Er: 
innerungsbilde, das jene fonnigen Stunden ihm 
hinterliegen, ganz gewiß auch und vielleicht 
fogar als deſſen lieblichſten Beitandteil, die 
Alpenblumen. 

Zo überrafchend neu find die Cinprüde, 
welche die Hochalpen uns aufdrängen, daß fir 
noh nad) Jahren in faſt urfprünglicher Friſche 
in uns fortleben, dabei jo untremmbar zu einem 
harmonischen Ganzen unter ſich verbunden, daß 
jeder einzelne derjelben den Verband aller übri— 
gen wieder in uns wachruft. 

Immer leichter aufatmend find wir in einem 
Seitenthale, dem tofenden Wildbache entgegen, 
in bie dünneren Luftichichten emporgeftiegen. 
Mit fteigender Spannung haben wir das Land: 
ſchaftsbild unferer Umgebung fich wandeln fehen. 


Zpürliher und krüp— 
pelbafter wurden Die 
Nadelbäume Der an: 
grenzenden Bergleh— 
nen, häufiger traten 
zwischen ihnen karg 
begrafte Felsabhänge 
hervor, mit Blumen 
beiegt, von Faltern 
umflattert. Gewalti— 
ger hoben ſich über 
then wildzerriſſene 
Felslkoloſſe und ſchnee⸗ 
bedeckte Gipfel vom 
blauen Himmel ab. 
Immer freier wurde 
die Ausſicht. An den allmählich erſterbenden 
Nadelwald ſchloß ſich, erſt unter ihm angeſiedelt, 
dann ihn erſetzend und die ganze Thalwand dicht 
überkleidend, ein niederes Gebüſch von Rhodo— 
dendron an. Seine brennend roten Blumen— 
30 


234 


maſſen leuchteten uns von der gegenüberliegen- 
den Thalwand als zufammenhängende Farben: 
flähe entgegen. Hunderte Honig fuchender 
Hummeln umfummten die uns benachbarten 
Sträuce. Zwifchen ihnen ftiegen wir weit über 
die Waldgrenze empor. Audy fie liegen jeßt tief 
unter uns, und voll und ganz find wir nun der 


ruhigen Betrachtung der uns umgebenden Ein: | 


öde überlafjen. 
So flar wie in diefen dünnen Luftjchichten 


hat uns vorher noch nie die Sonne beftrahlt. | 


So leicht und frei wie hier haben wir vorher 
noch nie geatmet. Das bloße Einfaugen diefer 
Licht: und Wärmeſtrahlen, das bloße Einatmen 
diefer dünnen balfamifchen Yuft, die unfere 
Lungen bis in ungewohnte Tiefen durchdringt und 
erweitert, empfinden wir als einen Hochgenuß, 
dem mir oft von neuem mit innigjter Erquidung 
uns hingeben. Wie glänzend und brennend aber 
auch Licht und Märme auf uns und unjere 
ichattenlofe Umgebung herniederjtrahlen, wie 


reihlid) auch der Schweiß aus unjeren Poren | 


dringt, das Gefühl der Shwüle, das uns tief 
unten im Thale jeßt beengen und erjchlaffen 
würde, bleibt uns fern. Denn in gleichem Grabe 
mit der Verdünnung und Durchſtrahlbarkeit 
der Atmofphäre fteigert ſich auch die Leichtigleit 
der Verdunftung, die uns abfühlt. 

In erhabener Großartigfeit ftehen uns jetzt 
die vorher nur halb erſchauten, halb geahnten 
Bergeshäupter gegenüber. So ar erjcheinen 


uns in dieſer durchfichtigen Luft ihre zadigen | 


Umriſſe, ihre ſchneebedeckten Gipfel, Hochthäler 


und Schluchten, ihre nackten, vom Wetter zer- 


furchten Felswände, ihre von wüſten Schutt: 
halden bedeckten Abhänge, als lägen ſie in un— 
mittelbarſter Nähe vor und. Sie erfüllen uns 


tief mit dem Cindrude, der durch ihre lautloje 
Stille nur noch gejteigert wird, da wir hart an | 


die Grenze des Lebens unferer Erde herange: 
treten find, und daß die uns fo nachbarlich nahe 
gerüdten Bergeshäupter noch weit über diejelbe 
hinausragen. Um fo wärmer aber begrüßen 
wir die Blumen, die uns, fo nahe der Schwelle 
des ewigen Minters, als Boten des hier erft im 
Hochſommer erwachten Frühlings ringsum ent: 
gegenlachen. 

In der That finden wir uns hier, zwiſchen 
der oberen Grenze des Nhododendrongebüjches 
und der untern des ewigen Schnees, in der 
blumenreichiten Höhenzone unferes Erbballes. 


Ueberall, wo nicht Schnee oder nadte Felsblöde | 


Bermann Müller. 


| den Boden überdeden, glänzen uns hier in leb: 


| 


haften Karben die mannigfachſten Blumen ent: 
gegen. Die ganze Lebenäfraft der Pflanzen 
ſcheint fih hier auf die Hervorbringung von 
Blumenpracht fonzentriert zu haben. Dicht über 
dem Boden ftredt der jtengellofe Enzian (S.233) 


ſeine großetiefblaue Blumenglode der ftrahlenden 


' 


| 





| 


| 





Sonne entgegen. Nicht minder gibt den zahl: 
lojen Scharen der zierlicheren Alpenblumen die 
Zwerghaftigfeit der Stengel und Blätter, die 
Größe und Farbenpradt der Blumen ihr eigen: 
tümliches alpines Gepräge. So dicht ftehen 
überdies in der Regel diefe großblumigen Pflan: 
zenzwerge aneinander gedrängt, daß fie weithin 
den Boden, über den fie fih faum erheben, mit 
einer zufammenhängenden Blütendede über: 
Heiden. 

Die Quelle, die zwischen fchwellenden Moos: 
politern herabriefelt, ijt mit einem ununter: 
brochenen breiten Saume goldgelber Blüten der 
Saxifraga aizoides bejegt. Der vom Schnee: 
waſſer durchtränkte, ſelbſt faum fchneefrei ge: 
wordene Schuttabhang prangt in einem Purpur⸗ 
blumenteppid ber Saxifraga oppositifolia. 
Aus dem Rande der Schneedede ſelbſt ſchauen 
mit zierlich gefchnistem Saume die roten und 
violetten Alpenglödchen hervor. An der faum 
zugänglichen Kalkfelswand breitet das Edelweiß 
feine graufilzigen Stengelblätter fternförmig in 
eine Ebene auseinander und ergänzt jo feinen 
ärmlihen Blütenfhmud. Noch hoch über der 
Schneegrenze find die kleinen Nifchen und Klüfte 
nadter Felsflippen mit dichten Nafen der An- 
drosace helvetica ausgefüllt, die fich mit ver: 
gigmeinnichtähnlichen weißen Blümchen über: 
deden. Nach Hunderten zählen die Blumenarten, 
die uns fo nahe der Grenze des Pflanzenlebens 
durch den mafjenhaften Blütenfhmud über: 
rafhen, unter welchem ihre dicht zufammenge: 
drängten winzigen Stengel und Blätter fid) ver: 
jteden. Manche von ihnen erfreuen uns über: 
dies durd) ungemein würzigen Wohlgerud). 
Die ganze Alpenmatte haudt ein Aroma aus, 
das ſelbſt den blumenreichiten Wieſen des Tief: 
landes fremd ilt. 

Welchen Urſachen haben die Alpenblumen 
diefe überrafchenden Eigentümlichkeiten zu ver: 
danfen? Woher rührt das Zurüdtreten ihrer 
Stengel und Blätter, das dichte Zufammenge: 
drängtjein ihrer Blüten? Welhe Einwirkungen 
haben deren Größe, Farbenpradht und lieblichen 
Duft hervorgebradht ? 


Alpenblumen. 


Die Zeit ift noch neu, feit welcher die bota: 
nische Forſchung überhaupt von der Beſchreibung 
gegebener Formen zur Frage nad) ihrem Werden 
fortgefchritten ift. Auch in Bezug auf die Alpen: 
blumen werden unfere Kinder und Enfel dereinit 
klarer durchſchauen, was für uns vielfach noch 
mit geheimnisvollem Schleier umhüllt ift. Doc) 
hat hingebende Einzelforfhung auf diefem Ge: 
biete bereits fo viel mit Sicherheit zu Tage ge: 
fördert, daß wir wenigftens im großen und ganzen 
die wirfenden Urſachen zu erfennen vermögen. 

Die unmittelbaren phyfitaliihen Einwir: 
fungen, denen die Alpenblumen wenigjtens einen 
großen Teil ihrer Eigentümlichkeiten verdanfen, 
jind diefelben, denen aud) wir uns beim Betreten 
der Hochalpen unterworfen fühlen, diefelben, die 
unfer eigenes Atmen und Empfinden fo mädtig 
beeinflufjen. 

Diefelbe freie Ausftrahlung der Wärme in 
den Weltenraum, durch welche die hervorra: 
gendſten Gebirgsfämme jo ftarf abgekühlt wer: 
den, daß fie fich mit ewigem Schnee bebeden, 
beſchränkt in den nädjittiefergelegenen Zonen 
die fchneefreie Zeit auf wenige Wochen oder 
Monate und zwingt die fie bemohnenden Pflan— 
zen, auch ihrerfeits die Entwidelung der Stengel 
und Blätter auf das äußerſte zu bejchränfen 
und die zur Fortpflanzung und dauernden Er: 
haltung unerläßlihen Blüten jo raſch als mög: 
lich zu entfalten. Diefe find an ſich im allge: 
meinen feineswegs größer, als bei den nädhiten 
Verwandten des Tieflandes. Aber die Stengel 
und Blätter find zu um fo zwerghafteren Di: 
menfionen zuſammengeſchrumpft, je höher und 
ausgeſetzter ihr Standort. Nicht an ſich, jondern 
nur im Verhältnis zur ganzen Pflanze find die 
Blumen der Alpenpflanzen von auffallender 
Größe. Dieſelbe Rauhigkeit des Klimas, welche 
die Entwidelung hoher Stengel und großer 
Blätter unmöglih macht, hat aud) die Zuſam— 
mendrängung zahlreicher Blumen zu zufammen: 
hängenden Flächen zur Folge. Falt alle ein: 
und zweijährigen Pflanzen, die bisweilen jahre: 
lang unter Schnee verjchüttet bleiben, find in die: 
jen Gegenden, der Vernichtung anheimgefallen. 
Es find faſt nur ausdauernde Pflanzen übrig 
geblieben, deren niedrige Stengel meijt in ſehr 
furzen Abſätzen fich verzweigen und Blüten her: 
vorbringen, jo daß diefe num dicht gedrängt 
nebeneinander zu fien fommen. Das Geflecht 
der Weiden ift durd alle Zonen hindurch, von 
der Ebene bis zum ewigen Schnee, in zahlreichen 


235 


Arten vertreten und daher befonders geeignet, 
uns diefe Wirkung des Klimas zu veranfchau: 
lihen. Ein Weidenbaum des Tieflandes, der 
ſich unverjtümmelt hat entwideln fönnen, ragt 
mit fchlanfen Aeſten und Zweigen hoch in die 
Lüfte und treibt jährlich fußlange neue Schoffe. 
Die zwerghafte Salix herbacea der hödjiten 
Alpenrüden dagegen drüdt ſich dicht an den 
Boden und verlängert ihre Hefte von Jahr zu 
Jahr faum um eines Strohhalmes Breite. Aber 
ein Gewirr diefer Pflänzchen, von denen die 
Abbildung auf S. 240 nur ein einzelnes heraus: 
gelöft daritellt, überzieht den Boden derart, daß 
ihre Blätter und Blütenährchen denfelben dicht 
überfleiden. Ebenfo find bei den Alpenpflanzen 
mit größeren, lebhafter gefärbten Blüten diefe 
durch die Verkümmerung und dichte Veräftelung 
der Stengel eng aneinander und dicht an ben 
Boden gerüdt, fo daß fie auf demfelben eine un— 
unterbrodhene Blumendede bilden. 

Diefelbe alpenaufmwärts jtetig zunehmende 
Luftverdünnung, die uns leichter und tiefer auf: 
atmen läßt und unfere Verdunftung und Abküh— 
lung bejchleunigt, wenn wir bis über die Grenze 
des Baummuchfes emporfteigen, macht die Atmo⸗ 
iphäre der Hochalpen leichter durchſtrahlbar, 
rüdt uns dadurd die Bilder der vor uns liegen: 
den Bergeshäupter in unmittelbare Nähe und 
jest, wie uns ſelbſt, jo auch die Alpenblumen 
intenfiver wirkenden Licht: und Wärmejtrahlen 
aus. Daf eine Aenderung der Belichtung aud) 
die Blumenwelt beeinflußt, iſt durch die 30jähri: 
gen Unterfuchungen eines norwegischen Forſchers 
außer Zweifel gejtellt. Profeſſor Schübeler in 
Chriftiania hat den bejtimmten Nachweis gelie: 
fert, daß das ununterbrodene Tageslicht des 
ſkandinaviſchen Sommers den Farbenglanz der 
Blumen und Früchte und das Aroma der leßte: 
ren ſowie der ganzen Pflanzen jteigert. Die 
Alpen haben nun zwar vor dem umgebenden 
Tieflande feine längere Belichtungszeit voraus, 
aber aud) die leichtere Durchſtrahlbarkeit ihrer 
Atmofphäre muß die Wirkung der Lichtjtrahlen 
jteigern und durchſchnittlich etwas glänzendere 
Farben der Alpenblumen und jtärferes Aroma 
der Alpenwiefen hervorrufen, 

Mit diefen unmittelbaren Einflüffen des 
Klimas auf die Alpenblumen kombinieren ſich 
nicht minder mächtig wirfende mittelbare, die 
uns nur durch nähere Betradhtung der innigen 
Wechſelbeziehungen zwiſchen Blumen und Sn: 
fetten verftändlich werden. 


236 


WAR 


Erg Teer a 
— a, \ 


Primmula 
intrgrifolin 
I< 
A. Zufimureln 
I. Meldhröbr 






Dermann Müller, 


Daß die Blüten der Fruchtbildung dienen, weiß 
von alteräher jedermann, daß fie aber Fräftigere und 
entwidelungsfähigere Samentörner liefen, wenn 
fie nit mit ihrem eigenen Blütenftaube, jondern 
mit demjenigen getrennter Stöde befruchtet werden, 
ijt erjt in unferen Tagen erfannt und durch taufend- 
fältige Verjuche feitgeftellt worden. Wir wiſſen 
jeßt, daß alle Pflanzen einer derartigen Kreuzung 
ausgeſetzt find, und daß bei den ſchmuckloſen Blüten 
der Gräſer und Hafeljtauden der Wind die leicht: 
ausftäubenden Befruchtungsförnden auf getrennte 
Stöde überträgt, daß dagegen den buntgeſchmückten 
Blüten, die wir Blumen nennen, Inſekten als 
Vermittler der Kreuzung dienen. Die bunten War: 
ben, die Düfte, die Honigabjonderung der Blumen 
find uns als Anlodungsmittel der Inſekten ver: 
jtändlic geworden. Auch die unendlih mannig: 
faltigen Geftaltungen der Blumen haben wir als 
Anpaffungen an die Kreuzungsvermittelung der 
befuchenden Inſekten enträtjeln gelernt. Zahlreiche 
Blumen haben in diefer Beziehung einen urjprüng: 
licheren, mehr unbejtimmten und allgemeinen Cha: 
rafter, eine offene, regelmäßige Form, einfache 
weiße oder gelbe Farben und allgemein zugänglichen 
Honig; fie werden von einem gemijchten Kreiſe 
mannigfacher kurzrüſſeliger Inſekten befucht und 
befruchtet, die auch ihrerſeits keine hochentwickelte 
Ausrüftung für die Gewinnung der Blumennahrung 
erkennen laſſen. So verhalten ſich die meiſten 
Schirmpflanzen, Saxifragen, Ranunkeln und 
Potentillen. Zahlreiche andere Blumen dagegen 
umſchließen ihren Honig derart, daß er nur von 
beſtimmten, blumeneifrigeren, vollkommener aus: 
gerüſteten und zur Vermittelung der Kreuzung 
tauglicheren Inſelten, namentlich Bienen, Hum— 
meln oder Faltern, erlangt werden kann und zeigen 
ſich der Körperform, Bewegungsweiſe und dem 
Farben- und Geruchsſinne dieſer beſtimmten Kreu— 
zungsvermittler aufs engſte angepaßt. 

Wie der Gärtner von den Pflanzen, die er kultiviert, 
nur immer diejenigen zur Vermehrung auswählt, die ihm 
am beſten gefallen oder am nützlichſten ſind, und wie er 
dadurd im Laufe der Jahre immer fhönere oder braud): 
barere Blumen und Früchte ins Leben ruft, jo müfjen 
unitreitig den Blumen gegenüber aucd die Inſekten als 
Süchter, wenn auch natürlich als unbewußte, gewirkt haben. 
Denn auch fie wählen nad) ihrer Ziebhaberei und ihrem Be— 
dürfnis die Blüten, deren Honig fie genießen wollen, aus; 
aud) fie führen die Pflanzen, deren Blüten fie freuzen, zur 
Kortpflanzung und dauernden Erhaltung. Unbewußte 
Züchtung blumenbefuchender Inſekten ift es, die allmählich 
ihmudlofe Windblüten zu buntfarbigen honighaltigen Blu: 








Alpenbiumen. 


nn — j 
— — — 


Rinne rn 


Viola calcarata (&. 2301. 


men gejteigert und deren weitere Ausbildung zu 
Bienen-, Hummel:, Falterblumen und anderen 
Ipecialifierten Blumenformen herbeigeführt hat. 
Von der vorhandenen Inſektenwelt ift daher das 
Gepräge der Blumenwelt einer jeden Gegend in 
hohem Grade abhängig. Auch das Klima der 
Hodalpen hat nicht bloß unmittelbar, durch ge: 
fteigerte Abkühlung und Luftverbünnung, fon: 
dern auch mittelbar, durch Vernichtung gewiſſer 
und Begünftigung anderer blumenbeſuchender 
Inſekten, Farbe, Duft und Geftaltung der Blu: 
men mächtig beeinflußt. 

Auffallend ſpärlich find über der Baum: 
grenze die einzeln lebenden Bienen vertreten. 
In ihren flacheren Verſtecken fcheinen die meiften 
derjelben den langen harten Winter diefer Gegen: 
den nicht überbauern zu fönnen. Nur die fräf: 
tigeren Hummeln, die fich in tiefer gegrabenen 
Höhlen bergen, find bis zum ewigen Schnee 
hinauf ebenjo häufig und als Blumenbefruchter 
und = Züchter ebenjo hervorragend wichtig wie im 
Tieflande. Noch überrafchender aber als die Ar: 
mut an Bienen tritt uns bei der Betrachtung der 
Alpenblumen die überſchwengliche Menge der fie 
umflatternden alter entgegen, die darin ihren 
Grund haben mag, dak die hauptjächlichiten 


237 


Feinde der Rau— 
pen, die ing: 
vögel, hier nicht die ihnen zu: 
fagenden Yebensbedingungen 
finden. 

Der Bienenmangel macht ſich in dem Ge: 
präge der Alpenflora weniger bemerkbar. Denn 
zahlreihe Bienenblumen find trotzdem im ber 
alpinen Region heimiſch; nur werden fie hier 
hauptfählicd von Hummeln und Faltern, denen 
ihr Honig ebenfalls zugänglich ift, ausgebeutet 
und gefreuzt. Die zahllofen Falter der Alpen 
dagegen beſuchen hier nicht bloß jehr gewöhnlich 
ſolche Blumenformen, die ihnen nicht fpeciell anz 
gepaßt find, und die man im Tieflande felten 
oder niemals von ihnen befucht findet; ſondern 
auch als jelbjtändige Blumenzüchter haben fie auf 
den Alpen eine hervorragende, im Tieflande nur 
eine ſehr untergeordnete Bedeutung. Die eigen: 
tümliche Ausbildung des Saugrüfiels, des Far: 
ben= und des Geruchsſinnes der Falter fpiegelt 
ſich in vielen Alpenblumen wieder und verleiht 
ihnen auch für uns einen hohen Reiz. 

Der Rüſſel der Falter ift durch feine Dünn: 
heit ausgezeichnet; die von ihnen gezüchteten 
Blumen bergen ihren Honig in fo engen Röhren, 
daß nur noch ihren dünnen Nüffeln Zugang zu 
demfelben bleibt. Die Dämmerungsfalter oder 
Schwärmer überragen überdies durch die Yänge 
ihres Nüffels alle übrigen Blumengäfte; die 
Schwärmerblumen haben vielfach jo lange Blu: 
menröhren oder Eporne, daß fein anderer In— 
jeftenrüfjel ausreicht, fie ihres Honigvorrats zu 
entleeren. Der Farbenfinn der Falter fpricht ſich 
in dem aus zierlihen Schuppen gebildeten Pub: 





A. Tie Blüte, 
B. Der donigführenbe 
Eporn, 


‚ Heide aus, das die auseinandergebreiteten Flügel 


238 


der Himmelsvöglein(Lycaena) mit glänzendem 
Blau, der Feuerfalter mit brennendem Rot über: 
zieht; auch die von den Tagfaltern gezüchteten 
Blumen find vielfach mit lebhaften Blau oder 
Not geſchmückt, während Nadtfalterblumen 
natürlih nur durch helle Farben ſich bemerklich 
machen fönnen. Der ausgebildete Geruchsſinn 
der Falter tritt in den befonderen Duftvorrich: 
tungen flar zu Tage, durch welche oft das eine 
Geſchlecht das andere anlodt und die bisweilen 
den lieb: 
lichſten 
Vanille: 
duft aus: 
hauden; 
ein ähnli: 
cher Wohl⸗ 
geruch ent: 
ſtrömt 
vielfach 
den Fal— 
terblumen. 
An dem 
Blumen: 
ſchmucke 
und würzi⸗ 
gen Dufte 
der Alpen 
nehmen, 
von dem 
erſten 
Schwin⸗ 
den des 
Schnees 
tief unten 
in der 
Wald⸗ 
region an, die Falterblumen einen hervorragen: 
den Anteil, gegen welchen ihre Nolle in der Ebene 
und niederen Berggegend gänzlich zurüdtritt. 
In vielen Fällen ſcheint dasjelbe Blumen: 
geſchlecht im Tieflande von Bienen oder Hum— 
meln, auf den Alpen von Faltern aus ur: 
iprünglicheren zu fpecialifierteren Blumenformen 
ausgebildet worden zu fein. Statt der gelben 
Schlüfjelblume, die im erjten Frühjahre, von 
Hummeln umſummt, unjere Wälder und Wiefen 
beleben, begegnen wir auf den Alpen einer 
größeren Zahl prächtig rotblumiger Primula: 
arten, die ſich dur) die Engigkeit ihres Blüten: 
einganges fofort als Yalterblumen verraten. 
Die zierlihe Primula farinosa ift weithin, 








Bermann Müller. 


von der Schneegrenze bis zum Fuße der Alpen 
hinab, über die Wiefen auögeftreut. Primula 
integrifolia (S. 236) bekleidet mit großen pur: 
purroten Blüten die feljigen Abhänge nahe der 
Schneegrenze oder felbjtüber derjelben. Primula 
villosa leuchtet inmitten der noch weithin mit 
Schnee bededten Flächen der Hochrüden mit 
großen, fattviolettroten Blüten aus den von 
Schneewaſſer triefenden Felsklüften hervor. 
Statt unferes bienenummworbenen Heide: 
frautes, 
das fich in 
beicheide- 
nes Roſa 
tleidet, 
finden wir 
bier Die 
falter- 
blumige 
Erica 
carnea, 
deren Far: 
be fich zu 
lebhaften 
Karminrot 
gejteigert 
hat. Statt 
der von 
Hummeln 
und Bie- 
nen nur 
fpärlich be: 
fuchten 
Orchis⸗ 
arten un— 
ſerer Wie: 
ſen (Or- 
chis morio, mascula, maculata) blüht auf 
den begraſten Abhängen der Hochalpen die von 
Tagfaltern umflatterte O. globosa und in 
etwas tieferer Region die ebenfalls falterblumige 
O. ustulata. Statt des giftigen Kellerhaljes 
unferer Wälder, aus dejjen fchlanfen Stengeln 
noch vor dem Erjcheinen der Blätter rote Blüten: 
gruppen hervorbredhen, die von altern, Bienen 
und Fliegen befruchtet werden, verziert den 
fargbegraften, feljigen Boden der Hochkämme 
die niedergejtredte Däphne striata mit einem 
Teppich rofenroter bis ſchneeweißer Blütenfträuße 
vom fräftigiten Nellen- bis Vanilleduft. Sie 
bildet wahre Tummelpläge mannigfadher Tag: 
und Nachtfalter, die aus den langen engen 


OLDANELLA . 


/ 


Tas Ulpenplödgen. 





Blumenröhren den würzigen Nektar faugen. 
Die beiden nadhtfalterblumigen Silenearten des 
Tieflandes (Silene acaulis uud inflata) be: 
gleiten uns mit ihren fchlanfen Stengeln und 
weißen, des Abends ſich entfaltenden Blüten bis 


Alpenblumen, 


239 


bemerflih macht. Gleich vielen anderen falter: 
blumigen Bewohnern der alpinen Region hat fie 
im Tieflande feine näheren Verwandten. 

In den erwähnten und zahlreichen anderen 
Fällen geben ſich Alpenblumen, die wir von 


hoch über die Baumgrenze hinaus, aber nur auf | Faltern reichlich umflattert jehen, durch Ge: 


den Hodalpen treffen wir ihre zwerghafte 
Schweſterart, Silene acaulis, an, deren fuß— 


ftaltung, Duft und Farbe als reine Züchtungs— 
produfte der Falter zu erfennen. Wir dürfen 


große, dem Boden aufgedrüdte Najen bis zu den ) annehmen, daß diefe Blumen ſchon in einem 


äußerjten Grenzen 
des Blumenlebens 
hinauf ſich mit 
glühend karmin⸗ 
roten Blüten über: 
beden und zahl: 
reihe Tagfalter an: 
loden. 

Auch die lieb: 
lich duftende fal: 
terblumige Gym- 
nadenia conop- 
sea unferer Wieſen 
jehen wir auf den 
Alpenmatten ihre 
rötlihen Blüten: 
ähren emporitref: 
len. Im Tieflande 
haben wir fie ftun: 
denlang überwacht, 
ohne einen einzigen 
ihrer buntbeſchupp⸗ 
ten Kreuzungäver: 
mittler auf ber 
That zu ertappen; 
hier fehen wir fie 
im warmen Son: 
nenlicht jehr häufig 
von altern be: 
fruchtet, und be— 


gleitet it fie hier von einer bleicheren, nod) | 


kräftiger und gewürzhafter duftenden Schweiter, 
Gymnadenia odoratissima, die durch Farbe 
und Duft befonders nächtlihe Beſucher an 
fi lockt. 

Der Preis unter allen würzig duftenden 
Falterblumen der Alpen gebührt indes dem 
Schokoladeblümchen, Nigritella angustifolia, 
einer Orchidee, deren ſchwärzliche Köpfchen nur 
im Sonnenfhein mit prächtigem Purpurglanz in 
die Augen fallen, die aber durch einen fräftigen, 
ungemein lieblihen Vanilleduft allen altern 
und Alpenwanderern auf das angenchmfte jich 





Gentiana verna S. 2491, Sf Etaubfüben, st Narbe, 
Die Pleite bedtuten die Richtung ber Entfaltung ber Petale. 





urjprünglichen Zu: 
ftande hauptſäch— 
lid von altern 
bejuht und ge: 
freuzt wurden, und 
daß eben dadurch 
nur den Faltern 
nützliche und ange— 
nehme Eigentüm— 
lichkeiten zur Aus— 
prägung gelangt 
ſind. In einigen 
Füllen find aber 
augenſcheinlich be: 
reits völlig aus: 
geprägte Bienen: 
und SHummelblu: 
men auf den Alpen 
der überwiegenden 
Kreuzjungsvermit: 
telung von Faltern 
anheingefallen und 
haben ſich nachträg- 
Lich Diefen angepaßt 
oder find von Die: 
fen nachträglich aus 
Bienen: oder Hum— 
melblumen zu Fal⸗ 
terblumen umge: 
züchtet worden. 
Die ſcharf ausgeprägte Blumenform unferes 
Sttefmütterdhens, das von Bienen und Sum: 
meln, nur ausnahmsweiſe aud) einmalvon einem 
Falter oder einer langrüffeligen liege bejucht 
oder befruchtet wird, hat auf den Alpen, unter 
dem Ginflujje langrüffeligiter Kalter, ihren 
honigführenden Sporn derart verlängert, daß 
nur noch dieſen ihr Honig zugänglich bleibt. Sie 
betleivet mun als Viola calcarata auf den 


Hochrücken der Alpen ausgedehnte Streden mit 


blauem Teppich (S. 237). 
Die weiten Blumengloden der Gentianen, 


| die, wie G. acaulıs, den Hummeln ſich öffnen 





Sriedrih van KHoffs: 


240 







Salix herbacea (©. 235). 


und von bdiefen die MWohlthat der Kreuzung 
empfangen, haben bei einem befonderen, hoch— 
alpinen Zweige diefer Familie (bei G. verna, 
bavarica und Genofjen) fich derart verengt und 
ihren Eingang durd die fcheibenförmig erwei- 
terte Narbe derart verſchloſſen, daß nur nod) die 
dünnen Nüffel der Falter in die Blume einzu: 
dringen vermögen. Bei Gentiana bavarica 
und verna (©. 239), deren Blumenmafjen noch 
inmitten der Schneeregion als azurblaue Flecken 
prangen, ift überdies die am Cingange gegen 
alle Nadıtfalter abgeſperrte Blumenröhre von 
folcher Yänge, daß auch von den altern nur die 
allerlangrüfjeligjten den im Blütengrunde ge: 
borgenen Honig zu erlangen vermögen. 

Wer find diefe „langrüffeligen Falter”, die 
als alpine Blumenzüdhter jo hervorragende Lei: 
ftungen aufzumweifen haben? Es find diejelben 
Schwärmer, die an lauen Sommerabenden mit 
folibriartigem Fluge unfere duftenden Geißblatt— 
lauben umjchwirren und, ohne fich zu ſetzen, die 
langen Blumenröhren derjelben entleeren; es ift 
vor allem der auch im Tieflande häufige Tauben: 
fchwanz (Macroglossa stellatarum). Auf den 
ſchattenloſen Gipfeln der Hochalpen betreibt er 
bei hellem Tage feine Blumenarbeit, und gerade 
in den brennenden Strahlen der Mittagsfonne 
verrichtet er hier wahre Wunderdinge als Kreu— 
zungsvermittler. Freiſchwebend, mit jo raſcher 
Bewegung der Flügel, daß unfer Auge fie nicht 
zu erfennen vermag, ftedt er mit vollendeter 


.— 


mit einem Edelweiß+Sträußchen. 





Sicherheit das 
Ende jeines lan 
gen Rüſſels in die 
engen Blumen= 
eingänge ber langröhriajten Viola-, Primula-, 
Gentiana-Xrten, iſt in faum 1—2 Selunden 
mit dem Ausfaugen ihres Honigs fertig und 
rüdt in rafhem Stoße zur nächſten Blume vor. 
So entleert und freuzt er in wenigen Minuten 
Hunderte von Blumen, andenen andere Blumen: 
gäfte fi) lange und größtenteils fruchtlos ab: 
mühen. 

Mer ald Blumenzüdhter mit fo raftlofer 
Energie arbeitet, dem kann fchließlich lohnender 
Erfolg faum ausbleiben. Indem der Tauben: 
ſchwanz die fonfurrenzfreiejten, langröhrigjten 
Abänderungen feiner Lieblingsblumen, die ihm 
die reichjte Honigernte darboten, ſtets bevorzugte 
und fie am häufigiten und regelmäßigjten 
freuzte, ficherte er ihnen die reichlichſte und 
fräftigfte Nachkommenſchaft und brachte endlich 
jo langröhrige Raſſen derfelben zur Ausprägung, 
daß ihm allein der Genuß ihres Honigs vorbe: 
halten bleibt. 


Mit einem Edelweiß-Sträufchen. 


Don 
Sriedrib van Bofis. 


Tab’ dem Gleiſcher blüht das Edelmeifi, 
Aller Erdenblumen Kron’ und Preis. 
Ueber Felſen Nomm id), hod hinaus, 
Wand für dich, mein Eieb, den Edelftranf. 


Zu den Sternen flög” ich gleich empor, 
pPflädte dir der Grmimelsblumen $lor! 
Unvergänglich ſchoͤn, find fie allein 
Ein getreues Bild der £iebe mein. 


_T- 


Richard Voß. Vedi Napoli. 


241 


Vedi Mapoli. 


Von 


Richard Voß. 


. 
obert!“ 

„Lillian?“ 
1  „Zritther ans Fenſter. Sieh 
nur, wie fhön es ift! Diefes 

WW weite, weiße Blütenmeer. Cs 
| durchflutet das ganze Thal und 
ſchlägt über die grünen Ufer hinaus. Es über: 
ſchwemmt die Welt. Ueberall Blüten, Blüten! 
Iſt es nicht gerade, als fei die Erde im Braut: 
Heide? Mir ift, als hörte ich fie atmen. Welch 
ein Duft! Und diefe Werde-Seligkeit, die fie 
durchdringt. Fühlſt du nicht, wie fie erfchauert ? 
der Frühling fommt, fie lebt auf.” 

Das ſchöne Mädchen ſchwieg gedanfenvoll. 
Ein reizendes Lächeln fpielte um ihren Mund, 
den ein Dichter mit einer Knoſpe hätte ver: 
gleichen können; war fie doch felbit ein wahres 
Frühlingsgedicht : ſo keuſch, jo lieblich und zart — 
faft beängjtigend zart. Man mußte bei ihrem 
Anblid an den Sturm denken, der fo leicht folche 
Knoſpen bricht; an die Sonnenglut, in der fie 
fo bald welfen. Es war ganz jeltfam, daß auch 
dieſes anmutige Kind, welches vom Leben faum 
etwas mußte, bei der Frühlingslandihaft 
plöglih an Sterben und PVerderben denken 
mußte. Das Köpfchen gefenft, da ihr die blon- 
den Xoden in das fühe, blafje Geficht fielen, 
ſchmiegte fiefih an die Bruft ihres Bräutigams, 
der neben ihr am geöffneten Fenſter ftand, ein 
Bild des Lebens und der Jugendkraft. Träu— 
meriſch hinaus blidend in den Glanz und Duft, 
fagte fie: 

„Weißt du, Liebſter.“ 

„Was, liebe Schwärmerin ?* 

„Die Blüte, die heute aufbricht, kann ſchon 
morgen abfallen, vom Winde abgeweht werden. 
Gewöhnlich bedauert man fie darum. Warum 
wohl? Weil fie nicht zur Frucht reift? Das 
mag für den Baum jchlimm fein, aber für die 
Blüte —. Eie finft herab, jo leicht, fo leiſe! 





Wie eine duftige Schneeflode gleitet fie im 
Sonnenschein zur Erde nieder, den grünen Rajen . 
überftreuend, die Veilhen und Brimeln: viel- 
leicht fit einer gerade unter dem Baum und 
wird nun jo lieblich befchneit. Dichte ein Yied 
darüber, darin du ein junges Mädchen die junge 
Blüte beneiden läßt, mie fie fo ſchön ftirbt: viel: 
leicht an deinem pochenden Herzen.” 

„Das Lied iſt bereits gedichtet,“ Tachte der 
Jüngling fröhlich auf und küßte fie. 

Sie lächelte ihn an. Ihren Liebiten will es 
bedünfen, als jei ein Sonnenftrahl durch ihre 
Seele geglitten; jo glanzvoll jehen ihn die blauen, 
zärtlihen Augen an. Während er fie an jeiner 
Bruft hält, jo rührend in ihrer kindlichen Schön: 
heit, jo geheimnisvoll in ihrem bräutlichen Glüd, 
durchzuckt ihn der Gedanke: Wie, wenn aud 
feiner Blume, die ſich eben erſt an feiner Bruft 
dem Licht und dem Leben erſchloß, ein fo „ſchö— 
nes“ Sterben bevorftünde: abzufallen und zu 
verwehen, noch ehe die Knofpe zur Blume ge: 
worden. Man fennt das Schidjal, wie es in 
fürdterliher Willkür gerade das vernichtet, was 
es hätte erhalten und bewahren follen. Zu ver: 
welfen und zu verborren ijt ja Blütenlos. 

„Lillian, Zillian !* 

„Was haft du, Beliebter?” 

„Bleibe mir leben,” flehte Robert mit er: 
jtidter Stimme und bededte ihre Stirn, ihre 
Augen und bebenden Lippen mit Küfjen. Sie 
begriff ihm nicht; aber feine Teidenjchaftliche 
Bangigfeit ftedte fie an. Was fonnte fie fürch— 
ten? Sie war an feinem Herzen fo geborgen, in 
feinen Armen fo fiher vor jedem Schidjal be: 
hütet, vor jedem Sturm gerettet. Welche Gewalt 
fonnte fie jemals von ihm losreißen? ! 

Auch dieje beiden guten, jungen Liebenden 
nannten ihr Glüd „ewig“. 

„Zei nicht jo wild,“ bat fie den Unge— 
ſtümen. 

Robert ließ ſie los und beide waren geſchäf— 

31 


242 


tig, ihre Beflommenheit von ihrem Liebeäge: 
plauder einwiegen zu lafjen. Sie ſchwärmten 
von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 
Alle Zeiten erfhienen ihnen als unendlicher 
Frühling. Sie waren in diefem ewigen Lenze 
zwei Kinder, die nicht genug Blumen pflüden 
fonnten: jede Knoſpe eine Hoffnung. 

Und wie zwei Kinder jchritten fie Hand in 
Hand hinaus in den ftrahlenden Tag. Im 
jungen Sonnenfchein mwandelten fie durch die 
neugeborene Schöpfung und e3 wiederholte fi 
ihnen der alte, ewige Traum, daf die Erbe ein 
Paradies jei und fie die beiden erſten Menjchen 
darin. 


II. 


„Ihre Braut iſt ſehr zart. Hüten Sie ſie; 
reiſen Sie mit ihr nach dem Süden,“ riet der 
Arzt, mit dem Robert über ſeine Verlobte ſprach. 

„Aber Lillian iſt ja nicht krank; ihr fehlt 
nichts. Zart ſoll fie ſchon als Kind geweſen 
ſein,“ rief der Erſchrockene. 

„Eben deswegen gehen Sie nach dem Sü— 
den; und wenn ich Ihnen raten kann, ſo kom— 
men Sie vor dem nächſten Frühjahr oder beſſer: 
vor dem Sommer nicht wieder zurück.“ 

„Es iſt doch keine Gefahr?“ ſtammelte 
Robert. 

„Gewiß nicht. Wir thun nur gut, einer 
möglichen Gefahr vorzubeugen. Der Süden 
kann bei einer Natur, wie derjenigen Ihrer 
Verlobten, geradezu Wunder bewirken. Sie 
werden es hoffentlich ſelbſt erleben.“ 

Damit ging der Arzt und ließ Robert in 
einem Zuſtande höchſter Erregung zurück. Es 
war ſo plötzlich gekommen! Wohl zehnmal 
wiederholte er ſich jedes Wort des Doktors, über 
jedes Wort in tiefes Grübeln verfallend, und 
alle nur möglichen Vermutungen anſtellend. 
Zuletzt klammerte er ſich daran, daß von Gefahr 
nicht die Rede ſei, daß man nur vorſichtig ſein 
müſſe, daß der Süden Wunder bewirken werde. 
Es war nichts; er hatte ſich von einigen hinge— 
worfenen Worten tödlich erſchrecken laſſen. Man 
kennt ja die Aerzte; ſie haben immer etwas zu 
ſagen, immer etwas zu fürchten. 

Lillians Mutter trat ein. Sollte Robert ihr 
ſeine Unterredung mit dem Doktor mitteilen? 


Es würde ihn beruhigen, aber ſie unruhig machen 


— völlig nutzlos! Und die würdige Dame war 


Richard Dof. 


in dem Glüd ihrer Kinder fo glüdlih. Er be— 
zwang ſich aljo und fragte nad) feinem Mädchen. 
Die Mutter machte ein geheimnisvolles Geficht 
und verhieß eine Ueberraſchung; doch müfle er 
ji noch eine Heine Weile gedulden. Robert 
fonnte es nicht unterlafjen, das Geſpräch auf die 
Kindertage feiner Braut zu bringen und ſich 
zum zwanzigſtenmale jedes bemerfenswerte Er— 
eignis berichten zu laſſen. 

„Es war ein feltfames Kind. Ich mußte 
immer ftaunen. Sie weinte niemals, beflagte 
fich niemals, war immer zufrieden und hatte eine 
fonderbare Neigung, für alles zu danken. Cie 
war jehr jchweigjan, namentlich über fi) jelbit. 
Da war nichts aus ihr herauszubefommen. Be: 
vor fie zugegeben, daß fie irgend welche Schmer: 
zen fühle, wäre fie lieber gejtorben. Sie fpielte 
auch nicht wie andere Kinder. Ihre Puppen be- 
grub fie ſtets, aber nur unter Blumen. Fragte 
man, woran fie geitorben feien, jo antwortete fie 
jtets; das Herz that ihnen weh ; das närrifche, 
fleine Ding! Des Sommers war ihre größte 
Freude, ftundenlang in der Sonne zu Tauern; 
je heißer, deſto beſſer! Nicht einmal einen Hut 
wollte fie auf dem Köpfchen leiden ; behauptend, 
fie friere dann aleih. Was das wohl für ein 
Vergnügen fein konnte? Bei ſchlechtem Wetter 
war fie immer wie franf, ganz müde und matt, 
obgleic) fie eö nie zugeben wollte. Lieber Gott, 
wo foll man bei uns immer Sonnenfcein her: 
nehmen? E3 war auch alles nur Einbildung ! 
Solch dummes Gefhöpfhen! Und nun erjt im 
Herbft und Winter; da hätten wir unfere liebe 
Not mit ihr haben können, wäre fie zu gleicher 
Zeit nicht wieder fo herzlich gut geweſen. Zu: 
fällig hörte fie einmal von Italien reden, wie 
das folch ein rechtes Sonnenland fei. Seitdem 
wollte fie immer davon erzählt haben. Cie hat 
uns oft recht geplagt. Wenn fie nur einmal nad 
Italien fommen Fönnte.“ 

Nobert ſaß in tiefen Gedanken, bis er auf 
einmal auffahrend fagte: 

„Aber Sie, liebe Mutter, find dod) jo ge: 
jund und der Vater auch.“ 

„Wie kommſt du darauf? Freilich find wir 
beide aefund. Sieh uns doch an.“ 

„Woher hat Lillian nur diejes Fränkliche 
Weſen?“ 

„In der Familie liegt es nicht,“ ſagte die 
Mutter. „Ich habe wenigſtens von keinem ge— 
hört, der lieber in Italien ſterben möchte, als bei 
uns leben. Das muß etwas ganz Modernes ſein.“ 


Dedi Napoli. 


„Ich hörte manchmal davon reden, daß 
Lilian einer Großtante ſeltſam ähnlich jähe. 
Sie heißt ja wohl auch nad} ihr? Was war das 
mit diefer Verwandten? Es muß etwas Be: 
jonderes fein, denn ihr ſchweigt zu auffällig 
über fie.“ 

Die Mutter war unruhig geworben. 

„Das iſt Schon wahr,” fagte fie nad) einer 
Meile zaudernd. „Sie ijt ihrer Großtante wie 
aus den Augen gefchnitten; mir ift e3 immer un: 
heimlich geweſen. Ich will dir heute einmal ihr 
Bild zeigen. Das iſt freilich eine traurige Ge: 
ſchichte. Warum foll man darüber reden? (ob: 
gleich es im Grunde genommen nichts Schlim: 
mes ift.) Mir war es gleich nicht recht, daß 
mein Mädchen nach ihr heißen follte, von quter 
Vorbedeutung fonnte das unmöglich fein. Aber 
es war poetifch und mein guter Mann ruhte nicht 
eher, als bis er richtig auch eine Lillian hatte.“ 

„Was ift aus diefer erjten Lillian gewor— 
den?“ forjchte Robert. 

„Sie jtarb als ganz junges Ding. Sie hatte 
wohl jchon als Kind die Schwindfucht. Als es 
zu fpät geworden, ging ihr Vater mit ihr nad) 
Neapel und begrub fie dort. Sie war verlobt — 
mit einem Maler. Der fam auch hin und da iſt 
denn wohl etwas vorgefallen. Lieber Gott, fie 
war todkrank und er ein frifches junges Blut. 
Wie ich gehört habe, follen dort die rauen ganz 
gefährliche Geſchöpfe fein. — Warte. Da fällt 
mir ein: ich habe fogar etwas Gejchriebenes über 
fie. Wir beſaßen nämlich einmal einen fogenann: 
ten Dichter in der Familie. Lillian kommt doch 
nicht fo jchnell zurüd. Ich hole dir unterdeſſen 
die Sachen!“ 

Sie ging eilig fort und fam bald darauf 
mit einer bejtaubten Schachtel zurüd,, die fie vor 
Nobert auf den Tifch ftellte und öffnete. Oben: 


auf lagen verwelfte Roſen; darunter ein vers | 


gilbtes Manufkript und ein blaſſes Paitellbild. 
Haftig griff Nobert danach und hätte beinahe 
einen Schrei ausgeſtoßen; er erblidte das Bild 
jeiner Braut ; ebenjo jung, ebenfo zart; dasfelbe 
blafje, ſüße Gefichtchen, von langen, lichten Locken 
umflofjen; diejelben träumerifchen, wehmütigen 
blauen Augen, die jehnfuchtsvoll weit, weit in 
die Ferne zu bliden fchienen, vielleicht nach dem 
treulofen Öeliebten ; derjelbe wehmütig lächelnde, 
liebenswürdige feine Mund. 

Während der Verlobte das Bild faſt mit 
Entjegen betrachtete, wurde die gute Mutter 
wieder redſelig. 


243 


„Nun, was habe ich dir gejagt? Hatte ich 
nicht recht? Ganz unfere Lillian! Es foll ein jehr 
wertvolles Bild fein. Behalte ed nur. Du be- 
kommſt ja auch das Driginal. Wir armen Eltern 
müjjen eben jehen, was uns übrig bleibt. Das 
ift fo der Welt Lauf. Wenn du unfer Gold: 
find nur glücklich machſt. — Was ich jagen 
wollte: Denfe dir, diefes Bild hat der Maler 
gemacht — du weißt ſchon welcher; der mit 
daran ſchuld trägt, daß das arme, hübfche Kind 
jo früh hat fterben müffen. a, die Männer! 
Treu ift feiner. Freilich du — ich will nichts 
gefagt haben. Du bijt aber auch eine Aus: 
nahme. — — Nun, ich fehe, du willjt allein 
fein und die alte Gejchichte lefen. Nimm es dir 
nur nicht zu fehr zu Herzen. Unfere Yillian iſt 
e3 ja nicht und du bit ja fein treulofer Maler. 
— Gott jei gedankt! Gleich bringe ich fie dir 
her!“ 

Als der Jüngling allein war, ftellte er das 
Bild feiner Verlobten vor fi hin, 309 das ver: 
gilbte Manuffript unter den verdorrten Roſen 
hervor und las. — — 

— — Mo bei Neapel der Feljenvorfprung 
des Poſilippo mit flachen, fanften Ufern in das 
Meer ausläuft, liegt mitten in weiten Gärten 
ein freundliches Yandbhaus. Weit ab von der 
tojenden Stadt und den jtolzen Villen auf der 
Höhe, träumt das Häuschen unter Laub und 
Blüten verftet von vergangenen Tagen, mo 
vom Palaſte der üppigen Königin die Stimmen 
eines bacchantifchen Lebens bis zu feiner Ein: 
ſamkeit hinüberdrangen: verliebtes Lautenſpiel, 
ſehnſüchtiger Gefang, fröhliches Lachen hold— 
jeliger Frauen. Das war lange her. Yebt lag 
e3 ringsum verlafjen, öde und lautlos da. Nur 
das Nollen der anraufchenden Wogen wurde un: 
aufhörlich vernommen und abends die Barfarolen 
der Fiſcher. 

Durch ein verfallenes Thor mit verroftetem 
Gitter und verwittertem Wappenſchilde führt es 
in den weiten, wüften Sruchtgarten, wo das 
Blühen und Reifen das ganze Jahr hindurch 
nicht abnimmt. Hier hängen neben den dunfel: 
leuchtenden Orangen die goldgelben Gitronen; 
neben den bläulichen Feigen die roten aufberjten: 
den Granatäpfel; hier erntet der Gärtner von 
Monat zu Monat Mandeln und japanefische 
Mifpeln, Melonen und Trauben und die fühe 
Stachelfrucht des Kaktus. Der Weg durd) dieje 
üppige, halb wilde Fruchtbarkeit ift hoch mit 
Gras bewadjen. 


Fon 


244 


Endlich fteht man dit vor dem Haufe. 
Der von Eäulenhallen umſchloſſene Hof ift ver: 
fallen und gleicht einer Blumenwildnis. Mut: 
willige Nofen find bis zum Dad) hinaufgeflettert, 
Ihlingen um graue, pausbädige Liebesengel 
blühende Ranfen, werfen Guirlanden von Säule 
zu Säule, umwinden das ganze Haus mit im: 
merblühenden Feſtons, wälzen ſich über die 
Treppen, füllen die Terraffen. Sie werfen fi) 
vom Haufe hinüber, hinein in die Gipfel der 
Cypreſſen und Pinien, die fie in wahre Blüten: 
pyramiden verwandeln, daß Die Zweige Mühe 
haben, fich gewaltfam durchzubrechen, um ſich 
nicht hilflos würgen zu laffen. Ueber einem 
bunten Teppich von Veilchen und Heliotrop, in 
den blaſſe Lilien und Narcifien hineingewirkt 
find, fteigen dunfle Lorbeer: und Myrtenwände 
empor, die fich zu Gängen wölben, wo es am hell: 
ſten Tage dämmerig ift ; die Nachtigallen Schlagen 
hier den ganzen Tag über. Auf hohen Sodeln 
ftehen blafje Marmorbilder. Viele find bis zum 
Leib unter Blüten begraben. Natürlich find 
aud die Nofen wieder da! Sie Heiden die nad: 
ten Zeiber in Gelb und Roſa, in dunkles Rot 
und zartes Wei; fie frönen die Stirn mit 
Blüten und Domen. Hier fchüttet eine Flora 
aus ihrem Füllhorn lebende Blumen, dort 
ſprießen aus dem Köder der Diana blutrote 
Krofpen. In jener Myrtenlaube ſcheint eine 
Venus einer Veilchenwoge zu entjteigen und 
unter diefer Palme ift gar ein fchlafender En- 
dymion von einem römischen Altar herunterge: 
funfen, auf ein Bett von Tazetten und Krofus. 
Alles ift Glanz, Glut, Schönheit, Duft, Poeſie. 

Das Haus ift geöffnet. Eine hohe Halle 
empfängt den Eintretenden, den die verblaßten 
Gejtalten einer längjt gejtorbenen ſchönen Götter: 
welt von den Deden und Wänden grüßen. — 
Dieſe Dornenwildnis! Gott weiß, wie fie hinein: 
gekommen, aber drinnen ift fie, und auf den 
Ranken fiten die Vögel der ſchönſten Göttin. 
Das Märchen ift fertig und dort ift auch die 
Jungfrau aus dem Märchen: im lichten Kleid, 
mit goldigem Haar. Sie fteht auf der Terrafie, 
von der zu beiden Seiten leuchtende Mar: 
mortreppen zum Meere hinabführen. Die un: 
terſten Stufen werden von den Wellen bejpült. 
Sie blidt hinaus in die flutende Unendlichkeit, 
die an diefen glüdjeligen Geſtaden unendliche 
Schönheit ift. — Auf der einen Seite der Golf 
mit dem Veſuv und dem ſchönen Kranze des 
Gebirges, fo weit das Auge reicht, von einem 


Richard Dof. 


ſchimmernden Saume von Städten eingefaft. 
Auf der anderen Seite einfam, öde, verlaflen der 
Golf von Bajä. Gerade gegenüber Capri, ſtrah— 
lend den Wellen entjteigend, ſchön und geheim: 
nispoll, eine wunderfame Meeresſphinx. 

Der Jungfrau Augen leuchten, ihre blafjen 
Wangen find gerötet; fie atmet tief und leicht. 
Ihr Vater tritt zu ihr. Auch auf diejes ernite 
Geſicht fällt ein Schein von Glüd: feine Toter 
wird leben bleiben! 


Der Vollmond fchien. Ueber Capri zog ein 
ſchweres Gewitter herauf. Es war ein glühen= 
der Tag gewejen und die Nacht hatte feine Küh— 
lung gebradt. Die Natur lag da, wie mit ge— 
lähmten Lebenägeiftern, wie gebannt von ihrer 
eigenen ftrahlenden Schönheit. Ueber ihr wälzte 
ji die Glut. Es war, als vermöchte felbit das 
Meer fih faum zu regen. 

Die Blumen hingen die Kelche, ala hätten 
fie fih am Sonnenlichte beraufcht. Kein Tau 
erfriichte fie. Auch die Nachtigallen ſchwiegen. 

In Lillians Zimmer ftanden die Feniter 
weit geöffnet; Glanz und Glut ließen fie nicht 
einschlafen. Wenn fie aufblidte, ſah fie durch 
einen Rahmen von Roſen auf das Meer hinaus 
Das war die Welt nit mehr: Erde und 
Himmel ſchienen in Licht und Schimmer zuſam— 
menzuftrömen. 

Schwerfällig wälzte fich die dunkle Wolken— 
mafle nah und näher. Dem Mädchen ward 
bang. Sie löfte die ſchweren Flechten, öff: 
nete ihr leichtes Nachtkleid — wie ihr Herz 
wieder ſchlägt! Nod eine Weile verſucht fie es 
auszuhalten. Dann jteht fie auf und jchleicht 
mit bloßen Füßchen über den fühlen Marmor: 
boden aus ihrem Zimmer und zum Haufe hinaus. 
Aber auch draußen Fann fie nicht aufatmen. Sie 
geht die Treppe hinunter, bis fie das laue 
Wafjer an ihren Füßen fühlt. Ohne das Kleid 
abzumwerfen, ohne den jungen Leib den Mond: 
jtrahlen zu enthüllen, gleitet fie hinab, tief und 
tiefer taucht fie unter und wieder empor, ſich 
die naflen Haare aus dem Gefiht ſchüttelnd. 
Zu müde, um die Arme zum Schwimmen zu 
bewegen, liegt fie regungslos auf dem Wafler 
und läßt fich von den Wellen tragen. Die Hände 
hat fie über der Brust gefaltet, die Augen hält 
fie weit offen. Wieder fieht fie in den Glan; 
hinein, wieder fühlt fie, als ſei fie won der Erde 
verloren. Zuweilen riefelt die Flut über ihr 
blafjes Gefiht. Ihr lofes, Lichtes Haar wird 


Dedi Napoli. 


aufgehoben und ummallt die zarte Gejtalt. | 


Kaum, da fie atmet. Co gleitet fie dahin, 
einer Toten gleich. 

Plötzlich werden ihr die Glieder ſchwer, die 
Augen fallen ihr zu; fie hätte einjchlafen 
mögen. Schon fühlt fie wie fie ſinkt. Mit An: 
jtrengung aller Kräfte bringt fie fich nad) dem 
Landhaufe zurüd. Auf der erjten Stufe finft 
fie nieder, mit dem halben Leibe nod) im Waſſer. 

Jetzt folgt ein Löftliches Ausruhen, der Geift 
ichweift frei dahin über Erde und Meer zu 
Himmelshöhen hinauf. 

Zugleich beginnt das düſtere Gewölk fid) in 
wilden , lautlojem Wetterleuchten zu entladen. 
Zange, farbige Blitze gleiten durch die Mond: 
nacht in das ſchimmernde Meer. Wenn Lilltan 
jet die Augen aufſchlägt, jo iſt's ihr, als fei 
der Himmel in Flammen gefett, und Flammen 
fpeien die Berge, Flammen zuden aus ben 
Wellen empor. Blutrot rinnt es den filberhellen 
Rücken des Vefuv hinunter. Wie in einer Bifion 
jieht Lillian einen Nachen dem Garten fich nähern. 
Zwei Öeftalten figen regungslos darin. Gewiß 
ein Liebespaar, denkt Lillian. Ein Liebespaar 
— fie finnt darüber nad. Was ijt es, wenn 
zwei Menjchen fich lieben — was ift die Liebe? 
Man faßt fi) bei der Hand, fieht ſich in die 
Augen, lächelt fi an, jagt ein Wort oder auch 
nichts und — ja, und man ift der Erde entrüdt, 
in einen Himmel gehoben. Sie wußte das, ſeit— 
dem einer, der ihr lieb war, hatte von ihr gehen 
müſſen, ſeitdem wußte fie esan dem Schmerz, der 
ihr Herz durchzudte und nie wieder ganz daraus 
verſchwand. Sie wußte es an dem fie glühend 
durchſchauernden Glück, als ihr gefagt wurde: 
daß jie dem lieben Jüngling nachfolgen follte 
in das Land der Liebe und des Lebens. Sie 
hatte ihm nicht wiedergefehen, aber es konnte 
jeden Tag geſchehen, jede Stunde und dann — 
dann fam eben das Wunderfame: das Leben! 

Unterdeſſen ift der Nahen ganz nahe ge: 
fommen, Es ijt gewiß ein Traum, fie kann ſich 
nicht regen. Alles ift hell und fie fieht alles. 
Sie ficht ein ſchönes, Ihwarzlodiges Weib und 
einen Jüngling, den kennt fie; fie möchte im 
Traume ſogar jeinen Namen rufen, fie öffnet 
ſchon die Lippen; aber was ſich dieſen entringt, 
iſt nur ein tiefer, fchmerzlicher Seufzer. Dann 
ijt fie wieder ganz ftill und träumt weiter mit 
offenen Augen. 

Auf der anderen Seite der Treppe landet 
das Boot. Cie find jehr glüdlich, fie lachen und 








| 


245 


flüftern. Lilian hört alles; aber regen kann 
fie fih nicht, auch nicht feinen Namen rufen, 
nicht einmal mehr feufzen, jelbjt nicht ein wenig 
tiefer hinabgleiten, daf fie untertauchen und den 
Traum auf dem Meeresgrunde austräumen 
fönnte, 

Die beiden haben fih auf dem Fühlen 
Strande niedergelafjen. Die Negungsloje hört, 
wie der Jüngling vom Geländer einen Nojen: 
zweig abreißt und ihn im übermütigen Spiel 
der jchönen Frau um die Haare fhlingt. Dann 
werden die Worte leidenfchaftlicher, glühende 
Küffe werden gegeben und empfangen, Liebes: 
beteuerungen gewechſelt, bis die Laufchende 
nichtö mehr vernimmt. 


— — — — — — — — — — — 


Am anderen Morgen fand der Vater ſein 
Kind auf den Stufen liegen, den halben Leib 
von der Flut beſpült, mit weit offenen, er— 
loſchenen Augen, in den leuchtenden Himmel 
hineinblickend. Zu ihren Füßen hatten die Wellen 
einen Roſenzweig hingetrieben. Er war wohl 
der ſüßen Entſchlafenen beim Entſchlummern 
vom Kopfe geglitten. Der Vater legte ihn ihr 
um die blaſſe Stirn: mit ihm geſchmückt ging 
Lillian in die Ewigkeit ein. 

„Am Herzſchlag iſt ſie geſtorben,“ ſagten 
die Aerzte. 


III. 


Das Papier entfiel Roberts Händen; er 
ſah unverwandt auf Lillians Bild, auf die ver— 
welkten Roſen. Da öffnete ſich die Thür und 
die Lebende trat ein: in ihrem Brautkleide, blaſſe 
Blüten im Haar. Als ſähe er eine Erſcheinung 
ſtarrte ihr Verlobter ſie an, bis ſie, von Rot 
übergoſſen, in ſeine Arme flüchtete. 

Als Robert ihr warmes Leben an ſeiner 
Bruſt fühlte, überkam ihn die ganze Glüdjelig: 
feit der Gewißheit. 

„Du lebſt,“ jubelte er auf. 

Lilian jah ihn gang erfhroden an, dann 
flüfterte fie: „Sieh doch, wie ich mich für dic) 
geihmüdt habe. Nur der Schleier fehlt noch 
und der Kranz; damit muß ich warten, bis — 

Er küßte ihr das Wort von den Lippen fort. 
Er war wie beraufcht. Immer wieder fagte er 
vor fih hin: „Sie lebt! Sie lebt!” 

„Daß du mid) fo lich haft,“ jtammelte Lil: 


246 


lian. „D du, du — —“ Sie hob beide Hände 
zu ihm empor. „Daß Menjchen fo glüdlich fein 
fönnen!” 
„Bu glüdlid) für diefes Leben,“ erwiderte 
ihr Verlobter, faum wiſſend, was er fprad). 
Wieder ſah Lillian ihn an, heftig erichredt. 
„Was find das für verwelfte Blumen, was 
für Briefe, was für ein Bild? Sie trat zum 
Tiſche. | 
„Es gehört deiner Mutter,“ verjehte No: | 
bert, und ſchloß alles fehnell in die Schachtel | 
| 
| 





hinein. 

„Habt ihr beide Geheimnifje?” fcherzte 
Lillian, zum Fenfter gehend. Nobert folgte ihr. 
Seine Braut deutete hinaus. 

„Sieh, wie alles verändert ift, feitdem du 
mich hier zum erjtenmal geküßt. Es iſt Herbit 
geworden. Wie fam das nur fo fchnell? Mir 

| 
| 





it, als fei es geftern geweſen, daß ich hier nichts 
als Blüten ſah. Diefer trübe Himmel, diefe 
graue Welt! Könnten wir fort!” 

„Wohin?“ mühte ſich Robert fcherzend zu 
fragen. 

„sh weiß ed nicht. Nur fort: Siehſt du, 
ic) kann es dir nicht jagen. Es lajtet jo auf mir, 
daf ic) Faum zu atmen vermag.“ 

„Sei doch ruhig, Liebhen! Komm, fee 
dich zu mir. Lege deinen Kopf an meine Bruft 
— fo. Aber diefe zudringlicde Locke jage ich 
fort. ch muß in deine Augen ſehen fönnen. 
Und nun la uns plaudern.“ 

„Ja, ja.“ 

Dennoch ſchwiegen beide. 

„Wie dein Herz klopft,“ ſagte endlich der 
Jüngling. „Dein liebes Herz!“ 

„Du liebſt es, weil es für dich ſchlägt.“ 

„Nein, ich bin glücklich, weil es überhaupt 
ſchlägt: es iſt dein Leben!“ 

„sch fühle es erſt, ſeitdem es dich fo glüd: 
lid macht.“ 

„Und früher?“ 

Sie ſchwieg, ſann nad). 

„Früher,“ antwortete fie langfam, ftill vor 
ſich hinblidend, als läſe fie es irgendwo ab. 
„Was wußte ich früher von meinem Leben? So 
wenig, daß ich jeßt gar nicht begreifen kann, 
daß es überhaupt Leben war. Man jagt ja 
auch von den Blumen, daß fie leben follen. 
Aber alaubft du, dab ihnen etwas wohl oder 
weh thut? Im Sonnenjchein blühen fie auf, im 
Sonnenschein verblühen fie wieder. Sie willen 
weder von dem einen noch von dem anderen. | 








Richard Dof. 


Das ift traurig! So fühllos, dumpf muß aud) 
ich da gewefen fein: aber jetzt — wie joll ich es 
nur nennen? Du famft, ſahſt mid an und 
plötzlich erwachte ih; du fühteft mich und nun 
lebte ih. Wie fann mir dies Leben je wieder 
genommen werben, jo lange ich dich habe, 
jo lange du mich liebjt?! Und der Menſch liebt 
ja wohl endlos.” 

„Endlos,* wiederholte Robert mechanisch 
ihr letztes Wort. 

„Es joll Männer geben, die ihre Frauen 
nicht immer lieben. Sit das wohl möglih? Die 
ihnen fogar untreu werden. Kannft du dir das 
wohl denfen? Und wäre es nur ein treulofer 
Blid, ich würde ficher daran ſterben.“ 

Sie war reizend, wie fie fo plauberte, fo 
ſcheu und fhüchtern, nicht wagend, ihn dabei 
anzufehen. 

„Kannft du es dir denken?“ frug fie noch 
einmal, ihn plößlich voll anblidend. 

„Ich kann es mir nicht denken,“ verjegte 
Robert, und lächelte dabei, wie ein Erwachſe— 
ner lächelt über das Märchen, welches er Kin— 
dern erzählt. 

„Nicht wahr? Nun bin ich wieder ganz 
froh!“ 

„Warſt du traurig ?* 

„Mir war bang, du weißt ja, der Herbit ift 
eben eine jo wehmütige Zeit.” 

„Was meinft du, wenn wir dem Herbft 
davonliefen, mitten in den Sommer hinein.“ 

„Wie?“ 

„Nun ja; wir müfjen doch) eine Hochzeits— 
reife machen.“ 

„Ach Gott!” 

Robert beugte ſich über fie und fpielte mit 
ihrem weichen Haar. „Wohin gingft du wohl 
am liebjten?“ 

„Mit bir!“ 

Sie zitterte fo heftig, daß er fie umfafjen 
mußte. 

„Freilich mit mir — Mann und Weib,“ 
fagte er ganz leife. „Haft du gar feinen Wunſch? 
Nede doch.“ 

„Du bift fo gut! Wohin follte ich wollen, 
wenn du bei mir biſt. Schön müßte es frei: 
lich fein.“ 

„Was müßte ſchön fein?“ 

„Hort mit dir, aus dem trüben Tage mitten 
hinein in den Sonnenjchein, wo alles leuchtet 
und ftrahlt. Dort, wohin ich mit dir gehen 
möchte, wachſen Palmen, von Nofen um: 


Dedi Napoli. 


ihlungen, die das ganze Jahr über blühen; ein 
dunfelblaues Meer wogt und rauſcht, Fiſcher 
fingen ſchwermütige Lieder, ſchöne Menſchen 
wandeln unter Orangenbäumen, in weiten, 
lichten Hallen ſtehen blaſſe Marmorbilder — 
welch eine Luft, welch ein Duft! Man ſagt 
freilich: Neapel ſehen und ſterben. Geh' mit 
mir nach Neapel, Geliebter.“ 

Am Nachmittage ſaßen die beiden wieder 
zuſammen und Robert las Lillian die Mignon— 
Lieder vor. Sie hörte mit großen, erſtaunten 
Augen zu und ſchien von der Schönheit der Ge— 
dichte ganz überwältigt. Als Robert geendigt, 
verharrte ſie lange ſtill und ſtumm. Endlich 
ſagte ſie: 

„Das iſt ſo ſchön, daß ich es nicht begreifen 
kann; aber mir iſt's, als hätte ic) das alles auch 
fagen fünnen, Wort für Wort” und fie flüfterte: 
„Dahin, dahin, laß mich mit dir, mein Gatte, 
zieh'n!“ 


IV. 


Neapel ſehen und — leben. 

Robert vermochte ſich nicht vorzuſtellen, wie 
ein geliebtes Leben aus dieſem ſonnigen Tage 
ins ewige Dunkel hinabtauchen konnte. Ihm 
ſchien an dieſen glückſeligen Geſtaden die Welt 
ſo ſchön, daß ihm die Menſchen unſäglich jam— 
mervoll vorkamen, die in einem ſolchen Elyſium 
Gräber ſchaufeln und Grüfte ausmauern mußten. 
Die bachantifche Stimmung des Landes riß ihn 
hin, er fühlte fi) oft wie beraufcht. In diefem 
erhobenen Zuſtande bemerkte er an feinem 
jungen Weibe nur, daß diefes mit ihm eine 
Reihe von Feittagen verlebte. 

Ein überaus günftiger Winter ließ die 
Empfindung, daß auch hier rauhe, trübe Tage 
fein fönnten, gar nicht aufflommen. Sie wohnten 
nicht in Neapel jelbjt, fondern — doch damit 
war es ihnen ſeltſam gegangen. Ganz betäubt 
von dem Lärm jener bacchantiihen Stadt flüch— 
teten fie gleih am erſten Morgen nad) ihrer 
Ankunft auf das Meer hinaus. Sie fuhren von 
Santa Lucia aus an der Chiana dahin, am 
Johannapalaſt vorüber und um den Vorjprung 
des Poſilippo. Wo das Felſenufer mit fanfter 
Neigung ins Meer abfiel, ſahen fie von Citronen— 
und Orangenbäumen ummaldet ein einfames 
Landhaus. Je näher fie famen, dejto größer 


wurde Lillians Entzüden. Hier zu wohnen, hier 


glücklich zu fein! 


— — —— ————— | | 





247 


Das Haus ſchien vollkommen unbewohnt; 
alle Fenſterläden waren geſchloſſen, kein Menſch 
zu erblicken. Eine große ſchöne Terraſſe lag 
dicht über dem Meere, zu dem breite Doppel: 
treppen hinabführten. Die unterjten Stufen 
bejpülten die Wellen. Hohes Gras ſchoß aus 
den Ritzen der Steine auf; überall ranften die 
Nofen. Nobert glaubte das Haus zu erfennen. 

Lillian bat, daß man an der Treppe an: 
legen, ausfteigen und das märchenhafte, kleine 
Schloß befehen möge. Nur ungern willfahrte er. 

Glüdjelig eilte Lillian voraus, vor Luft in 
die Hände fchlagend, laut jubelnd. Sie fanden 
in der Vorhalle eine Thür offen, durch die fie 
in einen Saal traten, von deſſen Wänden blaſſe 
Göttergeftalten auf fie niederfchauten. Robert 
ftand, die Gemälde betracdhtend, als er Lillian 
freudig ausrufen hörte. Sie war aus dem Saal 
in einen Hof gefommen und glaubte fic plöß: 
lich in ein Märchen, und zwar in Dornröschen 
verjeßt. Wohin fie jah: Nojen, nichts als 
Roſen. Robert folgte und fah jtaunend auf eine 
Geſtalt, die fih aus den leuchtenden Blüten 
erhob. Es war ein Mädchen von ungewöhnlicher 
Schönheit, hoch und ſchlank, mit der Haltung 
einer Fürftin. Sie trug ein dunfles, falten- 
reiches Kleid und eine Korallenfhnur um den 
Hals. Ihren Kopf bededte ein weißes Schleier: 
tuch, Darunter fich ſchwere, nachtſchwarze Flechten 
hervordrängten. hr Gefiht war wie aus - 
Bronze gegoffen, aud jo regungslos in dem 
Ausdrud feiner ftolzen, ftrengen Züge. Sie 
ſpann an der Spindel und fchien die Gegenwart 
der Fremden gar nicht zu bemerken, obgleich fie 
gerade nach der Stelle hinfah, wo Robert ſtand. 
Auch Lillian hatte fie jet erblidt. 

Robert ging zu dem Mädchen hin und ent: 
fhuldigte ihr Eindringen: Fe hätten fragen 
wollen, ob das Haus zu vermieten wäre, Dann 
erfchrad er: das wollte er gar nicht jagen. 

„Warum foll es nicht zu vermieten fein? 
Es wohnt niemand darin,“ erwiderte das fchöne 
Mädchen gleichailtig, ohne fih vom Fled zu 
rühren, oder ihn nur anzubliden. 

„Können wir es uns anſehen?“ frug Nobert 
mechaniſch. 

Statt aller Antwort ging ſie voraus, lang— 
ſam, ohne umzuſchauen, ob ihr gefolgt würde. 

„Was haſt du mit ihr geſprochen?“ fragte 
Lillian, die jetzt erſt zu ihm trat. 

„Ob wir hier wohnen könnten.“ 

„Robert!“ 


248 Richard Dof. 


„sch dachte, du würdet dich freuen,“ fagte | zu dem Mädchen trat, lachte dieſes gerade laut 
er, ohne fie anzufehen. Er mußte dem Mädchen | auf. Nach einer Weile fam er zu Lillian zurüd. 
nachſchauen. „Spottbillig!“ rief er ihr ſchon von weitem 

„Ja, ja; wie gut du bift! Hier zu woh: zu. „Ich hätte mich geſchämt, einen Soldo ab— 
nen — es muß wunderbar ſein, ein Traum! zuhandeln. Das iſt köſtlich!“ 





Aber — —“ „Alſo — —" 
„Das Mädchen wartet auf und. Komm.“ „Alſo nehmen wir das Haus. Natürlich! 


„Wie Schön fie iſt,“ meinte Lillian leife, als | gemietet. Freuft du dich nicht?“ 
ob die Fremde fie verftehen könne. „Sehr, jehr, Es wird herrlich fein.“ 
„Findeſt du? Sie ift eine echte Neapoli: | „Und fo ruhig, jo einfam. Dieſes tolle 
tanerin, Ein ganz unheimliches Geſicht.“ Neapel hätte uns beide franf gemadt. Hier 
„Unheimlich?“ können wir leben, genießen, in Schönheit ſchwel— 
„Kommt es dir nicht fo vor? Ich habe eine | gen. — Wie blaß du heute wieder einmal biſt.“ 
Antipathie gegen ſolche Geſichter. Sie find fo „Nicht doch; ich fühle mich ſehr wohl, ich 
falt, jo jeelenlos — ich weiß nicht, wie ich mich | bin jehr glüdlich.“ 
ausdrüden foll: wie von einem ganz anderen Sp zogen fie denn in das verlafjene Haus 
Menihengefchleht, mit dem wir nichts gemein | ein und verlebten hier in Wahrheit ein Mär: 
haben, das ung ewig fremd bleibt. Diefes | den. Sie hatten für die Dauer ihres Aufent: 
Mädchen fieht ganz ftatuenhaft aus. Ich bin | haltes das Boot gemietet. Der junge hübfche 
überzeugt, daß fie leivenjchaftlich fein Fan, wie | Fiſcher — er hieß Gigi und war mit Leib und 
ein Dämon. Nein, die Bewunderung für der: | Seele Neapolitaner — führte das ganze Haus: 
gleihen Schönheiten überlafje ich gern Dichtern | wejen, machte in Neapel die Einfäufe, beforgte 
und Künſtlern!“ jogar die Küche. Wenn er nichts zu thun hatte, 
„Das tft ſehr feltfam,* entgegnete Lillian | lag er im Sonnenſchein und fang fchwermütige 
in einer Weife, als dächte fie nur laut. Lieder. Im übrigen war er jo glücklich wie nie= 
Robert lieh plöglid) ihren Arm los. mals in feinem Leben, da er niemals in feinem 
Das Mädchen hatte in allen Zimmern die | Leben fo viel Maccaroni hatte efien können. Daß 
Fenſterläden aufgejtoßen, den beiden die Be- | er nebenbei leidenschaftlich und dabei völlig hoff: 
fichtigung der Näume völlig allein überlaffend. | nungslos in die fchöne Marietta verliebt war, 
Das Haus hatte viele Gemächer, eines immer | that feiner Lebensluft feinen Abbruch). 
öder und ſchwermütiger, wie das andere, über: Diefe jtolze Donna verhielt ſich nad wie 
all Spuren einftmaliger Pracht. vor völlig — königlich gegen die beiden rem: 
„Nun, wie gefällt es dir?” fragte Nobert, | den. Zu jeder Tagesftunde fonnte man fie 
das lange, beflommene Schweigen unterbrechend. | im Freien treffen, entweder in dem Rojenhofe 
„Wunderfhön! Nur die Luft macht mir | oder unter den Orangenbäumen. Man fah fie 
bang.“ ſtets dieſelbe Arbeit verrichten, ftets dieſelbe un: 
„Das fommt davon, weil das Haus lange | nahbare Miene machen. Nur dem armen Teufel 
Zeit verfchlofjen ſtand,“ ward fie belehrt. von Gigi gönnte fie dann und wann ein Wort; 
„sch kann mir noch gar nicht denken, daß | ja fie hatte fogar die Gnade, ihn über feine 
wir wirklich hier wohnen dürfen.“ herzzerbrehenden Seufzer und glühenden Liebes: 
„Es fommt nur darauf an, ob wir den | lieder auszulahen, was ihr ganz merfwürdig 
Preis zahlen wollen oder nicht. itand. Man fah erſt dann, was für rote Lippen 
„sch fürchte, es wird nicht möglich fein.“ jie hatte. Sie fing an, Lillian Furcht einzu— 
„Ich kann ja fragen.“ flößen, Nobert vermied es, ihr zu begegnen. 
Er verlieh fie jchnell, beinahe in Haft, das | Mufte er fie einmal anſprechen, fo erhielt er 
Mädchen überall fuhend. Er fand fie vor dem | faum eine Antwort. Diefes unziemende Be: 
Haufe auf der Terraffe, wo fie wieder fpinnend | nehmen verjegte ihn jedesmal in Aufregung. 
am Geländer ftand und mit dem jungen Schiffer | Mit Lillian ſprach er nie mehr über fie. 
redete. Der Burjche lag in feinem Boote lang Sein blafjes Weib flößte ihm übrigens dann 
auögeftredt, ſich um nichts befümmernd, als fih | und wann ernjte Sorge ein. Nicht etwa, daß 
von der Sonne befcheinen zu laffen. Als Robert | fie geklagt hätte, aber fie war zumweilen ſeltſam 


Er reichte ihr feinen Arm. | Und zwar habe ich es für den ganzen Winter 


— — — — — — — — — — en nn — — — 


Dedi Napoli. 


matt und müde. Wenn er fi darüber äng— 
itigte, wußte fie ihm jedoch jedesmal zu über: 
zeugen, daß es nur das Uebermaß der Schönheit 
jei, das beim ftündlihen Genufje ihre Kräfte 
erſchöpfte. Dabei erſchien ihrem beforgten 
Freunde mit jedem Tage der Glanz ihrer Augen 
jtrahlender, ihr Lächeln lieblicher, ihre Stimme 
mehr voller Wohllaut. Sie war nie heiterer 
gewefen, hatte nie lebhafter an die Vergangen— 
heit gedacht, nie mit freudigerer Hoffnung von 
der Zukunft geſprochen. So fam es, daß Nobert 
troß geheimer Sorge immer wieder denken mußte: 
„Neapel ſehen und leben!“ 


V. 


Aus Roberts Geiſt war die Spukgeſtalt 
der erſten Lillian gewichen. Zuerſt war es 
nur ein blaſſer Schatten geweſen, der ihn er— 
ſchreckte, als er an der Seite der Lebendigen 
zum erſtenmal das Haus betrat, darin jene ge— 
ſtorben. Er war nichts weniger, als nervös, 
ſondern ſtrotzend von Geſundheit und Kraft, ſo 
daß er ſich gar nicht das unheimliche Gefühl ge— 
ſtattete, welches ihn im erſten Augenblick über— 
fallen hatte, als er ſich mit Lillian ſo uner— 
wartet in dem verlaſſenen Landhauſe wohnen 
fand. Es war alles mit ſo natürlichen Dingen 
zugegangen, daß er den Glauben an ein Ver— 
hängnis bei ſich ſelbſt auf das heftigſte als Aber— 
glauben ſchalt. Dann allerdings waren Tage 
gekommen, wo der Geiſt der Geſtorbenen in 
Lillians Geſtalt an ſeiner Seite lebte und ſich 
nicht verſcheuchen ließ. Oft hatte er gedacht, 
es nicht ertragen zu können und war im Begriff 
geweſen, Lillian zuzurufen: 

„Wir gehen fort; morgen, heute noch!“ 

Jedesmal hatte er aus Scham geſchwiegen 
und die Schwäche tapfer niedergekämpft. Zu— 
letzt gelang es ihm denn auch völlig, ſeiner 
Phantaſie Herr zu werden. Er war zu dieſer 
Zeit mit anderen, womöglich noch unheimlicheren 
Gedanken beſchäftigt. 

Lillian blieb von allem völlig ahnungslos; 
ſie wußte kaum, daß vor ihr noch eine an— 
dere ihres Namens dageweſen war. Uebrigens 
hatte Robert das Manuſkript und Bild mitge— 
nommen und bei fi in feinem Zimmer ver: 
ſchloſſen. Zuweilen fühlte er fi gezwungen, 
das Gemälde zu betradten und das kurze 
Sclußfapitel des fleinen Dramas zu leſen. 


| 


) 


249 


Eines Tages beſuchte Robert in Neapel 
das Statuenmufeum, Lillian befand fi in 
ihrem Schlafzimmer. Wie gemöhnlih, wenn 
fie allein war, ruhte fie aus. Aber nicht etwa, 
daß ihre Ermattung ihr irgend welche Sorge 
eingeflößt oder fie diefelbe vor Nobert angſtvoll 
geheim gehalten hätte: fie war nur nicht ge: - 
wöhnt, über ſich zu reden. 

Mit geichlofjenen Augen auf dem Bette 
liegend, doch nicht fchlafend, gedachte fie des 
lieben Entfernten und wie er ihr jeßt fo ver: 
wandelt vorfam: bald feltfam träumerifch, fait 
tieflinnig, bald leidenſchaftlich auffahrend, bald 
teilnahmlos, bald unverftändlich erregt. Dabei 
zerjtreut bis zur Verwirrung, unruhig bis zum 
Unftäten. Was mochte mit ihm fen? Was 
in ihm vorgehen? Sal) fie ihn zumeilen zärtlich 
an, jo wandte er feinen Blid von ihr ab; wagte 
fie einmal einen Kuß oder eine ſchüchterne Lieb: 
fofung, jo entzog er fich ihr, und das manchmal 
fogar unfreundlich. Richtig — jetzt fieles ihr ein: 
er küßte fie eigentlich nie mehr und that er's, 
jo berührte er nur flüchtig ihre Stirn oder 
Augen. Früher war das anders gewefen; über: 
haupt früher — — 

Dabei hatte er nie foldhe zärtliche Sorge 
um fie getragen, folde unnötige, zärtlihe Sorge. 
Er lebte dafür, fie vor jeder Zugluft zu ſchützen, 
ihr jeden Stein aus dem Wege zu räumen; es 
machte ihn glüclich, im Garten für fie die ſonnig— 
ften Plätze auszufuchen, ihr die ſchönſten Blumen 
zu bringen, oder fie weit ins Meer hinaus: 
zurudern. Er war ihr für jedes Lächeln dank: 
bar, er ihr, die nichts anderes thun mochte, 


' als ihm ihren Dank zu ftammeln. Warum jah 
‚ er fie zuweilen, wenn er fih unbeobadtet 





| 
| 





glaubte, jo unendlich traurig an, fo unſäglich 
mitleidig? Mitleidig, fie, die fie ihn liebte, 
die fie von ihm geliebt wurde? Einmal — 
fie würde es niemals vergefjen — hatte er jie 
in heftiger Bewegung umfangen, war an ihrer 
zitternden Geſtalt niedergeglitten, hatte fein Ge: 
fiht an fie gebrüdt und war in ein lautlofes, 
frampfhaftes Schluchzen ausgebrochen. So oft 
fie daran dachte, fühlte fie fih von neuem ent: 
ſetzt. Damald war Marietta in den Garten 
gefommen; wie war er da aufgefahren! Mit 
welchem Blide hatte er dem fremden Mädchen 


nachgeſtarrt. Die that, als wenn fie nichts ge: 


jehen hätte. Etwas wie Haß, wie tödliche 
Feindſchaft hatte damals in diefem Blide ge: 
legen. 


2 
= 


o 
Dr 





250 Ridwrd Voß. 


Marietta! Wie jtolz der Name klang, wie 
ftolz und zugleich wie zärtlich. 

Auf einmal hörte Lillian durch das offene 
Fenſter Mariettas tiefe, ruhige Stimme. Sie 
ftand auf der Terrafje und ſprach mit Gigi: 

„Seine Frau? Er hat gar feine Frau.“ 
hörte Lillian fie in einem beinahe graufamen 
Tone jagen. „Lang fann es auch nicht mehr 
mit ihr dauern. Sieh’ fie dodh an. Und er 
merft es nicht einmal. Nun, für ihn iſt's qut 
und für fie noch beifer. Aber was fümmert’s 
mich ?” 

„Was es dih kümmert, du Schlange? 
Als ob du ihm nicht nachſtellteſt, und ala ob er 
nicht ſchon längſt gefangen wäre!“ 

„Du bift verrüdt.* 

Sie late laut auf; das Lachen eines Di: 
mons, 

Darauf war e8 wieder ftill. 

Lilian hatte alles gehört, aber nichts ver: 
ftanden. Wie follte fie auch verjtehen? Es war 
ja ein häßliher Traum. Unmöglid, daß es 
nit Traum gewefen! Sie hatte gefchlafen — 
ber heiße Schweiß ftand ihr auf der Stirne, 
Jetzt war fie erwacht. Die Glieder waren ihr 
noch ſchwer; fie fonnte fih faum regen. Eine 
Weile lag fie jtill da, ohne denfen zu können; 
auf ihrem Kopfe laſtete ein eigentümlicher 
Drud, in ihrem Herzen fühlte fie einen eigen: 
tümlihen Schmerz. Vielleiht war auch das nur 
geträumt. Wer hat nicht von Alpdrüden gehört? 

Plötzlich überfiel fie eine entjeliche Bangig— 
feit. Die Angſt wälzte fich über ihren ganzen 
Körper. Sie ftieß einen Schrei aus, fprang 
auf — aus ihrem Munde ftürzte Blut. 

Aber fie ward nicht bewußtlos. Robert 
fonnte jeden Augenblid zurüdfommen. Er 
durfte fie fo nicht finden. Sie mußte hinaus. 

Ihr Geficht, ihre Hände, ihr Kleid waren 
blutig. Haftig wuſch fie fih und zog fich um. 
Dabei laufchte fie fortwährend angjtvoll hinaus, 
ob er auch nicht ſchon fomme. Wollten ihre Kräfte 
fie verlaffen, jo brauchte fie nur daran zu den: 
fen. Jetzt war fie fertig, jetzt verlieh fie das 
Zimmer, das fie hinter ſich zufchloß. 

Sie ging ihm durch den Garten entgegen, 
fih mit der größten Anftrengung aufrecht er: 
haltend. Da hörte fie vor ſich Tamburingerafiel 
und, hinter einem Myrtengebüſch vortretend, ſah 
fie auf einer Wiefe, in deren Mitte eine Palme 
ftand, Marietta und Gigi Tarantella tanzen. 
Der bachantifhe Tanz hatte noch einen an: 


deren Zujchauer, der auch nichts von der ſchlan— 
fen Geftalt jah, welche die Myrtenzweige ver: 
bargen; dabei ſtand er ihr fait gegenüber, jo 
daß fie ihm ins Geficht jehen konnte. Viel: 
leicht hätte fie vor ihm ftehen können, ohne von 
ihm bemerkt zu werden: er hatte nur Augen für 
die ſchöne Tänzerin. 

Sie gli einer Mänade. Oberkörper und 
Kopf weit zurüdgeworfen, die büjteren Haare 
flatternd, hielt fie hoch über fi) das Tamburin, 
es mit einer Hand jchwingend, mit der anderen 
dagegen ſtoßend. Blitzſchnell glitten die gelben, 
ihlanfen Finger über das Trommelfell. Sie 
fümmerte fi) nicht viel um ihren Mittänzer, 
ber fie wie ein Yaun umfprang. Ganz von 
Leidenfchaft hingerifjen, tanzte fie beinahe für 
fi allein. Welche Bewegung, welche Anmut, 
welche Wildheit! Immer toller raſte das Tam— 
burin, immer bacchantiſcher kreiſte ihr Körper. 
— Lillian mußte ſich ſchaudernd abwenden nach 
ihrem Manne hin. Da begegnete ihr Auge 
einem Blicke ihres Gatten, den dieſer auf die 
ſchöne Furie warf — da verlor ſie das Be— 
wußtſein. 

Sie lag eine ziemliche Weile hinter dem 
Myrtengebüſch, bis man ſie fand. 
trug ſie ins Haus, Gigi lief nach einem Arzt. 
Marietta, die wieber i in eine vollfommene Statue 
verwandelt war, bot mit einem falten Blid ihre 
Hilfeleiftung an; Robert winkte ihr heftia 
zu, das Zimmer zu verlafien, Sie jchritt ge: 
meſſen hinaus. 

Der Arzt fam und gab feine Hoffnung. 
Robert glaubte feinen Verſtand zu verlieren. 
Und in diefem Zuftande mußte er ruhig und 
gelafien erjcheinen, da Lillian gerade wieder 
zur Befinnung fam. hr erites Lebenszeichen, 
welches fie noch halb bewußtlos gab, war, daß 
fie nad) feiner Hand tajtete und ihn anlädelte, 
bevor fie noch die Augen zu öffnen vermochte. 
Erft jet trug man fie in ihr Schlafzimmer, wo 
Nobert auf dem Boden das Blut jah. Bei 
feinem Schrei ſchlug fie die Augen auf. 

Als fie wieder zu ſprechen vermodte, ver: 
fuchte fie den Geliebten zu beruhigen. Sie 
ſchien jehr glüdlich zu fein, ala Robert ihr ver: 
fiherte, daß er durchaus nichts befürchte. Sie 
lag nun ftill da, fortwährend ihn anjehend und 
fortwährend flüfternd: 

„sch habe dich fehr Lich.“ 

Einmal aing Robert hinaus, warf fi in 
jeinem Zimmer auf das Bett und vergrub feinen 


Robert _ 


Dedi Napoli, 


Kopf in die Kiffen, um fein lautes Schluchzen 
zu erjtiden. 
mürde. 
Doch erholte fie fih noch einmal; ja, 
fie wurde wieder fo fräftig, daß er fie 
hinaus in den NRofenhof tragen fonnte. Sie 
war von einer ftillen Heiterfeit, einem unbe: 
ſchreiblichen Liebreiz, einer himmlifchen Güte. 
Mit jedem Tage erjchien fie verflärter. Stets 
trug fie ein weißes Kleid und liebte es auf ein: 
mal, eine Blume ins Haar zu jteden. 
Unterdeffen wurde es immer wunderbarer 


um die beiden. Unter dem Schluchzen ganzer | 


Chöre von Nadtigallen fam der neapolitanifche 
Frühling. Welche unfterblihe Schönheit! 


Er wußte, daß Lillian jterben | 








Täglich mußte er fie auf einige Stunden | 


verlafjen; fie trieb ihn dazu. Er jollte fort von 
ihr, nad Neapel, auf das Meer, in das Ge- 
birge. Willenlos gehordte er. Hätte fie ge: 
ahnt, welde Stunden der Entfernte an wilden 
Plätzen und in einfamen Meeresbuchten ver: 
lebte, fie hätte ihn feinen Schritt von ihrer | 


251 


jedoch in tiefem Schlaf. Er ſaß am Tifche, mit 
dem Kopfe darauf niedergefunfen. Neben ihm 
ftand, faſt herabgebrannt, eine Kerze, neben ihm 
lag aud ein Bild und ein vergilbtes Manu: 
ffript. Lilian ſchlich ſich zu dem Schläfer, 
beugte ſich herab — ihr Blick fiel auf ihr eige— 
nes Bild. Seltſam! Sie hatte ſich doch niemals 
malen laſſen. Dennoch war ſie es, ſogar trug 
ſie im Haar, eine blaſſe Blüte. — — Was 
bedeutete das? Da las ſie vor ſich eine Ueber— 
ſchrift: „Lillians Tod“. Sie nahm das Papier 
auf, ſank neben Robert auf einen Stuhl nieder 
und las — ihre eigene Geſchichte. 

Als Robert am nächſten Morgen zu ihr kam, 
fand er ſie völlig angekleidet auf ihrem Bette 
liegend, die Stirn ganz ſeltſam mit einem 
Roſenzweige geſchmückt. 

In ſeinen Armen ſchlief ſie ein. 


Seite gelafien. Aber aud) fie bedurfte dieſer ' Bismard i in Frankfurt am Main 


wenigen einfamen Stunden, um vieles zu durch⸗ 
fämpfen — auszufämpfen. Kamen fie dann 
wieder zufammen, jo waren fie beide ruhig und 
ermattet! 


Ein wahres Wunder von Wandlung hatte | 
Diefer hatte all ihr | 


fie an Marietta vollbradit. 
Trotz nichts geholfen: vor Lillians Lächeln, 
Lillians fanften Worten und ftrahlendem Blick 
vermochte die ftarre Seele fi) nicht zu ſchützen. 


Alle zurüdgehaltene Leidenfchaft brad) aus dem | 


wilden Gemüt hervor. Sie war in ihrer Be- 
wunbderung, wie in ihrer Verzweiflung über die 
Sterbende maßlos. Dagegen verhielt fie fi 





gegen Robert, als ſei er ihr Todfeind. Aud) er | 


begegnete ihr mit unverhohlener Abneigung. 

Eines Nahts machte Lillian auf. Ma: 
rietta ſaß an ihrem Bette, die brennenden 
Augen auf das todblaſſe, füße Antlis geheftet. 
Robert war nicht im Zimmer. Die Kranke 
fühlte eine heftige Sehnfuht nad) dem Ab— 
weſenden; aber fie wollte ihn nicht weden laſſen: 
er hatte jo viele Nächte gewacht, der arme 
Mann! Mit Mariettas Hilfe erhob fie ſich, 
ließ fich ihr Nachtkleid überwerfen und ſchwankte, 
ohne fich jtühen laffen zu wollen, aus dem Ge: 
mad) in das Zimmer ihres Gatten. Nur ein: 
mal anjehen wollte fie ihn und dann beruhigt 
und beglüdt wieder forticjleichen. 

Sie fand Nobert angekleidvet außer Bett, 


(1851—1859). 


Bon 
Fedor von Köppen. 


ie Stadt Frankfurt gehört zu denjenigen 

deutfchen Städten, deren Namen uns fajt an 
‚ jedem Wendepunfte der deutichen Geſchichte be- 
gegnen. Welches reiche geichichtliche Leben fpielte 
innerhalb ihrer Stabtmauern ſich ab von der Zeit 
an, als Karl der Große hier mit feinen Franken 
durd) die Furt des Mainz ging, um die jenfeits 
desjelben lagernden Sachſen zu befämpfen, bis 
fie dem legten Friedensſchluſſe zwischen Deutſch— 
land und Frankreich (10. Mai 1871) den Namen 
gab. Welche mächtige Vergangenheit Schaut von 
den Wänden des alten Nömerjaals in dem hohen 
dreigiebeligen Rathaufe droben, wo die Bilder 
der deutfchen Kaifer, die hier gefürt und gefrönt 
wurden, in den Nifchen hängen bis auf Franz II., 


‚ den letten deutjchen Kaijer, bei deſſen feſtlichem 
‘ Krönungsmahlederjunge Goethe aufder Schwelle 


neugierig durch eine geöffnete Seitenthür zu: 
ihaute! — Seltjamerweife fügte es fi, daf 
das lebte Kaiſerbild auch die legte Niſche füllte, 
jo daß für das Bild des Erzherzog-Reichsver— 
wejers Johann, jenes Kaiſerſchattens, den die 


252 


Frankfurter Nationalverfammlung (1848) für 
furze Zeit ins Leben beſchworen, fein anderer 
Mat blieb, als über einer verkleideten Seiten: 
thüre. 

Das Frankfurt, welches wir aus Goethes 
Kindheit und früher Jugend kennen, war weit 
verſchieden von der freien Neichs- und Bundes: 
ftabt, in der Otto von Bismard, unjer gegen: 
wärtiger Reichskanzler, feine ftaatsmännifche 
Laufbahn begann, Die alte Neichöftadt hat mit 
den Ningmauern und Türmen ihre finfter ehr: 
bare Miene abgelegt und fchaut aus dem Kranze 
blühender Gärten und Anlagen voll heiterer 
Anmut und Lebensluft hervor. Ueberall Reg— 
famfeit, Wohlleben und Reihtum! — Nur hie 
und da erinnert noch ein verwittertes Gemäuer 
an die mittelalterlihe Vergangenheit, jo der 
epheuumfponnene Turm mit der neunfad) durch— 
löcherten Wetterfahne, dem Wahrzeichen Frank: 
furts, am Ausgange der Eſchenheimer Gaffe, 
in welcher der ehemalige Palaſt des Reichspoſt— 
meijters Fürften Thurn und Taxis — zu der 
Zeit, von der wir reden, Sit der deutichen 
Bundesverfammlung und Refidenz bes öjter: 
reihischen Bundespräfidialgefandten Grafen 
Thun — liegt. 

Auch in gejelliger Beziehung hat Frankfurt 
jeit Goethes Zeiten eine jehr veränderte Miene 
angenommen. Noch bis zum Ende des vorigen 
Jahrhunderts waren die Juden dort faftenhaft 
für ſich abgeſchloſſen und auf eine zwifchen zwei 
Mauern eingejchlofiene, mit drei Thoren ver: 
wahrte enge Galle, deren ſchwarze Häufer Die 
überhängenden Giebel gegeneinander fehrten, 
beihränft und mußten das Nedht, an Sonn: 
und Feittagen die Gaſſe verlaſſen und das Stadt: 
thor paffieren zu dürfen, mit hohen Abgaben er: 
faufen. Jetzt bildeten fie ein bedeutjames 
Element in der Frankfurter Gejellfchaft, und 
die Namen zweier mächtigen Potentaten, die 
aus demfelben hervorgegangen, find in aller 
Munde — die Namen Rothihild und Börne. 

Die moderne Gefellihaft bewegte fih in 
zwei Sphären: in der einen Wohlſtand und 
Freiheit und der Wunſch, beide zu frohem Lebens: 
genuß zu gebrauden, aber der Mangel an ge: 
wiſſen wirklihen und eingebildeten Vorzügen, 
die außer den Gütern des Lebens noch begehrens: 
wert erſcheinen; — in der anderen vornehme 
Namen und die Ehre des Amtes, verbunden mit 
Rang, Titeln, Orden und der angenehmen ge: 
jellfchaftlihen Gewohnheit, aber der Mangel an 


nn — — —— — — — — — — — — — — — — 


Fedor von Köppen. 


Mitteln, um dieſe glänzenden Eigenſchaften zur 
vollen Geltung bringen zu fönnen. Was Wunder, 
daß beide Welten einander dur das Lorgnon 
des Spottes betradhteten und doch — je länger, 
je mehr — einander unentbehrlid wurden. Die 
eine liebte eö, ihren Reichtum zur Schau zu 
tragen, ihre glänzenden, offenen Equipagen um 
die Mittagäzeit die Zeil entlang rollen zu laſſen, 
oder abends in prachtvollen Toiletten in den 
Salons zu erfcheinen; die andere entfaltete ihren 
Glanz auf der Parade und an der grünen Tafel: 
runde im Thurn und Tarisfhen Palais. Wenn 
aber an ſchönen Sommernadhmittagendie Offiziere 
in ſchimmernden Uniformen, die jungen Attachés 
der Gejandtichaft mit Bändchen im Anopflod) 
durch die breiten Baumgänge der vorftäbtischen 
Anlagen auf edlen Rofjen dahertrabten, dann 
ward in den Batricierlandhäufern zur Seite hin 
und wieder eine Gardine gelüpft und von den 
mit Blumen befegten Balkons leuchteten fern: 
treffende Blide in das Dunkel der Baumgänge 
hinab. 

Beide Welten empfingen damals Licht und 
Wärme von der Sonne Defterreih. Die öfter: 
reichiſche Staatskunſt hatte nicht allein bei Olmütz 
geſiegt, ihr Einfluß herrſchte auch an dem wieber- 
hergeftellten Bundestage, in der Preſſe, in den 
Kabinetts der Heinen Fürften, ja er drang bis 
in die Bouboird der Schönen. Sie verjtand es 
die Rollen jo zu verteilen, daß in den tonan— 
gebenden Zirkeln Defterreich ſtets durch die an: 
genehmiten Verfönlichkeiten vertreten war. Das 
lebensluftige Frankfurt aber zollte Beifall und 
Bewunderung dem öſterreichiſchen Feldmarſchall— 
lieutenant, der mit feinen ungariſchen Judern 
in offener Chaife, einen Mohren vorne auf dem 
Bode, einen Groom hinten auf dem Bedienten: 
brette, durch die Gafjen fuhr und zutrauliche 
Grüße nah den Erferfenitern rechts und links 
hinaufſandte; es ſah jedoch vornehm auf den 
preußifchen General herab, der fein höheres 
Intereſſe fannte, als den Dienft feines Königs 
und Herrn, und nannte ihn achjelzudend einen 
„ehrenwerten Mann“. Ganz Frankfurt war 
ichwarzgelb, von dem Wappen über dem Bundes: 
palais bis zu den Gotillonfchleifen der Damen. 

In diefes Frankfurt trat (im Mai 1851) 
Dtto von Bismard, zunächſt als Nat bei der 
preußischen Bundestagsgefandtihaft, ein homo 
novus ein und empfing oder vielmehr follte feine 
nächſten Inftruftionen von dem bisherigen Ge: 
fanbten, Generallieutenant von Rochow, em: 


v 





Ric 


Bismard in franffurt am Main. 


253 


pfangen, aber fei es, daf diefer mit einem An: | Metternih auf Schloß Johannisberg. E3 war 


fluge von Eiferfuht in dem ihm zugedadhten 
Nachfolger das größere Licht ahnte, ſei es, daß 
er ihm die Fähigkeit zuerfannte, mit eigenen 
Augen Harer zu ſehen, kurz, die Inſtruktionen 
fielen ziemlic, dürftig aus. Bismard benußte 
indejien die erfte Zeit feines Aufenthalts in der 
Mainftadt, um aus eigener Anfchauung den 
Boden für feine fünftige Thätigkeit fennen zu 
lernen. Er erforfchte die Preſſe, wohnte den 
Vorträgen des Herrn von Rochow bei, machte 
Befuche bei feinen diplomatiihen Kollegen in 
Frankfurt und an den benachbarten Höfen zu 
Darmftadt, Bieberich und Karlaruhe, er nahm 
auch an diplomatischen Routs teil wie 3.B. an 
dem Galadiner zum Geburtätage des Kaifers 
von Dejterreich, wo „für 20000 Thaler Uni: 
formen goldbeladen bei Tifch jagen“. 

Mit einem „Gemisch von Wehmut und alt- 
fluger Weisheit” ſah Bismard von Frankfurt 
aus die Stätten wieder, wo er in den Tagen 
ungebundener, gärender Jugendzeit gemeilt 
hatte. „Möchte es doch Gott gefallen” , jchrieb 
er (3. Juli 1851) an feine Gemahlin, „mit 
Seinem flaren und ftarfen Beine dies Gefäß 
zu füllen, in dem damals der Champagner 
21jähriger Jugend nußlos verbraufte und fchale 
Neigen zurüdlieg. Wo und wie mögen * und 
Miß ** jett leben? Wie viele find begraben, 
mit denen ich damals Liebelte, becherte und 
würfelte; wie hat meine Weltanfchauung in den 
Jahren ſeitdem doch fo viele Wandlungen dur: 
gemacht, von denen id) immer die gerade gegen: 
wärtige für die richtige Geftaltung hielt, und 
wie vieles ijt mir jeßt flein, was damals groß 
erfchien, wie vieles jet ehrwürdig, was ich da— 
mals verjpottete! Wie manches Laub mag nod) 
anunjereminneren Menfchenausgrünen, chatten, 
raufchen und wertlos werden, bis wieder 14 Jahre 
vorüber find, bis 1865, wenn wir's erleben! 
Ich begreife nicht, wie ein Menſch, der über ſich 
nachdenkt und doc von Gott nichts weiß oder 
wifjen will, fein Leben vor Verachtung und 
Langeweile tragen kann“ ... 

Am 18. Auguft erhielt Bismard feine Be: 
ftallung als Bundestagsgejandter an Rochows 
Stelle. Sein Vorgänger ſchied, ohne ihm etwas 
anderes zu hinterlaffen, ala eine leere Mappe 
für die Brotofolle. 

Einer der erjten Befuche des neuernannten 
Bundestagsgejandten galt dem ehemaligen 
leitenden Minifter Defterreihs, dem Fürjten 


eine denfwürdige Begegnung, das Zujammen: 
treffen diefer beiden Männer; dort der Altmeijter 
einer hinfällig gemoordenen Staatskunſt, welcher 
durch fein fünftliches Syitem länger als dreißig 
Jahre hindurch einen Zuftand des Friedens und 
der Duldung in den öfterreihifhen Staaten 
erhalten und die Bewunderung der Zeitgenoffen 
damit erregt hatte, bis es unter der allgemeinen 
Erbitterung des Volkes plöglih zuſammen— 
brah, — hier ein hoffnungsvoller Anfänger, 
der, frei von aller ſyſtematiſchen Staatsweisheit, 
fih nur auf feine eigenen Anjhauungen und 
Erfahrungen ftüßte und die alleinige Richtſchnur 
für fein Handeln aus feiner Vaterlandsliebe 
entnahm; dort der Neſtor unter den europäiſchen 
Staat3männern, bei defien Weisheit Fürſten 
und Minifter zu Nate gingen, bis das Steuer: 
ruber feiner matten Hand entfanf und fein ledes 
Staatsſchiff aufden Sturmmellen der Revolution 
ſchwankte, — hier der in der diplomatiſchen 
Melt noch wenig bekannte jugendliche Gefandte, 
der, ein fejtes Ziel — feines Baterlandes Ehre 
und Größe — unverrüdbar im Auge behaltend, 
mit hellem, gottvertrauenden Mute allen Ge: 
fahren der Zukunft furchtlos entgegenging ; dort 
der unter Jahren, Erfahrungen und Täufhungen 
gebeugte Greis, — hier der rüftige märfijche 
Mann vol Zuverfiht, Schöpfungsdrang und 
Thatkraft. So ftanden ſich die beiden gegenüber, 
wie Vergangenheit und Zufunft, und zwijchen 
ihnen in hohen Nömern perlte der Wein, der 
vor Jahren an diefen Berghängen gereift war, 
flar wie der Nibelungen Gold, und die Erb: 
feuergeifter, die im Bunde mit Nether und Sonne 
den edlen Saft gebraut, horchten heimlich und 
licherten leife, wenn die Gläfer zufammenklangen. 
Noch eine Reihe von Jahren und welche Reden, 
welche Trinkſprüche werden dann hier fchallen, 
wenn der Mein, der jegt ah den Hügeln wächſt, 
die Herzen labt! — — 

Bei dem eriten Bejuhe brachte Bismarck 
drei Tage auf Schloß Johannisberg zu. Einige 
Zeit nachher fragte Graf Thun ihn: „Was 
haben Sie mit dem alten Herrn angeftellt? er 
ift ganz entzüdt von Syhnen.“ — Bismarck ant: 
wortete: „Das Geheimnis ift jehr einfach; ic) 
habe drei Tage lang mit dem Ausdrud der 
Intelligenz zugehört,“ Fürft Metternich erzählte 
nämlich ſehr gerne und fehr gut, am liebjten feine 
Erinnerungen aus der Zeit der franzöftichen 
Revolution, während welder er in Straßburg 


254 


ftudierte und feinen Hofmeijter dafelbjt zu den 
Jakobinern übergehen jah. 

Eine beiläufige Annehmlichfeit der ferneren 
Bejuche auf dem Sohannisberge war es, da 
Bismard das Herz des Kellermeijters gewann, 
welcher ihm in Blechgefähen die Weine vorjegte, 
die auf die Tafel des Fürften nur in Deffert: 
gläschen famen. 

Wenn Metternich, der bei aller Bevormun: 
dung der öfterreichifchen Landeskinder Doch gegen 
Preußen ſtets mit achtungsvoller Rüdficht auf: 
getreten war, noch die öfterreihische Politik ge: 
leitet hätte, jo wäre ein freundfchaftliches Zu: 
jammengehen Preußens mit Dejterreih am 


Bunde, wie Friedrih Wilhelm IV. es wünſchte 


und wie es auch Bismards Neigungen entipradh, 
wohl denkbar gewejen; der Mann aber, der jetzt 
an der Spitze der öfterreichifchen Staatöregierung 
Itand, Fürft Schwarzenberg, hatte e3 unver: 
hohlen als das Programm feiner Politik aus: 
geſprochen, Preußen erjt zu erniedrigen, dann 
zu vernichten. 

Den Regierungen der Heinen Staaten lebte 
die Rolle, welche Preußen in den Bewegungs: 
jahren zugedacht war, noch in friihem Gedächt— 
nis. Sie betradhteten den Bund als eine Ver: 
jiherungsanftalt für die Heinftaatlichen Hoheits: 
rechte unter habsburgiſchem Schilde gegen die 
Nevolution und gegen die revolutionären Ein- 
heitöbeftrebungen Preußens. Allerdings hatte 
der preußifche leitende Minifter von Manteuffel 
offen verfündigt, daf feine Regierung mit der 
Revolution brechen wolle, indeſſen man gedachte 
aud) der bedeutungsvollen Worte des ehemaligen 
Vertreterd der preußifchen Unionsidee, von 
Radowitz, daß jede rüdläufige Bewegung in der 
Geſchichte nur eine fcheinbare fei und ihre Bahn 
aus der Sonnenferne immer wieder zurüdlenfen 
müffe in die Sonnennähe. Daher das Gefühl 
des Mißtrauens und ber ängftlihen Beforgnis, 
mit dem die Vertreter der kleinen Staaten den 
preußiichen Bundestagsgefandten betrachteten. 
Bismard deuchte es nach den erften Eindrüden, 
die erim Thurn und Tarisichen Palais empfing, 
als ob er überall von einer geheimen Verſchwö— 
rung umgeben fei, deren Fäden nirgend anderäwo 
zufammenliefen, als in dem Bureau bes öfter: 
reichiſchen Bundespräfidialgefandten, des Grafen 
Thun:Hohenftein, aber er war mit fcharfem, 
wachfamen Auge gelommen, um zu erkennen, 
woher durd) offenes oder heimliches Uebelwollen 
feiner Negierung und feinem Lande Gefahr 








Fedor von Köppen. 


drohe. Niemals duldete er eine Zurüdjegung, 
am wenigſten da, wo er ala Vertreter feines 
Staates auftrat. 

Schon in den erjten Siyungen des Militär: 
ausichuffes nahm Bismard Veranlafjung zu 
zeigen, mie wenig er geneigt war, ſich eine — 
wenn auch nur formelle — Zurüdjegung ge: 
fallen zu laſſen. Dieſer Ausfhuß, der eigentliche 
Träger der Gefchäfte, beitand aus den Geſandten 
von Dejterreih, Preußen, den vier Königreichen 
und Heſſen-Darmſtadt. Es war herkömmlich, 
daß der Präfidialgefandte — damals Graf 
Thun — in den Situngen raudte und mit 
brennender Cigarre aus feiner Wohnung in das 
Verfammlungszimmer herabkam, wogegen der 
preußifche General von Rochow, obgleid) er ein 
leidenſchaftlicher Raucher war, ſich dieſen Genuß 
verſagte. Nachdem Herr von Bismarck dieſe 
Erſcheinung mehrmals beobachtet und erkundet 
hatte, daß ſie Gewohnheitsrechtens ſei, brachte 
auch er eine Cigarre mit und es rauchten nun 
die beiden Präſidialmächte. Sei es, daß er dieſe 
Frage der Würde zum Gegenſtand eines Be— 
richtes nach München gemacht, ſei es, daß er ſich 
mit Graf Thun benommen hatte, — genug, der 
bayeriſche Geſandte, der bekanntermaßen des 
Rauchens unkundig war, zog in der nächſten 
Sitzung eine ungewöhnlich blonde Cigarre her— 
vor, ſchlug ſich klirrend Feuer und rauchte, jedoch 
nur ſo lange, bis er gewiſſe üble Folgen dieſes 
erſten Rauchverſuchs zu ſpüren ſchien und er— 
bleichend die Cigarre weglegte. In der nächſten 
Sitzung folgte Hannover ſeinem Beiſpiel, nach 
und nach die anderen Königreiche, ſo daß zuletzt 
der ganze Ausſchuß ſich der Havanna erfreute 
mit Ausnahme des heſſiſchen Geſandten, der 
entweder das Nikotin oder das Bewußtſein 
ſeiner ſtaatlichen Inferiorität nicht überwinden 
fonnte. 

Unter den Kleinftaatsgrößen des Bundes: 
tags übte man damals noch die treue Befolgung 
des Talleyrandichen Ausſpruchs, daf die Sprache 
den Diplomaten nur gegeben fei, um ihre Ge- 
danken zu verbergen; es galt für die höchite 
Staatsmeisheit, unklare Ziele in vieldeutige 
Worte zu verhüllen oder mit vielen Worten nichts 
zu fagen. Abweichend von diefer diplomatischen 
Gepflogenheit, faßte Bismarck jtets feite Geſichts— 
punfte ins Auge, er wußte für die rechte Sache 
das rechte Wort in die Welt zu jchiden und be: 
trachtete das Wort nur als den ſicheren Vor: 
boten der energifchen That. „Ich habe nie daran 


VBismard in Sranffurt am Main. 


gezweifelt,“ ſchrieb Bismard, „daß fie alle mit 
Waſſer fochen, aber eine ſolche nüchterne, ein: 
fältige Waſſerſuppe, aufder auch nicht ein einziges 
Fettauge zu ſpüren ift, überrafcht mid. Schickt 
den Sculzen X oder Herrn von ?arsky aus dem 
Chauſſeehauſe her; wenn fie gewaſchen und ge: 
kämmt find, jo will ich in der Diplomatie Staat 
mit ihnen machen.“ 

In der That wurden in den Situngen des 
wiederhergejtellten Bundestages nur die breiten 
Mafjerfuppen aus vormärzlicher Zeit aufge: 
wärmt. Es handelte fih um eine Reaktion 
gegen die Bejtrebungen der Volkspartei, um die 
Befeitigung der legten Nefte der fogenannten 
Märzerrungenfchaften, um Aufhebung der in der 
Baulsfircheberatenen Grundrechte, Beichränfung 
des Vereinsrehts und der Preſſe. Daneben 
handelte es fih um die Erefution in Holftein, 
die Auslieferung Holfteins an Dänemark, die 
Schlichtung des heifiihen Verfaſſungsſtreites zu 
Gunften des Kurfürften, die Verfteigerung der 
Flotte unter dem Hammer Hannibal Fiſchers 
und um andere ſchöne Sachen, wobei die größten 
und wichtigjten Angelegenheiten der Nation zu 
den Alten gelegt, alles Kleinliche dagegen mit 
einer ungeheuren Wichtigkeit behandelt wurde. 
„Es iſt,“ ſchrieb Bismard während einer jolchen 
Sigung an feine Schweiter, Frau von Arnim, 
„eine jehr achtungswerte, aber wenig unter: 
haltende Tafelrunde, die mich hier an einem 
grünbehangenen, etwa 20 Fuß im Durchmeffer 
haltenden freisrunden Tifhe, im Parterre des 
Tarisihen Palais, mit Ausficht auf Garten, 
umgibt. Der durdfchnittlihe Schlag ift etwa 
von * und ** in Berlin, die haben ganz bundes- 
täglichen pli!* . . . und während er an diefer 
Tafelrunde dem „ganz unglaublich langweiligen 
Vortrage eines hochgeſchätzten Kollegen über die 
anarchiſchen Zuftände von Ober-Lippe“ folgte, 
ließ er feinem Humor auf dem Briefbogen freien 
Zügel, bis der Nebner feinen Vortrag und Bis: 
mard feinen Brief geendet hatte mit den Morten: 
„Endlid hat Darmitabt zu lefen aufgehört und 
ich ftürze gerührt in deine Arme und wünſche 
dir ein frohes Felt." — 

Während Bismard im Thurn und Taris- 
ihen Palais die erften Scharmütel bejtand, 
richtete feine Gemahlin ihm die eigene Häuslich— 
feit jo friedlich und angenehm wie möglich ein. 
Bismard hatte für diefen Zwed eine Roth: 
ſchildſche Villa an der Bodenheimer Landſtraße, 
etwa eine Vierteljtunde vor dem Thore der 


255 


inneren Stadt, gemietet, diejelbe, in welcher 
vordem der Erzherzog Reichsverweſer refidiert 
hatte. Ganz in der Umgebung blühender Gärten 
gelegen, fchien diefes Tusculum mohlgeeignet, 
ihn am häuslichen Herde die Dornen feines 
Berufes vergefien zu machen. Hier empfing er 
die Befuche feiner näheren Bekannten aus den 
Kreifen der Geſandtſchaft oder der höheren Of: 
fisiere der Frankfurter Garniſon. Zu feinem 
vertrauten Umgange gehörte die Familie deö 
Malers Jakob Beder aus Worms. In diefem 
Kreife erichien er des Abends gerne und nahm 
jeinen Pla am Theetifche oder am Kamin des 
roten Kabinetts und erfreute ſich nach den Kleinen 
Diffonanzen, die im Konzerte des Bundestags 
hin und wieder hindurchklangen, an der Harmonie 
der Töne, die feine Gemahlin und die anmutigen 
Töchter des Bederfchen Hauſes hervorzuzaubern 
wuhten. Gier entfaltete er jene Liebenswürdig— 
feit des Gemüts, die zu den glänzenden Eigen: 
ichaften des großen Mannes eine fo ſchöne Folie 
bildet und deren Macht um fo unmwiderftehlicher 
wirkte, ala fie nichts Angeeignetes oder Berech— 
netes an fi) trug, fondern unter der unmittel: 
baren Eingebung des Augenblids aus feiner 
inneriten Natur floß. 

Das Bismardide Haus galt für das galt: 
freiefte in Frankfurt. Wie die Eleinen Familien: 
abende ihren eigentümliden Reiz hatten, fo 
wußte er auch in den größeren Gejellichaften 
und Eoireen ein neues anregendes Clement 
einzuführen und ließ Einladungen an Maler, 
bildende Künftler und Schriftjteller ergehen, mit 
denen er durch die Bederihe Yamilie in Be: 
rührung gelommen war. 

Die Lage von Frankfurt in der Nähe der 
Bäder brachte es mit fih, daß Bismard viele 
von den höchſten fürftlihen Herrichaften, wie 
von den angejehenften Miniftern und Staats: 
männernin feinem Haufe ſah. Zu den gefeierten 
Gäſten desfelben gehörte der Prinz Georg von 
Preußen, der mit feinem Kunftverjtändnis und 
umfaſſenden gejchichtlihen Kenntniſſen Dichterifche 
Begabung verbindet, ferner Die — am 23. Januar 
1873 verjtorbene — Großfürſtin Helene von 
Rußland, geborene Brinzeffin von Württemberg, 
Witwe des Großfürften Michael Bawlomitich, 
und viele andere Berjonen von Bedeutung, denen 
Bismard fpäter unter veränderten Verhältniſſen 
wieder begegnen jollte. 

Wenn aber die Gäſte fein Haus verlaſſen 
hatten, zog er ſich in fein Arbeitöfabinett zurück, 





256 


ftedte fich eine Cigarre an und biktierte nod) 
ftundenlang Briefe und Berichte mit einer Sicher: 
heit und Klarheit, ala ob er während des ganzen 
Abends nichs anderes gethan, als ſich mit dem 
Gegenftande derfelben befchäftigt hätte, fo daß 
fie ſchon um 5 Uhr morgens fertig und ver: 
ihloffen mit der Poft nad) Berlin abgehen 
fonnten. Dft brad der Morgen über feinen 
Arbeiten an, ohne daß erdas Lager gefucht hatte. 
Halb angefleidet lehnte er in das Sofa zurüd, 
holte mit wenig fräftigen Zügen den Schlaf für 
die ganze Nacht nad), und wenn ihm am Morgen 
die Glieder noch ſchwer waren, ließ er jatteln 
und beftieg das Roß zu einem meilenweiten 
Ritt oder holte feine Bekannten zu einer Jagd: 
partie ab. 

Die Vorgänge inden Salons des preußifchen 
Bundestagsgefandten wurden in den Frankfurter 
Zirkeln eifrig befprochen, und mandjes geflügelte 
Wort von ihm machte die Runde. Wer zu den 
preußischen Farben fich befannte, fühlte fich durch 
das taftvolle und glänzende Auftreten des 
preußifchen Vertreters gehoben. In den Salons 
erfchien der blaue preußifche Nod wieder eben: 
bürtig neben der weißen öfterreihifchen Uniform, 
und in den Anlagen fah man an [hönen Sommer: 
tagen die jüngeren Mitglieder der preußiſchen 
Geſandtſchaft an der Seite fühner Reiterinnen 
nad) dem Walde von Niederrad oder den Nofen: 
gärten von Bornheim hinaustraben, als wollten 
fie zeigen, daß auch unter dem zugefnöpften Rode 
des preußifchen Diplomaten ein warmes Herz 
ihlagen fönne für Nitterdienft und Minne. 
Nenn nun gar die Gunft des Wetters und der 
Schönen eine Landpartie nad) Homburg oder 
nad dem Taunus in Ausficht ftellte, dann flogen 
die Grooms und Kammerdiener mit Anfragen 
und Aufträgen vom Klub nad) den Bouboirs, 
von den Bouboirs nad dem Klub mit nicht ge: 
ringerer Gefchäftigfeit, als vor gewiſſen Ab— 
ftimmungen im Bundestage die Depeſchen auf 
dem Telegraphenbrahte zwifchen dem Site des 
Bundes und den Heinen Höfen. 

Dft mochten auch die gepflogenen Verhand: 
lungen in der Wichtigkeit ſich in beiden Fällen 
ziemlich gleich bleiben, nur daß die Zandpartieen 
furzweiliger waren, als die Bundestagsfigungen. 
Dennod ftiegen über dem Thurn und Tarisjchen 
Palais hin und wieder Wölkchen auf, die ihre 
Schatten über die heitere, Tebensluftige Main: 
ſtadt breiteten. Nicht alle: ſchwebenden Fragen 
konnten mit ſolcher Leichtigkeit entſchieden werden, 


Sedbor von Köppen. Bismard in Frankfurt am Main. 


wie bie, ob bei einem ländlichen Feftedie preußifche 
oder öfterreihifche Militärmuſik fpielen folle, oder 
ob bei der Durchreife einer Hleinftaatlichen Hoheit 
oder Durchlaucht großer oder Heiner Empfang 
ftattzufinden habe, obgleich auch diefe ſchon heifler 
Natur waren. 

Schon das orientalifche Gewitter machte das 
Parkett des Bundestagspalais erbeben. Troß 
bes Schutz⸗ und Trugbündnifjes zwischen Preußen 
und Oeſterreich trat doch eine fehr erhebliche Ver: 
jhiedenheit in den Auffafiungen beider Mächte 
von den deutjchen Intereſſen zu Tage, und die 
Diplomaten der Mittel: und Kleinſtaaten, die 
eine Konferenz in Bamberg beichidten, ftedten, 
bedenklich flüfternd, die Köpfe zufammen, Die 
Donner von Sebaftopol verrollten, aber der 
feine Krieg am Bundestage zwiſchen Preußen 
und Defterreih dauerte fort. Die Durchreife 
des öfterreichifchen Minifters Grafen Buol durd) 
Frankfurt zur Pariſer Friebensfonferenz bot den 
Vertretern der Defterreih anhängenden Klein— 
Itaaten Beranlafjung, dem Minifter ihre Ergeben= 
heit für Defterreich zu bezeigen. So wurde der 
öſterreichiſche Gefandte Graf Rechberg von vielen 
Seiten mit Fragen angegangen, ob und wann 
e3 feinem Chef genehm fein würde, die ihm zu— 
gedachten Befuche zu empfangen. Graf Red 
berg erfannte den Eifer feiner Kollegen an, er: 
widerte ihnen jedoch, daß der Minijter von der 
Reife wohl zu angegriffen fein würde, um of: 
fizielle Befuche zu empfangen oder abzuftatten ; 
dabei deutete er jedoch jedem einzeln im Ber: 
trauen an, daß er den Grafen Buol zu einer 
bejtimmten Stunde bei ſich im Haufe erwarte 
und daß ſich hier die günftige Gelegenheit zu 
einer „zufälligen Begegnung und vertraulichen 
Aussprache“ mit den betreffenden Geſandten 
bieten werde. Auch Herr von Bismard erhielt 
ohne feine Anfrage eine Andeutung in diefer 
Richtung; er erwiderte jedoch, daß er, weit ent: 
fernt, den ermüdeten Neifenden ftören zu wollen, 
vielmehr erwarte, daß diefer ihn felbft auffuchen 
werde, falls er ihm etwas zu jagen haben follte. 
So geftaltete ſich die „zufällige Begegnung“ im 
Vorzimmer des Grafen Rechberg zu einer Art 
Cour, bei welcher der öfterreichifche Miniſter— 
präfident die ehrerbietig tiefen Berbeugungen ber 
Bundestagsgejandten entgegennahm und allein 
der preußiſche Gefandte durch feine Abweſenheit 
glänzte. Dafür hatte diefer Die Genugthuung, 
den Beſuch des Grafen Buol troß deſſen Er: 


ı Schöpfung in feiner Wohnung zu empfangen. 


Theodor Sondar. 


Noch unfreundlicher gejtaltete ich das Ver- 
hältnis zwifhen Preußen und Defterreih aus 
Anlaf des Krieges in Jtalien 1859. Bismard 
fonnte fich nicht zu der Anficht befennen, daß 
Preußen für das öfterreihifche Intereſſe in den 
Krieg eintreten folle, ohne irgend welche Ver: 
bejierung feiner Stellung in Deutichland zu er: 
reihen. Er hielt vielmehr den Augenblid für 
günftig, um auf eine Aenderung der die Macht 
Preußens lähmenden Bundeseinrihtungen zu 
dringen, welde die preußifhe Regierung in 
ruhigen Zeiten vergeblich angejtrebt hatte. Er 
befannte fich zu dieſer Anficht ganz laut und 
offen. Die preußische Regierung mochte beforgen, 
daß diefe Haltung ihres Vertreters am Bundes: 
tage den bevorjtehenden Berhandlungen mit 
Defterreich und der von ihr beabfichtigten Vermit: 
telung vorgreifen könne; anderſeits erſchien ihr 
Herr von Bismard als das geeignetite Organ, 
um ihre Anfichten bei dem Peteröburger Ka: 
binette zu vertreten. So geſchah, was Bismard 
Ihon im November vorausgejehen; er wurde 
von feinem Poſten am Bundestage abberufen 
und zum Gefandten am PBeteröburger Hofe er: 
nannt (März 1859). 

„Kalt geitellt!” fagte Bismard zu feinen 
Freunden, als er ihnen die Nachricht von feiner 


Emanuel Geibel. 


257 


Verſetzung nad) Peteräburg mitteilte. Er nahm 
Abſchied von den Frankfurter Zirkeln, begab ſich 
zur Meldung nad Berlin und von dort auf die 
Reife nach den winterlihen Gefilden Rußlands. 

Ein Zeitraum der Sammlung und Borbe- 
reitung von hoher Wichtigkeit für die Folgezeit 
lag abgejchlofjen hinter ihm. Neicher an Erfah: 
rungen und mit erweitertem Gefichtäfreife ver: 
ließ Bismard das Frankfurt, in deſſen Mauern 
er acht Jahre hindurch lernend, wachſend, endlich 
gewaltig werbend, geweilt hatte. 

„Ich habe in Frankfurt im Amte erkannt,“ 
erflärte er nach abermals acht Fahren vor dem 
fonftituierenden Reichſstage des Norddeutichen 
Bundes, „da viele der Größen, mit denen meine 
frühere Politif gerechnet, nicht erijtierten, daß 
das Zufammengehen mit Dejterreich, wie es mir 
aus den Erinnerungen an die Heilige Allianze 
überfommen war, vorfchwebte, daß dieſes nicht 
möglich war, weil das Defterreich, mit dem wir 
rechneten — es war die Periode des Fürften 
Schwarzenberg — eben nicht eriftierte.” — 

Die Mainjtadt hatte den bedeutenditen Mann 
verloren, der jemals an der grünen Tafelrunde 
des Bundestagspalaftes einen Platz eingenom: 
men; fie ahnten nicht, unter welchen veränderten 
Verhältnifjen fie ihn, er fie wiederjehen würde. 


9 Emanuel Geibel. ®& 


Geb. ben 18. Ott, 1815. + ben 6. April 1894.) 


Du bit nicht tot! Du bit uns nicht genommen ! 
Denn hoher Dichtung Meifler flerben nimmer! 

Ihr Wort, ihr Klang, dem fchönften Herz entglonımen, 
Sie bleiben, wie der goldne Sternenichimmter 

Auf Dämmerungsflägeln nächtens if gefommen, 

Dem Morgen weicht, dod; wiederfehrt uns immer. 
Slieht auch den £ärm des Tags bie ernfte Mufe, — 
Wenn er verraufcht, naht fie mit holdem Gruße. 


Dein heiltg £ied, das feufch wie dein Gemüte 
für Heldentum und edle Frauenſchöne 

In hebrem Klang fo zaubervoll erblähte, 

Dein Saitenfpiel, dem nur die reiniten Töne 
Entitrömten, wenn dein Dichterherz erglühte, 
Damit es freigemut die Wahrheit fröne, 

Sie find mit leifem Hauche fanft verflungen, — 
Du haft zu höh'ren Sphären dich geſchwungen. 


Wir Magen nicht, weil wir dich felig preifen, 
Denn dein Geſchick hat fich erfüllt im Blanze. 
Dein Geilt, fo bligendhell wie fchneidig Eiſen, 
Sah noch das letzte Blatt gefügt zum Kranze, 


Den dir gereicht als Dichter und als Meifen 
Begeiftrungsvoll das deutſche Dolf, — das ganze! 
Mit heißen Chränen legen wir ihn nieder 

Auf deine Gruft als Danf für deine Lieder, 


Und nicht für diefe nur. Did; hat getragen 

Der Mufe Götterflug zu höh'rem Ziele. 

Du durfte fühn dich an das Größte wagen, 
Das uns ergreift im ernten Bähnenfpiele. 

Mit deinen Helden jubeln wir und Magen, 
Stürmft durch die Brandung du mit feitem Kiele, 
So ftehit du vor uns in der Dichter Reihe, 
Geabdelt von des Genius’ ſtolzer Weihe. 


Fahrwohl! Geiegnet fei für jene Gaben, 

Die, wie dein Ruhm unfterblich, nie vergeben, 

Und — bat ein neu’ Geſchlecht auch uns begraben — 
Mit Slammenichrift verzeichnet werden fliehen 

Auf jenen Blättern, die nicht Wandel haben 

Und die fein Sturmmwind jemals wird verweben. 

Du thront im Cicht, du bit uns nicht geflorben, 
Denn Aller Herz haft ewig du erworben. 


Iheodbor Soudhan. 


33 





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Tie Flora in Charlottenburg S. 270). 


Die Sandfhaftlihe Umgebung Berlins. 


Tudwig Bietſch. 


3) Hauptjtadt des preußiſchen Königreichs, 
welche durch eine Folge vongemaltigen hifto: 
riſchen Thaten und Gefchiden zur Würde und 
Bedeutung der deutichen Kaiſerreſidenz und des 
Sites des deutjchen Parlaments gelangt ift, 
fonnte fih draußen im Neiche nie befonders 
herzliher Sympathieen erfreuen. Eine unver: 
hohlene Abneigung richtete ſich gegen die Be- 
völferung, wie gegen den Ort. Berliner haben 
freilich lange Zeit überall, wo fie außerhalb 


ihrer Heimat auftraten, redlich dazu beigetragen, 
diefe gegen fie und ihre Stadt herrfchende 
Stimmung zu beftärfen und zu nähren. Daheim 
befleiigten fie fih in Worten und Schriften 
der fpöttelnden Gelbitironie, der öffentlichen 
Hervorhebung und witzigen Geihelung aller 
Schattenfeiten und Unvollkommenheiten Berlins. 
Draußen aber mochten fie das Nenommieren 
mit deſſen Worzügen, das übertriebene Lob der: 
jelben, das Herabſetzen anderer Städte im 





Die landſchaftliche Umgebung Berlins. 





259 








In Ireptiom IS, 201 


Vergleich zu ihm nicht laſſen. Erſt feit der 
Mitte des vorigen Jahrzehnts beginnt ſich ein 
jehr bemerfbarer Umſchwung in den Anfichten 
und Meinungen über Berlin zu vollziehen. Die 
Berliner haben das Tadeln und Verhöhnen 


ebenfo wie das Großfprehen mehr und mehr | 


verlernt, feit die Stabt im ihrer inneren und 
äußeren Entwidelung fo jtaunenswerte Fort: 
ichritte gemacht und eine jo gründliche und glän- 
zende Neform ihrer Zuftände fich vollzogen hat. 
Das größte Lob, das man ihr fpenden fann, ijt 
heute fein übertriebenes mehr. Und ander: 
jeit3 zieht die Kaiſerſtadt heute die Bejucher 


aus allen Teilen des großen Waterlandes in 


J 


Am Wüpgeller (6, 261 


ganz anderer Menge zu ich 
her, als es die frühere preußi— 
iche Reſidenz vermochte. Diefe 
Beſucher aber jehen fie, wie 
jie wirklich iſt, lernen fie nad) 
ihrer Größe und Schönheit 
ſchätzen, und helfen die Vor: 
urteile zeritören, die bie und 
da noch immer gegen Berlin 
bejtanden haben. 

Eines der hartnädigiten 
darunter betrifft Berlins land 
ihaftlihe Umgebung. „Des 
römiſchen Reichs Streujand: 
büchſe“, dieſe alte Bezeichnung 
der Mark Brandenburg iſt ge— 
flügeltes Wort geblieben und 
der Glaube an ſeine zutreffende 
Richtigkeit ſcheint unaustilgbar. 
Deſto überraſchender iſt der 
Eindruck, den jeder in dieſem 
Glauben erzogene fremde Be— 
ſucher Berlins gerade von der 
Umgebung der Stadt empfängt. 
Er erkennt bald, daß in Bezug auf landichaft: 
liche Reize der Lage Berlin bei dem Vergleiche 
mit nur fehr wenigen Hauptitädten des Kon: 
tinents verlieren würde. 

Zwei befonders wichtige Vorzüge bejitt 
diefe Umgebung: fie ift ungemein reih an 
Maflerläufen und Seen, und viele ihrer ſchönſten 
veizvolljten PBartieen liegen in unmittelbarer 
Nähe der Stadt, dicht vor ihren Thoren, ja 
mande Quartiere find in jene hineingebaut. 
Ganz gleihmäßig rings um die Stadt find 
diefe landſchaftlichen Reize hier freilich ebenfo- 
wenig als um andere Städte verteilt. Der 
Süden 3. B. ift viel weniger reih damit ge: 


260 


fegnet, als der Meften, der Norden und Dften. 
Der Kiefernwald welcher aud jene fübliche, 
von einer Sandhügelfette durchzogene Ebene 
in alter Zeit bis dicht an Graben und Thore 
der kurfürſtlichen Reſidenz bededt haben wird, 
ift bis auf einen Reft verſchwunden, der öftlich 
von dem weiten öden Tempelhofer Manöver: 
felde, eine Bierteljtunde vom Hallefhen Thor, 
fi gegen Rirborf hinzieht, die Hafenheide. 
„Die darin etablierten Militärſchießſtände 


— 
⸗ 


vw 
- 
* 









Um Tegler Set (6, 261), 


£udwig Pietſch. 


haben die Ummandlung des vernadhjläffigten 
MWäldchens zu einem Park bisher nod immer 
verhindert. An deſſen Norbrand aber reiht ſich 
ein großes populäres Vergnügungsetablifjement 
an das andere, die Schaupläße der meijt ziem— 
lic lärmenden Sonntags: und Abendfreuden 
des Berliner Volks- und Kleinbürgertums der 
Südbezirfe, befonders aud der Herren Sol- 
daten, welche für die unbewaffnete Hälfte 
der dortigen männlichen Gejellichaft das Tanzen 
und das Werben um 
die Gunſt jener Schö- 
nen, die Samftags 
ihren Bejen führen, 
zu einem feineswegs 
gefahrlofen Vergnü: 
gen machen. 

Direkt in der ſüd⸗ 


lichen Fortſetzung des Berliner Meridians, der durd) 
die große Friedrichſtraße geht, hebt ji der Boden zu 
einer ſehr bejcheidenen Erhöhung: dem Kreuzberg 
(I. nebenft.). Ehedem bevedte feine Dftjeite der große 
Park des Etabliffements Tivoli. Im übrigen zeigte 
er teil3 nur nadte Hänge, teils dürftige, von Akazien EN — 
beſchattete Anlagen zur anderen Seite des Weges, — 
welcher von der Berlin-Tempelhofer Chauſſee weſtlich — zei 








abbiegend zu ſeinem Gipfel hinaufführte. 

„Gipfel“ krönt das in Eiſen gegoſſene gotiſche 
Monument zum Gedächtnis an die Befreiungs— 
friege von 1813— 15. In der erſten Begeiſterung 
jener Erlöfung vom franzöfifchen Joch war die 
Errichtung einer großartigen Votivkirche be: 
ichlofjen worden. Aber in den folgenden nüch— 
ternen triften Jahren jchrumpfte diefer Plan fo 
zuſammen, daß ſchließlich nichts als dieſe gotiſche 
gußeiſerne Turmpyramide nach Schinkels Ent— 
wurf in die Wirklichkeit trat. Symboliſche 
Idealgeſtalten von Männern und Jünglingen, 
an den Pfeilern des unteren Hauptkörpers, mit 
Geſichtern, welche an die der Feldherren jener 


Dieſen 


Kriege und der daran beteiligt geweſenen preußi⸗ 
ſchen Prinzen erinnern, verfinnlichen die Haupt: 
ihladhten und Ereignifje. Die Modelle diefer 
unter lebensgroßen Statuen find von Rauch und 
Tied modelliert. Bon den Granitjtufen des Mo- 
numents aus zeigt ſich eine jtattliche Ausſicht über 
Berlin in feiner Ausdehnung von Weſt nad) 
Dft. Seit den erften Siebziger Jahren ift der 
Kreuzberg zum großen Teil mit Villen und mit 
großen Miethäufern bebaut. Wie gefagt: die 
Schönheiten der landſchaftlichen Umgebung 
Berlins haben wir nicht hier im Süden auf: 
zufuchen. Wenden wir uns weiter nad Oſten 


Die landſchaftliche Umgebung Berlins. 261 


hin. Dort tritt die Spree bei der fogenannten | hen eingefaßte Landwege dahin. Am linfen 
DOberbaumbrüde in die Stadt ein, da wo fi | Ufer durchſchnitt derfelbe ein Fümmerliches 
ehemals in der vor etwa 12 Jahren abgebrocdhe: | Wäldchen, den jogenannten Schleſiſchen Buſch. 
nen, Acciſe-Mauer“ das Schleſiſche Thoröffnete. Hie und da war eine Badeanſtalt mit ſehr primi- 
Den oberen Lauf des Fluſſes verfolgend oder ven Einrichtungen etabliert. Fabriken am 
ihn auf dem Dampfer oder Segelboot befahrend, Ufer, welche hier den Lauf des Fluſſes mit 
gelangen wir zu den landfchaftlich anmutigften | ihren Abgängen verunreinigt und die Luft 
Uferpartieen. Bor 30 Jahren begann hier un: | mit ihren Dämpfen verfinftert und verborben 
mittelbar vor diefem Schlefifchen Thor auf dem | hätten, eriftierten noch nicht. Die Straße auf 
linken Spreeufer, wie jenfeitö vor dem Stralauer | dem linken Ufer führte nad) dem, aus wenigen 
Thor, das freie Ader: und MWiefenland. Längs | Häufern beftehenden Dertchen Treptow (S. 
des Fluſſes zogen fih undauffierte, von Baum: | 259); die am rechten Ufer nah dem fleinen 











2* ren na mes 


Etralau. 


Kirchdorf Stralau (ſ. obenft.). Heute find | Heinen Kirchhof hart am Fluß beichatten, der 
jene Uferwege jhön gehaltene Alleen. Aber | Kirchturm von Stralau nahe der öftlichiten 
fajt in ihrer ganzen Länge werben fie von Land: | Spite der Landzunge zwiſchen der Spree und 
häufern und von Yabrifetabliffements flankiert. | jener breiten nördlichen Ausbuchtung derfelben, 
Die beiden Orte indes haben noch nichts von | welde den Namen des Rummelsburger 
ihrer freundlichen Anmut und Traulichkeit ver: | Sees führt. Das alles ift noch fo hübſch wie 
loren. Treptow bat dur die Anlage eines | ehemals; aber die Stille und verhältnismäßige 
großen jtädtifchen Parks auf feiner Südſeite Einfamkeit, deren man fi in meinen jungen 
einen reihen Zumahs an Reizen gewonnen. | Tagen auf dem Fluffe und an diefen Ufern 
Aber feine ftärkfte Anziehungskraft dankt er | wenigitens an folden Mochentagen erfreuen 
immer nod jenen gaftlihen Vergnügungs: | konnte, an welchen in Treptow fein Feuerwerk 
Etablijjements, welche die Front dem breiten | und Konzert ftattfand, ift für immer dahin. Die 
Wafferjpiegel der Spree und der Heinen, von | feitdem eingerichteten regelmäßigen Dampfer: 
üppiger Vegetation bededten Inſel in deren | Fahrten zwischen Berlin und beiden Orten führen 
Mitte zufehren. Drüben ragt aus dem dichten | täglich eine große Menge von Befuchern hierher. 
Grün der Kronen alter Eichen, welche den | Zahllofe Segel: und Ruderboote, welche in den 


262 cudwig Pietic. 


verichiedenen Gaftlofalen vermietet werden, oder 
Eigentum der Negattavereine und Nuberflubs 
find, beleben außer den Dampfern und den 
großen langſam dahinfegelnden Laſtkähnen die 
weite Waſſerfläche. Unerbittlich Elingt das Ge: 
ichmetter der Blasinftrumente verfchiedener all- 
täglich gleichzeitig konzertierender Orcheſter aus 
den dicht gefüllten Biergärten Stralaus und 
Treptoms, in denen ſich die Berliner an den 
fommerlihen Lieblingsgerichten der Spree: 
anmwohner, grünem Aal und Gurfenfalat, er: 
gögen. Am 24. Auguft wird der Aufenthalt 


N ne Be Ze = — Fr 


auf und an diejen Gewäſſern fürdhterlih. Das 
altgewohnte Volksfeſt des „Stralauer Fiſchzugs“ 
lodt dann das Wolf und befonders auch den 
ſüßen Pöbel in Maſſe hierher, wo auf der Wieſe 
hinter der Stralauer Kirche zwiſchen Spree und 
Seebucht eine ganze Budenftadt erbaut ift, und 
alle Freuden und Schreden der Vogelwieſen, 
Schütenpläge, Kirmefjen, Foires zugleich ent: 
feſſelt find. 

Weiter ojtwärts ziehen die Dampfer immer 
zwischen fchilfigen Ufern dahin, welche mit Wiefen, 
GSetreidefeldern, Eichen: und Fichtenwäldchen 





Gin Abend in Grünau (E. 269). 


freundlich geihmüdt jind. Seit dem Ende der 
Sechziger Jahre hat man aud) hier auf den früher 
faft völlig unbemohnten Streden häufig elegante 
Villen inmitten reizender Parks und Gärten 
geſchaffen, Sommerfige reiher Kaufleute und 
Fabrikanten, Fabrik: und Bergnügungsetablifie: 
ments wechjeln mit denjelben ab auf der etwa 
5—6 Kilometer weiten Strede zwiſchen Stralau— 
Treptow und dem Städtchen Köpnid. Dicht 
am rechten Ufer, welches durch eine lange Holz: 
brücke mit dem jenfeitigen verbunden ift, erhebt 
fih, nahe derjelben, das weiße Gebäude des 
alten furfürftlihen Schloſſes, mit hohen Pap— 
peln vor feiner Front und einem prächtigen Part | 


an feiner Dftfeite. Eine trübe Erinnerung 
fnüpft ſich an feine ziemlich kahl und nüchtern 
dreinfhauenden Mauern: in der Zeit ber 
Demagogenverfolgungen diente e3 eine Zeitlang 
als Unterfuhungsgefängnis für viele der un- 
glüdlihen, von der blindeften Verfolgungsmwut 
zu Grunde gerichteten Jünglinge. 

Der breitere Arm der Spree, auf welchem 
die Fahrt fich fortjegt, nimmt hier den Namen 
Dahme an. Die Ufer find mit LZaubgehölz aus 
Erlen und Eichen bededt. Eine Viertelſtunde 
oberhalb des Städtchens zeigen ſich am linken 
Ufer zwijchen deren Grün die Häufer eines der 
reizendften Orte der Oberjpree: des Dörfchens 


Die landſchaftliche Umgebung Berlins 






Un der Havel IG, 208). 


Grünau (S. 262). 


Wiefen unterbroden werden. 


Unmittelbar an die Häufer des 
jelben grenzen Eichen: und Kiefernwaldungen, deren 
Didihte wieder hie und da von Getreidefeldern und 
Eine furze Wanderung 
durch die Föhrenheide bringt uns zur Station der 
Börlig-Berliner Eifenbahn, welche den beliebten Ber 
anügungsort zu Lande mit der Hauptitadt verbindet. 
Die Spreeufer:Landichaft der Imgegend Berlins entfaltet 





263 








hier um Grünau in deſſen Nähe und Ferne ihre feinften ZT 
Reize. Jener gemifchte Wald nahe am Stromufer, — ER 
welchem auf dem jenfeitigen ein ihm jehr ähnlicher ent: NEE Ua 


ſpricht; der fi bald zu weiten Seen, dem „Zangen: 








Dumbolbt-Brab in Tegel (6, 2rsı, 


fee” und dem „Seddiner“, ausdehnende Waſſer— 


fpiegel, und drüben die aus der grünen, wald: | 


feitlich geihmüdten Tribünen für die Zufchauer 


reichen Ebene aufragenden und dadurch doppelt | des fejlelnden Schaufpiel® männlicher Jugend: 


mächtig wirfenden, blaubunflen, großartig ge: 
zeichneten, mit Föhrenwaldungen bededten 
Müngelsberge, — fie geben ein Gejamt: 
bild, das allein fchon genügte, um jene viel 
verbreiteten faljchen geringſchätzenden Meinun: 
gen von Berlins Umgebung gründlich zu zer 
ftören. Grünau hat neuerdings eine früher 
nie gefannte Bedeutung — außer durch feine 
landichaftlihe Anmut, die Reinheit feines 
Waſſers und feiner Luft — dadurch gewon 
nen, daß es zum Standquartier der Ruder— 
und Negattaflubs gewählt worden it, welche, 
nad) engliſchem Beilpiel, dem edlen Ruderſport 
eine ſtets wachſende Menge von Mdepten zu 
erwerben und ein zunehmendes Intereſſe dafür 
bei dem großen Publikum zu erweden jtreben. 
In der Grünauer Dahmebucht liegt dieie 
Auderflottille „vor Anker“. Auf diefem Ufer 


erheben ji) an den großen „Races: Tagen“ die | 


fraft, Zähigfeit und Gejchidlichkeit. Hier er: 
ſchien im Borjahran einem diefer Tage derdeutfche 
Kronprinz mit feiner Familie, der an ihn ge 
richteten Einladung folgend, um die Ehrenpreije 
an die Sieger im Ruderboot-Rennen zu ver: 
teilen. — Auch als Ziel mancher Sommerfeft- 
fahrten des Berliner Künftlervereins und als 
Schauplatz diejer Feſte iſt Grünau wiederholt 
erwählt worden. Wald und Waſſer dienen dann 
zur Scene humoriſtiſcher Aufführungen, deren 
Eindruckdurch dieſelbe weſentlich geſteigert wird, 

Das größte und impoſanteſte Waſſerbecken 
an der Oberſpree it der Müggelſee (S. 259). 
Er liegt am Fuß jener ca. 110 m hohen bewalbde: 
ten Müggelberge, von denen herab man überfeine 
auägedehnte Maflerflähe und den Langenſee 
zur Rechten die Schönste Ausficht genieht. Che: 
mal3 lag er in tiefer Verlaffenheit da zwiſchen 
den düftern Föhrenwäldern feiner beraigen Ufer, 


264 


welde der Landſchaft hier ein wilderes, aroß: | 
artigeres Gepräge geben, als das der anderen | 
Landjeen der Berliner Umgegend. Gegen: 
wärtig ift aus der bejcheidenen alten „Müggel: 
bude“ an feinem Ufer das ftattliche Reftaurations: 
gebäude „Müggelſchloß“ geworden und bie 
benachbarten Orte Rahnsdorf, Friedrihshagen, 
die Rabenfteiner Mühle und eine große Zahl 
von Villen an feinen Ufern werden nie leer von 
Bejuhern und 
bort eingemiete: 
ten Sommer: 

frifchlern, wie 
feine Fläche im: 
mer belebt wird 
von Paſſagier— 
dampfern, Segel: 
undRuderbooten. 
Der Müggelſee 
nimmt, — mie 
der Bodenfee den 
jungen Rhein, — 
die von Fürften: 
walde her jlie: 
bende Spreenahe 
bei Rahnsdorf 
auf, welde ihn 
bei Friedrihshagen wieder verläßt, um weiter 
nad Köpnid zu fließen und jo im Norden jene 
Maldinfel zu umrahmen, die von Grünau durch 
den füblihen Spreearm, die Dahme, getrennt 
wird, Oder er ift vielmehr nur eine der größe: 
ren feeartigen Ausbuchtungen des Spreebettes. 

DerNordoften Berlins iſt weniger reich 
an landfchaftlihen Reizen. Diefe beichränfen 
fi auf den großen Park vor dem Landsberger 
Thor, den Friedrihshain. Er aber ift eine 
ſchön gebiehene fünftliche, landſchaftsgärtneriſche 
Schöpfung, die zu Anfang der Vierziger Jahre 
diefes Jahrhunderts dort ins Leben gerufen 
wurde. — Mehr nörblih, etwa drei Viertel: 
meilen vor dem Schönhaufer Thor erreichen wir 
den alten prächtigen Shloßparf von Schön: 
haufen, und den gegenwärtig in den Beſitz der 
Berliner Schützengeſellſchaft übergegangenen 
Bart von Schönholz. Von da ab beginnt 
eine baumreiche Landſchaft, der es nidt an 
mannigfahen Schönheiten, wohl aber an jenen 
großen Mafferläufen und Seeipiegeln fehlt, 
welche der Umgegend Berlins im Oſten, Weiten 
und Nordweſten zum beiten Schmud gereichen, 

Im Norden Berlins vor dem ehemaligen 











cudwig Pietſch. 


Oranienburger Thor am Nordende der großen 
Friedrichſtraße dehnt fih eine halbe deutſche 
Meile hin die fabrifreihe Vorftadt, in welcher 
die großen Mafchinenwerfftätten Borjigs, 
Egels, Wöhlers u. a. liegen. Erſt näher der 
nördlichen Weichbildgrenze werden die hohen 
Mietöfafernen mehr und mehr von Fleineren 
ländlichen, gartenumgebenen einftödigen Häus: 
den abgelöft. Dann beginnt, oder begann viel= 





Pei Spandau IE. 266). 


mehr bis vor etwa 6—8 Jahren, die einjame 
Kiefernheide, durch welche ſich die chauſſierte 
Vanditraße nah Tegel und Schulzendorf, 
zweien der fhönften Punkte der Berliner Um: 
gebung, hinzieht. Heut iſt diefer Wald vielfach 
gelichtet und ausgerodet, um das Terrain für 
Villenanlagen und halbländlihe MWohnhäufer 
zu gewinnen. Die Bewohner derjelben müjlen 
fih an den nie gänzlich ſchweigenden Donner 
der ſchweren Geſchütze gewöhnen, welde auf 
dem, in der Walbhälfte weſtlich von der 
Chauſſee gelegenen, Artillerie: Schießplag ge: 
prüft und nad der Scheibe abgefeuert werden. 
Nach einftündiger Wanderung aus diejer Heide 
heraustretend, jehen wir in geringer Entfernung 
vor uns die Waldhügel und an deren Fuß zwi: 
fhen dem üppigen Grün der Baumfronen die 
Häufergruppen Tegels liegen, und zur Linfen 
den bläulihen Spiegel des großen Sees (S. 
260) ſchimmern, an deſſen fernftem weſtlichſtem 
Uferrande die Kirch: und Yeltungstürme von 
Spandau aufragen (ſ. oben). 

Nicht jenes Kirchdorf, troß feiner reizenden 
Lage am Djtufer dieſes Havelfees, ift es, welches 
den Namen Tegel in aller Welt berühmt ge: 


Die Iandfcdyaftliche Umgebung Berlins. 






macht hat, fondern bas in deſſen Nachbarſchaft 
inmitten eines weiten alten Parks gelegene, 
fleine Schloß, das Beſitztum der von Hum: 
boldtfhen Familie. Seine heutige Geſtalt hat 


e3 durch Schinkel (1822) erhalten. Seine In- 


nenräume bewahren reiche mannigfaltige Kunſt— 


ihäge, Abgüffe von Antifen, einige ſchöne alte | 


marmorne Originale und nicht wenige interej: 
Tante Reliquien, Erinnerungsdenkmale an das 
Leben der „Diosfuren”, der Brüder Alexan— 
ber und Wilhelm von Humboldt. Befon: 
ders Wilhelm hat das Schlößchen lange bewohnt. 


Ihre legte Wohnſtätte aber haben beide Brüder | 


zwiſchen den Gräbern der andern nächſten Fami— 
lienmitglieder in dem Barfe jelbit gefunden. An 
deſſen Nordfeite hebt fi) der Boden zu einem 


langgejtredten Hügelrüden, auf deſſen Höhe die 


Grenze zwiichen dem Parke und dem Forſte da: 


— * * = = 
en er —— 
u 66 

—— * Be, 





Um Wonnie (E. 2081, 


hingeht. Yon diefem Wege 
herab geſehen zeigen ſich im 
der Tiefe, wo der Sce zwiſchen 
jeinen Waldufern, mit feinen 
buſchigen Inſeln weit hinge: 
jtreddt vor uns daliegt, märz 
tliſche Landſchaftbilder von 
hoher Anmut. Am weſtlichen 
Ende des Parks ſenkt ſich dieſer 
Weg wieder hinab und führt zu jenem Campo 
santo der Familie Humboldt (S. 263). Dieſer 
Ort, von welchem alle Symbole derchriſtlichen 
Anſchauung vom Tode ausgeſchloſſen blieben, iſt 
von einem wunderſamen Zauber weihevoller 
Poeſie umwoben. Im weiten Halbkreiſe umgeben 
ihn hohe ſchwarzgrüne Birken und zu beiden 
Seiten Fichten- und Cypreſſenbäume, deren 
Zweige ſich ſo dicht ineinander ſchieben, daß 
eine lebendige dunkle Wand gebildet wird. Nur 
nach dem Parke und dem Schlößchen hin an der 
Oſtſeite bleibt die Ausficht frei. Eine bogen: 
fürmige fteinerne Nuhebanf zieht fih im Nüden 
um ben Plaß. Zwiſchen blühenden Beeten fieht 
man die flachen epheubededten Gräber; zu 
Häupten eines jeden von ihnen lieſt man auf 
einer dort aufgepflanzten Tafel Namen, Ge: 
burts: und Todesjahr deſſen, der darunter ruht. 
34 


Hinter diejer Gräberreihe 
aber raat eine ſchlanke 
hohe Säule aus geichliffe: 
nem Granit auf ihrem 
Poſtament empor, deren 
Kapitäl Thorwaldfens 
im feierlichen Stil der 
hieratijchen antilen Hunt 
weile gebildete Marmor 
ftatue der Hoffnung, die 
Lotoslnoſpe ın Der Ned): 
ten, mit zierlich gefpigten 
Fingern die alten des 


Gewandes haltend, trägt. Alles atmet tiefe, | 


heilige Ruhe und Stille, der Lärm der geichäf- 
tigen Welt dringt nicht hierher. Aber fern ge: 
halten von diefem geweihten Ort find auch 


Schildhorn · Monument (6. 2691, 








HALT ARTE Ip Age 


5:3 Zn 
— 






Autfiät ten E&ildhorn 
(@. 269. 


Eichen umhegt, Wiejen 
und Klornfelder unmittel: 
bar herantreten, die Wan: 
derung wohl noch eine 
Meile weit gegen Span: 
dau hin fortfeten, immer 
im Genuß der lieblichiten 
landichaftlihen Ecenerie. 

Unſer Holzſchnittbild 
auf Seite 263 gibt den 
Charalter dieſer Havel— 
ſeelandſchaft getreulich 
wieder. Auch dieſe weite 
Waſſerfläche wird erſt ſeit etwa 12 Jahren zwi— 
ſchen Dorf Tegel und Spandau von Dampfern 
durchſchnitten. Sie legen bei Saatwinkel — 
einer Gruppe reizend am Waldufer placierter 


alle jene finſtern traurigen Bilder und Symbole Gaſt- und Gartenlokale, — ebenſo bei der ganz 


des Todes, welche den düftern Schmud unfrer 
Kirchhöfe bilden. Es ift ein Friedhof, wie er 
dem Sinn und Charalter der heiter refignierten 
Weltweijen entipricht, deren irdifches Teil hier, 
der Natur zurüdgegeben, unter der Epheudede 
ruht. 
Wenn man hier den Park verläßt, fo fann 
man am nahen Secufer, an welches teils der 
dichte Wald, teils von Gebüfchen und niedern 


mit ſchmucken Billen und Gärten bededten Inſel 
Valentinswerder an, während eine zweite große 
Seeinfel, Scharfenort, durch deren Eigentümer 
dem Beſuch verſchloſſen ift. 

An der Feſtung Spandau (5. 264) flieht 
die Havel in engerem, vielverzweigtem Bett vor: 
über, die Stadt zerteilend, von Holzbrüden 
überjpannt, welche für die Paſſage der großen 
„Oderkähne“ mitihrem hohen Maft und dem ein= 


Die fandihafılihe Umgebung Berlins. 





Bei Pichelawerder IE. 209), 


zigen großen Segelaufgezogen werden. Spandau 
ipielt befanntlih als Feſtung in der preußiſch— 
brandenburgifchen Geſchichte ſchon feit Jahrhun— 
derten eine ſehr wichtige Rolle. Seine Türme 
haben wiederholt nicht nur zur Abwehr kriege— 
riſcher Feinde, ſondern auch als Kerker fürStaats: 
verbrecher, als preußiſche Baſtille, gedient. Nie 
aber haben dieſe Mauern einen höher geſchätzten 
Gefangenen beherbergt, als ſeit der franzöſiſchen 
Milliardenzahlung. Vierzig Millionen davon in 
blankem Golde, in Kiſtchen verpackt, ſind in dem 
Spandauer „Juliusturm“ eingeferfert. Dort 
liegen fie in ftrenger Hut, bis ein neuer Krieg 
auch fie mobil macht und ihr Gefängnis öffnet, 
mwovor uns Gott bewahre. Sind fie doch einzig 
dazu bejtimmt, dort zinslos deponiert, den 
Etaat jeder Verlegenheit um die Dedung der 
eriten Bebürfnifje mit barem Gelde beim Aus: 
bruch eines Krieges zu entheben. 

Meiter fchlängelt fih die aus Spandau her: 
ausgetretene Havel in jüdlicher und ſüdweſtlicher 
Nichtung durch die flache Landſchaft, um bald 
füdlih der großen Verbindungsftraße mit dem 
zwei Meilen weit davon entlegenen Berlin, in 
den ausgedehnten Bezirk des Grunemwaldes 
einzutreten. Das linfe waldige Ufer des Flufjes 


\ bildet die Fortſetzung der höchſten Bodenerhebung 


un nn 


im Weften Berlins, des „Spandauer Jochs“. 
Diejer Höhenzug begleitet die Havel auf ihrem 
ganzen weiteren Laufe nah dem preußiſchen Ver: 
jailles, der ſchönen Sommerrefidenz Potsdam 
hin, in deren Lage und Umgebungen die mär: 
kiſche Landſchaft all ihre liebenswürdigſten Reize 
vereinigt und durch die höchite landjchaftsgärt: 
nerifche Kunſt gefteigert zeigt. 

Der Grunewald — ein weites fönigliches 
Jagdrevier, heute wie vor Jahrhunderten der 
Schauplatz der großen Sau: und Hirfchhet: 
jagden während der Herbit: und Wintermonate, 
— ſchließt in feinem Revier viel landichaftliche 
Schönheit ein. Gemifchter Wald, in welchem 
die Kiefern dominieren, Eichen, Erlen, Birken 
und Buchen aber keineswegs gänzlich fehlen, und 
von ihm rings umſchloſſen ftille Waldfeen mit 
ſchilfigen Ufern reſp. ſeeähnliche Stromausbud): 
tungen, — das ſind auch hier, wie drüben in der 
Jungfernheide nordöſtlich von Spandau, die 
Elemente, auf denen die eigentümliche Schön— 
heit beruht. Zunächſt der öſtlichen Waldgrenze 
nahe bei Charlottenburg liegt der „Halenjee” ; 
tiefer im Walde der See „Hundekehle“, ber 

„zeufelsjee”, der „Schladhtenfee” und der an 


268 cudwig pPietich. 


poetifhem Reiz reichite von allen, der See am | Nüdjeite des Schloffes gewährt einen Anblid und 
Jagdſchloß Grunewald (S. 265). Lebteres, bildet einen Aufenthalt von völlig traumhafter 
das auf unferem Bilde faft völlig in den Laub: | poetifcher Anmut, 

maſſen der umgebenden Bäume verfchmwindet, Der von Berlin entlegenjte der Grunewald: 
ift ein fehr interefjantes und maleriſches Bau- | jeen, der eigentlich fhon zur Umgebung von 
werf, defjen Hof von alten Linden und Kaftanien Potsdam gehört, ijt der Wannjee (S. 265). 
beichattet, von Mauern mit Thoren umſchloſſen | Er wird durd) eine weite Nusbuchtung der Havel 
wird. In feinem Aeußern, befonders dem Turm gebildet und ift jomit nicht wie jene anderen, von 
mit der Wendeltreppe in der Mitte feiner Hof: ' allen Seiten umſchloſſen. Bis zu Ende der 
fagade, wie im Innern, in manden Details | Sechziger Jahre zeigten feine Waldufer nur jehr 
feiner Architektur 
und feines farbigen 
Neliefihmuds, be: 
wahrt eö noch un: 
verwiiht Spuren 
aus der Zeit von 
1542, als Kurfürit 
Joachim II. es 
durch Kaſpar Theiß 
dort zwiſchen Wald 
und See erbauen 
ließ, wie es die in 
Stein gemeißelte 
Inſchrift unter dem 
Reliefbilde der bei— 
den Hirſche mit eng 
verſchlungenen Ge⸗ 
weihen über der 
Eingangsthürever— 
fündet. An den 
Innenräumen fieht 
man die großen 
Bilder zahlreicher 
Hirſche und Wild: 
fauen, welche von 
den früheren preu: 
ßiſchen Fürſten auf 
ihren Jagden erlegt 
wurden. Nuch heute 
bildet das Schlöß— 
chen noch immer den 

Nendezuousplat 

der Hofkavaliere 
und Jagdreiter bei 
der großen Sau: 
jagd am Hubertus: 
tage. Der von 
tief zum Seeſpiegel 
ſich hinabjenfenden 
Zweigen hoher al: 
ter Buchen befchat: 


tete Platz vor der Im Ehlohgarten zu Charlottenburg S, 270), 








vereinzelte Spuren menſchlichen Dafeins. Eine 
traurige Berühmtheit dankt er dem tragischen 
Tode des großen, unglüdlichen deutichen Poeten 


Die Tandfchaftlidıe Umgebung Berlins. 


269 


' dem Bären befiegt, foll dem Chrijtengotte ge: 


Heinrich von Kleist, der fich im Gehölz des | 


Ufers am fogenannten „Eleinen Wannfee“, einer 
Nebenbucht des großen, mit feiner Freundin er: 


ſchoß. Zwiſchen Eichen, Erlen: und Kiefern: | 


gebüjch ſteht dort ein fteinernes, beſcheidenes Er- 


innerungsdenfmal über dem mit einem Gitter 


umgebenen Grabe, mit der Inſchrift unter dem 
Namen, Geburts: und Todesdatum: „Er fuchte 
bier den Tod und fand Unfterblichfeit.“ Mit 
dem Beginn der Siebziger Jahre hat ji die 
ganze Phyfiognomie diefer Wannfeeufer gründ- 


lobt haben, ihn anzubeten, wenn er ihm hülfe, 
mit feinem Roß die breite Havel durchſchwim— 
mend glüdlich jene Landzunge zu erreichen; und 
er habe fein Gelübde gehalten, als es ihm ge: 
lang und zum Gedädtnis Schild und Horn 
hier an einen Baum aufgehängt. Das Dentmal 
bejteht in einer mit Zaden bejetten Steinfäule 
mit einem an deren Mitte befeftigten Rundſchild 


und mit einem rundbogigen Aufjag, in deijen 


lich verändert. Bildhauer, Architekten und Maler 


von hervorragender Stellung und andere reiche 


Private haben jih auf diefem Seeufer ange: | 


fiedelt. Der Wald ift dort einem ausgedehnten 
Kompler von Gärten und Parks gewichen, aus 
deren Grün reizende Villen, Schlößchen, Yand: 
häufer, Rejtaurants hervorihimmern. Wohl: 
gehaltene und beleuchtete Strafen, Vergnügungs: 
Iofale, ein Klubhaus, alles, was zu einer 
hübſchen Kolonie gehört, ift dort erftanden. Der 
Seejpiegel wird von regelmäßig fommenden oder 
gehenden Dampfern befahren, welche Berlin 
mit Potsdam verbinden. Cine große Flo— 
tille von Segelbooten belebt feine ſchimmernde 
Fläche, Negatten werden veranftaltet, frohe Feſte 
in den ftattlichen, funjtvoll ausgeführten höl: 
zernen Hallen des Segelklubs gefeiert. Eine 
Eifenbahnlinie vermittelt den raſchen direkten 
Verfehr der Kolonie mit Berlin, 
Unvergleichlich interefjanter freilich als die 


Feld ein Kreuz gemeißelt ift (S. 266). 

Am rehten Havelufer zeigen fih hier zu: 
nädjt die Dörfer Gatow und Pichelsdorf. Ge: 
rade Schildhorn gegenüber (S. 267), durd) 
einen breiten Waſſerſpiegel von diejer Landzunge 
getrennt, hebt fich eine ähnliche mit Föhrenwald 
bededte Höhe aus der Havel. Es ift die Inſel 
Pichelswerder, die fich inmitten des breiten 
Stromes zwiichen dem flachen weltlichen Ufer 
von Pichelsdorf und dem öjtlichen bergigen wal: 
digen von Pichelsberg lang hindehnt. Sie 
ebenfo wie letzteres Gegenüber und wie Schild: 
horn ſelbſt, bildet einen der beliebteften und 
populärjten Zielpunfte der Berliner „Yand: 
partieen“, der fommerlihen Wanderungen und 
Ausfahrten ganzer Sippen und vielföpfiger 
Sefellihaften in den großen, „Kremſer“ ge: 
nannten Stellwagen. Auf der Waldinjel wie 
am Feitlandufer ift hier durch eine Menge von 


Gaſtlokalen dafür geforat, daß die bürgerlichen 


Schnelle Fahrt auf diefer Schienenftraße durd) | 


ben Grunewald ijt die zu Magen oder die Wan: 


derung zu Fuß von Wannjee wenigjtens bis | 


Charlottenburg. Sie führt eine lange Strede 
weit am Fuße der, mit alter prächtiger Föhren— 
waldung bejtandenen, Höhen des linfen Havel: 
ufers, teils über deren Nüden durch den Wald. 
Sie trifft auf eine befonders malerische und 
charakteriſtiſche Partie: die waldbededte weit in 
die breite Havel vortretende Landſpitze, das 
„Borgebirge“ von Schildhorn (S. 266). 


Meithin fihtbar ragt aus dem Kieferngebüfche 


auf der Höhe feines vorderiten Hanges das Denf: 


mal, welches König Friedrich Milhelm IV. in | 


den erjten Vierziger Jahren hier zur Erinnerung 
an die jagenhafte Flucht und Belchrung des 
Wendenfürften Jazko errichten ließ. Diefer, bei 
Spandau in der Schlacht mit Markaraf Albrecht 


Naturfreunde ſich über eine Schwierigfeit der 
Befriedigung von Hunger und Durjt in feinem 
Augenblid zu beklagen haben, auch wenn jie 
nicht jo wohlausgerüftet mit gefüllten Körben, 
Fäßchen und Flaſchen hier anlangen jollten, wie 
es bei Berliner Landpartieen Sitte iſt. 

Von diefen Waldorten an den Haveluferi, 
aufder Berlin-Spandauer Chaufjee heimfehrend, 
paſſieren wir die prächtig erblühte Villentolonie 
Weſtend an dem dortigen chemals wüſten— 
artigen Oftrande des Grunewalds und die gar: 
tenreiche Vorſtadt Berlins, welche fich lang ge: 
ftredt zu beiden Seiten des ſtattlichen königlichen 
Luſtſchloſſes längs jener Landſtraße hindehnt. 
Im 17. Jahrhundert lag bier ein Dorf Lützo w 
an der Unterfpree. Der erjte König Preu— 
ßens errichtete feiner Gemahlin Sophie Char: 
lotte, der „philofophifchen Königin”, der Freun: 
din von Leibnitz, das Schloß, welches er nad) 
ihr Charlottenburg nanute; ein Name, der ſich 
auf den ganzen Ort übertrug. Letzterer iſt zu 
einer vorläufig noch jelbftändigen, nicht von 


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270 


Berlin verfchlungenen Stadt von 20000 Ein: 
wohnern herangewachſen. 

Das Schloß, deifen Baumeifter fein Ge: 
ringerer als der große Andreas Schlüter ift, 
bewahrt troß mancher mit ihm vorgenommener 
Veränderungen noch immer viel von dem echt 
fürftlihen Gepräge der Palaftbauten jener 
Epoche. Sein weiter herrliher Park erſtreckt 
fi an der Nüdfeite bis zur Spree (©. 268). 
Seine landichaftlihe Schönheit, feine prächtigen 
Drangerieen, jeine römischen Raiferbüften, feine 


Die Lömenbrüde 16 


nen Grabdenfmäler mit den, wie im Schlum: 
mer hingejtredt ruhenden Statuen der Königin 
Luiſe und ihres Gemahls Friedrich Wilhelm III., 
dieſe Meiſterwerke Chriſtian Rauchs, einſchließt. 


cudwig Pletſch. 


Kioske, Karpfenteiche, Alleen aber würden für 
ſich allein den Beſucher nicht ſo zahlreich in ſei— 
nen ſchattigen Bezirk locken, als es geſchieht. Sei— 
nen ſtärkſten Magnet bildet das berühmte Mau— 
foleum, dejjen edle Marmorhalle die marmor= 













Dentmal ber 
Rönigin Luife 
(6, 279). 

In der 
erften Hälfte 
des vorigen 
Jahrzehnts 
hat Charlot: 
tenburg fei: 
nen Beſitz an 
Parks und 

arten: 

ſchönheit 
durch ein 
neugeſchaf⸗ 
fenes Ver— 


m, gnügungs⸗ 


etabliſſement 
bereichert geſehen, deſſengleichen Berlin und ſeine 
Umgebungen nicht aufzuweiſen haben. Eine 
Alktiengeſellſchaft gründete auf dem baumreichen — 
Terrain eines Privatparfs die Flora (S. 258). 





Die landichaftliche Umgebung Berlins. 


271 


arandiofen Glas- und eifernen Tonnen: 
gewölbe vorzüglich gedeihen. Trotz fo 
auferordentlicher anziehungsfräftiger 
Vorzüge, welche dieje Flora in fich 
vereinigt, troß ihrer herrlichen 
Luft, ihrer landſchaftlichen 
Schönheit, ihrer Blumen: 
und Palmenfülle, ihrer Kon: 
zerte, Sommer: und Win: 
ternachtfefte, kann das 
Anftitut nicht zu fröh— 
lichem Gedeihen ge: 
langen, ſondern lebt 
im ewigen Kampf mit 
bedrohenden, feind— 
lihen Geſchicken. 

Der größte Teil der 
fat 7 km langen 
Strede jener Strafe, 
die vom Brandenbur: 
ger Thor am Weſtende 
der Yindenpromenade 
aus nad) Charlotten- 

burg führt, liegt inner: 
halb des großen Parts, 
welcher den jchönften 






























had LE BEL a 


— 


Elefantenbans ” 
ı@. y121 : 


Der Bart, in mel: 
dem die Kunſt— 
aärtneret, die 
Blumenzucdt Be: 
wundernswürdt: 
ges gejchaffen hat, 
erjtredt ſich an 
der Nordieite der 
Chauſſee, öſtlich 
vom Schloß bis 
zur Spree. Er 
umgibt das groß— 
artige, palaſt— 

artige Gebäude, 
an dejien riefigen Net: und Konzertſaal ſich ein | landſchaftlichen Schmuck der Umgebung Berlins, 
gewaltiger Balmengarten anſchließt. Im größ— ein unſchätzbares, jegensvolles Gut für dejien Be- 


titel 


[7 


Am Golbh 


ten Stil angelegt, enthält er eine enorme Fülle 
föftliher Warmhausgewächle der tropischen 30 
nen, die unter feinem fühn avichwungenen 


wohner bildet: des Tiergartens. Urjprüng-: 
[ich ein fumpfiges baumreiches Wald: und Jagd— 
revier, das ſich einjt bis zur heutigen Kurſtraße 


At ogle 
1 8 * 


272 


erjtredte, ijt es zu Anfang des Jahrhunderts auf 
Befehl Friedrih Wilhelm des III. zu einem 
öffentlichen, der Einwohnerſchaft gewidmeten, 
Park verwandelt worden. in neuerer Zeit ift 
unendlich viel zu feiner immer fortichreitenden 
Verfchönerung gefchehen. Die ftagnierenden Ge— 
wäſſer, die ihn durchziehen, zuweilen größere 
Teihe und kleine Seen bildend, wie den von 
reizenden Anlagen umrahmten Goldfiſchteich an 
der Südſeite der Chaufjee (S. 271), dann | 
wieder in jchmalerem Bette ſich zwijchen den 
bujchigen Ufern dahinwindend und mit gewölb: 
ten oder mit Hängebrüden, wie die „Löwen— 
brüde* (S. 270) überjpannt, find nun durch 
jtets friſchen Waſſerzufluß neu belebt. Wald: 
artig wilde Partieen, verwachſene Didichte 
wechſeln mit liebevoll gepflegten, mit vollende: 
tem Kunftgefchmad behandelten Gartenanlagen. 
Ueberall fejjeln edle Werfe der Skulptur, die ſich 
leudtend von dem lebendigen Grün der Yaub: 
majjen abheben, ven Blid der den Park Durch— 
wandelnden und regen zur Freude am Kunft: 
fhönen und zu finniger Betradhtung an. 
So Fr. Schapers gepriefenes marmornes 
Goethedenfmal an dem Dftrande nahe der 
Königgräger Straße; fo nahe der „Luifeninfel“, 
welche ſich alljährlih am Geburtstage der un: 
vergeßlichen Königin den 10. März mit friſchem 
Blumenflor bededt, das berühmte Denkmal des 
Königs Friedrih Wilhelm III. von F. Drake, 
dem gegenüber im fahr 1879 das von E. Ente 
gemeihelte Monument Luifens ſelbſt (S. 270) 
errichtet wurde; jedes von ihnen auf cylindri- 
fhem Sodel, weldyer von einem breiten Frieſe 
ſchöner NReliefdarftellungen idealen Genres um: 
geben wird. — An feiner Südſeite wird der 
Tiergarten von der Tiergarten: Strafe — der 
eleganteften, von den Glüdlichen diefer Erde 
gefuchteiten, Berlins, einer Reihe von prächtigen 
Villen inmitten von Gärten — eingefaßt. Sie 
haben die ehedem hier beitandenen einfachen, 
halb Ländlichen Bergnügungsorte, Kaffee: und 
Biergärten längjt völlig verdrängt. 

Aud das ganze malerifhe Wieſen- und 
Bujchterrain, welches fich noch bis vor 22 Jahren 
zwiſchen dem weftlichiten Teil des Tiergartens, 
dem „Seeparf“, nah Süden hin zur alten Wald: 
wildnis der „Faſanerie“ eritredte (jeit 1845 iſt 
leßtere in den „Zoologiſchen Garten” verwan: 
delt), iſt längjt zu einem der luxuriöſeſten, an 
Meifterwerfen der Billenbaufunft reichiten, vor: 
nehmften Stadtquartiere geworden. Eben jo tief 


Osfar Schwebel, 


eingreifende Umgejtaltungen hat jener Zoolo: 
giſche Garten jelbjt erfahren, feit im Jahre 1869 
Dr. Bodinus aus Köln fein Direftorat über: 
nahm. Ihm iſt e8 gelungen, das Jnftitut in 
Bezug auf feine landſchaftlichen Reize wie auf 
den Neihtum und das Gedeihen feines Tier: 
bejtandes und den fünftlerifchen Charakter feiner 
Baulichkeiten, Tierhäufer 2c. zum erjten ber: 
artigen Garten Europas zu erheben und zu: 
gleich zum beliebteften jommerlichen Rendezvous: 
plat und Konzertgarten Berlins zu machen. Für 
die originelle Art der Tierhäufer, welche die 
Architekten Ende und Bödmann hier erbaut 
haben, gibt das auf unferem Bilde dargeftellte 
Didhäuterhaus mit feinen mitraförmigen Kup: 
peln hinteyindifchen Stils, feinen Pfeilern mit 
Elefantenfopffapitälen, — feine farbig ge- 
mufterte Ziegel: und Kachelnbekleidung lie ſich 
allerdings nicht wiedergeben, — ein charatteri: 
jtiiches Beispiel (S. 271). 

Hier aber ſchließe ich für diesmal die Man: 
derung durd die landichaftlihen Umgebungen 
der deutjchen Kaiferftadt. Die Leer, welche 
meiner Führung bis hierher freundlich gefolgt 
find, werden hoffentlich die Erkenntnis gewonnen 
haben, daß auch in diefer Hinficht Berlin viel 
beſſer jei als fein Ruf. 


Die 
Feſte der Pfingfizeit in Deutſchland. 


on 
Oskar Sdiwebel. 





„Auf, der Mai fam in das Land, 
Der da löft der Sorgen Band; 
Kinder, Kinder, ſeid gemahnt, 
Seine Pradıt zu Schauen! — 
Auf der lichten Heide breit 
Sind die Blumen ausgeftreut; 
Wie ein Teppich, weit und breit 
Schimmern Feld und Auen! — 
Da hört man die Nadıtigall 
Auf dem blütenfchweren Neife 
Singen Lenzes Yob mit Schall; 
Berg und Thal 
Grünen ihm zum Preije! 
Freut euch, ihr ungen, 
Blumen find wieder entiprungen ! 
Nun fchlinget den Neihen 
Und jauchzet dem prangenden Maien !” 


Mit diefen jubelnden, jauchzenden Verfen 
hat ein Dichter des 13. Jahrhunderts, der ſchwä— 


Die fefle der Pfingſtzeit in Deutichland. 


biihe Graf Konrad von Kirchberg, einſt feine 
Zeitgenofjen aufgefordert, den Wiedereinzug der 
wonniglihen Tage des Sommers zu feiern. 
Faſt vermeinen wir bei den Worten des lieder: 
frohen Ritters die Schellen an den Gürteln der 
Tanzenden flingen zu hören und die luſtige 
Char um den Stamm der ehrwürdigen Dorf: 
linde wirbeln zu fehen, deren dichte Zweige das 
erite faftige Grün fhmüdt! Wie ſchwer, wie 
furdtbar Schwer war die lange Winterszeit ge: 
wejen ; wie wenig hatte jelbjt dem ritterbürtigen 
Manne oder der edlen Frau die düftere Burg 
mit ihren engen, raudhigen Gemächern an Be: 
haglichkeit gejpendet! Jetzt galt es, des Lebens 
fonnige Tage, des Jahres fchönere Hälfte in 
vollen Zügen zu genießen. „Kurz ift das Leben! 
Die Blüten, die jegt aus dem braunen Raſen 
der Heide hervorfpriegen, — fie welfen nur zu 
ſchnell! Laſſet den Ernft des Lebens denen, die 
hinter Klojtermauern gegen den Genuß und die 
Enttäufhungen diefes Dafeins ſich abgeſchloſſen 
haben!” Das waren die Gedanken, welche dem 
Sünglinge, dem Manne, der Maid und der 
Frau des deutichen Mittelalters famen, fobald 
bie Kirche das „Veni creator spiritus*‘, — 
„Komm, heil’ger Geift, Herre Gott!" — zu 
fingen anfing. 

Und fie, die einfichtsvolle Erzieherin der ger: 
manifchen Völker, die Kirche, fie verſchmähte es 
nicht, an ber allgemeinen Freude teilzunehmen, 
welche die Pfingittage bei ihrem Einzuge bewill: 
fommnete. Das Gotteshaus felbit warb mit 
Maien feſtlich gefhmüdt; der Eſtrich wurde ſorg— 
fältig gelehrt und jelbit die todesftarren, in den 
Stein gefchnittenen Gejtalten der Biſchöfe oder 
der Nitter mit Kalmus zierlich bejtreut. Durch die 
Stille der Juninacht tönten, miteinander abwech— 
jelnd, die helleren oder dumpferen Stimmen der 
Glocken, mit dem lauen Wehen ihren Friedens— 
und Freudensgruß tragend auch zu der ärmiten 
Hütte. Eine Fülle von Luft durchwogte dieſe 
ganze Frühlingszeit bis zur Sommertages: und 
Nachtgleiche, dem hohen Feite, welches die Mif- 
fionare der Chriftenheit dem heiligen Johannes 
dem Täufer geweiht hatten, und in einer fajt 
unüberfehbaren Menge treten Nefte der alten 
Feſtesluſt noch heute uns entgegen, wenn mir 
uns aud) nur ein wenig in das Studium deuticher 
Eitte und deutſcher Volfsaltertümer vertiefen. 

Um einen einigermaßen Haren Ueberblid 
zu haben, unterfcheiden wir bei den Gebräuden 
der Pfingitzeit folhe, welche uriprünglich mit 


——— a — — — — — — 


273 


dem erſten Maientage verbunden waren, und 
ſolche, welche ſich an die Tage des Pfingſtfeſtes 
ſelbſt anlehnten. Wir bemerken jedoch, daß eine 
ſcharfe Sonderung faſt unmöglich iſt. Die Feſtes— 
freude dehnte ſich eben, wie wir bereits ange— 
deutet haben, über einen längeren Zeitraum 
aus; ja, ſie fand ihren Höhepunkt wie zu gleicher 
Zeit ihren Abſchluß erſt in den hochfeierlichen 
Ceremonien der Mittſommernacht, des 24. Juni 
unſeres Kalenders. Demnach ergibt ſich für die 
alten Feſte der fröhlichen Zeit des Pfingſteyklus 
von ſelbſt die Dreiteilung: Maifeſte, Pfingſt— 
gebräuche und Johannisfeier, und, an 
ſie uns haltend, wollen wir's verſuchen, ein mög— 
lichſt farbenfriſches Bild des fröhlichen Früh— 
lingslebens unſerer Altvordern dem Leſer zu 
entrollen. 

Den Schlüſſel zu ſämtlichen Maigebräuchen 
unſerer Vorfahren, welche, wie bereits ange— 
deutet iſt, ſich zum Teile ſpäter an das Pfingſt— 
feſt angeſchloſſen haben, wird uns der folgende 
Gedanke geben: Am Oſterfeſte war der lichte 
Gott des Sommers wieder in ſein Reich und 
Erbe eingezogen; er hatte den Winter beſiegt 
und die Erde von ihren Feſſeln befreit. Nach— 
dem dies geſchehen iſt, wirbt der herrliche Held 
um die Holde. Dankbaren Herzens gibt ſie ſich 
am „Maientage“, dem erſten des Monats, ihm 
zum Eigentume hin. Der erſte Mai iſt demnach 
das Vermählungsfeſt von Himmel und Erde, 
des Sonnengottes und der alleszeugenden Be— 
herrſcherin des mütterlichen Bodens. Es klingt 
dieſe hochpoetiſche Auffaſſung des Frühlings— 
lebens und Frühlingswebens der Natur ſelbſt 
noch bei einem Dichter des 17. Jahrhunderts 
nach, denn Logau ſingt vom Mai: 

„Diefer Monat iſt ein Kuß, 

Den der Himmel gibt der Erde!" — 
Eine Hochzeit aber muß zugerüftet werden; des— 
halb fällt auch der Vorabend des Maifeites, der 
Tag der heiligen Walpurgis, in den Cyflus der 
Feier mit hinein. St. Walpurgis erfcheint felbjt 
nur als die dhriftlihe Umbdeutung der uralten 
Erdmutter und ijt, wie neuerdings nachgewieſen 
worden, bei der Befehrung Deutichlands an die 
Stelle einer Gaugöttin getreten, welche Wal: 
fürennatur befaß und auf windſchnellem Roſſe 
über die Lande hinfuhr. Aus der Mähne ihres 
Tieres troff der Tau erfrifhend und belebend 
auf die in fühem Bangen harrende Erde herab; 
das heißt alfo: St. Walpurgis iſt die mittelalter: 
liche kirchliche Perſonifikation der das Gefilde 

35 


274 Osfar Schwebel. 


erquidenden Wolfe. An dem Vorabende des 
erften Maientages, am fpäteren Walpurgistage, 
begaben ſich ehedem die Priefterinnen Froumas, 
der Erbmutter, zu ben geheiligten Stätten in 
tiefer MWaldwildnis oder auf wolkengeküßter 
Bergeshöhe, um hier ihre geheimnisvollen Opfer 
zu vollziehen, weldhe der Ehe Wuotans und 
Froumas Segen verbürgen follten. Jetzt ver: 
ftehen wir’s, warum der Volksglaube noch heute 
die Heren in der Walpurgisnacht zum Blodsberge 
fahren läßt: der Aberglaube iſt auch hier das 
finftere Zerrbild des herrlich fchönen Götter: 
glaubens einer früheren Epoche des Volkslebens. 

Diefer germanifche Glaube an die Vermäh— 
(ung des Götterpaares flingt uns deutlich noch 
aus Shafejpeares Mit summer-nights Dream 
entgegen, hier find Oberon und Titania an die 
Stelle von Wuotan und Frouwa getreten; 
diefer Glaube beherricht und erklärt zugleich die 
fämtlichen älteren und jüngeren Maigebräuche 
Deutſchlands. 

Wohl überall auf deutſchem Boden ward 
einſt für die Feier des geſegneten Tages ein 
Maigraf, ein Maikönig gewählt; in einzelnen 
Teilen Deutſchlands und bei den engliſchen Vet— 
tern jenſeits des Oceans hat ſich die ſchöne Sitte 
noch erhalten, in dieſem irdiſchen Paare die heh— 
ren, himmliſchen Vermählten abzubilden. So 
im oldenburgiſchen Vaterlande. Auch die hier 
heimiſchen Volkslieder der Pfingſtzeit gedenken 
der Götterhochzeit, wenn ſie jubeln: 

„Freude, Freude über Freude! 

Hoͤrt, was ich euch künden will: 

Sch hab gefunden meinen Schatz, — 

Macht auf, macht auf den Gartenplag! * 
Ueberall in Deutjchland ward ferner einft diefer 
Maikönig feſtlich eingeholt und der erforenen 
Jungfrau entgegengeführt. Bis zum Jahre 
1782 3. B. hatte ſich der feierliche Braud) des 
Mairitts zu Hildesheim erhalten. Am Pfingit: 
abende zogen die Patrizierfühne dem vorher er: 
wählten Maigrafen unter großem Jubel des 
Volkes in den Uppener Wald entgegen, fie 
braten den Fürſten des Lenzes unter den 
Klängen raufchender Mufif und dem Dröhnen 
der Böller zum Rathaufe, auf welchem dem mit 
Maienfränzen gezierten Jünglinge der Ehren: 
trunf gereicht wurde. In Erfurt hieß ein ähn— 
licher feitliher Brauch einft der „Walperzug“, 
und die Sage deutete den feftlihen Aufritt als 
ein Ehrendenfmal der tapferen Vorfahren, die 
einft auf dem Walperzuge die Burgen des feind- 


lichen Adels gebrochen hätten, — grad’ fo, wie 
der einziehende König Mai die Zwingfeften der 
Winterriefen erftürmt. In dem heiligen Köln 
fand am Donnerftage nach Pfingiten, dem fogen. 
„Hölzgestage“, einft die „Holzfahrt“ ftatt. Die 
Bürger wählten einen Anführer, den „Ritter“, 
welcher ſchwergewaffnet mit ihnen in den nahen 
Wald zog, in deffen fühlem Schatten man fich mit 
mancherlei Spielen erluftigte. Das Kränzlein 
diejes Ritters galt ehedem für ein Heiligtum der 
hehren Colonia Agrippina und ward den Bür- 
gern bei großen Kriegägefahren, warn das herr- 
lihe Stadtbanner aufgeftedt wurde, gezeigt, um 
ihren Mut anzufachen. Eine ftattlihe Kollation 
beichloß die Feier der Einholung des Nitters. 
Nun wußte zwar die Kölner Ortätradition zu 
berichten, daß die Holzfahrt zum Andenken jenes 
großen Sieges gejchehe, welden der Kölnische 
Stadtpräfekt Marfilius unter Kaifer Veſpaſia— 
nus gegen das die Stadt belagernde Heer eines 
Gegenkaiſers erfochten hatte. Indeſſen ift Mar- 
filius, welchen die Stadt fich fpäter mit Agrippa 
zum Schildhalter ihres Wappens erfor, eine 
durchaus mythiſche Perfönlichkeit, eine Verfinn- 
bildlihung des Zufammenhanges der römifchen 
Colonia mit der füdgalliihen Maſſilia und eine 
Maske, unter welcher der altdeutjche Gott, der 
fommerliche Befreier, der Graf des Maien, ſich 
verbirgt. Das Kränzchen des Maigrafen lebt 
übrigens, wie befannt, noch heute in unferer 
Mutterfprade fort, denn nad) dem Schmude des 
Maikönigs hiek an einzelnen Orten der ganze 
Zug in den Wald zur Maienfeier und jchlielich 
jede feitliche Verfammlung ein „Kränzchen“. 
Natürlich fehlte der Feier des eriten Maien— 
tages auc) der feitliche Tanz unter dem feierlich 
aus dem Walde geholten und auf dem Dorf: 
plate aufgerichteten Maibaume nicht. Der lau: 
ten, oft ausgelaflenen Freude des Maientanzes 
gelten unzählige Lieder unferer höfifchen Dichter 
und die fröhlichiten Klänge unferes Volksgeſangs. 
Eine höchſt eigentümliche Sitte des deutſchen 
Mittelalters, welche ſich mit diefen Tänzen ver: 
fnüpft, ift die des Mailehens. In vielen Ge: 
marfungen Deutichlands wurden die Dorf: 
mädchen an den Meiftbietenden verjteigert und 
den um fie werbenden Burfchen zugeſchlagen. 
Es hatte dann der Burfch feiner Erforenen das 
Jahr über zu dienen und nur mit ihr, fofern fie 
jelbft ihm nicht Erlaubnis und Freiheit erteilte, 
zu tanzen. In Hefien findet dies Lehnausrufen 
am MWalpurgisabende jtatt; in dem Drömling 


Die $efte der Pfingftzeit in Deutfchland. 


aber, der Heidegegend zwifchen Gardelegen und 
Gifhorn, nennen die fleinen Hirtenjungen ſchon 


14 Tage vor Dftern, am weißen Sonntage, den | 
größeren ihre Braut; feiner indefjen darf bis | 


zum Pfingitfefte das Geheimnis ausplaudern. 
Unzmeifelhaft geht diefe Sitte, fowie der Name 
des Lehens darauf zurüd, daß in ältefter Zeit 
der Kaifer und wohl auch der Maigraf das Recht 
beſaß, die Töchter feiner Unterthanen mit feinem 
Hofgefinde zu verehelihen. Frankfurt a. M. 
ſoll ji im Jahre 1232 die Befreiung von ſolchen 
Zwangsheiraten erwirkt haben. Angeblic ver: 
langte ein Minifterial Friedrichs II. die ſchöne 
Tochter des reichen Patriziers Johann von Gold: 
ftein zur Gemahlin; der hochangejehene Bater 
wußte indes die unliebfame Heirat zu hinter: 
treiben. Sonjt war’3 auch hier Sitte gewefen, 
daß der Kaifer feinen Marſchall vor das Haus 
der Bürgerstochter ſchickte und jie durch folgenden 
Ausruf feinem Dienftmanne verloben ließ: 

„Hört zu, ihr Männer allzumal, 

Was gebeut der König und fein Marefchal, 


Was er gebeut und was muß fein! 

Hier ruf’ ih aus die Magd mit dem Mann;“ 
dann folgten die Namen, — 

„Deut zum Lehen, morgen zur Ehen: 

Ueber ein Jahr zu einem Baar!” 
Noch im 18. Jahrhunderte fuhren in der Main: 
ftadt die Kinder in maiengejhmüdten Wägelein 
von Haus zu Haus und riefen mit hellen Stim— 
men dieſe hochaltertümlichen Verſe aus. 

Schon das Erwähnte wird gezeigt haben, 
daß, wohin wir uns auch wenden auf deutjcher 
Erde, allüberall die Luft der Maien uns in eigen: 
tümliher Geftaltung entgegentritt. Im Würt: 
tembergiichen hat faſt jedes Städtchen eine kleine 
Stiftung zu einem jährlichen Fefte für die Jugend 
welches im Mai gefeiert wird. In Nürtingen 
3. B. zogen die Kinder in Prozeffion durd) die 
Strafe. Merkwürdigerweiſe fangen fie bei die: 
ſem Umzug mandjmal ein Totenlied. Wer ge: 
denft dabei nicht jener beiden Kölnifchen Ritter, 
welche beim Durchreiten der ſommerlichen Heide 
plöglich jo gewaltig von dem Gedanken an die 
Vergänglichkeit alles Irdiſchen ergriffen wurden, 
daß fie an der nächſten Klojterthüre anpodten, 
Lanze und Roß draußen liegen und als demütige 
Konventualen in den Konvent eintraten? Dft 
aber erflangen auf den Gaſſen Nürtingens auch 
die einfahen, herzinnigen Verſe aus Paul Ger: 
hards Sommerliede „Geh aus mein Herz und 
fuche Freud’ !" — die fchlihten Worte: 


f 


| 





275 


„Die Bäume ftehen voller Yaub, 

Das Erdreich dedet feinen Staub 

Mit einem grünen Kleide. 

Narcifjen und die Tulipan, 

Die ziehen fich viel jchöner an 

Als Salomonis Seide. — 

Ich felber fann und mag nicht ruh'n; 

Des großen Gottes großes Thun 

Erwedt mir alle Sinnen, 

Ich finge mit, weil alles fingt, 

Und laffe, was dem Höchſien klingt, 

Aus meinem Herzen rinnen!” 
Theatralifhe Beluftigungen, hochkomiſche Dar: 
ftellungen des Weißeſchen Luftipieles: „Gute 
Kinder — der Eltern höchster Reichtum!“ oder 
der „Erhebung Württembergs über alle Län: 
der“, ſelbſt über China und Weftindien, bildeten 
den Schluß des vielbefuchten Nürtinger Maien: 
tages, der endlich auch der Hand der hohen, das 
Volk väterlich bevormundenden Polizei erlag! 

Natürlich knüpfte fih mannigfacher Aber: 
glaube an den durch die Hochzeit des Götter: 
paares geheiligten Maientag. Leicht verftehen 
wird, warum man am Walpurgisabende die 
Häufer, die Thore, die Thüren befreuzt: Die 
häßlichen Heren, zu melden fid die heiligen 
Jungfrauen des Waldes, die hehren Idiſinnen 
und Priefterinnen, gewandelt haben, jollen nicht 
eindringen. Bejondere Heilfräfte haften am 
Maientage gewilfen Kräutern, andere nament: 
lid) dem Wafler an. Maienwaſſer iſt heilfräftig 
wie Ofterwafler; dasfelbe madıt „rote, — gelbe 
— Haare” und rotes Haar war der königliche 
Schmud unferer altheidnifchen Götter und Für: 
ſten; darum iſt dasjelbe fpäter jo jehr in Ver: 
ruf gefommen. Als die Ungarnkönigin Maria 
von Dejterreih um ihres hingemordeten Ge: 
mahls Albrecht willen die 63 Männer von Fahr: 
wangen richten ließ, da fprad) fie das aus Schil: 
[ers „Tell“ wohlbefannte Wort: „Nun bade ich 
im Blute wie im Maientau!” denn den Maien: 
bädern ward eine bejondere Heilkraft für Leib 
und Seele zugeſchrieben. 

Dod wie gern wir auch noch unter dem 
ihmuden, mit wallenden, wehenden bunten 
Bändern verzierten Matenbaume verweilen möch— 
ten, um in die tiefe, herzliche Freude und Mit: 
feier der Götterhochzeit einzudringen, wir müflen 
uns jenen Gebräuchen zuwenden, welche fich dem 
Pfingſtfeſte jelbit anichlofjen. Allezeit hat 
das Wunder der Ergießung des flammenden 
Geiſtes der Pfingften auf die Jünger dem Ber: 
ftändniffe des Volkes und der gläubigen Aneig: 
nung ferner gelegen als jene Heilsthaten, welche 


276 


Osfar Schwebel. 


die Kirche zu Weihnacht oder zu Dftern verfünbete. | fo 3. B. in Sauerlad) in Oberbayern, wird ber 


Und dennoch mußte dem Volke, wie die weifen 
Biihöfe und Mönche wohl einfahen, auch zur 
Pfingjtzeit etwas Anheimelndes, Feſſelndes ge: 
boten werden. War nun nicht mit der Aus— 
gießung des Geiftes gewiljermaßen der Früh— 
ling der Kirche angebrohen? Da lag es alſo 
nahe, altheidnijche Frühlings: und Maigebräuche 
auf das Pfingſtfeſt zu verlegen. Das heidniſche 
Volksleben bot eine Fülle folder an den Früh: 
ling gemahnenden Spiele und Gewohnheiten 
dar: wir widmen ihnen zunächit ein Wort der 
Betrachtung. 

Als einſt nach der Ausgießung des heiligen 
Geiftes die Zeugen Chrifti zur Erfüllung ihrer 
Apojtelpflicht ſich anfchidten, da waren fie des 
Kampfes harrende Männer. Die ganze Ge: 
ſchichte der Kirche tft ein Kampf; das Evange: 
lium bat in Wahrheit das Schwert gebradt. 
Diefe Gedanken wuhten unfere Altvordern ſehr 
wohl aufzufaflen, wie fie denn mit Vorliebe den 
Erlöſer als einen Heerfönig in der Mitte feiner 
Degen ſich voritellten. Wir dürfen uns demnad) 
nicht wundern, wenn die durchgehende dee der 
Pfingftipiele die eines Kampfes iſt. Der Be: 
fiegte verfiel dann dem Spotte, dem Gelächter; 
— daher auch jo viel Scherz und Mummen: 
ſchanz in der Feier des Pfingitfeftes! Cine Be: 
trachtung der Pfingſtſpiele nach ihrer örtlichen 


Verbreitung wird unfere Muffaflung und Deu: | 


tung derjelben beitätigen. 

In Bayern finden zur Zeit der Pfingiten an 
vielen Orten Wettrennen jtatt, deren Zwed es 
ift, zu enticheiden, wen bei dem Frühlingsfeite 
die ehrenvolle Nolle des fiegreihen Sommers 





und wen die harte Aufgabe zufallen foll, ſich 


als Befiegter allen Schimpf und Schabernad 
aefallen zu lafjen. Oft wird der Führer bes 
Zuges der jungen Burfchen, welcher ala Sieger 
aus diejen Wettfämpfen hervorgegangen ift, fo: 
wie jein Pferd und feine Fahne mit Goldpapier 
geſchmückt. Eine wie ärmliche Darftellung der 
leuchtenden Hoheit des alten Sommergottes, 
diefer Auspug mit Flittertand und farbigen 
Bändern! Ananderen Orten wird der „Pfingit: 
lümmel*, der „Pfingſtl“, der „Pfingſtquack“ 


mit Stroh umhüllt oder mit Wafferpflanzen um: 


wunden. Zu Niederpöring führen ihn Gewaff: 
nete wie einen Gefangenen in ihrer Mitte, Oft 
wird ihm bei feinem Umzuge ein Hinterhalt ge: 
legt; nedische Burſchen ſuchen ihm tüchtig mit 
Waſſer zu übergiepen. In einzelnen Ortichaften, 


Beſiegte ald Wafjervogel mit einem Schwanen- 
halje geſchmückt. Diefe Hineinziehung des feuch— 
ten Elementes läßt fi ungezwungen nur dahin 
deuten, daß auch zu Pfingjten, ähnlich wie zu 
Dftern, bei unferen Vorfahren entweder der Ne: 
präfentant des Feindes der jommerlichen Gott- 
heit, — vielleicht ald Puppe, — in den Strom 
geworfen oder daß um dieſe Zeit wirklich ein 
reichgeſchmücktes Opfer auch an die Beherricher 
ber Fluten, die Elfen, tief unten im grünen 
Rhein oder in der bläulihen Donau, dargebradht 
worden ift. Tiefbedeutfam, Schön und wahrhaft 
poetisch ijt der zu Münnerftadt in der Nhön 
herrihende Brauch, nad weldhem zu Pfingiten 
buntfarbig gefleidvete Buben mit dem Pfluge 
oder einem geſchnitzten Modell desſelben die 
Gemarkungen umziehen, und unmillfürlich wer: 
den wir hier an Herders Wort erinnert : 

„Die Pflugfchar war es, die die Welt bezwang!“ 
Auch hier aljo die eier des Sieges der Kultur 
über die Wildnis, des Lichtes über die Finfternis! 

Der „Waſſervogel“, die fomifche Figur bei 
den bayrischen Pfingitipielen, iſt alfo die Ver: 
jonififation des Feindes, der bejiegt fein muß, 
ehe der fommerliche Gott feine Hochzeit begehen 
fan, oder das Opfer, welches den waltenden 
Mächten des Sommers fallen muß, che fie herr: 
Ichen fünnen. Was muß fich der arme Burſch 
gefallen lafjen, welchem dieſe Rolle zugewiejen 
ift! Schon bei dem voraufgehenden Wettrennen 
aeichlagen und feinesgrünen Schmudes teilweife 
beraubt, wird er hier und danod im Waſſer 
„gewargelt* und fommt endlich in deſolatem Zu: 
itande im Wirtshaufe an. Jetzt aber iſt der 
Becher des Leidens für ihn geleert, und wohl ver: 
mag er's, ſich ſchadlos zu halten, denn er it 
zechfrei überall! 

Das Spiel des Waſſervogels und der Pfingit: 
ritt finden fih auch auf ſchwäbiſchem Boden, ob: 
wohl fie als eine Eigentümlichfeit des bayrischen 
Stammes befonders hervortreten. In der Rott: 
weiler Gegend erjcheinen bei dem zu Nofje ftatt: 
findenden Umzuge eine Menge von Gejtalten, 
aus denen ſich fait ein volfstümliches Myſterium 
fonjtruieren ließe: neben dem Hauptmanne und 
feinen Offizieren treten Goliath und David, die 
deutlichen Nepräjentanten von Sommer und 
Winter, Mohrenkönige, Maienführer und Hu: 
jaren in buntem Gemische auf. Sie alle jprechen 
bei dem Aufzuge langatmige, aber furzweilige 
Neden in Kmüttelverfen. Und der Refrain all 


Die Feſte der Pfingfizeit in Deutichland, 


diefer Neime? Der Lefer wird ihn wohl ahnen: | 
„Gebt uns Wein! Wir find gar weit gefahren!“ 
Der Hufar aber als Lion und Incroyable darf 
ſich wohl auch ein Mörtlein erlauben, das an die | 
derben Späße der Wachtſtube und des Feldlagers | 
erinnert. 

In all dem Vorftehenden findet ji der 
Grundgedanke der Pfingftfeier vor, wenn auch 
vielfach verdunfelt. Wieaberbie nedifche Pfingit- | 
{uftbarfeit der Heilbronner zu deuten fei, das | 
bat der Verfafler noch nicht zu enträtjeln ver: 
mocht. Zu Heilbronn wurden nämlich nod) im | 
Jahre 1806 die Kühe, welche der Hirt am Pfingſt- 
montag austrieb, feftlih und zwar menſchlich 
ausgejhmüdt. „Da fammelten fi,“ wie ein | 
Bericht von jenem Jahre jagt, „die Kühe auf 
der Straße, geziert mit noch gangbarem oder 
bereits veraltetem Modeitaat des fchönen Ge: | 
ſchlechtes. Eines der Tiere trug auf den Hör- 
nern einen Strohhut, ein anderes eine Haube, 
eine Perüde, einen Chignon, jenes ein modis 
ſches Nes, einen Schleier, eine Schärpe, einen | 
Cul de Paris, einen Blumenftrauß. An dra: 
matifchem Leben fehlte es nicht. Hier jtieß die 
eine, welche der Nachbarin in Freundſchaft fich nä⸗ 
hern wollte, der andern mit dem ungeheuerlichen 
Hut ins Auge. Ergrimmt fuhr diefe auf; ein 
rafchgeführter Hornſtoß vernichtete das elegante 
Gebäude der Putzmacherin zu traurigen Trüm: 
mern. Hier fraß die eine der anderen den Blu: 
menftrauß von den Hörnern oder vom Schmanze, 
dort trug die Blefje mit dumpfem Gebrülle den 
Chignon ihrer Schweiter, der Schwarzen, im 
Maule!“ 

Im engſten Zuſammenhange mit dem Grund: 
gedanken der altdeutſchen Frühlingsfeier ſtehen 
die Schützenfeſte, welche zu Pfingſten faſt in 
allen Städten Deutſchlands ſtattfanden, ſowie 
die Aufzüge einer durch das ganze Reich verbrei— 
teten Fechtergeſellſchaft, der St. Marrbrüder: | 
ichaft. Der bejte Schütz wird König, und wahr: | 
ſcheinlich fiel in ältefter Zeit, wie Simrod ver: | 
mutet, Schüben: und Maikönig zufammen. Bei 
allen Schübenfejten finden wir den Maibaum 
aufgerichtet. Dft, wie 3. B. zu Frankfurt a. M., 
wurden aud) die im Freien zum Pfingſtfeſte auf: | 
geichlagenen Tanzhütten mit Maien geziert. 
In diefer Stadt war das „Maienfteden“ bejon: 
ders beliebt; bis zum Jahre 1496, fo jagen die 
Stadbtchronifen, pflegten die jungen Männer faft 
allgemein die Thür der Geliebten mit arünen 
Zweigen zum Pfingitfeite zu jchmüden. Die | 


277 


Batrizier Frankfurts fügten ihrem Maien ge: 


wöhnlich noch ein Bild und eine Devife hinzu. 


So wählte ein Jüngling des Haufes Knoblauch 
zum Bilde das Faß der Danaiden, offenbar eine 
Anjpielung auf die Sprödigfeit der Geliebten, 
mit der Umfchrift: „Ich thue, wie ih kann!“ 
ein anderer ließ eine Hand ein Gewicht in einen 
Brunnen jenfen und feste den Spruch darum: 

„Falſcher Grund 

Iſt meinem Herzen unkund!“ 
Hier zu Frankfurt, wie im ganzen Franfenlande, 
fteht jedoch im Vordergrunde des Feſtes der 
Pfingſttanz, eine deutliche Erinnerung an die alte 
Götterhochzeit. Gefondert wurde indefjen der 
Reigen aufgeführt; das war jtets ratfam bei den 
Zunftfeiten des Mittelalters; die Bäder tanzten 
auf der Pfingſtwieſe, die Metzger auf dem Gut: 
leuthofe, die Hirten, Flurſchützen und Viehmägde 
auf der Weide am Nüfterfee. Bald wurden diefe 
Pfingſttanzplätze der beliebte Ort der Glüds- 
jpiele. 

Es würde zu weit führen, hier näher auf 
die Pfingfeite der Schützenbrüderſchaften einzu: 
gehen, jo interefjant aud eine Darlegung der 
alten Gebräuche derfelben fein würde. Wir 
gehen zur Pfingftfeier im Sachſenlande über. 
Auch hier, jo fehr freilich in letter Zeit die 
Pfingſtfeſte an frifhem Leben eingebüßt haben, 
bezeugt fich noch immer die alte Freude an dem 
Hochzeitsfefte von Himmel und Erde. Die Häu— 
jer werden innen und außen mit dem buftigen, 
ſchimmernden Zaubederfrifchen Maiengeſchmückt, 
die Dielen und die Wege werden mit Kalmus 
beſtreut. Im ſächſiſchen und ſlaviſch-märkiſchen 
Tieflande werden in den Häuſern Mai: und 
Pfingſtkronen aufgehangen, und nicht felten 
geht's auch den Erwachfenen mit dem welfen 
Schmude des Pfingitfejtes jo, wie den Kindern 
mit dem Weihnachtsbaume: man jcheut ſich, den 
falben Schmud des Feites zu entfernen, und 
thut's endlich) nur mit Bedauern. Der Kuh und 
dem Pferde wird die bunte Taufchleife ange: 
bunden; das Tier foll draußen auf der Weide 
das heilfräftige Na fammeln und in Haus und 
Hof heimbringen. Der „Pfingſtkerl“, wohl der 
„Pfingſtrecke“, d. h. aljo der Maibräutigam, 
der „füſt'ge Mai”, d. h. ein zu einem Mädchen 
verfleideter und mit Blumen gefhmüdter Knabe, 
die „bunte Kuh“, d. h. diejenige, welche zuleßt 
ausgetrieben worden tft, ſowie ein prächtig ge: 
ihmüdtes Roß, das heilige Tier des Sachſen— 
Stammes, ziehen um. Mannigfahe Sprüde be: 


278 


gleiten die Feitlichkeiten; fie heben oft echt poe— 
tiih und hoch altertümlich an, wie 3. B.: 
„Buten, guten Tag ins Haus! 
Unglüd fahre zum Giebel hinaus!” 

Im Königslaufe, dem Mettlaufe nad dem 
Pfingſtbaume, zeigt fich ferner noch ein deutlicher 
Reſt der alten Frühlingsipiele. Nicht fehlen 
enblih in dem an Roſſen fo reichen Lande die 
Wettrennen ; esgilt, vom Sattel aus einen reich 
mit Bändern gefjhmüdten Kranz von einer hori: 
zontal ausgeftedten Stange herabzureigen; nicht 
die fröhlichen Pfingſttänze! In der brandenbur: 
giſchen Altmark wird am Abende des zweiten 
Pfingittages jedes Mädchen mit Muſik nad 
Haufe gebracht; am andern Morgen aber be: 
ginnt der Tanz fofort wieder. Gegen Mittag 
ziehen dann Tänzer und Tänzerinnen von Hof 
zu Hof. Die jungen Burfchen haben fih für 
diefen Umzug zum Teil mit Weiberfleidern ver: 
mummt und einer von ihnen trägt einen großen, 
gefüllten Bierfrug. Der letztere wird jedem 
Hofwirte und defien Frau gereicht, Unter der 
Leitung von Vortänzer und Vortänzerin beginnt 
dann noch einmal der Tanz und erft um Mitter: 
nacht dürfen die müden Spielleute zum „Sehr: 
aus“ fich rüsten. 

Ein Reit jehr altertümlicher und bedeutfamer 
Eitte, welde einft an das Pfingftfeft fid an: 
lehnte, hat ſich auch im deutjchen Norden auf 
dem Boden der Mark Brandenburg erhalten. 
Hier umziehen in einzelnen Dörfern Pfarrer, 
Lehrer und Schüler zu Pfingjten die Saatfelder 
und beten um reihen Erntefegen. Mag der 
Umgang aud) eine Erinnerung an die alten fa- 
tholischen Prozeffionen fein, jo ift Dodh immer 
der Zeitpunkt bemerfenäwert, zu welchem er ge: 
ſchah: die Himmlifchen, denen felbft die „hohe 
Zeit* ihres Waltens und Dafeins gefommen 
war, mußten der zu ihnen aufiteigenden Bitte 
ja befonders gnädig fein! In Landen, melde 
dem römischen Befenntniffe huldigen, finden da— 
her auch heute noch zahlreiche Prozeffionen zur 
Pfingitzeit ftatt. 

Es fehlt aber auf deutfchem Boden aud) an 
ſcherzhaften Piingitgebräuchen nicht. Merkwür- 
digermeife find diefelben von der Luft des Feſtes 
in dem ſonſt fo ernften Marfchenlande Olden: 
burgs reich gezeitigt worden. Hier benußt man 
die Nacht vor Pfingften zu allerlei Schabernad. 
Mas außerhalb des Haufes los und ledig ift, 
wird verfchleppt, Handwerkerſchilder werden ver: 
taufcht, Bänke werben verſetzt, Wagen ausein: 


Oskar Schwebel. 


andergenommen und in ihren einzelnen Teilen 
auf die Dächer geihafft. Dem Mädchen, welches 
den Pfingitmorgen verjchlafen hat, wird ein 
Strohmann ins Bett gelegt; die letzte, die zum 
Melken fommt, muß die Nolle des vielgehänfel: 
ten Pfingftfuchjes auf fich nehmen. Auch diefe 
derbe Luft des Feſtes erklärt ſich leicht aus jenem 
Hauche der Freude, welcher zu Pfingften durch 
alle Zande weht. 

Und diefe Freude ließ fich jo ſchnell nicht 
ausfoften, oder vielmehr: Der Sterbliche fuchte 
fie in der Mühſal feines Lebens fo lange aufzu- 
halten wie möglich; er wünſchte, die bannenden 
Kreife um ihren flüchtigen Fuß ziehen zu können. 
Wir deuteten oben bereitö an, daß die Feierlich— 
feiten des altdeutichen Pfingitfeftes und die 
Frühlingsluft ihren Abſchluß erft inder Sommer: 
jonnenwende, dem fpäteren Feſte des heiligen 
Sohannes des Täufers, fanden. Ohne Zweifel 
war deſſen Tag, der 24. Juni, bei den heibni: 
ihen Deutfchen dem herrlihen Sonnengotte 
Baldur geweiht, ihm, der alljährlich im Fluge 
der Zeit dem heimtüdischen Gejchofje des 
Gottes der Finfternis erliegen mußte. Welch 
befjeres firchliches Gegenbild aber fonnte für den 
ftrahlenden Jüngling des Göttermythus gefun: 
den werben als jener Prediger in der Wüſte, 
defien Auftreten der Morgenröte gleih das 
Kommen des Erlöfers geweisfagt hatte, — der 
frühe fchon, gleich dem nordifchen Götterfohne, 
feines Lebens Ziel erfannt hatte, der das düſtere 
Wort geiprochen hatte: „Ich muß abnehmen!“ 
und welchen ein gewaltfamer Tod mitten aus 
dem Laufe abberufen hatte! Eo trat St. Johann 
der Täufer an die Stelle des Sonnengottes; er 
erfeßte den fommerlihen Wuotan. Hieraus er: 
Härt fih, warum St. Johann der Täufer bei 
den germanifchen Bölfern der Nepräfentant alles 
Lichten, Edlen, Großen ward, und warum die 
idealſte Verbrüberung des Mittelalterd, ber 
ritterlihe Orden vom Epitale zu Serufalem, 
fid) den Täufer zum Schußpatron erfor. 

Am 24. Juni ſchien die Sonne unferen Alt: 
vordern ben Höhepunkt ihrer fiegerfüllten Lauf: 
bahn erreicht zu haben; von da ab ging es ab: 
wärts. Mas Wunder, wenn nun zum Schluſſe 
der feftlihen Zeit die Freude noch einmal hoch 
aufloderte, dem Feuer gleih, das die legten 
Gluten hochrot auffladern läßt und dann plöß: 
lich in fich zufammenfinft! Die Siegeshöhe der 
Sonne — das war natürlid — mußte Wunder 
wirfen auch auf Erden: die Johanniszeit ift des: 


Die Seite der Pfingſtzeit in Deutfchland. 


halb fo reich an Gnade, fo erfüllt mit Segnungen | 


des Himmels, daß fein Mund es ausſprechen 
fann. Alle Geijter, die gebannt find, werben 
zur Johannisnacht frei und rufen fehnlichjt nach 
Erlöfung. Aus der Erde Schoße heben ſich die 
verfunfenen Schätze und fonnen fih. Im leuch— 
tenden Scheine des Mittags, auf der Heide, in 
dem hohen Blütenkraute, um welches die Käfer 
ſchwirren, die Bienen fummen, die Schmetter: 
linge gaufeln, fowie im bleichen Lichte des Mon— 
des, der durch die Zweige auf den Elfen im 
Farrenfraute des Waldes herniederlächelt und 
die Niren füht, wenn dieje, nach dem jchönen 
Jünglinge ſich fehnend, aus der Tiefe des Wei: 
hers auftauchen, erjcheinen die Schlüſſeljung— 
frauen, die „weißen Frauen“ mit dem jonnen: 
goldenen Haar! Der Sommer hat in diefer 
hochheiligen Zeit feine höchſte Pracht entfaltet; 
es blüht, wie Uhland fo jchön gejagt hat, das 
fernfte, tieffte Thal: deshalb duften alle Pflan— 
zen und entwideln ihre heilfamen Kräfte. Jetzt 
it e3 Zeit, den Sonnenmwendgürtel, den Beifuß, 
das Johanniskraut, das Fohannisblut und an: 
dere Kräuter von hohen Gaben und Kräften zu 
breden; jest muß die Wünfchelrute, der Sprof 
vom Hafeljtrauche gejchnitten werden, welcher 
den Zugang zu allen ſchlummernden Schätzen 
ber Erdentiefe ermöglicht. Jetzt ijt das Waſſer 
heiljamer denn zu irgend einer anderen Beit. 
Deshalb zogen, wie PBetrarfa aus eigener An: 
ihauung berichtet, die Frauen Kölns ftill und 
aeheimnisvoll in der Johannisnacht nad) dem 
Rheine, um fi Arme und Hände in dem jugend: 
lihen Etrome zu baden und unter dem Abmur: 
meln geheimnisvoller Morte, vielleicht altheid- 
nifher Zauberformeln, mit duftenden Kräutern 
die blühenden Glieder zu jhmüden. „Ein Bad 
in der Johannisnacht“, fagt man nod) heute im 
Württembergifchen, „nützt foviel als neun andere 
ſonſt.“ 

Der Tau der Johamnisnacht ſchützt gegen 
jede Krankheit; man fammelte ihn deshalb, 
um von ihm zu trinfen oder mit ihm den Körper 
zu neben. Grüne Kränze wurden um den Quell 
im Walde und den gotifchen Brunnen auf dem 
Marftplage gemwunden, dem heilkräftigen Naf 
zu Ehren; auf allen Höhen aber flammten die 
Sonnenwendfeuer auf. Jünglinge und Yung: 
frauen entzünbeten diefelben, warfen vielerlei 
genau beftimmte Kräuter in diefelben, umtanzten 
fie und fprangen durch und über die Flammen. 


279 


Für immer ift die hohe Poeſie diefer Johannis: 
nachtfeier verſchwunden, aber im Geijte ſchauen 
wir wohl noch die linde, wonnigliche Nacht des 
Jahres 1497, da zu Augsburg die ſchöne Pa- 
triziertochter Sufanna Neithardt dem Kaifer Mar 
das Johannisfeuer anzündete, und jehen nad) 
Nitter Schweinichens Erzählung den Herzog von 
Liegnit mit feinem ganzen Hofhalte in jauchzen: 
der Fröhlichfeit um das lodernde Feuer im Burg: 
hofe des Kynaſt verfammelt. Und wenn zwei 
Herzen in alter Zeit fich entgegenfchlugen, welche 
das Schickſal getrennt hatte und feindliche Mächte 
voneinander fern hielten, fo erhob in der ſegens— 
reichen Nacht der Jüngling den Becher und tranf 
der Geliebten „St. Johannis Minne“ zu, Licht 
und Eegen ihren Pfaden wünſchend und ein 
frohes Wiederſehen ſich erhoffend. 

Mit dem Glodentone, weldher den Anbruch 
des neuen Tages nah Johannis verfündigte, 
legten ſich die fhäumenden Wellen der Freude. 
Jetzt war die frohe Zeit abgelaufen, des Jahres 
ſchönſter Tag vorüber. Der volle Sieg des Lichtes 
war erfämpft; nach dem gemeinfamen Schickſal 
aller erfchaffenen Dinge fing nun der Erde Pracht 
und Hoheit anzu welfen. Des Sommers Schwüle 
und verfengende Hite lagerte fid) auf Wald und 
Feld und Flur; — dahin waren die fchöneren, 
janften Tage, und mır in Wehmut mochtejt du 
denfen an die verlorene Maienfrifche des Lenzes, 
an das junge Grün, an die fnojpende Blüte, an 
das linde, leife Frühlingswehen, das eine Welt 
von Eeligfeit verheigen hatte, die nun erfchienen 
und ach! jo ſchnell vergangen war. 

Solcher Stimmen der Wehmut über dahin: 
geraufchte Pfingitesluft liegen fich viele ſammeln 
aus unferer älteren Litteratur, aus dem Minne— 
geſange und dem Volksliede. Die elegiſche Klage 
um das fo früh eriterbende Schöne klingt aus 
dem Munde aller Geſchlechter, und mit ihr eint 
ſich die Sehnſucht nadı dem Bleibenden. Die hat 
in feiner ſchlichten Art auch der Dichter unferer 
Tage auszusprechen fich nicht geſchämt, welcher 
nächſt Malter von der Wogelweide und Doktor 
Martin Luther der männlichite feines Volles 
gewefen ift, und mit Ernft Mori Arndts Wor: 
ten aus einem „Pfinaftliede” fchliegen wir, — 
fie atmen Pfingitgeift und Pfingitesfehnfudt : 

„Gottes Liebe ziehe mich in dich hinein, 

Daß ich hier Schon blühe wie ein Himmeläfchein, 
Daß ich gleich der Lerche flieg’ ind Sternenhaus, 
Ueber Thal und Berge und die Welt hinaus!” 


280 


Auguſt Beder. 


Sleonore 


Roman von Auguſt Beder. 
(Fortfegung.) 


[3 Herbig feine Verwunderung 
Yr- ar hierüber ausſprach, hörte er von 
Pi dem Kleinen Aufmwärter, daß es 

Pr. \ & Familien aus der Stadt feien, 

- die zumeift erft abends herauf: 

— kämen, beſonders jetzt zur Zeit 

der Hirſchbrunft, um — die Hirſche am Renn— 
ſteig ſchreien zu hören. 

Lachend bemerkte der Fremde, man laſſe 
wohl irgendwen durch ein Rohr in einen vollen 
Waſſerkübel brüllen und ſage, das ſeien die 
Waldhirſche am Rennſteig. 

„D nein!” erwiderte der Junge mit ernſter 
Miene. „Erjt geitern abend bei hellem Mond: 
ſchein horchten Herren und Damen dort auf der 
Haustreppe oder hörten am offenen Feniter 
itundenlang zu. Da, nad) der Weinftraße hin, 
ſtand ein Hirſch, der ſchrie mächtig, daß einem 
die Haare zu Berg ſtanden; und dahin, auf 
dem Nennfteig gegen den hohen Saal, ftand 
ein anderer, ber trieb es noch bunter. Und 
heute morgen wurde ein großer Hirfch gleich 
da drüben auf dem Waldanger tot aufgefunden, 
der im Kampfe unterlegen iſt.“ 

Wenn es fi wirklich fo verhielt, jo fehlte 
e3 nicht an Romantik oben am Nennfteig. In 
der That beftätigte denn auch ein hingutretender 
Erwachſener, der Oberfellner oder Pächter, daß 
die Sache ihre volle Richtigkeit habe. Herbigs 
Teilnahme war gewedt, und ba er fich bereits 
in fein Geſchick einigermaßen gefunden, fam es 
ihm nicht mehr darauf an, hier etwa von der 
Nacht überrascht zu werden. Er hatte ſich ein 
Abendbrot beitellt und lieh es fich fchmeden, 
obwohl es ihn ärgerte, daß ihm wiederholt das 
Mefler entglitt und zu Boden fiel. Indem er 
fih büdte, es aufzuheben, bemerkte er, daß 
unter einem der verjchobenen Tifchbeine ein 
fleiner Bapierzettel oder vielmehr eine weiß: 
glänzende, zierliche Karte eingeflemmt war. Beim 
erften Male hatte es ihn nicht weiter gefümmert. 








| 


Dann aber jtellte fi die Erwägung ein, daß 
es eine Vifitenfarte fein möchte, verloren an dem 
Plage, wo die beiden Damen ihren Kaffee ge: 
trunfen hatten! 

Das Verlangen, fich hiervon zu überzeugen, 
regte fih. Mit einem Anflug von Neugierde 
hob er das fleine weiße Blatt auf. 

In der That, es war ein fteifes, glänzen- 
des, goldrandiges Kärtchen, jedoch ohne einge— 
ftochenen Namen, fondern auf beiden Seiten 
befchrieben von einer weichen ſympathiſchen 
Frauenhand, der Tert in deutfchen Zügen, die 
Unterſchrift — zum Teil unleſerlich, von feuchten 
Sande beſchmutzt und gelöfht — in englifcher 
Schrift und mit einem fchülerhaften Schnörfel, 
wie fie nur noch von Frauen ala Namenszüge 
angewandt werden. Der Inhalt mußte dem 
Lefer gefallen, denn er überflog ihn zweimal 
und lächelte jedesmal dazu. Er lautete — 
wörtlich und nad) genauer Abfchrift alfo: 

„2. ©. Ich habe dir etwas im Vertrauen 
„mitzuteilen, denfe dir heute morgen als ich 
„meinen Zopf anfteden will, ift feiner zu finden 
„bitte ſuch doch mal, wo wir geſtern geweſen 
„Sind; halt es aber geheim vor allen, Ich kann 
„es faum vor Lachen aufs Papier bringen. 

Jenny No — — — je.” 

Mas hier im Namen durch Striche ange— 
deutet wird, war im Original wegen eines 
Schmutzfleckes oder Kledjes unleferlih. Sehr 
ärgerlich. Gerade das Wichtigite, der Familien: 
name blieb dem Finder damit verſchloſſen. Sonft 
war das Papier troden, unverleßt, fein Buch: 
ftabe verwifcht oder verblaft, ein Beweis, daß 
das Kärtchen noch nicht lange hier lag, da die 
Tinte außer jener Stelle weder durd Tau und 
Nebel, noch durch das Sonnenlicht gelitten hatte. 
Es fonnte nicht über Nacht hier am Boden ge: 
legen fein, war jehr wahrſcheinlich erſt am Nach— 
mittag verloren worden und zwar aller Ver: 
mutung zufolge eben von den beiden Damen, 


Eleonore. 


die ihren Kaffee hier getrunfen und dem Finder 
dann begegnet waren. Gerade aufden Familien: 
namen — wie jhade! — modte ein Waſſer— 
tropfen oder vielmehr ein Tropfen Milchrahms 
durch irgend einen Zufall geraten und das 
Kärtchen unbemerkt zu Boden gefallen und 
unterm Tiſchbeine eingeflemmt worden fein, 
wodurch es an der einen Stelle beſchmutzt 
wurde. 

Das drollige Billet war offenbar an eine 
vertraute Perſon, an eine Freundin oder einen 
Freund, vielleicht an den Gatten, möglicher: 
weiſe an den Geliebten, im Grunde jedoch eher 
— und aller Wahrſcheinlichkeit nach — an die 
Schweſter gerichtet. 2. ©. hie wohl „Liebe 
Guſte,“ „Gertrud“ oder „liebes Gretchen!“ 
Welche von beiden war nun die Abfenderin 
Jenny, die launige Schreiberin des Billets? 
Dasjelbe machte einen überaus anmutenden 
Eindrud auf den Leer, deſſen Züge ſich freund: 
lid aufgeklärt hatten, indem er fich immer wie: 
der in die Betrachtung diefer weichen und dod) 
ausdrudsvollen Mädchenfchrift verlor mit den 
Hlaren Haar: und den deutlichen Grundftrichen, 
den keineswegs langgeitredten Inappen Bud) 
ftaben. Vor allem aber gefiel ihm ber Inhalt, 
diefe naive, ſich ſelbſt belächelnde Gejchämigfeit, 
welde die Bedeutung des Verluftes, aber aud) 
den Humor der Sache nicht verfennt. Mochte 
die Verfaſſerin fein, wer fie wollte, fie mußte 
ihrer Handſchrift entjprechend ein gemüt: und 
haraftervolles, anſpruchslos heiteres und lie: 
benswürdiges Wefen fein. 

Jenny war auch ein Name, der zum Ganzen 
paßte. Aber wie lautete nun der Familienname 
diejes Schalfhaften Mädchens? Daß auch gerade 
auf ihn der verhüllende Fleck fallen mußte! 

Herbig ſah nochmals das goldgeränderte 
Kärtchen an, nachdem er fi bis zur merklichen 
Dämmerung damit beichäftigt hatte, und ftedte 
es nunmehr in die Eleine Mappe feines Notiz: 
buches. Dann fragte er einen Vorüberkommen— 
den, den er für den Wirt halten fonnte, ob die 
Damen, welche nachmittags hier gefefien, aus 
der Stadt und wirklich Schweitern feien. 

Der Mann beitätigte es, — er wiſſe nicht 
anders. 

„Können Sie mir nicht den Namen fagen ?" 
forſchte Herbig weiter. 

Der Mann bejann fich; ex fiel ihm nicht bei. 
Es fei eine Familie mit zwei Töchtern, foviel 
er wilje, erjt vor einigen ‚jahren hergezogen 





| 
| 
| 


281 


und habe ſich jetzt eine Villa gebaut; ob fie 
jedoch diejelbe ſchon bewohne, wiſſe er nicht. 

„Iſt eine der Töchter verheiratet?“ er: 
fundigte ſich Herbig weiter. 

Der Mann verneinte; er bezweifle dies und 
wife nur von den beiden ledigen Töchtern. 

„Die eine Dame hier,“ mifchte fich jest ein 
Mann ins Geſpräch, der feither unbeachtet in 
einer Zaube geſeſſen war, „die ſchöne, große, 
vornehme, junge Frau war eine fremde, aus 
Berlin oder eher noch aus dem Hannöverſchen. 
Sie wird wohl in Marienthal logieren.“ 

Das Hang fehr beftimmt. Der Mann hatte 
ficher feine Gründe zu diefer Behauptung und 
war wohl ſchon unbemerkt in der Laube ge: 
ſeſſen, als die beiden Damen nod am Tijche 
weilten und ihre Ausfpradie, der Inhalt ihrer 
Neden ihm Anhaltspunkte für feine Annahme 
lieferten. 

„Ich will es nicht beftreiten,“ meinte nun 
auch der andere, während Herbig in den alten 
Zwieſpalt zurückgeworfen war. Sein Herz ftimmte 
dem in ber Laube zu. Doc richtete er feine 
weitere Frage an ihn. Raſch entſchloſſen, be: 
rihtigte er feine Zeche, brach auf, eilte die feier: 
lihe Dämmerung einer herrlichen Buchenhalle 
entlang, dann die Straße überjchreitend bald 
durch dichten, bald durch hellen lichten Wald 
allmählich zu Thal. Das Laub der diden Eiche 
am Promenadenmweg zeichnete fich wie mit Tufche 
ausgeführt an den lichtgrünen Himmel. — War 
fie e8? Waren die Zeilen von ihr und — an 
wen gerichtet ? 

Sein Herz pochte ungeftüm, in qualvoller 
Ungeduld. In allen Reftaurationen des Marien: 
thals ſah er jich noch abends beim Worüberfommen 
um. Da jagen Frauen genug, doc) feine wie fie. 


2. 


Anderen Tags war Herbig früh auf und ent: 
ſchloſſen, ſich Gewißheit darüber zu verſchaffen, 
ob er ſich geſtern getäuſcht oder ob das Weib, 
deſſen erſter Anblick auf der fernen Küſte ihm 
Herz und Sinne gefangen genommen, hier im 
Thüringer Wald wieder zu finden ſei. Es war 
ſeine beſtimmte Abſicht, nicht aus der Gegend zu 
weichen, bevor er zu jener Ueberzeugung gelangt 
war, und dann alles an ſeine Liebe zu ſetzen. 

Allein mit dem feſten Entſchluß drängten 
ſich ihm auch ſofort die Schwierigkeiten der Durch— 

30 


282 


führung auf. Als Fremder, ohne ficheren An: 
halt, ohne Anfnüpfungspunfte — wie jollte er 
feinen Zwed erreihen? Durd Nachfrage in den 
verjchiedenen Hotels? Viel zu umftändlich, ohne 
Ausficht auf Erfolg, wie ihn die Erfahrung im 
eigenen Gajthof lehrte, da er bei feinen gelegent: 
lihen Erfundigungen nicht einmal den Namen 
wußte. Allem Anſchein nach wohnte die jchöne 
Unbefannte von der Dftjee, wenn fie überhaupt 
hier weilte, in einem Privathaufe. Wie jollte 
er nun zum Ziele fommen! Durch Nachfor: 
ſchungen auf der Polizei? Auch wenn fie an: 
gemeldet war, verbot ſich das von jelbit und zwar 
nicht bloß deswegen, weil jeder Anhaltspuntt 
fehlte. Eine Fremde, eine ſchöne, große, junge 
Frau, die er liebte, — damit lieh ſich ohnehin 
vor einer Behörde, die auf das Pofitive hält, 
wenig anfangen. Oder war fein Vorſatz beſſer 
durch eine Anzeige im Lofalblatt zu verwirklichen? 
Nein! Diejes Mittel verwarf er fofort. Und 
dennoch — das aufgefundene Billet, die be- 
ichriebene Bifitenfarte bot einen paſſenden An: 
laß, unter „Werlorenes“ oder vielmehr „Ge: 
fundenes* mit leifer Andeutung anzufnüpfen! 
Aber, vielleicht war der Verluft der Karte gar 
nicht bemerft worden, oder dieſe ging ganz an: 
dere Leute an, — und wenn eine der beiden 
Damen, jo hinterließ ein folches Inſerat dod) 
leicht den Eindrud arger Indiskretion; das Ver: 
fahren erſchien als ein Zmangsmittel, dem man 
fich erjt recht nicht beugte. Mit Verlegung des 
Zartgefühls als ein Aufdringlicer ericheinen, 
nein, dazu hatte er vorerft feine Luft, wenn auch 
zu vielem anderen. 

Ein Ausweg blieb ja immer noch, um eine 
Begegnung herbeizuführen : in der jchönen Um: 
gebung fich ergehen, was wohl aud ihr Zweck 
bei einem Aufenthalt hier war. Was gejtern 
geſchah, konnte ſich heute wiederholen. Freilich 
waren der Spaziergänge fo viele, — wohin fid) 
wenden? Er mußte fein gutes Glüd wohl oder 
übel dem Zufall überlaffen und machte ſich alio 
auf die Beine in die herbitliche Berglandichaft 
hinaus, — ſchon vormittags, da er mußte, 
daß Damen gerne des Morgens mandern, 
wenn fie Muße haben und feine Langichläfe: 
rinnen find. 

Weiße Dämpfe ftiegen aus den Thälern 
und zogen dann als lichte Wolfenballen am 
blauen Himmel über das Gebirge. Mit ſcharfem 
Ausblick verfolgte Herbig die ſchattigen Berg: 
pfade um die Felſen, auf deren Folie jich die 


Nuguft Beder, 


| malerischen Baumfonturen jet deutlicher ab: 


— — — — — — — — 


hoben. Jeder helle Rockſaum in der Ferne be— 
ſchäftigte ſeine Phantaſie, nährte und beflügelte 
ſeine Einbildungskraft, bis nähere Betrachtung 
die Enttäuſchung brachte. Im geſchloſſenen 
Nadelwalde, unter den lichten Pyramiden der 
Lärchen und den dunklen der Fichten; unter dem 
braungewordenen Laubgezelt einzelner Eichen 
und unter immergrünen Föhrenſchirmen am 
ragenden Geſtein; wo die Hainbuchen den bunten 
Blätterteppich über den Raſen am Waldſaum 
breiten, die Birke zartes Laubgold auf den Berg— 
anger ſtreut und der Ahorn als rieſiger Flammen— 
buſch an blauer Felswand leuchtet; in dunklen 
Buchengängen und herbſtlich gelichteten weiten 
Hallen — überall ſuchte er nach ihr und fand 
fie nicht. 

Jedem Kleide, das von ferne durd den 
Forſt Schimmerte, war er nachgelaufen, um 
ihlieglid immer wieder feinen Irrtum zu ge: 
wahren. Auch hatte er nicht verfäumt, in allen 
am Wege liegenden Neftaurationen die weib— 
lichen Gäfte zu muſtern; mit demfelben fchlechten 
Erfolge. Nach vergeblihem Abhetzen kehrte er 
müde zur Mittagätafel feines Hotels zurüd, be: 
fand fich jedoch nachmittags ſchon wieder auf den 
Beinen. 

Jetzt galt es den Schloßberg ſelbſt zu beſteigen, 
von deſſen Halden weiße Gewänder in die Ferne 
blinkten. Rüſtig, die Mauern der erhabenen 
Landgrafenpfalz ſtets im Auge, klomm er hinan. 
Vor ihm trieb ein Schwarm von Engländern 
durch den Felſenweg empor, indem ſie mit Hän— 
den und Stöcken ihre ſchwanenhalſigen Ladies, 
ſchlaffe Figuren mit verdroſſenen Mienen, vor 
ſich her ſchoben und drückten. Nachdem Herbig 
in alle Räume der Reſtauration oben geblickt 
hatte, wählte er ſich ſeinen Platz in der Vor— 
halle ſo, daß er Kommende und Gehende im 
Auge behielt und zugleich des wunderbaren Aus— 
blides an den hochragenden Gebäuden der Burg 
vorüber auf den Bergwald genoß, der da feine 
Mogen bis über den Rennſteig hinaus fchlug, 
hinter deſſen geſchwungener Yinie die blauen 
Kuppen der Rhön auftauchen. 

Obwohl die Jahres- und Tageszeit ihre 
ſchönſte Beleuchtung und den jelteniten Farben— 
reiz über die Landſchaft ergoß, bemerkte Herbia 
doch, daß die meiſten Befucher fofort zu den 
bunten Fenitern im Hintergrunde eilten, um die 
Gegend in Blutrot, Violett, Blau und Schwein: 
furter Grün zu bewundern. Viele Damen fehr: 


Eleonore. 


ten ein, zumeift aus der Stadt felbit, in ganzen 
Zügen. Sie, die er fuchte und erwartete, befand 
fich nicht darunter. Nun erwog er doch ernitlich 
bei ſich, ob er eö hier — aud) in diefer ſchönen 
Umgebung — ohne pajienden Umgang lange 
auszuhalten vermöchte! 

Am nädhiten Tiſche ſaßen einige junge Leute 
mit bunten Müten und lebhafter Unterhaltung 
beim Bier. Einer erzählte den anderen von zwei 
frommen und fleißigen Mitfhülern, die erft jest 
auf Geheiß des Direktors deutſche Dichter zu 
fejen begannen. 

„Um nun ihren poetijchen Sinn zu befun- 
den,“ lautete der Bericht weiter, „ſetzen ſich 
die Kamele vorgeftern der Töchterpenfion im 
Johannisthal gegenüber auf eine Steinplatte 
und fingen, bis der Borfteher mit einem Knüppel 
erjheint, ſchwärmeriſch hinüber: Wenn — id — 
ein — Wöööglein wär!” 

„Das iſt noch gar nichts, * meinte ein anderer, 
„gegen die Unterhaltung, die Löwele bei dem 
Balle geitern mit feiner Tänzerin geführt hat. 
Fräulein,“ jagt er, ‚Sie trinfen gewiß gern Bier!‘ 
Blutrot fragt das arme Mädchen, warum er das 
von ihr glaube. Er darauf: ‚Na, wie viel Glas 
trinfen Sie denn des Tags?‘ Halbweinend Hagt 
fie, wie er jo fragen könne. ‚Ei,‘ fagt er, ‚Sie 
fehen ganz fo aus, als tränfen Sie gern und viel 
Bier!‘ Nun aber reift fie aus und kommt 
weinend zu ihrer Mutter, während Löweke ſteif 
und feſt der Meinung bleibt, er habe ihr nur 
Liebenswürdiges gefagt.” 

Herbig hörte nichts mehr von der laut ge: 
führten Unterhaltung, fondern verlor ſich auf 
eine Meile wieder in den Anblid des Bergforjtes 
und der benjelben überragenden Burg. Vom 
Schauen müde, griff er nad einem Berliner 
Zeitungsblatt, das vielleiht von einem Gaſte 
zurüd gelaſſen auf dem Tiſche lag. Er begann 
zu lejen, flüchtig, teilnahmelos bald da, bald 
dort, überflog die Lokalnachrichten und war im 
Begriff das Blatt wieder wegzulegen, als ihm 
eine bis dahin überjehene furze Notiz in die 
Augen fiel. Schon nad) der erften Zeile blieb 
fein Blid feſt an der Stelle hängen. Sie lau: 
tete troden und furz: 

„Gejtern nachmittag wurde die Leiche eines 
unbefannten, anjcheinend den bejjeren Ständen 
angehörigen jungen Frauenzimmers aus dem 
Engelbeden gezogen und ins Obduktionshaus 
gebracht. * 


Herbig ließ das Blatt finfen und ftarrte | 


283 


betroffen ins weite. Lebhaft drängte ſich ihm 
die Erinnerung an das Mädchen aus der Fremde 
in der Hauptitadt auf. Erſt jetzt jah er nad) 
dem Datum. Die Zeitung war jchon einige 
Tage alt; der traurige Vorfall mochte an dem: 
jelben Nachmittag jtattgefunden haben, an dent 
er ſelbſt abgereift war. Alfo Steubers verlaflene 
Braut! Und dennoh, — was jollte fie zu jo 
fürchterlihem Entjchluffe getrieben haben! Zwar 
hatte fich die junge Dame in Haltung und Auf: 
treten ernft, beftimmt, entſchloſſen gezeigt, jedoch 
feineswegs den Eindrud eines verzweifelten Ge: 
müts hinterlafien. 

Die jungen Leute neben ihm fuhren in ihrer 
Iuftigen Unterhaltung fort, welche fich jetzt zu: 
meist um einen Dr. Binfe drehte, wie es fchien, 
ein Mitalied des Yehrerperjonals, der aud) unter 
der Bezeichnung „der Floh” vorfam und eben: 
falls auf dem Ball gewejen war. Wäre dabei 
nicht ein Frauenname genannt worden, ber 
Herbigs Aufmerljamfeit erregte, fo würde er 
jicherlich das ganze Geplauder überhört haben. 
Nun aber gewann e3 für ihn ein ungewöhnliches 
Intereſſe. 

„Die Mazurka tanzte der Floh mit Fräulein 
Nordhaſe,“ fuhr nämlich einer der jungen Leute 
in ſeiner Mitteilung fort. — „In der Pauſe — 
ich ſtand gerade hinter ihnen, fragte er, warum 
denn ihre Schweſter Jenny nicht mitgekommen 
ſei; er habe fie beim Vorüberkommen im Garten 
ihres neuen Haufes ftehen fehen, aber faum er: 
kannt; Fräulein Jenny habe ganz anders aus: 
geſehen; mit veränderter Haarfrifur, ſcheine fie 
auch ihren Sinn gewechjelt zu haben, denn fie 
habe ſich bei feinem Gruß eiligft zurüdgezogen. 
Warum fie denn nicht da jei? — ‚Vermiſſen 
Sie denn Jenny fo jehr, Herr Doftor?‘, fragte 
Fräulein Nordhafe. — ‚Ei ja,‘ fagte der Floh 
das Bein hebend, ‚auch hretwegen.‘ — ‚Meinet: 
wegen? Wie jo? — ‚Ei freilich!‘ fagte der 
Floh, das andere Bein hebend; ‚in Leipzig fagt 
man: nebeneinander jehen Schweitern nie übel 
aus.‘ — 

„Und was fagte denn Fräulein Norbhafe 
darauf?“ wurde von einem der jungen Zeute am 
Tifche gefragt, während Herbig bemüht war, 
ih, ohne aufzufallen, Fein Wort entgehen zu 
laſſen. 

„Sie lachte,” war die Antwort. „Sie lachte 
und meinte: Herr Doftor Bine verleugne doc) 
niemals den bewährten Takt, was er aud) als 
bare Münze einftedte. ‚ch ſchmeichle mir!‘ ver: 


284 Auguft Beder, 


jegte er mit feinem jelbitgefälligen Lächeln, in: | erit beim Eindringen ins Gehölz fand Herbig 
dem er wieder ein Bein hob und fich hierauf in | wieder brennende Tinten hinter dunklen Buchen: 
Poefie verlor. Denn, ihr wißt ja, der Floh | hängen an Heden und Bäumen, die gleich blühen: 
dichtet. * ı dem Ginfter leucdhteten. Kein Parf war an: 
Geräuſchvoll erhoben fich hierauf, nachdem | mutiger, als dies Berggehölz unmittelbar über 
fie nod) ausgetrunfen hatten, die jungen Zeute | der Stadt. Bei einem Pavillon ſah er über 
und zogen lachend weiter. Daß es die Namen | einen Teil derjelben in ein ſchön geſchloſſenes 
Jenny‘ und ‚Norbhafe waren, die Herbigs | Thal mit fernem, halb vom Abendnebel ver: 
Aufmerkſamkeit erregt hatten, begreift fich leicht. | hüllten Dorfe. Kartoffelfeuer rauchten auf dem 
Ja — Jenny Nordhafe — das ftimmte. So | vorliegenden Hochfelde und drüben überall; hier 
lautete die Unterfchrift des Billets, und er im Eſchenhain dedten große gefiederte Blätter 
wunderte fih, daß er diefe Entzifferung nicht | — noch grün — den Pfad. Hundegefläff, 
ſchon felbit gefunden, nachdem die Buchitaben | Kinderlärm unten in der Stadt, unmittelbar 
unter dem troden gewordenen Klecks wieder | über ihr MWaldesdunfel, Bergeinfamteit. 
etwa3 hervorgetreten waren. Alfo dennod Raſch wäre er in der Gafje unten gejtanden; 
Schweſtern, und eine geftern nach dem Spazier: | das ſchöne Gehölz, eine Miſchung aller deutſchen 
gang über die Berge noch auf dem Ball gewejen, | Baumarten, zog ihn jedoch wieder zurüd. Die 
Jenny daheim geblieben! Was half ihm nun, | fein gezogenen Linien und Konturen, die reizen: 
den Familiennamen zu willen! Immerhin fo | den Durcblide, der wehmütig fehnfuchtsvolle 
viel, um fonftatieren zu fönnen, daß er in einer | Eindrud des ſchon merflichen weichen Dämmer: 
Täufhung befangen gewejen war. lichtes verfehlten ihre Wirkung nicht. Dann die 
Selbit dieſe Gewißheit erfchten ala Gewinn, | herbftlichen Zufttöne, der Laubabfall! — ‘Ya, 
wenn auch als ein fehmerzlicher. Er wollte wieder | nochmals wollte er diefe Pfade wandeln. Die 
zu der Zeitung greifen, um die Nachricht von | ganze Naturftimmung hier entfpradh zu fehr der 
dem ertrunfenen Mädchen nochmals zu lefen. | eigenen Gemütsverfaflung. 
Ein anderer hatte das Blatt weggenommen und Als er dann auf anderem Stege über das 
las darin. Nun jah Herbig nad) der Uhr und | Hochfeld zur Stadt hinunter trebte, lauerte ſchon 
brach auf, um nad) der Stadt zurüdzufehren | der graue Nachtnebel in den Heden, die den 
und fofort an Dräfow eine Anfrage wegen des | Hohlweg jäumten. Auf deſſen hohem Rande folgte 
Falls zu rihten. Er bedachte nicht, daß er dies | er einer Pfadfpur vor eine Gitterthür in dichten 
auch von der Burg jelbit aus, wo fih ein Roft: | Zaun. Nur angelehnt, wich fie feinem Drud, 
ſchalter befand, thun konnte, und begab ſich alfo | — und er trat hinein. 
den Berg hinunter. Allein, jener Borfat kam Menn ihn nun auch das Gartenhäuschen auf 
nie zur Ausführung und geriet in Vergeffenheit, | der Höhe zur Umfehr mahnen fonnte, um nicht 
da Eindrüde und Erlebnifje dazwischen traten, | weiter auf Privateigentum vorzudringen, — 
welche den Gedanken Herbigs einenanderen Gang | drüben im Gehölz war er übrigens auf ein ähn- 
und den Angelegenheiten eine neue Wendung | liches geftopen, — jo war dod der zur Stadt 
gaben. abfallende Nafenhang mit einem lichten Beſtand 
Indes hatte ſich der Abend eingeftellt und | von Waldbäumen — Birken, Fichten, Aſpen — 
das Wetter etwas geändert. Die Sonne war | befett, gleichfam nur eine Fortſetzung des Berg— 
zwar noch nicht untergegangen, als Herbig die | forjtes, während allerdings weiter unten nad) 
Hochterraſſe erreichte, ſtand jedoch hinter einer | der Stadtmauer hin Obitpflanzungen an die 
ruhigen, nur hin und wieder gebrochenen Wolfen | Stelle traten. Er fand ſich alfo nicht bewogen, 
ihicht, die den Himmel leicht, doc für den | umzufehren. 
Sonnenblid undurhdringlic überzogen hatte. Da indes der eingefchlagene Pfad umführte, 
Die Luft war ruhig, mild, weich. Ein bläulicher | folgte er ihm nicht weiter, ſondern jchritt kurz 
Duft Tag über den Bergen und den Feldhöhen entſchloſſen in gerader Richtung über den Raſen 
draußen, alle farben und Linien mildernd, in | hinunter auf ein Yaubgehen los, wo er einen 
welchen das Gebirge hier malerifch zur Stadt ab: | Nuhefit vermutete, von welchem er in ftillem 
fällt. Ueber den herauffteigenden Häufergruppen | Behagen noch des Ausblids in den Abendfrieden 
lag ſchon ber Abendrauc, über dem Wald: genießen Fonnte. 
folorit ein gleihmäßiger blaffer Farbenton, und | Er hatte ſich nicht geirrt. Hinter dem Ge— 


Eleonore. 


heg unter einer bereits gelichteten Linde jtand 
eine Banf. Allein man war ihm zuvorgefommen. 
Eine Dame ſaß da, wie es fchien, gedanfenvoll, 
in tiefer Betrachtung. Sie hatte die nahenden 
Schritte, welche allerdings von dem weichen 
Raſen gebämpft, von dem heraufflingenden Lärm 
der nahen Gafjen gevedt wurden, nicht wahr: 
genommen und jah, den Kopf auf die Hand ge 
jtügt, über den Rauchichleier der Stadt hinweg 
nad den jenfeitigen Feldhöhen, von welchen hin 
und wieder die Kartoffelfeuer bereits durch die 
tiefere Dämmerung fchimmerten. Das Herz 
begann ihm zu pochen. Sietrug das helle Herbft- 
fleid, wie es die größere der beiden Spazier: 
gängerinnen geftern oben auf der Höhe des Ge: 
birgs getragen, und eine ftarf duftende Roſe am 
Bujen. 

Soviel hatte er bereitö bemerft, und aud) 
die Figur entſprach feiner Vorftellung. Das un: 
bededte, dunfelblonde üppige Haar in einen 
Knoten geihlungen, der tief im Naden ſaß, wie 
er ed an rauen liebte, weil es ihnen — wenig: 
ftens in feinen Augen — etwas befonders An: 
ziehendes verleiht. 

Aber noch hatte er ihr Geficht nicht gefehen. 
Unwillfürlih, mit angehaltenem Atem, fchritt 
er behutfam etwas vor. Nicht zu frühe follte 
ihre Aufmerkfamfeit erregt werden. Und jetzt 
änderte fie ihre Haltung, indem fie die Hand 
von der Stirne herabfinfen ließ und die Arme 
unter ber ſchönen Büſte freuzte. Mit gefenkter, 
von den üppigen Haarwellen befchatteter Stirne 
faß fie da, fummervollen und verjtedten Blicks, 
gleihjam unter den dichten Brauen hervor: 
ſchauend wie ein junges, ſchüchtern ftolzes Mäd— 
chen. Der Ausbrud ihrer Züge war voll ſchwer— 
mütigen Ernſtes. 

Herbig hatte an fein Herz gegriffen, das faft 
hörbar an die Bruftwände podhte. Ya, das war 
das edle Profil der hohen Frau vom Ditfeeftrand, 
das ſchöne Dval ihres dunfelbleichen Antliges, 
die weiche Wange mit dem kleinen liebreigenden 
famtbraunen Muttermal überm Mundwinkel. 

Allein, was nun? Unter feinen Umftänden 
war es zu entjchuldigen, noch länger ein Meib 
zu belaufchen, das fich einfam glaubte. Und doch 
fonnte er nicht freiwillig ſich eines Anblids ent: 
ſchlagen, nad welchem er ſich all diefe Tage her 
glühend gefehnt hatte. Wie nun follte er feine 
Anmejenheit zu erkennen geben? 

Mährend er noch unentſchloſſen ftand, rafchelte 
fein Fuß, den er leife zurüdzog, im welfen Laube. 


| 





285 


Da fah fie langſam auf und richtete voll das 
Antlit her. 

Der Anblid Herbigs fchien fie erft zu be: 
fremden, dann zu verblüffen. Zwar trat feine 
Nöte in ihre Wangen, aber wie eine dunfle 
Wolke ftieg es hinter ihrem Antlitz auf und 
lagerte fich gewitterhaft in tiefen Schatten um 
ihre Augen. Herbig vermochte fich die Bewegung 
ihres Gemüts und den Ausdrud ihrer Züge 
nicht zu deuten. Aber ihm wollte doch ſcheinen, 
als ob fich durch Ueberrafchung, Berwunderung, 
Schred und Nerger eine heimlihe Genugthuung 
durchfämpfe. 

Sie hatte fich indes von der Bank erhoben, 
ala wolle fie den Platz, wo ihre Einfamfeit nicht 
mehr aufrecht zu erhalten war, unverzüglich ver: 
laſſen. Auch Herbig trat näher und ihr in den 
Weg, wobei ihm wieder ein eigentümlich gewürz- 
hafter Rofenduft entgegen mehte. 

„Berzeihung, meine Gnädige,“ fprad er 
fich verbeugend, „ihmwäre untröftlich, wenn meine 
Gegenwart fo läftig fiele, Sie zum Aufgeben 
Ihres Nuhefiges zu veranlaffen. Ich wollte 
feineswegs jtören. “ 

Einige Augenblide verftrihen, bis fie ant: 
wortete. 

„Wenn Sie jemand von der Familie be- 
fuchen wollen, mein Herr,“ ſprach fie dann mit 
dem ihm bereitö befannten Wohlflang ihrer etwas 
tief liegenden Stimme, — „die Herrihaften 
befinden fich unten im Haufe.“ Und mit einer 
leichten und anmutvollen Handbewegung wies 
fie feitwärts den Gang hinunter, wohin der 


| Pfad lief und das Schieferdach eines Sommer: 


haufes mit Balkon und Beranda zwiſchen dem 


Laubwerk fihtbar ward. 


„Das liegt völlig außer meiner Abficht,* er: 
wiberte Herbig. „Perfönlich bin ich hier gänz— 
lich unbefannt, obwohl — —“ Er hielt inne, 
als fühle er noch nicht an der Zeit, was er aus: 
fprechen wollte, griff aber dabei nad) der Seiten: 
tafche und enthob derjelben eine Feine ſchwarze 
Mappe, die unverkennbar Bifitenfarten enthielt. 
Als jedoch die Dame in nicht mißverftändlicher 
Weiſe, wenn auch höflicher Form abwintte, 
ftedte er einigermaßen verlegen das Täſchchen 
wieder ein und fuhr mit fortdauerndem Erröten 
fort: „daß ich Ihre Einfamkeit unterbrach), meine 
Gnädige, geſchah wider meinen Willen und hat 
jeinen Grumd in der Unbefanntichaft mit den 
Einzelpfaden. Wenn ich aud) die Gegend von 
früherem Beſuch etwas Fenne, ſelbſt anderen im 


286 


allgemeinen Auskunft zu geben imjtande bin” 
— er glaubte dies bejonders hervorheben zu 
müfjen, um ihrem Gedächtnis zu Hilfe zu kom— 
men, — „jo fann ich doch im Einzelfall die 
Nichtung verfehlen. Kurz, mein Eindringen hier 
fommt daher, daf ich mich verirrt habe. Das iſt 
mein ganzes Vergehen.“ 

„Nur ein Berjehen, * verſetzte fie, und Herbig 
glaubte zu bemerken, daß ein leichtes Lächeln ihre 
Mundwinkel hob, „ein Verjehen, das ſichunſchwer 
wieder gut machen läßt, fein Vergehen, mein 
Herr, wenn nicht im allerwörtlichiten Sinne.” 

„Ih danke Ihnen, meine Gnädige, für dieſe 
freundliche Anſchauung der Lage,“ fing Herbig 
wieder an, der die leife Mahnung, welche in ihren 
Worten gelegen fein fonnte, wieder dahin zu 
gehen, woher er gefommen, nun einmal über: 


hören wollte. „Sch bin fremd hier, das Ber: | 


jehen fonnte ftattfinden, wenn mir auch die 
gangbarjten Pfade im Waldgebirge felbit nicht 
unbefannt find, 3. B. jener von der Weinftraße 
und dem Dradenitein herunter in die Landgrafen: 
ſchlucht, — den Sie doch gefunden haben, wenn 
ich fragen darf?” 

„Er war nad) Ihrer Beichreibung nicht wohl 
zu fehlen, mein Herr.” 

„Und — geftatten Sie die Frage — Sie 
fanden ihn ſchön?“ 

„Wie alle diefe Maldpfade hier.“ 

„ch ja, ich entfinne mich,” fuhr Herbig fort 
mit dem Bemühen, das Gefpräh in Schwung 
zu bringen. „Ein wunderbarer Gang, diejes 
ſtete Herunterjteigen in den Schönen Waldkeſſel 
mit den fchroffen, bläulich angehauchten Fels: 
wänden, dann die Windungen der von Buchen 
herrlihüberwölbten Schlucht entlang, demrinnen- 
den Waffer nach ins Marienthal — ſehr ſchön!“ 

„Alle diefe Waldpartieen haben ihren Reiz, * 
erwiderte fie ruhig, faſt fühl, indem fie mit 
ihrem geſchloſſenen blaufeidenen Sonnenſchirm 
gleihfam in verhaltener Ungeduld die Tinte 
Handflädhe flopfte. „Wenn Sie indes von Ihrer 
erfahrt wieder auf den rechten Weg zur Stadt 
gelangen wollen, jo müſſen Sie, wie ich zu wiſſen 
alaube, oben durch die Gartenthüre zurüd und 








| 





den Hohlweg entlang gehen, der hier um den 
| Stadt unterrichtet find, bitte ih, mir den mei— 


Zaun hinunter führt.“ 


Dies fagte fie, jelbit im Begriff, dem Pfad | 


innerhalb des Gartens nad) dem Haufe hinunter 


Auguſt Becker. 


„Und der Pfad, den Sie ſelbſt, meine Gnä- 
dige, einjchlagen, ift wohl nur ein Privatweg?“ 

Ein Ya! folgte als Antwort. 

Etwas ärgerlich und gereizt, daß fte ihn fo 
furz hielt, war er entſchloſſen, fie feinesiwegs fo 
leihten Kaufs wieder loszulaffen und die lang 
erjehnte Gelegenheit möglichſt auszunügen. Ent: 
jann fie fich feiner wirklih nur von der legten 
Begegnung auf der Weinftraße her, oder wollte 
fie fich gefliffentlich jener früheren nicht mehr 
erinnern? So zurüdhaltend ihr Benehmen, jo 
fühl ihre Haltung, lag dennoch etwas in ihrem 
Weſen, — er wenigitens glaubte diefe Beobadı- 
tung gemacht zu haben, — was ihn zuverficht- 
lich eine befjere Verftändigung ſchließlich nod) 
hoffen ließ. 

„Welche Gegenſätze!“ begann er mit der 
Hand hinauszeigend, als es draußen fchon mehr 
und mehr düfterte. „Wie ganz anders wirken 
diefe ſchön abfallenden Vorhöhen des mittel: 
deutjchen Waldgebirges, als 3. B. die Küſte, 
wenn Sie die Erinnerung nicht ſcheuen, meine 
Gnädige, der Ditjeeitrand auf Wollin, Die Dünen 
jenjeits Misdroy . . .“ 

„a, es findet einige Verſchiedenheit ftatt,* 
lautete die Ermiderung. 

„Hier,“ fuhr Herbig fort, „die wunderbare 
Zuſammenwirkung von Forft und Fels... .“ 

„Und am Meere das Waſſer,“ fiel fie ein; 
doc) jagte fie es in ernitem Ton. 

„Sie haben jehr richtig bemerkt, meine Gnä— 
dige,“ meinte Herbig mit geheuchelter Naivetät, 
während er bei fih dachte: So entfommt fie mir 
nicht! dann laut fortfahrend: „Aufein fo wunder: 
bares Zufammentreffen hier im Thüringer Wald 
war ich in der That nicht vorbereitet. Dies iſt 
ja wohl derjelbe Schirm . . .“ 

„Ein blauer Sonnenſchirm.“ 

„Den ich unter der Düne vor der Meerflut 
gerettet,“ fuhr Herbig fort, ohne die Unter: 
bredung gelten zu lafjen. „Ich freue mich wahr:= 
haftig, ihn jo unerwartet und wohlbehalten hier 
im Binnenland mwiederzufinden.” 

„Richt unmöglich,“ erwiderte fie, „daß der 
Schirm fich ebenfalls freut. Indes, mein 
Herr, nachdem Sie nun über den Weg nad) der 


nigen frei zu geben,“ 
Einem fo beitimmt ausgefprochenen Wunfche 


zu folgen. Allein Herbig fand es geraten, für | gegenüber, war nichts weiter zu thun. Herbig 
jetzt noch von ihrem Vorhaben nichts zu merken. | wich raſch zur Seite und lief fie vorüber. Der 
ı feine, nelfenduftige Nofengeruch, der ſich dabei 


Ohne von der Stelle zu weichen, fragte er: 


Eleonore. 


wieder geltend machte, fiel nicht weiter auf, da | 


Herbig bemerkte, daß noch mehrere Remontant: 
jtöde im Garten Blüten trugen und die ſchöne 
rau eine folhe am Bufen fteden hatte, wie 
ihm denn aud) befannt war, daß es Varietäten 
gab, denen diefe Beimifchung von Nelfengerud) 
eigen war. 

Und nun ſah er ihr mit etwas verlegten 
Stolze, aber trunfenen Augen nad), wie fie in 
anmutovoller Hoheit den abſchüſſigen Pfad und 
dann die eingerammten Stufen zurüdlegte, bis 
ihre ſtolze Erjcheinung unten am Haufe Hinter 
dem Gebüſch verihwand, nachdem fie ſich nicht 
einmal mehr umgejchaut hatte. Allerdings fühlte 
er fich verlegt durch ihren fühlen Ernit, durch 
ihre ablehnende Haltung. Es war wieder ein: 
mal die alte Erfahrung, daß ein erträumtes 
Glüd, fobald es eintritt, jelten die erwartete 
hohe Befriedigung gewährt. 

Allein, den Mut gab er feineswegs auf. 
Das Wichtigſte war nun doch erreicht: die Ge: 
wißheit, an demjelben Orte mit ihr zu weilen, die 
er vom eriten Anblid an ſchon geliebt, wie vor 
ihr feine. Und das follte fein vergeblicher Zu: 
fall jein für jein Lebensalüd. 








Er wußte allerdings nichts Weiteres von | 


ihr, nicht einmal, wer fie war. Doch war das 
Nebenjahe und nunmehr leicht zu erfragen. 
Nachdem das meiste gewonnen, indem er wußte, 
wo ſie weilte, fümmerte ihn weiteres vorerft nicht 
mehr. Das andere wird fommen, meine Gnädige! 
meinte er halblaut und zuverfichtlich, als er ſich 
endlid) der oberen Gartenthüre wieder zuwandte, 
um durch den Hohlweg und die Umzäunung ent: 
lang nad) der Stadt zu gelangen. 

Er eilte nicht zu jehr. Mehrmals wandelte 
er nod den Pfad hin und her an der Aufenfeite 
des Zauns, über melden man zur Terrafie des 
Hauſes empor jah. Cs war jeßt Dunkler gewor: 
den, die Lichter brannten jchon und verjchiedene 
Fenſter des Haufes waren erleuchtet, als er zu 
bemerfenglaubte, daß ein etwas unruhiger Schritt 
ſich näherte und plötzlich ſtille hielt. So viel er 
zu fehen vermochte, war es ein junger Mann 
unter mittlerer Größe; eine Brille alänzte auf 
der diden Nafe, — mehr war nicht zu unter: 
ſcheiden, einiges jedoch zu hören. 

„Ei ja!” ſeufzte der Menſch überlaut und 
hob dabei das Bein. „Holde Jenny!“ Und 
dann folgte wieder das feufzende „Ei ja!” 

Der Name war deutlich ausgchaudt worden 
und gab den Gedanken Herbigs eine neue Nic): 


287 


tung, während der Seufzende, da er bemerkte, 
daß er nicht allein hinterm Zaune jtand, mehr: 
mals mit mißtrauifchen Bliden an Herbig vor: 
über ging. 

„Bitte, mein Herr,“ fragte endlich diefer, 
„wohnt hier Herr Nordhaſe?“ 

Der andere, über die plögliche Anfrage etiwas 
beftürzt, zögerte eine Weile mit der Antwort, 
indem er den Fremden ſchweigend muſterte. 

„Natürlich,“ verjegte er dann, „wohnt er 
hier, indefjen nur noch morgen oder übermorgen. 
Wollen Sie etivas von ihm?“ 

„O, nicht das mindejte!” beteuerte Herbig 
und begab ſich in die Stadt hinunter, indem er 
ſich Betrachtungen über das Erlebte hingab. 

Für eine verheiratete junge Frau hatte er 
fie gehalten. Aelter als fünf oder jechsund: 
zwanzig Jahre konnte fie denn aud) keineswegs 
jein. Wenn noch ledig, um jo viel beſſer. Das 
war eine unerwartete Gunſt des Schidjals. Und 
jomit ein Fräulein Nordhafe, vielleicht Jenny 
jelbft. Dem widerſprach nur, daf; fie nicht zopf— 
(08 gewejen, fondern im Gegenteil einen ſchönen 
itattlihen Haarknoten am Hinterhaupt trug. 

Vielleicht verhielt es fic) aud) anders. Das 
bewußte Billet fonnte aus früherer Zeit jtammen, 
der Zopf unterdes nachgewachſen oder wieder ge: 
funden und — die geliebte ſchöne Frau dennod) 
eine andere fein. Gleichviel! Das lette Wort 
war noch nicht mit ihr geiprochen. 


3. 

Wenn Herbig ſich die Züge der geliebten 
rau an jenem Abend recht lebhaft in die Vor: 
jtellung zurüdrief, mutete es ihn an, als fei 
ihm dies Geficht Schon von einer viel früheren 
Begegnung her vertraut. Er mußte fie jchon 
als Kind gefannt haben, als wilde Hummel den 
Gejpielinnen voran, Gärten und Gaſſen durd)- 
tobend und den Knaben fiegreich die Spitze bie: 
tend; dann umgewandelt, fittig, till, ſchüchtern, 
icheu beifeite ftehend, die jchon in frühen Jahren 
erhabene Gejtalt über einen Zaun oder eine 
Barre gebeugt, hinter welcher froh gejpielt oder 
getanzt wurde. So wie er fie heute getroffen, 
mit gejenkter Stirne, unter den Brauen hervor: 
blidend, mußte er fie Schon vor Jahren beobad): 
tet haben, oder doch eine ihr ſehr ähnliche mädchen: 
hafte Erjcheinung. Allein, wie und wo? Das 
wollte ihm nicht einfallen. Die Erinnerung 
verſagte. 














Kolländifdes Mädden. Bon F. Bergen. 








| 4 N 
| | wur 


RG Ik a 








— — 


Der Herr Burgemeiſtet. Yon F. Bergen. 


290 R 


Und nun war wieder fo ein jehnjuchtsvoller 


Herbittag aufgegangen wie geitern, und wieder 
beftieg er die Berge. Diefelbe Luft, dasfelbe 


milde Wetter. Man fpürte, daß es allmählich 
zu Ende ging, daß bald Nebel famen, Falter 
Regen, falte Nächte und dann der Winter. Denn 
das Laub der wilden Neben an Mauer und 


Geländer iſt längſt ſchon dunfelrot, die Malve | 


in den Gärten verblüht. Und doch noch fo viel 
Schönheit in der Natur. Birfen und Lärden 
färben fic wie im Frühling. Der Wald prangt 
an vielen Stellen noch in jattem Grün, an an: 
deren jedoch, wie Herbig meinte, als ob ein ganzes 
Heer langhaariger Koloriſten über Nacht in den 
Baumfronen geſeſſen wäre, um alles Laubwerk 
in üppiger Künftlerlaune anzupinfeln. 

Dort ftand alles in leuchtenden Tinten. Es 
ſah aus, als brenne die Sonne die Blätter rot 
und gelb; und doch jchien fie nicht, und das war 
gut. — Die Beleuchtung wäre eine zu grelle 
gemwejen. 

Schon früh am Nachmittag fam Herbig aus 
dem Bergforfte auf denjelben Stegen, mie 
geftern, über das Hochfeld vor die bewußte Thür 
im Gartenzaun. Er betrachtete fie und ihre Um- 
gebung mit Aufmerkjamfeit, warf aud einen 
Blid hinein, wo die Birken ihr Goldlaub auf 
den Rafen ftreuten. Es war alles noch wie 
geftern, feine bejonderen Aenderungen hatten 
ftattgefunden. Nur war die Thür heute nicht 
angelehnt, fondern lag im Schloß. Hob man fie 
jedoch etwas, jo ging fie dennoch auf. 

Und er hob jie, zögerte jedoch) einzutreten. 
Weilte die fchöne Frau wieder in jenem Laub— 
gehen, wie follte er fein nochmaliges Eindringen 
erklären, begründen, entſchuldigen! Etwas Hein: 
mütig zog er die Thür wieder zu und betrad): 
tete jept von augen nachdenklich die Umzäunung. 


Diefe lief nad) der einen Seite auf dem Hoch: | 


vand des Hohlweges hin, nad) der andern über 
einen kahlen ſchroffen Abhang hinunter in die 
Mulde, durch welche die Stadt mit einzelnen 
Häufergruppen in den Wald heraufitieg. Be: 
tradhtfam jchritt er die Außenfeite des Zaunes 
entlang. 
Herbſt gelichtet und gefärbt, beſonders warm 
die Ahornheden, deren großen gefledten Blät- 
ter in weithin leuchtendem Pommeranzengelb 
prangten, 

Wie Fam er nun hinein? Die Thür zwar 
bot fein Hindernis, und der Zaun wies Yüden 
genug auf, Durch welche man den Kopf jteden, 


Auch deſſen Yaubmwerk hatte der | 


Auguſt Beder, 


im Notfall wohl aud den Körper zwängen 
fonnte. Und hinein mußte er, fam er auch, — 
aber unter welchem Vorwand?! Gedanfenvoll, 
im Grunde gedanfenlos, ri er Blätter vom 
| Zaun, zerpflüdte fie und fah dabei etwas jelt: 
ſames in der Hede baumeln. Zuerſt dachte er 
an eine Schlange, die fich Durch die Verzweigung 
emporwinde; doch war es feine Schlange. Es 
ſah cher aus, wie das Neſt einer Beutelmeife. 
Zwar war ihm ein folches Neft in der Wirklich: 
feit noch nicht vorgefommen; doch ftellte er ſich 
‚ vor, jo müſſe das Neft einer Beutelmeife aus- 
fehen. Als er es näher betrachtete, war es je: 
dod) zu feiner größten Ueberraihung ein Zopf. 
' a, ein fchöner, ftattlicher, Dunfelblonder frauen: 
zopf, — eine Täuſchung war nicht möglich. 

Beinahe hätte er vor Vergnügen laut auf: 
geichrieen, fo groß war feine Freude über die: 
ſen wichtigen Fund. Jenny mochte gelegentlich 
ihr Köpfchen durch die Zaunlüde hier gejtedt 

haben, um zu guden, was draußen vorgehe, — 
genug, in der Verzweigung des Heckenwerks 
hing deutlich vor feinen Augen der Zopf. Da: 
mit hatte die Not ein Ende. Der Anlaß eines 
Eintrittö war gefunden. Zwar hätte er fi auch 
als Finder und Zurüdbringer des Billets, das 
die Zopfangelegenheit beſprach, vorjtellen kön— 
nen; doch war fraglich, ob er bloß als Cinge: 
weihter des Geheimniſſes willfommen geheißen 
würde. Aber der Zopf ſelbſt! Das war der 
‘ Talisman, der mit der Wirkung einer Spring: 
wurzel Herzen und Thüren öffnete. 

Nun ging er aud) jofort daran, ich in deijen 
Befit zu ſetzen, löfte ihn vorfichtig aus der Ver: 
ſtrickung, ftreichelte mit der Hand das weiche 
Geflecht, das ſchon mehrere Nächte die Unbilden 
‚ eines Obdachs im Freien erduldet hatte und 
barg es dann an feiner Bruft. So ausgerüjftet 
ſchritt er entſchloſſen auf die Gartenthüre los, 
öffnete fie, trat hinein und — über den Rajen 
eilend — zuverfichtlich zu der Linde, wo hinter 
dem Laubgeheg der Ruheſitz fih befand. Und 
‚ in der That, da ſaß fie wieder, die er fudhte, im 
| vollen Reize weiblicher Wohlgeitalt. 

Sie hatte ein Bud) in der Hand, über wel: 
ches fie nun erftaunt aufblidte, indem fie den 
Herrn von geitern wieder erfannte. 

„Verzeihen Zie, meine Gnädige,“ begann 
er, ſich verbeugend. 

„Aber, mein Herr,“ unterbrad) fie ihm mit 
großen Augen. „Haben Sie fi ſchon wieder 
verirrt? In dieſem Falle möchte ich doch wün: 








Eleonore. 


ſchen, daß Ihre Verirrungen eine andere Nic): 
tung einſchlügen.“ 

„Nein, feineswegs ift es eine Vertrrung, “ 
erwiderte Herbig mit voller Faffung. „Ich 
fomme nur, wie Chidher, wieder desjelbigen 
Wegs gefahren.“ 

„Dod nicht erſt nad) fünfhundert Jahren, 


| 
I 
| 
| 
| 
| 


aleich dem ewig Jungen, wie mir däucht,“ warf 


fie ein. „Kaum ift ein Tag ſeitdem verflofjen.“ 

„sch fomme aber auch nicht mit leeren Hän— 
den, meine Gnädige,” erwiderte Herbig, der ge: 
willt war, ſich durch nichts aus Haltung und 


Gleichgewicht bringen zu laſſen. „ch bringe | 


etwas, das Sie vielleiht ſehr ſchmerzlich ver: 
miſſen.“ 

„sh? Schmerzlich vermiſſe?“ 

„sa wohl. Aber geſtatten Sie mir eine 
Vorfrage, ob nämlich Ihr Nufname, meine Gnä- 
dige, nicht Jenny lautet?” 

Wenn die Angejprochene die Wiederbegeg: 
nung biäher mit einigem Humor aufgefaßt hatte, 


fo legte fich jegt ein tiefer Schatten über ihr | 


Gefiht. Mit der Unbefangenheit war es vor: 
über, und ziemlich unmutig erwiberte fie: 
„Nein, ich heiße nicht Jenny.“ 


J 








Nur täuſchte fie ji über die Hartnädigfeit | 


des Mannes, wenn fie etwa erwartete, damit 


das Geſpräch abzujchneiden, indem fie fi) wie: | 


der über ihr Buch neigte, als ob fie lefe. 

„Vielleicht doch!” ſagte er gelaffen. „Ent: 
Ihuldigen Sie meine dreifte Vermutung: Sie 
wollen ſich augenblidlich nur nicht entfinnen, daß 
Sie dennoch Jenny heißen.“ 

„Nun, das iſt doch gedenkwürdig!“ äußerte 
die Schöne mit gerunzelten Brauen, indem ſie 
einen ungewiſſen Blick auf den Frager warf. 
„In der That mehr als drollig. Warum ſoll 
ich nun mit Gewalt Jenny heißen?“ 

„Aber, wie denn ſonſt, meine Gnädige?“ 
meinte Herbig unerſchüttert und ließ eine Pauſe 
eintreten, als erwarte er Antwort. Da aber 
dieſe ſamt dem Aufſchluß ausblieb, fuhr er 
ſelbſt wieder in ſeiner Ausführung fort: „Jeden— 
falls bedingt die Natur meines Erſcheinens, daß 
ich mich erſt vergewiſſere, mit wem ich die Ehre 
habe. Das iſt meine Entſchuldigung. Ich fühle 
ſelbſt recht wohl das Aufdringliche meiner 
Fragen, das Wunderliche meines Benehmens; 
allein die Wichtigkeit der Sache läßt jeden Ein— 
wand, den die Schicklichkeit erheben könnte, 
verſtummen.“ 

„Nun denn,“ entgegnete die Dame jetzt et: 


| 


291 


was ungeduldig mit dem Fuße auf die Laubdecke 
flappend, welche der Herbit vor der Bank unter 
der Linde ausgebreitet hatte, — „wenn dem 
Zwed Ihres Befuchs wirklich ſolche Bedeutjam: 


keit beiwohnt, daß man notwendig Jenny heißen 


muß, um über ihn aufgeklärt zu werden, jo bitte 
ich, fich gütigft den Steg hier hinunter in die 
Wohnung zu verfügen.” 

Es iſt die Schweiter! dachte Herbig bei ſich. 
Oder fie treibt die Berleugnung nur jo auf die 
Spitze aus falſchem Schamgefühl über einen Ber: 
luft, dem ſtets etwas Lächerlichkeit anklebt. 

„Keineswegs heifcht die Bedeutung der Sache 
ein Borübergehen bei ihnen, meine Gnädige!” 
begann Herbig wieder, der es bis jet nicht über 
ſich vermocht hatte, die Dame mit „Fräulein“ an: 
zuſprechen. Troß ihrer Jugend machte fie doch 
einen frauenhaften Eindrud, und ihm war, als 
habe er ſchon gejtern an ihrer Rechten den golde: 
nen Neif bemerkt, welcher die Berheirateten 
ihmüdt. indem er wieder nad) dem Ehering 
an ihrem Goldfinger, wenn auch vergeblich, 
fuchte, da das Buch andauernd ihre Hand ver: 
dedte, fuhr er fort: „Jedenfalls find Sie in das 
Geheimnis eingeweiht und werden zugeben müj- 
jen, daß es fi um etwas handelt und daß ich 
etwas bringe, was eine Dame höchſt ungern ver: 
liert und jtets fchmerzlich vermißt.“ 

Und damit holte er den Zopf hervor und 
reichte ihn hin, bevor die Dame, welche die Linke 
erhoben hatte, um ihn von feinem Vorſatze abzu: 
bringen, dies zu verhindern vermocht hatte. 
Beim Anblick des Zopfes Härte ſich das Antlit 
der Schönen zu einem hellen Lächeln auf; ja, 
fie lachte geradezu und zwar jehr lieblich, fo daß 
e3 ihren Zügen einen ungemein holdfeligen Aus: 
drud verlieh. 

„Allerdings,“ jprad) fie dann, „iſt das ein 


| wichtiger Fund und feine Webertreibung. Dieſe 





Genugthuung muß ih Ihnen widerfahren laj- 
jen. Sie haben fi damit um ein liebenswür: 
diges Mädchen ein großes Verdienft erworben. 
Jenny wird fich freuen, und ich ſelbſt fühle mich 
alüdlich an ihrer Statt.” 

„Ich, meine Gnädige,“ verfegte Herbig, 
„würde mich glüdlicher fühlen, wenn es hr 
Zopf wäre.” 

„Und ich fühle mich zufrieden, dab er es 
nicht ift,* jagte die Dame heiter. „Ich beicheide 
mich noch immer, den eigenen Zopf zu tragen, 
den man, weil er zufällig angewachſen iſt, nicht 
verlieren fann, wenn er einem nicht unverjehens 


292 


abgefhnitten wird, — eine Eventualität, der 
man vorbeugt.“ 

„Bitte, meine Gnädige,“ erwiderte Herbig, 
das ſchöne Meib gleichfam mit den Mugen ver: 
ihlingend, „daran zweifle ich nicht im min: 
beiten. Und der Nugenfchein überzeugt in be: 
rüdender Weiſe,“ fügte er hinzu, indem er die 
Blicke auf dem reizenden, vollen Haarknoten 
weilen ließ, der tief am Naden figend der gan: 
zen Erſcheinung jett etwas hinreißend Ueppiges 
oder — um feinem Mifverftändnis Nahrung zu 
geben — etwas befonders Anziehendes ver: 
lieh. „Nun aber,“ fuhr er mit einer verbind- 
lihen Berbeugung fort, „darf ich mid) doch vor: 
jtellen, — Privatdozent Dr. Herbig aus Königs: 
berg, — nachdem ich Fräulein Jennys ſchöne 
Schweſter — —“ 

Eine Bewegung der merklich in Unruhe 
geratenen Dame ließ ihn mitten im Satze inne 
halten. Doch raſch ihre Verwirrung bemeiſternd, 
benützte ſie die Unterbrechung, um ihm zu er— 
klären: 

„Bitte, mein Herr, Sie ſind in einem Irr— 
tum befangen. Ich bin nicht Jennys Schweſter, 
keine Nordhaſe.“ 

„Vergeben Sie,“ bat jetzt Herbig, jedoch 
keineswegs geſonnen, es dabei bewenden zu laſ— 
ſen. Er hatte ſich vorgeſetzt, nun einmal zu er— 
fahren, wer ſie war, und ließ ſich nicht ſo leicht 
von dieſer ſelbſtgeſtellten Aufgabe zurückſchrecken. 
Da die Gelegenheit gegeben war, ſollte ihre 
Gunſt auch ausgebeutet werden. „Ich habe 
zwar bereits einen Beweis erhalten,“ fuhr er 
fort, „daß Sie ſich mit dem Namensaustauſch 
wenig befreunden können. Da jedoch; mit diefem 
liebenöwürdigen Zopf ein freundlicher Verkehr 
eingeleitet worden ift und — wenigftens bie 
Erinnerung ſich nicht vermeiden läßt, erfcheint 
e3 notwendig, zu willen, wen ich in Ihnen ver: 
ehre.“ 

„Sit das denn wirklich jo unumgänglich not: 
wendig?” 

Und fie ſchlug dabei die Augen groß und 
in fo fragender Weife zu ihm auf, daß er fich 
nahezu bewogen fand, die feinigen zu fenfen. 
Er that es aber dennoch nicht, jondern hielt den 
Nid aus und fagte: 

„Mir fehlt feineswegs die Befähigung zu 
dem Verftändnis, daß unter Umjtänden ein ro: 
mantifches Inkognito angenehmer fein kann, als 
der profaische Namensaustaufch. Allein — bitte, 
meine Gnädige,“ unterbrad) er ſich jelbit in in: 


Auguſt Beder. 


nigerem, faft flehendem Tone, da fie bei feinen 
Worten den jchönen Kopf noch höher aufrichtete, 
— „mifverftehen Sie mich nicht! Ich wollte 
nur meinen Schmerz über die Laune ausſprechen, 
daß Sie mir nicht geftatten wollen, zu wiffen.....“ 

„Laune muß es nicht fein,“ unterbrach ſie 
ihn, da er zögerte. „Wenigitens nicht Laune 
von mir.” Und fie betonte das legte Wort. „Es 
gibt Hundert VBeranlaffungen, die den Wunſch 
rechtfertigen, einen kurzen Aufenthalt hier im 
Walde zurüdgezogen, in Ruhe, mit Vermei— 
dung aller Befanntihaften, wenn Sie mir das 
Wort erlauben wollen, erfprießlich zu verbringen. 
Indes, was wünſchen Sie denn fo angelegent: 
lich zu wiſſen?“ 

Etwas verdußt bei diefer rafhen Wendung 
äußerte Herbig, ob es denn ein frevelhafter 
Wunſch fei, ob er denn niemals ihren eigent- 
lihen Namen erfahren dürfe. 

„Warum denn nicht!” verſetzte fie jet mit 
forglofem Gleihmut. „Mein eigentlicher Name 
ift: Nora Wantrup.“ 

„Nora, * wiederholte Herbig mit einem danf: 
baren Blide, „it wohl die Abkürzung von Eleo: 
nore. Der Name ift ſchön, ich liebe ihn bereits. 
Und nun häufen Sie Güte auf Güte — wie 
darf ih Sie anfprechen ?* 

„Sie haben die Wahl, Herr Doktor!” jagte 
fie mit liebenswürdigem Lächeln, das wohl feiner 
umftändlichen Förmlichkeit galt. „Wenn Sie mir 
übrigens den Titel einer Geheimrätin belafjen 
wollen — und man geht jelten fehl, wenn man 
jemand fo anſpricht, — fo bin ich ſchon zufrieden 
für den Fall nämlich, als Sie ſich nunmehr ge: 
nügen lajlen und alle weiteren Nachfragen in 
diefer Richtung einftellen wollen.” 

„Deflen mögen Sie verfihert fein, gnädige 
Frau!“ antwortete Herbig mit männlichem Frei: 
mut, der jeden Rüdhalt ausſchloß. 

„But denn, fo wäre dies in Ordnung, “ 
fprad) fie fröhlich, indem fie, den Zopf in ihrer 
Hand wiegend, von der Bank aufitand. „Wir 
können mit dem gehobenen Schage nichts bei: 
jeres anfangen, als daß wir ıhn unten ankün— 
digen lafjen. Komm’ mal her Kind!“ rief fie 
einem kleinen Jungen zu, der am Rafenhang 
Neifig fammelte und dazwifchen hängen geblie: 
bene Zwetjchgen vom Baume holte. „Lauf' mal 
hinunter und fage Fräulein Jenny, der ſchmerz— 
lich Vermißte habe ſich gefunden... . nicht doc), 
halt!” verbefjerte fie fich, in einiger Verwirrung 
über fich ſelbſt Lächelnd. „Fräulein Jenny darf 


Eleonore, 


nichts davon wifjen, hörft du, Kleiner. Wende 
dic mit der Nachricht an Fräulein Gretchen, 
und ob fie nicht gelegentlich heraufkommen fönne. 
Sp, Herr Doktor, haben Sie nun die Güte, 
Platz zu nehmen,” wandte fid) die ſchöne Frau 
an Herbig, auf die Banf deutend, während der 
fleine Junge wie ein Wieſel über den Raſen— 
hang hinunter dem Haufe zu eilte. „Die Töchter 
des Haufes* fuhr fie fort, „find ſtark in An: 
ſpruch genommen, und ich bin ihnen, fürchte ich, 
gerade jett etwas zur Laſt, wo der Umzug in 
da3 eigene neue Haus vorbereitet und zum Teil 
ſchon vorgenommen wird. Die Familie fteht 
mit dem einen Fuß Hier, mit dem anderen jchon 
im neuen Mohnfis, — ein unbequemer Zuftand. 
Drum wird es noch geraume Meile dauern, 
bis die jungen Damen erfcheinen können.“ 

„So fügen wir uns denn mit Ergebung 
einftweilen in unfer Alleinfein,” meinte Herbig 
heiter. 

Und nun faßen fie nebeneinander, rüdwärts 
von dem Gebüſch geſchützt, unter der Linde, die 
Füße auf dem Laube am Boden, vor ſich zum 
Teil noch vollhängende Apfelbäume, die alte 
Stadtmauer, in jchönen Konturen abfallende 
Baumgruppen, dahinter rauchende Schornfteine; 
jenjeits Felohöhen, Haine und Heiden, ein an: 
mutiger Thaleinfchnitt, Fable Berge und aus 
grünen Waldhängen leuchtende Villen. Die Luft 
war mild, und wenn aud die Sonne nicht ſchien, 
und ein bläulicher Nebel alles leicht umflorte, 
hatte die Landſchaft durd) die warmen Töne des 
Herbftes dennoch ein fonniges Ausjehen. 

„Und darf ich fragen,“ begann Herbig, nad): 
dem der Charakter der Gegend beſprochen war, 
„welchem glüdlichen Ungefähr ich es danke, Sie, 
gnädige Frau, hier zu finden, während id Sie 
noch an der Oſtſee wähnte?“ j 

„Der Grund ift jehr einfach,“ erklärte fie. 
„Nach den Seebädern war mir vom Arzte ein 
ruhiger Gebirgäaufenthalt angeordnet. Cine 
Berwandte, die hier den Sommer verbracht hat, 
verriet mir die angenehme Gelegenheit hier im 
Haufe, die ich um fo lieber ergriff, als mir die 
Familie mit den liebenswürdigen Töchtern jchon 
von meiner Heimat her befannt war.“ 

„Das traf fich allerdings qut. Aber Sie 
werden doch die gewohnte Gejelligfeit am Babe: 
ftrande vermifjen.“ 

„Keineswegs vermifle ich diejelbe,“ war 
Eleonorens Antwort. „Gerade, was id) wollte, 
habe ic) hier gefunden: unerfannt und in Ruhe 


293 


noch wenige Tage dem Naturgenuß leben. Mit 
jedem Schritt aus dem Haufe kann ich das, mit 
einem Schritt aus dem Garten bin ich auf den 
Bergen. Und da der Vater meiner jungen 
Freundinnen jetzt zur Jagdzeit felten daheim 
bleibt, find wir Frauen zwar auf und angewieſen, 
können uns aber auch vollfommen frei bewegen 
— foweit es der bevorstehende Umzug geftattet. 
Ich jelbit bin indes durch letzteren Umftand nicht 
beläjtigt, noch beengt. Zumeift fie ich hier, 
Ihaue hinaus und atme Luft, leider nur nod) 
auf kurze Dauer.” 

„Inwiefern, gnädige Frau?“ 

„Noch wenige Tage,“ antwortete fie jeuf: 
zend, „und ber Naden liegt wieder unterm od) 
jocialer Pflichten.” 

Hierauf ließ Herbig die Bemerkung fallen, 
daß aud) er nur noch wenige Tage zu freier Ber: 
fügung habe. Dann fah er eine Weile in ihr 
edles Geficht, das mit einem ernjten Ausdruck 
hinaus gerichtet war. 

„Und nun, gnädige Frau,” fing er endlich 
an, „wollen Sie mir auf eine offene Frage eine 
aufrichtige Antwort geben?” 

Sie ftußte und fah flüchtig zu ihm herüber. 
Er hatte doch foeben noch verfprochen, Feine 
weiteren Nachforſchungen über ihre perfönlichen 
Berhältnifie anzujtellen. Hinter ihrem Antlitz 
jtteg wieder die dunfle Wolfe auf, während er 
jelbft mit dem ſchwanken Rohr in feiner Hand 
in dem welfen Zaube am Boden rafchelte. 

„So aufrichtig will ich antworten, als die 
Frage verdient,“ ſagte fie dann. 

„Das ift eine verfängliche Klaufel, die mich 
beflemmt. Indes, geitatten Sie die Frage, ob 
Sie fi meiner noch von der Ditjee her erinner: 
ten?“ 

„Das kann ic) ohne Nüdhalt bejahen,” ant: 
wortete fie. „Es ift ja kaum eine Woche her.” 

„Allein die Begegnung am Strande war 
nur ein Moment.” 

„Sie ftanden allein. Die fremde Erfchei- 
nung am Schluß der Saifon mußte auffallen. 
Oder wünfchten Sie, überfehen zu werben, Herr 
Doftor? Auch retteten Sie mir hier meinen 
treuen Begleiter,” fette fie hinzu, den blauen 
Sonnenſchirm leicht ſchwenkend. 

„Aber, ein anderer kam mir zuvor. Mich 
ließ man im Sande ſitzen, ihn zog man him— 
melan. Das ewig Weibliche verleugnete ſeine 
ihm vom Dichter zugeſchriebene Aufgabe in Be— 
zug auf mich.“ 


294 R Auguft Beder, 
Die Erinnerung lodte wieder ein Lächeln auf | er indeffen fort, „ala Andenken, meinetwegen 

ihr Geſicht. Vielmehr, fie lachte innerlich von | als Finderlohn für die Entdedung des Zopfes, 

Herzen, da ſich ihr Bufen jet lebhafter hob und | behalten zu dürfen.” 

ſenkte. „So wandre es in diskrete Hände zurück,“ 

„Die Goetheſche Reminiscenz iſt hier nicht bemerkte ſie, indem ſie ihm das Kärtchen wieder 
angewandt,“ ſagte ſie. „Nur das männliche überlieferte und zugleich mit ihrem Kleide das 
Element in unſerem Kreiſe zog am Tau, In- | andere ihm entfallene Blatt deckte. „Zurückgabe 
des fonnte ih vom Dünengrat herunter Sie deut: | an die Verfafjerin oder Empfängerin hält ohne: 
lich ſehen. Zudem,“ fegte fie ihre Erklärung fort, | hin fchwer. Die ganze Angelegenheit will mit 
da ihre Heiterfeit wieder gelafjenem Wefen wich, Zartgefühl behandelt fein. Bedenken Sie, daß 
„erichienen Sie mir beim erften Anblid ſchon | ich erft auf jenem Spaziergange unterm Sienel 
befannt, Herr Doktor. Indes, man täufcht ſich | des Geheimnifjes eingeweiht wurde, ohne daß 
zuweilen. Sie haben unterdes wohl mehr er: | dies jedoch Jenny ſelbſt wifjen darf. Sie läßt 
lebt, um ſich joldyer flüchtigen Begegnungen an | fich jet vor mir nur felten und dann nur ſtets 
fremdem Strande jederzeit zu entſinnen?“ | im Hute fehen, wobei ihr der Umstand zu Hilfe 

„sh? — D, gnädige Frau! Ich dachte all | fommt, daf; fie bereits einige Nächte im neuen 
die Zeit her an nichtö anderes,” ſprach er mit | Haufe ſchlief. Vor Gretchen, verftehen Sie, 
fait traurigem Ausdrud, und fein Blid bejtä: | werde ich als Finderin des Zopfes erfcheinen 
tigte ihr die Wahrhaftigkeit feiner Worte, trieb | müfjen, und Gretchen felbjt muß vor Jenny 
ihr aber auch das dunkle Blut wieder bis unter | dafür gelten, da diefe nur die Schweſter ins 
die Augen. Vertrauen gezogen hat.“ 

Aber fie bezwang fich jofort und machte die „Und ich?“ fragte Herbig jeßt, der jie 
trodene Bemerkung, in die jedoch Fein Vorwurf nicht unterbrochen hatte. Er hörte fie fo gerne 
gelegt wurde, daß er neulich auf der Weinjtraße | fprechen. Das deutliche, im Bruftton angenehm 
nichts davon verfpüren ließ. Lebhaft gab er das fchnarrende NR Hang fo wohlthuend aus dem 
zu, da er, von der Sonne geblendet, fie nicht  fchöngebildeten vollen Halfe und gab ihrer Rede 
jofort zu erkennen vermochte. Als fie darauf ; einen eigenen Weiz, wie er vorzugsweife den 
äußerte, daß fie wenig Gewicht aufdiefen Umstand Schönen des Lüneburger Landes zufommen fol. 
lege, wogegen ihr wichtig cricheine, wie er beim „Sie, Herr Doktor,” ſprach Eleonore, „müj: 
Funde des Zopfes im Zaune jofort zu erraten | fen fich bejcheiden, auf die Xorbeeren des Ent: 
vermochte, wem er zugehöre, da griff Herbig | deders in diefem Falle verzichten und ſich ge: 
wieder eiligit nach feiner Brufttafche, in welcher | nügen lafjen, einzig mit mir das Geheimnis 
er jein Notizbuch verwahrte. | Ihrer Mitwiſſenſchaft zu teilen.“ 

„Wie können Sie, Herr Doktor,“ fuhr fie | „Und das — ein Geheimnis mit Ihnen 
fragend fort, „als Fremder, wie Sie ſich ſelbſt teilen zu dürfen — madıt mich überglüdlich! 
bezeichnen, den Namen der jungen Dame wiſſen, | verjegte er. 
welche den bedauernswerten Verluſt erlitten | „Gut denn,“ bemerkte fie. „Wenn Sie es 
hat?“ wirklich jo hoch anfchlagen, jo möge Ihnen en: 

„Das hängt,“ berichtete er, „mit einem nys Billet belafjen bleiben, obwohl Sie jelbit,“ 
jener Zufälle zufammen, durch welche uns das | fuhr fie mit befonderem Nachdruck fort, „der: 
Schickſal zuweilen zu Hilfe fommt, mo wir jelbit | gleichen wohl faum in anderen Händen, etwa in 
feinen Nat willen. An dem Tifche oben auf | den meinigen, willen möchten.“ 
dem Gebirgsfirſt, weldhen Sie mit ihrer Beglei: „sn den Ihrigen?“ rief er. „D, gnädige 
terin furz vorher verlaſſen hatten, fand ich dies.“ Frau, mein Schidjal, mein ganzes Leben möchte 
fügte er hinzu, indem er die bewußte Karte | ich Ihnen überlafjen, alle Schätze der Erde, wenn 
feinem Notizbuch entnahm und ihr hinreichte, | Sie mein gehörten.“ 





ohne zu bemerken, daß noch ein zufammenge: „Das wäre zu viel,“ erwiderte fie. „Es 
legtes Blatt herausfiel. „Bitte, gnädige Frau, | handelt fih um weniger, um einen papiernen 
wollen Sie jelbit leſen.“ Schatz.“ 

Und ſie las mit leiſem Lachen, wobei ſich „Yon mir? In Ihren Händen?“ 
ihre Augen ſchalkhaft verfleinerten. „sa, Jedoch nicht Taufch gegen Taufch oder 


„Und ich wünſche das reizende Billet,* fuhr | Wert gegen Wert. Hier haben Sie das Ihrige 


a 


m | 2 


Eleonore. 


ungelejen zurüd.“ Herbig nahm das Blatt ent: | 
gegen und entfaltete es, indem er einen flüch⸗ 
tigen Blid hineimwarf. 

„Sie beihämen mich in der That!” fprad) | 
er. „Und dennoch, gnädige Frau, wäre mir er: | 
wünjchter gemejen, Sie hätten mir weniger 
Edelmut und mehr Neugier, damit mehr Teil: 
nahme bewieſen. Mein Glück wäre es, von 
Ihnen nicht mehr als völlig Fremder angejehen 
zu werden, und ber Inhalt des Blattes fann | 
al3 Beleg dienen, daß ih — —“ 

Eleonore ließ ihn nicht ausreden, fondern 
jtand auf, um Gretchen entgegen zu gehen, 
ihrer Begleiterin auf der Weinſtraße, die jet 
in Haft, etwas erhigt, im ſchlichten Hausfleide 
den Gartenjteg herauf fam. Nicht ohne Ver: 
legenheit gewahrte fie den Fremden, der ihr 
flüchtig als Berirrter vorgeftellt wurde, und nad) 
einigen gewechjelten freundlichen Morten, gab 
jie der Frau Geheimrätin dur Winke zu ver: 





jtehen, was fie herauf geführt: Jennys Zopf. 

Mit einer an den Doktor gerichteten Ent: 
ihuldigung führte Gretchen die ſchöne Frau 
bei Seite, um fi den Zopf zuiteden zu laſſen, | 
al3 deſſen Finderin nur ſie felbjt vor der | 
Schweiter gelten durfte. Als dies unter heim: 
lihem Lachen und Flüjtern in Ordnung gebracht 
war, ſprach Gretchen gegen den Herrn Doltor, 
der ſich in der Rolle des Arg: und Ahnungslojen 
gefiel, die Erwartung aus, feine Befanntjchaft 
fortjegen zu können, entſchuldigte fich mit not- 
wendigen Gejchäften und eilte wieder den Steg 
hinunter, wobei fie nicht unterließ, mit gehobe: 
nen Armen ihren eigenen Zopf wieder aufzu: 
nejteln, als, er durch die heftige Bewegung in 
lange Strähne aufgelöft, über den Naden der 
ichlanfen Figur ſich entrollte. In ihrer Ver: 
legenheit lachend ſah fie dabei zurüd, ob der 
fremde Doftor nicht nachichaue. Wenn er den: 
noch etwas gemerkt hatte und Verdacht ſchöpfte! 
Nun, jo konnte er jet die Beobachtung machen, | 
daß wenigitens fie ſelbſt feinen falfchen Zopf trug. | 

Allein Herbig hatte nur Augen für das 
ihöne Weib, das wieder Pla neben ihm ae: 
nommen hatte, nun aber, in Betrachtungen ver: 
loren, ihn völlig vergefien zu haben ſchien. Ihre 
Haltung verriet, daß fie das Geſpräch nicht an: 
zufnüpfen wünſchte. Exit alö Herbig fih un: 
mittelbar an fie wandte, um Entſchuldigung bit: 
tend, wenn er fie in jchönen Träumen unter: 
breche, jagte fie mit einem Lächeln, das ihm wie 
ein umflorter Sonnenblid ins Herz fiel: 


295 


„Vergeben Cie. Man vergißt fo leicht im 
Anblid diefer Natur jich jelbit, Gegenwart und 
Zukunft. Sie beflagen fi über Mangel an 
Neugier,“ fuhr fie dann fort. „Wäre es ihnen 
wirklich gleichgültig gewefen, wenn ich den Ver: 
jud gemacht hätte, den Anhalt des Papier: 
blattes fennen zu lernen?“ 

„Gleichgültig?” wiederholte Herbig. „Nein! 
Erwünſcht, von Herzen erwünſcht, obgleich es 
nur Verſe find.” 

„Nur? Ich dächte doch,“ hielt fie entge— 
gen, „Verſe fönnten unter Umjtänden wertvoll 
genug fein.” 

„Unferen rauen von heute gelten ſolche 
Umftände nichts; die fagen: wir dichten ſelbſt!“ 

Hierüber fonnte Eleonore herzlich laden. 

„Nun,“ ſprach fie, „damit Sie fehen, daß 
es noch nicht die Negel ift, befenne ih, daß ich 
gern Verſe lefe und feine dichte. Diejer Band 
Soethe jei mein Beweis.“ Und fie legte ihre 
Hand auf das Bud. „Halten Sie mid nad) 
diefem Bekenntnis eines Blides in Ihren Schatz 
für würdig? Darf ich die Verje leſen?“ 

„Sie befhämen mich in der That durch fo 
viel Güte,“ war feine Antwort. 

Aber mit Herzklopfen reichte er ihr das 
Blatt hin. Und jie las: 

„An der Dftiee Strand...“ 

„ch,“ unterbrach fie fih-nac der erften und 
bei der zweiten Strophe, „das ift ja ganz ak: 
tuelle Lyrik! Ich gebrauche gefliffentlich diefen 
modiſchen Kunftausdrud, weil Sie mid) ver: 
jtehen werden.“ Und nun las fie weiter, an: 
fänglich halblaut, dann nur noch ftumm für fich, 
blos mit den Augen. 

Herbig beobachtete fie beflommenen Mutes. 
Daß etwas in ihr vorging, konnte er wohl 
wahrnehmen. Die innere Bewegung lieh fich 
nicht verfennen. Der Ausdrud ihrer Züge ward 
ernit, faſt trauervoll verflärt. Und plöglich hielt 
fie inne und ließ das Blatt mit den Verjen in 
ihren Schoß finfen. Er wagte nicht das Schwei— 
gen zu unterbrechen. Dann hob fie das Blatt 
nochmals, wiederholte für ſich einige Zeilen und 
reichte es ihm mit abgewandtem Gefichte wieder 
hin. Ihre Hand zitterte merklich hierbei. Als 
er endlich fragte, welchen Eindrud das Lied auf 
fie gemacht, wie ihr die Verſe gefallen haben, 
antwortete fie gefammelt und aelafien, ohne 
daß ihre Stimme befondere Erregung verriet: 

„Es ift Stimmung und MWohllaut darin. 
Wer ift der Verfaſſer?“ 


296 


„Unbefannt.* 

„Iſt es eine Abichrift oder das Driginal?“ 

„Original. * 

„Es ijt viel Schwärmerei in dem Gedicht, * 
begann fie wieder, nachdem fie eine Weile 
vor ſich hingeſchaut hatte, in derjelben ruhigen 
Weiſe. 

„Das hätte ich Luſt zu beſtreiten,“ hielt er 
entgegen, „und Sie würden wohl anders ur— 
teilen, wüßten Sie, wen die Verſe beſingen.“ 

„sch bezweifle.“ 

„Mit einiger Gerechtigkeit gegen fich felbit, 
dürfen Sie das nicht, gnädige Frau.” 

Das ſchien fie überhört zu haben bei dem 
Verſuch, das Gejpräd aus dem bejonderen Falle 
zu allgemeinen Gefichtöpunften hinüber zu leiten. 
Ihre Züge hatten wieder den erniten Ausdrud. | 

„Die Zeit ift der Poeſie nicht günftig,“ | 
äußerte fie, tief aufatmend, „und ich weiß nicht, 
ob es zu beflagen.“ 

„Es ift zu beklagen!“ ſprach er mit Nach: 
drud. 

„Oft widerftrebt es auch mir,“ fuhr fie un: | 
erichüttert Durch dieſen Widerſpruch fort, „dieſes 
Spiel in Verſen mit Empfindungen und Ge- 
fühlen, denen der Ernſt fehlt.“ 

„Wie? Ein Spiel? Dies?“ 

„Ich wollte nicht verlegen, Doftor,“ ver: 
fiherte fie. „Allein, das Leben bietet jo tiefe 
und ernfte Seiten, fo viele wirkliche Leiden, jo 
viel geheimen Gram und verborgenen Kummer, 
daß die eingebildeten und erfundenen kalt laſſen, 
ja als Hohn erfcheinen.” Und fie wandte bei 
den letzten Worten voll Unmuts das Antlit ab. 

„Unter die eingebildeten und erfundenen 
bitte ich nicht die hier ausgejprochenen zu be: 
greifen,“ hielt er entgegen, ebenfalls ernjt ge: 
worden. „sch gebe zu, daf; in einer Zeit nadter 
Selbſtſucht, im ausgeſprochenen Kampfe ums 
Dafein, der Poet wenig Naum mehr findet. 
Auch ſoll er fich nicht aufdrängen. Wo fo viel 
niebere Leidenſchaften erregt find, wer hört ihn! 
Wer fragt nad) ihm, wo es nur darauf ankommt, 
im Daſeinskampfe der rüſtigſte Streiter zu fein, 
ein Hecht im Teich, der Hat im Ocean. Unfer 
Kulturzug ift auf der fchiefen Ebene angelangt, 
wie fchon einmal, da Walther von der Vogel: | 
weide im Vorgefühl fang: ‚sich hört! ein Eleines 
Vögelein dasſelbe Hagen, das veritedte fich und | 
fprah: Ich finge nicht, erſt muß es tagen!‘ 
Wir mögen der Hoffnung leben, daß auch dieje | 
Nera mit Dampf: und Telegraphenfchnelle da: | 


Namensaustauſch mit Herbig. 
\ herbeigetragen, und man nahm um den feinen 


Auguſt Beder. 


' hinfauft und daß es zum Ablauf einer roh ver: 
nüchterten Welt nicht wieder der fünf Jahr— 
hunderte bedarf. — Inzwiſchen mag ſich die 
Idee in die Form fchmiegen, die eben ailt. 
Unſer Wahlſpruch wird wohl fein müfjen: Mehr 
Realismus in der Kunft, mehr Idealismus im 
Leben! — Dem aber will id) entjchieden wider- 
jprehen, daß Frauen den Glauben an die 
Poeſie je verlieren, fie der Werlogenheit an— 
Hagen dürfen. Auch diefe Verſe hier find dem 
Drange entiprungen, wilder, gährender Yeiden- 
ſchaft goldene Feileln anzulegen.“ 

Sie hatte wieder die Stine geſenlt und 


ſah ihn unter den Brauen hervor etwas ver: 


hohlen an, — wenn der Ausdrud im Gegen: 
fa zu unverhohlen erlaubt ift, — während 
Herbig mit Wärme und erregt fprad. Sie 
jelbjt verhielt ſich ſchweigend, hatte auch zu einer 


| Entgegnung um ſo weniger Luſt, und kaum 
auch mehr die Zeit, als fie mit einigem Staunen 


die Wahrnehmung machen fonnte, daß eben der 


‘ Vater der beiden Schweitern, von zwei Herren 


begleitet, den Pfad heraufitieg und daß der 
Heinen Männergejellihaft auch die Töchter des 
Haufes, Gretchen und Jenny, nad) einander mit 
dem Dienftmädcen folgten, welches Geded und 
Kaffeegefchirr herauftrug. 


4. 


Die beiden jungen Herren, welde mit dem 
Hausvater daher kamen, ein jchnurrbärtiger 
Neferendar und Doktor Binfe, ein etwas zappe- 
liger Lehrer an einer höheren Bildungsanftalt, 
waren der Frau Geheimrätin ſchon einmal vor: 
gejtellt worden. Es galt aljo nur nod den 
Stühle wurden 


Tiſch Platz, auf weldem die Schweftern nun 


geſchäftig für den Nachmittagäfaffee unter der 


Linde dedten. Jenny war eben jo hübſch als 
Gretchen; der wieder erlangte Zopf machte fie 
glücklich, und ihre ſchalkhaft lächelnden Züge 


paßten qut zum Inhalt jenes Billets. Mand): 
‚ mal allerdings fam einige Befangenheit über 
\ fie, und argwöhniſch ſah fie auf, wenn fie meinte, 


die Blide des fremden Herrn ruhten mit be: 
jonderem Ausdruck auf ihrer Goiffure. Doch 
tröftete fie fih mit dem Bewußtfein, niemand 


in das Geheimnis eingeweiht zu haben, als die 


Schweſter, und jo bewahrte fie fich gleich dieſer 
ihre wohlthuende Freundlichkeit. 


Eleonore, 


Man trank alfo Kaffee, und die Männer 
rauchten, da der Vater mit der ihm eigenen frei: 
mütigen Ungezwungenheit Gigarren umbherbot. 
Eine Weile nedte er fid) dann mit Doktor Binfe, 
ber’im artikulierten oberſächſiſchen Idiom merk: 
würdige Ausjprühe mit großer Selbitgefällig: 
feit hören ließ und dazwischen zuweilen ein „Ei 
ja!“ herausfeufzte, daß, wie der Hausherr be- 
merfte, die Cigarrenafche im Garten umherflog. 
Es war ein jeltfam unfertiges und verbrehtes 
Mannsbild, diefer Binfe. Das Antlit grüngelb, 
von forbifhem Schnitt; die Haare furz und 
mausfahl, weit abjtehende Ohren, eine Naje, 
als wolle er mit ihr die Sterne am Himmel 
löſchen, auf deren breitem Nüden eine filberne 
Brille und unter ihr ein fhmwappeliger Mund, 
dem das Stillitehen ſchwer ward. Plauderte er 
nicht, fo lächelte er vergnügt über fich jelbit oder 
die Zunge ledte die blauen Lippen. Mit dem 
Referendar ſchien er auf dem Fuße miggünitiger 
Bekanntſchaft zu jtehen, denn feiner von beiden 
fonnte auch nur drei Worte ſprechen, ohne daß 
der andere drein= und widerſprach. 

Eleonore und Herbig nahmen wenig Teil 
an der Unterhaltung, wechjelten jedoch gelegent: 
lich unter fih Meinungen und Blide. Die An: 
wejenheit fremder Berjonen förderte eine gewiſſe 
Vertrautheit, wenn nicht Vertraulichkeit, zwiſchen 
beiden in viel höherem Grade, als ſelbſt längeres 
Beilammenfein unter vier Augen. Und wenn 
Doktor Binje ſich etwa zu dem Ausſpruch ver: 
jtieg: „Nur ein Herz und eine Hütte!“ und 
Herr Nordhafe ergänzte: „nebſt Roſtbraten und 
Bordeaur!” jo konnten fie ſich mit veritändnis- 
innigem Lächeln anfehen, wo die Töchter ihrer 
Heiterkeit feinen Zaum anlenten. 

Der Vater brachte die Nede auf die Jagd— 
zeit und ſprach in aller Harmlofigfeit eines 
Jägers von der Brunft, den fchreienden Hirjchen 
am Nennfteig und den nächtlichen Kämpfen, die 
es jet im Beraforft abjete. Um dem Geſpräch 
eine Wendung ins Allgemeine zu geben, begann 
ber Referendar (der übrigens bald einer An: 
ftellung entgegen jah), von der unverfänglicheren 
Gefährlichkeit wilder Hirfche für einfame Wan- 
derer zu fprechen. Er erzählte eine merfwürdige 
Geſchichte von einem Freunde, der eines Tages 
in der Uniform eines Neferveoffizierd an der 
„wilden Sau“ vorüber dem Nennfteig entlang 
zur „hohen Sonne” hinaufgeitiegen fei. 

„Mein Freund,“ fuhr er feinen Schnurr: 
bart jtreichelnd fort, „mein Freund acht alfo fo 


297 


dahin in fein Buch vertieft. Um nicht auf dem 
Wege von der Langeweile geplagt zu werden 
und feinen Offiziershorizont zu erweitern, hatte 
er fich nämlich einen Band Militärlitteratur ein— 
geftedt ...“ 

„Humoresfen von Lenz, Reklams Groſchen— 
bibliothek,“ ſchaltete Binſe ein. 

Mit einem zurechtweiſenden Blick fuhr in— 
des der Referendar fort: „Wie er nun an die 
erſte Eiche kommt, die dort als Richtbaum ſteht, 
wendet er eben wieder, an weiter nichts denkend, 
ein Blatt ...“ 

„Des Buchs,“ ergänzte Binſe. 

„Natürlich des Buchs und nicht des Baums,“ 
erwiderte der Meferendar weiter erzählend. 
„Er lieſt. Ihm iſt, als ob jemand des Wegs 
fomme, aber er lieft. Nur zufällig ſieht er auf. 
Und wer jteht da? Ein Zwölfender jteht da, ein 
ftattlicher Hirich mit zum Stoß eingelegtem Ge: 
weihe. Raſch zieht er —“ 

„Wer zieht?“ fiel Binfe ein. 

„Mein Freund zieht, doch nicht der Hirfch ! 
Alfo raſch zieht er feinen Degen . . .“ 

„Aus der Scheide,“ ergänzte Binje wieder, 
der feine Ruhe geben konnte. 

„Das ift doch felbitverjtändlich, daß ein ge: 
zogener Degen aus der Scheide fommt !* braufte 
jett der Neferendar gereizt auf. 

„Bitteredht jehr, ehr! durchaus nicht! Deut: 
lichkeit, die jedes Mißverſtändnis ausſchließt, ift 
das erjte Erfordernis eines guten Stils. Ei ja!“ 

„Gut denn,* verfette der Neferendar. „Er 
zog jeinen Säbel nicht aus der Weſtentaſche oder 
ſonſt woher, wie vielleicht jemand unter den 
anmwejenden Herrſchaften vorausfeten möchte, 
fondern aus der fchwarzledernen Patentſcheide 
an feiner linfen Seite und fuchte fih damit — 
nicht mit der Scheide, jondern mit dem Degen 
— des wütenden Tieres zu erwehren, was ihm 
jedoch faum gelungen wäre, wenn nicht Wald- 
fuhrleute herbeigeeilt und mit ihren Hlatjchen- 
den Peitichen dasjelbe in die Flucht getrieben 
hätten.“ 

„Juſt feine Heldenthat,“ verficherte Binfe. 
„sch war doch auch ſchon auf der Jagd. Eija!* 

„Und da war unfer Doftor Binfe fo fühn, 
einen Hafen in die Flucht zu treiben,“ fiel der 
Hausherr ein. „Ja, er hätte ihn vielleicht ſogar 
getötet... Aber, lieber Doktor, die Damen 
warten jchon ungeduldig auf das jüngfte Kind 
Ihrer Mufe. Heraus damit, wenn es nicht zu 
lang ijt.“ 

38 


298 


Binfe zierte ſich ein wenig, griff in die Bruft= | 
tajche und meinte, er habe es nicht bei fich. | 
„Welches Unglüd!* dachte Herbig überlaut. | 

„Doc, da jtedt’s!“ 

„Welches Glück!“ flüfterte Eleonore. 

„Heiter ift meine Mufe nicht, das muß ich 
vorausſchicken,“ begann der Dichter. „Wenn 
ih auch meinen Quartanern humoriftische Poeſie 
zur Zeftüre empfehle, 3. B. Neinete Fuchs, jo 
iſt doc) der eigentliche Grundzug meines Wejens 
ernit, ei ja! fogar tief melancholiſch. Alfo: die 
Thräne.* Und das Taſchentuch eintedend las er: 

„Schmerzensthräne, ftill entipriehe, 
Trauerzähre rinne! 

Leiſe meinem Blick entfliehe, 
Aber — nicht zu dünne. 

Wenn die Seele voller Demut, 
Iſt's zu unferm Glüde, 

Leer’ dein Yüllhorn, komm' o Wehmut, 
Aber —“ 

„Richt zu dicke!“ ergänzte der Neferendar, 
das Richtige treffend, obwohl alle auflachten. 

„Ein hübſcher Gedanke,“ meinte Herbig, 
„der auch in Thränen ein Mittelmaß empfiehlt, 
— ganz moderner Anforderung entipredend. 
Schade, daß der Neim nicht durchaus rein.“ 

Dies ließ jedoch Binfe nicht gelten und be: 
hauptete widerborftia, man fpreche nicht ‚rünne* 
und ‚düde‘, jondern jo wie er leje; und folde | 
pointenreihe Sächelchen ſchüttle er nur fo aus 
dem Aermel. Allein man wartete diefe Genia— | 
lität nicht weiter ab und ging zu anderem über. 
Da die nunmehr reif gewordenen Aepfel auf 
den Bäumen die Aufmerkſamkeit auf fich zogen, 
ſprach man davon, daß es Zeit fei, ſie abzu: 
machen. Binfe, der nicht lange auf einem Site 
bleiben fonnte, machte ſich daran, den höchſten 
Npfelbaum zu erjteigen, um den Damen das 
Obſt frijh vom Zweige zumerfen zu können, 
wogegen Jenny die ernjthafte Mahnung richtete, 
es fein zu lafien. 

„Slauben Sie denn, Fräulein Jenny, daß 
ich falle?” fragte er. 

„Wenn Sie nicht in der Luft hängen bleiben, 
gewiß.“ 

Aber nun folgte ein glorreicher Bericht voll- 
bradter Heldenthaten in diefem Fache. Er jei 
ihon ohne Schwindel rittlings auf der Firſt 
eines Rirchendachs geſeſſen; er habe einmal einen 
eingefeiften Maſtbaum bis zur Spitze erflettert, 
und er habe eine morjche Nuinenmauer rüdlings 
beftiegen und droben ein Nad geichlagen. a, 
er mache ſich anheiſchig, minutenlang mit einem 








August Beder. Eleonore. 


Arm und einem Bein am Baumaft zu hängen 
und dabei einen Choral zu fingen, ohne heifer 
zu werden. Zuletzt bot er dem Neferendar 
Wetten an, wer am längften eine Leiter frei 
auf dem Kinn im Gleichgewicht halten oder mit 
der Cigarre im Mund über Tiih und Stuhl 
Ipringen könne, ohne fie auögehen oder fallen 
zu laſſen. Der jedoch mwollte ſich mit einem 
Univerfalgenie nicht darauf einlafien und feine 
Ruhe haben. Die Sache wurde fad, und da 
der Abend herangefommen war, brad) man auf. 

„Herr Profeffor,“ wandte fi der Haus: 
vater beim Abſchied treuherzig an Herbig, indem 
er deſſen Hand drüdte, „beſuchen Sie uns wie: 
der und nehmen Sie fi der armen jungen 
rau einwenig an. Schade um das liebe Meib- 
hen! Ich will nicht jagen, daß fie unglücklich 
verheiratet fei; fie hätte es fchlimmer treffen 
fönnen und darf ſich ja infoferne glüdlich ſchätzen, 
als fie in guten Verhältnifien forgenlos der 


Zufunft entgegenfieht und alle Mittel befitt, 


ihr Herz einzufchläfern, wenn fie es nötig findet. 
Ich fürchte nur, fie langweilt fi) auch bei uns. 
Ich kann ihren Leiter und Begleiter nicht machen, 
habe weder Zeit noch Talent dazu, und auch 
meine Mädchen find durch den leidigen Umzug 
abgehalten, ihr die nötige Unterhaltung zu 
widmen. Mljo, fommen Sie Morgen wieder; 
und Sie find willfommen, aud) wenn ich nicht 
zu Haufe bin.“ 

Herbig hielt ſich nach der Verſicherung, 
welche er Eleonoren gegeben, nicht für berechtigt, 
bei diefer Gelegenheit weitere Nachfragen über 
die Verhältniffe der ſchönen Frau anzuftellen. 
In feiner Vorjtellung war der Gemahl der 
jungen Strohmwitwe jener fleine, feingefleidete, 
alattrafierte Glatzkopf, der allerdings eher einem 
Kommerzienrat denn einem Geheimenrat ähn: 
lich jah, unter welhem man fich zumeift einen 
Herrn mit Gelehrtenanftrich vorzuitellen pflegt. 
Eleonore ſelbſt verhielt ſich ſchweigend. Da: 
gegen liegen es die Töchter ebenfomwenig als 
der Vater an dringender Einladung fehlen. 
Waren doc) auf den nächiten Nachmittag Freun: 
dinnen zum leßtenmal in diefen Garten, ge: 
wiſſermaßen zu einem Abjchiedsfeit, geladen, 
und die gnädige Frau wäre fiherlich froh, je: 
manden zu haben, mit dem fie in ihrer Weije 
iprechen könne. Er werde zwar der einzige Herr 
unter vielen Mädchen fein, doch dürfe ihn dies 
nicht abhalten. 

Und er lief fich denn auch in der That nicht 


Hugo fittauer, Spruch. 


abhalten, da er ſich zur bejtimmten Zeit richtig 
einfand. 

Die Sonne brach heute immer wieder durch 
das leichte Gewölk, einen Schwarm hellgelleide: 
ter Mädchen bejcheinend, die fich auf dem Raſen— 
hang des Beragartens tummelten. Den ge: 
lehrten Profefior aus Königäberg gingen die 
hübſchen Kinder jedoch wenig an; der hielt jich, 
wie man nicht anders vorausjeßte und erwartet 
hatte, an die Schöne, vornehme rau, deren 
Gegenwart nur geeignet war, die frohmütigen 
Mädchen befangen und wortfarg zu machen. 
Nachdem diefe fih gegenfeitig ihrer drückendſten 
Mädchengeheimniffe entledigt hatten, rotteten 
fie fich zufammen, um zu beratichlagen, was 
vorzunehmen fei. Am liebjten hätten fie fi) 
völlig und uneingeſchränkt der Freude überlafjen, 
gefpielt und auf dem Bergrafen umbergetollt, 
wie und wo es fih traf. Zum Glüd war der 
Garten groß genug ; man fonnte fich ausweichen 
und am einen Ende Schreien, rutjchen und rollen, 
fingen und fpringen, ohne vom andern gejehen 
oder gehört zu werden. 

Und man überlief ſich der harmloſen Luft. 
Möglich aber ftob der ganze Schwarm auf und 
auseinander, wie ein Flug Tauben, unter welche 
der Geier gefahren. 

„Der Floh, der Floh !* jchrieen fie lachend 
und flogen den Berg herunter, um fich hinter 
deſſen Abhang, Heden und Bäumen zu dergen. 

Eleonore und Herbig, welde in ruhigem 
Geſpräch den Gartenweg auf und ab wandelten, 
alaubten bei dem anhebenden Gejchrei an eine 
unvorhergejehene Gefahr. In der That um: 
freiste denn auch die Umzäunung außen — als 
Molf im Schafspelje — des Doktor Binfe frag 
würdige Erſcheinung. Jetzt ftand er oben auf 
dem Bergwege überm Zaun und ſah ſchwärmeriſch 
in ben Garten herein oder über ihn hinweg in 
die Landſchaft; dann erſcholl an einer andern 
Stelle des Zauns fein feufzendes „Ei ja!“, und 
wieder grüfte er mit geſchwenktem Strohhute 
über die Hede, wo fie am niederiten war und 
niemand fich feiner verfehen hatte. Aber all fein 
Mühen war vergebens; man lachte, ſchien ihn 
nicht zu bemerfen, lud ihn noch weniger ein, 
herein zu kommen, und kümmerte fi zuletzt 
nit weiter um ihn. 

Zumeilen trafen die Mädchen im Verlaufe 
des Nadhmittags mit dem Herrn Profeflor und 
der gnädigen Frau zuſammen; es wurden einige 
freundlihe Worte gemwechlelt, dann ging man 


299 


wieder feines Wegs. „Gott, wie gar hübſch 
diefe Herrichaften ihre Worte ſetzen Fönnen! 
Jerum, was das niedlich ift, fo miteinander zu 
plaudern!” Und dabei ftedten fie gar anmutig 
die Köpfchen zufammen, redten die Hälschen und 
gaderten allerliebit. 

Inzwiſchen hatte ſich Jenny für eine Weile 
zu Herbig und der jungen Frau gejellt und mit 
derſelben Platz neben einer Birfe auf dem 
trodenen, thymianduftigen Najen genommen. 
Auch Herbig jtredte fich neben fie hin. Ningsum 
war der Rajen wie mit Goldftüden beitreut, jo 
leuchteten die abgefallenen Birfenblätter in der 
Sonne. Nah dem Pfade hin war die Gruppe 
teilweife durch einen Hafelbufh gededt. Zur 
Seite hob im Sande ein fogenanntes Ruhrkraut 
die gelben Blütenköpfchen, und wilder Quendel 
von baljamijchem Geruch bildete das Thymian: 
beet, in welchem die drei fich zufammengefunden 
hatten. 

Jenny hatte jett wohl eine Ahnung davon, 
wer eigentlich ihren Zopf wieder gefunden, und 
wußte dem fremden Herrn großen Danf für 
feine diskrete Haltung. 

„Sagen Sie mir doch einmal, Herr Doktor 
Herbig,“ fing fie nach einem mit Eleonoren ge: 
wechſelten Blid an, „jind Sie nie in die Gegend 
von Gatlenburg gefommen? Es liegt feitwärts 
an der Bahn von Nordheim nach Herzberg. “ 

„Doch!“ erwiederte er. „Einmal in meiner 
Studentenzeit, da ich zwei Semejter in Göt: 
tingen Geſchichte hörte. So viel ich mich ent: 
finne, fuhren wir eines Sommertags hinaus 
nad) Gatlenburg, das mit Mauern und Türmen 
auf grüner Höhe liegt, und zogen von da auf 
ein einfames Pfarrdorf, wo unter Eichen unfern 
der Kirche ein Tanzboden aufgeichlagen war. 
Ein fröhliher Tag!” 

(Fortiegung folgt.) 


% Sprud. 


Don 
Hugo Fillauer. 


Gar oftmals bringt ein furjer Spruch 
Wehr Nuten als ein dides Budı. 
Könnt nur der IImfang Wert verleib'n; 
mablſtein wär: mehr als Edelfiein. 


Fe 
mh” 
ner 






Aus dem 
Hinimlifchen BARON der Mitte. 


Dohn Satifaz. 


— — 


hina mit ſeiner vieltauſendjährigen eigen— 

artigen Kultur iſt noch heute verhältnismäßig 
wenig bekannt. Nur einzelnen Forſchern iſt es 
gelungen, in das Innere des ausgedehnten 
Reichs vorzudringen, das Land ſelbſt, wie Sitten 
und Gebräuche ſeiner Bewohner, wirklich aus 
eigener Anſchauung zu ſtudieren. Die Mehrzahl 
der Europäer dagegen, welche das öftliche Afien 
beſuchen, muß fi) mit der Kenntnis dejjen be: 
gnügen, was in den jogenannten offenen Häfen, 
den Seeplägen, wo dem fremden Handel wider: 
willig eine Stätte eingeräumt wurde, vom eigent- 
lichen chineſiſchen Leben noch übrig geblieben ift. 
Seit Monaten find einmal wieder die Augen 
ber gejamten civilifierten Melt mit verdoppelter 
Aufmerkſamkeit auf das hinefifche Neid gerich: 
tet, welches anfcheinend Miene machte, zum 
Austrage politiicher Streitigkeiten einer europät: 
ihen Großmacht mit bewaffneter Macht auf 
blutigem Schladhtfelde entgegenzutreten. Wir 
hoffen deshalb den Danf unferer freundlichen 
Leer zu verdienen, wenn wir gerade dieſen 
Augenblit wählen, um ihnen einige Mitte: 
lungen über jenes merkwürdige Land zu bringen, 
Mitteilungen, welche nicht den Anſpruch auf 
eine alle Verhältnifje umfafjende, abgerundete 
Darftellung erheben, die aber immerhin manches 
Neue bieten dürften und die, den Reifebriefen 


Ranalirhleufe (©. 100, 


einer amerifanishen Dame entnommen, zugleich 
ein intereflantes Schlaglicht auf den Unterneh: 
mungsgeiſt unferer Yankeeſchweſtern zu werfen 
geneigt find. 

Von Shanghai aus, einem der größten 
Vertragshäfen mit volljtändiger amerikanischer 
und engliicher Kolonie, hat Miß B., unfere lie: 
benswürdige Berichterftatterin, einen bequemen 
amerikanischen Dampfer, welcher den chineſiſchen 
Namen Kiang Teen führte, zur Weberfahrt nad) 
dem weiter ſüdlich gelegenen Ningpo benußt. 
Mit Tagesgrauen lief das Schiff in den Ning- 
pofluß ein, deſſen Mündung durd) das auf klei— 
nem Hügel maleriſch gelegene alte Schloß und 
Fort Chinhai beherrſcht wird, und richtete zwi: 
ſchen zahlreihen Dſchonken von allen Größen 
und Formen hindurd feinen Kurs nad der 
etwa 16 engl. Meilen ftromaufwärts gelegenen 
großen und weitläuftigen Stadt Ningpo. Die 
Gegend ift völlig flach, das Erdreich befteht aus 
dem fo unendlich fruchtbaren Alluvialboden, 
welcher jahraus jahrein die reichite Frucht trägt. 
Zahlreiche Kanäle durchſchneiden und bewäfjern 
das Land, welches mit dem faftig friſchen Grün 
der Reispflanzen überdedt ift. Von diefer grünen 
Einförmigfeit heben ſich zahlreiche Heine Hügel 
dunfel gegen den Horizont ab, den Vorfahren 
gejette Grabdenfmäler, welche in Gruppen von 





Sohn Balifar. Aus dem himmlischen Reiche der Mitte. 


verfchiedener Stärfe, im ganzen vielleicht in 


der Zahl von zehntaufend die Gegend bedecken, 


und hier nicht die im chineſiſchen Süden gebräud): 
liche malerische Form des Hufeifens annehmen, 
fondern lediglich aus aufgehäufter Erde beitehen. 

Als das Schiff fich der Stadt mehr näherte, 
fielen zuerft eine Anzahl Gebäude auf, welche 
weit höher als die gewöhnlichen Wohnhäufer der 


BOOT? ER 


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4 





301 


Chinefen, mit bejonders hohem fpitgiebligen 
Strohdadhe verjehen waren. Hier verwahrt der 
vorfihtige chinefishe Händler das zum Einpö— 
feln der Fiſche nötige Eis, welches zur Winters- 
zeit forgjam zufammengetragen wird. Man 
jammelt felbjt Eis von faum 5 cm Dide, zer: 


itampft es, gießt Waſſer darüber und läßt es 
dann im Eishaufe zu diden Mafjen gefrieren. 


A 


rt RR 


Göhenbilder im Wubbhrtempel 1@. DOW. 


In Ningpo gewährte das Haus des enali- 
Ihen Biſchofs gaftlihe Aufnahme. Der ehr: 
würdige Herr hat fi im Herzen der heidni- 
ichen Stadt, welche noch vor wenig ‘jahren dem 
Vorbringen des Chrijtentums den zäheften Wi: 
derjtand entgegenfegte, ein angenehmes, von 
grünenden Bäumen und blühenden Sträuchern 
umgebenes Heim gründen fünnen. Zwar ijt die 
chriſtliche Gemeinde im Vergleih zu der nad) 
Hunderttaufenden zählenden Einwohnerſchaft 


Ningpos noch immer klein genug, aber doch wird 
außer in der dem Hauſe des Biſchofs gegen— 
überliegenden hübſchen Kirche noch in drei oder 
vier anderen Kapellen regelmäßiger engliſcher 
Gottesdienſt abgehalten, bei dem häufig einge: 
borene Konvertiten als Geistliche amtieren. Eine 
Knabenſchule ſteht unter der Leitung eines analt: 
fanifchen Geiſtlichen, während eine engliſche 
Dame mit Unterjtügung eingeborener Hilfs: 
Ichrerinnen bemüht ift, die Mädchen im Chriſten— 


302 


tum zu unterrihten und zu europäi: 
ſcher Gefittung heranzubilden. Die 
Kinder beiderlei Geſchlechts find durch— 
weg in hohem Grade intelligent und 
lernbegierig. Man gibt fich alle Mühe, 
die Mädchen von der barbarijchen 
Weife der Fußverftümmelung abzu: 
bringen, aber in den meijten Fällen 
vergebens. Würden ſelbſt die Eltern 
von der durch taufendjährige Uebung 
geheiligten Sitte abgehen wollen, jo 
verlangen doch die Kinder ſelbſt troß 
der mit der efelhafteften Prozedur 
verbundenen Schmerzen dennod), daf 
der Fuß durch fejte Ummidelung in 
feiner Ausbildung zurüdgehalten wird, 
da fie font fürchten, als großfüßige 
Plebejer nicht zur Che begehrt zu 
werden. 

Zum Beſuche der Sehenswürdig— 
feiten in der Stadt mieteten die bei: 
den Damen Mi B. und die er: 
wähnte englische Yehrerin leichte offene 
Tragitühle aus Weidengeflecht, welche 
vor den font gebräuchlichen Sänften 
den Vorzug haben, daß der Inſaſſe 
fich bejfer umfehen kann und ſich in 
frifcherer Yuft befindet. Der Bifchof begleitete 
fie auf feinem Pony. 








Ehreupfotie für eine Witwe S. 208). 


Ningpo ift namentlih dur feine Schnitz— 


arbeiten aus hellem Holze berühmt. Die bejte, | 


John Halifar. 





a " 


— — 











Ebreubogen für eine Jungtrau S. 105), 


ausgeſuchte Arbeit erzielt einen Preis, welcher 
jelbit in Amerifa oder Europa hoch genannt 
werden würde, die weniger Funftreihen Gegen— 
ftände werden dagegen jpottbillig verkauft. 
Bilderrahmen und Verzierungen am Hausgerät 
find die Hauptartifel diefer Induſtrie, welche 
troß ihrer eigenartigen Schönheit dod) gegen die 
aus ſchwarzem Holze mit reicher Goldverzierung 
in Canton gefertigten Zimmereinrichtungen zus 
rüdtritt. 

Die große Pagode befteht aus einem hohen, 
weißen Turm, welder nadt und ſchmucklos in 
bie Yuft hinausragt, da die umgebenden Holz: 
galerieen durch eine Feuersbrunft verzehrt find. 
Der Turm ift vierzehn Stodwerfe hod) und be: 
fit fieben übereinanderliegende Neihen von 
Fenftern. Von feiner Plattform genießt man 
einen Meberblid über die Stadt und das umge: 
bende, endlos flache, einförmige Land, von dem 
aus am fernften Horizont fich flache Hügel: 
reihen abheben. Die Gößenbilder beftehen hier, 
wie in den meiſten militärischen Tempeln aus 
mehreren überlebensarogen menschlichen Figuren, 
welche den tatariihen Typus tragen und ſämt— 
lich lange ſchwarze Schnurrbärte aufmweifen, In 


Aus dem himmlifchen Reiche der Mitte. 


allen findet man die gebräuchlihen Altäre mit 
Bronzegefäßen zur Aufnahme von Blumen, 
Weihraud und Kerzen, die fragenhaft geſchnitz— 
ten mythologifchen Tierbilder und die Feuereſſe, 
in welcher täglich die in allen Straßen aufgefam: 
melten Bapierfegen verbrannt werden. Ueber 
dem allem lagert die in den hinefiichen Tempeln 
unvermeidlich dide Lage von Schmuß, melde 
nur bei der großen Neinigung zur eier des 
neuen „Jahres entfernt wird, und die doppelt 




















E&uboerfäufer. 


unangenehm im Gegenfage zu der in den Tem: 
peln Japans herrichenden Neinlichkeit auffällt. 
Das Aufjammeln von jedem Stüd auf die 
Straße geworfenen Papiers und das Einliefern 
zum Verbrennen gilt als verdienftvolles Merk. 
Deſſen Vernichtung durch Feuer beruht auf der 
angeborenen und anerzogenen Verehrung des 
chineſiſchen Volkes vor jeder Art von Gelehr: 








famfeit und man will auf ſolche Weife verhin- | 


dern, daf irgend ein gedrudtes oder geſchriebenes 
Wort des Konfucius oder einer anderen Autorität 
auf kirchlichem und geiftigem Gebiete unter die 
Füße getreten wird. 

Ein Marſch durd) die denkbar engiten, fort: 
während mit einer Volfsmenge im bunteften 


| 
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303 


Gemisch vollgepfropften Straßen bietet dem 
forfhenden Auge troß der unvermeidlichen, man 
möchte fagen unlöslichen Verbindung mit einem 
efelhaften unbeſchreiblichen Schmutz, zahlloje 
Gegenftände von höchſtem Intereſſe. Die zahl: 
reihen, nad der Straße zu völlig offenen Ver: 
faufsläden weifen ſelten eine breitere Straßen: 
front auf als etwa 10 Fuß. Mächtige Firmen: 
ſchilde in den originelliten Farben und Formen 
hängen am Haufe oder find auf geſchnitzten Holz: 
ftändern von 15—20 Fuß Höhe befetigt, und 
im Laden felbjt, welcher zugleih ala Werlſtatt 
dient, ift der geſchickte Handarbeiter mit der 
Anfertigung feiner Ware beichäftigt, ohne ſich 
durch die neugierigen Blide der VBorübergehenden 
jtören zu lafjen. Da fann man feine Elfen: 
beinfchnigereien bewundern ; die mandjerlei Mas: 
fon und Garderobejtüde für Theater anjtaunen ; 


‚ die Kunft der Juweliere verfolgen, - welche 


das glänzende Gefieder einzelner Vögel als 
Email verwenden und namentlich die koſtbaren 
nephritartigen grünen Steine jo prächtig zu 
faſſen verftehen, Fächer, künſtliche Blumen, 


F Popierlaternen, und zahlreiche feine Lackwaren 
\ 


im bunten Gemiſch aufgehäuft jehen. 
Dicht daneben bedient ein Barbier auf 
offener Straße jeine Kunden, und der 
Fiſchhöcker preift die unappetitlichen Tin: 
tenfiihe an. Dann geht es wieder an 
Frucht: und Blumenläden vorbei, einem 
Zargmagazin, in dem pflichttreue Kinder das 


Geſchenk für die nod lebenden Eltern aus: 


wählen, beim Schneider, Schuhverläufer und der 
Wäſcherin vorbei zum Geldwechsler und dem 
Handler mit nachgemachtem Gelde, weldes be- 
ftimmt ift, zu Ehren eines verjtorbenen Ber: 
wandten als Opfergabe verbrannt zu werden. 
Zugleich fann man bei folder Wanderung einen 
Blick in das häusliche Leben der Chinejen 
werfen, und gewahrt in den inneren Näumlid)- 
feiten vorzugsweiſe gewiſſe mächtige Bettitellen, 
welche von Gardinen und VBorhängen umgeben, 


| die nad dem Neichtum und der Stellung des 


Beſitzers aus mehr oder weniger foftbarem Stoffe 
gefertigt find, mit Schubladen und allen Vor: 
richtungen zu einer vollitändigen Toilette ver- 
ichen, ein ganzes Zimmer für fi zu bilden 
ſcheinen. 

Eine Promenade zur kühlen Abendſtunde 
auf den alten, grauen Stadtmauern und Wällen 
gewährt ſchon deshalb einen eigenen Genuß, 


weil man entfernt vom angreifenden Straßen— 


304 


gewühl ficher ift, hier ganz allein zu fein, Der 
Chinefe geht nicht fpazieren, er hält das für eine 
Zeitverſchwendung, und fo trifft man auf dem 
Stabtwalle nur die wachthabenden tatarischen 
Soldaten. 

Zahlreihe Gräber fefleln auch hier den 
Blid. Ranfende Roſen und Geifblatt ver: 
deden die jchmudlofen Hügel, dod wird an 
einigen Stellen der föftliche Wohlgeruch, welchen 
dieje Blumen verbreiten, gänzlich zurüdgedrängt 
durch einen entjeglichen Geruch. Diefer rührt 


John Halifar. 


von den Kindertürmen her, vieredigen Gebäuden 
mit fchmalen Fenfteröffnungen, in denen die 
Leihen Kleiner Kinder Aufnahme finden, welche 
noch) zu jung waren, um ſchon eine Seele zu be: 
fiten und deshalb feines Sarges bedürfen. 
Doppelt ſchaurig folhes Mafjengrab in einem 
Sande, wo der Kindermord an der Tagesord: 
nung tft! 

In dem religiöfen Leben der Chinefen neh: 
men die den verjtorbenen Vorfahren geweihten 
Hallen einen hervorragenden Plag ein. Hier 





Bettlerboote 15. 306). 


werden die Opfer gebracht, welche den Geift des | Macht der letteren, jede Beleidigung oder Ver: 


Dahingeſchiedenen befänftigen, hier wird Fleiſch 
niedergelegt zu defien Ernährung, hier verbrennt 
man Papierbilder von Pferden, Häufern, Klei— 
dungöftüden und Geld, deren Rauch zum Him: 
mel ſteigt, um in der unfichtbaren Welt fich wieder 
zu „materialifieren“, wie ein fpiritiftifcher Aus: 
drud lautet, und fo den Verjtorbenen mit allem 
zum Leben Nötigen zu verforgen. 

Diefe fonderbare Entwidelung, welde die 
von Konfucius gepredigte Kindesliebegenonmmen, 
hat durchaus feine Ehrfurcht, Achtung oder 
Liebe des Sohnes für die lebenden Eltern zur 
Folge, ſondern führt lediglich zu einer ſtlaviſchen 
Furcht vor den Toten. Der Glaube an die 


nachläſſigung zu rächen und zu bejtrafen, ift fo 
tief in das Volksbewußtſein eingedrungen, daß 
weder Mühe noch Koften geicheut werden, um 
die Geiſter zu verföhnen. Diefe Art, bei allen 
Gelegenheiten den Manen der Verftorbenen 





Opfer darzubringen, durchdringt das ganze hi: 

neſiſche Leben und macht die Lebenden vollftän: 

dig zu Sklaven der Toten. Syn diefer Ueber: 

zeugung von dem ftrafenden Arme der letzteren 

liegt auch ein hauptjächliches Hindernis für die 

‚ rafchere und weitere Verbreitung der riftlichen 
Lehre. 

An dem fogenannten Sce vorbei, einem un: 

‚ bedeutenden Waſſerpfuhl innerhalb der Stadt: 


Mus dem himmlifchen Reiche der Mitte. 305 


Seidenwürmer mit friihen Maulbeerblättern 
füttern. 

Eine der auffallendften Eigentümlichkeiten 
der Chinejen bejteht darin, daß fie weder ihre 
Wohnhäufer noch die öffentlichen Gebäude durch 
regelmäßige Ausbefjerungen imjtand halten. 
große öffentliche Aufführungen belebt, an an: | Beim Bau eines neuen Tempels, wie bei der 
deren Tagen iſt es ganz ſtill und der Befucher Aufführung des glänzenden Palaſtes eines 
findet vielleicht nur einzelne Frauen, welche ihre | Mandarinen wird in der erften Austattung 


mauern, führt der Weg zu zahlreichen Tempeln. 
Manche derjelben find vergötterten Kriegähelden 
geweiht, einer dem Gotte des Neichtums, welcher 
jtets mit mwohlwollenden Gefichtszügen und 
außerordentlich fett in jigender Stellung darge: 
jtellt wird. Zumeilen werden die Tempel durch 














nichts gefpart. Dann aber beginnt auch ſchon ſchmack, zum ehrenden Gedenken an ſolche Wit: 
der Verfall, Schmutz und Staub häufen fih | wen geftiftet werden, welche ſchon in jungen 
überall an, nad) verhältnismäßig kurzer Zeit ift | Jahren den Gatten verloren haben und ihm 
das Gebäude eine halbe Ruine. Nun wird unter | dennoch treu geblieben find, oder an Bräute, 
Aufwand von großen Mitteln das Ganze von | welche den Verluft des Verlobten ihr Tebenlang 
Grund aus erneuert, und erfcheint bald im vollen | als Jungfrau betrauert haben (S 302). 
Glanze neuer Schnigereien, reicher Vergoldung Geradezu zahllos find die Tempel Ningpos 
und bunter Bemalung. und den Göttern wird ehrfurchtsvoll darin ge: 
Außerhalb desweitlihen Thoresvon Ningpo | opfert. Dabei find die Chinefen aber felbft in 
findet ſich längs des Flußufers eine Anzahl der | der Benugung diefer Gebäulichkeiten praftifche 
in Form von Ehrenpforten oder Triumphbögen | Gejchäftsmänner. Wenn fremde Offiziere mit 
aufgeführten Bauwerke, welche nur mit befon: | den von ihnen befehligten chineſiſchen Soldaten 
derer faiferliher Erlaubnis und oft mit erheb: | gelegentlich einen Tempel in eine Kaferne ver: 
lichen Koften und mit großem Aufwand von | wandeln, jo kann man das vielleicht als einen 
Kunft und Gefhmad, natürlich hinefiihem Ge: | Akt der Gewalt anjehen, aber jedenfalls geſchah 
39 


306 


es doch freiwillig, als dent englijchen Bijchof eine 
Pagode als Wohnung mietweife überlafjen 
wurde, oder wenn folche der göttlichen Vereh— 
rung geweihte Räume gar an Theehändler ab: 
getreten werden. Das geſchieht gar nicht felten 
und man fann, während 
die Götter und Götzen 
von ihren Plägen genom: 
men und ihre Augen mit 
roten Bapierftreifen über: 
Hebt werden, dort dann 
Hunderte von Arbeitern 
mit dem Trodnen und 
Verpaden der gewürzigen 
Blätter befchäftigt jehen, 
zugleih aud die Bei: 
miſchung von gepulvertem 
Indigo und Gips wahr: 
nehmen, ohne welden der 
Thee in England und 
Amerika nicht verfäuf: 
lic) ist. — Zu einem Aus: 
fluge nad dem etwa 20 
Meilen von Ningpo entfernten großen Bud: 
dhijtenklofter Tien Dong, d. i. der göttliche | 
Knabe, vereinigte ſich Miß B. mit der oben 
erwähnten englischen Lehrerin Mi 2%. Man 
mietete ein gewöhnliches überdachtes Boot, ein 
fogenanntesHausboot, welches neben dem Schlaf: 
raume eine Heine Küche beſaß (S. 304). Zu: ı 
nächſt ging es einige Zeit flußaufwärts, dann 
wurde in einen der zahlreichen, das Yand durch: | 
fchneidenden Kanäle eingebogen. Das Niveau | 
der Kanäle liegt höher als der Waflerfpiegel des | 
Fluffes und es find deshalb befondere Einrich— | 
tungen zur Weberführung der Schiffe erforderlich. 
Durch hohaufgemauerte Wände wird eine enge 
| 
| 


Schleuſe (S. 300) hergeftellt, ein Tau am Spie: 
gel des Schiffs durchgezogen und große, von 
Menfchenhand bewegte Winden an beiden Zeiten 
heben das Schiff in die Höhe. Die Grundfläche 
der Schleufe befteht aus einer nad) beiden Seiten 
geneigten Fläche und das Schiff gleitet langſam in 
das andere Waſſer hinüber, fobald es den höchſten 
Punkt diefes Winfels erreicht hat (3. 300), 
Hunderte von Booten paſſieren oft täglich eine 
ſolche Schleufe und da diefe nur Naum für die 
gleichzeitige Beförderung eines Bootes bietet, fo 
iſt mit dieſem Uebergang faft immer großer Zeit: 
verluft verfnüpft und für die Mannschaft an den 
Winden entjteht eine harte Arbeit. Langſam 
ging die Taafahrt von ftatten, Abwechjelung ge: 


Brüde von Thuechee, b 


nn 


John Balifar. 


währten nur die zahlreichen über den Kanal ge= 
Ipannten Brüden. Abends anferte das Schiff bei 
Siao Bah, und am anderen Tage in der Frühe 
bemächtigten ſich fräftige Träger der mitgebrady: 
ten Meidenftühle, um ihre ſchöne Laſt auf 





£ — u — 
icht bei Rinnpo (E, 108). 


langjam anfteigenden, gewundenem Pfade zu 
dem noch etwa fünf Meilen entfernten Kloſter 
zu befördern. Das anmutige Hügelland wurbe 
belebt durd die in allen Farben jchillernden, 
prächtigen Azaleen. Die gut gehaltene gepfla- 
ſterte Runftitraße führte abwechjelnd durch grüne 
Felder, mächtige Bambuspdidichte, oder war mit 
einer Doppelreihe von Nadelbäumen bejäumt. 
Als man ſich dem Kloſter näherte, zeigten fih an 
der Wegſeite jeltfam geformte rote und graue 
Steingefäße, welche bejtimmt find, die Aſche auf: 
zunehmen, die von dem im Klofter verbrannten 
Weihraud zurüdbleibt (S. 307), und jeder 29jte 
Wegſtein war mit einer eingehauenen Lotosblume 
geſchmückt. Hinter dem flaren Spiegel eines 
Heinen Sees erhoben fich die Steinmafjen des 
Klofters, das mit den urſprünglich roten, von der 
Zeit zu einem matten Grau gebleichten Mauern 
und dem hohen, ſchweren Strohdache einen an- 
genehmen, harmonischen Eindrud macht. 

Beim Eintritt in das Heiligtum, einer weis 
ten, von mächtigen Pfeilern getragenen Halle, 
findet man ſich drei gewaltigen vergoldeten plafti: 
chen Bildern des Gottes Buddha gegenüber, 
(5.301) welche von einem gleichfalls vergoldeten 
Wolkenhimmel überragt werden. Die Figuren 
find mindeſtens 40 Fuß hoch und befinden ſich auf 
einem Untergeftell von vielleicht zehn Fuß Höhe. 
Zwiſchen ihnen find zwei fleinere Bildwerte, 





Aus dem bimmliichen Reiche der Mitte, 


Schülerdarftellend, angebracht, und zwei andere, 
welche die Königin des Himmels auf dem Lotos— 
throne verjinnbildlichen. Der Ausdrud in den 
Gefihtern der drei Buddhas ijt ruhig, wohl: 
wollend, man möchte faft jagen verehrungswür— 
dig. Alles ftroßt von Gold und kunſtreichem 
Schnigwerfe. Zwiſchen den roten Pfeilern find 
große gelbe Vorhänge, auf denen blaue Drachen— 
geitalten fich befinden, aufgehängt, doch troß 
diefer jchreienden Farbenkontraſte madt das 
Ganze einen ftimmungsvollen Eindrud. 

Das Klojter faßt etwa hundert Mönche. 


307 


Von ihnen macht eine Anzahl einen guten Ein: 
drud. Andere wieder haben gewöhnliche, rohe 
Züge und man erfennt unfchwer, da fie vor 
dem Arme der jtrafenden Gerechtigfeit hierher 
geflohen find. Denn der geichorene Kopf und 
das gelbe Gewand ſchützen den Verbrecher vor 
Strafe. Die Mönche brauchen nicht immer in 
demfelben Kloſter zu bleiben, fondern fönnen von 
einer ſolchen Stätte zur andern wandern, müfjen 
aber mit einer Beicheinigung verjehen fein, welche 
fie als wirflihe Prieſter legitimiert. 

Während des Gottesdienftes tragen alle 





Uſchentruge (6. 100. 


Mönche zu ihren gelben oder grauen Gemwändern 
einen jharlahfarbigen Mantel, der, um das Ge: 
[übde der Armut zum äußerlihen Ausdrud zu 
bringen, aus lauter Heinen Stüden zufammen: 
geflidt fein muß. 

Sind die Mönde arm, fo ift das Kloſter da: 
für deſto reicher. Fortwährend nehmen hinefische 
Familien feine Gaftfreundfhaft in Anſpruch, 
um gegen ſchwere Bezahlung befondere Gebete 
und Münfche für verftorbene Verwandte anzu: 
bringen. In feinem Lande der Erde greift der 
Tod eines Familiengliedes fo tief in alle häus— 
lihen Verhältnifje ein, wie in China. Zuerſt 
fommen die Ausgaben für das Begräbnis, Der 
Leihnam muß in neue Gewänder gekleidet fein, 


Teil der Gewandung des Toten und alles, was 
dazu dienen kann, ihm das Leben im Himmel 
angenehm zu machen, wird verbrannt. Später 
fann man derartige Opfer durch Verbrennung 
papierner Nahahmungen wiederholen, zur erften 
Ausstattung des Verftorbenen aber find die wirk— 
lien Gegenstände nötig. Ein gefhmüdter Sara 
fojtet Geld, dann ift der Priefter zu bezahlen, 
welcher den Totengottesdienft im Haufe hält, 
ein zweiter, welcher den Tag für ein glüdliches 


' Begräbnis beftimmt, ein Profeflor des Fung ſhui, 
' der imjtande ift, den genauen Platz für das 


ein zweiter Anzug, Stiefel, Schuhe, der größte | 


Grab anzugeben, den lat, wo am ficherften die 
aus dem falten Norden fommenden böfen Ein- 
flüfje durch die guten Strömungen des Südens 
paralyfiert werden. Vom 10. bis 17. Tage nad) 


310 


putiert hatte. Nun war Gajtelli der eigentliche 
Matador der Ludlamshöhle; fich diefen harm: 
loſen Dejterreiher, welder den bejchränften 
Unterthanenverjtand für den Bedarf eines des: 


f 


potiſchen Negimes gehabt hätte, als Umſturz— | 


mann zu denfen, fonnte nur in einem abnorm | 


organifierten Kopfe als Unfraut wuchern. Ganz 
Wien jchüttelte fih vor Lachen über diejen 
Schwabenftreich der Polizei, welche die Schellen: 


fappe der Yudlamiten mit einer unverdienten | 
ı dauert, dankten dies einer hohen Begabung; daß 


Gloreole umgeben hatte. 

Nicht unerwähnt darf ich lajjen die Nitter 
von „Karls Tafelrunde*. Diejen Namen, zu 
dem fie auch nicht den geringiten Rechtstitel 
hatte, führte eine litterariſch-künſtleriſche Gefell: 
ichaft, die zu Anfang der vierziger Jahre all: 
abendlih in einem Gafthaufe hinter dem unga— 
riichen Garbegebäude Einkehr hielt. Dem Wirte, 
der eine gute Hausmannsfoft beiftellte und un: 
verfälfchten Wein fchenkte, wurde für die Atzung 
die Ehre erwiejen, daß man die Tafelrunde nad) 
jeinem Zunamen taufte. Mit der Tafelrunde 
jelber hatte es wieder feine vier Eden, denn der 
Tiſch, um den man ſaß, nahm die ganze Yänge 
eines engen Ertrazimmers ein, das jeden Abend 
für die Nitter rejerviert blieb, und in das fein 
Nrofaner Zutritt hatte. Mit den Nittern war 
es gleichfalls nicht haarfcharf genau zu nehmen, 
denn es befand ſich nur ein einziger in dieſem 
Konklave, der auf diefen Adelstitel Anſpruch 
erheben fonnte, und der war der Ritter von 
Levitichnigg, eine hochbegabte Poetennatur, die 
aber jpäter auf Abwege geriet und jeßt für die 
Litteratur verichollen und vergeflen iſt. Den 
Vorfig an diefer Tafelrunde führte der Lieder: 
und Balladendichter Johann Nepomuk Vogl, 
nicht etwa, weil er ein Meifter der Rede und 
ein virtuofer Ordner der Debatten geweſen wäre, 
fondern, weil er diefen ftillen Winkel auf feinen 





| 
| 
| 
I 


| 
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| 


Iohannes Nordmann, 


eingeheimft hatte und die nad) dejien Ableben 
als Makulatur verjchleudert wurden, hätte ein 
Dutzend Gelehrter fein Dafein friften können. 
Manches Glied ijt feither aus diefer Kette, die 
ſich nachgerade ſelbſt gelodert hatte, durch den 
Tod geriffen worden, Es wäre vergebliche Mühe, 
den einen und andern aus diefer Geſellſchaft 
zu charafterifieren, da ja doch jchon alle Ver: 
bindungsfäden zwiſchen damals und heute fehlen. 
Die Namen, die ein ganzes Menfchenalter über: 


aber das Gedächtnis des armen Sauter nicht 
für eine fommende Zeit gerettet werden fonnte, 
daran iſt eine unfundige Hand ſchuld, die feinen 
litterariichen Nachlaß herausgegeben hatte. Es 
Ipricht für den Wert diefes Poeten, daß ihn 
Nikolaus Lenau, der fein Lobverſchwender war, 
hochgehalten hatte; jelbjt ohne diefe Bürgſchaft 
aber blieben Verſe, wie die folgenden, ftets im 
Gedächtniſſe haften: 

„Eines doch bedenfe jeder, 

Was er immer thut und treibt, 

Ob mit Hammer oder Feder 

Brot er jchmiedet oder jchreibt, 

Daß die Mühſal des Erwerbend 

Uns das befte untergräbt, 

Und am Tage unjres Sterbens 

Niemand weiß, ob wir gelebt." 

Solche Verſe haben den Goetheihen Wurf 
und wiegen fchwerer ald manche langatmige 
Produkte moderner Poeten, die mit vornehmer 
Geringſchätzung auf den armen Sauter, lebte 
er noch heute, herabjehen würden. Lenau, wie 
ich erwähnt, hatte dies nicht gethan, und auch 
Ludwig Uhland nicht, ein Meifter des Liedes, 
wie feit feinem Ableben fein zweiter erjtanden 
it. Es war ein großer Feitabend für „Karls 
Tafelrunde*, alö der berühmte Schwabe bei 


dem Sympoſion der Nitter erſchien. Das hatten 


Entdedungsfahrten nach einem föftlichen Tropfen 
ausgekundſchaftet hatte. Ich nenne außer den | 
anderen, als den Dichter des „Wanderburjchen“ 


beiden Ermwähnten nur einige, und zwar die 
Komponisten Conradin Kreuger, Adolf Müller 
und Emil Titl; die Poeten Morit Hartmann, 
Ferdinand Sauter, Alerander Julius Schindler, 
Ludwig Koglar und Carl Rick; den Mufikfchrift- 
jteller und Gründer des Wiener Männergefangs: 


fie Johann Nepomuf Vogl zu danfen, der feine 
Freunde der Ehre teilhaftig machen wollte, die 
ihm von Uhland widerfahren war. Keinen 


hatte er aufgefucht, und er that noch ein übriges 
und opferte in liebenswürdiger Weife einen 


' Abend für deſſen Genofjen. Bei Uhland waren 


befanntlic die Worte teuer; ſchweigſam alfo, 
aber mit fihtbar innigem Behagen ſaß er an 


vereines Auguft Schmidt und Athanafius Groß; | der Tafelrunde, welche die richtige Parole hatte 


den Bildhauer Hirſchhäuter und ein ganz felt: 
james Menjcheneremplar, Menk von Melarski. 


und einhielt, dem Gaſte nicht durch eitle und 
überfchwengliche Xobreden zu hofieren. Uhland 


Von den voluminöfen Kolleftaneen, welche diejer | war während feiner furzen Anweſenheit in Wien 
emſige Sammler in Jahren aus allen Fächern | 


auch zu Hof geladen, man fand ſich mit dem 


Vereinsleben in Oeſterreich vor dem Jahre 1818. 


ſchweigſamen Manne nicht zurecht und wußte 
nicht den Henkel zu finden, um ihn anzufaljen 
und zum Sprechen zu bringen. Schließlich for: 
derte man ihn auf, eines feiner Gedichte zu 
recitieren; und damals joll er in wahrhaft er: 
greifender Weiſe „Des Sängers Fluch“ vorge: 
tragen haben. 

Am glücklichſten und förmlich aus dem Häus- 
chen über den Bejucd bei den Nittern war der 
arme Sauter, und er gönnte dem Wirte nicht 
die Ehre, einen fo illuftren Gaft zu bedienen. 
Nie er dies fertig bradhte, bei dem alles, was 
er-anfaßte, in Scherben ging, und der Tijche 
und Stühle umrannte, wenn ev in eiliger Be: 
wegung war, ijt mir heute noch ein Rätfel. 
Pudelnärriſch und immer in fieberhafter Auf: 
regung, wie er war, hatten feine Freunde ſtets 
zu beforgen, daß ihm ein Unfall widerfahren 
fönnte. Das traf unglüdlicherweife wirklich ein: 
bei einem Ausfluge im nächſten Sommer, nad) 
feiner jeligen Begegnung mit Uhland, brach er 
durch einen Sturz vom Felſen das Bein und 
hatte von da an zeitlebens zu hinfen. Um eine 
Blume zu pflüden, hatte er, nad) feiner Ausſage, 
den Felſen erjtiegen ; das Unglüd widerfuhr ihm 
aber bei einer weniger poetischen und ganz menfch: 
lihen Berrihtung, für die er ſich in feiner Narr: 





heit den erhabenen Standpunft ausgejucht hatte. 


Nikolaus Yenau und die Sängerin Unger:Sa: 
batier pflegten ihn während feiner Krankheit 
in Iſchl; das Bein war ſchlecht eingerichtet wor: 


den und er fam von dort zu feinen Freunden | 


nach Wien als „hinfender Teufel“, der nun erft 
recht nicht den Humor verloren und fein Unglüd 
noch ſegnete, das ihm die treue Pflege jo herr: 
licher Menſchen vermittelt hatte. 

Es wäre nad) allem, was ich bisher von der 
Tafelrunde erzählt, gewiß; der Einwand und 
die Bemerkung jtatthaft, daß dieje eben nichts 
anderes als eine gewöhnliche Wirtshausgejell: 
fhaft von Stammgäſten war, die nur ab und 
zu durch vornehme Bejuche ein gewiſſes Luſtre 
erhielt. Sie war aber doch anders und beſſer 
geartet. Anjtatt Schon vorwegs mit einem Pro: 
gramm von bejtimmten Produktionen zu prun: 


ten, wie dies heutzutage Brauch oder Mißbrauch 


von zahllofen Kränzchen und Zingvereinen ift, 
wurde dort fpontan und aus dem Stegreif pro: 
duztert. War der Humor dazu vorhanden oder 
das Loſungswort gefallen, dann hie; es eben: 
Freiwillige heraus! und die ganze Gefellichaft 
war fofort in voller Thätigfeit. Themata zu 





311 


einem Liede wurden in einem Hute gefammelt, 
der bejte Titel daraus gewählt; die Poeten 
hatten ſich jetzt zu rüften und firfingerig bei der 
Arbeit zu fein, denn es war ihnen nur eine 
Viertelftunde gegönnt; wen die Flingenditen 
Verfe gelungen, der hatte die Ehre, von den 
Komponiften in Mufif gebracht zu werden, denen 
man wieder nur eine Galgenfrift für ihre Sat: 
weife einräumte. Eine flüchtige Durchſicht des 
Meiſters Conradin Kreußer genügte, um zu be: 
jtimmen, wer es am beiten gemacht hatte, und 
es fam nicht einmal, fondern wiederholt vor, daß 
er, obgleich jelber Konkurrent, feinen mitbewer: 
benden Kollegen den Vorrang gab. Ebenjo 
ichnell wurde die Kompofition nah Stimmen 
verteilt und notenfundigen Schreibern zur Ko: 
ptatur zugewiefen. Nun famen die Sänger an 
die Neihe, die frijch vom naſſen Blatte ein Lied 
fangen, das vor einer Stunde noch in dem Embryo 
eines dürftigen Titels gelegen war. Auf dieſem 
Wege der kürzeſten Produktion mit vereinten 
Kräften entjtanden die herrlichiten Lieder, die 
noch heute allerorten gefungen werden. Das 
alles war nicht mühfam ausgeflügelt, jondern 
ſprang wie ein luftiger Bergquell aus den el: 
jen. Der Greis Adolf Müller, der noch vor 
furzem im Theater an der Wien dirigierte, war 
jener Zeit feinen Kollegen um eine jtarfe Kopf: 
länge voraus, und Johann Nepomuf Vogl hatte 
die Werfe wie Perlen ſchon am Schnürchen ge: 
reiht, während die andern fich die Fingerknöchel 
wund jfandierten. 

Dieſer Dichter ift noch lange nicht nad) feinem 
Verdienſte gewürdigt; Oeſterreich hat nicht einen 
einzigen von fo urjprünglicher Begabung auf: 
zumeifen. Mit feiner Bildung hinkte es aller: 
dings, und darin wurde er von den Talent: 
loſeſten gemeiftert, die das Handwerk der Poeſie 
aus dem Buche erlernt hatten. Der Gott aber 
war in ihm, und wenn er feine Stunden ber 
Begeifterung hatte, brachte er Verfe zuwege, wie 


ſie in des „Knaben Wunderhorn“ nicht prächtiger 


und wohlflingender zu finden find. Die Viel: 
ichreiberei rächte fi an ihm in fo bedauerlicher 


Weiſe, da fein Name, der die eingeborene 


geniale Kraft hatte, ein Jahrhundert zu über: 


' dauern, nur mehr von wenigen genannt wird. 


Er jchrieb Taufende von Yiedern und Balladen, 
von denen etwa ein Hundert einen bleibenden 
fünftlerifchen Wert hat, und das fozufagen das 
jpezififche Gewicht feiner voluminöfen Produktio— 


nen bildet. Von ähnlichem Schlage, wenn aud) 


312 


nicht jo urſprünglich geartet, aber auf einer 
höheren Bildungsftufe ftehend, war Johann 
Gabriel Seidl, der menſchenſcheu nur felten an 
der Tafelrunde erſchien. Letzterem ift in jüngfter 
Zeit die Ehre widerfahren, da eine Gejamt: 
ausgabe feiner Schriften gemacht wurde, wäh: 
rend fich für Johann Nepomuk Vogl noch immer 
nicht die pietätvolle Hand gefunden hat, die ein 
inhaltſchweres Achrenbüfchel aus den reichen, 
allerwärts verjtreuten Garben fammeln würbe. 
Ein ſolches auserlejenes Buch hätte das volle 
Anrecht, in der nächſten Nachbarſchaſt von Uhland 
und von den beiten Dichtern zu ftehen. 

Außer diefen geiftigen Gefellichaftsgruppen 
waren gleichjam wilde litterarifche Vereinigungs: 
punkte einige Gaſt- und Gafehäufer, in denen 
zufammenfam, was jid gerne juchen und finden 
wollte. DasNeunerjche oder „Silberne Cafehaus* 
in ber Planfengafje war ein jolches Stelldichein ; 
feine eigentlihe Anziehungskraft übte es da— 
durch, daß dort fait tagtäglich Nikolaus Lenau 
erſchien. Eine virtuofe Schilderung des litterari- 
chen Lebens, welches darin herrichte, gab feiner 
Zeit ein reichbegabter öfterreichifcher Schrifiteller, 
Andreas Schumadıer, in einem Novellen: Alma: 
nache. Verloren ift dieſe Charateriftif, und deren 
Verfaſſer ift vergeſſen, trogdem er wahrlich ein 
beſſeres Los verdient, doch fein Schickſal jelber 
dadurch verſchuldet hatte, daß er ſein Talent 
nicht nach Einem Zielpunkte lenkte, ſondern es 
nad) den verjchiedenjten und heterogenften Nic: 
tungen verzettelte. Die Litteratur war das 
Aderfeld, das er zeitlebens hätte pflügen müſſen; 
er traute fich im ‚jahre 1848 zu, noch Schieß— 
baummolle fabrizieren zu fönnen. Daß er in 
dem Laboratorium, in dem er die Leitung hatte 
und mit brennender Cigarre promenierte, nicht 
in die Luft flog, war jein Glück; fein Unglüd 
aber war, daß man ihn nah dem Oftober ab: 
faßte und zur Kerferhaft in Kufſtein verurteilte. 
Bon dort fam er als phyſiſch und geiftig zer: 
rütteter Mann zurüd und verlebte noch wenige 
Jahre ſiech und elend in feiner Familie, bis ihn 
der Tod erlöfte. 

In der Singerftraße und zwar im Gafthaufe 
„Zum Amor” famen gleichfalls Künſtler und 
Schriftſteller allabendlich zufammen, und es ging 
dort meistens fehr lebhaft her. Das belebende 
Element war Dr. Julius Becher, Mufikus feines 
Zeichens. Gefürchtet für feine beiten Freunde 
war, was er in Noten produzierte ; doch galt in 
mufifalifchen Dingen feine Kritik als unantajtbar. 


Johannes Liordmann. 


Haarjträubend war, was er ald Komponijt zu 
leiften vermochte; und wir verlebten im Mufik: 
vereinöfaale unter den Tuchlauben die wahre 
Marterftunde eines Streichquartettes feiner 
Faktur, für das wir jedody fpäter durch ein 
Werft Beethovens fchadlos gehalten wurden. 
Während diefes Konzertes fiel noch ein furzer 
Dialog, von dem ich nebenher berichte, weil er 
den genialen Dichter Friedrich Hebbel, defien 
Selbftüberhebung eine maßlofe war, in feinem 
ganzen Weſen fennzeihnet. Hinter dem Dichter 
ber „Maria Magdalena“ ſaß Karl Bauernſchmid, 
einer der liberalen Revifionsbeamten, von denen 
eingangs gefprochen wurde, und nad) dem Jahre 
1848 einer der beiten Publiziften, die Oeſterreich 
aufzumeifen hatte. Diefer glaubte feinem be- 
rühmten Vordermanne eine liebensmwürdige Auf- 
merkſamkeit damit zu bezeigen, daß er die Be: 
merfung fallen ließ: es müſſe für ihn ein ganz 
befonderer geiftiger Genuß fein, das Werk eines 
jo verwandten Genius anzuhören. Darauf er: 
widerte der Angeredete: „Friedrich Hebbel hat 
nicht Urfache, Beethoven aufzufuhen, er geht 
ihm aber nicht aus dem Wege, wenn er ihn zu: 
fällig begegnet.“ 

Der arme Mufifus Becher brachte mich auf 
diefe flüchtige Neminiscenz, und er veranlaft 
mich gleichzeitig, von einem anderen Manne zu 
iprechen, der ebenfalls ein Stammgaſt im „Amor” 
war und im DOftober 1848 eine hervorragende 
Rolle geipielt hatte: der war der Oberlieutenant 
des Negiments „Hod: und Deutfchmeifter“, 
Wenzel Mefjenhaufer. Weniger lebhaft als 
fein Wirtshausgenofie Julius Becher, mit dem er 
das tragische Schidjal teilte, nad) dem Oftober 
im Stadtgraben erichoflen zu werden, war er 
doch allen eine fympathifche Perjönlichfeit. Ich 
erfreute mich feiner ganz befonderen Zuneigung, 
und er lieh ſich von mir gefallen, was fein anderer 
Schriftiteller feinem Kollegen geftattet hätte, 
Anders geartet als feine Kameraden im Regi— 
mente hatte er den heftigen Drang zu ſchrift— 
ftellern, und er entwidelte für diefes Streben 
einen Eifer, den ich feither bei niemanden meines 
Berufes angetroffen habe. Die Manuffripte, 
die er leiftete, ſchwollen voluminös an; die un- 
beitreitbare Begabung für die Schriftjtellerei war 
bei ihm in vollem Maße vorhanden, fie wurde 
aber durch eine ermüdende Weitwendigfeit ge: 
ſchädigt. Da er mich zum Vertrauten feiner 
Schaffensluft gemacht und mein ftrengjtes Urteil 
über feine Produktionen herausgefordert hatte, 


Dereinsleben in Defterreich vor dem Jahre 1848. 


wirtichaftete ich in dieſen wahrhaft unbarmherzig. 
So erinnere ich mich, daf ich einen dreibändigen 
Roman mit dem Titel: „Moderne Argonauten“ 
durch feitene und fapitellange Striche auf ein 
gutes Drittel reduziert und jo drudfähig gemacht 
hatte. An einem anderen, weniger umfangreichen 
Roman aber, der „Zwei Möwen“ betitelt war, 
hatte ich faft gar nichts zu ändern. Dieſer Feine 
Roman behandelte das tragiſche Schidjal der 
Söhne Attilio und Emilio des öfterreichifchen 
Kontreadmirals Bandiera, die, jeit 1842 im ge: 
heimen Briefwechfel mit Mazzini, die Zeit für 
eine gewaltfame Ummälzung in Italien reif 
hielten und nad) mißglückten Nufftandsverfuchen 
zwei Jahre fpäter in Coſenza erſchoſſen wurden. 
Ich behaupte noch heute, daß diefer Roman, nicht 
etwa jeines revolutionären Inhalts wegen, 
fondern fraft feiner künſtleriſchen Anlage und 
Durhführung zu den bejten litterarifchen Pro- 
duftionen in Deutfchland zu zählen wäre. Ich 
habe ihm troß wiederholter und eifriger Nach— 
forfhungen nicht mehr auf die Spur fommen 
fönnen, und jtehe nicht an, diefen Verluft als 
einen beflagenöwerten Ausfall für die Litteratur 
zu bezeichnen. Der Oberlommandant der Na: 
tionalgarde im Dftober des Sturmjahres bleibt 
für die Zeitgefhichte unverloren, mit jenem 
Merfe wäre aber auch fein Schriftjtellername 
gerettet geblieben. 


Eine Karamanferei für litterarifhe Be: | 
gegnungen war nod) das Cafe Adami mit dem | 
Eingange im Durchhauſe des Negenaburger Hofes 


und von der Langjeite der heutigen Sonnenfels— 
gaſſe. Der Beſitzer diefes Cafés war ein felt: 
ſamer Kauz, der nie das Deutjche erlernen fonnte 
und fchließlich auch feine Mutter-, die italienische 
Sprade verlernt hatte, jo daß er, namentlid) 
im jahre 1848, in dem er gleichfalla gerne mit: 
geiprochen hätte, förmlich hilflos war. Die Nähe 
der „Aula“ bedingte, daf alles, was fich einiger: 
maßen mit der Litteratur im Kauſalnexus glaubte, 
dort zufammenftrömte. Selbjtverjtändlich wurden 
fo die alten Hausfafjen in den Hintergrund ge: 
drängt; fie wagten nicht, fich darüber verdrieß— 
lich zu gebärben, wenn fie auch bedauern mußten, 
daf die frühere gemütliche Ruhe bedenklich ge: 
ftört war. Der geheime Aerger wurde aber 
hinwieder durch mande luſtige Zwiſchenfälle 
wett gemacht. Zu dieſen gehörte, daß eines 
Tages ein junger Mann atemlos mit der 
Meldung hereinkam: „Die eine Kammer haben 
wir glücklich durchgeſetzt, wir laſſen aber nicht 





313 


nach, bis wir noch die zweite Kammer ‚heraus: 
gekigelt‘ haben.“ Dieſe politiſche Unreife er: 
innert an die Badenfer, die, nachdem in den 
Jahren 1848 und 1849 alles in Deutjchland 
auf und los war, durchaus „eine Republik mit 
dem feligen Großherzog an der Spitze,“ oder 
an die Leipziger, die, nachdem in Berlin und 
Wien das Straßenpflafter loder geworben war, 
ebenfalls eine „einzige und unteilbare Barrifade“ 
haben wollten. 

So wäre id) denn bei meiner litterarifchen 
Wanderung, die eigentlich zwiichen den Roſen— 
«heden der Boefie und den Fruchtbäumen der Profa 
führen follte, unmillfürlih auf die Wildbahn 
des Jahres 1848 geraten, defjen Andenken die 
Mitlebenden, obgleich fie von feinen Stürmen 
durdhrüttelt wurden, und auch die Nachlebenden 
zu jegnen haben, welche durch diefes Jahr frei 
gemacht wurden. Dreifig Jahre und darüber 
find bereits voll geworben, die jeit dem 13. März, 
an welchem, wie ſich damals Dr. Mlerander Bad) 
ausdrüdte: „Dem Weltgeifte die Thore angel: 
meit geöffnet wurden,“ in das Land gegangen 
find. Der fieberhaften Aufregung, die fi in 
jenem Jahre von dem 13. März an aller Geifter 
bemädhtigte, fonnten ſich nicht die Beſonnenſten 
erwehren; wie ein eleftrifcher Schlag ging der 
zündende Freiheitsfunfen weit über den Herb 


' der Revolution hinaus an die äußerſten Grenz— 


marfen des Reiches. Die zahmiten und frieb- 
liebendjten Leute traten unter Waffen; deshalb 
ſahen fie aber noch lange nicht martialiſch aus. 
Haft rührend, wenngleich etwasdrollig, gebärdeten 
ih Männer wie der Akademiker Karajan und 
der gründliche Kenner der ſpaniſchen Litteratur, 
Ferdinand Wolf, von denen ich ala von Bündnern 
der Gejellfchaft der „Namenlofen” gefprochen, 
und die fich gleichzeitig mit mir Durch einen „aus: 
gedienten“ Korporal zum Kriegädienfte abrichten 
ließen. Ein richtiger Oberft würde mich felber 
mindeftens auf acht Tage zum Profoßen geſchickt 
haben, hätte er anjehen und anhören müffen, wie 
ich eines Mittags als Kommandant mit meiner 
Truppe die Wache des Staatöfhuldenamtes in 
der Singerftraße bezogen hatte. Fehlte auch die 
Routine des Kriegshandwerkes, jo fehlte doch 
nicht der Feuereifer. Unter meinen Garden be: 
fand fi) damals ein Enfel Goethes, gleichfalls 
Wolfgang wie fein Großvater genannt. Diefer 
Jüngling war mit dem einmaligen Boftenjtehen 
nicht zufrieden und bat mich während vierund: 


‚ zwanzig Stunden wiederholt, ihn für einen 
40 


314 


anderen, auch nächtlicherweile Wachedienft leiſten 
zu laſſen. 

Ich würde mich zu tief in das Dickicht meiner 
Neminiscenzen verirren, wollte ih aus jenem 
denfwürdigen Jahre Erlebtes erzählen. Das 
lag nit in Plan und Abficht diefer Mitteilung, 
mit der ich nur die Anfänge des Vereinslebens 
in Defterreich vor dem Jahre 1848 fennzeichnen 
wollte. 


Der Gefang der Dögel. P 
Sine ornithologifh-äfhetifhe Betradtung 


von 


Xdolf Müler. 


ibt es wohl eine herrlichere, herzerhebendere 

Naturpoefie, als der Gejang der Vögel! 
In diefen Naturlauten fpricht der Weltgeift am 
unmittelbarjten zu unferer Seele, hier entfaltet 
er fih am ſchönſten. Wohl rauſcht er vorüber 
in den wolfenjagenden Orfanen und braujt auf 
in dem wogengepeitichten Meere; wohl dröhnt 
er in den Gemwittern mit dem Niefenhall der 
Donnerichläge und läht das Tiergeheul erſchal— 
len durch die Einjamfeit der Wälder als eine 
urfräftige ſymphoniſche Sprache: — aber die 
eigentlichſte Seele der Natur bleibt das Lied 
unferer befiederten Weſen. 

Mie den merkwürdigen „Boten des Him— 
mels“ ſchon ein Vorzug vor anderen Tieren in 
ihrem leichtbeichwingten Kleide geworben, fo 
empfingen diefe Kinder der Lüfte von der güti: 
gen Mutter Natur weiter noch die lieblichite, 
herrlichite Mitgift der lebenden Weſen der Erde, 
die Babe des Geſanges. Selbit vor dem Men: 
ihen haben fie dies Himmelsgeſchenk voraus, 
der ſich erſt Fünftlich auf den Stufen des Kultur: 
lebens das erwerben muß, was der Vogel von 
vornherein ererbt hat. 

Lebendig widerlegt das Lied des Vogels 
das Beitreben der Zweckmäßigkeitslehre, welche 
dem Tiere die Seele abſprechen will und feine 
Lebensbethätigung mit dem leeren, begriffslofen 
Worte „Inſtinkt“ bezeichnet. Geſang ift das 
Produft des Gemütes, die vornehmite Thätig: 
feit des Seelenlebens; er ift die wahre Urpoejie. 
Wo aber Empfindung in einem fo hohen Grade 
zum Ausdrud gelangt wie im Geſange ber 


Adolf Mäller. 


Vögel, da ift auch Seele, Bewußtjein, Geift. 
Wenn die Tierfeele aber eriftiert und ſelbſt— 
thätig auf die Bühne tritt, dann befeelt und 
belebt ſich das ALL, dann ift die Natur mit ihren 
Weſen feine tote Staffage mehr, fondern der 
Menſch fteht mitten in ihr als ein Glied jener 
unendlichen Kette der Individuen unter warmer 
Beziehung und Wechſelwirkung. 

Es ift gewiß von hohem Intereſſe, diefer 
prächtigen Gabe des Vogels nachzuſinnen. Der 
Naturforiher weiß, daß da, wo in lebenden 
Wefen ein Trieb herrſcht, auch Mittel und Merk: 
zeuge vorhanden find, diefen Trieb auszuführen 
oder zu bethätigen. Wollen wir aljo die Grund: 
lagen des Vogelgejanges erkennen, jo müflen 
wir den Leib des Vogels unterſuchen, der die 
Organe für jene hervorragende Leiſtungsfähig— 
feit birgt. 

Da die gemäßigten Zonen unferer Erde, 
aljo auch unfer Vaterland, vor den falten und 

heißen die gefieber- 

\ ten Sänger befiten, 

jo bieten uns bie 

heimifchen Singvögel 

das beite Material 

zu unſerer Unter— 
ſuchung. 

Betrachten wir 
die vorzüglicheren 
unter dieſen, ſo fällt 
uns ſchon im Aeuße— 
ren ein geſtreckter, 
geſchmeidiger Hals 
und eine freie, räum: 
lihe Bruſt auf. Die 
Deffnung dieſer legt 
uns über dem Bruftbeine zwei gabelförmige 
Knochen bloß, das fogenannte „Gabelbein“, das 
dem Schlüfjelbeine der Säugetiere entiprict. 
Hinter diefem Gabelbeine zeigt ſich ein unge: 
mein feinverzweigtes, fadartig gepaartes, trans: 
parentes, blafenartiges Hautgewebe, das zur 
Aufnahme von Luft jehr geeignet ift. In der 
beigegebenen Zeichnung 1 einer fecierten Vogel: 
bruft ift bei g—g das Gabelbein und bei z das 
Zellengewebe zwiſchen den Aeſten des Gabel: 
bein fichtbar. Entfernt man dieje Luftbehälter 
vorfichtig, jo enthüllt fich ein merkwürdiges 
Drgan in der tief: und weitgejpaltenen Bruft: 
höhlung. Es ijt dies die in der Figur 2 dar: 
geftellte fogenannte „Trommel“ (T) oder der 
„untere Kehlkopf“ mit feiner Verzweigung in 





Sie. 1. Pogelbruf. 








Der Geſang der Dögel. 


zwei Hefte, der Luftröhrengabel (g’—g‘), die 
unterjeits in die Lungen einmünden. Ueber der 
Trommel fett fich die Luftröhre (L) nach oben 
fort, welche in der Zunge mit dem „oberen 
Kehlkopfe“ oder der „Stimmrite” (St, Fig. 3 
und 3b) zwischen den beiden Aeſten des Zungen 
beine (b—b, Fig. 3b) endet. In der Zeich: 
nung 3 ift die Zunge aus der Nachenhöhle und 
von dem Unterkiefer abgelöft und herunterge: 
ſchlagen; man muß 
ſich diefelbe alfo beim 
lebenden Vogel in die 
entfprehende Lücke 
darüber fo eingefügt 
denfen, daß die 
Stimmrige (St) dem 
tiefen, vielfach mit 
Warzenhärhen ver: 
jehenen Einſchnitte 
(w) in der Rachen— 
höhle oder dem Gau: 
men bes Oberkiefers 
gerade gegenüber zu 
ftehen fommt, 

Bei näherer Unterfuhung zeigt ſich die 
Stimmrige als eine lippenfürmige Oeffnung, 
welche auf beiden Nandfeiten von ſehr elafti: 
jhen, aus ringförmigen Gebilden bejtehenden 
Bändern umgeben tft. Dieſe Bänder der Stimm: 
rige fünnen durch entfprechende Zungenmusteln 
quer zu ihrer Längenachſe geöffnet oder aber zu: 
fammengezogen werden, wie wir nachher dar: 
thun werden. An dem einen, der hinteren 
Rachenhöhle und der Kehle zugefehrten Ende 
it die Stimmrige bei vielen Sängern, wie z.B. 
den Drofjeln und der Amſel, dem Stare, dem 
Pirole u. a. m., mit einer Neihe Warzen ver: 
jehen (h, Fig. 3), welche fich in hornige, haar: 
förmige Gebilde zufpigen. Man bemerkt dieſe 
Warzenhaare meiſt bei den infeftenfrefienden 
Sängern, während bei einigen anderen, 3. B. 
den Finken, ſowohl in dem Einſchnitte der Rachen— 
höhle als auch an der Stimmritze die haarartigen 
Spitzen fehlen. In der Mitte der Seitenbänder 
der Stimmritze entdeckt ſich bei genauerer Be— 
trachtung auch noch eine gelenkartige Erhöhung, 
eine Art Gliederung, welche das Oeffnen der 
Stimmritze fördert. 

An die Stimmritze, welche bei allen Vögeln 
bekanntlich des Kehldeckels entbehrt, reiht ſich 
unmittelbar die Luftröhre (L, Fig. 2 u. 3). 


Big. 2. Der untere Rebltopf. 








315 


auffallend geftredtes, bei den Singvögeln aber, 
gegenüber den ungelenferen, härteren der Groß: 
vögel, eine hohle Säule, deren faſt durchfichtige 
Mandung aus einer Menge 
zarter, weicher, auönehmend 
gejchmeidiger Knorpelringe be: 
jteht. Vor ihrer VBerzweigung 
in die beiden Aeſte der Gabel 
erweitert fi) die Luftröhre in 
das ſchon berührte rundliche 
Gebilde, die Trommel oder den 
unteren Kehlkopf. Diejes letz— 
tere Organ iſt im Querſchnitte 
(Fig. 4) durch Abbildung 
eines vergrößerten Kehlkopfes 
von einer männlichen Schwarz: 
amſel fenntlich gemadjt. Hier 
tritt in der Trommel hin und wieder eine ſcheide— 
wandartige Erhöhung (S) auf, welche über dem 
Delta (d) der Luftröhrengabel-Verzweigung bei 
verfchiedenen Eängern in den hohlen Naum der 
Trommel mehr oder weniger merklich eintritt. 

Die Trommel ift zwar bei allen Singvögeln 
übereinftimmendb ein mehr oder minder fugelig 
gejtalteter Körper, der ähnlich wie die Luftröhre 
von dehnfamen Knorpelrin- 
gen umgeben ift. Doch weicht 
fie in ihren einzelnen Teilen 
vielgeftaltig ab. In ber 
Mitte zmifchen der Gabel: 
verziweigung findet fich nad) 
oben zu öfters ſchon mit 
bloßem Auge fichtbar die 
Trommel nad innen mit 
einem Niefen verjehen, der 
ſich nach der oberen Wöl— 
bung der Trommel zuweilen 
teilt, wie an dem betreffen: 
den Organe der Singdroffel 
in Fiqur 3b bemerkbar. 
Ber der Schwarzdroſſel 
u.a. m, erfcheint die Trom- 
mel mehr als rundes Ge: 
bilde (T, Fig. 2), an dem 
Stare jeitlich plattgedrüdt, 
eiförmig (Fig. 5). In der 
Regel nimmt diefer Teil des 
Zingapparates an der hinteren, dem Schlunde 
Sch (Sig. 3b) zugefehrten Seite eine abge- 
plattete Form an. Bei allen befjeren und viel: 
jeitigen Sängern entdedt fi) außerdem um den 





Bla. 3a, 
Ropf einen Gdelfinten, 


Dia 3 Eiimmrige. 


Diefe bildet bei fämtlihen Vögeln ſchon ein fehr | unteren Kehlkopf eine bedeutende Anlagerung 





316 


von bandförmigen Muskeln. Ganz bejonders iſt 
dies der Fall bei unferem Stare, worauf wir 
nochmals zurüdfommen. Die Trommel des 
Kududs zeigt jo: den Gabeläjten 
gar eine delta: und eine auäneh- 






artige Einftül: mend ftarfe Knor⸗ 
pung am unteren pelringbildung 
Teile zwiſchen der Wandung, 





ID, 
N i Big 5. Trommel beim ⸗ 
— Star. 


während diefes Gefüge an vielen Sängern nur 
nad innen oder nad) vorfichtigem Abheben der 
Bändermusfeln und Fafern fichtlich hervortritt. 

Gerade bei den beiten Sängern, der Nachti— 
gall, dem Sprofjer, den Grasmüden und anderen 
Heinen Inſektenfreſſern, unſeren Lerchen, dem 
Edelfinken, bei der Singdroſſel, dem Pirole 
finden wir den unteren Kehlfopf ſichtlich vor— 
tretend und ſehr ausgebildet, an dem Kudud 
aber dermaßen durch die ſchon angedeutete merf: 
mwürdige Formung und Gliederung der Luft: 
röhrenringe um die Trommel eingerichtet, daß 
daraus mit Recht geſchloſſen werden muß, dieje 
Vorrichtung diene zur Verjtärfung, zur Reſonanz 
der Töne. 

Ebenfo wie in Form und Einrichtung variiert 
dies Gebilde in der Größe. Die Trommel einer 
männlichen Schwarzamfel zeigt fich 3. B. in der 
® natürlichen Größe ihrer Ab: 





— bildung (T, Fig. 2) = 

‚ 5,1 mm, die einer Sing: 
droffel mindejtens gleich 
groß (T, Fig. 3b); die 
Nachtigall und der Sproſſer 
befigen verhältnismäßig 
ſehr weite, bis über 4 mm 
im Durchmefler haltende 
Trommeln; die des Edel: 
finfen ift kaum von gerin- 
gerer Ausdehnung, weshalb aud fein Schlag 
fo raumbeherrſchend. Graue Grasmüde, Mönd 
und Baſtardnachtigall, ſowie unfere Feldlerche 
weiſen Trommeln auf von ziemlich gleicher 
Größe, wie der Edelfinke. Der Ruf des Kuckucks 
— welchen Vogel wir hier nur wegen ſeiner 





Fla.. Unterer Rebltopf 
einer männliden Shwarj- 
amlel im Querſchnitt. 


Adolf Müller. 


hervortretenden lauten und ſchönen Stimme 
erwähnen — erhält feinen hallenden, hohlen, 
myjteriöfen Schall eben wohl von der eigentüm: 
lihen Bildung feines unteren Kehlkopfes. 
Schon die Bildung des Schnabels, insbe: 
fondere fein bei den meiften und beften Sängern 
fo auögebildetes Deffnungsvermögen, die vor- 
herrſchende Weichheit feiner Subjtanz, fowie 





Big. 3b Cingbroffel. 


die Dehnfamfeit der Verbindungshaut zwifchen 
dem Ober: und Unterkiefer machen den Vogel 
geſchickt zu feiner mufifalifchen Fertigkeit. Diefe 
wird num noch ganz bejonders erhöht durch die 
ungemeine Glätte und Schlüpfrigfeit der Mund: 
höhle und des Zungenförpers, womit diefe Ge: 
bilde die reichliche Abjonderung der Speichel: 
drüfen durch ihre Flüffigfeit gerade in dem 
Zeitraume des Singens, d. i. in der Periode 
des Niftens, verforgt. Bei vielen Sängern, 
namentlich den kerffreſſenden, zeigt fich die Ver: 
bindungshaut zwiſchen Ober: und Unterſchnabel 
mit ihrer Fortfegung ins innere des Mundes, 
der Mundichleimhaut, ganz befonders dehnfam 
und breit; an dem Kopfe des Kududs erweitert 


Der Gefang der Dögel, 


fie fi) dermaßen, daß die Spaltung des Schna: 
bels fich in der Ruhe (bei zufammengelegtem 
Schnabel) frümmt oder in einem Bogen nad) 
unten faltet. Kraft ihrer Elafticität vermag 
dieje Verbindungshaut beim Deffnen des Schna- 
bels fich entfprehend auszudehnen. Die ferf: 
frefienden Sänger und der Kudud vermögen, der 
leßtere bei feiner Lachſtrophe, die anderen beim 
Produzieren ihrer lauten Rufe, den Schnabel 
über einen halben rechten Winfel aufzureigen. 
Durch diefe hervorgehobenen Eigenfhaften des 
Schnabelgebildes wird die einjeitige, bloß auf: 
und niedergehende Scharnierbewegung der Kie— 
fern bei allen Sängern von vielfeitiger mufifa: 
licher Ausprägung modifiziert. 

Gehen wir nun vom Inneren des Schna: 
bels abwärts, der Singvorrihtung folgend, bis 
zum Bruftforbe und in die Zungen, fo entdedt 
fih unter Zuhilfenahme der bildlichen Darſtel— 
lungen ftufenweife folgendes: 

Die Zunge aller Singvögel hat einen außer: 
ordentlic) beweglichen Jungenförper, deſſen Mo: 
tion eine auögebildete Muskulatur bewirkt. Be: 
tradhtet man vorerft den äußeren Teil des Zun: 
genbeines an dem Kopfe eines vom Federbalge 
entblößten Edelfinfen (Fig. 3a), jo gewahrt 
man die beiden Zungenbeinhörner (aa—bb). 
Dieſe verteilen fih von ihrem Urfprunge am 
Zungenbeine (Z) aus beiderjeitö unter den Ge— 
weben des Unterfieferö und ziehen fih von da 
am Rande des Hinterfchäbels herum, um ſich 
neben dem Genide rechts und links anzuſetzen. 
Die Figur 3b zeigt und den ganzen Muskel— 
apparat am Zungenförper um die Stimmrite 
oder den oberen Kehlfopf. Wir finden bajelbjt 
den Zungenbeinheber (h) während des Singens 
thätig, indem er die Zunge lüftet; zugleich zieht 
der mit dem außerordentlich gefhmeidigen Bel: 
lengewebe verwachfene und mit dem Kopfe der 
Zungenbeinhörner (bei k) verbundene Euvierfche 
musculus ceratohyoideus (Musfel der Zun: 
genbeinhörner) (b—b) die Zungenfpige (Z) 
ein wenig abwärts und zugleich den mittleren 
Bungenteil etwas zurüd‘, wodurch fich Die Stimm: 
rige in dem Zungenförper etwas öffnet. Durch 
ftärferes Heben der Zunge mittelft des ent- 
jprechenden am Unterkiefer verzweigten Mus: 
fel3 wird hingegen ein Vorfchieben der Zunge 
und hierdurch ein Verengern der Stimmrige be: 
wirft. Es entdedt fich hier dasſelbe Geſetz, wie 
an den Einfchnitten der Orgelpfeifen. Je feiner 
und enger die Einfchnitte an denfelben fon: 


317 


ftruiert find, deſto höher fteht der Ton derfelben. 
An der Nachtigall und Singdrofjel find die 
Musfelvorrihtungen zur Zufammenziehung oder 
Verengerung der Stimmriße ſtark ausgeprägt. 
In der That gewahren wir in dem „Ziehen“ 
der Nachtigall auch jene prägnante Höhe der 
Töne, und der Drofjelfchlag zeichnet ſich aus 
durch jilberhelle hohe Laute und Paffagen. 

Bei diefen und anderen Hauptfängern fpielt 
die ganze Muäfelvorrichtung der fein organi: 
fierten Zunge alle Augenblide durch heftiges 
Vihrieren, Heben, Vor: und Zurückſchieben diejes 
beweglichen Organes. Aber an dasjelbe ſchließt 
ſich ferner die Luftröhre mit der bejchriebenen 
Trommel und der Gabelverzweigung ebenſowohl 
dienftbar als jelbjtthätig und mufifalifch für: 
bernd an. Um nun das Movens diejer Vor: 
richtungen fennen zu lernen, müfjen wir vorerft 
die Zeichnung Fig. 3b nochmals einer näheren 
erflärenden Betrachtung unterziehen. 

An den Bändermusfeln um den unteren 
Kehlfopf oder der Trommel (T, Fig. 3b) be: 
finden fich beiderfeits jehnenförmige Musfeln 
(m— m), von welchen rechts und links je einige 
am Brujtbeine anhaften und fich in jchmaleren 
(b—b) verzweigen. Mittelft Zufammenziehens 
diejer Muskeln vermag der Vogel die Luftröhre 
zu verfürzen refp. abwärts zu ziehen und unter 
Hilfe der bänderförmigen Muskeln unmittelbar 
an ber Trommel diefe zufammenzubrüden. 

Neben den befferen unferer Singvögel ift 
diefe Muäfelvorrihtung ganz bejonders aus: 
geprägt bei unferem Stare. In Figur 5 habe 
ich diefe merfwürdige Vorrichtung in ihrer brei- 
ten Muskulatur um den unteren Kehlfopf in 
natürlicher Größe abgebildet. Hier fehen wir 
die Kontraftionämusfeln eine Strede weit an 
der Luftröhre hinauf angelegt und eine ebenfo 
ftarfe Musfelvorrichtung wie bei der Singdroſſel 
fi) einerjeits anfegen an diefe Bänder, ander: 
feitö an dem Brujtbeine ſich verzweigen. 

In diefer Vorrichtung erklärt ſich der eigen: 
tümliche Gejang oder vielmehr das Balzen diejes 
einheimifchen Vogels, ſowie — nebenbei be: 
merkt — das Schwaben vom Häher (Corvus 
glandarius). Wenn der Star feine abjonder- 
lihen Balztouren mit dem Anarren, Anappen 
und Kneifen, das Blaufehlden (Cyanecula 
suecica) fein dudelfadartiges Schnurren, ſowie 
der Häher die myjteriöfen Schwaßlaute anheben, 
fo ziehen fi) die furzen jehnigen Muskeln an 
der Trommel mit den ftarfen an den faden— 


318 


förmigen zufammen, verfürzen die Luftröhre, 
verengern die Trommel und prejlen die Luft 
aus der leßteren abwärts in die Zungen und in 
die mit derſelben verbundenen Luftzellen der 
Brufthöhlung zwiſchen dem Gabelbeine. Um: 
gefehrt wird die jo zufammengepreßte Luft einer: 
jeit3 durch Verlängern der Luftröhre während 
des In⸗die-Ruhe⸗Kehrens oder der Ausdehnung 
der Kontraftionsmusfeln, andernteils durch Zu: 
fammenziehen der Bauchmusfeln teilweife wieder 
in die Trommel und Luftröhre vorgetrieben. 
Durch dies abwechjelnde Spiel des Muskel— 
apparates entjteht das charakteriftifche myſtiſche 
Geflüfter der genannten Vögel. Beim Stare 
vornehmlich ift diefe Thätigkeit der Singmuskel⸗ 
vorrihtung auch äußerlich ſchon fichtbar. Co 
lange fein heimliches, täufchend bauchredneriſches 
Balzen währt, fit er mit gefrümmter, einge: 
zogener Kehle und aufgeblajener Brufthöhlung, 
erſchallt aber das ſtoßweiſe fräftigere Anappen, 
Kneifen und Schnalzen oder die nahahmenden 
vernehmlicheren Rufe und Strophen, jo biegt 
er ben Hals vor unter Aufblähung der Kehle 
und Einzwängen des Schwanzes und unter 
gleichzeitigem Zufammenziehen der Bauchmus— 
feln; wogegen er entjchiedener den Hals redt 
und den Schnabel weit öffnet, ſobald die lauten 
Töne, wie der Schäferpfiff oder die grellen Zanf: 
ftrophen hörbar werben. 

Diefer Vorgang des Zurüdprefiens und 
Vordrängens der Luft in Zungen und der Kehl: 
vorrihtung bringt uns zu einer anderen merf: 
würdigen Eigentümlichteit des Bogelorganis- 
mus, Nicht allein, daß fich in den kleinen, mit 
der hinteren Bruftwand verwachſenen, ſtark- und 
weitzelligen Lungen neben den vielfachen hohlen 
Räumen, ſowie dem jadartig gebildeten Zellen: 
gewebe des Bruftraumes wahre Luftrefervoire 
bilden (die ja neben den teilmeife noch Luft: 
führenden, markloſen Knochen den Vogel zu 
einem wahren Tiere des leichten Elementes ge- 


ftalten), fondern der Atmungsprozeß geht auch | 


noch ohmedies in einer umgefehrten Weife von 
ftatten, wie bei den Säugetieren. Indem der 
Vogeldurd Kontraktion feiner Bauch: und Bruft: 
musfeln ein Ausftoßen der Luft aus Lungen und 
Luftzellen bewirkt, erfolgt das bei den Säugern 
mit Anftrengung verbundene Einatmen im Vogel: 
förper mühelos, indem die zufammengezogenen 
Muskeln durch Ausdehnung wieder zur Ruhe 
fchren. Unfer erftauntes Ohr hört aud) des- 
wegen die Nachtigall das berühmte „Ziehen“ 








Adolf Müller. 


und „Tiefen“ in ihrem Gejange oft mehr wie 
ein dußendmal, die Himmels: und Waldlerche 
ihre Konzerte bei halbjtündigem Schweben und 
Kreifen in der Luft unermüdlich ausführen. 

Wir können nad) diefen zergliedernden Vor: 
unterfuhungen und erläuternden Erklärungen 
jet übergehen zur Schilderung des Charakters 
des Vogelgejanges. 

Diefer prägt fih, da er nad der Ausein— 
anderjegung eingangs unferer Betrachtung ein 
Produkt feelifher Empfindung ift, je nad) der 
Gemütsftimmung des Yndividuums ungemein 
verjchieden, mannigfaltig aus. Im Hinblide 
darauf läßt fih der mufifalifhe Vortrag der 
Vögel der äußeren Form und dem inneren Cha= 
rafter nad) verſchieden betrachten und benennen. 
Man unterjcheidet demnach die Produktion diefer 
Naturkinder muſikaliſch-begrifflich als Schlag, 
Lied und Gezwitſcher. 

Der Schlag iſt ein mufifalifcher Vortrag von 
furzer, abgebrochener, merfbar gegliederter und 
Iprechender Ausprägung auf der Grundlage einer 
entſchiedenen Leidenjhaftlichkeit, eines lebhaften, 
ftarfen Temperamentes. Die Nachtigall, der 
Sproffer, unfere Drofieln, die Heide: oder 
Waldlerche, der Pirol, der Edelfinfe, Hänfling 
und Stieglig bejigen in diefem Sinne einen 
Schlag. Dem Schlag zur Seite ſteht das Lied, 
eine mehr zufammenhängende, fließende, fing: 
bare Form, getragen von einer ruhigeren, janf: 
teren Gemütsbewegung. Das Lied ijt vorherr: 
ſchend Iyrifchen Charakters, während der Schlag 
oder jchlagartige Gefangesftrophen ſich einer 
dramatijhen Ausprägung nähern. Von min: 
derer mufifalifcher Bedeutung ift das Gezwit: 
ſcher. Es entbehrt einer merfbaren Gliederung, 
nimmt alfo durch vielfach verworrenes nein: 
andergreifen von Tönen eine unbejtimmte, ver: 
ihwommene Form an, welche jih noch erhöht 
durch den Vortrag leifer, gewöhnlich auch höherer 
Laute. Kommt hier die Gemütsbewegung nur 
ihwad und undeutlich zum Vorjchein, jo erhebt 
fich Lied und Schlag auf den gefteigerten Wellen 
der Eimpfindung zum deutlich mufifalifhen Aus: 
drude, Entzüden verfündend und ein Gleiches 
in unferer Seele erwedend. 

Es ift dargethan, daß das Gefangsvermögen 
des Vogels eine freie Mitgift der Natur fei, 
ähnlich wie das Talent und Genie des Mu: 
fifers und Dichters unter der Menfchheit ſich 
offenbart. Nur erjcheint ‘die Himmelögabe ber 
gefiederten Wefen noch mehr von dem Hauche 


Der Gefang ber Dögel, 


bes Unmittelbaren durchweht. Sie ift deshalb 
auch unveränderlicher, ein reines, unberührtes 
und unverfälichtes Etwas, das feine „Kultur 
beledt”. Aus dem reinen Borne der Natur 
geihöpft und fortwährend von ihm genährt und 
erfrifcht, erbt fi die Begabung fort und fort 
von der Art zur Familie, von diefer zu Ge: 
ichlechtern und Generationen als ein einiger, 
ewig ſich verfüngender Gejang, als ein unjterb: 
liches Lied. Aber nicht etwa bloß vom Vater 
erlernt der Sohn feine Weiſe; nein, diefe eben ift 
das ewig Unveränderliche, Urfprüngliche, das in 
und aus ſich felber jo wunderbar und erftaunlich 
ſich in feiner Reinheit erhält. Doc nur in der 
freien Natur beſteht diefe Gabe der Unmittel: 
barfeit, nimmermehr in der Gefangenichaft. In 
diefer jtirbt der Keim des Urfprünglichen. Kein 
junger, dem Neft entnommener Vogel gelangt 
je auch unter der forgfältigiten Pflege und Er: 
ziehung nur annähernd zur Volllommenheit 
feines charakteriftiihen Gejanges, defien Ele: 
ment allein der Odem der Freiheit it. Der 
Zögling der Stube und des Käfigs verfommt 
und finft herab zum talentlofen Stümper. 

Der Vergleich unferer Naturweſen mit 
menſchlichen Geiftesgaben und Verhältniffen 
rückt immer und immer wieber dem Forfchenden 
nahe. Diejer erkennt, wie bei feinesgleichen, 
fo auch bei jeinen Brüdern in der Natur die 
Thatſache, daß der Zuſtand des beglüdenden 
Behagens, das höhere Stadium der Angeregt: 
heit Grundbedingung zur Ermwedung des Ge: 
fanges ſei. Wie der begeifterte Mufifer oder 
Dichter erhebt fich der Vogel auf den Wellen 
leiblicher und ſeeliſcher Harmonie im Jubel jeiner 
fingenden Kehle, ein gottbegabtes Wefen. Das 
Bild der von der Erdſcholle aufjteigenden Lerche 
gibt ihm beredt die Wahrheit fund: der Körper 
folgt aufwärts dem Wonne: und Jubelgefühle 
der Seele mitden himmelhellen Weifen zur Wol- 
fenhöhe. 

Wir jahen, wie der Charakter des Vogel: 
gefanges nad) dem Grade der individuellen Ge: 
mütsverfafjung, dem Temperamente, fi als 
Schlag, Lied oder Gezwitſcher kennzeichnet. 
Aber auch nah) dem Tempo, dem Rhythmus, 
ber Beugung und Form des Vortrages charak— 
terifiert fi der Vogelgefang, was nachher ein: 
gehender erörtert werben mag. 

Verfolgen wir die Ausprägung der Ge: 
fänge bei den verfchiedenen Sängerarten, fo 
treffen wir hier eben wohl wieder auf viel Ana— 


319 


loges mit menschlichen Kunftzuftänden. Wir 
ftehen auf Grund diefer Wahrnehmungen des: 
halb gar nit an, auc hier wieder in dem 
Rahmen unferer Betrahtung Menjchliches mit 
Thatfählihen im Tierreihe in lebendigen 
Vergleich zu bringen. 

Alle Muſiker der Natur lafjen fich in zwei 
großen Gruppen vereinigen und betrachten. 
Die eine repräfentiert Durch ihre ureigene Gabe 
die Originale, und wir bezeichnen fie durch dieſe 
ausgeprägte Gelbftändigfeit in ihren Kunſt— 
leiftungen naturgemäß und folgerichtig als 
Driginaljänger. In ihre Bruft ift der Götter: 
funfen des Urgefegmäßigen gelegt, aus dem 
heraus fich ber jeder Art das bejondere Eigen: 
tümliche zur höchiten Vollfommenheit der Natur: 
poefie entfaltet. Die Vertreter der anderen 
Gruppe darafterifieren fich entjchieden in der 
Fertigkeit, Fremdes entweder durch treue Nach— 
ahmungsgabe oder vermittelit geihidter Ver: 
ihmelzung und Verarbeitung fih anzueignen. 
Gemahnt uns diefe Gabe nit an das Pot: 
pourri in unferer menſchlichen muſikaliſchen 
Sphäre? Gewiß, es find diefe Künftler den 
Reproduzenten in den Reihen unferer Muſiker 
vergleihbar. Sie find Virtuofen, geichidte 
Verarbeiter des Eigentümlihen, das fie den 
Driginalmufifern, diefen Götterbegünftigten, 
abgelaufcht haben. Sie find gegenüber ihren 
begabteren Brüdern, den Driginalgenies, bloßen 
Talenten oder Routinier gleihzuachten. Man 
könnte fie Potpourri = Sänger oder Mifcher 
nennen. Das Wolf hat fie bereits mit dem 
Namen Spötter oder Spottvögel getauft. 

Aus den Reihen unferer befjeren heimifchen 
Sänger treten in die Gruppe der Driginale die 
Nachtigall, der Sprofier, die Sing:, Schwarz: 
und Mifteldroffel, der Pirol, die Feld: und 
Waldlerhe, einige Grasmücdenarten, das Not: 
fehlchen, der Fitis oder große Zaubvogel (Sylvia 
fitis, Bechit.), der Baumpieper (Anthus arbo- 
reus), der Zaunfönig, der Edelfinfe, Stieglig 
und Hänfling. In der Gruppe der Potpourri— 
fänger find die hervorragenditen einige ein: 
heimische Würger, befonders der rotrüdige oder 
Dorndreher (Lanius spinitorquus v. col- 
lurio), die Baftardnadhtigall (Sylvia hippo- 
lais), der Sumpficilfiänger (Calamoherpe 
palustris) und unfer Star. 

Zwiſchen diefen beiden Abteilungen befinden 
ſich wohl Uebergänge, Hinneigungen von dem 
einen zum anderen Genre. So mengen die im 


320 


ganzen überwiegend eigentümlichen Sänger, die 
Ihwarzföpfige und graue Grasmüde (Curruca 
atricapilla et hortensis), in ihr Gezwitſcher 
Gejangstouren und Rufe anderer Vönel, wie 
von der Singdroſſel, der Schwarzamfel, des 
Pirol u. a. m., während wiederum 3. B. dem 
Stare bei ‘feiner vorherrichenden Neigung zur 
Nahahmung das Balzen eigentümlich ift. Doc) 
alles in der Hauptjache betrachtet, fondern ſich 
die genannten Wogelarten in die geichilderten 
Grenzen. 

Verfuchen wir nun den Reichtum der Vogel: 
gefänge nad) der charakteriftifchen Ausprägung, 
den Tonbeugungen, den Schattierungen und 
Nuancen nad Form und inhalt zu Fennzeichnen. 

Jede Driginal:Sängerart hat ihre ureigene 
Meife, ihre Liedesform. Meift und treffend 
fpiegelt fih in der mufifaliihen Ausprägung 
das Weſen des fingenden Vogels ab, und da 
das Temperament hauptfächlich den Grundton für 
den Geſang abgibt, fo fommt die vorherrfchende 
Eigenheit des Weſens, das Gepräge des Ge— 
mütes bei vielen Vertretern der Sippen, ja 
ganzer Familien zum Ausdrud. Die rapiden, 
feurigen Finfen fennzeichnet der Geſang als 
Allegro: und Prefto-Sänger. Die bedädtige, 
einfame Schwarzdrofjel wählt zu ihrem Liebe 
mit wehmütigem Anhauche das Andante, die 
gewichtige, ſchwerfällige Mijteldrofjel das Largo 
oder Yarghetto, das zarte Notfehlchen hält feine 
feierliche Weife ebenfalls in ruhigem Tempo 
und Rhythmus, der fich in rührendem Tremulo 
dem Charakter der Elegie nähert. Der fenti: 
mentale Baumpieper und der liebliche, ſanfte 
Fitis verfinfen in der Wonne ihres Frühlings— 
liedes in ein hinfterbendes Diminuendo der Se: 
ligfeit. Der Pirol und die Singdroffel rufen 
ihre melodiſchen, echoweckenden Rufe recitati- 
viſch in die Wälder, während die lehtere auch 
wieder mit den Meifterfängern unferer heimi: 
fhen Fluren und Wälder fi an gar fein be: 
ftimmtes QTempo oder irgend einen gleihmäßt: 
gen Rhythmus bindet, fondern ihre reihe muſi— 
faliihe Empfindung in den abwechjelnditen, 
überrafhenditen Formen und Schattierungen 
entitrömen läßt. Co die Königin des Natur: 
geſanges, die ſich in der Begeifterung durch den 
Schwung der Ode bis zur dramatifchen Ent: 
faltung erhebt; jo der Sprofjer, der in der | 
iprechenden Weije feines Vortrages das gewich— 
tige Pathos des Kothurns erflimmt; fo die 
Singdrofjel, die fih aus dem Recitativ in das 


Adolf Mäder, 


Uebermaß der Dithyrambe verjteigen kann; fo 
die herrliche Feldlerche, deren Gefang die Lieb- 
lichfeit der Idylle wie den Strahlenglanz des 
Hymnus beherriht. — Selbjt in den unteren 
Stufen unferer Singuögel behaupten viele ty: 
piſche Selbitändigfeit. Wir erwähnen hier nur 
die braven, draftiihen Mufifanten, die Meifen, 
mit deren bejtimmtem, heiterem Weſen Rufe 
und fangartige Bartieen treffend übereinftimmen. 

Ein bedeutender Abftand von den Meijter: 
fängern der Natur bildet der Uebergang zu den 
Vertretern des Potpourri. Hier begegnen mir 
der Produktion zweiten Ranges oder vielmehr 
der Neproduftion. Wir empfangen die Weijen 
nicht aus der Urquelle, fondern ein Erborgtes, 
und hierzu gejellt fich auch noch der regenbogen: 
farbige Charakter des Potpourri, der Mifch: 
maſch eines bunten Allerlei. Zwar ift die Nach— 
bildung bei dem hervorragendften Vertreter des 
natürlichen Rotpourri erftaunenswert treu. Der 
rotrüdige Würger zaubert uns aufs täufchendite 
aus feinem oft bedeutend reichhaltigen Repertoire 
von entliehenen Liedern, Geſangsſtrophen, Yod: 
tönen und Naturlauten ein wahres mufifalifches 
Panorama vor die Seele: denn mit den Ein- 
drüden, die das Gehör empfängt, verkörpern 
fih auch unferem inneren Auge die Weſen, 
deren Stimmen fo ſprechend ähnlih wieder: 
gegeben werden. Nein und äußerſt wohlklingend 
läßt aud der Sumpfichilffänger feine reichen 
Neminiscenzen vor unferem Gehöre vorüber: 
gehen; aber es ift dieſes Neproduzieren einem 
Scattenfpiele vergleichbar, das Bild an Bild 
in einer ununterbrodhenen Reihe ohne Raſt und 
Ruhe flüchtig hinwirft, um es ſogleich durd an: 
dereö zu verdrängen. Die Baſtardnachtigall 
verdirbt nicht wenig durch das Störende ihrer 
freifhenden Laute, die fie plößlih in den 
Schmelz ihrer ſchönen, harmonischen Pafjagen 
bajazzoartig hineinwirft. Der Star endlich iſt 
ein bauchrednerifcher Künftler, ein Muſikant, der 
den Eindrud geteilt hält zwiichen treuer Nach: 
ahmung und dem beharrlichen Bejtreben, feinem 
ſchwachen Organe über die Schwierigfeiten, die 
ihm die Nachbildung fo mancher Tonweiſen be: 
reitet, Hinauszuhelfen, wobei er durch die großen 
Anftrengungen, die er aufwendet, durd Auf: 
blafen der Kehle, Einfneifen des Schwanzes, 
Schlagen der Flügel und in der Efitafe aud) 
bisweilen durch einen Liebestanz, eine komiſche 
Seite bietet. 

Aus diefer Skizzierung ſchon läßt fi er: 


Der Gefang der Dögel, 


jehen, daß der Vortrag eines Potpourrifängers 


| 
| 


wohl unfere Bewunderung und unfer Erjtaunen | 


erregen fann; wie der Geſang eines Original: 
jängers aber vermag er und nimmer zu rühren 
und zu begeijtern. 
uns jedoch immer nod durch das Intereſſe, 
welches wir an den Weſen nehmen, deren Wei: 
fen uns fo täufchend vorgetragen werden, um 
fo regeres Intereſſe, weil die Vortragenden 
eben wohl ſelbſt noch wahre Kinder der Natur 
find. Darum berühren uns diefe Reproduk— 
tionen aud unendlich viel angenehmer als 3.8. 
die Künftelei eines menſchlichen Mundes, der 
Strophen einer Nachtigall oder Singdroſſel, 
wenn auch gut, nachzubilden verfteht. 

Co außerordentlich mannigfaltig und ab: 


wechſelnd in Melodie und Harmonie, in Tempo | 
und Rhythmus, in individueller Nuancierung 


und Tonfarbengebung der Gefang der Vögel 
fich erweiſt, nichtödeftomeniger läßt fich doch ein 


Uebereinftimmendes in allen diefen Gefängen | 


darthun: die Thatjache nämlich, daß fich die: 
jelben ftet3 in Quinten und Terzen bewegen, 
weil fie eben aus den natürlichen Grundtönen 


diefer Charakter in den einfacheren Liedesfigu— 
ren, Säten und Rufen unferer gefiederten Mu- 
fifer aus. Miele diefer Weifen find wegen 
ihrertreffenden Eigenheit auch populär geworden. 
Der Bollsmund hat fie überjegt, ihnen Worte 
verliehen. Mer fennt nicht den Tert zu dem 
einfachen Liedchen des Goldammers: „Weißt 
nicht, wo mein Nejtchen fteht?* Wer hört 
nicht aus dem Minnellang der Kohlmeife die 
Worte heraus: „Spitz' die Schar?” Diefe 
beiden Klangfiguren mögen beiſpielsweiſe ge: 
nügen; aber beide geben deutlih und treffend 
den Tonfall abwärts in die Terze an bei den 
Worten „ſteht“ und „Schar“. 

Obgleich bei einer und derfelben Vogelart 
das individuelle in verfchiedener Beugunga, Ab— 
wechslung und Tonfärbung, felbjt im Rhyth— 
mus fi kennzeichnet, jo hört fich doch der 
Grundcharakter der Meife deutlich heraus. Wir 
bemerfen dieſen Grundtypus noch bei zufammen: 
gehörigen Vogelarten, bei den Vertretern gan: 
zer Bogelfippen und Familien, wohl ein Finger: 
zeig, daß fich in großen Zeiträumen aus einer 
primitiven mufifalifchen Anlage heraus allmäh— 
lich die Mannigfaltigkeit gebildet und verzweigt 
bat, welche uns jett innerhalb vieler Sippen 
und Familien im Gefange zu Gehör dringt. 


H 
’ 


Die Nahahmung feijelt | 











321 


Denn der Vogel ift — wie wir willen — ein 
Individuum, ein feelifches Wefen, und da jchon 
die Leibnizihe Behauptung wahr ift, daß Fein 
Blatt dem anderen gleich jei, wie viel weniger 
gebunden an eine Schablone, eine jtarre Regel 
erfcheint das freie organische Einzelwefen. In 
der That variiert und moduliert der Geſang mehr 
und weniger individuell bei jeder Sängerart. 
ja, e8* gibt befonders bevorzugte Individuen, 
die es in ihren Leitungen weit über das ge: 
wöhnliche Niveau der Fertigkeit ihrer Artbrüder 
bringen, die fraft ihrer größeren Begabung ſich 
zur Höhe der Erfindung erheben und neue Bil- 
dungen und Formen im Gefange erringen. Die 
merfwürdigen „Doppelichläger” unter den 
Edelfinfen find befannt, und ein bevorzugter 
Urahne derjelben war gewiß Bildner diefer aus: 
gezeichneten Form gemweien, ſowie wir felbjt 
einftmal3 einen originellen Edelfinfen gehört 
haben, der, ganz abweichend von dem oft be: 
ſchriebenen gewöhnlichen Doppelichlage, einen 
ganz eigentümlichen Schluß feinem Gejange ver: 
lieh, indem er das fchöne, ſprechende, oft ab: 


wechſelnde Ende feines Schlages drei⸗, aud) vier: 
fih zufammenfegen. Am deutlichiten fpricht ſich 


mal hintereinander in vollem Crescendo wieder: 
holte. Hören wir doch den Kudud in feinem 
erotischen Eifer fihmwahrhaft überjtürzen, jo daß 
ſtatt des zweifilbigen „Kuckuck“ ein mehrfilbiges, 
bald zufammenhängendes, bald abgebrochenes, 
verſchieden betontes und gefärbtes „Kududud“ 
erſchallt. Welcher Kenner des Vogelgeſanges 
hätte nicht ſchon eine überrafhend neue Wen— 
dung oder Beugung, eine ganz neue, noch nie 
gehörte Strophe, eine Paflage bei einer Meijter: 
jängerin Nachtigall plötzlich entdedt? Das ift 
das Produkt der Begeifterung, der Haud vom 
Augenblid des freien Schaffens, der ſich auch in 
das Eleine VBogelherz jenkt, um neue Blüten des 
Geſanges zu weden. Gewiß, dem aufmerf: 
ſamen Naturfundigen ift es zweifellos, daß der 
Vogel in befonders erregten Momenten ſelbſt— 
thätiger Produktivität fähig iſt. 

Neben der natürlichen Begabung ift es aud) 
die landfchaftlihe Umgebung, die Natur feiner 
Heimat, die bildend und ummandelnd auf das 
leicht empfängliche Weſen des Vogels wirft. 
Und fo fommt ein Nehnliches in dem muſika— 
lichen Vortrage des Vogels zum Borfcheine, 


| wie bei der menschlichen Sprade: der Dialekt. 


Der Vogel des Gebirges fingt thatſächlich oft 

anders als fein Artbruder in der Ebene, Die 

tiefe Einfamteit, die abgefchlofiene, reine Natur 
41 


322 


der Gebirgägegenden find ein anderes Medium 
al3 die unruhigen, lauten Strihe des Flach— 
landes. Hier tritt die Wahrheit des Goethe: 
ichen Spruches in Aktion: „E3 bildet ein Ta- 
lent fi in der Stille“. Und in der That, die 
Singbroffeln der Gebirgshöhen haben dies uns 
deutlich bewiefen, und in herrlicher Weife ver: 
volltommnet, tönte uns dafelbjt das Lieb der 
Feldlerhe zu Gehör. j 

Noch iſt fich über die Zeit der Höhe bes 
Vogelfanges zu verbreiten, 

Wir haben im allgemeinen behauptet, daß 
zur Erwedung des Geſanges das höhere Sta: 
dium der Anregung, der Begeifterung gehört. 
Diefe Anregung kann aus verfhiedenen Ur: 
fachen entfpringen. Es wird manderfeitö von 
der Teleologie fogar behauptet, daß die Regung 
des Geſchlechtstriebes einzig und allein die Ur: 
ſache des Gefanges fei. Diefe materialiftifche 
Anfiht par excellence widerlegt der Vogel 
durch fein Mefen und feinen Wandel felbit. 
Diefe beweglichen, hochlebigen Kinder des 
Augenblids, diefe Tiere des Lichtes und ber 
Wärme — fördert nicht ein milder Blid der 
Sonne, das Behagen nah einer reichlichen 
Mahlzeit ihren Gejang, mie gegenteilig ein 
rauher oder trüber Regentag, Mangel an Nah: 
rung das Lied verjtummen läßt? Singen nicht 
unfere Zugvögel, alt wie jung, beim herbftlichen 
Sceiden in die Fremde? Aber freilich anders 
ift da das Vogellied gefärbt. Es find Grüße 
des Abſchieds, ein leifer Hauch der Wehmut 
ipielt durd die Saiten der Bruft, und die 
Liedesmweifen ertönen leife, gedämpft und abge: 
brochen gleihfam als Neminiscenzen an die ent: 
ſchwundene ſchöne Sommerzeit; — ober e3 
find Klänge der erwachenden Wanberluft, die 
fihh in die Strophen des Abjchiedes von der 
Heimat belebend mifhen. Doch gleichviel, 
welche Empfindung die vorherrichende ſei, die 
Urſache des Geſanges zur Herbitzeit Fann feine 
gejchlechtlihe Erregung fein. Sagen's dod) 
auch manche unferer Standvögel, wie der Stieg: 
(ig und Hänfling, der Zaunfönig und ber 
Waſſerſtar mit anderen, die mitten im Winter 
bei freundlihen Sonnenbliden ihre lieben mun— 
teren Stimmen erheben! 

Gleichwohl — erllären wir nad dieſer 
Miderlegung irrtümlicher extremer Behaup: 
tungen auf Grund der fprechenden Thatſachen 
— gleihwohl ift das allgewaltige Gefühl der 
Liebe das Hauptmotiv des Vogelgefanges. Und 


Heinrich Noõ. 


was Wunder, wenn hier eine ſelige Empfindung 
die andere weckt! Des Frühlings ſiegende 
Macht führt den befiederten Wanderer aus der 
Ferne in die ſehnſüchtig erwartete, lang ent— 
behrte Heimat, die Liebe erwacht mit ihrem 
überwältigenden Zauber, und diefe Gefühle ver: 
einigen fi zu einer hohen Seligkeit — wie 
natürlih, wenn diefe die Herrlichiten Blüten 
des Gejanges erzeugt! 

In lebendiger Erinnerung an dieſe zaube- 
rifche Epoche der Natur wiederholen wir unfere 
eigenen, ſchon früher ausgeſprochenen Worte 
über diefen Gegenſtand: „Eine der herrlichſten 
Entfaltungen des Naturlebens ift der Geſang 
der Vögel. Oeden beleben fi durch feinen 
Zauber, und oft ftrömt Trojt und Frieden in 
die franfe Seele des Menfhen bei dem Klange 
der Melodieen diefer Himmelskinder. In jedem 
empfänglichen Gemüte flingen deshalb auch die 
Saiten fympathetifcher Liebe auf für diefe herr: 
lihen Geſchöpfe. Diefe Liebe, pflegen und 
hegen wir fie fort und fort zur Erhebung und 
Zäuterung unferer Seelen!” 


„Und wie nad) hoffnungslofem Sehnen, 
Nach langer Trennung bittrem Schmerz, 
Ein Kind mit heißen Neuethränen 

Sich ftürzt an feiner Mutter Herz; 

So führt zu feiner Jugend Hütten, 

Zu feiner Unfchuld reinem Glüd, 

Bom fernen Ausland fremder Sitten 
Den Flüchtling der Gefang zurüd, 

In der Natur getreuen Armen 

Bon kalten Regeln zu erwarmen.” 


Im finflern Wald. 
Bon 


Seinrih Moe, 


[8 dem Menſchen noch findliches Bewußtſein 

innewohnte, lebten feine Götter nicht in 
Häufern, die er ſelbſt gezimmert hatte. Er er: 
blidte fie auf den Höhen der Berge, wo fie 
dem Himmel nahe waren, von deſſen Erjchei: 
nungen oft fein Wohl und Wehe abhing. Die 
Wolfen der Gipfel dienten ihnen als Sig und 
Vorhang. Oder fie wohnten in der Nacht der 
Erde, in unnahbarem Dunkel der Höhlen, von ' 
wo fie wunderlihe Stimmen vernehmen ließen. 


Im finſtern Wald. 


323 


Dft auch date er fi diefelben in der Däm: | ihre Gepflogenheit und Sinnesart mittlerweile 
gänzlich umgeändert hat. 


merung der Wälber. 
Er fcheute, verehrte die Gewalten, die ihm 


| 


Götter waren, zu fehr, als daß er fie fi in | 


der Beichränfung von vier Mauern und einem 
darüber geſetzten Dache hätte vorjtellen können. 
Ansbefondere mochte er das Anrühren des 
Menſchen an die Behaufung freier und mäch— 
tiger Weſen als Schändung betradhten. Das 
Anfaſſen der Natur durch den Menjchen, wel: 
her Zmwede der ihm vorſchwebenden Nütlichkeit 
verfolgt, ift unreine Berührung. Ob dieje Be: 
rührung notwendig ift oder nicht, wird nicht in 
Berüdfihtigung gezogen. Noch heute regt ſich 
ähnlihe Empfindung in jedem Menjchen, der 
von der Bildung noch nicht um altes Erbe ge: 
bracht ift. Eine Bergipise, auf welde noch 
niemand feinen Fuß gejeßt, eine Höhle, deren 
atlasjchillernde, blühweiße Stalaktiten nie der 
Rauch der Fadel einhüllte, einen Wald, defien 
Wachstum nie durd die Schärfe des Eijens 
unterbrochen wurde, ſchaut er anders an, als 
überlaufenen Boden. 





Humboldt fhildert uns den Eindrud des | 
Urwaldes der neuen Welt als einen mächtigen, | 
weil ungezählte Meilen weit in der Runde ſich 


fein Menſch befindet. 


Es drängt fih in der 


Unabfehbarfeit diefes grünen, wuchernden Lebens 
dem Wanderer die Ahnung auf, als ob der 
Mensch, der fi ala den Mittelpunkt der Welt 
hinjtellt, nicht notwendig in deren Ordnung | 


gehöre, oder, anders gejagt, daß ein end= und, 
nad) unjerer Weiſe zu benfen, auch zwedlojes 
Meben und Geſtalten fortgeht, ob es Leute 
gibt oder nicht. Uebrigens lernen wir ja das 
auch aus der Gejhichte der Erde, ſowohl der 
Vergangenheit, als der vorausfichtlichen Zukunft, 


daß die Erſcheinung des Menſchengeſchlechtes 
auf derſelben nur als Epiſode, als ein Traum: | 


umriß unter zahllofen anderen zu betrachten jei. 
Wie im Angefichte des Urwaldes, fo aud) 


in dem des Meeres zeigt es ſich, daß der 


Eindrud auf der Herrlichkeit der Natur beiteht, 
an welcher der Menſch nichts geändert hat. 
Denn 


.... ten thousand fleets sweep over thee in vain. 


Darum ſpricht man von der heiligen Salz: 
flut und darum auch vom heiligen Wald. 

Es ift wunderlich zu jehen, wie nad) unbe- 
ichreibli langen Zeitläufen die Menfchen in 
alte Neigungen zurüdfallen, wenn gleich ſich 


| 


In uralten Zeiten pilgerten Andächtige 
den Wohnungen der Götter, hohen Gipfeln, 
entgegen. Von den „vier Wo“, den vier Bergen 
in China an, auf welchen der Kaifer alljährlich 
dem Schang Ti opfert, bis zum Tempel des 
Pofeidon auf ſchwindelndem Borgebirge helle: 
nifcher Küfte und den Klüften des hohen Büßer— 
berges Montjerrat, gingen ungezählte Scharen 
nad weihevollen Höhen, um dem Weberirdifchen 
näher zu fein. Der moderne Menfh, folder 
Empfindung ledig, hat das Erflimmen der 
Höhen als Beluftigung wieder aufgenommen. 
Er freut fich des weitern Blides und der vielen 
Gipfel, des großen Stüdes von Erdenrund, 
welches er überfchaut. Ihn bewegt der Gegen: 
ja zwiſchen der alltäglichen Einfchränfung in 
der Tiefe und dem großen Bild, das er leib- 
haftig jchaut. Mag fich die Form des Denkens 
verändert haben wie immer, Höhendienft it 
auch dies, Der Unterfchied zwiſchen dem Tiroler 
Bauern, der nad) dem herrlichen Weißenſtein 
empor pilgert und dem Touriften, der irgendwo 
auf einem Gipfel feine Landkarte entfaltet und 
feinen Kompaß zurecht legt, um das „Panorama 
feitzuftellen“, geht nicht bis in das innerite 
Weſen der Sadıe. 

So verhält es fi) auch mit der Verehrung 
des Waldes. Nah einem Kreislaufe vieler 
Jahrhunderte leben abermals für viele Men: 
ihren, welche der gebildeten Melt angehören, 
die Götter nicht in Kirchen, das heißt Häufern. 
Viele Naturverehrer unferer Tage, welche ihre 
freie Zeit auf Spaziergängen über Berge und 
durch Mälder hinbringen, äußern fich oft dar: 
über, nicht ohne eigenes Selbſtbewußtſein, das 
an die superbia spiritualis des Betbruders 
erinnert. In Aufjägen und Gedichten, in Ein: 
tragungen in Fremdenbüchern beliebter Sommer: 
frifchorte lieft man, daß die Verfafjer „ihren 
Gott nit in finftern Kirchen ſuchen“. Auch 
der „deutiche Gott” wohnt, wie wir von unferen 
Lyrifern wifjen, „nicht in Tempeln dumpf 
und tot“, 

Kehren wir zur Betradhtung der Empfin: 
dungsweiſe des einfachen, unverfünftelten Men- 
ſchen zurüd. 

Die ältejten Götter find elementare Ge- 
walten. Wenn man fie verförpert, fo ziemt 
ihnen der Aufenthalt im ungebändigten Raum, 
die Freiheit. 


324 


Darum vernahm der Menſch ihre Gegen: 
wart, ihren Atemzug im Raufhen der Blätter 
des Waldes, welher vom Wind bewegt wird. 
Sein Duntel war es bejonders aud, welches 
zum Eindrud geheimnisvollen und unnahbaren 
Maltens beitrug. Wir Europäer können uns 
dasfelbe nicht ohne weiteres vorjtellen, weil 
wir in unferen Ländern hinfichtlih des Wal: 
des faft nur Beifpiele einer ausgebeuteten Natur 
vor Augen haben. Um uns eines derjelben 
vorzuhalten, fteht dort der Markt Landeck in 
Tirol, wo vor fehähundert Jahren das Heilig: 
tum von „Unjer Lieben Frau im finjteren 
Wald“ im Dunfel der Aeſte von Fichten ge: 
borgen war, deren Didiht Wölfen und Bären 
ein Obdach bot. 

So galt der 
Wald als Stät⸗ 
te der Götter, 
als dieſe noch 
formloſe Ge— 
walten, Weſen 
ohne Umriſſe 
waren. Aber 

auch ſpäter, 
nachdem ſie 
ſchon beſtimmte 

tier⸗ oder 
menſchenähn⸗ 
liche Geſtaltung 
angenommen 
hatten, ließ man ſie noch immer ihre Lieblings— 
wohnungen in Wäldern aufſchlagen. 

Im hartnädigen Feithalten diefer Vorftel- 
lung erfennt man gleichwohl ſchon den Weber: 
gang vom Pantheismus zur Vielgötteret. 

Der erjtere ijt in Erinnerungen noch feines: 
wegs völlig verweht. Die Ueberlieferungen des: 
felben find allerdings verfümmert und zufam: 
mengeihrumpft, aber nicht vertilgt. Ja, als 
die vielen Götter zu gunſten eines einzigen 
verbannt worden waren, ift die Spur folcher 
Vorftellung noch immer nicht verwifcht. In 
Tirol und Bayern allein befindet fich noch heute 
ein Dutzend chriftlicher Mallfahrtsftätten, die 
vereinfamt mitten im Walde jtehen. Won jol: 
hen feien erwähnt: St. Georgenberg, Maria 
Tar (Fichte), Marta Yard (Lärche), Waldraft, 
Weißenſtein, San Nomedio, Unfer liebe Frau 
im Walde, Maria Eich bei München. 

Noch in fpäteren Zeiten, als die einft un: 
faßbaren Elementargötter fih insgeſamt ſchon 





Geinrich Noẽ. 


in eine oder mehrere ganz bejtinnmt umſchrie— 
bene Perfönlichfeiten umgewandelt hatten, be: 
gegnete man ihnen noch immer in Wäldern. 

Vielleicht hält man das für zufällig. Daß 
dem nicht fo fei, erfennt man aus dem Zorne 
der Monotheiften über die Andachten im Walde, 
Diefe fühlten, daß es fich hierbei um einen 
Nachklang von etwas Heidniſchem, de3 Glaubens 
an die Einheit von Welt und Gott, oder der 
jpäterhin aus ihm hervorgegangenen Berförper: 
lihung der Naturgewalten, alfo der heibnifchen 
Vielgötterei, handle. 

Wir finden in den heiligen Büchern der 
Menſchheit manchen Beleg hierzu. 

Der Prophet Hejekiel läßt Jehovah allen 
denen ihr Ver: 
derben anfünbi- 
gen, welche 
„unter grünen 
Bäumen und 
diden Eichen“ 
füge Rauch— 
opfer darbrin- 
gen. Dem Volke 
Israel lieft Je: 

remias den 
Tert, weil es 
„unter grünen 
Bäumen“ der 
Ausihweifung 
nachgehe. Se: 
ſaias fagt: „Die Sünder müfjen zu fchanden 
werden an den Eichen, an denen fie Luft haben.“ 

Wir werden uns nicht täufchen, wenn wir 
auch den Eifer mander Priefter bei uns, mit 
welchem fie jonntäglihe Spaziergänger tadeln 
und biejenigen für Sünder erklären, die ſich 
in Feld und Wald ergehen, ftatt in der Kirche 
zu fißen, für einen im Weſen verwandten Zug 
halten. Diejes Eifern ftammt aus gleichartigen 
Beweggründen. 

Die Vorſtellung, welche das unüberſehbare 
Leben eines unverſtümmelten Waldes mit der 
Macht der Gottheit, der Weltſeele oder dämo— 
niſcher Einzelweſen in Verbindung brachte, geht 
ſicherlich aus einer Auffaſſung der Dinge her— 
vor, welche eine urſprüngliche iſt und ſich einem 
naiven Sinn unmittelbar aufdrängt. Es be— 
greift ſich leicht, daß ein ſolcher die mächtigſten 
Herren im undurchſchnittenen, ungebändigten, 
vielſtimmigen Wald wohnen läßt. 

Unter den europäiſchen Völkern hat ſich 





Im finflern Wald 


pantheijtiiches Fühlen am ftärkjten und längſten 
in Germanen und Slawen und ben mit ihnen 
verwandten Preußen und Litauern erhalten. 
Unter diefen Völkern finden wir im Altertum 
die meilten heiligen Wälder und in unferen 
Tagen am ausgefprodenften die Feſtfreude am 
Grünen. Als die Völker Italiens in Tempeln 
opferten, fchritten diefe ins Dunfel ihrer Mäl: 
der und wenn ber heutige Italiener, um fpa: 
zieren zu gehen, feinen Weg nad dem Korfo 
einfchlägt, ziehen die Nachkommen jener mit 
Kind und Kegel in die Ueberrefte des Eichen:, 
Buchen: oder Tannen-Standes, den der Fort: 
ihritt bis heute noch mit feiner Art ver: 
ſchont hat. 

Dort, wo der Pegelfluß der Ditiee zu: 
ftrömt, waren fhattendunfle Laubwälder. Als 
über den Süden von Deutſchland ſchon bie 
lateinische Kultur hereingebrocdhen war, ala am 
Rhein ſchon Dome prangten und Kaifer in der 
dämmerigen Glorie der Münfter vor byzan- 
tinifhen Idolen Inieten, enthielt dort, dem 


325 


fämtlihe Heiligtümer. 
— Zu Rıfaitaim Sam: 
land war ein hochbe: 
rühmter Götterwalb, ein 
Didiht von Eichbäu— 
men. Mitten unter 
ihnen hauften die Göt— 
ter. Einen Tempel barg 
der Wald nicht und die 
Scheu, die der Menſch 
jenen entgegen bringen 
foll, war dadurch ver: 
finnbildliht, daß das 
Betreten des Waldes 
mit Tod bejtraft wurde. 

Am langen Nite 
einer Eiche hing das 
Holzbildnis des Perku— 
n08. Zwölf mit roter 
Farbe gemalte Flammen 
waren feine Krone. Den 
roten Blitzſtrahl hielt er 
in der Hand. Unter ihm 
brannte unabläffig ein 
Feuer, genährt mit Dem Holze von Eichen. hm 
zugewendet trug ein anderer Aſt die freund: 
lichere Geftalt des Potrimpos, dem Aehrenopfer 
aefielen. Unter ihm nährten fie eine Schlange, 
die mit Aehren bededt war. Am dritten Aſt 
befeftigten fie das bleiche Geſicht des Pikullos. 

Das Blut der geopferten Menfchen und 
Tiere erhielt die Eiche grün. Wer nun aber 
fah die Geheimnifje der Waldnacht? Weder 
das Volf noch der Fürft. Nur der Priejter. 
Als Opfer fiel, wer den Fuß über den Wald: 
faum fegte. Nicht einmal die Guze, die wohl: 
wollende Göttin, welche den Wanderer in den 
Waldfchreden des finftern Preußenlands ge: 
leitete, vermochte den Verwegenen zu retten. 

In allen deutfchen Landen waren Götter: 
wälder, wenn gleih, im Gegenfate zu denen 
der Preußen, ohne Bilder, Wir erinnern uns 
aus Tacitus der heiligen Haine, der Semnonen 
und Nahenarvalen, In Ortsnamen hat fid 
ihr Andenken bis auf den heutigen Tag er: 
halten. Keine Art durfte fi ihren Stämmen 
nahen. Die freiheit der Natur, die fich hier 
in unabjehbarer Fülle gejtaltet, galt als heilig. 

Dem Germanen bdeuteten Saftfülle und 
Blättergemölbe und Dunfel das Leben und zu: 


Georgenberg 





gleich das Geheimnis an, in welchem es auf: 


preußifch:litauifhen Stamm, der Wald nocd | feimt und vergeht. 


326 


Mer einen Gegenfat zwiſchen ben Vor: 
ftellungen jener alten Völker und unferer Ge: 
pflogenheit jehen will, ftellt fi) folgendes vor. 

Auf einem Eiland der Dftfee tft der Boden 
von dichten Mäldern bejchattet. Sie find ſchnee— 
bedeckt. Durch die weißen, minterlihen Ge: 
wölbe bringt Fadelglanz. Es fnarrt ein mäch— 
tiger Wagen. Auf diefem ist, menichlichen 
Bliden nit erkennbar, die den Abionen und 
Angeln heilige Nerthus. Prieſter mit Lichtern 
und Miftelzweigen begleiten die Herrlihe auf 
ihrem Ausfluge zu den Menſchen. Auch hier 
naht nur das Gemweihte dem Walde. 

Zwanzig Yahrhunderte fpäter. Niemand 
fcheut fih vor dem heiligen Walde der Ner: 
thus, Tritt man ihm nahe, fo erblidt man 
(vor 20 Jahren war es fo, vermutlih auch 
noch heute) eine Tafel, auf welder folgende 
„Warnung“ gefchrieben fteht: 

„sn diefem Walde darf man nur in Be: 
leitung eines Fürftlih Putbusichen Forſtauf— 
fehers zu fünf Silbergrofchen die Stunde um— 
hergeben.“ 

Als merkwürdig fann gelten, daß die Woh: 
nungen, welche fpäterhin von Menfchenhänden 
den Göttern errichtet wurden, nicht (mie es 
fonft in Gejtalt, Nede und Handlungsmeife der 
mächtige Anthropomorphismus that) nad) dem 
Urbilde der Menſchen, die menfchlichen Woh— 
nungen nachahmten, fondern die Höhle und 
den Wald. Gin Ueberreit alter Anfchauung 
hat hier, gewiß unbewußt wirfend, die Bau: 
meijter geleitet. 

Man hat es geleugnet, daß der gotische 
Bauftil als Nahahmung des Waldes zu deuten 
fei. Wie man aber bei den Bauten zu Ele: 
fanta an die Höhle dachte, jo muß im Gehirn 
defien, der für jenen erfann, ob er fich die 
Empfindung far zurecht legte oder nicht, das 
Bild des Waldes vor allem anderen deutlich 
gewejen fein. Das ift augenſcheinlich. Wir 
finden im Säulenwerk Schäfte, Baumftämme, 
Blumen, Ranten. Oben jhliegen fie fih zum 
Gewölbe des Urmwaldes zufammen, Zu den 
Fenftern fommen Streifliter wie durch die 
Zwiſchenräume hohen Geäftes in den Wipfeln 
herab. Die wenigen Strahlen, die eindringen, 
werden durch farbige Gläfer gedämpft. Die 
Menſchen draußen, die fich mit der Welt ab- 
mühen, haben das gewöhnliche Tageslicht, da- 
mit fie ihre Arbeit verrichten können. Dieſes 
ift aber nichts nütze zur Ergründung der tief: 


Heinrich Noß. 


ften Geheimnifje. Die Myftif, worunter man 
einit das Erfaſſen verborgenfter Wahrheiten 
und das Schauen in die Urquellen der Dinge 
verftand, hat ihre Bezeichnung von einem Worte, 
weldes an bie Hinmwegnahme des gemeinen 
Tageslichtes erinnert, pöco, ich verſchließe Die 
Augen. 

Die Götter wohnen dort gern, wo es feine 
Menſchen gibt. Wo fie fich niederlafien, gibt 
es den Begriff des Nutzens nicht, der über den 
Menfhen Gewalt hat. In ihren Wäldern 
wird man deshalb weder Bauholz ſchlagen noch 
Kohlen brennen fünnen. 

Noch mehr. In jenen Ländern des Südens, 
in denen es aus mancherlei Gründen mit dem 
Waldwuchs nicht fo üppig beitellt war, wie im 
quellenfriichen Norden, ſchuf man den Göttern 
Haine, pflanzte Wälder um ihre Heiligtümer 
herum. Asklepios und Demeter wohnten ſtets 
unter Bäumen, ebenſo Artemis, die Furien, die 
Eumeniden. Aber die Bäume diefer Haine 
waren niemals fruchttragende, nutbringende. 
Nur auf Schönheit und Schatten wurde gefehen. 
Es ziemt dem Haufe eines Gottes nicht, daß 
e3 Zinfen trägt. 

Als fich die Kamönen auf der Erbe nieder: 
ließen, wählten fie einen Wald beim Quell 
Egeria, der nur aus Palmen und Lorbeer be: 
ftand. Der Nuten blieb ftets von der Vor: 
jtellung des Göttlihen getrennt, weil es der 
Mensch ift, der ihm nachjagt. 

So war es überall. Hingegen mußten bie 
Perſer von einem ſehr nugbringenden Baum zu 
erzählen. Derjelbe hieß Gogard. Aber er ver: 
edelte die Menfchen nicht, wie der unfruchtbare 
Lorbeer die Stirne, die er umſchlingt, zu den 
Himmlifchen hinanhebt, ſondern befriedigte alle 
Bedürfniffe und Wünfche feiner Befiger. Dieſe 
aber wurden dadurch blöde und ftumpflinnig. 

Wir fehen im Verlaufe der geichichtlichen 
Entmidelung folgendes. Der Menſch „verfei: 
nerte” ſich allgemah. Alsdann fuchte er die 
Wohnungen feiner Götter nicht mehr in ben 
Schauern unberührter Wälder. Er baute ihnen 
Paläſte, ſchmückte fie mit Kojtbarfeiten und 
ahmte den Wald in fteinernen Säulen nad). 
Bon Prieftern wurde er gelehrt, Edeljteine und 
Goldplatten zu verfchwenden. Man nimmt es 
jedody wohl wahr, daß die alten Vorftellungen 
auch dann nod nicht fi völlig verflüchtigt 
hatten. In feinem Innerſten trennte der Menſch 
noch immer nicht das Göttliche von der grünen 


Im finftern Wald, 


Welt, die bejtändig zu ſchlafen fcheint und doch 
bejtändig blüht, zeugt, ftirbt und auffeimet. 

Nachdem es in Indien ſchon jahrhunderte: 
lang Tempel gegeben, die wir als Ueberein- 
anderhäufungen von fteinernen Pilaſtern, Pyra— 
miden, Elefanten, Lotosblumen, Niſchen, ſitzen— 
den und ſtehenden Göttern kennen, ſuchte das 
Volk ſeine heiligſten und weiſeſten Männer doch 
nicht innerhalb ſolchen Gemäuers. Die Büßer 
und Anachoreten, welche durch die Macht ihrer 
Askeſe ſelbſt den Urbildern der ſteinernen Göt— 
ter gefährlich werden, ſo daß dieſe ſich vor den 
Büßern und ihrer Gewalt fürchten, halten ſich 
in Wäldern auf, 

Der weife Närada tft ein Waldheiliger und 
Näma, die berühmtefte Verlörperung des Got: 
tes Wiſchnu felbit, ging in den Wald. Sehr 
verwandt damit find manche Vorjtellungen der 
Einwohner unjerer Gebirge. 

Hier und dort, beiſpielsweiſe auf Brettfall 
im Zillerthal, in der Naifſchlucht bei Meran, 
auf dem Monte Baldo, führen noch ehrwürdige 
Waldbrüder ein paläontologifhes Dafein. Sie 
ragen als verlorene Spätlinge aus einer ver: 
gangenen Welt in dieſe unferige herein. Mit 
dem Genuß des murmelnden Quells, dem La: 
ger auf duftigem Moos, der Nahrung von 
Wurzeln und Kräutern und dem Wohnen in 
einer aus Baumrinden gebauten Hütte, welche 
ihönen Sachen wir aus manchem Ritterroman 
fennen, nehmen fie es freilich nicht allzu genau. 
Gleichwohl haben fie Zulauf von Männern, 
noch mehr aber von Weibern. Man übertreibt 
nicht, wenn behauptet wird, daß wenig Prälaten 
folde Ehren zu teil werden, wie diefen ver: 
meintlichen Betern des Waldes. 

Aber auch viele diefer Tempel felbit hat 
man, wie oben angeführt, wieder in Wälder 
und Haine geitellt. Insbeſondere gilt dies von 
Asflepios, dem Gott der Gefundheit, der ſtets 
außerhalb der Städte, in dichtes Laubwerk hin: 
ein, angeſiedelt wurde. Dies ift ein Winf, der 
in anderer Hinficht auch an uns nicht ganz ver: 
loren fein ſollte. 

In der fpäteren gefchichtlihen Zeit hatten 
die Völfer nicht einmal vor Tempeln fo viel 
Scheu, als in den älteren Tagen unjeres Ge: 
ihlechtes vor den gottbewohnten Wäldern auch 
der Barbaren. 

Deutſche Landsknechte bejudelten die gold— 
glänzenden Kirchen Roms. Franzoſen ſpielten 
im ehrwürdigen deutſchen Dome mit den Köpfen 


327 


der Kaiſer Kegel und ſchleppten Dirnen in 
Notredame als Göttinnen vor die verachteten 
Altäre. Dem gegenüber ſoll daran erinnert 
werden, wie die Römer vor geweihten Wäldern 
barbariſcher Wölfer Furcht empfanden. Die 
nämlichen Römer, welche die Tempel von Kar— 
thago und Korinth niederbrannten und den der 
Epheſiſchen Artemis plünderten, wagten es nicht, 
die Art an Bäume zu legen, mit welchen eine 
ihnen unverftändliche Gotteöverehrung verbun: 
den war. Als Cäfar, der in der Nähe von 
Maſſilia ftand, feinen Soldaten befahl, Brenn: 
holz in einem Walde zu holen, welcher einer 
der Gottheiten eines galliichen oder liguriſchen 
Stammes geweiht war, verweigerten fie den 
Gehorfam. 

Schr merfwürdig muß es uns erfcheinen, 
daß ſchon die Mythe der Alten den Fluch vor: 
ausfah, welcher auf die Verwüſtung der Wälder 
gejegt ift. Die Erzählung vom Schidjale des 
Emfichthon ftellt uns diefen Fluch wie in einem 
Gefichte vor Augen. 

Erpfihthon will einen Hain der Demeter 
zerftören. Schon hat er eine Eiche niederge- 
jtredt und das Blut der Dryade fliegt. De: 
meter, die Göttin der frudhtbaren Erde, des 
Landbaues, ftraft ihn alsbald, indem fie den 
Hunger aus feinen Schlüften im fahlen Ge: 
birge herbeiruft. Diefer weht mit feinen fleder- 
mausähnlichen Flügeln den Frevler an. Er tft 
ihm verfallen. Derjenige, welder diefe Ge: 
ichichte erfonnen hat, jhildert uns, gewiß; ohne 
eine Ahnung von der fchredlichen Wahrheit ſei— 
ner Fabel zu haben, das Scidjal jo vieler 
Länder der alten Welt, das von Nord-Afrika, 
von Sizilien, von Baläftina, von Spanien und 
das Elend der Karftländer vom Laibacher Moor 
bis nach Albanien hinab. 

Dem Auge des Dichters gehören Klare Flut 
und dichter Wald zuſammen. Aber nicht nur 
für die Bifionen eines Schwärmers befteht diefes 
Nebeneinander. Die beiden Erſcheinungen find 
auch durch den gejegmäßigen Zufammenhang, 
der zwiſchen Urfache und Wirkung befteht, mit: 
einander verbunden. 

Umftände, die auch von unferer Nusjtreb: 
famfeit nicht aus dem Gefichte verloren werden 
dürfen, bedingen diefelben wechjelfeitig. Sie ge: 
hören zufammen wie Fichtendidicht und Maffer: 
fälle in den Gemälden Alberts von Everdingen 
oder Baummildnis und mondbeſchienene Bad): 
wellen in den Schöpfungen des Ruysdael. 


328 Beinrich No&, 


Wenn wir in Bildern reden und die Natur | das Auge der Erde. Das eine ftirbt mit dem 
als ein belebtes Weſen betrachten wollen, fo | anderen. 
empfinden wir im Walde den Atem, im Maffer Faſt ein Gefühl der Schadenfreude mill 


— Rn 





Dalbeinlamteit. 


uns amvandeln darüber, daß auch dem Künftler | zu Eismagazinen für Bierfabrifen und Berg: 
mit feiner „Empfindfamfeit“ fein Recht wird. | feen zu Mafferrefervoirs für Spinnereien maden. 
Das heutige Menſchengeſchlecht will die Gletfcher | Der Wald ift ihm ein Holznußgarten, defjen 


Im finftern Wald, 


jährliher Zuwachs an Kubifmetern fih auf Ta: 
bellen überfehen läßt. Sehr viele Engbrüftige 
(worunter nicht Ajthmatifer zu verjtehen find) 
halten die ftädtifche Anlage für ſchöner. Der 
Wald kommt in Bezug auf Holz- „Jnduftrie“ in 
Betracht. Vielleicht auch noch, da die Menſchheit 
immer mehr aus Kranken zu beftehen anfängt, 
erjcheint er zur Fichtennadel-Inhalation tauglich). 

Indeſſen hält man jeßt zur Heilung ber 
Lungengewebe, welde durd die Mühen und 
Thorheiten des Lebens in civilifierter Luft ver: 
eitert find, den Nermiten als Surrogat der 
MWaldluft „Konifereniprit” unter die Nafe. 
Bald wird man den Atem des deutihen Wal: 
des, dejien Stimmen, als denen der grünen 
Wohnung der Götter unfere Ahnen ehrerbietig 
laufhten, in der Weſtentaſche herumtragen. 
Dann blidt man nicht mehr auf den rohen Bo: 
den, den Blumen, Moos und Farnfräuter oder 
die bunten Schwämme, die „Elfenjtühle“, be: 
deden, jondern auf das aus dem Eſſenzen— 
fläſchchen getränfte Taſchentuch. Der Wald 
will dem Polizeimenſchen nicht mehr zu Gejicht 

stehen, er ſchaut veraltet diefes Geſchlecht mit 
feiner eingefhrumpften Einbildungsfraft an, 
welches ihn für ein Weberbleibjel roher und 
unbetriebjamer Zeitläufe halten möchte. 

Mas gejchieht jedoch im Angeficht diejes 
aufgeflärten Geſchlechtes? 

Seine Gelehrten beginnen ihm vorzurechnen, 
daß immer weniger und weniger Wafjer feinen 
Rädern und Walzen zuläuft. An allen Flüffen 
unferer Kulturländer wird die gleiche Erfah: 
rung gemadt. Schwindendes Vermögen der 
Rinnfale und plößliches Ueberftrömen derjelben, 
magere Flüfje und mächtige Ueberſchwemmun— 
gen: das ijt das Vermächtnis der verſcheuchten 
Maldgeifter. 

Die geduldige und mifhandelte Natur 
hebt aus zum Schlag gegen die Kalkulatoren. 

Wie aus den Göttern Helden, aus den 
Helden, den Halbgöttern, Kriegsmänner und 
Vorfämpfer geworden find, fo blieb, nachdem 
das Göttliche des Waldes geſchwunden, ihm 
ein ariſtokratiſcher Anhauch. 

Bei jeder Umwälzung richtet ſich die Wut 
der Zerſtörer gegen den Wald und ſeine In— 
ſaſſen, das Wild. Oft hat man ausgerechnet, 
wie viele Familien auf den Gründen Englands 
leben fönnten, welche dermalen mit Eichen und 
Buchen bededt find, von denen mander Wipfel 
die Normannen Wilhelms des Eroberers be: 


329 


ſchattet hat. Sicherlich wird der Fortichritt die 
Zeit herbeiführen, in welcher das alles zu 
Gunften der Kartoffel parzelliert wird. 

Das ift der Sieg der Aufllärung über die 
Werthaltung des Waldes. Aber mit der Kar: 
toffel und dem Branntwein bricht das Gefpenjt 
des Eryſichthon aus dem entwaldeten Gebirge. 

Gleichwohl dürfen wir nicht ableugnen, daß 
fih hier und dort Spuren einer Empfindung 
davon erhalten haben, wie mit dem Walde 
Herrliches zu Grunde gehe. Allerdings vielmehr 
unter dem Volfe, welches freies Land bewohnt, 
weniger unter den Städtern. „Seit fo viele 
ftudierte Leute zu uns fommen, wird das Holz 
immer weniger und die Armut nimmt zu,“ 
hört man von den Leuten des Berges jagen. 
Dft vernimmt man beim abendlichen Feuer Er: 
zählungen, welche an die verfchollenen Wald: 
jchmieden der deutjchen Sage erinnern, Man 
glaubt Funken fprühen zu ſehen und den Badı 
und Wald raufchen zu hören. Da Elingt es wie 
Nahhall des Canges von Widlane, dem 
Schmied, dem Treiben der Zwerge in der 
Wildnis und dem Sturze der Waſſer, welde 
den Riejenbalg in Bewegung ſetzen. 

Gerne wenden fi) die Beitalten des Mär: 
chens dem Walde zu. „In einem großen Walde 
war's“ — fo beginnt die Erzählung. Wir 
fühlen, daß, den Gemütern des Erzähler und 
der Zuhörer unbewußt, Heimmweh die Worte 
durchzittert. 

Hier iſt ein entblößter Berghang, eine 
fchattenlofe Dede. Wir fehen mitten auf einem 
Felde, neben einem breiten, überftaubten Wege, 
auf dem Menſchen und Tiere im Sonnenbrand 
gehen, einen einzigen, mächtigen Baum, eine 
Bude, eine Rottanne, eine Sommereihe. Es 
ift der legte Ueberreſt eines vernichteten Mal: 
des. Daß es ein folder ift, erfahren wir aus 
alten Büchern, Land- und Flurkarten. 

Das „ungebildete“ Volk hat aber ein an- 
deres Anzeichen. Es bemerft irgend ein from: 
mes Bild am Stamme. Unfere Liebe Frau zur 
Buche, zur Lärche, zur Tanne (die „Hohe Lard)* 
bei Pians am Arlberg) — das find Verquidun- 
gen des unvertilgbaren Andadhtsbedürfnifjes mit 
undeutlichen Erinnerungen, die fih im Sinne 
der Menſchen erhalten haben. 

Dft findet man ein ſolches Bild mit frifchen 
Blumen des Feldes geihmüdt. Es ift dies 
der letzte Tribut, den das fpäte Geſchlecht den 
Mächten des Waldes bringt. 

42 


330 


Kein Opferrauch erhebt ſich mehr gegen die 
Mipfel, die in ihrer Bewegung höheren Willen 
verfünden. Aus ftarren Schloten fällt der Ruf 
herab auf die fchwer befteuerte Erde. 

So ijt der Wandel der Dinge. Wer weiß 
aber, ob nicht wieder auf jenem Ziegelwerk mit 
feiner armfeligen, nadten, gemütlofen Außen: 
fläche fi) Erde anfammeln und Wälder grünen 
werden? Das Menfchengeihleht Hat derlei 
gejehen. 

Denn „bunt“, wie ein Spridwort des in 
der Einfamfeit feiner Wälder, Seen und Granit: 
berge verlorenen Finnenvolfes fagt, „erjcheint 
der Specht im Walde, aber bunter noch das 
Schidjal der Menſchen.“ 


Die Caldaria. 
Von 
Maurus doͤkai. 


Ueberſetzt von Lud. Wechsler. 


TR die Gemahlin Philipp des Schönen 
von Spanien, war eine leidenfchaftliche 
Malerin. 

Man hatte von der armen Königin aus: 
gejprengt, daß fie gehirnleidend fei, aus wel: 
chem Grunde ihr die Malerei als Zerftreuung 
empfohlen war, welche Kunft fie jpäter auf eine 
ſehr hohe Stufe brachte. Sie vermochte jedwedes 
Geficht, felbit nad) einmaligem Sehen, fo getreu 
zu malen, daß es jedermann erfannte. 

König Philipp gefiel es einft, Johannas 
Album zu durhblättern, worin fid) bloß eigene 
Handzeichnungen feiner Gattin befanden. 

(Johanna hatte damald noch den Titel: 
Majeftät, ihr Gatte, weil aus einer fremden 
Herricherfamilie ftammend, befaß bloß den Titel: 
Hoheit, und auf amtlihen Dokumenten ftand 
zuerſt: Johannaregina,nadher: Philipprex.) 
König Philipp fand nun in Johannas Album 
wiederholt das Geficht eines Mannes, welches 
in verfchiedenen Variationen wiederfehrte, bald 
als fiegreicher Held, bald als betender Pilger, 
bald als ein vor der Geliebten Inieender Ver: 
ehrer. Das Gefiht mußte die Phantafie der 
jungen Dame fehr beihäftigen, da fie es jo oft 
und in jo vielen Veränderungen ſich ins Gedädht: 
nis rief, und die zarte Malerei, die fünjtlerifche 


Maurus Jofal, 


Sorgfalt, die Andacht, womit jedes Bild, auch 
wo die ganze Staffage hinmweggelaffen worden, 
ausgeführt war, bewies, daß hier das Herz der 
Hand geholfen hatte. 

Diefes Bild ftellte nicht die Züge König 
Philipps vor. 

Vielleicht noch ein Traum aus der Jugend: 
zeit, ein verliebter Troubadour, ein Turnier: 
held, welchen die junge Königstochter mit Hopfen: 
dem Herzen, mit den farben feiner Herrin am 
Helme, kämpfen und fiegen fah, und welchem 
fie nachher mit zitternder Hand das geftidte 
Band um den Hals hing und nimmer wieder zu 
vergeſſen vermochte? — oder vielleicht nicht ein: 
mal fo viel. Vielleicht nur ein eingebildetes 
Seal, welches junge Damen in ihren Träumen 
zwiſchen Wolfen zu erbliden glauben ; ein Mann, 
welden nod niemals jemand gejehen, der nie: 
mals eriftierte. Auch das ift ja möglich. 

Philipp der Schöne war von Geburt fein 
Spanier; er beſaß jedoch edle Triebe, welche 
ihn würdig machten, ein folcher zu fein. 

Eine Frage an den Großinquifitor Deza, 
wer in Spanien jener Ritter fei, welcher die: 
fem Bilde ähnlich ehe? ein Winf an die hun: 
dertäugigen Spione der heiligen Hermandab 
und nad) zwei Wochen lief die Antwort ein. — 
Jener Ritter mit dieſem länglichen braunen Ge— 
fichte, mit diefen eigentümlich lächelnden Lippen, 
mit diefen großen ſchwarzen Augen unter dich: 
ten ſchwarzen Brauen, war niemand anderer 
ala Don Jayme d'Avila — ein Marrano? 

Zur Zeit der ruhmmürdigen Inquiſition 
nannte man jene maurifchen RitterMarranos, 
welche zum chriftlihen Glauben übergetreten 
waren und welche man damit verdächtigte, daß 
fie im geheimen die Geremonieen des Islams 
beobachteten. Langſam aber ftetig wurden fie 
ausgerottet, troßdem fie die Blüten ber anda— 
luſiſchen Ritterichaft bildeten. Webrigens be: 
deutet „Marrano“ in ſpaniſcher Sprade fo viel 
als: Schwein. 

Es fann ja wohl fein, da es nicht eben 
Don Jayme d’Avila gewejen, welcher den Bil- 
dern der Königin am meiften ähnlich fah; fo 
viel ift jedoch gewiß, daß er der reichfte unter 
den damaligen Adeligen war und das mifjen 
wir ja, daß die waderen Richter der Inquiſition 
das Vermögen des Berurteilten brüderlich unter 
ſich teilten. 

Damals lebte ein berühmter Maler in Kafti- 
bien; nit eben davon berühmt, daß er eine 


Die Caldarla. 


neue Malerjhule gegründet oder großartige 
Meifterwerfe hinterlaffen hätte, fondern eher 
davon, da er ungemein rafcı zu zeichnen ver: 
ftand, die lächerlichſten Karikaturen in einer 
Sekunde aufzufaffen und binnen wenigen Augen: 
bliden aufs Pergament zu bannen imjtande 
war. Im übrigen hieß er Luis de Lucero, in 
Nom hatte man ihn jedoch „Frapreſto“ (eile 
dih!) genannt, weldher Name ihm aud ge: 
blieben war. 

Als König Philipp erfuhr, daß das Urbild 
jenes rätjelhaften Gefichtes aufgefunden wor: 
den, ließ er Zucero vor ſich rufen. 

„Maeftro,“ fprad er zu ihm, „bu mußt 
von einem lebenden Gefichte mehrere Abbildungen 
hintereinander verfertigen, zwei Stunden wird 
der Studienfopf dir zur Verfügung ftehen; was 
alaubjt du, wie oft fünnteft du ihn während 
diefem Zeitraume abzeichnen ?“ 

„So oft es Eure Majeftät befiehlt.* 

„Schmeichle niht. Vor allem heiße ich nicht 
Majeftät, zweitens fann niemand dem Künftler 
befehlen. Aber was glaubjt du, fünnteft du ein 
Geficht binnen zwei Stunden zehnmal zeichnen? 
Für jedes Bild erhältt du taufend Realen.“ 

„Wenn Eure Majeftät mir für jedes Bild 
zweitaufend Realen zugufichern geruhen, zeichne 
ich wen immer binnen zwei Stunden fünfzehn: 
mal.“ 

„But; du erhältft die verlangte Summe. 
Wird es dich aber nicht verwirren, wenn das ab: 
zuzeichnende Antlit fi von Zeit zu Zeit ver: 
ändert, wenn die Züge beöfelben einen anderen 
Ausdruf gewinnen? wenn du ftatt des gemöhn: 
Iihen, alltäglihen Gefichtes ein außerordent: 
liches, ungewohntes zu befämpfen haben wirft?“ 

„D Majejtät, das ungewöhnliche Antlitz ift 
das Studium, ber Genuß des Künftlers! Wenn 
ein folhes Vergnügen meiner harrt, zeichne ich 
das Stüd für fünfzehnhundert Realen.* 

„Laß das; im Eskurial feilfcht man nicht 
mit Dienern. Jetzt begebe dich in den Saal der 
Alquazilos, weldhe did nad einer Stunde zur 
Stelle führen werden. Bis dahin wird man dic) 
mit den nötigen Zeichnenrequifiten verfehen. * 

Nah einer Stunde übergab man Lucero 
feine Stifte und Pergamentblätter, dann ließ 
man ihn eine verdedte Sänfte befteigen. Lange 
Zeit wurde er durch wiederhallende Korridore, 
Treppen auf und ab getragen; endlich hielten 
die Träger in einem Raume, wo die Schritte 
feinen Wiederhall erregten. Entweder war ber 


331 


Raum fehr niedrig, oder befanden ſich zahlreiche 
Perſonen darin. 

Hier öffnete man die Thüre der Sänfte und 
hieß ihn ausjteigen. 

Auf den erjten Blid gewahrte der Künftler, 
wo er fi) befinde. 

Die weite, in niedrigen Bogen zuſammen— 
laufende Halle war ringsum mit ſchwarzem 
Tuche überzogen. An den in den Säulen be: 
fejtigten Ringen hingen Ketten und Stride, 
welche alle jene eigentümliche Roftfärbung zeig: 
ten, welche getrodnetes Blut hinterläßt. In den 
Eden waren eiferne Zangen, ſonderbar geital: 
tete Löffel und dreiedige Schrauben in ganzen 
Haufen übereinander geworfen, während im 
Hintergrunde auf einer Erhöhung in ſchwarze 
Gewänder gehüllte Geftalten faßen. Ueber die 
Köpfe hatten fie fpigige Kapuzen gezogen und 
das Geſicht mit dichten Schleiern verdedt. Die 
ganze Halle war von einer einzigen Lampe be: 
leuchtet, welche von der Mitte der Dede herab: 
hing. Das in diejelbe gefüllte Mohnöl warf 
ein bleiches gelbes Licht auf jeden Gegenftand. 

Dies war der Inquiſitions ſaal. 

Nur der Großinquifitor hatte das Geſicht 
unbebedt; er faß auf einem hohen Stuhle in: 
mitten der übrigen Richter und fein ſchwarzes 
Samtfleid ſtach feltfam von den einfachen Ge: 
wänbern ber anderen ab. 

An einer Seitenwand des Saales befand 
fih ein Tifh, an welchem bereits zwei Männer 
faßen. Der eine verfchleiert, während der an: 
dere eine Samtmasfe vorgebunden hatte. Jener 
war ber Notar der Inquiſition, welcher eben 
feine Feder am Daumennagel probierte, der an: 
dere winkte Lucero, am Tijche fich niederzu: 
lafien. 

Niemand ſprach ein Wort. 

Set gab der Maskierte dem Inquifitor ein 
Zeichen, worauf zwei Diener der Hermandad in 
die Mitte der Halle jchritten und von dort ein 
ſchwarzes Tuch emporhoben, unter welchem ſich 
der Kopf befand, welchen der Künftler zeichnen 
jollte. 

‚ Kein abgefhnittener Kopf; — nein: ein 
lebendes Haupt mit lebhaften, zornigem Blide, 
mutiger Stine, Verachtung ausdrüdender Lippe 
und mit bligenden, großen Augen, Der ſchönſte 
Kopf, wovon jemals ein Weib geträumt, und 
vor welchem jemals ein Mann gezittert. 

Der mwadere Torquemada, von welchem 
lobend erwähnt fei, daß er während elf Jahren 


332 


hunderttaufend Menfchen auf die Folterbank ge: 
bracht, hatte unter anderen äußerſt zweckmäßi— 
gen Inſtrumenten, mit welden die Geheim: 
nijje der Menfchen zu erfahren find, auch die 
Galdaria erfunden. 

Die Operation befteht darin, daß ein gro: 
ber, zehn Eimer fafjender Meffingeylinder mit 
Del gefüllt und in dasfelbe der verftodte Sün- 
der gejtellt wird, fo daf eben nur der Kopf 
fihtbar ift. Dann wird diefer Kopf durch eine 
gerade pafjende Deffnung in den Unterfuchungs: 
ſaal emporgefhoben, der Cylinder jelbit bleibt 
in der Dffizin, wo man ein langfames Feuer 
darunter anzündbet und je nad dem Grabe der 
Verjtocdtheit wird das Feuer gedämpft oder an: 
gefacht, bis fich das Del langſam durchwärmt, 
immer mehr, immer mehr, und das Opfer ent: 
weder gejteht oder jtirbt. 

Dies ift die Caldaria. 

Der Studienfopf ftand aljo dort in ber 
Mitte des Saales, in guter Beleuchtung, der 
Lampe gerade gegenüber. — Lucero hätte ſich es 
nicht befjer wünjchen können. 

Stolz ließ der Kopf feine Augen über die 
Bermummten hingleiten und bie gerungelten 
Brauen drüdten unabänderlihen Troß aus. 

Diejes Bild war gut als erites. 

Jetzt ſprach der Großinquifitor den Ange: 
klagten an. 

„Don Jayme d'Avila, gejtehe deinen Rich— 
tern, wann du mit Johanna — der Tochter 
Hernandos, zum erſten- und lebtenmal ge: 
jprochen?“ 

Das Haupt begann zu Sprechen. 

„sch habe fie ſtets nur in der Ferne gefehen 
und niemals mit ihr gefprochen. “ 

„Don Jayme d'Avila, du hattet ein uner: 
laubtes Verhältnis mit Johanna ; geftehe, welche 
Beweife ihrer fündhaften Liebe fich bei dir be- 
finden ?“ 

Bei diefen Worten rötete fich das Antlit des 
Helden vor Zorn, die Augen bligten den Frager 
an. Er war überaus ſchön in diefem Augenblid. 

„Deine Frage beleidigt jene, die zu ehren 
deine Unterthanenpflicht ift. Ich wäre ein Maje: 
jtätäbeleidiger vor mir felbft, wenn ich diefe 
Frage einer Miderlegung wert achtete. Die Kö- 
nigin ift rein und unſchuldig.“ 


Maurus Jöfai, 


Die Caldaria, 


Der Inquiſitor winfte zwei Häfchern, welche 
fih entfernten; bald begann ſich der Studien: 
fopf zu verändern, man hatte das Feuer unter 
ihm entzündet. 

„Jetzt fieh’ hin, Frapreſto!“ 

Anfänglich begannen die Augen zu funfeln, 
die Stirnadern anzufchwellen; die Geſichtsmus— 
feln zudten frampfhaft; die Verzagtheit des 
eriten Entjetens verunftaltete das ſchöne Man- 
nesantlit. 

Dies war gut als zweites Bild. 

„Wirſt du unfere Fragen beantworten, Don 
Jayme d'Avila?“ ertünte neuerdings die trodene 
dumpfe Stimme des Inquiſitors. 

Bei diefen Morten wandte fih ihm das 
Haupt zu und wie wenn feine heldenmütige 
Entjchlofjenheit wiederfehrte, antwortete es 
troßig : 

„Berflucht ſei die Zunge, welche auf deine 
Fragen nur ein Wort erwidern wird.“ 

Damit prefte der Kopf die Lippen zuſam— 
men und blidte mit herauätretenden Augen vor 
fich Hin, jeden Schmerzenslaut zurüddrängend. 

Diefes Bild war qut als dritte Studie. 

Das Feuer ward fortwährend angefadt. 

Auf dem Gefichte ftehen große Schweiß— 
perlen, der jchwere Kampf des förperlichen 
Schmerzes mit dem Manneswillen fpiegelt fich 
ab auf demfelben. löslich brüllte der Kopf 


ſchmerzlich auf, die Augen ſchließen fich qualvoll 





Zucero wollte auch diefes Geficht zeichnen; | 


der neben ihm fißende Bermummte erfaßte feine 
Hand und hielt fie feit. 
„Lab das; dumirft gleich ein ſchöneres ſehen.“ 


| und das entitellte Geficht, defien Züge auf ein: 
ı mal der hölliſche Schmerz ſich bemächtigt, em— 


porhebend, ift er unfähig, feine Qualen länger 
zu verbergen. Er brüllte wie die Verdammten 
in der Hölle. 

„seht, jet fieh' hin, Fraprefto!* 

Jeder Zug verläßt feine urfprünglicde Ge: 


' ftalt, die Seele ift nicht mehr Herr über fich, 


die Augen rollen wild in ihren Höhlen, die Lippe 
fhäumt und flucht Gott und den Menſchen! 
Ah, Fraprefto, wenn dir dies gelingt, wie ſchön 
wird die vierte Studie fein! 

Unten facht man das feuer immer mehr an. 

„Willſt du auf unfere Fragen antworten, 
Don Jayme d'Avila?“ 

Der Kopf antwortet nicht mehr, ſchreit nicht 
mehr, ſondern beginnt zu lächeln. Die Todes— 
qualen zwingen ihn zum Lachen, er lacht laut 
auf; und dieſes Lachen iſt das Entſetzlichſte, was 
man jemals geſehen. 

Lucero zeichnet eilig; dies iſt ſchon die fünfte 
Studie. 


U. Srer. Sommernadt, 


Der Vermummte winkt, das Feuer abzu: 
ſchwächen. Er fürchtet, d'Avila könnte früher 
jterben, als es erwünſcht ift. 

Das Geſicht verliert allmählich die qual: 
volle Hitze, ftatt derſelben breitet ſich eine blaſſe, 
matte Färbung über dasfelbe; die vom Lad: 
frampf entjtellten Züge erhalten allgemach eine 
geringe Spannung, trotzdem jcheinen fie ganz ge: 
brochen, ruiniert. Luceros ſechſte Studie ift fertig. 

Jetzt fragt der Inquiſitor wieder: 

„Willſt du antworten, Don Jayme?“ 

Langſam hebt hierauf der Ritter den Kopf 
empor, weit öffnen ſich feine Augen, daß das 
Weihe fihtbar wird; das blafje, farblofe Antlig 
verlängert ſich: es ift dies fein menjchliches Ge: 
ficht mehr, ſondern das eines Gejpenjtes, wel: 
ches fih aus dem Grabe erhebt und von dort zu 
ſprechen beginnt, den verjtörten Bli auf den 
Vermummten heftend. Dh, es ijt ein entſetz— 
licher Anblid! 

„Run, Frapreſto, weshalb zögert der Stift 
in deiner Hand? dies tft die intereſſanteſte Stu: 
die! — Sieh’ hin!“ 

Das geifterhafte Haupt beginnt zu fprechen 
mit fchwerer, röchelnder Stimme: 

„Philipp! — Nad fieben Tagen — 
werde ih dir — antworten — vor 
Gott.” 

Damit verdrehen fi die Augen, die Lippen 
bleiben offen jtehen, das Haupt neigt ſich zur 
Seite und legt fid) matt auf den Boden; jeder 
Zug ift ftarr geworden. 

„Verlöſchet das Feuer!“ fchrie der Inqui— 
fitor den Dienern zu. 

„Iſt dies fein intereffanter Studienkopf?“ 
fragte der Bermummte den Maler; „du kannſt 
ihn ruhig zeichnen, denn er ift ohnmächtig ge: 
worden. Man wird ihn gleich erweden und dann 
fönnen wir fortfahren.” 

Der Bermummte täufchte ich indefien, denn 
der Nitter war nicht ohnmächtig geworden; — 
jondern war geftorben und lieferte feine Studien: 
föpfe mehr für Lucero. 

„Der Verfluchte!“ rief Lucero aus; „ſtirbt 
beim achten Bild! und ftichlt mir wenigjtens 
zehntaufend Realen aus der Taſche.“ 

„Fürchte nichts, duerhältjtdie ganze Summe 
für die acht Bilder, da fie wohlgelungen find ;“ 
tröftete ihn der Vermummte; „jeht gehe heim 
und arbeite fie gut und aufmerfjam aus.” 

Nah vier Tagen waren die acht Studien: 
föpfe fertig und mit entjeglicher Lebenstreue 


333 


ausgearbeitet. Philipp ſchenkte fie alle feiner 
Gemahlin........ 

Am fünften Tage verbreitete fich die Nach— 
richt im Lande, daß Königin Johanna den Ver: 
ftand verloren habe....... 

Am fechiten Tage ließ Philipp der Schöne 
die Oranden von Kaftilien zufammenrufen und 
unterbreitete ihnen die Nachricht des Unglüds- 
falles, daß Johannas Gehirnfrankheit mit voller 
Wut ausgebrochen fei....... 

Am fiebenten Tage nannten die Granden 
von Kaftilien Philipp den Schönen Majeftät 
und fchrieben feinen Namen voran und nachher 
den Johannas. ....... 

Am achten Tage lag Philipp der Schöne — 
auf der Totenbahre. — Man fagte, daß er ver: 
giftet worden fei....... 

Gott fei jenen ein gnädiger Richter, die ge= 
ftorben find....... 


3 Sommernadt. > 


A. Step. 





Fängn war das Abendrot verblaßt, 
Als ich gefucht des Lagers Raſt. 

Erft lag ich da und mußte lauſchen 
Des Blutes ungeflämem Rauſchen. 

Aus dem des Tages Ruf und Sang 
mit Rarfem Schall noch wiederflang. 
Dann ftrebt’ id; in ein £ied zu bannen, 
Was meine Geifter heimlich fannen, 
Dod auf der Mittnachtgleifen Schatten 
Entrannen metrifch mir die Weifen. 
Drauf hat vom Schlaf mid; fern gehalten 
Der Sterne flilles Thun und Walten, 
Der Winde fachter Weg und Gang 

Und Quellenruf vom Hügelhang. 

Und heimlic; fiel mit Ullgewalten 

Der £iebe fehnendes Geitalten 

Die fchlanmerlofe Seele an: 

Auf Geifterfäßen hört" ich nah'n 

Das ferne Kind, das all fein Minnen 
Auf mid gewandt in reinem Sinnen, 
Den Utem fühlt" ich, feucht und warm, 
Und um den Haden ihren Arm, 

Ihe Släftern war's und war ihr Mund, 
Er that mir all ihr Kleben fund, 

Ihr icheues Hoffen und Derlangen, 

So lag idy da mit heißen Wangen, 
Und immerfort und immerfort 

Quoll £iebeswort auf Liebeswort. 

Es ſchwanden Sinn mir und Gedanfen 
Und meine matten £leder fanfen: 

Mir war, id; hörte Wellen geh'n 

Und fern im Winde Wipfel weh'n — — 
Die Stirn fanf ichwer ins Kiffen nieder 
Und fühllos löften fich die Glieder. 


* 





C 
\\ \ | 








l. 


Von G. Hal 


Aachder Arbeit. 





3 Bur Beitgefbichte. 


Aus der Hefellfihaft. 


TEIp)eZ0@ ter bed verftorbenen Rommergien> 
> xats Ravené bat fid vor furzem 
mit dem Eohne des befannten Profeſſors 
Gcheimrat v. Esmarch verlobt, dem fie 
‘a. 18 Millionen Mark bares Geld und 
Kunftihäge im gleihen Werte zubradte. 

Ob unjere deutſchen Tänzerinnen 
und Tänzer von ber neuen aus Amerika 
ſtammenden Sitte, die jeht in England 
eingeführt wird, Gebtauch madın wollen, 
mütlen wir ihnen felbjt Überlaffen, jeden» 
falls wollen wir zu Nuß und Unnebms« 
lichkeit unferer tanzbeinfhiwingenden Ju · 
gend davon Stenninis nehmen. Man 
ftedt nämlih, nad dieler Eitte, jedem 
Gintretenden ein Sträußchen an, toeldies 
ibn für diefen Abend einer ein gleiches 
Eträufchen tragenden Dame völlig zu eigen 
macht. Selbfivertändiih muß man dabei 
den „Zufall als oberften Gott walten laſſen. 


Expeditionen. 


25000 Dollars find von dem Senat 
der Dereiniaten Staaten ausgeſchrieben 
worden ald Belohnung für Auffindung 
des Pieutenants Breely, Führers der ame» 
rifanifhen meteorologiidhen Norbpolerpe- 
bition. 

Stantey tritt, nachdem er fünf Jahre 
diefe Stellung eingenommen bat, von ber 
Yeitung ber internationalen afrifanifchen 
Grjellihaft zurüd. 


Theater und Auſiſ. 


zen Berlin ift am Hofoperntheater mit 
CF außerordentlich glängendem Grfolg 
Wagners Wallüre, die aufzuführen ſchon 
lange Pfliht Des fgl. Anftituts geweſen 
wäre, zur Darftellung nelommen. Beh, 
Niemann, Frau Sachſe⸗ Hoffmelſier leifteten 
Borzügliches, ebenſo das Orcheſter Auch 
die iceniihen Schwierigleſten nerade dleſes 
Teils der Nibelungentetralogie find mit 
Glüd überwunden worden, Einen ähnlich 
nlängenden (Friolg bat in Paris ber erite 
Akt von „Iriitan und Ajolde* gehabt, 


der in den berühmten Konzerten von Ya» 
moureur vorgeführt wurde. 

Das deutſche Theater in Berlin 
verliert nun den zweiten Sefretär Ludwig 
Barnay, der mit feinen Kollegen nicht 
recht im Ginflang zu bleiben vermochte. 

Ein neued Drama iſt von Wilden ⸗ 
bruch zu erwarten, der ſich offenbar nicht 
genügen läht, auf feinen Yorbeeren aut» 
zuruhen. Diefes Mal handelt es ih um 
ein Trauerfpiel in Berjen, deſſen Held Ghri« 
ftoph Marlow* fein wird. Auch Ehales 
ipeare tritt in dem Stüd, und zwar als 
Kival des Zitelbelden auf. — Aud von 
Ibſen foll nächſtens ein neues Drama 
erideinen, das fi gegen die moderne 
Müäpdjenerziehung wenden wird. 


Ueber bie große Oper „„Heliantus" 
von Goldſchmidt, welde in Yeipzig aufr 
geführt wurde, herrſchen ſehr verſchiedene 
Etlmmen, im allgemeinen hört man aus 
dem Durdeinander von lrteilen heraus, 
da die Oper wohl in erfter Linie das 
Werk eines begabten Dilettanten if. 


Am 5. Upril wurde mehrerenorts ber 
100jährige Geburtstag Ludwig Spohrs 
feitlih begangen. 

Der von Frau Lucca beionders prote- 
nierte polnifhe Zenorift Mierzwindti 
bat ſich im Wiener Opernhaus als Arnold 
(Ze) in außergewöhnlicher Weife bewährt. 

Infolge des im leiten Heft erwähnten 
Standals Bälow-Hüljen bat ber erflere, 
wie faum ander& ju erwarten war, einen 
Verweis von feinem fürſtlichen Herrn er» 
halten und intofgedefien feine Dimiſſſon 
eingereicht. Aber Herr v. Hülfen fann 
fich feines Sieges wenig freuen, da ihn 
Bülow ingwilsgen fhrıftlid von neuem 
angegriffen hat, 


Aunfl. 


m“ Original von Naffaels audgejeidh« 
> netem Werl die „Madonna von 
Loretto““, welches befanntlid bei ber 
frangöfiichen Occupation von Yoretto Ans 
fang dieles Jahrhunderts verſchwunden 
ist, wurde im Muſeum zu Hyeres entdedt 


| 





Entdedungen und Erfindungen. 


Sp Syrien {it der drei Meter lange 
>) Darmorfarg einer phoniziſchen 
Königin entvedt worden, ber auf der 
Dede ein Bild der Slönigin, an den Seiten 
Stlavinnen ertennen läßt. Die Ausführung 
wird fehr nerühmt, — Cine andere Ent⸗ 
dedung meldet man auß flabul, wo ein 
Stein gefunden wurde, deſſen Inſchrift 
fih auf den Ariegszug Alexanders des 
Großen bezieht. 

Gine neuentbedte Abart des Brom- 
beerſtrauches, bie man im jüdlichen Nor» 
wegen fand, ift bei der lehten Eikung der 
fol. wiſſenſchaftlichen Gefellfhaft zu Göte ⸗ 
borg vorgejeigt und Rubus Selmeri (nad 
dem geftirzten Minifterpräfidenten) ges 
tauft worden, 

Wie das Perpetuum mobile wird be» 
tannilich auch jaft alljährlich mit der Regel» 
mäßigteit der ſiets wiederfehrenden Sre- 
ſchlange die Duadratur des Kreiſes als 
gelöft befannt gemadjt. Der jüngfte Löſer 
diefes ſchwierigen Probiems ift der Geos 
meter U, Lepiarz in Ratibor; der feltfame 
Schwärmer bat fogar den Reihätag um 
Grteilung eines Anerlennungsidreibens 
für feine weltbewegende Grfindung erfucht 
Die Gelchrten der Zeitichrift „Wom Trels 
jum Meer* werben es ſich nidt nehmen 
laffen, demnädft aud ibhrerfeits in der 
Rubrit „Zum Hopfserbredien” den Verweis 
von ber Yösbarkeit, allerdings nad) ihrer 
Diethode, zu bringen 


£itteratur. 


Mionprinz Rudolf von Deflerreidh gibt 
, cin großes beichreibendes Werk über 
Triterreih, Ungarn und die Nebenländer, 
und Bosnien, bie Herzegowing und das 
Yımgebiet heraus ie vieljeitigite Be⸗ 
handlung des Stoffes ſowohl nad geo« 
graphiicher wie ethnographiider und fultur- 
geſchichtlicher Richtung iſt vorgeiehen, auch 
ſol die gegenfeitige Wirlung der einzelnen 
Teile der Monarchie aufeinander berid« 
fidytigt werden 

Unsere üͤbertheiniſchen Nechbarn wid⸗ 
men uns jur Yet ein ganz beſonderes 








336 


Antereſſe und erft jet wieder bereitet einer 
der befannteften franzöſiſchen Geographen 
D.A. Malte-Brun ein umfaffendes Wert 
von vier Duartbänden zu je 800 Seiten 
und 400 Holzihnitten vor, weldes ſich 
„Allemagne illustree* betiteln und 
Deutfihland nah allen Rihtungen hin 
behandeln wird, 

Das ſeht beftimmt aufgetretene Ge» 
rücht: die Gräfin — fei Verfaſſerin 
bes Pamphiets „In sociöte de Berlia 
ift ernftlich widerlegt worden. Die Mgdeb. 
Sta. weit aud auf folgenden Sah ber 
Iandalöfen Schrift bin, der faum von der 
Frau Gräfin niedergeichrieben worden fein 
dürfte: Le comte d’Aubigny a pour 
epouse une femme un peu originale 
qui ne mangqne pas d’esprit, mais 
qui, par crainte d’ötre banale, est 
tombee dans la plus complöte im- 
politesse. 


Seilwiffenfdaft. 

nfer Mitarbeiter Sanitätsrat Baer 

t in einem Bortrage über die 
Sterblichkeit der Gefangenen nachge · 
wiejen, daß die Wahriceinlichteit baldigen 
Todes bei diefen Unglüdlihen 3—bmal 
nrößer iſt, ala die ber fFreim. 1878-80 
itarben faft 31 vom Zaufend und von ben 
dem Tode Geweihten verfallen wieder die 
meiften der Schwindſucht. Baer macht 
dafür neben der unnatürlichen Lebensweiſe 
vor allem phyfiiche Einftüfjeverantwortlid. 


Militärifdes. 


hp" franzöfiihen Militärverhält- 
niffe gehen einer eigentümlidhen 
Wendung der arg entgegen. Das |. 2. 
von Deutihland übernommene Anititut 
der Einjährig- Freiwillinen bat ſich in 
Frankreich durchaus nidt bwährt, weil 
ed unter ganz anderen Berhältnifien gu 
Tage trat als bei und, Mer 1500 Fro. 
zahlen fonnte, wurde zu dem Ginjährigen« 
dienft zugelaflen, das Frame war eine 
ormel ohne tiefere Bedeutung und fo 
amen Leute in diefe bevorzugte Alafle, 
welche in feiner Weiſe den gejtellten An⸗ 
forberungenentipradhen, Rad) dem neueſten 
Programm joll nun die Dienstzeit wieder 
für alle Dienenden gleidigemadt und auf 
drei Jahre ftatt fünfreip. ein Jahr feitaejeht 
werben, ine Ausnahme von diejer Regel 
wird bie Kolonialarımee madyen, filr welche 
die Hünfjährige Dienftzeit beibehalten bleibt. 
Viel veripridt man — von der Erhebung 
eines Wehrgeldes“ derjenigen Dienit 
pflichtigen, die nicht einberufen werben, 
das man zur Gewinnung von Fünfjährig · 
Trreiwilligen und eines Stammes von Inter» 
offigieren verwenden will. Der eminente 
Schaden, der allen denen aus ber drei» 
jährigen Dienftjeit erwächſt, die dem Stu · 
dium, überhaupt den höheren Berujsarten 
fi bingeben, ſcheint nicht voll gewürbigt 
ju werden, um bie beabfichtigte Heeres- 
organifation zu bintertreiben, 

Der Drang der Japanefen, euros 
väilche Kultur bei fi einzuführen, macht 
ſich auch darin wieder geltend, daß eine 
aus 20 Perjonen beftehende japanefiidhe 
Nommilfton unter führung des Generals 
Obyama eintreffen wird, um die mili« 
därifhe Organifation der Großmädhte 
genau fennen zu lernen. Gine andere 
Kommtlifion will in den Haupiſtädten 
$hemie und Medizin flubieren. 

Die englifche Flotte zählt zur Zeit 
534 Fahrzeuge, von denen 235 im Dienfle 
find, Die gefamte Mannſchafisſtärte be« 
!äuft ih auf 57250, von benen 16000 
zum Dienft bei der Marine erzogen find 
und zehn bis zmölf Jahre bei ihr gedient 
baben. 833006 Perfonen find im aftiven 
Dienft, davon 19371 in fremden Ges 


Sur Zeitgeſchichte. 


wäflern flationiert und zwar im Mittel 
meer, Nord» und Südamerifa, Weftindien, 
Kapitation, Großen Ocean und Ghina. 
Marineoffiziere gibt es 4079, 


Unglüdisfäle. 


er Bauunt er Wehner in Elber- 

feld ift jüngit in Barmen auf eine 
ſchredliche Weife vewunglüdt, 
einige Dynamitpatronen zu ſich, die in ber 
Reitauration, wohin er fidh, um den Kaffee 
E nehmen, nn hatte, erplobierten. 

fi wurde budNäbtic in zwei Stüde jer« 
riffen, 

In der Scehafenſladt Bowen in 
Queensland hat im Februar ein folder 
Ortan geherrſcht, daß fein Haus der Etabt 
unbejhädigt blieb und aud mehrere Men« 
ſchen ihren Tod fanden. — Bei ber Ge 
legenbeit mag erwähnt fein, dat jeht fefl« 
geftelt wurde, daß bei dem Ausbrud des 
Bultans Srafataua 40000 Menſchen auf 
Java und Sumatra ihr Leben verloren. 
— Aus ben Bereinigten Staaten wirb 
ebenfalls von heftigen Stürmen gemeldet, 
die namentlih in Norblarolina und Ohio 
witeten und ſchwere Opfer an Menſchen 
und Saden forderten. 

Im Staate Virginia und zwar in 
Pocabontas bei Lyndburg hat iin März 
ein durch GErplofion ſchlagender Wetter 
tgerufenes Örubenunglüd 150 Berg» 
euten das Leben geloftet. Zu allem Uns 

ng auch noch der Stohlenflöz Feuer, 
o dak man fchliehlih den Schacht ver 
mauern mußte, um den Brand zu bämpfen. 


Bölherhunde. 


ch einer amtlichen Statiftil betrug bie 

“7% Sabl der in Ruſſiſch-Polen Ic» 

benden Deutichen 1881: 199305, die ſich 

feitden ſtetig vermehrt hat, ihr Grund« 

eigentum 1695961 Morgen, zu dem 
187415 Morgen Pahtgüter fommen, 


Kandel und Verkehr. 


ei dem Intereſſe, welches man gerabe 

jeht amerifanifcher Aus- und Ein · 
fuhr entgegenbringt, wird es nit unin« 
terefiant kin zu hören, daß im Ichten Jahr 
von Deutichland nad den Vereinigten 
Staaten für mehr als 228 Mu. DIE, Artikel 
ervortiert wurden, darunter fir 8710077 
Dollars Baummwollwaren, für 6497996 
Dollars Wollwaren, für 4227106 Dollars 
Seidentwaren, für 3158973 Dollars Eiſen · 
und Stablwaren, für 3114981 Dolars 
Leder und Lederwaren, für 2332090 Doll. 
Anbpfe und Anopfmaterial, für 2332634 
Doll. Galanteriewaren. 


Eine der wenigen eriftierenden elcl- 
trifhen Eiſenbahnen wird ihren Betrieb 
einjiellen. Es ift dies bie furze Strede 
Groß Lichterfelbe-Hadettenhand, welche 
wegen mangelnder Rentabilität aufgegeben 
werden muß. Die eleltriſche Bahn Weftend» 
Spandauer Bant ift ihr befanntlid ſchon 
früher hierin vorausgegangen, 


Berdreden. 


Pe tr fcheinen in eine nicht enden wol« 
a ende Periode graufiger Mordthaten 
eingetreten zu jein, denn während faum 
erit die Nadhricht von der Verurteilung 
Schents und Genoſſen zum Zode eingetrofs 
en ift, wird ſchon wieder von einem breis 
achen Morb aus Berlin gemeldet. Dort 
at der Arbeiter Grunad im Aifelt feine 

rau, mit ber er im Infrieden lebte, ferner 
eine Schweiter und den zu Hilfe herbei» 
eilenden Vicewirt niedergeitohen. — Am 
27. März wurde der berüdhtigte Bandit 
Algeriend Ben Bahi wegen 3ofadem 
Mord mittels der Guillotine hingerichtet. 


Kurz bevor ihn der Todeßftreidh traf, ſagte 
er: „Alle, welche mi achten, mögen für 
mich beten, alle, welche mid; verachten, 
möge Gott trafen an ihren Erftgeborenen. * 
— Mette Berhältniffe mögen in Bercefli 
herrichen, wo jüngft der Bürgermeifler 
und zwei Gemeinderäte tuegen begangenem 
Raubmord zum Tode verurteilt wurden. 


Totenfhau. 


rinz Leopold Georg Duncan Albert, 

Herzog von Albany, Graf von Cla⸗ 
rence unb og von Sadjlen, der jüngfte 
Sohn der Hönigin Piltoria von England, 
der das lebhaftejte Interefje Für Kunft- und 
Wiſſenſchaft hatte, farb am 28. März zu 
Gannes, Der Herzog, geb. 7. April 1853, 

gi 1882 Gatte der Prinzeifin e von 
alded, hat durch eine Blutergiehung ins 
Gehirn jein Leben verloren, deren Urjache in 
einem Sturz beim Ereppenfteigen zu fuchen 
iſt. Die Leiche des Herzogs wurde, begleitet 
von einer Reihe fürſtlicher und jonft bad 
geſtellter Perfönlichkeiten, über Paris in die 
Heimat gebraht und mit feierlihem Ger 
eine in Windſor beigefett. 
ze, Adolphe, der bekannte franzöfifche 
——— geb. 4, März 1823 zu 
ris, ſtarb dafelbit im März. Gr war 
ein Schüler Rob. Fleurys. 

Behm, ee der Petermann» 
hen Mittheil., ftarb im März zu Gotha, 

Garlo Tocco, Fürft von Wontemis 
Ietto, der Ichte Nachlomme der Etuarts, 
ftarb 54 Jahre alt in Montemiletto, 

Golban, Marie Soppie, belichte nor« 
wegiihe Romanisrijtitelerin, Harb am 
27. März zu Nom, 

Deubler, Konrad, der intime Freund 
ud. Treuerbadis, farb Ende Marz zu 
Goiſern bei Iſchl. 

Formes, Wilhelm, einſt gefelerter 
—— ſlarb in New Yort, erſt 50 

ahre alt. 

Geibel, Emanuel, einer unſerer ge» 
elertften Yyrifer, geb. 18. Oft. 1815 zu 
über, farb dalelbit 6 April, An anderer 

Stelle diefes Blattes ift dem unvergeglichen 
Dichter, Defien Mitarbeiterihaft ſich auch 
unfere Zeitſchrift rühmen durfte, ein pocti= 
{cher Nachruf gewidmet. Geibel träntelte 
ſchon lange und wurde bereits drei Wochen 
vor jeinem Tode von einem Schlaganfall 

etroffen, der fid) wenige Tage vor jeinem 
Ende wiederholte und dieſes herbeiführte, 
Nach diejem lehten Anfall gelangte er nicht 
mehr zum Bewußtſein. 

Jerrold, Blandard, Schriftiteller 
und langjähriger Redakteur von „Loyds 
Weekly Newspaper*, jtarb am 10. März 
zu London. 

v, Leutrum, Geh. Rat Graf Hugo, 
einft Stantäanwalt in dem großen Hodı« 
verrateprojeh Becher und Genofjen (1851), 
ftarb im März zu Stuttgart. 

Hidhter, Guflav, ausgejeichneter 
Maler, namentlih auf bem Gebiete der 
Porträts, geb. 1823 zu Berlin, ftarb ba» 
ſelbſt am 3. April, 

Sclla, italieniſcher Abgeordneter, vor« 
züglicer yinanzmann, ftarb am 14. März. 

Trübner, Nilolaus, verdienter Der« 
feger, namentlih auf dein Gebiete ber 
indiſch · orientaliſchen Literatur, Gründer 
und Beſiher der Firma Trübner u, Go. 
in London, ftarb dajelbft im März, Geb. 
1817 zu Heidelberg. 


»erfonalien. 
angois Coppé und Ferd. Leffeps 
3 find zu Dlitgliedern ber franzöftidhen 
Alademie ernannt worden. 
Wilhelm Scherer wurde zum Mitglied 
der königlih preußiſchen Alademie in 
Berlin ernannt. 














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Morgens. 


Gedicht von Olto Roquelte. 


drängt. 















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©. Hättig, Unſer Hausgarten. 


Unfer Sausgarten. 
Bon ©. Hüttig. 





Der Weinſtock im Garten. 


Wenn in Mitteldentihland die Weinftöde im März, in 
Nord» und Ofideutichland im April von ihrer Winterdede befreit 
werden (in Süddeutichland bleiben fie unbededt), dann jollte man 
r jufammengebunden nod einige Zeit auf dem Erdboden liegen 
affen und Dedmaterial bereit halten für den Fall, Pr. ein fü 
wöhnlid nur furger Spätwinter oder einzelne Froſtnachte eine 
leichte ung nötig * ſollten. Aber in dieſen erſten 
Fruhlingsmonaten follten bei alten, feſteingewurzelten Weinſtöden 
die oberſſen Wurzeln von Erde entbl ft und abgeichnitten werden, 
damit die Pflanzen im ihrer Ernährung bauptjählih auf bie 
unteren tiefgebenden Wurzeln angewiejen bleiben und baburd 
dem Ginflue des Wechjeld der Yufttemperatur und der Nieder 
ſchlage entzogen werden; bei jungen, erft furze Zeit auf ihrem 
Plate ftehenden Meinftöden ift dies Berfahren aber nicht an» 
wendbar. Yur Beſchleunigung des Wachttüms und der daraus 
folgenden früheren Reife der Trauben wendet man bei dem in 
den erflen Monaten notwendigen Begiehen ber Weinftöde bis 
350 R. erwärmtes Waffer, auch Dungwafler an. 





Big. 1. Echentel bei Weinitods in Fächerform. Links gefappte 

„Buätrute* mit gelappten Ableilern, rechts Fruchtrebe mit ge 

Lappten Frachtruten. Die Striche bezeichnen bie Stellen, wo im 
Hrrbft geſchnitten wird, 


Ueber das Wahstum des Weinftods und feiner einzelnen 
Zeile haben wir ion im 1, (Oltober-) Hefte dleſes Jahres aus · 
führlich geiprodhen und bitten wir, heute darauf hinweiſen und 
nod einmal in Grinnerung bringen zu dürfen, daß wir eine 
ausführliche Anmweifung für die Pflege des Weinflods und für 
die einzelnen Handgriffe beim Heften der Neben, beim Aus- 
breden* der Ruten u. j. w. in der 16. vollftändig umgearbeiteten 
Auflage von „Rechts praftiichem Weinbau” (Leipzig 1881. U. rer 
nau) und in D. Hüttig „Wresows Gartenfreund* (Berlin 1881. 
Siegir. Gronbadh. Preis 4 M.) gegeben und dabei bie neues 

Erfahrungen in Wifienihaft und Praxis benüßt haben, 
Die vorſtehende Abbildung iſt nadı dem eriigenannten Werlke 

eftellt ; fie zeigt einen im Herbſt durch das Beidhneiden des 

nitods in frächerform gewonnenen „Schentel*, deſſen ſämtliche 
Augen gewadien find und junge Triebe, fog. Ruten 5—*— 
gehn. von denen bie unterite zum Fruchttraägen im näditen 
ahre guy ift und deshalb Zuchtrute“ genannt wird, 
während die fieben über ihr ftehenden Triebe im laufenden 
Jahre Früchte tragen und deshalb „yrucdhtruten” genannt iverben. 
ee möchten wir heute den geneigten Leſer nur für bie 
Etärfung jener Zuchtruie intereffieren, die im nächſten Jahre 


337 


nur dann unjere Hoffnungen auf zahlreihe Trauben erfüllen 
wird, wenn ihr hauptlächlich der Saft und damit der dem Erb» 
boden entnommene Nabhrungsitoff der ganzen Rebe zugeführt 
wird; die Fruchtruten haben eine ſolche Stärfung nicht nötig, 
denn bie im —— Jahre vorgebildeten Trauben werden durch 
Bermittlung der Blätter genügend ernährt, ihre einzelnen Beeren 
aber durd Anwendung einiger Hilfömittel bedeutend vergrößert, 
von denen toir weiter unten ſprechen werden. 

Die jun Blätter des MWeinftods ziehen vermöge ihrer 
Ausatmung überflüffigen Waflers mit dem Sauerfloff u. ſ. w. 
den von den Wurzeln aufgenommenen Nahrungsfaft hauptſächlich 
nad oben und zwar zum Radjteil bejonders der unterften Augen ; 
es find aber gerade die unteren (nicht unteriten) Augen, welde 
allein imitande find, Fruchtrulen und mit ihnen Trauben zu 
liefern. Bei den ſtarkwüchſigen Sorten hört die Fruchtbarlkeit 
über dem fünfzebnten, bei den ſchwachwüchſigen über dem jwölften 
Auge auf und find bei Iehteren die unteren — bis drei, bei 
eriteren drei bis fünf Augen unfrudtbar. ird jenen zmwöl 
bez. fünfzehn Augen nicht genügend ** zugeführt, wei 
die Ruten zu ſtart nach oben wachſen, jo bleiben ſie jämtlich 
Jh oder weniger unfruchtbar. Nur wenn der Yufluß ber 
Nahrung auf dieſe zwölf bis fünfzehn Augen der Zuchtrute 
fonzentriert wird, erfüllt 
fie unfere Erwartungen, 
an jeder der von der Na« 
tur dazu beitimmten neun 
Ruten zwei bis fünf (im 
Durchſchnitt drei) Traus 
ben vorzubilden. — Wir 
bewerfitelligen dies, kurz 
—ãA in folgender 

e: 


Wir entfpigen, „ 





pen” die Zuchtruten in 
einer ihrer fünftigen Des 
immung angemejjenen 


änge, ben werdenden 
Zapien an dem jechäten, 
den künftigen Schenlel an 
dem zehnten bis zwölften 
und die mäditjährige 
Fruchttehe an dem fünfzehnten bis achtzehnten Knoten, je nad 
dem mehr oder weniger flarfen Wadstum der Sorte bejw, 
des bet den Weinjtods. — Nad dem Kappen, das aus« 
geführt wird, fobald die Nuten die nötige Länge erreicht haben, 
bemerten wir zweierlei: das raſche Wachttum der „Wbleiter* 
(vergl. Oftoberheft 1883, ©. 116) mit dem gleichzeitigen An« 
ſchwellen der fchlafenden Augen oder, wie fie auch, nicht ganı 
richtig, genannt werben: der Tragknoſpen (die Anofpen blühen 
nicht und tragen nicht Früchte, jondern die aus ihnen ſich ent» 
widelnden Ruten), und das Austreiben der oberften zwei, 
felten drei Augen neben den MAbleitern; dieie Augen geben aljo 
fürs nädite Jahr verloren und deshalb lichen wir bie Yudhte 
ruten beim Stappen je drei Augen länger, als wir fie beim Be» 
ſchnelden im Herbſt brauchen. 

Es ift wohl wahr, - bei den Ruten, melde gelappt 
wurden, bie Ableiter durch ihr kräftiges Wachttum bald uns» 
bequem werben, dann aber fappt man aud dieſe über dem 
dritten Anoten und jebe Verwirrung im Weinſtod ift vejeitint; 
die drei Augen jeden Ableiters treiben nun allerdings ebenfalls 
aus, aber dieje Triebe werden durch ihre niemals bedeutende 
Länge nicht ftören; die fürs nädite Jahr nötigen Ya der 
Zuctruten bleiben ſchlafend, aber die Anzahl ihrer Blätter 
wurde dur das wiederholte Austreiben der Ableiter vermehrt, 
und die Wurzeln gedeihen darnad) um fo beifer, weil, wie bier 
mehrmals angedeutet wurde, die Blätter von größtem Einflu 
find aud auf die Ausdehnung der Wurzeln und damit aud au 
die Ernaͤhrung der ganzen Pflanze. 

Die Fruchtruten haben nur den Zwech, Trauben zu 
bilden, zu ernähren und zur Reife zu bringen; alle Ruten außer 
der Zuchtrute, welde Trauben bis zum fünften ſtnoten nicht 
eigen (höher hinauf it niemals die erjte Traube zu erwarten), 
werden einfah autgebroden. An der Fruchtrute mit Trauben 
geſchieht die Emährung dieſer wie des ganzen Weinftods durch 
Vermittlung der Blätter; da nun erfahrungsmähig drei Blätter, 
eins der Traube gegenüber, zwei über ihr, außer denen unter 
ihr, zur Gmährung derjelben ‚genügen, fo fappt man un ucht · 
rute an dem dritten Anoten über der oberiten Traube. Gleich ⸗ 
zeitig drüdt man mit dem Fingernagel alle in den Blattwinfeln 
vorhandenen Ableiter und ſchlafenden Augen aus, um auf dieje 
Weile jedes weitere Wahstum an den Fruchtruten zu unter 
drüden — immer zu Gunften der Zuchtruten, die aber, auch 
wenn fie Trauben haben, was bei aut gepflegten Weinftöden 
bäufig vorfommt, ihre Ableiter bis zur Reife behalten müfien. — 
An den Fruchtruten bilden fi) nah dem KAappen und Aub- 
bredhen bald neue Ableiter, neue Augen und dieſe find ftets, for 
bald man fie bemerkt, immer wieder zu entfernen. 


43 


Die. 2. Pranfenihaler Traube. 


338 


Wir müfjen aber wiederholt auf die Bedrutung ber Blätter 

überhaupt und der Ableiter an den Zuchtruten aufmerkfam machen 
und vor ihrem Aubbrechen an unredter Stelle warnen. Das 
dem Sonnenlicht ausgefehte Blatt bedingt das Wachttum des 
Weintods (der Pflanze überhaupt), die Traube dagegen joll vor 
dem direllen Sonnenlicht gejhüßt fein. Wenn man das ber 
Traube gegenüber fihende Blatt twegbricht in der Meinung, da 
man bei zweifelhaften oder fühlen Wetter die Beeren mit Silke 
der Sonne ſchneller reif befommen könne, dann bleiben die 
Beeren fauer, weil das Blatt jeblt zum Ausſcheiden des Eauer- 
ftoffs und die Traube welt. Die Beeren bereiten oder fammeln 
nur den Yuder aus der vom Blatt vorgebildeten organijden 
Subftang; die dem Sonnenftrahl direkt ausgefehte Traube wird 
kranl, fie befommt den „Sonnenftih*. Aber es ift beim Seiten 
der Ruten darauf zu jehen, dak alle Blätter vom Sonnenlicht 
— werden, aljo nicht übereinander zu liegen fommen, 
enn die im Schatten fihenden Blätter entziehen, wie aud 
Ba Milter- Thurgau in den „Ampelographiichen Berichten“ 
agt, durch ihre Atmung dem Stoch und damit der Traube 
mehr Zuder, als fie an dieſe abgeben, 

Die Ableiter an den Zudtruten — wir wieberholen 
diefe Hauptregel für die Behandlung des Wein — bürfen 
wohl verkürzt werden, wenn fie burd ihre Länge umbequem 
werden, man entferne fie aber niemals eher, als bis die Ruten 
braun, db. 6. a: geworden, was bei günfligem, warmem und 
trodenem m Auguft, bei naflem oder jonit ungünfligem 
Wetter aud erft im September der Fall fein wird. — Aus 
führfiger haben wir bie Sommerbehandlung des Weinftodes, 
auch der Düngung, in den oben angezogenen Werfen beſprochen, 
die wir deshalb der Beachtung aller Beranhe des Gartenbaus 


befiens empfehlen. 

Schlicklid möchten wir bier auf ein Verfahren aufmerffam 
madıen, woburd man ungewöhnlich großbeerige Trauben, wahr« 
bafte Ausftellungstrauben, erzielen fann, In der Hauptſache 
nad von Babo, des Önologiihen Inftituts in 
Slofterneuburg bei Wien, beftcht bas Verfahren, ausführlicher 
in der „Weinlaube* dargeftellt, 1) in der entfpredhenden Auſswahl 
großbeeriger Sorten; 2) im Bejdneiden der Zrauben während 
oder einentlich ſchon beim Beginn ihrer Entwidelung und 3) im 
— woju noch bie Beigabe nötigen Düngers lommen 
müßte, 
—— Sorten find der fyranfenibaler, das 
blaue Ochtenauge, der blaue Damascener, der frühe weiße 
Damascener, die Kalebetraube, die große rote Dinfa von Ungarn, 
Golden Champion von Thomfon, aud) wohl der weiße Gut« 


edel u, a. m. 

Das Beihneiden der Trauben geſchicht zur Zeit ber 
erften Entwidelung, d. 5. wenn bie Beeren die Größe groben 
Schrots erreicht haben, alfo jedenfalld viel früher, als obige 
Figur ed andeutet, mit ber wir aud ein Bild der Sorte geben 
wollten, die fih beiier als andere zum Zreiben u (Fig. 2). 
Man Idhneidet die untere Hälfte der Traube einfad) ab, wonach der 
Net ſich außerordentlih raſch entwideln wird — aber nur 
während der eriten 14 Tage; nad; diefer Zeit und wiederholt 
von 14 zu 14 Tagen werben von ben fichengebliebenen Beeren 
einzelne, und immer bie fleinften, vermittelft einer flumpfen, 
d. b. nicht fpiken Scheere berausgeiänitten, und erhält man 
ſchließlich zwar wenige, aber unglaublich große Beeren; —5* 
lache dabei ift das allmähliche Entfernen eines Ki der 
einzelnen Beeren, 

Das Ringeln verurfadt nit nur ein ſiarles Anfchwellen, 
fondern aud ein frühes Reifen der Berren, darf aber nur bei 
Trauben ep werden, welde an den eigentlichen Frucht ⸗ 
ruten, nicht bei folgen, welde an den Zudtruten ſihen. Vehtere, 
von denen die meillen, wie oben auäge wurde, im näditen 
Yabre Fruchtruten mit Trauben bringen jollen, würden dadurch 
peiamänt und verborben ; erflere Dagegen, bie Fruchtruten, werden 
m der Regel im Herbſt abgeinitten, brauden aljo Reſerveſtoffe 
nit anzufammeln, 

genannte Operation wirb ausgeführt, wenn bie 
Beeren die Größe Meiner Erbien erreiht haben, und zwar an 
der Rute unterbalb der Traube, indem man burd ein 
ſcharfes Meffer (befier noch mit der fog. Wingeljange, die in 
allen befieren — — vorrätig In wirb) einen höchſtens 
15 mm breiten nn ber Rinde bis au 
ernt. 


da Barber. 


Trachten der Beit. 
Bon Ida DBarber. 





Wohl in feiner Zeit bes Jahres ift das Interefie für neue 
nah rege, ale 8 der ae Man he in ben —*— 
—— —— 52 ge die Kaufenden, es 

auföverbote er ober bie neu eingelroffenen 
Modeartifel bald geräumt werben. ” 

Der oft und nicht mit Unrecht beflagte ewige Wediel in ber 
Mode fheint der Mehrzahl der Damen eine Art Naturgefch zu 
fein. Da gegen Gejche pi auflehnen ftrafwürbig fein würde, 
madıt man es ſich zur pri t, jährlih fo und fo oft und wohl 
öfter, als ed einem nicht reich dotierten Budgel zuträgli if, den 
Modediktaten Folge zu leiften. Daß viele in v re pfl dierfüls 
—— weit gehen und gar oft als Modenärrinnen angejchen 
werben, fol uns nicht hindern, au unfrerjeits den Nouneautes 
Beachtung zu ſchenlen und fie einer geeigneten Prüfung zu unter» 
siegen. Abſehend von vielem Unſchönen, das als neu empfohlen 
wird, möchte ih die Aufmerkjamteit der gechrien Leferinnen auf 
einige für bie diesjährige Sommermode beflimmende Modelle 
lenfen, die in unferen Jluftrationen anfhauli dargeſtellt find. 
Da ift 5. B. das gan) reigende Koftim Etephanie aus lidtem 
Commerlodenftoff gefertigt, 
Nod und Zaille vorn ge» 
faltet, die Taille mit breis 
tem Hüftgurt von Samt 
abjhließend, der Rod vom 
ädjerartig ausftrablend, die 

Iten oben dicht zuſammen · 
geſchoben, nn Seite 
wagerecht br ‚ binten 
volle Stoffpuffen mit Samt» 
maſchen. Derartige Roftüme 
werben ftatt bes ts bi 
5 Ueberdruß geſehenen 


I 2 (Roftim Ghaumont) 
ein ebenjo kleidſames, wie 
ut ausgefübrtds Modell 
nden. Die Zaille ift vorm 
Ibawlartig drapiert, der Latz 
jwilden den beiden Shaml« 
enden gekrauſt, dem ent« 
Iprechend eine gleichfalls reich 
Braun. kurze Zunique, 
ie in breiten, durd eine 
——— gejogenen 
Ehawls 78 
deden drei 
deren hohlſtehende 


ein längs 
gebradhtes farbiges Futter durchbliden l . Gleichfalls 10 
has den Ice Mi Allen) Das 





Big. 1. Rofüm Gtephante. 


denten Grdug in 


t auf —— von 
Siaategeheimniſſen? zu verſtehen; wenige Tage, nad fe fih 
teren lieh, waren 


u Grunde liegende Idee ifl in 
fig. 3 veranſchaulicht; die Taille ift mit zwei Ehamlenden dra- 
piert, die an ber Schulter einer breiten Samtpafle angenäbt find; 
ſelbe werden freugweis geiglungen, an der Xaille durch einen Gu 

befeftigt und bilden unterhalb derjelben eine Art furzer, ebenfalls 
freugmweis geſchlungener Zunique, die auf der Tournüre in einem 
Anoten oder einer großen Maſche endigt; dazu ein durchweg ge= 
Ridter Rod, oben mit leichtem Gazeſtoff brapiert, qeftidte durch ⸗ 
fihtige Aermel mit Samtmafden; recht betrachtet ift Die Shawi · 
taille eine Art Fichu, das zu jedem leide getranen werden kann; 
für ſchlanle, —J Erſcheinungen wird es fi | it fehr 
tleidend erwweifen, Obſchon man die Parole autgab, hinten 


— 


Trachten der Zeit. 339 


teouffierte Röde nicht mehr modern feien, fieht man doch viele 
der neueren Modelle in den Ginterbahnen jo reidy gefaltet, daß 
etliche Meter Stoff gut fehlen könnten, ohne das Arrangement 
faltenlos erſcheinen zu lafien. Fig. 4 ftellt ein derartiges aus 
eerufarbigem ftanevasftoff 
gefertigtes Koftüm dar: 
der Rod, ganz glatt, ift 
aus braunem Brodes ge⸗ 
riigt, darüber eine vorn 
ur; geraffte lonaife, 
deren reich gepuffte Hinter · 
Fr durch 8* - 
toff gefertigte na 
ogen find. Für Reife 


Doppeltunique von zweier« 

lei Stoffen, Taille und 

ſtragen ebenfalls gemiſcht, 

die Taille vorn mit einem 

Jabot von Goldipiken, 

oje ebfftlehen 
aſche a end. 

Unter den Mode» 
Kin, die wir in dem 

etö wohl afjortierten Las 
ner ber Gebr. Pollitzer 
(Wien) zu ſehen Gelegen · 
Big. 2. Arnim Ghaument. beit hatten, feinen die 
neuen freppartigen Woll» 
gewebe, „Barcival* ges 
nannt, die in Art der Leinwand gewebten Wollſtoffe (Sommer- 
toben), die halbjeidenen Bourrettei und Hein gemujterten Brodes 
und etlidye andere, die wir nachſtehend fkizgieren, das Neueite des 
Neuen. Die Sommerloden find ein echt or Gewebe von 
gediegenem Wert und folidem Anſehen; fie dürften bald bie 
taihmir- und fanevasar« 
tigen Stoffe, die ſeit Jah» 
ren ihren Plah in ber 
Damentoilette behaupte 
ten, verbrängen ; der Pat» 
eival hat einen fast ſeiden · 
artigen Glanz, if in 
braun, grau, olive bor» 
deau und dem jeht mehr 
als je beliebten deru vor» 
rätig. Yu englifden os 
ftümen gut verwendbar 
find bie neuen Beiges 
facda mit Quftreihuß und 
meliertem Fond. Luisine 
rayd nennt fih ein Sei- 
denftoff mit wollartiger 
Dede, der zu den elegans 
teften Bejuchstoiletten ver · 
arbeitet und auf der neuen 
Fähermaihine plifftert 
wird. — Ein großer Kon · 
fumartifel dürften die jehr 
praftiidhen, weil unfled« 
baren nes mit chi · 
niertem Grund werben; 
fie find mit Pelude-Ster- 
nen oder Heinen Früchie ·⸗ 
muftern brofchiert, elegant, 
leicht und, dem Gewebe 
* & en Karen 
nd zumelit aus 
Wie. 3. Rchäm Willen. blauen, voten, grünen, 
braunen Fäden gebildet, 
der Schuß grau, jo dab das Ganze grau eriheint und das 
unterliegenbe Ombre nur Ve inmert. 

Die neuen Foulés, in Art der Longſhawls mit buntfarbigem 
Muiter durhwebt, finden vielen Beifall; fie entipredhen mehr dem 
lebhaften Gente; jolid in farbe und Kompofition ift Dagegen ein 
wollreier, atlasarliger Stoff, der, dba er feinen Epedglany an« 





N 
Y 


FREE 





nimmt, den feither beliebten Kaſchmirs wirljame Ronfurtenz 
m. x ihe der im Tapiſſeri fi 

n e m ifferiegenre gewebten Stoffe, deren 
Fond fanevasartig mit Blumen und Früchten gefült ift, nimmt 
der neue Grenadine de 
laine einen bervorragen- 
den Rang ein. Er gehört 
u jenen leichten, tleib« 
amen Geweben, deren 
Faltenwurf eleganter als 
der ber teuerften Stoffe ift. 

Im Seidenfah find 
wenig nennenäwerte Neu · 
heiten. Die Carreaux 
broch6s find in hübſchen 
Farbftellungen vertreten 
(Heine Rojenknojpen auf 
fariertem Grunde), die 
ftarf gerifften Ottomaned 
mit Samtpleins, die tra» 
versgeſtreiften Ripfe und 
matt dhinierten Etofie 
werden viel mit Samt, 
Merino oder durchweg ge- 
ftidten Stoffen verarbeitet. 

Für den Hochſommer 
empfiehlt man geftidte 
Baitftoffe (Rohfeide), ge⸗ 
blümte Foulards und ab» 
aepaßle Muſſelineroben, 
die mit Irish Guipure 
oder engliſcher Stiderei 
garniert werden. — 

In der Wahl der 
Kindergarderobe find un · 
fere ſeht beforgten Mütter, 
die fih auf ihr pädago- 
giſches nis viel 
zu gute thun, nicht im⸗ 
mer fonderlid vorfihtig., Bla. 4. Koſtam mit trouffiertem Rod. 
Die Leinen Leutchen mer» 
den in allerhand buntfar« 

—** weißen Di und EStidereien bejehte Samtloftüme 
aeitedt, deren Form fo kotelt und auffallend ift, dag man ihnen 
dermaleinft, wenn Dämon (itelfeit fi im die jungen Seren 
einniftet, feine Vorwürfe 
wird maden fünnen. Gar 
u viel der Falten und 
btthen, au viel der 
unten Bänder und eles 
—— Aufpußftoffe! Die 
leider der feinen Mäd« 
hen find wie die der Das 
men garniert, gerafft, ge= 
pufit, die Anabenanzüge 
gleihfalls mehr als ele⸗ 


ant — Im 
4 
n 


ſtinderloſtüme ſehr em» 
pfehlenswert. Fig 6 flellt 
beiſpielzsweiſe einen aus 
lichtgrauem Tuch gearbeis 
teten Anabenanzug dar, 
der ohne viel Beſah unds 
Schnörlel trefflich Fleidet; -— 
der Paletot ift unten durd 
ein paflepoiliertes Ban ⸗ 
deau abgegrenzt, die Bein · 





tleider in gi ber Art ger 
ſchloſſen, oben halboffener 
ragen mit paſſendem 


it 

Paflepoil, Das Mädden« 
foftüm (Pig. 7) if in 
Paletotform gehalten, 
vorn mit farbigem Fal · 
teneinjak, durd Mer 
tallihleife überbrüdt ift, 
hinten mit breitem Fal · 
tenftüd. 

Das Monplusultra 
des Einfachen find die von Magnet (Wien) eingeführten Trifot- 
anzlige (Fig. 8), die in der Art wie die Nerjeytaillen feft ans 
I&hließen und jede Hörperform plaſtiſch bervortreten Iaffen, Man 
verfauft diefe Aoſtüme für Mädchen wie für Stnaben in Wolle 
und Geide; allem Anſchein nad dürften fie ein bedeutender 
KRonfumartilel werben, 





Die. 5. Rom Eatanefla. 


340 8. Dogt. 
Di 8. und € ü db eift i 
bunten Yan — * — ae Teac Staa "ih a 


beliebt, aud die Tüll · und Ktrepp · Façcont werben mit Bunt ber 
zogen, reich mit farbigen Schleifen, Blumen, Aehren, Gold« 
nadeln x. garniert. Sieht man fold einen mit Nabeln gepukten 
Hut, jo ſcheint es, als habe die Modiflin nur das Arrangement 
entworfen, die Puffen und Schleifen geftedt und beabfidhtige, 





Big. T. Big. 8, die: ©. 


nachdem fie diefe genäht, Die Radeln herauszuzichen; in Wirk« 
lichteit find aber diefe wohl 3 cm langen Goldnadeln der eigent« 
lie Schmud vieler Hüte. 

Die Gapotes haben vom auf der Pafie rings herum eine 
faſt handbreite Blumenrüſche, oben hoben Touff von Schleifen 
und Federn; jelten begnügt man fi, entweder nur — oder 
nur Blumen zum Aufputz zu nehmen. fig. 9 ftellt einen ſolchen 
aus jonnverbranntem Stroh gefertigten Hut bar, der vorn mit 
dichtgeſetzten jamtartigen Achren gamiert iſt; den Kopf deden 
Touffe gelber Etraußfedern, feitwärts breite Ottomanichlupfen. 

Aunge Mädchen tragen vorwaltend die hohen in Fig. 10 
und 11 flizgierten Gylinderformen ; Big. 10 ift jeitwärts aufge. 
bogen, den Kopf umgibt ein handbreites flarf iger Band, 
oben Mohnblumengarnitur mit Epiken, die längs des Ein 
ſchnities im tiefe Tolfalten a Fig. 11 zeigt eine mehr 
breite, dad cht beſchatt empe, vorn ein volles Aehren · 





Big. 9. 


Big. 10. 
Big. 11. 
bouauet, rinneherum reich gefaltete Tülldraperie, die den Aopf 
bis oben hinauf dedt. 

Borgenannte Hutmodelle find dem Haufe Beutom & Grof 
(Wien) entnommen, 

Vefremdend iſt ed, dab die jhon im Vorjahre abgelehnten 
roten Schirme wieder einmal in allen Modegeſchäften auflienen 
und nod) befrembender, daß fie, obſchon Merzte und alle diejenigen, 
die ih auf naturgemäke Behandlung der Augen verfichen, ſich 
genen diefe auherdem auch unihönsauffallende Tracht ausipraden, 
gefauft werden, Die von Aerzten jo viel empfohlenen Schirme 
mit blauem und qrünem Futter find nie ein Mobeartikel ger 
worden. AA es nicht bedauerlih, dak man fo wenig rationell 
in der Wahl diefer und jener Zoilettenegenflände vorgeht und 
dem Yufall oder irgend einer Modelaune überläkt, was im An+ 
terefje unjeres förperlihen und damit auch feelifhen Wohlbefin- 
dens wohl erwogen werben jollte ? 


— 


Bicyeling. 


Bicncling. 
Bon 


Hermann Vogt. 





Die regelmäßige —— bes Velocipeds als Mittel zur 

riberwegung, eine Funktion, für welde die praftiichen Gnglänper 
bon längft den Namen Bicheling bezw. Tricheling erfunden 
haben, während wir nod immer zwiſchen dem „Reiten“ und 
„Fahren“ auf dem Belocipeb ſchwanken, diefe Benutung bat im 
Yaufe der Ichten Jahre jo an Ausdehnung gewonnen, dak dem 
Leſer diefer Zeitſchrift einige theotetiſche Winfe über deren prat ⸗ 
tifche Erlernung vieleiht nit unwilltommen find. 

Um fein Pferd trihen zu fünnen, muß der angehende 
Reiter zunãchſt lernen, fih auf dem Rüden besjelben fortwährend 
im Gleichgewicht u erhalten. Diejelbe Anforderung bat der An« 
fänger als erſte Worbedingung an ſich zu flellen, wenn er das 
Velociped „reiten” will. Namentlich bei der gweiräbrigen Maſchine 
fommen in dieſem letzteren Falle aber außerdem noch befondere 
Schwierigfeiten in Betracht, denn der breitere Rüden des Pferdes 
erleichtert die Haltung und der Reiter des Velocipeds, um biefen 
Ausdrud der Einfachheit wegen hier —— bringt ſich bei vor 
Trinbewegung zur Drehung der Kurbeln ſelbſt aus dem Gleich» 
gewicht. Mit dem Heben und Senten bes Beins muß ber Reiter 
alſo fiets eine Bewegung verbinden, um daß gejtörte Gleichgewicht 
wieder uftellen. Dies geſchieht mitteld eines Drudes ber 
Sand auf bie Lenkitange, welde nad derjenigen Richtung ner 
dreht wird, wohin das Gleichgewicht verloren gebt. Umgelehrt 
muß der Reiter, wenn er mit bem Belocipeb eine Wendung voll« 
führen will, das Gewicht des Hörpers nad der entipredenden 
Michtung legen und die Lenfitange ebendabin drehen, Diefer 
yunbamentalfaß ift bei den erften Uebungen, welche lediglich den 

wed verfolgen, Balance halten zu lernen, flets und unverrüdt 
im Auge zu behalten, Die Lenkftange darf aber, und bies 
bier vorweg bemerft werden, nie jo jdharf gedreht werden, da 
vordered und hinteres Rad in einem rechten intel aegenein« 
— ſtehen, weil ſonſt die Maſchine notgedrungenerweiſe ums 


Eelbfiverftändlih fan man Velocipedreiten ebenfowenig in 
einem Tage lernen, wie das Meiten eines Pferdes. Leicht und 
aeihidt Balance zu halten, erfordert Uebung und die erforberlihen 
engen der Hand auf die Lenkſtange müflen dazu völlig 
abfihtelos und aleichſam inftinktio ausgeführt werden. 

Zu ben erflen Reitverſuchen beſchafft man fi am beflen ein 
Belocived, weldes nicht höber ift, als uın dem im Sattel fikenden 
zu geitatten, nod gerade mit den berabhängenden Fußſpi 
beiden Seiten den Erdboden zu berühren, Gine jolde Maſchine 
ermöglicht leichteres Beſteigen und aeftattet au, in der erften 
dat mit Hilfe der frühe das lmftürzen zu verhindern. Am 

eiten wird damit begonnen, das Belociped führen zu Ternen, 
indem der Anfänger mit der linlen Hand die Lenkſlange er» 
greift, die Rechte ſchiebend in den Sattel legt und die Maſchine 
durch geringes Herüberneigen zu fi davon abhält, das lleber- 
gewicht nad der entgegenneichten Seite zu befommen. Darauf 
wird das Belociped wie ein Reitpferb von der linlen Seite be» 
fliegen. Der „Gyelift* ſchlägt daB rechte Bein über den Sattel, 
umfaßt mit beiden Händen die Lenkſtange, Daumen nad unten, 
und läßt vorläufig die Beine lang berunter hängen, ohne bie 
Füße auf die Tritte der Kurbeln zu fehen. 

Zwedmäßig ift es, wenn eine zweite Perfon bei diefen erften 
Manipulationen das Belociped durch Feſihalten hinten an ber 
Etanpe im Gleichgewicht hält, und diefelbe fann ſich auch dadurch 
nüglih machen, dab fie nun die Maſchine durch Ecieben in 
Gang fcht. Der Reiter läßt die Beine rubig ſeitwärts berab« 
bängen und ift nur bemüht, bei der langfiamen Borwärtsbewegung 
durch *1* auf die Lenkſtange und durch deren Drehung die 
Balance zu halten. Diele Art der erſten Uebung kann auch ohne 
anderweite Hilfe angeflellt werden, wenn der angehende Reiter 
fein Gefährt eine ſanft geneigte Ebene von felbit berabrollen läßt. 
Wahrſcheinlich wird er auf ſolche Weife Öfter zu Fall kommen, 
aber jedenfalls auch von vornherein breifter werden und wie nad 
dem alten favalleriftifhen Sprichwort niemand als u Reiter 
ailt, bevor er nicht hundertmal vom Pierde gefallen ift, jo wird 
aud der Belocipebift ſchwerlich feine Aunft erlemen, ohne an» 
fängliche Miberfolge und einige blaue Fleden. 

Rach den aud im Drude niedernelenten Erfahrungen eines 
bewährten Anhänger des Velocipebreitend werben wenige Stunben 
nenügen, um fid im Gebrauche der Lenlſtange zum Palancieren 
fiber und damit gewiffermaken nun als über die Maſchine 
' zu fühlen. Doch ift c8 qut, diefe eriten chungen trok der Iin- 

Vequemtiätelt der berabhängenden Beine nicht zu früh abyus 
breden. Die auf folde Weile —7 — verlorene w 
reichlich eingeholt durch bie größere, dadurch erworbene Sicherheit 


Dergleid; des jungfränlichen Ulters mit einigen Hirchenliedern. — Der geflirnte Himmel im Monat Juni. 


Hatie man fi ha diefer zit — erwähnt, ger 

—* die Beine unabhänig vom Oberförper und ganz ſelb ⸗ 

ftändig zu bewegen, fo ift die größte Schwierigkeit überwunden, 

und der Reiter kann ſich der zweiten Yufgabe zuwenden, bem 

* des Pedals, um das Velociped in Gang zu ſetzen und zu 
alten, 

Am beften beginnt man mit einem Fuße, deſſen vorberer 
Sohlenteil mit gleihmäßigem Drude auf das Pedal geftellt wird. 
Die Kurbel dreht ih, das Pedal geht in einer reisbewegung 
nad unten, bis es den niedrigiten Buntt erreicht hat Kurz vor 
diefem Moment gibt der Fuß einen elaftiichen Stoß, um die Auf« 
wärtsbewegung des Pedal: zu beiverfitelligen, und muß ſich nad 
oben natürlich heben, ohne doch die Fühlung mit dem Pedal zu ver 
lieren. Nachdem das richtige Gefühl für eine gleihmähige Kurbel · 
drebung mit dem einen Fuße gewonrfen, ſucht der eifrige Schüler 
dieſelbe Geſchidlichteit mit dem anderen Fuße zu erreihen, unb 
geht dann dazır Über, beide Frühe abwechſelnd zu gebrauchen. 

Oberlörper wird ruhig aufreht gehalten, bie Ellbogen 
liegen leiht am Leibe, die Yenfitange dient als Etübe und übt 
er den zur Aufrehterhaltung des Gleichgewichts nötigen 

enbru: 

Sobald im langfamen, methodiſchen Fortfchreiten ber werdende 
Cyclift nad diefen allgemeinen Regeln einmal fo weit gelommen 
if, um obne erhebfi, in · und Herſchwanken das Belocipeb 
einlgermahen geradeaus reiten zu fönnen, fo darf er ſich getroſt 
des bequemen Vehilels hr den Zweden des tägliden Lebens bes 
dienen, Unausge ſetzte ebung befeftigt dann die Sicherheit fort 
und fort. Dan t raſch die Lenkflange aud mit einer Hand 
zu regieren, abwechſelud die Füße ausjuruben, indem man dieſe 
über die zu beiden Geiten bes Pedals angebradten Unterftüjungen 
Hlägt, oder gar nad Amazonenart im Sattel zu fiten, ohne 

ie Balance zu verlieren. Ja, wer weiß, ob nit in verhältnis» 
mäßig furger Zeit der Name des früher fo unfiheren und 
etwas angſilichen Anfänger gar ald der des Siegers in einem 
Belocipedrennen genannt wirb, oder die Sportblätter von einem 
neuen Matadbor zu berichten wifjen, welcher in voller Beherrſchung 
feines Inftruments die ſchwierigſſen und fünftlihften Wendungen 
und Figuten mit vollendeter Eleganz und Eidyerheit auszuführen 

€ 


u if dann übrigens eim anderes Belocipeb erforderlich, 
welches höher, von neuerer Konftruftion, Überhaupt eleganter ift, 
als das unideinbare Fuhrwerk, auf dem bie Etubien begonnen 
haben. Als Anbaltspuntt bei einem etwa beabfidhtigten Kauf in 
dieſer Richtung fünnen die Dimenfionen gelten, die das für die 
meijten Perjonen brauchbare VBelociped nah den Angaben eines 


Stenners etwa haben joll, wenn diejelben Js nad der körper 
beſchaffenheit des Kaufenden auch vielfah ändern müffen: 
Durch des vorderen Rated . -. . » . . 95 cm. 
Durchmeſſer des hinteren Rabeb .». » . 2 ..085 „, 
Länge der Aurbel . . . » 2 2 2 2 en. 165 
be der Lenkſtange über der vorderen Adhie . . 75 
änge der Venfitange . 


ee re Satire MO 

Direlte Entfernung der beiden Abin . - . . 96 
Gröbte Entfernung der Pedale bis zur Sattelfpige 85 
Zu diefen Maßen ift indes zu bemerken, daft die Hinterräder 

bei den Fuhrwerlen neuerer Syſteme durchſchnittlich viel niedriger 
im nn ju den ——— zu fein pflegen, als bier an» 


eben. 
— Eine beſondere Uebung if erforderlich, um bequem und ſicher 
in den Sattel zu vn Wo an der Berbindungsitange hinter 
dem Vorderrad ein Tritt angebracht ift, ergreift der Neiter die 
Lentitange mit beiden Händen, flellt den linfen Fuß auf biefen 
Tritt, jet fein Vehikel langſam in Bewegung, und durch den 
Abſchwurng mit dem rechten Fuße gewinnt er von hinten feinen 
Eik. Sonft ftellt er die beiden in einem ftumpfen Winkel 
ander, faht die Lenkſtange nur mit der Linken, ſchlägt 
das rechte Dein Über den Sattel, jeht mit dem rechten Fuß durd 
Treten des Pedals das Belociped in Bewegung, und zieht dann 
auch den anderen Fuß hinauf. Den Eindrud Ubertaſchender Kraft 
und Gewandtheit macht es aber, wenn der Reiter die Maſchine 
in raſche Bewegung Seht, fich mit der Linken auf bie Lentitange, 
mit der KRechten auf den Sattel ftüht und dann mit einem 
Eprunge in den Eih voltigiert. i 
Wie der einzelne Reiter natürlih nad feiner Inbivibealität 
und ber erlangten Sichetheit diefe Methoden zum Auffigen noch 
durch die veriiedenften Feinheiten ausfhmüden kann, fo geſchieht 
aud) dad durchaus nicht leichte Abfigen auf manderlei Art. Der 
Reiter jest den linten Fuß auf den oben erwähnten Tritt, hebt 
fh im Sattel und läkt im Rieberfehen bes rechten Fußes auf 
den Boden die Maſchine unter fih durdlaufen; er ſchwingt, 
wenn zu dem erfien Verfahren das hintere Rad zu hoch if, das 
techte Bein rüdwärts oder vorwärts über den Gatiel und tritt 


341 


mit dem linfen Fuße ab, wenn bie Kurbel den niedrigfien Punkt 
der Drehung erreidht bat, oder aber er t beide de auf 
und ſchwingt ich nad Art der Uebung am Boltigierpferb gleich⸗ 
jeitig mit beiden Beinen nad rüdwärts ab. 

Dielfady wird die Frage ventiliert, wie die Geihwindigfeit, 
mit weldyer man auf dem Zrichele fortlommen Tann, fid etwa 
zu den möglichen Leitungen des Bicycles verhält. Beftimmte, 
duch ale feftgeftellte Leiſtungen beglaubigte Angaben 
laſſen fi darüber ſchwer maden, da unferes Willens in einem 
Rennen beide Arten von Belocipeds nod mit gegeneinander aus« 
probiert worden find, Im allgemeinen muß man feithalten, daß 
die Geſchwindigleit, die mit einem Häderfuhrwert E erreichen 
ift, im demſelben Maße zunimmt, wie bie zu überwindende 
Reibung gegen den Boden geringer wird. Wo es fid deshalb 
um eine möglihft aroße Geſchwindigleit handelt, wählt man 

uhrwerle mit wenigen und hoben Radern, welch Iehtere leichter 
iber feine Unebenheiten der Grdoberfläde fortrollen. So find 
bereits „Einräder* mit einem Durchmeſſer von 12 Fuß entitanden, 
bei denen der Reiter hoch im der Luft thront, oder innerhalb deb 
Rades feinen m. findet, Prattiſche Berwertung haben bieje 
Konftruftionen wohl noch nicht gefunden, wenn aud die Erfinder 
behaupten, mit ihnen die Schnelligleit eines gut gehenden es 
erreichen zu können. 

Für Rennzwede erjcheinen jedenfalls zweirädrige Belocipebs 
als die beiten umd erfordern auch wohl den verhältnismäßig ge» 
zingften Straftaufwand bei der Benukung. Die Tricheles da- 
gegen gewähren einen bequemeren Sih und wenn man unter 
ſonſt gleihen Vorbedingungen mit ihnen auch nidt eine bene 
Strede in derfelben Schneligteit durcheilen fann, wie der Bicgelift, 
o find fie auf ber anderen Seite leichter im Gleichgewicht zu 

alten und eignen ſich deshalb beffer für Ältere und bequemere 
Perjonen, wie denn zu gleicher Zeit verjdiedene, auf oder im 
ihnen aud von Damen unternommene weite {Fahrten von wochen ⸗ 
langer Dauer den beften Beweis liefern, dak der notwendige 
Kraftverbrauch durchaus nit vernünftige Grenzen überfteigt. 
ed den tägliden Gebraud in der Stadt oder bei kurzen Touren 
ber Land ag deshalb das dreirädrige Belociped zu. 
Borteile, doch bleibt die Wahl zwiſchen Bichele und Zricy 
immer Sade des Gejhmads, der Individualität Überhaupt. 


Dergleid 
des jungfräufiden Xlters mit einigen Kirchenliedern. 


im 15. Jahr: Rom Himmel hoch da fomm ich ber :c, 
1. „ Wie rn leuchtet der Dorgenftern ze, 
& lich thut mich verlangen :c. 
5 ift gewißlich an der Zeit zc. 
Ad, wann wird e8 dahin Tommen zc. 
err, wie bu willft xc. 
ch hab’ mein Sach' Gott heimgeftelt ze. 
Aus tiefer Not ſchrei id zu dir ıc, 
—— iſt der Sonnenſchein x. 
un ruhen alle Wälder x. 
Nun laffet uns den Leib begraben ꝛc. 


21. 
25. 


EZ BE SE Zu zu zu zZ zu: 
vn —— — 


—D 


Der geſtirnte Himmel im Wonat Juni. *) 


Die Pracht des Sternenhimmels ift in dieſem Monat durch 
die Dämmerung, welde es fat zu feinem eigentlihen Racht. 
dunkel fommen läßt, weientlid beeinträchtigt. 

Aud von den Planeten ift wenig zu ſehen, bod erreicht 
Benus zu Anfang des Juni ihren größten Glany als Abend« 
ftern, fo daß ihr firablendes Licht unter günftigen Berhält- 
niffen fogar ſchwache Schatten erzeugt. 

Mars fanın man nur Ai weitlichen Sorigont fehen 
und aud Jupiter geht gegen Mitternadht unter. 

Saturn steht Hinter der Eonne, daher alſo unſichtbar. 
Was den Mond anbelangt, fo trittam 8. Bollmond, am 16, 
das letzte Viertel, am 23. Neumond und am 30. dab 
erfte Viertel ein, 

in T. fteht der Mond in ber Erdferne, am 28. in der 

übe, 


*) Auf viele Anfragen teilen wir bierburd mit, daß die Eiern 
karte, melde dem erſten Hefte beigegeben war, aud für neueintretenbe 
Übonnenten oder Golde, denen bad Blatt abhanden gelommen if, 
gegen Ginfembung von 30 Piennig in Briefmarken dur die Verlagk 
danblung diefer Zeitirift zu beziehen If. 


342 
Kopf und Fuß. 


Mit fo d in befannter il . 
ohne Stopf ne Fuf ——— —— A * 


Mit Kopf und Fuß 
eine Dichtung, ohne 
Kopf und Fuß ein Fluß 
in Italien. 

Mit Kopf und Fuk 
det Gründer eines gro« 


fen Reiches, obne Hopf 
und Fuß ein Schweizer 
Kanton, 





Hilbenräffel. 


Aus folgenden 28 
Silben find 13 Worte 
u bilden, beren Ans 
angs · und Endbuch · 
aben, ſowohl von un« 
en nad) oben, als auch 
von oben nad unten, 
den Namen eines ardi» 
tettoniſchen Gebildes geben: al co be be bi eb eleg e fall 
fünf ge e ju le le ji Hi lipp mer ner ne phi rai roe staff 
sche well. 

1) Ein männlicher Vorname; 2) ein großer Fluß in Deutich⸗ 
land; 3) ein Zeiheninftrument; 4) der Name eines Monats; 
5) eine Meereseriheinung; 6) eine Zahl; 7) ein männlicher Bor« 
name; 8) ein berühmter Lump; 9) ein Yaubbaum; 10) der Er» 

nder der Galvanoplaftit; 11) ein polnifder Didhter; 12) ein 
[dgerät; 18) ein tapferes Volt 


Chineſtſches Rälſel. 


Uebderfept von C. Urenbs in 
24 Peting. 


Weißſchweſterchen heiß ich — 
Bin ſchiant und zart, — Mein 
Shidial if traurig — Mein 
Shhidjal ift hart. — Allabend · 
lich iteh’ ich dem Süngling jur 
——— Ds und 

udiert um v ge · 
nug, — Dann hau’ 14 mit 

ommendem Blid ihm ins 

uch. — Bon den bleiden 
Wangen ohn' Unterlei — 
Ninnt nieder der quellenden 
:hränen Rab, — Doc er merft 
von nichts, fein Herz bleibt 
talt, — Und bie Stunde ver« 
rinnt, es it Mitternadt bald, 
— Da erhebt er zu mir fchlaf« 
trunten fein Aug! — Da ber 
rührt mid fein Odem, jein 
warmer Hauch, — Da durch · 
uert mid) Wonne, nachläßt 

ie Blut — Und die Flamme 
verliiht, — Weißſchweſterchen 
ruht. — So geht es Tag für 
Tag — Weißſchweſterchen ach! 


QDD —— 





gebildet werden, deren Summe bie Zahl 11 ergiebt. 





ALELTETZETTTTTETTTITTETSETTEITESTEIZEITEISTEITEITETTTEIZEIITETTITTITETEIEITETSITETTEIITE 





— 


a3 Bum Kopf⸗Zerbrechen. 2» 


Geographiſche Aufgabe. 
Durch Verbindung verſchiedener Städte ſollen zwei Ziffern 
Die Ber- 
bindungspunkte bilden ; 





Scherzfrage. 
Welcher Unterſchied 
iſt zwiſchen der Wahrheit 
und einem Haſen, dem 
das Fell abgezogen it? 


Aätlel. 


Wie viel wir find, 
lannſt leicht du zählen, — 
Wenn an der Hand nicht 

nger fehlen. — Ber» 
Hieden und bod gleich 
enannt — Sind wir 
als Brüder dir befannt. — Fehlt einer ober gar nod mehr, — 
So dauert fold ein Menſch dich ſehr; — Dod wer uns 
alle hat, — Der braucht nicht fremde Hilf’ und Rat; — Weiß 
felbht, wenn ihn das Nöslein fit, — Ob gut eb ober gar nicht 
riecht, — Ob Röschen weiß, ob gelb, ob rot, — Ob fauer ober 
Ir ein Brot, — Vernimmt bes Glödleins hellen Stlang, — Ob 
&ön, ob falich If dein Gens: — Unſichtbar find wir Brüder- 
lein, — Doch müflen wir bei dir flets jein. — Willſt wiffen, wer 
wir Brüder find, — Ertal' das Rätfel bir geihmwind. 


Silbenräffel. 
Die Erfte firebt auflangem 
— fernen Ziel 
madtoot Hi, — Die Gone 


ge 
dieh'n. — Sie lebt der Jugend 
Kae Stunden — An meiner 
en breiter Bruſt — DO! 
wo wird wohl ein Paar ge 
reg — Das fi vereint zu 
older Luft, — Sıe beide find 
dem Deutihen teuer, — Die 
Enret, = Die Seite gibt dm 
— Die te gibt 
Mut und Feuer, — Das Ganıe 
madıt hint ihn weit. 


äffel. 


Ber Lampen fennt, lennt 
aud die erfin Zwei; — Die 
Anderen holt ınan gern zum 
Sieges feſt herbei. — Wer feine 
Rettung weiß vor Zänferei und 
Reifen, — Dem mag's geitattet 
fein, das Ganze zu ergreifen. 





DLETZEISEISETEENZEIT EI SET ZENETZTEIEESETZETITISEIEETETISITTITESTTTTTETTETIITITIETTITEITIIZE 


EITITITELIELLELELILETTEITETISTTETETTTEITEITETITETSTITTEITETIETTETTTETTETTITTEITETSETTITTI 


Bahfenräffel. 


Stadt in Dalmatien. 
Des Kindes Spielgeug. 
Weibliher Zaufname, 
Berlihmter Feldherr. 
Eıne Zahl 
eiftaat in Amerika. 
il des menſchlichen Körpers. 
Fine Rupferımünge. 
Ein Gewürz. 
Ein Geſaß. 
Ein Ordenspriefter, 


Seom=-udunacn 
Sana nn wm 
Sun - ⸗α 
—o—— — 


cee 
>» *2* 
a wm 


Derfekräffel. 


Durch Umftellung der Buchſtaben der beiden Wörter Erde 
grob foll man eine Stadt in Schleſien erhalten. 


Silbenrätfel. 


Drau en folg le le ler mau ne o on sam so schil 
tanz te ti um veits. Bon bieien 18 Silben find 7 Wörter au 
bilden, deren Anfangs und Endbuchſtaben von oben nad unten 

elefen den Namen einer jehr beliebten, erft jeit furper Zeit et · 
chienenen Zeitſchrift geben: 1) eine Krankheit; 2) Stadt in öfterr. 
Shlefien; 3) ein Grabmal; 4) eine Einenidaft, die alle finder 
baben jollen; 5) Schtwimmvogel; 6) weibliger Vorname; 7) großer 
verftorbener Dichter. 


Auflöſungen zu Heft 8, 9. 226. 


Medus: Eigener Herd — Iſt Goldes wert — Jit er glei 
arm — Halt er do warm. — Bätfel Bere Augenlid. 
— Mätiel: Anerliedft; Aufaebroden; Nichte; Schuhhorn. — 
Berfegrätfet: Lotte — Yotto, 


Schad. — €. von Pröpper. Zeitgemäßes aus Küche und Haus, 


Schachaufgabe Ur. 5 
von 9. Barsdorf in Erefelb, 
(Sähwarz.) 














m» DD” © » a © «© 








A B c D E 7F 6 HB 
(Weiß.) 
Weiß zicht an und feht in drei Zügen matt, 


5chachaufgabe in Typen. 1. 
Von A. Aondeltik in Paris. 


Weiß. Kal. Dhl. Tb6, e4. Le3. Sf4, 08. Be6, h4, bb, 
Schwarjz. Kf5. Ld5. Sc#, f8. Bc4, 06, g3, g4. 
Weiß zieht an und jcht in zwei Zügen matt. 


Singelaufene Föſungen. 

Nr. 3 wurde gelöft von Frau J. O. in F., Alfred Zimmer 
mann in Wien, H. Eahl in London, Fr. Eaufner in Nim- 
. Bolke in Potsdam, Friedrich Pregler in Münden, 
and in Gmunden, G. %. in fpranffurt a. M., T. Garbo 
a. Codani in Mailand, G. von ber Often in Verden, W. Pravne 
in Emidow, 8. Tr. in Bubweis, Ih. 2. in Hamburg, Karl 

—— in Prag. Etrf, Mauch in St. Petereburg. 9. Bogt in 
ubwigshafen, gran Schreiber in Horik, Adolf Fehrmann in 
Höngen, Paul Renner in Leipzig. 


Briefwedfel. 


4. L. in 8. Dem Grfinder des Ehad werben verſchledene 
Namen beigelegt, wie aud der Ort und das Land der Erfindung 
nicht befannt find und bald in Perfien, bald in Indien geſucht 
werben. Die Eagen darüber find derſchieden. Nah den einen 

ieh der Grfinder Eifja, aud Nafftr genannt; nad andern 

erzed. Cine mythiſche Schachgöttin heikt Gaiffa. Vergl. dar« 
über Dr. v. d, indes Gedichte des Schahipiels oder Dr. M. 
Langes Lehrbuch des Schachſpiels. Ihre zweite Frage zu beant« 
worten, find wir nur infofern in der Tage, als auf matbemati« 
Kon Wege in diefer Hinficht mehrfach Verſuche gemacht worden 

nd, welche jedoch bei ber Mannigfaltigleit des Schach als 
müßig betradgtet werben müſſen. 


Beifgemäßes aus Kühe und Haus. 
Von 8. von Vröpper. 





Rezepte für den Juni. 


f ummerfalat. Man nimmt dazu meiftens in Büchſen 
einge _ — wo dann der amerilaniſche beſonders zu 
empfeblen ift und fchneidet ihn in Stüdden, vermiſcht ihn mit 
folgender Sauce und ferniert ihn in einer Schafe oder in Ra- 
goutmufdeln (Goquillet), vor der Euppe. 


343 


Bur Sauce hade man ſechs ganz hart gelochte Eier, 60 g 
Earbellen und eine Schalotte und menge es mit Oel und Eſſig an. 
KRalbeleberjuppe. Dan bade eine Kalbsleber mit 

60 g ungeräuderiem Eped und drei mittelgroßen Zwiebeln, 
dämpfe dies nebſt einer handgroßen Brotrinde in 60 g Butter, 
iebe Fleiſchbrühe oder fonft qute Brühe daran (hier J. B. 
albölopfbrühe) und thue etwas geriebene Mustatnuß und ein 
paar geſtohene Bewürzjnelfen dazu, und wenn dies alles juſam · 
men recht gelocht hat, jo treibe man es dur ein Sieb und lege 
in Butter geröftete Weißbrotſchnitichen hinein, kann die Suppe 
auch nod mit ein paar Eidottern abziehen und wenn man ihr, 
nebft dem andern Gewürz, nod einige gequetihte Wacholder» 
—— uſetzt, jo befommt fie den Geſchmack von rammett- 

geliuppe. 

Abgelohter Aal mit Kartoffeln. Man flede einem 
ſchonen Aal den Schweif in den Raden, fo daß er einen Ring 
bifdet, falze ihn etwas und foche ihn in_gefalgenem Waſſer ab; 
richte ihn auf einer erwärmten runden Schüſſel an, gebe in die 
Mitte ſchön rund geihälte Salzlartoffeln und übergiehe das 
ganze mit feinnefhnittener, in heißer Butter eben aufgelodhter 
Peterfilie. — Belonders gut mit neuen Kartoffeln. 

Gurlengemüfe mit Kalbslopfluden. Man ſchneide 
ſchöne gejhälte Salatgurfen der Länge nah in vier Zeile, 
nehme die Krone heraus und teile jedes Viertel der Quere nad 
in drei Stüde, ſchäle auch fo viele Heine Zwiebeln, ald man 
Gurkenftüde hat und lege beides N Stunden lang in eine 
Marinade aus halb Eſſig, halb Waſſer, Pfeffer und Calj; 
Er dann die Marinade ab und fo viel Bouillon an die Etelle, 
dat Gurfen und 8 bededt find und koche fie nun fo 
lange, bis alle ®rübe verlocht ift, wonach man nod etwas 
Bouillon, den Saft einer Eitrone und ein wenig Zuder daran 
thut und damit auflochen x” 

Kalbbtopftuchen. an koche einen abgezogenen Kalbe» 
fopf, wie man ibn mit dem logenannten Falbegelünge be 
tommt, in Wafler mit Salz, Orwilrz und Wurzelwert gar, lafie 
ihn auf einem Sieb abtropfen, löfe fogleih alles Fleiih aus 
und lege es, in hübſche Etüde zerteilt, noch warm dicht zuſam⸗- 
men, auf einen groken flachen Fetter, daß eö wie ein Suchen ift, 
der, erfaltet, auch wie ein Auchen zulammenbält. Man beftreidht 
ihn dann mit verflopftem Ei, beitreut ihn mit neriebenem Weihe 
brot und badt ihn, mit halb Butter, halb Schweinefett, wie 
einen Pfannkuchen, auf beiden Seiten ſchön braun. 

Die Brübe kann man zu Euppe, bier zur Halbeleber- 
fuppe, benußen und ich te dabei aufmerfiam maden, wie 
nüglih das jo mohlfeile Kalbagelünge (Kopf, Leber, Herz 
und Yunge) für den Haushalt ift, da jedes, Im veridiedenfter 
MWeife, vier fehr qute, ja ſelbſt feine Speiſen zu liefern vermag, 
worauf wir jpäter nod einmal jurüdfommen werben. 

Rebihlegel im Biute (frangdfiihe Kühe. Man 
beftreicye den Schlegel von einem ſchönen jungen Web leicht mit 
frifcher feiner Butter, flede ihn an den Epiek und wenn die 
Butter zu dampfen beginnt, jo ſieche man mit einer filbernen 
Gabel din und wieder in den Schlegel und qieke, wenn aub 
diefen Stichen Blut tritt, reichlich Chablis darüber: dann folgt 
wieder Builer · Ueberſtrich und wenn die Butter danady in roten 
und rauchenden Tropfen berab fällt, abermals ein Ghablis- 
Ueberguß und fo wird fortgefahren, bit das Blut häufiger und 
dichter beraustritt und herabträufelt, der Schlegel nun fertig ift 
und nad fünf Diinuten vom Spieß genommen, vorher aber 
noch mit einem Glaſe Ghablis begoſſen wird. 

n Frankreich aibt man dieſen eigentümliden Braten na« 
türlih ohne weitere Autbat, ich babe aber, und mit Beifall, 
NRartoffelfalat und Aohannisberrfompott dazu fervieren laflen. 

Bertsjtel alat. Dean Ihäle die mit der Schale gefodh- 
ten Kartoffeln, Schneide fie, nod; warm, zu Scheiben und über 
giebe fie mit fettlofer, durch ein Tuch er kodhender Fleiſch · 
brübe (etwa 4, 1 für einen gehäuiten Suppenteller Kartoffeln), 
ſchwenke fle einigemal in der Schüſſel um und lafle fie erfalten. 
Dann bereite man aus zwei rohen Eidottern, 1, k Del, fünf 
bis ſecht Löfieln Eifin, etwas falter FFleiihhrühe und tünf bis 
ſechs Löffeln fühem oder faurem Rahm eine Mayonnaifefauce 
und milde bie Hälfte davon unter die Kartofjeln, welde man 
in Beraform anridhtet, mit dem Reſte der Sauce überftreidt und 
mit Mireb Pidles verziert. 

Yohannisbeerfompott. Man gebe 1, k abnebeerte 
rote Johannisbeeren oder halb rote, halb weite, mit 180g 
Be und vier Fflöffeln Wafler in die Romponſchale, ſchwinge 

e fo lange, bis der Zuder ganz geihmolzen ift und laſſe fie ein 
paar Stunden ftehen, worauf fi dann, wenn fie nehörig ge 
ſchwungen worden, der Saft zur Gelee gebildet haben wirb. 

Engaliſche Obftpaftete Fruit-Pie). Man bat dazu 
in England eigene Schüfſeln (Pie-Dishes), die auch hierju⸗ 
lande wohl zu haben find, indeflen thut eine etwas tiefe Schüffel, 
welche das er at, biefelben Dienfte, nur ift es ratlam, 
fie auf ein Blech über Salz zu flellen. 

Diefe Schüſſel nun fülle man gehäuft (fuppelförmig) mit 
beliebigen, mit Zucker gut vermengten Objte, wo für dieſe Saifon 





— 


en a3 Zum Kopf⸗-Zerbreck 
Kopf und Fuß. Geou 















































Mit Kopf und Fuß ein befannter franzöſiſcher Sorname, Dur Verbind 
ohne Kopf und Fuß der Name eines allbefannten Schiffes gebildet —— J 
Mit Kopf und Fuß 
eine Didtung, * R e b u s. 
Kopf und Fuß ein Fluß — — 
in Italien. - m — 
Mit Hopf und Fuß — — 
der Orunder eines gro· 
ben Reiches, ohne Hopf 2 
und Fuß ein Schweizer FE — 
Kanton, > * 
— — 
Silbenräffel. — 
— 
Aus folgenden 28 — — 
Silben find 13 Worte — 
In bilden, — Ans — 
angs · und Endbuch; - — 
ftaben, ſewohl von un« —— — — 
tem nad oben, als auch — 
von oben nach unten, — 
den Namen eines ardi« — ——— — 
ionen Gebildes geben: al co be be bi eb eleg e fall | als Sree — 
fünf ge ja ju le le li 11 lipp mer ner ne phi ral roe staff So bauen! — —— 
sche Fe " & alle bat — — —“ — — 
1) Ein mannlicher Vorname; 2) ein großer Fluß in Deutjch⸗ Telbit, wm — — 
land; 3) ein Zeipenintrument;, 4) der Name eines Monats; | rien, - u — — 
5) eine Merresericheinung; 0) eine Zahl, 7) ein männlider Bor Ir ei En 
name; 8) ein berühmter Yump; 9) ein faubbaum; 10) der Er Ön * —— ———— 
nder der Galvanoptaftif; 11) ein polnifcher Did — EEE: 


tn; 19) ein | Ich, 
wir U — 


ldgerät; 13) ein tapferes Bolt. 


J 


| 


E VV—— 


Chineſiſches Rälſel. m 
= — —— 
Ueberfeht von 6, Urenbs in 5 ZZ 
Being. : —z 
MWeikidweiterhen heiß ich ⸗ — -_ 
Bin idhlant und zart, — Mein = —— in. 
Ehidjal ift traurig — Mein = — Zaren. 
Sanaal ift hart. — Allabend» = | un 
lich Steh’ —* ——32 sur rn 
Erite, — Wenn er lit und 5 — — 
ftudiert und fid plaget ge = 1 
nug, — Dann ſchau' id) mit — — — 
Hammendem Blid ihm ins — 
Bud, — Bon den bleichen 
Wangen ohn' Unterlab — 
Ninnt nieder der quellenben = 


Ihränen Naß, — Doc er merk 
von nichts, fein Hen 

talt, — Und bie Stum 
rinnt, es ift Mi ') 
— Da erhebt erzun 
Irunfen jein Hug! > 
rührt mid fein 4 
warmer Saudı 





" 


chauert mic U N * 

ji Gut — V — E 
verfifcht, — nl = 
rubt. — of — 

Tag — Belle > _— 


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N 








































































jeshalb, um diejen 
en gehende, durch 
, die nadı Belieben 
ber anderen Deffnung 
ee Heizung des anderen 
der Erienplatte bewirkt 


jertifc. 


Beginnen ſich bereits eine 
Ah zu einer Romfahrt 
9 die beiden jtattlicdyen 
Mbellos aedrudt, empfehlen, 
wberjelben behandelt „Ober- 
Bebampagnu”, beioen neue 
ud Lieb neworbenen talien- 
Bibliographiiche Inſtitut 
le prattiich zu erfaſſen und 
em bem Publifum zu bieten 
fe Proben feines fönnent 
Baelien Oruppierung des Stoffe 
N das volle Beritändnis für 
ts zu viel, nichts zu wenig 
aber entbehren dieſe Büchtt 
#, und wie „Oberitalien” neben 
Panorama und 45 Anſichten 
et, jo das in der Äufern Form 
aebildete „Kom“ neben 4 Narten 
& Kin weiteres Bud) gibt diejer 
au den Weg in dem niedlichen in 
Eieniihen Sprabjührer” von 
FE jedem ermöglicht, fid in allen Füllen 
T Den längft belichten Ehöptungen 
dazu angethan ift, ohne geiitige 
Bnehunbe hintwenzubelfen, Hadlauders 
Bidatenleben*, hat ihr Verleger Garl 
Meuen Heiz zu geben verſtanden durch 
1 Srigineller Alluftrationen. Der junge 
EBegleitet den Grzäbler auf Schritt und 
und verficht es vortrefilib, Situationen 
fE wenigen Striden zu firieren. Ganz 
BE Bombardier Zipfel auf der Wade vor 
Fööffigieren. Bei alledem kostet die Yieferung 
5 dah fidh jeder mit wenigen Mitteln frobe 
Bern kann. — Bon einem Mitarbelter, den bie 
bebarwonnen haben, dem gemütvollen Schil⸗ 
Bande, Marimilian Schmidt, ericheinen 
Eerte* bei Gb. D. W. Gallwan in Münden, 
in Imudenm üukern Gewande uns joeben 
hält zwei Erzählungen, die merſt in „Vom Fels 
Feit erblidten, alfo wohl bei unfern Abonnenten 
Ina mehr bedürfen: die anmutine Erzählung au 
Bonerlande „Die Schhwanjunafrau* und das tiei» 
Amitummerl*. Beigegeben it außer einer biogra» 
ung ein vortrefflich gelungenes Holzſchnittbiſd des 
wir ebenfo wie una tolinichen, jeine Geſam— 
il noch redyt lange durch immer neue Schopfun⸗ 
et au feben 


ab 





lung 


Ai * 
Alhletiſcher Hporf. 
ſche Stnabe übt und flählt den friſchen Mut und 
Mbkichen Sträfte im fröblihen Zummeln mit feinen Allere- 
Zumd eine ſyſtematiſche Ausbildung erfahren Muskeln 
Be Hur auf dem Zurnplake. Die englische Augen da» 
k bereits die Anfänge des Sports auf den Epielplab, 
bie Spiele gewillen ganz beitimmten Hegeln und feat 
ie uebildung des Aörpers zu diefen Uebungen, dem regel» 
en fogenannten „training“, beionderen Wert, Naturgemäf; 
„training* bei Stnaben von 12 bis 15 Jahren nidt 
SRoniequenz durchgeführt, noch mit ſolchem alle anderen 
abjorbierenden Ernite betrieben, wie bei den gewerbe— 
Arhleten, welche durd öffentliche Schauſtellung ihrer 
Bart und Beichidlichkeit das Leben friiien; immerhin finden ſich 
adzlige joldyer ſyſtematiſchen Aräftinung des Körpers ın» 
Son in der Art und Weife wicher, wie die Anaben ſich zu 
Spielen vorbereiten, Nicht jeder Stnabe findet Gefallen 
Br foldsen Leibesübungen und nicht jeder junge Mann feht den 
fh fort, zu dem er in frübelter Jugend den Grund gnelent 
+ bod, ift die Zahl derjenigen Beſucher enaliiher Hochſchulen, 
"he ihre freie Zeit der jportlihen Ausbildung irgend einer 
Aldien Uebung widmen, verhältmiemähig ſchr bedeutend 
mn es auch in feiner Welle uniere Nuigabe an dieler Stell 
in, eine Parallele wiſchen engliſchen und ameritaniſchen 
ten und deutſchen Hochſchulen zu jichen, jo it dic Be—⸗ 
doch faum zu unterdrüden, daß es für das heranwach 





fch. — Athletiſcher Sport. — Die Kunft im Baufe, 








| 





345 


jende deutſche Geſchlecu gewiß nur von Vorteil fein Lönnte, 
wenn ein größerer Progentiah der Jünglinge aller Stlafien, nament« 
Lid aud) der jogenannten gebildeten Areije der Ausbildung des 
Körpers größere und rationellere Pflege angedeihen liche. 

Die Grundregeln jedes „trainingse* beruhen auf regel» 
mäßiger, ſich ftetig fteigernber Arbeit En Stärfung der ganyen 
Muskulatur und zur bejonderen Entwidelung derjenigen Muslel · 
particen, welche bei dem in Frage kommenden Sport beſonders 
in Anſpruch genommen werden. Dieſe Arbeit zerfält in das 
allen Eportziweigen gemeinſame Marſchieren, die „walking-exer- 
cise*, und die Hebung in der Specialttät, Für welche ınan trainiert, 
fei dies Laufen, Springen, Rubern ober was immer, Wus« 
reihender Schlaf foll im mindeſtens neunftündiger Dauer die 
abjorbierten Sräfte wieder erichen und wird darin burd eine 
fräftige Diät unterftüht, welde reichliche (yleifchportionen und 
den ausgiebigen Genuß leichter Gemuſe verorbnet, Gewürze twie 
fette und überhaupt [were Speijen ganz verbannt und den Ge⸗ 
nuß von Spirituojen auf ein Minimum beihränft. Werbauungs 
flörungen, die nicht gan zu vermeiden, werben durch beftimnte, 
allgemein befannte Artana gehoben. An der Art der Anwendung 
foldyer Regeln für das „training* findet dann allerdings ein 
bedeutender Unterſchied ſtatt, je nachdem es ſich um einen Knaben, 
einen „Amateur“ oder den „gewerbimäßigen*, „professional* 
handelt. Yu dent allgemein üblidyen Anzuge, welder in einem 
mwollenen Stamifol, Aniebojen, Die nicht zu eng fein bürfen, um 
dem Sinie ungehinderte Bewegung zu geitatten und langen Strüms 
pien beiteht umd in dieſer Gejamtbeit „jersey* genannt wird, 
tritt für die Beit des „training* für den erwadjenen Dann 
ein wollenes Gewebe, „guernsey* genannt, und eventuell noch 
ein dider Ueberrod, welche in der Bewegung die nötige Tranfpie 
ration hervorbringen. 

Unter den athletiihen Sportübungen verficht man in Eng« 

fand und Amerila das Wettgehen, Wettlaufen, das Hod- und 
MWeitipringen mit Anlauf oder aus dem Stande, das Springen 
mit der Springftange, das Heben ſchwerer Gewichte und das 
Schleudern mit Stein oder Ball. Soweit es fih um Rennen 
u Fuß handelt, wibme man der Plone des Fußes ganz bes 
ondere Eorgfalt und richtet das Hauptaugenmert auf einen gut 
und bequem fihenden, aber anſchheßenden und nicht dridenden 
Schub mit breiter Sohle, ohne Abiah. Fünf furze, aber ſcharfe 
Nagelipiten unter den Zehen verhindern das Ausgleiten auf 
Ihlüpfrigem Boden, ohne doch die Schnefligleit des Laufenden 
durch Feſthallen in der Erde zu beeinträchtigen, Beim Laufen 
felbft follen nur die Ballen des Fußes den Boden berühren, die 
ſtniee find gekrümmt, die Arme werben im rechten Winkel ge» 
bogen an die Seite gebrüdt, die Hände zur Fauſt geballt und 
durch das Vorlegen bed Oberförpers erhält die Borwärtsberwegung 
den nötigen Schwung. 

Das gebräuchlichſte Rennen dehnt ſich über eine engliſche 
Meile (rund 1600 ın) aus, doch redhnet man Nennen auf größere 
—— bis zu 100 Meilen noch zum athletiſchen Sport. Abs 
arten diefer Nennen find Hürden ⸗· Rennen, Steepledhafes und Rennen 
auf ganı furze Diftanz, 100— 220 yards (1 m = 1,0M yards), 
Lehtere find namentlich in England jehr beliebt und der „trai- 
ning*, der „sprinter* verlangt —* der gewöhnlichen Arbeit 
nod) eine bejondere Uebung, um auf das gegebene Zeichen zum 
Ablauf im Kennen ohne Zeitverluft die gröktmöglichite Schnellig- 
feit entwideln zu fönnen, da bei der Kürze der zu durchmeſſenden 
Diftanz der Bruchteil einer Sekunde über den Sieg enticheiden fann. 

Unferes Wiſſen egiftiert in Deutihland lediglich der Ham ⸗ 
burger Sportllub, deilen 50 Mitglieder ſich feit einigen Jahren zu 
athletiichen Uebungen und Öffentlichen Wettrennen verjammeln. 
Der Alub hat zuerft unter dem allgemeinen Miktrauen febr zu 
feiden gehabt, und wenn, wie eb ſcheint, feine Beftrebungen 
jet mehr Anklang finden, fo hat er dies wohl vorzugtweiſe der 
für alle Herteniporibeftrebungen nachahmungswerten Einrichtung 

u verdbanfen, welde, einen Geldgewinn von vornherein aut« 
chließend, den Sicgern in den ausgejdriebenen Stonkurrenzen 
nur ehrende Andenten überreicht, 3%; 


Die Aunf im Haufe. 


Bon F. Tulthmer. 


Der Bauer und das Kunſthandwerli. 


. Bas uns die Dorigeichihten eines Jeremias Gotthelf, einct 
Fritz Meuter jo Lieb und wert madt, was uns zur Föjtlichen 
ienzeit hinaustreibt aus den Städten und uns mit Vorliebe 
in den Heinen Berhältniffen des Schwarzwald» Dorfes, der Nordfer: 
Fiſcherhünen wochenlang weilen läßt: esiftein und dasjelbe Gefuhl, 
die Reaktion gegen unſere ſlädtiſche Ueberkultur. In uns allen 
lebt die dunfle Rüderinnerung, daß unfer Geſchlecht von der 
44 


3 44 Aus der Technif, 


ein Gemiſch zu gleichen Zeilen von Erdbeeren, Himbeeren, 
Yohannisbeeren und ausgefernten Ktirſchen ſehr zu empfehlen 
ift, habe dann N, k mürben Zeig, rolle ein Stüd davon zu 
einem etwa 3 c breiten Streifen und lege ihm auf ben mit 
Waſſer befeuchtelen Rand der Schüfjel; rolle ki den übrigen 
Teig zu einer Platte von der Größe der Schüffel und lege fie 
über den, ebenfalls mit Wafler befeuchteien Streifen, drüde bie 
Nänder aneinander und ſchneide fie mit der Schüſſel glei, made 
oben in der Mitte eine kleine Definung und beitreiche das ganze 
mit @i, bade die Paftete eine Stunde lang in einem mäßig 
heihen Ofen und jerviere warn oder falt. 

Erbbeer-Bowle, nad Baron Brijfe, im Figaro, 
Paris. Man vermiſche 1 k Erdbeeren mit 1 1 Quderjyrup, 
zu dem man X Zuder in Waller kalt aufgelöft hat und 
soei Flaſchen Chablis, ftelle e# auf Eis und gebe, eben vor dem 
Servieren, einen, vorher ebenfalls falt geftellten trug Selteri+ 
wafjer hinzu. — Sehr erfriſchend. 


Uns der Tednik. 
Reueſte Patentanmeldungen. 


1. Relieflarten für Sriegfpielgwede. Das in 
Dffizierkreifen wohl afler europäifchen Armeen viel geübte ſtrieg · 
ſpiel leidet bis jet noch an einem Uebelftand, namlich, u 
dasjelbe auf einer großen Planfarte ausgeführt werden mu 
und daß eine nicht jedem Offizier genügend geläufine Wertigfeit 
dazu gehört, ſolche Karten au leicht und zuverläjlig leien zu 
fünnen. Der Bejeitigung diefes Uebelſtandes durch Anwendung 
von Relieflarten fteht der Hohe Preis für folhe und der Umftand 
entgeaen, dab man Striegipiele 
auf häufig wechſelndem Zerrain 
ausführen muß, was nur die 
billigen Planfarten geftatten. 
Der fünigl. ſchwediſche Garde» 
Kapitän von Ridberftad hat 
nun eine Melieflarte zur Paten» 
tierung eingereicht, welde ſo⸗ 
wohl Far ebenjo billig hergeſtellt 
werden kann, tie bie biöher 
gebräudlichen Planfarten, als 
aud zugleich einen mehr als aus · 
treibenden Wechſel der Zerrain« 
formationen geftattet, Herr 
v. R. hat dies in nadfolgender 
Meife erreiht: Die Relieflarte 
ei aus vier bi acht qua» 
dratijchen Teilen u: 1,I-IV) 
weldye jo eingerichtet find, daß 
fie ſich in ganz beliebiger Weiſe 
aneinander jehen lafien und doch 
immer ein zujammenhängendes 
Ganzes bilden (4.®. I an IV). 
Es münden nämlih ale ylüffe, Wege, Sant a u. f. w. auf 





jeder Kartenfeite genau auf demjelben Punkte aus, auf dem 
dies auf jeber anderen Startenfeite geſchieht, und ift darum 
der Leiter eined Ariegiviels imftande, durch Bariationen mit 
vier Rartenfeiten mehr als 10000 verihiedene Terfainformatios 
nen zur Darftelung zu bringen. Hert von Ridderſtad hat 
die anfangs in Gips mobellierten arten in Papiermafie ver⸗ 
vielfältigen lafien, fo daß dieſelben jeht für den bedingten 
billigen Preis erftanden werben fönnen. Die arten find in 
einem Horigontalmaßftab von 1:2500 und im einem Wertifals« 
mahftab von 1: 1000 hergeftellt worden. Leider ift es nicht 
tbunlih, daß für Höhen und Grundrik berjelbe Maßſtab ans 
newendet werden kann, da die dann entitchenden Höhendifferengen 
dem Auge nit deutlich genug erfennbar jein würden; in diefem 
Umftande wird nun von mander Seite ein großer Fehler diejer 
Rarten gefunden: doch erſcheint es zweifellos, daß diefer fehler 
geringer iſt, als das Erfordernis gehöriger Uebung im Startens 
lejen, obne weldes ein Ariegipiel überhaupt nie möglid wird. 

2. Gin Militärs Zornifter, Herr Franz Jaffer in 
Düfjcldorf hat in richtiger Erfenntnis der mit dem biöher ne» 
bräuchlichen Militärtornifter verbundenen Uebelftände nadfols 
gende Beränderungen an denfelben in Vorſchlag gebracht: Das 
nad wie vor aus Pelzwerk angefertigte Gchäufe erhält eine 
Gkftalt, derqufolge fi die dem Rüden des Mannes jugekehrte 
Fläche günstiger der Form besjelben anpaßt, und jodann wird 
der obere Zell des Tornifters dachförmig zugeipiht. Diefe lehtere 
Abänderung bewirkt einen leichteren Abfluß des Regenwailers, 
und geflattet ferner auf der nad auswärts geneigten Dachfiäche 


ein Anbringen bes Kochgeſchirrs, durch welches ber Dann weder 


beim Schießen im Liegen, noch bei i 
gehindert wird; — jämtlich Lebel 
törender MWeife bemerkbar gemacht haben. 


end welden Stopibeiwegungen 


ch biöber in höchſt 
3 widtigfte Ber- 


befierung fol die Anbringung zweier ftählerner Xragebügel (T) 


ober Tragefedern dienen. 


den oberen Zeil Der 


bisherigen Parade» und Zraneriemen, zeichnen ſich jedod vor 
diefen dadurch aus, daß fie feit auf der Schulter ruhen, jo daß 
erjtli die Laſt allein von biejer getragen wird, die Bruft, frei 


von jedem Drud, 
leichter atınet, und 
daß ferner ſich der 
Zornifter nidt 
mehr allmählich 
ienfen Tann, wor 
durh bekanntlich 
— der 
verſchiedenſten Art 
erjeugtwerben. Die 
Iragebügel find 
nach innen leicht 
gefüttert und kön · 
nen für Parade 


riemen (H) beflei» 
det werden, Die 
bisher üblichen Hei» 
nen Zrageriemen 
(x) werden, direft 
an die Tragefedern 
befeftigt, beibehal · 
ten, damit ein 
Abgleiten dieſer 
letteren beim Lau⸗ 
fen oder bei an— 
deren lebhaften De= 
wegungen verhütet 
wird. Da ein Sich⸗ 


jwede nad außen 
mit einem dem 
übrigen Lederjeug 
des Manned ent» 
Iprehenden Haten« tel in Geftalt einer 
einfachen, Leicht herſtellbaren Molle an bie unterfte Fläche des 
Zornijlers geihnallt werden, woburh fi nod der Vorteil 
ergibt, dak der Mann beim Ausruben mit umgebängtem Xor« 
nifter eine weiche Unterlage findet. Die eben beſchriebenen Der- 
änderungen lafjen ſich ohne erhebliche Mühe und often an dem 
bisherigen Torniſter anbringen. Da die Vorzüge berjelben 
jiemlid Klar in die Augen fallen, fo ift wohl anzunehmen, daß 
die Militärverwaltung ſich der Sache annehmen und die praktiſche 
Verwendbarkeit des neuen Modells au eingehend prüfen wird, 

3, ZuTem ment senaret Kinderwagen. Raumerjpar« 
nis iſt oft Zeit- und ſomit aud Gelderſparnis, befonders auf 
Reifen und in engen Wohnungen, demzufolge verdient die Her» 
ftellung von Gegenſtänden, weiche bei der Aufbewahrung einen 
bedeutend geringeren Raum beanfprudien ala beim Gebrauch, 
jederzeit Beachtung. Yu den neueften Erfindungen diefer Art 
—— ber Stinderwagen von William Erichſon in Hamburg. 

erjelbe beftcht aus drei Hauptieilen, nämlih: zwei eifernen 
Rahmen als Radträger und dem Behälter zur Aufnahme des 
Kindes. Die beiven Rahmen (R und r) find — um eine gemein« 
ſame Achſe (x) drehbar — miteinander verbunden, fo daß ſich 
diefelben Leicht zufammenllappen lafjen. Der Rahmen R hält 
an einer Achſe die kleintren Border», der Rahmen r die Hintere 
rüber. Die erfteren haben 
eine geringere Spurmeite als 
die lehteren, fo dak ſich die 
vier Räder beim Qufammen- 
flappen der Rahmen ztvi« 
ſcheneinander ſchieben. Bei 
An ” > Ft —— 
ienen durch ſtarte Bolzen 
verbunden. Der Rahmen R 
ift über ben Bolzen hinaus 
verlängert und bilbet dann 
mit dem Bolzen b bie Ein« 
rihtung zum Schieben des 
Wagens, Damit die auße 
einandergeflappten Rahmen 
nicht freiwillig fid) wieder 
ulammenllappen fönnen, 
ndet ſich bei c ein Halen 
und bei ’o eine paſſende Defe. Zwiſchen den beiden Enden der 
Bolzen a und a find flarke Gurte (z) befeftigt, am welche mittels 
Schnüren das eigentliche Lager nah Art einer Hängematte ein⸗ 
gehängt wird. Das Yager ift aus fiarfer Segelleinwand ge» 
fertigt und enthält einen aus Leiften nebifbeten und fomit auf« 
rollbaren Boden. Als Lihtihuh ift no an den Rahmen R ein 
Berdet mit drei gebogenen Schienen (s s ‘s) beweglich an« 
gebracht. Damit diefe beim Auseinanderflappen des Wapens ſich 
ebenfalls Öffnen, neht von ‘a über s 's "s nad) a eine ziemlich 
ftraff aegogene Schnur. 

Win man den zum Gebraud fertinen Wagen zum Zrand» 
port oder zur Aufbewahrung zufammenflappen, fo loͤſt man nur 
den Hafen bei *c und brüdt die oberen Enden der Rahmen sufammen, 

4. Einfaminofenzgum Helgen jweieraneinander 
liegenden Zimmer von James Henry Burnam. 
bisher in Gebraud befindlichen derartigen Stamindfen twaren 
meiht im der Weile konjirwiert, daß eine in Angeln gehende 
— die Feuerung nad) dem einen oder anderen Jimmer 

in abſchloß, was häufig Einklemmen und Beihädigungen ber 


ſenlen des Zors 








Dom Büchertifch. — Arhletiicher Sport, — Die Kunft im Haufe. 


— herbeiführte. Burnam wendet deshalb, um dieſen 
ebelftand zu vermeiden, eine in einem Rahmen gehende, durch 
dern feitgeitelte, gebogene Gijenplatte an, die nad Belieben 
fo wie aud der Roſt von der einen oder anderen Oeffnung 

des famins in diefen eingefeht wird, Die Hetzung bes anderen 
Zimmers wird durd die erhite Rüdwand der Fifenplatte bewirtt. 


Dom Wücherkiſch. 


Die erſten Boten der Meifefaifon beginnen fich bereits ein« 
zuftellen — die Reifehbandbüder. er ih zu einer Momfahrt 
rüſtet, dem können wir nit warm genug bie beiden ftattlidhen 
Pände, fauber in Leder gebunden, tadellos gebrudt, empfehlen, 
die bier vor uns liegen. Der eine derjelben behandelt „Ober- 
italien*, derandere .Rom und die Gampagna“, beides neue 
Auflagen der uns Längft vertraut und lieb gewordenen Itallen · 
führer von Dr. Gjell-TFele. Das Bibliographiſche Inſtitut, 

Eigenheit gerade darin beſteht, alles praktiſch zu erfaſſen und 

ede Idee in der braucdhbarften ner dem Publilum zu bieten, 
t in diejen beiden Bänden muiterbafte Proben feines Hünnens 
abgelegt. Somohl in der litterariichen Gruppierung des Stoffe, 
wie in der topograpbiichen zeigt fih das volle Verjtändnis für 
die Bedürfniſſe der Heifenden, nichts zu viel, nichts zu wenig, 
auf jede Frage eine Antwort. Dabei aber entbehren dieſe Bücher 


aud nicht fünftleriihen Schmudes, und wie „Oberitalien“ neben | 


6 Karten, 29 Plänen xc., einem Panorama und 45 Anfichten 
in Holziänitt, 15 Stahlftiche bietet, jo das in der äußern Form 
einer großen Brieftaſche madgebildete „Rom“ neben 4 Karten, 
49 Plänen zc., 18 Stahlſtiche Gin weiteres Buch gibt diefer 
Berlag den Neifenden mit auf den Weg in dem niebliden in 
Duodez bergeftellten „Atalieniihen Spradfjührer” von 
Dr. Nud Kleinpaul, der es jedem ermöglicht, ſich in allen Fällen 
in Italien verftändlich zu machen. - Den längit belichten Ehöptungen 
harmlofen Humors, der jo recht dazu angethan ift, ohne geiftige 
Anftrengung über eine Mukeftunde binwengubelfen, 2 dländers 
„Bilder aus dem Soldatenleben“, bat ihr Verleger Garl 
Krabbe in Stuttgart einen neuen Neiz zu geben verftanden durch 
Beiflügung höochſt gelungener origineller Aluflrationen. Der junge 
Künſtler Emil Rumpf begleitet den Erzähler auf Schritt und 
Tritt mit feinem Griffel und verfteht es vortrefilid, Situationen 
und Perfönlichkeiten mit wenigen Strichen zu firieren. Ganz 
toſtlich ig. DB. der Bombardier Zipfel auf der Wade vor 
den ihn mufternden Offizieren. Bei alledem foitet die Lieferung 
nur 40 Pfennige, jo daß ſich jeder mit wenigen Mitteln frobe 
Stunden herbeijaubern fann. — Bon einem Mitarbeiter, den die 
meiften unfrer Leſer liebgewonnen haben, dem gemütvollen Schil« 
derer des Bayern ⸗· Landes, Marimilian Schmidt, erſcheinen 
Inst „Belammelte Were” bei &. D. W. Gallway in München, 
eren erfler Band in ihmuden äußern Gewande uns joeben 
zugeht. Gr enthält zwei Erzählungen, die zuerit in „Bom Fels 
um Meer“ das Licht erblidten, aljo wohl bei unfern Abonnenten 

iner Empfehlung mehr bedürfen: die anmutige Erzählung aus 
dem Berdtesgabnerlande „Die Ehwanjungfrau* und das tief 
ergreifende „Almftummerl*. Beigegeben ift außer einer biogra- 
phiſchen Finleitung ein vortrefflid, gelungenes Holzihnittbild des 
Berfaflers, dem wir ebenfo wie uns wünſchen, jeine Geſam ⸗ 
melten Erzählungen“ noch redyt lange burd immer neue Schöpfun ⸗ 
gen vermehrt zu leben. 


Athletiſcher Sport. 


Der deutſche ſrnabe übt und ftählt den frifchen Mut und 
die jugendlichen Sträfte im —*5* Tummeln mit jeinen Alters» 
nenoflen, und eine ſyſtematiſche Ausbildung erfahren Muskeln 
und Lunge nur auf dem Zurnplake. Die engliſche Jugend da» 
gegen verlegt bereits die Anfänge des Sports auf den Epielplab, 
unterwirft die Spiele gewifien ganz beitimmten Hegeln und legt 
auf die Ausbildung des Nlörpers zu diejen Uebungen, dem regei 
mäßigen fogenannten „training“, beionderen Wert. Naturgemäf 
wird der „training“ bei Knaben von 12 bis 15 Aahren nicht 
mit gleicher Koniequenz durchgeführt, noch mit foldyem alle anderen 
AInterefien abforbierenden Ernfte betrieben, wie bei den gewerbs ⸗ 
mäßigen Athleten, welche durch öffentlihe Schauftellung ihrer 
Arait und Geſchiclichteit das Leben friften; immerhin finden ſich 
die Grundzüge folder iyftematiichen Kräftigung des Hörpers ins 
des ſchon in der Art und Weiſe wieder, wie die Ainaben ſich zu 
ihren Spielen vorbereiten. Nicht jeder Ainabe findet Gefallen 
an fo Leibesübungen und nicht jeder junge Mann jeht den 
Sport „ ‚u dem er im ur Jugend den Grund gelegt 
bat; doch ift die ZJahl derjenigen Bejucdher engliſcher Hochſchulen, 
weide i Zeit der fportlihen Ausbildung irgend einer 
törperlichen erg widmen, verhältnismäßig ſehr bedeutend, 
und wenn es aud im feiner Weiſe unjere Aufgabe an diejer Stelle 
fein fann, eine Parallele zwiichen englifchen und amerifaniichen 
Univerfitäten und deutichen Hochſchulen zu ziehen, fo ift die Br+ 
mertung doch faum zu unterbrüden, dab es für das heranmwadı- 


| 








J 





345 


ſende deutſche Geihleht gewiß nur von Vorteil fein könnte, 
wenn ein größerer Prozentſatz der Jünglinge aller Klaſſen, nament« 
lich aud ber jogenannten gebildeten Streije ber Ausbildung bes 
Aörperb größere und rationellere Pflege angedeihen liehe. 

Die Grundregeln jedes „traininge* beruhen auf regel 


mäßiger, ſich fletig fteigernder Arbeit zur Stärkung der ganzen 
Muskulatur und zur bejonderen Entwidelung derjenigen Muslel · 
port bejonders 


vr. welde bei dem in Frage fommenden 
n Anfprud genommen werden. Diefe Arbeit zerfällt in das 
allen Sportzweigen gemeinfame Marſchieren, die „walking-exer- 
cise*, und Die Hebung in der Speciafttät, für welche man trainiert, 
fei dies Laufen, Springen, Rudern ober was immer. Wus« 
teihender Schlaf foll in mindejiend neunftündiger Dauer die 
abjorbierten Sträfte wieder eriehen und wird darin durch eine 
kräftige Diät unterftügt, welche reichliche Fleiſchportionen und 
den ausgiebigen Genuß leichter Gemiüfe verordnet, Gewürze wie 
fette und überhaupt ſchwere Speijen ganz verbannt und den Ger 
nuß von Epirituojen aufein Minimum beihränft. Berbauungs- 
ftörungen, die nicht gany zu vermeiden, werben durch beftimmmte, 
allgemein befannte Artana gehoben. In ber Art der Anwendung 
ſolcher Regeln für das „training* findet dann allerdings ein 
bedeutender Unterſchied ftatt, je nachdem es ſich um einen Stnaben, 
einen „Amateur“ oder den „gewerbsmäßigen“, „professlonal* 
handelt. Yu dem allgemein üblichen Anzuge, welder in einem 
wollenen Kamiſol, Knichoſen, die nicht zu eng fein dürfen, um 
dem Ainie ungehinderte Bewegung zu geftatten und langen Strüme« 
pfen beitcht und in dieſer Geſamtheit „jersey* genannt wird, 
tritt für die Zeit des „training* für den erwahienen Mann 
ein wollenes Gewebe, „guernsey* genannt, und eventuell noch 
ein bider Ueberrod, welche in der Bewegung die nötige Zranfpie 
ration bervorbringen. 

Unter den athletiihen Sportübungen verftcht man in Eng» 
land und Amerila das Wettgehen, Wettlaufen, das Hod- und 
Weitipringen mit Anlauf ober aus dem Stande, das Epringen 
mit der Springftange, das Geben ſchwerer Gewichte und das 
Schleudern mit Stein oder Ball. Soweit es fih um Rennen 
zu Fuß handelt, wibme man der Pilege des Fußes ganz ber 
fonbere Eorgfalt und richtet das Hauptaugenmerk auf einen gut 
und bequem fihenden, aber anſchließenden und nicht brüdenden 
Schub mit breiter Sohle, ohne Abjag. Fünf kurze, aber ſcharfe 
Nagelipiken unter den Zehen verhindern das Ausgleiten auf 
Ihlüpfrigem Boden, ohne dod die Echnelligteit des Laufenden 
durd jFeitbalten in der Erde zu beeinträdtigen. Beim Yaufen 
ſelbſt jollen nur die Ballen des Fuhes den Boden berühren, bie 
Seniee find gefrümmt, die Arme werben im rechten Winkel ger 
bogen an die Seite gedrüdt, die Hände zur Fauſft geballt und 
durd das Worlegen bes Überlörpers erhält die Borwärtsbewegung 
den nötigen Schwung. 

Das gebräudlicfte Nennen dehnt ſich über eine engliidhe 
Meile (rund 1600 ın) aus, dod rechnet man Rennen auf grökere 
Diftanz bis zu 100 Meilen nod zum atbletiiden Sport. Ab» 
arten biefer Nennen find Hürben-Nennen, Steeplechafes und Rennen 
auf ganz furze Diftanz, 100— 220 yards (1 m = 1,094 yards), 
Lehtere ind namentlid in England ſehr beliebt und der „trai- 
ning*, der „sprinter* verlangt —* der gewöhnlichen Arbeit 
nod) eine befondere Hebung, um auf das gegebene Heiden zum 
Ablauf im Nennen ohne Zeitverluft die gröktmöglichite Schnellig- 
teit entwideln zu fönnen, da bei der Hürze der ju durchmeſſenden 
Diftanz der Bruchteil einer Schunde über den Sieg entſcheiden fan. 

Unferes Wiſſen exiftiert in Deutſchland lediglich ber Ham ⸗ 
burger Sport!lub, deſſen 50 Mitglieder ſich feit einigen Jahren zu 
athletiichen Uebungen und Öffentliden Wettrennen verjammeln. 
Der Klub bat zuerft unter dem allgemeinen Miktrauen jehr zu 
leiden gehabt, und wenn, wie es ſcheint, jeine Beftrebungen 
jeht mehr Anklang finden, fo hat er dies wohl vorzunsweiie der 
hür alle Serteniportbeftrebungen a eg eg Ginrichtung 

u verbanfen, welche, einen Geldgewinn von vornherein aut ⸗ 
— den Eirgern in den ausgeichriebenen Konkurrenzen 
nur ehrende Andenken überreicht. H. V. 


Die kunf im Hauſe. 


Bon 3. Tulhmer. 





Der Bauer und das AunfiBandwerli. 


Was uns die Dorfgeihichten eines Ieremias Gotthelf, eines 

ih Reuter fo lieb und wert madt, was uns zur Föftlichen 
tenzeit binaustreibt aus den Städten und und mit Vorliebe 

in ben fleinen Berhältniflen des Ehwarjiwald»Porfeb, der Norbier- 
irliherhütten wochenlang weilen läht: esifteln und basfelbe Gefuhl, 
die Realtion gegen unfere ſtädtiſche Ueberkultut. In uns allen 
tebt die bunfle Rüderinnerung, dab unfer Geſchlecht von der 

44 


F. £uthmer. 


346 


Verarbeitung des Bodens ausgegangen ift; und wir hoffen, wie 
der Rice Antäus, unfere Kraft zu erneuern, wenn wir unferen 
us aud nur für einen Moment wieder auf die urtümlidhe 
dericholle jehen. Wir lieben es, den Menſchen, welche wir da 
draußen finden, alle mögliden guten und ebdelsnaiven Gigen- 
Belt anzudidhten; und wenn eimer, der mit ihnen lebt, ein 
Geiftlicher, Amterichter oder Forſtwart, und an Beifpielen 
bereit, daß e8 unter den barfüfinen Bauern ebenjoviel Wer« 
bresen und Vergehen, Strebertum und raffinierte Gaumerei gibt, 
wie bei den pflaftertretenben Stäbtern, jo werben wir gemeinig« 
Lich jchr böfe. Wozu haben wir aud nötig, uns unfere jelbit- 
geihaffenen Phantafiebilder ſtoren zu laffen, ift dod jo manches, 
was uns wirflih bei den Bauern erfreuen, ja was uns Di 
fehrung und Anregung gewähren fan, jumal auf dem Gebiet, 
mit dem wir uns beihäjtigen. Betrachten wir uns aljo einmal 
die ſtunſt im Bauernhauje Du lächelſt, verehrie Leſerin, wenn 
du dies vielleiht in der Stube einer Schwarzwald»-Bauernhütte 
lieſeſt und läßt dein 
Auge einen Mos 
ment auf dem ein« 
jigen Yimmer« 
Ihmud der ſchauer ⸗ 
lien loldrierten 
Lithographie „des 
Hirſches Begräb» 
nis* oder auf den 
gänziih ſchmnud · 
loſen Möbeln 
ruhen; aber die 
bäusfidye Stunft des 
Bauern iſt that⸗ 
ſachlich ein wide 
tiges Kapitel in 
der Geſchichte der 
modernen Stunits 
inbuftriegewworben, 
und die größten 
Mußſeen legen ſich 
Samınlungen ders 
felben an. inter 
den vielen guten 
und ſchlechten 
Gigenihaiten des 
Bauern ijt nämlich 
eine, die ihn bier 
für uns beionders 
wichtig madht: er 
it enorm fonier- 
vativ, Während 
die ganze Welt mit 
einer Ueberſtür⸗ 
jung, Die mit jedem 
Tage wadıit, Neues 
ſchafft und Das 
Geitrige abitöft, 
«he es nur halb 
ausgereift ift, bat 
fi im Bauern. 
bauje Urväter- 











bausrat und nidt 
felten auch die alte 
Geſchidlichteit im 
der Seritellung deö« 
felben erhalten, Und wie lange erhalten! Weil der Bauer ſich 
in bewußte Oppofition zur Mode Stellt, weil er ferner das 
meifte feines Bedarfs ſelbſt macht und ſich dazu ziemlich primitiven 
SHandwerksjeuges bedient, fo neben nit nur Generationen, nein, 
Jahrhunderte an dem Schmud und Gerät des Landvollkes ſpur⸗ 
los vorüber. Die filberne Nadel aus Holflein, welche wir noch 
finden, entftammt vielleicht dem Anfang dieſes Jabrbunderts ; die 
Fotm aber wird jeder Etiltundige ins frühe Mittelalter jehen. 
(Fin anderes Beiipiel: in dem unteren Donauländern finden wir 
robe Zönferarbeiten, Borrati» und Waſſerurnen, die auf dem 
Dorfe jelbft gefertigt werden, in genau denſelben —— welche 
die griechiſchen, über zwei Jahrtauſende alten Gräberfunde aufs 
weiien. 

An der ganzen Mord» und Dftjeeküfle Deutihlands wird 
jur Verzierung von Holjmöbeln fogenanntes Kerbihnitt-Orma« 
ment angewandt, defien Charakter durchaus romaniich ift, ebenjo 
wie Bauernftühle aus Nordfriesland und aus Skandinavien 
vollitändig die Formen des 13. Jahrhunderts tragen. ü 

Aber auch wenn wir nicht fir diefe uralten Nefte und ihre 
berbe eigentümliche Schönheit Interefie mitbringen, fo find es bie 
Spuren einer jüngeren, und Seutigen bejonders naheliegenden 

it, die wir bei den Bauern fiudieren fönnen, Die Renaifiance 
at uns in den Bauernhäufern oft ſehr beherzigenäwerte Vor · 


Oberbayeriihes Bauernitüshen. 


Die Kunft im Baufe., 


bilder zurüdgelafien. Es muß als ein entſchieden gejunder Zug 
unferer ſchon jet jo oft angefeindeten und verlachten Renaifiance» 
bewegung bezeichnet werden, daß fie auf die ländlich⸗einfachen 
Reſte der Vergangenheit ihre Aufmerfjamfeit zu richten beginnt. 
Das oberbayeriihe Bauernſtübchen der deutihen Ausftellung im 
Ferner war im dieſer Beziehung ein äußerſt lehrreiches 
eripiel, 
. Mögen ſich auch die Bildungsgelche des Nenaifjanceitils in den 
yürftenpaläften Italiens, in den Pruntituben nordiſcher Rat- 
äufer am klarſten ausgeſprochen haben; fludieren mögen wir fie 
dort; die direfte Nachahmung dieſer Deforationswunder, wie fie 
Lange Zeit beliebt war, filbrt auf Abwege. Was vor brei Jahr 
underten das Edelſte und Vornehmſte, für die Großen der Welt 
ufgeiparte war, lann beute nicht Für Hinz und Kung verwendet 
werben, wenn man nidt zu einem gany ſchnöden Eurrogaten« 
frame feine Zuflucht nimmt. Für die beicheideneren Bebürfniffe 
unferes foliden Bürgerhaufes gibt es auch folide und beſcheidene 
Borbilder aus dem 
16. Jahrhundert 
in dem bürftigen 
Bauernhaufe jener 
eit, wie fie noch 
n Titol, Vorari« 
berg und fidher auch 
nob in unjerem 
deutſchen Bater» 
land an mancher 
Stelle zu finden 
find, 

Eind doch bie 
Möbel, die in Tölz 
in Oberbayern nadı 
uralten Muſiern 
angefertigt werden, 
Längft beliebte Aus · 
—————— ge · 
worden. Un 
rude dieſe Möbel 
Öringen uns nod 
ein andere zum 
Bewußtjein, was 
wir bei den Baus 
ern lernen tönnen : 
die Luft an der 
Farbe. Blau und 
arin mit ſchönen 
Blumen ftreidt der 
Bauer feine Trube, 
fein Bett an, rot 
färbt er feinen 
Wagen, ja die 
Ballen und Pio« 
ften feines Hauſes. 
Die Maler haben 

längft gewußt, 
welder Weg in 

diejer Buntheit 
liegt: fie wiſſen 
ganz genau, war» 
um fie ihre Mor» 
befle jo gerne uns 
ter den oberheifi« 
ſchen Bauerndirnen 
mit rotem HRod und rotem Stopftuch juchen, aber aud im großen 
Publitum erwacht dad Berjtändnis; „bäuerlih* und „bunt* 
find nicht bloß im ſchlechten Sinne fi dedende Begriffe. 

Wir fönnen überhaupt aus verihiebenen Symptomen 
erfennen, daß der Geihmad unierer gebildeten Mailen in der 
oben angedeuteten Weile es nicht verihmäht, bei den Bauern 
in die Schule zu geben. 

Und diefe Grienntnis kommt zur redten Zeit. Denn 
unfere raſchlebigen Gewohnheiten, die maflenhafte Berührung, 
in welde unjere Verkehrsmittel den Bauern mit dem Städter 
bringen, fie fangen an, viel von dem Eigentümlichkeiten des 
Landvolls zu verwiſchen. 

Manches mag denn unbeweint zum Orlus fahren; aber 
für manche Aunſiübung, die ſich vom Urahn ber vererbt hat, 
und die fih im Shmud der Frauen, ja im Gejdirr ber 
Be und Stühe erhalten hat, wäre es zu bedauern, wenn fie 
ausftürbe. 

Und nichts lann dem jo kräftig enigegenwirten, als wenn 
die Gebilveten unferes Volles dieſen vorhandenen Reften Bes 
achtung ſchenlen. 

Der Bauer wird ſie dann ſelbſt wieder achten lernen und 
feine alten Kunſtübungen konſervleren, ob aus Spekulation oder 
aus Mietät, ift ſchließlich einerlei. 





Die Humboldt:Ruine bei Caräcas. — Der Geldwert der Nahrungsmittel, 


Die Humboldf-Auine zu Garäcas. 


Kaum ga der Morgen, ala wir Garäcas verliehen und 
dein nahen Dorfe Sabana grande zumanderten; nad und nad) 
begannen die Eierne — erbleihen und ein tropiſcher Sonnenauf · 
gang, jo ſchön, fo goldig, wie ihn kein Maler wiedergeben, jon« 
dern nur beivunderndb ſchauen kann, kündete den Jahrestag bes 
großen Erbbebens von 1812 an — Grlündonnerstag 1882, 

Jene gab Kataftrophe wandelte aud das Wohnhaus ber 
Hacienda Bello-Monte in Schutt und Ruinen, und vielleicht iſt 
gerade diefer Umitand Beranlafiung geworden, daf die Tradition 
den hieſigen Aufenthalt Humboldts eng mit Bello-Monte ver 
Anüpft; zeigt fie uns doch, wie das unfterblidhe Verdienft des 
Weiſen die vergänglichen Werke ſchwacher Menſchenhand über- 
dauert, Gegenwart und Zukunft mit den ewigen Strahlen feines 
Geiftes Füllend. umbofldt hat nie Bello-Monte bewohnt; «# 
war nur dad Ziel häufiger Ausflüge und Schauplah liebentwür · 
diger Aufmerkjamleiten, die dein verehrten Gaſte von dem das 
maligen @igentümer, Don Andris Abarra, eriwiejen wurden; 
Großvater der Gattin des jehigen Präfidenten der Hepublif Bene: 

uela, General Antonio Buzman- Blanco. Rechts von der Lande 
raße, die hier von einer Neihe hodragender Cedern beſchattet 





Die Humbolbt-Ruine zu Garicas, 


wird, zweigt fi ein 
führt, den die Ruine frönt, Umwuchert von einer erbrüdenden 
Fülle Unfrauts, bridt bier die breitblätterige Ricinusitaude in 
voller Ueppigtelt aus jenem Boden hervor, liber den vormals 
der winzige atlasbeihubte Fuß treoliiher Schönheiten binweg- 
alitt; dort, in jenem Seitenzimmer, wo einft wohl das ehrwürdige 
Haupt der familie im künſtlich geflodtenen Ghindorro feine 
MNittagerube bielt, —* ne alte Negerin; hner züdhtend 
und den Bedarf des täglichen Lebens durch Bereitung von Maib» 
brot innend, lebt fie dahin, gleich einer ſchwarjen Lilie auf 
dem de; hr e Mauerlüden bat fie mit Schilf verdedt 
und weiteren Ginftürzen fieht fie mit Gleichmut entgegen, das 
find ihr „Cosas de Dios!* (Bottes Angelenenbeiten,. Die 
Ueberrefle des Hauſes zeigen das Stilvolle der fpaniihen Bau- 
mweife, während bei manden Bauten der romiſchen Anlage ber 
Wohnhäufer eine geihmadiofe, mindeitens langweilige Fafſade 
— wird. — Von den Stufen det Eingangs aus ent 
widelt fi vor dem bewundernden Auge des Beſchauers eine 
wahrhaft entzüdende Landſchaft, weldyer die hohe Fette des ve ⸗ 
negolanishen Küftengebirges mit dem wolfengefrönten Gipfel 
der „Billa de Caräcas* zum grokartigen Hintergrund dient; 
fendin, bis zum Fuße des Gebirges, erftredt fi eine fanft- 
ng grüne Ebene; Felder, forglih mit Mais und Zuger . 
rohr aut, flehen mit ihrem lichten Grün überraihend genen 
die tiefbunfeln, us ing Sronen der Mangobäume ab, 
die der zarten Kaffeeſtaude ihren ſchühenden Ecjatten fpenden ; 
dazwilden die Bucares mit ihrem roten, die Guanabanas mit 

sem Blütenihmud, und über alles dies ein Himmelsdom, fo 
übermäßig blau, Mar und unergründlich wie die ſchöpferiſche 
Kraft, die Hier ibr reiches 


irite der Ruine bietet: fladhere — in breiter, wellen» 


Ouaire, en zitternde Wallerflähe die Strahlen der Morgen« 
fonne wideripiegelt. — 


2 ab, der uns zum Fuß des Hügels | 


347 


Am beilinen Dreilönigdtage des Jahres 1800 veramitaltete 
der gaftfreundlihe Beliker von Bello-Monte ein Gartenicht zu 
Ghren Humboldis. In den glänzend erleuchteten Räumen 
ihwebten die Paare anmutig langſam nach dem Zalte der einen» 
tümlidyen und binreikenden venejolanif Tanzmelodieen, wah ⸗ 
rend die melancholiſchen Lieder des Landvolkes zum Klang 
der Guitarre und Maraca durch die nationale Poeſie ihrer Im⸗ 
provifationen die Aufmerkſamkeit Humboſdts beionders erregt 
haben ſollen. Eine Begabung für Poeſie und zumal Mufit ift 
der venezolaniſchen Nation eigen; eine natiriihe Höflichkeit und 
angeborenes Rednertalent find ihr nicht abzuipreden. 

Alcrandervon Humboldt langteam 21. November 1790 in ara» 
cas on, fand eine herzliche Aufnahme in den angejehenen Familien 
der Haupfftadt, und warme Empfehlungen des ſpaniſchen Hofes 
fiherten ihm aud das —— Entgegenlommen bes 
Generaltapitäns Bastconcelos. Mit —— Kennmis der 
Landes ſprache ausgerüſtet, um einer jelbſt lebhafteren Unterhal ⸗ 
tung folgen zu lönnen, ward es dem großen Reiſenden leicht, 
fih eine Anzahl aufrichtiger Freunde zu erwerben, Verbindungen, 
die feinen venezolanifchen Aufenthalt überdauerten, wie uns ein 
Briefwechſel bezeugt, von dem mehrere, teils noch unbefannte 
Originaldotumente ih im Beſite des zu Garäcas lebenden Dr. 
Nojas befinden, der Aufenthalt und ihungen Humboldie in 
Venezuela zum Gegenitand eines Specialwerts gemacht bat, von 
dem einzelne ſchon erſchienene Abriffe weiteres intereffantes Mate» 
rial erwarten laffen. Die in Venezuela verbradte Zeit ift Hum ⸗ 
boldt ftets eine Quelle freundlicher Erinnerungen geblieben, und 
fein Andenken lebt in den gebildeten Streifen Venczuelas ununter 
brocdhen fort, die fchr wohl die Bedeutung zu Ihähen willen, 
welde feine wiſſenſchaftliche Tbätigteit für ihr ſchönes Vaterland 
bat. Ienen aber, die mit Stolz zu feinen Landeleuten ſich zäblen, 
werben Orte, an denen er glüdliche Augenblide verlebte und ſich 
von den Mihfeligfeiten feines hohen Berufes erholte, zu Denk 
mälern pietätvoller Verehrung, denn: 

„Die Stätte, die ein guter Menſch betrat, 

It eingeweiht, nad hundert Jahren Klingt 

Sein Wert und feine That dem Enkel wieder.“ 
Dieje Worte Gorthes ertönten aud in unferer Seele, als wir 
uns aufmadıten, die Ruine Bello» Monte zu befuchen, che ſolche 
vieleicht gänzlih zujammenfinft, dem Zahn der Zeit, neuen 
Grderjchütterungen oder Marken tropiidhen Regengüfien erliegend, 
denen bereits in Ichter Zeit drei jäulengetragene Bögen der 
Faſſade erlagen Yohn Henry Wyrell— 


Der Geldwert der Nahrungsmitiel. 


Mit dem Anwachſen der Bevölferung und der Eteigerung 
aller Lebensbedurfniſſe wächſt auch die Sorge um ausreichende 
Nahrungsmittel und die Frage, wie eine genügende, den Körper · 
beitand erbaltende und dabei möglihit billige Stoft zu beſchaffen 
fei, tritt immer mehr in den Vordergrund. Bei ihrer Brants 
wortung handelt e& ſich zunächſt um die Feſtſtellung des Nährs 
eldwertes der menſchlichen Nahrungsmittel. Dabei fommen aber 
o mannigfadhe ftoren , individuelle Eigentümlichkeiten, Die 
ungleiche Berdaulichleit der Näbritoffe, der Einfluk der Gewürze 
u, |. w. in Betracht, daß fid eine fihere Antwort nicht ohne 
weitere geben läßt, 

Im allgemeinen zerfallen die menſchlichen Nahrungsmittel 
in drei Gruppen, im Eiteißftoffe oder Proteinförper, im fette 
oder fettähnliche Nörper, und in fonenannte Kohlenhydrate oder 
itidftofffreie Grtraftitoffe, wie Stärte, Gummi, Zuder u. deral 
Jede diefer Gruppen jchlieht verihiedenartige Berbindungen ein, 
die fi der Verdauung gegenüber ſehr ungleih verhalten und 
folglid auch von ehr veridiedenem Wert find, Dazu formt 
ihr ſchwanlender und ungleiher Marktpreis. Hinſichtlich des 
Ichteren fanıı man fanen, daß die Nährftoffe in den pflanzlichen 
Nahrungsmitteln, mit Ausnahme der jungen Gemüſe, billiner 
find als in denen, die aus dem Tierreich ſammen; die Iehteren 
toften ungefähr 4—5mal mehr als die erfleren. Ob ſich dieſe 
Preisverihiedenheit aus einer 4—5mal größeren Ausnußung der 
animaliſchen Stoffe begründet, if eine andere Trage. 

Thatjſache aber ift es, daß Fleiſch, Tier, Milch und NHäile 
bei allen bisher damit angejtellten Berſuchen feine weientlichen 
eng ug Ihrer Verdaulichlelt gezeigt haben. Ebenſo 
verhalten fih au die aus dem Wilanzenreid ftammenden Nähr- 
ftofte der Aufnahme durch den Nörper gegenüber ziemlich über 
einftimmend. Daher ift es auch geredhtfertigt, bei den Beftims 
mungen bes Rährgelbiwertes von den Hohmaterialien ausjugehen, 
und wegen der verichiedenen Tagespreiie zwiſchen den tieriichen 
und pflanzlicen Nähritoffen einen Unterfchied zu machen. Dabei 
ur die weſentlichſten Behtandteile der Rabrangbmiitict: Eis 
weiß, Fen und ſtohlehydrate bejonders berüdfichtiat werden, und 
jwar unter thunlichfter Abihäkung ihres gegenieitigen Wertver- 
haltniſſes auf Grund der wirklich gezahlten Marktpreife 


348 


Unter Benukung der vorliegenden wiſſenſchaftlichen Unter 
fuhungen, und jorgfältiger Erwägung aller belannten Verhält ⸗ 
nifje, ſt nun in den menſchlichen Nahrungsmitteln ein BVerhält 
nis zwiſchen Kohlehydraten, Tretten und Eiweißlörpern wie 1:3:5 
angenommen worden, und man fan mit Hilſe desjelben zu 
einer nad unferem jehigen Ermeſſen genügenden Beantwortung 
der Frage gelangen, welches Nahrungsmittel zur Yeit das 
—— if. Wie Prof. König in feinem Wert: „Die 

eınie der menichlihen Nahrungs» und Genußmittel“ näher 
ae ift zu diefem Ywed der Behalt der Nahrungsmittel an 
Eiweiß mit 5, dem an Fen mit 3 und bem an Kohlehydralen 
mit 1 zu multiplizieren. Die zufammengezäblte Summe reprär 
fentiert die Nährwerteinbeiten. Der Gehalt der Nahrungsmittel 
an Giweiß, Fett und Kohlehydraten ift aus vorhandenen zabl 
reihen und weitverbreiteten Tabellen leicht zu erjehen. Nah dieſen 
Grundfägen hat König nachſtehende Zufammenftellung gegeben. 

Animalijhe Nahrungsmittel: 

Marktpreis 1000 Nähre Oder für 
— Br igiloor. mperteine | UM- erhält 
Nährwert- | 3 
Durchſchnitt heiten toſten Mar Mähr ⸗ 
einheiten in Pro1878-80. 





R werteittz 

1 Rlloge. | Piennige Piennige heiten 

Magermild . 216 9 41,7 2400 
Magertäie . . 1014 82,7 43,2 2314 
Rd -.-.. 320 15 46,8 2133 
Eyd .-.. 2767 172 02,1 1608 
Bunr —— 2315 161,7 09,4 1432 
weinefleiſch 1856 131 z1,4 1401 
EN 1970 141,7 71,9 1319 
utler. . . . 2610 213,3 81,7 1223 
Aalbfleiſch 1157 112 26,8 1033 
Rinpfleiih . - 1168 | 128,3 109,8 91 

Vegetabiliſche Nabrungsmittel: 

Bohnen .. . 1755 225 ! 12,8 7800 
Erbim, , . . 1713 25,9 16,8 5997 
Linfen.. . . 1842 37 20,1 4979 
Kartoffeln . . 304 #1 20,1 4982 
Noggenmehl 1328 31,3 23,5 4243 
Weizenmehl . 1323 23,7 29,1 3431 
I 11: 1177 58 49,3 2029 


Diele Zahlen bedürfen fauım einer Erflärung; fte laſſen 
deutlich erfennen, welche Nahrungsmittel bei den während ber 
Jahre 1878—80 herrfhenden Marktpreifen die preiswlirbigfien 
waren und geflatten eine direfte Anwendung auf alle Berhält- 
niffe. Dit der Summe der Nährterteinheiten braudt man nur 
in den zur Seit herrſchenden wirklichen Marktpreis pro 1 Rilogr. 
u dividieren, um den Preis für die Nähriverteinheit zu erhalten. 
uß diefer fann man unmittelbar erjehen, welche Nahrungsmittel 
am billigften find und fid) vorzugsweife zum Ankauf empfehlen. 


GHehäkelter Stern. 


Der nebenftehend abgebildete Stern eignet ih zu Schub. 
und Tijſchdeachen u. dgl. Gr wird mit feinem Hälelgarn in 
folgender Weije ausgeführt 

1. Reihe: Man legt ſecht Luftmafhen an und verbindet 
fie zur Runbung. 

2. Reihe: Schs Luftmaſchen; * ein einfaches Stäbchen in 
die näcdfte Majdhe, drei Luftmaihen; vom noch viermal wieder» 
holen, fo daß ſechd Abteilungen entflchen. Die lekte der drei 
zuleht gearbeiteten Luftmaſchen wird an die dritte der ſechs Luft ⸗ 
mafchen angejchlofjen, die zu Beginn der Reihe ausgeführt wurden, 
wonadh die drei erften Luftmaſchen die Höhe eines Stäbchens 
erhalten und aud als ſolches gelten. 

3. Reihe: Elf Lufmaſchen; die Nadel aus der Schlinge 

ausziehen, in die fiebente der eben gearbeiteten elf Luftmaſchen 

been, die freigelaſſene Schlinge faſſen und durch bie Maſche 
durchziehen. Dadurd enifteht ein nad abwärts gerichtetes Picot ; 
drei Yuftmafden; * ein einfaches Stäbdhen über das nädite 
Stäbhen, adt Luftmaſchen, aus ben fünf lehten berjelben ein 
Picot bilden wie oben; drei Luftmajden, vom * no viermal 
wiederholen. Die lehle Lufnnaſche der ſechſten Abteilung wird 
an die dritte der erften Abteilung angeſchloſſen. 

4. Reihe: Eine feite Maſche im die oberfte der drei Luft · 
maſchen, welche das erfie Stäbchen der vorhergehenden gen 
bilden; * über jede der drei folgenden Luftmafchen je eine feite 
Maſche; in das Picot ebenfalls eine fefte Maſche, neun Luft · 
maſchen, eine ſeſie Maſche in dasſelbe Picot, in jede der drei 


| folgenden Lujtmaihen und in das nächſte Stäbchen 


Gebüfclter Stern. — Eleftriicher Sidibus, 


je eine fejie 

Maſche; vom * nodı fünfmal wiederholen. Die Ickte lee Maice 
wird an die erjte diefer Reihe angeichloffen, 

5. Reihe: Eine feite Maſche tiber die erfte feite Maſche Der 

unteren Reihe, * ein doppeltes Stäbchen im die erjte Luftmaſche 

des nächſtliegenden Bogens, eine Fuftmafhe. Man arbeitet nun 


weiter, indem ınan in jeder der folgenden Luftinaſchen ein Doppel« 
fäbden ausführt und nach jedem derjelben eine Lufnmaſche häfelt; 
in bie Mittelmajche des Bogens werden jedoch drei joldye, durch je eine 
Luftmaſche getrennte Doppelftäbchen gearbeitet, die vier lehten 





Maſchen des Bogens werden wie die vier erſten abgebäfelt, jo daß 


‚ in dem ganzen Bogen elf je durch cine Luftmaſche getrennte 


Doppeltäbgen fichen; drei Mafchen übergeben, eine fefte Maſche 
in die nädjte Maſche; vom * no fünfmal twieberholen und das 
lehzte Stäbhen am die erite fefte Maſche diefer Reihe anfhlichen. 
6. Reihe: Man ſchleift Die Machen bis zu dem zweiten 
Stäbchen des folgenden Bogens, macht ſechs Luftmaſchen und 
häfelt in die erjie Derfelben eine feite Maſche, wodurch ein nad) 
aufwärts gerichtetes Picot entitcht; eine feite Maſche in das nächite 
Stäbhen. Es wird nun ſtels pwiſchen je zwei Stäbden ein Picot 
nearbeitet, das mittlere Stäbchen ausgenommen, in welches pwei 
fee Maſchen gearbeitet werden, damit Über dieſes Stäbchen ein 
Picot zu fiehen kommt. Ueber die zweite Hälfte des Bogene 
werben ebenfalls vier Picots ausgeführt, dann arbeitet man eine 
Luftmaſche und eine feile Maſche in das zweite Stäbchen des 
nädjftliegenden Bogens, umbäfelt alle folgenden Bogen in derſelben 
MWeife wie den erfien und flieht den Stern ab, G Hillard. 


Slektrifher Fidibus. 


Das —— Wegwerfen glimmender Zündholzchen iſt nicht 
—* die Urſache von Brandſchäden geweſen, und ſchon lange 
at man danagch geſtrebt, Mittel zu finden, welche bei gänzlicher 
GSefahrlofigkeit do das Anzinden auf leichte Weile fihern, Die 
wenigiten der da · 
in zjielendben Vor⸗ 
Aläge erwieien ſich 
„ aber audi nur an» 
” nähernd pwedent ; 
ſprechend, während 
bei Anwendung 
diefer Vorrichtung, welche feine freie Flamme an ſich trägt, 
Feuertgefahr abjolut ausgeſchloſſen it. — In einem ca. 20 cm 
fangen Hartgummirohr in ein fonftantes Element nad) Marie- 
Davy und jugleich eine Inbultionsipirafe untergebradt. Das 
Qarigummirobr endet in eim dünnes Metallropr, in deflen 
Epige die Mole der eleftrifchen Leitung lanern und pwiſchen 
welden, jobald auf einen am unteren Teile des Upparats befind · 
lichen Anopf nedrüdt wird, ein Meiner Funke überſpringt. der das 
aus einem Gasbrenner ausfitrömende Yeuchtgad entzündet. Der 
(patentierte) Apparat ift leicht zu handhaben und behält feine 
Zündtraft für längere Zeit; erft nach ciwa 2500 Zündungen ift 
es notwendig, das erjhöpfte Element abzufdprauben, um ed gegen 
ein neues auezuwechſeln. M. 





@3 Der luſtige Sefellfchafter. 28 


(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtonmmen!) 





Fin zärtliher Halte. 


Der Holelbeſther H. in einem größeren Babeorte fieht ſich 
mit feiner Frau die Tanj-Reunion im Kurjaale von der oberen 
Galerie aus an, Die Frau biegt fi weit über die Prüftung, 
um recht gut zu ſehen. 

„Gib doch acht, daß du nicht hinunterfällſt,“ jagt der Gatte 

ängſtlich zu ihr. 

„Ad, es paffiert mir nichts,“ meint fie. 

in iſt mir ja nicht um did, aber du fünnteft einen Kurgaſt 
gen.“ 


3 
Auf dem Schriftfielerball, 
„Nun, mein Fräulein, wie gefiel Ihnen denn unfer berühm« 


ter Uprifer Herr X, den ich Ihnen foeben vorgefiellt habe?“ 
„Dfien geftanden, ich hatte ihn mir ganz ander& vorgeftellt.* 


* 


Wünſchenswert. 


Daß doch im Weligetriebe 

— ftet3 aljo walte: 
T — ihre alte Liebe, 

Sie — feine liebe Alte. 


» 


Im Xielier. 


Kommerzienrat: „Wenn ih Ahnen fie, werde ich natürlich 
meine fämtlichen Orden anlegen, Here Profefior, * 

Maler; „Dann mödjte ih Ahnen raten, fich doc lieber an 
einen Delorationsmaler zu wenden.” 


* 
Was iſt ein Kellner? 


rad tragendes 

rinfgeld jagendes 
Gäjte plagendes 
Biel fragenbes 
Doch nidtsjagendes 

Individuum. 


wi 
Mufkalifhe Arankfeit? 


aupfmann (zu dem rapportierenden jFelbivebel): 
Spielleute fehlen?! Werhalb der Tambour?* 
Daumen „Dem ift das Trommelfell geplaft.* 


erſch 


Zwei 


auptmann: „Und was fehlt denn dem Sorniften?* 
Udwebel: „Blajenfatarrh, “ 


3 
AUebertrieben. 


Emma erzählt ihrer Freundin Anna: „Denke dir, neulich 
legte ih die Briefe meines Arthur in meine fchöne japanefische 
Schatulle, und nah ein paar Tagen war der ganze Lad auf« 
gezogen, fo glühend waren fie!" 


v 


Aus der Znuſtrußtionsſtunde. 


Unteroffizier: „Artillerift Bombe, wenn bag Geſchoß auf 
irgend einen Gegenftand ſſößt, was neichieht dann ?* 

Artillerift Bombe; „Es platt.” 

Unteroffizier: „Die Beeihnung if viel zu oberflächlich, 
Sie follen für diefen Borgang einen guten deutſchen Ausdrud 
nennen, worin alles, was bad Geſchoß macht, zuſammengefaßt 
iſt! Wenn zum Beiſpiel ein Pferd in den ichien Zügen liegt, 
was ſagt hierzu jeder gebildete Menich?* 

Gefreiter Splitter: „Es ftirbt.* 

Unteroffizier: „Nein, Sie Zölpel! Da ſagt man: GE 
frepiert. — Na, wenn nun ein Geſchoß plakt, wie nennt ihr 
das ald gebildete Menfchen ?* 

Ale: „Es krepiert.“ 


Durch die Blume. 


Profeffor: „Sie ſehen, mein lieber Senf, ich frage Sie mit 
sroßer Geduld.“ 
Senf: „Berzeihen Sie, Herr Profefior, ich bin kein Meblfad,* 


E 
Verkehrte Reihenfolge. 


Baptist, ein böfes Weib genommen habend, 
Sat nad) der Hochzeit tänlich Volterabend. 


s 
Vrofl. 


„Mit meiner Frau ift jeht gar fein Ausfommen mehr, fie 
ift rein wie vom Zeufel befeilen.* 

„Seien Sie unbeforgt! Das wirb bald dorübergehen, * 

„Meinen Sie?" 

Ach halte den Teufel für viel zu Aug, um fi mit ſolchem 
Beſit lange aufzuhalſen. 


Lehre. 
Nicht zu jeder Stund' 
I ein Schatz zu graben, 
Nicht von jedem Mund 
In ein Schmah zu haben, 


5 


Reues FSeiden. 
„Nun, wie ift Ibnen der vierschntägige Aufenthalt in der 
Hauptſtadt befommen, meine Gnädige?* 
„Sehr ſchlecht: Ih bin jehfrant," 


* 


Fin vorſichtiger Mann. 
ga: „Wa Haft du da in dem Pärhen?* 
ann: „Ftwas zum Rauden.* 
—— „Und in dem anderen?“ 
ann: „Etwas zum Räudern.“ 


C 2 
Revanche. 


Dame: „Der Auf, den Sie mir ſoeben geraubt haben, ift 
eine Beleidigung, mein Herr. * 
Herr: „Beben Sie mir die Beleidigung zurüd, mein Fräulein. * 


2 
Dekonomifd). 


Ueber dem Gingang zu einem Berliner Vorfladifeller be: 
findet fid) eine Tafel mit der Infchrift: Gier find Aar- und 
Pantoffeln zu haben, 


Wißverfländnis. 
(Rad) mündliher Mitteilung.) 
Eifenbahnfhaffner (ie Waggonthür öffnend): „Prauft! 
(Fifenbahnftation bei Danzig]. 
Polnifher Jude (der eben genieſt hat): „Ic; bante!* 


5 


Aus der faleinifhen Stunde, 
(Na mündlicher Mitteilung.) 
Lehrer: „Wie beifit der Genitiv von homo?" 
Schüler ſchweigt. 
Lehrer: „Was hat homo für ein Geiler?" 
Schiller: „Neutrum.* 
Lehrer: „Wiefo Neutrum?* 
Ehüler: „Was man nicht deflinieren kann, das ficht mar 
al& ein Nentrum an.” 





Barum in VRoſemuckel die Jurmuhr nachgebt. 





Im Kafıno. Vom Yumpen. 


em übnrich, maden Sie einmal einen — te Stubiojus Bierfreund {feinen franfen freund beſuchend); 


Fahnrich: tſchuldigen der Herr Lieutenant bin Thult mir unendlich leid, dich in ſolcher Verfaſſung zu finden! 
Porteper-Fähnrid, aber u. Wite» ———— —ã— Ga une — muß ich dich bellagen, daß du nichts als 
| er trin 


Etubiofus Borgius: „Was bilft's, man muß ſich darein 

Lieutenant 9.: „Run, Serr Kcmerab, werben Sie fih auch nen 65 wird mir dieß um fo leichter, nachdem ich bemerft, 

am Prämien-Sbiehen Seteitigen ?* | das Mafler auf die Dauer einen ganz —— Be 
Sckonde · Lieutenant B.: „Natürlih! Es iſt ja die einzige —— — und hierdurch vor allen anderen Geträn‘ 

Ausfiht, bei dielen Schledhten Zeiten überhaupt mod Prämie | — verdient: denn man befommt es gepumpt, u 


Pieutenant (Premier-Lieutenant) zu werben.“ dab man 10 jemals Lu besablen braudt.“ 








Berantwortl. Herausgeber: wW. Spemann in Stuttgart, Redakteur: Joſ eph — chner ebenda. 
Nahdrud, auch im Einzelnen, wird ſtrafrechtlich verfolgt. — Ueberſetzungsrecht vorbehalten, 
Drud von Gebrüder Kröner in Etuttgart. 


Weltpoit, — Inferoten»Unhang zu „Dom Fels zum Meer’. 


(ollech 


% Weltpoft. i& 


WE Die Verteilung der Preiſe des 
Freisrätfels ift entgültig bis zum 
15. Mai verihoben worden und wer- 
den alle bis dahin eingehenden Y- 
fungen noch berüdfidytigt. Rachſtehend 

eben wir wenigftens einen Zeil der bis 
et eingelaufenen Loſungen, der Reit folgt 
im nächſten Heft. 

R. W. in, Eh in B. * ep. 
in P. eg mW, rau Y. in Er, 
4.9. in R,Dr©.8in®,%W.€d. 
n6,$%%in®, Frau Et. inM., 
DM. mE, RD. mn 2,9. ©. in 
R., Bankbirettor 9. in 3, P.H.in®,, 
Direltor 9. in M,, M. PB. in 8. B. 
ER,» m, 
Frau 8. in €., Frau P. in G., ©. —* 
in ©, C. G.in M., Regierungtrat ir. 


Greellenz ». ». in St, 9. 79 in u., 
Anv Sin WM. Bin, B. in D, 
9.2.2, in R,NR ©. in 


8,0.2.6.ın WM. 3. nf,» 
4... in W, FF P. in W. Fräu 
lin M. M. in FJ.D. mſt. W, DM 
in W. e m sS—ch, I. v. in, W 
‚n®2.&.ns,W.%in® 
: wma, in B, F. B. in P 
. 8. un, EM. in, G. DO in 
D,R.B. in W,. UL. inet, 9.8 
nA, EL. NR, RR R.inA, ». in 
&,R in, Oräfin ©. in 3, Ed. in 
®,M. R. in St, Ih. 2. iny, 8. © 
in W. S. P. in B. FR inWw, 6 
S. nn, EM inB, B. ine 
8. nB,)J Sch. in H., A in R 


Fortſegung fiehe nädhite Seiten. 





au 


Band 61. 


III. Jahrgang, Keft 9. 


Spemann 


Preis des gebundenen Bandes M. 1., franko per Yo MM. 1. 25. 


122, 


bradte inzwijchen folgende neue Bände: 
Bor Hundert Jahren. Glife von ber Medes Reifen durch Deutichland 
1784—86 nad dem Tagebuhe ihrer Begleiterin Sophie Beder. Hetaus ⸗ 
gegeben und eingeleitet von ie. Dr. G. Maro und Dr. M. Geyer. 
Bergil’d Werte. Band 2. Heneid. Mit Einleitung und Anmerkungen 
(Im vorigen Hefte ift diefer Band irmümlid) 


Bei Beftelung genügt Angabe der Bandnummer. — Neuefle Verjeichniſſe find durch 








alle Buchhandlungen zu beziehen. 





Bad Reinerz. _ 


Klim.Geb.-Kurort, Brunnen-, Molken- u. Bade-Anstalt,inder 
Grafsch Glatz, Pr.-Schl. Saisondauer: Anfang Mai— Ende Oktober. 


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mangel, Bleichsucht u, s. w, sowie der hysterischen und Frauenkrankheiten, 
welche daraus entstehen, Folgezustände nach schweren und fleberhaften 
Krankheiten und Wochenbetten, nervröse und allgemeine Schwäche, Neuralgien, 
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(Berle 1. Bd) 7. Wielands „Ober 
ron 2c.“ (Merle 2. Wand.) 9. Grims 
melshbaujens „Simplicianifde 
Echriften“. Bd. 11. Güntbers Ge 
dichte. Bd. 8, 10 u. 12. Stürmer 
und Dränger. Bd, 1-3, Guthalten 
Rlinger, Leiſewit, Yenz, Wagner, 
Maler Müller, Ch. %.D.Ehubart, 
Bd. 13, Oryphius Werte, Do. 14. 
Leliings Iugendfreunde Wo. 18. 
Moſcheroſche Geſichte Philanders 
von Sittewald. Pb. 16. Goctbes 
Dramen. Pd. 1. (Der Werte 6. Band.) 
Bd. 17. Leifings Iugenddramen 
vu, dDramatijche Meifterwerte ®d.2. 
18. Schillers Kabale und Liebe” 
und „Don Karlos” (in 3 Ausgaben‘, 
(Der Werte 4. Bd.) 19. Simon Dad 
und feine freunde, Job, Nöltng. 
20. Goethes Bedihte. Bd. 1 (Der 
Werke 1. ®d.) Bd. 21. Ziglers Aliar 
tiiheBanife.(DerSctel. Shule2. Bo.) 
Bo, 22, Hebels Alemaniihe Ge 
dichte. Bd. 23. Hebels Schapfäftlein 
deB — ER BEN STERRNDGD Bd. 
24 u. 235. Leiſings dramat. Nachlaß 
u. dramat, Meifterwerte. (Werte 2 Bo.) 
Db. 26. Die Gegner der zweiten 
ihlefiihen Schule 2 Bb. Bb. 77. 
Goethes Naturwifienih. Schriften. 1 Bo. 
Bd. 28. Albertinus Lucifers Nönig- 
rei und Eeelengejaibt. Grsab. von R. 
ehr.n. Lilienfron. (Erfter Neudrud!) 
db. 29. Ubrabam a&.Glara .Nubas 
der Erzihelm*. Hröpb. v_Ty. Bobertag 
Bd. 3081. Bürgers Gedichte. Hragb. 
von Sauer. 

Die „Dentiche Nationaf-Litteratur" 

iſt die * nach einheitlichem Plane 
angelegte miflenihaitlibe Ausgabe ber 
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bren Anfängen bis zur Neuzeit. 

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Die „Deutfche Nationat-Litteratur" 

ift ein nationaled Unternehmen von 


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mehr als irgend eined Hemeingut der 
wahrhaft Gebildeten werben follte, 








III. Jabrgana, Beft 9. 





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bädern. Trinkhalle für Mineralwasser aller bedeutenden Heilquellen. Pneu- 
matische Anstalt mit 2 Kammern ä 4 Personen. — Molkenanstalt. Milchkur. 
Versandt des an Lithium reichsten Wassers der Hauptstollenquelle durch die 
Trinkhalle-Verwaltung. [1201) 


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Gesellschafts-Sälen während des ganzen Jahres geöffnet. — Ausgezeichnetes 
Kur-Orchester. — Zahlreiche Kunstgenüsse jeder Art. — Jagd und Fischerei. 
— Grosse Pferderennen. — Reizende $ ——— und Ausllüge. — Vorzüg- 
liches Klima. — Herrliche Lage. — Mittlere Jahrestemperatur: 4 7,40 R. 


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alle fremden Mineralwässer,. 1400° Seehöhe ; gegen Norden und Osten durch 
Höhenzüge gerchützt. Klimatischer Kurort. Herrliche, ausgedehnte Wald- 
promenaden dicht am Bade. — Besuch über 6001, t'oncert, Theater täg- 
lich. Reunions wöchentlich. — Kurzeit: 1. Mat bis Oktober. [1256] 


BAD WILDUNGEN. 


Gegen Stein, Gries, Nieren und Blafenleiden, Bleihiucht, Blutarmuth, 
piterie zc. find feit Johrhunderten als ipeeifiihe Mittel befannt: Georg  Bictor- 
uche und Helenen»-Dnelle, Wafler derſelben wird in ftets friſcher Fülung ver- 

jendet. — Anfragen über das Bad, Peitellungen von Wohnungen im Badelogir- 
hanfe und Europäifchen Hofe ıc. erledigt: [1245] 
Die Inspeetion der Wildanger Mineralquellen-Actiengesellschaft, 


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Die genannten Etablissements 





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II. Jahrgang, Heft 9, 


Weltpofl, — Inferaten-Unbang zu „Dom $els zum Meer‘. 


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Unter Oberleitung 

des Geh. Reg.-Raths 
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F. Reuleaux.|, 








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Hecorbeon'ö. 


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Studiren 
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III. Jahrgang, Heft 9. 


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Für Kunſtfreunde. 











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Weltpoft. — Inſeraten⸗ Anhang zu „Dom Sels zum Meer’. 


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Weltpoft. — Inferaten-Anhang zu „‚Dom Sels zum Meer’. III, Jabraang, Heft 9, 


“ Weltpoft. dð Weißenburg. 


890 Meter über dem Meere. Eifenbahnftation Thun. 


















Schweiz. 











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N 7 R ei ns ten D in Das gelehrte Gründerfum im Bunde mit den geheimen Prieleriunen 
A. M. in &., ©. v. 2. in $ 3. 9. | Sei Peuus. Sin WiAE Auitungeiahäte un) Bitienicten auf bez puren Gifte bes 
in 2, Din PR. 8 in m., 7. XIX. Jahrhunderts M, 2. — (Ein höchſt pitantes Sympofion!) 11258] 
. . . #8 1 * * ” 
m -Stottern! 0 | Das Placirungsinfitut 
&, 9 M., in ®,R. in Ep, 9. ®. | wirdbriefl. geheilt. Anfe.m. Ret.-Martean | der Frau Henriette Nottmann, 
in R., 8. v. 8 in W., C. D. in R., | Arthur Heimerbinger, Straßburg LE. Münden, Türkenftr. 80, 11 
3.6. R, DB. in, 8 KR. in — Gar junge Mädchen! 1875] empfiehlt den geehrien Herrſchaften: Lehr 
N, C. R. in B., M. GC. in Ch., R. in a ee un m perional, Gelellichaftedamen, Repräfen 
8, 5 D.iInR,R. 8 ins, M. J. £illy's Stidmufter-Album. fantinnen, Stüßen der Hausfrau, Bud. 
ind. & 2. in®,eE. NR. ins, 4. | Eine Sammlung ſtylvoller Stickmuſter. Iterinnen, Sadnerinnen, Bonnen und 
v. d. B. in B., W. 2 inz, P. Z. in J Entw. u. gez. in der Gewerbeſchule für ammerjungfern. (940) 
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DO, Mr in © ‚aD 8 I %. | Barburg a €. Gufan Eifan, | Flotho & Kaiser, Cöln 
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R. in Et, 3. D. In P., €. Et. in ©. Sannover. — Profpecte gratis. i 
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DM. bin DB. 0.8 inm. 8 9 | (2451 Honorar beanipruht wid. ' Preis- Courant_ france, 
n W., AM. n Wi E. n H. 3 
Sting, 3 Bin, Setiede W in AUnfere Zeit und ihr „Seid. 
B,eRinR, 6 ft. in ® 3.8. Nicht alles, was uns die vorgejhrittene Eivilifation gebradyt hat, gereicht uns zum 
in @,, 8 M. in &,, 3. St. in R. E. Voriheil, wie alles vielmehr in der Welt feine zwei Seiten bat, jo find aud mit der 
D. in W., ur ® in®., Sch. | verbeflerten und verfeinerten Lebensweife mannigfadye Uebelftände bei uns eingezogen. 
in 3. L. in B. ð ch. in P., R. 4 er wollte 3. ®. beſtreiten, daß unſere fehler, egen früher total veränderte 
in B. J W. in B. J. 3 in W. &. I Lebensweife die Urſache jo vieler Aörperftörungen ift, die man früher wenig oder gar 
J. in W., * in F., B. in B., P. nicht kannie, während fie beute Die weiteite Verbreitung gefunden haben. So find u. U. 
2. ind9,6 ind, € D. m B., Bleichſucht und Blutarmuth und das —* der aus denſelben entſpringenden Leiden 
Bankdireltor E. in H I B. in®.D,, aller Art in den allermeiſten Fällen auf die aus den mannigfachſten Urſachen bervor« 
€. 8 in 8. B. Hinz, 6 in®, gerufene ſchlechte Blutbildung zurüdjuführen, Es gehört heute nit mehr zu ben 
I 2. in&,D6inR, M. W. in | Settenhetten, blühende Mädchen und Frauen plöklicd dahin welfen zu jehen. Die 
W. IR in 2, St. in Z., € v. B. | vordem rofigen Wangen bededt eine einenthümliche Bläffe, die Munterfeit verliert ſich 
in D. M. Et. inW, A B. in!®,, | und macht einer nervöfen Gereiztheit Plak, die Verdauung ift geflört, was ſich durdı 
A. B in W., PRnDO,JI.R i Aufſtoßen, Hartleibigleit, Blähungen, Athembeklemmungen ꝛc. ac. deutlich zu erlennen 
U., D. L. R. in M. G. R. in Mi m. ibt. Man ſucht nur zu häufig derartige Erſcheinungen rajdem Wachtihum zujur 
2. in M. P. P. in B. 6b. ©. in F., \örciben und erit wenn häufiger Farbenwechſel, allgemeine Ermattung, Etel und &r- 
N. I. in R,%.6C.nB, IN i tehen, Ohnmachten, Herzklopfen und leichte Fieberanfälle zc. eintreten, ſchaut man 
®., Bo 3.in EG, A. Sch. in R., fih nad Hilfe um. 
EeRinP,e ©. in 5 pen v. Sch. Dies ift ein großer fehler und jollte man, wenn fi bie erften Anzeichen ein« 
in B., 9). in P. WB. in S., € tretender Bleichſucht und Blutarmuth einstellen, unverzüglich geeinnete Maßregeln er⸗ 
8 in * Sch. in H., M. M. in W., reifen, weil das Uebel in ſeinem erſten Stadium viel leichter und raſcher zu beheben 
.23.1n 94.6. Sqh. in ®B, J. R. in Mr als wenn es ſchon tiefere Wurzel geſchlagen hat. Die von Dr. Yiebaut, dem 
H., H. 3. in W., ſt. D. in V., K. W. berühmten Ghefhoipitafarzt, verfahte Broſchüre, welche, in gemeinverſtändlich er Sprache 
in P. * u. A. in B., Leſeverein d. ©, geſchrieben, Jedermann zugänglich iſt und deren Durchleſen nur angelegentlich empfohlen 
in M. OD, g W. in B, up A. werden fann, nibt übrigens alle wünſchenswerthe Ausfunft, wie man fid in Fällen, 
in ®., Dr. &t. in ®., 6. in M., wie die vorerwähnten, zu verhalten hat, um auf natu äkem Wege in verhältnik» 
F. A. in WB, Frlin. v. Bin, A. mäßig furzer Zeit eine vollſtändige Beſeitigung des Yeidens herbeizuführen. Die 
M.in2,y.R in M., H. St inM., Broͤſchüre Dr. Viebaut's Reneneration ift & 50 Pf. in Stuttgart bei 3. Ullrich's 
W. 8 in M., 6. Sch. in A. G. F. in | Buchhandlung, Eberharbäftraße 55, zu haben. [1179] 


Zu 





Weltpoit. — Inſeraten ⸗· Anhang zu Vom Sels zum Meer’‘, 


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@. 6. in £. Natürlih muß «8 
ſtatt Promahos, Minerva Promados, 
©. 166 möglich ft. unmöglich und Lyrit ft. 
Logik heißen. . 

. 64. Gejammelte Gedichte von 
MWönig find bicher nur 1871 u. d. T. 
„seiderofen* erfchienen. Bon diefer Hebel · 
ausgabe if In Por BBeihrit N 

. 38. in Ober-Weifrib. un 
—8 auch nicht befannt, Wir 
werden uns erkundigen. 

. in Eh. Ad notam genommen! 

Selena Abonnent. Wir 
fönnen viel gegenteilige Meinungen ans 
führen, hoffen auch mit der Zeit auf 
Verbeſſerung. 





— Au BON MARCHE. 
m Firma: Aristide Bonclcant, Zun U rote Bedienung 


ift der beftändige Gtundſatz 


Fimiges Haus, wel d 
Titel Au Bon Marche wen 
der Billigfeit u. ftreng joliden 
Qualität jeiner Waare mit 


Net zuerlannt wird. 


NOUVEAUTES. 
®PARIS. ®# wu non marcat. 


Das Haus Au Bon March& kennzeicdinet ſich als das größte und befleingerichtete 


III. Jabrgang. Heft 9. 


der Firma 


Waarenlager und als eine von allen Fremden beſuchte Schenswürbigfeit. 


Wir beehren uns, die geichä 
unjeres illuftrirten Preiöcourants 
auf Berlangen Kedermann portofrei 

Ebenſo verihiden wir auf Wunj 


te Damenmwelt zu benadbricdtigen, daß bie Autgabe 
ür die Sommerjaifon erſchienen ift und wird derjelbe 
ugejanbt werben. [1253} 

gratis und portofrei jegliche Proben unjerer 


neueften Seiden- und Wollen-Modeftoffe, bebrudten Stoffe u. f. w., fowie auch 


die Albums, Beichreibungen und Wbbildungen der von unjerer firma geſchaffenen 
oben und Ktoftüme, Mäntel und Neberwürfe, Damen 


neuen Toiletten, fertinen 


hüte, Nöde, Unterröde und Morgenröde, Anzüge für Anaben und Mädchen, 
fertige Weißwaaren und Leibwäſche, Sonnenfhirme, Haudſchuhe, Kravatien, 
Blumen, Federn, Damenſchuhe u. .w. u. |. w. 

Wir bringen in Grinnerung, daß die Errichtung unſeres Spebitionshaufes in 
Köln a. Ah. uns geftattet, alle Veltellungen von 25 Francs aufwärts, mit Ausnahme 
der Möbel und Bettneräthe, nad ganz Deutichland portofrei bis zum Beitimmungs- 


ort * liefern. Nur der eigentliche 
a 


SD 





ngangsgol ift vom Empfänger zu tragen. 
& Haus Au Bon Marche bat für den Verlauf keine Filialen, Reifende, Agenten 
oder fonftige Vertreter. Bor jedem Angebot behufs Vermittlung wird ernſtlich gewarnt. 


Aepfelwein 


* * anert. reinſt Qual.p. Ai. M. 0,25, ſowie 
—J9 Aepfelwein⸗Champagner 
pro Flaſche M. 1,35 empfiehlt 


Frankfurt a. M. 


Frankfurter Mepfelwein-Melterei und Berfandt-Geichäft. 


(Gegründet 1854.) 





kanten und Kalserl. Königl. Hoflieferanten EB‘, V, Grünfeld, 
Landeshut in Schlesien vorzumerken, um bei Bedarf in weissen 


| DE geehrien Leser dieser Anzeige belieben sich die Firma des Fabri- 


wie bunten Leinen- und Baumwollen-Waaren, Tisch-Gedecken, Hand- 









[1221] 








Wornifer Brauer: Akademie. 


Programm und Auskunft für den nächften — — erhallen durch die 











ftion Dr. Schneider. 








An neuerer Zeit wurden von unſeren Koryphäen der medicinischen 
Wissenschaft die Rich. Brandt'igen Schweizerpillen einer Prüfung 
unterworfen und biefelben für ebenfo ficher wirtend, wie angenehm zu gebrauden, 


und durchaus unſchãdlich erflärt. 


GegenUongestionen, 
Schwindelanfälle, 
Unreines Blut, 
Appetitlosickeit, 
'erstopfung, 
Blähungen, Leber- 
& Gallenleiden, 
Hämorrhoiden, 
überhaupt gegen Wer» 
dauunge · unb Untere 
leibsftörungen haben 
ſich die Rich. Brandt- 
ſchen Schweizer- 
pillen in unzähligen 
Fällen bewährt und als 





dasjenige Mittel er 
wieſen, welches Die vor» 
yüglichften Figenidaften 
in ſich vereinigt. Dies 
find denn aud die 
Gründe, auf welden 
der Weltruf der Rich, 
Brandi'idhen Schweizer» 
villen fib bafirt. er 
billige Preis von M. 1 
pro Dofe maden die⸗ 
felben Jedermann zur 
aänglid, doch achte man 
daranf, die ächten Rich. 
Prandtihen Schweizer ⸗ 


piflen zu erhalten, welche auf ber Dofe ein Etiquett, wie obige Abbildung zeigt, 
tragen. Zu haben in den meisten Apotheken des In- und Auslandes, 
u. 9: Berlin: Straufapothele, Finhomapotbefe; Breslau: Apotheker Dr. 
Weißſtein; Cöln: Ginhomapotbele; Dresden: Mohrenapotbele; Frankfurt 
a. M.: Adleropotbefe; Hamburg: Apotheler U, Aob; Hannover: Löwen» 
apothefe; München : Rojemapothete;, Strassburgi.E.: Meifenapothete; Stutt- 
gart: Apotheter Reihlen u. Scholl, Oefterreih: Wien: Apothelet B. Groß, 
Hoher Markt 12. Schweiz: Genf: Apotbeler A. Sauter. [866] 











— — — 


Weltpoſt. — Inferaten.Unbang zu „Dom Fels zum Meer’ III. Jahrgang, Heft 9. 










% Weltpoft. ¶ 


WB. in®. Wir empfehlen Ihnen 
die Zümereten der rühmlidit befamnten 
Kunft« und Hanbelögärtnerei von I. E. 
Schmidt in Erfurt, Die in einer ſehr ge 
idymadvollen folorierten Mappe ein Samen» 
Sortiment von 12 der ſchönſten Sommer« 
blumen für das freie Sand verfendet. Jede 
Samendüte ift mit der mwohlgelungenen 
farbigen Abbildung der betreffenden Blume 
und dem lateinischen Namen, fowie den 
erforderlichen Anweilungen für bie Bes 
dandlung, Zeit der Ausiaat :c. verichen. 
Die elegant ausgeitattete Nolleftion ift 
Blumenfreunden und Freundinnen als 
aumttige Gabe zu empfehlen und bürfte 
fih aud als hubſches Heines Geſchent jehr 
wohl eignen. Der Preis iſt Mark 1.50 
incl. Porto 

6. Mi. in £. Die beir. Autoren 
werden je einen Band erhalten, Mittel 
bodhdeutiches ericheint bald, diele Bände 
eriordern eben die längite Borbereitung 

Abonnent in €. Es genügt, den 
Brief einfad) an die hiefige Loge zu richten 

3.9 in ®. für „die drei 
neuen Abonnenten* vielen Dant. Nur 
fo weiter und wir fönnm unfere Yeiitungen 
ftetig vervollfommmen, Ihren a uögeiprodhe» 
ten Wunſch bitten wir etwas mehr zu 






Die feinften Parfums find: 
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Lohse» Maiglöckchen — 


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Berlin, W., Jüger-Ntrasse 46, 1047] 


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Fir Stotternde! 


„ Dchtentl. Danf u. Gimpfebl. ſpreche ich) 
den, Anit.«Borft Wiofetter inKarlöruhe 
f. Heilung in Sohnes v. fehr fhwerem| 









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Griechische 


© Weine © 
1 Probekiste 































































prüzifleren. ’ 3 ’ . ., JEtettern, jowie { d, lichevolle ıt. fürlorgl 
D. 3. in BB. Fur Verſe, wie Die Behandt, u. Aufn. deii, hierm aus. Mit 
folgenden: j büirgermfte. K. Schmid in Hauſach. [1244] it 12 ganzen Flaschen 
Zar der Hunnen, laß Did warnen A; z — 12 ausgewählte 
Thu nicht plündernd Nom umgarıen Minera lJ wa (fe (- Sorten ven 
oder * x — 

Daß die wilden Heidenſcharen — (1239) Ceplalonia, Corinth, 

R m . 

Ärinen (Shriften ſhonen hun Drutfdes Reihe» Patent Nr. 25,778. Patras u. Santorin, 
verlangen Sie am „rildfichtsvollee Urteil Theodor Keil. Halle aß. Fiaschenu.Kistefroi. 
Das wäre vielleidt am Plau, wenn Sie —— — 194.50 
noch auf den unteriien Banken ber lehten Winbrudfich. ı. fewerfefte Ab hier zu AAlıR 
Sttafie ihee Beinkleider zerreigen und dann Gifentaffetten als Gr — 
würde Ihnen ten väterlichen Nat geben, jak für Hafienjchränte, im 1 Postprobekiste 
tieber men«n deflinieren zu lernen, als . ee 10, — bis nit ® Flaschen 
















foldy elende Reimereien in bie Welt zur jeken 

BD. A. in G Bielen Dank für den 
originellen, allerdings nicht gan faubern 
Win 


herb und süss. 
Franco nach allen 
deutschen u, Örterr.- 
ungar. Poststatiunen 
gegen Einsendung 
von 


Atufte, Gataloge gra- 
tis und Franco durd Die) 
Staflettenfabril von 
Gnit. Binthum im Hei—⸗ 

delberq 


Finnaea 
Naturhiftorifhes Infitut 


(Fisheimeritr. 7, Frankfurt a. M. 


Großes Lager naturhiſtoriſcher 
Begenftände, befonders in Con» 
dmlien, Bogelbalgen und Bogel- — 

eiern. [1236] 


3.4 in 50. Das iit ganz torrelt, 
die Strafe, welche die einzelnen Verbrecher 
trifft, wird dem Strafgeſehhuch entſprechend 
auegeſorochen, einerlei ob die Durdführung 
praftiich moglich it 

€. 3. ın W. Entjinnen ung Abrer 
Gedichte nicht mehr, was bei ber Fülle 
der Einfendungen aud faum zu verlangen 
ift. 66 wird alles Einlaufende beantivortet, 
freilich bedingt mandımal die Menge des 
vorliegenden Stoffe Heine Berautiinungen, 

MD in Mumänien. Mit ihren 
„...Joidören verfühbrerihen Augen“ 
verführen Zie zu keinem Abdrucd Ihrer 
wertloien Gedichte 

a. in St. inter dem Pleubonmm 
Gregor Samerow verbirgt fi Nen.Mat. 
Ost. Meding (Echt. Wohldenberg b. Derne · 
burg). Der Schriftſteller Mar Schlefinger 
wohnt Wien IV, Hotel goldenes Lamm 

” Auskunft auf alle derartigen Fragen aibt 
Aurſchnetrs Deutich, Yitt.»Stalenber, 

ds. £& in Aber Wunſch ſoll in 
Erwägung gezogen werden. Die Gedichte 
gefallen uns wenig 

Amerif. £efer. Unſere Seitichriit 
wird nie bie diriftliche Gefinnung Ihrer 
Leſer verlieben, 

$. 6. in a. Zind reihlid ver 
ſchen, mufien alio danfen 

Ss. A. in ®P. Bielen Danf für Ibre 
freundl, Zellen und den Beitrag jur Er⸗ 
lästterung des Zimptigtifimus. Veider lient 
es nicht in meiner Madıt, Ihnen die Signale 
feparat zugehen zu laſſen. Der von vielen 
Selten ausneiprodene Wunſch last ſich 
leider nicht realifieren. 



















„F. Menzer, = 


Ritter 4. K. Orlech, Eılöserordens, 
Neckargemünd, 


# 









Kataloge franco und gratis. 
mache ıch auf meine, no ın bors 
geſchritte nem Stadium au ſichere m 
Frfolg fuhrende Heilmerhode auf⸗ 
mettſam. Selbſt bruſttrank ger 
weſen, heile ich jeht brieti,,aufbiels 


Gefichtshunne Mo SE 


Anfernt nach einmaligem Gebrauch und 
* ſpucken, Afıbma,Brondiallatarr 
lic empfohtene Mittel Pr 3 WR. 2 Bene Zuberfuleje ecwınd. 
Gmiliäer Beautactung "1197] fucht) foaar in verzweifelt. Fällen, u. fteh. mir 
> — "N gengeine v.Perjon. aus allen, auch den höchſt. 
F. Marcalouse, Prag⸗Smichow. | #reij.;. Seite. Paul Ruppert, Görlite I. Schl. 


Heinr, Kleyer, Frankfurt a. M. 
Fubrikant der General - Agent 

„Herold“, der (900) 
Frankfurt „Coventry Club“, 
2 und Srädr Bicherheits- u 
„Salvo" Bi- 
und Triercle, 
-/Ersatzth. u. Zu» 
Zbehör. — Neue 
Prosp. gratis. 














und Kinder. 
Velocip.-Roh- 
theile. 





Weltpoſt. — Inferatensiinhang zu „Dom Sels zum Meer‘. III. Jahrgang, Heft 9. 


w Weltpoft. ¶ 


A. 7 in Auhrort. Einige gute 
Gartenzenſchriften (deutiche) find; für 
fämtlihe Qweige des Gartenbaus vor allen 
andern „Wiener iluftrierte Gartenzeitung“, 
(Preis M. 16, — fl. 8. jährlich) erſcheint 
monatlih bei Wilhelm frrid in Wien, 
dann auch „Deutjche Gärtner Zeitung” 
(Preis M. 7. jerisı), erſcheint dreimal 
jeden Monat in Kommilfion bei Hugo 
Boigt in Leipzig; ift Organ des beutichen 
Gärtner-Berbandes mit dem Sik des gt» 
fhäftsführenden Ausihufles in Erfurt. 
Gine ſchöne Zeitichrift ift auch Rheiniſches 
Jahrbuch für Gartenlunde und Votanit*, 
das jeden Monat für eine Marf bei Emil 
Etrauk in Bonn erſcheint. Für Obftban: 
Pomologiſche Monatshefte‘, die monat« 
ih bei Eugen Ulmer in Stuttgart er 
ſcheinen (Preis M. 9. für den Jahrgang). 
„Deflerreih-ungarifcher Obftgarten” (jähr» 
li ft. 4. — M. 8.) eriheint monatlid) 
weimal in der Erpedition Wien VI, Molr 
Iorsgafle 41; behandelt auch Germifebau 
u. a. hauptſfächlich Blumenzudt, aber auf 
andere Zweige des Gartenbaus behandelt die 
außgejeichnete Monatsjhrift. „ Die Garten ⸗ 
flora“ von @. Regel, erjcheint monatlich 
bei F. Enfe in Stuttgart, Preis M. 15. 
jährlid. Eclichlih die „Warten« Zeitung“ 
von Dr. &. Witimad, erſcheint wöchent · 
lid) bei P. Parey in Berlin, Preis M. 16, 

lich Do. 


jährlich. BD. 

. 3. in A. Ihre Frage nach ber 
„dapiernen Arone* im „Tyirseo“ (IL, 17) 
hätten Sie in der Schiller Ausgabe in 
Kürſchners „ Deuticher Rational-Litteratur* 
(Schiller III, ©. 275) beantwortet finden 
tönnen. Es ift die Papiermanicette, die 
anbrennt, wenn das Licht berabgebrannt 
ift. Romano will jagen: Die Menichen 
jeien mit Zeitungsruhm (der „vapiernen 
Strone“) freinebiger als mit Geld. 

I. in B. Sie können fi das 
Yimmer-Treibbäuschen ie ganz nad) Ihrem 

mejien heritellen lafien und ein nur 
einigermahen geſchidter Handwerker wird 
es Ihnen nach der Beidreibung ficherlich 
in beiter Weije anfertigen Auf die Gtößen · 
verhältnifie nach Strid und Linien kommt 
es ja in der That gar nicht beionders an. 
Der Blechlaſten hat ledialih den Zwech 
das heiße Wafier aufzunehmen; die Aſche 
fol dazu dienen, einerjeits die Wärme 
länger zu erhalten und anbrerfeits ju ver 
hindern, daß dielelbe unmittelbar auf die 
Pflanzen ald Hihe einwirle Die Größen: 
verhältmifie im übrigen find von unter 
georbnieter Bedeutung. Dr. A. RR.) 

. zu. in AHandelt ſich doch 
natürlib nur um eine jcherzhafte Yöjung. 

2. $: . in Wenden Sie ſich 
an bie Berlagshandlung von Waldow in 
Yeipzig. 

A. ®e. in 8. Sie haben vermutlich 
exit neuerdings ein Abonnement genommen 
und find fo in den Befik meugebrudter 
Hefte nelommen, denen die Beilanen fehlen. 

&. ” in ®. Naten zu dem Bulls 
dongrevolver für 12 M. 

I. D. in 4. An verfpäteter Liefe⸗ 
rung der Heſte find flets nur bie betr. 
Vuchhandlungen zc. ſchuld, da der Berlan 
tegelinäßig und plnttlih exbediert. 

A: 3. in P. Wollen jeben, ob ſich 
das thun läht, 

- 8. inP?. 1) Sanders Sprach · 
briefe waren empfohlen. 3 Toufjaint 
Yangenideidt geben wir den Worzun. 
3) Ob arof ob Mein, hängt von den Ber 
durfnifien ab. Jedes bat feine fpeziellen 
“orjüge. 4) Das genannte Werk über 
Mnemonit if uns nicht befannt. 5) We 
lung der Preisaufgabe fönnen wir vorher 
nicht geben. 


Iof. Dank, Heidelberg, 


Bnde-Apparaten-Fabrik, 


Brämtirt 1876 — 1880 — 





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—— chſte in Patent» Zimmer · Douche ⸗ 
—— 24 verſchied. Nummern. Huydr. 
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Badeöfen, mit und ohne Zimmerheizung. 
Patent-Girculationd-Badeöfen, mit denen 
permanent gebadet werden fann, ohne bas 
euer löſchen zu müflen. Regulirung bes 
ar auf jeden gewünfdten Wärmes 
rad. Schnellſte Heizung. Erploſion ausge 
Mplofien, Badewannen in allen Größen, 
Façons und Ausitattungen. Eikbodewannen. 
Geruchlole Zimmer ⸗· Eloſets. Garten» und 
Hausfeuerſpritzen ꝛc. 208) 
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ift foeben in IL. Auflage erſchienen 


Görbersdorf 


mit 26 Slluſtralionen und I Karte. 


Preis 1 Marl. 
Vorfichende Schrift ift für alle Yungen- 
kranken ungemein widtig. Denn von 
Görbersporf (durh Dr. Vrehmer) iſt die 
Vehre ausgegangen: die Lungenichwind- 
fucht ift heilbar. 1227] 


Schlagfluß. 


Wer ihn fürchtet, oder bereit# davon 
betroffen wurde, besiche die Broſchüre: 
„Ueber Schlagfluß, Vorbeugung und Heir 
lung‘, von Rom, Weißmann fen., ches 
maliger Bataillonsarzt, Vilshofen, Bayern. 
(Kostenfrei. ) [1255] 














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Bodeapparale 


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J Gruub langjähri« 
ger Erfahrungen in 
anerlannter Güte 
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verjenden franco. 
J umſatz bis 1884 
5200 Apparate. 


paraten-Fabriken 
vormals 


Lipowsky Jiſcher 
C. Magnet) (1186] 


Sseidelderg, erfin C., 
Haupiſtr 25. rüberftr. 13. 


% Weltpoft. & 


A. MB. in$. Sie feinen ein wuns« 
derlider Heiliger. Wie eb Ihnen möglich 
war, aus dem Preisrätjel folgende Lölung 
berauszulefen, ift uns ganz unbegreiflid: 
„Yu dem neuen Jabrgange laden wir 
unfere gulen Freunde auf bas hoflichſte 
ein! Kommt, kommt ihr alle, die ihr 
ſchon im vergangenen Jahre treue gem 
unferes Blattes geweien feid!* as iſt 
geraten, aber nicht gelöſt. Zum Geheim · 
doliziſten fehlt Ihnen nicht mehr als alles 
— übrigns aud als Nätielaufgeber, 
was Sie als Antwort auf die Einjendung 
bettachten 25 A. Bietid 

FI. 2A. in GM. Vielleicht wen 
Sie fih an bie Stuttgarter Velocipedfabrit 
von Alb, —— 170. 

n 


Eine Abonnentin aus Berlin. 
Derebimpanielommtmwieder Tibego 
gt im ganzen äquatorialen Afrifa vor. 

don der holländiſche Arzt Nilolaus 
Zulp erwähnt feiner in feinen „medizini« 
ſchen Beobadıtungen“ (1641), Edward 
Tyion gibt die erfte Anatomie desſelben. 
Bor beiden, 1689, bradjte der Engländer 
Andreas Bartel, in Gongo in Ge 
fangenfchaft geweſen, —* Nadır 
richten über den Schimpanſe. Bor etwa 
200 Jahren dürfte der erite lebende Schim · 
panfe nad Europa gelommen fein. In 
Arifa heikt er: „Baam*, „Infieno”, 
„Eoto”, „Nidiego*, „Iniholo*, „Bar 
ris*; doch dürfte auch unjer „Schimpanie” 
auf eine vaterlãändiſche Benennung zurüd« 
juführen fein. Die Framjoſen Ichreiben 
„Chimpanse*, wir ſchrieben „Ticdhim« 
panie“, n —— —* 

A. 3. in mM. ertwin: Krane 
age der Hunde und ihre Heilung (Ber 
in 1858). 

A. in A, Der Antiauar Scheible 
bier wird Ihnen gewiß das Gewünſchte 
zu ermäßigten Preifen verichaffen. 

23.9. Dant für Mitteilung. Wunſch 
foll erfüllt werden, 

Veritas. Nicht poetiſche Licenz, ſon ⸗ 
dern Drudfehler. 

Biofa. Noch nicht reif, aber verfuchen 
Sie ed beim „Didterheim* und haben 
Sie Dant für Ihre freundliche Gefinnung. 

4 in A. Bielen Dank für Ihre 
interefjanten Mitteilungen. Der beir, Atr · 
tifel wird für uns nicht ganz geeignet fein, 
ebenfo find im betr. S. 3. offengeftanden 
total anderer Meinung als Sie. 

4. B m A. Ihr Brief war für uns 
eine rechte Serzenserfriichung. Möochten 
nur Alle jo denfen, wie Sie. Wir ver 
raten Ihnen übrigens, daß von Bor ein 
neuer Roman in unfern Händen ill. 

4. MM. in ®. Bielen Dont für die 
Mitteilung, was darin Wünfde betraf, 
font nicht vergefien werden. Der Zeichner 
it allerdings Ecdyufler. 

WBienerin. Verbindlichen Dank für 
Ihre freundliche Sendung, die leider ange 
unterwegs war und durd den Transport 
nelitten hatte, Zrokdem munbete und das 

u Fragmenten geworbene Badwerl nod 
ehr aut, ebenjo der Anhalt der vericie 
denen Büchſen und Flaſchen, die ganz ge 
blieben find. Das find annehmbarere 
Gaben als Gedichte. . 

Abonnent Eger. Ihre Frage ift 
uns ganz unflar. Auf dem uns vor 
liegenden Exemplar ſteht far und deutlich: 
„Um 3 Ubr nahmittane am 25. Mai 
beginnen die Gloden der Kirche zu läuten“, 

mM. A. 23. in Wir find auf 
diefem Gebiete mehr ale reichlich verichen, 

%. R. in A. Bellen Dank für Ihre 
freunde. Geſinnung. Ihre Wünſche werden 
erfüllt werden, 








Inferaten-Unhbang zu 





Hlustrirtes Preisverzeichniss s 

Es enthält: 
zinntem Draht gebunden (nächst dem Eisen das danerhafteste Material) als: 
häuser, Lauben, Parillons, Einfriedigungen (ihrer Soliılität und Billigkeit wegen bei 
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liere, Verandas, Laub» und Bogengänge eto. Ferner: 
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Siebenſchläfer. 
Novelle von Otto Roquekte. 


3 gibt poetiſch angeregte Na: 
turen, welche jedem Cindrud 
mit gleiher Empfänglichkeit 
offen ſtehen, wie der Dichter 
jelbjt, ohne den Drang zu 
h fühlen, ji mit ihrem Empfin: 
— den nad außen hin zu bethäti- 

ee Iſt es ihnen aber gegeben, fich fogar in 
Verfen auszusprechen, melde nit für die 
Deffentlichlett, nur für die Gelegenheit und 
den engiten Kreis bejtimmt find, jo gehören 
ſolche Yeute zu den bealüdtejten Sterblichen. 
Denn fie verftehen ihr Dafein poetifch auszu— 
ihmüden, und haben nichts von den Wider: 
wärtigfeiten zu befahren, welche dem fünft: 
leriſchen Gejtaltungstrieb von außen her ent: 
aegentreten. Sie werden gewöhnlidy mit dem 
Namen Dilettanten bezeichnet. Ich nenne fie 
lieber: Die Stillen im Lande der Dichtung. 
Denn die große Welt der Kunft mit ihren Ge: 
fahren wollen fie nicht betreten, nur aus ihrer 
ichönen Innerlichkeit einen poetiſchen Licht— 
ſchimmer über die eigne kleine Welt‘ verbreiten. 
Zu diefen Stillen im Lande der Dichtung 
gehörte der alte Konreftor Volmar. Dögleich 
er nur noch wenige Stufen bis zu feinem 
jiebzigften Lebensjahre zurüdzulegen hatte, ſtan— 
den ihm er oe Ausdruck und Reime noch 
ausgiebig zu Gebote, um alle feitlihen Tage 
der Familie, die Erfahrungen des Jahres— 
wecjels, Freuden und Kümmerniſſe des Yebens, 
dazu die kleinen Ereigniſſe des Haufes, ja des 
Gartens und der Studierftube zu feiern, und 
zwar in wohlgeformten, empfindungsreichen, 
zuweilen humorijtiihen, und meift gar nicht 
furzen Gedichten. Sie waren fo ganz für den 
gegebenen Fall berechnet, daß ihnen oft nur 
das Verjtändnis der Familie entgegenftommen 
fonnte, daher denn, wie er nur feinen Heinen 
Kreis im Auge gehabt hatte, an eine Verbrei: 
tung über diefen hinaus nicht gedacht werden 
fonnte. Seine Töchter aber jammelten dieſe 
Dichtungen forafältig, und nannten die ſchon 
ſtark angewachſenen Hefte „des Vaters ſämt— 
liche Werke“. Waren ſie auch gebildet genug, 
dieſen kleinen Familienſchatz nicht zu überſchätzen, 





ſo hingen fie doch mit herzlichem Anteil daran, 


denn jte wußten, daß jedes Blatt aus einem 
glüdlihen Gemüt entfprofien war und eine 
freudige Stunde des Empfangens bereitet hatte. 
Nun begab es fich, daß nad; warmen Juni— 
tagen ein beftiges Gewitter durch die Nacht 
fam und ſich ftundenlang über dem Städtchen 
austobte. Schon abends um adt Uhr hatte 
es die Luft verfinftert, Regengüſſe über die 
Dächer herabfluten lafien, und mit gewaltigen 
Donnerihlägen den Widerhall der rings um: 
gebenden Berge geweckt. Nod um Mitternacht 
Dlitste und krachte es durch den dunklen Luft: 
raum, ja die jtrömenden Wafjermafjen ſchienen 
fich erft recht auägeben zu wollen. Dann aber 
zog es raſch vorüber, und nad) einer —— 
Stunde glänzten die Sterne durch die köſtlich 
erfriſchte Sommernacht. Der Konrektor Volmar 
öffnete das Fenſter und atmete die erquickende 
Luft ein, um dann ſeinen Töchtern gute Nacht 
zu jagen; denn man hatte ſich während des 
Gewitters nicht zur Nuhe begeben, und mandes 
noch erhellte enter, welches jonft um dieje 
Stunde dunkel zu fein pflegte, zeigte, daß auch 
hr Nachbarſchaft fich ſorglich wach erhalten 
atte. 
Aber der Konreltor war das Frühaufitehen 
doc) zu fehr gewohnt, als daß er, aud nad) 
zur Kälfte durchwachter Nacht, nicht um fünf 
Uhr schon wieder friſch auf den Beinen hätte 
fein jollen. Es trieb ihn in den Garten, um 
zu unterfuchen, wie es mit feinen Roſen und 
anderen Sommerblumen nad) dem ftarfen Negen 
ausjähe. Er fand den Schaden nicht groß, band 
dies und jenes auf, und machte vorläufige Ord— 
nung, um fi zu einem Spaziergange durd) den 
Wald zu rüften. Denn es ging ihm allerlei 
durch Kopf und Herz, was er zu einer bevor: 
ftehenden feftlichen Gelegenheit in Neimen aus- 
ſprechen wollte, die in den legten ſchwülen 
Tagen ſich gar nicht gefügig aezeigt hatten. 
Heute aber in der erquidenden Morgenfühle 
hoffte er die flüchtigen einzufangen. Hinter 
einem Fenftervorhang grüßte ihn das rofige 
Mädchengefiht feiner jüngsten Tochter. Er 
nidte ihr einen Gegengruß zu, verlieh das 
45 


352 


Haus und bald die noch ftillen Straßen, um 
dem Walde entgegenzufchreiten. 

Trotz feiner hohen Jahre war Herr Volmar 
noch ein rüftiger Fußgänger, der auch jtärfer 
anfteigende Wege nicht ſcheute. Und man mußte 
wohl fteigen fönnen, wenn man in der Gegend 
jpazieren gehen wollte, denn das Städtchen lag 
tief in das Gebirgsthal eingebettet. Bald war 
der Wald erreiht, der noch träumeriic im 
Schatten lag, nur auf den höchſten Wipfeln 
vom Frühlichte vergoldet. Denn die Sonne 
mußte fi hoch über den Bergrüden heben, 
um ihre ‚vollen Strahlen durd) das Buchen: 
grün zu ergießen. Aber fie fam hell und glor— 
rei nn es zudte, alänzte, funfelte in den 
noch feuchten Zweigen, und wenn ein Lüftchen 
durch das Laub fpielte, tröpfelte es wie ein 
Stemenregen über die Farnkräuter des Wald: 
bodens. 

Der Konrektor kannte diefe Gegend feit 
Lebenszeit und feit mehr als vierzig Jahren 
hatte er fie genau ftubiert. Bei jeiner Vorliebe 
für die Naturwifjenihaft war er mit den Ge: 
fteinsarten der Felſen, mit der geſamten Pflan— 
zenwelt, den Käfern, Schmetterlingen, Vögeln, 
furz mit der ganzen Fauna volltommen ver: 
traut, und hatte Sammlungen von allem an: 
gelegt. In den lebten Jahren, da er ſich aus 
feiner amtlichen Lehrthätigfeit zurückgezogen, 
hämmerte und flopfte er nicht mehr fo viel an 
den Steinen, ließ was da fleucht und freucht 
zwar nicht umbeachtet, aber doch unbehelligt, 
und wenn er in der Pflanzenwelt noch jam: 
melte, jo geſchah es nur, um einen jchönen 
Strauß von Feld: und Waldblumen mit nad) 
Haufe zu bringen. Bei einer folchen finnigen 
GSejchäftigleit empfand er dann wohl diejelbe 
Genugthuung, als ob er feine Gedanken in 
ein Gedicht zufammengebunden hätte. 

Heute aber berührte er feine Pflanze, be: 
merkte er nur flüchtig, was, durch den Negen 
der Nacht belebt, ſich Fräftiger erhob und aus: 
dehnte, denn auch in feinen Gedanken belebte 
es fich‘, dehnte es ſich aus und reihte es ſich 
aneinander, Verfe und Neime fügten ſich leicht, 
jein Gedicht arbeitete fi) ihm im Kopfe aleich: 
ſam felbjt aus und wurde immer befriedigender 
und länger. Co war er rüſtig fortgeichritten, 
bis der jteiler auffteigende Weg ihn ermahnte, 
feinen Gang gemächlicher fortzujegen. Er wollte 
no, an einer Felſenſchlucht vorüber, eine An: 
höhe erfteigen, wo fich zur Fernſicht eine Ruhe: 
banf befand, um dort Fin Gedicht als Ganzes 
— noch einmal an ſich vorübergehen zu 
laſſen. 

Dieſe Felſenſchlucht wurde gebildet durch 
zwei mächtige gegeneinander geſchobene Felſen— 
wände, welche kaum zwei Perſonen auf einmal 


Otto Roquette. 


einen Eingang gewährten. Das Licht fiel von 
oben in den gekrümmten engen Pfad und ließ 
in der Dämmerung die Wände grün von feuchtem 
Mooſe erkennen, in den Spalten von Farn— 
kraut beſetzt, von welchem die ſickernden Tropfen 
niederfielen. Nach etwa hundert Schritten er— 
weiterte ſich die Schlucht zu einer großen, völlig 
gedeckten Höhle, in welche das Tageslicht nur 
durch eine Seitenipalte den Weg er ohne 
doch mehr als ein Drittel der Höhle zu er: 
hellen. Herr Volmar hatte fie feit langer Zeit 
nicht betreten, und, obgleid er des botaniſch 
und mineralogiih nterefjanten genug darin 
wußte, wollte er auch heute vorübergehen. Und 
doch mußte er plößlich ftehen bleiben, über: 
raſcht und jtugend über den Anblid, der fich 
ihm darbot. 

Im Eingang der Schlucht, und von dem 
Hintergrunde fich hell abhebend, zeiate ſich eine 
Geſtalt, halb Jüngling, halb noch Knabe, in 
einer, wie es dem Konrektor vorfam, hier zu 
Lande ganz fremden Tracht. Ein mantelartiges 
geitreiftes Gewand fiel von der Schulter in 
‚alten und wurde von der in die Hüfte ge: 
itemmten linfen Hand feitgchalten. Auf dem 
blonden Kraushaar des Kopfes ſaß ein weit 
in den Naden zurüdgeichobener Strohhut. Die 
jpielenden Schatten des Laubes fielen auf die 
untere Hälfte der Geftalt, während die Morgen: 
jonne das jugendliche Geficht hell beleuchtete 
und die Zoden über der Stirn wie einen gol: 
denen Kranz erjcheinen ließ. So ftand die fremd: 
artige Erfcheinung, mit der rechten Schulter 
an die Felswand Br und jchien das Heran- 
fommen des alten Herrn beobadhtend zu er: 
warten. 

Diefer blieb wirklich ftehen und betrachtete 
fein fremdartiges Gegenüber einige Augenblide 
mit Verwunderung. Gndlid begann er die 
Nede: „Ei, auten Morgen, junger Freund! 
Schon fo früh unterwegs?” 

„Nur eben erwacht von zweihundertjährigem 
Schlafe!“ entgegnete der Sngling mit wohl: 
Hingender Stimme, ohne feine Stellung zu 
verändern. „Ach, der jüngſte von meiner Schar, 
wahe am frühejten zum Tage. Wir find die 
Siebenichläfer. Die andern ſechs find nod) 
drinnen in der Höhle. Es ift der Tag, da 
wir nach zweihundert Jahren einmal wieder 
erwachen müſſen.“ 

Dem guten Konrektor zudte die Ueber— 
rafhung verwirrend durch die Gedanfen. Er 
erinnerte ſich, daß heute wirklich der 27. Juni 
war, der Tag, der im Kalender mit dem Namen 
Siebenfchläfer bezeichnet ftand. Nun war der 
alte Herr zwar von lebhafter Phantafie und 
durd etwas Romantiſches leicht innerlich erregt, 
aber doch zu wohldenfend und erfahren, um 


Siebenſchlaͤfer. 


an die Erneuerung des Wunders einer alten 
Legende zu glauben. Aber mit der Spannung 
feiner Aufmerkſamkeit auf die ſonderbare Er: 
fcheinung zerftoben plößlich feine aufgereihten 
Verſe und Reime mie cine jerl ene Perlen: 
fchnur, deren Teile nah allen Seiten fort: 
rollen und für verloren gegeben werden müſſen. 
„Hm! Hm!” begann er mit ruhigerer Beobad): 
tung. „Sie befennen mir recht Merkwürdiges, 
mein verehrter Herr Siebenjchläfer! Aber fo 
weit mir Ihre Legende befannt iſt, müjjen Sie 
länger als nur zweihundert Jahre in Ihrer 
Höhle geichlafen haben?" 

„Anderthalb Jahrtaufende und länger!” ent: 
gegnete der Jüngling unbewegt und in dem: 
jelben gelaffenen Tone. 

„Das dürfte ftimmen!” fagte der Konrektor, 
den das Geſpräch zu beluftigen anfing. „Aber, 
mein Bejter, über die Yolalfrage müfjen Sie 
mich noch aufklären! Es war ja doch in Aſien, 
wo Sie Ihr Martyrium erlitten —“ 

„sn Ephejus war's!” fiel der Yüngling 
unerfchüttert ein. „Zur Zeit, da Decius im 
römischen Neiche regierte, begab e3 fih, daß 





diefer Katjer die heidniſchen Gößenbilder allein | 


geehrt wiljen wollte, und die Chriften, deren | 


idyon viel waren, follten fie anbeten. Und da 


fie fi) dejjen weigerten, fam er zornig von 


Byzanz nad) Ephejus, zu verfolgen, zu martern 
und zu töten, wer nicht die Aniee beugte vor 
den Götzen. Da liefen ihrer viele ihr Blut 
für den Glauben, andere aber juchten fih durch 
die Flucht zu retten. Wir waren aber zu Ephefus 
fieben Jünglinge von edler Natur, fo den Chrijten: 
glauben von ihren Vätern überfommen hatten 
und davon nicht laſſen wollten. Da hielten 
wir unter uns einen Rat und beſchloſſen, dem 
Tyrannen feine Macht über uns zu geben, fon: 
dern uns zu bergen in einer 4 daß er uns 
nicht fände. Denn er hatte Befehl gegeben, 
uns und alle Chriſten am nächſten Tage des 
Todes ſterben zu laſſen. Und wir entflohen 
zur Nachtzeit und fanden eine tiefe Höhle an dem 
Berge Anchilos, darin wir uns ſicher glaubten. 
Aber da die Schergen des Kaiſers uns aus— 
geſpäht, wollte er, daß wir auch da nicht am 
Leben blieben, und ließ den Eingang der Höhle 
umauern für alle Zeiten, daß wir darin lebend 
egraben ſein ſollten. Als er aber fortgegangen 
von Epheſus, ließen die Gläubigen, ſo nach 
der Stadt heimgekehrt, eine Tafel gießen von 
Blei, darauf die Namen der ſieben Jünglinge 
zu lejen waren, und daß fie in der Höhle den 
Märtyvertod geftorben. Als nun auch Decius der 
Heide mit Tode abgegangen, folgten ihm andere 
Kaifer, die das Heidentum abjchafften und fi) 
zum chriſtlichen Glauben bekannten, und es ver: 
gingen fait zweihundert Jahre, da war das 


| 


353 


Kreuz überall zu jehen und Kaifer Conftantius 
auf dem Throne.” 

„Bitte um Entjduldigung!” warf der Kon— 
reltor ein. „Nicht Conitantius, fondern Theo: 
dofius, und zwar der Zweite diefes Namens, 
muß es gewejen fein, jonjt fommen die zwei: 
hundert Jahre nicht heraus! Der kleine Jrrtum 
ift verzeihlich bei Ahrem hohen Alter, mein 
lieber Herr Siebenſchläfer!“ 

„Alſo Theodofius der Zweite mochte es fein!” 
fuhr der Jüngling mit Ruhe fort. „Der Berg 
aber und die Höhle, darinnen wir eingemauert 
lagen, war an einen begüterten Mann ge: 
fommen, Namens Adolius. Der wollte ein 
Gebäude errichten und befahl jeinen Knechten 
und Arbeitern, Steine zu breden. Und fie 
braden und wälzten die Steine weg und fanden 
den Eingang zu der Höhle, erblidten aber uns 
nicht, und als eö Abend ward, gingen fie fort, 
von ihrer Arbeit zu Ha Da es aber Morgen 
wurde, erwachten wir fieben und begrüßten ein: 
ander gewohntermafen und vermeinten nur eine 
Nacht geichlafen zu haben. Aber wir waren 
noch in Sorge, daß Decius uns juchte und uns 
Böſes im Sinne trüge. Da wir nun der Speile 
bedurften, um zu leben, hielten wir Nat mit: 
einander und es ward beichlofien, einer von uns 
follte auf Kundichaft gehen und verfuchen von 
Ephejus Brot für alle mitzubringen und was 
wir brauchten. Des guten Geldes aber hatten 
wir genug bei uns. Und die Wahl fiel auf 
Diomedes, den jüngiten, der zugleich der Ge: 
wandtefte und Klügſte von allen war, und id) 
bin Diomedes, den fie wählten.” 

„Ei ſieh da!“ rief Herr Volmar dazwiſchen. 

Diomedes aber fuhr fort; „Und den Weg 
nad Ephejus fand ich wohl, da ich aber zur 


. Stadt fam, war alles anders geworden. Das 


war gar nicht mehr Epheſus und war doc) feine 
andere Stadt. Ueber allen Thoren glänzte das 
Kreuz, die Yeute in den Strafen gingen ruhig 
ihres Wegs, als wühten fie nichts von fchred: 
licher elahr. aber ich fannte ihrer niemand. 


Ich ſah die Häufer meiner Genoſſen, und das 





meines Waters, aber es aingen fremde Men: 
ſchen aus und ein, jo mid) nicht fannten und 
beifeite ftießen. Da ging id voll Scred 
und Wirrnis weiter, um das Brot für uns zu 
faufen. Als ich aber das Geldſtück hinleate, 
nahm der Bäder es in die Hand und wunderte 
fih, denn ob er es zwar für autes Gold hielt, 
wollte er dejjen niemals in der Stadt gejehen 
haben. Und es famen andre dazu, und be: 
tradhteten es und fragten, wo ich die Münze 
gefunden hätte? Da fagte ich ihnen, daß ic) 
ſie nicht gefunden, ſondern daß fe nod) gejtern 
in der Stadt gegolten und daß ich dergleichen 
wohl nod mehr hätte. Er hat einen Schaß ge: 


354 


funden, riefen fie, er muß uns den Drt jagen, 
auf daß mir aud graben. Aber ich leugnete 
und fagte, die Prägung zeige das Bild des 
Kaifers Decius, der doch noch gejtern feine Be: 
fehle in der Stadt gegeben. Da ladten fie 
und nannten mich einen Tollen, und es war 
viel Auflaufens in den Straßen um meinet: 
willen. Da fam es bis vor den Biſchof und 
den Statthalter und ich mußte vor ihnen er: 
fcheinen. Und war viel Fragens und Wunderns, 
denn Kaifer Decius war nicht mehr und dar: 
über zweihundert jahre vergangen. Da faßte 
ih mir einen Mut und erzählte ihnen alles, 
daß wir unfer fieben vor ihm in die Höhle 
geflohen und heute morgen erwacht waren. Da 
erftaunten fie, aber fie zweifelten und nannten 
mic Lügner. Ich aber beteuerte, was ich wußte, 
und es famen die Schriftaelehrten, und hörten, 
und forſchten und fanden vieles richtig, wie 
ich fagte, daß es gejtern geweſen, und fie er: 
fannten, das fei zweihundert Jahre her. Aber 
während man mid viele Stunden hinhielt, 
waren andere voll Neugier hinausgegangen nad) 
der Höhle, denn ich — von meinen Genoſſen 
geſprochen und ihre Namen genannt. Da kamen 
die Leute mit Verwunderung zurück und brachten 
vor den Biſchof die bleierne Tafel, darauf 
ſtand, daß Kaiſer Decius uns hatte vermauern 
laſſen, weil wir Chriſtum bekannten. Alſo 
mußten wir zweihundert Jahre geſchlafen haben. 
Da beugte ſich vor mir der Biſchof und verlün— 
dete, daß Gott ein großes Wunder gethan. Und 
er führte mich mit vielen Tauſenden und großem 
Gepränge in die Höhle, daß wir meine Ge— 
noſſen von dort abholten. Und wir fanden 


ie — 

„Alles ſehr ſchön!“ unterbrach ihn der Kon— 
reltor. „Sie haben Ihre Legende geſchickt zu— 
ſammengefaßt. Daß ſie nach verſchiedenen Ueber— 
lieferungen verſchiedenartig erzählt wird, thut 
nichts zur Sache. Kurz, fie wurden alle ſieben 
als Märtyrer heilig geſprochen, jtarben aber 
nod) desjelbigen Tages, um als heilige Sieben: 
ichläfer begraben zu werden. Wie aber fommt 
ed dann, daß, da Sie doch begraben worden, 
Sie ganz leibhaftig wieder aufgelebt find?“ 

Der Siebenfchläfer befann ſich einen Augen— 
blid, dann ſagte er: „Wir müffen alle zwei: 
hundert Jahre wiederfommen, um immer das: 
jelbe zu erleben. 

Ö weh!” rief der Konreftor. „Das ift 
ja für ſchuldloſe Märtyrer eine recht harte Ge: 
ipenfterwanderung und eine Erweiterung Ihrer 
Yegende, von der ich noch nichts gewußt habe! 
Aber da Sie der gewandteite und klügſte von 
den fieben find, müſſen Sie das bejjer willen. 
Ein dunkler Punkt bleibt für mic zwar immer 
no, daß Sie diesmal nicht im Berge Andjilos, 


Otto Roquette. 


ſondern bei uns, in einer deutſchen Gebirgs: 
höhle erwacht find — aber ich will auch nicht 
gar zu neugierig fein! Geftatten Sie mir, daß 
ich dafür eine andre Frage ins Auge fafje! 
Sie werden ſicherlich auch heute in die Stadt 
ehen, um Speife zu holen? Ich bin fehr be: 
annt in unfrem Städtchen, und würde gern 
behilflich fein.“ 

„Das ift überaus freundlich!” entgegnete 
der Siebenichläfer. „Und ich wünfchte, es wäre 
nicht zu weit, denn — wir haben geftern fein 
Abendeſſen gehabt.“ 

„Und da wird ein Frühftüd jehr willfommen 
fein! Ich kann es mir denken, Herr Studioſus!“ 
Dem Konreltor war die letzte Bezeihnung über 
die Zunge geraten, er wufte nicht wie, wäh: 
rend der Jüngere die Lippen zufammenfni 
als wolle er das Lachen unterdrüden. 

„Nenn man übrigens,“ fuhr der Alte fort, 
„ven Hunger jummiert, der nach anderthalb: 
taufend nicht gehaltenen Mahlzeiten beredhtigt 
wäre, jo möchte unfer Städtchen freilih ın 
Verlegenheit geraten, den Appetit feiner Gäſte 
zu befriedigen — —“ 

„Thaſſilo! Wo ftedjt du denn? Thaffilo!” 
Co ericholl ein Ruf aus der Höhle, vor dem 
der Konrektor feine Rede unterbrah. Der junge 
Fremde bewies, daß der Ruf ihm gegolten, 
denn er wendete fih und trat zurüd., 

„ha!“ dachte der alte Herr! „Jetzt fommen 
die übrigen ſechs, Jünglinge von edler Natur‘! 
Aber er fühlte ſich doch überrafcht, als er nun 
einen nad dem anderen aus den Felſen hervor: 
fchreiten ſah. Denn er hatte fie jich anders 
gedacht. 

Zuerft fam ein — dicker Menſch, mit 
aufgedunſenem Geſicht, einem Schnurrbart darin 
und verſchlafenen Augen. Er irug ein Wander: 
bündel über der Schulter, unter dem Arm aber 
einen grünen Sad, aus dem das Mundjtüd 
eines Waldhorns hervorfah. Der zweite über: 
ragte ihn um Haupteslänge; ein jtarkichultriger 
Gefell, welcher eine mächtige Poſaune trug, die 
fi auch unter der arünen Verhüllung fennt: 
lid) machte. Dann folgte wieder der Träger 
eines Waldhorns, von welchem nichts weiter zu 
fagen ift, als daß er ftarf gähnte, da er das 
Tageslicht erblidte. Der vierte dagegen erjchien 
als ein leichtfüßiges Weſen, Fleiner als die 
übrigen, mit ſchmunzelndem Geficht, von unter: 
nehmendem Ausdrud und einer Klarinette in 
der Hand. Ihm folgte, ebenfalls mit einer 
Klarinette, der fünfte, welcher jehr unbefriediat 
ausſah und etwas hinfte. Diefe fünf ſchienen 
zufanmengehörtg, denn fie trugen araue Röde 
von gleihem Schnitt mit arünen Aufſchlägen 
und ſpitze Schwarze Hüte. Sie ließen ſich auf 
Geſpräche jetzt nicht ein, jondern fchritten, ein: 


’ 


Siebenfchläfer. 


gedenk des verlorenen Abendefjens und des noch 
mangelnden Frühftüds raſch ihres Weges, auf 
welden der letzte der nächtlichen Höhlengäfte 
fie hinwies. 
Diefer, der fiebente des ganzen Zuges, ein 
ihlanfer junger Mann mit leihtem Vollbart, 
wendete fi zu dem jüngften und reichte ihm 
grüßend die Hand mit den Worten: „Guten 
Morgen, Thaffilo! du jcheinit als erfter er: 
wacht Ir jein? aber du fiehft blaß aus — haft 
du ſchlecht geſchlafen?“ 
Währenddem hatte ſich der alte Herr mit 
gefpannter Beobadhtung genähert, und jetzt 
machte er eine Bewegung, welde die Aufmerk— 
famfeit des jungen Mannes auf ihn lenkte, 
Nur einen Moment blidten beide einander 
fragend an. „Hanno Bertung!” rief der Alte 


freudig. 

Roter Volmar! mein alter Vormund!“ ju: 
belte der Jüngere und eilte mit ausgebreiteten 
Armen auf den Konreltor zu. „Hier im Walde 
ſchon foll ich dich begrüßen! Willfommen !“ 

„Ja, Willtommen, mein lieber guter Sohn!“ 
entgeanete der Alte. „Willkommen hier draußen, 
und Willlommen in meinem Haufe! du er: 
fcheinft früher, als wir did) erwarteten? D, du 
weift wohl, daß wir jtetS auf dich gerüftet, und 
glüdlich find, dich einmal wieder zu haben!“ 

Mährend fo der Freude des Wiederſehens 
mit noch manchem herzlichen Worte Ausdrud 
gegeben wurde, jtand Thaffilo, jtusend über das 

nerwartete, und in einiger Verlegenheit bei: 
feite. Denn, daß er feine Eulenfpiegelei gegen 
eine Nefpeftöperion ausgeübt, fiel ihm auf 
das Gewilfen. Die beiden anderen erinnerten 
ſich feiner doch bald wieder, und jchnell fuchte 
er einzulenten. „Hanno! begann er: „Jetzt 
hilf mir aus der Patſche! ich habe diefem 
würdigen Herm aufbinden wollen, wir wären 
die alten und echten Siebenfchläfer, und ich der 
flügjte von ihnen. ch vermute, es war das 
Dümmfte, was ich thun konnte!“ 

„Nun, nun!” entgegnete Herr VBolmar: „Es 
war nod) luftig genug! Auch Ihre Tracht fommt 
mir nicht mehr jo afiatifch vor, denn ic) ſehe, 
es iſt nur das wollene Neifeplaid, welches Sie 
wegen der Morgenfühle etwas maleriſch um: 
geichlungen hatten. Auch Fam Ahnen die Beleuch— 
.. zu ftatten. Ihre Rolle fpielten Sie nicht 
übel, bis auf den einen Yapfus in betreff des 
Kaiſers Theodofius. Und der Alte erzählte 
dem jüngeren Freunde mit Behagen von ber 
Unterredung, die er mit dem jüngjten Märtyrer 
geführt hatte. 

„Ich habe nur mein Penſum von geftern 
abend refapituliert und aufgeſagt!“ vervoll: 
ftändigte Thafjilo. 

Hanno ftimmte ladjend in die Heiterkeit des 


355 


Konrektorö ein, und ftellte ihm feinen jungen 
Reifegefährten unter dem Namen Thaffilo von 
Ellerjtedt vor. Dann erzählte er, wie fie gejtern 
abend vor dem auäbrechenden ſchweren Gewitter 
und dem ftrömenden Regen in die F bekannte 
Höhle geflüchtet, und fünf reiſende Muſikanten, 
welche fe angetroffen, in das Aſyl mitgenommen 
hätten. „Die Nacht fam heran,” fuhr Hanno 
fort, „und da das Wetter ſich nur heftiger ent— 
lud, zogen wir vor, die Stunden bis zum 
Morgen unter dem Schuße der Höhle zu bleiben. 
Um meine Gefährten zu unterhalten, erzählte 
ic ihnen die Legende von den Siebenfhläfern. 
Denn wir waren zufällig die gleiche Zahl, und 
ich erinnerte mich, daf wir dem fo bezeichneten 
Kalendertage entgegenichlafen follten. Ich 
glaube, es ift uns recht wohl ——— 

„Das kann ich von mir nicht — 
entgegnete Thaſſilo. Mir ging die Geſchichte 
im Kopf herum, und wenn ich mir etwas 
Schlummer erhoffte, riſſen mich der Horniſt und 
der Poſaunenbläſer mit ihrem Schnarchen wieder 
ins Wachen zurück, ſo daß ich eigentlich gar 
nicht zu den — gehört habe. Aufgeregt 
und ärgerlich über euren geſunden Schlaf, ver— 
ließ ich endlich die Höhle, um den Morgen 
draußen zu erwarten. Und als er anbrach, 
beichloß ich, gelangweilt, mit dem erjten, der 
mir in die Quere fäme, anzubinden. Daß id 
an den Unrechten gefommen, habe ich zu be: 
Hagen —“ 

„Gar nicht nötig, junger Herr!” rief der 
Konrektor abwehrend. „Nun aber wollen wir 
den Meg zur Stadt doch beichleunigen, denn 
ſelbſt ich freue mid) auf das Frühjtüd, der id) 
doch geitern mein geregeltes Nachtmahl gehabt, 
und nicht in einer Höhle geſchlafen habe!“ 

Unter Gefprähen zwijhen Hanno Bertung 
und feinem einjtigen Vormunde wurde der Weg 
nad der Stadt bald zurüdgelegt. Thafjilo 
glaubte ſich von den beiden anderen trennen zu 
müfjen, da er zwar den gleihen Weg, aber 
nicht das gleiche Ziel hatte. Er reijte zu Ver: 
wandten, welche über die Stadt hinaus auf 
einem Gute wohnten, daher er feinen Koffer 
auf der Bolt in Empfang nehmen, jowie einen 
Magen in der Stadt —5— wollte. Allein 
Herr Volmar war der Anſicht, daß das nicht 
ſolche Eile habe, zumal er erfuhr, daß Thaſſilo 
ſeine Ankunft nicht auf die Stunde gemeldet 
hatte, er alſo heute nicht beſtimmt erwartet 
wurde. Es fojtete nicht große Weberredung, 
den Yüngling zu einem Frühſtück im Haufe 
des Konreftors zu gewinnen. 

Hannos Empfang war berzlih, als gelte 
ed dem Sohne des Haufes und dem Bruder. 
Zuerit fam den Männern die jünajte Tochter 
des Konreftors entgegen, Gudula, ein fchlantes, 


356 


anmutiges Mädchen, mit geiftvoll jprechenden 
Augen, und reichte dem Gafte freudig die Hand. 
Lebhafter aber eilte die ältefte herbei, Frau 
Theodore, die als Witwe in dem Haufe des 
Vaters lebte. In ihrem faft mütterlichen Ver: 
— zu Hanno flog ſie ohne Umſtände in 
eine Arme und gab ihm einen herzhaften Kuß. 
Auch Thaſſilo wurde, als Reifegefährte Hannos, 
freumdlichjt aufgenommen. Und als rau Theo: 
dore von dem Höhlenſchlaf der Nacht und den 
Nahrungsmängeln der Abenteurer erfuhr, ſetzte 
fie den jüngſten Siebenjchläfer jofort an ihre 
Seite, und wußte ihn durch ſchnell herbeigeholte 
Schätze der Speifelammer reichlich zu entſchä— 
digen. Sie war eine angenehme Frau, und 
hatte eine muntere Art, das Geſpräch zu führen: 
„Was ift diefe Weberrafhung aber für ein 
Querſtrich für den guten Vater!“ rief fie plötz— 
lih. „Die fejtlihe Empfangshymne lag ihm 
nur erft im Herzen — ich hab's wohl gemerkt, 
daß im ftillen jo etwas arbeitete — und nun 
fommt der Gefeierte, bevor der poetiiche Gruß 
vollendet iſt!“ 

Laß nur!” entgegnete der Water. „Offen 
geitanden, ich bin heute früh hinausgegangen, 
um den poetifhen Gruß abzufaſſen, ftatt feiner 
aber bringe ich den zu Begrüßenden ſelbſt nad 
Haufe. Das ift noch beſſer. Sollte es am Ende 
no etwas Gereimtes geben, nun dann —“ 

„E83 wird nachgeliefert, und der jechite 
Band der fämtlichen Werke damit würdig ein: 
geleitet““ rief Theodore. Und zu Hanno ge: 
wendet fuhr fie fort: „Aber quter Junge, dies: 
mal dürfen wir uns nicht fchmeicheln, der An: 
ziehungspunft für dich gewefen zu fein, ſondern 
der leidige Mammon war es, die fchnöde Geld: 
gier, die dich in unfer Städtchen gelodt hat!“ 

Hanno mußte lachen, und Gudula, ſowie 
der Vater, jtimmten beluftigt ein. „Nun ja!“ 
entgegnete er: „Ich habe eine Erbichaft gemacht, 
und das Gericht verlangt, daß ich mich per: 
fönlich einftelle, um fie endlih in Empfang zu 
nehmen.‘ 

„Neugierig wär’ J fuhr Theodore fort, 
„was dein gelehrter Kopf nun erſinnen wird, 
das ungeheure Vermögen unterzubringen. Ganze 
taufend Mark! Es iſt, um einen Schwindel zu 
friegen! Standen fie nicht zu erwarten, jo war's 
immer brav von der alten Großtante, dich da: 
mit in ihr Teftament zu ſetzen.“ 

„Und fie kommen mir recht gelegen!” fagte 
Hanno. „Denn ich habe vor, noch auf ein paar 
Monate nad) Italien zu reifen, um einige or: 
ichungen zu machen.‘ 

„Nah Italien? Noh einmal?“ rief die 
aanze Familie. „Am Ende gibt es neue Aus: 
grabungen!” fügte TIheodore hinzu. „Denn 
ohne Ausgrabungen im Schilde zu führen, 


Otto Roguette, 


geht dech kein junger Gelehrter mehr nach 
üden!“ 

„Es iſt beinahe ſo!“ beſtätigte Hanno lä— 
chelnd. „Alten Inſchriften auf Steinen will 
ih nachſpüren, und habe eine Witterung, wo 
dergleichen noch zu finden wären.‘ 

„Bott im Himmel!“ rief Theodore. „Man 
läßt den alten Römern auch gar feine Ruhe! 
Und wenn fie ihre Heimlichfeiten noch fo forg: 
fältig verftedten, die deutfchen Gelehrten Tom: 
men ihnen doc auf die Spur!“ 

In diefem Augenblide brad eine Mufif 
lo8, vor weldem das Geſpräch unwillkürlich 
verftummte. Zwei Hörner ergingen fi in 
halb melandholifchen halb weltverhöhnenden Be— 
fenntniffen, eine Stlarinette fuchte fie durch 
Frechheit iu überbieten, während die zweite 
aud in Klängen herzbrechend nachhinkte. Nur 
die Poſaune hielt, geringe Ausweichungen ab: 
gerechnet, ihre Grundtöne charaftervoll feit. 

„Theodore jah durd das Fenſter. „Sind 
das die übrigen fünf Siebenfchläfer? fragte fie. 
Thaffilo, der ihr gefolgt war, bejtätigte es. 
„Als eure Leidensgefährten,“ fuhr Theodore 


fort, „ſollen fie beſſer belohnt werden, als ihr 





fünftlerifches Vorhaben verdient. Sie find nod) 
am Ende der Straße. Hätten wir fie nur erjt 
am Haufe vorüber!“ 

Die Geſpräche waren nun doch einmal ab: 
gebrochen, und fo verabſchiedete ſich Hannos 
Reifegefährte, obaleich ehr ungern. Denn er 
ſah ſich in einer Familie, die ihn gemütlich 
anregte, da er ſelbſt doch nicht eben verlodenden 
Familienbeziehungen entgegenging. Während 
ihn fein Freund und der Konreftor begleiteten, 
um ıhm für die MWeiterreife behilflich zu fein, 
mag einiges für den Verlauf diefer Geſchichte 
Erforderliche nachgeholt werden. 

Hanno Bertung war der Sohn des einftigen 
Stadtpfarrers. Früh elternlos, fam er ſchon 
als Knabe in das Haus feines Vormundes, 
des Konrektors Volmar, welches er wie jein 
väterliches betrachtete, um auch fpäter immer 
gern dahin zurüdzufehren. Er hatte es einjt 
belebter gefannt, ala es ſich jet darjtellte. Da 
waren nod) zwei Töchter, jet verheiratet und 
in der Entfernung lebend, und zwei Söhne, 
durch Beruf und Stellung ebenfalls an andere 
Gegenden gebunden. Dann fehrte Frau Theo: 
dore, nachdem fie früh Witwe geworben, zu 
ihrem Vater zurüd. Sie teilte ſich mit der 
jüngjten Schwefter in die Gefchäfte der Wirt: 
ſchaft, deren größten Teil fie doch allein führte. 
Denn Gudulas Hilfe wurde durch den Water 
reihlid in Anſpruch genommen. Sie hatte die 
ramilienforrefpondenz zu führen, und mancherlei 
Schreibereien für den alten Herrn, der alles, 
was er dichteriſch oder wiljenjchaftlih trieb, 


Siebenichläfer. 


gern fauber gebucht und geordnet um fich fehen 
wollte. Eine behaglidhe Ordnung zeigte das 
ganze Haus von außen und innen. Nur ein: 
ftödig, aber tief und langgeftredt, gewährte 
e3 doch Naum für viele, und der große, 
bis zu den Stadtwiefen hin ausgedehnte Garten 
mit Obft: und Wirtfhaftspflanzungen, ftellte 
ein ganz ftattliches bürgerliches Beſitztum dar. 

er Gajt des Haufes bezog feine Giebel: 
zimmer, die er bereits in feiner Schulzeit be: 
wohnt hatte. Es gereichte der Familie zur 
freude, daß er feinen Aufenthalt auf einige 
Wochen bemeflen, und Arbeit mitgebracht, —J— 
ihm manche Tagesſtunden ausfüllen ſollte. Galt 
es doch noch mancherlei Zurüſtung für den 
alademiſchen Lehrſtuhl, zu welchem er berufen 
war, um ſeine neue Thätigkeit im nächſten 
Winter zu beginnen. 

Als abends die Familie unter dem Nuß— 
baum ſaß, der die ag des Hauſes be: 
ichattete, begann Frau Theodore zu Hanno 
ewendet: „Da die Stiefmutter des jungen 

llerſtedt, die ſchöne LYeontine, auf dem Gute 
bei Hobergs zum Beſuch ift, wirft du dich wohl 
aud einmal dort vorjtellen? Sie iſt ja doch 
eine alte Bekanntſchaft von dir.“ 

„Ich glaube nicht, daß ich es thun werde,‘ 
—— Hanno. 

‚Nun, fie ift immer noch die fchöne Leon: 
tine,“ fuhr Theodore fort, „und frage nur den 
Vater, der — ganz begeiſtert nach Hauſe 
kam, da er ihr begegnet war, als Amazone 
hoch zu Roſſe! Aber du haſt uns noch nicht 
erklärt, wie du zu der Freundſchaft mit dem 
jungen Ellerſtedt gekommen bift.‘ 

„Unjere Bekannſchaft begann mit dem Tage, 
da ih meine Schulmeifterlaufbahn antrat,” 
erzählte Hanno, „und wir blieben zufammen 
bis zum Schluffe des letzten Semefters, wo wir 
beide die Anjtalt und zwar beide, 
um die Univerfität zu beziehen, ich als Pro: 
feffor, er ala Student, Und fo aud finden 
wir beide uns diefen Sommer noch in einem 
Interimszuftande. Ich fand bei meinem Ein: 
tritt in die Anftalt den Knaben im Haufe des 
Direktors ſchon vor, wo er auch blieb, als fein 
Bater ſich wieder verheiratete. Der verftorbene 
Präfident von Ellerftedt war befreundet mit dem 
Direftor, und ernannte ihn auf dem Todeäbette 
zum Bormund feines —— 

„Er wird gewußt haben, warum!“ warf 
Theodore dazwiſchen. 

„War der Knabe in ſeinen Umgebungen 
auch gut —— fuhr Hanno erg „jo 
übte doch der Mangel einer eigenen Familie 
einigen Einfluß auf ihn. Mehr als auf mid), 
der ich in meiner Jugend in wg Lage 
war, aber freilih unter fo viel günftigeren 


357 


Verhältniffen bei euch lebte. Bei ihm machte 
fih das Gefühl der Vereinſamung geltend, 
welches ihn auch äußerlich zur Abfonderung 
führte. Gleihwohl war bei ihm zu beobadten, 
was bei verjchlofjenen, in fich gefehrten Naturen 
nicht felten vorfommt, nämlid) das Hervorbrechen 
von unerwartetem Uebermut und phantajtiichen 
Streihen, wie wir es erft heute früh erlebt 
haben. An mich hatte er ſich immer befonders 
angeſchloſſen. Der Knabe war geijtig frühreif, 
auf Koſten feiner körperlichen Entmwidelung. 
Er mußte mit 17 Jahren von der Schule ent: 
laffen werden. Allein fein Webereifer des 
Arbeitens rächte ſich, er verfiel in ein Nerven: 
fieber, welches ihn —— die Univerſität 
ſchon zu beziehen. Als er geneſen war, kam 
die Einladung zu ſeinen Verwandten. Ihn 
einige Zeit die Landluft genießen zu laſſen, 
war erwünſcht, und da ich mich zur Reiſe 
rüſtete, fonnte er ſich mir anſchließen.“ 

„Der arme Junge!‘ rief Theodore. „Denkt 
euch, als ich ihn fragte, ob er feine Stiefmutter 
lange nicht gejehen habe, entgegnete er: Noch 
niemals! Sofort fiel mir auch ein, was die 
fchöne Zeontine fich bei ihrer Berheiratung aus: 
bedungen hatte, nämlich), daß fie ſich um den 
Knaben aus der eriten Ehe ihres Gatten in 
feiner Weife zu befümmern habe! Darum 
mußte das Kind unter fremden Menfchen auf: 
wacjen. Herr von Ellerftedt zeigte von An: 
fang an eine unerhörte Schwäche gegen fie, 
und fie wußte fie auszunugen. Wenn ich mir 
denke, in welden bejcheidenen Berhältniffen 
diefes Mädchen einft lebte, ald Tochter eines 
penjionierten alten Sauptmanns! Freilich, ihre 
Schönheit! Noch ganz deutlich erinnere ich 
mic) eines Balles, wo fie in ziemlih un: 
ſcheinbaren Fähnchen erſchien, und doch als die 
gefeiertſte Tänzerin alle Mädchen ausſtach. Es 
war damals, ala Herr von Ellerſtedt zum 
erftenmal in Gejchäften hergefommen — Gu: 
dula und Hanno, ihr müßt euch des Balles 
ja noch erinnern!‘ i 

„Ich nur vom Hörenfagen! entgegnete Gu: 
dula. Denn ic) war damals noch lange nicht 
reif für Tanzkleider.“ 

„Run jo tanzte doch Hanno auf jenem 
Balle mit ihr. Jh fehe den Studenten mit 
ihr noch vorüberfliegen. Und das Paar war 
des Anjehens wert.“ 

Auch Hanno erinnerte fich jenes Balles nur 
zu genau, und eö war ihm lieb, daß das Abend- 
dunfel fein Geficht befchattete. 

„en jenem Abend war es auch,” fuhr Theo: 
dore fort, „wo Leontine die erfte Maiche aus: 
warf, den nicht mehr jugendlichen, dafür aber 
jehr reihen Mann ganz zu fejleln. Nun, es 
wurde ihr nicht fchwer, und fie machte ein für 


358 


ihre Verhältnifje unerhörtes Glüd. Daß ihr 
Stiefjohn der Haupterbe feines väterlichen Ver: 
mögens werden jollte, fonnte fie nicht ver: 
hindern, aber fie hat fich doch, und zwar jchon 
vor der Verheiratung, dermaßen auöftatten und 
Kae, lafien, daß fie nad) Herzensluft leben 
ann. 

„ber, liebes Kind,” wendete der Konreftor 
ein, „du fprichit, als wärft du dabei gemwejen, 
und haft doch alles nur vom Hörenfagen —“ 

„Bäterchen!” unterbrach ihn Theodore: „Ich 
rede diesmal, was ich weiß! Ich fenne ſogar 
die Urſache, um derentwillen fie ſich zu einem 
Beſuche bei Hobergs entſchloſſen hat, die nur 
entfernt mit ıhr verwandt find und bei denen 
jie fich jehr zu langweilen pflegt. Frau von 
Hoberg iſt es jedenfalls auch geweſen, welche 
die Einladung Thaſſilos durchgeſetzt hat, der 
ſchönen Leontine wäre dergleichen nicht in den 
Sinn gekommen.“ 

„Du thuſt ihr gewiß unrecht!“ warf der 
alte Herr nochmals ein. 

„Ich glaube nicht, lieber Vater! 30 be: 
fenne, bat id) dieſer Zeontine gegenüber ein 
Intereſſe, wie für ein rätjelhaftes Problem 
fühle. So etwas von inmerlicher Kalte, ja 
—— bei ſoviel Reiz und Schönheit, 
ſoviel Anziehungskraft, iſt mir unbegreiflich. 
Und überdies — fie muß noch etwas cuf dem 
Gewiſſen haben! Ein Verhältnis vor ihrer 
— welches ſchroff abgebrochen wurde. 
Man weiß keinen Namen, aber es hat Zeugen 
ihrer — Zufammenfünfte gegeben.“ 

Hanno Bertung erſchrack bis ins Innerſte, 
und die Ueberraſchung trieb ihm das Blut ins 
Geſicht. Was er durchgerungen und nach Jahren 
in ſich abgethan hatte, mußte er plötzlich ausge: 
iprochen hören, und zwar im Kreiſe feiner 
Familie, welcher feine Erfahrung ein Geheimnis 
hatte bleiben follen. Durfte er gleich annehmen, 
daß Frau Theodore wirklih nit mehr zu 
verraten hatte, als fie ausgefprochen, jo ge: 
nügte das nur halb Enthüllte ihm doch, um 
einen neuen Drud auf ihn auszuüben und ihn 
verftummen zu machen. 

Der alte Herr gab der Unterhaltung eine 
andere Wendung, da er nicht liebte, daß über 
andere ungünftig geiprochen wurde. „Du wirft 
in der (Gegend einige Veränderungen finden!“ 
begann er zu Km gewendet. Beſonders in 
der Nähe des Hobergichen Gutes, Der Beliger 
hat große Mühlenwerfe angelegt, ungeheure 
Gebäude, und entfaltet eine umfangreiche In— 
duſtrie.“ 

„Schade um das ſchöne alte Mühlenthal!“ 
jagte Hanno, um doch nicht ganz ftumm zu 
bleiben. 

„Seht ihr?” rief Gudula freudig. „Sch 





Oro Koquette, 


wußte es voraus: Cr denft wie wir, wenn er 
gleich) aus der weiten Welt fommt. Die große 
nduftrie wird ja wohl ihre Berechtigung haben. 
Wir aber, die wir, in unfer Thal eingejchlofien, 
nichts damit zu thun haben, und zufehen müfjen, 
wie man es für das, was die Leute Kultur 
nennen, verunjtaltet, wir dürfen wohl jagen: 
Schade darum! Wer mag fi) jegt noc dahin 
wagen, wo es von Fabrifarbeitern wimmelt ? 
Glüdlicherweife hat man uns die Berge und 
den Wald auf der anderen Seite der Stadt 
nod) nicht genommen. Und ich habe zu meiner 
Beruhigung gehört, daß die Schludyt da viel 
du eng und zu tief ift, um etwas Induſtrielles 
hinein zu bauen.” 

Das Geipräh war damit in eine harmlofe 
Bahn gelenkt und lodte Gudula_mehr zur Be: 
teiligung an. Sie zeigte viel Teilnahme für 
Hannos Studien und feine bevorjtehende Neife 
und wußte ihn ausgiebig in der Unterhaltung 
zu machen. Es war sehn Uhr, als der alte 
Herr —5— begann: „Nun, wir haben heute 
Siebenſchlä * gehabt, nach deſſen Wetter 
ſich, dem Volksglauben gemäß, die ſieben nächſten 

age zu richten pfegen. Wir fehen alfo für 
eine Woche lang Ichöne und freundliche Tage 
voraus, In diefer Zuverficht wollen wir uns 
heute gute Nacht jagen!” 

Hanno betrat jein altes Giebelzimmer, fühlte 
aber noch fein Bedürfnis, fi) zur Nuhe zu 
begeben. Er lehnte ſich in das Fenſter, zu 
welchem die legten Zweige des Nußbaumes 
reichten, darin die Nachtluft leife ſpielte. Hell 
alänzten die Sterne, und tiefe Stille Tag über 
Härten und Stadt. In berubigter, ja gehobener 
Stimmung hatte er den Kreis lieber Menjchen 
verlaffen, die er die Seinen nannte, jegt in 
der Einſamkeit traten ihm Erinnerungen, bitter 
und demiütigend, noch einmal vor die Seele. 
Neun Jahre find für die Jugend eine lange 
Zeit, und doc) nicht ausreichend, um einen Rip, 
der einmal in das Dafein gefommen, völlig 
wieder auszugleichen. Aus feinem täglichen 
Denken zwar hatte er eine alte Erfahrung 
längjt verbannt, und er jchalt ſich, daß eine 
Erwähnung derjelben ihn noch einmal aufregen 
wollte. Nicht mehr zu fchmerzlichen Empfin: 
dungen des Verluftes, gewiß nicht; aber doch 
zu Aufwallungen eines zornigen Mipmutes, 

en er längſt überwunden geglaubt hatte. Allein 
er wollte auch diefe los jein, und es gelang 
ihm bald genug, feinen Gedanken eine andere 
Nichtung zu geben. Sie beichäftigten fid) mit 
feiner Bf egeſchweſter Gudula, deren Anmut 
und rein entwickeltes weibliches Weſen ihm 
leich in der erſten Stunde ſeiner Rückkehr im 
— —— überrafhend nahe getreten waren. 
Er hatte im Laufe des Tages faum zehn Worte 


Siebenichläfer. 


allein mit ihr geiprodyen, und dod) fam es ihm 
vor, als habe er ſich fortwährend mit ihr unter: 
halten. Das war früher nicht jo geweien. An 
Jahren verſchieden, aber als Geſchwiſter mit: 
einander verfehrend, hatte es nie an Vertrau: 
lichkeit unter ihnen gefehlt. Nur daß er er: 
waächſen war, da Gudula noch für ein Kind 
galt. Jetzt hatte fie ihr zwanzigjtes Lebens: 
jahr erreicht, und er erjtaunte über ihre Ent: 
widelung. Er erinnerte ſich plöglid), daß fie 
vor zwei Jahren, da er fie zulegt gejehen, aud) 
nicht mehr ein Kind geweſen. Aber fie war 
eben die jüngfte der Familie, und wenn fie 
ſelbſt fich nicht mehr Kind gefühlt, jo hielten 
die anderen die Kinderrolle für ſie doch länger 
feit, bis man dann erfannte, daß fie völlig aus 
derſelben herausgewachſen war. Dieje Erkennt: 
nis wurde aud) ihm heute deutlich, und zwar 
mit einem jo wohlthuenden Gefühl, daß fein 
Herz ſich fait Schon mit Hoffnungen und Win: 
ſchen erfüllte. Er begriff nicht, daß dergleichen 
ihn heute erjt überfam. Die Zukunft jtand 
plöglic nicht mehr als Inbegriff von gelehrter 
Arbeit vor feiner Seele. Die Stellung, zu 
welcher er berufen worden, erlaubte immerhin 
die Begründung eines kleinen Hausjtandes. Er 
erjchrat vor Freude. Aber auch zweifelvolle 
Gedanken durchkreuzten die wachlende Erregung. 
Ob Gudulas Herz ganz frei wäre? Ob fie 
feinen Empfindungen entgegenfommen würde? 
Ob ihr ein mehr als Ichweiterliches Verhältnis 
zu ihm wünfchenswert fein fonne? Ob fte den 
Vater, mit dem fie innerlich fo jehr zufammen: 
hing, der ihrer Hilfe bedurfte, verlaſſen würde? 
— Mitternacht war längjt vorüber, als er, jolche 
Gedanken Hin und her wägend, noch immer 
in die jternenfunfelnde Stille hinausblidte, 
Irogdem ließ er morgens nicht auf fi 
warten, und als er im Garten Gudula erblidte, 
war er mit jehr jugendlihen Sprüngen unten, 
um fie zu begrüßen. Es folgte ein Tag voll 
Glück und Sonnenfchein für alle, denn Hanno 
zeigte ih von der beiten Yaune, und fo mit: 
teilfam, als man ihn nur irgend haben wollte. 
Er fand aud) reichlich Gelegenheit, mit Gudula 
allein zu jprechen, und fand fie jo einfad) herz: 
lich, fo teilnehmend, dabei jo klug und anmutig, 
daß ihm, was in feinem Herzen vorging, be: 
reitS auf die Lippen treten wollte. Aber ge: 
rade, was jeinen Verkehr mit ihr begünftigte, 
die natürliche gewohnte Vertraulichkeit, ſchien 
eine Schranfe für ihn werden zu wollen. Gr 
hatte Augenblide, in welchen er ſich verlegen 
fühlte, er jchien übermütig, und war doch im 
Innern beängftigt, erichredt über irgend ein 
unbedeutendes Wort Gudulas, ungehalten über 
ein eigenes, da es anders lautete, als er gewollt 
hatte. Gudula ſelbſt blieb fich immer glei) in 


359 


der freundlichen Offenheit ihres Weſens; fie 
freute jich feiner Unterhaltung und war ebenjo 
erfreut, daß er anfing ſich feiner Arbeit zu 
widmen, von der fie ſich Großes verſprach. So 
vergingen ein paar Tage in jo ſchönem Glüd 
für alle, daß fie das Beifammenjein innerlid) 
nicht genug preifen konnten. 

Eines Morgens fam Thaſſilo nad) der Stadt 
geritten und bekannte offen gegen Gudula und 
Theodore, daß er es faum ausgehalten habe, 
jie jo lange nicht zu jehen. Dann fprang er 
hinauf zu Hanno, um diefem allerlei Mit: 
teilungen zu machen. Auch brachte er ihm eine 
Einladung von feinen Verwandten. „Von wen 
geh die Einladung aus?“ fragte Hanno, „Nun, 
urjprünglic von Frau von Hoberg,” entgegnete 
er. „Die übrigen waren einverftanden. Frau 
von Ellerjtedt fügte hinzu, daß es fie freuen 
würde, did) fennen zu lernen.“ Hanno zögerte, 
eine bejtimmte Zufage zu geben. Thaſſilo aber 
fuhr fort: „Es iſt eigentlich ziemlich langweilig 
bei den Yeuten da, und hätte ich nicht zu jeder 
Stunde des Tages ein Neitpferd und eine 
Büchſe, um mich im Walde zu üben, fo wühte 
ich nicht, was idy anfangen follte. Sie find 
mir alle ganz fremd und eigentlich gar nicht 
meine Verwandten. rau von Ellerſtedt iſt 
freilich die zweite Frau meines verjtorbenen 
Vaters, das fann mir aber nichts bedeuten, da 
fie ji niemals um mid gefümmert hat. Und 
fo, da fie ſich auch jetzt nicht viel mit mir ein: 
läßt, kommen wir auf feinen grünen Zweig 
miteinander. Sie iſt ſtillſchweigend einver: 
itanden, daß ich fie Frau Baronin oder gnädige 
Frau anrede. Die Hobergs find nur mit ihr, 
und zwar entfernt, nicht aber mit mir verwandt. 
Der Gutsherr treibt fid) den ganzen Tag in 
Geſchäften umher, wir jehen uns nur wenig. 
Die bejte im Haufe ift Frau von Hoberg, mit 
der ich auch ganz qut ftehe, leider aber wird 
fie durch Kränklichkeit jo geplagt, daß fie nicht 
jeden Tag zum Vorſchein fommen kann. Sie 
will demnädjt in ein Bad reifen. Es ift aud) 
noc eine gewiſſe Tante Adelgunde im Haufe, 
des Gutsherrn Schweiter, welche der Wirtichaft 
eigentlid; vorfteht. Cine lange dürre Perſon, 
jehr felbjtändig, ihr drittes Wort iſt eine 
Grobheit.“ 

Hanno fing an zu lachen, obgleich ernſte 
Erwägungen ihn beſchäftigten. Er nahm ſeinen 
jungen Freund mit zur Familie hinunter, wo 
Thaffilo ſich ein kleines Frühſtück gern gefallen 
ließ. „Ja, wenn ich jo bei Ihnen im Haufe 
zu Beſuch ſein könnte!“ ſagte er. „Hier ift 
alles bejier! Bücher die Fülle! Draußen bei 
Hobergs iſt im ganzen Haufe Fein Buch zu 
finden, und in mander Stunde des Tages 
fürchte ich, mich tot zu langweilen.“ 

46 


Ba. 


360 


Man ftellte ihm gerne zur Verfügung, was 
er aus der Hausbibliothek a wollte, und 
er ſäumte nicht, zu wählen und in die Taſchen 
u paden, jo viel fie tragen fonnten. Frau 
heodore wußte ihm über einiges reden zu 
maden, was fie befonders erfundigen zu wollen 
ſchien. „Haben Sie aud) in der Umgegend ſchon 
Belanntichaften gemacht?" fragte fie. 

„Nur eine, die des nächjten Nachbars, eines 
Herrn von Falkenberg. Herr von Hoberg ritt 
mit mir nad feinem Gute,” 

„Er ſoll jehr begütert fein,” fuhr Theodore 
fort. „Hat Ihnen der Mann ſonſt gefallen?“ 

„Nein!“ entgegnete Ihaffilo. 

Frau Theodore late. „Das heit rund 
heraus! fagte fie, ließ aber die weitere For— 
—— 

haſſilo wiederholte bei ſeinem Abſchiede 
die Einladung des Hauſes — für Herrn 
Bertung und bat um die Erlaubnis, bald wie— 
derkommen zu dürfen. — „Der arme Junge!“ 
begann Frau Theodore, nachdem ſie dem Fort— 
reitenden noch einen Gruß zugewinkt hatte: 
„Er wäre bei uns beijer aufgehoben, als da 
draußen!‘ 

Mehrere Tage ließ Hanno vergehen, zwar 
nicht ohne an die Einladung zu denken, aber 
doch ohne den Entichluß zu finden, ihr zu fol: 
gen. Das Zureden der Familie, die es am: 
ſtändig fand, ſich denn doc einmal zu zeigen, 
machte ihn nur befangener, denn was ihn inner: 
(ic) zurüdhielt, fogar warnte, mochte und fonnte 
er niemand mitteilen. Endlich war er in einer 
Nahmittagsftunde entichloffen, fi) auf den Weg 
zu machen, und zwar zu Fuß, denn das Gut 
war feine Stunde von der Stadt entfernt. 

Langſam jchritt er auf der Fahrſtraße hin 
und einem Wiederfehen entgegen, weldes er 
nicht mehr erwartet hatte. Was ihm dadurd) 
bevorjtehen mochte, er wollte den Greignifjen 
jet gefaßt begegnen, zumal er bei den über: 
wundenen Erfahrungen feine Ehre unbeein: 
trächtigt wußte. Neun Jahre waren darüber 
vergangen, feit Frau von Ellerſtedt, damals 
Leontine Haufchild, und Herr Bertung heim: 
lich miteinander verlobt geweſen. Bon gleihem 
Alter, ftanden fie beide damals in ihrem zwan: 
zigften Yebensjahre. Er war Student, in den 
Ferien bei feiner Familie zum Beſuch, Yeontine, 
in dürftigen Verhältniffen erwachſen, die Tod): 
ter eines penfionierten Hauptmanns. Daß eine 
folhe Verlobung vor der Welt etwas Bedenf: 
liches fei, fühlten fie beide. Darum hüllten fie 
diejelbe in Geheimnis. Der Hauptmann würde 
ein jo weit in die Zufunft deutendes Verhält: 
nis vermutlich nicht zugegeben, der Vormund 
jedenfalls dreingeiprochen Aber Leontine 
gefiel einmal der ſchlanke, lebensvolle Student, 


Otto Roquette. 


der überdies der beite Tänzer war, vor allen, 
fie zeichnete ihn aus, und während fie in ihren 
Jahren die reifere Natur hätte fein follen, war 
ihr Yeichtfinn der größere, und fie fonnte noch 
von Glüd jagen, daß der Charakter des jungen 
Mannes fie vor dem Verderben Schütte. Gefiel 
er ihr ganz ausnehmend, fo jpielte doch das 
Geheimnisvolle, ein lebhafter Drang zur In— 
trigue nicht wenig mit, dazu auch eine gewiſſe 
Ausfichtslofigkeit auf etwas Befferes. Wentajtens 
für den Augenblid. Denn, hieß fie gleich die 
„Ihöne Leontine“, jo konnte fie in ihrer Lage 
damals auf ein befonders günftiges Geſchick 
faum hoffen. Zwar hatte ſich ihr ſchon mancher 
mit etwas deutlicheren Abjichten genähert, aber 
die Männer, gegen welche ihr Vater nichts ein: 
zuwenden gehabt hätte, waren fleine Beamte, 
Kaufleute ohne fonderlichen Beſitz, vor allem 
perfönlich unjcheinbar und durd ihre Stellung 
dauernd an die fleine Stadt und an enge Ber: 
hältniffe gefeſſelt. Sie aber ftrebte hinaus aus 
der Enge, wollte weniajtens die Ausficht dazu 
haben, fie wollte das Befondere, Ungewöhn: 
liche, und vielleicht glaubte fie auch, Hanno 
wirklich zu lieben. Er aber, ganz erfüllt von 
Liebe für das jchöne Mädchen, nahm das Ver: 
[öbnis demgemäß ganz ernft und pflichtvoll, 
dachte fich mit Entzüden für alle Zufunft mit 
ihr vereinigt und unterfchätte in jugendlicher 
Erfahrungslofigfeit die Macht der Lebensverhält: 
niffe und der gedehnten Jahre. Ein geheimer 
Briefwechſel in nur den Liebenden verjtänd: 
lihen Ziffern wurde mit großer Umjtändlichfeit 
geplant, alö er zu feinen Studien zurüdfehrte 
und ein halbes Jahr lang jehr ausgiebig und 
regelmäßig geführt. Da mußte er in einem 
Briefe feiner jchweiterlihen Freundin, Frau 
Theodorens, folgende Stelle lejen: „Noch habe 
ich dir ala Neueftes aus dem Städtchen mit: 
zuteilen, daß deine Tänzerin vom vorigen Jahre, 
die Schöne Leontine Haujchild, ſich le ver: 
lobt hat. Sie macht eine jehr glänzende Partie. 
Ahr Bräutigam, ein Herr von Ellerſtedt, iſt 
Witwer und nicht mehr fo jung, dafür aber 
fehr reih. Der alte Hauptmann ftrahlt, er iſt 
en eine gefeierte Perfon und trinkt jeden 
Abend eine Flaſche ertra, jo daf; er vom Kaſino 
nad) Haufe geführt werden muß. Die Hochzeit 
ſoll ſchon in vier Wochen fein. Du kannſt dir 
vorftellen, welchen Numor die Geſchichte im 
Städten macht!“ — Nod größer war der 
Numor und Sturm, den diefe Nachricht in dem 
Gemüte des jungen Mannes hervorrief. Es 
braucht nicht erzählt zu werden, was er an: 
ftellte, um fich von ihr felbft volle Gewißheit 
u verschaffen; genug, daß auf feine Briefe an 
I die Antwort ausblieb, dafür aber Frau 

heodore ihm nad einiger Zeit mitteilte, daß 


Siebenfcläfer. 


die Hochzeit ftattgefunden und die Vermählten 
abgereijt wären. Ueber die Empfindungen des 
Schmerzes, der innerften Empörung, der De: 
mütigung, der Verachtung, der Selbitanflage 
waren die Jahre hinweggegangen. Er empfand 
er mehr für die Treulofe als Widermillen, 
dabei aber doch eine gewiſſe Unruhe gegenüber 
der Möglichkeit, daß das, was die Zeit mit 
Geheimnis umhüllt hatte, nachträglich doch noch 
entdedt werden fönnte, um feine Demütigung 
zu erneuern. Aber nachdem das Wiberftreben, 
ihr nochmals zu begegnen, überwunden war, 
und er fich unterwegs befand, überfam ihn 
doch eine gewiſſe Neugier, wie fie pH Betragen 
x en ihn einrichten werde? Hatte fie doch nad) 
Daffılos Mitteilung den Ausſpruch gethan: 
daß fie ji) freuen werde, „ihn kennen zu lernen“! 
Soviel jtand bei ihm feit, daß, ob fie ihn nun 
alö alten Belannten oder als Fremden em: 
pfangen mochte, er ihr nur mit der ftolzejten 
Gleichgültigkeit begegnen werde. 

So erreichte er das Gartenthor, durch wel: 
ches er das Wohnhaus des Hobergihen Gutes 
erblidte. Er z0g die Schelle, der Diener öff: 
nete und meldete ihn bei den Damen. Ste 
faßen auf einer breiten, befchatteten Rampe, 
nad) der Gartenfeite zu. Die Hausfrau, eine 
nod) jugendliche, aber blaß und leidend aus: 
fehende Dame, mit janften Gefichtszügen, er: 
hob ſich nicht aus ihrem Lehnftuhl, reichte * 
aber lächelnd die Hand entgegen und begrüßte 
ihn mit freundlichen Worten. Neben ihr ſtand 
Fräulein Adelgunde, von knochiger Figur und 
in beträchtlicher Länge. Trotz des ſtreng ver— 
weiſenden Ausdruckes in ihren Mienen, ſchob 
ſie ihm doch einen Seſſel herbei mit den Worten: 
„Es iſt ſchön, daß Sie einmal kommen!“ 

Des jungen Mannes Augen aber waren 
auf Frau von Ellerſtedt gerichtet, deren Er— 
ſcheinung ihn im erſten Augenblick faſt ſprach— 
los machte. Eine vollendete Schönheit ſtand 
vor ihm, gehoben car eine weiße Sommer: 
fleidung, mit Spigen bededt; in dem reichen 
braunen Haar eine friſche gelbrötliche Thee— 
rofe, eine andere, ſtatt jonjtigen Schmudes vor 
der Bruft. Yeontine war etwas voller, frauen: 
hafter geworden, ihr Ausfehen noch blühender, 
ja noch jchöner als in ihrer Mädchenzeit. Sie 
empfing den Gaft als einen Unbefannten, aber 
mit der angenehmen Form einer erfahrenen 
Weltdame. Sie mifchte fih anfangs nicht fehr 
in das Geſpräch, jondern überliei die Führung 
desjelben der Hausfrau. Aber als dieſe einen 
Dank ausſprach für fo mande freundichaftliche 
Hilfe, die er ihrem jungen Wetter geleiftet, 
fagte Yeontine: „Der junge Mann hat von 
Glück zu jagen, immer in den beten Händen 
gewefen zu fein!“ 


361 


Hanno erkannte, daß Thaffilo bereits einiges 
über ihn mitgeteilt hatte, fo über die gemein: 
fame Siebenſchläfernacht in der Höhle, ſowie 
über feine bevorjtehende Studienreife nad) Sta: 
lien. Bei dieſem Thema blieb die Unterhaltung 
uvörderſt ftehen. Die Gutsherrin ſprach ihr 
Bedauern aus, daß fie durch ihre körperlichen Zu: 
ſtände gehindert ſei, ſich den ſehnlichen Wunſch 
einer ſolchen Reiſe zu erfüllen; Frau von Eller— 
ſtedt aber belebte ſich plötzlich, da ſie mit ihrem 
verſtorbenen Gatten die Hauptſtädte Italiens 
beſucht hatte. Und da nun deutſche Italien— 
fahrer in der Heimat, wie in einer Art von 
Freimaurertum, gleich Fühlung zu einander ge— 
winnen, und das Geſpraͤch (ehhaft unter dh 
zu führen pflegen, ohne viel Nüdjicht auf die 
umgebende Gejellihaft, jo jah fid) Hanno plötz— 
lich fortgeriffen und fam nicht gleich zu den 
Bemwußtjein, daß er mehr aus ſich —— 
gegangen, als er beabſichtigte. Frau von Hoberg 
und Fräulein Adelgunde ſaßen unbeteiligt an 
der Unterhaltung, die erſtere in lächelndem 
Zuhören, die andere mit ſtreng beurteilendem 
Ausdruck. Als Hannos Augen auf ihre Mienen 
trafen, kam er ſchnell zur Beſinnung und war 
zugleich gefaßt, jetzt eine von den Öroßheiten 
zu vernehmen, deren fie fich, nad der Mit: 
teilung feines jungen Freundes, befleigigen follte. 
Dergleihen blieb zwar aus, dafür aber machte 
ſich etwas andres vernehmlich, was die Unter: 
haltung plöglich aufhob. 

Es erjcholl nämlich nicht unweit eine Mufik, 
deren gewaltige Klangfarbe Hanno fofort als 
etwas Bekanntes zum Gehör drang. Zugleich 
vernahm man draußen ein Sagen und viel: 
jtimmiges Rufen, ran auf irgend ein Unheil 
deutete. Die Mufif brach mit einem fürchter: 
Fi Mißklang ab, der Lärm aber fteigerte 
ih. Frau von Hoberg zudte in nervöſem 
Schred zufammen, lehnte ſich im Seffel zurüd 
und bevedte das Geficht mit den Händen, wäh: 
rend Fräulein Adelgunde die Stufen der Rampe 
hinabeilte. Schon fam der Diener gelaufen 
mit der Nachricht, der Stier fei ſcheu geworden 
und tobe wütend im Hofe umher, man fei be: 
müht ihn zu bändigen. Adelgunde befahl, die 
Gartenthür zu fließen und rief nad) den Kin— 
dern, die * mit ihrer Wärterin in der 
Nähe des Hauſes waren. Gleich darauf er— 
ſchien der Gutsherr, warf einen Blick auf ſeine 
Gattin und rief: „Nur ruhig! Es iſt ja nichts. 
Das Muſikantenpack hat mir mit ſeiner ver— 
wünjchten — meinen Bullen ſcheu gemacht, 
daß er vor Wut ausgebrochen iſt. Ich kann 
es dem Vieh nicht verdenken. Er iſt ſchon 
wieder eingefangen, und auch die Künſtler haben 
das Weite geſucht.“ Herr von Hoberg bemühte 
ſich mit Sorge um feine Gattin, dod war es 


362 


augenfällig, daß bei feinem ſtets fehr lauten 
und derben Weſen eine jo nervöfe Dame nicht 
zum beiten bewahrt fein fonnte. 

Zeontine, welche dem ganzen Vorgange ruhig 
zugefehen hatte, wendete ſich jest mit reizend 
boshaftem Lächeln an Hanno: „Waren die 
Künſtler vielleicht Ihre Genofjen aus der Sieben: 
ſchläferhöhle?“ Er vermutete es beftätigen zu 
müffen, der Gutsherr aber, der jegt erit dazu 
gelangte, ihn förmlich zu begrüßen, fchnitt ihm 
die Gegenrede ab, indem er ihn mit fräftigem 
Handichlag willkommen hieß. 

Da Frau von Hoberg ſich genötigt fühlte, 
die Geſellſchaft zu derlaſſen, und ſich an Adel: 
qundens Arm in ihr Zimmer zurüdzog, hielt 
es Hanno für angemefjen, ſich ebenfnlls zu 
verabjchieden. „Bleiben Sie noch!” rief Leon: 
tine. „Here von Hoberg hat, wie ich weiß, 
mit feinen Leuten im Arbeitözimmmer zu thun, 
ih führe Sie nod ein wenig im Garten um: 
her!“ Der Gutsherr fonnte nicht leugnen, daß 
er mitten aus Verhandlungen gekommen ſei, 
entſchuldigte ſich und nahm dem Gaſt das Ver— 
ſprechen ab, recht bald wiederzukommen. 

Nun waren Leontine und Hanno Bertung 
allein, und ſchritten nebeneinander im Schatten 
der Platanen und Ulmen dahin, und zwar im 
Geſpräch über — altrömiſche Inſchriften in 
Sicilien! Er hätte noch geſtern eine ſolche 
Stunde, eine ſolche Lage und eine ſolche Faſ— 
fung dabei für etwas Unerhörtes, Undenkbares 
gehalten! Gr war mit ir allein, mit ihr, die 
ihn einft fo bitter gefränft, ihm fo hartes Weh 
bereitet, gegen die fein beleidigter Stolz fig) 
fogar mit rächeriſcher Glut aufgebäumt hatte 
— jetzt war er allein mit ihr, und wenn er 
feinem Groll in ftrafender Nede freien Lauf 
geben wollte, fo war die Gelegenheit günſtig 
dafür. Aber anjtatt des Willens, den bered): 
tigten Vorwurf laut werden zu lafjen, hatte 
er nur das Gefühl, auf feiner Hut fein zu 
müfjen. Denn die formgewandte Ueberlegen: 
heit, die fertige, nie verlegene Kunft, das Ge: 
ſpräch reizend und zwingend weiter zu fpinnen, 
dazu der verführerische Faber diefes Schlangen: 
glatten ſchönen Weibes, ließen feine Gedanten 
an nichts anderem haften, ald an dem, was 
fie im Gefpräcd verlangte. Allein er behielt 
dod) die Faffung, ſich jelbft zu mahnen, aus 
feinem Rückhalt nicht zu weit heraus zu gehen, 
und über dem verwirrenden Mugenblid die 
Vergangenheit nicht zu vergeſſen. Er befchloß, 
ee ein Ende zu machen, und ſich zu verab: 
ſchieden. Sie hielt ihm nicht länger, aber in 
ihren Augen funfelte es, in ihrem beftridenden 
Lächeln lauerte eö, wie das Bewußtſein eines 
Triumphes. Sie reichte ihm zum Abſchied die 
Hand, von deren vielverfprechendem Drud er 





Otto Roquette. 


ſich durchriefelt fühlte, und ihr melodifches „Auf 
— Hang ihm wie Sirenenton. 
Mit folder Haft fchritt er auf der Straße 
fort, da er faſt atemlos Halt machen mußte. 
Er erihrad über ſich felbit. Wollte der alte 
Zauber ſich noch einmal über ihn geltend machen? 
Nein! Es follte nicht fein! Er ſchalt fich inner: 
lich aus, er vergegenmwärtigte ſich die frühere 
Demütigung; ihre Verftellungsfunft und herz: 
loſe Berechnung famen ihm ftärker zum Be: 
wußtjein. Aber er fonnte doch nicht aufhören, 
an das neujte Erlebnis zu denken. Daß er fie 
fortan öfter werde jehen müffen, war unver: 
meidlich, nad) der angefnüpften Beziehung zum 
Hobergſchen Haufe, % fagte er ſich, und es 
tauchte plöglicd ein Gedante in ihm auf. Er 
wollte jheinbar auf ihr Entgegenfommen ein: 
gehen, fie ficher machen, um feiner Bergeltungs: 
uſt endlid doch noch einen Moment (harter 
Abrehnung aufzufparen. Es war für einen 
jungen Mann, von noch wenig Welterfahrung 
und mit feineswegs ausreichenden Waffen, einer 
fo überlegenen Macht gegenüber, ein bedentlicher, 
ja ein gefährlicher Plan. Uebrigens gelangte 
er in feiner Erregung auch noch nicht zu be: 
ftimmten VBorfägen, ja er fonnte fich nad 
einigen Minuten fogar des Wunſches nicht 
entichlagen, alles abgethan fein zu lafjen, und 
Leontine nicht mwiederzufehen. Und je mehr 
er fi) der Stadt näherte, defto mehr überfam 
ihn eine tiefe Beihämung. Er dadte an 
Gudula, und fein Gewiſſen flagte ihn bitter 
an, aber er atmete zugleich auf, wie im Gefühl 
der Befreiung, als er zu Haufe anlangte. Gleich- 
wohl war es ihm recht, niemand auf der 
Schwelle zu begegnen, und unbeobadhtet fein 
Zimmer zu erreihen. Gr hatte das Gefühl, 
als ob er mit dem Staube, den er vom Wege 
heimbrachte, auch innerlih etwas von fich ab: 
ſchütteln müſſe. 
Da vernahm er aus dem Garten eine be— 
kannte Stimme. Er trat ans Fenſter, und 
ſah ſeinen jungen Freund mit Gudula in heitrem 
eplauder durch den Garten ſchreiten. Thaſ— 
ſilo trug einen Korb mit Erbſenſchoten, die fie 
emeinfam gepflüdt hatten, und weigerte fich 
—— ihn ſeiner Begleiterin zu überlaſſen. 
Der Anblick dieſes harmloſen Gartenidylls 
weckte noch einmal alle Selbſtvorwürfe in ſeiner 
Bruſt auf. Er hatte den Jüngling im Laufe 
der Stunden gar nicht vermißt, im Hobergſchen 
Haufe nicht einmal nach ihm gefragt. Schon 
aber wurde Hanno von Gudula erblidt. „Da 
ift er ja!” rief fie freudig hinauf. „Komm, 
fomm! Wir warten ſchon auf dich!” 
Er ging hinunter, fand den Abendtifch unter 
dem Nußbaum aededt, und bald die ganze 
Familie beifammen. „Ich hab's jedenfalls beſſer 


Siebenfcläfer. 


etroffen, als du!” rief Thaffilo, ihm entgegen: 
pringend. „Ich fam, dich zu beſuchen, konnte 
dir aber unterwegs nicht begegnen, da id) den 
Meg durd das Mühlenthal genommen hatte. 
Einmal hier, dachte ich nicht mehr daran, zurüd- 
zugehen. Schade, daß du nicht bei uns wart!“ 

In den Bliden der Familie entdedte Hanno 
nun aber die Aufforderung, von feinem Beſuche 
zu erzählen, und ein entſchiedenes „Nun?“ 
von den Lippen Theodorens machte ein Aus: 
weichen unmöglid. Es traf ſich günftig für 
ihn, daß er die Geſchichte von den durch feine 
muſikaliſchen Genofjen wild gewordenen Stier, 
von dem Schred der Gutsherrin, und von der 
Verwirrung im Hofe zum beiten geben fonnte. 
„Die arme kranke Frau!” rief Gudula, fonnte 
aber doc) nicht umhin, in das Gelächter der 
übrigen einzuftimmen. Damit war Hanno 
über den erften Schritt hinweg, und man be: 
gnügte fich mit dem, was er ſonſt nod) fpar: 
jam mitteilte. Thaſſilo blieb bis jpät abends, 
da er ſich vor der jpäten Heimmanderung nicht 
icheute, und feine Gegenwart trug dazu bei, 
die Beobachtung der übrigen von Hanno ab: 
zulenfen. 

Für einen Mann, der noch kürzlich den 
furdtbaren Plan eines vergeltenden Strafge: 
rihts in feinem Innern gewälzt hatte, ging 
Hanno in den nächſten Tagen doch in etwas 
traumhaften Zuftande einher. Der ‘Plan fehrte 
wieder, wurde auch wohl eingehender erwogen, 
aber eine lachende Sirenenjtimme ſcheuchte ihn 
immer wieder hinweg. Er fette fih dagegen 
zur Mehr, er wollte ernſtlich mit fich zurecht 
fommen. Cine gewiſſe Zerjtreutheit entging 
den Seinigen dod nicht. Der Konreftor ſchob 
ie auf die gelehrte Arbeit Hannos, da diefer 
ich mehr in feinem Zimmer hielt, als bisher, 
und wollte die Stimmung des jungen Mannes 
von der Familie befonders berüdjichtigt wifien. 

Da fam eine Einladung, von Herrn von 
Hoberg jelbjt gefchrieben, zu einer Mittags: 
aefellihaft auf dem Gute. Die Stunde war 
auf fünf Uhr angefeßt, ein Wagen werde den 
Herrn Profeſſor abholen. Das war, ohne 
Befremden zu erregen, nicht abzufchlagen, und 
Hanno nahm es an. 

Die Aufregung, mit der er ſich für die 
Geſellſchaft rüjtete, war ihm felbjt auffallend, 
und er hatte quten Willen genug, ſich darüber 
zur Drdnung fü rufen. Der Wagen ſtand vor 
der Thüre und Hanno verabjchiedete ſich von 
der Familie. Frau Theodore, ihn von oben 
bis unten mufternd, fand feinen Anzug, feine 
ganze Erideinung tadellos, und Gudula 
wünſchte ihm „gute Unterhaltung‘. 

Er fand im Empfangöfaale etwa ein Dutzend 
Gäſte bereits verfammelt, Damen und Herren, 





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363 


lauter Gutsnachbarn, die fih, vorwiegend die 
Herren, etwas ländlicher — im geſelligen 
Verkehr bedienten. An Stelle der Hausfrau, 
welche ihre Badereiſe bereits angetreten hatte, 
wirkte Fräulein Adelgunde, die eigentliche 
Vertretung des Hauſes aber übernahm Frau von 
Ellerſtedt, wie ſie denn auch den Mittelpunkt 
der Geſellſchaft bildete. Ihr ſommerliches Ge— 
ſellſchaftsgewand war klug gewählt, um ſie noch 
in Jugendlichkeit erſcheinen zu laſſen, ohne 
Schmuck von Gold und Steinen, den die 
übrigen Damen fo reihlih an fich gewendet 
hatten ; ihr Wefen war jo ftrahlend, daß jelbjt 
die Augen der frauen bewundernd an ihr haf: 
teten. Als Hanno eintrat, ging fie ihm durd) 
den ganzen Saal entgegen, reichte ihm die 
Hand, und ftellte ihn der Gefellichaft vor als 
„unfern jehr lieben Freund, den Herm Pro: 
fefjor Bertung.“ Es war eine Bevorzugung, 
die der Gejellichaft nicht entgehen fonnte, da 
der junge Mann dadurch gleichſam in den 
Mittelpunkt des Kreifes gezogen wurde. Ein 
Saft fehlte noch. Der Da fing an un: 
geduldig zu werden, und fchalt, daß der „ver: 
mwünfchte Kerl wieder auf fi) warten laſſe. 
Allein er erſchien bald darauf. Herr von 
Falkenberg, wie der Erwartete hieß, ging 
geradeswegs auf Leontine zu, küßte ihr die 
Hand, und wurde von ihr zwar mit einen 
Lächeln, aber doch mit einiger Zurüdhaltung 
empfangen. 

Herr von Falkenberg war ein hochaewad): 
fener, breitichultriger Mann, über die erite 
Jugend hinaus, aber noch, was man eine ele: 
gante Erjcheinung nennt, Er war viel in der 
Melt umber geweien, und hatte, wie fein Ge: 
fit verriet, Das Yeben genofjen. Ein mäch— 
tiger Schwarzer Badenbart, der bis an das alatt 
rafierte Kinn reichte, umrahmte die etwas ver: 
witterten Züge, aus welden unter jtarfen 
Braunen ein paar jchwarze Augen funfelten. 
War der Ausdrud des Gejichts auch nicht eben 
angenehm, jo gehörte eö doch zu denjenigen, 
welche für viele Frauen etwas Befonders An: 
ziehendes haben. Er pflegte nur furze Zeit 
im Jahre auf feinen Gütern zu leben, da ihm 
die arofen Hauptftädte Curopas abwechſelnd 
mehr Anregung boten. 

Da die Geſellſchaft vollzählig war, ging 
man zu Tifche. Herr von Falkenberg wollte 
Leontine den Arm reichen, diefe aber wendete 
ſich mit einer anmutigen Verbeuaung an den 
Profefior und jchritt an feinem Arme in den 
Speijefaal. Dafür trat Fräulein Adelgunde 
zu dem fichtlich Weberrafchten, um von ihm 
geführt zu werden, und als fie mit ihm dahin 
jchritt, fchienen ihre Mienen zu fagen: „Da 
hajt du's! ch gönne dir's nicht beſſer!“ 


364 Mm. Calm. Albumbfatt, 


Allein Herr von Faltenberg follte doc die 
(Senugthuung haben, an der Seite der Schön: 
iten zu fiten, da fie ihren Platz zwiſchen ihm 
und dem Profefior Bertung gewählt hatte, 
Die Gefellihaft war lebhaft, und nad dem 
Norgang des Hausherren, ungezwungen (wenn 
man fich auch nicht immer feiner kräftigen Aus: 
drudsformen bediente), die Speilen vortrefflich, 
der Mein ausgezeichnet, wie die Kenner ver: 
fiherten, und jo wurde es bald auch wohl 
etwas geräufchvoller um die Tafel. 

Leontine teilte die Unterhaltung unter ihre 
Nachbarn, aber feineswegs gleihmäßig. Ohne 
Herrn von Falkenberg gerade zu vernadhläffigen, 
verfehrte fie mit ihm in der gemefienften Weife, 
fein und mit Verftändnis, und beide unter: 
hielten fich wie zwei Leute, die viel in der 
Melt gelebt haben, und wijjen, worauf es da: 
rin eigentlich anfommt. Für den anderen Nach— 
bar aber hatte fie eine ganz andere Unterhal: 
tung. Da bligte es in ihren Augen, und es 
ichien, als ob fie mit einer gewiflen Haft immer 
wieder zu ihm zurüdfehrte. Sie lachte viel, 
fie hatte für ihn eine gewiſſe Vertraulichkeit, 
ja fie flüfterte ihm fogar dies und jenes zu, 
ohne daß es von Belang geweien wäre. Sie 
nannte ihn fcherzweife, wie aus Verfehen, Pro: 
feſſor Siebenfdhläfer, und verbeflerte ſich lachend. 
Sie warf das ganze Net ihrer bejtridenden 
Nünfte über ihn aus, und hatte ihn bald aus 
jedem Nüdhalt jo weit hervor gelodt, daß er 
alles vergeflen zu haben (Bien, um jich jubelnd 
ihrer Macht auszuliefern. Auch er fherzte, 
lachte, war geiftvoll im Geſpräch, und fie ſchien 
von der reicheren Entwidelung jeines Mejens 
überrafcht, und unter Scherzen lebhafter fort: 
gezogen. 

Herr von Falkenberg mußte die arößere 
Bevorzugung des andern Nachbars denn doch 
merfen (und vielleiht follte er es auch) und 
beuate ſich öfters herum, mit funfelnden Mugen 
forichend und prüfend. Fräulein Adelgunde 
aber, welche nichts zu beobachten jchien, und 
alles beobadtete, erwog im ftillen die Frage: 
„Welcher ijt num der Gefoppte? Soll einer nur 
durch den anderen gefödert werden? Der 
Schwarze wird's doch wohl noch!“ 

Wenn aber Hanno Zeit behielt, na ab und 
zu in der Nachbarſchaft zu unterhalten, jo trafen 
feine Augen auch wohl auf Fräulein Adelaunde, 
und verfolgte er dann ihre herrſchenden Blide, 
mit welchen fie der Dienerfchaft ſchweigend ge: 
bot, oder etwas verwies, oder auch wohl den 
Scherz eines Gajtes zu verurteilen dien, fo 
war er gefaßt, einmal eine von jenen Grob: 
heiten zu vernehmen, auf welde Thaffilo feine 
Erwartung gefpannt hatte. Da er aber nichts 
dergleichen hörte, fam er zu der Annahme, daß 


fein junger Freund nicht ganz ohne Schuld 
—— ſein könne, wenn ihm durch Fräulein 
delgunde etwa Erfahrungen bereitet worden 
waren. 
Nach Tiſche verteilte ſich die Geſellſchaft 
im Garten, und Leontine konnte ſich ihren 
Tiſchnachbarn nicht mehr ſo ausſchließlich wid— 
men. Es waren da noch ein paar Herren, ein 
braver dicker Gutsbeſitzer und ein Herr Land— 
rat, die der ſchönen Frau endlich auch den Hof 
machen wollten, und es jetzt in der Weinlaune 
nicht daran fehlen liefen. Die Gattin des 
Yandrates ärgerte fich darüber, die des Guts: 
beſitzers wollte fich über ihren Mann totladhen. 

Während man nun umberjpazierte, rief 
Leontine plößlid in eine Gruppe hinein, in 
welcher Hanno mit einigen jungen Mädchen 
itand: „Herr Profeſſor Siebenichläfer — ah! 
Verzeihung! — Bertung wollte 4 ſagen! Sie 
haben ja, wie ich höre, eine große Vibliothet 
zu Haufe, verichaffen Sie mir doch etwas zum 
Leſen!“ Er fragte, was fie fo ungefähr wünſche? 
„O!“ entgegnete fie: „Wählen —* nur ſelbſt! 
Sie kennen ja meinen Geſchmack. Etwas Be— 
lehrendes!“ Hanno erklärte ſich gerne bereit, 
ihr etwas zu ſchicken. „Nein! Nicht ſchicken!“ 
rief ſie. „Sie müſſen es mir ſelbſt bringen, 
mir eine Art von Gebrauchsanweiſung dazu 
eben. Sie bringen mir die Bücher ſelbſt, und 
chon morgen, nicht wahr?“ 

Herr von Falkenberg ſtand in der Nähe, 
hörte alles, betrachtete den Bevorzugten mit 
einem Erſtaunen, und der Ausdruck eines ge— 
wiſſen ernſten Nachdenkens ging durch ſeine 


Züge. (Schluß folgt.) 


» Albumblatt 9 


Don 
M. Ealm. 





Mein Kind, ſprich, was heißt leben? 
Genichen heißt es nicht. 

Es heißt: ſtets weiter fireben 

Und treu fein feiner Pflicht. 


Mein Kind, und was heißt lieben? 
richt iſt's „ein füher Wahn“, 

Es heißt: im Dienſt fi üben, 
Meht geben, als empfahn. 


Mein Kind, und was heißt Rerben? 
richt heißt es untergebn. 

Es heißt: den Simmel erben, 

Es heißer: Miederichn ! 


Er 
* 





—— 





Ser Ronierwater. 


Mancherlei Widerwärtigfeiten bejtürmten ihn; 
das Docententum in Jena war ihm umjomehr 
zur Laſt, als er mit den dort tonangebenden 
Größen in direftem Miderfpruche hinfichtlich der 
Anwendung der Darwinihen Theorie ftand. 
„Hinaus aus diefen gebahnten Wegen der Yauf: 
bahn auf Univerfitäten, fort davon, fo weit als 
möglich,“ rief es in feinem Innern. „Aber 
wohin? Die Welt fteht zwar offen, aber mit 
dem Hinausftürmen allein ift es nicht gethan. 


Die Zoologiſche Station 


in Üleapel. 


Ton 


Karl Dogt. 


Hr maq es wohl gelom— 
men ſein? 


Im Nachwinter 1870 ſaß 
in dem Omnibus zwiſchen 
Apolda und Jena ein junger 
Mann, Vrivatdocent in Jena, 
ein energiſcher Feuerkopf, der 
in ſeinem kleinen Finger mehr 
originelle Gedanken umtrieb, 
als mancher Profeſſor in 
ſeinem ganzen Gehirne. 
Was kannſt du unternehmen, um die Wiſſen— 
ſchaft zu fördern, der du dein Leben ge— 
weiht haſt?“ 

Wie ein Blitz fuhr es ihm durch den Kopf: 
„Studien an Seetieren ſind jetzt ein unabweis— 
liches Bedürfnis. Die Forſcher, die ſich bis jetzt 
zu dieſem Zwecke an das Meer begaben, hatten 
mit den mannigfaltigiten Hinderniffen zufämpfen. 
Man hat jchon vielfach verfuht, Stationen zu 
gründen, wo der Forſcher allen Vorſchub findet, 





366 






den ein 
Zabora: 
torium 
leiten 
fann. 
Es iſt 
noch feinem ge: 
lungen. Wie 
wäre es, wenn 
ih eine ſolche 
Station in Ne 
apel gründen 
würde?” 

Der Gedanke ließ ihn nicht ruhig im Wagen 
figen. Er jprang hinaus und rannte zu Fuß 
über Stod und Stein nad Jena, feine Pläne 
im Kopfe herummälzend. Vielleicht mögen ſekun— 
däre, teilmeife aber auf fehr praftifche Be: 
trachtungen geftüßte Gründe auf die Wahl des 
Ortes mit eingewirft haben. Das fümmert uns 
wenig; die Wahl fonnte nicht befjer getroffen 
werben. 

In fieberischer Haft wurden die letten Vor: 
bereitungen getroffen, nur ein einziger Freund 
in die Pläne eingeweiht. Erſt als in Neapel 
die Verhandlungen im vollen Zuge waren, 
jchrieb er an feine Eltern. „Der Junge ift ver: 
rüdt geworden,“ fagte der Vater zur Mutter, 
als er ihr den Brief mitteilte. 

Aber Dr. Anton Dohrn war nicht verrüdt. 
Er entfaltete eine riefige Thätigfeit bei Be: 
hörden, bei hervorragenden Größen der Wifjen: 
ſchaft, um deren Zuftimmung, um Beichaffung 
der Geldmittel. Er fand vielen Beifall, wenig 
effeltive Unterftübung, manchen Widerftand. 
Nach zweijähriger, durch den Krieg unterbroche: 





— 


Cviello, eriler Matrofe 


Der Daporetto 


ner Hetzjagd durch 
Italien, Deutſchland 
und England war 
ihm von der Stadt⸗ 
behörde der Bauplat 
in der damaligen 
Villa reale, jetzt 
Villa nazionale zu: 
aejagt, jo daß der 
Grundjtein gelegt 
werden fonnte; nad) 
weiteren 2 Jahren, 
1874, fonnte in dent 
noch unfertigen Ge: 
bäude mit den eriten 
Arbeiten begonnen 
werden. Auch dieſe zwei „jahre verflojfen unter 





„Johannes Mäller* S. 76), 


unſäglichen Anftrenaungen, für die nur wenige 


ein Verftändnis hatten. Sagte ja doch ein 
deuticher Profeſſor in jeiner Begutachtung eines 
Geſuches um Unterftügung, er könne die Vor: 
lage nicht befürworten, da Dr. Dohrn feit vier 
Jahren nichts publiziert habe! 

Die Hinderniffe wurden befeitigt und jet 
erhebt jih in der Billa ein ftolzer Bau, ein 
internationales Inſtitut, in welchem ein reges, 
wilienichaftliches Yeben und Streben die ſchön— 
jten Blüten entfaltet, die edeljten Früchte ge— 
zeitigt hat. 

So mag es denn gejtattet fein, hier einen 
Blid auf diefe Mufteranftalt, ihr inneres Trei— 
ben und ihre Organifation zu werfen. 


Das Gebäude. 


Aus mehrfachen Gründen mußte ein Plag 
in der Villa oder deren unmittelbarer Nähe ge: 
wählt werden. Da mit der wiflenschaftlichen 
Anftalt zugleich große, dem Beſuche des Publi— 
fums geöffnete Aquarien hergeitellt werden 
follten, deren Ertrag als eine wejentlihe Ein: 
nahmequelle angejehen wurde, fo fonnte man 
ſich nicht weit von der Stadt und namentlid) 
von dem Fremdenquartier entfernen. Die 
Aquarien bedurften beitändiger Speifung mit: 
telö eines Stromes reinen und ſtets erneuten 
Meerwaſſers, das durdy eine Dampfmaſchine 
aus der Tiefe heraufgepumpt werden follte. 
Längs der Stadt aber, von der Chiaja an bis 
Santa Lucia und weit über die Marina hinaus 
it das Meerwaſſer längs der Küfte verunreinigt, 
ja vergiftet, durch die Kloafen, die dort ein: 
münden. Die Villa lag zur Zeit der Gründung 


unmittelbar an dem fiefigen Strande, auf dem 
ein reiches und bewegtes Volks: und Fiſcher— 
leben ſich entfaltete. Dort wurden die Nete ge: 


trodnet, die großen Zugnetze 
an das Land geichleppt; man 
fonnte dort unmittelbar eine 
Menge von Gegenitänden 
erhalten, welde für die 
Fifcher wertlos, für die Na: 
turforfher aber erwünſcht 
waren. Die Lage, wie un: 
fere Abbildung auf S. 365 
fie darftellt, konnte nicht 
jhöner und zugleih zweck— 
mäßiger gewählt werden. 
Als Dr. Dohrn mit ei: 
nem Anfinnen um Weber: 
lafiung eines Bauplates in 
der Villa an die Stadtbehörde 
gelangte, jhüttelten alle die 








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Die Zoologifche Station in Neapel. 


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Bahr usunn nuenı- 
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King, 


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0 


Gin Arbeitstith Im voller Musrüflung (8. arı), 


reinem Intereſſe für die Wiffenfchaft fein Geld 
an eine Unternehmung zu wagen, die feinen 
pefuniären Erfolg verjprechen konnte. 
witterte eine unerhörte Schlauheit hinter dem 


Man 


Projekte; jeder war überzeugt, daf das Aqua: 


überzeugen, 
Garıbaldis zu gewinnen und fo den 
lan im Princip zur Annahme zu 
bringen. Aber nun wurde die Be- 
dingung geitellt, daß ein der Villa, 

dem Sammelplage der eleganten Welt und der 
Fremden entiprechendes, aud architektonisch 
würdiges Gebäude, ein Palazzo, aufgeführt 
werde. Diefer Bedingung mußte man ſich fügen. 
Das Gebäude ftellt ein Tängliches, aus 

47 


367 


Köpfe. Kein Neapolitaner konnte auch nur im 
entfernteften daran glauben, daß einer aus 
| fremden Landen dahergelaufen fomme, um aus 
















Wrbeitötilhe and Mauarien bed oberen 
Etodwerteh im groben Eaale !6 ırı), 


rium nur ein Aushängeſchild 
für ein Cafe, eine Spielhöhle, 
ja vielleicht noch viel Schlim— 
meres fei. Es gelang indes, 
einige einfichtige Männer zu 
fogar die Fürſprache 


(5008 * 


368 


hellen Quadern aufgeführtes Viereck dar mit 
plattem Dache, einem niederen Erdgeſchoſſe 
und einem hohen Stodwerfe mit großen Rund: 
fenftern, die auf der Nord: und Weſtſeite ge: 
ſchloſſen, auf der Dit: und Südfeite dagegen 
als Loggien offen gelaffen find. Bier folide 
Edpavillons verbinden das Ganze. Unter dem 
Erdgeſchoſſe befindet ſich ein weiter Keller, der 
Mafchinenraum mit den Dampfmafchinen, der 
Schmiede und einem großen Sammelbeden. 
Das Hauptjtodwerk iſt jo hoch, daß es innen 
großenteils in zwei Stodwerfe abgeteilt werden 
fonnte. An der nad Oſten, alſo der Stadt zu: 
gewendeten Schmalfronte befindet fich ber Haupt: 
eingang und die große, nad) oben führende 
Treppe; die ſüdliche Längsfront mit der Loggia, 





Rellergeihob der Zoologiſchen Etation. 


1, 2, u. 3, Ziefreiervoird; 4. u. 5. Vorratöbalfin; 6) Röhren- 
teitung, burd melde biefe Relervoird und Balfıns mit dem 


T. Bumpenrefervoir verbunden find; #. Pumpen: v. Mafhinen; 
10, Reffel; 12. Kohlentaum; 13. Wbyugsfandle; 14. Rüde, 


die einen freien Blid über das Meer, nad) Kapri 


und Sorrento hin gewährt, wird von dem mit 
Fresken gefhmüdten Bibliotheffaale, die nörd- 
liche LZängsfeite von dem großen Arbeitäjaale 
eingenommen, während an der weitlichen Schmal: 
fronte eine Hinterthüre den Fiſchern den Zu: 
gang zu dem gejchlofjenen Naume gewährt, in 
weldhem der täglihe Fang entgegengenommen 
und fortiert wird. Die Edpavillons enthalten 
Zimmer für die Beamten und bevorzugten Gäfte, 
ältere Herren und Profefioren, die auf der Sta- 
tion arbeiten. Ein fchmaler Lichthof, der die 
mittleren Aquarien des Erdgeſchoſſes erleuchtet 
und mit einem, aus Eijenbahnjchienen gefügten 
Stege überbrüdt ijt, zieht fi) im Innern des 
Gebäudes hin und trennt den großen Arbeits- 
faal von der Bibliothef. Unter dem Dache tft, 
nebjt verichiedenen fleineren Näumen für mecha— 
nijche Arbeiten, das große Sammeltejervoir an: 


Karl Dogt. 


gebracht, in welches die Dampfmaſchine das 
Seewafler pumpt, das von dort aus, nad) vor: 





13 
2745078 9Wmder 
— — — 


Erdgeihoh 
1. Gingang; ?. Kafle; 3. Raum für bie Beſchauer; 4. Fana- 
riem; 5 w. 6. Baflage und Treppe zur Bedienung ber Baffins; 
T. Treppen yu dem Laboratorium; 8. Dauptizeppe in bie obere 
Etage; 9. Ceparat-Eingang in bad Hauarium IV. Treppen zu 
ben Abtritten; 11. Treppen u ben Tiefrefereoirs und sum 
Maldinenraum; 12, Se tentbüren für Algen und > irmft- 
perional; 13. Aleines a 14. Arbeitdaquarium in 

bemfelben. 


gängiger Filtration, die Aquarien des oberen 
und unteren Stodes fpeift. 

Das ganze Erdgeſchoß ift von dem großen, 
dem Publifum gegen Eintrittögeld offenftehen- 
den Aquarium eingenommen. Auf beiden Yang- 
feiten, wie an der wejtlihen Schmaljeite ziehen 





Grftes Stedwert. 
1. Daupttreppe; 27 Oft-Loggia; 3. Elid-Bopgia (beide offen); 


[3 
4. Logaia (verihloflen durch Fenfter; 5. Grohes Pabora- 
torium; 6. Mrbeitdaauarlum; 7. Grohe Schränke; 8. Gilerne 
Treppen, welde auf die von ben 9. Bußeilernen @änlen grira. ene 
10, Plattform führen, bie in halber Höbe bes Laboratoriums 
befindtih iſt und durch bie 11. Treppen auf bie 12. Galerie 
führt; 13-18. Rimmer, bie au Laboratorien eingeritet find; 
19. 20. u. 21. Zimmer ber Beamten; 22. @rofer Saal für die 
Biblliothet; 23. Lihrhof; 24. Längk-, 25. Ouerpaflage durch 
benfelbn; 26. Vorgimmer: 25. Zrevpe bom Wauar um; 
29. Iteppe yur oberften u A Edlot ber Dampftefle; 

31, Ballon. 


ſich Reihen von Baſſins hin, welche in der Weife 
bejegt find, daß die darin befindlichen Tiere 





Die Zoologifche Station in Neapel. 


nicht auf offenem Kriegsfuße miteinander ftehen. 
Eine Doppelreihe ähnlicher Beden ift in der 
Mitte des weiten Saales aufgeftellt. Es find 
nur Tiere des Mittelmeeres und fpeciell des 
Golfes von Neapel, welche hier gehalten, ja ge: 


ö 





Sri a 





Länzsburdiänitt auf der Linie C-D, 
1. m 2. Tiefreferwoird; 9. Sellergemätbe; 4. 


Matsinen-, 
5. Roblenraum; . waflenyimmer; 7. Glaöfheiben der Aaua- 
rium-Ballind; 8. Grobes Hauarium-Balfın; ©. Ventilationd. 
Öffnungen, mit roten Genftern verſalofſen; 10, Oft; 11. Welt 
Zogaia; 12, m. 14. Zaboratorium-Raume; 13. Großer Saal 
für die Bibliotbet; 15. Thüren zur Eüd-Roggia; 16. Fenſter 
zur Eüb-Pogata; 17. Tachſtuden IS Rornbor; 19. u 
zugdNaum zwiſchen bem beiben Schichten des fladen Dadıes, 


züchtet werben, denn die meiften befinden fich bei | 
reihlicher Nahrung und ſtets zuftrömenden luft: 
haltigem Waſſer wenigitens fo wohl, wenn nicht 
bejier, als in ihren urfprünglihen Mohnorten. 
Jeder Schmud ift vermieden; Tropfiteine, 
Stalaftiten und ähnlicher Shmud, womit man 
mande binnenländifche Aquarien verfchönern zu 
müſſen glaubte, haben mit den Meertieren nichts 
zu thun. Was diefem Aquarium den größten 
Neiz für den Naturforfcher verleiht, iſt einer: 
feit3 der Reichtum, faſt möchte ich jagen, die 
Vollftändigkeit, mit welcher die verfchiedenen 
Typen des Mittelmeeres, von der Lederſchild— 
fröte bis zu den niederiten Pflanzentieren re: 
präfentiert find, anderſeits die Gelegenheit, 
die Sitten und Gewohnheiten diefer Tiere zu 
beobachten. Der von Schmiedlein verfaßte Leit: 
faden zum Aquarium gibt hierüber mande An- 
deutung und Dr. Eijig, Prof. Kollmann und 
andere haben wertvolle Beobachtungen in ver: 
ſchiedenen Journalen veröffentliht. Im all: 
gemeinen kann man ſagen, daß kriechende und 
feftfigende Tiere der Züchtung weit geringere 
Schwierigkeiten entgegenfeten, ala ſchwimmende 
und befonders Hochjeetiere. Die zarten Nippen- 
quallen, Medufen, Salpen, Schwimmpolypen, 
die oft in fo wunderbar durchfichtigen Farben 
prangen, halten ji nur wenige Tage, werden 
aber unermüdlich durch neue, im Meere gefifchte 
Eremplare erjegt. Ein fchlagendes Beifpiel 
diefer Verfchiedenheit bieten einige Kopffüßler 


369 


(Cephalopoden). jahre hindurd dauern die 
Pulpen und Krafen, die meiſt an den Felfen 
jich umhertreiben und deren farben fo täufchend 
anzunehmen willen, daß man fie faum unter: 
ſcheiden kann; es leben Veteranen derjelben im 
Aquarium feit mehreren Jahren; die Tinten: 
fiihe (Sepien), die fid) im Sand eingraben 
und nur fchlecht ſchwimmen, halten nicht minder 
lange aus; aber ihre nächſten Verwandten, die 
faſt durchſichtigen Kalmare, deren Arme na- 
mentlich die Neapolitaner gebaden als Leder: 
biffen verzehren und die pfeilichnelle Hochſee— 
ihwimmer find, laſſen fich troß reichlicher Nah— 
rung nur wenige Wochen am Leben erhalten. 
Die Laien werden bejonders dur die 
Farbenpracht jo vieler mariner Geſchöpfe wahr: 
haft geblendet und in Erftaunen geſetzt. Das 
hätten fie ſich nicht träumen lafjen, daß in der 
Tiefe des gleichförmig blauen Meeres folche 
Verſchiedenheit von Farbentönen fi entfalten 
fünne. Und in der That kann fein orientalifcher 
Teppich hinfichtlich der Mannigfaltigkeit, Nein: 
heit und finnigen Anordnung der Farben mit 


Br — — — 


ulbLreLeeegeeer 
Querburdiämitt auf ber Linie A-B. 
1. u. 2, Tiefrefervoirs; 3 m. 4. Borrat:Balfins; 5. Gentraler 
Rellerraum unterhalb des Lihtbofes ; 6. Mauerpfeiler; 7. war 
rium-Balfins; ®. Slasiheiben des großen Hauarlum Balfins; 
9. Ventilatiomnsdfnungen; 10. Thüren x ben Sintertreppen; 
11. Groß 8 Laboratorium; 12. Arbeitö-Mguarium; 18, Broher 
Glasisranf, meicher bie 14. Galerie trägt; 15. Plattform; 
16. Treppe jur Walerie; 17, Treppe zur Plattform; 1%. Buß 
ellerne Eäuln; ı9. Grofer Saal für bie Bisliothet — 
20, Sud craala; 21. Lihtbof; 2. Vaſſage darin; 73. ZFenſter 
ber Tatyimmer; 24. Durdiugdraum zur Luft zwilsen beiben 
Cchiten bed Dadıres; 25. Wlatbad über dem Lichthoſe. 





einem, von Korallen oder Seeanemonen befeßten 
Beden, fein Neltenbeet in Feinheit und Zier: 
lichkeit der reizendjten Blumen mit den Kiemen— 
büjcheln wetteifern, welche die Röhrenwürmer, 
die einem Miniaturpalmenwalde ähnlich zu: 
fammenjtehen, abwechjelnd ausbreiten und zu: 
fammenziehen. Hier ziehen die unzähligen 


370 Karl Vogt. 


Bernharbsfrebfe an, welche mit ihren Muſchel— 
gehäujen auf dem Nüden, unruhig hin und 
herlaufen, oft noch auf ihrem Gehäufe befreun: 
deten Seenejjeln eine Stätte gewähren und mit 
Begier von Languften und Hummern, von 
Pulpen und manden Fiichen verzehrt werben, 
troß der verzweifelten Gegenwehr, die fie mit 
der einen 
großen j — 
Schere, wel: EN 
die fie be: 
fißen, ihnen 
entgegen: 
fegen. Dort, 
in einem 
flahen Be: 
hälter, liegt 
platt auf 
dem Boden 
ein unge: 
ftalter Bit: 
terrochen — 
was ihn be: 
rührt, erhält 
einen celef: 
triſchen 
Schlag, wie 
von einer 
Leydener 
Flaſche. In 
dem größten 
Becken 
ſchwimmen 
ellenlange 
Haififche 
und abge: 
plattete 
Rochen um: 
ber, begierig 
nad) fleinen 
Fiſchen 
ſchnappend, 
die man 
ihnen zum 
Fraße vor: 
wirft. In 


einem klei— 


Zauber in Elaphonber-Rüflung S. 975). 


neren Beden liegen baudige TIhonfrüge mit | 


engen Deffnungen — Meeraale und gefledte 
Muränen, die von den Nömern fo geichäbt 
waren, daf fie diejelben mit Sklaven mäfteten, 
wiſſen fich geſchickt mit dem Leibe darin zu ver: 





friehen, daß nur bie Köpfe hervorfehen, die fich 
auf den ſchlangenartigen, ſchlanken Halfe wie: 
gen. Einige Beden ſcheinen nur Sand zu ent: 
halten; Plattfiſche, Seezungen, Sternguder, 
PVetermännden mit ihren giftigen Rückenſtacheln 
haben fih in den Sand eingeſcharrt und nur 
das Auge des Kenners entdedt auf der Ober: 
flähe die 
runden, vor⸗ 


Br een ftehenden 


Augen, die 
wie kleine 
Kiefel fich 
abheben. In 
diefem 
Beden auch 
Sand, in 
welchem 
Tintenfische 
eingegraben 
find — wenn 
der Märter 


fie aufftört, 


Tas Tauderboot IS. 975). 





hullen fie ſich, wie die griehifhen Götter, in 


eine ſchwarze Wolfe, die von der ausgefprig: 
ten Tinte gebildet wird und fie den Bliden 


| entzieht. Dort Scejterne und Seeigel, die mit 


ihren taufend, auf Fontraftile Stielchen ge: 
ftellten Saugfüßchen fih langſam fortbewegen 
und fogar an den Glaswänden des Bedens 
hinauftlettern. In anderen Beden ſchwimmen, 
leichtbefchwingten, weißen, mit rötlihen Tupfen 
aezierten Nögeln gleich, Scharen von Kalmaren 
mit eingezogenen Armen, bie fie bligfhnell 
herausmerfen, fobald fie eine Beute gewahren. 
In großen mit Felsblöcken und Steinen be= 
ſäten Becken haben fih die Pulpen mahre 


Feſtungen gebaut, in welchen nur das unab: 
| läffige Puſten des Atemtrichters ihre Anweſen— 
| heit verrät. 


| 
| einen Faden gebundene Krabbe hinab, die wie 


Läßt aber der Wärter eine an 


eine Spinne mit den langen Beinen umber: 


fuchtelt, fo belebt fich plötzlich das ganze Baffın ; 
| lange, mit Saugnäpfen bejegte Arme werden 


ausgeworfen, aus dem Hintergrunde ſchwimmen 
die gierigen Gefellen mit rafchen Stößen herbei ; 
bald ift die Krabbe gepadt, umjchlungen und 
man hört ihren Panzer zwiſchen den mächtigen 
Kiefern des Näubers frahen. Fiſche der ver: 
ſchiedenſten Arten ſchwimmen ſcharenweiſe in 


anderen Becken; dort liegen ungeſtalte, wurſt⸗ 


| fürmige Tiere, Seegurken oder Holothurien, 


Die Zoologifcde Station in Neapel. 


träge am Boden und zuweilen fieht man, daß 
aus ber runden Afteröffnung ber einen oder 
anderen ein niebliches Fifchföpfchen mit großen 
hellbraun glänzenden Augen gemütlich hervor: 
fhaut. Das Fiſchchen, Fierasfer genannt, ge: 
wöhnt durch tagelang fortgefegte Manöver die 
Holothurie, welche es fih zum Wohnſitz aus: 
erforen, ihre Aftermündung, die zugleich Atem: 
loch ijt, bei Berührung offen zu halten und 
ſchlüpft dann, mit dem fpigen Schwanze voran, 
in den Darm hinein, in weldhem es ſich ganz 
trefflich zu befinden und die Holothurie nicht 
weiter zu beläftigen fcheint. 

So fann man lange Stunden in dem Raume 
zubringen, welchen die darin gezüchteten Orga— 
nismen befjer jhmüden als Tropfiteine und 
fünftlihe Grotten, und wird ſtets neue und 
intereffante Formen entdeden und mit Beobad): 
tungen bereichert denjelben befriedigt und be: 
lehrt verlaffen. 

Wir fteigen über die Marmortreppe hinauf 
zur Oftloggia. Rechts ein Pförtnerftübchen 
neben der nad) oben führenden Dienfttreppe, 
linf3 ein großes Zimmer, das für zwei Arbeiter 
Raum hat. Daneben ein anderes, ähnlichen 
Zweden dienendes Zimmer, gegenüber ein Ge— 
mad, das durch eine Nebenthür in den großen 
Arbeitsfaal führt und einem Be: 
amten des wifjenfchaftlichen Gene: 
talitabes der Station angemwiefen 
it. In diefen Zimmern, wie in 
dem großen Arbeitsfaale, diefelbe 
Ausrüftung: ein rechtwinklig aus: 
gejchnittener Arbeitstifch, der dem 
Fenſter zugefehrt ift und mit allen 
nur erdenklichen Geräten, Reagen: 
tien, Färbemitteln u. f. mw. aus: 
geftattet ift, deren die heute fo 
hoch ausgebildete Technik bedarf; 
im Rüden Eleinere befondere Aqua⸗ 
rien, in welchen der Forſcher die 
Tiere halten fann, die er fpeciell 
beobachten will. Wer zur Arbeit 
an der Station zugelafien ift, hat 
weiter nichts mitzubringen, als 
fein Mifroffop und fein anato: 
mifches Beſteck — alles andere, 
Material wie Hilfsmittel, liefert 
ihm die Anstalt. Feder Arbeits: 
tijch hat das volle Licht eines 
Fenſters. 

Bei dem Zudrange der Ar— 











371 


beiter mußte das große Laboratorium durch ein 
Hängewerk in zwei Etagen (S. 367) abgeteilt 
und ſo Raum für weitere Arbeitstiſche gewonnen 
werden. Bei der bedeutenden Höhe der Fenſter 
haben dieſe Plätze nicht minder gutes Licht, als 
die unteren, und auch an Aquarien fehlt es ihnen 
nicht. Eine ſchmale und ſteile eiſerne Treppe führt 
in einige in dem Eckpavillon aufgeſparte Hoch— 
zimmer, die ebenfalls einem Beamten des Gene— 
ralſtabes zugewieſen ſind, welcher zugleich die 
Muſterſammlung der wiſſenſchaftlich beſtimmten 
Arten beſorgt, die dort aufgeſtellt iſt. — Jeder 
Arbeitstiſch in dem großen Laboratorium iſt zu: 
gleich durch ein, mit Gefachen verjehenes Repofi- 
torium von dem nächften Tifche getrennt (S.367), 
jo daf die Nachbarn einander nicht ihre etwaigen 
Geheim: 
nijje ab: 
lauschen 
fünnen. 
Doch find 
ſolche miß— 
trauiſche 
Naturen, 
die bei dem 
Nahen 
eines ans 












Quigino und Antonio, 
Gehilien bes Konferbatord Ealvatore, 


Giovanni, 
erfler Nepfilder. 


372 


deren ihre Zeichnungen umdrehen oder ihre 
Präparate deden, nur jelten; meijt herrſcht ein 
vertrauliches Zufammenleben; man bejpricht die 
erlangten Nefultate, die angewendeten Metho- 
ben, belehrt ſich wechſelſeitig und fördert fich 
durch Austaufh. Einige Beamte, die feine ge: 
fonderten Räume mehr erhalten konnten, ar: 
beiten ebenfall3 in dem großen Laboratorium, 
ftetö bereit, dem 
weniger Geübten 
mit Rat und That 
an die Hand zu 
gehen. Es iſt eine 
Freude, den Saal 
zu durchſchreiten 
und die Emſigkeit 
zu ſehen, mit 
welcher die mei: 
ften ihren Stu: 
dien obliegen; der 
finnt, in das 
Blaue ftarrend, 
übereinProblem, 
jener beſchäftigt 
fih mit Dauer: 
präparaten, ein 
dritter jeciert un: 
ter der Xupe, 
während ein vier: 
ter mit dem Auge 
auf dem Mikro: 
ſtop Liegt, als 
müſſe er jet den 4 
Stein dber®eifen x ur 
darin fehen. Oft 8 
laute Diskuſſion 
über theoretiſche 
Anſichten; die 
Geiſter platzen 
aufeinander, und 
manchmal wird die ganze Geſellſchaft in das 
Gefecht gezogen. 

Dem großen Laboratorium gegenüber iſt die 
Bibliothek, die, wie ich ſchon öfter hervorgehoben 
habe, der Anſtalt allein den Vorrang vor allen 
anderen Inſtituten ähnlicher Art ſichern würde. 


Prof. Dohrn hat keine Koſten und feine Mühe | 
geipart, um fie jo volljtändig als möglich zu | 


machen; viele naturwiſſenſchaftliche Verleger 
ſchicken ihren Verlag, die Verfaſſer ihre Arbeiten, 
um fie fiher in dem von der Station heraus: 
gegebenen Jahresberichte beſprochen zu fehen; 





Giro und Gircillo, Oberläbenfiier. 


Karl Dogt. 


durch Taufch gegen die Publifationen der Sta— 
tion wird vieles hereingebradt. Während man 
an den meilten anderen Stationen nur wenige 
Bücher und Zeitjchriften zur Hand hat, die nur 
notdürftige und ungenügende Auskunft geben, 
und oft wiederholt von der Küfte in die Haupt 
ftadt und von diefer wieder an die Küfte rennen 
muß, um eine Arbeit zu vervollitändigen, hat 
man bier alle 
Quellenſchriften, 
alle litterariſchen 
Hilfsmittel un— 

mittelbar zur 
Hand und kann 
die eigenen Be— 
obachtungen mit 
denjenigen der 
Vorgänger ver— 
— gleichen. Es iſt 

> dies ein unſchätz⸗ 
barer Vorteil und 
es kommt nicht 
ſelten vor, daß 
Forſcher, die an— 
dermwärts eine Ar: 
beit gemacht ha- 
ben, nach Neapel 
fommen, um fie 
hier zu Eontrollie: 
ren und die un: 
entbehrlichen lit— 
terarifhen Nach— 
weile zu vervoll- 
jtändigen. Zahl: 
reihe Arbeits⸗ 
tijche find in der 
von einem Be: 
amten der Sta: 
tion überwachten 
Bibliothek aufge: 


ſtellt, deren Beforgung bei den zahlreichen 


Eingängen feine geringe Arbeit madt. Mittels 
eines einfahen Mechanismus ift es möglich ge: 
macht, daß jeder Forſcher neben feinem Arbeits: 
tische die nötigften Quellen in jedem Augenblid 
zur Hand haben kann. (Vgl. u. Abb. auf S.367.) 

In der gefchlofjenen Yoggia der Weftfront 
herricht zu gewiſſen Stunden das regte Xeben. 
Gegen zehn Uhr morgens bringen die Fiſcher, 
die meiſt Schon vor Anbruch des Tages aus: 
gelaufen find, in Kübeln und Gläfern ihren 
ang, der hier in feichten Bottichen fortiert wird. 


Die Zoologifche Station in Neapel, 


„Auftrieb“ ſchallt es ur 
beſonders bei Siroffo — 
durch das Haus, denn 
dieſer Wind bringt 
die ſchwimmenden 
Hochſeetiere, das 
mikroſkopiſche Klein: 
zeug, welches mit 
feinen Netzen auf der 
Oberfläche gefiſcht 
wird, in den Golf 
herein. Viele kom— 
men und ſuchen, mit 
der Lupe bewaffnet, 
in den Bottichen und 
Gläſern die Tiere 
zuſammen, die ihnen 
zum Studium zugeteilt ſind. Der Chef des 
wiſſenſchaftlichen Generalſtabes, dem jeder an— 
zugeben hat, welche Tiere er zum Studium 
ſich ausgewählt hat, läßt den übrigen das ihnen 
gehörende Material bringen. Der Konſervator 
ſucht die ihm genehmen Leiter aus. Der Leiter 
des großen Aquariums bemächtigt ſich der 
Organismen, die dort gezüchtet werden ſollen. 
Nach geichehener Sortierung wird der Neft ent: 
weder in Reſerve-Aquarien, die an der Nüd: 
wand der Zoggia angebradt find, untergebracht 
oder an das große Aquarium abgeliefert, wo er 
zur Fütterung dient. In dieſe Loggia münden 
auf der Nordfeite das Zimmer des Chefs des 
Generalitabes, auf der Südſeite das Arbeits 
zimmer des Direktors Dohrn und dasjenige des 
Konjervators, der die Sendungen vortrefflid) 
erhaltener Seetiere an Mujeen und Private zu 
bejorgen hat, welche einen nicht unbedeutenden 
Zweig des Betriebes der Station bilden. 

Von der Weſtloggia führt eine Treppe in 
die Hochzimmer, in welchen der ingenieur der 
Station fein Kabinett und feine Werkitätten für 
feinere Gegenftände eingerichtet hat. Schmiede 
und Ateliers für gröbere Objekte find, wie ſchon 
erwähnt, in dem unterirdiichen Mafchinenraume 
angebracht; der Schmied arbeitet aber nidht 
felten unter freiem Himmel vor feiner Wert 
jtätte. Neben dem kleinen Eingange der Weit: 
front, den die Fischer benußen, find die gewöhn- 
lichen Fiſchereiwerkzeuge untergebracht. 


ab Tampfboot „Frant 
Balfour* tS. 315». 


Plane im inneren eingerichtet, jeder Nam 
winfel forgfältig ausgenutzt und man alaubte, 
damit für lange jahre ausreichen zu können. 












373 


Boot zur Neyfiderei, 


Aber in dem Augenblide, wo ich diejes jchreibe, 
erweift fich das Gebäude, genenüber dem An: 
drange von Forichern und der Notwendigfeit, 
neue Näume für phyſiologiſche und biologische 
Studien zu Schaffen, als durchaus ungenügend. 
Die Verhandlungen über einen Anbau, der mit 
dem Hauptgebäude durch Brüden jo verbunden 
werden foll, daß er diefem fein Licht zu rauben 
vermag, Find im Zuge. Möchten fie zu dem 
gewünschten Nefultate führen! 


Die Betriebsmittel. 

Es ıjt Har, daß etwa dreißig Forſcher, jo: 
wohl Tifchinhaber als Beamte des wilienjchaft: 
lihen Generaljtabes einer Menge lebenden, uns 
mittelbar aus dem Meere gefifchten Materiales 


| zu ihren Unterfuchungen bedürfen, Um viele 


diefer Tiere zu finden, it die genaue Kenntnis 


des zugängliden Meeresgrundes, ſowie der 
Strömungen unerläßlid. 
So ift das Haus nad) wohlüberdachtem | 


Manche Arten find 
jelten oder in jehr engen Wohnungsgrenzen ein: 
geichränkt. Ich hatte vor einigen Jahren einen 
Wurm erhalten, den man fpäter zurüd erbat, 
weil er das einzige bis jetzt gefundene Eremplar 


374 


fei und man vergebens nad einem zweiten ge: 
fucht habe. Jetzt kann man den Wurm haben, 
fo viel man nur will; die Fiſcher haben endlich 
feine Wohnftätte gefunden, die faum einige 
Morgen Landes bededen würde. Will man 
alfo, was bei einer folhen Anftalt durchaus 
nötig ift, die möglichfte Gewißheit haben, ſtets 
das Gemwünfchte liefern zu können, fo müfjen 
eigens brefjierte Fifher und bejonders aus- 
gerüftete Boote vorhanden fein, die nur für bie 
Zwede der Station arbeiten. Der Fiicher, der 
nur bei Gelegenheit dem Naturforfcher fih zu 
Dienften ftellt, muß erft angelernt werden; er 
hat von jeher nur das Eßbare und Verfäufliche 
im Auge gehabt und wird ſtets das Zeug, das 
den Naturforfcher intereffiert, als Nebenfache 
behandeln. 

Die Station befitt mehrere Nuder: und 
Segelboote, die regelmäßig auf den Fang gehen 
und deren Bemannung die Lofalitäten genau 
fennt, auf welchen die verfchiedenen Tiere vor: 
fommen. Das eine diefer Boote ift für die 
Oberflähenfifcherei, für die Beſchaffung des 
„Auftriebes“ auägerüftet. Man fucht die viel: 
fach wechjelnden Strömungen: die „Corrente* 
auf und während der Ruderer langjam das 
Boot vorwärts gleiten läht, hält der andere 
Fiſcher ein aus feinfter Müllergaze gefertigtes 
Handnet dem Strome entgegen, in weldyem fich 
die mifroffopiichen Tierchen, Kleine Kreböchen, 
Medufen, Pfeilwürmer, Nadiolarien, Larven 
aller Art fangen. Von Zeit zu Zeit wird der 
Beutel in einem weiten Glasgefäße umgedreht 
und ausgejpült, oder auch ein ſolches in das 
Neb eingebunden, und jo der Auftrieb in dem: 
jelben gefammelt. Aber in diefen Strömungen 
reiben aud) eine Menge größerer Tiere, Ruder: 
Ichneden, Medufen, Rippenquallen, lange Ketten 
von Salpen, Shwimmpolypen und andere Tiere, 
faft alle durchfichtig und nur ſchwer in dem 
Waſſer unterfcheidbar. Ein geübtes und fcharfes 
Auge ift hier unfhägbar. Die einen fünnen 
unbedenklich mit einem langjtieligen Nee ein: 


gefangen werden, andere aber find fo zart, daf | 


fie bei der geringften Berührung zerfliehen oder 
wejentliche Teile abſtoßen. Man fucht dieſe Tiere 
durch Bewegungen mittels des Handnetzes an 
die Oberfläche zu bringen und dann in ein vor: 
gehaltenes Glasgefäß hineingleiten zu loöſſen. 





| 
| 
| 
| 
| 





1 


Ein anderes Boot betreibt die gewöhnliche 


Nebfifcherei, ein drittes ift mit Schleppnegen 
ausgerüftet, welche mit einer ſcharfen Klinge 


| 


Karl Dogt. 


den Grund auffragen und die feftfigenden, in 
Schlamm oder Sand vergrabenen Tiere los— 
löfen und aufnehmen. Aber dieje Fifcherei, fo 
ergiebig fie auch an gewifjen Stellen fein mag, 
fann doch nur in fehr geringe Tiefen hinab— 
gehen; fie wird namentlich auf den Bänfen be: 
trieben, welche den Fifhern unter dem Namen 
Seccas befannt find. Für größere Tiefen reicht 
Menſchenkraft nicht aus. 

Wenn fo dad meilte Material von den 
Fiſchern der Station beſchafft wird, fo ſchließt 
dies nicht aus, daß vieles auf dem Fiſchmarkte 
und anderes von nichtangeftellten Fildern ge: 
fauft wird, die fehr wohl wiflen, daß feltene 
und ſonſt unverfäufliche Tiere hier Abnahme 
finden. 

Aber die Fifcherei mit Ruder: und Segel: 
booten, die allzufehr von Wind und Wetter ab: 
hängen und nur geringe Tiefen beherrichen, 
fann den Zwecken der Station nicht genügen. 
Man muß zur Beihaffung mancher Tiere weiter 
gelegene Fiſchgründe aufjuchen, in größere Tie— 
fen hinabjteigen, man will fchlieglich den ganzen 
Golf und deſſen Umgebung in grünblichfter 
Meife durchforſchen, um endlich einmal fichere 
Grundlagen für die Beurteilung der Wande— 
rungender Geetiere, ber Verteilung derjelben auf 
dem Meereögrunde, ihrer Eriftenzbedingungen, 
Fortpflanzungszeiten u. ſ. w. zu gewinnen. 

Die Notwendigkeit eines Dampfers war 
von Anfang an erfannt. Aber die Mittel waren 
gering und mandherlei Gelärm erhob jih. Was? 
Ein Dampfer? Zum Spazierenfahren? Man 
ſetzte der Anfhaffung etiwa ähnliche Gründe ent- 
gegen, wie mir, als ich im jahre 1869 die 
Gründung einer zoologifhen Station in Trieft 
beantragte und ein befannter Zoologe, der fpäter 
wohleingerichtete Stationen fehr zu würdigen 
wußte, öffentlich entgegnete: Was es da weiter 
brauche? Ein Zimmer, einige Gefäße und täg- 
[ich einige Kübel frifchen Seewaſſers! 

Das Dampferlein, das man allgemein den 
„Vaporetto“ nannte, das aber dem großen Phy— 
fiologen Johannes Müller geweiht ift (S. 366), 
wurde bejonders unter lebhafter Fürſprache 


| du Bois-Reymonds, des Nachfolgers Müllers, 


durch die Berliner Akademie großenteils befchafft. 
Es hat eine enge und niedere Hajüte, in der zwei 
Mann ganz gut, vier nur mit Schwierigfeit fich 
unterbringen können. Die Machine wurde jo 
eingerichtet, daß fie das Schleppnet heben und 
jenen konnte. Die italienische Marine Tieh 


Die Zoologiſche Station in Yleapel. 


einen Sfaphander zum Tauchen und Unter: | 


fuchen des Grundes. Man behalf fih in der 
Nußſchale fo gut man konnte und wagte fogar, 
bis nah Gaöta und den Ponza-Inſeln zu 
dampfen, wo reihe Fifchgründe mit im übrigen 
Golfe nicht vorfommenden Tieren ſich finden. 

Ich habe zur Zeit lehrreihe und fröhliche 
Erfurfionen mit diefem Vaporetto gemacht. 
Das Tauchen mit dem Sfaphander, das anfangs 
vom Vaporetto aus betrieben, jet aber durch 
ein eigenes Boot beforgt wird (S. 370), wurde 
bald eine Lieblingsbefhäftigung einiger Beamten 
und Gäfte, namentlih des ngenieurs von 
Peterſen. Der Taucher, ganz in Kautſchuk ein: 
gehüllt, mit ſchweren Bleifandalen an den 
Füßen, mit dem großen gefenfterten Metall: 
helme auf dem Kopfe, in welchen beftändig 
Luft eingepumpt werden muß, wird in die Tiefe 
hinabgelafjen. Durch einen Strid, den er in 
der Hand hält, gibt er verabredete Zeichen. Die 
aufbrodelnden Luftblafen bezeichnen feinen Weg, 
wenn man ihn nicht mehr jehen follte. Er ift 
mit Schaufel, Hammer, Krageifen, einem Sade, 
worin einige gläferne Gefäße, verfehen, in 
welche er feine Beute fammelt. Cinmal im 
Waſſer untergetaucht, bewegt er fich mit großer 
Leichtigkeit, in freier Luft geftattet ihm die 
ſchwere Rüftung faum eine Bewegung. Seine 
Hauptaufgabe ift, die Vergefellihaftungen der 
auf dem Grunde haufenden Tiere zu erforschen. 
Er fieht hinlänglih, um felbjt mit der Lupe 
unterfuhen zu fönnen. Man folgt in einem 
bejonderen Fleinen Boote aufmerkfam feinen Be: 
mwegungen, um ihn bei dem leijejten Zeichen fo 
ſchnell als möglich heraufwinden zu fönnen. Die 
beiden Matrofen, welche die Luftpumpe hand: 
haben, müflen forgfältig einererziert fein, damit 
feine Unterbrehung in der Zufuhr eintrete. 
Aber länger als zwei Stunden hält es wohl 
feiner aus und tiefer als dreißig Meter höchſtens 
fann man nicht hinab, denn in dieſer Tiefe wird 


bänder, welche die Aermel und Hofen ſchließen, 
ſchneiden dann tief in die Gelenke ein. Man 
windet den Mann herauf und faum, daß der 
Helm über dem Waſſer ift, beeilt man ſich, 
ihn abzunehmen. Die Löfung der Toilette ift 
ſchwieriger, als der Anzug, aber endlich ift fie 
geihehen und ein Schlud guten Weines hilft 
dem erjchöpften Manne wieder auf die Beine, 
der dann meijt einen bedeutenden Appetit ſpürt. 

Bei den vielfahen Fahrten fonnte es nicht 








375 


vermieden werden, daß die Eifenwänbe bes 
Vaporetto vielfach durch Abpusen der daran 
haftenden Seetiere und durch den Einfluß des 
Meerwaſſers litten, jo daß fie an vielen Orten 
nur anderthalb Millimeter Dicke beſaßen. Man 
fütterte fie zwar mit Holz aus, aber immerhin 
läßt das fonft trefflihe Schiff einige Alters: 
ſchwäche verjpüren. 

Vor zwei Jahren fchaffte die Station aus 
eigenen Mitteln ein zweites Fleines Dampferlein 
an, welches den Namen des befannten, in den Al— 
pen verunglüdten Embryologen Frank Balfour 
führt (S.373). Absit omen! Das Scifflein 
hat etwa die Größe und den Bau eines mit 
ſechs Ruderern zu bemannenden Rettungsbootes, 
iſt vollfommen ungebedt und nur zum Fiſchen 
mit dem feinen Nete an der Oberfläche bejtimmt. 
Maſchine, Kohlen, alles Zubehör liegen frei im 
Naume des Boote, allem Wind und Wetter 
auägefegt; nur einige wenige Perfonen haben 
Plat darauf. Aber das Schifflein ift durchaus 
feetüchtig, läuft fchnell und fanft und liegt flach 
auf dem Wafler, jo daß die Handnetze ebenfo 
leicht benußt werden fünnen wie von einem 
Nuderboote aus. Die Oberflächenfifcherei, welche 
die ſchwimmenden Hochjeetiere liefert, hat im 
Golfe von Neapel ihre bejondern Schwierig: 
feiten. Die Strömungen halten nicht eng zu: 
fammen wie in der Straße von Meffina oder 
in der Bucht von Billafranca bei Nizza; fie ver: 
teilen fi über weite Räume und bringen nur 
bei Siroffo reihe Beute. Da alle diefe Tiere 
äußerft zart und furzlebig find, mußte auf Mittel 
gefonnen werben, fie ſchnell nad) dem Fange zur 
Station zu bringen, um die fonft ſehr ergiebige 
Jagd felbit über größere Streden ausdehnen zu 
fönnen. Diefen Zweden entjpricht der Balfour 
vortrefflich. 

Aber die beiden Schiffe genügen nicht, um 


die Schleppfiſcherei in großen Meerestiefen, die 
ſo außerordentlich wichtige Reſultate geliefert 
der Druck bald unerträglich, die Kautichuf: | 
| in Tiefen über taufend Meter arbeiten follen, 


hat, zu betreiben. Das Gewicht der Nete, die 


ift zu bedeutend, ala daß diejelben mit jo ge: 
ringen Kräften gehoben werden fünnten. Der 
Raum der Schiffe würde nicht hinreichen, die 
großen Trommeln zu beherbergen, auf welchen 
die ftarfen, mehrere Kilometer langen Taue auf: 
gerollt werben müjjen. Die Tiefgründe find der 


| Station einftweilen vollftändig verfchloflen. Zu: 


| dem gewährt Feines dieſer Schiffe den nötigen 
, Raum, um den Fang ſogleich bearbeiten zu 
43 


376 


können. Gar viele Tiefentiere aber fommen, 
wie begreiflic, in durchaus erjchöpftem Zuftande 
auf der Oberfläche an, und wenn fie endlich aus 
den Gentnern von Sand, Schlamm und Ge: 
fteinsbroden, melde das Scleppneß herauf: 
bringt, ausgeleſen find, bleiben vor ihrer Zer— 
jegung faum einige Stunden zu eingehender 
Beobadhtung. Dieje ift nur auf der Station, 
nicht auf dem Schiffe möglid, und wenn man 
auf der Station anlangt nad) den Mühen des 
Tages, findet man einen Haufen in Zerſetzung 
befindlicher Gallerte ftatt lebender Wejen. 

Der Golf fol und muß eben in allen feinen 
Tiefen erforscht werden und die Unterfuchungen 
müſſen fich weiterhin in das Meer und über die 
Küften erftreden, denn dorthin bringen die 
Strömungen aud) Tiefjeetiere. So ift denn jetzt 
der Bau eines dritten, größeren, durchaus fee: 
tüchtigen Dampfers im Plane, der wochen: und 
monatelang auf dem Meere bleiben und den 
auf ihm eingefchifften Forſchern in einem fleinen 
Laboratorium Gelegenheit zur unmittelbaren 
Unterfuhung des Fanges geben fol. Solde 
Tieffee-Forfhungen, wie fie der „Challenger“, 
der „Talisman”, der „Wafhington* im Auf: 
trage der englischen, franzöfifchen und italieni- 
jchen Regierungen vorgenommen haben, würden 
freilich mit diefem Schiffe nicht unternommen 
werden Fünnen; derartige Unterfuhungen er: 
fordern Geldmittel, wie fie der Station nicht 
zu Gebote jtehen. Webrigens ftehen dieſe Tief: 
ſee-Forſchungen, jo großes biologifches Intereſſe 
in theoretifcher Hinficht fie auch beanfpruchen 
mögen, doc faum in direkter Beziehung zu den 
mehr praftifchen Zweden, melde die Station 
im Auge hat. 

Ob es freilich Herrn Dohrn gelingen wird, 
das für ein ſolches größeres Schiff nötige Kapital 
zu beſchaffen, ift eine andere Frage. Wenn es 
fi) darum handelt, für eine Sternwarte einen 
Niefenrefraftor oder ein ähnliches Inſtrument 
zu beichaffen, findet ſich das Geld leicht, fei es 
bei Regierungen, Inſtituten oder einzelnen opfer: 
willigen Privaten; aber die Ueberzeugung, daß 
auch die biologiſchen Forſchungen koſtſpieliger 
Apparate bedürfen, iſt noch nicht weit genug 
eingedrungen, um zu Opfern dafür anzuſpornen. 
Und doch leuchtet nicht nur der ungemeine Wert 
ſolcher Unterſuchungen für die Wiſſenſchaft, fon: 
dern auch ihre praftifche Anwendung ein. Wir 
haben jeit Einführung der fünftlihen Fifchzucht 
manche Kenntnis über das Leben und Treiben, 





Karl Vogt. 


die Eriftenzbedingungen und die Feinde der nuß- 
baren, im Süßwaſſer lebenden Gefhöpfe, wie 
Fiſche und Krebfe, gewonnen — aber wie un- 
endlich weit ſteht der Wert diefer Produfte hinter 
denjenigen des Meeres zurüd, die Millionen 
von Menſchen andauernde Beichäftigung, reich: 
lihe Nahrung und lohnenden Gewinjt ver: 
ſchaffen! Die Gefege und Reglemente der Süß— 
waflerfifcherei find, zum guten Teile wenigitens, 
auf beobachtete Thatfachen, diejenigen der Meer: 
fiicherei auf willfürlihe Annahmen und aus den 
Verhältniffen des fühen Waſſers abgeleitete 
Schlüffe gegründet. Man verbietet oder bes 
Ihränft 3. B. die Fiſcherei mit großen, von 
zwei Schiffen gezogenen Schleppnegen, weil 
man annimmt, daß dieſes Auffragen des 
Grundes die Brutjtätten der nutzbaren Fiſche 
und ber ihnen zur Nahrung dienenden Tiere 
zerftört, daß der Laich und die Brut ihr zum 
Opfer fallen, allein fein Gelehrter und fein 
Praftifer kann behaupten, daß diefe Annahme 
auf beobachtete Thatjachen gegründet fei, ja 
man weiß von den meijten Meerfifchen nicht, 
was fie freien, wann und wo fie laihen, wo 
ihre Eier abgefebt werden, wo ihre ungen ſich 
aufhalten. Das find weitſchichtige Fragen, die 
nur durch längere Zeit hindurch fortgeſetzte Beob- 
achtungen fich löſen laffen, deren Beantwor: 
tung aber von der höchſten MWichtigfeit für das 
Wohl und Wehe ganzer Nationen iſt. Es wäre 
demnad) jehr zu wünſchen, daf die Station von 
Neapel, die ja fonjt jchon fo viele Vorkenntnis 
der Sache hat, durd die Anfchaffung eines 
größeren Dampfers in den Stand geſetzt würde, 
diefe Fragen ernftlich in die Hand zu nehmen 
und ihrer Löſung entgegen zu führen, und es 
ift zu hoffen, daß durch die Bildung von Komitees 
die finanziellen Mittel bejchafft werden, welche 
nötig find. Deutjchland nimmt, fo behauptet 
man, täglid an Reichtum und finanzieller Wucht 
zu, und da mit diefen Fortſchritten der weitere, 
in die Zufunft gerichtete Blick ſich ſchärft, die 
Geneigtheit und die Möglichteit, Opfer zu 
bringen, bei den einzelnen wächſt, fo ift zu hoffen, 
da der Auf des Direktors der Station nicht 
ungehört verhallen werde. 


Der Charalter der Station. 

Man kann es nicht genug wiederholen, denn 
manche jchiefe Anfichten find durch die Verfen- 
nung der wirklichen Verhältnifje hervorgerufen 
und unterhalten worden: Die zoologiſche 


Die Zoologiihe Station In Neapel. 


Station in Neapel ift eine, durd die 
Energie eines einzigen Mannes ge: 
gründete und von ihm allein geleitete 
internationale Privatanftalt. Regie: 
rungen, wifjenfchaftliche Inſtitute, einzelne Pri— 
vate haben durch Unterjtüßungen, Beiträge oder 
Darleihen diefer Gründung unter die Arme ge: 
griffen, ihre gebeihliche Entwidelung gefördert, 
ihren jetzigen Betrieb erleichtert, aber da man 
allfeitig anerfannte, daß hier der rehte Mann 
am rechten Plate fei, jo hat man fid) auch ge: 
hütet, in dieſes Verhältnis irgendwie einzu: 
greifen. Dohrn leitet den ganzen inneren Be: 
trieb der Anftalt in unumfchränfter Weiſe und 
unter feiner alleinigen Verantwortlichfeit; er 
allein ftellt die Beamten an und verftändigt ſich 
mit ihnen über ihren fpeciellen Wirkungsfreis 
und ihre Befoldung; er beichafft die nötigen 
Geldmittel und beftimmt deren Verwendung, 
infomeit diefelbe nicht mit den Gebern und Dar: 
leihern durch vorgängige Webereinfunft be: 
ſtimmt ift. 

Aus diejem Gefihtspunfte muß man bie 
Thatfache beurteilen, daß diefe Privatanftalt 
außer der wiflenfchaftlichen auch ihre fommer: 
jielle Seite hat, daß fie Mittel und Mege fuchen 
muß, ihre Einnahmen zu vergrößern. Sein 
Menſch findet etwas dagegen zu erinnern, wenn 
ein zoologischer Garten für fein Aquarium noch 
bejondere Eintrittspreife verlangt, aber gar 
mander hat ſchon in der irrigen Meinung, daß 
die Station eine Staatsanftalt fei, fi) darüber 
entrüftet, daß hier Eintrittspreife für das Aqua- 
rium von den Bejuchern gefordert werden. In 
allen civilifierten Ländern beftehen Naturalien: 
handlungen, die lebende, fonfervierte Tiere oder 
Bräparate zu fejtgejegten Preifen liefern; nie: 
mand findet etwas dagegen zu erinnern; aber 
daß die Station in Neapel herrlich fonfervierte 
Geetiere, mikrojfopifche Präparate verfauft und 
damit einen fogar ftetS zunehmenden Handel 
treibt, haben gar viele nicht verwinden fönnen. 
Man fragt nicht, wovon denn die Station [eben 
jolle, wenn fie diefe Einnahmequellen nicht hätte, 
man nimmt ben Mantel der Würde der Wiffen: 
Ihaft um und fpricht mit fittliher Entrüftung 
von Entweihung derjelben. Aber von der Luft 
fann auch die reinjte Wiſſenſchaft nicht leben. 

Wenn die internationale Stellung der An: 
ftalt durch die mannigfaltigen Verhandlungen 
mit Regierungen und Inſtituten dem Direktor 
eine unfägliche Zaft von Arbeit und Korreipon: 








377 


denzen aufbürbet, ja ihn zu häufigen und foft: 
jpieligen Neifen zwingt, wenn die Alleinherr: 
Ichaft gar manche Unannehmlichkeiten im Gefolge 
hat, jo gewährt diefe Stellung anderſeits die 
größten Vorteile. Es fann hier von feiner ein: 
jeitigen Richtung der Studien, von feiner offi— 
ctellen Bevormundung derfelben die Nede fein, 
wie fie fi in ſolchen Stationen, die ftaatliche 
Beziehungen und vom Staate befoldete Pro: 
fejloren zu Direktoren haben, nur zu leicht aus: 
bildet. Die Zulaffung zur Station hängt nicht 
von dem guten Willen oder der Laune bes 
Direftors ab; wer nad) Neapel fommt, um bort 
zu arbeiten, ift von irgend einer Behörde ge: 
ſchickt, welche das Sendungsrecht mit Flingender 
Münze bezahlt. Jeder Arbeiter ift volllommen 
frei in der Wahl der Objekte feiner Forſchung, 
wie in derjenigen der Methoden ; wenn ihm feine 
Arbeit vielleicht durch ihre Publikation indiref: 
ten Nugen für feine weitere Laufbahn bringen 
fann, jo hängt es doch nicht von dem Einflufie 
des Chefs ab, der anderwärts oft nur die: 
jenigen, welche fih unbedingt feinem Willen 
fügen, unterftügt, den Unabhängigen aber hin: 
dernd in den Weg tritt. Eine einfeitige Rich: 
tung der Studien kann nicht Pla greifen. Die 
ftete Berührung zwifhen Mitarbeitern, die in 
ganz verſchiedenen Schulen ausgebildet find, 
verſchiedenen Richtungen angehören, verſchiedene 
Unterfuhungsmethoden fich angeeignet haben, 
ichleift die Gegenſätze ab und läßt eigene Mängel 
und fremde Vorteile erfennen. Durd) die be: 
ftändigen Wechjelbeziehungen mit den Mitarbei— 
tern einerjeitö, den Beamten der Station ander: 
feit3, welche nur in der Mominiftration ihre 
Kompetenz haben, in wiſſenſchaftlicher Beziehung 
aber auf Erteilung guten Rates und Beihilfe 
beichränft find, wird ein gewiſſes ideales Streben 
gefördert, das allen zu gute kommt. Bet den 
Beamten felbit hat ſich eine Fülle von Kennt: 
niffen und Erfahrungen angehäuft, die gewiſſer— 
maßen den geiftigen Vorrat der Station bildet, 
und um jo mehr durch lebendige Tradition fort: 
gepflanzt wird, als Profeſſor Dohrn es ſich zur 
unverbrüchlihen Regel gemacht hat, nur Solche 
anzuftellen, welche vorher als gefendete Arbeiter 
in der Station ihre Eigenfhaften und Fähig— 
feiten befundet haben. E3 mwimmelt jegt in 
Deutſchland namentlich von Aſſiſtenten an den 
verfchiedenen Univerfitätslaboratorien, melde 
oft ſehr anerfennenswerte Arbeiten geliefert 
haben, und gar manche haben, von gewichtigen 


er. 


378 Ernft Koppel, 


Empfehlungen gejtügt, in Neapel angefragt, | befangen, befannt ift. Gegen eine derartige 
ob fie dort ein oder mehrere Jahre in Funktion | Umgebung mußte fih ein tiefes Gemüt ſelbſt— 
treten könnten — ohne Erfolg, denn da Dohrn | verjtändlih früh auflehnen; es blieb ihm bald 
allein die Verantwortlichfeit trägt, jo will er | nur die Wahl zwischen haltlofer Sentimentalität 
vorher durch eigenes Einſehen fich überzeugt | oder fraftvollem Humor, um die tiefe Kluft aus: 
haben, daß die Bewerber auch den fpeciellen | zufüllen, die ihn von feiner Umgebung trennte. 
Forderungen entſprechen, welche die Station an | Seine männlide Natur neigte ſich leßterem zu; 
fie ftellt. (Schluß folgt.) gewiß aber ift ein Hang zum Ercentrifchen und 
Baroden, das auch dem vollentwidelten Künſt— 
— — ler anhaftet, dem Zwieſpalt, den er früh in ſich 
empfunden, zuzuſchreiben. 

öcklin. Trotzdem ſeine Familie mehrere künſtleriſch 
> Arnold Boclin begabte Mitglieder aufwies, hatte er feinem 
Fine Studie von Ernfl Koppel. Vater gegenüber doch ftarfe Vorurteile zu be: 
fämpfen, ehe es ihm vergönnt war, im Jahre 
1846 Düfjeldorf zum Zwecke feiner malerifhen 

D* Name Arnold Bödlin hat einen vollwich- Ausbildung als Aufenthaltsort zu wählen. 
tigen Klang in der neuen deutſchen Kunſt— Seine frühefte fünftlerifhe Neigung war, 
geihichte, das Schaffen des Künftlers aber und | wohl durch die ſchöne Natur feiner Heimat be: 
infolgedeffen feine Eigenart ift den meijten | fördert, auf die Landfchaft gerichtet und hierfür 
gänzlich unbekannt. Der Grund diefer Erjchei: | fand er in Düfjeldorf unter Schirmer Leitung 
nung ift unſchwer zu finden, denn Bödlin ift | reichliche Nahrung; aber wie fein ganzes Wefen 
einerfeitö eine fünftlerifche Perfönlichkeit, die | nad Univerfalität ftrebte, fo fuchte er fi) auch 
aus den widerfprechenditen Eigenſchaften zu: | früh gleihmäßig nach verjchiedenen Geiten hin 
ſammengeſetzt ift, anderjeits aber ift die Fülle | auszubilden und begab ſich daher nah Brüſſel, 
feiner Natur jo groß, daß eine Kenntnis feines | wo gerade die Figurenmalerei blühte. Von dort 
Wefens nur nad) längerer Beihäftigung mit ihm, | wandte er fi nad) Paris, wo er die Revolution 
nad) liebevollem Verſenken in feine Eigentüm: | von 1848 miterlebte, deren Eindrüde in feinem 
lichkeit möglih ift. Wahrheit und Dichtung | empfänglichen Gemüt haften blieben und hierin 
durchdringen fi) bei ihm wie bei faum einem | mag die Hinneigung zum Schauerlichen und 
anderen zeitgenöſſiſchen Meiiter; er ift ein Dichter | Gemaltthätigen begründet fein, die nicht felten 
in Farben, der fih die Natur auf feine eigene | wie ein greller Mißklang in feinem Schaffen 
Weife zuredhtlegt, ohne fie jedoch je zu verleug: | hewortritt. Bon Paris wandte fi) der Ruhe: 
nen oder fie vielmehr mit feinen eigenen Augen loſe nach Bafel zurüd und von dort nad) Nom. 
fieht und demgemäß darftellt. Die tieffte Em: | Alle diefe Etappen feiner Künftlerlaufbahn wur: 
pfindung paart fich bei ihm mit dämoniſchem | den mit mehr oder weniger großen Entbehrungen 
Humor, eine grenzenlos reiche, nicht jelten aus: | zurüdgelegt. Das hinderte ihn aber nicht, ſich 
ichweifende Phantaſie mit fchärffter Beobach- | mit einer jungen Römerin, die ihm als einzige 
tungsgabe und fein technisches Können dedt fih  Mitgift ihre Schönheit zubrachte, zu verehlichen 
ftet3 mit der zu bewältigenden Aufgabe. So | und in diefer Ehe ein dauerndes Glüd zu finden. 
weit umfaſſend das Stoffgebiet ift, das den | Aufträge, die nur an Ort und Stelle auszu— 
Künftler beherrfcht, jo verleugnet fich doch nies | führen waren, führten ihn wieder nach Deutſch— 
mals feine Perfönlichfeit und troß der unerbitt: | land zurüd und endlid auch nah München, wo 
lihen Strenge, mit der er ftetö neue hohe An: | ein Mäcen in des Wortes edelſter Bedeutung, 
forderungen an fich ſelbſt ftellt, tritt fein Wefen | Graf A. F. v. Schad auf den genialen Künſtler 
voll daraus zu Tage. aufmerffam wurde. Durch diefen feinfinnigen 
Arnold Bödlin ift im Jahre 1827 als Sohn | Dichter und Gelehrten wurde dem Künftler zum 
eines Kaufmanns in Bafel geboren. Es it eine | erftenmal Gelegenheit geboten, fein Können 
Ironie des Schidfals, die diefen modernen No: | frei zu entfalten. Eine lange Neihe von Ge: 
mantifer in der vollen Bedeutung des Wortes , mälden in der befannten Schackſchen Galerie 
in einer Stadt aufwachſen ließ, die als durchaus | legen von der Förderung Zeugnis ab, die dem 
nüchtern und nur in rein praktiſchen Intereſſen Künftler von feiten des Beſitzers derfelben zu 





Arnold Bödlin. 


Teil wurde, wie anderfeit3 die Schöpfungen 
bes Künftlers zu den foftbarften Beftandteilen 
der reihen Sammlung zählen. Aus der Fülle 
der dort befindlichen Bödlinfhen Gemälde fei 
an diejer Stelle nur einzelner gedacht. So ver: 
dient vor allem die „Villa am Meer”, die in 
zweimaliger Ausführung vorhanden ift, Erwäh— 
nung. Diefe Schöpfung atmet eine Melandolie, 
die den Beichauer fofort in Mitleidenfchaft zieht 
und ift fie ein vollmichtiger Beweis für bie 
Fähigkeit des Künftlers, mit den einfachiten 
Mitteln die tieffte Wirkung, die nachhaltigſte 
Stimmung zu erzeugen. it diefes Werk fait 
nur in ſchwärzlichen und grauen Tönen ge: 
halten, jo ift ein anderes in derfelben Galerie 
befindliches Gemälde des Künftlers geradezu ein 
glänzendes Foloriftifches Meifterwerf. Es iſt 
dies ein auf einer Klippe liegendes und mit 
einer ungeheuren Seejchlange fpielendes Meer: 
weib, an deren Seite ein Triton in eine große 
Mufcel ſtößt. Ein Hauch wilder Poefte, ver: 
mifcht mit derbem Humor, ift über diefem Bilde 
ausgebreitet, welches jomit die beiden entgegen: 
gefegten harakterijtiihen Eigenſchaften Bödlin: 
ſcher Kunft klar veranjchaulicht. Die Vereinigung 
diefer beiden Momente aber ift es vor allem, 
die ihn zum Nomantifer ftempelt, wie feinen 
anderen zeitgenöfftichen Künftler. Wie in dem 
eben erwähnten Gemälde die Fiquren fat in 
Lebensgröße erfcheinen, ift die fabelhafte See: 
ihlange doch fogar mit fichtbarem Behagen in 
ausgiebigitem Format dargeftellt, fo auch in 
demjenigen Werfe, welches eine Jlluftration der 
dritten Idylle des Theofrit bildet, die von 
Daphnis und Amaryllis handelt und hier tritt 
die Liebe Bödlins zu den alten Klaffifern, die 
ihn durch fein ganzes Leben begleitet, fichtbar 
hervor. Aus ihnen ſog feine Shönheitsdurftige, 
dem modernen Treiben abgemendete Seele fort 
und fort Nahrung. Eine fonnige Heiterkeit ift 
über dieje Idylle in Farben ausgegofjen. Im 
Vordergrunde fteht an einen Felſen gelehnt der 
junge Hirt und haucht feine Liebesflagen in die 
ftille Luft, während Amaryllis, die Najade, im 
Hintergrunde, im Dämmerlicht einer Grotte, 
den Tönen lauſcht, die ihr, nach Geſichtsaus— 
drud und Haltung zu fchliegen, durchaus will: 
fommen find. Man erficht deutlih, daß die 
fehnfüchtigen Klagen bald verftummen werden, 
denn die Erfüllung der Liebeswünfche des Hirten 
jcheint nicht fern. Der Körper desjelben zeigt 
den Uebergang vom Knaben: zum ünglings: 


379 


alter und ift ungemein reizvoll behandelt; die 
ftrenge Schönheit der Antike ift darin mit mo: 
derner Empfindung verſchmolzen. Die Land: 
ſchaft, in der dieſes Liebesidyll fich abfpielt, iſt 
wie in Duft und Glanz getaucht; es ift ein lieb: 
licher Frühling des Herzens wie der Natur, 
der auf die Leinwand gezaubert ift. Wenige 
Schöpfungen des phantaftifchen Künſtlers atmen 
eine fo reine Grundftimmung; es iſt offenbar 
in einer fonnigen Periode feines Lebens und 
Schaffens entjtanden. Bon feinen zahlreichen 
fonjtigen in der Schadjchen Galerie befindlichen 
Arbeiten feien noch erwähnt: „Wald mit Nym— 
phe”, eine feiner früheiten Arbeiten, eines 
Pouſſin in jeder Weife würdig und in der mar: 
tigen Binfelführung wie in der Kraft des Kolo: 
rit3 von feinem feiner fpäteren Bilder über: 
troffen; ferner: „Herbitlandichaft, durch die der 
Tod reitet”, ein Bild von jchauerlichpadender 
Wirkung, voll phantaftifhen Schwunges, dann: 
„Landſchaft“ mit dem Gang nad) Emaus als 
Staffage und manche andere. Die eben er: 
wähnte, wie jo manche andere Landſchaft des 
Meiſters zeigt deutlich den italienischen Charafter, 
denn aus der dortigen Natur hat er fort und 
fort die reichjte Anregung gefchöpft, obgleich er 
verhältnismäßig nur geringe Studien nad) ihr 
gemadt hat. Es genügt ihm, die Natur mit 
dem jcharfen Auge des Malers zu betrachten und 
fie dann mit Hilfe eines ftaunenswert ftarfen 
Gedächtniſſes auf der Leinwand zu reproduzieren, 
was der fünftlerifchen Wahrheit feiner Schöpfun: 
gen nie fchadet, ſondern diefelbe womöglich erhöht. 
Jedenfalls ift feine großartig dichteriiche Auf: 
faſſung der Natur, der nichts Kleinliches und 
Zufälliges anhaftet, hauptſächlich diefer Eigen: 
tümlichfeit feines Schaffens zuzuschreiben. 

Im Jahre 1858 wurde er im Verein mit 
Reinhold Begas, Lenbah und Namberg nad 
Meimar an die vom Großherzog neu errichtete 
Kunftihule berufen. Dort entjtand unter an: 
derm fein Gemälde: „Schloß am Meer”, eine 


feiner bedeutendften Schöpfungen. Es ijt eine 


Dichtung in Farben und mutet wie eine herr: 
liche Ballade an. Das Schloß iſt von See: 
räubern am frühen Morgen überfallen und an: 
gezündet, der Befiter getötet worden, die Weiber 
und Kostbarkeiten aber werden von den Räubern 
fortgefchleppt. Es ift ebenfalls in zweimaliger 
Ausführung, einmal mit dem Schloßbrand und 
einmal ohne denfelben dargeftellt. Ferner ent: 
ftand in Weimar fein dem Umfang nad) bedeu— 





380 Ernft Koppel. 
tendſtes Werk: „Jagd der Diana”, auf welchem 
die Natur des italienischen Südens, von herr: 
lichen Frauengeftalten belebt, abermals zu be: 
raufchendem Ausdrud gebracht iſt. 

Lange aber duldete es den Naftlofen nicht 
in dem troß feiner glorreichen Vergangenheit 
einfam gewordenen lmathen und im Jahre 
1861 fiedelte er abermals nad) Nom über. Hier 
auf dem Boden, dem fie entjprofien, erfaßte ihn 
der Zauber, den feine jchöne Gattin ſtets auf 
ihn ausübte, jo mächtig, daß er fie ala Mufe in 
einem wundervoll idealifierten Porträtgemälde 
verewigte. Die reinfte und mächtigite Liebe hat 
bei diefer Geftalt Zug für Zug den Pinjel ge: 
führt und das ift wohl das Geheimnis der zün: 
denden Wirkung, die es auf der Ausstellung in 
Münden im Fahre 1863 ausübte. Allein troß 
diefer und mancher anderen vielbewunderten 
Schöpfung, troß ununterbrocdhenen Strebens 
nad) ſtets vollendeter Technik in Zeichnung und 
Kolorit blieb die äußere Lage des weltfremden 
Mannes eine unfihere. Das große Publitum 
fonnte fein Vertrauen zu einem Künftler fajlen, 
der nicht felten mit Produkten voll wunderlichiter 
Laune, greller Unnatur und gemwaltjamften Far: 
benerperimenten hervortrat, die jelbit feine Be: 
wunderer zeitweilig an ihm irre machten. Es find 
wunderbare Gegenſätze in dieſer dämonifchen 
Künftlernatur vorhanden, die ſich zum Teil aus 
dem Zwang und dem Zwieſpalt, in dem ſich 
feine Jugend bewegte, erklären, aber auch wohl 
nur zum Teil; das Unerflärliche daran wurzelt 
in den tiefen Geheimniffen, die mehr oder 
weniger jede Menjchennatur in fi fchließt. 

Am Ende war es doc) die Vaterftadt, die 
fich fo lange nit um ihn gefümmert hatte, die 
fich feiner erinnerte. Schon die „Jagd der Diana” 
war für das Mufeum zu Baſel erworben wor- 
den und hatte allgemeine Bewunderung erregt, 
daher man denn auch nicht zögerte, dem Künſt— 
ler die maleriſche Ausfhmüdung des Mufeums 
zu übertragen. Die dort befindlichen Fresken 
von feiner Hand vermodten jedod nicht, ein 
Band zwiihen ihm und der Vaterjtabt zu 
Inüpfen, denn der grenzenlofe Reichtum feiner 
Natur offenbart fich in ihnen in einer Fülle und 
Vielfeitigfeit, die wohl geeignet find, den nüch— 
ternen Sinn zu bedrüden und zu ängftigen. Sie 
itellen den aus dem Wafjer geborenen Geilt der 
Natur, Flora mit ihren Kindern und Apollo mit 
dem Viergejpann dar und ift antiker und mo: 
derner Geift auch in diefen Arbeiten zu herr: 


Urnold Bocklin. 


licher Wirkung verbunden, die freilich nicht fofort 
auf den eriten Blid in die Augen fpringt. Die 
übrigen, damals in der Vaterjtadt entftandenen 
Arbeiten befunden einen Hang zum Unflaren 
und Traumhaften, der Künftler fcheint fich der 
unliebfamen Wirklichkeit gegenüber troßig in das 


Reich der Phantafie geflüchtet zu haben, das 


ihm jederzeit willig ihre Pforten erſchloß, eine 
Einfeitigfeit, der fich fein ſchöpferiſches Können 
ungeichädigt hinzugeben vermag. 

Noch einmal im Jahre 1871 wandte er fi 
nad) München, wo fein Selbjtporträt, der „Gen: 
taurenfampf“, „Ceres und Bachus“ und andere 
entjtanden. Seit einer Neihe von Jahren in 
Florenz weilend, ſchien er dort endlich eine 
bleibende Stätte gefunden zu haben, allein die 
Sehnfucht nah der Heimat reifte den Ent: 
ſchluß, fih in Zürich niederzulaffen. Seine 
Schöpfungen find heute wie ftet3 völlig un: 
gleichwertig, aber feine ſchöpferiſche Kraft jtrömt 
fo voll und reich, wie in den Tagen feiner Ju— 
gend. Namentlih, was das Kolorit anlangt, ift 
ein eigentümliches Schwanfen bei ihm wahrzu— 
nehmen. Oft find feine Farben von einer Glanz: 
und Leuchtkraft, als feien fie von einem inneren 
Feuer erhellt, oft aber von einer Härte und 
Trodenheit, die abjtoßend wirkt. Nach wie vor 
ftrebt der Künftler unermüdet nad) technifcher 
Vervolltommnung, nad) wie vor fchlägt er ſich 
mit ftet3 neuen Problemen herum, die ihn zu 
abjonderlihen Erperimenten verführen. Aber 
jelbft unter der mandmal abjtogenden Hülle 
tritt fein geniales Können dem fchärferen Blid 
fiegreich zu Tage. 

Der Künftler wird nie im eigentlihen Sinne 
populär werden, denn einerfeitö ift die poetifche 
Idee, die er faſt allen feinen Schöpfungen zu 
Grunde legt, eher ein Hindernis als eine För— 
derung für allgemeine Würdigung, da die Menge 
von einem Gemälde vor allem Farbenpradt, 
möglichite Naturtreue und finnlichen Neiz ver: 
langt, anderfeits aber iſt es die fehlende Lo— 
falfarbe, die ihm die Wirkung erſchwert. Er 
gehört zu jenen Künftlern, die ftets und überall 
das allgemein Menschliche betonen und darüber 
das Bejondere oder Zufällige vernachläſſigen. 
Sind dergleichen Erfheinungen aber wahrhaft 
ſchöpferiſche Jndividualitäten, fo find fie berufen, 
auch außerhalb ihrer Zeit, in der fie von den 
Wirkungen äußerlich glängender Erſcheinungen 
überholt werden, ihren Zauber noch auf kom— 
mende Geſchlechter fort und fort auszuüben. 


Auguft Beder. 


381 


Sleonore. 


Roman von Auguſt Beker. 
(Fortjegung.) 


un ja,“ fuhr Jenny fort, 
„laſſen Sie mid) einmal wei: 
ter erzählen. Wie war es 
doh?! Nichtig. An der Um: 
hegung unter den Zuſchauern 
ſtanden auch zwei Mädchen, die 
— noch erhitzt und faſt atemlos, vom Spielplatz 
kamen und nun auch ſehen wollten, was da 
vorgehe, — die eine erſt zehnjährig, und nod) 
Hein, die andere nur ein paar ‘jahre älter, aber 
in die Höhe geſchoſſen und ſchon jtattlid wie 
eine Große. Es war ein wildes Ding, ver: 
fihere id Sie, dem fedjten Jungen gewadjen. 
Um jo mehr fonnte man fich verwundern, daf 
fie jest jo merkwürdig ftill und fittig daftand, 
ala könne fie nicht drei zählen, und nur immer 
nad) einem der Studenten fah, der mit Paſtors 
Luiſe, der Tochter ihres Oheims, tanzte. Fragte 
ih: ‚Nora, was gudjte?‘ jo ſchob fie mich mit 
ihrer Schulter weg oder ftieß mir den Ellen: 
bogen in die Seite, daf ich ſchweigen folle, oder 
fagte auch nur: ‚laß mich in Ruhe, Käfer!‘ und 
fah wieder hin. Es mußte wohl aud ihm auf: 
gefallen fein, denn auf einmal fam er zu uns 
her, madte fein Kompliment und fragte, ob fie 
nicht mit ihm tanzen wolle. Sie hätte es wohl 
gern gethan; fie holte tief Atem, und ich meinte 
ſchon, es käme ein ‚Ach ja!‘ heraus.” — Und 
„Jenny, die Erzählerin, feufjte ſelbſt hierbei fo 
tief auf, daß Herbig nicht umhin fonnte, ein 
furzes Lachen hören zu laſſen, während Eleonore 
ebenfalls lächelnd das Geſicht abwandte. Sn: 
des fuhr Jenny mit derfelben Anfchaulichkeit in 
ihrem Bericht alfo fort: „Allein, alle Zujt half 
ihr nichts und fie fagte nur, beflommen, wie ich 
fte noch nie gefehen hatte: Ich darf noch nicht 
tanzen!‘ — ‚Warum denn nicht, mein Fräulein? 
— Ich bin noch nicht fonfirmiert.‘ — ‚Wie alt 
find Sie denn, mein ſchönes Kind?* und dabei 
legte er ihr die Hand unters Kinn. — ‚Drei: 
zehn Jahre,“ brachte fie eben nod heraus. — 





Ich hätte dic) für älter gehalten,‘ jagt er jeßt 
und legt ihr die Hand auf den blonden Kopf 
und fpridt: ‚du bift wie eine Blume!‘ Sie 
fennen ja das ſchöne Lied. Das jagt er bis zum 
Schluß ber, und fie zittert nur jo dabei. Und, 
denken Sie, das große Mädchen ſchämte ſich 
nicht zu weinen, fo oft ich jie daran erinnerte.“ 
„Bei Gott!“ rief hier Herbig. „Es fommt 
mir jet wieder alles in lebhafte Erinnerung. 
Sie ftand jo unbeweglich da, jah nur immer 
fcheu und ſtolz unter den Brauen hervor zu 
uns her, und ich hatte fie doc) furz zuvor noch 
beim Paſtorhauſe in wilden Umbertollen ge: 
fehen. Aber die Krafe war hübſch, ſehr hübſch.“ 
Die Krafe?! Betroffen ſah Jenny ihre 
Nachbarin an; als fie diefelbe jedoch verjtedt 
lachen fah, kicherte fie ſelbſt hell hinaus. Hier: 
über drehte ſich Herbig furz nad beiden um. 
Indem fein Auge auf Eleonorens Zügen weilte, 
glaubte er fich darüber flar zu werden, woran 
ihn ihre Erfcheinung ſchon erinnert hatte, ob: 
wohl Jenny verficherte, es fei ein fremdes Mäd— 
hen, eine Nichte des Paftors Wantrup geweſen, 
die damald im Pfarrhaufe weilte. Man lieh 
es um jo eher dabei bewenden, als man jet 
Jennys Schweiter mit einer jungen Freundin, 
die fich etwas fpät einftellte, den Pfad herauf: 
fommen hörte. 
„Iſt er nett?“ fragte ein Silberjtimmchen. 
„Hm! Nett! das iſt zu wenig. Er ift vor: 
nehm.“ 
„Darf man fi nicht in ihn verlieben ?“ 
„Nur zu,ic gebe dirdie Erlaubnis, Nöschen; 
du wirft aber aud) hierbei zu fpät kommen.“ 
Man glaubte jet das Nümpfen eines Näs: 
chens zu bemerken, und in der That tauchte ein 
ſolches nebſt Grethen ganz nahe der Gruppe 
auf, — ein ziemlich regelmäßiges, rofiges Ge: 
fihtchen, das indes in Burpurlohe jtand, als es 
die Heine Gejellihaft hinter der Hafelhede ent: 
dedte. 





— 


382 


„Ah du lieber Gott!“ rief das Mädchen 
mit der Hand zum Herzen fahrend, hatte aber 
doc) bald wieder alle Verwirrung überwunden 
und plauberte, wie ihm das Schnäbelchen ge: 
mwachjen war. „Denke dir nur, Jenny,“ rief 
fie, dabei Herbig anjehend, „Borns Klärchen 
kann's noch nicht verwinden, daß der junge 
Löweke beim letzten Ball ihr fagte, fie fähe aus 
wie eine Biertrinkerin.” 

„Run, Fräulein,“ mifchte ſich Herbig ins 
Geſpräch, da fie ihn fo fragend anfah, „würden 
Sie ſich dadurch nicht verlegt fühlen ?“ 

„Bott nein! Man darf doch gern Bier 
trinfen und danach ausfehen, — es ift ja ge: 
fund.” 

„Sa, gefund iſt's!“ beftätigte Herbig troden, 
indem er fih an Eleonoren wandte. „Sie 
fpradhen vorhin davon, gnädige Frau, es fei 
eine Mißachtung ihrer felbjt, wenn die Novel: 
liftif fo oft ihre Figuren aus den fogenannten 
hohen Kreifen wähle. Iſt das wirklich Ihre 
Ueberzeugung ?* 

„Gib acht, Nöschen,“ ſagte inzwiſchen 
Jenny zu dem jungen Mädchen, „das Thema 
wird intereſſant.“ 

Aber dieſe fand es durchaus unintereſſant, 
nahm zuerſt Gretchen und dann auch Jenny in 
den Arm und tänzelte ſo über den Raſen hin 
den anderen entgegen. 

„Es iſt meine Ueberzeugung,“ verſetzte 
Eleonore auf Herbigs Frage. „Müſſen es denn 
immer Prinzeſſen, Grafen, mindeſtens Barone 
fein? Das find meiſtens gar unintereſſante 
Menſchen, nehmen e3 aber nachgerade als jelbit: 
verftändlih Hin. Und wie danken fie e8 der 
Litteratur! Aber, mein Herr,“ lenkte fie plöß- 
lih ab, „Sie follten fi) doch nunmehr um die 
jungen Damen fümmern. Das hier war ein 
gar friiches, rofiges Weſen!“ 

„Rofenblühfame Wängelein find feit Fiſch— 
art mein Geihmad nicht mehr,“ verjeßte er 
troden. „Nicht etwa, daß ich der Jugend ab: 
hold wäre. ch liebe es, wo fie noch halb in 
den Kinderſchuhen ftedt, den Glauben an das 
Chriftfind und den Oſterhas hegt, furz noch im 
Paradiefe weilt, nicht aber, wenn fie mit dem 
Beſen der Civilifation herausgefehrt ift und mit 
offenem Munde vor der Erkenntnis ſteht.“ 

„Aber jo verlegen Sie die artigen Kinder 
doc nicht mit Ihren Sarkasmen.“ 

„IH? Nein, gnädige Frau. Das hieße 
Bomben nad) Schwalbenneftern werfen.“ 


Auguſt Beder, 


„Sie follten aber freundlicher gegen fie fein, * 
wiederholte Eleonore etwas fcharf und unmutig, 
vielleicht nur, weil fie fühlte, daß fie jelbit es 
ala eine Genugthuung empfand, wenn er nicht 
nad) der blühenden Jugend fah. „Sie find un- 
galant.“ 

„Und Sie, meine Verehrte, ein Zankeiſen, 
wie ic) ſehe,“ ermwiderte er in einem Tone, daß 
es wieder ihre unmillfürliche Heiterfeit erregte. 
„Ich foll wohl die Püppchen noch anregend, be: 
zaubernd finden. Wirklich? Gerade fo gut fönnen 
Sie verlangen, daß ich Runkelrüben befinge oder 
Beterfilie andichte. Es gibt in diefen fchönen 
Tagen doc) anderes zu träumen! Wie die Sonne 
durh die Wolfen bligt, die Sommerfäden 
wehen! Wie es flimmert, wie es fummt! die 
Luft jo ambroſiſch, die Welt fo farbig! Und ‚diefe 
Färbung ift was fie vorgibt!‘ .. Ach diefe ſon— 
nigen Herbittage! Nun ift gefommen meine 
goldene Zeit . . . Und meine Liebe? 

‚Sie fitt in Thymiane, 

Sie figt in lauter Duft.‘ 
Sagen Sie mir doch, gnädige Frau,“ unter: 
brad er ſich ſelbſt, — „dieſes eigentümliche 
nelkenduftige Roſenaroma, das Sie wie ein 
ſüßes Geheimnis umweht — iſt es bloß eine 
Sinnestäuſchung ſeit ich gelegentlich eine Roſe 
in der Hauptſtadt pflückte, bie ebenſo gewürz— 
haft duftete? Aber, ich ſehe,“ fügte er hinzu, 
ohne ihre Antwort abzuwarten, als er eine 
merkbare Unruhe und Verwirrung in Ihrem 
Weſen wahrnahm, — „Sie wollen das Ge: 
heimnis Ihres Balſams nicht verraten willen; 
das Myſterium diefes Weihrauchs bleibe Ihnen 
aljo. Und nun, da wir fo verftohlen beifammen 
figen, foll ich Ihnen nit sub rosa meine An- 
gebetete ſchildern?“ 

„Ich fehe, daß Sie Luft dazu haben,“ vers 
fette fie, fich zufammen nehmend. „Beginnen 
Sie, aber machen Sie es furz.“ 

„Im Lapidarftil. Sie ift groß, ftattlich, 
ihön von Geftalt und Antlig, in aller Hold» 
feligfeit ernft, ſcheu, und ftolz wie eine Göttin. 
Oder glauben Sie mir etwa nicht ?” 

„Ih will an alle diefe Wunder glauben, 
Doktor, bin aber entichloflen, nicht mehr zu 
thun.“ 

„Wenn ſie lacht,“ fuhr er fort, „hat ſie ein 
reizendes kleines, zartes, weiches Doppelkinn, 
gerade wie Sie, dazu in der Wange ein Grüb— 
chen und daneben ſo ein kleines, nettes, liebes, 
holdes, ſamtweiches Fleckchen, fo ein ſüßes, be— 








Demaskierf. Bon X. Keller. 





384 


rüdendes, zaubervofles winziges Mal, genau 
wie das Ihrige. Kurz, fie ijt ein begehrens- 
wertes, blühendes Weib. Aber, — aber fie hat 
einen großen Fehler.“ 

„Und welchen ?* 

„Ihr Herz ift kalt.“ 

„Das ift vielleicht das bejte an ihr,” ſagte 
Eleonore troden. „Sie haben fih wohl von 
deſſen Temperatur ſchon überzeugt?“ 

„Stebenundzwanzig unter Null. ch weiß 
es gewiß. Denn es iſt das Ihrige.“ — 

„Mit diefer genauen Kenntnis des Wärme: 
grads,“ begann Eleonore nad einer fleinen 
Pauſe, die auf Herbigs Erflärung eingetreten 
war, „müßten Sie vermeiden, überhaupt davon 
zu ſprechen und ſich in galanten Redensarten 
zu gefallen. Bedenken Sie, und vergeflen Sie 
nicht, daß ich eine verheiratete rau bin.“ 

„Darf ich deshalb nicht wünſchen, daß Sie 
es nicht wären?” 

„Es iſt nicht gut, mich das hören zu laſſen.“ 

„An fich ift nichts weder qut noch böſe; 
das Denken macht es erjt dazu.” 

„Sie entwideln jhöne Grundſätze!“ 

„sh eigne mir fie nur an; Hamlet jpricht 
es aus.” 

„Doch nur, wo er für verrüdt gelten will.” 

„Kinder und Narren jagen die Wahrheit, 
und da er Narrheit fimuliert, fühlt er fich ge: 
nötigt, Wahrheit zu äußern,“ bemerkte Herbig. 
„Ahnungsvoll Inapp fpricht er modernite Welt: 
anſchauung aus, Die fennt bloß mehr oder 
minder rüjtige und glüdlihe Kämpfer ums Da- 


fein. Der Poet allein weiß nod von Gemifjen, | 


Eduld und Sühne. Jedes Straudeln und 
Fehlen, das im Leben felbjt wenig bedeutet, 
wiegt ſchwer in der Dichtung. Sie übt uner: 
bittlih Gerechtigkeit, läßt nichts ungefühnt. 
Kein Wunder, daß fie einem Zeitgefjhmad nicht 
mehr entipricht,, auf den nur noch Gewalt und 
Lift wirken, der nur die Macht und den Mam: 
mon achtet und nach Opportunität richtet.“ 
Eleonore ſah gerade vor fih hin und hatte 
nichts darauf zu entgegnen. Ein welfes rotes 
Blatt war von einem der nahen Bäume her: 
geweht und blieb in ihrem Schoße liegen. Sie 
merkte es nicht, aber er. Es übte eine unmwider: 
ftehliche, beitridende Anziehungskraft auf ihn 
aus. Gern hätte er fi in feinen Befit geſetzt, 
ohne es zu wagen. Indes pflüdte er die be- 
iheidene Pflanzenblüte zu feiner Seite und 
reichte fie ihr jchweigend dar. Gern nahn fie 


J 


Auguſt Beder, 


die ſchlichte gelbe Blume an, während er ſelbſt 
das welke Blatt aus ihrem Schoße nahm, als 
ſie es eben erſt bemerkte. 

Raſch erhob ſie ſich hierüber von dem Boden. 
Jene dunkle Wolke war wieder einmal über ihre 
Züge geflogen und lag gewitterhaft um ihre 
Augen, auf ihrer Stirne. Auch er war vom 
Boden aufgeſprungen. 

„Verzeihung, gnädige Frau, einem Unſin— 
nigen,“ bat er. 

Sie kehrte für eine Weile ihr Geſicht ab. 
Als fie es wieder herwendete, war es toten: 
blaß. Seine abbittende Haltung bemerfend, 
winkte fie jedoch mit einer fprechenden Gebärbe ab. 

„Nichts mehr davon. Indes, Herr Doltor 
Herbig,“ fuhr fie mit äußerer Yaflung und 
Sammlung gelafien fort, „Ihre Gabe — es 
ift eine Immortelle — nehme ich als Erinne: 
rung an diejes unfer letztes Zufammenjein. ” 

„Wie jo!“ rief er erfchroden aus. „Sie 
reifen doch nicht morgen ſchon?“ 

„Vielleicht, vielleicht auch nit — einerlei. 
Sie dürfen nicht mehr fommen.“ 

„Nicht? Wer will es mir wehren?” 

„Meine Bitte, mein Wunſch. Wenn Sie 
wollen, mein Befehl. it der Ihnen nichts?“ 

„Für diefen Fall — nicht. Jennys Vater 
hat es mir ans Herz gelegt, mich Ihnen zu 
widmen, gnädige Frau.“ 

„Ob ich diefer Widmung bedarf, ob id) fie 
annehmen will, darüber habe doch wohl ich zu 
bejtimmen. Sie werden nicht mehr fommen, 
Herr Doktor!“ fette fie janft hinzu. 

„Ich werde mich nicht abhalten laſſen,“ 
verſicherte er ruhig. 

„Muß ich etwa,” fragte fie mit einem ver: 
ſteckten Lächeln, „die Eingänge durch handfejte 
Dienftmänner bejegen lafjen ?” 

„sh werde fie beftechen; und zuleßt, meine 
Verehrte, wenn auch das nicht Hilft, greift man 
zur Argumentation des heiligen Eyrillus. Nur 
noch wenige Tage find mir diesjeitö der Alpen 
gegönnt, der Herbjt jo wunderbar. Wie der 
Wald brennt in bunter Glut! est kommt 
meine goldene Zeit oder fie ift vielmehr da. 
Und wenn mich der Weg in all diejer Pracht da= 
herführt, foll ich feinen Blick hereinwerfen, 
nicht vor Ihr Antlig treten dürfen, dejien Anz 
blick mir mehr ift, als alles das!“ 

„Sagen Sie mir doc beiläufig,” fiel fie 
hier ein, „welches war die Argumentation des 
heiligen Cyrillus?“ 


Eleonore. 


„Waren Sie ſchon in Nom, gnädige Frau?“ 

„Borigen Winter.“ 

„Dann fennen Sie auch die vatikaniſche 
Bibliothek und haben ſich die Fresfogemälde 
dort angeſehen?“ 

„Allerdings, wenn auch ohne bejonderes 
Intereſſe.“ 

„So mag Ihnen, meine Ungnädige, das 
Bild entgangen ſein, wie der heilige Cyrillus 
einen Philoſophen widerlegt. Er hat ihn näm— 
lich bereits niedergeſtreckt und fährt fort, mit 
ſeinem ſchweren Biſchofsſtab auf ihn hineinzu— 
ſchlagen.“ 

„Und zu dieſen Beweisgründen zu greifen 
wären Sie ſelbſt fähig?“ ſagte ſie und lachte 





| 


! 


wieder in ihrer holdfeligen Weife, die ftetö be: | 
mit dankbarem Blick ſich verabſchiedend, ſprach 


rückend, ſinnverwirrend auf ihn zu wirken pflegte. 
„Nein, dem wollen wir niemand ausſetzen. 
Allein, es iſt mein feſter Wille und Entſchluß, 
dieſe Begegnung unſere letzte ſein zu laſſen,“ 
fuhr ſie fort, indem ſie wieder in den Ernſt zu— 
rückfiel. Ja, ihre Stimme verriet eine tiefe 
innere Bewegung, und ihre Hand zitterte, als 
ſie, dieſelbe ihm reichend, hinzufügte: „Es muß 
ſein, lieber Doktor. Fügen Sie ſich in das Un— 
abänderliche und — leben Sie wohl!“ 

Nur für einen Augenblick überließ ſie ihm 





die Hand, die er innig an ſeine Lippen drückte; 


dann entzog ſie ihm dieſelbe, wandte ſich merk— 


lich erſchüttert ab und raſch den Raſenhang 


hinunter, während Herbig beſtürzt und mit 
ſchmerzlichem Blick ihr nachſah. 

Und ſo ſollte er mit einemmal aus ſein, 
der ſchöne beglückende Traum! Faſſungslos 
ſtand er und ſah immer noch nach der Stelle, 
wo ſie hinter dem das Haus umgebenden Ge— 
büſch verſchwunden war. 

Ihm war es weh ums Herz, während fröh— 


liches Gelächter von der Höhe des Berggartens 


erſcholl und die ausgelafienen Mädchen über die 
fteilften Böſchungen des Nafenhangs Tiefen. 
Herbig wandte jih um und ſah Jenny allein den 
Pfad herunterfommen. Sie nahm mur mäßigen 
Anteil an der tollen Luſt der anderen und langte 
bei jeder etwas lebhafteren Bewegung bejorgt 


385 


er betrübt. „Die gnädige Frau hat mir das 
MWiederfommen verboten.“ 

Jenny machte hierüber zuerft große Augen. 
Dann aber brach eine jchalfhaft heitere Miene 
über fein gedrücktes Ausfehen und die Nieder: 
geichlagenheit durch, die zu Herbigs Erfcheinung 
und fonftigem Wejen wenig pafjen wollte, 

„Seien Sie getroft, Herr Doktor,“ fagte 
fie. „Es wird wohl nicht fo fchlimm gemeint 


' fein. Hat fie Ihnen das Wiederfommen ver: 


boten, jo dod) nicht das Miederfehen. Morgen 
abend um fünf Uhr wandern wir zur Burg: 
reftauration hinauf. Es ift jedermann erlaubt, 
fih von oben den Sonnenuntergang und den 


Mondaufgang anzufehen. Dder nicht?“ 


„Gewiß, liebes Fräulein!“ entgegnete er, 


noch eine Weile mit Gretchen, empfahl ſich allen 
hübſchen Kindern im Garten und machte hierauf 
einen Spaziergang in die Wälder. 

Erjt bei Mondſchein fehrte er von da wie: 
der zurüd und ummandelte, bevor er fic voll: 
ends in die Stadt begab, nochmals die Umzäu— 
nung des weiten Berggartens, in weldem er 
beraufcht in ein freudejtrahlendes Augenpaar ge: 
ichaut hatte, bis es fich ihm fummervoll verſchloß. 

Um diejelbe Zeit, wo dies Nugenpaar von 
einem Fenſter des Haufes aus nad) dem magi: 
ſchen Glanze gerichtet war, den der Mond zwi: 
schen verfilberten Wolkenſäumen hindurch über 
die Baumgruppe des Hügels beim Pavillon 
oben ergo, jtieß Herbig auf dem jchmalen, den 
Zaun entlang laufenden Pfad auf einen Men: 
chen, welcher ihm geflifjentlich den Weg vertrat. 
Er bat ihn, etwas beifeite zu treten, damit er 
vorüber fünne. Denn auf der einen Seite be- 
fand fi der Zaun, auf der anderen eine hohe, 
fteil nach dem Fahrweg abfallende Böſchung. 

„Bitte recht jehr, mein Herr,“ verjegte je: 
doch gereizt der Gegner, „recht jehr — Sie 


‚ werden mir Rede ftehen, warum Sie, ein völlig 


nad) ihrem Zopfe, den fie nicht wieder verlieren | 


wollte. 

jet kam fie dem jungen Gelehrten ent: 
gegen. ihre Augen fuchten nad Eleonoren, 
und betroffen über den Ausdrud jeiner Züge 
fragte fie, was denn geichehen ſei. 

„sch bin verbannt, Fräulein Jenny,“ ſprach 


Fremder, fih da herumtreiben, umherſtreichen 
und fich jogar einfchleichen, wo Freunden der 


' Familie der Eintritt verfagt bleibt. Was hatten 


Sie heute im Garten zu thun?“ 

„Das geht Sie nichts an,“ verjeßte Herbig 
ruhig. 

„Ich, mein Herr,“ fuhr der andere mit Ver: 
venfungen des Oberförpers fort, die wohl jeinem 


| Auftreten den gehörigen Nahdrud verleihen 
ſollten, „ich habe redlihe Abfichten auf Fräu— 


lein Jenny. Ei ja!” 


386 


„Das geht mich nichts an. Haben Sie mir 
etwas Befonderes mitzuteilen — Sie willen 
meinen Namen und wo ich zu finden bin. — 
Und nun beifeite, Herr Doktor Floh oder Binfe, 
ſonſt — fnide ih Sie.” 

Mit diefen Worten und einem Nud des 
Armes, da der andere nicht gewillt war, den 
Weg freizugeben, ftreifte ihn Herbig über den 
Nand des Wegrains, daß er fich zweimal über: 
ſchlug, bis er unten anfam. 

„Wenn Sie fid etwas gebrochen haben foll: 
ten,“ rief ihm Herbig nach, „jo biete ich Ihnen 
meinen Beiftand an.” 

Allein, der Unterlegene ftand bereits auf 
ben Beinen, hob einen Stein auf, den er jedoch 
wieber fallen ließ, indem er mit der leeren Fauft 
heraufdrohte. 

„Realinjurie! Wir treffen uns vor dem 
Richter. * 

„Gut denn, auf freundliches Wiederſehen!“ 
fagte Herbig und ging feines Wegs. 


5. 


Nieder einen Tag in Zumarten verleben, 
den vollen lieben langen Tag bis abends! Her: 
big befand fich nicht in befter Zaune. Und wenn 
er fie dann wirklich traf an öffentlihem Drt 
unter fo und fo viel neugierigen Augen, ver: 
lohnte es fich faum, war es ihm mehr zur Dual 
als ein Genuß. Dafiten, mitplaudern in nichts: 
fagender Weife von nichtöfagenden Dingen und 
das geliebte ftolze Weib nur ftumm anſchmäch— 
teln wie ein Tiebefiecher Knabe — nein! Er 
fonnte fih in diefe Vorftellung wenig finden. 
Er fühlte, daß fein Lebensglüd in der That 
von diefer Frau abhing. Seine Leidenschaft 
war eine fo tiefe alö ernjte. Er mußte ihr das 
jagen, fie davon überzeugen fönnen, daß feine 
Liebe fühn genug beflügelt fei, um ſich über alle 
hemmenden Schranken hinauszufchwingen, ftarf 
genug, alle Hinderniffe hinwegzuräumen, heiß 
genug, die Siegel zu löfen, durch welche fie 
an einen anderen gebunden, und das Eis zu 
ichmelzen, in welches fie ihr Herz zu legen be- 
flifien war. 

Die Teilnahme, welde er ihr einflößte, 
fonnte ihm nicht verborgen bleiben. a, wenn 
er einer bejtimmten Vorausſetzung nachhängen 
durfte, hatte Schon das junge Mädchen ihm, 
dem Unbelannten, die erften Empfindungen auf: 


| 


Auguſt Beier. 


feimender Neigung gewidmet. Und was war 
ihre jegige Zurüdhaltung anders als Angft, 
Furcht vor dem Hervorbruch heimlich gehegter 
Gefühle, till genährter Flammen! Die Ein: 
fchläferung ihres Herzens war nicht fo jtarf, 
daß es nicht, durch einen Hauch angefacht, unver: 
jehens auflodern fonnte zu einer Zohe, die Bande 
und Fefieln zu Aſche verzehrte — im Nu. 

Der wohlgenährte, glattrafierte, rotwangige 
Glatzkopf vom Oſtſeeſtrand — ihn hielt er, 
ahnungslos und vom wirflihen Sadverhalt 
weit entfernt, nad) allem, was er gejehen und 
gehört, für den Gemahl Eleonorens — pah! 
Diefe feifte und gehäbige Figur durfte wohl eine 
Meile zwifchen einer Trüffelpaftete und einer 
Flaſche Cliquot über den Verluft des fchönen 
Meibes jammern. Bald aß und tranf ſich 
derjelbe Troft wie Fett an und blieb fo fugel: 
rund und fatt, als einer diefer biederen Che: 
helden, die fich auf das Dukatenſcheffel ftellen, 
um der jungen frau den Morgenkuß zu geben. 
In diefer Hinfiht regte fih Herbigs Gewiſſen 
nicht. 

Ob aber Eleonorens Liebe ftarf genug war, 
das weiche Samtpoliter des Reichtums auf: 
zugeben und ſich ein wenig härter und unbe: 
quemer zu beiten! Das Glück, mweldes der 
Mammon bietet, ift ein ausgezeichneter Balſam 
für fleine Herzenswunden junger Frauen; die 
vernarben fchnell unter der Wunderfur, die der 
Reichtum gewährt, und es ift eine fühe Tändelei, 
fie manchmal zu betaften und zu befühlen, wenn 
man feine anderen Sorgen hat. Und was fonnte 
er ihr hiergegen bieten, der Gelehrte ohne Pro: 
feffur? Wenig mehr als ein fehr befcheidenes 
Auskommen für ein genügjames Baar; aljo 
feinen durchaus zureihenden Erſatz, das ver: 
hehlte er fih nicht. Er ftellte fich jelbit fehr 
lebhaft die Frage, ob feine Selbitjucht rückſichts— 
los die ftolze Pflanze dem wohlgepflegten Parke 
entreigen dürfe, um fie auf das Fenſterbrett 
feiner Studierſtube zu ſtellen; ob er fich ſelbſt 
die eingefchlagene Lebensbahn mit fo weittragen: 
den, alle Verhältnifje erfchütternden Entwürfen 
verlegen dürfe, die feinem Schidfal notwendig 
eine andere und vielleicht verhängnisvolle Wen: 
dung geben mußten; und ob er nicht dennod) 
beſſer that, Eleonorens überlegten und mwohler: 
wogenen Nat zu befolgen, ihre Ruhe nicht weiter 
zu ftören, fein Wiederjehen mehr herbeizuführen 
und noch heute die Meiterreife anzutreten, um 
in neuer Beichäftigung und frifchen Eindrüden 


Eleonore, 


der Lebenserſcheinungen feine Leidenſchaft ſich 
abdämpfen und verkühlen zu laſſen. 

Doch hat es der Leidenſchaft nie an Luſt 
und Mitteln gefehlt, alle Erwägungen des Ver: 
ftandes, alle Bedenken des fittlihen Bewußt— 
feins, alle Negungen des Gewiſſens zu beſchwich— 
tigen und zurüdzubrängen. 

Herbig folgte ſchon vor der bejtimmten 
Stunde den Wandelitegen des ſchönen Gehölzes 
am Nordhang des Mäbdelfteins, um die nad) der 
Burg führenden Pfade im Auge zu behalten. 
Als er wieder langjam zu dem reizenden Durd): 
bli bei den Edeltannen zurüdfehrte und in den 
Buchengang einbog, der als glatter Wandelpfad 
unter buntem, bereit3 etwas gelichtetem Laub— 
gewölbe eben an der Halde hinzog, fam eine 
einzelne Dame des Pfads, in der er jofort die 
erfannte, melde er jo angelegentlih fuchte. 
Alles Blut ſchoß ihm aus dem Herzen ins Ge: 
ſicht und floß wieder zurüd. Sm erften Moment 
der Verwirrung zog er ſich etwas zurüd, was 
bei den dort ſich kreuzenden Wegen nicht ſchwer 
auszuführen war. 

„jet trat fie mit dem ihr eigenen reizenden 
Gange und der anmutsvoll ftattlichen Haltung 
aus der Buchenwölbung heraus, Er fonnte be: 
merken, daß fie die von ihm gepflüdten Jmmor: 
tellen am Bufen trug, und ein füher Schauer 
riefelte ihm durch das Gemüt. Eben als fie die 
Edeltannen erreichte und er fich ihr zugejellen 
wollte, wurde fie von einem nad) dürrem Neifig: 
holz juchenden alten Weibe um ein Almofen 
angeſprochen. 

Die Börſe ziehend gab Eleonore der Wald— 
hexe eine Kleinigkeit, und auch Herbig folgte, 
indem er herbeieilte, ihrem Beiſpiel. So hatte 
die Begegnung den Anſchein der Zufälligkeit 
und man war der Verlegenheit enthoben, ein 
ſo unvermutetes Zuſammentreffen zu begrün— 
den, zu rechtfertigen oder zu entſchuldigen. 

Eleonore war behufs eines Spaziergangs 
auf die Burghöhe einſtweilen vorausgegangen, 
die Echweitern wollten erjt nachkommen. Indes 
blieb die Alte noch immer an der Stelle, die 
Hand zudringlich Hinhaltend. Während Herbig, 
ärgerlid) über die Störerin, weiter drängte und 
auf den Pfad rechts eingelenft war, glaubte 
Eleonore, daß einige Feine Münzen ihrer Börſe 
entfallen ſeien, die fie noch immer offen in der 
Hand hielt. 

Sie begann auch fofort nad) denfelben 
eifrig zu ſuchen. Eine Weile fah er ihr zu, 


387 


die Schöne Geftalt mit den Augen verſchlin— 
gend, die auch bei gebüdter Haltung fo viel 
berüdenden Reiz auf ihn ausübte. Dann half 
er ihr fo eifrig mitfuchen, daß fie ihn bitten 
mußte, fich nicht weiter zu bemühen, während fie 
jelbjt von ihm beobachtet ihre Nachforſchungen 
fortjeßte. Endlich hob fie frohlodend ein Kleines 
Geldſtück, das halb unter einem Waldkirſchen— 
blatt verftedt lag, vom Boden auf. 

„Ufo gefunden, “ ftimmte er mit ein. „Neh— 
men wir es als glüdliches Omen.“ 

„Wofür?” fagte fie, die Heine Münze mit 
fihtlicher Genugthuung in die Börfe legend. 

„Für einen genußvollen Abend, Wieviel 
hatten Sie denn verloren?” 

„Diefen Grofchen und vielleicht noch zwei 
Pfennigftüde.“ Und dabei fah fie fih im Wei: 
terichreiten nochmals um, fing fogar wieder zu 
juchen an, gab es jebod) fofort auf, als er aber: 
mals eifrig dabei half. 

„Mit welchen mißtrauishen Mugen Sie mich 
anſehen!“ fprah er im Weitergehen. „Ich 
alaube, Sie find ein Eleiner Geizkragen, gnädige 
Frau.“ 

Sie lachte in ihrer holden Weiſe vor fi 
hin und meinte, daß fie ſich allerdings aud) über 
Heine Verluſte betrüben könne. Uebrigens habe 
fie ſchon eine ganz hübſche Sammlung liebens: 
würdiger Beinamen aus feinem Munde: Geiz: 
fragen, Zankeiſen, Eis: oder Steinherz und 
weitere mehr. Sie fei ihm ſehr verbunden, daß 
er jo viel treffliche Eigenſchaften an ihr entdede. 

Kurz, man befand fih in der Yaune glüd: 
licher Unbefangenheit, als man an die Bergede 
gelangte, wo die Romantik beginnt, wie Eleonore 
meinte, und ber jchroffe Fels, um den der Pfad 
fich in die Fichten windet, ſcharf und ruinenhaft 
vorfpringt. Die tiefjtehende Sonne drang hier 
warm und in braungoldenen Tinten herein, und 
Herbig ſchlug vor, den bevorſtehenden Sonnen: 
untergang von oben anzufehen. Man dürfe 
ohnehin den Beſuch des Mäbeliteins und 
feines Naturſpiels „Mönd und Nonne“ nicht 
verfäumen. Auf fhmalem Waldfteg gelangte 
man auch noch auf den Berggipfel, der in fait 
aleiher Höhe mit der benachbarten Wartburg 
einige Spuren alter Befeftigung aufweist und 
über die Baumgruppen hin das anmutigite 
Belvedere abaibt. 

„Die Sonne fintt und Luna fteigt empor!‘ 
So oft es ſich wiederholt,“ bemerkte Herbig, 
indem er feinen Blick von Wejten nah Diten 


388 


ſchweifen ließ, „es bleibt die ſchönſte Natur: 


Augujt Beder, 


„Die gebildete Jugend, im Nivellierungs: 


eriheinung, und Lord Byron hat recht, ihrer | drang unferer Zeit, hat ihnen die Feljenköpfe 


gleihfam nur zu erwähnen, fie in eine einzige 
Jambenzeile zu faſſen. Er hätte fich jelbjt dem 
auffteigenden Mond vergleichen können zur Zeit, 
da Goethe alterte. Können Sie fi denken, 
welche jtolze Genugthuung die Anerkennung 
durd) unjeren Goethe dem durch die britifche Bru: 
talität verwundbeten Gemüt des Lords verichaffte? 
Bedenken Sie, daß er einmal zu Kapitän Med: 
wyn äußerte, er gebe eine Welt darum, den Fauſt 
im Original lefen zu fönnen.” 

„Ich habe des Kapitäns Unterredungen mit 


Byron durhblättert,* fagte Eleonore, „und es | 
war mir merfwürdig, da beiden die Stelle des | 


Fauſt zu Schaffen machte, mo vonder im Sphären: 
flang tönenden untergehenden Sonne die Nede 


iſt: ‚Und ihre vorgefchriebne Reife vollendet fie | 
mit Donnergang.‘ Sit das Bild nicht etwa zu | 
fühn, wenn man an ein Abendgemwitter nicht | 
ſtand das Paar auf einer freien, felfigen, ma- 


denfen will?” 
„Es entipricht uralter Anſchauung,“ erwi: 








derte Herbig, das verflärte Antlit aleich ihr in | 


den goldenen Glanz gerichtet. „Mit Sonnen: 
auf: und Untergang verbindet fi, wie die Alten 
meinten, ein erfchütternder Klang. Und Tacitus 
in feiner Germania gedenkt in diefem Sinne der 
Mitternachtfonne im hohen Norden — man 
höre den Sonnengott herauffahren und fehe fein 
Strahlenhaupt; als ob der Römer vom Nord: 
licht Kunde habe. Auch Strabo erwähnt aus 
älteren Schriftjtellern das Naufchen derim Ocean 
untergehenden Sonne. Hörten Sie nichts, gnä- 
dige Frau?“ 

„Nur fernes Wagenraffeln und einen dum: 


heruntergeworfen,“ berichtete Herbig. „Nun 
fann der arme Mönd mit Filchart fagen: ‚Was 
hilft’3 nach dem Hütlein greifen, wo das Häupt- 
lein mangelt.‘ Treten Sie näher, gnädige Frau, 
fehen Sie fid) die Gruppe genauer an. Stüßen 
Sie fih nur fed auf mid — es thut nichts.“ 

„Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit, 
Herr Doktor, allein ich verzichte auf weiteren 
Genuß diejer Felſenplaſtik,“ ſagte Eleonore, 
von dem faft ungangbaren Stege nicht entzüdt. 
Sie fehnte ſich nach gebahnten Pfaden, und beim 
Abitieg ging es denn aud in der That nicht 
ohne Stütze; einmal mußte jie fi geradezu heben 
lafjen, was zwar ihren Begleiter nit, wohl 
aber fie ſelbſt zu beläftigen fchien. 

Sie mochte froh fein, alö man jich wieder 
wohlbehalten unten auf dem Promenadeweg in 
den Fichten befand. Aus deren Dunfel tretend 


lerifch mit Legföhren bewachſenen Halde, vor 
ihnen tiefer Waldgrund, jenfeits auf ſchroffer 
Höhe die Wartburg — alles im herbſtlichen Glanz 
und Duft: einer der ſchönſten und fejlelnditen 


‚ Bunfte der reichen Zandjchaft. Unten im Wald- 


und Rafengrund fang ein unfichtbarer Wanderer, 
zu Thal fchreitend, ein Lied von Lieb’ und Leid 


und Scheiden, während die beiden oben ftill an 


pfen Knall aus den Steinbrüchen,“ erwiderte ' 


Eleonore, die Augen voll Abendfonnenglanz. 
„Bon einer anderen Wirkung des Sonnen: 
ſtrahls berichtet die Ortsſage,“ fuhr Herbig in: 
des fort. „Kommen Sie, fommen Sie, gnädige 
Frau, Sie follen mit eigenen Augen jehen. 


Reichen Sie mir die Hand, der Pfad ift fhmal | 
und felfig. Gerade hier hat ſich einft der Kloſter— 
bruder mit der Kloſterſchweſter insgeheim ge: | 


troffen. Beide fühten fich, als der erſte Sonnen: 
jtrahl fie traf und — 


verjteinert dorten: Mönch und Nonne, wie Sie 
jehen.“ 
„Es hat mehr Aehnlichkeit mit einem Bären: 


paar,” bemerkte Eleonore fühl, nach der ſelt- 


ſamen Gruppe im Gebüfch blidend. 





den bemoojten, von Farnfräutern überwucher: 
ten Felsjpalten hinwandelten, auf einem bie 
tiefte Kluft überfpringenden Brüdenfteg und 
durch einen Hain von Fichten und Lärchen hinaus 


zu der Stelle, wo ſich alle Wege unter der Burg 


treffen und fcheiden. 

Herbig zog feine Uhr, äufernd, daß die 
Schweſtern nicht wohl jhon oben fein mögen, 
da die Lichter der Reftauration noch nicht ange: 
zündet feien. Statt des fteilen Anftiegs wähle 


ı man befjer einen angenehmen Umweg, der all- 
mählich hinaufführe. Auf feine Verfiherung, 


fie verfteinerte. Denfen 
Sie fih! Wie hart! Und fo ftehen fie noch heute | 


daf die Pfade durch den Wald ungefährlich und 
bequem jeien, folgte ihm Eleonore auch nad) 
furzem Zaubern. Denn fie fühlte jet jo wenig 
Neigung als er jelbit für größere Gefellichaft, 
die ihr im Grunde nichts bot und wenig zufagte. 

Sie ſchlugen einen trodenen Waldweg ein, 
‚ der bei der Wendung der Burgitraße in der jeit- 
herigen Richtung weiter über den nächſten Felſen— 
budel in den Schoß des Waldes führte. Sie 
ichritten langfam dahin, wenig darauf achtend, 
daß die Abendichatten ſich tiefer auf die Falten 


Eleonore. 


des Gebirgs legten. Erſt als der Weg unter bie 
Wölbung des Hochwalds führte, wodurd der dun: 
felnde Abend plößlich zur Nacht ward, zauderte 
Eleonore vor der hereinbredhenden Finſternis. 

„Fürchten Sie nichts, gnädige Frau,” be- 
Ihwichtigte er. „Haben Sie feine Angjt. Bin 
nicht ich bei Ihnen? Und nun haben Sie die 
Güte, mir Ihren Arm zu reihen, Eleonore. 
Vertrauen Sie mir, ich geleite Sie ſicher. Nir: 
gends joll Ihr Fuß jtraucheln.” 

„Beller, Sie ließen mid) nod) jet zurück— 
gehen,“ jagte fie bänglih, „oder wir wären jo: 
fort hinangeftiegen,* fügte fie hinzu, wobei fie 
jedoch feinen Arm nahm. „Die Nacht wird un: 
heimlich hier.“ 

„Ach nein! Bald wird der Wald fid) lichten, 
der Mond über die Höhe jteigen,“ tröjtete er. 
„Sehen Site, ſchon verjilbert er die Baummipfel, 
blaß zwar nod), bald jedoch heller. Doch hier die 
Heine Pfütze — jo!“ Er hatte fie leicht hin: 
übergehoben. „Es iſt wohl unfer letztes Bei: 
fammenfein, gnädige Frau. Warum mollten 
Sie mir dieſe furze Frift von Glüd nicht gön— 
nen, che wir jcheiden ?“ 

Sie erwiderte nichts, ließ ſich jedoch völlig 
von ihın leiten, wenn fie aud) jeder feiner Hilfe: 
leiftungen auswich, wo der Weg fräftigeren 
Beiſtand nicht forderte. Indes wurde die Finiter: 
nis im Walde immer größer. Nur da und dort 
funfelte es fo jeltfam und fielen jo unheimliche 





Lichtitreifen herein, daß fie jich bänglicher ihm | 


anfchmiegte. So ſchritt man dahin in beklomme— 


nem Schweigen, bis ein leifes Rafcheln oder | 


ein unerflärliher Yaut fie wieder erbeben 
und fchredhaft auffeufzen machte, Allein fie 
fühlte doc allmählich eine gewiſſe Sicherheit in 
jeinem Schuß. In ihre Beflommenheit miſchten 
jich andere wohlthuendere Gefühle, und aud) der 
Schauer gewann phantaftiichen Neiz, wo fid) 
zum Herzpochen das Vertrauen gejellte. 

Eine Weile war alles till und regungslos 
im Walde, nur ihre Pulſe fhlugen, nur ihre 
eigenen Schritte hörten fie. Aber nun zudte die 
ihöne rau wieder ängftlih und nahm feinen 
Arm feiter, indem fie ſcheu ins Didicht fah. 

„Sprad da jemand?” fragte fie mit ge: 
dämpfter Stimme. 

„Ach nein, anädige Frau, der Nachtwind 
iptelt wohl in den Baummipfeln.“ 

„ber, horch!“ fagte fie wieder nad) einigen 
Schritten und blieb einen Augenblid ftehen. 

„Nas denn, Eleonore?” . 





| 


389 


„Das anhaltende Geräuſch — bald leife, 
bald ſtärker!“ 

„Ein Wagen fährt noch fern die Waldſtraße 
entlang über das Gebirge; vom Wind getragen 
ſchwillt fein Raſſeln bald an, bald verweht es. 
Das ift alles, Eleonore,“ 

Und eine Weile lag wieder tiefe Nuhe im 
Fort, und ſchweigend hing fte an feinem Arm. 
Aber nicht lange und es durchſchauerte fie wie: 
der. Und in einem Ton, als fürchte fie ſelbſt die 
vorwaltende Stille zu ftören, fragte jie: „Was 
regte fi) da? Was flüftert jo heimlich? Hören 
Sie nicht?“ 

„Ein Zweig fiel in die dürre Laubdecke, und 
hier rinnt die Duelle des Silbergrabens, Stützen 
Sie fi auf mih, Eleonore. — So, wir find 
hinüber. Nun geht es eben fort. Ningsum fo 
traut, fo ftille nah und fern, und wir allein, 


Eleonore.” 


„Um Gott, wer lacht?“ 

„Sie hörten lachen, Eleonore? Hier lacht 
niemand,“ tröftete er. 

Aber vernehmlich wiederholte ſich ein jelt: 
ſam unheimliher Ruf, ein heulendes, hohles 
Gelächter, daß fie ſich Ängftliher an ihn an— 
ichmiegte. 

„Bejorgen Sie nichts, Eleonore. Der große 
Maldfauz heult in den Klüften oben,” beſchwich— 
tigte er. „Man hört den Nuf allabendlich im 
Bergforit, meine Liebe. Das bedeutet weiter 
nichts.“ 

„Aber — da kommt jemand!“ flüſterte fie. 

„Niemand, Eleonore. Es it alles einfam, 
ſtill.“ 

„sc hörte doch leiſe Tritte.“ 

„Ein Böglein rührte fi oder am Ende war 
e3 eine Waldmaus. Seien Sie unbeforgt, 
Eleonore.” 

„Und dort — der bleihe Schimmer. Iſt's 
Leuchtholz oder — ein Elfchen?“ 

„Der Mondichein fällt durd) die Wipfel auf 
einen jungen Buchenſtamm — fonjt iſt's nichts.” 

„Ich meine das unheimlich funkelnde Augen— 
paar hier!“ 

„Ad, Eleonore, harmlofe Leuchtwürnichen 
figen im Moos.” 

„Wir haben doch nicht Johannisabend,“ 
fagte fie leife mit ihrer fanften einſchmeicheln— 
den Stimme, 

„Es find Weibchen oder auch nur Larven, 
die leuchten immer,“ antwortete er ebenfalls im 


ı Flüfterton. „Die Männchen allerdings ſchwär— 





a 


390 


men nur in Mittfommernädhten gleich Elfen um: 
her mit ihren Lämpchen. Wir glaubten jtets, 
der milde grünlihe Schein fei ihre Hochzeits: 
fadel. Dod nein! Die moderne Wifjenfchaft 
weiß es bejjer. Sie tragen ihr Licht nicht zur 
eigenen Freude, zum eigenen Schmude, zum Er: 
adgen der Menſchen, ſondern — wie die alten 
Weiber Heiner Städte ihre Laternen — zur Ab: 


mahnung; nämlich damit fie nicht von Fleder- 
mäufen und anderen Inſektenfreſſern unvor: 
' ten. „Eine förmlide Paketpoſt aus Emigfeits: 


jihtig weggejchnappt und verzehrt werden.“ 

„Wie fönnen Sie jet herzen!“ 

„Ich ſcherze nicht. Es iſt eine der neueften 
wiſſenſchaftlichen Beobachtungen, daß die Leucht⸗ 
käfer mit ihrem Lichte andeuten wollen: Fleder— 
maus friß mich nicht, ich rieche nach Knoblauch!“ 

„Ach, das erfinden Sie!“ 

„Keineswegs, Eleonore. Ich will Ihnen 
morgen die Stelle in einer ernſthaft gemeinten 
naturwiſſenſchaftlichen Arbeit zeigen. Leugnen 
läßt ſich nicht, Johanniswürmchen haben jenen 
Geruch, der Fledermäuſen nicht bekommen mag. 
Aber laſſen wir das Gewürm am Boden und 
ſehen Sie auf, meine Teure, da leuchten die 
Sterne herein! Wir ſind am Ende des Hoch— 
waldes.“ 

Eleonore atmete tief auf und blidte zum 


Himmel. Denn in der That führte jet der Weg 


aus dem Walde heraus und etwas anfteigend 


auf eine freie Bergede. In der Mondnadt | 


l 





| 





traten zwar die Sterne am Firmament nur 
‚ Höhe in den nächtlichen Bergforft herein. Da: 
' neben glühten die roten Lichter der Burgſchenke 
ſeltſam in die lichtgrünen Lufttöne der Mond: 


ſchwach hervor, doc waren fie zu ihrem Trofte 
immerhin da. 

„Ach,“ ſagte Eleonore, „wie freundlich mu: 
tet ihr Licht uns an und dennoh — wie fern 
find fie — andere Welten, ohne Beziehung 
zu ung.” 


„Voller Beziehungen,“ behauptete Herbig 
‚ Sie von den Meteoren jagen, Eleonore ?“ 
ſich Shon genug? Wir meffen ihre Ferne, ihre | 
Bahn, ihren Raum, ja, wir unterſcheiden ihre | 


fanft. „Wir fehen fie doch. Wäre das nit an 


Beitandteile durch die Speftralanalyje, und fo 
find Beziehungen und Verbindungen mit ihnen 


Auguſt Beder. 


hierüber verjtändigen zu fönnen, iſt nod) nicht 
gelegt.“ 

„sa! Eine Weltpoft in dieſem Sinne fehlt, * 
bemerkte fie lächelnd, indem fie wieder die Augen 
zum Firmament aufidhlug, als eben eine Stern: 
ſchnuppe hinterm Waldgebirge niederzog. 

Auch Herbig hatte das Phänomen bemerkt. 

„Und find Meteorite nichts, Eleonore?“ 
fragte er, gemeinfam mit ihr der Erſcheinung nach- 
blidend, während fie den Waldweg hinanſchrit— 


fernen. Wenn folde Splitter einer zertrümmer— 
ten Welt, ſolche Bruchftüde überirdiicher Materie 
zu uns gelangen, Eleonore, wer will dem ahnen: 
den Menjchengeift den Glauben verargen, daß 
ihm der Weg hinüber in eine andere, beijere 
Welt nicht allzeit verfchlofien bleibe! Da irgend: 
wo eine Melt voll Harmonie da fei, wo die 
Nätjel des Erbenlebens ſich löfen, Herzen voll 
Liebe, die hier getrennt, fi) zufammenfinden!“ 

„Es iſt ein Glaube voll Trojt, den man der 
Menschheit laſſen follte,“ bemerkte Eleonore, „da 
niemand den Beweis zu liefern vermag, daf es 
ein falfcher ift. Was die Meteore betrifft... Um 
Gott”, fuhr fie auf, da fie einen Blid feitwärts 
warf, „da ſcheint uns ja die Wartburg im Rüden 
zu jtehen, und wir gehen noch immer in entgegen 
geſetzter Richtung !* 

Inder That ſah die Burg — ein ganz anderes, 
romantisches Bild, ihre Türme und Finnen 
vom Monde angejtrahlt — phantaftifch von ihrer 


nacht über dem Gebirge. 

„Keine Sorge, Eleonore, * beruhigte Herbig ; 
„bereits hat der Weg ſich gewendet und wird 
oben völlig umkehren, meine Liebe. Was wollten 


„Man möchte vermuten, die heiligen Steine 
vieler Völfer, auch der Kiefel, in welchem ur: 


ſprünglich Jupiter von den Nömern verehrt 


hergeftellt, die uns oft mit dem Nächitliegenden | 


fehlen.“ 

„Glauben Sie,“ fragte Eleonore, die feinen 
Verſuch mehr machte, feinen Arm zu laffen, und 
fi) vertrauensvoll von ihm bergan führen lieh, 
„meinen Sie, daß man droben wohl ebenfo: 
viel von unferer Erde weiß?“ 

„Bielleicht noch mehr, vielleicht nichts, mein 
Kind!” antwortete er. „Ein Telephon, um fich 


worden iſt, feien folche im Lichtglanz vom Himmel 
gefahrene Meteore.” 

„Das leuchtet mir ſehr ein!“ erwiderte 
Herbig und fah fte innig mit funfelnden Augen 
an. „Indes, Cleonore, wird es uns faum be: 
ſchieden fein, in der kurzen Zeit, die uns noch ver: 
gönnt iſt, das große Yebensrätjel zu löfen, um das 
ſich die Schöpfungsurfunden aller Völker, aud) 
der Maori aufNeufeeland, dreht. Denken wir an 
unfer eigenes heiliges Geheimnis, mein Rind. 


Eleonore. 


Soll uns diefe Stunde, wo wir ungejehen von 
den Menfchen in Berges Schoß miteinander 
gehen, foll fie uns nichts fein, als fünftig eine 
wehmütige Erinnerung? Wie lange werden wir 
no jo jelig dahinwandeln, uns fehen und 
iprehen? Sobald wir unter Menjchen treten, 
iſt dies Glüd zu Ende. Morgen vielleicht ruft 
mid meine Aufgabe fhon ab von hier nad 
Eden, Sie nad) Norden. Nun hören Sie mich, 
Eleonore, was id Ihnen fage — an Worten 
wenig, an Anhalt viel. Die Augenblide find 
fojtbar. Wie ih nur eine liebe, nur eine 
lieben kann und alles an diefe Liebe zu ſetzen 
bereit bin — Eie wiſſen es. Oder — Eleo: 
nore!“ fragte er zärtlich, „haft du es noch nicht 
erraten?“ 

„Ob ich es erraten darf! Db id es hören 
darf, Bruno?” entgegnete fie mit Dem gebämpf: 
ten Wohlklang ihrer Stimme, dem Herzenslaut, 
der ihm ſtets fo jchmeichelnd in die Seele flang. 
„Bergefien Sie nicht, daß mir heilige Pflichten 
auferlegt find.“ 

„Pflichten!“ wiederholte er erregt, faſt hef: 
tig, in bebendem Ton. „Und die Liebe? die 
allmächtige Liebe? Gilt fie Ihnen nichts?” 

Eleonore beugte das Haupt, bevor fie be: 
ganıı: „Wenn Siewühten, o, wenn Sie wühten, 
Bruno, an wen ich dachte mein junges Leben 
hindurch, an weſſen Erinnerung meine Seele 
hing; wenn Sie wüßten, daf ich feinen anderen 
Mann mehr jehen, feinen anderen lieben mochte; 
wenn Sie wühten, wie id) Das Geheimnis diefer 
thörihten Liebe in mir getragen als mein 
einziges Glüd, meinen Schmerz, meine Selig: 
feit: Sie würden mid) nicht fo fragen, würden 
mich nicht anflagen. Was mein findifcher Un: 
veritand in jenem Augenblid geträumt, da Sie 
unter den Eichen bei Gatlenburg vor mir ftanden 
— id) habe es als meine eigene, reihe Welt in 
mir verjchlofien. Ich habe geharrt und gehofft 
lange Jahre hindurd, dann ftill verzichtet — und 
die Hand des edeln Mannes genommen, den man 
mir gegeben, den ich ehren, wenn aud) nicht lieben 
fonnte. Ich habe bei mir geichworen, treu bei 
ihm auszuharren. Ich hatte ja gelernt zu ent: 
jagen, zu vergefjen. Und nun, wo der Kampf 
durchgekämpft, das Leid durchgelitten, das Herz 
eingefchläfert war und die Nuhe des Gemüts 
wiederfehren wollte — da tratjt du wieder 
vor mid) hin.“ 

„Und du liebteſt mich, Eleonore, und liebſt 
mid) noch? * Fam es jauchzend aus feinem Herzen, 


— — — — — —— — — — — — — — — 


391 


Ob ſie auch keine Antwort vernehmen ließ — 
es bedurfte ihrer nicht. „O, dieſe Fülle von 
Glück — — und Leid!“ ſetzte er erſchüttert 
hinzu. „Es iſt ein herbes Geſchick, daß wir uns 
ſeit jenem Tanz unter den Eichen nicht wieder 
getroffen. Es hätte ſich alles zum beſten ge— 
wendet. Nun biſt du in Feſſeln geſchlagen, 
Eleonore, und ich ſoll fort. Doch — ich muß ja 
nicht fort! ohne dich nicht! Und deine Feſſeln 
laſſen ſich löſen. An dir iſt es, mir zu helfen, 
dich zu befreien.” 

Eleonore wandte mit von Schmerz zerriſſener 
Miene das Antlit ab. 

„Nie!“ ſprach fie dann. 

„Nie? Eleonore, du liebjt mi und jagit 
nie?“ 

„Es kann nicht ſein!“ 

„Was man will, kann ſein!“ verſetzte er mit 
Nachdruck. „Ich verſchiebe meine Romfahrt, bis 
ſie eine Hochzeitsreiſe wird.“ 

„Sprich nicht ſo viel Glück aus, Bruno,“ 
ſprach ſie mit ſanftem Flehen, „es geht nicht.“ 

„Warum nicht? Die Liebe vermag alles, 
Eleonore.“ 

„Nein,“ ſprach ſie, in innerem Kampfe mit 
ſich ringend, indem ſie ſich ſeinem Arm entwand 
und etwas ſeitwärts trat, „es darf nicht fein. 
Meinen Mann darf ich nicht verraten.“ 

Unmerflid, obwohl der Anjtieg nicht allzu 
janft, waren fie hinangelangt auf die Höhe, die 
dort ein erhabenes Felsplateau mit fchroffen 
Mänden bildet, Seitwärts, nod) etwas höher, 
thronte die Burg in romantischer Pracht. Ueber 
den tiefen Waldgründen lag ein vom Mondjchein 
grünlich angehauchter Duft. 

In ihrer Erregung war Eleonore von ber 
feitherigen MWegrichtung ab auf einen breiten 
Steg getreten, der fcheinbar ungefährlich über 
eine niedere Felsbarre und dann weiter gerad: 
linig dur einen Fichtenwald führt. Herbig 
ſchritt in finfterem Schweigen faft neben ihr da: 
hin auf die Platte, wo einzelne Föhren und 
Eichen eine lichte malerifche Gruppe über dem 
Abgrund bilden, der unbemerkt von jener Weg: 
jtelle in die Tiefe einer ſchattigen Felsjchlucht 
abjtürzt. Ueber den Nand der Platte hin öffnet 
ſich ein reizender Blid in die Waldestiefe, auf 
Gehügel und Schludten bis zu den grünen 
Kuppen des Nennftiegs, Die an jenem Abend 
halb verfchleiert da drüben in der Mondnacht 
aufitiegen. 

Dort, am Rande der Platte, hielt mın Eleo: 





392 


nore, da fie merkte, daß fie einen falfhen Weg ge: | 
gangen ; hinter ihr, am entgegengefeßten Meg: | 
rand jtand Herbig. hr Angefiht war von ihm 
abgefehrt, hinaus in den weiten Waldkeſſel ge: 
richtet ; ihre Augen hingen ftarr draußen; und | 
doc ward fie nichtö inne von dem Zauber der 
Mondnacht, denn ihre Blide ſahen nur nach innen. 

„Das fagten Sie etwas ſpät!“ begann jetzt 
Herbig, das beflemmende Schweigen unterbre- | 
hend, mit Bezug auf ihr letztes Wort. „Jetzt, wo 
Sie wiſſen, daß ich außer ihnen fein Glüd kenne, 
ohne Sie nicht leben mag noch kann, fchneiden 
Sie jede Hoffnung ab. Es ift hart! Indes, 
Eleonore, wagen Sie ſich nicht zu weit vor, 
treten Eie einen Schritt zurüd, Sie ftehen da 
an einem Abgrund.” 

Sie hätte ihm vielleicht erwidern mögen, 
daf es nicht der ſchlimmſte ſei, den fie zu fürchten 
habe. Aber — ihr Herz ſprach berebt für ihn. 
Sie fühlte ſich von feinem Vorwurf betroffen, 
und ihre Liebe war nicht erlofhen. Sie über: 
legte, was fie ihm zum Troft jagen, zu feiner | 
Genugthuung thun und ihn verjöhnen fönne, | 
ohne ihrer Pflicht untreu zu werden. Allein, | 
jo viel fie erwog, nichts wollte ihr in diefer | 
inneren Bedrängnis, in dieſer Seelennot hilfreih | 
ericheinen. So fehrte fie ſich denn in ihrer Rat: 
lofigfeit ihm wieder zu. 

„Seien Sie gut, Bruno!” bat fie bewegt 
und reichte ihre Hand hin. „Seien Sie mir 
nicht mehr böfe! Sie wiſſen nicht, wie Sie mid) 
quälen, wie ich leide, wenn Sie mir fo unfreund: 
lich gegenüberſtehen.“ 

„Und mein Yeid, meine Qual — ift fie 
nichts?" jagte er, fie ungeftüm an ſich ziehend 
und ihre Hand mit Küſſen bevedend. 

Allein wieder wußte fie jich feinem Arm zu 
entwinden und ftand an der früheren Stelle, die 
Ihwimmenden Augen hinaus in die Mondnacht 
überm Bergwald gerichtet. Sie wußte nicht 
mehr, was thun. Sie hielt fih von ihm ab 
und wäre ihm doch gern, wenn aud nur auf 
einen feligen Augenblid, am Herzen gelegen. 
So till war es da draußen, fein Laut, nichts 
regte fih. Der letzte Bauernmwagen hatte das 
Gebirge überfchritten und fein Rafjeln war in der 
Ferne verhallt, Nur ihr Herz pochte faſt hörbar, | 
und das feine, — nur ihr Bufen wogte und ihr 
Atem ging ſchwer und beflommen, 

Da zudte fie jäh zufammen und ftand wie 
betäubt, ein Bild des Schreckens. Ein mächtiger 
Yaut, ein furchtbarer Schrei unterbrad) die Stille 





Auguſt Beder. 


der Nacht und des Waldes. Nochmals! Grauen 
voll, haarjträubend flang es herauf. Und von 
Entjegen übermannt, flüchtete Eleonore vom 
Rand der Hochplatte zurüd in Herbigs Arme. 
Sie barg das Gefiht an feiner Schulter und 
Bruſt. Innig umjchlang er das geliebte ſtolze 
Weib, das nur der Schred bezwungen hatte, 
flüfterte ihr fanfte, fühe beruhigende Worte zu, 
während ber gefrönte König des Waldes unten 
von moofigem Felſenthron feinen Brautgejang, 
noch immer fchauervoll majeftätifh über den 
Bergwald hinrollen ließ. Weit, weit drüben an 
der duftig verjchleierten Berghalde antwortete 
ein anderer Hirih dem nächtlichen Nufer mit 
gedämpftem Gebrüll, gleicd dem Echo. — 

Und vom Mondlicht umflofien, innig um— 
ſchlungen, alles vergeflend, jtand auf der ein= 
jamen Höhe ein ſchönes Menfchenpaar. 


6. 

Die jungen Buchen jchlagen ihre Aeſte über 
dem jhmalen Pfad zufammen, der zur Burg 
zurüdführt. Das Mondlicht dringt nicht Durch, 
und ein Paar, das da wandelt, muß ſich eng 
zufammenhalten. Endlih, draußen auf dem 
Felfengrat, welcher ein jchmales Berajodh bildet, 
wird es licht. Der harte Steinweg iſt nur nod) 
von furzem Gejtrüpp umſäumt; eine einzelne 
Föhre breitet ihren Schirm aus, ein paar wetter: 
gewohnter Eichen halten noch aus, und oben, in 
unerwarteter Nähe, glänzen die Burgfeniter im 
Mondlicht. 

„Nun halte dich feit an mich, mein Herz,* 
fagte er, fie nochmals forgfältig in ihr Tuch 
hüllend. Und um die Scharfe Ede ging es wieder 
im MWalddunfel auf einem aus dem Feld ge— 
hauenen Steg unmittelbar unter der Burg jteil 
hinan, unter der Thorbrüde hinweg, auf den 
fauber geplatteten Hof vor der Burgfchente. 

Sie hatte wenig mehr geſprochen ſeit dem 
Schred am Felsabiturz und das wenige in be- 
drüdtem Ton. Jetzt wollte fie nicht mit hinein 
in das Neftaurationslofal, bevor fie wiffe, wen 
fie innen treffe. Sie bat ihn, fich umzufehen, 
ob die Schweitern Nordhaje da feien, und fie 
jelbjt fette fich auf eine Banf im freien neben 
der niederen Umfaſſungsmauer, über deren 
Scharten und Zinnen hinaus fie in die wun— 
dervolle Mondnacht überm Maldgebirge unver: 


| wandt fchaute. 


Eleonore. 


393 


Der Naturreiz mag fie faum fo gefeilelt | heulte über die fahlen Felder und zerftörend 


haben, daß fie wie verjteinert hinausblidte. 
Eher wählte fie diejen Ausblid, weil von diefer 
Seite niemand in ihr blajjes Antlig und in ihre 
thränenvollen Augen jehen fonnte als der alte 
verſchwiegene Vertraute fummervoller Liebe, der 
Mond. 

Als Herbig wieder herausfam, teilte er 
mit, daß feine befannte Seele mehr innen weile. 
Ein Kellner war ihm gefolgt, um nod) zu be: 
rihten, daß nur ein Fräulein Nordhaſe abends 
heraufgefommen fei, um fich nad) einer fremden 
Dame, die bei ihnen zu Beſuch fei, umzujehen; 
daß fie von einer angelangten Depeſche geſpro— 
chen und in der Borausfegung, die Dame möge 
unterdes heimgefehrt fein, fofort fich wieder den 
Berg hinuntergewandt habe. 

Eleonore fuhr auf diefe Mitteilungen hin 
von ihrem Site auf und machte ſich fo haftig 
auf den Heimmeg, daß Herbig Mühe hatte, ihr 
zu folgen und ihre übel angebrachte Eile in eine 
vorjichtigere, ruhigere Gangart hinüberzulenten. 
Auf dem teilen felfigen Burgwege und noch wei: 
ter hinunter war jedes Straudeln des Fußes 
gefährlih. Es galt, die Geliebte zu ſtützen und 
zu leiten. Mit jtarfem Arm fie ftügend, führte 
er fie vorfichtig bergab, ihr liebevolle Worte 
zuflüfternd, auf welche jie jelten und dann nur 
einfilbig und leife antwortete. Aber fie lie 
ſich willenlos von ihm leiten und entzog ihm 
ihre Hand nicht. 

Schon auf der Hodterrajie traten fie in den 
Nachtnebel ein, welder den Fuß des Schloß— 
bergs bis zu feiner halben Höhe umlagerte und 
allem ein ſeltſam ungemwohntes Anjehen gab. 
Gebäude, Bäume, Weg und Steg jahen fremd: 
artig aus, und jie erkannten faum mehr Haus 
und Garten noch deren Umgebung, jo jehr 
veränderte der weißgraue Flor aud das Ver: 
traute. OD 

Endlich war der Eingang gefunden und fie 
reichte ihm die Hand zum Abſchied. 

„Meine Eleonore,” fagte er, „meine ein: 
zige Liebe, mein Glüd, meine Welt, warum fo 
ſtill? Biſt du mir böfe?“ Und er wollte fie 
nicht laſſen, mochte ſich nicht von ihr trennen. 

Ste war ihm nicht böje. Einmal drüdte fie 
ihre Lippen auf die feinigen — dann entzog 
jte ſich ihm, ftieg zum Haufe hinan, und er jtand 
allein. 

Anderen Tags lag dider Herbitnebel auf 


Berg und Thal. Es war falt, der Nordwind 











durch die bunte Waldpracht, daß ganze Molfen 
von Laub vorüberftoben, Wie ein Heer von 
winzigen Zeuten mwimmelten die gelben Blätter 
auf den Pfaden vor dem Wanderer her. Als 
er über das Kochfeld nad) der bewußten Garten: 
thür auf der Höhe des Berggartens fam, fand 
er fie verſchloſſen — all fein Rütteln half nichts. 
Der Garten war leer, wie auögeftorben, der 
Wind ri am Blattwerf der Bäume, und nur 
an gefhüsten Stellen lag noch das gelbe Laub 
der Birken und Linden wie von den Bäumen 
gefallener goldener Sonnenschein. Sonſt dedte 
auch hier der Nebel alles; man ſah nicht ein: 
mal bis zum Wohnhaus hinunter. 

Auf vertrautem Wege umging er die Um: 
zäunung, bis er in der Nähe des Haufes be: 
merkte, daß man in vollem Auszug begriffen 
war. Fremde Leute gingen aus und ein, ſchlepp— 
ten Hausgerät heraus. Endlich ſah er Fräulein 
Jenny im einfachen Hausfleid hinterm Zaune, 


wie fie einem der Dienjtleute zurief. Als fie 


ihn gewahrte, griff fie in ihr Haar, ob der Zopf 
feftfige, 309 ihr Halstuch enger am Hals zu: 
jammen und trat mit freundlichem Gruße, doch 
etwas fummervoller Miene näher. 

„Ad, Herr Doktor Herbig, Eleonore tt 
fort!” berichtete fie in Elagendem Ton, während 
Totenbläfje über fein Geficht ging. „Schon mit 
dem Frühzug reifte fie weg. Der alte Ge: 
heimrat hat geitern telegraphiert, daf er fie auf 


dem Bahnhof erwarte, und fuhr mit ihr richtig 


davon.“ 

Herbig vermochte fih kaum aufrecht zu er: 
halten. Seine Hände griffen mechaniſch in das 
Zaunmerf, und jtatt daß Worte über feine 
Lippen famen, ſchluchzte jein Herz Frampfhaft. 
Einer guten Weile bedurfte es, bis er feine 
Fafjungslofigfeit jo weit überwunden hatte, daß 
er wieder geordnete Laute hervorbringen konnte. 
Und nun fragte er: „Hat — fie nichts — ge: 
jagt, feinen Gruß — hinterlafien?“ 

„Nichts, nichts, Herr Doktor, gar nichts!“ 


verſetzte Jenny, felbit etwas aufgeregt. „Sie 


war zu verjtört. Uebrigens weiß; id ja jchon 
lange, wen fie lieb hatte, die Arme!“ fuhr Jenny 
fort, während ihre Augen fortwährend zu den 
Arbeitern hinüberichweiften, deren Beſchäfti— 
gung zu überwachen fie im Garten jtand. „Da 
ich num aus ficherer Quelle weiß, wer ber eigent: 
liche Wiederfinder meines Zopfes ift,* und Jenny 
mußte bei der Erinnerung laden, mochte jie 





394 


wollen oder nicht, „kann mir es nur lieb 
jein, daß mein Geheimnis — jede hat das 
ihrige, Herr Doktor — in fo disfreter Hand 
liegt. Ich danke Ihnen, lieber Doktor!” Und 
fie reichte ihm die Nechte über den Zaun. 

Mit freundfchaftlihem Drude hielt er die 
Hand und ſprach: „Leben Sie wohl, Fräulein 
Jenny, grüßen Sie den Vater und die Schwe- 
jter. Ich werde der hier verbrachten Stunden 
nicht wieder vergeffen, und wenn ich je dazu 
beitragen fann, Ihnen das Leben jo freundlich 
zu geftalten, als Sie es verdienen, verfügen Sie 
über meine herzliche Bereitwilligfeit. Leider, 
fürchte ih, es mit Herm Doftor Binfe für alle 
Zufunft verdorben zu haben.” 

„Den Floh meinen Sie? Lieber einen 
ganz alten!“ rief fie lebhaft und mit Laune. 
„Eher will ich meinen Zopf wieder verlieren 
und mein lebenlang feinen mehr tragen. Achten 
muß man doch wenigiteng feinen Mann fönnen. 
Aber — ich rede mit Ihnen da wie mit einer 
Vertrauten, und die Zeute rufen nad) mir. Leben 
Sie wohl!” 

Mit zerrijjenem Gemüt fehrte Herbig in 
jeinen Gaſthof zurüd. Nachdem er an Schupp 
in Halle wegen Nachjendung der Koffer — Genf 
ward als große Haltjtation beftimmt — tele: 
graphiert hatte, ſetzte er fich noch nachmittags 
in den nad) Frankfurt a. M. abgehenden Bahn: 
zug. Nochmals ſah er durd) das Waggonfenfter, 
ließ das Geſchaute und Erlebte letter Tage wie 
Nebelbilder an ſich vorüberziehen. Dann legte 
er fih ans Polſter zurüd und verhüllte fein 
Antlitz. 


Drittles Buch. Immorlellen. 


J. 

Es ſchneite. 

Das iſt nichts Ungewöhnliches bei uns, ſelbſt 
wenn der Kalender den Frühling anfündigt; 
dennod) ein Phänomen, das unfere Sinne be: 
ihäftigt, unjere Stimmung beeinflußt und auch 
in großen Städten mit Behagen wahrgenommen 
wird, zumal vom warmen Zimmer aus beim 
Kaffee und einer Cigarre zwifchen den Lippen. 
Ein präcdtiger Schneefall draußen! Und die be: 
ihauliche Augenweide der beruhigenden Natur: 
erſcheinung wird betrachtſam genoſſen. 

An jenem Märztage ſtöberte es jedoch in 





Auguit Beder, 


Getriebe des Schneeflaums, das Sinfen und 
Steigen, Drehen und Wirbeln der Millionen 
weißer Flocken hatte etwas Verwirrendes. So 
vertieft war jedoch der Bewohner einer geräu- 
migen Studierftube in der Nähe der Irvingianer— 
fiche, fo verjunfen in feine Beichäftigung am 
Schreibtifch, der zwifchen den beiden Zimmer: 
fenjtern ftand, daß er von der Unbill des Wet: 
ters und allem, was fonft draußen vorging, 
nichtö inne ward. Die Temperatur der mit 
Vorfentern verfehenen Stube war durd) einen 


Thermometer geregelt, die dide Wand mit Bü— 


chern bejtellt. Selbſt über dem mit grünem 
Wollendamaft überzogenen Sofa hing ein Ge: 
jtell, das die zahlreihen Bände eines größeren 
Sammelwerfs umfaßte, darüber ein Frauen: 
porträt, eine große Photographie, mit einem 
Immortellenkranz. 

Es konnte noch nicht ſpät am Nachmittag 
ſein, und bereits ſo dunkel! So dunkel, daß 
der Bewohner des Zimmers Mühe hatte, ſeine 
eigene Schrift zu leſen, während er folgendes 
niederſchrieb: 

„Mio carissimo! Daß Du, umſchwebt von 
den Geiſtern des heuchleriſchen Virgil, des 
langnaſig üppigen Ovid und des Schmeichlers 
Horaz, nicht treue Anhänglichkeit gänzlich ver— 
gäßeſt und bei einer Flaſche Falerner Deine 
Gedanken einmal zurücklenken würdeſt zu Dei— 
nem Freunde an der Spree, glaubte ich vor— 
ausſetzen zu dürfen. Allein ich irrte. Mir geht 
es mit Dir wie Mohammed mit dem Berge. 
Da Du mir nicht fchreibft, ſchreibe ih Dir. Ich 
fann nur hoffen, daß Dich die Epiftel jo wohl 
antreffe, als fie mich verläßt. Weilft Du noch 
bis zum Herbſt in der Stadt, die ſeit der 
Wölfin des Nomulus fo viele Ungeheuer ge: 
jäugt hat, fo fomme ic) bejtimmt nad) — wäre 
e3 nur wegen meines Buchs vom Zufammen: 
bang der Künfte mit — — ja, womit? Das 
jolljt du eben erraten, 

Ich glaube, Du weißt noch gar nit, daß 
ih mir bderlei Projekte nunmehr erlauben 
darf, da ich unterdes ein wohlhabender Mann 
geworden bin. Reife deine Augen jo weit auf 
als Du willft vor Verwunderung, e8 ift den: 
noch) jo. Nicht mehr muß ich mit heißem Kopf 
und forgenvollem Gemüt geiftiger Thätigfeit 
obliegen, um die dumme Maffe, den Leib, zu 


‚ erhalten, der nun einmal unferer Seele zum 


Gehäufe dient; jondern ich kann mir zuweilen 


den Strafen der Hauptjtadt etwas bunt. Das | auch einige Erholung und Nuhe gönnen, in 


Eleonore. 


oder jonft jemand. Du fragft wohl: warum | 


einem anftändigen Nejtaurant fpeifen, zumeilen 
eine ordentliche Cigarre rauchen, die notwen: 
digen Bücher faufen und wohne nit mehr 
im fünften Stodwerf draußen bei den Kirch— 
höfen, fondern recht angenehm in einer nicht 
allzu entlegenen Straße des hiefigen Quartier 
latin. Wie mir zu Mute war, als fich die 
Umſtände jo plöglih zu meinen Gunften ge: 
ändert, läßt fich faum ſchildern. Manchmal 
hatte ih in ähnlicher Weife geträumt und es 
fam mir auch jettt wieder wie ein Traum vor. 
Aber ich ſah mih um in meinem bürftigen 
Stübhen. Dort ftand nod) das gejprungene 
Mafchbeden, der wadelige Stuhl, die ange: 
jtrichene Lade ohne Schlüfjel, und zur Thür: 
ſpalte gute meine Wirtin mit der altmodifchen 
Epitenhaube herein, fragend, was ich treibe. — 
Sclafe ih, Madam, oder bin ich verrüdt? 
Und liegen da vor mir wirflih Briefe und 
Tofumente? — Sie ſchlafen nit, Herr Dot: 
tor, und Schreibebriefe liegen gerade genug 
auf dem Tifche! war die Antwort. Kurz, es 
war alles Wirklichkeit, in die ich mich anfangs 
nicht zu finden mußte. Allmählich gewöhnt 
man ſich daran, und ich könnte völlig zufrieden 
fein, wenn nun einmal die Ernennung zum 
Auperordentlihen erfolgte und mir jemand 
bejonders nahe ftände, um meinen Haushalt 
zu bejorgen, eine Mutter, Schmeiter, Tante 


feine Gattin? Carissimo, dem miderjtreben 
verjchiedene Gründe und es gibt dabei viel 
zu bebenfen und zu erwägen: a) woher neh: 
men? b) ob fie mid) lieben könnte! Du weißt 
nicht, wie ſchwer mir fällt, daran zu glauben; 
c) ob ich fie lieben fönnte! Heute, wo die 
Praxis an Stelle der Theorie tritt, denke ich 
an fein italifches Meib, fondern an ein braves 
deutjches Mädchen; und endlich d) ob es ſich 
ihidt, mit einer Frau glücklich in dem Nefte 
zu fiten, das mir eine andere bereitet hat, um 
mir den härteften, mühſeligſten, drückendſten 
Kampf ums Dafein zu eriparen. Erinnerft 
du Di noch an die hier erlebten Stunden bei 
deiner Durchreiſe? Meines Lebens goldener 
Baum ift eine Trauerweide, mein Wohlergehen 





blüht auf dem Grabhügel des edeln, unglüd: 


fihen Weſens, das..." 

Hier brad der Briefichreiber ab, teils weil 
er die Buchjtaben nicht mehr ſah, welche er auf 
das Papier niederzeichnete, teils um nad) dem 


Frauenporträt mit dem Immortellenkranz auf: | 


395 


zubliden, ohne daß er jedoch die Züge des Bild: 
niſſes zu unterfcheiden vermochte. Denn die 
Dunfelheit im Zimmer verhüllte alles wie bei 
vorrüdender Nacht. War es denn fchon fo fpät? 
Er fuchte nach feiner Taſchenuhr, hob dabei die 
mit einer grünlichen Brille bewaffneten Augen 
zum Fenſter und ſah, daß es fchneite, und wie 
ſchneite! In ſchraubenförmigem Wirbel, da: 
hinten an der Wand des gegenüberliegenden 
Rohziegelbaues in reißendem, ſchrägem Schuß 
ſtob und ſchnob der Flockenſturm, während es 
zunächſt vor dem Fenſter hüpfte und tanzte wie 
in willfürlicher Bewegung, ſich nähernd, aus: 
weichend, aufs und niederfchwebend in reizen: 
dem Spiel: alles in raftlofer, wenn auch ftum: 
mer Rührigfeit. 

Denn lautlos legten fich die weißen Flocken 
auf Dad und Fach. Man hörte nur aus eini- 
ger Ferne eine Turmuhr ſchlagen; und indem 
er die halbverwehten, jchläfrig aufeinander fol- 
genden Glodenfchläge zählte, warf er aud auf 
feine Taſchenuhr einen vergleichenden Blid. In 
der That erft drei Uhr nachmittags, und jchon 
fo dunfel! 

„Me Hercle!” fprach er zu ſich ſelbſt, mit 
offenem Munde nunmehr in das mwunderliche 
Getriebe vor dem Fenſter blidend, wo ber 
Schnee wie Millionen Eisjpeere jegt wagrecht 
vorüberfchoß, während es auf der anderen Stra: 
ßenſeite ausjah, ala ſchöſſen die Söhne der Erde 
mit Silberpfeilen gen Himmel, da die Floden 
von unten jchräg nad) oben trieben. Im nächiten 
Augenblid fiel dann der Schnee wieder ſenkrecht 
und jo dicht herunter, als ergöſſe fich alles 
Gewölk, in Floden aufgelöft, vom Himmel zur 
Erde, — ein förmlicher Schneewolfenbrud). 
„Da träume ich mich halb und halb unter ita- 
lichen Himmel, und draußen geht es zu wie im 
Fimbulwinter, der die Götterdämmerung und 
den Weltuntergang einleitet.* 

Seht tönte die Hauäglode. Und da nie: 
mand dem Zeichen Beachtung zu ſchenken jchien, 
wollte bereits der Gelehrte fich zum Deffnen er: 
heben, als ihm noch die Wirtin zuvorfam. Man 
vernahm einiges Stampfen und Puſten; einige 
Morte wurden gewechielt, dann näherten ſich 
fefte Schritte der Thüre des Studierzimmers. 
Man pochte, und auf ein lautes „Herein!* trat 
der Poſtbote in die Stube. 

„Zwei Pakete, Herr Doftor, zum Ein: 
ſchreiben.“ 

Der Gelehrte unterſchrieb und fragte: 


396 


„Nicht wahr, fürchterliches Wetter draußen, 
Briefträger ?" 

„Es ſchneit!“ jagte der Mann ruhig und 
jtedte Zettel und Beitellgeld ein, indem er ſich 
empfahl. 

Mit prüfendem Blid fah der Zimmerbe: 
wohner die Poſtſendungen an. Das eine Paket 
ſchien ein zurüdgejandtes Manuffript zu fein. 
Mit einem zwar leifen doch ingrimmigem „Don: 
nermwetter!” jchob es der Gelehrte beifeite, in: 
bem er bei ſich ſchwor, feinem dieſer urteilslojen 
Buchhändler je wieder unverlangt ein Geiſtes— 
produft vorzulegen. Das andere Paket fam 
weiter her, von jenfeits der Alpen. Der Poſt— 
ftempel zeigte den Namen der alten Roma jelbit. 
Bei der Löfung des Siegels fielen mehrere 
Photographieen römischer Nuinen, Statuen, 
Büften und Veduten heraus, ſowie einige natür- 
liche Gedenfblätter, Laub vom Lorbeer und Del: 
baum, nebjt anderen Blättern von Pflanzen 
eines milderen Klimas. Den wichtigſten Teil 
des Inhalts bildete jedoch ein Brief. 

Vor Aufregung und Spannung förmlich | 
zitternd, entfaltete der Gelehrte den Papier: | 
bogen, legte ihn jedod ungelefen auf den | 
Schreibtiſch, holte fich feine beſte Cigarre her: | 
vor, entſpitzte fie ſorgſamſt, zündete fie bedacht 
und behutjam an, rüdte den Lehnſtuhl dicht 
ans Fenſter, nahm Plab und den Brief vor, 
um fich mit dejien Inhalt vertraut zu machen. | 
Das Schreiben lautete aljo: 

„Lieber Dräfovius! Ich könnte Dir eine 
ungewöhnlich geiftreiche Epiftel ſchreiben, wenn 
ich aufgelegt dazu wäre. Doc bin ich das nie, 
am wenigjten hier in der Haffischen Langeweile. | 
Rom iſt jehr ennuyant, oder bin ich’8 und meine | 
Geſellſchaft, ein paar ftorchbeinige Engländer, 
mit denen ich gaffend und gähnend umher jtol: | 
pere, bis auch mich der britiiche Spleen über: | 
fommt. Mich totzufchiepen bin ich zu faul und | 
macht zu viel Spektakel. Man kann ftill und 
ohne Auffehen aus der Welt gehen. Doc thäte 
mir meine Wirtin leid — eine jo rüftige Traste- 
verinerin, als je eine am Fuße des Janiculus 
gehauft hat, wenn es hieke, ihr Mieter habe 
ſich die Hirnfchale eingerannt. Und fo fite ich 
da und denke über Wanauga, das große Lebens: | 
rätjel der fannibaliichen Maori nad, welches Du 
Dir von Profeſſor Baftian definieren laſſen magit. 

„Grund und Urſach' von all dem it, daß 
bloß mein Yeib hier weilt, mein Herz, meine 
Seele abweſend jind, im Waterlande. Der 


— 


Auguft Beder. 


Regen, der himmeljchreiende Schmutz macht 
mich hypochondrifch. Doc habe ich aud „die 
Sonne nicht zu lieb“, fondern bin ihrer und 
aller diejer „Kinder der Sonne“ mit ihren ölt: 
gen Gefichtern herzlich überbrüfftg. Wie gerne 
gönnte ich Dir alles, was Nom bietet, — und 
es iſt im Grunde nicht wenig, — ganz abge: 
jehen von den bewußten Flaumlippen, Büjten, 
Naden, die nach Deiner Anfhauung hier aus 
dunfelm Laub wie Goldorangen glühen. Wie 
ſehne ich mic) nad) einem vielbefpöttelten Thee 
an der Spree, zu dem man fi durch einen 
abendlihen Schneefall begibt! ch jterbe vor 
Luft zu plaudern und dabei in ein holdes Augen: 
paar zu fchauen, wie es diesfeits der Alpen 
feines gibt. Und ah, Schnee! Schnee! Einmal 
in diefem Winter liegen ſich zwei Flocken fehen, 
und ich langte danach, wie das Kätschen von 
Brieg.“ — 

„Seltfame Gelüfte hat der Menfch!“ bes 
merkte hier der Empfänger des Briefs und fah 
in den Schneeiturm hinaus, bevor er weiter las: 

„Seit ich Abfchied von Dir genommen, Drä— 
fovius, it mir Abjonderliches begegnet. Ich 
habe ein Glüd genofjen, das Sterbliche zu Göt- 
tern erhebt, und ein Leid erfahren, das Titanen 
beugt. Daher nehme ich feine weitere Notiz 
hiervon, fondern nur von Bagatellen. Ich lege 
einige Gedenfblätter bei und was ich ſonſt vom 
Ihüringer Wald bis in den Apennin gefunden, 
auch ein Delblatt aus der Villa des Mäcen in 
Tibur. Den Lorbeerzweig pflüdte ih am Pa: 
laft des Hadrian und hätte auch eine Eidechje 
mit grünem Frack beigelegt, eine falonfähige, 
doppelgefhmänzte Lacerta, der wir dem Waſſer— 
jturz gegenüber nadjtellten, — im Yandhaufe 
des Varus nämlich, unferes alten Befannten, 
welcher fi von den Weitfälingern in den Moor: 
wäldern des Döning vor etlihen Jahren hat 
unbedacht totichlagen laflen; allein, während 
wir die eleganten Bewegungen der Lacerta 
viridis verfolgten und einer vor den Kaskaden 
aufgeführten prachtvollen Symphonie laufchten, 
wurden wir jehr unliebiam unterbrochen. Ein 
Schwarm junger Teutonen zog nämlich durch Die 
Schlucht heran, brüllend: „Als die Römer frech 
geworden!‘ Gräflih! So unverjehens über: 
fallen! Mit zugehaltenen Ohren flohen wir. 
Eichendorff hat umjonft gelebt. Wo tft die Zeit 
hingefommen, wo 


„Sie fangen von Marmorbildern, 
Ron Gärten, die überm Geftein 


Eleonore, 


In dämmernden Lauben verwildern, 

Paläften im Mondenicein, 

Wo die Mädchen am Fenſter Taufchen, 

Wenn der Lautenllang erwacht 

Und die Brunnen verſchlafen raufchen 

In der prädtigen Sommernadt. —“ 
Zu Tibur, in ihrem legten Aſyl, gedachte ich 
aud der hehren Imperatrix des Orients, — 
Zenobia von Palmyra, Königin der Wüfte, einst 
meine jchwärmerifche yugendliebe. Warum 


wohnt fie nicht mehr hier und heit Eleonore? | 


Sc bliebe für immer da! 

„Lieber Kunfthijtorifer, erfundige Dich doch, 
ob nicht ein Geheimerat Wantrup in der Reichs— 
hauptjtadt oder im preußiihen Staatshand- 
buch zu finden ift, — ein kleiner, feifter, rot: 
mwangiger Glatfopf, dem ich alles Gute gönne, 


alten Lehrer, den greifen Geheimerat Betting, 


achte und am wärmiten verehre. ch fehne mich 


397 


niederdeutich die Mare — hat fie — die Haube 
nämlich — verkehrt auf und heit deshalb im 
untern Elſaß und in der Pfalz Letzkäppel, Let: 
bäßel, auch bloß Letzel.“ Dies zur Erflärung, 
wenn ich Dir verfichere, daß auf allen meinen 
Pilgerfahrten die Erinnerung an meinem Lebens: 
blute zehrt, mir faugend am Herzen ſitzt, wie 
eine Mare. Aber, wie gern gäbe ich meine bejte 
Kraft hin, wenn ih, aus dem fortwährenden 
Traum erwacend, fie an meiner Bruft fände, 
deren Bild mich nimmer verläßt. — Im Nord: 
weiten Deutjchlands heifen die Truden Wal: 
rideröfen und fommen zu Pferd heran. Ein 
hübſcher Anklang an die hohen Walküren. 
Brunhild und Chriemhild, diemännermordenden, 


‚ waren ſolche, und ihr Gedächtnis lodte mich auf 
— nur eines nit. Grüße mir auch meinen 


der Herfahrt faft nach Morms hinüber, wo: 


‚ gegen ich fühl an der ‚Totenitadt des Neichs! 
es iſt der Mann, den ich unter allen am meiften | 


danach, das ehrwürdige Antlit nochmals zu | 


fhauen. Die welfen Blätter einer in feinem 
Hausgarten gepflüdten Roſe fallen mir in die 
Hand, und jeltfam, fie atmen den Duft, der 
den jeligiten Moment meines Lebens wie Weib: 
rauch ummwehte. Einen Augenblid ftand id) be- 
rauscht, nun wieder heimat: und freudelos. 
„sh kam vom alten Leman — bitte an 
feinen Yehmann zu denken — das Wallis herauf, 
um über den Simplon nad) Hesperien herunter 
zu fteigen. In Brieg, während der Vorſpann 
genommen ward, fing es an zu fchneien. Sacht 
legten fich die Floden auf den Zilberglanz der 


vorüberfuhr, jo jehr ich den Kaiſerdom liebe. 
Ihn ummimmelt ein Heer jener ‚Näte‘, denen 
Leute von einigem Geift — dort jchägt man 


‚ nur den Weingeift — gerne ausweichen. Dffe: 


Dächer aus Glimmerſchiefer. Drüben, auf der 


Galerie eines Haufes, fanden einige Kinder 
und fahen lachend dem Käschen zu, das vom 
Gefims aus aufmerffam dem Fluge der Floden 
folgte und nad) jeder nahefommenden zierlic) 
mit den Pfoten langte. Warum mir das auf: 
fiel? Ich möchte Kinder haben, die ſich ſolchen 
Anblids freuen fönnen, wie die Wallifer Mäd: 
en und Bübchen. 


„Geſtern war ih in den Albaner Bergen, 
auf der weitausſchauenden Terraffe von Aricia, | 


merkwürdig wegen des Orejtes:Bildwerfs, auf 
welchem Klytämneſtra und Elektra Hauben der: 
jelben Form tragen, wie die überrheinifchen 
Dbftweiber auf dem Karlsruher Markt, — 
nämlid) fogenannte ‚Bätzen‘, die auch den 
poefievollen (Dichtern moderner Studenten: 
lieder zu empfehlenden) Namen ‚Saumagen‘ 
führen. Die Trude — hoddeutih der Alp, 





nen Mundes jtehen fie noch immer vor dem ver: 
meintlihen Mpthrasbild im Dom, das ein 
Mythenkundiger auf den erſten Bli zu deuten 
weiß. Ich hatte Feine Luſt, den Hugen Pfäl— 
zern das Nätfel zu löfen und ſah von ferne 
nad) den überrheiniichen Bergen. 


„Am Rheine, von fchwellendem Hügel, 
Am Abend nac eiliger Fahrt, 

Hebt wiederum Sehnſucht die Flügel, 
Erblid’ ich die blauende Daardt. 

Da drüben, da drüben verglimmen 

Die Lichter im dämmernden Raum, 
Und Heimat und Jugend verſchwimmen 
In einen wehmiütigen Traum, 


Zu Bergen voll Wäldern und Matten 
dinführt ein verftohlener Wen, 
Nußbäume die Strafe beichatten 

Und Mandeln den Himmenden Steg; 
In Lauben von Neben umiponnen, 
In Trümmern Faftanienumraufcht 

Da hab’ ih manch' Märchen erfonnen 
Und Sagen des Waldes erlauſcht. 


Der Zauber ift lange zerronnen, 
Das Feuer verlöfcht und verfohlt, 
Geleert und vertrodnet der Bronnen, 
Daraus id mir Freuden geholt; 


! Der Brieffchreiber vergift zu bemerfen, daß 
„letz“ eben verkehrt heißt, ſchon bei Filcharts „Ye: 
topf“ vorlommt, und daß auch die gräco-italiichen 
BVölfer ihre Empufa und ihre blutfaugenden Lamien 
hatten, 2.8 











Die Kleine Blumenfuderin. 





Von M. Kaltenmofer, 








Eleonore, 


Nicht ahnt’ ich, wie rafch er verfiege, 
Der Leben und Labung mir aab. 
Heut’ fänd' ich die heimifche Wiege, 
Doc Vater und Mutter im Grab.” 


Und fo weiter, Was waren mir einft jene 
Berge, und was find fie mir jegt? — Ein 
ſchnöder Zufall hat mich in diefen böotifchen 
Gefilden das Licht der Welt erbliden laſſen. 
Banaufifh waren die Bewohner von je, und 
feit e8 fait alle Welt ift, find fie e8 par ex- 
cellence. Vorüber! 

„sn Schwetzingen war ih von einem Zug 
zum anderen ausgeftiegen, um mir wieder ben 
berühmten Garten anzufehen. Es war ein 
milder Dftoberabend, als ich durd) das Städt: 
hen zum Bahnhof zurüdtehrte und dabei in 
einen Kramladen trat, um eine Kleinigkeit — 
ich weiß nicht mehr was — zu faufen. Die 
Krämerin war eben im Begriff, ihr kleines 
Mädchen einzufchläfern. Und da dasjelbe die 
Gewohnheit zu haben ſcheint, denen, die es 
liebt, Beinamen von gutjchmedenden Dingen 
zu geben, nahm es in folgender allerliebiter 
Weife Abſchied für den Tag von feinen Lieben: 
„Oute Nacht, Gutedel-Vater, ſchlaf wohl! Gute 
Naht, Zudertorte-Mutter, ſchlaf wohl! Gute 
Naht, Apfelträpfchen-Hannele, ſchlaf wohl!“ 
Ich konnte die Heine Idylle lange nicht aus 
dem Sinne bringen. Ach! welche Seligleit ent: 
behren wir, die wir feine Familie haben! Wenn 
ic) ſolcher Scenen gedente, drängt es mich über 
die Alpen zurüd. Ich muß wieder deutfche Kin: 
ber jehen, in die Augen meiner Eleonore bliden, 
ihre Wangen füffen, und niemand, niemand foll 
mir's wehren! Ich werde fie gewinnen und 
aller Feſſeln entledigen — feiner foll fie mir 
ftreitig machen. Und dann will ich arbeiten, 
wirfen, fchaffen mit aller Luft und Kraft. Und 
meine Kinder follen glüdliche Menjchen werden, 
meinetwegen Hoteliers, Zuderrübenbauern, 
Couponfchneider, Jünger Rothihilds, Geheime 
Regierungsräte, Kaufleute, Fabrilanten, Loh— 
gerber, Advofaten oder fonjt Leute, die andere 
für ſich arbeiten laſſen können — nur feine Ge: 
lehrten oder Dichter, die alles ſelbſt ſchaffen 
müfjen; es müßte denn fein, fie verraten fchon 
frühzeitig das Zeug zu Märtyrern der dee. 

„Steuber war hier in Rom mit feiner 
jungen Frau. Ich traf ihn bei feinem Paten 
dem Apoll von Belvedere, heiter, zuverfichtlich, 
weltmänniſch ftrebend — fie ein Bläßhuhn. 
Ein Bläßhuhn fag’ ich Dir, und weiter nichts, 


399 


„Schon ftrömt hier viel fremdes Volk zu: 
ſammen, um fi für die Ofterfeierlichleiten ein= 
zurichten, kurznaſig fteife Briten und andere 
müßige Leute, deutfche Banquieröfrauen, Stroh: 
witwen, problematifche ruſſiſche Fürftinnen. Ob 
ich felbft über Oſtern hier. bleibe? Nur der 
Wunſch könnte mich hierzu bewegen, die nad) 
Nom pilgernden Frauen aus den Sabiner Ber: 
gen, von der Hite des Weges erſchöpft, auf den 
breiten Kirchentreppen lagern zu jehen, wie fie 
in frommem Gebet auf das frivole Gebahren 
der Barbaren in der ewigen Stadt bliden — — 
noch) diefelben Sabinerinnen, die vor drei Jahr: 
taufenden durch die Bande des Romulus etwas 
gewaltjam zu Müttern der fpäteren Welt: 
beherrfcher gemadht wurden. — Wären fo die 
flachs- und rothaarigen Töchter der Cimbern 
und Teutonen gefreit worden, hätte es an zer: 
kratzten Gefihtern und eingefchlagenen Römer— 
ihädeln faum gefehlt. 

„Weberdies habe ich auch Eleonoren — in 
der Erjcheinung wenigſtens — hier nod) auf: 
gefunden. Alle Tage wandere id) hinaus zum 
Monte Pincio in die Villa Ludovici; dort jteht 
meine Königin des Himmels, meine Hera und 
lächelt mich fo hold, mit fo anmutvoller Hoheit 
an, daß ich in Verfuchung gerate, meinen Arm 
um den edlen Hals, den ſtolzen Naden zu 
ichlingen, mein Gefiht an die weißen falten 
Wangen zu legen und voll Inbrunſt die gött— 
lihen Lippen zu küſſen. Ad, daß es nur eine 
Büfte ift — mein Teuerftes in Nom! 

„Und dennoch, Freund, ijt es nicht ein 
träges, thatenlofes, eines Mannes unmürdiges 
Leben, diejes Dahinfiehen! Darf mir der Mar: 
mor genügen? — ‚Aftion, Aktion, Aktion!‘ 
ſchrie Demofthenes in der Not des Staates. 
Und — ‚endlid einmal ein Stürmle!‘ ſprach 
mein Freund Streichele aus Tübingen, als ihm 
jüngft bei einer Tour durch die Campagna ein 
Unwetter das Dad) feines Aſyls auf den Schä— 
del ichleuderte. 

„Bielleicht, vielleiht fomme ich bald, ehe 
man ſich's verjieht. Vielleicht bevor der deutjche 
Winter völlig zu Ende und aller Schnee ge: 
fallen und gejchmolzen ift. Denn die Schidjals: 
tragödie meines Herzens drängt zur Peripetie, 
ber Knoten muß gelöft, meinetwegen durchhauen 
werden. Es ſpitzt fih in mir alles zur Ent: 
jheidung zu. Gut denn, fo führe ich) es zur 
Kataſtrophe, jo oder jo. Ich muß fie wieber: 
finden, die mir alles ift. Sie muß losgelöft 

51 





400 


werden aus dem unmürbigen Bann und Bund, 
und übelgefügtem Zufammenhang. Sie muß 
mein werden, wenn ic) leben und gedeihen foll, 
mein, ganz mein! Es ift eine abfolute Not: 
wenbigfeit, wie die Blüte dem Baum, von dem 
man Früchte erwartet. 

„Und wenn mir diefer Mai nicht blüht — 
und eine böſe Ahnung flüftert mir als Furie 
ins Ohr, daß mir mein einziges Glück, welches 
ih nunmehr erjtrebe, vorenthalten bleibe — 
dann mag der Uelle, der Kubanda, Schari oder 
fonft ein noch unbekannter Riefenftrom im Innern 
des ſchwarzen Erbteils als mein Styr meinen 
Lebensnachen ins Unbeftimmte treiben oder zer: 
ichellen, wo und wie es ihm beliebt. 

„Mio, empfehle mich vor allem meinem 
hochverehrten Lehrer, Geheimerat Betting, zu 
deſſen Füßen ich einſt als begeijterter Hörer ge: 
feflen, und fage ihm, da vielleicht bald dem 
ehrwürdigen Manne fich perfönlich wieder vor: 
jtellen wird Dein treuer Freund 

Bruno Herbig.“ 


2. 

Draußen fchneite es noch immer fort. Nad): 
dem er die ſeltſame Zufchrift gelefen hatte, 
ſaß Dräſow wie faljungslos da und ftarrte in 
den ununterbrochenen Schneefall, ohne auch nur 
eine Flocke zu gewahren. Wirrer als der weiße 
Flaum draußen, trieben durch fein Gehirn ſich 
Worte und Begriffe umher, die ihm vom Lejen 
zurüdgeblieben waren. Cine bejtimmte Vor: 
ftellung jedoch hatte der Brief nicht hinterlaſſen, 
der in feiner Hand auf die Kniee niedergejunfen 
war. Bläßhuhn, Kätchen von Brieg, elle, 
Balmyra, Schwetzingen, Aricia, Couponfchnei: 
der, Barus, Banquter, Eidechſe im rad, 
Stürmle, Glatzkopf, Brunhilde, Apollo, Sau: 
magen, Letzbätzel — ein Wirrwarr von Namen 
durchwirbelte ihm den Kopf, ſchlimmer noch als 
das Flockengewimmel den Luftfreis draußen — 
alles ging funterbunt durcheinander, bis er fi 
entſchloß, das leidenfchaftlihe Schreiben, das 
wenigjtens von der Unruhe und Gährung in 
der Seele des Verfafjers unverkennbar Zeugnis 
ablegte, nochmals und zwar auf feinen Zwed 
hin zu überfliegen. Doch vermochte er erit all: 
maählich zu einem Schluß zu gelangen. 

„Da made fih nun einer einen Vers 
darauf,“ jagte Dräſow fopfichüttelnd zu fich 
felbjt, die Augen auf die flüchtig hingeworfenen 


Anguft Beder. 


Säte geheftet. „Meines Erachtens verfucht 
man es nicht. Indes, unternehm’ ich es einmal, 
diefe Auslafjungen des Freundes mir far zu 
machen, fo liebt er eine Zenobia Lehmann, — 
ei — nicht doh! Der vertradte Menſch ftedt 
mich mit feiner Konfufion felbft no an. Die 
Hera Qubovici hält er für feine Marmorbraut 
und will feine Kinder Lohgerber und Compag: 
nons von Nothichild werden laſſen. Toller 
Einfall! Oder vielmehr — allmählih fommt 
man doc dahinter, daß einiger Sinn in dem 
Briefe ftedt — feine Liebe heit Eleonore; der 
Geheimerat Betting — Wantrup wollte ic) 
fagen — ift ihr Vater oder am Ende gar ihr 
Gemahl. Wahrhaftig! Der Gegenftand diejer 
Leidenſchaft fheint in der That eine verhei: 
ratete Frau zu fein. Merkwürdiger Menſch! 
Sind noch fo viele ledig und er verliebt fich in 
eine verehelichte! Und ich foll, wie es fcheint, 
herauäfriegen, mo fie zu finden. Meines Er: 
mefjens läßt man feine Hände davon! Wenn 
eine jo friedfame Natur, wie die meinige, ſich 
in den Tumult einer Seele miſcht, die von fol- 
chen Leidenſchaften gährt, wie die einige, gerät 
fie leicht in den Strudel und wird mit fort: 
gerifien, verfhlungen, ohne helfen zu können. 
Sehen wir zu, was fid) fonft für ihn thun läßt. 
— a, ja, er meint, er dürfe nur fommen und 
zugreifen. Diefer Herbig, den man feiner vor: 
trefflihen Eigenfchaften halber lieb haben muß, 
ift doch einer jener Menjchen, die alles befigen, 
was glüdlih machen fann, und alles thun, fich 
unglüdlih zu fühlen. Nichts genügt ihnen, 
wenn es im einzelnen nicht geht, wie fie wün— 
iden. Stets haben fie nur fih und ihr Glüd 
im Auge, oder doch das, was fie dafür halten, 
und ſetzen alles daran, ſich unglüdlih zu 
machen! — Wunderlich ift es doch, daß er gar 
nicht danach fragt, wie mir's geht, was aus 
Pauline Brodholt, Steubers verlafjener Braut, 
geworden iſt.“ Und hier hob Drafow wieder 
die Augen nad) dem Frauenporträt mit dem 
Immortellenkranz überm Sofa und feufzte. — 
„Wantrup! Wantrup!* fuhr er dann nad: 
denfend und überlegend fort. „Der Name iſt 
mir nicht unbelannt, ein Geheimerat Wantrup iſt 
mir jedoch noch nicht vorgefommen, gibt's wohl 
auch nicht. Aber von einem Profeſſor Wantrup 
muß ich ſchon gehört haben. Halt! Heißt nicht 
fo jenes gelehrte Original — der Schwieger: 
vater des Geheimerats Betting?“ 

Dräſow ftarrte nachſinnend vor ſich hin, 


Eleonore, 


vermochte jedoch zu einer Klarheit nicht zu 
fommen und hob nun eine der dem Briefe bei: 
gelegenen Vhotographieen nad) der anderen auf, 
um fie zu betrachten. Zuerſt feſſelte ihn dabei 
der Kopf der Hera Ludovici. Göttliche Züge 
voll anmutvoller Hoheit. Und ihr follte Her: 
bigs Geliebte ähnlich ſehen? Cinem Weibe mit 
diefem olympifchen Haupte glaubte er felbjt 
ſchon im Leben begegnet zu fein, und zwar vor 
nicht allzulanger Zeit hier in der Reichshaupt— 
ſtadt. Die hohe Frau war ihm ſelbſt aufge: 
fallen; wer fie jedoch war, davon hatte er Feine 
Ahnung. 

Allmählich verlor er ſich in den Anblid der 
anderen Photographieen und fand zwifchen den: 
jelben auf dem Tiſche eine bereits jtarf abge: 
griffene Vifitenfarte von fehr fleinem Format. 
Er wollte fie hinwegſchieben, da er fie für eine 
ältere, bei ihm abgegebene hielt, bemerkte je: 
doch, daß fie befchrieben war und hob fie halb 
abſichtslos, gleihfam nur mechanisch vor die 
Brille, Flüchtig überlas er die Zeilen, anfäng- 
lich ohne Anteil an dem Inhalt, dann von dem: 
jelben nicht weniger gefefjelt, als von der hüb: 
ihen weichen Schrift. Und mit wachſendem 
Staunen las er: 

„Ich habe Dir etwas im Vertrauen mit: 
zuteilen, denfe Dir heute morgen als ich meinen 
Zopf anjteden will, ift feiner zu finden bitte 
jud dod mal, wo wir gejtern geweſen find; 
halt eö aber geheim vor allen. Ich kann es 
faum vor Lachen aufs Papier bringen. 

Jenny Nordhaſe.“ 

„Was iſt denn nun das?“ ſprach Dräſow 
zu ſich ſelbſt, nochmals das zierliche Billet 
wendend, prüfend, von allen Seiten betrach— 
tend. Wie war denn dies ‚niedliche Zeug‘ zu 
ihm gelangt? Unter den ihm befannten weib: 
lichen Weſen gab es feine Jenny Nordhafe, 
feine, die bei mangelhafter Interpunktion fo ge: 
füllige, anziehende Billets fchreiben konnte. 
Aber, gehörte auch diejes Kärtchen zu den von 
Herbig beigelegten Gedenkblättern? 

Die Annahme that ihm weh, er wußte 
jelbft nicht warum, indem er Gedanken über den 
Zufammenhang der Dinge nahhing. Es war 
jo viel keuſche, mädchenhafte Schalthaftigfeit in 
den wenigen Beilen. Sie hatte ihren Zopf ver: 
loren — wie drollig! Ber ihm? So fehr ihn 
diefe Vorausfegung fchmerzte, mußte er ſich 
doch — alles in Betracht ziehend — geftehen, 
daß das Billet, aller Wahrjcheinlichleit gemäß, 


401 


dem Lorbeerzweig, Dlivenblatt und den Photo: 
graphieen beigelegen war. Allein Herbig hatte 
doc im ganzen Briefe nichts von einer Jenny 
Nordhaje erwähnt; die Zeilen waren wohl aud) 
nicht an Herbig gerichtet; ein Mädchen bittet 
doch faum den geliebten Mann, nad) ihrem ver: 
lorenen Zopf zu fuhen. Nein, nein! Das ganze 
Schreiben ſo — fo natürlih, jo ſittſam, fo 
geihämig, fo voll untrüglicher Unſchuld! 

Se länger ſich Dräfow mit dem Kärtchen 
beſchäftigte, deſto angenehmer fühlte er fich von 
deſſen Inhalt angemutet. Allmählich fo jehr, 
daß er alles andere darüber vergaß. Ein fürm: 
liher Zauber wirkte aus diefen weichen Schrift: 
zügen, bis er nachgerade nicht mehr daran dachte, 
dab fie feineswegs an ihm gerichtet waren. 
Obwohl die Zeilen an und für fich feinen An: 
haltspunft dafür boten, daß der Zopf nidht von 
einem alten Kopf mit runzeligem Antlit ge: 
fallen war, bezweifelte er feinen Augenblid, 
daß die Schreiberin anders als jung fein könne. 
Diefe Jenny Norbhafe mußte ein noch ſehr 
jugendliches, ein fehr gutes, ein fehr liebens: 
würdiges, ein fehr hübſches, ein ſehr heiteres 
und nettes Frauenzimmerchen fein. Je länger 
er aljo das Billet anfah, deſto beijer gefiel es 
ihm famt der unbekannten Verfafjerin. Die 
Sehnſucht nah einem friedlihen Haushalte 
drängte ſich plößlic Tebhaft vor. — Und 
wie? Wenn Jenny jest mit leifem, ſchweben— 
dem Tritt und lächelndem Gefiht im Haus: 
häubchen hereinträte! Wenn fie hier am Ofen 
ihm gegenüberjäße! 

Immer gemütlicher malte er ſich das aus. 
Nochmals feine Cigarre anzündend, fand es 
Dräſow nicht überflüffig, ſich recht bequem auf 
dem Sofa in der Nähe des Ofens niederzu: 
lafjen und, während des Schneefalles draußen, 
im behaglichen Zimmer angenehmen Träumen 
und Vorftellungen von einem lieblihen Weib: 
chen nachzuhängen, indem er andauernd Schrift 
und Anhalt betrachtete. 

Dieje Jenny Nordhafe muß noch jung fein, 
folgerte er hierbei, da fie ji die Naivetät jener 
Blütezeit gewahrt hat, wo es nod) drüdende 
Mädchengeheimniffe gibt, deren man ſich nicht 
rafch genug entledigen kann. Cie hat ein hei: 
teres, unbefangenes Gemüt, da fie über ihren 
Verluſt fo jehr lachen fann. Sie ift häuslich, 
weil fie es nicht peinlich empfindet, wegen des 
verlorenen Zopfes ans Haus gebannt zu fein; 
verſchämt, weil fie nicht wünſcht, daß andere 


402 


hinter das Geheimnis fommen; aufrichtig, weil 
fie den Verluft überhaupt einer Menjchenfeele 
eingefteht; bejcheiden, da fie nur verlangt, nad): 
zufuhen, wo man tags vorher geweſen; ord— 
nungsliebend und ſcharfſichtig, weil fie ſofort 
beim Aufftehen in der Frühe den Zopf vermißit; 
voll Sanftmut, da fie ihren Berluft fo ruhig 
und gelafjen erträgt; ohne Eitelkeit, da fie nicht 
lieber den Zopf verliert, als deſſen Verluft ein: 
zugeftehen; hübſch, weil fie weiß, daß ein voller 
Zopf hübſche Mädchen gut kleidet; voll liebens: 
würdigen Humors, da fie über ihr eigenes 
Malheur fo neckiſch ſcherzen kann; fparjam, 
weil fie den verlorenen Zopf überhaupt wieder 
haben will, ftatt fofort an den Kauf eines neuen 
zu denken ... 

Kurz, Gotthold Daniel Dräſow, Doktor 
der Weltweisheit und Docent an der erſten 
Hochſchule des Reichs, ſchloß aus den wenigen 
Zeilen auf ſo viele Tugenden, verlor ſich ſo 
ganz in Erwägungen und Betrachtungen, wie 
ſchön es ſich mit ſolchem Weibchen leben ließe, 
daß er völlig überſah und überhörte, wie nun— 
mehr draußen das Wetter umgeſchlagen war. 
Der Lenzſturm ſchleuderte jetzt große kalte Re— 
gentropfen an die Fenſter und zwiſchen den 
ſchmelzenden Schnee, tobte heulend um die 
Hausgiebel und fauchte wie ein gefangenes Un— 
tier im Schornſtein. Kaum gewahr wurde deſſen 
der Stubengelehrte. Ebenjowenig entjann er 
fih noch) der Vorgänge des Tages und hatte 
gänzlich vergejjen, fi far zu machen, auf 
welde Weiſe das Billet in feine Wohnung ge: 
langt fein mochte. So tief war er in feinen 
Folgerungen aus deſſen Inhalt verloren, fo ſehr 
in Betrachtungen feines häuslichen Glüdes mit 
Jenny Nordhaſe verfunfen, daß er nicht einmal 
inne ward, wie jett jählings die Klingel feiner 
Wohnung gellte, jemand eingelafjen, an feine 
Thüre gewiejen wurde, ungeftüm anpochte und, 
diejelbe aufreigend, hajftig eintrat. — 

Es war ein hoher, ſtattlicher, tief in einen 
Reiſepelz gehüllter Mann, der bereits in der 
Stube jtand, während der Bewohner berfelben, 
noch förmlich verzaubert von dem Zopfbillet, 
ſich nicht enthalten fonnte, es mit einer zärt: 
lihen Anwandlung an feine Lippen zu brüden 
und auf den Namen der unbefannten Geliebten 
einen keuſchen Kup zu prejien. Indes ſpritzte 
der Fremde nochmals unwillfürlih den von 
Schnee und Negen völlig durchweichten Hut ab, 
daf es nur jo ſauſte und Flocken und Tropfen im 


Auguſt Beder. Eleonore. 


Zimmer umherfprühten, wobei aud) der Träumer 
auf dem Sofa, von einigen falten Wafjerperlen 
getroffen, verwundert emporjchredte. 

„Du jchliefft wohl, Doktor!” fing jetzt der 
Eingetretene an, „und ich habe dich aus ſüßem 
Traum geweckt.“ 

Dräſow fprang vom Sofa auf und fah 
den anderen beftürzt, ja entjegt an. 

„Engel und Boten Gottes, was willjt du? 
Wie fommft du hierher?“ 

Der Angerufene trat einen Schritt näher, 
langte nad) des Stubengelehrten Hand und 
jchüttelte fe Fräftig. 

„Richt fein Geift,* fprach der Fremde, „es 
ift der unfelige und wie ich ſehe, unwillkommene 
Menſch ſelbſt.“ 

„Iſt es denn möglich? — Eben erſt erhielt 
ich aus Rom dieſe Epiſtel!“ 

„Kann ein Menſch nicht jo raſch kommen, 
als ein Brief?” fragte der Ankömmling den 
verblüfften Bewohner der Stube, der fein 
Staunen und feine Beſtürzung nod nicht über: 
wunden hatte. „Leider Friehen unfere Bahn: 
züge noch jfchnedenartig von Land zu Land. Co 
lange die Weltpoft unferen Leib nicht mit Tele: 
graphenfchnelle dahin befördert, wohin die 
Seele vorausfliegt, rede man mir nicht von 
Fortſchritt. Ich ſchrieb dir doch, daß ich es nicht 
länger über den Bergen aushalte! Frage aljo 
jet nicht weiter. Sei indes fo gut, wenn du 
dich vom Schred über mein Erjcheinen ermannen 
fannft, und hilf mir den Pelz vom Leibe ziehen. 
Er ift Schwer von Näffe. Habt ihr doc ein 
Metter wie die Samojeden.” 

„Du wollteft ja Schnee!” erwiderte Dräſow, 
der fich noch immer nicht in die Lage zu finden 
wußte, halb vorwurfsvoll jammernd, in Ela: 
aendem Ton, indem er ſich bemühte, dem Gaſte 
den fchweren Mantel abzunehmen. „Du woll: 
teft ja Schnee!” 

„Ganz recht,“ verjette Herbig. „So will 
ich's, fo will ich's. Es geht doch etwas vor. Ich 
mache mir wenigjtens nichts aus dem Unwetter, 
in welchem ich wieder hier in meinem Gafthof 
anlangte, und fahre ſchon feit drei Vierteljtun- 
den umber, um nach dir zu fahnden. In deiner 
früheren Wohnung wies man mich hierher.” 
Und Herbig jah ich in der Stube um. „Dir 
geht es pafjabel, wie mir fcheint.“ 

Dräſow nidte beftätigend und drängte den 
Freund, Platz zu nehmen. Der aber zog vor, 
auf und niederfchreitend die Dielen zu meſſen. 


U. Kleinfhmit, Aus dem Bienenleben. 


„Nun, freut mich. Du zweifelteft immer 
an deinem Stern. Du haft dich gut verhei- 
ratet? — Er fchüttelt mit dem Kopfe und 
Scheint mich zu verftehen, wie der Governore im 
Don Juan. — Alfo ſchlecht gefahren? — Auch 
nicht. So bift du noch ledig und haft nad): 
einander dreißig Auflagen erlebt?" 

„Kommt nicht vor. D nein!“ feufzte Drä: 
ſow, dem es ſchwer fiel, den Eindrud der plöß: 
lichen Erfcheinung des Freundes zu verwinden. 

„So haft du die Lotterie gewonnen? — 
Ebenfalls nicht. — Eine gefegnete Tante be: 
erbt ?” 

„Geerbt ja, aber feine Tante,“ Tautete 
Dräſows wehmütige Beftätigung. 

„Alſo Mutter, Schwefter, Bruder, Onfel? 
Niht? Wen denn?” 

„Ein edles, verfanntes Weſen, dem ich 
ewig Dank und Treue ſchulde.“ 

„So jteht es. ch weiß deinen Schmerz zu 
ehren,” ſprach Herbig, noch immer haftig hin 
und herichreitend. „Allein, als ich eintrat, 
alaubte ich dich in Glüd verloren, jo inbrünftig 
drüdteft du ein Billet oder ein Bild deiner 
Geliebten oder abweſenden Gattin an bie Lip: 
pen. So haft du did) alfo getröftet.” 


(Fortſetzung folgt.) 


Aus dem Bienenleben. 


Don 
X. Kleinſchmit. 


RK; Wiſſenſchaft bietet ein fo unendlich 
reiches, mannigfaltiges und wichtiges Feld 
für unfere Wifbegierde, für Studien und Er- 
fahrungen, als die Naturwiſſenſchaften. Im 
großen ſowohl wie im fleinen treten immer 
wieder neue Erfcheinungen, neue Kombinatio: 
nen zu den alten befannten und bereichern die 
Summe des allgemeinen Mifjens täglich mehr 
und mehr. Kein Studium ift aud) wohl jo inter: 
eſſant als das der Natur; je weiter der gebildete 
Menſch in ihre Geheimniffe einbringt, um fo 
mehr wird feine lebendige Teilnahme von allen 
den bunten Wundern gefefjelt, denen fein Auge 
begegnet. 


403 


Nur wenigen ift es vergönnt, fich Durch den 
Augenschein, 3. B. von dem Haushalte und dem 
Leben der Bienen ein klares Bild zu vergegen- 
wärtigen. Es wird daher dem Leer eine Furze 
Darftellung vielleicht nicht ganz unintereffant 
fein, felbjt wenn er, wie ich wohl vorausſetzen 
darf, hie und da bereits einiges darüber gelefen 
oder gehört haben follte. 

Wie die Wefpen, Hummeln ꝛc. gehört die 
Diene zu den Hautflüglern. Trotzdem unter: 
ſcheidet fie fich, abgefehen von ihrer äußeren Er: 
ſcheinung, von diefen ſehr wejentlih. Während 
die erfteren einzeln leben, einzeln ihren familien: 
ſtand begründen, auch in einen volljtändigen 
Minterfchlaf verfallen, fo tft das bei dem In— 
jefte, von dem ich einzelnes zu erzählen im Be: 
griffe ftehe, nicht der Fall. Die Biene ift nicht 
imftande, ſich einzeln, ſelbſt im Sommer, längere 
Zeit am Leben zu erhalten; fie wird faum vier: 
undzwanzig Stunden überleben, auch dann, 
wenn fie mit Honig verjorgt fein follte, weil 
e3 ihr als einzelnem Individuum einerjeits 
gar nicht möglich ift, während der kühleren 
Nächte denjenigen Wärmegrad zu erzeugen, in 
welhem fie dauernd leben muß, fie würde er: 
ftarren und jterben; anderjeits müßte fie, ein: 
geiperrt, ſich ſo abarbeiten, daß fie aus Er: 
ihöpfung binnen furzem zu Grunde gehen würde. 
Ihr ganzes Leben, ihr Wirken und Wohl— 
behagen fommt erſt im engen Zufammenleben 
mit einem Vienenvolfe zum Ausdrude. Nur 
ein foldhes von Taujenden einzelner Individuen 
it in der Lage, zufammenlebend in einer ent: 
Iprechenden Wohnung, die nötige Wärme zu 
produzieren und diejenigen Bedingungen herzu— 
itellen, welche zur Erhaltung auch des einzelnen 
Inſektes unerläßlich find. 

Auch das Bienenvolf verfällt nit, wie 
einzeln lebende andere Inſekten, in einen foge: 
nannten Winterfchlaf. Dicht zufammengedrängt 
und aufeinander fitt es im Winter auf den 
Honig und Wachstafeln, feine gefamte Lebens: 
thätigfeit allerdings auf ein geringes Minimum 
reduziert, aber doch der ununterbrochenen Er: 
nährung bedürfend, von den Vorräten, diefen 
langjam nachrückend, zehrend und ala Produkt 
ihrer Verdauung die zum Leben nötige Menge 
Wärme produzierend. Jede Biene, welche fi) 
in diefer Winterperiode von dem dichten Haufen 
trennt, erftarrt fofort und muß ihr Wagnis mit 
dem Leben bezahlen. 

So hat man ſich daran gewöhnt, ein ganzes 


404 


Bienenvolf ala Einheit aufzufaſſen, indem es 
nur als jolches Lebensfähigkeit befitt, welche dem 
einzelnen Gliede einer ſolchen Familie vollfom: 
men abgeht. Alle find, ſoweit fie zu einem felb: 
ftändigen Ganzen gehören, der Negel nad) Ge: 
Ihwifter, Kinder eines Vaters und einer Mut- 





A. Kleinfchmit. 


fie umgebenden Kinder den Rüſſel, das Befte 
bietend, was der Haushalt gewährt. Es ift 
als wenn fie das Bewußtſein hätten, daß von 
diefer ihrer Mutter der gedeihliche Fortbejtand 
des gejamten Heinen Neiches abhängig ſei, daß 
fie eö allein fei, welche für zufünftige Generatio— 


ter, wenn die nen ſorgt. 
letztere nicht Schlank 
eine künſtlich und um die 
zugeſetzte Hälfte grö: 
— we nemöhntiche 
ewöhnliche 
eine von den o Arbeits- 
Bienennad): biene, iſt 
De An femnbar für 
2 ennbar für 
gin, die Bie: das geübte: 
— Ay 
uge. Die 
genannt, Quantität 
iſt * ei ber Eierlage 
ge durchaus einer Kö: 
volltommen nigin richtet 
gg * * der 
eibchen, reszeit 
und die aus⸗ und dem 
Gierlgern — 
St er T= 
im Gtode. fe des Vol: 
—— kes und der 
alt be: Ergiebigkeit 
fit nur eine der Honig: 
einzige, frei quellen. 
im Gtode Im Winter, 
fi be- ü zur Zeit, wo 
wegende Kö: das Volk— 
nigin; eine chen nur noch 
zweite wür: ein vegeta⸗ 
de nicht ge: tives Dajein 
— ſie ap ' > 
würde un ie Lebens: 
fehlbar getö: Big. 1. Pimeniäwarın S. 406. bedingun⸗ 
tet, erſtochen gen auf das 


werden. Von dieſer einen Mutter ſtammen 
mit wenigen Ausnahmen ſämtliche Familien— 
mitglieder ab, und es iſt rührend, zu ſehen, 
mit welcher Liebe, Auszeichnung und Auf— 
merkſamkeit fie von ihrem Volke behandelt und 
bedient wird. Von einem förmlichen Hofftaate 
umgeben, bewegt fie fi inmitten des Volfes, 
ihrem Lebenöberufe folgend, von Zelle zu Zelle, 
von Tafel zu Tafel. Willig reichen ihr die 


äußerte Minimum herabgeitimmt find, legt bie 
Königin gar feine Eier. Wie im Herbfte mit 
dem Aufhören der honiahaltenden Blüten in der 
Natur und dem Beginne der fühleren Jahres— 
zeit die Cierlage aufhört, jo beginnt fie nad) 
dem Frühjahre hin, felbit zu einer Zeit, wo die 
Bienen noch in dihtem Zufammengedrängtfein 
fich nicht vom großen Haufen ohne Lebensgefahr 
zu trennen vermögen, oft ſchon im Monat 








Aus der Bienenwelt. 


Januar, allmählich wieder und fteigert fich mit 
der zunehmenden Märme der Luft, mit dem 
wachſenden VBolfreihtume und der beginnenden 
Blütenentwidelung mehr und mehr, bis fie im 
Mai und Juni ihren Höhepunkt erreiht. Eine 
junge, fräftige, fruchtbare Königin eines gut 
überwinterten zahlreichen Volkes von vielleicht 
hunderttaufend Bienen ift zur Zeit der üppigjten 
Blütenpradt imftande, in vierundzwanzig Stun: 
den über dreitaufend Eier zu legen. Wenn 
man bedenkt, daß dreitaufend Eier, in Form 
einer Bohne und der Größe eines fehr Heinen 
Stednadelfnopfes, dicht zufammen und auf: 
einanderliegend, ein größeres Volumen reprä: 
fentieren als die Cierlegerin felbit, jo kann 
man fich einen ungefähren Begriff von der Lei: 
jtungsfähigfeit einer Königin überhaupt und 
von der auferordentlichen Schnelligkeit machen, 
mit welcher die Eier fich entwideln müfjen, mit 
welcher erftaunlihen Rapidität der Stoffmechfel 
vor fid) geht. 

Die natürliche Lebensdauer einer Bienen: 
fönigin beträgt in der Regel fünf bis ſechs Jahre 
und ihre Fruchtbarkeit nimmt mit dem zunehmen: 
den Alter ab; in ihrem ganzen Leben tjt fie wohl 
fähig, eine Million Eier zu legen. Außer in 
ihrer Jugend, dann nod) in dem alle, wo fie 
mit einem Schwarme die alte Häuslichfeit ver: 
läßt, begibt jic) die Königin niemals außerhalb 
des Stodes. 

Die Eierlage ift infofern eine durchaus will: 
fürliche, als es die Königin volllommen in ihrer 
Gewalt hat, je nad) den Umftänden Eier zu 
legen, aus denen fi) männlide, oder joldhe, 
aus denen ſich weibliche Bienen entwideln; und 
zwar werben in die größeren Drohnenzellen aus: 
nahmslos Drohneneier gelegt, aus denen männ: 
lie, in die kleineren Arbeitsbienenzellen nur 
folhe, aus denen weibliche Bienen entjtehen. 
Das Königsmeibchen weiß daher jehr wohl zu 
unterfcheiden und gibt da, wo Drohnen: und 
Arbeiterwachs aneinanderjtogen, ohne längere 
Erwägung oder Unterbrehung nur die ent: 
jprechenden Eier von fih. Seine fehr natürliche 
Erklärung findet diefer Umftand in der That: 
ſache, daß die Königin jedes von ihr abzugebende 
Ei ſelbſt befruchtet oder nicht befruchtet. Im 
eriten Falle wird das Ei zu einem weiblichen, 
. im leßteren zu einem männlichen gejtempelt. 
In früheren Jahren, folange noch entgegengefeßte 
Erfahrungen nicht vorlagen, ftellte man kühn 
die von feiner Seite widerlegte Behauptung 


405 


des Gegenteil auf. Wie wenig bie Unrich— 
tigfeit dieſes Satzes im größeren Publikum nod) 
befannt ift, zeigte mir beifpielsweife vor mehre: 
ven Jahren ein jüngerer Arzt in Pyrmont, 
welcher durd feine Renitenz eine Wette ver: 
lor. Erſt in neuerer Zeit hat man die ſoge— 
nannte Barthenogenefis fejtgeftellt, und ift die 
Biene gerade das vermittelnde Medium bei 
diefer Entdedung gewefen. Das Verdienft diefer 
neuen Erfahrung gebührt dem um die Bienen: 
zucht jo außerordentlich verdienten katholiſchen 
Pfarrer Dierzon in Karlsmarkt (Schlefien), 
fowie den Naturforfchern von Siebold und Hof: 
meister, welche die erſt ſchüchtern auftretende 
und heftig befämpfte Theorie zur unumftöß: 
lihen, auch in wiſſenſchaftlichen Kreifen all: 
mählich anerfannten Thatjache befeftigten. Wie 
ich ſchon vorhin erwähnte, verläßt die jungfräu: 
liche Königin nur einmal den Etod. In 
denfelben zurüdgefehrt, beginnt in der Negel 
nad) vierundzwanzig Stunden das Geſchäft des 
Eierlegens. 

Der evidente Beweis für diefe höchſt inter: 
efjante Erſcheinung wurde durd) die Einführung 
der italienischen Bienen vermittelt, einer Bienen: 
art, welche ſich von unferer einheimischen ſchwar— 
zen durch fhöne gelbe Ringe am Hinterleibe 
auszeichnet und dadurch eine gewiſſe Aehnlich— 
feit mit einer Mefpe erhält, im übrigen jedoch 
wenig oder gar nicht in ihrer Größe, ihren 
Eigentümlichkeiten und Gewohnheiten von der 
unferigen differierend. Diefer Unterjchied in der 
äußeren Farbenzeihnung ift nicht zu verfennen 
und auch dem Laien bei einem oberflächlichen 
Vergleihe ſchon fofort erſichtlich. Eine Kreu— 
zung unferer einheimischen Bienen mit den ta: 
lienern hat nun in eflatantefter Weiſe gezeigt, 
daß die Vererbungsfähigfeit der Rafjeneigentüm: 
lichkeit feitens des Vaters fi) nur auf die weib: 
liche Descendenz erjtredt, während die männ: 
lichen Nachkommen unzweifelhaft die reine Raſſe 
der Mutter beibehalten, der Einfluß des Vaters 
alfo total ausgeſchloſſen bleibt. Cine rein ita— 
lienifche Mutter und ein deutjcher Vater werden 
nur weiblichen Baftarden halb deutjch, halb ita- 
lieniih das Leben geben, die aus diefer Che 
entjprofjenen Drohnen oder Männchen bleiben 
unverfennbarrafjereine Staliener, undumgefehtrt. 
Man hat diefe Verſuche taufendmal und in allen 
möglihen Variationen angejtellt, im Prinzipe 
aber immer dasjelbe Rejultat gewonnen. 

Die Nichtigkeit diejer Theorie geht aud) 


406 


aus einer anderen Erfcheinung unleugbar hervor. 
Hat ein Bienenvolf feine Königin durch irgend 
einen Umſtand verloren und befitt auch nicht 
die Mittel, fih) eine andere Nachfolgerin aus 
eigener junger Brut nachzuerziehen, jo ijt es im 
wahrften Sinne des Wortes weifellos und als 
felbjtändige Familie ohne künſtliche Abhilfe un: 
rettbar dem Untergange geweiht. Es ift dem: 
felben diefe prefäre Lage auch nicht unbekannt, 
und e8 fommt unter 
folden Berhältnifjen 
nicht gerade ſelten 
vor, daß in dem in: 
ftinftiven Gefühle 
desBedürfnifjesnad) 
einem die Meiter: 
entwidelung bedin⸗ 
genden Erſatze, eine 
gewöhnliche Arbeits: 
biene (zwar aud) ein 
unzmeifelhaftes 
Weibchen, aber mit 
derart verfrüppelten, 
in der Entwidelung 
bedeutend zurück— 
gebliebenen Drgas 
nen, die eine Wirf- 
famfeit wie die der 
Königin abjolut un: 
möglih madt) an: 
fängt, in Heine Ar: 
beiterzellen Eier zu 
legen, aus denen fi 





U. Kleinfchmit. 


während dem Wachstum der Arbeiterinnen in 
ihrer Jugend durch die näher aneinander liegen= 
den Bellenwände die engjten Grenzen geſetzt 
find. Auch die Ernährung der Königin aus: 
hlieglih mittels eines Ertraftes aus den ge: 
wöhnlichen Yuttermitteln ift eine intenfivere 
und reichlichere, und mag nicht wenig zu ber 
größeren Ausbildung ihrer förperlichen Verhält- 
nifje beitragen. Es aeht aus dem Gejagten 
ihon zur Genüge 
hervor, daß jede of: 
fene, d. h. unver: 
puppte Bienenmade, 
aber aud) nur wäh— 
rend dieſes erjten 
Lebensſtadiums, 
fähig war, durch Er: 
weiterung ihrer Kin: 
derftube, durch beſ— 
fere und reichlichere 
Ernährung mit ut: 
terertraft, zu einem 
vollfommen ausge— 
bildeten Weibchen, 
einer Königin, erzo— 
gen zu werden. Daß 
diejes auch ſehr häu— 
fig in Wirklichkeit 
geichieht in der prak— 
tiſchen Bienenzucht, 
erfährt man leicht, 
wenn man einem 
Bienenvolfe, das na— 


in gewifjer Zeit aller: ie 3: Mebraßät mit Rönteinelle türlich mit Eiern oder 
dings auch lebendige (oben weht. unverpuppten Ma: 
Weſen, aber aus: den verjehen fein 
nahmslos nur Droh⸗ — 


nen entwickeln. Auch 
hieraus iſt ganz derſelbe Schluß zu ziehen. 
Die Arbeitsbienen, ſo genannt, weil ſie 
ſämtlichen eigentlichen Geſchäften innerhalb und 
außerhalb der Wohnung, des Stockes, ob— 
liegen, ſind im Vergleich zu der Königin ver— 
kümmerte Weibchen, und zwar verkümmert 
infolge ihrer eigentümlichen Erziehung als 
Made und Puppe in kleinerer Zelle und 
durch rohere Futterſtoffe. Eine zur Erziehung 
einer Königin dienende Zelle, nur für das ſpe— 
cielle einzelne Bedürfnis erbaut und nach er— 
fülltem Zwecke wieder abgebrochen, iſt bedeutend 
größer, länger als die Bienenzelle, der kräftig— 
ften Entwidelung hinlänglihen Raum bietend, 


ftanımte lenitime 
Mutter wegnimmt. Flugs wird das Bienen: 
volf, nahdem es feinen Verluft erfannt und 
durch unruhiges Umherlaufen und Suchen dieſe 
Erkenntnis zum Ausdrud gebradit hat, vor: 
ſorglich aleih mehrere Zellen mit offenen 
Maden, befonders an den Kanten der Brut- 
waben, zu Königinnenzellen (Fig. 2) erweitern, 
umbauen. Gewöhnlich den 14. bis 15. Tag nad) 
diefer Manipulation’jchneidet die reifite der ver: 
puppten Königinnen den Dedel ihrer Zelle bis 
auf ein ſchmales Scharnier von innen ab und gibt 
ihr Dafein durch einen hellen Ton: „tüt, tüt“ 
zu erlennen und fpaziert, wenn fie feine Ant: 
wort empfängt, mutig aus ihrem engen Gefäng- 





nifje heraus, wo jie 
dann von ihren Unter: 
thanen bie ihr entgegen 
gebrahteHuldigung ent: 
gegennimmt. Ihre Ma: 
jeftät wird beledt, ge: 
pußt, reftauriert aus den 
Mägen ihres Hofjtaates 
und in ihren Gemächern 
umhergeführtt. Kaum 
wird fte jedod) der noch 
weiter vorhandenen Kö: 
niginnenzellen anfichtig, 
als fie auch jofort in der 
Anmwandlung einer hef: 
tigen Eiferſucht dieſe 
ihre Nebenbuhlerinnen 
zu vernichten ſtrebt. Iſt 
das Volk nicht über— 
mäßig kräftig, zahlreich, 
oder hat es in feiner 
Wohnung mehr als 
hinlängliden Raum, 


Uus dem Bienenleben. 





Big. 4. Bienentetie (&. 410). 


407 


fallen ſofort beide über: 
einander her und ber 
mwütendfte Zweilampf 
findet nicht früher fein 
Ende, ald nicht minde: 
ftend eine der beiden 
Kämpferinnen unter: 
legen iſt. Tritt, ehe ein 
foldies Wolf mit jung: 
fräuliher Königin ben 
beabfichtigten Schwarm 
abgeftogen hat, Negen: 
wetter ein und damit 
die Unmöglichkeit des 
Auszuges, habeninfolge: 
deſſen mehrere Königin: 
nen Zeit gehabt, zum 
Ausihlüpfen aus ber 
Zelle reif zu werben, 
dann fann man an ruht: 
gen Abenden, wenn man 
das Ohr an den Stod 
legt oder auch nur in der 


dann erfennt e3 in der Negel jeine Königin | Nähe des Stodes ſich befindet, ein fürmlidhes 
dadurch förmlich an, daß es ihr diefe Arbeit | Tüt:Konzert in demfelben hören, welches einer: 


abnimmt, die übrigen Meifelzellen zeritört, die 


mehr oder weniger reifen Königinnen 
ohne weitere Umſtände herauszieht, 
tötet oder sans fagon zum Gtode 
hinaus fpediert. Die ermählte Königin 
it nun allein Herrin ihres Neiches, 
hält in den nächiten Tagen ihren 
Hochzeitäausflug und beginnt ihr 
Eierlegen. Fühlt dagegen ein Volt 
den VBollbefig feiner Kraft und iſt 
die bisher innegehabte Wohnung zu 
enge, dann zieht es teilmeife mit der 
jungfräulichen Königin ala Schwarm 


aus und die nädjitreife Mutter entfchlüpft im 


Big. 5. Bienentopl 
iwergrößerti, 


jeits von den noch inhaftierten Königinnen etwas 


dumpfer Elingend, herrührt, ander: 
jeitö jedesmal von der frei ſich be: 
wegenden Königin, als Kundgebung, 
daß der Thron von ihr bejegt ift, heil 
beantwortet wird. 

Jedem Kinde iſt es befannt, daß 
die Biene die Sammlerin und Liefe— 
rantin des Honigs iſt. Zu Taufenden 
fieht man fie im Frühjahr auf einem 
reihen Blütenfelde umherſchwirren, 
mit dem Rüſſel in das Innere jeder 
Blüte dringend aus ihr den ſüß duf— 


tigen Saft aufſaugen, um im nächſten Momente 


alten Stocke unter denſelben Erſcheinungen der | zu einer anderen Blüte zu eilen, ohne Unter: 
hat. | brechung, die ſüße 


Puppe. Wohl: 





räumt 





weislich bleibt Sollte e8 der | ohne ſich Bürde in 
fie aber im Be: Zufall bei | Nuhe zu eine Belle 
wußtjein ihrer einer folhen | gönnen, bis ablädt, um 
größeren Gi: Gelegenheit | ihre Honig: auf neue 
cherheit jo lan- einmal fügen, blaſe gefüllt Ernte aus: 
ge in ihrer | was aller: iſt und fie zufliegen. 
Zelle, Bis ihre ash ginn dings wohl ſchwerbe— — Reiche Ho— 
Vorgängerin (wergrößern), höchſt ſelten laden nad wergrößert, ©. #12), nigweidege: 
das Feld ge: vorfommt, Haufe eilt, währen u.a. 


daß eine zweite Königin ihre Zelle verläßt, 
während bie erfte noch im Stode weilt, dann | 





namentlich die Objtbaumblüte, der Naps, Som: 
merfamen, Cjparfette, Zuzerne, Weißklee, die 
ro 


os 


itized | 


408 


Linden: und bie Heibelblüte. Nicht alle Blumen 
aber enthalten Honig und nicht zu jeder Zeit, 
auch ift der Honig nicht aus allen Blüten erreich- 
bar. Es ijt merfwürdig, welden Einfluß die 
Elektricität auf die Blüten hat; nad einem 
itarfen Gewitter mit heftigem Bliten find die 
ergiebigjten Honigquellen plößlich total verfiegt 
und die Pflanze muß erft wieder neue Blüten 
treiben, um den Bienen Weide zu bieten. Die 
Kinder, na: tenföpfe des Not: 
mentlih auf fees an ſüßem Safte 






dem Lande, find, denn fie rup— 
wilfen, wie fen die Kelche ab 
reich die Blü- und faugen fie aus. 


I Den Bienen ift diefe 
5 sehr reihe Quelle 
gänzlichverjagt, weil 
die Blütenfelche zu 
tief find und der 
Bienenrüffel zu kurz, 
um auf den Boden 
berjelben gelangen 
zu können. Man fieht daher feine einzige Biene 
ein blühendes Notkleefeld befuchen. Wunderbar 
ift e8, wie rafch die Bienen, felbjt auf weite Ent: 
fernungen, alle Süßigkeiten wittern; hat exit 
eine Biene genafcht, ſo finden fie fich jehr bald 
icharenweife ein, um an dem lederen Mahle teil: 
zunehmen. Ebenfo willen fie jofort, wenn die 
eine oder andere Quelle ihres Labſals verfiegt 
iſt. Es ift unzweifelhaft zu erfennen, daß die 
Vienen ein natürlihes Mitteilungsvermögen 
untereinander befigen müfjen, auch andere Er: 
ſcheinungen weifen auf das Vorhandenfein eines 
ſolchen evident hin. 

Obgleich bei fehr ergiebiger Weide der Honig 
von den Bienen in der Eile häufig in dem un- 
teren Teile der Waben interimiftiich abgeladen 
wird, fo wird er doch fpäter möglichjt nach oben 
translociert und dort in den Zellen, immer von 
oben nad) unten bebedelt, d. h. mit einem dün— 
nen Wachsblättchen luftdicht verſchloſſen. Es 
würden ja ſonſt die flüſſigen Beſtandteile zu 
raſch verdunſten, der Honig zu ſehr verdichtet 
werden und ſchließlich kryſtalliſieren, ſo daß die 
Bienen im Winter, trotz ihrer Vorräte und auf 
ihnen ſitzend, verhungern könnten. Dergeſtalt 
kryſtalliſierter Honig iſt für die Bienen ungenieß— 
bar, weil ſie ihn ohne Waſſer nicht auflöſen 
können, Waſſer aber niemals für den Winter 
aufgeſpeichert wird. Daher findet man nach 
recht langen Wintern und namentlich, wenn eine 


Vio. 8. 
Dinterbein einer Arbeilsbiene. 


U. Kleinfchmit, 


Herbitweibe gefehlt hat, der Honig alfo fehr alt 
ift, auf dem Boden des Stodes häufig eine 
Maſſe Kryftalllörner, die zur Flugzeit, wenn die 
Bienen Wafjer einholen fönnen, von diefen forg: 
fältig wieder aufgelefen, aufgelöft und verwertet 
werden. Will man fi feinen Bienen nun gern 
gefällig erweifen, fo ſetzt man ihnen ſchon aleich 
in den eriten Flugtagen vielleicht etwas verfüh: 
tes Waſſer in einer flahen Schüffel mit Spänen 
belegt, um fie vor dem Ertrinfen zu ſchützen, in 
die Nähe des Standes, und man wird fehen, wie 
wohl die Bienen die Aufmerffamfeit, die ihnen 
vielleicht mande weitere Wege erfpart und fie 
vor manchen Gefahren bewahrt, aufnehmen. 
Warum jpeihern denn die Bienen ihre 
Wintervorräte immer oben im Stode, jede Zelle 
damit füllend, die von junger Brut frei wird, 
und nicht unten, etwa in der Nähe des Flug: 
loches, auf? Ganz abgefehen davon, daß er dort 
vor Näubern ficherer iſt, fo ift die Zweckmäßig— 
feit auch fchon aus dem Grunde fehr plaufibel, 
weil nad einem alten Grundfage die Wärme 
ftetS nad) oben zieht. Würde der Honig im 
Parterre aufbewahrt werden, jo müßten aud) die 
Bienen da ſitzen und natürlich ſchmählich frieren, 
während die obere Etage wohlgeheizt und be: 
haglidy warm wäre, Ya, noch mehr wird ber 
Lefer ftaunen über die auferordentlihe Klug: 
heit der Bienen und die trefflihe Einrihtung 
ihres fünftlihen Hausftandes, wenn er hört, daß 
fie alle Risen ihres Wohnhaufes bis auf das 
Flugloch mit Harz dicht verkitten, welches ihnen 
meiſt die Nadelhölzer liefern, damit ja feine 
Wärme entweicht. Man wird fi diefe und ähn: 
lihe Eymp: 
tome eines 
vernünftigen 
Nachdenkens 4) 


damiterflären &: . 


fönnen, daß 

man ſagt, es  Gie9. «Gi, d Made, c Puppe (E. 400. 
find das Ge— 

wohnheiten und Eigentümlichkeiten, die immer 
wieder von Generation zu Generation weiter: 
vererbt, Ächlielich fonftant in der Nafje werden 
mußten. Aber aud in improvifierten Aus: 
nahmefällen wiſſen fi die Bienen fehr praf: 
tiich zu helfen. 3.8. man legt ihnen eine 
tote Maus auf den Boden des Stodes. Voll 
Furcht oder Abſcheu biegen fie ihr anfäng: 
lich vielleicht aus, gehen ihr aus dem Mege; 
damit wird aber das immer unangenehmer wer: 





Aus dem Bienenleben. 


dende Objekt nicht bejeitigt; fie bejehen fich den 
Fall näher, zerren, rupfen am Felle an den 
Haaren herum. Vergebens! Was gejchieht? 
Das was in diefer prefären Situation das einzig 
Vernünftige ift: fie überziehen den ganzen ver: 
wejenden Kadaver mit Harz und machen ihn ba: 
mit für ihre Häuslichkeit vollfommen unſchädlich. 
Und nun fage noch einmal einer, die Bienen 
hätten feinen Verſtand! 

Nächſt dem Honig ift das Blumenmehl ein 
notwendiges Erhaltungsmittel für den Bienen: 
haushalt; es wird daher in der Imkerſprache 
auch Bienenbrot genannt. Gleichwie der Honig 
wird auch diejes von den Blüten gefammelt, in- 
dem das fleine Inſekt, um die Staubfäden der 
nämlihen Blüten ſchwirrend, den Blütenftaub 
abjtreift, mit Honig anfeuchtet und in Form 
und Größe Heiner Linjen an den äußeren Knie: 
gelenfen der beiden Hinterfühe nad) Haufe trägt. 
Es fieht allerliebft aus, wenn eine fleißige Ar: 
beiterin nad) der anderen, zwei weiße, graue, 
rote, gelbe, grüne Bällchen, auf jeder Seite eines 
tragend, ermübet von der Laſt ſchwer auf das 
Flugbrett fällt und eilig in die Wohnung 
ſchlüpft, um ihr Gewonnenes in eine Zelle ab: 
zuftreifen und daſelbſt feſt einzuftampfen. — 
Durd) das Schwirren um die Blüten trägt die 
Biene unmillfürlih nebenbei nicht wenig zur 
Verteilung des Blütenjtaubes, alfo zur Be: 
frudhtung der Blüten bei und ift alfo aud) nad) 
diefer Hinficht von unverfennbarem Nuten. Che 
im Frühjahr noch die erften blumenmehlipen- 
denden Blüten, namentlid Salmweide und Haſel— 
nuß, aufbrechen, nehmen die Bienen als Erfat 
auc gern Weizenmehl, welches man, in eine 
leere Tafel getrichen, in der Nähe des Standes 
aufitellt. Sie laſſen diefes jedoch fofort ftehen, 
fobald die Natur felbit erjt genügend davon 
liefert (S. 411). 

Um auch unferen Hausfrauen einen Winf 
zu geben, ſei noch bezüglich des Honigs bemerkt, 
daß der aus ben Frühjahrs: und Sommerblüten 
eingefammelte der aromatifhte und wohl: 
fchmedendite, aljo der beite ift. Ganz irriger: 
weiſe wird vielfach behauptet, der Heidehonig 
fei der befte. Er iſt der fchlechtefte, ſcharf und 
kratzig von Geſchmack. Will die Leferin Schei— 
benhonig, jo kaufe fie nur hell goldgelb durch— 
fihtigen in weißem Wachfe, alle dunflern, brau: 
nen oder ſchwarzen Waben haben fhon mehr 
oder weniger, wie ich noch zeigen werbe, der 
Bruterziehung gedient. 


409 


Eine der vornehmften Thätigfeiten ber Bie- 
nen innerhalb ihrer Behaufung ift die Fütterung 
und Erziehung der Nachkommenſchaft. Die 
Königin befet, nachdem von der Bedienung die 
Zellen einer aufmerffamen, gründlichen Neini: 
gung unterzogen worden find, in zufammen: 
hängender Reihenfolge Zelle für Zelle mit einem 
Ei, und dicht belagert das Volk diefelben, fie 
durd; Erzeugung eines höheren Wärmegrades 
bebrütend. Nach drei Tagen Schon läuft aus 
dem Ei die winzig feine Made aus. Sofort 
verjorgen die belagernden Bienen jede derſelben 
mit einem Eleinen Tropfen Futterbrei, einem 
aus Honig und Blumenmehl herftammenden 
Produkte des Bienenleibes, aus welchem alle 
zur Enährung nicht tauglichen Stoffe Durch den 
Verdauungsapparat bereits ausgeſchieden find, 
aljo der Duinteffenz der gewöhnlichen Nahrungs: 
mittel, dem reinen Magenfafte oder Chylus. 
Es dient derfelbe auch in den folgenden ſechs 
Tagen der Made als ausjchlieglihes Nahrungs: 
mittel, bis diefelbe, anfänglich in dem Futterbrei 
ſchwimmend, allmählich wachſend, ſich ſchließlich 
am neunten Tage, vom Legen des Eies an ge— 
rechnet, in der Zelle aufrichtet und, nachdem ſie 
von ihren älteren Geſchwiſtern mit genügendem 
rohem Honig und Blumenmehl verſorgt wurde, 
einzuſpinnen, zu verpuppen beginnt und nach 
ferneren etwa zwölf Tagen als fertige Biene aus— 
läuft (Fig. 9. Die ganze Entwickelungsperiode 
nimmt alſo durchſchnittlich einen Zeitraum von 
20 bis 21 Tagen in Anſpruch. Zwar iſt dann 
die junge Weltbürgerin noch fehr zart und leicht 
zu erkennen an ihrer helleren Farbe; gepflegt, 
gepußt, gefüttert und erwärmt durch ihre fie 
umgebenden nunmehrigen Kolleginnen, fonfo: 
lidiert fie in den nächften Tagen, während wel: 
chen fie den Stod zwar nod) nicht verläßt, aber 
doc allmählich an den Arbeiten innerhalb des- 
jelben teilnimmt, ihre Kräfte. Nachdem fliegt 
auch fie aus, zuerft nur ſchüchtern in orientieren: 
dem Vorfpiele unmittelbar vor dem Stode; fie 
beficht fich die Wohnung von aufen, ihre Um: 
gebung, merkt fid) die ganze äußere Konftellation, 
um ihren Stod und die richtige Hausthür nicht 
zu verfehlen, und wagt fi dann nad) und nad) 
weiter, nimmt immer mehr die regelmäßigen 
Arbeiten auf und ift fo fleißig wie jede andere. 
Die Hülle, das Gefpinft, in welchem fie ver: 
puppt war, bleibt in der Geburtözelle, deren 
Mände damit gewiſſermaßen austapeziert find, 
zurüd. Sie tft ein jo feines, dünnes Häutchen, 


410 


daß eine ganze Reihe von Generationen ihren 
jugendlihen Entwidelungsgang in derfelben 
Zelle durchmachen können, ohne daß fie weſent— 
lich verengt wird. 

Bezieht im Frühjahre ein Bienenſchwarm 
eine neue, natürlich leere Wohnung, dann ift 
feine erſte Sorge, diefelbe zunächit einer gründ— 
lihen Reinigung zu unterziehen, fofern dieſes 
nicht bereits früher vom Mutterjtode aus ge: 
ſchehen ift, alle Niten zu verkitten, fie mit den 
nötigen Möbeln auszuftaffieren und überhaupt 
in bemohnbaren Zuftand zu verjegen, Viele von 
meinen Lefern glauben wohl, daß aud das 
Wachs aus der Natur fir und fertig zum Ge: 
brauche nur jo herbeigeholt werden könne, oder 
find ſich mwenigitens nicht Far darüber, woher 
es eigentlich fommt. Wie der Sped, das Fleisch, 
die Milch 2c. ein Produkt des tierischen Orga: 
nismus, fo iſt auch das Wachs ein ſolches Ver: 
wandlungsproduft des Bienenleibes, hergeſtellt 
aus Honig und Blumenmehl. Der Schwarm 
hatte fich vor feinem Auszuge aus dem Mutter: 
ftode mit den natürlichen Nahrungsmitteln ver: 
jehen, fo viel er nur tragen fonnte. In feinem 
frifch bezogenen leeren Haufe fett er ſich jofort 
an der oberen Dede an und hänat in Gejtalt 
einer Traube, fettenförmig die eine Biene an und 
unter der anderen, in großem lofem Klumpen 
nad) unten (S.407, Fig. 4). Während nun gleich— 
zeitig ein Teil der Bienen fchon die Weide befucht, 
um Erſatz zu jchaffen, bleibt das Gros in der be: 
Schriebenen Situation hängen und wartet in 
ſcheinbar phlegmatifcher Ruhe der Verdauung. 
Gleichwohl iſt diefe ſcheinbare Unthätigfeit nicht 
Trägheit, fondern notwendige Bedingung für 
die im Bienenförper fi entwidelnde Metamor: 
phoje. Sehr bald tritt nämlich das reinfte 
Wachs in Form von gang fleinen eirunden 
weißen Plättchen, durchfichtig wie Marienglas, 
zwijchen den Segmenten an den Hinterleibern 
der Bienen hervor, wird hier von den unter: 
hängenden Bienen mit den Zangen erfaßt, nad) 
oben weitergegeben und an der Bauſtelle von 
den dabei befchäftigten Arbeiterinnen zum Auf: 
bau der Zellen verarbeitet. Schon jett tft die 
Königin zur Eicherung der jelbftändigen Eri: 


Er 


jtenzfähigfeit der Kolonie beftrebt, jede einiger: | 
ſchafft. Eine Entleerung der Bienen innerhalb 


maßen vorgejchrittene, wenn auch noch nicht in 
ihrer normalen Größe fertiggeftellte Zelle mit 
einem Ei zu beſetzen. Betrachtet man eine leere 


über die außerordentliche Negelmäßigkeit und 


I 
| 


A. Kleinfchmit. 


die peinlichite Genauigfeit in der Größe der 
gleichartigen Zellen wundern; jede einzelne 
Bienen: oder Drohnenzelle bildet in feiner Pe: 
tipherie ein regelrechtes Sechseck, eine wie die 
andere wie am Lineale hergezogen. Nach dem 
peripherifchen Durchmefjer gehen ungefähr fünf 
Arbeiterzellen auf einen Zoll, während von den 
etwas größeren Drohnenzellen nur vier dieſes 
Maß haben. Die Tiefe der Brutzellen beträgt 
ungefähr einen halben Zoll. Jede Wachstafel 
enthält auf beiden Seiten Zellen, jo zwar, daß 
die Böden derfelben, die jogenannte Mittel: 
wand, gemeinschaftlich find. Sämtliche Zellen 
find etwas nad) oben gerichtet und werden, 
wenn fie zur Auffpeicherung von Honig dienen 
follen, namentlich im oberiten Teile des Stodes, 
gern etwas verlängert, jo daß der regelmäßige 
Zwiſchenraum zwijchen den nebeneinanderhäns 
genden Maben,, welcher durchſchnittlich einen 
halben Zoll beträgt, bis faſt um die Hälfte ver- 
engert erfcheint. Nur in den Eden und an den 
Verbindungsftellen zweier aneinandergebauten 
Waben kommen unregelmäßige Zellen vor. 
Ueber die urfprüngliche Anlage von Weifelzellen 
gebe ich fpäter nodh eine Andeutung. Die 
Wachsproduktion Eoftet den Bienen ſtets bedeu— 
tend mehr, als wir im Handel dafür zu bezahlen 
pflegen. Stellt man 3. B. den ein Bienenvolf 
enthaltenden leeren Stod an einem fühlen Orte, 
etwa im Keller, in totaler Finfternis auf, jo 
daß an eine Entfernung vom Stode, ein Ab: 
fliegen von demfelben nicht zu denken ift, und 
füttert man nun flüffigen Honig, fo gebraucht 
eine ſolche Kolonie zur Produktion eines Pfun— 
des Wachs ungefähr 20 Pfund Honig. Steht 
ihm Blumenmehl, welches freilich auch durch 
den größeren, auf das Sammeln desfelben zu 
verwendenden Zeitaufwand nicht unweſentlich 
teurer zu ftehen fommt als Honig, in genügen: 
der Menge zu Gebote, fo it doch immer noch 
ein Quantum von circa zehn Pfund Honig not= 
wendig. 

Der Sinn für die peinlichjte Ordnung und 
Neinlichkeit ift den Bienen angeboren; alles im 
Stode Ungehörige, als tote Bienen oder Ma: 
den 2c., werden fofort in der geeignetiten Weife 
bejeitigt, unſchädlich gemacht, nah außen ge: 


ihrer Häuslichfeit findet, wenn es irgend möglich 


iſt, niemals jtatt. Im Winter, wo fie nur ver: 
Wachstafel näher, jo wird man ſich zunächſt hältnismäßig wenig zu ihrer Ernährung be: 


) 


dürfen, da fie ftille figen und eine weitere Pros 


Aus dem Bienenleben. 


duftion als die eben nötige Wärme nicht ftatt: 
findet, behalten fie die Exkremente bei fich bis 
zum erften fchönen Tage, der neben Sonnen: 
dein mindejtens 8° R. Wärme im Schatten 
bringt und ihnen erlaubt, in einem allgemeinen 
Ausfluge vor dem Stande die fo nötige Neint: 
gung vorzunehmen. 

Sogenannte Raub: oder wilde, anders ge: 
artete Bienen, wie die Mythe bejagt, gibt es 
nicht. Jede Biene nimmt den Honig oder an: 
dere ſüße Flüffigkeiten, wo fie ſolche nur be: 
fommen fann. Iſt es ihr möglich, in einem 
fremden, mit einem ſchwächlichen Volke beſetzten 
Stod einzubringen ohne Gefahr, jo verfäumt 
fie e8 gewiß nicht, fidh über die fremden Vor: 
räte herzumaden und fo viel davon heimzu: 
ichleppen, als fie nur in fich aufzunehmen ver: 
mag. Freilich fett fie bei jedem derartigen 
Verfuhe der Aneignung fremden Eigentums 
jedesmal ihr Leben ein, denn wird fie erwifcht, 
fo ift fie des Todes, ohne viel Federlejens wird 
fie gelyncht, erftohen. Es unterhält jedes nor: 
male, gejunde, fräftige Volk eine Wade von 
mehr oder weniger einzelnen Bienen vor feiner 
Hausthüre, die auf alles vigilieren, was fi 
dem Flugloche Verdächtiges nähert, namentlich 
aber auf najhjüchtige, diebiſche Kolleginnen aus 
anderen Stöden. Kommt eine ſolche vor eine 
bewachte Thür und macht fie fich nicht ſchleunigſt 
wieder ausdem Staube, joijtes ohne Gnade um 
fie geſchehen. Oft findet man ein ganzes Anäuel 
Bienen, die über eine Diebin hergefallen find 
und wütend auf fie losftechen. Iſt es zufällig 
einmal einer Biene gelungen, ſich in einem 
fremden Stode vollzufaugen und fommt fie 
ungerupft davon, dann kann man ficher fein, 
daf fie jehr bald mit einer ganzen Partie Ge: 
hilfinnen wieder erfcheint, um das Manöver zu 
wiederholen. In der Negel werden die Näuber 
aber jett gefaßt, und es fommt vor, daß aus 
ſolchem Anlaſſe ſich eine förmlihe Schlacht ent: 
fpinnt und geichlagen wird, jo daß die Verwun— 
deten und Toten zu Hunderten an dem Stande 
umberliegen. Iſt der angegriffene Stod kräftig, 
volkreich, dann jchlägt er wie gefagt leicht einen 
ſolchergeſtalt intendierten Naubanfall fiegreich 
ab, ein Schwächling aber wird häufig die Beute 
der Eindringlinge, die dann den Honig, wenn 
noch welcher vorhanden war, bis auf den legten 
Tropfen ausrauben. 

Der Lefer fieht, dab die Bienen mit der 
ihr von der Natur veslichenen Waffe, dem 


411 


| Stachel, fehr wohl umzugehen verftehen, fie 
machen davon ohne Bedenken Gebraudh, fobald 
fie irgend Gefahr im Verzuge wähnen. Unge: 
reizt fticht die Biene felten, fern von der Heimat 
auf der Weide nie, dort ift fie zu ängjtlich be: 
jorgt und geht jedem ihr entgegentretenden 
Hinderniffe aus dem Wege; namentlich ift fie 





I punkt —___ — 


Big. 10. Mrbeitäbienen, Blumenmeßl fammelnd (&, 409). 


im Frühjahre und während des Schwarmaktes 
fromm, während fie im Hochſommer bei recht 
üppiger Tracht oder im Herbjte im Gefühle 
ihrer Vollkraft und ihres Beſitzes fchon weſent— 
lich reizbarer fih zeigt, obwohl fie jehr wohl 
weiß, daß jeder Stich ihr unfehlbar das Leben 
foftet, indem der Stachel mit der Spitze des 
Hinterleibes abreißt und der eritere in der 
Wunde fteden bleibt. Der inhalt des an der 
Wurzel des Stachels befindlichen Giftbläschens 
ergieht fih an diefem entlang in die Wunde 
und verurfacht bei Menfchen und Tieren eine 
mehr oder weniger ſtarke und ſchmerzhafte Ge: 
ihwuljt (S. 406, Fig. 3). 


412 X. Kleinfchmit. 


Bejonders gereizt wirb die Biene, wenn 
man fi in unmittelbarer Nähe des Stodes in 
die Fluglinie ftellt, durch raſche heftige Be: 
wegungen die Aufmerfjamfeit der abfliegenden 
Bienen und damit ihren Zom erregt, durch 
ftarfe tierische Ausdünftung und Schweiße, durch 
rauhe wollige Gegenftände 2c. 

Der gewöhnliche Flugfreis der Bienen bei 
ihren Sammelausflügen beträgt ungefähr eine 
halbe Stunde im Umfreife ihres Standes, doch 
fommt es ausnahmsweiſe aud) vor, daß fie eine 
Stunde Weges und mehr zurüdlegen, wenn ein 
befonders ergiebiges Blütenfeld fie lodt und in 
der Nähe nichts Nennenswertes zu holen ift. Ihr 
Lebensalter ijt ein fehr verfchiedenes; das Alter 
einer Königin erreichen fie niemals. Die im 
Herbſte geborenen Bienen leben bis tief in das 
folgende Frühjahr, können alſo circa acht bis 
neun Monate alt werden; dagegen ift denen, 
welche erjt zur Zeit der beiten Tradhtverhältnifje 
das Licht der Welt erbliden, nur eine verhält: 
nismäßig furze, durch die aufreibende ununter: 
brochene Thätigkeit und die mancherlei drohenden 
Gefahren beſchränkte Lebenszeit befchieden. 
Setzt man einem entweifelten deutſchen Volke 
bei Beginn der Volltracht eine italienifche Köni— 
gin zu, jo wird man finden, daß nad) einem 
Zeitraume von ſechs bis acht Wochen fich fait 
alle deutjchen Bienen allmählich verloren und 
durch italienifche erjett haben, alfo ein voll: 
jtändiger Generationswechſel ftattgefunden hat. 
Bei dem immenjen Quantum Eier, welches eine 
gute Königin zu legen imjtande ift, müßte ja 
andernfalls eine jehr raſche Uebervölferung 
ftattfinden. 

Wie ſchon aus den früheren Ausführungen 
erfihtlich, find die Drohnen (S. 403, Fig. 7, 
und ©. 413, Fig. 9) die Männchen unter 
den Bienen. Es würde nad) dem Gejagten 
die oft übermäßige Produktion von Drohnen 
durch ein einzelnes Wolf gar feinen Sinn 
haben, wenn man bdiefem billigerweije eine 
Kenntnis deffen zumuten fönnte, was außer: 
halb feines begrenzten Wirkungskreiſes in frem— 
den Stöden vorgeht, namentlich da fie die Er: 
füllung ihrer einzigen Lebensaufgabe fofort mit 
dem Leben bezahlen müſſen. Im übrigen find fie 
die vornehmen Schlemmer, die, ohne je ſelbſt 
zu arbeiten oder etwas für das allgemeine 
Wohl beizutragen, fih nur von dem Schweiße 
anderer mäften, faule Freſſer, welche bei ſchönem, 
fonnigem Wetter fpazieren fliegen und fich von 


— — ——— —— — — — — 


Arbeit 


Aus dem Bienenleben. 


dem Beſten ernähren, was der Haushalt zu 
bieten imftande ift. Sie find größer, nament- 
lich dider und plumper als die Arbeitäbienen 
und von diefenfchon im Fluge durch den rauheren 
Flügelbau leicht zu unterfcheiden. Einen Sta: 
chel wie die weiblichen Bienen befigen fie nicht. 
Sie werden im Frühjahre für die Zeit des vor: 
ausfichtlihen Bedürfniffes erzeugt und im Herbite, 
nad) beendigter Campagne in der fogenannten 
Drohnenſchlacht von den Bienen mafjafriert und 
aus dem Stode geworfen, fo da oft vor einem 
Bienenftande um dieje Zeit der Boden förmlich 
mit ihnen befät ift. 

Es bleibt mir nur nod) übrig, den Schwarm- 
akt jelbit und einiges damit zufammenhängende 
zu befchreiben. 

Ein fih im Frühjahre ſtark vermehrendes, 
fräftiges Volk fühlt, namentlih wenn feine 
Wohnung nicht bejonders groß und geräumig 
it, jehr bald das Bedürfnis der Teilung. Im 
Vorgefühle ſchon der demnächitigen Notwendig 
feit diefes Altes hat die Königin bereits ange= 
fangen, die vorhandenen Drohnenzellen mit 
entjprechenden unbefruchteten Eiern zu befegen. 
Es läuft täglich eine Maſſe junger Bienen aus 
und der Stod faßt bald nicht mehr alle feine 
Angehörigen. Schon vorher waren viele ein- 
zelne Bienen, denen man deshalb auch ven Namen 
„Spurbienen” beigelegt hat, auägeflogen, um 
auf Entdedung einer neuen Wohnung auszu— 
gehen. Zu Hunderten ficht man fie dann alle 
Maueripalten, hohle Bäume und fonftige Höh— 
lungen, auch namentlih leere Bienenwoh— 
nungen befliegen, ſie reinigen und zur even— 
tuellen Aufnahme der Kolonie in geeigneten 
Stand ſetzen. 

Iſt ſo nun alles in Bereitſchaft gehalten, 
dann zieht eines ſchönen Mittags ein Teil des 
Volfes und namentlich die älteren Flugbienen, 
foweit fie nicht auf der Weide fich befinden, in 
Zeit von einigen Minuten und in Begleitung 
der alten Königin aus, ſchwirrt in wirrem Durd)= 
einander in der Luft herum und ſammelt ſich 
ſchließlich, indem es fih, feine Königin in der 
Mitte, an irgend einen Baumaft (5.404), einen 
Strauch, Stafet oder Hede anfeht und von dort 
dann nach kurzer Zeit direft in feine neue Woh- 
nung zieht, um fich ein neues Heim zu begründen 
in der Reife, wie ich Schon befchrieben habe. Dem 
Mutterftode bleiben neben der Maſſe Brut und 
junger Bienen die nun noch allmählich von der 
zurüdfehrenden und während bes 


U. Lammers. Knabenhorte, 413 


Schwarmaftes abwejend geweſenen Bienen. | Vegetation mandes Fledens Erbe bereichern, 
Ungefähr vierzehn Tage vor dem Schwärmen | fo dient die heutige Freizügigkeit und civilifierte 
hatten die Bienen hier ſchon, namentlich an den | individuelle Nomadenjhaft zur Ausbreitung ge: 
Wabenrändern Heine runde Näpfchen zerftreut | meinnüßiger nftitutionen. In der bayerifchen 
im Stode angelegt, welche die Königin mit | Hauptftadt erhielt das ftille Darmftädter Kind 
Bieneneiern, aus denen die zukünftige Herr: | jedoch aud einen handlihen Namen und eine 
fcherin erzogen wird, nad und nad) bejette. | Gelegenheit fich immer wieder der Welt zu zeigen. 
Diefe Näpfchen werden erft allmählich) mit dem | Aus der unförmlihen, langatmigen Benen: 
zunehmenden Wahötum der aus dem Ei aus: | nung Knabenbefhäftigungsanftalt wurde ber 
geihlüpften Made vergrößert, bis fi) die Made | zwar minder deutliche, aber bequeme, kurze und 
verpuppt und circa fieben bis at Tage nach | poetiih anklingende Namen Anabenhort; ein 
dem Schwarmauszuge die am reifften gewordene | gleichnamiges Blättchen trägt periodiſch Nach— 
Königin zu „tüten“ beginnt. — richten von Anabenhorten und ähnlichen Unter: 

Später werde ich vielleicht einiges über | nehmungen hinaus zu allen, die fi dafür 
Bienenzudt und den Einfluß fchreiben, welhen | intereffieren. Sogar der preufifhe Minifter 
die genaue Kenntnis des Lebens und der Ge: | des Innern ift von München aus bewogen wor: 
wohnheiten der Bienen auf die praftifche ratio: | den, feinen größeren Städten die Einführung 
nelle Bienenwirtichaft ausübt. ſolcher Anftalten zu empfehlen. 

Ein Hort aljo für Knaben! Das heißt eine 
Stätte, die ſich ihnen außerhalb der Schulzeit 
aufthut, wenn weder Eltern noch Pflegeeltern 
da find fie zu behüten. Es gibt ja Fälle genug 
im fogenannten Arbeiterftande, in denen nicht 
bloß der Vater, fondern auch die Mutter den 

Bis. 11. Zroßne (6. 01m. ganzen Tag über außerm Haufe ihrem Ermwerbe 
nachgehen muß. Man braucht dabei nicht bloß 
an Fabrikarbeit zu denken. Auch Wäfcherinnen, 

Suabenhorte Plätterinnen und Reinmacherinnen, Höfer: 
frauen und Fifchweiber verrichten ihr Geſchäft 
entweder in fremden Häufern, oder fei es figend, 
&. Sammers. fei e8 herummandernd auf der Strafe. Da 
befommen ihre Kinder häufig nicht einmal 
PER eigentliches Mittagbrot, gejchweige denn daf fie 
m: bie Serienfolonieen, jo machen jet die | beauffichtigt und zu Fleiß, Ordnung und guten 

Knabenhorte ihren Weg durch Deutih: | Sitten angehalten würden, Wenn fie morgens 
land. Aber jie find viel älteren Urfprungs. | zur Schule gehen, nehmen fie gleich für den 
Schon im Jahre 1828 wurde zu Darmftadt eine | ganzen Tag ihre Butterbrote mit, die dann aber 
Knabenbejhäftigungsanftalt gegründet, welche | gewöhnlich ſchon vor Mittag verzehrt find; 
die deutſchen Armenpfleger, als ſie im Herbſt nachmittags treiben ſie ſich herum, wo nicht 
1882 zu ihrer Jahresverſammlung dort waren, in hungrig, ſo doch voll gierigen Neides auf ihre 
augenſcheinlicher Blüte antrafen. Auch in Heil— | Schulkameraden, für die fi) mittags allemal 
bronn und Weimar gab es ſchon länger der= | pünktlich das Tifchlein dedt, und obendrein allen 
artige Stätten, auf denen man fi) bemühte | Verfuchungen ftädtifchen Lebens unbehütet aus: 
aus Straßenjungen, oder doch aus folden die | gefeßt. Erft am fpäten Abend fehen fie ihre 
Etrafenjungen werben Fönnten, durch Aufficht | Eltern wieder, — Eltern wie Kinder zu müde, 
und geeignete Beihäftigung in gefdloffenem | um einander noch viel zu fein. So vernad; 
Raume wie im Freien gute und brauchbare | Täffigte Anaben geben die Nefruten des Vaga— 
Menſchen zu machen. Allgemein befannt wurde | bunden und Verbrehertums ab. Ihre Schwe: 
die Idee durch ihre Berpflanzung nah München, | ftern find nur dann beſſer daran, wenn fie 
melde ein ‚geborner Darmftädter bewirkte, der | Heinere Gejchwifter warten müfjen oder unter 
Feuerwehrinſpeltor Jung. Wie Wandervögel | die Obhut einer Nachbarin gejtellt werden, was 
Pflanzenjamen verfchleppen und dadurd die | aber dod der Negel nah) auch der Fall fein 





Von 











414 


mag. Der Knaben muß die Allgemeinheit ſich 
annehmen, ſchon zu ihrer eigenen Sicherung 
gegen den Zuwachs des gejellichaftöfeindlichen 
auffäßigen Heeres der Verbrecher und Strolche. 

Nun haben indefjen dieſe Verhältniffe doch 
auch ihre Abſtufung. Man charakterifiert fie 
wohl zufammenfafiend nad gewiſſen Haupt: 
merfmalen, aber die Mirklichfeit iſt unendlich 
mannigfach gemifcht, und auf mehr als einem 
einzigen Wege läßt ſich verfuchen ihr beizu: 
fommen, daß man die jungen noch unentſchie— 
denen Seelen der auf fie lauernden Gefahr 
entreiße. Nicht alles, was Knabenhort heift, 
realifiert genau diefelbe dee; nicht jeder gleicht 
jedem anderen in dem Umfang und der Art 
feiner Einwirkung auf die jugendlichen Gäſte. 

Eine Auseinanderjegung verſchiedener An: 
fihten und Behandlungsweiſen hat fic) kürzlich 
in ebenfo lehrreicher als interefjanter Weife 
zwijchen den Städten Bremen und Hannover 
ergeben. In Hannover hat Herr Profefjor 
Julius Poſt, Chemiker von Fach, aber ſchöpfe— 
riſcher Socialpolitiker nach ſeinem Kopfe und 
Herzen, einen Knabenhort ins Leben gerufen; in 
Bremen ein ebenfalls ſchon vielbewährter ſocial— 
politiſcher Praktiker, Herr Realſchullehrer H. O. 
Redderſen, mit leichter Umtaufung des Gattungs— 
namens ein Knabenheim. Allein Prof. Poſt faßt 
den Knabenhort auch eben ganz eigentümlich 
auf, und findet die Bremer Benennung pafjender 
für die Menge der gewöhnlichen Knabenhorte 
oder Knabenbefhäftigungsanftalten. In jenen 
Knabenheimen fieht er eine Fortfegung der be: 
fannten Krippen, Kinderbewahranftalten und 
Warteſchulen. Der Knabenhort in feinem Sinne 
foll die Jungen durch Lehrwerfftätte und Schul: 
garten führen, damit fie fih an „Hausfleiß“ 
über die Schularbeiten hinaus gewöhnen, eine 
Liebhaberei neben ihrem Erwerbäberuf gewinnen, 
wie etwa Höhergebildete noch irgend eine Kunſt 
betreiben, und auf einem Stedenpferde in die 
Mühfale und Sorgen unbemittelten Dafeins 
foviel fröhlicher hineinreiten. 

Der hannoverfhe Anabenhort will alſo vor 
allem den Kindern Anleitung geben, wie fie ihre 
Mußezeit in einer ihnen zufagenden aber zu: 
gleich auch wohlthätig anregenden und fürder: 
lihen Weiſe ausfüllen fönnen. Dazu find Be: 
Ihäftigungen erfehen, die dem jungen Burfchen, 
ja jpäter jelbft dem reifen Manne während der 
Erholungsitunden des Tags und der Woche 
eine erfriihende Abwechslung zu bieten ver: 


U. fammers. 


mögen. Beim Austritt aus der Anjtalt, der 
meiftens mit der Konfirmation zufammenfallen 
wird, braucht daher nur eine äufere, feine 
innere Zoslöjung von dem leitenden Gedanken 
jtattzufinden. Neben gemeinfhaftlihen Spiel 
und Gejang werden Handarbeiten betrieben, 
insbejondere Holzfchnigerei, Papp- und Stroh: 
arbeit in der Werkſtatt, Gemüfe:, Obſt- und 
Blumenzucht im Garten der Anftalt. Die Unter: 
weiſung in diefen Fächern findet in fechs 
Wochenſtunden ftatt, einen um den anderen Tag 
je zwei Stunden. jedem Knaben wird das 
Arbeitägerät, der Nohjtoff und das Gartenland 
leihweiſe von der Anjtalt geliefert, auch für den 
Unterricht Feine Vergütung erhoben. Dagegen 
gehen die geernteten Gemüfe, Früchte und 
Blumen entweder unmittelbar in feinen Beſitz 
über oder werden zu feinem Vorteil veräußert, 
in welchem Falle der Betrag in ein gefperrtes, 
d. h. erſt an einem gewiſſen fpäteren Zeitpunkt 
auszahlbares Sparbud; übertragen wird. 
Dadurch, daß auf diefe Art nicht einmal die 
Hälfte der jchulfreien Zeit von der Anftalt be- 
legt wird, hofft man die Möglichkeit offen zu 
halten, daß ſchon während der Ausbildungszeit 
wirklicher Hausfleiß fi anbahne. Es hat fich 
gezeigt, daß die Knaben die größte Luft hegen, 
aud außerhalb der Unterrichtäftunden daheim 
fich mit den Dingen zu befchäftigen, die fie nun 
treiben gelernt haben. Kaum etwas anderes 
regt den jugendlihen Schaffensdrang fo an, 
wie bie einfachen, verhältnismäßig leichten und 
zu allgemeinbrauchbaren Gegenftänden führenden 
Beichäftigungen des fogenannten Handfertig: 
feitSunterrichtö, die deshalb ein ganz vortreff- 
liches Mittel find, um den verwerflichen Er- 
holungsarten das Feld abzugewinnen. Aehnlich 
ſteht es mit Blumenzucdht und Gemüfebau. Die 
Knaben bearbeiten ihre Beete, deren jeder zwei 
biö drei zugemwiefen erhält, ala ob fie nad) 
Schätzen grüben. In Darmftadt bietet der 
Öartenbauverein in jedem Frühjahr gegen ganz 
niedriges Entgelt junge Pflänzlinge an Kinder 
aus und veranjtaltet im Herbjt eine Ausftellung 
der gezogenen Blumen mit Preisverteilungen, 
was ſich — holländiſchem Vorbilde nachge— 
ahmt — als äußerſt erſprießlich erwieſen hat. 
Fürchtet man Vernachläſſigung der Schul— 
pflichten infolge ſolcher Allotria? Profeſſor Poſt 
rät derſelben vorzubeugen durch beſtändige nahe 
Fühlung mit den Lehrern der Knaben, damit 
nötigenfalls von beiden Seiten her eingegriffen 





Ynabenhorte 


415 


werben fünne. In Hannover find übrigens bis: | noch vorhanden ift, wern auch nur in kümmer— 


her Teine Klagen über Beeinträchtigung der 
Schule lautgeworden, wohl aber Zeugnifje über 
Fortſchritte in der Eauberfeit u. dergl. 

Gegen die Anabenheime aehalten ift diefe 
Form von Snabenhorten begreiflicherweiſe 


viel wohlfeiler. Die durch fie erwiefene Wohl: | 


that kann ſich folglich auf mehr Kinder eritreden. 
Darin fieht aber der Schöpfer des hannover: 
ſchen Knabenhorts noch nicht den Hauptnutzen. 
Dieſen findet er vielmehr in dem günſtigen 


lichen Reſten. Aber wo ein Knabe lediglich auf 
ſich allein angewieſen iſt, da wird eben die Be— 
wahrung zur Hauptſache, da fehlt es der Mög— 
lichkeit, den Hausfleiß durch Unterricht anzu— 
regen, an der unentbehrlichen Grundlage, d. h. 
dem belebten Hauſe. Für dieſe Fälle, die das 
hochentwickelte Verkehrsleben der Gegenwart in 
allen größeren Städten und induſtriellen Land— 
ftrichen häufig genug gemadt hat, iſt Anaben: 


hort oder Anabenheim deſto willfommener, je 


Einfluß auf das Familienleben, — daf die | 


ohnehin oft ſchon zu lofen Bande der Bluts- 
verwandtichaft nicht noch mehr gelodert werden 
und daf; fein eigentliches Almofen gereicht wird. 
„Zum eritenmal in diefem Jahre,“ jagt er, 
„fonnten unjere Knaben ihren Eltern und Ge: 
ichwiltern ein jelbjtgefertigtes nügliches Ge: 
ſchenk unter den Weihnachtsbaum legen. Die 
Eltern haben ihrer Anerkennung vielfach da: 
durch Ausdrud gegeben, daß fie zu der Erhal— 
tung der Anjtalt beifteuerten, wenn auch natür: 
lich oft nur winzige Gaben. Es ift aber aud) 
ſchon vorgekommen, daß — wie bei dem Hand: 
arbeitsunterricht den Knaben in nordifchen Län— 
dern — der Sohn unbewußt zum Lehrer des 
Vaters wird, indem er durd fein Beifpiel in 
diefem die Luft zu praftiichem Schaffen medt 
und nährt. Dies wird in demſelben Mafe 
häufiger werden, wie es gelingt, Mufter und 
Verfahren zur Herftellung von Gegenitänden 
des täglihen Bedarfs für den fleinen Mann 
zu finden, Auf diejem Gebiete wird nun gegen: 
wärtig auf jo vielen Punkten von ſo geſchickten 
Händen gearbeitet, daß die Fühnften Hoffnungen 
fi) hervorwagen dürfen. Wenn es gelingt, dem 
Arbeiter zu zeigen, wie er in feiner Feierzeit fich 
dadurch wirklich erholen und zugleich erheben 
fann, daß er Gegenjtände, deren er bedarf, auch 
ſelbſt anfertigt, aber bejfer und vor allen Dingen 
ihöner als er fie mit feinen beſcheidenen Mit: 


das ſicherſte Mittel ihn vom Wirtshaufe fern: 
zuhalten und daheim bei den Teinigen zu 
fejieln, jondern man bringt ihn auf einen Weg, 
der zu dauernder und gewiſſer Berbefjerung 
feiner Lage führt: Erhöhung feiner Lebens: 
haltung.“ 

Die Hnabenheime, wie Profeſſor Poſt fie 
von feinem, dem eigentlichen Knabenhort unter: 
ſchieden wiſſen will, gefährden aljo das Fa: 
milienleben? Doch hodhitens da, wo ein foldyes 





völliger es ſich des thatſächlich verwaiſten 
Jungen in der Zeit annimmt, welche die Schule 
übrigläßt. Seine Eltern hat er dann ja doch 
im weſentlichen bloß während der Nacht. 

Poſts Knabenhort und Redderſens Knaben— 
heim ſchließen einander alſo nicht aus, ſondern 
ergänzen ſich. In Hannover hat man das Mo— 
dell aufgeſtellt für die Behandlung ſolcher 


Knaben, die der Ueberwachung ihrer Eltern 


noch nicht ganz entbehren, ohne genug davon zu 
empfangen, bei denen es vorzugsweiſe auf An: 
regung zu guten häuslichen Beihäftigungen an: 


kommt; Bremen fließt ſich den älteren Knaben: 


beihäftigungsanftalten an, deren gemeinfames 


Augenmerk darauf gerichtet ift, die fehlende 


Elternfürforge an den Nachmittagen thunlichit 
zu erſetzen, die Ausführung der Schularbeiten 


‚ zu beauffichtigen und die freibleibende Zeit der 


Muße angenehm, gut und nütlich auszufüllen. 
Eine große Stadt braucht offenbar beides; 
aber es ijt fein Grund erfichtlich, weshalb nicht 
eine und diejelbe Unternehmung das eine wie 
das andere leiten jollte. 

Machen wir zum Schluffe unter Herrn 
Redderſens fundiger Führung dem Bremer 
Knabenheim einen Befuh, der uns das Yeben 
in diefen jungen focialen Anftalten vergegen: 
wärtige! 

Unterwegs erzählt Herr Redderfen uns, dat 


' freigebige Bürger ihm mehr als 6000 Mark zu 
teln kaufen könnte, jo befigt man nicht allein 





' Hand maden, 


diefem Zwede anvertraut haben, nachdem er 
durch Die wohlgelungene Begründung der Ferien: 
folonieen ſich das öffentliche Vertrauen erworben, 
daß er aber nun den Anfang getroft auf eigene 
fpäter das über die eriten 
CS chwierigfeiten hinausgeförderte Werk einem 
Komitee oder Verein überantworten will. Die: 
fer Zeitpunft wird eintreten, wenn zu der eriten 
Anftalt in der weltlichen Vorftadt der außer: 
gewöhnlich werterftredten Stadt Bremen eine 
zweite und dritte in ber öftlichen und der ſüd— 
53 


416 


lichen Vorftadt hinzutreten. Die erjte hat un= | 
entgeltlih Platz gefunden in dem früheren 
Diakoniffenhauje an der Fichtenſtraße. Gefang | 
empfängt uns beim Eintreten: damit fchließt 
jeder im Knabenheim zugebracdte Nachmittag. 
Er beginnt mit der Herftellung der aufgegebenen 
Schularbeiten, und da dieje bei dem einen Ana: 
ben mehr, bei dem anderen weniger Zeit er: 
fordert, jo ift für Lektüre geforgt, mit welcher 
der rajcher fertig gewordene ſich unterhält, bis 
auch der letzte fertig ift. Der Volksbildungs— 
verein und der Bibliothefsausihuß des Vereins 
für innere Miffton haben geeignete Jugend: | 
ſchriften geliefert. Am Mittwoch und am Sonn: 
abend Nachmittag, wo die Knaben jchon um 
zwei Uhr fommen, wird ihnen um vier Uhr ein 
Butterbrot mit einem Glaje Milch verabreicht. 
Die Koften dedt ungefähr der elterliche Beitrag, 
der auf 50 Pfennig in der Woche angejegt iſt. 
Ohne Entgelt empfangen fie alfo nur die Auf: 
fiht des leitenden und überwacenden Lehrers, 
jowie den Gebraud der Werkzeuge, mit denen 
fie pappen und tifchlern lernen. Denn nun, nad) 
dem Veſperbrot beginnt das Neue, Den Rapp: 
arbeiten, als dem Leichteren und CEinfacheren, 
fteht der beauffichtigende Yehrer vor; es iſt die 
Beihäftigung der fleineren und ſchwächeren 
Knaben. Für die Holzarbeit hat man einen 
Vehrer gewonnen, der eine außerordentliche Bor: 
bildung dafür mitbringt und leicht auch den 
beiten Handmwerfsmeijter übertrifft. Er hat das 
Tiſchlerhandwerk als Lehrling und Gefelle ge: 
lernt; dann ift er Volksſchullehrer gemorden. 
Als der Begründer und der Vorfteher des 
berühmten Elöjd:Seminars zu Nääs bei Go: 
thenburg in Schweden, die Herren Auguft Abra: 
hamfon und Otto Salomon, mir im Sommer 
1882 eine Freiftelle für einen deutfchen Lehrer 
anboten, benugte D. Biemann diefe günftige 
Gelegenheit ſich noch weiter zu vervollfommnen, 
und überträgt fein Können nun auf die älteren 
Zöglinge des Knabenheim. Hobelbänfe und 
anderes Gerät hat dazu der Bolfsbildungs: 
verein aus feiner Werkjtatt geliefert, Die. ein: 
gerichtet wurde, nahdem Herr A. von Claufon: 
Kaas auf Veranlaffung des Vereins im Herbſt 
1879 den nordweitdeutichen Bildungsvereinätag 
zu Harburg mit däniſchem SHandfertigfeits- 
betriebe befanntgemadt und danach im Herbſt 
1880 zu Emden einen jehswöcigen Lehrer: 
ausbildungsfurs gehalten hatte, an welchem 
auch mehrere Bremer Lehrer teilnahmen, teils | 


— — — — —e zT — —— 





Hhugo Krebs. Bleib’ wie du biſt! 


auf Staatöfoften, teils auf Rechnung des Volle: 
bildungsvereins. Cine nüslichere Verwendung 
als im Knabenheim fann diefer neue Unter: 
richtözweig nicht finden. Den Söhnen mohl: 
habenderer Familien, die auf höhere Schulen 
gehen, gibt es eine Fertigkeit gewiljermaßen im 
Vorrat, anzumenden, wenn es einmal eines 
Gegengewichtes für einfeitige Kopfanjtrengung 
bedarf. Für die Volksſchulen im allgemeinen iſt 
es ſchon von unbedingterem Werte, wenn fie die 
Hände fchaffend gebrauchen lernen und bei 
Zeiten Luft zu praftiicher Arbeit fajjen.. Aber 
wem fönnte diefe frühe Ausbildung zum Er: 
werb nütlicher und notwendiger fein als dem 


‘armen Schelm, der zu Haufe nicht genügend zu 


allem VBernünftigen und Guten angehalten wird, 
der folglic in beitändiger Gefahr ift, daß jeine 
Sinne fih nad) einem Lebenswandel ftreden, 


welcher ihn auf Schritt und Tritt in einen vor 


allem für ihn ſelbſt verderblichen Gegenjag zu 
den Ordnungen des Staates bringt? Neigung 
und Fähigkeit zu geldwerter Arbeit ift für ihn 
die ſchlechthin ficherfte Bewahrung vor dem 
Verfommen. Daher find Lehrwerkitatt und 
Sculgarten allerdings der wejentlichite Beſtand— 
teil eines Anabenheims oder Anabenhorts, mag 
er feine Aufgabe fonjt fo weit jteden wie er will, 


Bleib’ wie du bift! 
Don 
Dugo Krebs. 





Blieib' wie du bil, fo lieblich und fo gut, 
Bleib’ das Entzüden derer, die dich lieben! 
Dann nehmen Engel did in ihre but 

Und nimmer wird dein Mares Aug’ fich trüben! 


Wesbalb bezaubert deine Gegenwart 
Jedwedes Herz mit ihren nulden Strahlen? 
Wo £iebreiz5 mit Beſcheidenheit ſich paart, 
Da fprudelr heil der Born des Jdeaten | 


Da wird's in der umflorten Seele Kicht, 

Und die dein Bild wmflatteın, die Gedanfen, 
Sie werden unwillkätlich zum Grdicht, 

Wie Blumen um ein Heil’genbild ſich ranfen ! 


Wo Unichuld noch damit im Bunde ifl 

And ungefänftelt edle Kerzensuäre, 

Da thront die Bottbeit! — Bleibe wie du bil! 
O, daf dein Genius dich fo behüte! 


zen 
u en pa 


[u en 7 





Haberfüde iS. 439) 


Die 
ſächſiſche Schweiz; 


Von 
I. &. Weſſely. 


IM: den fchnellen Beförderungsmit: 
teln unserer Zeit hat das Reiſen 
zum Vergnügen einen hoben Aufſchwung 
genommen. Eine Vergnügungsreije ge: 
hört heutzutage zu den notwendigen 
Lurusartifeln, die ſich faſt jeder gönnen 
fann, denn man hat eine reihe Auswahl: 
von einer Tour, die in einem Tage abgethan 
werden fann, bis zu den Ausflügen nad den 
Südländern oder einem Seebade. Selbjt Aegyp— 
ten iſt feine unerreichbare Station mehr. Freilich 
hat nicht jeder Neifeluftige und Reiſebedürftige 
auch die Zeit und das Geld, um fo weit auszu: 
fliegen. Wie es aber ariftofratiiche Neifen gibt, 
d.h. ſolche, die der Neiche zu unternehmen Zeit 
und Mittel befitst, jo findet nun aud) der Bürger 
und Beamte unjerer großen Städte Gelegenheit, 
irgend einen Schönen Punkt feines lieben Vater: 
landes zu befuchen, um da neben fonftigen Ge: 
nüffen auch ein urfräftiges Ozon zu finden für 
feine Lunge und um in Gottes freier Natur fich 
zu erheitern und zu ſtärken. 

Vor einem Jahre brachten diefe Hefte einen 
Ausflug nad dem Harz. Wir wollen diesmal 
den freundlichen Leſer nad der ſächſiſchen 


Sohenftein 18. 429, 


Schweiz führen. Vielen Bewohnern Dresdens 
und auch Berlind werden wir nichts Neues mit: 
teilen, da fie auf diefem ſchönen Flecke unferer 
deutfchen Erde fehr wohl befannt find. Mögen 
auch die entfernteren Kinder Deutſchlands auf 
diefen reizenden Punkt aufmerkſam gemacht 
werben. 

Der ganze Bezirf mit feinen Felfen und 
Schluchten, der heute die „ſächſiſche Schweiz“ 
genannt wird, hieß früher das Meißner Hod): 
land, das fich auf beiden Seiten der Elbe von 
Tetichen bis Pirna erftredt. Da das Gebirge 
auf feine Grenzicheide Nüdficht nimmt und zur 
Hälfte in Sachſen und zur anderen in Böhmen 
liegt, jo wird von einer ſächſiſchen und böhmi— 
ichen Schweiz geiprochen; der Charakter beider 
ift derfelbe. Das Gebirge beiteht aus Sanditein: 
felfen, die ebenjo wunderbare, charakteriitische 
Normen annehmen, daß fie wie verwunjcene, 


418 


verfteinerte Berggeiſter den Touriften jo freund: 
lid) anloden und fo liebreich an ſich feſſeln, daß 
man ſich aus ihren Umarmungen faum heraus: 
reißen fann, 

Es iſt faum glaublid, aber wahr, daß die 
wilden, reizenden Bartieen diefes Gebirgslandes 
nod) vor hundert Jahren der großen Welt völlig 
unbefannt waren. Das ift leicht erflärlich ; ein: 
mal fehlte ein leichter Zugang zu ihnen, dann ijt 
es nicht jedermanns Sache, den Pfadfinder in 
einer wilden Gebirgsgegend zu machen. Wer 
dachte auch vor hundert Jahren im Volfe an 


J. €. Weffelr. 


Vergnügungsreifen! Zwei Paſtoren der Gegend 
(Göginger in Neuftadt und Nicolai in Lohmen ) 
verrieten die Schönheiten des Landes der großen 
Welt, indem erjterer 1786, letzterer 1803 ein 
Büchlein oder Wegweifer durch die ſächſiſche 
Schweiz herausgab. Erſterer hatte auch die 
Taufe des Gebirges unternommen; von ihm 
ftammt der Name: Sächſiſche Schweiz. Wie er 
auf diefen Namen verfiel, erzählt er aljo: „Alle 
Schweizer, welche die hiefige Gegend beſucht 
haben, verfichern, daß fie mit den fchweizertichen 
Gegenden fehr viel Aehnlichfeit habe.“ Was 





Wehlergrund (©. 422). 


das für Schweizer gewejen fein mögen! Cs 
mag diefes Kompliment der Touriften die 
Schuld tragen, daß man feitdem überall, wo 
ſich einige Hügel und Berge Nendezvous geben, 
von einer Schweiz ſpricht. Weber maht darum 
die Bemerkung, es werde neben dem Namen 
Gottes feiner fo oft eitel genannt, wie der 
Name der Schweiz. 

Die Sandfteinfelfen, die uns hier in den 
verschiedensten Formationen entgegentreten, oft 
jo kühn in die Höhe ragen, befiten noch beſon— 
dere Merkmale, aus denen der Geologe ihre 
Geſchichte herablieit. Koloſſale Duadern find 
übereinander geſchichtet, als ob fie ein Rieſen— 
maurer aufgetürmt hätte; oft iſt aber die Yage 





jo loder, oder erjcheint wenigſtens dem Auge 
jo, daß man ſich wundert, wie fie allen Stürmen 
der Jahrtauſende ftandhalten konnten. Oft it 
die Sejtalt abgerundet, alö ob ein Drechsler ſich 
an ihnen verfucht hätte, bald auch ausgezadt. 
Wagrechte Einfchnitte ziehen fih übereinander 
auf denjelben dahin, als ob fie wie beim Quer: 
Ichnitt des Baumftammes die Linien die Jahre 
ihres Alters angeben wollten. Offenbar find 
diefe durch Waſſerwogen gebildet worden. Denn 
einft ging das Meer bis hierher; da war Nord: 
deutjchland unter feinen Fluten begraben; ein 
ſchmaler Kanal drang bis nad) Böhmen hinein, 
das in derfelben Zeit ein Binnenfee war. Da: 
für haben wir Zeugen, wenn aud) Damals nod) 


Die ſachſiſche Schweiz. 





419 


Eteinerner Saal (©. 129. 


fein Tourist fich hier herumſchlug; es find Ab: 
drüde von Mujcheln, Seeigeln und anderen 
Tieren, die wir jett noch im Meere antreffen; 
auch Seegewächſe, Algen und Schwämme treten 
als Zeugen für die Behauptung der Natur: 
forfcher auf. Es muß freilich jchon lange her 
jein, als die Meereswogen diefe Felfen um: 
armten und füßten und fchlieglich fo deutliche 
Spuren ihrer Küſſe hinterliegen. Als fich das 


Meer zurüdzog, entleerte ſich auch das böhmifche 
Binnenmeer dur den jchmalen Kanal, der zu: 
gleich den inhalt der Flüſſe Später auf der: 
jelben Strafe, der jegigen Elbe, dem Meere 
zuführte, 

Die Entleerung eines jo mächtigen Binnen: 
meeres mag auch nicht ganz friedlich vor fich ge: 
gangen fein und jo manches Denkzeichen diefer 
wild dahin braufenden Fluten zwiſchen den 





420 j 3. €. Weffelr. 


Felfenmänden mag diefen zum ewigen Andenfen 
eingegraben worden jein. 
Belanntlid hat ſich Shafefpeare Böhmen | 





Felſent hal im Utlewaldergrund tE. 122), 


ala eine vom Meer umgebene Inſel vorgeitellt. 
Alſo das Gegenteil zum Ergebnis der Erdkunde; 
oder follte hier nur der erite Teil der Forſchung, 
daß Das Meer bis zur Grenze Böhmens reichte, 
einen leifen Wiederhall gefunden haben? 

Noch einer Eigentümlichkeit begegnen wir 





an dieſen Felfen; fie find oft von zahllofen 
fleinen Löchern bejät, daß fie zuweilen wie 
poröfe Schwämme erſcheinen. Das hat die Ver: 
mitterung gethan, die Näffe und 
der Winterfroft. „Gutta cavat 
lapidem“, der Tropfen höhlt den 
Etein aus, jagt der Lateiner; frei- 
lich ein Tropfen, der in Jahrhun- 
derten, ja Jahrtauſenden fich ftets 
wiederholt. Man findet Felfen, die 
jo zerflüftet find, daß man ftaunt, 
wie fie fih nodh auf den Füßen 
halten können; oft erfcheinen die 
Sprünge jo drohend, daß man ent: 
jeßt zurüdfährt und mit klopfender 
Bruft unter ihnen fchnell dahineilt. 

Es fommen in der That Fels— 
ftürze auch vor. Daß fie in grauer 
Vorzeit ftattgefunden haben, erſieht 
man an unzähligen Stellen , riefen: 
hafte abgerifjene Felfenblöde riſſen 
fid) los und ſtürzten in die Tiefe 
oder lagerten fich, von anderen Fel- 
jen im Fall aufgefangen, zuweilen 
in bizarren Wendungen über dieſe. 
Selbft in diefem Jahrhundert find 
jolhe Stürze vorgefommen; im 
Jahre 1838 löſte ſich eine ganze 
Wand de3 Pfaffenfteins los und 
fiel nieder und vor zwei Jahren 
jtürzte ein Felfen bei Schandau ein 
und mächtige Blöde wälzten fich bis 
in die Mitte der Elbe und fperrten 
jede Schiffahrt. 

Ein Dampfſchiff fam eben auf: 
wärts und durch Gejchrei vom Ufer 
auf den nahen Sturz, auf die Ge: 
fahr aufmerkſam gemacht, entging 
es, volle Dampfkraft einjegend, mit 
Inapper Not dem Untergange. 

Die ſächſiſche Schweiz erhält 
einen bejfonderen Reiz dur den 
Elbftrom, in dem fie fich fpiegelt. 
Felſen- und Berglandicaften gibt 
es auch anderswo, vielleicht noch 
intereflantere, wie 3. B. die Aders— 
bacher Felfen in Böhmen; hier aber bringt 
der Fluß Bewegung in die Landſchaft. Da 
lommen Dampfboote, Kettendampfer, die oft 
12— 20 große Boote bergmwärts [chleppen, große 
Prahmen, welde Bauholz nad dem „Reiche“ 
aus Böhmen bringen, mächtige Zillen mit aller: 








Die fächfiche Schweiz. 421 


let Waren und Produften, fo nament: 
lid zum Herbſt mit böhmiſchem Obite, 
das in Dresden bleibt, oder nach Magde: 
burg, Hamburg und durd den Kanal 
bis in die Mitte Berlins gebracht wird. 

So findet der Freund von Natur: 
fhönheiten vielfache Anregung. Nur 
auf eine Art Induſtrie it er nicht gut 
zu ſprechen. Der Sandſtein iſt nümlich 
ein vorzüglicher Bauſtein und wird 
fleißig gebrochen und weit verführt. 
Es wäre ein wunderbares Schauſpiel, 
wenn alle Steine an Häufern und Pa— 
läften Dresdens, die hier gebrochen 
wurden, Yeben erhielten, aus den Fugen 
aingen und ihr altes Yager aufſuchten. 
Man briht den Stein natürlidh gem 
nahe dem Elbufer, um ihm leicht ver: 
laden zu fünnen. Die alatten, hellen 
Mände des frischen Bruches marfieren 
ſich jtarf gegen die verwitterten grauen 
Felfen und den Baumwuchs, der jie 
frönt. Das macht ſich nicht Schön und 
man hört darum oft die Klage, daß 
die Induſtrie bald alles Schöne in der 
Natur zerftört haben wird. Der Berg: 
geift der ſächſiſchen Schweiz rächt ſich 
aber aud; araujam für diefe Werun: 


alimpfung jeines herrlichen Gewandes: alle Steinbrecher * 


ſterben an Schwindſucht. 


Der Leſer wird uns verzeihen, daß wir uns etwas 
lange mit dem Allgemeinen beſchäftigt und die ſchöne 





Orrfulesläuten ı@ 494), 


Gebirgsgegend gleichſam aus der Vogelperſpeltive be: 


tradhtet haben; eine Gegend gewinnt gewiß an 
Neiz, wenn man ihre Bedeutung fennt, 

Und fo machen wir ung auf den Weg, am 
beiten mit dem jtudentifchen Motto: 

„nederleicht iſt mein Gepäde, 

denn ſchwere Belaſtung des Körpers hemmt 
auch den Flug des Geiſtes. Wir können zu 
Waſſer und zu Land uns den erſehnten Par— 
tieen nähern, wir wählen aber mit Bedacht den 
letzteren Weg (angenommen, daß wir aus Dres— 
den unſeren Ausflug unternehmen) und fahren 
mit der Bahn bis Pötſcha. Es ift ganz aut, 
wenn wir nicht einjam pilgern, denn geteilte 
Freude iſt doppelt Freude. Dagegen huten 
wir uns an einem Sonntag oder in Feiertagen 
auszufliegen, denn an foldhen Tagen tummeln 
ſich Taufende hier herum und der Berggeiſt mit 
feiner Poeſie und feinem Gemüte läht fi da 
nicht Schauen, 








Wir haben mit der Bahn Pirna berührt, 
ein freundliches Städtchen, das fid an das 
Schloß Sonnenſtein in der Höhe anſchließt, 
wie ein Küchlein fih unter die Flügel der 
Henne verbirgt. Ein Mahrzeichen der Stadt ift 
das berühmte Buchjtabiererempel, Das uns be: 
lehrt, wie aus dem geſchriebenen Pirna das 
ausgeiprochene Verne geworden it: Bir ‘Per 
nane, Berne. 

In Pötſcha Schiffen wir mit dem Kahn über 
die Elbe ans jenfeitige Ufer, wo uns Wehlen 
begrüßt. Wir befinden uns am Cingange des 
eigentlihen Nusfluges. Wer an feiner Nuine 
vorübergehen kann, ohne fie zu befichtigen, und 
wäre auch nur ein Häufchen Steine übrig: 
geblieben, der kann ſich aleich hier in das vo: 
mantiſch-elegiſche Gefühl in der Nuine Wehlen 
einmweihen laſſen. Die Burg gehört zu den 
ültejten an der Elbe. Kein Feind, feine Er: 








422 3. €, Weffelr. 


ftürmung hat fie zur Ruine gemacht, fondern 
der Marasmus, die Altersſchwäche — freilic) 
aud) ein Feind, dem die feitefte Mauer erliegt. 

Und nun in den Wehlergrund (S. 418) 
hinein; ein jhöner Sommermorgen hüllt die 
Höhen in freundliches Licht ein, das durch blauen 
Himmel noch bef: 
ſer zur Geltung 
tommt; wir ſelbſt 
wandeln im küh— 
len Schatten des 
Thales, ein Bädh: 
lein, das uns über 
Steingeröllehüp: 
fend entgegen: 
fommt, Scheint 
uns mit feinem 
Gemurmel von 
den Schönheiten 
des Örundes, aus 
dem es hervor: 
lommt, erzählen 
zu wollen, aber 
wir empfinden fie 
bereits und jehen 
fie. Da erbliden 
wir die hohen 

Felſenwände, 

deren Formen— 
charalter wir be— 
reits oben be— 
ſchrieben haben 
und wir müſſen 
ein ſcharfes Auge 
haben, daß hier 
keine Burg, kein 
Werk von Men— 
ſchenhänden zu 
ſehen ſei, ſondern 
daß Naturkräfte 





ſchengeſtalt, hier ein Hund oder ein anderes 
Tier. Der nächſte Gedanke iſt der, daß lebende 
Weſen vorausgeſetzt werden, die durch irgend 
ein grauſames Geſchick zu Stein geworben find. 
So hat ſich durd Atavismus der Glaube der 
alten Griechen, die fich die gefamte Natur be- 
lebt, anthropo- 
morphiftiich be: 
lebt dachten, bis 
in die Neuzeit 
vererbt. Wir wer⸗ 
den auf unſerer 
Wanderung ſol— 
chen Verſteinerun⸗ 
gen aus der Sa— 
genwelt noch oft 
begegnen. 

Das Wandern 
in dem Felſen— 
thal iſt ſo reizend, 
daß man, wie 
von Geiſterhand 
getrieben, immer 
weiter ſchreitet 
und jeder Schritt 
Neues bringt. 
So fommen mir 
am  fteinernen 
Haus und Saal 
(S.419), an der 
Teufelsfüche vor: 
über und ſehen 

uns fchließlich 
von Riejenfeljen 
jo eng eingeſchloſ⸗ 
jen, daß wirernit= 
lih meinen, hier 
iſt des Grundes 
Ende. Näher 
tretend, gewah— 


im Yaufe von Narl Maria von Weber Wohnbaud in Hoferwit 15. 425). ren wir aber den 
Jahrtauſenden Durchgang in dem 
ee 

diefe autochtho: engen Paſſe. Einſt 


nen Felſenrieſen gebildet haben. — Wir 
gehen nicht weit vorwärts und der Grund 
hat ſeinen Namen geändert; er heißt jetzt 
Uttewaldergrund. Wo die Natur irgend ein 
beſonderes auffallendes Denkzeichen ihren Ge— 
bilden eingeprägt hat, gleich iſt der Menſch 
dabei, dieſen Wahrzeichen einen Namen zu 
geben. Und was erblicdt der Menſch hier nicht 
alles! Da ift ein Kopf, dort eine ganze Men: 


| 


ſtürzten mächtige Felſenblöcke von der Höhe in 
die Tiefe — wer fann melden, wann dies 
geichehen? — und, aufgehalten durd den Eng: 
paß, klemmten fie fich ein, ohne den Boden zu be: 
rühren. Eo entitand das Felſenthor (S.420), 
eins der am meiſten malerischen Objekte diejes 
Weges. Es hat für den Menfchen inner etwas 
Reängftigendes, wenn er zwiſchen den Felſen— 
riſſen wandelt und diefe oft in ihrer bizarren 


Ehloh Pillniy IS. 425). 


Die ſachſiſche Schweiz. 


423 





Gejtaltung jeden Augenblid mit dem Einfturz | mit Teufel und Hölle. Es ift befannt, welche 


drohen. Wenn aber ein 
mächtiges Gewitter diefe 
engen Gründe des Ge: 
birges durchbrauft, wenn 
die Erde erbebt und jedes 
Zuden des Blitzes eine 
Felſenrevolution anzufün- 
digen jcheint, dann mag 
aud der verwegenite Ne: 
nommijt erfahren und 
fühlen, was Angjt iſt. 
Wir gehen nun eine 
Weile zurüd, bis fich zur 
linfen Hand ein abge: 
zweigter Grund uns öff- 
net, in den wir eintreten 
und aufiteigend die Höhe 
des Berges erreichen. Der 
Grund heift der Zicherre: 
grund. An der höchit fall: 
ſüchtig ausfehenden, origt: 
nell geformten Höllen: 
wand (die man auch die 
Schiefertafel nennt ſiehe 
nebenftehend) vorbei kom— 
men wir in den wilden 
Höllengrund. — Wie die 
Alten den Eingang zum 
finftern Orcus in die wil: 


deite, troftlofefte Dede verfehten, jo brachten aud) 
unjere Ahnen wilde, felfige Orte in Verbindung 






Höllenwand, 








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Nolle der Teufel im Mit: 
telalter in der Sage wie 
beim Bolfe fpielte. 

Da der Böje befannt: 
lih den frommen Ein: 
fiedlern in ihrer Einöde 
gerne feine Beſuche ab: 
ftattete, um fie zu ängfti: 
gen oder zu verfuchen, fo 
fand es die Volfsphan: 
tafie ganz angemefjen, die 
Ichauriajten Orte als einen 
Lieblingsaufenthalt des 
Teufels zu betrachten. 
Mit Felfen, Höhlen, 
Brüden wurde fein Name 
verbunden und jedes Ge: 
birgsland weih etwas da— 
von zu erzählen. Wir 
ſcheinen uns hier in einem 
rechten Höllenreviere zu 
befinden. Links vom 
Wehlergrund ift der Teu: 
felsarund, jetzt famen wir 
an der Höllenwand vorbei 
in den Höllengrund. Ich 
vermute, dab auch der 
Name des Zicherregrunds 
derjelben infernalen Geo: 


graphie angehört und aus dem böhmifchen cert 
(ipr. Tichert) d. h. Teufel abzuleiten ift. Wir 
54 





424 


müflen uns erinnern, daß im zwölften Jahr: 
hundert jelbit Pirna böhmiſch war und daß die 
ſächſiſche und böhmiſche Schweiz noch mehrere 
Anklänge an den böhmiſchen Namen des Teufels 
befigt. Diefe Betrachtung paßt ganz wohl auf 
unjerem Wege zur Höhe. Geſpenſtiſch ragt auch 
eine Gruppe von Felſenſäulen in die Höhe und 
man ftaunt, wie die loje übereinander aufgeftell: 
ten Feljenftüde fo ruhig im Sturme der Ele: 
mente balancieren fünnen, ohne auseinander zu 
fallen. Hier verjtieg fi) die Phantafie jogar in 





J. €. Weflely. 


die antife Mythe und nennt die Gruppe Her: 
fulesfäulen (©. 421). 
Auf der Höhe angefommen, weicht alle Be: 


‚ Hommenheit, frei atmet die Bruft die würzige 


| 


| 


Luft des Gebirges, defjen Abgründe tief unter 
uns zurüdgeblieben find. Post nubila Phoe- 
bus, nad) der Beichränfung auf engem Pfade 
Sonnenlicht und weite Fernficht. 

Ein Teil unferer Gejellihaft hatte fih in 
Dresden von uns getrennt, da fie einen größe— 
ren Ummeg machen und Bartieen bejuchen wollte, 


EERT Dr 


J 


Ruine Pillnig IE, 4201. 


die und anderen bereit3 von früher her befannt 
waren. Auf der Baitei follten wir zufammen: 
treffen. Sie zogen am rechten Elbufer von 
Dresden über das reizend gelegene Wald: 
fhlößchen, am Fuße des mit Wein und an: 
deren Gärten bededten Höhenzuges in die frifche 
Morgenlandihaft aus. Ein ſolch ſchönes Fleck— 
chen Erde in der Nähe einer Hauptitadt ift für 
Villeggiaturen wie gemacht und wer ſich dieſen 
Luxus erlauben darf, den findet man ficher im 
Eommer hier und nicht in Dresden, An ſchönen 
Eonntagen aber bringen Dampfſchiffe Taufende 
hinaus, die wenigitens einen Tag der Woche fid) 
in der herrlichen Natur erfrifhen fünnen, Aber 
auch an Wocentagen ift es belebt, wozu die 
Elbe mit dem regen Verkehr auf ihr nicht wenig 


beiträgt. Es gibt foldye Partieen, die in uns 
immer an ſchönen Tagen das Gefühl fonntäg: 
licher Freude erweden. 

Nun follten auch poetifhe Neminiscenzen 
ſich an den Spaziergang fnüpfen; bald ift Loſch— 
wit erreicht und Schillers jugendliche Geſtalt 
jcheint jeden Augenblid uns entgegentreten zu 
müffen. Hier hatte der Dichter im Haufe 
Kömers, dem Vaterhaufe Theodors, längere 
Zeit gaftlihe Aufnahme gefunden, hier auch 
jeinen „Don Garlos“ gedichtet — troß ber 
Störung, die ihm die nachbarliche Waſchküche 
bereitete, weshalb er als „miedergejchlagener 
Trauerfpieldichter“ ein poetifches „unterthänig: 
ſtes Promemoria an die Konfiitorialrat Körne— 
riſche weibliche Waſchdeputation in Loſchwih“ 


Die fächfifche Schweiz. 


abzufenden fid) gezwungen ſah, das mit dem 
Seufzer endete: 

„Der Teufel ſoll die Dichterei 

Beim Hemdenwaſchen holen! ! 

Menn wir unfere Blide von hier zum an: 
deren Ufer der Elbe ſchweifen laffen, erbliden 
wir Blafewiß und eine zweite Erinnerung an 
Schiller taudt auf, denn hier lebte ala 
Schenkmädchen die Perfönlichkeit, die der 
Dichter in Wallenfteins Lager als Guftel 
von Blafewis unjterblich gemacht hat. Die: 
felbe diente fpäter im Haufe Körners. 

Häufer und Dertlichfeiten, welche große 
Männer, deren Name einer ganzen Nation 
gehört, durch ihre Gegenwart geweiht haben, 
an die fich ein Stüd ihrer Thätigfeit knüpft, 
befigen einen eigenen Reiz; man glaubt in 
der Yandichaft, auf der ihr Blick geruht, in 
der Umgebung, in der fie ſich bewegten, die 
acheimen Fäden zu entdeden, die uns ein 
tieferes Eindringen in ihre geiftige Thätig— 
feit ermöglicht. Auch in der Gegenwart 
führt uns Loſchwitz einen Manı vor, deifen 
Kunftichaffen einen reihen Schag feinem 
Wolfe, bejonders der Familie und der Kin: 
derwelt zugeführt hat; es ift Ludwig Nichter, 
der Künftler-Neftor, deſſen SOjähriges Wie: 
genfeft wir im verflojjenen Jahre gefeiert 
haben und der hier im beſcheidenen Häuschen, 
aber von herrliher Natur umgeben, fein 
„otium cum honore* genießt. 

Auf der Strafe vorwärts fchreitend er: 
reiht man bald Hofterwig und aud hier 
zwingt ung eine pietätvolle Erinnerung einen 
Augenblid vor einem einfachen Haufe, das 
‚ fich hinter Bäumen verbirgt, ftille zu ftehen 
(S. 422). Hat in Loſchwitz uns ein Dichter 
und ein Künftler beglüdt, dann ift es hier 
die Tonfunft, welde in dem befcheidenen 
Haufe zwei ihrer Meifterwerfe entjtehen jah. 
Hier wohnte Karl Maria von Weber, hier 
dichtete er den Freiihüg und den Oberon. 
Wer diefe romantischen Opern fennt — und wer 
fennt fie nicht — wird faum glauben, daß dieje 
riefenhaften Kompofitionen in der Stille diefer 
bejchränften Räume ſich bilden konnten und daß 
vielleicht ein ärmliches Spinett zum Geburtähel: 
fer diente. Da fehen wir tar, daß geiltiges 
Schaffen von Zeit und Naum nicht eingejchränft 


’ ©. Kunft und Leben. Aus Friedrich Förfters 
Nachlaß, herausg. von 9. Kletle. S. 75. 





425 


werben kann. Wie flein ift der Naum des 


Schädels und die Maſſe des Gehirns und dod) 
werden hier Gedanken geboren, die Neiche zer: 
itören und Reiche gründen fönnen. — Ein 
Viertelſtündchen weiter brachte die Gefellichaft 
nad) Pillnig, das ſächſiſche Verfailles (5.423). 
Das königliche Luftichloß hat aber vor dem fran- 


U ——— 






—8 

* 

X 3 zu 
Rt r 

nn a FE" 

Liebethal. Aufſtieg zum Torf (6. 126), 





zöfifchen den Vorzug, daß es fich in einem Strome 
ipiegelt und daß Berge ihm zur reizenden Folie 
dienen. Man fann fich das Innere des Schloffes, 
wenn die fönigliche Familie nicht anweſend ift, 
zeigen laſſen und die resfen Vogels im Speife: 
faal und in der Kapelle bewundern, auch die Ge— 
wädhshäufer und den Garten zeigt der Hof: 
gärtner; wer aber bei feinem Ausfluge nur der 
Natur feinen Beſuch zugedacht hat, eilt weiter. 
Allenfalls, um fich im Bergiteigen ein wenig zu 


426 





Elch Lohnen ©. 4271, 


üben, bejucht man die Nuine (S. 425), die in 
mäßiger Anhöhe angeleat, eine Ausficht auf die 


| 


Elbe und die jenfeitige Ebene zwijchen Dresden 
und Pirna gewährt. Wir jagen mit Borbedadht 


„angelegt“, denn die Ruine tft bereits als ſolche 
geboren, fünftlich als Ruine erbaut, zur Ver: 


fchönerung der Gegend. Diefe Bauthätigfeit 
ſteht nicht ifoliert da; Fürſt Liechtenftein hat bei 


Mödling mehrere folder Nuinen aufführen laſſen 
und die füdwärts reifenden Fremden bewundern 
fie aus ihren Bahncoupes und träumen von 
Nitterzeiten und romantifchen Affairen. Fürſt 
Torlonia in Nom hat in feiner Billa vor Porta 
Pia auch Nuinen von Aquädukten erbauen laſſen. 
Das heift doch Eulen nach Athen tragen! 

Und nun heit es, in die Berge hinauf, in 
die ſächſiſche Schweiz. Ueber Boyris, am hohen 
Pohrsberg vorbei, gelangt man nad) dem Dorfe 
Yiebethal(S.425), das uns einen Vorgeſchmack 
von hohen Felsmaſſen und tiefen Abgründen 
gewährt. Es iſt zum Staunen, mit welcher Mühe 


ſich Menjchen oft den Zugang zu ihren Hütten | 


der wilden Natur abzutrogen verftehen. Der 
Aufitieg zum Dorfe ift in den Felfen gehauen 
und nur ſchwindelfreien Perſonen zu erflettern 
möglich. Die Einwohner tragen auch noch zum 
Ueberfluß Laſten hinauf. Ueber dieje halsbreche: 
riichen Stufen muß der Tourift zum Abgrund 
hinab, wenn er den Liebethaler Grund bejuchen 
will. Taufende und Taufende find da herab: 
gejtiegen, darum Mut gefaßt, wer weiß, welche 
Ueberrafchung die Tiefe dem Wanderer bringt. 
Wir gelangen auf diefe Art in den Liebethaler 
Grund, der diefelbe Landichaftliche Poeſie beſitzt, 
wie die anderen Gründe, nur mit dem Unter: 
ſchiede, daß die wilden Felfenmafjen in der 
Mitte des Grundes einer lieblichen Foylle Raum 
gewähren. Schon von der Ferne begrüßt den 


Kommenden das Naufchen des Baches und das 
Klappern einer Mühle. Es ift die Lochmühle 


(3.427). deren Wehr einen Heinen Waſſerfall 
bildet. Ein lieblihes Plägchen zum Musruhen, 
um fo erwünfchter, als die Mühle auch eine Feine 
Erfriichung bietet und man ausruhend den Nei; 


Die fächfifche Schweiz 


der Landſchaft auf fih wirken laffen fann. — 


Hat man den Liebethaler Grund in feiner | 


Länge pajftert, jo erreiht man Lohmen, ein 
Städten, das vermittelft der Bahn mit Pirna 
verbunden iſt. Wir find hier bereits im Bereich 
der ſächſiſchen Schweiz. Lohmen ift eine fehr alte 
Anfiedelung und verdanft ſlaviſchen Bewohnern 
feiner Urfpruna, denn Lom heit im Böhmiſchen 
der Steinbruch und in der Umgebung find die 
größten Steinbrüdje, die im Yaufe von 400 Jah: 
ren ſchon manches fonft enge Thal geweitet 








427 


die mehrere Klippen vereint und die mit ihrer Jin: 
feneinfafjung von der Kerne einer Baſtei nicht 
unähnlich it. Früher beitand fie aus einer hölzer: 
nen Brüde (feit 1826 ), die fteinerne datiert erft 
jeit 1851. Schon für den Neifenden, der von ſei— 
nem Coupe aus hinaufblidt, ericheint die Felſen— 
gruppe mit der fie verbindenden Brüde, die fie: 
ben Bögen bildet, höchft romantisch. Hoch oben 
aber genießt man eine Romantif, von der man 
unten in der Tiefe fich feinen Begriff machen 
fann. Die Fernficht it ſehr umfaſſend, wie eine 


haben. Der vlaftische 
Ort beſaß Landkarte 
bereits 1291 liegt ein 
eine Kirche; Stück ſchö— 
das alte ner Erde vor 
Schloß iſt uns ausge— 
zum Wirt: breitet. Was 
ſchafts⸗ und wie weit 
gebäude de: man  fehen 
grabdiert ; fann, will 
nah einer ich nicht ja: 
Inſchrift auf gen; wären 
der Mauer es doch nur 
fiel ein Worte, nur 
Knecht, der die Beſchrei— 
auf derſel— bung eines 
ben einge— Konzertes. 
ſchlafen — Weite Aus— 
war, herab — — fichten fin: 
und brach Lohmähe im Llebethalergrunde (8. dıCı. den wir auf 
beide Beine. unferem 


Aljo ein Anflug zu einer Sage, deren Pointe 
leider ſehr proſaiſch iſt. 

Der Anblick des Ortes von unten iſt recht 
pittoresf und höchſt maleriſch gruppiert; es er: 
ſcheint als vollendetes Yandichaftsbild, das allen 
Negeln der Kunſt entipricht (S. 426). 

Von Lohmen nahmen dann unfere Freunde 
ihren Weg auf entgegengefehter Zeite nad) Utte: 
walde und dem Uttewaldergrund, auf dem: 


Ausfluge noch oft, was aber fonit fehlt und hier 
den Hauptreiz bildet, ift der Blick in die Tiefe, 
wo die Elbe das Thal ausfüllt und gerade unter 


uns einen Bogen bildet. Wie oft beneidet man 





jelben Wege, den wir genommen haben, uns fol: 


gend, bis fie uns, weil fchnellfühiger als wir, 
hier auf der Höhe ereilten. Gemeinfam erreichen 
wir den Glanzpunkt der ſächſiſchen Schweiz, die 
Baſtei (S. 429). Das Gaſthaus erjcheint uns 
wie eine freundliche Daſe in der Wüſte; in feiner 
ſtadtiſchen Erfcheinung nimmt es fich auch fremd: 
artig genug in der FFelfeneinöde aus. Nicht lange 
verweilen wir bei der leider notwendigen Erfri— 


hung, uns zieht es mit magiicher Gewalt zur | 


Baftei jelbit hin, Diefe ift eigentlich eine Brüde, 


den Vogel, der fih in die Yüfte erheben und 
weite Auen überbliden fan; hier können wir 
begreifen, welche Luft der beficderte Scaler der 
Lüfte empfinden Fönnte, wenn er wie der Menſch 
Verftändnis dafür hätte. Mich wundert es, daß 
man, wie cö an anderen Orten fchon aefchehen 
it, Die dritte Verfuchung des Herrn nicht hier: 
her verlegte, it doc des Verfuchers Nevier in 
unmitelbarer Nähe! 

Ron der Baſtei nah Nathen an der Elbe 
wäre nun nicht weit und von hier die Rückkehr 
nah Dresden leicht möglich. Aber jo jchnell 
geben wir uns nicht zufrieden; mie der Yöwe, der 
Blut aelojtet, noch nach mehr lechzt, fo wir, Die 
wir erjt einen Heinen Teil des Gebirges durd): 


: flogen, nad) einer Fortſetzung des Genuſſes uns 


u 3 ine 





Umfelfau und Amfelgrund. 


fehnen. Unjere Pedale find einmal eingeübt und 
darum hinab von der Baftei in die Tiefe und 
links hinein in den Amfelgrund (f.o.). Ein 
ihön gepflegter Promenadenweg erleichtert uns 
den Naturgenuß, der Grünbach, der uns von der 
Höhe entgegenrauſcht, erſetzt uns den Führer, 
Die phantaftiichen Felfenbildungen, die indeſſen 
den Charakter aller Felfen diefer Gegend tragen, 
ericheinen wie Coulifjen eines Riejentheaters; 
beim Weitergehen verſchieben fie fich jede Weile 
und zeigen neue Gruppierungen. Den ſchönſten 
Punkt der Partie erreichen wir bein Amſelloch, 
wo ſich die Felſen grotesf zufanımendrängen. 
Das Amſelloch ift eine Höhle, über welche der 
Grünbach ſich ergießt und einen ſchönen Wafler: 
fall bilden — würde, wenn der Bach immer 
Waſſer genug zu dieſem Pläſir beſaäße. In 


heißen Sommertagen 
geht ihm aber der 
Atem d.h. das Waſſer 
aus und dieſes wird 
künſtlich gefammelt, 
um gegen Bezahlung 
ſich einige Minuten vor 
den Touriften zu prä: 
jentieren. Das Bäch— 
lein kann ſich tröjten ; 
es find ſonſt in der 
Melt, 3. B. auf ber 
Wilhelmshöhe bei Kaſ⸗ 
ſel koſtſpielige Waſſer— 
fälle hergeſtelltworden, 
denen auch das Waſſer 
fehlt, ſo daß ſie ſich 
nur an Feſttagen pro⸗ 
duzieren dürfen. 

Mutig aufwärts 
ſteigend, berühren wir 
das Dorf Rathewalde 
underreichendie Chauſ⸗ 
ſee, die uns rechts 
am Hochſtein vorbei 
nach Hohnſtein bringt. 
Der Hockſtein (S. 
431) iſt ein Zwillings⸗ 
paar von Felfen, die 
durch eine Brüde ver: 
bunden find. Bon der: 
felben hat man einen 
Einblidin das Polenz: 
thal, in das die Felſen 
jäh abjtürgen. Ein 
tiefer Abgrund gähnt uns an und wohl mit 
Necht führt die 1821 erbaute Brüde den Na: 
men Teufelsbrüde. Aber diefes Prädikat wird 
ihr in neuefter Zeit ftreitig gemadt, nachdem 
man eine von Waldftreu und SHeidelbeeren 
überwudherte natürliche Steinbrüde entdedt hat. 
Es ift nicht ausgemacht, ob dieſe Höhe einſt eine 
Burg trug. Alte Spuren von Löchern, Stufen, | 
Gifternen deuten aber dahin, daß fi hier Men: 
ichen wenigitens vorübergehend aufgehalten ha= 
ben, die etwa in Kriegszeiten hier eine Zufluchts⸗ 
jtätte fuchten. 

Bon Hodjtein erblidt man, durch die Wolfs— 
ichlucht, getrennt, Schloß und Städtchen Hohn: 
ftein (S. 417). Da haben wir aljo endlich 
ein Stück vom romantischen Mittelalter. Das 
Schloß dominiert auf dem höchſten Punkte 


Die fächftfche Schweiz. 429 


des Felſens, der nad) dem Polenzthal fteil ab: | das Schloß iſt jeht eine Korrektionsanftalt. Das 
fällt. Der Weg von Hodjtein durd) die Wolfs- ift das Los des Schönen in der Welt! Dod 
ſchlucht ift zwar jehr interefjant, aber, da allerlei | kann man nod), wer Freude an folden Dingen 
Hindernifje überwunden werden müfjen, nicht | hat, das Burgverließ, die Marterfammern und 
eben leicht, weshalb Frauen und beleibte Männer | alte Gefängniffe in Augenſchein nehmen, aud) 
einen bequemeren Weg einjhlagen. Hat man | von einem Altan herab in den Bärenzwinger 
das freundliche Städtchen erreicht, fo verliert fih | einen Blid werfen. Da hauften einft ganz un: 
leider alle Illuſion, die in uns die pittoresfe | heimliche Gefellen, die auch zuweilen ausbradyen 
Anficht des Schloffes in der Ferne gewedt hatte: | und in den Waldungen viel Schaden anrichteten. 





Bolteibräde (8. 427). 


Als einmal Meifter Peg, Frömmigkeit fimulies | rung beforgt. Es ift der Gebirgsverein, der in 
rend, plötzlich in die Kirche während des Gottes: | Pirna feinen Gentralfit hat, aber in der ganzen 
dienftes geriet und hier namenlofe Angit und | fähfiich böhmischen Schweiz in 25 Sektionen 
Verwirrung erregte, lich Auguft III. das ge: | fi teilt. Wie er jo mande neue Partie im 
fährliche Wildbret erſchießen und den Bären: | Gebirge der reifenden Menſchheit eröffnet und 
jwinger ausleeren. zugänglich gemacht hat, fo macht er durd) die 
Das Polenzthal, deſſen poetiihem Zauber | überall angebrachten Wegweiſer ſich um die 
wir ung mit Freuden hingeben, führt uns der | Sicherheit des Neifens verdient. 
Elbegegend zu. In der ganzen ſächſiſchen Schweiz Eo ladet uns auch im Polenzthal ein folder 
gewahren wir auf Schritt und Tritt die Thätig: | MWegweijer ein, dem Brand einen Befuch abzu— 
feit einer Geſellſchaft, die feit 1877 die Touriften: | ftatten; jo heißt eine teile vorfpringende Felſen— 
wege imjtande erhält und ihre genaue Markie | fläche, von der man eine der ſchönſten Ausſichten 


430 


über das umliegende Gebirge genießt. Auffallen 
muß in der Richtung nad Oſten die Formation 
einer Gruppe nebeneinander ftehender, fait ab: 
gerundeter Felskegel, die die Volksphantaſie 
„Haberfäde” (©. 417) getauft hat. Sie 
fönnten mit gleihem Rechte auch Roggen: oder 
Meizenfäde heigen, denn wer hat ihren inhalt 
unterfucht? Und doch ift der Haber hier begründet, 
denn die fpärlichen Meder des Gebirges bringen 
eben nur höchſtens Haber hervor. 

Ueber jteinerne Stufen gelangt man auf die 
Straße, die uns bald nad Schandau bringt. 





Aus der wohlthuenden Ruhe des Gebirges, wo | 


uns höchſtens zuweilen ein Echo freundlich ant: 
wortet, befinden wir uns plößlich im Trubel eines 


Prebiihtbor S. a2), 





3. €. Weilely. 


großftädtiich fich gebarenden Städtchens, Denn 
Schandau ift ein Mode:Badeort, in das Die 
Großftädter ihre heimischen Gewohnheiten mit— 
bringen. So jtark beeinflußt uns die Kultur, 
daß wir fie ſelbſt in der Villeggiatur nicht ablegen 
fönnen, um im intimften Verkehr mit der Natur 
fih nur als Menſch zu fühlen. 

Geftärkt unternehmen wir unfere weitere 
Wanderung durd das Gebirge. Wir halten 
uns in der Nähe des Kirnitſchflüßchens und 
fommen an mehreren Mühlen vorbei zum Lich— 
tenhainer Waflerfall, der aber aud nur, wie 
der Amfelfall, gegen Entgelt auf einige Minus 
ten thätig it. Das Gebirge iſt nämlich wafjer- 
arm; im Frühjahr, wenn der Schnee im Gebirge 
ſchmilzt oder bei jtarfen Regen— 
güffen jchwellen freilich die klein— 
ſten Büchlein an und werben zu 
reigenden Gebirgsbädhen, wäh: 
rend fie im heißen Sommer oft 
ganz austrodnen. 

Vom Wafjerfall erreiht man 
auf fteilem Fußwege, den uns 
ein MWegweifer zeigt, in einer 
halben Stunde den Kuhſtall. 
Es ift dies ein natürliches Felſen⸗ 
gewölbe, durch welches man auf 
den Habichtsgrund hindurchſieht. 
Die ganze Umgebung ift fehr 
wild und erfcheint wie ein Felſen⸗ 
labyrinth. Den jehr profaifchen 
Namen „Kuhſtall“ mag das Ge: 
wölbe befommen haben, weil die 
in Kriegszeiten ſich hierher flüch: 
tenden Menſchen ihr Vieh in dem 
Gewölbe geborgen haben. So 
aller Poeſie hohnfprechend, hat 
doc der Kuhjtall, wie im Frem— 
denbuche zu lefen, einen Natur: 
dichter zu folgender Dithyrambe 
begeiftern können: 

„Ich bin geweien, ich bin aewefen, 
Ih bin im herrlichen Kubjtall ge: 
weſen.“ 

Darunter hat das Echo des 
Gebirges durch einen Vertreter 
eintragen laſſen: 

„Es iſt geweſen, es iſt geweſen, 
Es iſt ein Ochſe im Kuhſtall ge— 
weſen.“ 

Von hier geht unſere Wan— 
derung zunächſt nach dem kleinen 





Die fächfifche Schweiz. 


Winterberg. Wir paffieren einen Felfengang, 
„die frumme Karoline“ genannt, das Schneider: 
und das Pfaffenloh. Das Genie, das diefe 
Gegend poetifch bearbeiten wollte, müßte bei 
folhen Namen in eine gelinde Berzweiflung 
geraten. 

Der fleine Winterberg hat nur eine be: 
ſchränkte Ausfiht und wir ſuchen darum ben 





431 


Und nun friſch auf zur legten Station, die 
bereit3 über der deutichen Grenze, in der böh— 
miſchen Schweiz liegt. Es ift das Prebifhthor 
(©. 430), wohl das großartigfte Naturfpiel, das 
ſich in längſt vergungenen Tagen in und durch 
die Revolution der Elemente gebildet hat. Eine 
riefige Felfenplatte ruht auf zwei Felſenpfeilern 
und bildet einen ungeheueren Thorbogen, den 


— * —* * ſig * 
großen Win— rücke 
terberg zu er⸗ denken kann, 
reichen, wo da man über 
* ein recht ei —— 
equemes und ein gün— 
Gaſthaus mit ſtiges „Lug 
gutem öſter— ins Land“ ge: 
reichiſchen winnen kann. 
Mein, treff— Früher be— 
er — fand ” Br 
und annehm: eine jehr 
baren Preijen malerifch jich 
aufnimmt. präfentieren: 
Wir hatten de Nejtaura: 
bisher ein tion, die ſich 
herrliches wie ein 
Wetter ge: Schwalben: 
habt, die Luft neft an die 
war heiß, aber Felfenwand 
far und wir lehnte. In 
brachten man: neueſter Zeit 
chen Schweiß: entſtand ein 
tropfen als neues maſſi— 
Dpfer dem ves Gebäude, 
a. * - treffliche 
enn es wahr ewirtung 
iſt, wie Heſiod bietet. Wenn 
ſagt: man meint, 
Ueber die heutzutage 
Tugend ſetzten könne fein 
den Schweiß die neuer Bauſtil 
unfter blichen Blid auf ben großen Hodflein (S. 428). mehr e tun: 
Götter“, den werden, 


dann fann unfere Tugend nicht bezweifelt werden. 

Wir haben uns bereden lafjen, am Winter: 
berge zu übernadhten, um den Sonnenaufgang 
zu ſehen. Diefen zu bewundern, waren wir frei: 
lich nicht für würdig befunden; dichter Nebel 
lagerte um uns her. Dennoch bedauerten wir 
nicht, hier geblieben zu fein, denn der Nebel ver: 
ſchwand und wir genofjen eine Ausficht, Die ſich 
nicht bejchreiben läßt. Mird doch der Durchmeſſer 
des Geſichtskreiſes mit 22 Meilen berechnet. 


dann fehe man fi den Unterbau des Gebäudes 
an. Da hat der Baumeifter in den mächtigen 
Quaderfäulen etwas ganz Neues erfunden. Aber 
ſchön ijt es nicht! 

Auf fehr bequemem Wege erreicht man das 
anmutige Thal des Bielagrundes und tritt 
ſchließlich in Herrnöfretichen zum Elbeufer. Im 
freundlichen Gärtchen des Gafthaufes (früheren 
Herrenhaufes) uns erfrifchend, warten wir das 
Dampfidiff ab oder lafjen uns über die Elbe 

55 


432 


ſetzen, um mit der Bahn unferen Rückweg an: 
zutreten. Ber ſchönem Wetter ift_das Dampf: 
Ichiff vorzuziehen, da die Fahrt thalwärts ſchnell 
geht und wir vom Verdeck aus ebenfalls beſſer 
beide Ufer überblicken können. 

Beſonders großartig erſcheint am linken 
Elbufer die Feſtung Königſtein (ſ. u.). Sie 
ſoll den Schluß unſerer Exkurſion bilden. Sonſt 
bieten zwar Feſtungen der Neu: oder Wißbegier 
wenig oder gar nichts Intereſſantes dar; hier 
aber ift eö der Berg, auf dem die Feftung liegt 
und der eine weite Ausficht verfpricht, der uns 
zum Befteigen desfelben reizt. Urfprünglic war 
der Königftein eine böhmifche Grenzfefte. Spä- 
ter im Befig Wilhelms I. von Meißen wurde 
die Feftung durd die Huffiten (1425) zerftört, 
zu Ende des 16. Jahrhunderts durch Kurfürft 
Auguft wieder befeftigt. An fie knüpfen fi) 
fonjt nur wenige hijtorifche Erinnerungen; Bött: 
her, der Erfinder des Porzellans, wurde hier 
1704— 1707 vor den Schweden in Gewahrfam 
gehalten, damit er von diefen nicht gezwungen 
werde, fein Geheimnis zu verraten. In neuerer 
Zeit war Bakunin als wirfliher Gefangener 
hier gehalten. Er war 1848 ein rechter Sturm: 
vogel; wo er erſchien, da entitand Revolution, 
jo in Prag, darauf 1849 in Dresden. Er wurde 
an Rußland ausgeliefert, nach Sibirien ver: 


J. €. Weſſely. Die fähnfche Schweiz. 


bannt, von da entfloh er über Japan nad Ame- 
rifa. Es wäre noch Kyau zu nennen, der lujtige 
Patron, der hier 1715— 1733 Kommandant war. 
Er nannte die Feftung feine fteinerne Braut. 

Einen Anlauf zum Romantifchen nimmt das 
fogenannte Pagenbett. Es ift dieſes ein fchma- 
ler Felsvorſprung, auf dem bei einem Feſte 
Johann Georg II. (1665) ein betrunfener 
Page, Heinrich von Grünau, einfhlief. Der 
Kurfürft ließ ihn behutjam mit Striden binden 
und dann mit Trompetenfchall aufweden. 

Da man am Rande des Felſens rings um 
die Feitung gehen fan, fo genießt man bie 
reihe Umficht nach allen Weltgegenden; fie be: 
lohnt reichlich den fteilen Weg zur Höhe. Allen: 
fall3 fönnen wir nod) dem Brunnen unfere Auf: 
merkjamfeit ſchenken, dejlen Bohrung (1553 
angefangen) eine vierzigjährige Arbeit bean- 
ſpruchte. Die Tiefe beträgt 186 m. 

Es wären auf diefer Seite der Elbe aud 
fo manche jhöne Ausflüge möglid (mie aud 
unfere befchriebene Tour am rechten Elbufer 
noch viele Seitenabfteher zuläßt). Aber für 
diesmal haben wir genug genofjen. Wir haben 
übervoll zu thun, um die gewonnenen Eindrüde 
im Gehirnfaften zu ordnen, damit die Erinne- 
rung diefelben vorfommenden Fall ſchnell und 
richtig finden und verwenden fann. 





Könlaftein ıf. 0.) 


> Des Selehrten Frühling — 


(Stoffe.) 


Wie gern erforſchte ich im Süden 

Den Mumtenfchrein im flillen Dom 

Der rätjelhaften Pyramiden! 

Ich flieg in Gräfte, brach den Frieden 

Der Katafombenfladt in Rom. 

Dod;, wenn ich von der Wand'rung lahm, 
Heimfehrend Finkenſchlag vernahm, 

Derichloß ich meine Schreibtifchfächer. 

Froh rief ich dann beim vollen Becher: 
Sahr' aus, du Staub, der in mich fam! 


Wo in der Denkerſtirne Salten, 

Wo unter längft ergrautem Haar 

Die Ehrfurdht vor dem Geift der Alten 
Und £iebe zu den Mufen walten — 

Da ift der Wiſſenſchaft Altar. 

Dod;, wenn nach winterlichem Bram 

In Ailler jungfräulicher Scham 

Die Deildyen meine Gunft gewannen, 
Könnt ibr mich nicht mehr an euch bannen, 
Schulweisbeit du und Büdherfram. 


Bahr‘ aus bu Staub, ber in mid kam, 
Shulweisbeit bu und Büderfram, 
In alle Winde fliche, 


Daß bie Natur einziehe! ziet 


mid nahm ein Eid in feine Haft. 
Auf meinem Sig von £eder 

Schwur Treue ich der Wiffenichaft. 
Dod; müde wird die Feder 

Und träge meine Kebensfraft 

Schon in des Tages Frühe. 

un’ der papier'nen Mühe, 

Die mid; geplagt beim Campenſchein, 
Sag’ ich: du follft des Teufels fein, 
In alle Winde fliche! 


Blick' auf ins dunfle Sirmament! 

£ies der Geflirne Bibeln! 

Sort Mifroffop und Inftrument! 
Derlern’ es, nadızugrübeln, 

Ob dir dein Schidfal noch vergönnt 
Daf Srohfinn in dir blähe, 

Dergif dein £eid! Denn fiehe! 

Dich füht der Roſe holder Duft. 

Thu’ auf dein Herz, daß Frahlingsluft, 
Daf die Natur einziehe! 


Sranz von Bolbendorfl. 


Herr Floxin. 
Ssine Geſtalft aus den Bergen. 


Bon 


Hans Malfer. 


DAN, in verfehltes Leben! Er hätte 
’ Künftler werden fünnen, er 
hätte Profefior werden können, 
er hätte Bürgermeifter werden 
fünnen — Landtagsabgeordne— 
ter, Herrenhausmitglied — dann Baron oder 
Präfident, jo oder jo. Baron, wenn der Staat 
eine Monarchie verblieben, Präfident, wenn er 
eine Republit geworden. — Und ijt nichts, 
als ein windiger Rafierer. 

Ein Barticherer, ein SHaarkräusler und 
Geckenaufputzer, ein Berüdenflehter und Haar: 
zopfiträhner. Man verlangt, dab er Spähe 
made, und da er fie nicht macht, jo macht man 
jih melde mit ihm. Man nennt ihn Doltor, 
er protejtiert nicht dagegen, der Titel gebührt 
ihm, er ift belefen, er nennt alle hohen Berge 





| 
| 


der Welt beim Namen, und weiß, wie hod) fie 
find, weiß e3 in Fuß und Metern, kennt die 
Tiefen des Meeres und berechnet nad einem 
alten Atlas, wo die größten Untiefen find. Er 
gibt dem Landmann, während er ihm den Bart 
abſchabt, Fingerzeige über die Witterung der 
nächften Monate, belehrt ihn, wie er den Dung 
ftreuen, woher er den Samen beziehen müfle. 
Er hat Agentihaften, und zwar deren fo viele, 
daß er vor lauter Schildertafeln die Tünche 
feines Häuschens erjpart. Er verfihert dem 
Bauern das Haus, das Vieh, die Feldfrüchte, 
das Leben. — Wenn mir diefer Lebenöver: 
fiherer, denkt fi der Bauer, nur jetzt die Gur— 
gel nicht abjchneidet! anftellt er fich g’rad fo. 
Kragen thut der Sagara ſchon, daß man die 
Engel fingen hört! Schneidet denn das Meſſer 


434 


nicht? — Allerdings, das Meſſer roſtet ſchon, 
denn Herr Florin hängt das Geſchäft an den 
Nagel und rafiert den Mann nur aus Gefällig: 
feit. Er will ihm aus Gefälligfeit auch den 
Prozeß führen helfen, den der Bauer mit einem 
Nachbar hat. Meifter Florin weiß gut aus im 
Gefegbud) und wird dem findigften Doktor zu 


geicheit. Er führt verfchiedenerlei Schreiber: ' 


geichäfte, hat hier einen Strauß mit dem Steuer: 
amt, dort einen Handel mit dem Bezirkögericht, 


da ein Rencontre mit dem Notar, oder mit | 
einem Gläubiger, mit dem oder jenem — und | 


gewinnt, gewinnt alles, 

Daher will er das Nafiergefchäft aufgeben, 
es find fchlechte Zeiten. Ja früher, in feines 
feligen Vaters Jahren, wo jeder brave Staats: 
bürger fortweg fein glattes Geſicht haben mußte, 
da war's leicht Rafierer zu fein. Aber jetzt, wo 
die Leute ihren Patriotismus und ihre Meis- 
heit und ihr politifches Bekenntnis in den Bart: 
haaren herauswachſen laſſen, jet wird der Ra: 


fierer — und er mag der klügſte und fleißigſte 


Mann fein — ein Bettler. 

Ueberhaupt — und das Wörtlein hat Mei: 
fter Florin immer auf der Zunge — überhaupt, 
das fliegt fo über alles hin, da ſteckt alles drin, 
was der Sprecher meint, aber nicht weiß, ober 
wenn er gar nichtö meint und nichts weiß, als 
nur, daß hier eine Phrafe gut ftehe, jo jagt er: 








überhaupt, und hat damit fehr viel und jehr | 
vernünftig geſprochen. Alfo — „überhaupt,“ | 
jagt der Meifter Florin, „es tft nicht mehr fo | 


wie früher, die Welt ift ganz anderö geworden, 
heute fiegt nur das Geld und der Protze, ber 
Brutale, der Aufdringliche, überhaupt der Wind: 
beutel. Ich könnte heut auch anders daſtehen, 
aber id) bin immer zu ehrlich und beſcheiden ge: 
weſen. Den erften Prügel hat mir mein Vater 
unter die Füße geworfen, weil er mid nicht 
ftubieren ließ, fondern mich zu feinem Hand: 
werk zwang, zu dem ich niemals Luft und Schid 
gehabt habe. Ich bitt' euch, ein ſtrebſamer, 


intelligenter, für alles Schöne begeifterter junger | 


Mann Frifeur! Aber ih habe mid heraus: 
gearbeitet. Wenn ich heute das Geld hätte, 
das mir die Kerzen gefoftet haben, bei denen 
ich die ganzen Nächte hindurch ftudiert habe! 
In den einundzwanzig Jahrgängen der Theater: 
zeitung und in den Jahrbüchern des Gothaer: 
Almanach und im Selbftabvofat gibt's fein 


Blatt, das ich nicht in mic) aufgenommen hätte. | 


Ich habe meine Freude dran gehabt, überhaupt, 


Sans Maljer, 


ich habe immer Sinn für was Beſſeres gehabt. 
Und ich hab's mitgemacht, wie wir die Eiſen— 
bahn befommen haben und den Telegraph. Bei 
meinem Aufwachſen hat nod Feiner in unferer 
Gegend eine Baummolljoppe getragen, und das 
Einjährigfreiwilligen-Inſtitut jetzt, die Hinter- 
lader, überhaupt das ganze Kriegsweſen! Das 
ift ein Fortfchritt! ch bin fortweg bei den 
Fortſchrittsmännern und Aufgeflärten geftanden 
und überhaupt, früher ift die Welt in zweihun- 
dert jahren nicht um das weiter gefommen, als 
wie zu meiner Zeit. Es iſt beſſer geworden und 
es wäre ganz gut geworben, wenn nicht Die 
Anmaßung das große Wort führte. Der ehr: 
liche Mann verarmt. E3 ift ja zum Raſend— 
werden, wenn man bedenkt, wer heute das 
Heftinder Hand hat.” So feine Betrachtungen. 

Er war im Stabtfchulrat, aber fie haben 
ihn nicht zum Obmann gemadt; er ift in ben 
Gemeinderat gewählt mworben, aber bei der 
Bürgermeifterwahl —! Er hätte mwenigjtens 
zwei Drittel der Stimmen gehabt, aber die 
Kabale! Die Kabale, ihr Herren! — Sie haben 
es ganz gut gewußt, was fie thun, denn, wenn 
er, der Meifter Florin, obenauf gefommen wäre, 
da hätt's anders gehen müſſen. Er wüßte ſchon, 
was zu machen wäre! Cine Muftergemeinde 
hätte er geſchaffen, an welcher fich felbft der 
Staat ein Mufter genommen haben würde. 
Man hätte „oben“ gefragt: wer ift der treff- 
lihe Mann? Gehörte er nicht vielmehr hier: 
her ans Ruder, als daß er feine Kraft in dem 
engen Wirfungsfreife vergeude? 

Bor einer ſolchen Perjpeftive wird jeder 
Geſchäftsmann — er braudt nicht erſt Frifeur 
zu fein — die Luft an feinem Berufe verlieren. 
Meifter Florin macht befannt: er raftert nicht 
mehr. 

Jetzt kommen Fremde ins Städtchen, Tou— 
riften, fie juchen einen Friſeur. Iſt feiner da. 
Sie ſuchen aud einen Führer. Aljogleich tritt 
Meifter Florin hervor und macht feine höfliche 
Aufwartung, er fennt die Gegend, wie fonft 
gar feiner mehr, er ift gerne bereit. — Schön, 
was er begehre? — Bitte, es macht ihm ein 
Vergnügen, er ift mit von der Partie. Sie 
fuchen einen Führer und finden einen Kavalier. 
Um fo bejjer. Den Träger für Mäntel und 
Mundvorrat beftellt der Herr Florin; fie laden 
ihn ein aus ihrem Vorrate mitzueljen, mitzu— 
trinfen; er will nicht ablehnen, er thut den 


| Schinken und Flaſchen ſehr viel Ehre an; er 


Herr Slorin. 


ift ſtets delifat, aber das ift zufällig feine Leib— 
fpeife, fein Tropfen — hoch follen fie leben! 

Er weiß unterwegs ftets zu erzählen und 
fpricht ganz im Geifte der Zeit, heißt das, wenn 
er merkt, daß die Fremden feinen haben. Er 
erzählt gerne von fich und was ihm ebenfo am 
geläufigiten ift; die Fremden heucheln Intereſſe, 
jo lange ſie's vermögen, endlich aber danken fie 
für feine freundliche Begleitung und gehen ihrer 
Wege. 

Trogdem oder — überhaupt, die Fremden: 
führerfhaft trägt mehr, als das Friſeur- und 
Nafiergefchäft, es trägt wenigftens die Koft und 
man ijt in der frifchen Luft und Naturfreund 
it man auch. Iſt's und wird's von Tour zu 
Tour mehr, denn überall erinnert man fi), was 
einen früheren Tourijten entzüdt hat, und das 
entzüdt einen num auch und fo bringt man im 
Laufe der Jahre eine Unzahl von „romantischen“ 
Wegen, Punkten und Ausfihten zufammen. 

Endlid nimmt er wahr, daß er ein fo ge: 
waltiger Naturfreund und Touriſt geworden 
it, daß er davon leben kann. Er läßt ſich als 
Führer immer noch nicht lohnen, aber die Prä— 
fente, die der Kavalier dem Kavalier verehrt, 
die darf er nicht abweifen. Er hat deren fchon 
eine rejpeftable Sammlung, er verkauft fie nicht, 
es find werte Andenken von hohen Bekannt: 
ſchaften und lieben Freunden — und verſetzen, 
nur wenn's fein muß. Auch die Tourijtenver: 
eine find ihm erfenntlich, und wie die Affe: 
furanzen, die er längft vernachläſſigt und ver: 
loren hat — einst das Neußere feines Haufes 
mit Agenturtafeln dekoriert haben, fo dekorieren 
die Touriftenvereine dasjelbe von innen mit 
Diplomen, Gebirgäfarten und Edelweißorden. 
Gr übt wieder Gegenerfenntlichkeiten und wirbt 
Mitglieder für die Vereine. So wird er be: 
fannt und gefucht und jeder Fremde, der am 
Bahnhofe dem Zug entiteigt, fragt ala fein 
erſtes nach dem Herin Florin. Der fteht fchon 
da, ſtets nett beifammen, in Nationaltradht, 
ftets höflich, Tüftet feinen Touriftenhut, ift dem 
Herrn zuvorfommend zur Hand beim Ausfteigen, 
beim Gepädtragen, bei der Suche nach einem 
Hotel und dem Fremden bleibt nichts anderes 
übrig, als fi gefangen zu geben. 

Der Gajthofbefiger weiß einen Florin wohl 
zu würdigen, und wenn letzterer für genoffene 
Speis und Trank um die Rechnung erfucht, fo 
vertröftet ihn der Wirt von Tag zu Tag, bis 
Herr Florin endlich nicht mehr erfucht und fich 


435 


die Gafthausfoft von Tag zu Tag fo trefflich 
munben läßt, als ob's auf der weiten Welt fein 
einzig Stüdlein Kreide gäbe. Es geht. Sehr 
gut geht's, und Meifter Florin fagt es jelber: 
e3 ginge ihm fehr gut, und er muß es am beiten 
wiſſen. Daß er einmal Nafierer gewefen, hört 
er nicht gern, es war auch nur ein Spaß von 
ihm gemefen, ein ſchlechter Spaß. Er wohnt 
auch gar nicht mehr im Frifeurhäuschen, das ijt 
der Habgier eines Gläubigers zum Opfer ge: 
fallen, gegen den der Meifter den langjährig 
geführten Prozek ganz unftreitig gewonnen 
hätte, wenn nicht Beftehung und Hinterlift 
von feiten des Gläubigers ftattgefunden hätte. 
Ueberhaupt find die Leute heutzutage von einem 
greulichen Eigennuß befeffen, nur der Wirt 
nicht, nein, der ift ein braver Mann. Sept 
wohnt er auch bei ihm. 

So verkehrt Meifter — was Meifter! — 
Herr v. Florin nur mehr mit feineren, vor: 
nehmeren Leuten, und wenn man bem Geſpräche 
zuhört, das er und eim zugereijter Univerfitäts: 
Profeſſor führen, fo iſt fein Zweifel, wer der 
Geſcheitere iſt — nämlich der Herr v. Florin. 
Man kann aber ordentlih erſchrecken, wenn 
Florin plößlich behauptet, das deutjche Kaifer: 
reich tauge nichts und er mit wenigen bifta: 
torischen Ausſprüchen mir nichts dir nichts die 
Nepublif einführt und der Fürft Bismard wie 
ein armer Schluder dajteht, noch um ein paar 
Stünblein Leben bittend. Der Profeſſor ift gar 
nicht imjtande, der Tragweite dieſer unerhör: 
ten Reformen zu folgen, daher fchweigt er und 
dad imponiert den umjigenden Zuhörern — 
„sa, wie Meifter Florin geſprochen, da hat der 
gelehrte Herr nachgerade fein Wörtlein mehr zu 
fagen gewußt, ift ftill gewejen wie ein Baum: 
ſtock.“ 

Wie ſteht er jetzt da, der Herr v. Florin! 
Von alters her — und zwar ſeit etlichen vier— 
zig Jahren — heißt er Franz Viktor Florin; 
jetzt, der Name iſt ihm zu lang, er iſt ſelber 
nicht über 5 Schuh lang, er braucht keinen ſo 
langen Namen, er kürzt ihn, ſetzt anſtatt dem 
Worte Viktor nur ein kleines v, und jetzt lautet 
die Viſitkarte: Franz v. Florin. Das ſteht! 
ſehr gut ſteht's, und ſomit wäre er nun eigent— 
lich oben. 

Aber da ſehe man den Neid des Schickſals! 
Ueberhaupt, wer zum Unglück geboren iſt u.f.w. 
Auf einmal legt jih der Wirt hin und ftirbt 
und macht den Herrn v. Florin brotlos und 


_ A 





Sans Malier. 


436 


fagt: Florin folle arbeiten, er jei noch ftarf ge: 
nug dazu. — So! Alſo das ijt der Lohn, daf 
er die Fremden herbeigezogen und die Gegend 
befannt gemacht hat! Das ijt der Lohn für die 
Dienfte, die er dem Haufe und der Gemeinde 
und jedermann geleijtet hat! Die Kinder werden 
einft als alte Leute erzählen von Herrn v. Flo: 
rin, wie fchliht er war und jovial und welche 
Neden er der Jugend oft gehalten hat und wie 
er für den Fortfchritt gewejen und was ihm 
das Städtchen verdanft. Mande alte Schrift 
von feiner Hand wird verblaft und vergilbt 
noch Zeugnis ablegen von dem ftrebfamen, viel: 
feitigen Mann, der feiner Zeit voraus war. 
Aber heute! heute läßt man ihn darben. Zwar 
findet er immer noch gute Seelen, die feinen 
Nahrungsbedürfnifien Rechnung tragen, mein 
Gott, er ift ja leicht zufrieden! aber der Rod 
will verblafjen und die fremden Herren, wenn 
fie fommen, wollen mit dem fadenfcheinigen 
Rod nicht gerne an einem Tifch fiten. Er iſt 
immer noch geiftesfrisch, ja luftiger als früher 
und weiß allerlei Schnurren, auch fingt er und 
macht Mufif dazu auf der Zither oder der Gui— 
tarre. Er weiß poffterliche Lieder, Sprüche und 
ichalfhafte Anekdoten. Man lacht darüber, man 
wartet ihm eine Cigarre auf oder läßt ihm 
ein Glas Mein vorfegen und fo ift es immer 
recht unterhaltfam. Es gibt Leute, die fagen 
ihm, er folle ſich nicht jo an die Ferfen der 
Fremden heften und ſich nicht zum Spaßmacher 
hergeben; er folle lieber wieder feinen Raſier— 
laden aufmachen. Das find die Kurzfichtigen. 
Eie wifjen nicht, was er will und worauf er es 
abgeſehen hat. Er wird noch eine einflußreiche 
Stellung gewinnen und dann jeine weltbeglüden- 
den Pläne durchführen. 

Einftweilen verfommt er immer mehr. 
Mancher Fremde, der im Städtchen abjteigt, er 
mag Tourift fein, oder Agent, oder Vereins: 
meier, nüßt ihn aus, fo viel noch auszunügen 
it. Andere fragen gar nicht mehr nach ihm, 
aber er ift eine allbefannte Figur und viel arm: 
feligere und niedriger denfende Subjelte als er 
iſt, machen ihn zur Zieljcheibe ihres Spottes. 

Endlich glaubt er’s, daß er nichts erreichen | 
wird; er klagt über ein verfehltes Leben, fett | 
die Hoffnung aber auf feine Kinder. | 

Er hat einen Sohn; der ift geiftig jehr be: | 
gabt, hat ganz den Kopf von feinem Vater. | 
Der foll ftudieren. Es iſt fein Geld da, es ijt 


dachlos. Denn der junge Wirt ift ein Zopf und 


Herr Slorin, 


feine Proteftion da, oder hat ein oder der an— 
dere jeiner guten Bekannten doch etwas zuge- 
fagt? Gewerbsmeiſter des Städthens wollen 
den aufgewedten ungen ins Geſchäft nehmen, 
ihn ein Handwerk lernen. Ha, das wäre wieder 
die alte Leier; diefes floriniſche Blut ift für was 
Beſſeres rot geworden; der Burſche muß in die 
Hauptftadt. Er foll fich dort felber fortbringen, 
Freunde fuchen und ſich aus eigener Kraft auf: 
Ihmwingen. Das macht den Mann. Der Vater 
hält ihm noch eine ſchwunghafte Standrede, wie 
fie wortprädhtiger in feinem Nomane zu finden 
it, und der Junge geht in die Stadt. Er 
jchreibt verzagte Epifteln heim, der Vater ſchickt 
ihm Briefe voll begeifternder Phrafen, aber 
fonft ohne Inhalt. Da fchreibt der Sohn in 
immer längeren Zwifchenräumen immer fürzere 
Briefe, endlich bleiben die Briefe ganz aus, und 
das ift dem Herrn Florin ein Zeichen, daß die 
Taube ein Gejtade gefunden hat. 

Nun Hat Herr Florin — fein Weib ift ganz 
Nebenjache, das ift da oder es iſt nicht da, einer= 
lei; iſt es da, fo wird es wohl irgendwo eine 
Dachkammer haben , wo e3 ſich mit Nähen oder 
Striden fortbringt — trogdem hat Herr Florin 
eine Tochter. Mit der läßt er fich nicht ungern 
auf der Gaſſe bliden, denn fie ift ſchon bald 
fein Kind mehr und wächjt fich recht fauber aus. 
Es als Küchenmädchen zum Wirt geben, oder 
gar zu einem Bauern in die Arbeit? nein. Das 
Mädchen hat beſſere Ausfichten. Cin Baron 
war da, ein Tourift, der ſagte dem Florin, das 
Kind müſſe in die Stadt, dort fünne es fein 
Glück mahen. Da erinnert ſich der umfihtige 
Vater fofort an gelefene oder gehörte Fälle, wo 
arme aber hübjche Mädchen auch in der Stadt 
ihr Glüd — bisweilen fogar ein unglaublich 
großes Glüd gemacht haben. Der Herr Baron 
erklärt fich bereit, für das Kind eine Stelle aus- 
findig zu machen, einjtweilen könne es in feinem 
eigenen Haufe wohnen. — Alfo do überall 
gute Yeute, und Herr Florin jagt, Glück habe 
er niemalen viel gehabt, aber gute Menfchen 
habe er immer gefunden, überhaupt habe es 
den Anfchein, daß jich fein Glüd erft bei feinen 
Kindern einstellen werde. 

Er läßt das Mädchen fort und nun — find 
die Kinder verforgt. Sie ſind's zwar nicht, aber 
Florin ift gewohnt, alles fo auszulegen, wie es 
am fchönften klingt. Sein Stolz ift, wenn er 
erzählen fann: der Sohn ftudiert auf einen 
Doktor, die Tochter ift beim Herrn Baron, 





Julius Klaiber. 


Florin beginnt zu altern, aber er hat nod) 
einen Plan, das ift der einzige, den er in feinem 
Leben durchgeführt hätte, wenn er ihn durch— 
geführt hätte. Er konnte fingen, verjtand ſich 
auf Saitenjpiel, hat die Gabe zu unterhalten; 
er will fahrender Mufifer werden. Das ift gar 
nicht dumm, das ijt der erjte Schritt zum Mit: 
gliede eines größeren Kunftinititutes, eines 
Theaters. Das Mißgeſchick lie es aber nicht 
dazu kommen. Ueberhaupt, das Mißgeſchick! 
Nun fit er viel in den Schenken herum und 
jeßt fi) zu dem, der juft da iſt und hebt einen 
flotten Diskurs an und läßt Poſſen los und 
will fortgehen. Die Leute find warm. Da darf 
der Herr v. Florin nicht fortgehen, fie laſſen 
ihm Mein bringen. Das Wajjer, das er zum 
Wein gießt, hält ihn noch aufrecht. Aber beim 
Branntwein, da gießt man nichts dazu, da iſt 
das Wafler ſchon dabei. 

Der Branntwein aber thut das Seine und 
e3 gibt einflugreihe Leute in der Gemeinde, die 
behaupten, für den alten Florin wäre es am 
beiten, wenn man ihn ins Armenhaus thäte, 

Der alte Florin! 

Ja, es ijt wahr, er ift grau, er fieht ver: 
fallen aus. Wenn er ſich nur öfters ein faftiges 
Stüd Fleisch gönnen könnte! Warum follen 
denn feine Kinder, denen es in der Stadt jo qut 
geht, nichts für den Vater thun? Keines läßt 
was von fich hören. 

Nun wird in die Stadt gejchrieben. Es 
fommt eine Antwort; fie ift von fremder Hand 
und berichtet, daf der Sohn vor längerer Zeit 
wegen Bauernfängerei eingezogen, jpäter wie: 
der freigelaffen und feitdem verichollen fei. 

Der Florin erfhridt zuerft, dann aber lächelt 
er, denn er glaubt es nicht. 

Aufgefordert ſchreibt aud die Tochter, fie 
jei nicht mehr beim Herrn Baron, aber fie wolle 
ihren Eltern nicht mehr unter die Augen treten. 

Der Florin fchüttelt den Kopf — er ver: 
ſteht es nicht. 

Und fo rinnt die Zeit hin, von Tag zu Tag 
mit jteigender Geſchwindigkeit — mie es im 
Alter Schon geht. Der Florin fit auf der Gar: 
tenbanf des Armenhaufes und Schaut den Bienen 
zu. Einer der vorbei geht, denkt fih: Ja, alter 


Schiller auf der Solitüde. 





437 


und verleugnet. Haft hingeflunfert, haſt her— 
geflunfert, dein fpitfindiges Spintifieren und 
deine hohle Schlauheit Hat dich auf die Holz: 
banf vor dem Armenhaus gebradht, und wenn 
jet einer von den fremden Herren, denen du 
gefällig warft, von den hodhgeitellten Freunden, 
die dir gejchmeichelt haben, hier vorbeigeht, fo 
wird er dich nicht fennen, und fennt er dich, 
vielleicht fein Haupt wegwenden und in ſich 
hineinmurmeln: Ei, das ift ja dieſer Idealiſt, 
dieſer er, diefer — er hat allerlei Namen zur 
Auswahl. Er ift bald vorüber. Ich aber bin der, 
welcher dir einjt den Nat gegeben hat: bleibe 
deinem Gewerbe treu und arbeite! ich gehe nicht 
an dir vorbei, id) frage dich: „Wie geht es dir, 
alter Florin?“ 

Er ſchrickt auf. „Danfe, danke,“ jagt er, 
„ſoweit gut, recht qut. Dank der Nachfrage!” 

Eine ſolche Zufriedenheit auf diejer Bank 
verdient doch einen Zehner. „Da, Alter, günne 
dir ein Glas auf mein Wohl!” 

Oh, im Glaſe, das er nun trinkt, ijt mehr 
drin, als der Spender ahnt, der Florin — der 
Herr Franz v. Florin ift Bürgermeijter, Tou: 
riftenvater, Abgeordneter, Negierungsrat — 
Schöpfer und Ordner aller politifchen, wirt: 
ſchaftlichen und geſellſchaftlichen Verhältniſſe 
des Landes. 

Um einen Silberzehner! In der That, 
billiger fann man das Glück nicht haben. 


Schiller auf der SHolitüde. 
(1773—1775). 


Bon 
Dulius Klaiber. 


E hat einen wunderbaren Reiz, dem inneren 
Werden bedeutender Naturen nachzugehen, 
in jenen geheimnisvollen Grund hinabzudringen, 
wo ein großer Menſchengeiſt, bevor er an die 
Oeffentlichkeit tritt, die ſtill empfangenen Waſſer 
ſammelt und klärt, mit deren Fülle er hernach 


Florin, du hätteſt den Bienen früher zuſchauen die Welt durchdringt. Bei Schiller iſt dies in 
ſollen und dir an ihnen ein Beiſpiel nehmen, erhöhtem Maße der Fall. Seine Kindheit ver— 
wie man durch Arbeit und Fleiß ſich eine ge: | läuft einfach und harmlos, niemand ahnt feine 
ſicherte Eriftenz ſchafft. Du haft dich deines | fünftige Größe. Jene hübſchen Züge alle, welche 
ehrlichen Gewerbes geſchämt, haft es verlafien | uns der Vater, die Schweſter, die Ältersgenoſſen 





.- 


438 


aus feinen Knabenjahren erzählen, gehen nicht 
über das hinaus, was fi unter verwandten 
Umftänden unzähligemale wiederholt. Noch im 
vierzehnten Jahr fchlummert die innere Trieb: 
kraft: fein Hauptlehrer bezeichnet ihn ala mittel: 
mäßiges Talent. Wo liegt der Punkt des Er- 
wachens? Dem geijtigen Ort nad) fiher im Ge: 
biete des Willens. Denn fein jpäteres Leben 
und Mefen ift durchaus ftrebende Kraft; wohl 
it feine Begabung groß und tief, aber der Wille 
bat fie verdoppelt und vervielfaht. Der Zeit 
nad) ebenfo ficher in den acht Jahren, die er bei 





Julius Klaiber. 


Solitüde dagegen finden ſich meift nur kurz be- 
ſprochen, weil für diefe Zeit die Quellen in viel 
geringerem Maße zugänglich find. Nun find 
freilich auch die fpäteren Jahre des reifenden 
Bewußtſeins dur die großartig entſchiedene 
Entfaltung der merfwürdigen Schillernatur von 
großer Bedeutung; aber für die pfychologifche 
Betrachtung find doch jene früheren noch wich: 
tiger: denn dort eben liegen bie ftillen Keime, 
deren erftem Erwachen und Regen nachzugehen 
ein ganz bejonderes Intereſſe gewährt. Für 
| diefe Zeit auf der Solitüde nun hoffe ih durch 








Herzog eine zu 
Karl in anderem 
der foge: Zwecke 

nannten unternom⸗ 

Militär: mene 
akademie Durch⸗ 
verbracht forſchung 
hat: ein 2 des riefi- 
Knabe wie 3 gen Aften- 

andere, — — 
ſchüchtern der Karls⸗ 
und fried: m ıl ang Ik ſchule in 
(ich, tritt le 3 den Stand 

er mit F er aa tllB. > gejegt zu 
dreizehn fein, zwar 
Jahren in nicht neue 
die Anftalt Ent: 
ein, und Sqloh Solitäde bei Stuttgart. deckungen 
wie er ſie von her: 


mit 21 Jahren verläßt, das Manuffript der 
Räuber in der Tafche, ift er ein Jüngling von 


einer Willenskraft, von einem geiftigen Herrſcher— 
bewußtfein, von einer zwingenden Gewalt über 
die Herzen einer Nation, wie wir von ſolchem 
Alter Fein zweites Beifpiel in unferer Gefchichte 
haben. Wie ift er das geworden, zumal da er 
geraume Zeit nicht unter den Fleißigen ber 
Afademie glänzt? Iſt er es durd) die Anftalt, 
ift er es troß der Anftalt geworden? oder ift 
am Ende beides zufammen anzunehmen? Das 
find Fragen, welche immer wieder zu ihrer 
Löfung reizen werden. Ein Feiner Beitrag 
dazu, wenigjtens für einen Teil der Aufgabe, 
will auch das Folgende fein. Wenn man von 
Schiller in der Karläfchule fpriht — ein Name 
freilich, den die Anftalt erft nah Schillers Ab: 
gang erhalten hat —, denkt man gewöhnlid an 
die fünf Jahre, welche Schiller in der Akademie 
in Stuttgart verlebt hat, wohin die Schule 1775 
verlegt wurde; feine drei eriten Jahre auf der 


vorragender Wichtigkeit, immerhin aber eine 
auf genauer Kenntnis der merkwürdigen Anftalt 
‚ beruhende und da und bort durch einen neuen 
' Zug aus den Quellen bereicherte Schilderung 
bieten zu fönnen. 

Nicht zwei Stunden von Stuttgart, aber 
mehr denn fiebenhundert Fuß höher, auf einer 
weiten bewaldeten Fläche liegt der Ort, den fich 
ı Herzog Karl im Jahre 1763 für eines feiner 
vielen Luftichlöffer erfehen hatte. Die Wahl 
macht ihm Ehre: fräftige Lüfte mehen dort oben 
und fchranfenlos ſchweift der Blick über ein 
ſchönes Land. Aber fon hier zeigt fich der felt: 
ſame Widerſpruch feiner Natur: er nannte den 
Drt Solitüde; er hoffte dort, wie er ſelbſt fagte, 
füße Stunden einfamer Muße zu verleben, um 
ſich von der Welt mit ihrem Getümmel und 
ihren Täufchungen zu erholen. Aber einmal im 
Zuge, vuhte er nicht, bis er alles, was man da: 
mals unter „Melt“ verftand, mit ihrem Ge- 
‚ tümmel und ihren Täufchungen in die ftille Ein: 





Schiller auf der Solitäde, 


famteit getragen hatte. Achthundert Morgen 
Waldes werden gelichtet; um das Schloß mit 
feiner weittragenden Kuppel her eritehen Plätze 
und Straßen; Theater, Kirhen, Maritälle, 
Mohnhäufer aller Art, bis zu den petites mai- 
sons jener Tage, die fih in den Bäumen des 
Maldes verlieren, beleben den weiten Plan; 
großartige Gärten, ſtattliche Alleen ſchließen ſich 
an und eine 
ſchnurgerade 
Straße, drei 
Stunden über 
Berg und Thal 
dahinziehend, 
verbindet die 
neue Schöpfung 
mit der Reſi— 
denz in Lud— 
wigsburg. 
Heute iſt 
von jener Herr: 
lichfeit, mit 
Ausnahme des 
Sclofies nicht 
mehr viel vor- 
handen; aber 
dieſes felbft, ein 
Kleinod in jei- 
ner Art, im 
Grundriß einer 
ovalen Taba— 
tiere aus jener 
Zeit zu ver: 
gleichen, verſetzt 
und mit einem: 
male in bie 
wunderſame 
Periode des Ro— 
fofo zurück, die 
den Stein wie 
Papierſchnitzel Fräufelt und zur Dekoration des 
Innern am Lliebiten Spiegel verwendet. Un: 
willfürlih, wenn man in diefem goldprunfen: 
den Lorbeerſaale, der einst den Seiten und Kon: 
zerten diente, auf einem der alten Lehnſtühle 
ſich niederläßt oder zwiſchen den fchweren Vor: 
hängen durch auf die fchnörfelreihe Terraſſe 
blidt, treten dem Auge die Bilder von damals 
entgegen: Dan jieht, von Läufern umfchwärmt, 
die ſchweren Karoſſen anfahren, man fieht die 
Damen in Neifrod und Schleppe den feidenen 
Stöckelſchuh zierlih aufs Pflafter ſetzen, man 





Zer runde Eaal in ber Eolitäbe. 





439 


fieht die Kavaliere mit graziöfem Lächeln zum 
Handkuß herbeieilen und die Schönen an den 
Fingerjpigen die gemundene Freitreppe hinauf: 
geleiten; man fieht den lichterjtrahlenden Saal 
mit dem bunten Gewoge diejer fapriziös fofetten 
Geſtalten fich füllen, über deren Häupter ber 
Puder und die Schminke den gleihen Schimmer 
greifenhafter Jugendlichkeit verbreitet; man fieht 
mit einemmale 
diefe Häupter 
alle ſich zur Erde 
neigen; denn 
raſchen Schrit— 
tes tritt er her: 
ein, der Gott 
diejes Geſchlech— 
tes, defien Wort 
diefe ganze 
Welt aus dem 
Nichts hervor: 
aerufen hat, um 
den alles in feſt 
beitimmten 
Bahnen kreiſt: 
eine feſſelnde 
Erſcheinung, 
voll Geiſt und 
Leben, mit 
einem wunder— 
baren Augen— 
paar über der 
kühn gebogenen 
Naſe. Wie 
ſprüht es aus 
dieſem Blick von 
Siegen und 
Triumphen! 
Ein echter Fürſt 
aus der Zeit der 
Selbſtherrlich— 
keit. Man ſieht es ihm an, ſein Wille kennt 
keine Schranke, ein unwiderſtehlicher Lebens— 
durſt reißt ihn von Schöpfung zu Schöpfung, 
mag auch was will darüber zu Grunde gehen. 
In dieſe Umgebung, zu dieſem Fürſten kam 
zu Anfang 1773 aus der ſtrengen Zucht eines 
ihlihten Bürgerhauſes der dreizehnjährige 
Friedrich Schiller. Ein großer Teil ſeiner 
Jugendentwickelung verläuft unter dem Einfluß 
dieſes gewaltigen Gegenſatzes; an dem Ber: 
hältnis zu Herzog Karl iſt ſein inneres Weſen 
erſtarkt und ſelbſtändig geworden. 
56 





440 


Die jüngfte Schöpfung der fürjtlichen Herr: 
ſcherlaune war eine Erziehungsanftalt. Kaum 
zwei ‘jahre zuvor war fie aus befcheidenen An: 
fängen erwachſen, zuerjt für arme Soldaten: 
waifen bejtimmt, die für den Dienft der herzog: 
lihen Gärten und Balaftbauten herangebildet 
werden follten. Aber der Fürſt fand Vergnügen 
an der neuen Beichäftigung: er hatte Rouffeaus 
Emil gelejen und die ganze Zeit war ja voll von 
Erziehungsverfuden. In raſch fich folgenden 
Stadien wächſt die Anstalt im Sonnenschein der 
fürftlichen Gnade, und plötzlich ergreift den geift: 
reichen Monarchen der Gedanfe, feine Staats: 
diener alle unter feinen Mugen und nad) feinen 
Ideen felbft zu erziehen. Man begreift, welchen 
Reiz diefer Gedanfe für ihn haben mußte; er 
war fo ganz im Geiſt jenes „aufgeflärten De: 
ſpotismus“, der alles von oben her reformieren 
wollte und in einer „väterlichen“ Erziehung der 
Unterthanen den höchſten Fürftenberuf zu finden 
meinte, In der That gewann der jonjt fo 
wechſelvolle Herzog in der Berührung mit der 
ihn felbit erhebenden Aufgabe eine Ausdauer, 
die man noch nie an ihm bemerkt hatte: bis zu 


jeinem Lebensende, mehr denn zwanzig Jahre 


lang, blieb jein Intereſſe ungeſchwächt, und es 
mag billig bezweifelt werden, ob je ein Schul: 
vorjtand mit ſolcher bis ins einzelnfte gehenden 
Liebe über feiner Anftalt gemacht hat, wie Karl 
Eugen über diefem teuerjten Herzensfinde. Sein 
Ehrgeiz war, eine Anjtalt zu jchaffen, die weit 
und breit nicht ihresgleichen haben jollte. Und 
ein Unifum in der Gefchichte der Erziehungs: 
funft ift die Akademie jedenfalls, ſchon nad) der 





| 
| 


Univerjalität ihrer Anlage: Gymnafium und | 
Hochſchule zugleih und alle Altersftufen vom | 


achten bis zum zweiundzwanzigiten Yebensjahr 
umfafjend, diente fie den manniafaltigiten Be: 
dürfniffen des Hof: und Staatsdienftes, und 
bereitete daneben für Malerei, Plaftit, Kupfer: 
jtecherfunft, Mufif, Theater und Ballett vor. 


Dabei find ihre Refultate wirklich ftaunenswert, | 
‘ freien Blid des Fürften ein chrendes Zeugnis ift. 


zumal bei der furzen Zeit ihres Beitandes, wo: 
von im Grunde nur zwanzig Jahre in Betracht 
kommen. Es find nicht bloß jene Sterne erjter 
Größe, welche meist zu ihrem Ruhme hervor: 
gehoben werden: neben Schiller Danneder, 
neben Kielmeyer, dem genialen Begründer einer 
neuen Naturbetradhtung, der große Cuvier, den 
fein Zeitalter dem „Napoleon der Intelligenz“ 
nannte. Es iſt auch nicht bloß die große Zahl 
der berühmten Künftler, die aus ihr hervor: 


— 





| 
| 
| 


Julius Klaiber, 


gegangen: merfwürdiger noch) ift Die Menge der 
bedeutenden Perfönlichkeiten in Staat und Heer 
und Wiffenfhaft, nicht blog in Württemberg, 
fondern in vielen deutfchen und mehreren außer: 
deutſchen Staaten, wie denn neben zahllojen 
Univerfitätsprofefjoren nicht weniger als fieb- 
zehn Minifter und dreiunddreißig Generale in 
der Lifte der ehemaligen Karlsſchüler ericheinen, 
und das Bezeichnendjte dabei ijt die Thatjache, 
daß, wer einmal feine Bildung in der Akademie 
erhalten hatte, fein lebenlang ein „Karlsſchüler“ 
blieb, ein Ehrenname, mit dem fich im Bewuft- 
jein des nadhfolgenden Geſchlechts die Vorftel- 
lung von einer vielfeitigeren Bildung, von einem 
offenen Verſtändnis für geiftige Intereſſen aller 
Art und nicht zum wenigjten von einer befondern 
Brauchbarfeit im Leben und im geſellſchaftlichen 
Verkehr zu verbinden pflegte. 

Diefen Ruhm werdankte die Afademie in 
eriter Linie ihrem Unterricht. Er war für jene 
Zeit in der That vortrefflich, nicht von Anfang 
an allerdings, aber feit dem Zeitpunfte, da die 
eriten Experimente vorüber und der tüchtige 


‚ Kern der meift jungen und mit Glüd gewählten 


Lehrer zur vollen Geltung gelangt war. In 
ſchroffem Gegenfaß zu der einfeitigen und aus- 


ſchließlich grammatischen Betreibung der alten 


Spraden in der Praxis der älteren Schule ging 
der Unterricht in der Karlsſchule nicht ſowohl 
auf Gründlichkeit, er that vielmehr in dieſer 
Hinficht entfchieden zu wenig: aber er war viel- 
feitig, anregend, Geift bildend, er nahm das 
Denfen in Anſpruch und erzog zur Selbjtändig- 
feit; Kraft weden! war der oberfte Grundjag 
des Herzogs. Dabei folgt die Karlsſchule ftets 
der fortichreitenden Wiſſenſchaft, fie ſoll von 
Anfang an ein Gefäß für den neuen Geift fein 
und fie nimmt in der That von den Anſchau— 
ungen und geijtigen Errungenschaften jener Zeit, 
in der das deutjche Geiftesleben mit ftaunens: 
werter Rajchheit den gemwaltigften Umſchwung 
erfährt, eine Fülle in fih auf, melde für den 


Aber leider, wie ſich in feiner eigenen Natur 
die wunderlichjten Widerfprühe beifammen 
finden, fo fteht diefem freien und in einem 
weiten und hohen Geiſte geübten Lehrſyſtem eine 
bedenkliche Kehrfeite gegenüber. Schon die map: 
lofe Steigerung des Chrtriebs war pädagogisch 
verwerflich, viel verwerflicher aber noch die Dis: 
eiplin, nicht wegen ihres militärifchen, fondern 
wegen ihres polizeilichen Charakters, nicht um 


Schiller auf der Solitüde. 


ihrer Strenge, fondern um ihrer inneren Un- 
wahrheit willen: kleinlich, pedantisch, mißtrauiſch, 
beruhte fie auf den dürftigiten Anjchauungen 
von der jugendlichen Natur: fie fannte für den 
zweiundzwanzigjährigen Jüngling nur diefelben 
Satzungen wie für den achtjährigen Knaben und 
hatte von den großen und edlen Aufgaben der 
Erziehung und Charakfterbildung nicht die ent: 
ferntefte Ahnung Hier liegt der Grund jener 
merfwürdigen Berfchiedenheit der Anfichten über 
die Karlöfchule in alter und in neuer Zeit: von 
den einen als Pflanzſchule der größten Talente 
gepriefen, wurde und wird fie von anderen als 
„Stlavenplantage*, wie fih Schubart aus: 
drüdt, in den Staub gezogen; hier liegt aber 
zugleich auch der Grund, warum tiefer angelegte 
Naturen, je mehr fie durch den Unterricht ge- 
fräftigt und im freiere Geiftesregionen erhoben 
wurden, um jo entichiedener Gefahr liefen, mit 


| 


441 


fein Verlangen in einer Weiſe, daß dem armen 
Hauptmann in feiner Stellung nichts übrig 
bleibt, als betrübt den Sohn dahinzugeben und 
dem „großen Karl“ unterthänigft für feine 
Gnade zu danken. 

So legt jhon der Eintritt in die Akademie 
bei Schiller den Keim zu der inneren Auflehnung. 
Der Herzog meinte es ja gewiß qut in feiner 
Art, jedenfalls hatte er feinen Begriff von der 
Verwirrung, die er in einem braven Bürger: 
haufe und in einem tiefempfindenden Knaben— 
herzen angerichtet hatte. Aber was in diefem 
Herzen fochte, war das Bewußtfein einer un- 
würdigen Abhängigkeit, das unheimliche Gefühl 
einer von feinem Geſetze wirkſam befchränften 
und oft genug nicht von den Forderungen des 
Nehts und der Billigleit geleiteten Gewalt. 
Denn, fo verlegen der Dreizehnjährige vor den 
prüfenden Bliden der Aufſeher daſtehen mochte 


dem fittlichen Geift der Anftalt in Widerſpruch und fo fanft der Aufichlag feiner guten Augen 


zu geraten. 

Wir haben es jet zunächſt mit den älteren 
Zuftänden der Anjtalt zu thun. Sie war nod) 
ziemlich unfertig, ala am 17. Yanuar 1773 ein 
neuer Eleve eintrat, über welchen wir in dem 
von dem befannten Nies geführten Tagesrap— 
port wörtlich folgenden Eintrag finden: „Zu: 
wach bey der 1jten Glaffe: Johann Chriftoph 
Friedrich Schiller von Marppah, à 5 Fuß, 
13 Jahr alt, ev., confirm., deſſen Batter Haupt: 
mann beim General v. Stein’fchen InfRgmt.“ 

Der die Nies fonnte natürlich nicht ahnen, 
mit welcher Teilnahme wir heute diejen feinen 
Eintrag lefen. Iſt uns doch, als jehen wir ihn 
in feiner beleibten Lieutenantöwürde — er war 
eigentlih Schneider, wurde aber wegen feiner 
Polizeitalente zum DOberaufjeher erhoben —, 
wie er den ſchüchtern vor ihm ftehenden Neuling 
mit den rötlihen Haaren und den entzündeten 
Augenlidern muftert und über feine Perfonalien 
und fein Vorleben verhört. 

Der Knabe war freilich nicht gerne ge: 
fommen und mit ſchwerem Herzen mochte er jet 
dem Geftrengen in den ungeheuren Schlaffaal 
folgen, in dem er mit neunundvierzig Genofien 
nun wohnen follte. Er hatte im Einverftändnis 
mit Vater und Mutter Theologe werden wollen, 
aber der Wille des Herzogs, dem es um tüchtige 
Böglinge für feine Lieblingsfhöpfung zu thun 
war, hatte ihn für die Anftalt gefordert. Wohl 
hatte der wadere Vater eine freimütige Vor: 
jtellung gewagt, allein der Herzog wiederholt 


war, in feiner Bruft lag jchon damals etwas, 
was ſich troßig aufbäumte gegen widerrechtlichen 
Zwang. Und er felbit machte fich darüber ge: 
wiß feine Vorwürfe: war dod) dieſes unbezwing- 
liche Freiheitsgefühl das edelfte Stüd der Aus- 
ftattung, die er von der Natur empfangen, der 
Duellpunft feiner einftigen Größe, und für jett 
die einzige Waffe des Armen und Schwachen im 
Kampf mit der harten Wirklichkeit. 

Wie ihm wohl zu Mute gewejen jein mag, 
als ihm beim Abſchied, wie er felbft berichtet, 
der Vater zu Gemüt führte, daß er alles thun 
müſſe, um durch unbedingten Gehorfam diejem 
Herzog zu gefallen, weil von ihm nicht bloß die 
eigene Zukunft, fondern auch — die Exiſtenz 
jeiner Eltern und Geſchwiſter abhänge. Kein 
Zweifel, daß den Knaben ſchon damals etwas 
von dem Gefühl ftreifte, das hernad) der Nerv 
feiner gewaltigften Dichtungen werden follte. 
Aber der Herzog jelbjt verlangte noch viel mehr 
als bloßen Gehorſam, er verlangte Xiebe, frei: 
gewährte Liebe: er wollte ja der Water „feiner 
teuren Söhne“ fein, wie er fie täglich und ge- 
wiß in vollem Ernfte nannte, und feine Pflicht 
wurde in der Nfademie jo ftreng und unabläſſig 
eingeichärft, wie die eine, dem Herzog, dem er: 
habenen Wohlthäter, die jchranfenlofeite Dan: 
barkeit zu beweifen und ihn weit höher als Vater 
und Mutter zu fchägen. 

Bliden wir hier ſchon in einen Zwiejpalt 
hinein, der jich dem armen Jungen zwiſchen dem 
natürlihen Gefühl und den Forderungen der 


Zu —“ 


442 


Anftalt ergeben mußte, jo war auch fonft fo 
manches da, was dem jo überaus zartfühlenden 
Knaben in der Seele weh thun mußte. Jener 
Schmerz zunächſt, der jo manchem feines Alters 
das Herz ſchwer gemacht hat, wenn er fi vom 
Elternhaufe, von der Mutterforge weg in eine 
fremde Umgebung verjett jah, das herbe Leid 
des Heimwehs; es blieb natürlich auch ihm nicht 
erjpart, und er jpricht aus eigener Erfahrung, 
wenn er feinen Karl Moor in glühenden Worten 
feine Sehnſucht nad den Elyfiumsfcenen ber 
Kindheit äußern läßt. Hier lag nun überdies 
ein bedenklicher Mangel der Anjtalt: für alle die 
Heinen Anliegen und Bedürfniſſe, die ein junges 
Herz hat, waren die Zöglinge wenigftens in 
jenen ersten, noch unvollfommenen Jahren einzig 
an die Auffeher gewieſen, Unteroffiziere, ohne 
Bildung, zum Teil von roher Gefinnung, die 
[eider am wenigiten unter dem Gefichtöpunft 
ausgewählt waren, den Knaben forgend an die 
Hand zu gehen, jondern ihre Aufgabe, wenn es 
aut ging, in ftrengfter Ueberwachung fanden, 
oft genug aber auch durch Hinterlift und fpio: 
nierende Schleichwege ſich die Gunft ihrer Vor: 
aefegten zu gewinnen meinten, 

Und welche Fülle von Anläffen bot einer 
folhen Gefinnung die ftreng militärische Dis: 
ciplin und Hausordnung, deren wachſame Hüter 
eben jene Unteroffiziere waren! Es ijt zwar 
durchaus unrichtig, wenn man fi Schiller faft 
in täglihem offenem Konflikt mit der Hausord- 
nung vorftellt: aus den Akten ergibt ſich, daß 
er in den acht Jahren feines Afademielebens 
nur ſechs jener „Billets“ befommen hat, denen 
eine Beitrafung von feiten des Herzogs zu 
folgen pflegte, und ftrafen durfte niemand als 
der Herzog. Aber eben der Umstand, daß diefe 
Billets alle fih auf die kurze Zeit von Dftober 
1773 bis Februar des folgenden Jahrs zufam: 
menbrängen, zeigt, wie jchwer es ihm wurbe, 
fich in die Disciplin zu finden. In jener erjten 
Zeit iſt es befonders das Schredensmwort Pro: 
prete! das der Intendant, Oberſt v. Seeger, 
bejtändig im Munde führte, was nad) Ausweis 
der Tagesrapporte ihm am meijten zu fchaffen 
madte: die Hälfte jener Billets bezieht ſich auf 
die Proprete, Betrachten wir uns die verjchie: 
denen Anläfle. 

Da ift zunächſt der Schlafjaal mit feinen 
jtrengen Satungen, ein riefiger Naum mit den 
fünfzig Betten der erjten Abteilung. In der 
Mitte läuft ein breiter freier Gang zwiſchen 


— — — — — — — — — 
en — 


Julius Klaiber. 


zwei Säulenreihen durch; rechts und links von 
den Säulen zur Wand hinüber ſtehen die Bet— 
ten in regelmäßigen Abſtänden. Da hat nun 
jeder Eleve eine Art von Stübchen für ſich, für 
deſſen Sauberkeit er verantwortlich iſt, nach 
links durch das eigene, nach rechts durch des 
Nachbars Bett begrenzt und von dem gemein— 
ſamen Mittelgang durch ein niederes ſchwarzes 
Gitter getrennt, zu dem er den Schlüſſel in der 
Taſche trägt. Ein Bücherbrett über der perl— 
grauen Bettlade, eine blau angeſtrichene Kom— 
mode, zugleich als Arbeitstiſch dienend, am 
Feuſter ein hölzerner Stuhl bilden die ganze 
Einrihtung. Hier ift alles Negel, Ordnung, 
peinlichfte Pünktlichkeit. Wie bei Naht an 
jedem der fünfzig Betten die langen Strümpfe 
vorſchriftsmäßig rechts und links über die Bett: 
enden herabhängen müfjen, fo hat jeder am 
Morgen vorfchriftsmäßig fein Bett fo zu machen, 
daß alle die blauen, votgeblümten Bettdeden 
genau zu berfelben Höhe emporfteigen, und 
ebenfo muß fich genau in derfelben Linie der 
Rüden des Stuhls über ihnen erheben; denn 
jeder hat ihn, wenn das Kommando aus dem 
Saal abruft, pünktlich in die Mitte des Betts 
zu ftellen und mwehe ihm, wenn das fpähende 
Auge des Aufjehers noch ein Buch entdedt, das 
er in der Eile auf das Bücherbrett zu ftellen 
vergeflen, oder gar einen Strumpf, einen Pan— 
toffel! Und da denke man ſich nun den glühen— 
den Schiller: wenn ihn eben „bis an des 
Aethers bleichjte Sterne erhoben der Entwürfe 
Flug“, foll er nod an Strumpf und Pantoffel 
denfen! Aber auch die Bücher ſelbſt werden zu— 
zeiten Gegenftand einer plößlihen Razzia, 
welde fich auf verbotene Litteraturprodufte be= 
zieht, und verboten ift ja, wenigitens in den 
eriten Jahren, alles, was zur deutichen Poefie 
gehört. Da muß denn wohl der Strohfad die 
teuren und unendlich verehrten Männer bergen, 
den edlen Haller, den gefühlvollen Kleift, den 
herrlichen Klopftod. Und auch der Strohfad ift 
nicht immer vor den gewandten Griffen ber 
Aufſeher ficher. 

Eine zweite Quelle des unglüdlichen Billets 
bildet die Uniform mit den verzweiflungsvoll 
hellen Beinkleidern, den vielen Anöpfen und 
Schnallen, die ſtets im hellften Glanz er: 
ftrahlen müfjen, und die Friſur! Jeder Eleve 
hat eine Stunde im Tage, um die Schuhe zu 
putzen, bie Kleider zu reinigen, die Knöpfe blank 
zu machen und die ſchwere Arbeit der Frijur zu 





Schiller auf ber Solitüde. 


vollenden. Denn wir find noch in der Zeit des 
Puders — im Finanzetat der Anftalt finden 
wir ald Yahreserigenz 461 fl. 36 fr. für vierzig 
Gentner Puder —, und auch der Karlsſchüler 
hat feinen Zopf zu tragen und zwar von fo 
genau gegebener Länge, je nad) dem „Monats: 
maß” feines Trägers, daß, wenn der Herzog 
im Rangierſaal an der aufgejtellten Linie hinten 
vorübergeht, die Zopfenden eine fchnurgerade 
Linie bilden. Daher eben der Name „Zopfzeit” ! 

In diefem Bunfte hat fid) nun offenbar die 
eigenartige Natur Schillers am hartnädigiten 
und widermwilligiten bewiefen, denn ihm mochte 
jene Stunde zu edleren Zweden dienlich ſchei— 
nen. Die Hälfte der Billet3 bezieht ſich auf die 
Propretd und es iſt ja befannt, daß der Lieu: 
tenant Nies mit feiner Stentorftimme ihn mehr: 
mals einen „Schweinpelz” gefcholten hat. Auch 
des geiftvollen Urteil jenes Zöglings wird 
man fid immer wieder mit Vergnügen erinnern, 
der in einem Aufſatz für den Herzog Schiller 
mit den Worten fchildert: „Scheint ein guter 
Chrift, ift aber nicht jehr reinlich.“ 

Menn man fi) die Mühe nicht verbrießen 
läßt, die unendliche Reihe der Niesſchen Tages: 
rapporte zu durchlaufen, jo ſtößt man denn 
doc) auf mandjes, was auf dieſe frühjte Zeit 
von Schillers Nfademieleben ein Licht wirft. 
Schon im eriten Jahr erjcheint er fiebenmal als 
„marode”, und im nächiten Jahr finden wir ihn 
einmal fünf Wochen lang auf der Kranfenlifte. 
Und dabei ift noch etwas, was unſer Gefühl in 
Anſpruch nimmt. Es mag klein erfcheinen, aber 
ach! für ein Knabengemüt ift es nicht flein: die 
Koft, die Nahrung. 

Während in Stuttgart fpäter die Speifung 
von der eigens gebauten Anjtaltsfüche beforgt 
wurde, war fie auf der Solitüde nod) ver: 
pachtet. Der Koftreicher hatte nach feinem Ver: 
trag die „orbinäre Koſt“, Frühſtück, Mittagefien 
und Abendbrot „bei einem Kavaliersjohn, Ele: 
ven und Famulo je einer in den anderen ge: 
rechnet um täglid 5 fr. 3 Heller und jährlich 
33 fl. 27 fx. 3 Heller” zu liefern, gewiß ein 
beſcheidener Betrag ſelbſt für den Geldwert von 
damals! Wir wiſſen auch durch übereinjtim- 
mende Berichte, daß das Eſſen, das in Stutt 
gart ſpäter als reichlich und meiſt gut gerühmt 
wird, auf der Solitüde zu vielen Beſchwerden 
Anlaß gab, und der Herzog ſelbſt macht unter 
den Gründen der Verlegung nach Stuttgart be— 


ſonders die Rückſicht auf leichtere Verköſtigung 


443 


geltend. Ein Herr v. Scheeler, der mit Schiller 
auf der Solitüde war, erzählt: „Das Frühſtück 
war höchſt frugal, es beſtand bloß aus einer 
geſchmälzten Waſſerſuppe, wozu das Brot von 
den Weibern im Spital in Stuttgart geſchnitten 
und dann in Haberſäcken nad) der Solitüde ge: 
führt wurde; es ging dabei nicht am reinlichiten 
zu, denn die Brotjchnitten hatten nicht jelten 
reihliche Zugaben von Staub, Mäufefot und 
wohl aud Mäuſen.“ Und aud) das Mittageifen 
fonnte nad) demfelben Zeugen jchon deshalb 
nicht gut und reinlich gekocht fein, weil es in 
großen Wafchkefjeln bereitet wurde, wozu auf 
der freien Erde Löcher zum Feuer gegraben 
waren. 

Unter ſolchen Umjtänden war natürlich die 
Verjuhung für die Knaben groß, fi) ander: 
wärts Erfa zu verfhaffen. Ob die Zöglinge 
damals jhon das Recht hatten, ſich für ihr Geld 
fleinere Bedürfnifje dur die Bedienten tom: 
men zu lafien, ift zweifelhaft. Jedenfalls mochte 
der gute Schiller auch in diefer Hinficht übel 
daran fein. Es wird uns immer rührend fein, 
wenn wir von der Ausjtattung lejen, die er in 
die Afademie mitgebradt hat: „ein blaues Nöd: 
lein, ein Ramifol ohne Aermel, fünfzehn Stüd 
unterfchieblihe lateinische Bücher und 43 fr. 
Geld,“ — fo trat er in die Afademie ein. Wie 
bald mochte die Heine Barfchaft verbraucht fein, 
und wie ungenügend mußte die Anftaltsfoft für 
den raſch aufgefchofienen Knaben fein, der, wie 
noch aus den Protofollen über die meiſt von 
dem Herzog jelbjt vorgenommenen Mefjungen 
zu erfehen ift, gerade Damals im vollen Wachſen 
begriffen war! 

Mir wenigſtens ift e8 ergreifend gemwefen, 
in den Tagesrapporten auf zwei Notizen zu 
ſtoßen, die bisher nicht befannt waren. Am 
21. November 1773 fteht mit entfeglicher Kürze 
verzeichnet: „Eleve Schiller mit 12 Meyden: 
ftodjtreichen, weil er vor 6 fr. Weden auf Borg 
genommen.” Noch heute bebt uns das Herz über 
eine fo empörende Strafe; wie muß die Bruft 
des Vierzehnjährigen gepocht haben vor Grimm 
über die unwürdige Erefution, welche nad) dem 
ftändigen Gebraud; ohne Zweifel bei Tiſch vor 
den Augen der ganzen Anftalt und feiner drei: 
hundertundfünfztg Genoſſen vollzogen wurde! 

Erareifend in ihrer Art iſt auch die andere 
Notiz. Am 24. Dezember 1773 lautet der Ein 
trag: „Eleve Groß jun. (ein Billet), weil er 
ſich dur die Neinigungsmagd Coffe machen 


_ A 





Be 


444 


laſſen, und der ein Hemd davor gegeben; Eleve | 
Schiller und Baz, weil fie in der Gefellichaft | 
des Eleven Groß jun. Coffe bey bejagter Cam: 
mermagd getrunken.“ Die Strafe ift hier nicht 
angegeben. Es ijt der 24. Dezember, der erſte 
heilige Abend, den Schiller fern vom Eltern: 
haus verlebt — Ferien gab es in der Afabemie 
überhaupt nit —; da hat er fich eine wahr: 
haft bejcheidene Freude gönnen wollen, und 
indes er mit jener wollüftigen Furcht, die dem 
Knaben verbotene Genüfje würzt, feinen Kaffee 
trinkt, muß er von einem fpähenden Auffeher 
entdedt werden, um nun vermutlich einer bit: 
teren Chriftbeicherung entgegenzugehen. 

Diefe Züge verdienen nicht bloß deshalb 
aufgeführt zu werden, weil uns aus dem Leben 
des teuren Mannes jede Eleinfte Bereicherung 
unferer Kenntnis wichtig ift; fie find in Wahr: 
heit wichtig: fie lafjen uns ahnen, wie es ge: 
fommen ift, daß der Knabe, der im Baterhaufe 
jih fo weich und fanft von Gemüt gezeigt hat, 
an dem feine Schweiter Chriftophine das zarte 
Gefühl für alles Edle und Schöne ald Grund: 
zug hervorhebt, daß diefer herzensgute Knabe 
nad wenigen Jahren in einer Entfchloffenheit, | 
einer Willenäfraft, einem Selbitgefühl vor uns 
dafteht, für die wir notwendig den Grund in 
tieforingenden Erfahrungen fuchen müſſen. Diefe 
Erfahrungen find die Konflifte mit der Dis- 
ciplin, wovon wir in jenen Beifpielen fo be: 
zeichnende Fälle haben. Schiller hat im Eltern: 
haus eine harte und ftrenge Zucht gehabt und 
den Stod feines Waters mohl mehr ala das 
eine Mal, von dem die Schmweiter erzählt, auf 
dem Nüden gefühlt. Aber diefe Zucht ging auf 
Mahrheit, auf Redtichaffenheit, auf fittlichen 
Gehorfam. Hier aber fand er eine Disciplin, 
die faft nur das äuferliche Verhalten zum Map: 
ſtabe machte und nach der innern Befchaffenheit 
der Handlung nicht fragte, die ganz nur von 
dem Mißtrauen diftiert war und eine leichte 
Verfehlung wie ein moralifches Verbrechen be: 
handelte. Da regt fich fein fittliches Gefühl, fein 
Urteil erjtarkt, und indem er feinen Schuß gegen 
ungerechte Behandlung in der Selbſtachtung, in 








dem Zeugnis eines ehrlichen Knabenherzens 
findet, emancipiert er fich innerlich von dem 
Geiſte der Anftalt, um fortan mit fteigender 
Kraft und Selbftändigfeit feinen eigenen Weg 
zu gehen. Mit der Disciplin felbft findet er fi) 
fernerhin in feiner Weife ab, vielleicht daß er, 
durd Schaden gewitzigt, fich nur beſſer vor Ent: 


Julius Klaiber, 


dedung zu hüten weiß. Bon Mitte 1774 an 
lautet fein Zeugnis in der Konduite durchaus 
und immer auf „recht gut“, während es zuvor 
„mittelmäßig“ und „jehr mittelmäßig“ gelautet 
hat. Es wäre ein fchwerer Irrtum, dieſe merf: 
würdige Veränderung der Zeugnifje auf einen 
gewaltigen Umfchlag feines innern Menfchen zu 
beziehen: dafür hatte die Akademie fein Auge 
und fein Verjtändnis; fie wollte nur Gehorfam 
und äußerliche Ordnung. Denn hier lag ja, wie 
nunmehr klar fein wird, der jhlimmfte Schaden 
der in anderer Hinficht jo vortrefflichen Anftalt ; 
hier lag aber auch die Schule, in der ſich bei 
unjerem Schiller im bewußten Gegenfaß zu ber 
Anftalt durch mannigfahe Irrungen hindurch 
die großartige Selbftändigfeit, die herrliche 
Wahrheit des Charakters entfaltet hat. Der 
Ihönfte Reiz feines Lebens, das wohl noch 
ſchöner ift als feine herrliditen Werke, beruht 
auf jener wunderbaren Läuterung und Klärung 
des Willens aus trüber Jugendgärung; aber 
die erjten Schritte auf diefer Bahn hat er ſchon 
in jener Zeit gemacht, da er ſchnöde gezüchtigt 
ward, weil er für ein paar Kreuzer Weden auf 
Borg genommen, 

Mar der Geift ihrer Disciplin die bevenf- 
lichſte Schwäche der Akademie, fo war dafür 
der Geift ihres Unterrichts ihr höchfter und un: 
beftrittener Ruhm. Hier find nun für Schiller 
die Zeiten ftreng zu unterfcheiden: fo voll und 
glänzend in den fpäteren Jahren die Wirkungen 
des Unterrichts ihm zu gute famen, jo mangel: 
haft waren fie im allgemeinen in der Zeit, welche 
uns hier befchäftigt, auf der Solitüde. Eine 
unglüdliche Verfettung der Umftände madte, 
daß der Knabe von dem, was den bejonderen 
Vorzug der Afademie ausmadte, jo wenig als 
möglich zu genieen befam. Die Vortrefflichfeit 
des Unterrichts beruhte wejentlicd auf den jun- 
gen Lehrern, die der Herzog mit genialem Blick 
aus den Stipendiaten des Tübinger Stifts zu 
wählen wußte und die, von Herderſchen Ideen 
ergriffen, die neue Gedanfenwelt in die junge 
Anstalt mitbradten. Aber die jungen Lehrer 
famen zunähft an die jungen Klaſſen, und 
Schiller, der älteften angehörig, behielt zwei 
Jahre lang feinen alten Jahn, den er ſchon in 
Ludwigsburg gehabt, als Hauptlehrer, einen 
braven Mann, aber ganz vom alten Schlag, 


\ der ein guter Präceptor aber ein ſchlechter Pro: 


fejlor war, und fich ſelbſt am wohlſten fühlte, 
als ihn der Herzog zu Ende 1774 wieder 





Schiller auf der Solitüde, 


nach Ludwigsburg an feine lateinische Schule 
entließ. 

Auch mi’ den Fächern traf es Schiller wenig 
günftig. Es war die erjte Zeit der erweiterten 
Anftalt, die Zeit der Erperimente. Der unge: 
duldige Fürft, der immer gleich Früchte fehen 
wollte, meinte anfangs, nicht früh genug mit 
der Vorbereitung für die befondern Berufs: 
wiſſenſchaften beginnen zu fönnen. Co fommt 
e3, daß Schiller, der damals unter den Juriſten 
figurierte, fhon von Beginn des Jahres 1774 
an die Elemente der Jurisprudenz befam, eine 
Einrihtung, welche jchon bei den folgenden 
Jahrgängen als Mifgriff erfannt wurde. Und 
wenn auch die juriftifchen Fächer fich auf drei 
Stunden Naturreht, drei Stunden Reichs: 
hiftorie und zwei Stunden römiſche Altertümer 
befchränften, wozu im Jahr 1775 noch Ge: 
{dichte des Rechis fam, fo wurde damit doch 
für geeignetere Fächer die Zeit mweggenommen ; 
es wurde Schiller insbefondere um die höheren 
Klaſſiker verkürzt, ein Mangel, den er fpäter mit 
jo ſchwerem Vorwurf gegen die Akademie em: 
pfand und ber ihm erfpart geblieben wäre, wenn 
er einem ber fpäter folgenden Jahrgänge an: 
gehört hätte: Das Fach der Philofophie d. h. 
deſſen, was jene Zeit unter Philofophie ver: 
itand, das in ber Folge nad) einer höchſt be: 
adhtenswerten und für die großen Erfolge der 
Akademie vielleicht entſcheidenden Methode den 
Mittelpunkt des Unterrichts auf der Stufe 
des Obergymnafiums bildete, war im Jahr 
1774 für Schiller in Jahns Hand gegeben, dem 
hierfür offenbar alle Begabung abging, und aud) 
der Tübinger Profejlor Bök, der eigens hierfür 
im Jahr 1775 an die Afademie berufen wurde, 
erſchien dem Herzog felbft jo troden und un- 
lebendig, daß er Schiller nicht bieten fonnte, 
was er braudte. Da nun überdies die beiden 
juriſtiſchen Profefforen von damals ihre Wiffen- 
ichaft in dem herfümmlichen formaliftifchen Ge: 
leife hielten und nad) des Herzogs Zeugnis „zu 
wenig euer zeigten“, fo entbehrte Schiller in 
jenen jahren ganz jenes Element des geiftvoll 
belebten, das eigene Denken und Intereſſe 
des Schülers anregenden Unterrichts, welches 
jpäter unter der fortgefegten Einwirkung des 
merhvürdigen Fürften das charafteriftiiche Merk: 
mal des Unterrichts in der Karläfchule ge: 
worden ift. 

Es ift im allgemeinen befannt, daß Schiller 
in den drei Jahren 1773— 75 wenig Fleiß und 


445 


Cifer gezeigt hat. Aber man wird troßdem 
überrafcht fein, wenn id) in der Lage bin, das 
Genauere aus feinen Monatszeugnijjen beizu: 
bringen, welche wenigjtens für die Jahre 1774 
und 1775 einen ſichern Einblid gejtatten. Seine 
ftarfen Fächer find die alten Sprachen, die aber 
leider damals, von der vorzeitigen Jurisprudenz 
beeinträchtigt, eine magere Rolle im Lehrplan 
ipielen. Im Griechiſchen hat er, wie man weiß, 
im Jahr 1773 fogar einen Preis davongetragen, 
und nod) durch das ganze Jahr 1774 prangt es 
mit feinem „recht gut“ in einfamer Olorie. 
Denn fonft ift in dieſen Beugniffen durchgängig 
eine traurige Dede: nicht nur, daß er in den 
juriftifchen Fächern mit überrafchender Konſe— 
quenz von einem Monat zum anderen an „mittel: 
mäßig“ feithält, das nur dann und wann ſich 
zu einem direkten „ſchlecht“ verdichtet, felbit 
jene Disciplinen, in denen er bereinft feine 
Lorbeeren ernten follte, Geſchichte und Philo— 
fophie, weiſen basfelbe einförmige „mittel: 
mäßig“ auf, das aud Geographie, Statiftif, 
Franzöſiſch faft durchaus beherricht und nur in 
der Mathematik fich zeitweife zu „ziemlich gut“ 
oder „gut” erhebt. Wöllig Fonfequent aber 
bleibt fih ein Zeugnis, das Tanzen: auch ſpä— 
ter, wenn die anderen Rubriken fich mehr und 
mehr mit vorzüglihen und zum Teil geradezu 
glänzenden Prädifaten füllen, noch bei dem 
Zwanzigjährigen fteht unter „Menuett“ noch 
immer „jehr mittelmäßig“ oder „Schlecht“, und 
man meint noch heute aus diefer Rubrik die 
verzweiflungsvolle Miene des eleganten Ballett: 
meiſters über einen fo troftlofen Eleven heraus: 
bliden zu ſehen. 

Sollte man aber denken, daß jene böſen Num: 
mern in den Hauptfähern vielleicht die Folge 
eines beſonders ftrengen Maßſtabs jeien, fo find 
die Ergebniffe der Lofation geeignet, jeden 
Zweifel zu benehmen, wenn fie auch für jene 
Jahre nur lüdenhaft erhalten find. Dabei muß 
man willen, welcher Wert in der Akademie auf 
die Lokation gelegt ward: je am 12. eines Mo: 
nats hat jeder Lehrer in jedem Fach nad) vor- 
angegangener Prüfung feine Abteilung zu locie— 
ren und die betreffende Lifte an die Kanzlei des 
Intendanten zu übergeben; hier wird aus diefen 
Einzelliften nach dem normierten Wert der ver: 
ſchiedenen Fächer die Hauptlofation fämtlicher 
Abteilungen angefertigt und zu der General: 
lite zufammengeftellt, welche nun in die Drude: 
rei der Anftalt wandert. So fommt der’ 15. 


446 


heran, der Tag der allgemeinen Spannung : im 
Speifejaale beim Mittagefjen nimmt der Herzog 
das erſte gedruckte Exemplar entgegen und läßt 
feinen Inhalt durch einen Offizier den lautlos 
Harrenden verkünden, wofern er ihn nicht ſelbſt 
verliejt und alsbald fein Zob und feinen Tadel 
daran fnüpft. Nach Tifch befommt dann einer 
um den anderen fein Eremplar, um ſich von 
jedem einzelnen überzeugen zu fünnen, welchen 
Platz er in feiner Klaſſe einnimmt, wie er felbit 
es weiß, daß alle die 3—400 neben ihm von 
Monat zu Monat erfahren, ob er inzwiſchen 
fortgefchritten oder zurüdgefommen ift. Nun 
höre man, was damals über unfern Schiller 
verlefen ward: anfangs 1774 iſt er noch der 
7. unter 11, fpäter jchon der 16. unter 18, und 
durch das ganze Jahr 1775 hindurch bezeichnet 
die Nummer feiner Zofation ſtets zugleich die 
Gefamtzahl der Schüler feiner Klaſſe. 

Schiller — der Letzte! — vielleicht ein Troft 
für manches gebeugte Mutterherz. Aber nicht 
jeder Letzte ijt ein künftiger Schiller. Denn für 
den Tieferblidenden liegt in diefer merfiwürdigen 
Thatjache der Beweis, daf er auch in geiftiger 


| 
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| 
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| 
| 
| 


I 


| 





Beziehung bereits die Bahn der Selbitändigfeit | 


betreten hat, die ihn allein zu feinen Triumphen 


führen konnte. Abgeſtoßen von der geijtlojen 
Manier, unter der gerade er zu leiden hatte, 
während ſchon für feine nächitjüngern Genofien 
hat es mit Necht bedeutfam gefunden, daß er 
' zum Gegenjtand feines jugendlichen Epos ſich 
ı Mofes erforen hat, den Mann der That, des 


die Verhältnifje jo viel günftiger lagen, ange: 
widert von den ungeitigen Unterrichtäerperimen- 
ten, deren Gegenftand gerade feine Abteilung 


I 


war, zieht er fich auf jich ſelbſt zurüd und faſt 


möchte man benfen, daß es feinem ftolzen Her: 
zen eine Befriedigung tft, jo dazuftehen: aut 


Jullus Xlaiber. 


dazu bereitet fchien, jenen Hohen in ſich aufzu- 
nehmen: er entjprach dem heroifchen wie dem 
zarten Element feines Mejens, er hob ihn em- 
por zu flammender Begeifterung für Religion, 
Vaterland, Menſchenwürde und er lodte ihm 
zugleich die feligen Thränen ber ebelften Em: 
pfindung ins Auge. Ya, wer hineinbliden könnte 
in die Stunden, da vor dem trunfenen Auge des 
zum Jüngling reifenden Sinaben die Welt der 
Ideale emporftieg, vom Zauberſchimmer über- 
finnliher Schönheit umfloffen und von einem 
Wonnebeben begleitet, dejjen unnennbare Selig- 
feit ihn alle Not des Dafeins, alle Bein der 
Knechtſchaft vergeſſen lie! Hier war fein Para— 
dies, hier war die Heimat feines Geiftes, hier 
war das Heiligtum feiner innerften Natur, das 
zu hegen und unentweiht zu bewahren alle 
Kräfte feines Geiftes, alle Nerven und Sehnen 
feines Weſens fich fpannten. 

Denn für Schiller gab es fein thatlofes Ge— 
nießen, und Glüd empfand er nur im Streben 
und Ringen. So jtrebt und ringt er denn ſo— 
fort dem Hohen nad), der feine Seele erfüllte; 
mit ungenügender Kraft zunächſt. Denn aud) 
die Dichtung hatte ihm die Natur nicht als reife 
goldene Frucht verliehen, die leife berührt dem 
Beglüdten in die Hände finkt, fondern nur wie 
ein fernes und erſt durch rajtlofes Streben zu 
erreichendes Ziel vor das Auge geſtellt. Man 


handelnden Lebens, den Helden und Gejeßgeber 
feines Volkes. Und nicht minder bezeichnend 


für die Richtung feines Geiftes ift, daß neben 


Caesar aut nihil! Er jelbit hat längft für | 


ſich eine andere Quelle gefunden, um den Durft 
feiner Seele zu ftillen, die Dichter und Meiſter 
der eben erblühenden vaterländifchen Litteratur. 
Wieder genießt er mit verftohlener Freude, was 
fein Auffeher wiſſen darf: neben Kirſchs latei- 
niſchem Lexikon, jeden Augenblid bereit, von 
ihm fchüßend überdedt zu werden, liegt einer 


feiner Lieblinge aufgejchlagen. Und der zumeift | 


auf ihm wirkt, ift jener Hohe und Gemwaltige, 
jener ſchmelzend Zarte und Thränenfelige, jener 
majeftätifh Erhabene und hinreifend Innige, 
der Dichter des Meſſias, der Sänger der Oden, 


| 
| 


| 
| 
| 


Klopftod damals fein Lieblingsbuh Luthers 
Bibel war: hier hat er neben der Kräftigung 
jeines natürlich frommen Gefühls gleihjam in- 
ftinktiv die Seele feines Volkes geſucht und ge- 
funden; aus der Kraft und Fülle diefer herr: 
lihen Sprade lang ihm der deutfche Geijt in 
feiner Urfprünglichfeit , in feiner Idealität und 
Gefühlsinnigfeit vertraut entgegen. 

Jenes Epos ift verloren gegangen und auch 


von einigen Verfuchen in der Tragödie, die er 


gewagt, nahdem durch Gerſtenbergs Ugolino 


‚ der dramatiiche Nerv feines Geiſtes geweckt 
‚ worden, find ihm jelbjt fpäter nur dunfle Er: 


Klopitod. Wer will e3 ermefjen, welche Schauer 


des Entzüdens, welche Stürme von erhabener 
Empfindung durch dieſes herrlich geartete Jüng— 
lingsherz gezogen find, das fo ganz wie eigens 


innerungen geblieben. Erhalten aber ift aus 
jener erſten Periode feiner Karlsſchulzeit noch 
ein Aufſatz in Brofa, der uns den interejjan- 


‚ teten Einbli in fein damaliges Können und 





Schiller auf der Solitüde, 


Wollen, fein Denken und Fühlen gewährt. — 
Belanntlih hat der Herzog den Böglingen 


der eriten Echlafabteilung — wohl zu untere. 


ſcheiden von Unterrichtäabteilung — 47 an ber 
Zahl, im Jahr 1774 die Aufgabe geftellt, von 
ſich felbft und von jedem der 46 Schlafſaal— 
genoſſen eine Charakterfchilderung zu geben, 
welche fih auf zehn Punkte zu erftreden hatte: 
Verhalten gegen Gott, gegen den Herzog, gegen 
“ die Vorgejegten, gegen die Kameraden, Zufrie— 
denheit mit fich felbft und feinem Schidfal d. h. 
mit der Harläfchule, Naturanlagen, Anwendung 
derfelben und Fleiß, Reinlichfeit, Haupteigen: 
Ichaften und Hauptneigung. Die Aufgabe ift 
fo unpäbagogiih als möglich, ja fie kann vom 
Standpunft des Erziehers faum zu jtarf ver: 
urteilt werden. Sie mußte auf eine minder 
befeftigte Natur wie eine direfte Einladung zu 
Schmeidelei, zu Heuchelei und Angeberei wir: 
fen, und ber einzige Gefichtöpunft, unter dem 
fich die Wahl des Themas allenfalls erklären 
läßt, ift eben der, daß der Herzog in der That 
einmal die Geifter nad) diefer Richtung prüfen 
wollte. Aber auch abaejehen von diefen Be: 
denken war die Ausführung ftiliftifch im höchſten 
Grade ſchwierig: man denke nur, daf 47 mal 
diefelben zehn Kategorien durchzunehmen waren; 
wie follte dabei ein „Aufſatz“ möglich fein? 
Man wird die Echilleriche Arbeit nur dann 
nah ihrem wahren Gehalte würdigen, wenn 
man andere erhaltene Löſungen mit ihr ver: 
gleicht: wie fteif, wie hölzern bewegen fich felbft 
die Erjten ihrer Klaſſen in dem Gitterwerf jener 
Kategorien! Hier hat der Letzte unzweifelhaft 
die Palme davon getragen. Es ift wohl wahr, 
der Ausdrud ijt da und dort noch ungelent, 
aber er läßt in jeder Zeile den fünftigen Meifter 
der Nede erraten. Und nun, welde Herrfchaft 
über den Stoff, welche jpielende Grazie in der 
wechjelreihen Berwendung jener Gefichtspunfte! 
wie fein und glüdlich ordnet er die vielen Ge: 
ftalten in Gruppen nad) Aehnlichkeit und Gegen: 
fat, wie überraſchend weiß er meiſt das Charaf: 
teriftifche, den Quellpunft der Andividualität 
herauszufinden und in ben Mittelpunkt zu 
jtellen! Es find geihaute Bilder, es find zum 
Teil Porträts von Künſtlerhand. Ex ungue 
leonem: in diefer fühnen Freiheit, welche ord— 
nend und geitaltend über dem Gegenjtand 
schwebt und wie in lichter Höhe fich wiegend auf 
ihn niederichaut, erfennen wir bereits das Ge: 
präge des fünftigen Schillergeiſtes und aud) das 





447 


ift Schon echt Schilleriſch, wie er, ein Kind des 
Kampfes, gerade der Schwierigkeit der Aufgabe 
fich freut, weil fie feiner überlegenen Kraft der 
Anftoß zu höherem Triumphe wird. Fürmwahr, 
ein Fünfzehnjähriger, der eine ſolche Aufgabe 
jo zu löfen vermochte, war fein „mittelmäßiges 
Talent“, wie um diefelbe Zeit der alte Jahn 
von ihm ausfagt, und wir begreifen es wohl, 
wie der Herzog den juriftifchen Lehrern, welche 
ſchwere Klage über feinen Unfleiß führen, nad 
Hovend Zeugnis zur Antwort gab: „Laßt mir 
diefen nur gewähren, aus dem wird nod 
etwas. * 

Aber fat noch intereffanter ift die Arbeit 
in fittliher Beziehung. Der jugendliche Ver: 
faſſer empfindet deutlih das Bedenkliche und 
Fragmwürdige der geftellten Aufgabe. Wenn es 
nicht der ausdrüdliche Befehl feines Fürften 
wäre, fönnte er fich nicht entichliegen, etwas zu 
thun, wovon Glück und Unglüd feiner Genofjen 
abhängen fann. Aber auch jo muß er einige 
Punkte des Befehls verwerfen, indem er zu: 
gleih über feine Schwachheit feufzt: über das 
Verhalten feiner Genofien zu Gott zu urteilen, 
vermag er nicht, das fteht nur dem Allwifjen: 
den zu. Und indem er num ausführt, wie mit 
dem Verhältnis zu Gott die anderen innern 
Cigenfchaften des Menſchen zufammenhängen, 
lehnt er im Grund die Verantwortlichkeit für 
die ihm abgenötigten Urteile über das Innere 
feiner Mitihüler von fih ab. In diefen Ur: 
teilen jelbjt nun verrät fich ebenfo deutlich fein 
autes Herz wie anderjeits feine Geradheit und 
die unverworrene Klarheit feiner ſittlichen An— 
ihauung: wo er unedle Gefinnung, lieblofes 
Herz, Falſchheit gegen Freunde bemerkt, iſt 
feine Sprache jcharf, am ſchärfſten aber bei 
Heuchelei und kriechender Demut, die er gerade: 
zu als Niederträchtigfeit bezeichnet. „Unſere 
Pflichten,” jagt er einmal, „find zwar aud) auf 
die Demut bejchworen worden, aber nieder: 
trächtige Demut iſt ebenfo ſchändlich als Etolz 
und Hochmut.“ Das ift wiederum fchon der 
echte Schiller, und diefer ftolze Freimut geht 
durch das Ganze. Sehr bezeichnend ift aud) 
jein Verhältnis zu der Afademie: er idealifiert 
fie, um fie loben zu Tönnen. 

Unficher und ſchwankend wird fein Urteil 
nur da, wo feine Beziehung zum Herzog in 
Frage fommt. Er erjhöpft fih in Ausdrüden 
der Bewunderung und Dantbarfeit, und der 
fonft meiſt gefällige Stil erhebt fih an ſolchen 

57 


448 


Stellen zu üppigem Prunk und oratorischem 
Pathos. Aber gerade die ſtärkſten Sätze ver: 
raten den fchärferen Blid, die innere Unflarheit, 
den ihm felbit nicht bewußten Zwieſpalt des 
Gefühle. „Diefer Fürſt,“ verfichert er z. B. 
an einer Stelle, welche man empörend gefunden 
hat, „diefer Fürft, welcher meine Eltern in den 
Stand gejett hat, mir Gutes zu thun, diefer 
Fürſt, durch welchen Gott feine Abfichten mit 
mir erreichen wird, diefer Vater, welcher mic) 
glücklich machen wird, ift und muß mir viel 
ſchätzbarer als die Eltern fein, welche unmittel: 
bar von feiner Gnade abhängen.“ Hier verrät 
gerade dieje ſeltſame logijche Begründung, dieſe 
epigrammatifche Epibe, in deren Widerfinn bie 
Tirade ausläuft, daß das ganze Urteil ein Pro: 
duft des Verjtandes ift und nicht vom Herzen 
fommt. Aber an bewußte und berechnete Un: 
wahrheit darf man bei folden Ausdrüden nicht 
denten, zumal bei einem fo jungen Menſchen, 
von dem niemand die fonfequente Klarheit des 
Sereiften verlangen fann. Es ift nicht einmal 
nötig, das Uebermaß der Verehrung aus dem 
ſchlechten Gewifjen des Verfaſſers herzuleiten, 
der fih am Schluß in Iebhaften Wendungen 
des Unfleißes anklagt und reumütig Beſſerung 
verspricht. Denn einmal ift jene fuperlativifche 
Nedemweife die übliche Sprache der Zeit im Ber: 
fehr mit Fürften, und wir jehen fie dem „großen 
Karl“ gegenüber nicht minder ftarf von Män: 
nern gehandhabt, die über jeden Verdacht der 
Schmeichelei erhaben find. Es hing dies mit 
dem eigentümlichen Verehrungs: und Bewun: 
derungsbedürfnis der Zeit zufammen, das da: 
mals für ein Merkmal edlerer Empfindung galt. 
Und unzweifelhaft hat Schiller zuzeiten eine 
aufrichtige und begeifterte Bewunderung für 
den geiftvollen Fürften gehegt, der, wenn er 


wollte, eine unmiderftehliche Ziebenswürdigfeit | 


entfalten fonnte und niemals fo munter, fo 
wißig und anzichend war, wie unter feinen 
lieben Söhnen in der Akademie. Er hat ſich ja 
auch Schillers bei jenem Anlaß gegen feine 
Lehrer angenommen und die Art, wie er bei 
feinen täglichen Beſuchen ſich mit der Geſamt— 
heit und den einzelnen bejchäftigte, für ihr 
Mohljein forgte, das Heinfte Detail im Auge 
behielt, die große Yiberalität, mit der er die 
Freiheit des Unterrichts und die Würde der 
Yehrer wahrte, die Achtung vor der Wiſſenſchaft, 
und dazu feine fürftliche Erfcheinung, fein emi— 


nenter Verftand, fein wunderbarer Ccharfblid, | 











Julius Klaiber. 


jeine unermübliche Thätigfeit, feine rückſichtsloſe 
Energie, feine ftaunenswerten Erfolge — das 
alles mußte ihn einer Natur wie Schiller zu 
einer bedeutenden Erſcheinung maden und es 
ihm erleichtern, den geforderten Zoll der Be: 
mwunderung in jenen Ausdrüden darzubrinaen, 
welche ihm feine rhetoriſche Fertigkeit fo willig 
darbot. 

In der That war diejer Herzog eine höchjt 
merkwürdige Eriheinung. Er hatte Elemente 
der Größe in fih, deren Zauber man fi nicht 
leicht entziehen fonnte. Kein Fürſt hat jeinen 
Unterthanen fo weh gethan und doch war nicht 
leicht ein Fürft volfäbeliebter als er. Noch heute 
gehen hundert Anefvoten von „dem Karlherzog“ 
im Lande um, und in manchem Bauernhaufe in 
der Nähe von Hohenheim oder der Eolitüde 
findet man fein Bild in der Stube hängen. 
Man rühmte feine Arbeitskraft, feinen praf: 
tiihen Verftand, die fchlagende Kraft feiner 
raſchen Rede, vor allem feine Einfachheit: er 
war ein hoher Herr und umgab ſich als Fürſt 
mit einem Pomp, der nicht im Verhältnis zur 
Größe des Landes ftand; aber perjönlich lebte 
er im faft bürgerlicher Schlidtheit. Er baute 
Schlöſſer und Paläſte aber er ſelbſt wohnte am 
liebjten in einer Manſardenſtube. Er drüdte 
das Volk mit rüdjichtslofer Härte, aber niemand 
verjtand jo qut mit „dem gemeinen Mann“ zu 
verfehren. Wenn irgendwo im Land ein ſchwe— 
red Schadenfeuer war, wußte jedermann, dafı 
der Herzog, wie entfernt er fein mochte, zur 
Stelle fam, und wenn er dann auf feinem wohl- 
befannten Nenner heraniprengte und im Bogen 
den Brandplat umritt, nidten fi die Leute 
verftändnisvoll zu; denn nun war die Gefahr 
gebannt. Auch für unheilbare Leiden war das 
Volk geneigt, ihm wunderbare Kräfte zuzu— 
ichreiben. 

In der Karlsſchule ging die Verehrung für 
ihn bei manchen bis zur Schwärmerei. Im 
Jahr 1828, bei der Feier feines hundertjährigen 
Geburtötages, waren 250 ehemalige Zöglinge 
um den Neft ihrer Yehrer verſammelt und aus 
ihren Neden und Trinkſprüchen tönte der reine 
Klang bewundernder Dankbarkeit hervor. Kör— 
ner felbft, der um Schillers willen dem Herzog 
feind war, fchreibt dieſem einmal verwundert, 
der junge Pfaff von Stuttgart, der bei ihm ge: 
wejen, habe ihm mit jo viel Wärme von der 
Akademie und befonders von dem Herzog ge: 
iprochen, daß er am Ende noch gar ſich für diefen 


Schiller auf der Solitäde. 


interefieren lerne, wie er nimmermehr gedacht 
hätte. Und wenn man ſehen will, wie liberal 
und liebenswürdig diefer Herzog mit jungen 
Leuten umzugehen wußte, jo nehme man das 
Leben eben diejes Pfaff zur Hand — es tft 
Johann Friedrich, der große Helmftädter Mathe: 
matifer — und leje die Briefe, die er, aus der 
Akademie entlaffen, auf feiner Bildungsreife 
mit dem Herzog gewechfelt hat. 

Für Schiller jedenfalls war Herzog Karl 
die erite bedeutende Erſcheinung, die ihm im 
Leben entgegentrat, und das Verhältnis zu ihm 
it es im mwejentlichen, woran fich fat während 
eines Jahrzehnts fein Charakter entwidelt hat. 
Er, der für alles Ungemeine einen fo wachen 
Inſtinkt hatte, mußte damals diefe Natur als 
eine imponierend überlegene empfinden, und fie, 
wie er es allen Ueberlegenen gegenüber that, 
zunächſt mit den Armen bingebender Liebe zu 
wnjchlingen jtreben. Aber je weiter er auf jener 
Bahn der Selbitändigfeit vordrang, auf welche 
ihn die ſinnwidrige Disciplin der Anftalt, das 
Werk desjelben Herzogs, verwieſen hatte, um 
fo entjchiedener mußte er fid) des ungeheuren 
Gegenſatzes ihrer Naturen bewußt werben. 
Auch in Schillers Bruft pochte von jeher etwas 
von Herricherbemugtfein: „ſein Sana auf der 
Straße,“ jagt Goethe zu Eckermann, „jede feiner 
Bewegungen war jtolz und arofartig, aber feine 
Augen waren janft.“ Allein bei ihm ruhte 
dieſer Stolz einzig auf dem Bewußtſein feines 
idealen Berufes: in der reinen Hingebuna, in 
der völligen Zelbjtentäußerung an das Ideal 
fand er, je weiter er fortjchritt, feinen höchſten 
Adel, feine Seligfeit, und dieſe ideale Welt war 
für jenen fürjtlihen Gönner ein bloßer Schall, 
ein leerer Name. Was dem Knaben, dem Jüng— 
Ing Schiller jhaudernd vor Entzüden das Herz 
hob, der Gedanke an das Vaterland, die vater: 
laͤndiſche Dichtuna und Seiftesbildung, die Dam: 
mernde Aussicht auf menschlichere Zuitände, Das 
mußte er im tiefiten Buſen verfchliegen, weil es 
in der Akademie verpönt und vogelfrei erklärt 
war. Wohl hatte der geiftreiche Fürſt die Ideen 
der Zeit in feiner Art fih zu einen gemacht und 
der wijlenichaftlihen Forſchung gegenüber it 
vielleicht Fein Regent jener Tage fo großartig 
liberal geweien, wie er, der niemals dem Unter: 
richt Beichränfungen auferlegt und allem Neuen 


ı lungen von 1779 und 1780 bemerfen, 


Die Pforten der Alademie aeöffnet hat. Aber | 


in jenem Geſchmack und Empfinden war er 
durchaus ein Kind des Rokoko, deilen frivole 


449 


Nichtigkeit und innere Erlogenheit Schiller em: 
pörte, und mas dem Herzog am meilten am 
Herzen lag, der Glanz feiner Hofhaltung und 
jene prunfvollen Feſte, bei denen er den Reich— 
tum feines erfinderifchen Geiftes zu zeigen liebte, 
fonnte bei Schiller nur das Gefühl heraus: 
fordern, mie völlig fremd dies alles feinem 
Weſen war. 

Kir haben vom Lorbeerfaal geſprochen. 
Welche Feſte wurden hier gegeben, mit welchem 
Nufwand der berühmteften Kräfte des Aus— 
lands, welchem Prunf des Hofitaats! Stets 
war die Akademie dazu berufen, und der Ser: 
zog Jah einen wefentlichen Teil feiner Erziehung 
darin, die jungen Yeute früh mit der „Welt“ 
in Berührung zu bringen. Schiller wird ji) 
dadurch nur der überichwenalichen Herrlichkeit 
jeiner inneren Welt bewußt: „Teil! Welten 
unter fie — nur, Water, mir Geſänge!“ jo fleht 
er mit hinreißender Innigkeit in feinem eriten 
Gedichte. Und mit trunfener Beaeifterung 
ſchwelgt er diefer Hohlheit einer innerlich eritor: 
benen Kultur gegenüber in den jugendfrifchen 
Gemälden Noufleaus von einem edleren und 
wahrhaft menfchenwürdigen Dafein, 

Wir find zu Ende, Hätten wir Schiller 
nod; nad) Stuttgart zu begleiten, wo ihm in 
den folgenden fünf Sjahren die größere Hälfte 
jeines Akademielebens verfließt, jo würden wir 
chen, wie die Anftalt, die ihm auf der Solitüde 
von Jih aus jo wenig acboten, nun auch in 
pofitiver Weife für feine Ausbildung wichtig 
und fördernd wird, wie bei dem neuen medi— 
ziniſchen Ztudtum jofort fein Intereſſe ſich be: 
lebt, wie die Zeugniſſe beſſer und bejier, zum 
Teil fogar glänzend werden, wie namentlich dei 
Philoſophie unter Abels, des „engelgleichen 
Mannes”, Führung eine neue Welt vor feinem 
Geiſte erſchließt und eine unermeßliche Gärung 
der Begriffe in ihm erzeugt, wie durch das 
glückliche Zuſammenwirken vortrefflicher Lehrer 
und eines meiſterhaft gegliederten Unterrichts— 
organismus geiſtige Kräfte in ſtaunenswerter 
Fülle und Stärle in ihm geweckt und durch die 
Berührung mit den bewegenden Gedanken und 
Inſtinlten der Zeit in jene elektriſche Spannung 
verſetzt werden, deren wunderbare Zeugniſſe 
wir in dem mediziniſch-philoſophiſchen Abhand— 
Wir 
würden aber auch erkennen, wie eben die geiſtige 
Höhe und Freiheit, auf welcher der Unterricht 
in der Akademie ſtand, ihm die ſittliche Unvoll— 






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450 


fommenheit der noch immer andauernden und 
für den Zwanzigjährigen doppelt unerträglichen 
Disciplin ihm noch fühlbarer macht, und wie 
dieſer Widerftreit es ift, der in feiner tief ange: 
legten Natur jene mächtige Reaktion des fitt- 
lihen Bewußtfeins, jene gewaltige Erſchütte— 
rung des ganzen Innern hervorgerufen hat, 
deren vulfanischen Ausbruch wir in den „Räu— 
bern“ vor uns haben. Denn indem er, was in 
acht ‚jahren von Groll und Grimm über Drud 
und unwürdige Anechtichaft durch fein bebendes 
Herz gegangen, zu den Gefühlen und Stim: 
mungen eines zertretenen Volfes erweitert, in 
hellem Brande auflodern läßt, fchafft er jenes 
Merk, deſſen ungeheure Mängel fein gereifteres 
Kunftgefühl nach kurzem verurteilt, das aber 
mit der unmibderftehlichen Gewalt einer hin: 
reigenden Empfindung durd die Herzen feiner 
Nation ging. 

Man hat e3 neuerdings wieder einmal be: 
dauert, dat Schiller der Weg durd) die Karls: 
ſchule aufgenötigt worden fei: im theologifchen 
Seminar und im Tübinger Stift, meinte man, 
wäre fein Entmwidelungsgang leichter und har: 
monifcher geworden. Es ift immer mißlich, fich 
mit ſolchen nicht eingetretenen Möglichkeiten 
auseinanderzufegen. Man wird gewiß zugeben, 
dab Schiller auf diefem Weg mit geringerer 
Mühe zu einer viel forafältiger und tiefer be: 
gründeten, wenn auch viel einjeitigeren Bildung 
gelangt wäre; er hätte zum mindejten nicht 
nötig gehabt, in feinen Mannesjahren noch das 
griechifche Altertum aus mangelhaften Ueber: 
fegungen zu ftudieren. Aber nicht um das Map 
bes Wiſſens, nicht einmal um die Art der Bil: 
dung handelt es fich hier, jondern um bie Ge: 
ftaltung des Charakters, des innerften Kerns 
der Perſönlichkeit. Unſer Schiller wäre er 
wohl nicht geworden. In der Harlöfchule trat 
ihm der Dejpotismus als militärifch:politifcher 
Zwang entgegen, dort wäre es der pedantiſch 
aelehrte geweſen. Diefer ift feiner Natur nad) 
bemmend und lähmend, jener mußte den inner: 
jten Nero feiner Natur, den Durjt nach Frei: 
heit, erregen und fein Weſen bis in die unterften 
Tiefen erfhüttern. In jenen Hlöfterlich abge: 
ſchloſſenen Anftalten, in deren dbumpfe Mauern 
erſt die Zeit der franzöfifchen Nevolution eine 
Berührung mit der Gegenwart brachte, wäre 
jein Geift einzig auf die Wiffenfchaft hinge: 
wiejen worden; die Karlsfhule, die Schöpfung 


der Gegenwart, das echte Kind einer gärenden | 


Anna £öhn-Siegel, 


und in fi zwiefpältigen Zeit, verwies ihn von 
allem Anfang an, wollend oder nit, auf das 
Leben, auf die Kämpfe der Zeit und eben damit 
auf feinen großen und ewigen Beruf. Sie ift 
in Wahrheit die Schule, die ebenfofehr durch 
die neuen großartigen Bildungselemente, die 
fie feinem Geifte bot, wie durch den trogigen 
Widerſpruch, zu dem fie feine ftolze Seele durch 
ihre niedern und jämmerlichen Ordnungen reizte, 
unfern Schiller zu dem gemacht hat, was er und 
ift, zu dem Dichter, der aus den tiefften Er- 
ſchütterungen innerer Kämpfe feiner Nation Die 
unvergängliden Güter der Schönheit und fitt- 
lichen Freiheit erobert hat. 


Fin alter Theaterdirektor. 


Bon 


Anna Löhn-Hiegel. 


DD" alte Theaterdireftor Karl Gottlieb Wurm 
wurde unter feinen Schaufpielern „das 
Wurmel“ oder „das unmaßgebliche Karlchen“ 
genannt. Wie er zu dieſen Titulaturen gekom— 
men, habe ich nicht erfahren. Er war in der 
That ein wunderlicher Kauz, eine Specialität, 
wie ſie in der Gegenwart kaum noch exiſtieren 
dürfte. Ich lernte ihn vor etwa dreißig Jahren 
fennen, als ich noch nicht lange am Dresdener 
Hoftheater engagiert war. Wurm reifte mit 
feiner Heinen Truppe an der böhmiſch-ſächſiſchen 
Grenze umher und verirrte fi jezumweilen auch 
in ein ſächſiſches Fabrikſtädtchen. 

Als es feinen Schaufpielern, die ſich „Die 
Spielwürmer“ zu nennen pflegten, unter Wurms 
Führung einmal recht herzlich ſchlecht ging, 
fchrieb der Direftor vom Städten N. aus an 
mich und bat, ich möchte bei ihm gaftieren. Der 
Brief lautete fonderbar genug, man hätte ihn 
unter Glas und Nahmen einer Rubrik „zum 
Totlachen“ einverleiben fünnen. Hier tft er. 

„Wohlgeborenfte, ehrenwürdigfte Dame! 
Meine Schaufpieler lafjen mir nid) Ruh', ich 
muß Ihnen einladen zum Gaftipiel, obwohl 
ich nid) finden kann, daß es ſo ſchlecht geht, in: 
dem ich gejtern auf den ‚großen Schinderhanns 
mit lebenden Bildern‘ 20 Thaler 7 Grofchen 


Ein alter Theaterdireftor. 


6 Pf. eingenommen habe und unter ihnen zu 
verteilen nich feinen Anjtand nahm. Wenn 
ein Direktor noch ehrlich teilt, is es noch nid 
ichlimm und noch nich aufs höchſte geitiegen 
mit die Hungersnot. Aber ich thue Sie denn 
doch, wohlgeborenjte Dame, einladen, indem ber 
Bürgermeifter mir geſtern flüfterte, daß gemifje 
unumftößliche Koſtenpunkte zu gejtatten wären, 
um weiter zu fpielen, obwohl die vorhandenen 
Dekorationen und das andere Gerümpel ber 
Stadt N. Lappen find, mit die zu fpielen fein 
Ehr' ift. Nun gut, ich bin Wurm und frümme 
mich, wenn ich getreten werde. So frümme mich 
unter3 Gaſtſpiel, indem Sie gewiß viel verlangen 
werden, ehrenmwürdige Dame, und ich feinen 
Nuten nid von das Gaftfpiel zu erhafchen mich 
wagen darf. Doc ed mag fein, denn der Bürger: 
meijter war oft ins Hoftheater, is ein Verehrer 
von Sie und wünſcht. Geben Sie gefälligft 
Ihre Koften an und die Nollen, indem ich nic) 
weiß, ob Sie alt oder jung find, welches legte 
mir aber wahrfcheinlicher dünfen muß, wo der 
Bürgermeifter verehrt. Wohlgeborenſte, ehren: 
würdige Dame, machen Sie Ihre Koften und 
orderungsanteil nich zu hoch, denn das Haus 
is Hein und felber wenn ich Dobbelpreife mache, 
wird nich viel 'rauszufchinden fein. Indem ich 
mich, wohlgeborenfte Dame, Ihrer milden An: 
jicht zu empfehlen geneigt bin, nenne ich mich, 


was ich zu fein unterthänigft die Ehre habe, 


Wurm.“ 
Ich war etwas verblüfft, glaubte mich ge— 
äfft und citierte Richard Wanderers Worte im 
gleichnamigen Stück: 
„Was will der Regenwurm? Kann ſich's begeben, 


Daß folh Gewürm darf mimen, gaufeln, leben?” 


Zum Glüd ſchrieb zu gleicher Zeit ein Schau? 
jpieler der Wurmſchen Truppe (alfo ein Spiel: 
wurm) an mich und lichtete das Dunfel. 

„Hochgeehrtes Fräulein! Ich muß an: 
nehmen, daß Sie unferes Direktors, des un: 
maßgeblichen Karlchens, Deutſch nicht verftehn 
oder von feiner Ausdrudsmeife unangenehm be: 
rührt werden. Seine Einladung zum Gaftjpiel 
dürfte in einer Weife und Form vorgebradht 
werden, die Sie zu einer Abjage beſtimmt. 
Deshalb erfühne ih mih, Ahnen im Namen 
meiner Kollegen und Kolleginnen zuzurufen: 
Retten Sie das Wurmſche Theaterſchiff vom 
Untergange! Der Winter ift falt und es fehlt 
den Familien oft am Nötigften. Wohl teilt 
das qute Wurml chrlich, aber diefe Teilungen 


— — — — — — — 





451 


decken nicht die fontrahierten Gagen. Rückſtände, 
allüberall Rückſtände. Aus dieſen Rückſtänden 
ſollen Sie ihn, hochgeehrtes und gewiß mit— 
fühlendes Fräulein, endlich einmal heraus— 
reißen. Wurm empfindet keinen Mangel, er iſt 
einer von den Käuzen, die Goethe nicht geahnt 
hat, als er das berühmte Wort ſchrieb. Ein 
alter abgehärteter Komödiant ohne Frau und 
Familie, zufrieden wenn er Mittags einen 
Häring hinter den zugluftigen Couliſſen, auf 
einem Verſetzſtück reitend, mit Stumpf und 
Stiel verzehren kann, und imſtande, ſich die 
Kartoffeln mit ſtarker Phantaſie hinzuzudenken. 
Der Bürgermeiſter und die Honoratioren der 
Stadt freuen ſich außerordentlich auf Ihr Gaſt— 
ſpiel, denn ich habe bereits, in der Hoffnung 
auf Ihre Herzensgüte, darauf hingewieſen. 
Haben Sie die Gewogenheit, nur an den Direktor 
Wurm zu ſchreiben, nicht an mich. Ich darf nur 
hinter den Couliſſen in dieſer Sache mitwirken. 

Hochachtungsvollſt und ergebenſt zeichnet 

ein trauernder Familienvater 
und komiſcher Chargenſpieler B.“ 

Ich hatte zu Anfang meiner Theaterlauf— 
bahn in Schleſiens Gefilden die kalten Stuben 
und karg beſetzten Mittagstiſche kennen gelernt 
und war bereit, den armen Schauſpielern nach 
Kräften zu helfen, wenn mir die Intendanz Ur— 
laub zu einem Gaſtſpiel gewähren würde. 

Ich ſchrieb, nachdem ich den Urlaub nicht 
ohne Mühe erhalten hatte, an Wurm, ich würde 


' fommen, und meine erſte Nuftrittsrolle folle die 


Yuife in „Kabale und Liebe“ fein. 

Wurm antwortete wieder befremdlich: „Um 
Gottes willen nih! ch habe Feine Milford. 
Spielen Sie doch die, denn eine Luiſe is da, 
obwohl ſchon vor langen Jahren ‚16 gewejen‘ 
(was Schiller aud hätte weglafjen können), 
aber qut, indem fie die Rolle aufs Und aus: 
wendig weiß. Präſident Walter bin ich, und 
jehr gut, obwohl von Natur eigentlih Wurm. 
Alte Millerin iS meine Haushälterin, eigentlich 
nich fürs Theater gebildet, aber eine Perfon, 
die alles fann. Nimmt die Röcke zufammen 
und fährt von der Bühne gleich wieder hinunter 


‚in den Kaſten und fouffliert. Wenn fie oben zu 


thun hat ‚millre‘, d. h. fouffliere ich jelber, und 
ſehr gut. Der Bürgermeifter is entzüdt. Die 
ganze Umgegend, Spielwaarenfabrif, Berg: 
werfe und Nittergüter, wird fommen. Ich 
möchte raten, das Stüd zu teilen. Zwei Abende. 
An einem drei Akte und am andern zwei Alte, 





452 


Jedesmal anderes Publikum, oder auch das: 
felbe, aber zweifahe Zahlung. Auf einmal 
geht jo wenig Menſchheit in den Mufenftall. 
Eo friegt ein Teil die Kabale, der andere 
die Liebe.“ 

Sollte das Ernft oder Scherz fein? Ich 
lachte und ärgerte mic, zugleich. 

„Diefer Wurm ift verrüdt!” rief ih aus. 
Hätte ich nicht den Urlaub gehabt und hätte 
mich nicht des komiſchen Chargenipielerd und 
trauernden Familienvater Hilferuf mitleidig 
gejtimmt, ich würde fofort abgefchrieben haben. 

Ein Zufall hatte mic) gerade zu jener Zeit 
mit einem alten Souffleur außer Dienften be: 
fannt gemacht, der von einem meiner ehemaligen 
fchlefiihen Kollegen an meine „Mildthätigkeit“ 
und „Herzensgüte” — die befannten Schlag: 
wörter der Kolleftenmadher im Scaufpieler: 
ftande — empfohlen worden war. Derjelbe 
hatte fi), als wir von Kleinen Wandertruppen 
ſprachen, ein Lexikon aller Miniaturdireftionen 
genannt, von den „borftigjten Meerſchweinchen 
bis zu den ehrbedürftigiten Schmieren”. Ich 
ließ den Alten fommen und fragte ihn nad) dem 
abfonderlichiten aller Würmer, welcher meiner 
Anficht nad) verdiente, in Spiritus geſetzt und 
als Merkwürdigfeit aufbewahrt zu werben. 

Bei einem Glafe Wein erſchloß fich das 
Gedächtnis des Netters aus Gedächtnisverlegen: 
heiten. Der wadere Leimhardt rief: 

„Den fenn’ ih! Ob ich ihn fenne! War 
auch bei ihm vor langen Jahren Blafebalg. Er 
hat mir einjt in einer falten Winternacht, ala 
ich ihm auf der Bühne half bunte Bapierlaternen 
für ein Zauberftüd fabrizieren, das am nächſten 
Abende gegeben werden follte, feine Lebens: 
geichichte erzählt. Kurz, aber wenig erbaulich.“ 

„Laſſen Sie hören, laſſen Sie hören!“ 
rief ich. 

„Wurm war einjt Zögling oder vielleicht 
Seminarift in einem geiftlichen Stift zu Neiße 
in Sclefien. Aber die Wiflenfchaft und das 
geiftlihe Wefen zogen ihn nicht an. Er ftieg 
des Abends aus, um die Schaufpielvorftellungen 
der reifenden Truppen zu fehen, welche Neiße 
zuweilen befuchten, er laufchte an den Fenſtern 
der Gafthöfe, Hinter welchen Muſik gemadt 
wurde, ja, jeder Xeierfajten verjegte ihn in 
Aufregung. Als einjt eine ungewohnt brave 
Truppe die Neißer zu entzüden fam, geriet 
Wurm außer fi und bejchloß, allabendlich auf 
dem ‚Silbergrofchentopf* (die letzte Galerie) die 


Unna föhn.Siegel. 


Wonnen der darftellenden Kunft zu fchlürfen. 
Allein um dies unbemerkt bewerfitelligen zu 
fönnen, war eine Verkleidung nötig. Auf andere 
Art wären die Inſtitutswächter nicht zu täufchen 
gewefen. Aber wie follte der geiftlihe Zögling 
die Mittel zu einer ſolchen Masferade erlangen? 

„Nur die Befanntfchaft mit Theatermrit= 
gliedern fonnte hier helfen. Er wählte die 
ſchwärmeriſch verehrte Luife aus ‚Kabale und 
Liebe‘ ala Mittelsperfon, fie, die es verftanden 
hatte, nach wenigen Kunftleiftungen ‚jein ganzes 
Herz in die Tafche zu fteden‘. So wenigjtens 
drüdte Wurm in jener Nacht jih aus, ala er 
buntes Papier mit Del tränfte, welches ih, fein 
Souffleur, auf runde Drahtgejtelle jpannte. 
Die Sache verhielt fih übrigens wohl umge— 
fehrt. Die fühe Luife, die erite Liebhaberin 
der Truppe, war der Magnet, der Wurm all: 
mächtig ins Theater trieb. 

„Zuife verfchaffte dem glühenden Verehrer 
und Kunjtenthufiaften einen nobel gewejenen 
betreften Bebientenfrad aus der Theatergarde= 
robe, welcher gerade ledig war, weil der für das 
höhere Bedientenfah engagierte Schaufpieler 
fich fürzlich unfichtbar gemacht hatte. Man ftrich 
vorläufig derartige Rollen in den Stüden, Die 
in vornehmen Häufern fpielten, oder verwandelte 
die vorgefchriebenen Bedienten in Kammerzofen, 
wodurd) zuweilen ſehr wunderlihe Situationen 
zuftande famen. Wurm ftreifte feine Zöglings— 
Inerxpreſſibles bis zur Kniehöhe auf, befleidete 
fich mit einem Paar weißer Strümpfe, ein Ge: 
jhenf der Angebeteten, und wußte bei einem 
Gedränge in den Theaterräumen einen alten 
Cylinder zu erwifchen, der einem um fich ſtoßen⸗ 
den Grobian vom Kopfe gejchlagen worden war, 
und den der verfleidvete Bediente mit einer gol- 
denen Gürtelfhnur der Geliebten noch lakaien— 
hafter machte. 

„Bis hierher ging alles gut. Aber nicht 
lange währte der holde Traum. Wurms nächt— 
liche Umtriebe wurden entdedt. Der Schlafjaal: 
infpeftor war einmal fehr übler Laune und von 
einer unerbittlichen Unterfuhungsihärfe. In 
diefer Stimmung hielt er eine von Wurm halb: 
umgeftülpte Pelzmütze, die unter der Bettdede 
ſchwach hervorragte, nicht für einen Zöglings: 
fopf mit Schwarzer Haarwolle, riß die Dede 
weg — wehe! Der mweltlih aefinnte Wurm 
fehlte! Wo mar er! Ausgeftiegen! Im Theater! 

„Ein entfeglihes Donnermwetter folgte. 
Wurm wurde verurteilt und aus dem Stift feier: 


Ein alter Cheaterdireftor, 


lichſt ausgeſtoßen. Wer war froher ala er! — | 
Aber wie lange? Vater: und mutterlos, wie er | 
war, blieb ihm nichts als die Kunft. Wovon follt! 
er fonft leben? Er floh über die Grenze nad) 
Böhmen, die Geliebte folgte in treuer Anhänglich: 
feit. Um ihretwillen war Wurm ja ein Aus: 
geftoßener. Beide fanden Engagement bei einem 
zigeunerhaften Schmierchen, das den Aufenthalt 
alle acht oder vierzehn Tage wechjelte, und dejien 
fämtliches Theaterperfonal und -Inventar auf 
einem einzigen, von zwei abgemagerten Kraden 
gezogenen Frachtwagen transportiert werden 
fonnte. Troß dieſer miferabeln Verhältnifie, 
die nur herabdrüdend auf das Ffunftbegeifterte 
Paar wirken fonnten, dachte der Zögling des 
geiftlichen Stifts aber doch groß von der Würde 
des Ehebundes und jtrebte eifrig danach, fich 
mit der Geliebten trauen zu laffen. Allein die 
Priefter, die er um ihren firhlihen Segen an: 
flehte, verlangten Papiere über Heimatsange: 
hörigfeit und ähnliches, und Wurm hatte das 
Vaterland ohne jeden Nachweis über feine un: 
mündige Perſon verlafjen. Was beginnen? Die 
Lage war verzweifelt. Aber das romantische 
und ehrenwerte Baar erfand einen finnigen und 
wahrhaft rührenden Ausweg aus dem Dilemma. 

„Die Truppe fpielte gerade in der Scheune 
eines großen böhmischen Kirchborfes Komödie. 
Wurm und feine Geliebte wohnten in der Nähe 
der Kirche bei einem Kleinbauern, und zwar in 
Ermangelung anderer Räumlichleiten und um 
der Billigfeit willen zwifchen dem Stroh und 
Heu unter dem Dache, poetiſch umflattert von 
den Tauben bes Beſitzers. 

„Eines Tages ertönt wieder einmal Gefang | 
aus der Kirche zu den Liebenden herüber, ein | 
Hochzeitäzug naht fih dem Gotteshaufe, die | 
glüditrahlende Braut an der Hand des Bräutiz | 
gams entlodt der armen Schauſpielerin oben 
am Dachfenſter bes Heubodens Thränen. Wurm 
fühlt au, daß feine Augen brennen. Schnell 
erfaßt er den Arm der Weinenden und führt fie | 
zur Kirche. Das Gebäude war groß, weitläufig 
und teilweise dunkel. 

„Während der Geremonie vorn am ferzen: 
erhellten blumengefchmüdten Altare fnieet das 
betrübte Paar mit feiner ehrlichen Liebe im 
Herzen ftill und geräufchlos im düfterften Winkel | 
der Kirche nieder, feterlich fügen beide die Hände | 
ineinander, zugleih mit den Brautleuten am 
Altare wechjeln fie zwei fupfergoldene Ringe | 
aus dem Numpellorbe des Theaterrequifiteurs, | 





453 


welche von der letzten Bühnenhochzeit her in 
ihrer Verwahrung geblieben find, und beziehen 
tief gerührt und weinend den Segen des Prie: 
ſters, der zu den Glüdlichen redet, die dicht vor 
ihm knieen, mit auf fich felber im fernen Winkel 
des Gotteshaufes. Wurm jhloß feinen Bericht 
mit bebender Stimme, * fo erzählte der Souffleur, 
„und fprad) die Ueberzeugung gegen mid) aus, 
daß Gottes Segen überall hindringe, wenn die 
Menschen ſich feiner nur würdig zu machen 
jtrebten. Und fo war es hier. Man hatte das 
fnieende Paar dennoch beobachtet und dem Prie— 
fter erzählt, zwei Schaufpieler, die beim nädhiten 
Kleinbauern oben unter dem Dache wohnten, 
hätten die heilige Handlung nahgeahmt. Der 
Geiftliche, ein alter hochangeſehener Herr, for: 
derte Wurm und feine Geliebte vor. Wurm 
zögerte auf das Befragen des Priefters nicht, 
die volle Wahrheit zu geftehen. Und fiehe, die 
Sehnfucht des liebenden Paares nad) dem Segen 
der Kirche rührte den Mann Gottes fo tief, daß 
er ſprach: Ich will es verantworten, ich fopu= 
liere euch ohne die Legitimationspapiere, ihr 
verdient es.‘ — So geſchah es. Als ih Wurm 
fennen lernte,” ſchloß der Souffleur feine Er: 
zählung, „war er ſchon Witwer. Er hatte ſich 
nicht wieder verheiraten mögen. Noch immer 
liebte er feine Zuife. Später habe ich nichts 
wieder von ihm gehört.“ 

Huch ich fühlte mich durd die Geſchichte im 
Innerſten bewegt. Im Zigeunertum der Kleinen 
fahrenden Schaufpieler eine jo ehrenwerte, reli: 
giös-ſtaatsbürgerliche Geſinnung! Das hatte 
ih nun und nimmermehr erwartet. Es wider: 
ſprach auch allen meinen bisherigen Erfahrungen. 

Ich war nun äußerft geipannt, den getreuen 
Edehart der ſchwärmeriſchen Luiſe, die ſchon 
längft im fühlen Erdenſchoße ruhte, perjönlic) 
fennen zu lernen. Um ihm gefällig zu fein, 
ftudierte ich die Milford, obaleich ich mich ſelbſt 
damals noch nicht für fie geeignet fand, und be: 
gab mich zum anberaumten Gaftfpieltage nah N. 

Wurm empfing mich auf der Eifenbahn: 
Station. 

Mein Gott! Das war ja der alte treffliche 
Hofichaufpieler Koch, mein Dresdener Kollege, 
wie er leibte und lebte, wenn er den Schaufpiel- 
direltor in Richards Wanderleben darftellte, 
denfelben, der von feinem „Souffl:, Frief: und 
Regiſſeur“ ftets mit „herziger Alter“ angeredet 
wird! 

Diefe hagere Geftalt, etwas vorgebeugt, die 


454 


eingefallenen Wangen, das dürftige Haar, mit 
ein wenig Schminffett an die Schläfe geleimt, 
die große gebudelte Nafe, der mehr grinfende 
als lächelnde Mund, der den Ohren zuftrebte, 
das fcharfblidende blaßblaue Auge von diden 
grauen Augenbrauen wie von ftruppigem Ge: 
ſträuch überbufcht! 

Auch die Kleidung jtimmte. Ein Hut mit 
Knidungen, die eine Höhenfarte darzuftellen 
ichienen, aber von Wurm gleichwohl immer zärt: 
li mit dem Nodärmel gejtreichelt, jobald er 
ihn in der Hand hielt. Der Nod jelbit abgetra: 
gen und die Gejtalt umfchlotternd, die Nähte 
fihtbar. 

Aber Wurm war vergnügt, und nachdem er 
meine Perſon jcharf infpiziert hatte, fagte er in 
launiger Meife: 

„Alles ausverfauft. Auch für morgen. 
Troß Dobbelpreifen. Leopoldine im ‚Beten 
Ton‘ von Töpfer kenne zwar nich, muß aber 
gut fein, weil ſchon ausverkauft. Oder Sie 
find der Magnet und der Töpfer is Nebenfache. 
Alfo Schiller oder Töpfer, alles ausverkauft.“ 

Zu dem fomifchen Chargenfpieler und jetzt 
nicht mehr trauernden, fondern luftigen Familien— 
vater B. gewendet, welcher fich ebenfalls zum 
Empfang eingefunden hatte, fagte Wurm fo 
laut, daß ich es hören konnte: „Schöne Dame 
und fehr jung. Dachte mir's ſchon von wegen 
des Bürgermeifters. Hat Geſchmack.“ 

Dann fchnalzte er mit der Zunge und bot 
mir den Arm nicht ohne eine gewiſſe Gravität. 

Wir begaben uns jofort zur Probe ins 
Schaufpielhaus, einft eine geräumige Waren: 
niederlage. Bühne und Zufchauerraum waren 
nicht fo Hein, als ich mir beides vorgejtellt hatte, 
aber die Garderoben erregten mein größtes Miß— 
fallen. Sie lagen halb unter der Erde und 
waren dumpfig wie Kellerlöcher. Ein roher 
Bretterverfchlag trennte die Damen von den 
Herren. Das oberite Brett fehlte. Man fonnte 
dort die frifierten und unfrijierten Köpfe der 
Künſtler in der Luftauf und nieder fchweben jehen. 

Ich bat für den Abend um ein Brett mehr. 
Ich könne mid) nit angefichts der Schaufpieler 
anfleiden. 


„Meine Schauspieler fehen nich zu den | 


Damens hinüber,“ entgegnete Wurm tröftend. 
„sh garantiere. Mas wäre denn da auch wei: 
ter zu jehn,“ fette er wenig galant hinzu. 

Ich bejtand aber auf dem Brett. Da rief 
Wurm ganz im Stile feiner Korrefpondenz mit 





Anna Löhn:Siegel. 


mir: „Die Nägel zum VBernageln will ich geben, 
aber das Holz nich, das muß die Stadt liefern, 
die ohnehin gar nichts fürs Theater thut, und 
der Stall gehört ihr doch. Das Brett geht mir 
gar nichts an, wohlgeborenfte Dame. Die Stadt 
hat viel Wald, die könnte ihre fchlechtgepflafter: 
ten Straßen bebielen, is meine Anſicht.“ 

Aber im Verlauf der Probe, ala id) mich, 
indigniert über feinen Geiz und feine Unhöflich— 
feit, von ihm fern hielt, kam er mir nachgetrippelt, 
jtrich den mangelhaften Eylinder mit dem Nod: 
ärmel und jagte begütigend: 

„Ein Brett nid — das fann ih den Schau: 
jptelern nich vor den Kopp nageln, aber zwei 
Bund Stroh will ich dDranwenden. Die ftoppen 
wir hin, wo das Brett fehlt. Thut diejelben 
Dienite. Vernichtet die Ausficht auf die Weiber 
und ihre Reize. Feuersgefahr iS freilich vor: 
handen durch die Lichter, die auf den Tiſchen 
drunter jtehen.. . .“ 

Ironiſch gejtimmt, wie ich es war, fiel ich 
ein: „Sie brauchen uns nur die Lichter zu ent: 
ziehen und uns im Finſtern zu laffen, Herr Di: 
reftor, dann bedürfen wir weder des Strohs 
noch des Holzes.“ 

„Thät's gern, thät's gern, * lachte Wurm, un: 
empfindlich gegen den Spott, den ic) ausdrüden 
wollte, „die Lichter fojten viel, das verfl.... 
— Bardon — Talgzeug! Ziehe mid oft im 
Finſtern an, wohlgeborenfte Dame, und höchſt 
anſtändig und accurat, ih, der Direktor. Aber 
die Bande, befonders die Weiber — das is jo 
pußjüchtig — muß immer in den Spiegel gaffen, 
hundertmal — hinten und vorne.“ — 

Am Abend ſpießten die Halme der in den 
weiten Spalt gejtopften Strohbunde uns faft 
ins Gefiht. Daß feine Feuersbrunft entjtand, 
war ein Wunder, denn die Männer drüben 
machten es fi zum Spaß, einzelne, wie fie 
jagten, „vorwitige und kitzlige Halme“ anzu: 
brennen. Da man hinter unferem Verſchlag 
alles hörte, was jenfeits vorging, vernahm man 
auch das Kniſtern der brennenden Halme. Es 
war eine höchſt unbehaglihe Situation, über 
welche auch das kniſternde Sprühfeuer manches 
guten Couliſſenwitzes nicht hinweghalf. 

Die Komödie ging für die Verhältniffe leid: 
lich gut, d. h. über meine Erwartungen, die ich) 
allerdings ſchon im voraus auf Null geſetzt hatte. 

Luiſe Millerin war alt, jo alt, wie ich mir 
nie eine Geliebte Ferdinands hatte denken fönnen. 
Die berühmte „Sechzehn“ konnte beinahe drei: 


Ein alter Iheaterdireftor, 


455 


mal ihren Scheitel berührt haben und ftellte fich | „Ha,“ vief er jet im höchſten Zorne aus, „fo 


eigentlich in einer erwachſenen Tochter, die meine 
Kammerfrau Sophie jpielte, richtiger dar. Luife 
deflamierte falfh und hohl und nahm es mit 
Schillers blühender Diktion nicht genau. Aber 
fie brachte mir doch jedes Stichwort, und das 
war alles, was ich verlangen fonnte. 

Das reife Kind Sophie (Luife redete die 
Stattliche immer „Kind“ an, um ſelbſt jugend: 
licher zu erfcheinen) war troß all der von mir 
angewendeten vornehmen Zurüdhaltung entjeb: 
lich familiär und fiel mir bei jedem Wort der 
Teilnahme wuchtig um den Hals. 

Der Direktor fpielte außer dem Präfidenten 
auch den alten Kammerdiener: „Legt's zu dem 
übrigen!“ Seine auögemergelte Erſcheinung 
paßte vortrefflich zu der Nolle. Aber der einftige 
Neißer Stiftszögling ftand, wie ich bereits aus 
feinen Briefen wußte, mit der Grammatif auf 
dem Kriegsfuße, und jagte zur Lady mit groß: 
artig theatralifcher Gebärde und Betonung: 

„Legt's zu den übrigen!” 

Sicherlich dachte er ſich im ftillen Thaler 
und Grofchen hinzu, phantaftifch angeregt durch 
die große Einnahme, die ihn aus dem über: 
füllten Haufe anlächelte. 

Als ih nach meiner erften Scene in die 
Garderobe hinabgellettert war, die man auf 
einer Art Hühnerftiege erreichte, hörte ich hinter 
Stroh und Bretterverfhlag ein furdtbares 
Donnerwettern. Zum Glüd fehlte der zündende 
Blitz. 

Wurm war es. Er verfluchte feierlich ſeine 
Haushälterin, die — alte Millerin und Souf— 
fleuſe in einer Perſon — vergeſſen hatte, die 
Praſidenten-Inexpreſſibles in die Garderobe zu 
jenden. 

Für die erfte Scene des Präfidenten hatte 
diefer ſich mit dem in der Verlegenheit geborgten 
langen Ueberrode eines anderen Schauspielers 
geholfen, durch welches Gewand die grauen 
Beinkleider des Bedienten verdedt wurden. Sn: 
zwifchen follten die rechten präfidentlichen Un: 
ausiprechlichen gebracht werden. 

Allzufühne Hoffnung. Ste waren noch immer 
nicht da und der Schaujpieler mit dem langen 
Ueberrod war fort. In der durch die unfrei- 
willige moderne Masferade erzeugten Mißſtim— 
mung hatte Direftor Wurm im erften Alte jchon 
den arofen Schiller verbefiert und anftatt: „Ein 
ernithaftes Attachement? Mein Sohn?“ aefagt: 
„Ein ernithaftes Attaquement? Mem Sohn?“ 





J 


muß ich die Präſidenten-Canaille doch noch in 
den grauen Hammerdienerhofen jpielen? Da 
ſoll doch gleich der Teufel — — den Frad her 
mit Stern — — die wohlgeborenite Hofſchau— 
jpielerin, der ich jo viel Stroh habe opfern 
müſſen, wird ſich weiblich mofieren. Perüde 
her mit Zopf — Ordensband — ha! das fieht 
auch aus wie ein altes Strumpfband . . .“ 

In dem Tone ging's weiter und eine Flut 
nicht mwiederzugebender Kraftausdrüde jtrömte 
auf die im Kaſten befchäftigte, vielfeitige Haus: 
hälterin herab. Die Perüde ſchief auf dem 
Haupte und mit unwirſchem Gefichtsausdrude 
erſchien Präfident Wurm hinter den Coulifjen. 
Aber der dienftwillige Theater: Rurm, fein Se: 
fretär im Stüd, feste ihm den Kopf fanft zu: 
recht, worauf er als Yohn das Zorneswort ver- 
nahm: „Was zerren Sie mich an der Perüde? 
Soll ich vollends zum Skandal draußen jtehen? 
Lejen Sie die Theatergejege. Auf Verhöhnung 
des Oberhauptes fteht Gagenabzug.“ 

„Den hab’ ih auch ohne Verhöhnung,“ 
entgegnete der Theater- Wurm. „Ich habe meine 
Gage noch niemals vollitändig erhalten, weil 
nicht genug Geld in der Kaſſe war.“ 

Nah diefem Intermezzo begab ſich das 
würdige Paar ins Feuer, d. h. auf die Scene. 

Aber das ureigentlichjte Trauerjpiel ver: 
förperte fi in dem romantishen Ferdinand. 
Er war, obgleich ein hübjcher junger Mann und 
eine impojante Eriheinung, das Schredlichite 
der Schreden in dem Wahn, die Nolle gelernt 
zu haben. Ferdinand achörte zu den Schau: 
jpielern, die alles aus dem Kajten holen, d. h. 
jedes Wort, jeden Ausruf, und die fogar die 
Direftive für den Abgang von einem Wink aus 
der Unterwelt erwarten. 

„Der Sakrementer hat wieder nicht ge: 


lernt,“ murmelte der Direktor zwijchen den 


Zähnen, als er, hinter den Couliſſen jtehend, 
meinen Ferdinand mit der bilderreichen Sprache 
des großen Dichters ringen und fie bis zum Un: 


| finn verunftalten hörte. 


Wohl rannte der Major nah Schillerfcher 
Vorschrift „in der heftiajten Unruhe durd den 
Saal“, der feiner war, und dieſes Nennen ge: 


lang ihm noch am beften, allein er ſagte mir kein 


Sterbenswörtchen, oder er ſagte etwas Albernes, 
das gar nicht in feiner Nolle jtand, einen totalen 
Blödfinn, auf den ich nicht antworten fonnte. 
Endlich, um den Jammer voll zu machen, trat 
58 


456 


er, weil er die „bewunderungswürdige Britin” 
in feinem Schlußſatze ganz vergeffen hatte, mit 
geballten Fäuften vor die Lady hin, fuchte 
frampfhaft nach dem rechten Worte, das die 
Souffleufe doch ſchon dreimal an unfere Gehör: 
organe hatte fchallen laſſen, und brach in der 
äußerften Verwirrung in die mir unvergehliche, 
mit Wut gejtotterte Nede aus: 

„D— du — du — Mylady — ſiehſt du 
— wunbdere did) nicht — (das galt für die halb: 
verftandene ‚Bewunderungswürdige‘) — nein, 
wundere did nicht — Sünderin — (das galt 
für die ‚Britin‘) — nur fort — fort mit dir!“ 

Um meine große Schlußrede an den Major 
halten zu fönnen, mußte ich ihn ſelbſt halten, 
feft an beiden Händen fallen, denn ſonſt wäre 
er mir entichlüpft. Als ich ihm am Ende zu: 
rufen wollte: 

„Ich laſſe alle Minen fpringen!” entiprang 
er mir mit einem Freudenruf, daß die Scene 
vorüber war, durch die Hinterthür, und ich mußte 
mid mit meinen fpringenden Minen an das ae: 
ehrte Bubliftum wenden, das jo gütig war, mid) 
dafür mit Beifall zu überfchütten. 

Es iſt faum glaublich, aber, o Wunder! das 
feibhaftige Traueripiel mußte auf allgemeines 
Verlangen am nächſten Abende wiederholt wer: 
den, und der „Beite Ton”, der hier wohl leicht 
zum ſchlechteſten geworden fein würde, fiel aus. 
Ich ließ ihn mit taufend Freuden fallen. Welch 
eine Höllenqual wäre es geweſen, diefen Major 
von Walter als Major von Warren liebens: 
würdig fofett umgaufeln zu müfjen! 


r 








£. Meggendorfer. 


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| 
| 
| 





Fin Fiſcheridyſſ. Von S. Weggendorſer. 





Ein Fiſcheridyll. 


Nein, der war nicht für die Majore der 
Bühne geſchaffen, trotz feiner kriegeriſchen Er— 
ſcheinung. Aber die „Sünderin“ an Stelle 
der „Britin“ verbat ich mir denn doch für die 
Wiederholung, auch die Bedrohung durch die 
geballten Fäuſte, die in die Millerſche Bürger— 
ſtube, aber nicht in den Palaſt der Lady gehörte, 
ſo durchaus nicht palaſtmäßig meine Einrichtung 
war. Direktor Wurm begleitete mich beim Ab— 
ſchied vergnügt zum Bahnhofe und bat um bal— 
dige Wiederkehr, die ich jedoch aus begreiflichen 
Gründen verſagte. Er trug mir die Bouquets, 
durch die mir das überaus dankbare Publikum 
die Pein mit meinem ſtotternden Ferdinand ver— 
ſüßt hatte. Auch der Bürgermeiſter kam und 
dankte mir im Namen der Kunſtfreunde, während 
Wurm extatiſch auärief: „Ja, Sie waren eine 
jo beiwunderungswürdige Britin, daß ich gleich 
nod) einmal zwei Bund Stroh an Ste wenden 
würde!“ 

Der Bürgermeijter bat um Erläuterung des 
fomischen Nätfelhvortes, und ich bat, nachdem 
ich fie gegeben, um ein Brett mehr zur Ver: 
vollfommnung des Garderobeverjchlags und zur 
Nettung des Anftandes. Lachend gewährte der 
Bürgermeiſter „das Stüd Holz”, ja, er verſprach 
jogar eine Beſſerung der unterirdiihen Garde— 
robezuitände und hat Wort gehalten. Wer 


war glüdlicher als das unmapßgeblide Karl: 
hen! Als ich nach der Abfahrt noch einmal zu: 
rüdblidte, jtand der alte Wurm noch immer vor 
dem gnädigen Stadtoberhaupte und frümmte 
fi) dankbar, 





ee ee > — ‘up 














a3 Bur Beifgefdichte. &» 


Aus der Gefelfidaft. 


‚er Skandal, welder, wie gemeldet, 

in einem Parifer Klub durh Bes 
trügerei im Epiel veranlakt wurde, bat 
feine Endſchaft dur die Auflöfung diefer 
Gejelliaft nefunden. Allerdings wurde 
fofort zur Gründung einer neuen Geſell ⸗ 
ſchaft geſchrinen, aber es wurden babei 
alle verdädtigen Elemente ausgeſchloſſen. 


Mofail. 


DB einer ſeltſamen Manle berichten 
neuerdings die Blätter, Selbige 
beiteht darin, Nähnadeln zu ſchlucken, was 
in vielen Fällen feine Beſchwerden ver» 
urfacht. Die Nabel geht mit großer 
Leichtigkeit durd; das Gewebe des Hörpers 
und lommt dann an irgend einer Gtelle 
sum Durchbruch. Cine ranzöfin fol 
es als bejonderes Amuſement betrachten, 
den Augenblid abzupafien, in dem die 
Nadel nach ihrerWanderung wieder erſcheint. 
Man ſieht immer wieder wie erfinderiſch 
die menſchliche Dummheit ift und nie ver» 
legen, in neuer Weife fi zu äußern. 

Ein myſteriöſes Geichent bat bie 
Stadt Wien erhalten, beitehend in 
100 000 fl. Goldrente, Die ein Unbelannter 
beim Bürgermeifter Uhl abgab. Der bei« 
gefügte Brief befagte, daß diefe Summe 
u einer etiftung für die Stadt beftimmt 
kei, welche der Bürgermeifter für gut ber 
finde, Gin beigenebenes zweites Schreiben 
darf erit 1890 eröffnet werden, es müßle 
denn jemand erideinen, der eine ab« 
gerifjene Kartenhälfte vorweilt, die genau 
zu der an dem verichlojlenen Brief an« 
effebten pakt. Da fage man nod, unfere 
Zeit babe feine Romantik! 

Wir haben in einem frliheren Heft 
von einem Sammler von „Hommune- 
fenern* erzählt, heute erfahren wir aus 
Moslau von einer neuen Sammleripecies, 
die Ah damit beihäftigt, alte Kirchen ⸗ 
aloden zu fammeln. Nun, fo fonderbar 
ift das nody nicht, kennen wir doch einen, 
der fih den Lugus feiftet, Burgen zu 
ammeln, aber freilid nicht in der Lage 
ft, fie nad) Grdfe, Alter ıc. aufzuflellen. 


‚ Gegen den abſcheulichen Hutihmud, 
twie ihn die Damen der Mode lieben, iſt 
auch an dieſer Stelle mehrfah Einwand 
erhoben worden. Dod gegen die Thor: 
heiten der Mode Hilft fein Ginwand und 
vermutlich müjlen wir auch bei uns ſehen, 
was jeht in Paris als Neueftes gilt: 
Artifhoden und Fröſche auf den Hüten. 
Vielleicht überraſcht uns das nächſte Früh · 
jahr mit einem Aufputz von Epargel und 
Echweinsfoteletten. 


Expeditionen. 


HD dänijde Expedition zur Er- 
jorlaung der Weittüfte Grön- 
lands ift nad Holftenborg in Grönland 
—5— Die von dem Marine ⸗Pre⸗ 
mierlieutenant Jenſen geleitete Expedilion 
wird von sHolftenborg ſüdwäris nad 
Sulfertoppen gehen und bier Zeile be+ 
ſuchen, die noch niemals von Furopäern 
betreten wurden. für den Oftober glaubt 
man bie Rüdfehr erwarten zu bürfen. 


An Stelle Stanleyd wird der enq 
liſche Oberft Francis von Winter die Leir 
tung der internationalen ajrifanijden 
Geſellſchaft übernehmen, . 


Es ift nunmehr befannt geworden, 
daf der Afrikareifende Dr. Bonge, nadı» 
dem er alle Gefahren und Beihwerden 
des mehrjährigen innerafrilanifhen Aufs 
enthaltes überitanden hatte, furz vor dem 
Antritt der Seereife in die Heimat am 
16. März vom Tode dahingerafit wurde. 
Gr war ber erile, der troh des Wider 
ftrebens der Portugiefen und der einge 
borenen NAüftenbevölterung den Auango 
überfhritt und auf dem lege von Weiten 
nah Often in das Innere des dunklen 
Kontinents eindrang. 


Theater. 


ud. Barnay hat fi mit feinen Hol« 
>>) Iegen vom Deutſchen Theater in 
Berlin wieder vertragen und bleibt Eo» 
cietär. Das jünofte Greignis, weldes ſich 
auf dieſer 2** vollzog, if eine aut ⸗ 
gejeichnete Aufführung der „Räuber“, bie 


deforativ im Stile der Meininger ger 
halten war, 

Daß bei uns die Aunft auch in 
töniglichen Theatern Banterott werben 
fan, bat uns Seren v. Hülfens Regime 
zum Öfteren betwiejen, aber bis zum $ton« 
furs eines fgl. Theaters jelbft haben wir 
ed doch nicht gebradt, das blieb Etod- 
holm vorbehalten, wo über dem fgl. Theater 
jüngft der Stonfurs verhängt wurde, 


Aunfl. 
Si Ihon lange geplante Sammlung 
ber Werle Adolf Menzeld wird von 
der Direftion der Berliner Nationalgalerie 
bejorgt werden. Geheimerat Dr. Jordan 
wird den Tert dazu jdpreiben. 

In Bremen geht man mit der Ab» 
fiht um, für Geibel ein Denkmal zu 
errihten. Auch ſonſt find verihiedenen 
Orts Dentmalprojelte laut geworben ; jo 
follen die Gebr. Grimm in Kaſſel und 
Hanau, Goethe ein Denkmal in Etutt- 
gart erhalten. 

Zur Zeit befhäftigt man fi in den 
ſtereiſen von Nünftlern und Sunftfreunden 
lebhaft mit der Frage, ob eine Bemalung 
bon Statuen juläſſig fei, und ift viel 
fach geneigt, diefe Frage bejahend zu ber 
antworten. 

Das neue Gemälde Munkacſys „Es 
ift vollbradt“, ein Pendant zu des ünfilers 
„Ehriftus vor Pilatus“, joll, nad dem 
Urteil der Parifer Kritit, in der Größe 
der Konception dieſes weit übertreffen. 


Entdeddungen und Erfindungen. 


SD nröfte Blume iſt angeblich jüngft 
in Nicaragua entdedt worben. Sie 
führt den Namen Loodwinia gigas und 
iſt 60 cm lang und ihrer 50 breit. Aber 
jo wenig die längflen Menſchen immer 
die größten find, fo wenig if dieſe größte 
Blume die wohlriehendite, im Gegenteil, 
fie verbreitet einen gerabeju unerträglidhen 
Verweſungtgeruch 

Im Kaugcohathal bei Charleſton 
bat der amerif, Ethnologe, Prof. Norris, 
die Trümmer einer alten Stadt entdedt 


458 


56 Hügel > von ihm geöffnet und 4000 
Gegenſtände gefunden worden, die er im 
Rationalmufeum zu Wafhington autzu⸗ 
ftellen beabſichtigt. Bejonders reih find 
die Funde an Waffen, Hausgerätſchaften, 
Werkzeugen und Shmudgenenftänben. 
Aud viele menſchliche Skelette fanden ſich 
vor, u.a. eines von 7 Fuß 6 Zoll Länge, 
ferner eigentümfiche Begräbnispläßeu. a.m. 


Schliemann meldet aus Tiryas von 
der Auffindung eines großen Palafted mit 
unzähligen Säulen in gut erhaltmem 
Zuftand. 


Die Tage des ſchwarzen Eichich- 
pulvers ſcheinen gezählt, leider mod 
immer nicht die des Schießpulvers über» 
baupt, wie im Tier» und Menſchengeſchlecht 
die Dafen feufzen werben. Das neue 
Pulver, feiner Farbe nach „braune: Schieß · 
Pulver” genannt, feht fich, wenn aud in 
anderen Miibungsverhältniffen, aus den- 
ſtlben Beflandteilen zufammen, wie das 
ſchwarze, hat aber vor dieſem den Vorzug 
voraus, bei gleichem Gasbrud im Geſchut · 
roht, größere Anfangegeſchwindigkeit des 
Geſchoffes zu erzielen, und nur in jenge- 
dtoffenem Naume zu erplodieren. r⸗ 
unden wurde dad neue Sprengmittel in 
der Aruppſchen Bußitahlfabrif. 


KLitteratur. 
IE dem Andenlen Geibeld gewibmetes 
=) Gedmtbudh beabfidhtigt Bud» 


händler Parifius in Berlin herauszugeben. 


Freunde der plattdeutihen Litteratur 
haben nächftens einen gut eingeführten 
Roman: „Harten-Leina' von Heinrich 
VBurmefter zu erwarten. 


Welch auferordentlihe Macht bie 
Breffe repräfentiert, fann man fdhon 
daraus erjehen, dat 4. B. Großbritan · 
nien 3. 3. 2015, bie inigten Staaten 
und Kanada 13 402 Zeitungen und Zeit- 


ſchriften befien. 


wmwiritärifdes. 


ie nach den Beſchlüſſen der englifchen 

Uniformierungdtommilfion feſt⸗ 
nejehte Gampagne-Unifornt für die englifche 
Infanterie Deftebt aus einem jadettartigen 
Nod von lihtbraunem Wollenftoff mit 
niedrigem Steblragen, einer Knopfreihe 
und mehreren Taſchen. Dazu weite Beins 
Heider, an die ſich bis übers Knie reichende 
Gamaſchen anſchließen und eine als Unter» 
tleid zu tragende Aermelweſte. 


Zu den befannteften Truppenteilen 
der rujfifcgen Armee gehören die Koſaken, 
die unfere Väter während der Beireiungss 
friege in Deutſchland in aller Nähe ber 
tradhten konnten. Nach den neueiten Mit 
teilungen einer ruſſiſchen Militärzeitung 
beträgt die Briedenspräfenzftärte dee Kos 
jafen 46391, die Striegepräfenzitärfe 
159 000. Im Striepsfall find zu ftellen: 
136 Negimenter, 33 einzelne Eotnien, 7 
einzelne Gölabronen, 1 Balbregiment, 
13 Pataillone, 404g reitende Batterien, 
27 Gstabronen Miligen und 19 Kom ⸗ 
mandos, von denen zur fyriedenäzeit ftehen: 
»95 Gefadronen, reip. Sotnien, 50 Fuß» 
fompagnieen und Kommandos, 120 Ges 
ihühe. Die Kofalenterritorien haben eine 
Gelamtibenölterung von 3 122 146 Seelen, 
wobei Oftfibirien und das Amurland ein» 
begriffen find. 


Anglüdsfäle. 


u ift von einem ftarfen Erb» 
I) beben heimgejudt worden, Man 
beziffert den dadurch entſtandenen fehr be» 
deutenden Schaden j. ®. in der Stadt Gol« 


Sur Zeitgeichichte, 


cheſtet auf 10 000 Pfund, in dem Fiſcher⸗ 
dorf Wyvenhoe, wo kein Stein auf dem 
andern blieb, auf 4000 Pfund sc. 5 bie 20 
Sekunden währte der Etof, der gegen 
Diten zunahm, dabei in der Nähe der See ⸗ 
füften am beftigften fühlbar war und von 
einem ftarfen unterirdiichen Rollen bes 
gleitet war. 

In Bort Said hat eine mächtige 
Feuertbrunſt die Hälfte des von Arabern 
bewohnten Biertels zerftört, jo daß gegen 
4000 Araber obdadlos find. 

Der größte Reisſtapelplatz der Erbe, 
Nangoon, ift von einer furdtbaren 
Feuersbrunſt heimgeſucht worben, bie 
einen Schaden von eiwa 24 Millionen 
Mark anrichtete, j 

Neuerdings wird wieder von drei 
großen Unglüdsfällen auf der See berid- 
tet. Der eine diefer Unglüdsfäfle betraf 
eine Fifcherflotille, die zwiſchen Kirkwall 
und North Fatde von einem Gturme 
überfallen wurde und 16 Menſchen das 
Leben loſſele. Noch größer bürfte ver Wer» 
luſt an Menſchenleben fein, wenn ſich bie 
Nachricht voll beftätigt, daß der Dampfer 
„State of Florida’ mit 85 Perfonen 
untergegangen iſt. Endlich ift noch ber 
Verluft des Dampfers „Daniel Stein- 
mann‘ der White-Erols-Linie zu beklagen. 


Berdreden. 

=» einzelnen Dmamitattentate, 
welche faft wöchentlich aus ben ver« 
ſchiedenſten Zeilen der Welt gemeldet 
werden, fünnen unmöglid bier alle notiert 
werden, aber nicht übergehen darf ber 
Ghronift den Verſuch zu einem ſcheußlichen 
derartigen Verbrechen, welcdes, wie jeht 
befannt geworden, bei der Enthüllung des 
Nationaldentmals auf dem Nieberivalde 
geplant worden war. Einige Angrchiſten 
atten dort in eine Drainröhre eine ſtarte 
!adung Dynamit eingeführt, um mit ihr 
die verjammelten hohen Periönlicpkeiten in 
die Luft zu fprengen; nur das Feucht ⸗ 
werden der Zündſchnur verhinderte das 
furdtbare Vorhaben. 

Als ein trauriged Zeichen der Zeit 
darf die Zunahme jugendlicher Selbit- 
mörber beiradptet werden. So erhäugs · 
ten ſich jüngft wieder auf den Gute Dos 
row und in dem Doric Waldenburg zwei 
Anaben von 13 Jahren aus ganz gering» 
fügigen Urfaden. ! 

In Rom hat ein Soldat Infolge eines 
unbedeutenden Streites neun feiner tame · 
raden durch Gewehrſchüſſe teils verwun · 
det, teils getötet. 


Totenfhan. 
qpllinger, Johann, der manchen von 
unſern Leſern als Darfteller des 
Barnabas bei dem Obrrammerganer Baj- 
lionsfpiele befannt ſein dürfte, ſtarb am 
Oftermontag, 71 Jahre alt, 

Aſcher, Anton, einer der vorttefflic- 
ften omifer der neueren Wiener Bühne, 
der aber wegen ränflichkeit ſchen längere 
Zeit von der Vühne ferne Ichte, flarb am 
21. April in Meran. 

Biderfteth, Dr. Nob., Bijchof von 
Nipon, einer der beliebleſten Kanzelredner 
Gnglands, ftarb im Alter von 67 Jahren 
im April zu London 

Brüning, Dr. Wolf v., Grofinbns« 
ftriefler, Veſiher des Franljutter Journals, 
jtarb im April. 

De Leuven, franz. Dramatifer, ftarb 
im April zu Paris. 

Dumas, Jean Paptifte, beriinnter 
franz. Ghemifer, Mitglied der Alademie, 
farb im April zu Gannes. 

Zupont, Leonce, vortrefflicder franz. 
Journaliſt, der Berf. des Eittenromans 


„Madame Desprieug* farb im April in 
Paris 


tie. 

Börner, C. A., Shaufpieler und 
Dramatifer, jtarb am 9, April gu Ham 
burg, wo er als Oberregifieur des Thalia» 
theaters feit langen Jahren thätin war. 
G. bat wohl an 150 VBühnenftüde geſchrie · 
ben, von denen fi namentlich die drama⸗ 
— Märchen großer Beliebltheit er» 
reuten. 

Graab, Karl, tgl. Hofmaler, Prof,, 
Mitglied der Alademie der Künfte zu Berlin, 
jtarb daſelbſt am 8. April. 

Günther, Otto, der als Geſchichts ⸗ 
maler befannte Profefior in Weimar, ftarb 
am 20, April dajelbft, 

Kramer-Hlett, Freihert v., der be» 
fannte bayriiche Großinduftrielle, jtarb in 

ünden. Der Berjtorbene war in der 
beneidenswerten Lage, ein Vermögen von 
ca, 70 Millionen au binterlafjen. 

Kuranda, Aanay, der Begrlinder der 
„Brenzjboten“, feit 1861 Mitglied des öjter- 
reichiſchen Reichstags, ftarb zu Wien. 

Dieifter, Nifolaus, Landjhaftsmaler, 
der mit feinem Bruder, dem Schlachten - 
maler M., zuerft die Panoramen einführte, 
ftarb im Ecebade Newport. 

Dttendorfer, Frau, Miteigentümer 
der „New Norker Staatäzeitung“, belannt 
durch ihre Wohlthätigfeit, ftarb am 1. April 
in New Tor. 

Meadbe, Charles, beliebter engliſcher 
Nomancier und Dramatiker, ftarb im April 
ju London. 

Salamone, Federico, ein Mitfämpfer 
Garibaldis, farb am 13. Aprit zu Neapel. 

Scorlemer.Behr, Wilh. Rud. Frhr. 
v., deutjcher Neicdy-tansabgeordneter und 
als joldyer dem Gentrum angehörend, ftarb 
am 19. Aprit auf dem Schloſſe Behr bei 
Qualenbrüd. 

Schweiger, Dr., Henri, der um 
die Moliöre-jForihung verdiente Heraus- 
neber des „Moliere-Mufeums“, ftarb im 
Alter von 76 Jahren zu Wiesbaden. 

Schwerin, v., General der Infan« 
terie, Gouverneur von Meb, ftarb daſelbſt 
am 1. Diterfeiertage. 

Taglioni, Marie, einft zu den ger 
feiertften Tänzerinnen gehörend, farb 80 
Fahre alt im April zu Marfeille. Sie war 
eine Schwefter des ebenfalls berühmten, vor 
turzem in Berlin verjiorbenen Ghoreo» 
raphen Paul Zaglioni und die geſchle dene 

ttin des Grafen Voiſins. 

Tauchnitz, Karl Chrift. Philipp, ver⸗ 
dienter Verlagobuchhändler, der ſich beſon · 
ders durch den Verlag der alten Klaſſiler 
verdient gemacht bat, ſtarb am 16. April 
zu Leipzig. Er bat dieſer Stadt fein gan« 
jes, mehrere Millionen Mark betranendes 
Vermögen vermadt. 

Barifi, Georgiod, ein weithin br 
rübmter Philantrop, ftarb am 8. Upril 
zu Stonitantinopel, 40 000 Menſchen aa« 
ben ihm des Geleite zur Ichten Rubeftätte, 
darumter viele von hödjter Stellung. 3. 
half überall, es mochte ſich um die Unter ⸗ 
Auhung einzelner, oder um Beihülfe zur 
Errichtung von Schulen xc. handeln. 


»erfonalien. 


Sr Prof. Frerichs Hat im April 
SE das 2sjährige Jubiläum als Leiter 
der Berliner Univerfitätsflinif_ gefeiert. 

Die Edinburger Univerfität hat anı 
fählich ihres jüngft begangenen 300jährigen 
Aubiläums eine große Anzahl deutſcher 
Gelehrter zu Ghrendoftoren ernannt u. a, 
W. dv. Bunfen, 8. Elje, I. E. Grpmann, 
7.8, Fleiſcher, G. Goldſchmidt, Gh. Haller, 
3. Houle, I. Hyrtl, M. v. Pettenfoffer, 
vv. Rante, DO. Schmiedberg, R. Birdow . 
und E. Zeller. 


— — 
Ten — — 


Die Ktanzlerſche Ede Unter den Cinden. 





Aranıler-Gde. 


Die Kranzlerſche She Unter den Linden. 


Im „neuen Berlin“, wo während des fehten Jahrzehnte die 
monuntentalen Pradıtbauten mit ihren himmelhoben Renalffance 
niebeln die befcheidenen ein» und ziweiftädinen Fafſaden fo enernifc 
verdrängt haben, ift «3 in vielen Gegenden Ihmwer, eine Etätte 
zu finden, Die wenigftens noch vom vormärzliden Berlin zu 
erzählen meik, 

Nach dem deutfh-franzöftichen Kriege, in den dem Frieden 
folgenden hochgehenden Wogen der Gründerzeit, in deren Aute 
läufern bis zum heutigen Tage, find in den mächtigen Vracht 
bauten, vor allem in der Friedrichsſtadt, eine fo große Anzahl 
von Gafes und Konditoreien „pearündet” worden, daß den vor- 
mals für das Perliner Leben fo bebeutunnsvollen Nanıen der 
Stehelgfchen, der Joſtyſchen, der Gourtinichen, der Spargnapanl- 
fhen, ja ſelbſt der Sranzlerihen Stonditorei heute der Weis 
geſchmad des Altmodifchen, wen nicht des Nergefienen, anhaftet. 

Und do baten biefe altmodifchen Konditoreien vor flnfzin 
Nahren ihre Geihichte, und, was fi von den modernen nicht 
immer behaupten läßt, ihren eigemartigen Typus, eine jede ihre 
Sonderphipfiognemie gebabt. Yu Etehely ging der Litterat, der 
Profeſſor, der Schauspieler, um feinen Saffee zu trinfen, der 
fir dort einer beiondern Berühmtheit erfreute, fein Blatt oder 
Blättihen zu leſen und eim wenig in Politif gu maden, denn 
das Cofal hatte einen gelinden politiichen Veigeihmat. Während 
in der eigentlien Aombitoret — eine übrigens noch heute zu 
beobadtende Eigentumlichteit der Nerliner Honditsrein — fait 
andachtige Stille herrichte, und jrder Beſuchet mit den damals 
noch vereinzelten Tagesblättern oder den belletriſtiſchen Jour⸗ 
nalen aus Fernbachs Leihbibliothet beihättigt war, fland das, 
der vorigen Generation wohl befannte „rote immer” nebenan, 
in welchen laute Unterhaltung gepflogen wurde, ich alaube mit 
nur geringem Recht, im Mufe der Mühlere, Bei Spargnapani 
verfehrten vomehmlid Ausländer und die junge und jüngite 
Berliner Pitteratur, Gourtin verfammtelte Spefulanten und 
Kaufleute in feinen Mäumen; Joſty. wegen feiner Rafteten bes 
rübmt, bezog fein Publifum aus dem höheren Benınterte und 
Cifiziersitande, und Hranjler endlich, die vornehmſte und die 
Mode am meiften überfebende Aonditorei, warb wegen feiner 
Eiſes und feiner vornehmen Page von der höchſten Ariftofratie 
und namentlih von den Offizieren etfrig beſucht 

Die Aranzleriche Slonditorei follte von allen auch politiſch 
und Social das rigenartigite Schidſal haben, Wie vom Erhabe- 
nen zum Lächerlichen, fo gab es eine Seit, da bei Aranzler von 
varfümierten Banifler@Fis und der zarten Zimiftanae, zu Anob 
laudıswurjt und Zwiebel nur ein Schritt war, Der vornehme 
Lieblingeaufentbalt der Berliner Ariftofraten und Feinfchmeder 
war in den Fagen der Märzrevolution zu einem Beriammiungd« 
ort geworden, am dem Felbit die Eonnenbrüder nicht Fehlten 
Ter „Yindenflub“ hatte fih in dem Sranzlerichen Lokale fon« 
ftittiert, die wichtigite, am zahlreichiten freauentierte jener vielen 
Zolfsverfjommlungen, die die Märztage arjeltigt: in der That 
ein Herd Der Bewegung, der die verichiedenften Stände, felbil« 
verständlich mit Ausnahme des Adels, in feine bewerten Kreiſe 
son. bis ee der Polizei gelang, den „Lindenfiub" energiſch zu 
fprengen und bie alles nivellierende Zeit das Stranzleriche Lokai 
wieder in feine beſſeren Rechte einfekte. 

Seit jenen Tagen bat die Kranzlerſche Fde zu ihrem Heit 
feeilih feine derartinen inneren Wandblungen mehr erlebt. Nach⸗ 
dem Berlins qute Geleltihart aufs neue ihre Näume bejoarn, 
um aufs neue ihren Hafiee, ihr Gefrorente und ihre Schokolade 
dert zu Ichlürfen, iſt fie ihe auch treu acblichen, wenn auch, wie 
jhon betont, Aranzler in unferen Tagen viel von feinem alten 
Nimbus einaebüßt hat, 


459 


Was ihr im Innern am wechſelndem und pulfierenbem 
Leben fehlt, Haben die ſchönen und aroßartigen Bilder, die die 
—ãA von außen am ſich vorüberfluten jah, im reichem 

abe , 

Die Eiegeseinzüge von 1866 und 1871 hat fie im Schmud 
der Fahnen und grünen Sränze mitgefeiert, Preußens Siege, 
Deutihlands sung und Giniaung! ie 
er Könine und Haijer im feftlihen Heerzug, fie 

at die Vrautfahrten zweier Ihronfolger auf 
deutſchem —— an ſich vorüberziehen jchen, 
aber aud) eines greijen, gebeug · 

ten Heldenhauptes, eines blut« 
überftrömten Slaijermantels ift 


fie Zeuge gewejen ! 
Sn eute an einem ber 


letzten jhönen Gerbittage auf 
dem ſchmalen, altmodiicden. 
erhöhten Borplak vor Aranz« 
lers Konditorei fit, und zu feiner Rechten 
durch flimmernde, jonnendurdhträntte Herbit« 
nebel den Turm des roten Haufes jhimmern 
fiebt, um den jüngft fo heitze Wahlfämpie 
netoft, der Iräumt ſich wohl auf 
Augenblide zurüd in diefe verganger 
nen Tage, und all die Phajen, die 
Berlin, Preußen, Deutichland jeit SS 
enen Märztagen bis zu dieſem jüng» — 
en Wahlfampfe durchgemacht, und =. .— 
vergegenwärtigt fi, tweld; ein treues 
Spiegelbild all dieſer Phasen das Leben 
an der Siranzlerede ſtets geweſen fit. 
Aber zum Träumen ift am Bdieler 
Stelle, zu diefer Etunde nicht lange Zeit! — Es ijt wiſchen 
wei und drei Uhr mittags, und die Linden bieten bier, wo 
eine der Hauptverfehrtapern der Weltitabt, die friebrichitrafte, 
fie durdichneidet, ein buntes, lärmendes Bild. Vom Branden» 
burger Thor ber Lommen in ftattlichen Zügen die Spazier- 
nänger, täglid dieſelben Phyfiognomieen zur felben Stunde, 
die im Tiergarten ihre alltäglide Promenade vor dem Diner 
gemacht, dazwiſchen elegante, meint redht geſchmadlos in manie» 
rierter Rate Öreenaway Manier gefleidete Kinder an der Hand 
des weltbefannten Berliner „rräuleins“, Fremde, Durch Bäpeder, 
Meyers Reilehandbud oder mindeftens dürch auffällig aujmert- 
ames Umberbiiden nelennzeichnet, fuchen nad einer der viel» 
berühmten Reitaurationen von Hiller, Julitz oder Poppenberg, 
Profeijoren und Studenten eilen aus der alma mater, und nidt 






„Mo it ber Eünbrer!* 





JInneres der Konbltoret. 


ſelten trifft man um dieſe Neit gerade an der Aratjlerede auf 
die Blüte unserer Gelchrienwelt: Selmbolk. Freitichte, Mommijen 
oder Tubois. Won der neuen ftattlichen Sriegdalademie in der 
Dorotbeenitrahe kommt der Offizier; er lann der Verfuhung 
nicht toideriichen, um birie Diittansftunde einmal wenigitens die 
Linden zu ſameiden, wenn auch nicht Die elegant gelleideten 
jungen Damen, denen er gerade bier, wo der Uebergang über 
die Friedrichſtraße unter Umftänden fait Icbentaefährtic it, ar 
troit feinen ritterliben Schub bieten darf, ihn anzögen. Die 
Herren und Damen der Bühne fommen langlamen Edhrittes 
aus der Probe, um ſich mit Muße im der neueften Garderobe 
berwundern au laßen, und baten den Triumph, daß mander 
neugierige Bagſchblick, wie auch manch jugendlich begeiftertes 


Siudentenauge bealüdt auf ihnen mweitt: von der Börfe fehren 


u 


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460 


die erften eifrigen Gruppen zurüd, die lehten Schlagworte br& 
Tages auf den Lippen; beim Gafe Bauer firömt es von Be 
juchern ab und zu. Dazwilden rufen Blumenverfäuferinnen 
ihre frifcheften Vellchen, Beitungshändler ihre neueften Nummern 
aus, neidifchen Blides den ſchmucen italieniihen Figurenttäger 
mit dem ſchwarzen Strausfopf muſternd, ber 
ſich mit feiner weißen Gipsware in den brau · 
nen Händen zwiſchen ihnen Platz macht. 
Durch die Friedrichſtraße fommen und gehen 
vom Gentralbahnhofe her Droſchken mit 
Koffern und Reiſenden belaftet, eilen geſchäf · 
tige Fußgänger, die durch den Buminel» 
ſchrin des Lindenpublifums fich beim Ueber 
aang Über die Linden unangenehm gehemmt 
fühlen. Bom Schloſſe ber, vom Parifer 
Pat zurld fliegen die hübſch gebauten Ges 
führte der Erſienklaſſe ⸗Droſchlen über das 
glatte Asphaltpflafter, wiſchen ihnen eles 
aante eigene Gquipagen, bodräderige Til» 
burys von jungen Elegants geführt, Leichte 
storbimagen mit Iuftigem Ponygelpann, Hof ⸗ 

equipagen, und mitten binburd, 
> von weitem fchon durch den wehen · 
den Federbuſch des Jägers ange- 
fündigt, von feiner alltäglichen | 
Mittansipazierfahrt beimfehrend, | 
des Haijers ehriwürbige Gejtalt, in | 
feinen grauen Mantel gehüllt, nad) | 


















allen Seiten freundlich grüßend. 
Wohl an feiner Stelle Berlins 
freuzt fih in gleihem Maße, wie 
arrade an der Kranzlerede das geſchäftige Treiben des inbur 
ftrieflen mit dem flanierenden Behagen des eleganten Berlins; | 
wohl an feiner Stelle bildet ſich ein Verfehrätonflur, der für den 
aufmerfiamen Beobachter in gleihem Make ein vollbeſchriebenes 
Blatt aus Berlins Tagesgeſchichte ift. | 
Eine wiederum neue Variante in dem belebten Bilde ber 
oberen Linden pwiſchen Friedrichſtrahße und Schloßbrüde wird ee | 
geben, wenn, was nur noch eine Frage der Zeit, dad intelligent | 


„Ridts leichter ala das!“ 





| 
Zerrafle por der Kombitorei Unter den Linden. | 


außgebreitete Pierdebahnneh eine feiner Tehten Hauptlüden Füllen | 
und die jo notwendige Berbindung zwiſchen Nord und Süd, 
zwoiichen dem Oranienburger und Haͤlleſchen Thor heritellen wird; 
wenn das Ihtwanfende Gefährt des Omnibus, das jeht ala ein« 
zines Bindeglied zwiſchen der Chauffteſtraße und dem Halleſchen 
Thor fi wie ein fAnverfälig fortwälzgendes Ungetüm zwifchen 
den eleganten Vehilels der Linden durchwindet, einer neuen 
Schienenſtraße Plak gemacht haben wird. 


Zur Geſchichte der Taubenpoſt. 


Der ältere Plinius berichtet (Hist. nat. X 37), daß Decius | 
Brutus, als Antonius ihn in Modena eingeſchloſſen hatte, feine 
Depeichen durd Tauben, denen fie an die ruhe nebunden waren, | 
in das Lager der Konſuln befördern lieh, wo fie richtig anlamen, 
Desielben Mittels bedienten fih im niederländijchen Striege 1573 
die belanerten Harlemer und 1574 die Leydener mit ficherem Er⸗ 
folge. Der Schotte Lithgows erzäblt in feiner Reifebeichreibung 
durch Afien (5. 114), er habe eö felbft geſehen, wie in Aleppo 
Fauben mit Brieffhaften, die ihnen an den Hals befeftint ge | 


‘ Temperatur 


Zur Geichichte der Tanbenpofl. 


weien, anfamen, naddem fie 48 Etunden zuvor in Babylon, 
mithin in einer Entfernung von 30 Zagerafen, ausacfogen 
waren. — Ausführliche Nachrichten von der Abrihtung der Tau» 
ben zum Briefpoftdienft nibt ſchon ber berühmte alte Philologe 
Auftus Lipfius (Epist. p. 274) vor zweihundert Nahren und 
* — in ſeiner Dissert. de jure columbarum (cap. 2, 
‘Ch. 5. R. F. 


2nfer Sausgarten. 
Von ©. Küttig. 





Die Rnranasgewädfe. 


Unſere heutige Plauderei, mit jenem Wort an der Spike, 
ſoll ſich nicht mit der Kultur der Frucht beihäftigen, die recht 
jehr an die Kiefernzapfen unferer nordbeutihen Wälder erinnert, 
aber trokdem auf den Tafeln der Reichen die feinfie Lederei dar · 
stellt und der Bowle den herrlichſten Wohlgeruch verleiht, der 
und aber jofort vergeben würde, wollten wir von den Beitand- 
teilen deö Bodens erzählen, in dem die Pflanze am üppigſten 
wuchſt und die jhöniten Früchte erzeugt. Wohl find diefe Früchte 
die in Europa Dr. Kaltihmidt in Breslau 1703 zum erjienmal 
nezogen und an den kaijerlihen Hof in Wien geididt hatte, 
beute überall befannt und beliebt, nachdem man in Indien fdron 
lange vorher Ananaspunid und Ananaswein bereitet und ge 
trunfen hatte, aber der Liebhaber, mehr noch die aufmerkfame 
Yiebhaberin, die allein wir um ihre Aufmerkſamkeit bitten mödten, 
wollten wir beute von jenen tropiſchen Pflanzen unterhalten, 
deren Schaft ſich mit farbenprädtigen Blüten bededt, wie faum 
ein anderer, deren Blätter dem Auge oft die prächtigſten Zeich- 
nungen bieten und die au am fyenfier des einfaden warmen 
Wohnzimmers jehr gut Damen. 

Die Ananasgewädje (Bromeliacese Juss.) bilden eine 
beinahe ausſchließlich dem tropiichen Amerifa anpehörende Familie 
mit rojettenförmig geftellten Wlättern ohne fidytbaren Stamm, 
die aber gewöhnlich jo dicht beifammen ftehen, daß fie gleichſam 
als eine Wale erſcheinen, in der das Waſſer fi fammeln fann 
ohne Gelegenheit zum Nbfliehen, Die Heinen Blüten mit ihren 
Dedblättern bilden an dem mitten aus jener Vaſe entfteinenden 
Schaft eine Aehre, die ſich in ihrer fyarbenpradt oft mehrere Monate 
hält und der Pflanze ein herrliches Anfchen verleiht. Sie wachſen 
in den Zroven an und unter den Bäumen, find in _erflerem 
Falle alfo Schmaroher, die guch in unferen warmen Gewächt- 
bäufern, hängend und an zn befeftigt, Kultiviert werben 
müßten, bie man aber auch, wie mande Orchideen, in vielfad 
durdlödherte Am⸗ 
veln oder Körbihen 
pflanzen fünnte, in 
denen ihre Wurzeln 
einiah mit Moos 
und mootartiger 
Haideerde umgeben 
werden. ie for- 
dern in foldem 
Zuflande warme 

und befonders 
feuchte Luft, im 
Winter aber mehr 
oder beinabe voll» 
ftändige Troden« 
beit, jedenfalls eine 
von 
+ 10—-150R., im 
Sommer + 15 bis 
ss’. Im fon. 
Wintergarten, der 
aber immerhin nur 





für Warmhaus · Gig. 1. Billbergis Chantini, 
pflanzen eingerich · 
tet fein mußle, 


albfträuder aut 


tönnen diefe jhmarokenden Eträuder oder 
Manyung von 


zur Verzierung von Baumflämmen und zur 
fünftlichen Felſen verwendet werben. 
Ginfacdher ift die Nultur diefer Pflanzen, auch der von 
epiphptiicher Natur, in Zöpfen, wo fie in eine nabrhafte und 
torere, falerige und fandige Heiderrde mit Torf und Solzloblen» 
jtücten gejeht werden. Wenn man Gelegenheit Dazu hat, pilanzt 
man fie während des Sommers frei in ein warmes Driftbeet mit 
eben empfohlener Erbe; im Sherbit jet man fie wieder in Töpfe 


Ida Barber. 


und blühen viele von ihnen dann mitten im Winter. 
des Wacht tums jollte man ihren zuweilen einen Guß von Dung- 
wafjer reihen. Auf eins ijt aber bei der Hultur befonders zu 
achten: das Wahstum der Pfanje jchlieht mit der Blüte ab 
und es bilden fid unten am Stamme oft, oder vom Wurjelhals 
aus, zahlreiche Seiteniprofien; man thut daher amt beiten, dis 
alte Blatirojette eıniacd abzuſchneiden und wegzuwerſen; die 
Scitentriebe nimmt man bis auf einen ab und ftedt fie in 
jandıge Haideerde, in der fie bald Wurzeln bilden und jo ſih 
zu eigenen Pitanzen geftalten; der eine beibehaltene Trieb jeht 
die alte Pflanze fort und wird vorausfihtlid eher zur Blüte 
tommen, al& bie jungen Stedlingspflanzen. 

In diejer Familie gibt es außer der Ananas (Bromella 
Ananas L.) nicht viele Nunpflanjen; auf eine möchten wir aber 
aufınerffam machen, auf dm Greiienbart (Tillandsia us- 
noldes L. = bartflehtenähnlide Tilandfia*). Die filberweihen 
fadenförmigen Stengel diejer Eimaroperpftange, die auch ameri« 
taniſches Moos genannt werben, hängen im tropijchen Amerika 
mächtig fang von Nadelbolgbäumen herab und dienen zum Ver 
voden don allerhand Waren, zum Ausjtopfen von Betten, 
Matratzen u. f. w., und madın 
die Vögel aus ihnen fih ihre 
Sängenefter. Bei der ſchlauch⸗ 
artigen Zillandjia (Til- 
landsia utrienlata L.) bilden 
die * als einen Meter langen 
und zehn Centimeter breiten ju⸗ 
ſammengefalteten Blätter einen 
Schlauch in welchem ſich Regen« 
waſſer ſammelt, welches den 
Reiſenden in Weſtindien nicht 
felten zur Stillung des Durſtes 
gedient haben foll wie das in den 
oben erwähnten Blätter 
vajen anderer Arten. 

Für den Zimmergar- 
ten und den Blumenflor 
der warmen Gewächthäuſer find 
folgende Gattungen von großer 
Bedeutung: Aechmea, Billber- 
gila, Caraguata, Guzmannia, 
Nidularium, Tillandsia, Vrie- 
sia u. a., bon denen wir dem 
geneigten beſer folgende bejonders 
eınpfehlen möchten 

Aechmea Veitchli, von 
Kolumbia durch das Import- 
aeihäft von William Bull in 
Furopa eingeführt, entwidelt 
Bluͤten, die in einer dichten länglihen Aehre zufammenftchen; 
jebe einzelne von ihnen ift mit einem bornigen, gezähnten Ded⸗ 
blatt verfehen, defien leuchtend harladrote Farbe der Pflanze 
zur herrlichſten Zierde gereicht; die Plütenhulsblätter an dem 
unteren Zeile der Traube find ebenfalls ſchatlachrot, die oberen 
weih, Die meiften Aechmeen können als Epiphyten auf mit Moos 
veriehenen Holzftüden, auf Felſen u. dgl, im Warmbauje kultis 
viert werden. Für allgemeine Detorationsjivede und für bie 
Kultur im immer ift der Topf vorzuziehen und verlangt fie 
dann guten Abzug (Zopfiderben o. dal.) und eine Erdmiſchung 
von grober Haideerde, Sumpfmoos, Goljtoblen, kleinen Zopfr 
ſcherben und Sand, und während der Zeit des Wachttums reidy« 
lich Waſſer — wie andere Bromeliacen auch. Das im Ser 
der Pflanze vom Epriten und Giehen fi ſammelnde Wafler ift 
der Pitanze fehr zuträglic. i 

Aehnlih ift die Aultur der angenebmen Billbergia 
(Bilibergia amoena Lindl.) von Weitindien, wo fie auf faulen 
Baumftämmen wählt. Die graugrünliden Blätter find linear 
fangettiörmig und leicht dornartig gezähnt. Der Schaft wird 
30—60 em hoch und endet in einer loderen Traube. Die Blüten 
find mit lanzgettförmigen, purpurrofenroten Dedblättern verſchen, 
die eigentlichen Blumen find unten blaßaelb und oben himmel» 
blau. Diele Art blüht nern im Winter, ebenlo ihre Verwondten 
Billbergia iridifolla Lindl., bie jmwertblätterige, Liboniana 
de Jonghe, Libons Moreliana Brongn., Morels nutans 
H. Wendl. die überhängende, splandida Lem. bie glänzende 
Billbergia u, a. m. 

Au Billbergia Chantini Carr. (Fin. 1) IM jehrgu empfehlen, 
Die Blätter zeichnen ſich durd eine eigentümliche bunte Färbung 
aus: fie find am Grunde filberweiß, dann dunkelgrün, beftäubt 
und grauartig ober weiß geilzeift ; im übrigen find fie gezähnt, an 
ber Epite kurz zufammengejonen, breit und nrazids überhängend. 
Kine Jiemlich neue Vromeliacee ift die jäulenartige Nehmen 


*, Tillandsia nah bem ſchwebiſchen Prolrfor Gliaa Tilanbfius, 
2. 3. Linnes 1707 - 1774 Profeflor der Medizin in Mbo, der auf 
feiner Weile von Etofbolm nah Finnland To Immer feefrant murbe, 
daß er mie wieder auf ein Shi ging und beu Ramen Tilklande, 
b b. zu Lande, annahm. 













Bin. 2. Acchmes columnaris, 





Trachten der Zeit. 


MWührend ' 











461 


{Aechmea columnaris Ed. Andre, Fig. 2), deren Autor fie im 
Anfang des Jahres 1879 in ftolumbia (Neu-Oranada) entdeitte 
und an N. Linden (jet Compagnie continentale d’Hortieu)- 
ture) ‚in Gent, Belgien, einfandte, Cie erreiht eine enorme 
Größe, denn die Plätter werden 1,5 m bis 2 m lang und 
10—12 cm breit; fie find blutrot abwechſelnd mit grün und 
violettrot; der Bliitenfchaft wird bi 2,5 m hoch und bildet eine 


 buramibenförmige Aehre mit zahlreichen Blüten, 


deren blafgraue Kronenblätter mit farbenprädtie 
gen Dedblättern verfehen find. 

Bute Winterblüher find auch Guzmannia 
tricolor Rz. et Parv,, die dreifar⸗ 
bige Guymannia, eine faum 30 em 
hohe Pflanze mit zahlreichen hell · 
grünen unbewahrten Blättern, die 
ziemlich aufrecht jiehen, die Blüten 
zeigen  verfchiedene Farben. 
Nidularium fulgens Hort., das 
leudtende Blütenneit, deſſen 
elegant gebogenen beilgrünen Blätter eine 
regelmäßige Mofette bilden und mit dunklen 
‚reden geziert find; im Innern der neitartig 
geformten —5* leuchten die Blätter ſchar⸗ 
tahrot. Dir Blütenſchaft ragt wenig über 
die Blätter hinaus und zeigt bläus 
lidhe Blumen mit feuriglarminroten — 
Deckblãtiern. — Vriesia brachy- 
stachys Rgl., die furzährige . 
Brielia. wird nur 10—15 cm ” 
body, blüht aber im November 
bis Januar mit zweizeiligen Blüs 
ten und gelb und roten Dedblät- 
tern, die mit dem furzen 
Schaft eine Aehre bilden, aber fid) jehr Tanne farbig erhalten. 

Für die Aultur der Ananasgewädle ift ſchließlich noch 
_ zu bemerfen, daß man biefe Schatienpflanzen vor brennenden 
Sonnenstrahlen ſchühen muß, daf Heine Töpfe befler find als große 
und dab das Verpflanzen nicht jährlich ftattzufinden braucht; 
dagegen follte man ihnen, wir wiederholen das, während ber 
Zeit des Wachstums jede Woche einen ſchwachen Dungguk neben. 
Wenn infolge anhaltend trodener Luft und Mangel an Feudhtig- 
feit an den Wurzeln ſich Schildläuſe, die role Epinne und 
anderes Ungeziefer fich einitellen, fo taude man, wenn möglich, 
die Pflanze zweimal in 400 R. warmes Waller. — Pflanzen, 
die allyulange auf die Bildung des Blütenihaftes warten lafien, 
leiden gewöhnlih an anhaltend ftarfer Feuchtigleit — man bat 
ihnen die nötige Ruhezeit nicht gegönnt. Diefe lafle man einige 
Zelt troden fiehen, bis der Blutenſchaft ſich erhebt, und dann 
gs man wieder reidhlid, aber immer mit bis 200 R. warınem 
Waſſer. 






„Werden wir gleich hab'u.“ 


Trachten der Beit. 
Bon Ida Barber. 


Frühlinge und Sommermoden pflegen flet# unmerklich in« 
einander Überzugehen; erftere tauden auf, lange ehe die erſten 
Maitüfterl wehen, Iehtere werden wie burd; Yauberruf von den 
eriten warmen Sonnenftrablen bervorgelodt, — Prangt die Natur 
draußen in reichem Wiüten und Farbenſchmuge, fo wollen 
unfere Schönen auch nicht zurüdftchen und, als gelte c#, mit ber 
blumengeihmüdten Erde einen Wettlampf aufzunehmen, erſcheinen 
fie in farbenreihen, duftigen Gewändern, von deren lichten Unter» 
— ſich Roſen, Beilchen, Narciſſen und Wieſenblumen ab» 

eben. 

Die Hüte find oft nur eine Yufammenfehung aus fauter 
Heinen Kndſochen, die aus einem leichten & Jonr Geflecht hervor- 
lugen; die Echirme dedt man mit Blumen-Arabeiten, wohl audı 
ganz mit Heinen Streublüten, jo daß von dem eigentlichen Stoffe 
faum etwas zu fehen übrig bleibt; Handſchuhe, namentlich die 
fonenannten Jardinlören, beftchen aus lauter Meinen Gpiken- 
deſins, Deren einzelne Blumen in farbiger Eeide autgenäht 


| find; die Salörüfchen fertigt man aus blumendurdwirften Dialine 


| 


| 


J 


Tüll. Blumen, wohin das Auge ſchaut. 

Eine einfarbige Toilette ift heute faſt unmodern gu nennen; 
tert man fie nit mit farbigen Stoffen, fo doch mindeitens mit 
arbigen Etidereien. — Man fieht auf Tüll und leichteren 
Gazeſtoff fo naturwahr ausgenähte Blumen, dak man jugreiien 
mödte, fie zu pflüden. — Viel trägt man Beilhen-Girlanden 


3 —— Taffet oder leichte Voile 
vjen mit Kornblumen durdfäc. NRobfeibe 
mit bunten Blumen-Arabesten liefert nanz 
reizende Koſtüme, die ihrer, Dauerbaftigteit 
wegen wohl den Vorzug vor vielen buftigen 
Beige» und Grenadim-Roben beanſpruchen 
Der oitindifche Bat, befannilih ein 
Sommerftoff, der feit Dreennien jtets Mode» 
ortifel geweſen und geblieben, wird in Dies 
ſem Jahr gern in Derbindung mit Samt 
verwendet, 
Sig. 1 zeigt uns beifpielsmeife ein aus 
— g durchſtidtem Baſt gefertigtes Kor 
üm mit duntler, dem Jägchen unterichter 
Samtmveite, breiter, aufen offener Samtftulpe 
und hohem Samtiragen. Der Nod ift unten 
durch vier handbreite in Seide aublanguel« 
tierte Volantö garniert, darüber ein puffe 





— = 


„Ta fell dad...“ 





da Barber, 


artig arrangierter Doppelrod, der feitwärts durch Samtroietien 
erafft it. Das Yädhen hat einen überaus originellen, kleid» 
janen Schnitt; die BVorderteile find bis zum dritten ſtnopf ge- 
chloſſen, unterhalb desjelben durch angejchnittene Etoffbänder 
die zu einer Echleife geſchlungen werden, derart brapiert, da 
die Front mit wagerehten alten nededt ift; hinten Poftillone 
ihoß mit Samtmaſchen. Die Aermel, oben raus einge 
bilden bis zum Ellbogen bin eine Puffe und werden burd e 
hanbbreit nejogenes Anſatzteil und Sami-Manidietie abgejdlofien. 
Trefflich Meidend und für heikere Gommertage ſehr jmwedente 
prechend. ift das in Fig. 2 |kigzierte, aus lidtgelbem olieder 
geiertigte Koftim, Der u, weich, anſchmiegend, ficht fait 
wie Puhleder aus und ift dod fo leicht, er fauın mehr als 
durchſichtiger Bareqe aufträgt. . 
Die lichte, fait firohnelbe Farbe würbe wenig leiden, hätte 
man den Stoff nicht mit braunem Samt gemiſcht; aus Ickterem 
ift der ſeitwärte geſchlihte Doppelrod gefertigt, der fächetartig 
breite Stoffjalten hervortreten läßt; Taille und Tunigue find 








Big. 2. 
Reue Koſtame für Famen. 


Big. 3. Fi. 1. 





aus Mollleder hergeſlellt, eritere mit breiten Samtrevers, unter | und Seibeniloff gefertigten, durchweg nefaltefen leider (Fia. 4) 


denen die Borderteile zuritdgcihlagen find; ein aus Ficelleſpihen 
nebilveter Pat; dedt die Vordertaille und läßt fie fait wie ans 
aefdinitten ericheinen. — Obſchon zeitber das engliſche „bis oben 
hinauf zugenöpft* vielen Anklang gefunden, bilrfte dieſer für 
die Eommertoiflete ſehr praftiiche Tailtenausihnitt einer nod 
freunblicheren Aufnahme gewärtig fein. Uniere Damen find gar 
nicht fo zugeknöpft“, wie fie zeifber ſchienen, weit lieber zeigen 
sie fi — und wohlgeneigt, dem ſchön aewölbten, vollen 
Hals bie — gebührende Bewunderung zu gönnen. 

Sur menadentoifelle werden wohl nad mie vor die 
oben gneiählofjenen Kleider gewählt; um fie nicht au ſchwer zu 
geſtalien, verzichtet man auf da& zeither beliebte Faltengemiſch, 
das nicht felten 10—12 Dieter Eich beaniprudite und jomit der 
Trägerin bie Laſt auferlegte, auf Irit und Schritt genannte 
Stoffntenge mit ih herum zu filhren. 

hir den leichteften, well möglichft fallenloſen Aoſtümen ger 
hört das im Fig. 3 gezeichnete; der fradartig geichmittene Heber« 
wur bat vorn einen glalten aufgelnüpften Shurg, der das 
farbige Unterkleid zur Geltung kommen läht; die ganz glatte 
Taille ift feitwärts gelnöpft, wenig gepuht, das Ganze eine für 
jugendliche Ericheinungen überans einfahe und praftiiche Tracht. 

Mehr das elenantere Genre reprälentierend und jur feinen 
Beſucht wie Geſellſchafteſolletſe geeignet, find die aus Einſah 





zu denen man gern Taille und Zunique aus brodteriem Zi 
oder ehemaligen Spitentüdern trägt. Der Rod befteht aus je 
einem Ginfak-, einem Stoffitreifen (wagerecht), flieht unten 
mit breitem Epikenplifid ab, ift à Ja paysanne gefaltet, bie 
Pliffes inten auf Gummiſchnur unfihtbar aufgenäbt, fo daß 
fie beim Ausſchreifen nachgeben. Derartige, aus lauter Etrelien 
jufammengejchte leider geben praftiichen Damen die Mögtichteit 
aus 3 oder 4 unmodernen ſtleidern eins nach ber neueſten Mode 
herzuftellen, ein helleres wird zum Unterfleid verwende, ein 
dunflere zu Streifen gerjhnitten, von einem dritten nimmt man 
Spiken und Entredeur, zu Taille und Zuninue fann viefeicht 
gar ein wertvoller Spihenſhawl Verwendung finden. — Unſet 
Modell zeigt eine mit Spitzen ⸗Coquille narnierte kurze, feitwärts 
nerafite Polonnaiſe mit ausgeihnittener Taille und ben jeht ſehr 
beliebten halblangen, mit ESpiten-Aabot abichliekenden Wermeln 
(Fig. 1-4 dem Atelier Mostowig Wien entnommen). 

Mie zu Stleidern ſucht man auch zu Schirmen auffallend 
viel Eriken in Verwendung. Die eleganten Puhiirme find 
auf franzöftihen Goldgeſtellen aufgeleat, zum Ablndpfen ein» 
gerichtel, jo dak man je zu dem betreffenden ſtleide den paſſenden 
Bezug auflegen fann, der dann, wenn in lichter Farbe gehalten, 


| zumeiſt nod mit einem Epihenichirm überdedt wird. 


Eine Kollektion reizender Schirme, die als Typen des Neueflen 









—s 


in dieſem Genre gelten können, ſah man dieſer Tage bei 
S. Wendum (Wien) ausgeftelt. Die Stdde, teild aus mwohl- 
riechendem, cxotiſchem Veſichenholz, Bambusrohr oder Weichſel · 


Alabertoſtamt. 


boly gefertigt, zeigten fein eifelierte Armringe, jo daß der Schirm 
angehängt, nicht gehalten zu werden braudpt, 

Die Bezüge, entweder aus ſchwerſtem Brofat, blumigem 
Damafle, Satin double oder oitindiihen Baft 
fertigt, reich mit Ghenillefranfen, eingeftreuten 
Bougueis oder abgepaften Borbüren garniert, find 
ſehr weit von jenen Duhenbformen verfdieden, bie 
man gewöhnlid mit dem lanbläufigen Begriff 
Schirm bezeichnet. Day. DB. Fla 5 ein großer aus 
Satin double gefertigter Entoutcas, [diwarj und rot 
ſchillernd, mit hohem, aebogenem Stod, der bei Berg: 
dartieen gleidhyeitin als Etübe dienen fann, Fig 6 
ein eleganter Loivenibirm, 16 teilig auf Goldgeſtell 
mit fein ausgelegtem Goldftod, Fin. 7 ein vpraltiſcher, 
zu jedem Kleide pafjender Alltag» 
Ihirm, oben ſchwarz mit Uchtem 
Khinefutter, der Eiod in Hufeiſen · 
form enbigend, Trie. 8 Schirm von 
blumigem Damajt mit einfarbigem 
Futler, das eine in Flachftich ge» 
ftidte Bordbüre umgibt, ig. 9 
Schirm aus Peluche -Gaze mit 
eingeftidten Blumen, Fig. 10 flart 
grwölbter Brofatigirm mit an« 
nereigten Epiken — Molant, das 
ın der Marbe bed Schirme mit 
Blumen durchſtidt iſt. 

Elegante Damen wiſſen, wie 
iche ein Schirm die Toilelte zu 
heben imftande ift und up bei 
der Wahl desjelben faft jo ziem« 
dh gewiffenhaft, wie bei der 
cines Hules, einer Goiffure, einer 
Friſur oder dergleidhen. 

Wenn fhon man aus päda: 
nogiihen Gründen der Anficht iſt, 
daß für Kinder eigentlich keine 
Mode exiftieren folte und dad ein · 
fadhite Foſtum jederzeit für fie das 
Big.’ Edirm. ppedentjpredgendite wäre, laflen es 

ſich unfere auf die mätterlihe Eitel · 

feit ſpekullerenden Selberkünftier 

dod nicht nehmen, uns von Eailon 
zu Sarfon mit neuen Modellen für unfere hoffnungsvollen Spröß» 
linge zu Überrajden, 

Finden wir aud eine neue Anſchaffung zroedios, jo laſſen wir 





Tracıten der Zeit, 








463 


uns body gern zu berjelben liberreden, denn Mag und Mori 
und wie die böfen und guten Buben heihen, wiflen gar fo b 

7 ſchmeicheln und — jeder befferen Ueberzeugung zum Zrok — 
bt fih aus dem innerfien Winkel des mütterlichen Herjens 
eine Etimme vernehmen, bie da frägt: „Was wird c& denn 
viel ſchaden, wern du dein Kind fein, nett und zierlid Heiden?“ 

Fur alle diejenigen, die diefer Stimme 
gern und willig Gehör jchenten, einige 
kurze Stinjen. 

Die neue Mode winidt alio, dab 
wir unfere Herren Söhne in lichte, blaite, 
belgraue oder chamoie Hoftüme Heiden, die 
Paletots Fig. 11) müffen pflichticyuldigft 
vorn eine mit großen Amöpfen gejierte 
Doppelfalte zeigen, zu jeder Seite drei 
Falichen, oben breiten Samtfragen, ſeit ⸗ 
wärts mit Samt garnierie Taſchen; der 
Baletot möglihh fury, faum bis zum 
ſtnie reichend, läßt die aus gleichem Stofj 
nefertigten —* Tuchgamaſchen bervor« 
treten, die jeitwärts mit circa 15 Samt ⸗ 
Inöpfen geſchloſſen find. 

Fia. 12 zeigt einen jungen Kar 
rigen Deren in feinem neuen tegeithoff« 
blauen Koftüm, vorn ganz gentie- 
manlife gefnöpft mit weißer Weite, 
rin. 13 den jüngeren Bruber in ber 
jeht jeher beliebten Stittelform, einem 
ick nearbeiteten fyaltenrod, der, dem 
furjen vieredigen Adhfelftüd angeiebt, 
unten durd einen Samtgurt gchal- 
ten iſt 

Die firma W. Deutid (Wien), 
der wir biele drei Sindermodelle entnehmen, bat mit benfelben 
in Wien Schule gemacht. x 

Die Heinen Leuten glauben, nicht ftandesgemäß auftreten 
zu können, wenn fie nicht das vorjchriftämäßige Koftilm haben. — 
Ob es wohl rechi ift, Ainder ſchon mit Mobebegriffen befannt 
zu maden? 

Befler wäre ihnen vieleicht, fie ſtudlerten flatt berfelben 
die felbit Erwachſenen jet unentwirrbaren Dehnungs ⸗ und 
Schärfungszeiben oder ſonſſige Probleme, indes Müttere 
meint, fie wolle auch eine Augenweide haben und ihre zmwrifele 









Berfluchte Brihichtel* 





Big. 0-10. Euirme 


| 1os bildfhönen Kinder — und ſchon find fie ja alle, wenn man 
| fie mit Dutterauam anficht — gepuht ſehen; gönnen wir ihr 
b 


ab findhiche Vergnügen ! 
(500 ıle . 


464 
Buchſtabenverſetzung. 


Aus dem Namen eines deutſchen Königreiches follen durch 
Budftabenverfehung elf Worte gebildet werden, und jwar: 
1, eine Nation, 2. eine Frucht, 3. die dritte Macht im Stante, 
4. eine Bezeich ⸗ 
nung für „rein“, 
5. ein landwirt« 
—— In ⸗ 
trument, 6. eine 

Art Samin, 
T. ein Ftauen ⸗ 
name, 8, ein Ge⸗ 
fäß, 9. ber Gr 
genfahvon,alt* 
10, ein Fluß im 
zu findenden Kö. 
nigreiche, 11. ein 
arofer Indu⸗ 
ftrieort ebenda 





„Sonberbar — Höäft fonberbar!* 


Bas mag es fein? 


Wie die Henne überm Cie, 

Eikt fo mancher unermüdet 
Ueber mir — jedod der Hermfte 
Hat mid nimmer auögebrütet ; 
Epäter erft ein Wort ihm zeigt, | 
Wie ih auszjubrüten Leicht, 


Kapfelräffel. 


Es gilt, bad Ende von bem einen, 
Den Anfang von bem nädften Wort 
t um neuen Wort vereinen, 
Und was man ſucht, bat man ſefort. 
1. birgt eine Göttin der Griechen; 2. einen Fluß; 3, einen 
Namen, befannt aus der griechifchen Miythologie; 4. einen weib · 
lichen Bornamen; 5. einen Körperteil; 6. einen Bierfüßler. 
1. „Sag’ an! wer iſt denn ihr Truchſeß ? 
3 an! wer iſt ihr Schent?* 
„„Meine rechte Hand ift ihr Truchieh, 
Meine linke tft ihr Schent.** 
2. „Sag’ an! wer find die Wächter treu ?* 
„„Meine Augen blau allftund,** 
„Sag’ an? wer ift ihr Sänger frei?* 
„„Der iſt mein roter Mund. ** 
3. „Eo eble Dame darf nidt fern 
Bon meinem Hofe fein, 
Wohlauf, drei Damen! auf, drei Herrn! 
Führt fie zu mir herein!* 
4. Der König ruft mit einem Mal: 
N Himmel! ſeh' ich recht? 
Ah hab’ verjpottet im off'nen Saal 
Dein eigenes Geſchlecht. 
Bon Edenhall der junge Lorb 
Laßt fchmettern —8 frompetenſchall; 
Gr hebt ſich an bes Tiſches Bord 
Und ruft in trunf'ner Gäfte Shwall: 
„Nun her mit dem Glüd von Edenhall.* 


6. Tom Ehwerte fällt der junge Lord, 
= in der Hand nod den Kryflall 
as zeriprungene Glüd von Ebenhall. 
Am Morgen irrt der Schenk allein, 
Der Greis In der zjerflörten Hal’, 


* 


Hilbenräffel. 


au, cht, di, d, e, e,e,e,e, en, en, en, en, 
e, eb, eb, fr, fl, hr, h, i, im, ir, isch, isch, I, ml, 
08, T, si, U, W. 

Aus den obigen Buchſtaben und Buchſtabenzuſammenſiellun · 
laſſen ſich 12 Wörter bilden, welche eine befannte Stelle auß 
Ehiner ergeben, 


en, et, 
nd, ns, 


Rebus. 





a3 Zum Kopf⸗Zerbrechen. 2» 


Sſataufgabe. 


Dei einem Touren ⸗Skat muß Vorhand mit den [genden 
Karten Grand ſpielen. Pigue-Bube, Treff⸗ gehn. Sina und 
König, Coeur · A, Garrenu«flönig, Dame, Reun, Ast und Sieben, 

Die Karten find fo verteilt, 
daß die Gegner nicht aus bem 
Ehneider fommen örnen, 

Was liegt im Stat und wie 
ift der Gang des Epiela? 


Aälfel, 


Mich [hmiüdt des Künftlers Hand, 
und doch zugfei 

Umfang’ id} innig deine Gileber. 

Ic heile Wunden, und im kuft'gen 


—r 


a / 
— 


ei 
Auf weitem Meere wall id auf 
und nieber, 
Nimm mir den Kopf, — und 
wenn ber beine fidh 
Nicht fremder Weisheit blindlings 
wi ergeben, 

Dann, ob du aud kein Rechts⸗ 

j gelebrier eben, 

Mit Fug und Recht dann, Freund, 
erhebit du mid. 

Und haft du mun verändert mir 
ein Zeichen, 

Werd ih zur Schale: ſuch dem 
Kern darin, 

Doch laß mich fleh'n, wern ich Im 
Schmuck dem reihen, 

Wie oftmals — von der Frucht 
das beite bin. 


Buchſtabenrebus. 





et 


äffel: Die 5 Sinne. 


Edineffhes 
—— 
erirage: ahr⸗ 
eit ie seifellos 
afe ein Fell los. 
Bablenräffel: Java, 
Puppe, Anna, Zrinn, 
neun, Peru, Sinn, 
Streuger, rita. 
Urne, Kapuſner. 
Berfegrätfel: Oder: 


Sildenrätfek: Rainer, 
Elbe, Lineal, Juli, 





Gbbe, Fünf, Philipp, . 

—— „Eſche, Jacobi, Lelewel, Ggae, Romer — Reliefpfeiler, 
Silsenräffel: Rheinwein. — Sildenräffel: Veitstanz, Odrau, 

Maufoleum, Folgſam, Ente, Leontine, Shiller: Vom Fels 


Dteer. [) Biel be find bes en Zod, 
Eee Tiefe —— E Fe ie Alte 


Geographiſche Aufgabe: Weiſe ſa · 


gen aus 
nönsoaÄrz 
— 
Bram 
Taıcet 
[n 
tatreuac 
nur —— 


Beide n, — Daß fie fingen an zu wandern, — 
Und we un ri gm am Ende ridtig an. 





MW EEE 


u du ⏑ 


Schadhaufgabe Ar. 6 
von 3. Hinhpeter in Siegen. 
(Schwar;.) 


ii AB cCcDE 


Ei 


———— — *, 





Weiß.) 
Weiß zieht an und feht in drei Zligen matt, 


Föfung von Ar. 4 


(Löfungspreisaufgabe.) 
1. Dab — 42 Sal — c}: 
2. Dd? — h? Bc?2 — e3: 
3. 865 — 46 + Ke4 — ff), di 
4. Lc4 — e?2, Dh2 — b2 malt. 


Ket — f5: 

. Dd2?2—12+(h2) Ris — g4, 85 
‚, Df2!—fı+ Ky4 — h5:, h3 
. Le& — fT7, f1 matt. 


.oraars4ae 


— 7 


Kran, de. La? — b# 

2. Dd2 — h2 Lbs — e5: 

3, Dh2 — hi + Beliebig. 

4.03 — ed, 5c2 — el, Dhi4 — f#: malt. 


; Ke4i—r3 
2, Dd? — ı2 Beliebig, 

3. Dh2 — g3, f4+ Belicbip, 

4. Dg3 — fi, Lot — fl, 17 matt. 


Muf andere Züge entfeidel die Drohung 2. DLd2 — b2 ıc. 


Föfung von ir. 5. 


1, Tb6 — bR Re7? — do: 
2. Tb8 — ds + K beliebig, 
3, Lel — a5, h4 matt. 

a er Kceti— b8: 
746 - dB + K beliebig 

. Lei — 12, h4 matt. 


Auf andere Züge entideidel 2. Tds6 — dB ze, 


un. 





Fingelaufene Löfungen. 


Nr wurde ferner geldft von A.O.H. in P,R, Eimsie 
In Eybifubnen, €. Auhl in Gotha, &. Roſch in Fürth, 

Die Yöfungspreisaufgabe (Schadaufgabe Nr, 4) 
wurde richtig nelöit von: Fr. Dubbe in Noitod, v. Walter in 
Wien, ©. Ejabö in Agranı, I. D. reis in Münden, ®. Aron 
in Beed, Karl Tratler in Dudmweis, F. Paufner in Nürnberg, 
R. Eizel in Bupweis, P. Etold in Paum i, ®., GE, Pindes 
wald in Marburg in Seien, 3. ©, Botruba in Wien, iyrik 
Hofmann in Münden, Dr. G. Graf Sarntheim in Innsbrud, 


Schach. — Zeitgemäßes aus Küche und Hans, 






Martha Sienik in Leipgig, I. Zednit in chatißg, I. Michel 
in Neufladtl, 6. v. Klend in —8 —S—— in Ya 
Franz Dberhaufer in Ingolftadt, Fman. ESpiref in aa > 
birfen, Dr. Hermann Mets ben 

per in Plön, N. Spenger 
in Münden, 2. Lindner in 
Leipzig, Wolfe. Scheu in 
Dlmüb, F. Bergen in Stets 
fin, Georg Schorn in Zaljı 
burg, Gezja Vanſo in Dorn« 
birn, Pehrer Winfaner in 
Dornbirn, Anna Gapella in 
Wien, Louis Hausvorff in 
Yeipgig. (Die fe wurden 
bereits den Loſern zugefandt.) 


Briefwechfel. 

. 9, in Fürth, Ein 
Dort chrint madt ih war 
N den uns neuerdings ein« 
Aefandten Verſuchen bemerk: 
bar, doch find diejelben für 
die Oeffentlichteit nod nicht 
recht geeignet. 


A. in Gotha. Dan ‚ti 
Dreifige mit DL edgen. "FR lomat nur daranf an, wie mon 














ir« 








Beifgemäßes aus Kühe und Haus. 
Ton F. von Pröpper. 





Vom Ginmaden. 


1. Rojen-Konfitüre Dan pflüde bei trodenem, fonnie 
gem Wetter, am beften wenn es tags vorher geregnet hat, von 
cchten, in vollſter Blüte ftehenden Gentifolien-.Rojen, die Blumen- 
blätter ab, ſchneide an jedem WBlätthen das tweißliche, bidere 
ende wen und lege fie ganz loſe übereinander in ein vorher ge» 
wogenes Tuch, wiege in demielben bie Blätter und nehme auf 
Na kg davon I kg Zuder, ben man mit Waffer anfeu und 
fangiam in einer neuen irdenen Kaſſerolle fo lange kocht. bis fi 
ein Tropfen, den man milhen Daumen unb Zeigefinger ge» 
nommen, beim Wuseinamderihun ber Finger, in fteife Fäden 
sicht. Nun ftreue man, unter langfamem Rühren des Zuders, 
die Rofenblätter hinein, ziehe es dann raid vom Feuer und 
dede ch zu, loche es nad) 24 Stunden wieder auf (ed bleibt in 
der Rafjerolle) umd laſſe es chenfolange wieder zugededt ſichen, 
wonad der Yuderfaft dann recht flar und wie ein leichtes Gelee 
fein muß, wo nidt, fo müßle c& noch einmal gekocht werden, 
welches jedod; möglidft zu vermeiden ift, weil die Konfitüre, 
eine der föflichiten, die es gibt, dadurch leicht ihre ſchöne Farbe 
verliert. Uebung und Grfahrung müflen da eben aud das 
beite thunt. 

Man gibt diefe Konftlüre unter dem Namen Scherbet 
gern in nur halb damit gefüllien Gefrorenen · Bechern. mit Loffel⸗ 
den und einem Glas Giswahler dabei, von dem man, nad) Bes 
lieben, zu der Konfitüre nieht, die ſchon zu den Welten des per» 
filchen Dichters Saabi, + 1291 zu Salras, befannt gewelen fein ſoll. 

2. Stadelbeeren. Man nehme völlig ausgeiwadiene 
aber noch ganı harte Stachelbeeren von einer großen Sorte, wiege 
fie, fhneide Stiele und Blüten ab und mache mit einem recht 
Steinen ſcharfen Meher, von der Blüte nad dem Stiel zu, einen 
lachen Einſchnint, hole die Kerne mit einer ſpihig gu nittenen 
Feder heraus, und thue jede Prere gleich in friiches Waller und 
hernach zum Ablaufen auf ein Sieb; laſſe fie dann in lochenden⸗ 
dem Waller fo lange ziehen, bis man mit einem Slecnadelknopf 
hineindrüden kann, hebe fie mit dem Schaumföffel heraus in 
taltes Waſſer, gebe fie, wenn ſie darin erfaltet find, wieder auf 
das Sich und danach im eine Terrine, Nun koche man auf je 
I; ka Beeren 15 ke Yuder zur Perle, gleße die Hälfte davon 
in ein Oefäf, lege ein Papier barauf, bis c# erfaltet ift, dede 
es dann feſt zu und flelle ed beifeite: die andere Hälfte verbünne 
man mit 14 1 Wajler, gebe fir ganz erfaltet über die Weeren 
und bede fie zu, Am anderen Tage laffe man fie wieder auf dem 
Siebe ablaufen und thue fie wieder in die Xerrine, vermilde den 
abgelaufenen Saft mit dem vierten Zeil bes zurllageſtellien Yuders 
und dem Safte einer halben Gitrone, laſſe «6 —— ſchaume 
ed, giehe es lauwarm Über die Beeren und verfahre jo noch drei 


* Digitized — 


466 


Zage lang, nur dak man am zweiten Tage den Eaft warn, 
den britten heiß und den vierten lochend darüber giekt; am fünften 
Zage endlich doche man den Saft zum Faden, gebe die Beeren 
inein, laſſe fie auftodyen und gieße fie wieder in die Terrine, 
18 fie ganz falt find, wo man ſie bann in die Gläſer fünt. — 
Eimasmüb- 3. Johanniäbeer«- 


fam, aber Gelee Man nehme drei 
aud üg- | Zeile ſchöne rote und einen 
lich, bejon« i Teil weihe Johannisbeeren, 


ders zu fei» — — ſtreife die Beeren mit einer 
nen Braten. | -—. 7 -  filbernen Gabel ab, bringe fie 
j ”- mit etwas Waſſer zu Feuer 
und laſſe fie einigemal aufs 
lochen, bis fie for ei. 
find, giche fie dann auf ein 
Eieb und wenn der Saft 
durchgelaufen ift, wobei man 
die Beeren nicht drüden darf, 
fo giefe man ihn nodmals 
it damit er recht Mar 
wird; fode nun auf Lu kg 
Saft 1, kg Zuder zu kurzem 
- Faden, gebe den Eaft dazu 
und lafle e# etwa eine Viertel» 
ftunde lang bei fleäkigen Ub« 
Ihäumen toden, worauf e& 
dann Gelee fein wird, das kr 
ä gut und auch deshalb zu empfe 
fen ift, weil man dabei des fo läftigen Ausprefient überhoben wird. 
4. Schwarze Aohannitbeer-Gelce (Gafjit-Gelece). 
Wie das Iohannisbeer-Gelee, jedoch mur von ſchwarzen 
Beeren und nur fünf Minuten lang gelodt. Man braudt fie 
in der ſtüche meiftene nur zum Berzieren von Torten u. dergl., 
aber es ift ein ganz anuögegeichnetes Heilmittel bei Halsleiden. 
Man verrübrt dazu einen Eblöffel voll von der Gelee mit I, 1 
fohendem Wafier und trinkt davon den Zag über, ftet$ warın, 
im ganzen etwa N, 1 für den Tag. 
5. Brombeeren. Man ſuche ſchöne große, völlig ſchwarze, 
—* nicht überreiſe Brombeeren aus, läutere zu jedem 1 ke 





.r - 


— 


Berſechen wir «8 — fo... 


rüdhte 3, kg Quder zu kurzem Faden, gebe die Brombeeren 
nein und loche fie zuerfi langfam, wobei immer der Schaum 
abgenommen werben muß, aber ja nicht darin gerührt werben 
darf; hernach laſſe man fie etwas flärter kochen und wenn fie 
anfangen zu finten und fein Schaum mehr vorhanden ift, fo 
fie utfam außgegofien und abgelüblt in die Gläſer 
gefünt. Es ift dies ein ſeht gutes Gingemadtes, welches von 
manden den Himbeeren wpraasom wird unb man zieht bie 
22 Sorten (J. B. Dorcefler, Wilſon's Garly, diele 
chon anfangs Auguſt reifend) und mehrere andere jeht auch 
häufig in den Gärten. 

6. Birnen. Man Ihäle gute, mittelgroße, nicht zu reife 
Birnen, ſchneide fie in ſecht Zeile und nehme auf I, kg Birnen 
%5 kg geſtohenen Zuder, gebe etwas von diejem in die Einmach · 
Kafierolle, dann von den Birnen darüber, wieder Zuder, wieder 
Birnen und fo fort, bis alles eingelegt iſt, worauf man es fo 
—— bis drei Stunden ziehen läßt und nun auf ein juerſt ner 
indes Feuer bringt, welches man aber verftärkt, ſowie der 
Quder geſchmolzen it. Man füge jeht für 50 Birnen nod die 
Ekale einer Gitrone, in feine, 11, cm lange Streifchen ge 
fähnitten hinzu, Tode die Birnen eine halbe Stunde lang und 
prefie zufeht auch den Saft der Gitrone hinein. 

7. Ganze Weintrauben einzumahben. Dan nehme 
volllommen reife, doch nicht überreife, ausgejuchte und ganz un« 
verfehrte Trauben, binde bei jeber an das Stielchen der oberften 
Beere einen Faden und hänge fie bamit, den Stiel nady unten, 
in ein paflendes —— (immer nur eine Traube in ein 
Glat); an den Faden mwirb ein ziveiter Faden gebunden und 
diefer quer über das Glas geihlungen, jo daß die Traube frei 


hängt, 

Nun bereitet man den nötigen Quderfirup, auf 4 1 Wafier 
immer Yy kg Qudır, den man in Meine Stüde ſchlägt und raſch 
yum Rode bringt und wenn er anfängt zu fpimmen, fo gibt 
man den Edynee von zwei Eiweiß hinein, wodurd jede Unreinig« 
feit des Yuders in die Höhe kommt, ſchäumt jorgfältig ab und 
läßt den Juder dann nochmals auffodyen und hernach falt werben, 

Bon biefem Sirup nun fült man die Gläfer mit den 
Srauben vol, bindet fie mit Echweinsblafe vorfihtig zu und 
fiellt fie zwiichen Seu in eine Saflerolle, gießt lauwarmes Wafler 
daran, läht fie fünf Minuten fang lochen und in der Hafierolle 
erlalten. 

Ginige folder Trauben, blaue und weiße, mit etwas von 
ihrem Safte, in eine Aryftallichale gelent, neben eine hübſche und 
gute Defiertihüfiel, ohne viele Mühe oder Unkoften zu verurſachen. 

8. Obft obne Quder einzumachen. Man nehme dazu 
reiht ſchönes, vollitändig reifes, aber doch noch feites Eteinobft, 
entferne Stiele und Steine, lege es in Ginmadgläfer und floße 
diefe beim Einfüllen mehrmals auf ein zufammengelegtes Tuch, 


Einmachen. — Praftiiche Küchengeräte. 


damit die Früchte ſich ſegen und wenn bie Gläfer ganz von find, 
fo binde man fie zuerft mit Leinwand feft zu umd darüber nod 
mit Ehweinäblaje und ftelle fie gl in einen Steffel, der 
etwas höher als die Gläſer iſt; Fülle den Raum pwiſchen und 
um bielelben mit — und gieße kaltes Waſſer bis zur halben 
Höhe der Gläfer ein; bringe den Keſſel num auf ftarkes Feuer, 
Dede * zu und laſſe ihn, wenn das =. * zu lochen beginnt, 
ges nod 25 Minuten auf dem Feuer fichen. Eobald beim 
Kochen ber Dampf zu ftart wird, entferne man den Dedel, thue 
ihn beim Abſehen des Keſſels aber wieder darauf und lafje die 
Gläfer im Waffer erfalten, wonach man fie herausnimmt, ab» 
trodnet und an einem trodenen, kühlen, froitfreien Orte auf« 
bewahrt. Sie halten fi vortrefflih und find zu Suchen und 
Kompotten jchr gut. Zu letzteren giekt man den Gait ab, ver« 
miſcht ihm mit dem nötigen Zuder und etwas Wafler, läßt ihn 
heiß werden und gibt ihm über die Früchte, welche jelbit nicht 
clocht werden bürfen; zu Kuchen gebraudt man fie gerade wie 

ſche Früchte. Kirſchen und alle Sorten von Pflaumen fünnen 
nad Belieben aud mit den Gteinen eingelegt werben, 

. 9. Apritofen in Büchſen einzumaden. Man bal« 
biere und entferne die Aprifofen, ſchäle fie aber nicht und lene 
fie in die Büchſen; koche dann für jebe 1 1 haltende Büchſe 
12 kg Zuder in 3 AI Wafier nur fo lange, bis ce abgejhäumt 
ift und füle demit die Büdien bis einen flarfen Etroß« 
balm breit vom Rande, laſſe fie zulöten und in einen Keſſel 
mit fodiendem Waſſer, weldeb über die Büchſen geben muß, ge 
ftellt, 15 Minuten lang kochen und im Waſſer erfalten. 

Diefes ganz ausgezeichnete Eingemachte wirb meifiens als 
Kompott —— lann aber auch zu Torten und Suchen gerade 
wie frifde FFrüdpte gebraudpt werben und ift ganz befonders flir 
Kranfe eine —— heilſame Erquidung. Es hält ſich 
jahrelang, jedoch ſowie die Büchſe geöffnet worden, nicht länger 
als jedes andere Slompott. 

10. GetrodnetegwetihneninGognaleinzumaden., 
Man lege jehr gute getrodnete Zwetſchgen, am beiten Katharing · 
pflaumen, einen bis zwei Tage lang in gewöhnlichen weißen Wein 
biß fie ganz aufgequollen find und lafie fie dann auf einem 
Selher ablaufen; thue ſie nun mit Fimtitiidchen und 
einigen Gewürgnelten bazwiihen, in ein Ginmacglab, niehe jo 
viel feinften Cognaf darüber, daß die Früchte bebedi find, binde 
das Glas zu und ſielle e& an die Senne. 

. 11. Bierfrüdte-Saft. Man nehmebrei Teile Himberren, 
einen Zeil recht reife Weichſellirſchen, einen Teil vote Johannis» 
beeren und einen Zeil Walverbbeeren und gerbrüde fie; reibe fie 
mit ber Hand durd ein feines Eieb und ftelle dieſen Saft in 
einem Porzellangefäß 24 Stunden lang auf Eis oder bod an 
einen falten Ort, wonach er geronnen fein wird. Nun fpanne 
man eim jehr reines, geruchfreies, in kaltem Wafler ausgewaſche · 
nes und wieder gut autgeivundene® Tuch pwiſchen den Beinen 
eines umgewendeten Etubles aus, ftelle ein Porzellangefäk dar« 
unter und lafie den Saft durdtropfen, wonad er in halbe Flaſchen 
gefüllt, aut zugepfropft und mit Bindfaden und Blaſe mod feft 
zugebunden wird. Dann nehme man ein beliebiges Gefäß, thue 
= den Boden derſelben drei Querfinger hoch Heu, ftelle bie 
Flaſchen, nicht zu nahe zufammen, hinein und fülle die Zwiſchen ⸗ 
räume aud mit Deu nut aus; giehe vier Querfinger body Waſſer 
binein, bringe das Gefäh aufs Feuer und lafie das Waſſer drei 
Minuten lang kochen: fee c# jeht ab, dede es zu und nehme 
ie Bahn nicht cher heraus, als bis das Waſſer ganz er 
altet ift. 

Diefer Saft wird meiften® zu Gelee (Eulg) benukt, welches 
man gerade wie Rheinwein⸗Gelee bereitet, nur daß man halb 
Rheinwein und halb_Dierfrüdte-Eaft dazu nimmt, welches Gelee 
dab befte ift, was man in dieſer Art hat. Das Yurüdbleibende 
von dem Eafte gibt, mit Zuder aufgelocht, eine pifante Marmelade. 

12. Gitronen»-Girup. Dan preile aus recht fafligen, 
dünnfhaligen Gitronen den Eajt und entferne forgfältig bie 
Sterne; “en dann auf I, kg Eait 3, kg Auder und koche 
es in einer irdenen Aaſſerolle zu einer rötlich · braunen, firupartigen 
Maſſe, laſſe es erfalten, fülle e& in einen irdenen Topf und dede 
es zu, wo eb ſich dann fange hält. Beim Gebrauce nimmt man 
mit einem Solzlöffel, fo viel wie ein bis zwei (hlöffel in ein 
Wafierglas, rühre es mit ein wenig friſchem Waſſer an, bis es 
fs auflöft und fülle das Glas dann vollends mit Wafler. Es 
ft ein überaus belichtes, erfrifchendes und gejundes Getränf. 


Praktifhe Küchengeräte. 


Patentierter Dodtabjhneider mit Reinigungs 
bürfte. Gin Meiner nutlicher Haushaltungtapparat, der jur 
Anftandbhaltung und Reinigung der Petroleumlampen dient und 
für Rundbrenner in jeder Größe vaht. Derielbe befteht aus 
einer runden Bürfte, welde oben mit 2 Heinen flählernen Mefier- 
ſcheiben verjehen ift; bei der Benukung ftedt man bie Bürfte bis 
an die Scheiben in das Dodtrohr hinein, und dreht nun mit 


Ein Sträusschen für Pippo. 


WALZER 


Th. Gouvy. 





Im Walzer-Tempo. 


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ed by GOOgIG 


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Fortjchung fiche III. Jahrgang Heft 11 


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Max Kalbeck. 


Junge Liebe. 


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Don unferem Büchertifch. — Der gefiirnte Simmel im Monat Juli. 467 


dem Handgriff gleichzeitig Bürfte und Nam. In folder Weile 
wird ebenjo dad Dochtrohr gereinigt, wie der verfohlte Dodht 
fauber abgefähnitten, und da die Dodtiuppen nicht in das Rohr 
meinfallen önmen, fo wird aud) die font beim Auslöjden von 
leumlampen vorhandene Erpfofionsgefahr hierdurch befeitigt. 
Außerdem brennt aber die mit diefem Inſtru · 
ment forgfältig geputzie Lampe mit gleich 
mäßig abgeihnittenem Docht bejonders bel 
und jdön. Der Meine Apparat wird vom 
— des Stönigl. Hoflieferanten E. Kohn 
in Berlin SW., Leipzigeritrahe 88, zum Preije 
von 50 Pf., nebft 25 Pig. Porto» und Ber- 
dadungstoften, alfo zujammen 75 Pig., in 
Schachtelchen verpadt, innerhalb des Deutſch ⸗ 
Defterreihiihen Poftverbandes portofrei ver ⸗ 
andt und empfiehlt es ſich zur Koflenerjparung, 
iefen Betrag bei der Beitellung in deutſchen 
Poitmarten beizufügen. 

Vorkauer für Zahnloſe. Ein ebenio 
nnreich Tonftruierter, wie in der Praris treif« 
ih bewährter — im Deutihen Reiche paten · 

tierter — Apparat, bildet dieſe Maſchine that- 
ſächlich einen Borfauer für Zahnlofe, indem 
fie die Speiſen in ganz ſchmale Streifen zer 

Patentierter Heinert, ihnen aber dennoch bie äußere form 
Docht abſqneider. (üpt, jo dak fie für den Genuß appetitlich 

bleiben. Die Vortaumajhbine zerfleinert auf 
diefe Weile 3. B. ein belegtes Butterbrot, das auf die Platte 
der Maſchint gelegt und —— wird. Man befeftint den 
Apparat am Tiſche; beim Drehen der Kurbel Schneiden die Meſſer 
das Butterbrot in ganz dünne Etreifen und ftreifen ſich ab, 
indem fie durd die eiferne Platte hindurchgehen. Iſt die eine 
Hälfte des Yutterbrots num zerfleinert, jo wird befien andere 
Seite unter die Meſſer gelegt und ebenfo verfahren, jo dab bie 
beiden gerfleinerten Hälften nur noch durd einen Mittelftreifen 
ufammengebalten werben. In folder Weile bleibt das Butter 
bes ein zufammenbängendes Ganzes und behält vollſtändig jein 
äufßeres Anfehen. Die Maſchine jerſchneidet aud alle anderen 
Nahrungsmittel, deögleihen Bohnen, Rüben u. ſ. w. für Hüden« 
wede. Zur Grläuterung der Tonftruftiven Eintichtung diene 
olgendes: An einer vierlantigen, jpiralfürmig gewundenen 
Welle fihen eine größere Anzahl guter Stahlmeſſer feit und be» 
tonmımen dadurd ebenfalls eine Ipiralförmige Anorbnung. Diefe 
Meſſerwelle it in poei Armen des Geſtells gelagert, welches 
lehtere unten mit der Borridtung zum Anſchrauben an bie 
Zifchplatte veriehen ift; oben ift das Geftell plattenförmig, und 
in biefe Platte find, ben Stellungen der Mefier entſprechend, 
Schlitze eingefügt, fo daß die Meſſer durd den Echlik hindurch ⸗ 
chen fönnen und aud burdgeführt werden, ba bie Mefler 
fs von unten an der Welle, nad der Spike zu einführen, 
Dieler finnreih tonftruierte Apparat ift zum Preiſe von 
25 Marf im Magazin des Königl, Hoflieferanten E. Cohn in 
Berlin, SW. Leipzigeritraße 88, vorrätig. 





Don unferem Wüchertiſch. 


Kurt Mündel, ein rühriger und verftänbnisvoller Sammler 
auf dem Gebiete des deutichen Vollsliedes bietet in feinen „Elſäſſi ⸗ 
ſchen Boltdliedern‘ (Straßburg, I. Trübner) eine wertvolle 
Gabe, die zweifelsohne dazu beitragen wird, das geiftige Band 
zwiichen dem Mutter und wiedergeruonnenen Tochterlande fefler 
au Mmüpfen. Die Sammlung ift gewiſſermaßen ein Dofument ber 
———— und des unverwüflbaren Deutſchtums und 

als ſolches auch politiihe Bedeutung. — Ein „Neues Novellen» 
buch für deutiche Hamilienkreife” nennt Qudwig Biemifen 
feine joeben erihienene dreibändige ————— um 
Tagesihluk” (Berlin, L. Simion), und wir fönnen dem then 
Wamilientreife* diefelbe nit warın genug empfehlen. Belonders 
die Frauenwelt wird fi von der liebenswiürdigen Ergählungsweife 
und dem fittlicdhen Ernſte — den Hauptvorzüigen Biemffens — an 
gezogen fühlen. — Neue deutſche Heldenbücer (Leipzig, Buch ⸗ 
bandlung des Bereinshaufes). Der Verjafler der „Pretenbibel* 
Paftor F. Ehneider, ein Amerifaner, wibmet dem beutichen, 
re dem preußiſchen Bolle einen prädtigen Aranz patriotijcher 

elänge, weldye die vier großen triege feit 1740, in welchen ber 
preußiſche Mar jein Reich geſchaffen und gefeftigt bat, feiern. Ele 
führen uns mitten in bie Reihen der Aümpfer von Roßbach und 
Olmüt, unter die Fahnen eines Blücher und Tork, auf die Wal- 
flatt von Abniggrätz und in die blutigen Hämpfe bei Epihern 
und Öravelotte. — Zu der immenien, jährlid wachſenden Lite 
ratur Über Italien wieder ein neues Buch! Italieniſche Stizzen 
von Dr. R. Shramm (Grfurt, Pr. Bartholomäus). le 


unſerer gnejchägten Leſer werben nad Lefung bes Titels unver | 


zöglih zur Tagesordnung übergeben, baran ift fein Zweifel, 





doch verdient unſeres Erachtens 

obiges Bud) einige Berudſich⸗ 

tigung. Verf. kennt Italien, 

Sand und Leute, gründlich, 

er befikt eine ſcharfe Beobach⸗ 

tung&gabe und vermeidet, ber 

reits Geſfagtes zu wiederholen ; 

8* die ohne Zweifel dem 

Buche Leſer, dem Verleger 

Käufer verſchaffen werben, — 

Eſalas Teguérs Werte. 

Ueberſehzt von G. von Leim 

burg. (Leipzig, 

einer). Wenn eine 

Ueberfehung, wie die 

der Friſhjofs · Sage, ber 

reits 13 Auflagen binter 

fi) bat, bedarf jelbige 

an biefer Stelle fein 

Wort des Lobes mehr, = 

wir beichränfen uns 

darauf, die fleineren 

epiihen Dichtungen, en 

weiche den zweiten Zeil w. «. Ober aus einem anberen Befitöpunfte.” 

der MWerfe bilden und 

sum Zeil zum erftenmal in beutfchem Gewande vor den Leier treten, 

anerfennend zu erwähnen. „Arel“ und die „Abendmahlstinder“ 

aehören zu den frübften, aber aud zu ben beflen Ehöpfungen 

T.s und werden fid wie bei den Landeleuten des Dichters auch 

bei uns immer mehr einbürgern. Die Uebertragung Ift als völlig 

nelungen zu bezeichnen, die Erläuterungen find eine ſehr danfens- 

werte Belgabe. — Das „fingende Deutihland* mödten wir auf 

bie von @, Erl ——— „Deutſche Liedertafel‘‘ VBerlin 

Th. Chr, Fr. Enslin) hinweiſen. Die —— zwei Hefte 

enthalten eine gute Auswahl von Geſängen für Männerſtimmen 

erniten und heitern Gharalters. Die Volfölieder find ihrer Natur 

5* einfach harmonifiert; die den Slaffitern (Haydn, Mozart, 
eeihoven) entnommenen Nompofitionen find fo gewählt, dal fie 

auch von Vereinen, die über geringe Stimmmittel 3. gi aud« 





geführt werben fünmen. — „Gedichte“ von F. Mrittica. 
Uriprünglid für einen engen Trreundentreis beftiimmt, haben bie 
Meinen anſprechenden Liebchen doch den Meg in die Ochfent« 
lichleit gebahnt, Den Etoff zu dem meiften berjelben gab dem 
Verfafier ein ſehr inniges, zartes Verhältnis zu feiner früh ver« 
ſchiedenen Gattin. Tiefes Naturempfinden und ein echt findlicher 
Gotteöglaube bilden den Grundzug der Poecfieen. — Prätentidfer 
auftretend, aber durdhaus wertlofer find die Wahrheit und 
Dihtung‘ betitelten Gedichte von Jul. Bräfe. (Leipzig, 
MR. Yinde). Daß uniere fonenannten „jungen Talente“ es nidt 
lafien fönnen, uns ihre „Grftlinge” in abioluter Bolftänpigkelt 
vorzuführen! Wer wird fid die übe neben, aus einem Scheffel 
Spreu einzelne Abrner herautzuſuchen! — Schon in weiter 
Auflage erihien dos lchte Werk des populärften Echillerbios 
graphen Emil Palleste „Die Hunft des Bortragd‘ (Stutt- 
nart, G, Krabbe), ein Bud, das nicht allein für Solche von 
Wert if, die an eine berufsmäßige Ausbildun * Stimme 
denlen müflen, ſondern jedem in wärmſter Weile empfohlen 
werden kann, der nur eiwas Gewicht auf richtiges Epredhen Int. 
Zudem find diefe geiftvollen Auseinanderfefungen eine wirklich 
anzichende Lektüre, die ber denlende Leſer mit Befriedigung aus 
der Hand legt. 


Der geflirnfe Himmel im Monat Duli.*) 


Aud der Monat Auli ift für die Beobadıtung bes Sternen» 
immels fein günfliger Dlonat, teil wegen der furgen und 
eflen Nädyte, teils weil überhaupt in diefem Monat die inter 
effanteften Sternbilder nicht in bequemen Abenditunden ſichtbat 
find. Mertenswert if, da in den Morgenflunden des 1. Ault 
die Erbe ihre größte Entfernung von der Eonne erreidht, 151 Mil« 
tionen Kilometer, genen 146 zu Anfang bes Januar. Bon ben 
Planeten ift im gegenwärtigen Juli ſeht wenig zu jeben: Mer- 
fur, Benus und Aupiter find ganz unſichbar Mars fanı 
vielleiht noch nah Eonnenuntergang am Abenbhimmel wahr · 
enommen werden, doch ift dies wegen ber abnehmenden Hellig ⸗ 
heit diejeß Planeten und der Dämmerung fehr er Saturn 
fommt morgens über ben öftlihen Sorizont herauf, Am 8. ift 
Rollmond, am 15. lehted Viertel, am 22. Neumond 
und am 29. erftes Biertel. In der Erdferne Steht der 
Mond am 4,, in ber Erdnähe am 20, 


*) Uuf viele Anfragen teilen wir bierburd mit. daß bie Etern 
Tarte, weſche dem erſten Selt beigegehen war, aud für meuelntreiendr 
Übonnenten ober Eolde, denen das Blatt abhanden gefommen if 

egen Ginfendung don 20 Plennig im Briefmarten durch bie Derlags- 
nblung biefer Zeitſchrift au begiehen ift. 


„Dilft alles niäta!* 





@3 Dex Luftige Geſellſchafter. 28 


(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willfommen!) 


Finen Vrumpf ausgefpielt. 

In der fräntifhen Stadt €. wirkte am Gerichte ein Afjefjor 
Namens Degen, der wegen feiner Grobheit nicht ſonderlich beliebt 
war, Zum größten Werger ber Einwohner wurde derjelbe bei 
der Organifation in demſelben Städichen zum Oberamtsrichter 
befördert. Natürlid wurde von den Gonoratioren 
wegen biefer Beförderung ein Kränzchen veranftaltet. 
Nahdem verihiedene Reden dem neuen Oberamtd+ 
richter zu Ehren gehalten waren, klopfie auch ſchlleß · 

lich noch der Pfarrer an jein Glas, 

um einige Worte zu ſprechen, und 

— fhloß folgendermaßen: „Meine 

| erren, wir fiehen jekt unter ber 

| hut eineb Degen; möge er jedoch 
— ungezogen bleiben wie biäher!* 


v 
Figenfümlihe Zumutung. 


— Der Here Pfarrer tritt zum 
Ulter und bat in der Eile den 
7 Kragen verlehrt an, d. h. die untere 


a Seite ift mad oben gefehrt. Der 
Bürgermeifter, der im Rateherrn ⸗ 
ſtuhle nächſt dem Altare kniet, Acht 
dies, winft unter heftigen Geſliku⸗ 
Iationen dem Meßner und bedeutet 
ihm mit halblauter Stimme, doch 
fo, dab es ein großer Zeil der 

Andädhtigen hört: „Herr Meiner, drehen Sie dod dem Herrn 

Pfarrer den tragen um.“ 


Bildung. 

Auf dem Dorfballe: Ride: „He, Roſe, was macht'n ihre nu 
eegentlih in der Stadt uff dr Bangzjohn, da lernt’ wohl näh'n 
un ftrid'n un fulde Sad'n ?* 

Rofe: „I du Rindvich, Bildung lern’ m’r.* 


> 
Xus der 5chule. 


Lehrer (um Schüler): Krauſe, welches man wohl ber 
Meinfte Wald in Deutjhland fein?" — Sraufe: „Der Obens 
wald?* — Lehrer: „Was fält dir ein? weshalb juft der 
Odenwald?" — Araufe: „Aber, Herr Lehrer, wir fingen doch 
immer: Es ftand ein Baum im Odenwald!” 


= 


KAindermund, 

Das etwa 4jährige Eöhnlein kommt eines Abends mit 
feinen neuen, recht beſchmuhten Höshen nad Haufe. Da fagt 
der erzliente Vater: Komm' ber, ich will dir deine Hofen aus 
Hopfen!" Der Stleine erwidert aber ruhig: „Uber gelt, Bater, 
ich will's zuerft abziehen?“ 


Kinder und Narren —. 


Das Meine Brüderden war troh bes Peiflandes mehrerer 
Herzte geftorben. Ganz betrübt ſagte die Meine Anna: „Nicht 
wahr, liebe Mama, wenn der liebe Gott im Himmel oben 
einen Heinen Engel haben will, dann ſchreibt er's dem Seren 


Doltor ?* 
» 


Du der Malhemaliſiſtunde. 
Lehrer: „Was ift ein Puntt ?* 
Schüler: „Ein Punkt iſt ein Winkel, dem die Schenkel auß« 
gerifien find, * S 


AUeberrafdiung. 
Lieutenant: „Nein, meine Meine Ehwägerin, danke, id efle 
feine ſchwarzen Beeren, fie machen garflige Zähne, * 
Kleine: Thun Sie dieje nur Becher heraud, wie Ihre Emilie!* 


Foriſchritt. 
Emma: „Geht ed denn mit dem Cyankali ſchneller in den 
Tod, wie mit Blaufäure, Papa?* 
wiß —— „Du Schulfratz, zu was brauchſt du denn das zu 
en “ 
Emma: „Nun? Sann id nit au einmal zu einer uns 
glüdlicden Liebe tommen?* 


Mein Aneipbruder. 
Ih hab’ 'nen Rneiplumpanen, 
Der treu mir zugetban, 
Will ich gu meipen enden, 
Gleich fängt er wieder an, 


ührt meine Hand zum Glafe, 
Subn meine 8 jum ſterug 
28 mein Herr tamerade!* 
Der Kerl kriegt nie genug. 


So trinken wir früh am Morgen, 
So trinfen wir abends ſpat, 

Denn nie verläßt mich der Wad're: 
Der Durft, mein Ramerad! 


2 
Wahre Klage. 


* Mann: „Ad, mein Schwiegervater — ad, mein Schwieger- 
er “ 


Nachbar: „Was jammern Sie denn fo? Der ift ja nit 
geftorben, fonbern Ihre Frau,* 
Mann: „Das ift's ja eben — von wen lebe idy denn jet?“ 


v 


Gut gemeint. 
Magd: „Warum bohnſt denn gar fo fein und ſpiegelblant, 
früher war der Parkettboden doch auch redht.* 
Diener: „Ih mödht', dab die Gnadige den Fuß bridt, dann 
kann j’ mir nimmer überall nachgehen.“ 


5 


Das Sheparlament. 


Die Ehe ift ein Parlament, 
Wo heiker Wortftreit oft entbrennt. 
eg Bären treten in Erſcheinung. 
häufig ganz verſchiedner Meinung; 
Des Streits Ergebnis pflegt zu fein: 
ter Nein! dort Jal — Hier Ja! dort Nein!... 
is enblih „Schluß“! 
Perlangt ein Huf. 


Beim Finfeifen. 
Barbier: „Zi denn wirklich die Lage jo kritiſch, Uenz?* 
Beh Fon Eie 7 Rdn allge 
Barbier: „Wie das Grab, Excellenz, das liegt in unferem 
Beruf. O, ih lann ſchweigen!“ 
Diplomat: „Id auch!* 


v 


Aeber das Gedankenerraten. 


mit Recht Hat fich die allgemeine Aufmerffamkeit auf jenen 
Engländer Gumberland gerichtet, dem es fheinbar gelungen, un« 
mittelbar in die Seele eines anderen ſich zu verſehen. 

Der Schreiber diefes, der auf genannten Felde eine lange 
jährige Praris hinter ſich bat, kann fih rühmen, imitande zu 
fein, jedes einzelnen Gedanken 5. B. beim Leſen diefer wenigen 
Zeilen zu erraten. 

Es ift wohl nidt wahriheinlih, überhaupt faum plaubli, 
daß irgend jemand einem Menſchen auf den Grund feiner Seele 
ſchauen fönnte, ohne ihn je geliehen oder geſprochen zu haben. Wenn 
man aber bebenft, dak im Grunde genommen alle menſchlichen 
Seelen harmonieren, jo wird Feiner der geehrten Leſer wohl leug · 


i 





Smei Udreffen. — Salon-Magie, 


Jeht haben Sie gedacht, es geht weiter. Nicht wahr? 


wei Adreſſen. 


Die Untenntnis fremder Sprachen hat ſchon zu manchen Miß · 
verftändniffen geführt, Ergößlicye Proben davon finden fi auch in 
den nadhftehenden Abbildungen ziveier Adreflen. Der Schreiber der 
einem bat das „Erjuht Sie ergebenfl” eines Memorandums 
als Titel oder Zeil des Namens Parey angefeben, während ber 
englilhe Korreipondent offenbar das „Datum des Rojte 
ftempels* für eine Straße in Berlin hielt, 


Salon: Magie. 
Von Hlexander, 





Drei Scherge. Ein Spafvogel behauptete eine Brille zu 
befiten,, deren Glaͤſer ſelbſt bei Pamıpenficht die Wirkung eines 
Brennglafes bervorbrädten. Dies zu beweifen, nahm er ein 


Zeitungsblatt in die finfe Hand, in die redte die Prille, ließ 








burd eines der Gläſer das Lampenlicht auf dem Papiere reflel- 
tieren, glei wie man den Fokus eines Prennglafes fucht, und 
fiehe, nad einigen Aırgenbliden geriet die Zeitung in Brand. 
Dat Geheimnis beftand darin, dak der Selm eine Giparre 
tauchte, bie er mit dem brennenden Ende unbemerkt und ge 
Ihidt hinter die Zeitung su Halten verftand und diefe damit 


entzündete, 

Der zweite Scherz. Derfelbe Ken behauptete feinen Gut 
vom Kopfe blafen zu fönnen. Gr ehte benfelben auf, doch jo, 
dab er etwas nad Hinten neihoben war, machte verſchiedene 
Blasanfirengungen, big eudlich in ber hat der Hut ſich empor« 
hob und vom Fopfe fiel. 

Auflöfung: Bei den verſchiedenen Kopfbewegungen, bie er 
marhte, ſchob er die Srempe feines Hutes elwas hinler den 
Rodfragen, bewegte den Kopf Ianglam riücwärts und vrranlaßte 
daburd, daß der Hut ſich emporhob. 

Im Degriff ſich zu entfernen, fchrte er, denn Kopf mit denn 
gu bebedi zurüd und flellte nod) einen dritter Scherz in Aus⸗ 

&t, indem er erflärte, den Rauch einer Gigarre herunterſchluden 
und benfelben durch den Fopf wieder ausftrömen laſſen zu wollen. 
Er blies nun beim Rauchen die Paden auf, als ob er den 
anzen Mund mit Raud gefüllt babe, ſchludte denſelben ans 
fheinend herunter, blies aledanı bei geſchloſſenem Munde einige» 
male durch die Nafe, bob den Hut einbor md Jeigte eine Dienge 
vorhandenen Rauches in demielben. 





* Dal. p. 119 bed I. Banbıs dieſth Jahrgangs. 





OLE DE LÄ 


ae 5 Rue Jacob; 26, à Paris‘ 


MAISON RUST 


469 


Auflöfung: Nach Beendigung des vorhergehenden eg 
hatte er beim Umdrehen geichidt eiıten Augenblid benupt, eine 
Menge Rauch in den Hut zu blafen, 
ehe er denjelben Nieder auffekte, 
Nahahmung einch Gewit— 
terd, An dem einen Ende einer fünf 
bis fchs Fuß langen, etwas rauhen 
Hanfſchnur oder Bindfaden, bringe eine 
Schlinge am und lege biefe jo um ben 
Kopf eines vor dir Sikenden, daß befjen 
beide Ohren in der Mitte von der Schnur 
berührt werden, worauf er diefelben mit 
den flachen Händen bededen muß. Ald« 
dann trete vor ihn bin, erareife mit 
der Iinfen Hand die herabhängende 
Schnur, ziehe diefelbe leiſe eiwas jtraff 
an und fahre nun mit dem Zeigefinger 
und Daumen der rechten Hand — zu 
dir gewandt —, anfangs langlam und 
feije, dann etwas heftiger über bie 
Schnur bin. Der Betreffende 
wird jofort ein Geräufd, wie 
von einem in der Ferne rollen« 
den Donner wahrnehmen, ber 
nun durch rajcheres und rud« | 
weljes Weitergehen, — wobei jufekt auch Die 
Nägel der Finger, die Über die Schnur kratzend himwegges 
führt werden, eine 
befondere Rolle 
fpielen, — in fold 
bedeutendem Maße 
verftärkt wird, 
det a on En 
n aller igfeit 
fi —— 
Gewitter glauben 
folte, An äbn- 
licher Meile fügt 
fid) 


Ein Gloden- 
seläutenahah- 
men, wenn man 
von vorm um bie 
Spiten der beiden 
Zeigefinger bie En» 
den einer jwei bis 
drei Fuß langen 
Schnut windet, an 
biefe in der Mitte 
ein Steheifen, eiſer · 
ne Kohlenſchaufel 
oder deral. hängt, 
die beiden Finger 
mil der Ehnur in 
die Ohren drüdt, 
ſich vornüber beugt 
und den metallenen 

Gegenſtand an 
% einen Stuhl ſchla⸗ 
gen Läkt. Je nad) Art des angehängten Geaenflandes wird man 
altdann ein nicht unangenehmer, Icheinbares Glodengeläute wahr» 
nehmen, Gine andere Gehörtäufhung ift 

Die Rachahmung einet Sturmmwindes, Rimm ein 
Kartenblatt, begib did mit demfelben in bie Mähe eines yenfters, 
etwas abgefondert von der übrigen Befellihaft, welde erfucht 
wird, fi möglichft fin und ruhig zu verhalten. Swedmähig 
ift e&, zur Seit das Zimmer in Halbdunfel zu verfehen, Führe 
nun die fharfe Kante des Startenblattes genen den Mund und 
beginne zuerft langſam und feife auf basfelbe zu blafen, al« 
mahlich verſchärfe in pfeifenber Meife den Ton, ab und zu 
nadlafjend, dann wieber beitiner, gleichwie zur Zeit eines 
—— ſich das eigentuͤmliche, nicht weiter au beichreibende 

eränfcd im einer freiligenden Wohnung unierem Gehöre ber 
merlbar macht. Imrdmäßig wird e3 fein, ſich die Sacht vorher 
etwas einzuiben Mit der gehörigen Modulation außdgeführt, 
bringt biefer Meine Scherz eine effeftreiche Wirkung hervor. 

Bei dieſer Gelegenheit wollen wir nod einer akuſtiſchen 
Spielerei gedenken, die jwar nich neu, aber intereffant genug 
ift, bier noch Grwähnung zu finden, und welde vielleicht auch 
manchen Leſer nicht befannt jein möchte. Ge i 

Das Telephon im feiner urfprüngliden Form, 
welches, trohz feiner erreichten Vervollommnung durch die An 
wendung der Gleftricität, — weburd es fozufagen abgethan 
it, — Immerhin nod für den eine Bedeutung bat, der «8 
richtig zu verwenden verfieht, zumal die Herfiellung eine 
außerft einfadhe iR, — Man verfertigt fi atwei cylinderartige 





„Edön 'raus!“ 






Na EEE 










470 | Salon-Magie. 













Näfiden, aus möglihit hartem, „= 
ſeſten Narton oder ‘Pappe, Er, 

cirea drei Zoll body und 
zwei Zoll im Ducdhimeiler, ' 
deren Boden entweder...‘ * 
aus gleichen Mas,” 
terial oder aus „7 


EA Zu 


einem dbün, .-,". . RN, 
nen Pat. % 532* 


2 * — 


ſelben, den Meinen Zeiger, — der in der Regel unter dem großen Liegt, — 
abzunehmen und ftatt feiner einen anderen, g aufzu» 
ſehen, der jedoch von dem abgenommenen Heinen Zeiger baburd 

unterjcheidet, daß die Oefinung, mit welcher er auf den 5*— des 

Zeigers aufgeleht wird, jo groß ift, daß er ſich frei und um 
> feine Achſe bewegt und fo, daß, wenn du bie Uhr vertifal 

> der Zeiger immer abwärts hängt. Bewahre den alten Beiger 
"at. auf, damit der Uhrmacher dir denfelben zu jeber Zeit dem 
#*, anderen vertaufchen kann, woburd die Uhr wiederum voll 

EN dienfttauglic wird. Nachdem alfo die obi 
o — —* De — * *3 Uebung, — 

— ohne dak du auf die Uhr ſiehſt, — den augen 
N Id pfitih auf jede Stunde zeigen zu laffen, «6 nur 
X darauf an, daß du die Ühr verittal richtig Hältft, wobei 

natürlich das Zilferblatt dir einftweilen 5 

muß. Wünſcht h B. jemand, daß der Usr 
x\ anzeige, jo baft du die Uhr fo zu halten, daß ber 
t- Knopf derielben im rechten Winlel mit der 6 
N Steht. Soll der Zeiger 9 Uhr angeben, jo du 
Die Uhr im der entgegengejekten Rich 

6 Uhr gewünſcht, jo hältit du den der 

Uhr gerade aufrecht und rt, wenn 
12 Uhr verlangt wird. Der Zeiger wird 
oljo, da er loder auf der hängt, 
jedesmal nah unten fallen, woburd 
bei Beachtung des Vorſtehenden der er⸗ 
,  wlnfdte Ywed erreiht wird. Nur bie 
3 zwijcden Den obigen —— Yablen 

m madıen etwas Schwierigfeit, es 
einige Uebung erfordert, die Uhr 
i entiprehend richtig zu halten. Da 
za, muß man ſich jebod dadurch zu 



















































hen Er | 5— 
—* er \ I — 


Mitte die 


- “+ helfen wifien, daß man, fo 
ſer Böden X P® N. Pin a eine dieſer Stunden ver 
werden bie EN 7 wird, ſich mit einem Bid auf 
Enden eimet N. NN > ⸗ die Uhr überzeugt, ob ber 


Zeiger die richtige Lage an» 
genommen bat, wo nicht 
jo wird man leicht nod) 
die Uhr, che man fie 
eigt, fopiel weiter jur 
N,  Exite neigen füne 
NE nen, daß der Beie 
AN = \ ger den erwünjde 
Ne NA ten Pletz em 


20-40 Fuß lang 
befeltint. Sind 
nun, 3. B. in jwei 
negenüberliegenden 
Hauſern, in der ent» 
ſprechenden Entfernung, 
die beiden am Ende 
der Schnur beſindlichen 


innen Schnur 4 sun nn < Ki 





Käfdhen vorbanden, To ‚ hält, Der größe 
fann man mittels derjelben in te Gffeft wird 
aller Bequemlichkeit eine Unter · “ NX dedoch dann 
haltung führen, indem, wäh · = N erft hervor⸗ 


rend der eine in den Gylinder 

ſpricht, der andere denfelben an 
fein Obr hält. Immerhin iſt es 
eine ae rn die im 8 fr { 
nejeligen Streife, 3. B. bei einem \ 
Frage und Antwortipiel manderlei - 2,2 


Sioff zur be) N 


gebracht, 
‚wenn 


Unterbals u N 

iR tung geben \” 2.5 

Rn tann eo 72 a * 
FineUhr, EZ aa N‘ * —50 
die auf —— \ PETE Ne N. —* 5—. ah 
Wunfd jede j * 










beliebige \. a 7, 


. Stunde zeiat. N .% \ RT en N 
Es gibt derartige Uhren, deren . ' AR ze pie wer 8 
Zeiger ſich vermittelft eines beionderen - ; . TEA ST 





Mehanismus, der mit dem Anopf der 
Uhr in Verbindung fcht, durd einen 
Trud mit dem Finger auf jede beliebige 


Stunde bewegen lafjen, 5V — ————— ——— 
Solche Uhren find aber 1 R u ER? ..." 
teuer und nicht überall zu nn O u ‚Ale ur 
haben. Dahingenen kann mn Wie N RER Geſel · 
FIR 
#+ 


mit geringem Koitenaufiwande Mn P N * . ſchaft eine, 

ſich Leicht jede Taſchenuhr jo N.bar * 2 * dem Aeuße ⸗ 

en. einrichten laſſen, daß man bamit a ; —2 mm nach äbn- 

— ee diefelbe Wirkung bervorbringen ze. — liche Uhr beſitzt, mit 

in fanı, ohne daß die Uhr dadurdı TORE: ==: Der man behauptet, das 

= bejdyadigt oder zu jpäteren Gebrauch Tu = a” erwähnte Nunjtjtiid ausführen 

„Zatitdeerarme Bänder - om erfien umauglıh wird. Wan wende ſich Nee ju wollen, diele aber mit der 
Yreis faun #8 gar nidt Fehlen.” on einen Uhrmaächet und erſuche den a VEN. eigenen vorher geſchidt verwechſelt. 











Verantwortl. Herauögeber:: m. | Spemann in Stuttgart. Redakteur: Joſeph Kürſchner ebenda. 
Nahdrud, auch im Einzelnen, wird ftrafrehtlid verfolgt. — Ueberſchungerecht vorbehalten. 
Drud von Gebrüder Kröner in Stuttgart. 


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Weltpofl. — Inferaten:Unhang zu ‚Dom Fels zum Meer’, III. Jahrgang, Heft 10, 


“ Weltpoft. & 


WE Die Auflölungen zubem Preis 
rätiel find fo zahlreih eingegangen, 
daß trogdem ein die angefehten Gren⸗ 

en der Weltpoft weitüberichreitenber 

aum zu ihrer Aufnahme verwendet 
wurde, boc nicht fämtliche unterge- 
bradt werden konnten, Wir müflen 
Daher die frudl. Löfer fowohl wie 
eier um Entſchuldigung bitten und 
auf das nächſte Heft vertröften, wo 
nicht nur ber Neft der Namen — 
Abdruck gebracht, ſondern auch Ant- 
worten auf eingegangene Fragen er. 
fedigt unb mit der tit fog. Di» 
tungen fortgefahren werben foll. Für 
die Getse werden wir auf eine an. 
dere Art bie Auflöfungen zu notieren, 


bedacht fein. 
Die Nebaltion. 


Die Verloofung der Preile unter den 
Ginfendern eingegangener Loſungen des 
Preisrätfels „Wo iſt der Sünder“ hat 
folgendes Refultat gehabt: 


1, Preis: Falke, „Hellas und Rom,* 
Si Karle, Frankfurt a M., 

eutiche Bereinäbant. 

2. Preis: Hellwald, „Die Erde und ihre 
Dölter,” A. Schmidt, Baden-Baden, 
Sopbienftrafe 16. 

8. Preis: Mein und Thomé, „Die Erde 
und ihr organifches Leben.“ H. Bech ⸗ 
ler, Erfurt. 

4. Preis: Falle, Illuſtrierte oflüme 
geihidhte der Aulturvöller.“ Frau 
Ida lee, Bern, 

5. Preis: Zöler, „Die Deutfhen? im 
brafifianiihhen Urwald.“ Rothſtein, 
Danzig, Hundegafie 54. 


Fortſetzung fiebe nädflte Seiten. 


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Bei Beitellung genügt Angabe der Bandrnummer. 


” 
>} 
— 
— 


Mit einer Einleitung von 


| 
| 
| 


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bis ME. 11. 65 (in 16 verſch. Qual.) verfende in einzelnen Roben und ganzen Stüden 
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[789] 


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Ceidenftoff-Fabrif-Depöt. 


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Weltpoft. — Inferaten:Unbang zu „Vom Fels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10. 


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Grete, Borsfelde. 

8, —* Desgleicen. Ant. Pelſching, 
Graz, Ehönaugafic 81 

9, Preis: Decgleiden. Leobold MNei⸗ 
nagl. Waidhofen a. d. Ihaia. 

10. Preis: Decaleihen. Franz Feld⸗ 
bader in Birkfeld. 

11. Preis; Deögleihen. Maler Peper, 
Wernigerode a. Harz. 

12. Preis: Werner, „Der Egoift.* Harf 
Mayer, Etultgart, Gaisftrafe 3. 
13. Preis: Waleörode, „Stord von Nors 

denthal.* Affiitent Yüpke in Epringe, 
14. Preis: Deegleichen. Heinrich Jüns 
nert, Narlsrube, Spitalftrahe 50, 
15. Preis: Desgleihen, Stödel in No 
veant:Gorny. 
16. Preis: Desgleichen G. Hillgen 
berg, Btraunſchweig. 
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der, Schäkburg. 


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19. Preis: Aaden, „Riviera* in Pfan, fendet. — Unfragen über das Bad, Beitellungen von Wohnungen im "Badelogir- 


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20. Preis: A. v. d. Linde, „Butenberg* 


hanfe und Furopäifchen Bere zc. erledigt: zen 
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26. Preis: Drögleihen. Meta Mar matische Anstalt mit 2 Kammern ä 4 Personen. — Molkenanstait, Milchkur. 

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97. Yreis: „Raflaels Madonna de la Trinkhalle-Verwaltung. (1201) 


belle Jardinitre,* %. Aahn, Ber 
lin, Ierufalemerfirahe 47. 

28, Preis: Deegleichen. Muſeumsgeſell · 
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Desgleichen. Mag ſtrug. 
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Weltpoft. — Inferaten-Unhang zu „Vom Sels zum Meer’, III, Jahrgang, Heft 10. 


“ Weltpoft. t& 


30. Preis: Bautier, „Brigitte. Radies 
rung. Johann Riäter in Deutlich» 
Beneichau. 

31. Preis: Detgleihen. H. Barber 
ding, Steinhude. 

32. Preis: Debgleihen. U. Schütrte, 
Braunfhmwein, Peterfilienitrahe 6. 

33. Preis: Beyihlag, „Eine deutihe Braut 
im 16. Nabrbundert.* Falfimilenad: 
bilbung des Originale, Karl Ben 
der, Mannheim litt.: 2.0.1, Nr. 8. 

84. Preis: Detgleiben, Paula Schell⸗ 
mann, Stattowik, Grunbmanniftr. 32. 

35. Preis: Desgleihen, Otto Brandt 
in Alsdorf bei Nahen. 

36. Preis: Desgleihen. Karl Bud, 
Lubed. 


37, Preis: Deeglelchen. JT. Ruthen⸗ 

berg, Berlin, Spandauerſtraße 59. 

38. Preis: A. v. Werner, „Die Slatjer 

frönung in Berjailles.* Nadbildung 

* — Mar Settetorn 
ey 

39, Tr Deigleihen. Aarl Rihnow, 
elmenborft. 

40, Preis: Deegleichen. Eiſenbahn · Bau⸗ 

iuſpellor Müller, Magdeburg, 

Bahnbofsfirake 58. 


Fortſegung der Aufldfungen des Preit- 
rai els „Wo ift ber Sünder? 


u. ®. in M. I. G. in G. D. St. in 
S., R. D. in Sch, F. M. in Ih, F. 
A. I in R. Ce. no, M. in, 
Dr. P. St. in R. FJ. B. in B. J. €. 
in B. W. in D. P.in C. W. G. 
in D R. A. in E P. M.in Bnn. 
W. in EC, Prof. ©. in M. Sch. A. F. 
.ND,R.RUMN, G. O. ind, 
DPD. inS, RG. inf, 8. M in, 
AR inD., Frau d. Eh. in G., Baron 
2. auf ‚Echiof MY W. in, IM. 
m\,6©. oD. in g, NR. C. in g, W. 
in®, A. B. in q 2.2. in P. O. 
Ed. in B. 2.0. in BB, M in 4, 
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SPFROBTAR 
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Bad Landeck 
Schlesien. 
Bahnstationen: Glatz, Camenz, Patschkau. Seit Jahrhunderten bewährte 
Schwefel-Natrinunithermen von 23150 R,, besonders angezeigt bei Frauen- 
und Nervenkrankheiten, Trinkquellen, Wannen-, Bassin-, Moorbäder, 
innere, äussere Douchen, Appenzeller Molkerei, Irisch-römische Bäder; 


allo fremden Mineralwässer. 1400’ Seehöhe; gegen Norden und Osten durch 
Höhenzüge geschützt. Klimatischer Kurort. Herrliche, ausgedehnte Wald- 





promenaden dicht am Bade. — Besuch über 6000. Concert, Theater tag · 
lich, Reunions wöchentlich. — Kurzeit: 1. Mai bis Oktober. 11256) 





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Garten u. dem Cur-Park verbunden. 

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Haturwarme, hobfenfäurereide und | P50 Bäder, aud für Winterfuren vor» 

ewöhnlide Soofbäder, falinifde trefflich eingerichtet. — Indizirt bei Gicht, 
44 uellen und atkafisde Säuer- Rheumatisınus, Lähmung, Schwäche der 
linge, Inbafations-Salon, ojonhaltige Verbauungsorgane, Hämorrhoiden, Res 
Grapirtuft, Biegenmolke. Sommer- | onvalescen, ferualen Srantheiten. — 
faifon vom 1, Biai bis 30, Septeinber, | Reigende und geſchützte Gebirgelage. Nor 


boabe von Bädern aud vor beuiw, n züglie Zwildenitation für Sommerfriid- 
diefer Seit. a e Ahr, ler, — EA Seren ideen Goms 


fort; R ter, Theater, Reuni 
Grofh. Kiel. Badedirection Bad Aanheim —— SS aaa 333 
Däger. Sradtiſche Aurhaus-Gommifjton. 


Bad Reinerz. 


Klim.Geb.-Kurort, Brunnen-, Molken- u. Bade-Anstalt,inder 
Grafsch Glatz, Pr.-Schl. Saisondauer: Anfang Mai-Ende Oktober. 

Angezeigt gegen Katarrhe aller Schleimhäute, Kehlkopfleiden, chronische 
Tuberkulose, Lungenemphysem, Bronchektasie, Krankheiten des Blutes: Blut- 
mangel, Bleichaucht u,8.w, sowie der hysterischen und Frauenkrankheiten, 
welcho daraus entstehen, Folgezustände” nach schweren und fisberhaften 
Krankheiten and Wochenbetten, nerröse und allgemeine Schwäche, Neuralgien, 
Skrophulose, »Kheumatismus, exsudative Gicht, konstitutionelle Syphilis. 
Empfohlen für Rekonvaleszenten und sachwächliche Personen, sowie ala ange» 
nehmer, durch seine reizeuden Berglandschaften bekannterSummer-Aufentkalt, 


Der Schlendrian 


welder oft J5 Schnupfen, Heilerfeit, Aatarth zc. die Urfadhe zu den erniteften, 
fangwierigiten Orfrantungen sit, mag als Warnung bienen, bei berartigen ſich ein⸗ 
ftellenden Webeln ohne Zelwerluſt die Apothefer W. Bohichen Aatarrbpillen zu ger 
brauchen, welche wie fin anberes Mittel den Ehnupfen alsbald befestigen und bie 
wernen Katarthe binnen Aurzem im die mildeſie Form überführen, Vorräthig à 
Schachtel ME. 1 in Machen: Yöwenapotbefe, Berlin: Strauß- und Finhorn-Apothefe, 
Bredlau: Apotheler Dr. MWeihften, Göln: Ginbornapotbefe, Dresden: Mobren» 
Apothele, Hamburg: Pbarmacie Internationale, Neuer Wal, Hannover: Yöwen» 
Apotbefe, Leipzig: Engelapothefe, Münden: Roienapotbefe, oſen: NRadlauer's 
Apotbelfe, Strahburg: Meilenapothefe, Etuttgart: Apotheter Reihlen & Echol, 
Bien: Neuftein’s Apotbele, entf: Sauter's Apotbefe 

Nur dann ächt, wenn fich auf jeder Schachtel der Namenkzug des prach, Arztes 
Dr. med, Dr. med, Witilinger befindet. [1184] 


Dee praktilche Gegenſtände. 


Patent Rollſchußgewande weſentlich beſſer ala fogenannte 
Epan, Wände Patent⸗Schieberwaage: bie einzig exiftirenbe 
Waage, die ohne Gewichte von I Mramm bis 10 Nilo genau 
wiegt, was bei Federwaugen unmöglih. Nafenmähmaidi- 
nen mit 4 Obermefler, wodurch ftreifige® Schneiden une 
möglid wird. Weurfte Betrolenmlocdherdbe, 30 Gröhen 
Br von me, 5. — an, durch Warerbalfin gerudy- und gefahrlos. 
" — Proſpecte gratid, — 


Cheodor Stüdfer, Frankfurt a. M. 
u. Erſtes Spectalgefchäft amerlkanifcher Defen. ug (1100) 











Bäder von Baden 























Weltpofl. — Inſeraten ⸗· Anhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10. 


% Weltpoft. ¶ 


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Sch. in W. MW in WW, GC. €. in 
W. I. B. in WB, I. P. in L., E. M 


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iNußeietes Wisbflatt, illuftrirtes belletriftifches Eonntagsblatt, 
„Mittheilungen über Pandwirthfchaft, Gartenbau u. Hauswirthfcaft“ 


und „Inöuftrieller Wegweifer“ 
wurde in Anerkennung der Reihhaltigkeit, Bielfeitigfeit und Gediegenbeit jeined Inhalts 


die gelesenste nnd verbreitetste Zeitung Dentschlands. 


Die Borzüige des „Berliner Tageblatt‘ beſtehen vornehmlich in Folgenden: 
„zäglih zweimaliges Erfheinen alö Abend» und Morgenblatt. — 
Gänzlih unabhängige, freifinnige, politifheHaltung. — Spezial» 
Korrejpondenten an allen widtigen Plähen und daher rafcheite und zu» 
verläffige Nachrichten ; bei bedeutenden Greianifien umfaflende Spezial-Telegramme. 
— Ausführlide Aammerberihte des Ubgeordneten- und Herrenhaufes 
fowie des Neihstags. — Umfafiende Handeldzeitung und Gourszettel 
der Berliner Börje. — Vollſtändige Ziebungstliften der Preußiſchen und 
Sächſiſchen Lotterie, fowie Ausloofungen der widhtigften Loospapiere., — 
Graphiſche Wetterfarte nad telegraphiihen Mittheilungen der Deutſchen 
Seewarte — Militäriſche und Sport-Nadridten. — PBerional-Ber 
änderungen der Civil» und Militär-Beamten, — Ordens» Berleihbungen. — 
Neihhaltige und wohlgefidhtete Taged- Neuigkeiten aus der Neichö- 
bauptftabt und den Provinzen. — Anterefjante Gerichtsverhandlungen. — Theater, 
Litteratur, Kunſt und Wiſſenſchaft werben im Feuilleton des „B. T.* in 
ausgedehniem Mafe gepflegt, aukerdem eriheinen in demjelben 


Bomane und Novellen unferer erſten Autoren. 


Im dritten Quartal eriheint ein höchſt ſpannender Noman aus ber Gegen» 
wart von Friedrich Friedrich unter dem Zitel: m rei’; ferner eine 


reigende Novelle von H. Ehrlich unter dem Titel: er Tanymuflkant‘. 


Zrob der Fülle antegenden und unterbaltenden Leleftoffes, wie folder that- 
fädli von keiner anderen täglichen Zeitung Deutihlands geboten wird, beträgt 
der Abonnementöpreis auf das „Perliner Tageblatt* 


für das für alle 
nö > Mk 25 Pf. vs 
nur . ® ‚ufammen. 
Dan abonnirt bei allen Boftanftalten des Deutichen Reiches vierteljähr» 
ih zum Preiſe von 5 ME. 25 Pf.; für den II. und III. Monat eines Quartals 
zum Preife von 3 ME. 50 Pf.; für den III. Monat eine Quartal® zum Preife 
von I Dit, 75 Pf. PBrobe-Wummern nun und franto, 
j eträgt das Abonnement 4,55 Mk. pro 
für das Ausland Monat, 13 Mk, pro Quartal incl. Porto 
für poftfreie Qufendung unter Areuzband und kann dafjelbe mit jebem Tage be» 
gonnen werben. Beilellungen nebjt Abonnements-Betrag find direct an bie (Frper 
bition bes „Berliner Tageblatt“, Berlin SW., Jeruſalemerſtraße 48/49 einjuſenden. 


!!! Interefantee Wocenfcrift !!! 
für Dans gebildete Dublikunt. 


Deutſches MontagsBlatt. 


Dieſe durch und durch originelle litterariich-politifche Wochenſchrift, welche die 
hervorragendſten deutichen Schrijtſteller zu ihren Mitarbeitern zählt, enthält eine 
Fülle geiſſwvoll geſchriebener Artitel, die ein treues Spiegelbild ber politiidyen, lit 
terariihen und fünjtleriihen Strebungen unferer Tage darftellen. Jede neu aufs 
tauchende Frage, jede neue Erſchtinung in Wiſſenſchaft, Politit, Aunft und eben 

\ findet im „„Dentichen Montags-Blatt‘ unparteiiidye und erichöpfende Beband« 
| lung, während die geſellſchaftlichen Yuflände der Gegenwart in elegantefter fyorm 
| intereffante Beleuchtung erfahren. Belletriſtiſche Feuilletons und Humoreslen forgen 
| für bie Unterhaltung der Leſer. 

Dieje litterariidyrpolitiihe Zeitſchrift erjten Nanges, welche am zeitungsfofen 
Tage, dem Dlontage, ericheint, verbindet die Vorzüge einer unterhaltenden und an» 
tegenden Wochenſchrift mit denen einer woblinformirten, reih mit Nachrichten 
aus erfter Quelle ausgeftatteten Zeitung, und fo entipriht das „Deutſche Mon- 
tage-Blatt* im feiner Doppel» Natur einem entichiedenen Bedürfinih des ge- 
bildeten Leſepublikums, wofür die große Verbreitung den beiten Beweis lichert. 

Alle Heidspoftanftalten und Buchhandlungen nehmen Abonnements zum 
Preiie von 2M. 50 Bf. pro Quartal entgegen. Brobenummern veriendet gratis 
und Franco bie Erpedition des „Deutſchen Montagäblatt‘, Berlin SW. 


Berliner <&>; Tageblatt 
73 Tausend Abonnenten SS ' 73 Tausend Abonnenten 
L * feinen 4 ET eutfehe £ efehalle“ 


Inferaten-Untang zu „Dom $els zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10. 


“ Weltpoft. ¶ 


Immanuel Peutlid. Da Sie Ihrem 
Namen Ehre zu machen tebt find, er ⸗ 
lauben Sie uns gleich deutlich zu jein und 
Sie in eine Parallele mit einen gewiſſen 
Inftrument zum Dreſchen zu ſehen. Wir 
beantworten jede Frage wie verjproden, 
einen Termin fünnen wir uns aber bei 
der Anzahl der Anfragen nicht vor 
f&rciben lafjen, ebenjomwenig jeder einzelnen 
uns entfinten, daher auch nicht entſcheiden, 
cb Ahre Alage überhaupt begründet ijt. 

.$. ın B. Das ift ſchwer, es 
allen redjt zu machen. Die einen wollen 
die Weltpoft mitbinden lafjen, die anderen 
nicht, da ift Die weit eingerichtete Einband ⸗ 
dede immter nod die befle, Wie Fetit ⸗ 
— aus weißem Papier zu entfernen 

nd, wiſſen wir nicht. Stann uns einer 
der freundl, Leſer eine Auslunft geben ? 

m. 8 in®. Dfiengeftanden glauben 
wir, daß die befle Methode, ein gutes 
Gedächtnis zu erhalten, jortgeiehte Uebung 
ift. Das Rungeſche Wert ift uns unbelannt, 

.P. in}. Wir beantworten alles, 
nur ſcheinen die Dichterlinge männlichen 
und weiblichen Geſchlechiss der Rubrilk 
„Unverwendbare Einfendungen” nie eine 
Slides ju würdigen und body ift im jenem 
GAdyen ihnen der Tiſch am eheiten gededt. 
Ihre Gedichte find Meiſterwerle eines uns 
reifen Dilettantisınus, feine Empfindung, 
fein Gefühl für Rhythmus und Eprade — 
Unfinn, nidts als Unfinn. Wenn dieſes 
die DA il ang Augen“ zumege 
gebraht, dann follen fie und gewogen 
bleiben, Und warum mit roter Zinte? 
Diefes alfo vergofiene Blut ſchreit zum 
Simmel, 

A. 5ch. in. Wir find doch nicht 
dazu da, ben postillon d’amour zu 
maden. Dab „fie* (o diefe fiest!) es 
fieyt, darum jollen wir ihr Gedicht aufs 
nehmen? Wenten Sie fih an die Grpe 
dition, ihrem poctiihen Beilchen gebührt 
tieffte Derborgenheit zwifchen all den ſchönen 
Sadıen, bie in den Injeraten angeboten 
werden. Was die unglüdlid Yiebenden 
doch für anmahende Menſchen find: 

Blümfein, ihr blüht und buitet 

Vergebens, 

Ich beachte ch nicht u. S. j. 

Aber andere Yeute! Der Frühling fommt 
rt alle Menden — warum joll er 

Bernünftigen unter ihnen verfümmert 
werden ? 

=. in &. NAunftfaden Tann man 
nit auf Entfernung faufen, am menigften 
Celbilder ohne Angabe des Meilters. 
Wenden Cie fid wegen des Kupferſtichs 
an die Aunſthandlung von Schröder in 
Berlin, wegen der Delbilder an Hoftunfts 
händler Sachſe ebenda. 

Bon. Prag-Eldogen. Leber die 
Reiultate von Ochiheim bei Peine find 
wir leider nicht unterrichtet, Vielleicht 
dürfte einer unferer Abonnenten Auskunft 
geben — — — 

. St. in MM. bindlichen Dan 
für ale, Mitteilung. An Schwe· 
rem bat’s eigentlich nie gefehlt. Die Rätjel 
haben wir mit beiten Dank acceptiert. 

i F Geibel hat den alten Tert 
benußt; feine Arben findet ſich Reue Gr» 
Em Zierter repidierter Abdrud 1858 

19; 

I). P. in 2. 
In ciner Apotbefe, 

. A. in 3. Unfere Hefte ctſcheinen 
ftets ſeht frübgertig, um überall hin recht⸗ 
zeitig zu gelangen. Das „Qufrüberideis 
nen” iſt doch eine Unregelmäßigleit, die 
man fi gefallen laſſen fann, 

2. A. in Berjeibung flir den 
Irrtum in der Schachaufgabe. 


Verlangen Eie Pillen 


Hötel Weimar, 


us? Marienbad. 


Bad Brunnthal 


bei Münden, [1264] 


Tiätetiiche und Wafferbeilanftalt. 
| Glettroiberapie. Maſſage. Profp. nrat 
Herzil, Dirigent Dr. med. Lob. 


Dr. Brehmer's Heilanltalt 
für Lungenkranke 
in Görbersdorf (Sclelien) 


gearündet 1854, ift das ganze Jahr hin · 
durch gneöffne. Auf Wunih Proipecte 
aratie umd franco. 11226] 































Wei 









Auf friedlichen Wege. 
“ Ein Vorschlag zur I.ösung 
L der socialen Frage 
A von Michael Flürscheim 
Bu Verl,v. Oscar Sommermeyer 
Baden, 25 Bog, Preis; 2 M,, 
Ei Volksausgabo M, I, 
Dieses 4ul Selten starke Werk eines 
bekannten Grossindustriellen beban- 
delt in erschöpfender Weise die Frage 
der Absatzkriseen und der Noth 
des arbeitenden Volkes unter beson- 
derer Beleuchtung der Judenfrage, 
des Kultnrkampfs, des Soeialisten- 
gesetzes etc. 


jenBurg. 


SI Mieter über dem Meere. Eijenbahnftation Thun. Schweiz. 
— Allbewöltlet Aurort für Hullen- und Kungenkronke. — 


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Weltpoſt. — Inferaten:Unhang zu „Dom Fels zum Meer”. III. Jahrgang, Beft 10, 


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Erfrischend. wohlschmeckend, kühlend. 


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Man zerstosse einen Bonban in einem Glare, giesse Wasser zu und augen- 
blieklich ist unter Umrühren ein Glas Brause-Limonade ſertig. 


mit 
Citronen-, Erdbeer-, Himbeer-, Johannisbeer-, Kirschen- u. Orangen-Geschmack, 
sowie einer Borte, geeignet durch Aufglessen von Wasser und Wein zur 
Herstellung eines Glases 


Champagner-Imitation. 


Die Brause-Limonade-Bonbons (patent. in den meisten Staaten) brwährenu 
sich vorzüglich bei allen Erfrischungsbedürfnissen und sind daher 
sowohl im Sommer als im Winter, ganz besonders auf Reisen, Landpartien, 
Jagden, Manövern, sowie Bällen, Concerten, Theater etc. zu empfehlen. Auf 
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Stollwerckscher Chokoladen und Bonbons vorräthig, oder werden auf Ver- 
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Weltpofl. — Inferaten: Anhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10. 


Weltpoft. {& 


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Tafelbutter ä120 Pfennig, Pofteofli 


5—10 Vſd verfendet_ unter Nahnahme. 
[1165} Die Rülefabrit Clingen · Greußen. 


[1261] 


andigeſchaft uberfeeiiher Thiere 
rmbrunn, Sclei. 


Kumss, Wojtveri 
Be 


Sfieriet: Zahme Afien, jprediende Papa- 
naien, Aatadus, Eittide, Iharladırotb« 
und graue Starbinäfe, Prachtfinken, Sper 
bertäubchen, Cochin· China · ital, Lamotte; 
und Hudan ⸗Huhner, Goldfiſche, Schlld 
fröten in allen Großen, Chameleons, Zar 
famander ꝛxc. Bogelbauer, Niftutenfilien, 
Aquarien, Terrarien, Heine Dampi- und 
eleftriiche Maſchinen, ſammtliche Futler⸗ 
arten fir die Thiere zu jeilgemäß billigiten 
Preiſen Preisliſten gratis und jranco | 
Für lebende Ankunft wird narantirt.| 






Lungen» und Halsfraufe ( Zchwınds» 
füdtige) werden auf die Brodiire 
„Weber Heilwirtung und Anwen— 
dung d. Pilanze Homeriana“ aufs 
merflamgemtacht, welche über die, wäh ⸗ 
rend ber Dauer v. 9 Monaten ange» 
holten, ärztlih und amtlich fonitas 
tirten jenfationell, Heileriolge erichö+ 
pfende Darftellungen enthält, Genen 
Einfenbung von 10 Pf. Porto zu be» 
ziehen durch die centrale Bertrichs- 
ftelle Diätetiich » hyatenitt Grjenmmitie 
3. Nirdhhöfer, Trient. [9112] 











* \ Erofeffor Böttger's 

ẽ 19.6. Brüning, Frantfurt a. IM 
> mittel, aritfeei 

3 

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Driginaldoie a Dit. 2 










tras und Santorin, — 
Flaschen und Kiste 
frei. Ab hier zu 











Enthaarungsmittel, 


gang unihäntich, greiſt Die zariehte Haut nicht 
at nnd ft deßhalb Damen ganz beſonders zu emmichlen 


wer (#6 iſt das einzige Mittel, welches arztlich empfohlen 


der dabei zu verwendende Pinſel DIE —. 25, 
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(1222) 


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Weltpoft. — Inferaten-Unhang zu „Dom fels zum Meer‘. III. 


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Mädchen und Knaben, wie für das zartere 
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[1237] 


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Jahrgang, Beft 10, 


“ Weltpoft. ¶ 


zii. Sch. inE. Wir wollen fernen 
Hr bei den Terminen für Einſendung ber 

Öfungen mehr berüdfihtigen, wie weit 
unjere Zeitſchrift in die Welt en 

. BB. in ®. Mit Bezug auf die 
Angabe ©. 117 ift zu adreifieren an den 
Juwelier Ernft Ritter in Gotha. 

A. in € Betreffs der Frage nah 
einer Regel des Tarolſpiels erhalten wir 
von verſchiedenen Seiten Antwort, Die 
biemit danfend auittiert wird. Demnach 
werben im Tarokſpiel immer nur drei Star» 
ten gezählt. Wer, ob Spieler oder Part» 
ner, nun eine Karte übrig behält, bat 
diefe wegzugeben. In dem angeacbenen 
Fall hätte Partner wie Spieler je 35, das 
nennt man Gonfolation — und es verliert 
immer der — —5 Spiel 

F. W. Gez. Eleltrotechniſche Hoch ⸗ 
ſchulen exiſtieren unſeres Wiſſens —2** 
noch nicht. 

F. 5. in A. Schriften, welche von 
Taubſtummen handeln, Lönnten wirAbnen 
nennen, Zeitungen find uns dagegen nicht 
belannt. 

. Berliner Abonnent. Es iſt nidt 
Sitte, einem Yutor von der Bedeutung des 
Genannten redaltionellerjeits Vorſchriften 
zu madhen, Wir vermeiden allerdings alle 
politiihen Bemerkungen nad Siräften, 
fönnen jie aber nit unterbrüden, wo es 
der Stoff fordert. 

I. in £. wünſcht die Größenmahe des 
deutichen Stailers und Aronpringen zu ere 
fahren. Kann jemand darüber Auskunft 
erteilen ? 

Unverwendbare Einfendungen 


—— * 4. 3. (Nur feine Fruhlings · 
ieder mehr), M. M. ꝛ»xx. in 8. 
(Ohne Gharalter ind we i du den = 


gebotenen Aufjak haben wir feine Ber- 
wendung, beiten foldhen fchon), B. DB. 
in 3. (Ridt originell genug), &. &.: 
».$.3.in®. (Die Shlange, die Sie 
befingen, bat mit Ihrem Gedichte gemein, 
dag ſie fih nidt aus dem Staube des 
Bodens zu erheben vermag.) * =». in 

. Eines der vielen ſchlechten Frühlings · 
lieder, mit denen alle Redaktionen gequält 
werden: 

rühling ift auf Thälern, Bergen, 

onit jagt man in Thälern. Und welch 

Kliches Bild: 

Aus den dunklen finftern Eärgen 

Blüh'n die Blümlein tet hervor. 


„ins. 
8. Dan os Sie wünjden, 
. m den Aufſähen bes Prof, 


in 4. „Nur immer langtam 
voran“, alles fommt daran, aud das von 
Ahnen jo geliebte Stüdchen Erbe Im 
übrigen beiten Dank für die freundlide 
Meinung, die Sie von uns b . 

3. Ss. in &. Ihre Bitte joll gewiß 
beridfichtigt werden, nur müfjen wir dar» 
auf denfen, es allen Abonnenten recht zu 
maden und für jeden etwas zu bringen, 
Fin Kommentar zu Immermann wird in 
ſtürjchners Deut. Nat.-Vitteratur erjchei» 
nen. Aneldoten nicht verwendbar. 

a. * in 6. in folder Artitel ift 
längft in Vorbereitung. Auch Ihren an⸗ 
deren Wunſch werden wir zu erfüllen 
ſuchen, helfen Sie uns aber auch den gemein 
famen, daß wir 100009 Abonnenten ge» 
winnen jollten, indie Wirklichleit überſehen. 

@. * in Interlaken. Wenden Sie 

&, bitte, an Stapellmeifter Reinede in 

ipgig. Herzlichen Dant für die drei durch 
Sie gewonnenen Abonnenten. Dem Bud 
binder ift das Nötige mitgeteilt, aber Ihr 
Wunſch, die Hefte gleih gebunden zu 
geben, läht ſich leider nicht erfüllen. 





Weltpoft. — InferatensUnhang zu „Dom Sels zum Meer”, III, Jahrgang, Beft 10. 


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, xh. A. in M., O. F. in, B. 
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Sommerkuft rings auf grüner Welt 
Schwingt am Tage den Reigen; 
Ihr zu Häupten ein blaues Felt, 
Unten ein Schmuck von Zweigen; 
Unten die Blüten taufendfach, 
Duden und flettern und hangen. 
£üftchen Präufeln dem Tanze nad, 
Streifen uns Haar und Wangen. 


Din und her das rührt fich jo froh, 
Kennt nicht Sterben noch Alter. 
Frage Eibellen: warum? und: wo? 
Frage: wohin? die Falter — 
Fühlen ift alles im Bad des Glüds, 
Plätichern und Tropfenjprüten 

Und die Süße des Augenblicds 
Ohne Bedeutung Nützen. 





Sommerluft. 


Wiegteft du je in feftliherm Saal, 
Kiebfte, die fchlanfen Glieder ? 

Sonne mit blendendem Flammenſtrahl 
Scheint ftatt Kronen hernieder ; 
Sehnſucht, in offnen Kelhen wad, 
Würzet die Luft fo trübe, 

Und der Dogel vorm Brautgemad; 
Spielt in Klängen der £iebe. 


Manchmal ruht fih das Dölfchen gut 
Unter dem Regenbogen: 

himmliſche Schleier mildern die Glut, 
Dämpfen des Staubes Wogen. 

Kommt der Abend mit fühlem Wehn, — 
So; nun Schlafen fie gerne. 

Still, ein Nachtlicht beim andren, ftehn 
Traulicy drüber die Sterne. 


Aus den Büfchen ein Nachtlied Plingt — 
Liebe, die will nicht raften — 

Durh das Dunkel ein Traum fich fchwingt, 
In den Herzen zu gajten. 

Komm zum Weiher, es winfet der Kahn — 
Kiebjte, was willft du fäumen? 

Sanft hingleitend die Sternenbahn 

aß uns mit fingen und träumen. 


Victor Blüthgen. 


EB Zug 


Die deuffhe Frau und die Wenſchenliebe. 


Engelzungen redete und hätte 
der Liebe nicht, fo wäre ich ein 
| tönendes Erz oder eine klin— 
gende Schelle." Wie mande 

— — hjolderglühende Braut mag ſchon 
dieſe erſte Strophe des Pauliniſchen hohen 
Liedes, auf die Liebe ſinnend, im Herzen be— 
wegt und ſich dabei in dem ſeligen Bewußt— 
ſein gewiegt haben, daß es ihr gelungen ſei, 
eine der wichtigſten und am lauteſten betonten 
Forderungen des wahren Chriſtentums zu er— 
füllen; und dennoch mag die alſo Getäuſchte 
noch unendlich fern von derjenigen Liebe ge— 
weſen ſein, die der Apoſtel bei der Niederſchrift 
ſeines Briefes an die Korinther im Auge hatte. 
Die Frau, deren Lebensaufgabe hauptſäch— 

lich in der Bethätigung der Liebe beſteht, iſt 
vielfach geneigt, immer, wenn von Liebe die 
Rede iſt, an das Myſterium jenes ſinnlich-geiſti— 
gen Gefühlsſturmes zu denken, der aus Mann 
und Weib ein glückliches Paar macht, und unſere 
deutſche Sprache, welche hei allem Reichtum an 
Formen doch für die verſchiedenen Arten von 
Liebe keine beſonderen Stammworte beſitzt, iſt 
nur allzuſehr geeignet, ſie in dieſem Mißver— 
ſtändnis zu beſtärken. Die Liebe, von der im 
oben angeführten Verſe die Rede, iſt jene, 
ohne Rückſicht auf das Geſchlecht, den Menſchen 
mit dem Menſchen verbindende Agape, die 
wir im Deutſchen noch am treffendſten mit dem 
Worte „Nächſtenliebe“ bezeichnen. Unſer Näch— 
ſter iſt jedermann, aber doch nur in dem Falle, 
daß er im Sinne der Parabel vom barmherzigen 
Samariter unferer Teilnahme, unferer thätigen 
Hilfe bedarf. Von diefer Nächſtenliebe foll hier 
nicht gehandelt werden; wir wollen vielmehr 
eine dritte Seite des vieldeutigen Wortes „Liebe“ 
in Betracht ziehen und von jener freundlichen 
Zuneigung reden, die der Menſch dem Mit: 
menfhen immer und überall gewähren foll, 
aleichviel ob diefer Mitmenfc der Hilfe und des 
Beiftandes anderer bedarf oder nicht. Es fehlt 





enn ich mit Menfchen: und mit | 


uns zur Bezeichnung diefer Art von Liebe an 
einem den Begriff erfhöpfenden Stammmorte, 
und wir helfen uns mit einer Wortverbindung, 
indem wir „Menfchenliebe” jagen. Die alten 
Sprachen unterfhieden hierin ftrenger und 
ihlofien eine Verwechjelung von Eros und 
Agape völlig aus; dem Begriffe der Menſchen— 
liebe würde caritas oder humanitas nod am 
beiten entſprechen; wählten wir das griechiiche 
Wort Whilanthropie, fo hätten wir nur eine 
Ueberjegung von Menfchenliebe, ohne damit ein 
eigenes Stammwort zu geben. Es iſt vielleicht 
providentiell, daß dem Deutſchen für alle diefe 
verſchiedenen Arten von Liebe nur ein einziger 
Ausdruck zu Gebote jteht; vielleicht zwingt ge: 
rabe dieſe Eigenart des deutihen Sprachgenius 
unfere Frauen, wenn fie der Liebe ihr Herz 
öffnen, gleichzeitig allen Arten von Liebe den 
Einzug zu geftatten und nun nicht bloß dem 
Eros, fondern auch der Agape und carita® zu 
opfern, Jedenfalls ift die Hebung der praftifchen 
Menjchenliebe ganz beſonders die Mufgabe der 
Frauen. Die Eveljten des menjchlichen Ge: 
ichledhtes werden zwar ebenfalls ſtets von Men: 
ichenliebe erfüllt fein; aber der Beruf des Mannes 
ift der Kampf, und diefer Kampf, der vielleicht 
gerade theoretifch für eine Forderung der Men: 
jchenliebe geführt wird, gejtattet oft nicht die 
praftiiche Bethätigung gegen jedermann, ja, er 
fann den Kämpfer fogar zwingen, hier oder da 
einmal jcheinbar gegen die Menfchenliebe zu 
freveln,. Für die Frau hingegen bejteht die 
Verpflichtung, Menfchenliebe praktiſch zu üben, 
in jo hohem Grade, daß ſich ſchon dadurch alle 
jene Emancipationsbeftrebungen, welche die Frau 
auf den lauten Marft des Lebens hinaus und 
an die Wahlurnen hinan führen wollen, als 
hinfällig und verdammenswert erweiſen. Nicht, 
daß die Frau indifferent den brennendften Fra— 
gen unferer Tage gegenüber jtehen foll; nein, 
in ihrem Herzen joll jie, wenn fie anders eine 
edle und bedeutende rau iſt, entichteden Partei 
ergreifen und für den Sieg der von ihr als qut 
60 


472 


erfannten Sache thätig mitwirken; diefe Mit: 
wirkung fann aber immer nur in der Ermunte: 
rung und Stärkung des fämpfenden Gatten, in 
der moraliſchen Beeinfluffung des Hausgefindes, 
in der Erziehung und Zeitung des heranwachſen⸗ 
den Geſchlechtes beſtehen; das iſt das Schladt: 
feld, auf dem die Frau ihre Siege gegen bie 
Feinde des Wahren, Guten und Schönen er: 
fämpfen foll; verläßt fie dies Gebiet, betritt fie 
gerüjtet und ftreitfüchtig die Berfammlungsfäle 
und die Nednertribünen, mifcht fie fich aktiv und 
unmittelbar in die Kämpfe der Männer, dann 
überschreitet fie ihre Kompetenz, dann jtreift fie 
— troß aller dialektiſchen Künfte und rhetori: 
ſchen Phrafen eines Dumas fils, der in feinem 
„Les femmes qui tuent et les femmes qui 
votent* die gejunde Vernunft aufs Glatteis 
führt — den Farbenſchmelz des MWeiblichen von 
den Flügeln ihrer Seele — fie entabelt fi 
felbft, und aus der bezaubernden Frau wird ein 
abichredendes Mannmweib. Gerade die Nicht: 
beteiligung am Streite der Männer und bie 
alleinige Barteinahme in der Stille und Tiefe 
des Herzens macht es der rau möglich, auch 
über das Haupt des Gegners voll und ganz ben 
Zauber echter, wahrer Menfchenliebe auszugießen 
und aud) ihrerfeits jenes unvergängliche Dichter: 
wort zu erfüllen: 
3— 

Aber mit ſanft überredender Bitte 

Führen die Frauen den Scepter der Sitte 

Löſchen die Zwietracht, die tobend entglüht, 

Lehren die Kräfte, die feindlich ſich haſſen, 

Sich in der lieblichen Form zu umfaſſen, 

Und vereinen, was ewig ſich flieht. 


Schon der Blick einer von Menſchenliebe 
beſeelten Frau bezaubert. Dieſer Blick trifft, 
wie Gottes Sonne, gleichmäßig die Gerechten 
und Ungerechten. Das Auge einer menſchen— 
freundlichen Frau oder Jungfrau wirft überall 
Wunder: es befänftigt die wildeſten Leiden: 
ſchaften, es wedt und fördert die Keime des 
Guten, es kann den Verbrecher von feinen ge: 
planten ſchwarzen Thaten abwenden und auf 
die Mege des Heils leiten. Das Auge einer 
Menſchenfreundin ijt ein Gottesfegen. 

Wer hat den Handdrud eines ſolchen Weſens 
gefühlt und ift nicht in den tiefjten Wurzeln 
feiner phyſiſchen und fittlichen Eriftenz geheim: 
nisvoll und wunderbar erfchüttert worden? Nicht 
jene prüden Salonpuppen, die dem Grüßenden 
nur die Fingerjpigen einer apathifchen, musfel: 
ichlaffen Hand gewähren, nähren die Opfer: 


Die deutfche Frau und die Menfchenliebe. 


flamme der Menjchenliebe im Herzen; das Weib, 
deſſen Stirn von der caritas gefüßt wurde, fo 
daß fie wie von einem Heiligenfcheine umgeben 
leuchtet, bietet dir in einem ftummen Händedrud 
ihr ganzes, voll pulfierendes Herz; wer nur 
darauf merfen will, der wird bald aus der Art 
und Weife, wie ihm eine Frau den Drud ber 
grüßenden Hand erwidert, erfennen, wes Geiſtes 
Kind fie ift! 

Das Wort der menfchenfreundlichen Frau 
fchmeichelt fich wie Mufif in unfere Ohren; es 
ift ein Balfam, der fchmerzitillend jede Munde 
ſchließt; es bringt wie eine frohe Botfchaft des 
Friedens jeden Zwiefpalt und jeden Kampf zum 
Schweigen; felbjt da, wo eine foldhe Frau in 
gebotener Auflehnung gegen die Lüge, mutig 
und rüdhaltlos für die Wahrheit einzutreten 
gezwungen ift, wird ihr Wort nicht wie ein 
Schwert, fondern wie ein Mutterfegen wirken. 
Ein kämpfendes Weib iſt für und Deutſche eine 
eontradictio in adjecto, ein durch das Eigen: 
ſchaftswort gejetter Widerſpruch. Wohl be: 
wundern wir das altgermanifche Weib, das dem 
Manne in die männermorbdende Schlacht folgte 
und fich gelegentlih vom Wagen herab an der 
Abwehr des in die Magenburg einbrechenden 
Feindes beteiligte; wohl fühlen wir ung ergriffen, 
wenn wir der fpanifchen Weiber gedenken, die 
bei der heldenmütigen Verteidigung Saragofjas 
gegen die belagernden Franzoſen mit auf den 
Wällen ftanden und durd) ihr Beifpiel die Gatten 
und Söhne entflammten; aber am überzeugtejten 
und mit volljter Hingabe unferes beiftimmenden 
Herzens preifen wir doch das deutſche Weib, das 
für die Befreiung des Vaterlandes den einzigen 
Sohn, den e3 unter dem Herzen getragen, dahin: 
gibt und zu diefer Gabe den leßten irdijchen 
Befit, den Trauring und das blonde Haupthaar, 
fügt. Und will das deutfche Weib ſich ſonſt noch 
aktiv, außer durch Gebete und Segenswünjde, 
am Schute des häuslichen Herdes beteiligen, jo 
wird fie die Kranken und Verwundeten pflegen 
helfen, aber fie wird dies nicht im Sinne der 
Altgermanin oder der Spanterin thun, die dabei 
dem blutenden Feinde vollends den Garaus 
machte, fondern fie wird am Lager des Freundes 
und Feindes in gleiher Menjchenliebe falten 
und allen Stehen ohne Unterſchied die linde 
Hand auf die Wunde legen. Daher will es und 
bedünken, als ob ein edles Weib, das einer 
Männer:Berfammlung zu politiihen Zwecken 
beiwohnt, ſchon nicht mehr am rechten Plate 


Die deutſche frau und die Menfchenliebe. 


fei; jeder Vortrag, der im Intereſſe einer poli- 
tiſchen Frage gehalten wird, ift ein Kampf, oft 
ein blutigerer Kampf, als der mit dem Schwerte; 
gilt e doch oft, die bewußte Züge, die unver: 
ſchämteſte Heuchelei, die Albernheit und Ber: 
leumdung zu entlarven und zu züchtigen; das 
ift aber Männerwerf, und wenn es aud) ber ge: 
ſchickteſte und zungenfertigſte Redner verrichtet, 
nicht ziemt es der menſchenliebenden Frau, zu 
ſeinen Füßen unter den Hörern zu ſitzen, denn 
die echte Frau ſoll nicht richten und nicht ver— 
dammen. In der Stille ihres Kämmerleins mag 
ſie für den Sieg der von ihr als recht erkannten 
Sache beten; aber draußen auf dem Markte ſoll 
die Majeſtät der Frau wie jede Majeſtät über 
den Parteien ſtehen, und auch die Feinde lieben. 
Wenn je ein gerade für Frauen beherzigens— 
wertes Wort geſagt worden iſt, ſo iſt es der 
Ausſpruch des Menſchenſohnes: „Liebet eure 
Feinde, ſo wird euer Lohn groß ſein, und ihr 
werdet Kinder des Allerhöchſten ſein. Seid 
barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig iſt. 
Richtet nicht, ſo werdet auch ihr nicht gerichtet. 
Verdammet nicht, ſo werdet auch ihr nicht ver— 
dammet. Vergebet, ſo wird euch vergeben. Ein 
voll gedrückt, gerüttelt und überflüſſig Maß 
wird man in euren Schoß geben; denn eben mit 
dem Maße, da ihr mit meſſet, wird man euch 
wieder meſſen.“ 

Wahrhaft ſchön iſt nur die menſchenfreund— 
liche Frau. Sie iſt im höchſten Sinne das irdiſche 
Ebenbild Gottes; ſchon durch ihre bloße Erſchei— 
nung, aber mehr noch durch Wort und Weſen 
mahnt ſie an des Schöpfers Größe, Güte und 
Erbarmung. Es gibt vortreffliche Frauen; aber 
ein Zug richtender Strenge, die der Menſchen— 
liebe feindlich iſt, läßt fie nicht zur vollen Ent: 
faltung weiblider Schönheit gelangen. Cine 
treu ſchaltende Frau, die ihren Gatten und ihre 
Kinder herzlich liebt, die auch für ihre Armen 
jederzeit ein paar Brofamen vom Tiſche fallen 
läßt, aber dem vorübergehenden Fremden nur 
einen falten, ſtolzen Blid gönnt, hat ihre Liebes: 
miffton nicht begriffen und ift weit entfernt 
von der Kindjchaft Gottes. Die Liebe, welche 
alle Geſchöpfe mit gleicher Wärme umfaßt, führt 
auf ihrer höchſten Stufe zur gänzlichen Selbit: 
entäußerung, zur vollen Hingabe des Ichs an die 
Menfchheit und dadurch zur einzigmöglichen, 
irdiichen GSeligfeit. Und in den gefegneten 
Stunden, wo ein Meib ihr Sonderweſen im 
Liebesdienite der Menfchheit aufgibt, wo fie ala 


473 


Individuum fih verliert in der Allgemeinheit 
ihrer Mitgefchöpfe, wird ihr ein Wunder mwiber: 
fahren, das fie überfchwenglich entfchädigen wird 
für die fleinen Opfer und Mühen, denen fie 
fich als Priefterin der Menfchenliebe unterziehen 
mußte. 

Mit diefem Wunder hat es folgende Be: 
wandtnis. Bekanntlich hat noch fein Menfchen: 
auge Gott erjchaut, und der fpefulierenden Ver: 
nunft ift es noch nie gelungen, Gott zu erfennen 
und zu definieren ; nur im Wege des Glaubens 
fönnen wir uns Gott nähern, und nur dem 
Glauben entnehmen wir die Beweisgründe für 
Gottes Dafein und Wirken; man hat daher Gott 
eine dem Denken abgewandte Seite genannt, 
im Hinblid aufden Mond, deſſen eine Seite wir 
nie zu fehen befommen, von deren Eriftenz wir 
gleichwohl feft überzeugt find. Diefes Gleich: 
nis hinkt wie alle Gleichniffe; ja, es hinkt fogar 
auf beiden Füßen; wollen wir es aber einmal 
gelten lafjen, fo mag es hier durch einen neuen 
Hehnlichkeitspunft geftügt werden, den ich aus 
meinem Eigenen hinzufüge. Die äußerften Teile 
derunsabgewandten Mondfeite unterliegen, wie 
uns der Ajtronom lehrt und der Augenſchein be: 
fundet, einem periodischen Sichtbarwerden und 
Miederverfhwinden, und diefe Eigentümlichkeit 
des Mondes wird feine Libration genannt. 
Nun bietet auch jene dem Denken abgewandte 
Seite, die wir Gott nennen, das wunderbare 
Phänomen der Libration, indem Gott für 
das innere Auge des Jüngers der Menfchenliebe 
zeitweife den Schleier der Verborgenheit Tüftet 
und wenigjtens den Saum feines ftrahlenden 
Gewandes fihhtbar werben läßt. Nur ber all: 
gemeinen Menjchenliebe geht in ſchönen, feligen 
Stunden die unumftößlihe Gewißheit von der 
Eriftenz eines lebendigen, allmächtig waltenden 
Gottes auf, eine Gewißheit, die feines logischen, 
dem Arfenale der fpefulierenden Vernunft ent: 
nommenen Bemweijes mehr bedarf, fondern ſich 
gewiſſermaßen anſchaulich dem geiftigen Auge 
offenbart. Nur für den an Menfchenliebe Reichen 
vollzieht fich diefes Wunder ; nur ihm ſchwinden 
alle Zweifel, die ein fubtiler Bantheismus und 
Atheismus zu erregen weiß, wie Nebel vor dem 
Kuſſe der Sonne; nur er kann jubelnd und er: 
löſt wiſſen und befennen: ja, es lebt ein Gott, 
und ich fühle feinen wunderbaren und befeligen- 
den Atem! 

So führt die wahre allgemeine Menſchen— 
liebe allein zur Gottesliebe und fo zur völligen 


474 


Erfüllung der höchſten Neligiontgebote. Mit 
Recht fragt die Schrift: Wer die Menjchen nicht 
liebt, die er doch fieht, wie kann er Gott lieben, 
ben er nicht ficht? Für die Frau, welche meint, 
durch Gatten: und Kinderliebe den höchſten An: 
forderungen gerecht zu werden, gilt das andere 
Wort der Schrift: „So ihr liebet, die euch 
lieben, was Dankes habt ihr davon? Denn die 
Sünder lieben auch ihre Liebhaber.“ Wenn alle 
Wege nad) Rom führen, fo führt doc nur ein 
einziger Weg zu Gott: die Menſchenliebe; und 
dieſe Menfchenliebe in des Mortes erfchöpfender 
Bedeutung, die uns das Nichten und Verdam: 
men verwehrt, madjt uns aud) das Unmögliche 
möglich: das Lieben des Feindes. Diefe fchein- 
bare Paradorie ijt ein Stein des Anftoßes für 
jeden, der nicht in die Tiefen des chriftlichen 
Grundgedankens zu bliden vermochte. Auerbad) 
hat 3. B. in einer feiner legten und ebeljten 
Gaben diefe Forderung als unausführbar be: 
mängelt und die Anficht ausgeſprochen, daß fie 
wahrſcheinlich auf der Verftümmelung und Ent: 
ftellung eines anderen Ausſpruches aus dem 
Munde des Gottmenfhen beruhe, denn man 
fönne wohl feinen Feinden vergeben, fie aber 
nimmermehr lieben. Ich muß gejtehen, daß 
mich diefe Auffafiung eines fo feinen, ſpinoziſtiſch 
geihulten Kopfes wahrhaft überraſcht hat, da 
gerade die Liebe zu den Feinden, welche die 
fromme Kindereinfalt vielleicht aus fich felbit zu 
üben vermag, für eine weiter vorgefchrittene Er- 
fenntnis nur mit Hilfe einer gewiſſen Philofophie 
zu gewinnen fein dürfte. Deshalb wollen die 
liebenswürdigen Leſerinnen Nachſicht üben, wenn 
ich ihnen den Weg, der auch zur Liebe des Fein: 
des führt, mit einigen Strihen andeute, die das 
Gebiet der Philojophie nicht ganz vermeiden. 
So lange wir einen Feind nur ala das Ein: 
zelweſen, als die fcharf beftimmte Perfönlichkeit 
betrachten, die uns moralifh beraubt oder ver: 
wundet hat, wird ſich der natürliche Menſch in 
uns gegen diejen Feind empören, und es wird 
ſchon einer bedeutenden Willenskraft unfererjeits 
bedürfen, um die zur Rache bereite Hand zu 
zügeln und das widerſpenſtige Herz zur Ver: 


Die deutfche frau und die Menfchenliebe. 


durch diefe Betrachtungsart mit der Seligfeit 
des willen: und begierbelofen Anſchauens erfüllt. 
Ein Denker, deſſen Schriften wir fonft nicht ge: 
rabe in den Händen der Frauen jehen möchten, 
wenngleich intelleftuell ftarfe Frauen auch aus 
ihm vorzügliche Anregung und dauernde Förde— 
rung gewinnen würben, fagt in diefer Hinſicht ): 
„Zur Auffaffung einer Idee, zum Eintritt der: 
jelben in unfer Bewußtſein kommt e8 nur mittels 
einer Veränderung in uns, die man auch als 
einen Akt der Selbjtverleugnung betrachten 
fönnte ; jofern fie darin befteht, daß die Erfennt- 
nis ſich einmal vom eigenen Willen gänzlich ab- 
wendet und die Dinge fo betrachtet, als ob fie 
den Willen nie etwas angehen fönnten. Denn 
hierdurch allein wird die Erfenntnis zum reinen 
Spiegel des objektiven Mefens der Dinge.“ 
Und weiter jagt er: „Nur dann faßt man die 
Melt rein objektiv auf, wenn man nicht mehr 
weiß, daß man bazu gehört; und alle Dinge 
ſtellen ſich um fo ſchöner dar, je mehr man ſich 
bloß ihrer und je weniger man fich feiner felbft 
bewußt ift. Da nun alles Leiden aus dem 
Willen, der das eigentliche Selbft ausmacht, her- 
vorgeht, jo ift mit dem Zurüdtreten diefer Seite 
des Bewußtfeins zugleich alle Möglichkeit bes 
Leidens aufgehoben, wodurch der Zustand der 
reinen Objektivität der Anfhauung ein durchaus 
beglüdender wird.“ Ich weiß nicht, ob jede der 
freundlichen Zeferinnen ganz in diefen Gedanken: 
gang einzubringen Neigung hat; nur fo viel 
möchte ich erfannt und zugegeben wifjen, daß 
auch der Feind bei einer fo objektiven Betrad): 
tungsartan Schönheit und Liebenswürdigkeit ge= 
winnt, und daß es auch einer energifchen weib- 
lihen Natur auf diefe Weife erleichtert wird, im 
Feinde nur den Menfchen zu fehen, dem wir ein 
Herz voll Liebe fhuldig find. Ein etwaiges 
Vorurteil tiefreligiöfer Frauen gegen alle Philo— 
fophie, wie ich es öfter® alaube gefunden zu 
haben, möchte ich durch die Bemerkung zerjtören, 
dak, wie Schlaf und Tod Brüder find, fo aud) 
Philofophie und Religion Schweitern. Der Tod 
ift nur der allertiefite Schlaf, in dem auch die 
legten körperlichen Yunktionen (die vegetativen) 


gebung zu zwingen. Wenn wir aber im Feinde | zur Ruhe kommen; die Religion tft nur die aller— 


nicht mehr das Individuum, fondern gewiſſer— 


tiefjte Vhilofophie, in der aud) die letzten Funk— 


maßen bie platonifche dee der Menjchheit fehen, | tionen des Zweifels, die Qualen der endlojen 
| dialektiichen Selbftentzweiung des Gedankens 


dann ſchwindet alles Hafjenswerte, dann jtellt 
ſich auch der Feind als eine Erjcheinungsform 
der Gottheit bar, die wir affeftfrei mit dem Auge 
des Künftlerd betrachten, und die uns gerade 





) Schopenhauer: „Welt als Wille und Bor: 
ftellung.“ II. pag. 419, 420 u. ff. 





Milhelm Kunze. Worauf es anfonmt. 


friedlich eingefargt werden, um nie mehr zu er: 
wachen. Schlaf und Tod find nicht zu trennen ; 
alles was fchlafend atmet, wird einſt ausgeatmet 
haben; ebenfo untrennbar find wahre Philo: 
fophie und wahre Religion; alles, was denfend 
ringe, wird einft ausgedacht und ausgerungen 
haben und in reiner Anſchauung befeligt fein. 

Uebrigens bedarf es diefer philofophtichen 
Betrahtungsart nicht immer, um das Gebot der 
Feindesliebe zu befolgen, denn in die Bruft jedes 
Menſchen, wenn er nit auf der niedrigiten, 
tierischen Entwidelungsitufe ftehengeblieben ift 
und einer Art von moraliſchem Kannibalismus 
huldigt, ift die allgemeine Menjchenliebe einge: 
boren, und diefe allgemeine Liebe umfaßt auch 
die Feinde. Ein Schwimmer, der feinen Yeind 
in den Wellen mit dem Tode ringen ſieht, wird 
in fo aufregendem Momente jeden Gedanfen an 
Feindfchaft vergeffen und ohne Zögern in die 
Flut jpringen, um das gefährdete Dienfchenleben 
zu retten. Cine Mutter, die das Kind ihrer 
Feindin durch die heranrollenden Näder eines 
Gefährtes bedroht fieht, wird befinnungslos hin: 
zuftürzen und mit Gefahr ihres eigenen Lebens 
das Kind dem Verderben zu entreigen fuchen. 
Ein höheres Liebesopfer als das Leben wird 
aber faum der Menſch dem Menschen bringen 
können. Man ficht hieraus, wie der mit Bil: 
dung des Herzens begabte Menſch gewiſſermaßen 


ihon unbewußt und rein inftinktiv auch den | 


‚Feind liebt und wie erft eine bewußte, durd) 
Trugſchlüſſe geftügte Abirrung von der wahren 
Logik imjtande iſt, diefen Inſtinkt in Haß zu 
verwandeln, Und wenn der Haß die Erſchei— 
nung des zum Kampfe geborenen Mannes nicht 
gerade anjprechender madıt, fo ift er für weib— 
liche Echönheit geradezu das entjtellendite Stig: 
ma. Die Frau, deren Lebensaufgabe in der 
Liebe befteht, darf in ihrem Herzen aud dem 





475 


Feinde gegenüber feinen Raum für den Haß 
laflen ; ein Engel des Friedens, der Huld und 
der Verſöhnung foll fie durch das Leben jchreiten 
und in der allgemeinen Menfchenliebe jedem den 
Meg weifen, der zu Gott führt. Die Gattin 
eines Emporfömmlings, die mit einer fojtbaren 
und überladenen Toilette ihr Pfauenrad im 
offenen Wagen Schlägt und hochmütig-geldprotzig 
den vorübergehenden bejcheidenen Leuten ins 
Angefiht grinft ; die geſchminkte und halb ent: 
Heidete Ballfönigin, die jedem Ged ihre Neize 
zur Schau ftellt und den guten Ruf anderer 
Frauen mit der Dolchſpitze ihres giftigen 
Züngleins meudjelt ; die fogenannte Gebildete, 
die emotionsmwütig die Vereinsfäle politijieren: 
der Männer ftürmt, um fid an den Schlag: 
worten des Tages und wüſtem Kampfgeſchrei 
zu beraufchen; fie alle find Karifaturen auf die 
Ihöne und wahre Weiblichfeit, die in jeden 
Streit das „Friede ſei mit euch!“ hineinruft, 
die für jedes menfchlihe Leiden ein teil: 
nehmendes Herz und für jedes Menfchenauge 
das freundlich:huldvolle Lächeln der caritas hat. 
Der deutihen Frau iſt wie feiner anderen auf 
der Welt fo viel Innerlichkeit bei fiherem Taft: 
gefühl, fo viel echte Neligiofität bei aufrichtiger 
Duldſamkeit, jo viel Herzenswärme bei kritiſcher 
Kühle des Kopfes angeboren, daß fie ganz be: 
jonders vom Geſchicke beſtimmt und auserlefen 
ericheint, die praftiiche Bethätigung der allge: 
meinen Menfchenliebe als köſtlichſte und edeljte 
Blüte des Menfchentums darzuftellen; die Frau 
oder Jungfrau, welcheder allgemeinen Menjchen: 
liebe ermangelt, verfündigt ſich daher nicht nur 
am eigenen Gejchledhte, fondern auch an Gott, 
deſſen beglüdenden und bejeligenden Welten: 
plänen fie vergeblih ihr ungehorfames und 
troßiges Herz entgegenzuftellen verfudht. 
Gerhard von Amyntor. 


Worauf es ankommt. 


„Das Leben if ein trüben, 
Langmweil’ges Einerlei““ — 
KNuft peſſimiſtiſch Zener 

Und geht am Glück vorbei, 


„Wie if das Leben wonnig, 
Ein fonnig-grüner Mail" — 
So ſpricht ein Ciebespärchen 
Und herzt und küft dabei. 


Das alles hört ein Dritter, 

in vielerfahr'ner Mann, 

Der denkt: Es kommt im Leben 
Stets auf den Standponkt an. 


Bildelm Runge. 





Das Zufammentreiben ber Etrauße, 


n 


Die künſtliche Straußenzucht in Südafrika. 


Otfried Mplius. 


D* Mensch ift ein geborener Verwüſter und 
Zerftörer der organischen Natur; er ver: 
heert, um feine Bebürfniffe zu befriedigen, un: 
erbittlih die organischen Weſen beinahe bis zu 
ihrer Ausrottung, und lernt ihren Wert erjt 
ſchätzen, wenn er fie entbehren ſoll. So geht 
es ja mit allen Dingen im Leben. Und nicht 
der wilde Menſch allein handelt nach diefen bru— 
talen Inſtinkten, fondern auch der halbwilde 
und der fogenannte civilifierte. Die vielen Mil: 
lionen Bifons oder amerifanifhen Auerochſen, 
welche vordem die Prairieen, die Millionen 
Biber, welche die waldigen Ufer der norbameri: 
fanifchen Ströme, die Hunderttaufende zahllojer 
Herden der verſchiedenſten Antilopenarten, welche 
einft die Müften des heifen Afrifa belebten, 
find durch die gedanfenlofe Mordluft wilder 
Stämme und die planmäßige Vertilgungsmut 
müßiger Weißen um eines geringen Geminnes 
willen beinahe ausgerottet worden. Die nüß: 
Iihen Cindoneenbäume der füdamerifanifchen 
Bergwälder, welche die mediziniſch fo wichtige 
Chinarinde liefern, find von den habgierigen 


und gedanfenlofen Cascarilleros oder Rinden- 
fammlern, meift Indianern, beinahe vertilgt 
worden, jo daß man, um fich die fernere Ge- 
winnung der foftbaren Rinde zu fihern, genötigt 
worden ift, nun in Süd- und Mittelamerila, in 
Indien, auf Ceylon und Java großartige Cin- 
choneenpflanzungen fünftli anzulegen. Ganz 
ebenfo ging es aud mit dem größten unferer 
Vögel, dem afrifanifhen Strauß, welder dem 
menschlichen Haushalt nicht den mindeften Scha- 
den zufügt, da er von Natur aus nur in 
den heifen fahlen Wüften lebt und die Nähe 
des Menſchen meidet, wenn er nicht jung ge: 
fangen feine natürliche Scheu vor dem Menſchen 
verliert und ſich an dejjen Nähe gewöhnt. Der 
Strauß liefert dem Jäger nicht nur ein gutes 
Wildbret, das namentli bei jungen Vögeln 
vortrefflich ift, jondern aud feine wertvollen 
Eier, welche eine gute und nahrhafte Speife 
geben, obwohl fie, ihres urinöfen Gefhmades 
wegen, dem gebildeten Gaumen nicht behagen, 
und die Schalen diefer Eier liefern dem Wilden 
fogar Waffergefäße von ziemlihem Inhalt; 





Otfried Mplius. Die fünftliche Straußenzucht in Südafrifa. 


außerdem aber hat der Strauß eine Anzahl 
ihöner, leichter, krauſer Schmudfedern von 
weißer, ſchwarzer, grauer und bräunlicher Farbe, 
mit welchen ſich der Jäger felbft pußt, die ſchon 
feit ferner Vorzeit ein gefuchter Handelsartifel 
find und feit einigen Jahrzehnten ihrer fteigen: 
den Seltenheit und Nachfrage wegen in hohem 
Marktwerte ftehen. 

Mir dürfen vorausfegen, da die meijten 
unferer Leſer mit der Naturgefchichte des Strau— 
bes befannt find. Mir fönnen es uns daher er: 
ſparen, bier ſchon 
Bekanntes über ihn 
zu wiederholen, und 
wollen nur darauf 
hinweiſen, daß ein 
ſolches Straußenei, 
welches beinahe ein 
Liter Flüſſigkeit ent— 
hält und durchfchnitt- 
lid 1440 Gramm 
wiegt, eine beträcht: 
lihe Menge Nah: 
rungsftoff und einen 
ſehr ſtickſtoffreichen 
Dotter enthält und 
daher für einen ar— 
men Wilden beinahe 
eine Familienmahl— 


zeit abgibt. Unſer 
nebenftehender 
Holzichnitt veran— 


ihauliht das Grö— 
benverhältnis zwi: 
ihen einem gewöhn— 
lihen Hühner: und 
einem Gtraußenei, 
und vermag zu erklären, warum die Wilden 
Afrikas die Straußeneier jo eifrig aufjuchen. 
Wenn wir dann ferner noch der Thatjache ge: 
denken, daß ſchon der Händler eine ſchöne große 
weiße Schmudfeber aus der Schwinge eines 
Straußenmänndens einzeln mit einem Werte 
von 12—18 Mark an Drt und Stelle bezahlt, fo 
wird man auch begreifen, warum diefer Vogel in 
feiner Heimat fo fchonungslos gejagt wird, daß 
er in vielen Gegenden, 3. B. in Algerien, im 
Korbofan, im Kaplande u. ſ. w., wo er früher 
in Scharen vorfam, nachgerade felten geworden 
ift. Ya im Kapland und dem ganzen britischen 
und freien Südafrika ift der Strauß ſchon 1870 
fo jelten geworben, daß die Kolonialregierung 





Hübnerei und Giraußenel. 


477 


fih gezwungen fah, feine Jagd gefehlih und 
mit Einführung von Schonzeiten zu regeln, um 
feiner gänzlihen Ausrottung vorzubeugen. Die 
Beeinträchtigung der Fortpflanzung des Strau: 
bes durch die Jagd auf die Eier war ſchon 
groß genug, denn da die Straußenhenne ihr 
Gelege von 12—18 Eiern fo jorgfältig im 
Sande verfharrt, daß oft das geübtefte Men: 
fchenauge dasfelbe nicht zu finden vermag; ba 
fie ferner ihr Gelege verläßt, wenn fie durch 
Menſchen von demjelben verſcheucht worden ift: 
und da es noch zwei- 
felhaft ift, ob fie 
im wilden Zujtande 
ein zweites Gelege 
macht, wenn fie das 
erste aufgegeben hat, 
jo kann man fi) ver: 
gegenwärtigen, wie 
ungemein die Ber: 
mehrung des Vogels 
darunter leiden muß. 
Allein auch die Aus: 
beute an Schmud: 
federn durch die Jagd 
wird durch mandherlei 
Zufälligkeiten beein: 
trächtigt. Die Federn 
vom wilden Vogel 
ſind nicht immer und 
nicht alle gleich ſchön; 
ſie ſind zum Teil zer— 
ſchliſſen, beſchmutzt 
und abgeſtoßen, ſo 
daß man ſelten einen 
Edlim oder männ— 
lichen erwachſenen 
Strauß erlegt, welcher alle ſeine Schmuckfedern 
(gegen 20 an jeder Schwinge) vollzählig und 
tadellos ſchön aufweiſt. Vielmehr find 14—16 
ſchöne weiße Flügelfedern, die gefuchteften und 
wertvollſten feines Gefieders, durchfchnittlich das 
Marimum, was man von einem wilden männ— 
lihen Bogel erzielt. Ein tadellofer Straußen: 
balg mit allen Federn und in gutem Zuftande 
wird noch heute mit einem Preife bis zu 400 Mark, 
ein Kilogramm tadellofer weißer Flügelfedern 
wird ſchon in Afrika mit 1000— 1200 Marf be: 
zahlt und ift ungemein ſchwer zufammenzubrin: 
gen, da die einzelnen wilden Jäger faum eine 
genügend ſichere Art der Aufbewahrung und des 


| Transports der Federn haben. Die gewöhn: 


rg 


“ 





478 


lichjte Art, die wertvollen Federn des erlegten 
Vogels zu verwahren, beſteht darin, da der 
Jäger ein Stüd diden Nohrs fchneidet, in deſſen 
Höhlung die Federn einfchiebt und fo mit ſich 
trägt, wodurch jie zwar vor Beihädigungen 
durch Reiben und Abftopen, dagegen nicht vor 
Inſekten und Motten gefichert find. Auch die 
Aufbewahrung des ganzen Balges hat ihre 
Schwierigkeiten, felbjt wenn man den Balg auf 
der Innenfläche mit 
Arfenifjeife oder 

Sublimatlöjung 
tränfen würde. Die 
dide Epidermis des 
Straußes iſt ziemlic) 
fett und eine Lieb: 
lingsbrutſtätte vieler 
jener ſchädlichen In— 
ſekten, woran ja die 
Tropenländer fo 
reich find, und fie 
beherbergt oft Eier 
und Larven von 
Federmotten und an: 
deren Schädlingen, 
deren man fich faum 
zu erwehren vermag, 
jo daß ſelbſt dem 
Händler noch man: 
cher Schaden erwad): 
fen fann. Früher 
behauptete man, die 
Federn von zahmen 
Straußen (und jolde 
gab es Schon ſeit 
Jahrtaufenden in 
Afrika und Weſtaſien 
unter den dortigen 
Wüſtenbewohnern) ſeien nicht ſo ſchön und groß 
als die Federn von wilden Vögeln; aber Zeit 
und Beobachtung haben dieſes Vorurteil längſt 
entkräftet und widerlegt. 

In Sudan, in Kordofan, in Sennaar und 
ſelbſt auf dem Kaplande war es ſchon längſt 
üblich, junge Strauße, die man nicht verſpeiſen 
wollte, großzuziehen und zu domeſtizieren, was 
ganz leicht war, denn unter guter Behandlung 
und bei genügender Fütterung wird der Strauß 
leicht ein Hausgenoſſe des Menſchen. Dies 
wußten nicht nur die Afrikareiſenden und die 
Händler an der Berber-, Mogador-, Senegal: 
füfte, in Maroffo, Aegypten, Südafrika und 


I3 
Re 
be 
= 
— 
= 
— 


u. 





Der erwachfene männlide Straub. 


Otfrieb Mplius. 


Arabien, fondern man hat fchon vor etwa 
40 Jahren auch in europäiſchen zoologiſchen 
Gärten (San Donato bei Florenz, Marjeille, 
Ham, Algier und Spanien) mit Erfolg ver: 
fucht, Strauße nachzuzüchten. Als Daher in den 
fünfziger Jahren, wo die wilden Strauße im 
allgemeinen felten geworden und Die Straußen: 
federn fehr im Preiſe geftiegen waren, die 
Frage ventiliert wurde, ob man Die Strauße 
niht domeſtizieren 
und fünftlich züchten 
fönne, widmeten ſich 
mehrere franzöſiſche 
Anſiedler in Algerien 
derartigen Verſu— 
chen, und namentlich 
ein Herr Hardy er— 
zielte ganz befriedi— 
gende Erfolge, die 
jedoch nicht in größe: 
rem Maßſtabe aus— 
gebeutet worden zu 
ſein ſcheinen. 

Etwa um das 
Jahr 1857 kam ein 
Engländer, Namens 
Kinnear, welcher zu 
Beaufortweſt in der 
Kapkolonie ein aus— 
gedehntes, vorherr: 
ſchend zur Viehzucht 
beſtimmtes Grund: 
eigentum beſaß, auf 
den Einfall, einen 
Verſuch mit dem 
Aufziehen von Jun: 
gen wilder Strauße 
zu machen, um zu 
erproben, ob man mittels diejes Induſtrie— 
zweiges nicht ſchöne Straußenfedern für den 
Handel erzielen könne. Beaufortwejt Tiegt in: 
mitten einer Gegend, wo es früher viele 
wilde Strauße gegeben hatte und wo fie auch 
damals noch nicht felten waren. Es gelang 
ihn bald, fich von einem Anfiedler einige junge 
Vögel zu verichaffen, welche, erft wenige Tage 
alt, gefangen worden waren. Dieſe bradte 
er in ein Gehege, wo fie ſorgſam gefüttert und 
verpflegt wurden. Als fie einige Monate alt 
waren, lief man fie frei auf den Luzernefeldern 
um das Häuschen herumlaufen. Sie waren 
ganz zahm, liefen nicht davon, jondern Fehrten 


- 


Die fünflliche Straufenzucht In Sübdafrifa, 


immer wieder zum Haufe zurüd und gediehen 
fo gut, daß fie aud fanguinifchen Hoff: 
nungen entipradhen, Als fie etwa 18 Monate 
alt waren, lieferten fie die erjte Ernte an 
Schmudfedern, die allerdings nod) etwas Hein, 
aber ſehr ſchön, rein und vollfommen waren. 
Herr Kinnear ftudierte die Lebensweife feiner 
Vögel genau und faufte noch mehr Junge von 
verſchiedenem Alter auf, welche ſich den andern 
anjchlofjen und fich ganz miteinander vertrugen. 
Im Alter von 3—4 Jahren paarten fich die 
Vögel, die Hennen legten Eier, durchſchnittlich 
15—16 per Kopf und brüteten fie aus, durch: 
Schnittlih 12—14 vom Gelege. Binnen weni: 
ger Jahre hatte Herr Kinnear eine Herde von 
mehr als 100 Stüden, und hatte die Möglich): 
feit und den praftifchen Wert einer derartigen 
Züchtung glänzend dargethan. Obwohl er feine 
Erfolge nicht geheim hielt, jo fand anfangs doch 
diejer neue Zweig der Landwirtſchaft jo wenig 
Anklang, daß fein Beiſpiel faum Nachahmung 
erfuhr und man 1865 außer feiner Herde nur ca. 
80 zahme Strauße in der ganzen Kolonie fand. 


| 
| 
| 


Allein von diefer Zeit an nahm die Straus | 


benzucht plößlich einen bedeutenden Aufſchwung 
und wurde in den Mittelpunkt der öffentlichen 
Aufmerkſamkeit gerüdt. Wiederholte trodene 
Jahre hatten den Koloniften die Unficherheit 
des Ertrags ihrer Schafzucht gezeigt, welche 
damals eine hauptſächliche Subftftenzquelle der 
Kolonie war. Der Wunſch, ein weiteres land: 
wirtjchaftlihes Gewerbe zu betreiben, veran: 
laßte viele von den Grundbeſitzern, es mit der 
Straußenzucht zu verſuchen, welche Herrn Kin: 
near fo gute Ergebnifje geliefert hatte. Es ent: 
ſtand eine allgemeine Nachfrage nach jungen 
Vögeln, deren Preis raſch von wenigen Schil: 
lingen auf 10 und fogar 15 Pfd. Sterl. per Stüd 
jtteg, denn jeder wollte fein Heil damit ver: 
ſuchen. Die Sade ſchlug ein und ward mit 
folder Energie in die Hand genommen, daß 
die Aufnahme für den Steuerja des Jahres 
1875 ſchon eine Anzahl von 28000 zahmen 
Straußen in der Kolonie auswies, welche ſich 
heutzutage auf etwa 70— 80000 Stüd erhöht 
haben mag. Die ganze Ausfuhr von Federn 
von diefen zahmen Straufen und von den wil: 
den, welde jenſeit der Grenze der Kolonie er: 
beutet worden waren, belief fi, nach den amt: 
lichen ſtatiſtiſchen Tabellen fchon im Jahr 1877 
auf einen Wert von nahezu einer halben Mil: 
lion Pfd. Sterl. Da jedoch die Nachfrage nad) 





479 


Straußenfedern geitiegen ift, fo fcheint auch 
fünftighin der Abjat für den ganzen Ertrag an 
Federn gefihert, um jo mehr als notoriſch die 
jogenannten „zahmen” Federn, weil zur rechten 
Zeit und in volllommenem Zuftande ausgerupft, 
im Handel bereits den „wilden“ Federn vorge: 
zogen werden. 

Im Anfang wurden die Jungen der wilden 
Strauße, melde man domeftizieren wollte, bei: 
nahe unmittelbar nah dem Ausfchlüpfen vom 
Nefte weggenommen, indem man das Eltern: 
paar aus einiger Entfernung beobachtete, bis 
die Brut vorüber war, Die gefangenen Jungen 
wurden bann jchnellitens nad) irgend einer Be: 
haufung gebracht, in einer mit Wolldeden aus: 
geſchlagenen Holztifte warm gehalten und mit 
jehr klein gehadtem Eiweiß, frijchem Klee und 
anderem Grünzeug gefüttert und forgfältig auf: 
gezogen. Sp erlangte man den erjten Straußen: 
ftand, und diefe Art des Fangs und der Zucht 
it in den entfernten Teilen der Kolonie nod) 
üblih, wo die wilden Straufe auf den unge: 
heuren Karrufeldern noch immer herumjchweifen 
und brüten. Allein außerdem werden dermalen 
alljährlich noch viele Taufende von ungen aus 
zahmen Hennen gewonnen und werfen ihren 
Züchtern einen namhaften Gewinn ab. Ein 
Straug von 4—6 Monaten wird gegenwärtig 
im Durchſchnitt etwa mit 15 Pd. Sterl., ein 
Baar ſchöner brutfähiger Straufe mit 100 bis 
zu 300 Pfd. Sterl. bezahlt. Deshalb legen ſich 
jeßt große und fleine Grundbefiter auf die 
Straußenzucht, — die eriteren, welche die Jun: 
gen in einem Alter von 4 bis zu 12 Monaten 
von den Züchtern faufen, halten diefelben um 
ihrer Federn willen, und verfaufen jie dann 
als Brutvögel, wenn fie das erforderliche Alter 
erreicht und ſich gepaart haben; die kleineren 
Grundbefiser halten ihre Strauße nur der Brut 
wegen, um die jungen zu verkaufen, wenn fie 
diejelben bis zu dem für den Verkauf tauglichen 
Alter herangezogen haben. 

Wenn der Strauß jährig ift, jo wird er 
zum eritenmal gerupft. Die dabei gewonnenen 
fog. „Küchleins- oder Jugendfedern“ haben fei: 
nen großen Wert, denn der Ertrag eines einzel: 
nen Vogels iftnur etwa 30 Marf. Nach weiteren 
8 Monaten fann dann der junge Vogel zum 
zweitenmal gerupft werden und gibt je nach der 
Dualität und dem Geſchlecht des Vogels ſchon 
einen Ertrag von 5 bis zu 12 Pfd. Sterl. Die: 
ſes Rupfen fann dann etwa alle 8—9 Monate 


61 





480 


wiederholt werden, denn fo lange brauchen die 
auögerupften Federn, um wieder nachzuwachſen 
und fich zu voller Größe zu entwideln. Nur 
wenn die Vögel fi paaren und zu brüten 
Miene machen, darf man fie nicht rupfen, weil 
fie ihrer Federn bedürfen, um die Eier im Nefte 


zu bededen und die Wärme während des Brut: | 


prozejies zu regeln. Die Federn, welde man 
ihnen nad) dem Brüten ausrauft, find, auch von 
geringerem Werte als fonft, weil fie gewöhnlich 
ſchmutzig, abgeſtoßen und zerfetzt find. 

Mit dem Paaren der Strauße iſt es eine 
eigene Sache, denn wenn man ein Männchen 
und ein Weibchen zuſammenbringt, iſt es noch 
keineswegs ſicher, daß ſie ſich paaren; vielmehr 
iſt es Erfahrungsſache, daß die Strauße hierin 
ſehr wähleriſch find, eine förmliche Zuchtwahl 
treiben und einander ohne Neigung nicht an— 
nehmen. Man kann ſie oft monate-, ja ſogar 
jahrelang zuſammenſperren, ohne daß ſie ſich 
paaren. Sobald ſie ſich aber gepaart haben, 
bringt man Männchen und Weibchen zuſammen 
in ein Gehege, das je größer deſto beſſer iſt, 
und gibt ihnen, außer dem Futter, das ſie ſelbſt 
hier finden, noch weiteres Futter wie Luzerne, 
Mangoldwurzel, gehacktes Fleiſch und auch 
Knochen, ohne welch letztere ſie beide nicht ge— 
deihen. Während der Legezeit iſt das Männchen 
ſehr wild und eiferſüchtig und greift furchtlos 
jeden Menſchen und jedes Tier an, welche in 
ſeine Nähe kommen, und ein Schlag von ſeinem 
muskelkräftigen Bein vermag unter Umſtänden 
einen Menſchen zu töten. Die Henne legt jeden 
zweiten Tag ein Ei, bis deren 15—18 im 
Nefte liegen, das nur ein in den fandigen 
Boden gefcharrtes, napfförmiges, feichtes Grüb- 
hen ift. Das Ausbrüten dauert in der Negel 
6 Wochen, und Männchen und Meibchen 
ſitzen umſchichtig auf den Eiern, und zwar das 
Weibchen bei Tage, das Männchen bei Nadıt. 

Diefe Vögel zeigen einen wunderbaren, an 
Sntelligenz grenzenden Grad von Inſtinkt in 
der Negelung der zum Ausbrüten der Eier er: 
forderlihen Wärmemenge. Während der Nacht, 
am frühen Morgen und am Abend ruht der 
ganze Körper auf dem Gelege, und die aufen- 
liegenden Eier werden mit den auägebreiteten 
Flügelfedern bevedt. Wenn aber die Tageshite 
zunimmt, erhebt der Strauß feinen Körper all: 
mählih mehr und mehr und fit dann nur 
fauernd über denjelben. In den Mittags: 


jtunden, wenn die Hite am größten ift, verläßt | 


Otfried Mprlius, 


die Henne das Neft und äft fich einige Stunden 
in befjen nächfter Umgebung , bis die Sonnen: 
hitze nachläßt, worauf fie fich wieder auf die 
Eier jegt, und nah Sonnenuntergang das 
Männden fie ablöft. 

Da aber niemals das ganze Gelege ausge: 
brütet wird, fondern immer einige der aufen- 
liegenden Eier verloren gehen und weil der 
Eigentümer meift aud) die ſchönen Federn des 
Brutpaares nicht einbüßen will, ſo bedient man 
fih auf größeren Straußenfarmen aud) eines 
Brutfaftens zu künſtlicher Ausbrütung, von 





Gin Brutlaften. 


welhem wir obenjtehend eine Anficht geben. 
Derfelbe enthält in drei Neihen 6 Schub: 
laden, deren jede 10—12 Eier aufnehmen 
kann, welde in Wolle eingebettet liegen. Die 
Heizung gefhieht durd Röhren mit erwärm: 
tem Waffer, welche zwiſchen den Schubladen 
in der Längenachſe des Kaſtens angebradt 
find und eine fonftante Wärme von etwa 
40—42° C. erhalten. Der Brutfaften brütet 
allerdings alle Eier fiherer aus als die Mutter, 
aber man hat doch manche Bedenken dagegen, 
und viele Züchter behaupten, es fei befier, die 
Vögel ihre Gelege ſelbſt ausbrüten zu laſſen. 
Wenn man nämlich die gepaarten Strauße fo: 
wohl auf dem Nefte ala während des Brütens 
aut füttere, jo beginne die Henne etwa vier Wo: 
hen nah dem Ausfchlüpfen der erften Brut 
wieder zu legen und bringe auf diefe Weife 
meift drei, aber auch fogar vier Bruten nad): 
einander im Jahre zu Stande, und die natürlid) 
ausgebrüteten Jungen feien fräftiger als die— 
jenigen aus dem Brutfaften. Nehme man aber 
einem Paare das erjte Gelege hinweg, fo wet: 
gere fih die Henne oft, zum zweitenmal zu 


Die fünflliche Straußenzucht in Südafrifa. 


legen, und dies fei dann ein Verluft für den 
Züchter. Thatjache ift, daß das brütende Paar 
die Eier eines Geleges jeden Tag einmal um: 
wendet, damit ihnen eine gleiche Wärme zu 
teil werde. 

Die Straußenfüchlein, gleihviel ob natür: 
lich oder fünftlic ausgebrütet, find fehr zart, 
und bedürfen vom Anfang ihres Lebens an 
ftet3 der aufmerkſamſten Pflege. Man bringt 
fie daher in befondere Gehege, wo fie jehr gut 
gefüttert und forglid vor Kälte und Näfie be: 
mwahrt werden, die ihnen ſehr ſchädlich find. 
Man gibt ihnen gelegentlich gehadtes Fleisch, 
Kaldaunen ꝛc. und namentlich gehadte ſalz— 
haltige Pflanzen, wie fie an vielen Stellen der 
Wüſte häufig vorfommen, und reicht ihnen von 
Zeit zu Zeit eine Abkochung von Granatwurzel 
gegen die Eingeweidewürmer, von benen fie 
ſehr heimgeſucht werben, glei den jungen 
Truthühnern. Die Entwidelung der Jungen 
ift eine außerordentlich rafche, und bei genügen: 
dem Futter erreihen fie binnen Monatöfrift 
ihon die Größe einer Trappe und binnen 16 
bis 18 Monaten ihre volle Größe. Man hält 
die jungen Strauße für ſich in gefonderten Ge- 
hegen in der Nähe eines Haufes und unter 
jteter Aufficht und reihliher Fütterung mit ge: 
mifchter Nahrung, denn man hat beobachtet, 
daß der Strauß zwar fein gefräßiger Vogel ift, 
obwohl er alles verfchlingt, was er findet: 
Steine, metallene Gegenftände, Holz, Leder: 
zeug, Werg und namentlich gern Knochen; daß 
er aber auch MWüftenratten, junge Vögel, Frö— 
fche, Eidechſen und andere Tiere aller Art ver: 
ſchlingt, wenn er ihrer habhaft werben kann. 
Die jungen Strauße werden gewöhnlid) der 
Auffiht eines Weißen übergeben, weil ein 
Hottentotte, Kaffer oder Gricqua ihnen nicht 
die notwendige Sorgfalt fchenfen würde, und 
find außerordentlich zahm und zuthunlid; fie 
folgen dem Rufe ihres Wärters und halten fi) 
gern in der Nähe des Haufes auf, gewöhnen 
ſich aber fpäter, wenn fie zu den großen Herden 
verjeßt werben, bald auch an die alten Vögel, 
von welchen fie gern geduldet werben. 

Man findet dermalen im Kaplande viele 
Straußenfarmen, auf welchen Herden von je 
200—300 Straußen weiden, die einen be: 
deutenden Wert repräfentieren und einen fehr 
fhönen und verlodenden Ertrag liefern. Die 
einzelnen Vögel find allerdings an Ertrags— 
fähigfeit oder Ergiebigkeit bezüglich der Federn 


481 


äußerjt verjchieden, denn von ben einen ge: 
winnt man bei jedem Rupfen (clipping) 
nur Federn im Werte von 3, bei anderen aber 
bis zu 15 Pfd. Sterl. Diefe Ergiebigteit hängt 
wejentlih von der Beichaffenheit der Vögel 
während der Zeit ab, in der ſich die Federn 
bilden; gut genährte Vögel liefern die ſchönſten 
Federn. Früher raufte man ihnen alle Federn 
zu gleicher Zeit aus und damit auch viele, 
welche noch nicht vollftändig ausgewachſen waren, 
was dann ben Vögeln große Schmerzen und 





Ein Zmrifampf. 


fogar heftige Blutungen verurfadhte und bie 
federerzeugenden Eigenschaften der Schwingen 
fehr beeinträchtigte. Jetzt verfährt man ratio: 
neller und ſchneidet die vollflommen ausge: 
bildeten Flügel: und Schwanzfedern mit einer 
ſcharfen Scheere tief am Kiel ab, wodurch der 
Vogel mehr geichont wird und die abgejchnittene 
Feder fchneller und fchöner wieder nachwächſt. 

Man kann zwar in allen Teilen der Kap: 
folonie Strauße züchten, vielleiht mit Aus- 
nahme der höheren, falten, gebirgigen Tafel: 
länder, allein fie gedeihen am beiten auf den 
ausgedehnten Karru:-Ebenen, welde ihre natür: 
lihe Heimat find. Man kann fagen, daf alle 
Dertlichkeiten, auf welchen Merinofhafe ge: 
deihen, auch den Straußen am beten zufagen. 
Sie können jedod das Waſſer nicht ganz ent: 





482 


behren, denn der Strauß iſt einer der wenigen 
Vögel, welche harnen, und fie faufen reichlich, 
wenn fie an Quellen und fliegendes Waſſer ge: 
langen. Ebenſo lieben fie auch beſonders wür: 
zige Bilanzen, fowie jene falz: und fodahaltigen 
Gewächſe wie Mefembryanthemum, Salsola 
sala, Chenopodiaceen 2c., die in der Nähe der 
Meeresküſte wachjen, und deshalb werden aud) 
die an der Küſte gezüchteten Jungen die ſchön— 
ften und Fräftigiten. 

Wenn man eine Straußenfarm anlegen 
will, jo muß man auf diefe genannten Erforber: 
niffe im voraus bedacht nehmen und auf jeden 
Vogel, mit welchem die Farm bejegt werben 
foll, mindeftens 1 Heltar Flächenraum red): 
nen. Die Umzäunung einer folden Area von 
200— 300 Heltar in einem verhältnismäßig 
holzarmen Lande erheifcht daher von vornherein 
ein großes Anlagelapital, die Beſchaffenheit 
der Vögel ſelbſt Fein kleineres; aber der Ertrag 
ift troßdem ein höchft lohnender, jo daß viele 
Kolonisten die wegen der auftralifhen Kon: 
furrenz immer weniger lohnende Schafzucht auf: 
gegeben, andere jogar ausgedehnte Getreide: 
ländereien in Straufengehege verwandelt und 
fi ganz auf Straußenzucht verlegt haben, viel: 
leicht zum Nachteil der übrigen Landwirtfchaft 
der Kolonie, und nocd immer werben große 
Kapitalien im Kapland in der Straußenzucht 
angelegt, welche verhältnismäßig nicht fchwierig 
ift. Dan muß nur alle Jahre gewiſſe Streden 
des run oder freien Laufs im Gehege mit Lu: 
zerne und anderen Yutterpflanzen anbauen und 
diefe Felder umzäunen und die Vögel davon 
abhalten, bis die Saat genügend herangewachfen 
it, um den Straußen zum Abmweiden überlafjen 
zu werden, denn wenn biejelben über die junge 
Saat fümen, würden fie diefe mit der Wurzel 
herausreigen. Die Strauße find jedoch überaus 
zahm, mit Ausnahme der Brutzeit, und laſſen 
ſich leicht treiben. Ein paar Männer mit langen 
dornigen Afazienzweigen find imftande, die 
ganze Herde von einem Ende des run zum an: 
dern zu treiben, ohne daß die Vögel wider: 
ipenftig werden. Im Gehege felbit find die 
Strauße jo zahm und vertraulich, daß fie den 
Fremden ganz dicht heranfommen laſſen, ohne 
fih zu fürdten, dah fie ihm aus der Hand 
freſſen und ihm fogar die Knöpfe vom Nod ab: 
beißen. Sie verfchlingen Gegenftände von der 
Größe einer Drange mit Leichtigfeit und ohne 
zu fauen, und man fan, ba die Speijeröhre 


Otfried Mylius, 


jpiralförmig um den langen Hals des Straufes 
herumläuft, ganz leiht den Weg verfolgen, 
welchen der verihludte Gegenjtand nimmt. 
Mimofen: und Afazienbäume werben oft von 
ihnen gefhält; haut man ihnen die Blätter der 
wild wachjenden Kaktus und Aloen ab, was 
man aus diätetiſchen Nüdfichten oft thut, 
jo frejlen fie diefelben gierig, d. h. fie ver: 
ihlingen diefelben wie auch die jungen Triebe 
und Samen ihrer Lieblingsgemächfe, ohne fie zu 
fauen, und überlaſſen es ihrem fprichwörtlid 
gewordenen guten Magen, die rohe Mafje zu 
verbauen, 

Bösartige oder tüdiishe Vögel find unter 
ihnen felten, denn ungereizt ift der Strauß ein 
harmlojes Gefhöpf, außer zur Paarungözeit 
und zur Brutzeit. Aber einer Henne das Ge: 
lege wegzunehmen, ift immer mit einiger Gefahr 
verbunden, Wenn es nicht gelingt, das Paar 
von dem Nejte hinweg und aus dem fpeciellen 
Gehege hinauszuloden, 3. B. durch Futter, fo 
müfjen einige Leute die beiden Vögel beichär: 
tigen und vom Nefte hinweg loden, mährend 
einige andere die Cier aus dem Nefte nehmen. 
Die beiden erjteren haben dann immer eine Art 
Zweifampf mit den Straußen zu beftehen, ber 
nicht ohne Gefahr für den Menfchen iſt. Der 
Wärter (meift ein Hottentotte oder Gricqua) 
muß fich feiner einzigen Waffe, einer langen 
dornigen Afazien: oder Mimofengerte, geſchickt 
bedienen, um den nadten Hals des Straußes, 
feine empfindlichite Stelle, zu bedrohen und ſich 
den Vogel damit fo weit vom Leibe zu halten, 
daß derjelbe ihn nicht durch Ausfchlagen des 
Beines treffen kann, wodurd) er ihm leicht einen 
Arm oder ein Bein zerfchmettern würde. 

Belanntlic haben feit einigen Jahren unter: 
nehmende Engländer den eigentlichen afrifani: 
ſchen und weitafiatiihen Strauß auch nad) Süd: 
amerifa verpflanzt und in den Pampas am La 
Plata und in Patagonien zu acclimatifieren ver: 
ſucht, wo ja auch der etwas Fleinere amerikaniſche 
Strauß oder Nandu (Struthio Rhea, Rhea 
americana) heimiſch ift, deſſen Gefieder feine 
Schmudfedern liefert. Dieſe Verſuche, den 
echten Strauß dort in Maffe zu züchten, follen 
Erfolg verſprechen, allein bis zu welchem Um: 
fang diefelben gediehen find, darüber mangeln 
uns noch authentische Berichte. 

Zum Schluffe nod einige Worte über die 
Straußenfedern felbjt, auf deren Gewinnung 
die ganze Zucht abzielt. Die prächtigen weihen 


Die fünftliche Straußenzucht in Südafrifa. 


Schmudfedern, nad welchen die Damen in ber 
ganzen Welt jo lüftern find, wachſen nur an 
den Enden der furzen Schwingen der männ— 
lichen Bögel. Ein ausgewachſener und wohl: 
bejchaffener Vogel liefert alle acht bis neun Mo: 
nate 20—40 derjelben und einige jchwarze 
Federn ebenfalls von den Schwingen. Die 
Schwanzfedern find nicht fo ſchön und darum 
auch nicht fo wertvoll. Auch die Henne hat an 
den Flügeljpigen fhöne Federn, allein niemals 
von ganz reiner Farbe, fondern meiſt gräulic) 
oder mit Grau gefledt und geiprenfelt, und 
diejenigen Schwingenfebern, welche beim Männ— 
chen ſchwarz find, find bei der Henne grau. Die 
„Hennenfedern“ werben minder teuer bezahlt. 
Von den langen Schmudfedern gehen 120 bis 
130 Stüd auf ein Pfund; fie werben immer 
nad) dem Gewicht verfauft und auf ben eng- 
liſchen Markt geſchickt, welcher die übrige Welt 
damit verforgt. Die Verſendung gejchieht mit- 
tels forgfältiger Verpadung in Kijten, worin 
die Federn glatt übereinander gelegt find, mit 
dazwischen geftreutem Pfeffer: oder Tabaljtaub, 
um die Motten abzuhalten. Jede Kijte ift ſorg— 
fältig in Sadleinwand eingenäht und auf meh: 
reren Säumen und Nähten verfiegelt, um Be: 
trügereien vorzubeugen. Das Sortieren ber 





483 


Federn nah dem Rupfen oder Abjchneiden ift 
ein Gejchäft, welches bedeutende Sorgfalt und 
Uebung erfordert, damit die Federn den ent: 
Iprechenden Erlös erzielen. Wie groß aber aud) 
ſchon jegt die Produktion an Straußenfedern in 
der Kapfolonie ift, jo find die Preiſe doch nod) 
nicht zurüdgegangen und der Abfag ein ganz 
leichter. 

Es gibt in allen Teilen der Kolonie 
Händler, weldhe die Straußenfedern jederzeit 
auffaufen, und in allen größeren Städten der 
Kolonie werden regelmäßige Markttage abge: 
halten, an denen die Federn öffentlich verjteigert 
werben. Hier erjtehen die Großhändler ihren 
Bedarf und ſchicken denfelben gerade fo, wie die 
Federn vom Vogel fommen und ohne alle Zu: 
richtung, nad) England, wo dieſelben nad ihrer 
Ankunft in die Hände derer wandern, welche fie 
herrichten, reinigen, fräufeln, nad) dem Tages: 
geihmad färben u. dergl., woraus ein ganz 
intereffanter Jnduftriezweig geworden, wenn er 
vielleicht auch nicht fo lohnend iſt wie die neu 
aufgefommene fünftlihe Zucht der Strauße mit 
Abficht auf die Gewinnung der Federn, welde 
wir als ein Kuriofum von neuer praftifcher 
Ausbeutung der Naturfunde unjeren Lejern 


ſchildern wollten. 


Eine Herde junger Straube. 


484 


u, Gobin. 


Die Madonna mit den Jilien. 
Erzählung von X. Godin. 


un muß ich zur Bahn,“ jagte ein 
fleiner, behender Mann zu einem 
zweiten, der ihn um eine halbe 
Kopfeslänge überragte. 
„Schon?“ entgegnete dieſer 
und zog die Uhr: „Wir haben Zeit vollauf, ich 
begleite dich.“ 

Er nahm gleichfalls feinen Hut zur Hand 
und die jungen Männer wanderten plaudernd, 
gemächlich durch die ſommerlich belaubten An: 
lagen. 

: „Schade daß du nicht bleiben kannſt,“ ſagte 
der Hochgewachſene. „Mir gefällt es hier, doch 
weiß ich im voraus, daß ich während dieſer 
müßigen Wochen viele Grillen fangen werde. 
Etlihe taufende davon hätteft du mir ver: 
ſcheucht.“ 

„Du? Grillen? Warum nicht gar! Du biſt 
dein Lebtag ein Glückspilz geweſen, mit dem 
ich jeden Augenblick tauſchen möchte.“ 

„Auch jetzt?“ 

„Gerade jetzt! Mein Gott, du biſt ja nicht 
krank, Robert, nur müde, ein bißchen aufgebraucht 
durch zu viel Leben. Und welches Leben! wenn 
ich dich für beneidenswert erkläre, ſo hege ich ja 
deshalb nicht ſchnöden Neid, wir gönnen dir alle, 
was dir geworden, es iſt an den rechten Mann 
gekommen. Glück war aber auch dabei! Auf 
dem angenehmen Ummege eines Stipendiums 
für Jtalien in gelehrte Hände zu fallen und den 
interefjanteften Sommer in Griechenland er: 
leben zu dürfen, ift ein Glüd!“ 

„Das ich mit meiner Geſundheit bezahle.“ 

„2a, la! jo ſchlimm iſt es nicht. Du haft 
dich überarbeitet, zu anhaltend gezeichnet, die 
Hitze dazu — das hat dein Nervenfyitem momen: 
tan beunruhigt, jehs Wochen Seebäder und 
alles fommt in Ordnung. Du biſt höheren 
Drtes famos angejchrieben, zum Winter wird 
man eine fchöne Baumeifterjtelle für dich parat 
halten, es fehlt dir ja nicht an Gönnern und 


Freunden. Ganz gewiß wirft du in W. placiert | 


und befommft eine interefjante Aufgabe nach ber 
anderen. Und dein gegenmwärtiges Schickſal iſt 
auch nicht zu verfchmähen. Hier lebt ſich's köſt— 
lich — welche Luft! und wie viele hübſche Ge: 
fihter find ung feit gejtern fchon begegnet. Mit 
ſolchem Material wüßt' ich ſechs müßige Wochen 
vortrefflich auszufüllen, und nun fol ein bild: 
ſchöner Kerl wie du !* 

Er hob feinen buſchigen Kopf mit Der ge: 
heiten Maufe:Phyfiognomie und mujterte den 
Freund diesmal wirklich mit etwas neidifchem 
Blick von oben bis unten. „Von alters ber 
find dir überall die Mädels nachgelaufen!“ 

Nobert zudte die Achſeln. „Unfinn! den 
Hall aber angenommen, hätteft du, werter Hans, 
irgend ein Vergnügen an Mädels, die mit ihrem 
Herzhen auf dem Präfentierteller dir nad) 
jpazierten?“ 

„D ja!” fagte Hans innig. „Großes Ver: 
gnügen; leider thun ſie's nur nicht. Du bift ein 
falter Fiſch, aber gib acht, dein Stündlein wird 
auch noch jchlagen.“ 

Der Schöne gab feine Antwort; feine Augen 
folgten einer Geſtalt, dDieeben, aus dem Wäldchen 
fommend, deſſen Fortſetzung die Anlagen bil: 
deten, quer über den Weg gefchritten war und 
die Richtung nad dem Strande einhielt. Eine 
hohe Figur, die durch einen weiten, dunkel— 
blauen Radmantel verhüllt war. Ein weißes, 
leiht über den Kopf gemworfenes Spitentuch, 
dejjen Enden ſich unter dem Kinn verknüpften, 
verbarg das Haar beinahe volljtändig. Nur das 
ichmale Geficht blieb frei. Die ſchlanke, unbeklei— 
dete Hand umſchloß zwei hohe Lilienftengel, die 
fie in derfelben unverrüdt aufrechten Linie er: 
hielt, welche auch die langjam jchreitende Ge: 
jtalt zeichnete. Als fie bereits verfhmwunden war, 
erfüllte der feine Blumenodem nod) die Luft. 

„Du bift zerjtreut, Robert,“ fagte der Kleine, 
welcher ununterbrochen weitergeſchwatzt hatte, 


‚ während die Gefährten den Hügel erftiegen, der 


zum Bahnhofe führte, „woran denfit du?“ 


Die Madonna mit den Kilien, 


„Diefe Frau hat mich ganz merfwürbig an 
eine Madonna aus meiner Kinderzeit erinnert — “ 

„Eine fhwarze Madonna!“ lachte Hans, 
„Du haft doc) fonft fharfe Augen im Kopfe; 
wenn du die Blaue meinft, welche vorhin mie 
ein umgefehrtes Ausrufungszeihen an uns vor: 
beiftelste, fo made ich deiner Phantafie mein 
Kompliment. Die — eine Madonna !mir ift fie 
auch aufgefallen, durch ihren Mulattenteint und 
ihre Häßlichkeit.“ 

„Es ift doch nicht anders,“ fagte Robert 
heiter, „Daheim in meinem Geburtsörtchen 
fteht eine Kleine Kirche auf dem fogenannten 
Berg — ein Maulwurfshügel natürlih. Die 
Mutter ging gern dorthin beten, und es war 
mein Höchites, mitgenommen zu werden. Da 
gab es Gold und Farben vollauf, und der Zopf— 
ftil mit den bemalten Engelsföpfen, die aller: 
wärts zwifchen vergoldeten Flügeln herunter: 
ſchauten, war mir damals gerade recht. Ueber 
dem Altar hing ein Muttergottesbild, vor dem 
immer zwei Kerzen brannten. Ich ſeh' es och, 
und eben jah id) es wieder. Das trug Lilien 
gerade fo vor fich her, im blauen Mantel, mit 
dem Schleiertuch auf dem Kopf.“ 

„Hm!“ madte Hans, „über Gefhmad 
follten Architekt und Maler eigentlih nicht 
ftreiten! meine Augen proteftieren aber gegen 
deine Heilige. Zum Glüd ift fie reichlichmajorenn, 
und jo hat es wenigitens feine Gefahr. Ade 
nun, alter Freund, werde friſch und laſſe bald 
von dir hören!” 

Nobert Haag fchlenderte ruhig dem Kur: 
haufe zu, deſſen Mittagsjtunde nahe war, und 
wohin er nach Tiſch aus dem Gajthofe, der die 
Reifegefährten für eine Nacht aufgenommen, 
für die Dauer feiner Kurzeit überfiedelte. Die 
wenigen geräumigen Gelaſſe des Haufes waren 
bereits vergeben, der junge Baumeijter hatte 
deshalb zwei der nah dem Balkon mündenden 
Bimmerden in Beichlag genommen, wozu der 
Schöne Ausblid nad der Dftjee ihn verführte. 
Als er fih aber nun wirklich in den winzigen, 
fajütenartigen Räumen einrichtete, überfam ihn 
Neue, nicht lieber eine Privatwohnung bezogen 
zu haben. Freilich bedurfte er des Raumes 
einzig für feine Perjon; Bücher und Zeichnungs: 
mappen, von denen er fich fonft auch auf Reifen 
nie gänzlich trennte, ftanden diesmal auf dem 
Inder des Arztes, 

Etwas ermüdet von dem Surren vieler 
Stimmen am Mittagstifche, die ihm an das Ohr 


485 


gedrungen waren, ohne daß ihn auch nur eine 
der dazu gehörigen Phyſiognomieen interejitert 
hätte — etwas gelangweilt, ftredte er ſich auf 
das harte Sofa feines ſechs Duadratlängen 
und vier Quabdratbreiten meſſenden „Salons“, er: 
gab ſich einem tröftlihen Mittagsfchläfchen, 
träumte von Rom, und rettete ſich jpäter vor 
dem im Kurgarten fchmetternden Konzert durd) 
eine Nefognoscierung der Landſchaft. Ziemlich 
ipät, jchlafmüde, und mit der Abficht, Feinesfalls 
länger im Haufe zu bleiben ala während der 
bereits abgeſchloſſenen Mietszeit, kehrt er in feine 
Kabine zurüd. 

Als er am nächſten Morgen ausgeſchlafen 
hatte, jtand der Barometer feiner Yaune be: 
deutend höher und zeigte ebenfo gutes Metter 
als die Sonne, welche die Melt heute überbligte. 
Raſch begab er fi nad) dem Strande, nahm in 
der funfelnden, himmelblauen See fein erjtes 
Bad und fehrte erfrifcht, zugleid) hungrig zurüd, 
um von einer aus feiner Klaufe wirbelnden 
Staubwolfe begrüßt zu werden. Himmel! hier 
fehrte man jchon bei grauendem Morgen. Eben 
war er im Begriff, ſich hinab in den Speijefaal 
oder auf die Veranda zu flüchten, als der die— 
nende Geift ihn frug, ob er den Kaffee auf dem 
Balkon ferviert wünfhe? Er warf einen flüch— 
tigen Blick durch die weitgeöffnete Glasthür, 
ſah nur fehr wenige der Fleinen Tiſche draußen 
befeßt und ftimmte zu. Während er auf fein 
Frühſtück wartete und dann und wann einen 
Bli in die mitgebradhte Zeitfchrift warf, über: 
fchaute er den, um die ganze erfte Etage des 
Haufes laufenden Balkon. Nor jedem der, nad) 
Anzahl der Thüren zu fchliegen, zahlreichen 
Zimmer ftand ein rundes Tiihchen, mit der 
uniformroten Frühftüdsdede verfehen. Die Glas: 
thüren, welche zu diefem gemeinſchaftlichen Bal: 
fon führten, waren weniger uniform; auf den 
erſten Blick ließ fich erfennen, hinter welchen der: 
felben eine Dame noch ihr jchlummermüdes 
Haupt barg; nicht die gewöhnlichen Gafthof: 
verräter, zierlihe Stiefelhen, fondern nod) viel 
Bierliheres gab das Erfennungszeichen : vor den 
betreffenden Fenſtern ftanden nämlich in mehr 
oder minder primitiven Gefäßen friſche Blumen, 
welche für die Nacht aus den Schlafzimmern ver: 
bannt worden. 

Während Robert Haag diefe Beobadhtung 
machte, wehte ihm der Frühwind mit einemmal 
würzigen Duft zu. Er wandte den Kopf und 
jah etwas hinter fih, vor dem zweitnächſten 


Fr 








486 


Fenſter, ein paar hohe Liltenftengel in einem 
henfellojen Bunzlauer Kaffeetopfe ftehen. Neu: 
gierig behielt er nun diefe Thür im Auge; um: 
fonft, fie that fich nicht auf und bald zog Robert 
vor, fid) dem leuchtenden Bilde zuzuwenden, das 
Meer und Strand boten. Fern ragte der Leucht— 
turm, wie mit feinem Pinfel gezeichnet, in die 
blaue Luft. Segelſchiffe ſchwammen wie goldene 
Bunfte auf dem windſtillen Waffer, drunten im 
grünüberfchatteten Garten tauchten cinzelne Ge: 
jtalten auf und verſchwanden wieder. Ein leifes 
Klirren genügte jedoh, dem Kopf des Bau: 
meiſters eine andere Richtung zugeben. Erraten! 
an dem Tiſchchen dort, auf welches die Auf: 
wärterin eben ihr Theebrett niederjtellte, ſaß 
die von Lilien unzertrennliche Geftalt, heute wie 
gejtern vom blauen Mantel umhüllt, mit dem 
weißen Schleiertuch über dem Kopf. 

Der junge Mann veränderte unmerklich feine 
Stellung ein wenig, nahm fein Journal als 
Schild vor das Gefiht, und blinzelte darüber 
hinweg. Ganz unnötige Vorfiht; die Dame 
nahm jo wenig Notiz von ihm, als von den üb- 
rigen Perfonen, die nad) und nad einzeln hier 
oben auftauchten. Auch fie las, während fie 
langfam ihr Frühftüd genoß; da fie aber fein 
großes Blatt, fondern nur ein kleines Buch in 
den Händen hielt, fonnte Robert fie ungehindert 
betrachten. 

Hans hatte recht; dieje Frau war weder 
jung nod) jchön, fie fonnte ſogar auf das gegen: 
teilige Prädikat Anspruch machen, um jo mehr, 
als ihre Bewegungen auch nicht eine Spur von 
Anmut verrieten. Troßdem betrachtete Nobert 
fie mit unvermindertem Intereſſe; auch ohne 
Lilien in den Händen gli fie dem jchlichten, 
dunfeln Bildwerfe, das er jo getreulih im Sinn 
behalten hatte. Die außerordentliche Ruhe ihrer 
Haltung erhöhte ihm die Illuſion. Alte Zeiten, 
längſt übermalt von farbenbunteren Gebilden, 
ftiegen in feiner Erinnerung auf. Die Mutter, 
das heimatliche Landſtädtchen, die fröhliche 
Kindes: und Knabenzeit! ein Hang ergriff ihn, 
dort wieder einmal hinzufommen, eine jonder: 
bare Sehnſucht, die er im nächſten Moment felbjt 
belächelte. Faft im gleihen Augenblid hob fid) 
auch feine Illuſion auf. Die Dame jtreifte mit 
einer ihrer gelafjenen Bewegungen das Tuch 
vom Kopfe, der ihm nun, von diefer Umrahmung 
frei, ganz fremd und wenig anziehend erichten. 
Die Züge des länglicen Gefichtes waren nicht 
unregelmäßig, aber reizlos, und bie einzige 


OO 


U, Gobin. 


Schönheit, welche diefem Kopfe eigen: reiches 
braunes Haar, war fo unvorteilhaft ala möglich 
verwertet; mit puritanifcher Schlichtheit feſt um 
das Haupt gelegt, trug e3 nichts dazu bei, Die 
allzu hohe Stirne zu beſchatten. 

Enttäufcht wandte fich Robert zu feiner Zef- i 
türe zurüd, beendete den begonnenen Artifel, 
trat dann einen Moment in fein Zimmer, fich 
Cigarren zu holen, und fam, als er jeinen Platz 
wieder einnehmen wollte, eben recht, um feine 
Zeitichrift auf Flügeln des Windes der blauen 
Dame zuflattern zu fehen. 

Sie hatte ſich danad) gebüdt, ehe er heran 
war, hielt die Brofchüre in der Hand und warf 
einen Blid darauf. Als er mit leichter Ver— 
beugung vor ihr jtand, fah fie auf und fagte 
etwas zögernd, mit wohlflingender, entfhieden 
norddeutſch accentuierter Stimme: 

„Wenn e3 nicht allzu unbefcheiden erfcheint, 
möchte id} bitten, dies journal einen Augenblick 
zurüdbehalten zu dürfen.“ 

„Mit Vergnügen, gnädige Frau. Nur ift 
e3 leider eine alte Nummer. ch erwarte erft 
Nachſendung.“ 

„Wie ich eben bemerkte, enthält dieſe Num— 
mer einen Artikel, auf den ich brieflich aufmerk— 
fam gemacht wurde, und der mich interejfiert, “ 
jagte fie. „Das Blatt ift hier nicht zugänglich. * 

Robert zog fid nad) ein paar zuftimmenden 
Worten an feinen Tiſch zurüd. Nun hatte er 
das Bild ganz in der Nähe geſehen; es war in 
der That häßlich. Und doch gab es etwas in 
diefem Gejicht, was bei ihm zurüdblieb. Nie zu: 
vor war ihm bei einer Frau ein Blid fo voll 
Nuhe und Verjtand begegnet. Die Haren, nuß— 
braunen Augen wedten den Wunfch nad Be: 
fanntjchaft mit dem Geifte, der daraus hervor: 
blidte. Robert beſchloß, den Zufall diefer An: 
fnüpfung nicht unbenußt zu lafjen und ſich ge: 
legentlich zu überzeugen, ob die Nede dem gar 
Hugen Blid entiprechen würde. Daß die Fremde 
auf den Artifel gefpannt war, deſſen fie gedacht, 
verdarb nichts an den wenigen Worten, die er 
von ihr gehört; der Aufſatz, deſſen Ueberjchrift 
ihr Blick gejtreift, während ſie ſprach, war von 
feiner eigenen Feder, eine gedrängte Darftellung 
der in Athen verlebten Zeit, die er im Anſchluß 
an einen von der Negierung zum Zwed arhäo: . 
logiſcher Unterfuhungen entjendeten Gelehrten 
reich ausgenutzt hatte. 9 

Die Dame verſchwand bald Hinter ihrer \ 
Glasthüre und fam nicht mehr zum Vorfchein. 1 








Die Madonna mit den £ilien. 


Nach einer halben Stunde etwa überbradhte ihm 
die Aufwärterin fein Journal mit der Aus: 
rihtung: „Fräulein Böhm ließe danken.” Er 
wunderte fih; anmutlos wie die Erjdeinung 
war, trug fie doch nichts Altjüngferliches an ſich. 
Meder bei Tiſch noch gegen Abend am Strande 
ober auf dem Stege, mo die Kurgäſte des fleinen 
Badeortes faft unvermeidlich einander jtreiften, 
war eine Spur bes blauen Mantel3 zu jehen. 
Am folgenden Morgen ſaß aber das Fräulein 
zeitig am Frühſtückstiſch, heute ohne Hülle, in 
einfahem grauem Kleide, deſſen Schnitt zwar 
der herrjchenden fnappen Mode nicht entſprach, 
ihrer etwas hageren, doch gutgebildeten Gejtalt 
aber zum Vorteil gereichte. Robert grüßte und 
erhielt eine leichte Kopfbewegung zum Dank. 
Er hätte die Nachbarin gerne angeſprochen, doch 
fehlte e8 dazu an Gelegenheit. Wäre der Ar: 
tifel, den fie gelefen, nicht von ihm jelbjt ge: 
wejen, fo hätte ſich fragen laffen, wie derfelbe 
ihr gefallen. Sein Name ftand feit gejtern 
Abend im Fremdenbuch, fonnte ihr möglicher: 
weiſe befannt geworden fein, da erfchten es ihm 
nicht am Plate, ohne weiteres an die vom Winde 
eingeleitete Blätterbefanntjchaft anzufnüpfen. 
Ueberdies ſchien das Fräulein ganz in ihr kleines 
Buch vertieft. Im Laufe des Tages traf der 
junge Mann Bekannte, ließ fih zum Ausfluge 
nad) einer ſchönen fürftbifchöflichen Parkanlage 
und zum gemeinjchaftlichen Abendeffen im Kur: 
garten bereden, wovon er angeregt heimfehrte, 
durch eine fchlaflofe Naht und große Abſpan— 
nung des nächſten Morgens aber fühlbar an das 
ärztliche Gebot erinnert wurde, ſich ganz ftille 
zu verhalten. Die Melancholie, welche den erjten 
Eindrüden des Ortswechſels, der friſchen See: 
luft momentan gewichen war, bemächtigte ſich 
plöglid; wieder jeiner Stimmung. Das thätige, 
lebhafte, an jtete Regſamkeit gewöhnte Naturell 
empfand den Kontraft zwifchen einer, noch ganz 
nahe liegenden, mit Arbeit und Intereſſe aller 
Art überfüllten Vergangenheit und der gebun- 
denen Gegenwart fo ſcharf, daß er, wie ſchon in 
mancher ähnlichen fchweren Stunde, an Her: 
jtellung feiner erjchütterten Kräfte nicht zu 
glauben vermochte, noch weniger fich zur Refig: 
nation hinauf: oder hinabzuftimmen geneigt war. 
Es gibt nichts Bedrüdenderes, als fich zugleich 
in zu ſtarken und zu Schwachen Kräften zu fühlen 
— neben vielem, was da ift, alles zu erkennen, 
was fehlt, um den ganzen, vollen Menjchen in 
fein Gleichgewicht, fein unentbehrliches Lebens 


487 


bemwußtjein zu verfegen. Diefe Schwere laftete 
jet um fo drüdender auf Robert Haag, als ihm 
bisher nur Erwünſchtes zuteil geworden mar. 
Eine glüdlicher beanlagte Natur fonnte es nicht 
geben. Dffenen, empfänglichen Geiftes, Fünft: 
lerifch in allem, was den Gefchmad, im höchſten 
Sinne, anging, dabei von gemäßigtem Tempera— 
mente, befriedigte ihn das Leben wie fein Beruf, 
Als ihm unverhoffte Gelegenheit ward, Rom 
und Athen zu fehen, fühlte er fich hoch beglüdt. 

Mo blieb nun aber dieje leuchtende Sonne 
Italiens und Griechenlands, in deren Glanz 
alle Künfte ihn begrüßt hatten? Die Mäßigung, 
womit er jonjt alles Genießen ergriff, war ihm 
dort abhanden gekommen; ein folder Taumel 
der Schönheit hatte ihn ergriffen, daß er die 
Kunft nicht mehr als ein für die Welt Geſchaf— 
fenes, jondern Welt und Menfchen als für die 
Kunft geichaffen betrachtete und ſich felbit mit 
all feinem Leben in diefe Liebe zu den Künften 
hineinftürzte. Die lang ausgedehnten Tage, ein 
guter Teil feiner Nächte füllten fich mit unab: 
läffiger Arbeit, oder ebenfo unabläffigem Schauen 
und Genießen. 

Die Reaktion blieb nicht aus. Es dauerte 
geraume Beit, bis feine jugend fi und anderen 
zugab, daß ihm plötzlich die Herrichaft über feine 
Leiltungsfräfte abhanden gefommen war, und 
der Körper fich nicht mehr durch den Willen be: 
zwingen ließ. Er wehrte fich davor, ſolchen 
Bankerott überhaupt nur zu begreifen — in 
Stunden, gleich den heutigen gab er fich nicht 
nur das zu, jondern gab fogar feine Zukunft auf. 

Der Abend diefes ſchwermütigen Tages 
brachte ihm mit anderem Pofteingang ein neues 
Heft der Zeitjchrift, deren Mitarbeiter er war — 
gewejen war, jagte er fich heute. Er dachte einen 
Moment daran, es feiner Zimmernachbarin 
hinüber zu ſchicken, unterlieh das, fchalt ſich aber 
jelbjt unfreundlich, als er die Einfame am nächſten 
Morgen fiten jah, und näherte ſich ihr, nachdem 
beiderjeits das Frühſtücksgeſchäft abgethan war, 
mit dem journal in der Hand. Sie dankte ein: 
fah, erwähnte, daß man ihr inzwischen feinen 
Namen genannt und frug, ob fie wirklich den 
Verfaſſer jenes Aufſatzes vor fih fehe. Ein 
treffendes Wort über diefe Arbeit, welches fie 
feiner zuftimmenden Verbeugung folgen lieh, 
regte ihn zur Ermiderung an, er bat um Er: 
laubnis, fih einen Augenblid bei ihr niederlajjen 
zu dürfen, und nad) wenigen Minuten war ein 
ihn ſehr intereffierendes Gejpräd im Gange. 

62 


488 


Als er fich nad) einer Stunde empfahl, ſagte 
er fich mit einer gewiſſen Befriedigung, daß der 
erite Eindrud, welcher diefe Perjönlichkeit für 
ihn aus der Mafje der Erſcheinungen heraus: 
gehoben, ihm doch nicht getäufcht habe, und 
nahm ſich vor, eine Bekanntſchaft zu pflegen, 
welde ihm gerade das verſprach, deſſen er jetzt 
bedurfte: finniges Gefpräh. Fräulein Böhm 
fam dieſer Abficht zwar nicht entgegen, erfchwerte 
jte aber auch nicht. Jeder Morgen fand das 
äußerlich jo ungleiche, geiftig vielfach verwandte 
Paar in regem Austaufch der Meinungen, wo— 
bei fo ziemlich alle Fragen der Menfchheit zur 
Sprache famen, und Robert ftaunte immer von 
neuem über die Natur des Geistes, den er all: 
mählich näher fennen lernte. Ohne damit einer 
Abſicht zu folgen, hatte er bisherim Geſpräch mit 
Frauen meijt nur mittelmäßige Gedanfen aus: 
gegeben, und fich die ausgejuchteren für den 
Verkehr mit Männern oder für feinen Schreib: 
tiſch aufgeſpart. Dies gefchah durchaus nicht 
aus Geringihägung, nur hatte ihn feine Er: 
fahrung gelehrt, daß die Frauen durchſchnittlich 
mehr von dem jprechen, was vorgeht, als von 
dem, was wirklich ift. Mit der Freude, welche 
jeder unverhoffte geijtige Gewinn wedt, fand er 
bei der neuen Bekannten die Möglichkeit, fi 
über alles Angeregte frei äußern zu fönnen, 
was nur da thunlich it, wo man hoffen fann, 
verjtanden zu werden. Sie mußte eine gründ: 
liche, ungewöhnlich umfajjende Bildung genofjen 
haben, jagte aber nie, was fie wußte, fondern 
immer nur das, was fie Dachte, und fefjelte feinen 
Geiſt namentlich dadurch, daß fie ihr eigentüm: 
liches Naturell unverjehrt von alledem zu be: 
wahren gewußt, was weiblihen Begriffen fo 
vielfach verkehrt eingeimpft zu werden pflegt. 
Keine Spur dabei von irgend einer nicht weib- 
lihen Verſtandesoberherrlichkeit. Es Fonnte 
feine einfachere Art geben fich zu äußern, während 
fie mit einer Aufmerkjamfeit zu hören verjtand, 
welche die Gedanken des anderen blühen und 
reifen ließ. 

Diefer Verkehr ward rafch zur Gewohnheit 
und bejchränkte fich nicht bloß auf die frühen 
Morgenftunden, fondern führte die neuen Be: 
fannten mit oder ohne Verabredung zu mancher 
Strand: oder Waldpromenade zufammen, wobei 
denn auch im Laufe der Tage Berfönliches zur 
Sprade fam. Franzisfa Böhm stand allein und 
verſchwieg nicht, daß fie zumeilen ſchwer an 
diefem Zujtande trage. Sie hatte eine Neihe 








A. Godln. 


von Jahren hindurch in tiefer Zurückgezogenheit 
mit ihrem Vater verlebt, der, ein Gelehrter und 
Sonderling, von Welt- und Menſchenverkehr 
nichts wiſſen mochte, philoſophiſche Schriften 
verfaßte, welche er nie dem Druck übergab und 
die Tochter zur Gefährtin ſeiner Studien und 
feiner Einſamkeit heranzog. Es war ihm ac: 
lungen, ſie in ſeiner geiſtigen Region heimiſch 
zu machen, während ſie ſich doch ſeiner etwas 
Timoniſchen Lebensauffaſſung nicht anſchloß. 


Der Einfluß einer milden, liebensmwürdigen | 


Mutter, welche das Mädchen nach ihrer Weife 
bildete, wirkte nad, obgleih Franziska dieſe 
Mutter bereits in ihrem jechzehnten Jahre ver: 
loren hatte. Durch die Grillen des Vaters jpäter 
von Frauenumgang fait gänzlich geſchieden, hatte 
fich feine Form weibliher Anmut, Die zumeilen 
Naturgabe, jehr oft aber aud Gewöhnung iſt, 
bei ihr entwidelt — ein Mangel, deſſen fie ſich 
faum je bewußt ward, fo lange der Vater, der 
ihrem Geift und Herzen volle Nahrung gab, an 
ihrer Seite blieb. Seit fein Tod fie allein ge: 
lafjen, empfand fie erit, daß fie nach Art und 
Weſen von anderen ihres Gefchlehts fehr ver: 
ſchieden war. Die namenloje Verödung des 
Lebens, welche in diefem Maße, diefer Art nur 
das Meib empfindet, dem mit Aufhören einer 
Hingabe und Fürforge an die Nächſten zugleid 
der feſte Kern aus dem Leben geihält wird, 
hatten Franzisfa einige Zeit nad) dem vor etwa 
zwei Jahren erlebten Verluft dazu bewogen, jid 
Verwandten anzufchließen, in deren Haufe fie 
hoffte nüßen zu können. Sie war in Führung 
häuslicher Gejchäfte geübt und wohlerfahren, da 
ihres Vaters PVhilofophie durchaus feine Die: 
genes: Färbung hatte, er im Gegenteil gewiſſe 
Komfort:Anfprüche machte, welche bei ziemlich 
beichränften Mitteln zu befriedigen, für Frau 
und Tochter ein Studium und aufmerfjame 
Praris erforderte. Troß diefer Eigenſchaft, trotz 
einer perfönlichen Anfpruchslofigkeit, die ſich nie 
verleugnete, wußten aber die Menfchen, in deren 
Kreis fie trat, nichts mit ihr anzufangen. Der 
ihr anhaftende Ruf einer „gelehrten Frau,” eine 
gewiſſe Weltunläufigfeit, ihr ſchlichter Stolz, 
der jich gern freiwillig unterwarf, aber feinem 
Drud fügte, ſchufen zwiihen ihr und den Haus: 
genofjen eine Kluft, welche fich ſchwer über: 
brüden ließ. Franziska löfte endlich die Ver: 
bindung und befchloß, ihre Selbſtändigkeit nicht 
mehr aufzugeben. Noch etwas unfhlüffig, in 
welcher Weife fie ihre geiftigen und materiellen 





Die Madonna mit den £ilien. 


Mittel verwenden wolle, da nur ein geringes 
Kapital ihr zur Verfügung ftand, fie alfo auf 


Erweiterung ihrer Eriftenzmittel bedadht fein | 


mußte, war fie zunächit für einige Wochen in 
das Seebad gegangen, wo fie vor Jahren mit 
den Eltern einen unvergefjenen Sommer ver: 
Iebt hatte, und ſich nun, nad) mandjerlei Uner: 
freulihem, erſt in volles Stimmungsgleichge— 
wicht verſetzen wollte, ehe fie ihrer Zukunft feite 
Form gab. 


Nicht in folhem Zufammenhange, dennoch | 


überfichtlic genug, ward Nobert nad) und nad 
mit diefem Lebensbilde der Freundin befannt, 
Die ihn mit der ihr eigenen Ruhe nad) feiner An: 
fiht über die Weitergejtaltung ihrer Zukunft 
befrug. Er riet von jeder Lehrthätigfeit ab und 
fchlug ihr vor, ihre Kenntnis fremder Spraden 
zur Ueberſetzung wiſſenſchaftlicher Arbeiten zu 
verwerten, für welche nicht, wie bei der Belle: 


teiftif, fo viele unfähige Kräfte Verwendung | 


fünden, und erbot fih, ihr dafür die Wege zu 
ebnen — ein Vorfchlag, auf welchen fie um fo 
lieber einging, als er ihr möglich machte, in der 
Zurüdgezogenheit zu leben, welche ihr zur zweiten 
Natur geworden. 

Die Zeit, welche Franziska hier zubringen 
wollte, lief früher ab, als Roberts Kurzeit, und 
er ſah die Gefährtin ſo vieler inhaltsreicher 
Stunden mit lebhaftem Bedauern ſcheiden. Die 
getroffene Verabredung ſtellte ſelbſtverſtändlich 


eine Korreſpondenz in Ausſicht; Franziska, 


welche nach ihrem früheren Wohnorte zurück— 
kehrte, wo fie den Hausrat des Vaters unter: 
gebradt, da ihr felbft der unternommene An: 
Ihluß an jene Familie als Verſuch, nicht ala 
Lebensentſchluß gegolten, verſprach gern, Nach— 
richt von ſich zu geben. Mit herzlichem Hönde— 
druck ſchieden beide als Freunde. 


* * 
* 


Der Herbſt rückte vor; ſchon herrſchte die 
Lampe über den Abend. Da heute ein Regen— 
tag doppelt frühe Dämmerung gebracht, hatte 
Franziska die Rouleaus ihres Wohnzimmers 
ſchon zeitig niedergelaſſen. Das weiße Licht der 
Hängelampe fiel auf den runden Tiſch und be— 
leuchtete die lachenden Geſichter zweier hübſchen 
Mädchen, welche bei „Fräulein Fränzchen“ zum 
Thee geladen waren. Trotz aller Abwehr be— 
ſtanden die jungen Töchter ihrer Hauswirtin 
darauf, Franziska dieſen Schmeichelnamen zu 
geben, der ihr nach ihrer eigenen Anſicht ſo gar 


489 


nicht zu Geſichte ſtand. Und doch ſah dies Ge— 
ſicht gerade jetzt wirklich um vieles heller, alſo 
in gewiſſem Sinne jugendlicher aus, als an dem 
Tage, wo es Lilien vor ſich hertrug. Aeußerlich 
war an der ſchlichten Erſcheinung durchaus nichts 
verändert; puritaniſch einfach, mit derſelben un— 
kleidſamen Haartracht ſaß ſie der fröhlichen 
Jugend gegenüber, die eben einen Feldzug ge— 
rade gegen dieſe Anordnung des Haares er— 
öffnet hatte. 

„Fräulein Fränzchen, ih muß Sie einmal 
frifieren dürfen! Seit id Sie neulich mit offenem 
Haar überrumpelte, läßt eö mir feine Ruhe mehr! 
es ift eine Sünde, wie Sie diefe Pracht zu: 
jammendrehen!” fagte die Blonde. 

„Pracht ift gut — auf eine fo prächtige Per: 
fon angewendet,“ nidte Franzisfa. 

„Emmy hat aber recht!” verficherte die 
zweite Haustochter. „Sie find ja immer fo lieb 
und gut mit uns, Fräulein Fränzchen, thun Sie 
' uns den Willen, ja? lafjen Sie ſich heute abend 
gleich einmal von Emmy frifieren, die verfteht'3, 
und Sie follen fchon fehen, wie vorteilhaft fie 
das ordnet.” 

„Dann, wenn fie fertig fein wird, fete ich 
mir zur Zierde die ſchwarze Hauskatze auf den 
Kopf! Ihr feid nicht bei Troft, Kinder! Erzählt 
mir lieber von eurer geftrigen Zandpartie und 
bejchreibt mir alle Abenteuer, die das Donner: 
wetter im Walde zur Folge gehabt haben muß.“ 

Doch, Franziska war verändert! Wie Streif: 
lichter der Sonne eine farblofe Landſchaft be: 
' leuchten, waren ihrem Leben feit furzem neue 
‚ Freuden und Intereſſen aufgegangen, die Licht 
in ihre nur an Ernſt gewöhnte Seele warfen 
und ihr die Welt durch ein Prisma zeigten, das 
fie nie gefannt. Ihr liebreiches, anſchlußbedürf— 
tiges Naturell, das fie ihrem Vater gegenüber 
jtets im Ausdruck hatte beherrfchen müſſen, ihre 
angeborene Menfchenfreundlichkeit durften zu 
' Worte fommen, jeit fie zum erjtenmal in eigener 
 Häuslichfeit frei ftand. Während die Tangge: 
wohnte Zurücdgezogenheit fie von jeder Initia— 
| 





tive auch jett noch abhielt, erfaßte jie doch be: 
reitwillig und mit Wärme alles, was an fie 
herantrat. Daß friſche Jugend fi ihr anzu: 
' Schließen begehrte, erſchien ihr wie eine befondere 
Schickſalsgunſt; des ftillen Reizes, der von ihrer 
‚ harmonischen Häuslichkeit, ihrem Talent ausging, 
' jeden in feiner eigenjten Sprache zu Worte fommen 
| zu lafjen, war fie fich nicht bewußt. Während die 
| jungen Mädchen inftinktiv empfanden, daß fie 


490 u. Gobdin, 


niht nur für alle ihre Angelegenheiten und | liche galt ihr diefer rege, geijtige Werfehr; ein 
Anliegen bei Fräulein Fränzhen eine Heimat | Genügen, eine Befriedigung am Dafein erfüllte 
fanden, fondern aud) ftet3 in irgend einer Weife | fie ganz. Kein Wunſch blieb übrig. 

bereichert von ihr gingen, war es diefer, die nie | Während die jugendlihen Gäfte Franziska 
an ſich oder anderen fo recht erfahren hatte, mas | all ihre Lebensluft vorzwitfherten, trat das 
Jugend fei, als käme fie erft auf die Welt, diefen | Dienftmädchen mit einem Briefe ein, den das 
offenen, jo köſtlich unwiſſenden Kindern gegen: | Fräulein nach flüchtigem Blid darauf uneröffnet 
über. Beſchäftigung, welche fie interefjierte, füllte | in ihren Nähforb legte. Er fam von Robert, 
ihre Zeit anregenb aus und verjchaffte ihr zu: | war erwartet und follte fpäter in Ruhe ge: 
gleich eine, für ihre geringen Bebürfniffe fait | Iefen werben. Erſt als fi die Mädchen, nad 
Wohlftand zu nennende Sorgenfreiheit der äuße: | einer Stunde etwa, entfernt hatten, der Tiſch 
ren Eriftenz. Robert Haag hatte Wort gehalten; | abgeräumt und feinerlei Störung mehr zu er: 
feinen Verbindungen gelang e3 unjchwer, zu er: | warten war, 30g Franzisfa ihren Schaß hervor, 
reihen, was er für die Freundin im Sinne trug, | im ftillen vorausgefpannt darauf, was ihr 
und da fie Ausgezeichnetes leiftete, folgten dem | heute gezeigt, wodurch fie erfreut und gefeſſelt 
erſten Auftrage, der ihr geworden, fofort neue | werden würde. Etwas enttäufcht fah fie nur 





Anerbietungen. hr, bisher meift auf abftrafte 
Fragen gerichteter Geiſt empfing durch interef: 
ſante Werke, deren Uebertragung ihr anvertraut 
wurde, friihe Nahrung, während die Korrefpon: 
denz mit Robert fie in die ſchöne, heitere Welt 
der Künfte bliden ließ. Diefer Briefwechſel 
hatte fih rafch zu einem regelmäßigen ausge: 
bildet. Jede Woche brachte einen der geiſt- und 
lebensvollen Briefe des Architekten und regte zu 
unmittelbaren Antworten an, welche ebenfojchr 
zum Inhalt des gegenwärtigen Lebens Franzis: 
fas gehörten, als der Empfang feiner Mit: 
teilungen. 

Während der Monate, die zwifchen jet und 
dem perfönlihen Zufammentreffen mit Robert 
lagen, hatte fich für diefen vieles verändert und 
günftig geftaltet. Sein herrlicher Organismus 
erholte fich rajcher, als jelbft der Arzt gehofft, 
von der erlittenen Erfchütterung ; im Befit feiner 
alten Elafticität hatte er den Kurort verlaflen 


und fih nah W. begeben, um fich dort um eine | 


Stellung zu bewerben, die ihm um fo ficherer 
in günstiger Ausficht ftand, als fein glänzend 
beſtandenes Baumeiftereramen bereits hinter 
ihm lag, ehe er für jene Expedition herange: 
zogen worden war. 
nur um die Frage, ob ſich ihm ein Wirkungs— 
freis in der Refidenz oder in einer der Provinzial: 
Hauptitädte bieten würde. Jeder feiner Briefe 
trug neue Bilder und Geftalten in Franzisfas 
Belle. Der geiftige Horizont, welcher ſich ihr 
aufthat, fchien fich ihr ins Unermeßliche zu er: 
weiter. Zugleich erkannte ihre eigenfte, ihre 
weibliche Seele, wie förderlich es innerem Ge: 
deihen fer, von den Tagen etwas Köftliches er: 
warten und erhoffen zu dürfen. Als dies Köjt: 


Es handelte ſich zunächſt 


| 
| 


| 





eine Seite beſchrieben. Sie las, und Die Hand, 

welche das Blatt hielt, ſank an ihrnieder. Diele 

wenigen Zeilen umfchlofjen nie geahnten Inhalt. 
Liebe Freundin! 

Geftern Fam mir auf Privatwege Die heute 
ſchon offiziell beftätigte Nachricht zu, daß ich hier 
zum Baumeifter ernannt bin, eine Entfcheidung, 
die fehr mit meinen Wünſchen übereinftimmt. 
Ob ich meiner Zufunft aber wirklich froh werben 
foll, hängt von Ahnen ab. Wollen Sie mein 
Los teilen, liebe Franzisfa? Sie find unter allen 
Frauen, die mir begegneten, die einzige, mit 
der ich mein Leben zubringen möchte. Unſer 
Verkehr war von der Art, daß Sie mich hin: 
reichend fennen gelernt; laſſen Sie mid) hoffen, 
daß ich Ihr Vertrauen gewonnen habe, und Sie 
ſich mir nicht verfagen! 

Robert Haag. 

Franzisfa ſaß unbeweglih, das Blatt auf 
den Ainieen. Endlich erhob fie es, durchlas es 
von neuem, und dann noch einmal. Mit tiefem 
Seufzer fuhr fie fich über die Augen. Es war 
ja doch nicht möglich, daß diefe Worte ihr galten! 
So vertraut die Schriftzüge, jo unvertraut der 
Anhalt. Sie, um die fih niemals ein Mann 
anders befümmert hatte, als wie etwa um einen 
guten Kameraden, die felbft nie auf den Ges 
danfen gefommen war, für einen Mann das 
Weib zu fein — und diefer! Roberts Erſchei— 
nung trat vor fie hin, der edel getragene Kopf 
mit den männlich fchönen, rein gejchnittenen 
Zügen, die jchlanfe, anmutige Geftalt. Es hatte 
ihr jo fern gelegen, fich ihm gegenüber als Weib 
zu empfinden, daß fie fich feiner harmonischen 
Bildung erfreut hatte, wie der Sonne, wie eines 
Har leuchtenden Tages. Und während fie ihn 


Die Nladonna mit den £illen. 


ſowohl geiftig, als in allem, was das Leben be: 
Deutet, ſich überlegen gefühlt, war er ihr doch 
ſtets als der weit jüngere von ihnen beiden er: 
Schienen, troßdem fie in demfelben Jahre mit 
ihm geboren war. Diefer begehrte fie zum Weibe ! 
Cie, die ohne Jugend, ohne Schönheit, arm und 
allein in der Welt war. 

Sie ſchloß die Augen, es war ihr in dieſem 
Moment, als wolle das Herz ihr ftille ftehen. 
Mitten durch das traumhafte Hindämmern, in 
Das jie verjant, lief es plötzlich über fie hin wie 
Erſchütterung ihres ganzen Seins. Ein nie ge: 
fannter, jüßer Tumult ri die ftille Seele aus 
ihrem lebenslangen Nuhezuftande in fremden 
Sturm. Die Gewalt war fo übermädtig, daß 
ihr war, als müſſe ſie daran fterben, und doch 
war, was jie niederwarf, einzig das Xeben! Un: 
willkürlich ftand fie auf, fie mußte fich regen und 
bewegen, ihr Fuß trug jie hin und wieder, fie 
merkte es nicht, tief atmend ging ſie endlich in 
ihr anſtoßendes Schlafzimmer, wo die Fenjter 
offen jtanden, und blidte in das Dunfel hinaus. 
Es hatte aufgehört zu regnen, zwifchen dem 
ziehenden Gewölf funfelten vereinzelte Sterne. 
Verwandelt erfchien ihr Himmel und Erde! Wie 


491 


Unter allem Hausrat, den Franziska beſaß, 
hatte feiner je weniger Geltung gehabt, als der 
Spiegel. Als Dekorationsftüd der Wand, als 
Kontrolle der Ordnung an der perfönlichen Er: 
ſcheinung ward ihm fein Hausrecht vergönnt; 
Zeit und Berüdfichtigung, wie fie diefem Frauen: 
diener font gewidmet wird, fam hier nicht auf 
fein Teil. Seit dem Abend, welcher Franzisfa 
vor eine Lebensentſcheidung gejtellt, fand der 
gering geſchätzte Zimmergenofje ihr Bild aber 
täglich, und nicht im Fluge, in feinem Rahmen. 
Es war nicht das erhellte, verjüngte Bild, 
welches am Theetiihe die harmloje Freude 
findlihen Geplauders geteilt hatte — im 
Gegenteil! Kämpfe, welchen diejen Zügen das 
Wohlthuendjte nahmen, das ihnen eigen war — 
den Ausdrud der Nuhe, hatten während der 
folgenden Woche dort ihre ſcharfe Spur einge: 
graben. Und doc ſchien das Auge, welches 
jein eigenes Bild fuchte, daran eine gewiſſe 


Befriedigung zu finden. Der verftörte, gram: 


oft hatte fie hier geftanden und in hellfunfelnde | 
Nächte hinausgeblidt, finnend, befriedigt, ohne 


andere Empfindung ihres Alleinfeins als die, 
dab Einſamkeit heiligiter Weltodem fei. Jetzt 


empfand fie plößlich, wie tief vereinfamt fie doch | 


hingelebt jeit langer Zeit, feinem eigen und not: 
wendig, immer nur mit Dingen bejchäftigt, die 
ebenjogut hätten ungethan bleiben können. 
Schaffen, lieben, jorgen dürfen über fich hinaus 
— ja das allein heißt leben! 

Als Franzisfa nach einer Zeit, für die es 
fein Map gab, in ihr hell beleuchtetes Mohn: 
zimmer zurüdging, fiel ihr Blid ganz zufällig im 
Vorüberfommen auf den Spiegel. Sie fuhr 
zuſammen und jtand plößlich wie angemurzelt. 
Ihre Augen hatten nur einen Moment auf dem 
eigenen Bilde gehaftet, dann blieben fie gefentt, fo 
unverrüdt an den Teppich gebannt, als könnten 
fie nie wieder von deſſen Arabeske losfommen. | 
Eine Handbewegung, wie zur Abwehr, unter: | 
brach allein die völlige Negungslofiafeit Fran: 
zisfas. Dann erhob fie mit einemmal den Kopf 
undrichtete einen feiten Blid auf ihr Spiegelbild. 

Es war fpät in der Nacht, als fie ihr Lager 
aufjuchte. Auf ihrem Schreibtiich lag ein bereits 
im Couvert verjchlofjener und geſiegelter Brief. 

* * 


* 


voll bittere Zug, womit Franziska ſich be— 
trachtete, wich faſt jedesmal ſtillem Ausdruck 
der Feſtigkeit. 

Ihre Tage ſpannen ſich in gewohnter Weiſe 
hin; ſie arbeitete und ihr lang geſchulter Geiſt 
zwang ſich die pflichtmäßige Konzentration ab, 
melde, fobald man wirklich ernjthaft arbeitet, 
jede andere Fähigkeit diefer einen dienftbar 
macht. Dies konnte aber nicht verhindern, daß 
fi troß der redlichiten Mühen, troß unabläj- 
figer Beichäftigung eine Seelen:Zangemeile ihrer 
bemädtigte, die ihr eine vollfommen fremde 
Erfahrung und deshalb doppelt deprimierend 
für fie war. Was fie auch vornehmen mochte, 
ajchgraue Dämmerung lag darauf. In den 
furzen Nuhepaufen aber erariff fie eine wilde 
Sehnfuht nah Glück — ebenſo neu umd 
nicht weniger quälend. Dann trat fie vor den 
Spiegel. 

Es war etwa acht Tage nah Empfang von 
Roberts Werbung und Abjendung ihrer Ant: 


‚ wort, an einem hellen Oftobermorgen, als fie 


eben wieder vor diefem jeltjamen Tröfter ihrer 
Schmerzen ftand und ihr Bild mit einer Auf: 
merffamfeit betrachtete, als wolle fie es für eine 
Zeichnung firieren. Da Hopfte ein Finger an 
ihre Thüre, und als fie ih ummandte, trat auf 
ihr „Herein!“ Robert Haag in das Zimmer. 
Franziska erichraf jo heftig, daß ihr die 
Stimme zur Begrühung verfagte. Nobert kam 
aber mit ausgejtredter Hand ganz unbefangen 


492 


A. GBodin. 


auf fie zu, lächelte, warf einen Blid durd) das | rau, mit der ich mein Leben zubringen möchte. 


Zimmer und fagte in feiner angenehmen Weiſe: 
„Wo ſetzen fich hier die Fremden?“ 

Mehanifh, noch immer fprahlos , ging 
Franzisfa zum Sofa hin, fette fi willenlos 
nieder und fah ihren Gaft an, wie aus bem 
Traum heraus, 

Eein heiterer Blid wurde ernft, als er vor 
ibr Platz genommen und fein Gefiht ihr ganz 
nahe war. 

„Sie haben mich ausgefchlagen, Franziska, 
unter dem Vorwande, ich hätte aus einer Illuſion 
heraus um Sie geworben, könnte mic) nicht 
mehr jo auf Sie befinnen, wie Sie in Wirklich— 
feit wären — nicht wahr, fo lautete der Sat 
ungefähr ?* 

Sie hatte ſich gefammelt. 

„Weshalb find Sie gekommen?“ frug fie 
mit ftillen Augen. 

„Es war nahe daran, daß ich nicht Fam,“ 
fagte Robert und faltete die Stirne. „Ihre 
Annahme, daß ich nad) drei Monaten Zwifchen: 
raum nicht mehr willen follte, wen ich mein 
Leben anbot, war nicht jchmeichelhaft. Ich hatte 
auf Ihr „Ja“ gehofft, aber nicht gerechnet. Da 
bin ich nun doch! Wenn Sie mir jagen, daß 
Sie Ihre Freiheit nicht aufgeben wollen, fo 
habe ich nichts beizufügen — hr energijches 
„Nein“ hätte überhaupt ein für allemal genügt, 
wären nur Ihre Gründe etwas beſſer geweſen.“ 

Sie blidte ihn feit an. 

„sch bin dreißig Jahre alt, unweltläufig, 
nicht geichaffen, einem anderen das Leben zu ver: 
ſchönern.“ 

„Es kommt hier nicht darauf an, was Sie 
ſind oder wofür Sie ſich halten, Franziska — 
worauf es ankommt, iſt einzig nur, ob Sie mich 
an Ihrer Seite denken können, wie ich Sie an 
der meinen. Sie ſind dreißig Jahre alt, ſagen 
Sie; dies ehrwürdige Alter habe ich auch.“ 

Franziska machte eine Handbewegung. 

„Zugegeben,“ fuhr er fort, „der Mann iſt 
in folhem Falle jünger. Mid) hat aber von je 
weibliche Jugend nicht anders angezogen, wie 
alles, was dem Auge aefällt; mit den joge: 
nannten unbejchriebenen Blättern weiß ich nichts 
anzufangen. Die Zahl junger Mädchen, welche 


Wir gehören zu einander.” 

Franzisfa jah ihn unverwandt an. Wortlos 
erhob fie jih, nahm Robert bei der Hand und 
führte ihn fo zum Pfeiler, vor den jtrengen 
Freund und Berater ihrer legten Tage. Die 
breite Spiegelflähe gab das Bild des Paares 
in voller Beleuchtung zurüd. 

„Run?“ fagte Robert und ſah das lebende 
Bild an feiner Seite aufmerkſam an. 

„Behaupten Sie noch, wir gehörten zu ein: 
ander?” entgegnete fie mit gewaltfamer Ruhe. 

„Sie fürdhten fi vor der Welt?“ frug er 
ernithaft. 

„Die Welt hat mid in diefem Sinne nie 
etwas angegangen," fagte Franzisfa einfach. 
„Ich fürchte nichts als Ihre eigenen Augen. 
Der Tag muß fommen, wo Sie Diefelbe Un: 
möglichkeit fehen, die jeder Blid auf Sie mir 
zeigt.“ 

„Meine Augen werden immer jehen, mas 
mir an ben Ihrigen fo zugehörig erjcheint: 
Geift und Nuhe. Ueberdies wiljen Sie ja, 
Franzisfa, daß ich ſchon von Kind auf dieſen 
— bornierten Geſchmack gezeigt. Oder haben 
Sie vergeffen, was ich Jhnen von meiner Ma: 
donna mit den Lilien erzählte? Kommen 
Sie, wir fpielen doc) gar zu wunderlich, wenn 
wir hier in Betrachtungen vor Ihrem Spiegel 
ftehen bleiben.“ Er faßte ihre Hand und führte 
fie in ganz gleiher Weife an den vorigen 
Mat zurüd, wie ihm von ihr gefhehen war. 

„Die Summe Ihrer Weigerungsgründe iſt 
nun wohl aufgezählt,” ſagte er in ruhiger Heiter: 
feit, „und da zum Glück für mich hierbei von 
lauter Unwejentlihem die Nede tft, gönnen Sie 
mir wohl, Ihnen meine Gedanken über die Ehe 
zu fagen. Wir haben von vielen Dingen mit: 
einander geiprochen ; dies Thema fam, fo viel 
mir erinnerlich, nie zwijchen uns zur Erörterung. 
Sie ſcheinen der Anficht zu fein, daß Aeußerlich— 
feiten hierbei tief in das Gewicht fallen. Dieje 
Ansicht iſt nicht die meinige. Alles hängt davon 
ab, ob man innerlic zu einander gehört. Ich 
habe in jo mande Ehe meiner Freunde einge: 
blidt und beobachtet, daf die meisten Paare mit 
dem beiten Willen, einander zu verjtehen, ganz 
verschieden fehen und fühlen. Das gibt allen: 


TEE 


ich kennen lernte, ift nicht gering, ich habe aber 
ſtets dieſelbe Erfahrung gemacht: entweder 
wuhten fie zu viel oder zu wenig, um mic) 
dauernd zu intereffieren. Muß ich Ihnen wieder: 
holen, was ich jhon ſchrieb? Sie find die einzige 


falls jogenannte gute Chen, weil die Menſchen 
fi) ineinander fchiden, aber jeder einzelne bleibt 
dabei arm und allein. Anfangs jucht einer dem 
anderen fein Eigenes zu geben, nad) einiger Zeit 


| 








Die Madonna mit den £ilien. 


wird erkannt, daß man nichts vertaufchen kann. 
Dann ergeben fi die Geifter darein, das Un: 
genügende willig hinzunehmen und die Armut 
des Gebenden zu fhonen. Solden Zuftand an: 
zunehmen, wäre mir unmöglich, möchte ih nun 
der Entbehrende oder der Ungenügende fein. 


Auch Ihnen unmöglich, Franzisfa! Verdiene 


ich fein Vertrauen?“ 


Vor feinem ehrlichen, tief überzeugten Wort | 


493 


nachher die lette feiner freien Wochen zu be- 


nußen, fih mit Franziskas Beiftand in W. 
häuslih einzurichten — ein Programm, das 


' genau eingehalten wurde. Wenn die Gewißheit, 


ſofort bei Antritt feiner Stellung durch Arbeit 


außerordentlih in Anſpruch genommen zu wer: 
den, Robert den baldigen Befiß einer er: 


wünſchten Häuslichkeit fehr erfreulih machte, 


wich plötzlich alles, was Franziska in ſchweren 


Tagen und Nächten zwifchen ſich und ihm auf: 
getürmt hatte, wie Schatten vor dem Haren 
Tage. Sie erhob die Augen und legte ihre 
Hand in feine nad) ihr auögejtredte rechte. 
„Ich danke dir!” jagte Robert warm und 
ſchloß Franzisfa einen Moment feit an ſich. 
Wieder empfand fie die nur einmal in ihrem 
Leben erfahrene mächtige Erjhütterung ; das 
Glück, weldes wie eine Flut über fie herein: 
itrömte, that ihr faſt jo weh mie jonjt der 
Schmerz. Sie lehnte den Kopf an des Mannes 
Schulter und weinte ihre eriten Freudenthränen. 


* * 


* 


Robert war mit Abſichten gekommen, welche 
ſeine Braut, als er ſie zuerſt mitteilte, über— 
raſchten, aber bald ihre Zuſtimmung gewannen. 
Er hatte vor Antritt der Stellung, wozu er 
ernannt worden, einige freie Wochen und 
wünſchte fih im Laufe derjelben mit Franziska 
zu verbinden, um zugleid) mit der Berufsthätig- 
feit feine Häuslichfeit zu gründen. Die Zeit 
war ausreichend, um die nötigen Formalitäten 


in das reine zu bringen, Franziskas ſelbſtän- 


dige Lage ließ jeden ihrer Entſchlüſſe frei, und 
als die erſte Ueberraſchung beſtanden war, ſchloß 
ſie ſich in ihrer einfachen Art ſeiner Meinung 
an, daß es in jeder Weiſe zweckmäßig ſei, ſo 
zu handeln. Ein kurzer Gaſthofaufenthalt in 
W. genügte ja, um dort eine Wohnung zu 
wählen und die beſcheidene, aber nicht un— 
moderne, recht komfortable Hauseinrichtung 
Franziskas dorthin zu befördern und zu ver— 
vollſtändigen. 

Robert wollte die Zwiſchenzeit bis zum 
Eintreffen der für die Trauung nötigen Papiere 
und zur Beendigung von Franziskas häuslichen 
Auflöſungsgeſchäften zu einem Beſuch bei ſeinen 
am Rhein lebenden Eltern benutzen, dieſen ſeine 
Abſicht mitteilen und fie auf ſpätere Belannt— 
ichaft der neuen Tochter vertröften, dann zurüd: 
fchren und fich in aller Stille trauen laffen, um 





| 


fo entiprad folder Ausfhluß alles Deffent: 
lihen und Geräufhvollen noch mehr Franzisfas 
Neigung. Bon dem Augenblid an, wo fie ent- 


ſchieden fühlte, daß fie Roberts im höchſten Sinne 





fiher fein durfte, war die alte jhöne Ruhe 


' wieder bei ihr eingefehrt. Sie empfand ihr 


Glück nun gelaſſen als ihr Recht, und es war 
weder Berehnung noch auch weiblicher Inſtinkt, 
was fie lehrte, daß nichts fie in ihres Fünftigen 
Gatten Auge befjer Heiden fonnte, als Unver: 
änderlichfeit. 

Die Tage, melde ihrem ftillen Hochzeits— 
tage unmittelbar vorauögingen und folgten, 
wurden in mander Weiſe zum Prüfjtein diefer 
Ruhe. Was vorauszufehen war, traf in vollem 
Maße ein: wer immer mit der Verbindung 


dieſes Paars befannt gemadt wurde, fiel in 


ein jo grenzenlojes Erftaunen, daß nicht einmal 
die Schule der guten Lebensart die äußerſte 
Verblüffung hinderte, zum Ausdrud zu fommen. 

Die erſte Erfahrung diejer Art machte Franz 
zisfa an ihren jungen Hausgenoffinnen. Zwar 
hatte fchon die bloße Angabe des Grundes ihrer 
überrafchenden Mietlündigung die beiden Mäbd- 
hen jehr in Erftaunen gefett, denn diefen Sieb— 
zehnjährigen erihien Fräulein Fränzchen als 
eine ſehr liebenswürdige, aber als eine ebenjo 
fihere alte Jungfer ; Heiraten find aber in diefem 
Alter auch ſehr interefjant, alfo wurde der 
bräutlihe Zuftand der Hausgenoffin bald adop= 
tiert und die Blondine wiederholte dringender 
ihren Vorſchlag: „ih doch nun anders zu fri- 
fieren!” ohne damit mehr Glück zu machen als 
bisher. Syn dem Moment, wo die Mädchen aber 
des zur Hochzeit eingetroffenen Bräutigams zus 
erſt anfichtig wurden, was in Franziskas Bei: 
fein geihah, boten diefe jeder Verftellung uns 
fundigen Gefichter der Braut eine nur allzu 
deutliche Illuſtration deſſen, was in verſchie— 
denjter Form auf fie wartete. 

In W. eingetroffen, wurde Robert, der bei 
der Kürze der dazwiſchen liegenden Zeit feinen 


Befreundeten und Verwandten feine Verlobungs- 
‚ anzeige zugehen Tieß, die übliche Vermählungs- 


494 A. Godin. 


annonce ſich aber vorausgeſendet hatte, mit 
einem Sturm von Fragen und Staunensäuße: 
rungen empfangen, wo er fi) blicken ließ. Wie 
geplant, ftellte er feine Frau nur in den me: 
nigen Familien vor, mit benen er während 
früherer Jahre und in der lebten Zeit in Ver: 
fehr geftanden — teils jung verheiratete Kol: 
legen, teilö Freunde feiner Eltern. Wo ſich 
aber die Neuvermählten zeigen mochten, bei 
jung und alt, vornehm und gering — überall 
war es dasjelbe Erftaunen, derfelbe jpontane, 
in der Aeußerung niebergezwungene, deshalb 
nicht weniger offenfundige Protejt gegen ben 
Kontraft der Erfcheinungen diejes Paares. No: 
bert, hierauf durchaus gerüſtet, ignorierte dies 
feineswegs vor fich ſelbſt, nahm es aber von 
der humoriſtiſchen Seite und fühlte fich jo jicher 
und innerlich befriedigt, daf ihn das wunder: 
lihe Mienenfpiel fogar ergötzte. 

Franziska hatte aber in fich die Erfahrung 
zu machen, daß fein Weib, und ſei e3 das hoch: 
herzigfte, freifte, klarſte Weſen, in ſolchem 
Punkte unverwundbar ift. Stolz und Würde 
liegen fie im Fegefeuer diefer eriten Begeg: 
nungen die gelafjene Ruhe ihrer Haltung un: 
getrübt bewahren, es wäre ihr unerträglich ge: 
wejen, wenn Robert vorausgejegt hätte, daß 
die Aufnahme, melde fie fand, ihr in irgend 
einer Weife befremdend fei, aber ſie fonnte bei 
allem Aufwand ihres Willens nicht verhindern, 
daß es fie wie mit ſcharfem Stiche traf, jo oft 
fie das Unmöglich! welches ſie ſelbſt ſich jo oft 
vorgejagt, in fremden Augen aufzuden fah und 
im Anfchluß hieran ftets von neuem den fchnellen 
Uebergang zu einer Artigkeit erleben mußte, 
der es an jeder Wärme fehlte. 

Diefe erften Eindrüde wichen weit zurüd, 
ala das eigentliche Leben der Gatten begann, 
ein mit interefjanter Berufsarbeit für den Mann, 
mit häuslichen Aufgaben und dem gewohnten 
geistigen Meiterüben und = ftreben für die Frau 
bis an den Nand gefülltes Leben. Noberts Zeit 
hätte für Aufrechthalten gejellichaftlicher Be: 
ziehungen nicht ausgereicht, wenn er zu ſolchen 
auch mehr Neigung empfunden hätte. Seine 
jeltenen Mußeſtunden gehörten feiner Frau zu, 
der er in und außer dem Haufe jeine eigenite 
Welt erſchloß und bei ihr das anregendfte, Frucht: 
barſte VBerftändnis fand. 

Ein Tag fam dennoch, wo Franzısfa das, 
was ihr die erfte Frauenpein geweckt, noch ein: 
mal, und zwar nicht wie Nadeljtiche, ſondern ala 





ſcharfen Schmerz empfinden follte. Es war ber 
Tag, an dem fie, bei Anlaß einer Durdhreife 
der Eltern ihres Mannes, demjelben Ausprud 
der Enttäufhung und ftaunenden Miffallens 
im begrüßenden Auge feiner Mutter begegnete. 


2. 


Eines Morgens trat Robert zu einer Stunde, 
in welcher ihn fein Beruf meiſt von Haufe ent: 
fernt hielt, bei feiner Frau ein. 

„Was iſt dir?” fagte fie mit dem erjten 
Blid auf ihn. „Etwas Unangenehmes ?“ 

„Eigentlich das Gegenteil! nur momentan 
ſtörend.“ 

Er breitete die Papiere, welche er in der 
Hand trug, auf dem Tiſche vor ihr aus, ge— 
ſtempelte Bogen, Briefſchaften in großem For— 
mat. „Der Großonkel in C. iſt geſtorben und 
hat ſein Hab und Gut mir zugedacht. Unſere 
Verhältniſſe verbeſſern ſich weſentlich und für 
mich ſehr unerwartet, da eigentlich mein Vater 
der Nächſtberechtigte wäre, wenn man über— 
haupt von Berechtigung hier ſprechen könnte. 
Der Notar, welchem die Teſtamentseröffnung 
zufiel, macht mir Mitteilung, und die Sache 
wäre ganz ſchön, wenn ſie nicht auch ihren 
Haken hätte. Meine Anweſenheit wird nämlich | 
verlangt, und zwar möglichſt raſch, es gibt da 
einiges Kompliziertes in betreff von Immo— | 
bilien — du wirft ja ſehen. Der Mann fchreibt 
ganz flott, es fei notwendig, mid für einige 
Wochen Aufenthalt einzurichten — als ob ich 
nad Gefallen los fönnte, jeßt, in diefer Jahres: 
zeit, wo in meinem ganzen Bezirk Neubauten im 
Gange find — geradezu unmöglih, Urlaub zu 
verlangen und zu erhalten!“ 

Franzisfa nahm die Papiere zur Hand und 
durchlas fie aufmerkſam. „Diefe Schwierigfeit 
iſt leicht zu löſen,“ fagte fie ruhig, „du ftellft 
mir Vollmacht aus, ich reife ftatt deiner hin 
und bleibe folange e8 nötig tft.” 

„Du?“ rief Robert überrafht. „Sa, was 
foll ich dann aber anfangen, wenn du fort bift?” 

„Du wirft dich behelfen, als freier Jung: 
gejelle leben! —“ 

„Das geht nicht,“ wendete er ein. „Ich 
bitte dich, Franzi, du wirft mir doch nicht zu: 
muten, mic außer dem Haufe herumzutreiben, 
jet, wo alle meine Kräfte angeipannt find und 
das bißchen Ruhezeit dazwiſchen jo not thut!“ 


Die Madonna mit den £ilien, 


„Das war ja Scherz! natürlich forge ich 
vor, daß du es daheim behaglich haft. Die 
Guſte ift zuverläffig, ich darf ihr unbeforgt das 
Hauswefen anvertrauen, bu folljt nichts zu ver: 
mifjen haben.“ 

„Nichts vermiffen? und du? Die Spaten 
auf dem Dache werden dich vermifien, Kinder 
und prefthafte Weiber und deine Freiwilligen: 
fchar von Schulmädchen und Bafallen — ſchau, 
da jteht gleich einer wie aus der Erde gewach— 
fen, der joll mir beiftehen wider deine Abtrünnig- 
keitsgelüſte!“ 

Dieſe Worte galten Hans Kaiſer, deſſen 
Klopfen er in ſeinem Eifer überhört hatte, und 
der nun, haſtiger und behender als je, un— 
erwartet vor ihm ſtand. Der Künſtler ſtreckte 
ſeinen buſchigen Kopf weit vor und ſagte, die 
geſcheiten Augen auf Franziska gerichtet: „Ab— 
trünnig? wie ſo?“ 

Sie lachte, ein angenehmer Ausdruck be— 
ſeelte ihre Züge. Die ſechs Jahre, welche ſeit 
ihrer Verbindung mit Robert verfloſſen waren 
— eine gefährliche Anzahl von Jahren für 
Frauen, deren Jugend hinter ihnen liegt, — 
hatten dies Geſicht verjüngt. Es war nicht nur 
die Art von Verklärung, welche ein glücklich 
erfülltes Herzensleben jedem Weibe verleiht, 
alles an Franziska war für das Auge gefälliger 
geworden. Das ſchmale, allzu längliche Geſicht 
hatte ſich etwas gefüllt, Geſundheit und be— 
friedigte Gemütsſtimmung der dunkeln Haut— 
farbe mehr Wärme gegeben. Ihre hohe, ſtets 
gut gebildete Geſtalt zeigte ſich durch geſchmack— 
volle Kleidung und freiere Bewegungen weit 
mehr zu ihrem Vorteil, und die feine Blonde 
würde mit der jehigen Anordnung ihres Haares 
nicht mehr unzufrieden gewejen fein. Franzisfa 
gehörte auch heute noch zu den Häßlichen ihres 
„Ihönen Gefchlechtes“, fie war aber nun inter: 
ejlant häßlich. 

Hans Kaiſer fchien jedenfalls diefer Meinung 
zu fein, obgleich er, ſchon feines Metiers halber, 
auf Schönheit zu jchwören pflegte. Während 
ihm die Hausfrau den fchwebenden Streitpunft 
auseinanderfegte, ſchaute er mwohlgefällig in ihr 
Huges Geſicht. 

„So wollen wir denn ein Konzil halten, 
Ihloß fie und nahm die Papiere wieder zur 
Hand. „Wenn durch Ueberlafjen der Ange: 
legenheit an einen Geſchäftsmann Verluſte für 
dich entjtehen fünnten, Robert, fo wäre es doch 
eigenfinnig, meinen Vorſchlag zu verwerfen, 


— — —— — — — — — — — 





| 
| 








495 


Der trauft Du mir nicht zu, dein Intereſſe praf- 
tifch vertreten zu können?“ 

„Mindejtens jo praftifch ala ich,“ erwiderte 
er mit einem halben Seufzer und hatte fich mit 
diefem Zugeftändnis auf weitere Erwägung des 
ihm erſt fo unfympathifchen Vorſchlages einge: 
lafjen. Der freund ſprach auch in Franzisfas 
Sinne und das Nefultat der Ermägungen 
war, es jolle um nähere Auskunft gefchrieben 
werden, und Franziska im entfprechenden Falle 
reifen. 

„Wenn fi dies bald macht, fünnte ich 
mich Ihnen für ein Stüd Weges zum Reife: 
marjchall anbieten,“ fagte Hans; „ich fahre 
nämlich Anfang nächſter Woche nad) E., wohin 
meine rau Schwefter mich citiert hat — eine 
Art Familienkongreß, wiſſen Sie! leider fein 
Erbonfel dazwiſchen, aber man hat ſich lange 
nicht gejehen, da ließ ſich nicht gut nein fagen, 
momentan hält mid) auch nichts, und wer weiß, 
was ſich dort findet — allerlei Bildermotive 
jedenfalls.“ 

„Nach E.?“ fagte Robert, und ein rafcher 
Gedanke blitte ausdrudsvoll über fein ſchönes 
Geſicht. „Und wie lange bleibt du wohl dort ?* 

„Wer mag das wiſſen! fo lang’ es mir 
gefällt.“ 

Als Franziska für ein paar Minuten das 
Zimmer verlafien hatte, kam der in ihrem Mann 
erwachte Gedanke rajch zu Tage. „Weißt du 
was?“ fagte er heiter, „du fönnteft auch einmal 
einen fünftlerischen Auftrag von mir überneh- 
men, jo gut wie von jo und fo viel anderen. 
In E. bift du ja meinem Heimatort ganz nahe, 
ein Feiner Spaziergang führt dich hin — thu 
mir den Gefallen und male mir eine Kopie der 
Madonna mit den Lilien.“ 

„Welcher Madonna ?* 

„Ic jagte dir einmal davon — ein Altar: 
bild, dem meine Frau gleicht oder glich, damals, 
als du fie jo wenig — anziehend fandeit. Weiß 
ſchon, du bijt befehrt, es bedarf feiner fo aus: 
drudsvollen Handbewegung! Das Bild hat für 
Franzi und mich etwas zu bedeuten, es iſt 
gleichjam der erfte Ning in unferer Kette, und 
nachdem ich mit meiner Frau oft davon gejpro: 
chen, möcht’ ich, daß fie es einmal zu Geficht 
befäme. Willft du ein quter Knabe fein und mir 
einige Ferientage aufopfern, jo fönnten wir fie 
damit überrafhen, wenn fie von dieſer ver: 
wünjchten Reife heim fommt. Ich fehe ſchon, 
das bleibt uns nicht erſpart — wann ftünden 

63 





496 


u. Gobdin. 


die Schahfiguren jemals jo, wie man es gern | daheim in einer Meife vermigt, Die fogar noch 


hätte! Alfo — topp?" 

Hans fchlug ein, machte aber ein faures 
Geficht dazu. 

„Wird ein nettes Scheufälhen fein, deine 
alte Dorfmuttergottes! na, wenn fie wirklich 
der Hausfrau gleicht, oder diefe ihr, dann hat 
wohl ſolch weltverborgener Pinfel einmal den 
heiligen Geift verfpürt — fommt immerhin zu: 
weilen vor. Haben follft du das Stüd — wann, 
das verſprech' ich nicht zum voraus.“ 


* * 
* 


Franziska war abgereiſt. Wenn ſie auch 
ihren Mann damit geneckt hatte, daß er eine 
nur wochenlange Trennung ſo ſchwerfällig nahm, 
ward ihr ſelbſt doch das Scheiden nichts weniger 
als leicht. Die Luft ihres Hauſes erquickte ſie, 
wie ein heiterer Morgen in der Natur erquickt. 
Der Abſchied würde den ſeit Jahren ununter— 
brochen Vereinten noch ſchwerer gefallen ſein, 
hätte ſich in der Stunde des Scheidens voraus— 
ſehen laſſen, daß es ſich um weſentlich längere 
Dauer handelte als zuerſt in Ausſicht ſtand. 
Gleich die erſten Briefe Franzisfas eröffneten 
ihrem Manne den Einblid in fomplizierte Ver: 
hältniffie. Der Wunfd des Tejtamentävoll- 
jtreders, die entfcheidende Perfönlichkeit an Drt 
und Stelle zu fehen, erwies ſich durchaus 
berechtigt. Es galt, möglichſt raſch liegende 
Gründe zu verwerten, die nach Anordnung des 
Erblafjers parzelliert werden follten; hiermit 
ftimmte Noberts eigener Wunſch überein, da er 
freie Verfügung über ein Barvermögen der 
Uebernahme entfernt gelegenen Landbeſitzes 
vorzog. Hieraus ergab fid) aber die Notwendig: 
feit mündlicher Erörterungen, Rückſprachen und 
Unterfchriften. 

Franzisfas Briefe Fangen heiter. Durch 
Lehre und Beifpiel ihrer Mutter, dann ſpäter 
neben dem nur feinen Screibtifch berüdfich- 
tigenden Vater, auf perfönliches Eingreifen in 
praftifhe Verhältniſſe hingewieſen, fehlte es 
ihr weder an Klugheit noch an Energie für die 
jetst übernommene Aufgabe. Verantwortlich, 
wie fie fich fühlte, parte fie feine Mühe, die 
ihr fremden, aber bald von ihr erfaßten Ange: 
legenheiten genau fennen zu lernen, und die 
Zeit verging ihr rafch, wie jedem, der wirklich 
zu thun hat. Während fie, vollauf in Anſpruch 
genommen, zu Heimweh gar feine Zeit fand, 
fo oft auch ihr Herz auf Neifen war, wurde fie 





über Roberts Vorausſicht hinausging. Das Haus 
erichien ihm völlig verödet, namentlich Die fpä- 
teren Abendftunden, mo er fih im Zufammen: 
fein mit Franziska zu erholen und neu anzuregen 
gewohnt war, wurden ihm je länger, deſto mehr 
zum Ungemach. Er verfuhte auszugehen, mit 
Bekannten zufammen zu fein, fam aber meiit 
unbefriedigt nad Haufe. Nichts weniger als 
ungefellig von Natur hatte er fih Doch während 
feiner befriedigten Ehejahre jtets daheim wohler 
befunden, als bei anderen. Die weiten Entfer: 
nungen ber Großſtadt, die Abfpannung, welde 
einer förperlich wie geiftig anftrengenden Berufs: 
thätigfeit folgt, famen dazu. Alfo ſaß er doch 
nod) am liebjten und häufigiten abends in feinem 
leeren Haufe und tröftete fih über fo viel 
trodene Stunden mit dem Allerweltsfprud: 
daß endlich nicht ewig währt! 

Eines Abends, als er eben im Begriffe 
war, nad) interejlantem Tagewerf heim zu gehen, 
überfam es ihn befonders jtarf, daß er zu Haufe 
niemand fand, bei dem er feine angeregte Stim— 
mung fonnte ausklingen lafjen. Eine plötliche 
Unluft an den einfamen vier Wänden, welde 
ihn erwarteten, ergriff ihn, er befann fich, was 
er wohl mit diefem Abend anfangen Fönne, 
wohin er etwa gehen möge? Da fam er an 
einem Girfus vorüber, deſſen ſchöne Pferde und 
ausgezeichnete Reitergejelljchaft er zuweilen hatte 
rühmen hören, und entjchloß fich kurz, dort ein: 
zutreten, Die Abendvorftellung war bereits im 
Gang, als er fein Billet löſte und den ihm zu: 
gewiefenen Platz im amphitheatralifch dispo— 
nierten Zufchauerraum einnahm, 

Die gewöhnlichen Neiterfünfte, hier mit 
hervorragender Geſchicklichkeit und viel Geſchmack 
der Anordnung vorgeführt, gingen unter pomp- 
haften Titeln am zahlreich verfammelten Publi— 
fum vorüber, das Noberts Aufmerkſamkeit zu: 
weilen von den Daritellungen ablenkte. Es war 
ihm nicht unintereffant, einmal wiederſolche leben: 
dige Galerie der verjchiedenartigiten Köpfe zu 
überbliden, wenn er auch ſchließlich zu der Be: 
trahtung fam, wie wenig wirklich anziehende 
Phyſiognomieen unter diefen Hunderten zu finden 
waren. Am meiſten beſchäftigte fich nicht nur fein 
Auge, fondern aud) fein Ohr mit zwei, auf der 
Reihe vor ihm befindlichen Köpfchen, die einem 
jungen Mädchen und einem etwa fünfjährigen 


' Knaben zugehörten. Diefe beiden, offenbar Zu: 


Eee — _ — 


fammengehörigen gaben ſich der Schauluft mit 


Die Madonna mit den Lilien, 


fo naivem Genuffe hin, da ihr ftrahlendes Ber: 


497 
„Bleiben Sie auf Ihrem Plate, Fräulein, * 


gnügen daran, ihr luſtiges Geflüfter darüber  fagte Robert nahdrüdlih. „Sie fommen nicht 
durch und wagen hr und des Kindes Leben. 
Vertrauen Sie fih mir an, ich bringe Sie ſicher 


Robert herzlich ergößte. Das Mädchen, eine 
frifche Blondine mit dunfeln Schelmenaugen, 
Ichien ihm faum achtzehnjährig; wenn fie den 
Kopf zu dem bildhübfchen Buben neigte und, 


während fie mit ihm plauberte und lachte, ihre | 


Mangengrübchen zeigte, fam fie dem Beobachter 
noch jünger vor. Sie war gefhmadvoll gekleidet; 
das weiche, aus der Stirn zurüd gelämmte Haar 
fiel in luftigem Gelod auf das ſchlanke Hälschen 
nieder, deſſen häufige, zierlihe Bewegungen an 
die eines Vogels erinnerten. 

Nobert dachte an feine Frau, die ein freu: 
diges Auge für jede Anmut befaß, und zeigte 
ihr in Gedanken das reizende junge Menfchen: 
paar, dem ein daneben jitendes Weib von un: 
geheurer Dide zur Folie diente. 

Die zweite Abteilung hatte ſchon begonnen, 


dem verhangenen Teile des Cirkus bemerklich 


machte; in demfelben Moment fah Robert eine | 


leichte Rauchwolke aufjteigen. Ein Kniftern — 
ein jeltjamer Geruch — eine Flamme — deren 


Aufiprühen der Schrei aus hundert Kehlen 
; bei dem nur allzu brennbaren Material des 


folgte: „Es brennt!“ 


Die namenlofe Verwirrung, welche unvor: | 


bereiteten Schredinifjen folgt, fobald es fih um 
Maflen handelt, veränderte die eben nod fo 
friedlich heitere Scene binnen wenigen Minuten 
in ein wildes Chaos. Während an dem un: 
mittelbar bedrohten Punkte Rauch und Flam— 
men, immer ftärfer werdendes Gepraflel und 
da3 Durceinanderjchreien der mit Waſſer— 
eimern thätigen, die wachjende Gefahr fündeten, 
drängte die Menge fopflos dem Ausgange zu, 
einander hemmend, erjtidend, unter Angitrufen, 


mit denen fich rafch genug die Jammerlaute 
‚ türmte fih die Mafle der den Ausgang be: 


Niedergeworfener mifchten. 
Der Platz, welchen Robert inne hatte, war 
ziemlih in der Mitte des Zufchauerraumes, 


dem Ausgang alfo fern. Er juchte vergebens | 


} 








1} 





die ihm Nächitbefindlihen zur Ruhe, zur Be: 


fonnenheit zu mahnen — jeder ftrebte nur nad) 
der Möglichkeit, von der Stelle, die er einnahm, 
hinwegzuſtürzen. Auch das junge Mädchen mit 
dem Kinde war im Begriff, diefem allgemeinen 


Fluchtbeifpiel zu folgen, an allen Gliedern 


zitternd, hatte fie den Knaben auf ihren Arm 
gehoben und juchte ihren Nachbarn nachzubrin: 
gen, als fich eine Hand auf ihre Schulter leate. 


hinaus, wenn Sie Geduld haben wollen.“ 
Zweifelhaft blidte die Blondine in fein 
ernftliches Geficht, ihre geängjtigten Augen be: 
ruhigten fich nicht. Als Robert aber den na: 
ben von ihrem Arm auf den feinen hob, was 
fich der Kleine ohne Widerſtreben gefallen Lie, 
und fie des fremden Mannes Nuhe gewahrte, 
ſchien ihr ein plöliches Zutrauen zu fommen. 
Ihre Hand fahte zwar nad) des Bübchens Nod, 
als müſſe fie mit der ergriffenen Falte ihr 
Eigentumsrecht behaupten, zugleich ließ fie ſich 
aber halb willenlos, wie ein Menfch, der feinen 
verfagenden Gliedern nadhgibt, auf die eben 


verlaſſene Bank niederfallen. Schon war ed um 
dieſe Gruppe her ziemlich leer geworden. Nur 
als ſich plöglicd eine eigentümliche Unruhe in | 
deſſen Klugheit fih Shon nach wenigen Minuten 


wenige folgten dem Beifpiel des Abmwartens, 


erwies, Zwar füllte ein faft erftidender, brenz- 
liher Dampf den Raum und machte den Auf: 
enthalt dort ſchwer erträglich; offenbar griff 
aber das Feuer nicht in dem Maße um fich, als 


feihten Holzgebäudes zu befürchten geweſen. 
Die raſch und energifch betriebenen Löfchbe- 
mühungen hatten Erfolg, und dämpften bald 
die Flammen. Das Unheil lag dort, wo blinde 


| Angjt fich felbft die höchſten Gefahren erfchaffen 


hatte. 

Sobald Robert feinen Schüßling fähig fah, 
fich feiner Yeitung zu überlafjen, jeste er das 
Kind neben fie, um eine Nefognoszierung zu 


unternehmen, von der er mit der Zuverſicht 


zurüdfehrte, jeßt die Führung der ihm Anver: 
trauten wagen zu dürfen. Noch immer drängte, 


lagernden, nur langjam vorrüdenden Flücht— 
linge an jener Stelle. Robert, das junge 
Mädchen an feinem rechten Arm führend, das 
Kind auf dem Iinfen tragend, benußte eine 
Brefche, Die, um die Flamme möglichjt zu ifo: 
lieren, mit Merten in die Holzwand nächſt dem 
Feuerherde geichlagen worden war, und brachte 
feine Schutbefohlenen glüdlih ins Freie — 
allerdings auch hier an einem beängjtigenden 
Durdeinander von Menſchen, Waflerbehältern, 


ſelbſt an befchädigten, ftöhnenden Pferden vor: 


‚ über. 


(Schluß folgt.) 








Die Peterbbaube (6. 5001. 


In Rübezahls Revier. 


Von 


Max Heinzel. 


ID mit der Feder! Ich habe lange genug in 
meiner Schreibzelle gefeflen und den Vogel 


beneidet, der frei dahinfliegt über die lachenden 
Gefilde und jehnfüchtig nah den dämmerigen 
Bergen bingeblidt, die aus der Ferne ihre ge: 
heimnisvolle Anziehungsfraft auf das alte frifche 
Herz immer mächtiger und ummiderjtehlicher 
geltend machten: jeßt Feine Zeile mehr, feinen 
Buchſtaben. Mag die Tinte austrodnen, ver: 
roften das jtählerne Arbeitäinftrument — ic) 
halte es nicht mehr aus in der beflemmenden 
Enge meiner vier Wände — hinaus treibt es 
mich mit fieberhaftem Drange in die jchöne 
Welt, fröhlihe Wanderlieder, wie ich fie einft 
als jorgenlofer Burſch in die Lüfte geſchmettert, 
umſummen meinen Kopf, und vor meiner Phan— 
taſie gaukelt manch reizendes Bild, das die 
große Farbenkünſtlerin Natur geſchaffen, aber 
auch manch düſteres, wüſtes, chaotiſches, in das 


| 


fie alle Melancholie ihres raft: und ruhelofen 
Geiftes hineingebannt zu haben fcheint, zieht an 
ihr vorüber — „ins Niefengebirge* locken 
taufend Stimmen, in das herrlihe Bergland 
meiner Heimat, und ſchon pade ich meinen 
Koffer, lege das Notwendigite und Unentbehr: 
lichjte hinein und rüfte mich zum Abſchied. 

Da taucht deine wunderlice Märchengeftalt 
vor mir auf, Nübezahl, mit weißem Haar und 
Bart, und es fällt mir ein, daß du ja wohl das 
Wetter machſt auf den einfamen Höhen, die ich 
erflimmen will, und daß du bereits von Dlims 
Zeiten her dem neugierigen Menjchenvolf, wel: 
ches in dein ſtolzes, prächtiges Gebiet eindringt, 
gar ungnädiglich gefonnen — plößlih, wenn 
einer von meinem Gejchlecht fein Auge begeiftert 
in die Munde ſchweifen läßt, hüllft du den 
goldigiten Sonnenschein in die dichteſten Nebel: 
wolfen, daß der irrende Fuß dann über Mur: 





Mag Beinzel. In Rübezahls Revier. 499 


zeln und Steine ftolpert, oder bu ſchickſt ein eindrang, als wollte jie mir jtatt des Beherrſchers 
wildes, tojendes Ungemitter in die Berge hin: | der Berge eine verheifungsvolle Antwort geben: 
ein, in welches alle Pfeifen der Niefenorgel, die | ich nahm Stod und Hut, drüdte den Meinen 
der Sturm jpielt, ſchrillend hineinklingen. noch einen zärtlihen Huf auf die Lippen und 
eilte über das ftaubige Pflafter nad dem Bahn 
hofe. Das Dampfroß fam eben herangebrauft, 
geſchmückt mit hellglängenden Lindenzweigen, 
die einer der beiden rußigen Gefellen, die ge: 
wiſſermaßen als Etallmeifter und Stallknecht 
bei ihm figurieren, an ſeinen Flanken ange— 
bracht — ich ſprang in einen Wagen, nachdem 
ich meine Fahrkarte erſtanden, und eroberte mir 
angenehmerweiſe einen Eckplatz, von dem aus 
id) bald eine überaus unterhaltſame Ausſicht ge: 
wann, während um mic herum die Meinflajche 
freifte und der Humor, der daheim vielleicht nur 
felten einen echten und unverfälichten Gemüts: 
ton gefunden, fih in feiner ganzen vollquellen: 
den Urfprünglichleit manifeitierte. 

In prächtiger Stimmung gelangte ich nad) 
Hirſchberg, wo id den Schienenweg verließ und 
auf Schuſters Nappen, der mich fchon weiblich 
umbergetragen, in einen fühlen jchattigen Bier: 
| garten einritt; eine blonde Sredenzjungfer 
brachte mir einen jchäumenden Schoppen mit 
milchweißer Haube, den ich — reine, erquidende 
Gebirgsluft atmend — auf die ſchönſte Schöne 
unter Gottes blauem Himmel leerte, auf die 

Ich bitte dich, nimm Rüdfiht auf mich! | ewig jungfräuliche Natur. Ich fchlenderte fo: 
Ich bin ein ſchwachnerviger, Iyrifher PBoet, ein | dann durch die Stadt, deren eine Strafe dem 
Landsmann, der niemals deiner gefpottet, wie Leſer hier fichtbar wird, und empfand ein won: 
die nüchternen Geldphilifter, die ſich 
in deinem Hauberreih neben den 
ſchwärmeriſchen Enthufiaften umher: 
treiben, nein, der vielmehr zur Aus: 
breitung deines Nuhmes mit einer 
ganzen Anzahl fhmwungvoller Lieder 
beigetragen und dir, wie ich meine, 
einen fo reihen Tribut an ehrfürdhti: 
gen Empfindungen geipendet, daß 
du mir fchon auf einige Tage deine 
erhabene Gunft verleihen und den 
Dümonen, die in den fchauerlichen 
Schlünden und Gründen haufen, eine 
abjolute Enthaltſamkeit von ihren 
teufliichen Anfchlägen gebieten Fannit. 


* * 
* Ter Bons i@. Som 
Es war ein flarer, wundervoller 
Morgen, die Sonne blidte fo freundlich durch | niges Behagen, daß ich dem holden Müßiggang 
mein geöffnetes yenfter, in welches aus dem | jo unbehindert fröhnen fonnte. Sie hat nicht 
gegenüberliegenden Garten ein feiner Duft her: | beiondere Neize, die Stadt, aber fie liegt wahr 











Etrafe in Dirſchberg. 





500 


haft entzüdend und verdient in dieſer Beziehung 
mit vollem Recht „die Perle Schleſiens“ ge: 
nannt zu werden. In ihrer Umgebung befinden 
fih der Kavalierberg, der Kreuzberg und der 
Hausberg, von welchen die legteren einen ſehr 
hübſchen Blid auf den Riefenfamm gewähren. 
Nachher pilgerte ich gen Warmbrunn,. Das 













* 


Jolephinenhatie S. 5011. 


Bad, das mit ſeinen Schwefelquellen ſchon vie— 
len Tauſenden das verlorene Gut der Geſund— 
heit, an dem ja unſer ganzes Glück hängt, 
wiedergegeben, hat ſich gerade den anmutigſten 
Teil des Hirſchberger Thales — an dem zu— 
weilen ſehr reißenden Zacken — für ſeine An— 
ſiedelung ausgeſucht. 

Die Geſchichte des Ortes reicht weit hinauf. 


— — 
— 








Mar Heinjʒel. 


Schon im 12. Jahrhundert ſollen ſeine Quellen 
bei einer Jagd des Herzogs Boleslaus von 
Schweidnik und Jauer dadurd) entdeckt worden 
jein, daß man einen Hirich aufipürte, der, einem 
jehr vernünftigen Ynitinkfte folgend, in einem 
jolhen „warmen Borne“ ala leivdendes Tier 
ein Bad nahm. Der gegenwärtige Befiger iſt 
der Graf von Schaffgotjch, dem 
außerdem noch der Kynaft, von 
dem ich gleich reden werbe, und 
ein weit auögebehntes Terrain 
im jchlefischen Niefen= und Ser: 
gebirge gehört. Ich flanterte auf 
dervom Schloßplatze ausgehenden 
Promenade umher und ließ mid 
jodann an einem laufchig gelege: 
nen Platze nieder, der Hier eine 
gar wunberföftliche 
Schau eröffnet. Das 
Hochgebirge mit fei- 
ner überwältigenden 
Großheit, Die nicht 
viele Grade mehr 
von der Großheit der 
Alpen entfernt iſt, 
breitete jih in ber 
erwünfchtejten Be: 

leuchtung vor mir 

aus, fo daß ich einft: 

weilen dem alten 

Grimmbart Nübe: 

zahl, der, unter und 

geſagt, wirklich von 

den verrückteſten 

Launen beherrſcht 

wird, meinen auf— 

richtigſten Dank vo— 

tierte. 

Ich hätte noch 
wer weiß wie lange 
dafıten und träumen 
wollen — aber ba 
derfagenumfponnene 
und  vielbefungene 
Kynaft no auf meinem Tagesprogramm jtand, 
jo ſchwang ich mid) auf einen vollgepfropften Om: 
nibus, der, vom Staub ummirbelt, nad) Herms— 
dorf, das am Fuße des Berges wie ein lieblich 
heiteres Idyll gelegen, „Eottelte“, wie mir 
Schleſier in unferer Volksſprache jagen. 

Nah kurzer Naft ging es dann hinan zur 
Burg, die der Leer jet vor ſich erblidt (S. 499). 


Sie hat jahrhundertelang bejtanden, ein truß: 
bafter Bau, bis ein Wetterjtrahl mit feiner zer: 
ftörenden Gewalt fte traf und in Trümmer legte. 


Bon ihrem 
Turm aus hat 
man eine gan 
reizende Aus— 
fiht. Lange 
ftand ih da 

oben und 
ſchaute hinun: 
ter in den 
Grund und 
hinüber nad) 
den Bergen, 

wohin ein 
Falf feine 
Fittihe ae: 
richtet, um ſich 
in dem dich— 
ten Grün der 
Wälder zu 
verlieren. 
Mährend ich 
jo den Blid 


In Rübezsahls Revier. 


Glbauelle (8. 50H. 





501 


ich nicht3 von ihr, fintemalen ihre Unthaten ja 
ſchier jedem Badfifh, der mit der Mufitmappe 
umberläuft, befannt find. — Nachdem ich dem 


Kynaft Valet 
gejagt, fuhr 
id nad Pe— 
tersdorf, 
einem großen, 
indujtriellfehr 
thätigenDorfe 
im Thale des 
ZJaden, der 
über Stein: 
geröll, mutig 
und frohlau: 
nig, ein elaſti— 
jcher Sohnder 
Berge, dahin: 
ſchäumt und 
von da nad 
Screiberhau, 
deſſen Häufer 
weit zeritreut 
auf grünen 
jaftigen Wie: 


von Gipfel zu Gipfel fpannte, von Dorf zu | jenoderan bewaldeten Abhängen liegen, bis nad) 


Stabt, wo die Pulfe des Lebens in ewiger Be: 
wegung, wo ein raftlojes, durd die Gebirgs: 


waſſer unter: 
ſtütztes Schaf: 
fen ſich gel: 
tend madıt, 
ihredte das 
Echo, durd) 
einen Schuß 
aufgemwedt, 
aus dem 

Sclafe auf 
und antwor: 
tete mit don: 
nerartigem 

Geroll, wie 
empört, um 
fh dann in 
einem leiſen 
flüfternden 

Saufen zu be: 
ruhigen. Ich 
dachte der 


jehdeluftigen Ritterzeit und des grauſam fofetten 
sräuleins Kunigunde, das einjt auf dieſem 
Vurgneſte gehauft haben fol; aber erzählen will 


Ter Artones und Wibfalbaute (8 





Bas) 


derSfofephinenhütte, einerdergroßartigjten Glas: 
hütten meiner Heimatprovinz (S. 500), von wo 


aus ich in ber 
zeitigen Frühe 
des nächſten 
Morgens 
meme Kop— 
penwande— 
rung zu uns 
ternehmen be: 
abjichtigte. 
Ich forgte für 
Nachtherberge 
und machte 
noch dem ge— 
nannten Eta— 
bliſſement, 
das von dem 
Grafen Leo— 
pold Scaff: 
gotſch gegrün⸗ 
det worden, 
einen Beſuch. 


Dasſelbe iſt ſeiner kunſtvollen Erzeugniſſe wegen 
weit berühmt und verſendet ſie vorzugsweiſe 
nach England und Amerila. Das Magazin mit 


u 


502 


feinen reihen Schägen, unter denen ſich manches 
Stück durd eine befondere Zierlichkeit und an- 
mutende Färbung auszeichnet, die Glasfchleifer, 
die marfigen Gejtalten, die fich geſchäftig vor 
den glühenden Hochöfen hin und herbewegten, 
die jprühenden Funken, der dröhnende Blafe: 
balg: alles feſſelt die Aufmerkfamfeit in hohem 
Grade. Dasbeigegebene Bild (S.500),aufdeilen ' 
oberem Teile die 
rauchende Hütte 
zu Sehen, gibt 
einen Einblid in 
diefe mitmand)er: 
lei Gefahren für 
die Gefundheit 
verfnüpfte Thä— 
tigkeit. Bald 
fehnte ih mid) 
heraus aus bie: 
fen Räumen; ich 
verlangte nad) 
Luft, nad erfri- 
jchender Beraluft, 
und aufatmend, 
als ob ich der 
Hölle, oder min: 
deſtens dem eg: 
feuer entronnen 
wäre, blidte id) 


— — x — 
WE 





Mar Beinzel. 


nächſt dem Zadenfalle mid zumandte..e. Huf 
einem hübfchen Waldwege, der bequem, mie 
eine Promenade angelegt it, gelangt man zu 
demfelben, — der übrigens nicht dur) den Zacken 
felber, wie man irrtümlid annimmt, fondern 
durch einen feiner Nebenarme, das Zaderle, ge- 
bildet wird — wo man ein Schaufpiel von er— 
greifendem und mächtigem Eindrud genießt. 
Das Wafler des 
Falles, welcher 
unbeſtritten der 
ſchönſte im Rie— 
ſengebirge, kommt 
jäh aus dem 
dunklen Walde 
und gleitet dann 
in mehreren Ab- 
fägen über die 
granitenen Wän- 
de, auf denen 
üppiges Moos 
wuchert, und aus 
deren Spalten 
langfächeriges 
Farnfraut her⸗ 
vor wächſt, hin— 
unter, bis er in 
einem tiefen Keſ⸗ 
fel ausraft. Auch 


FE — 














nach den duftigen, ein anderer, ent— 
leicht hingehauch— fernterer Fall, der 
ten Wolfen, die Hainfall(S.509) 
ſich über den im: mag hier erwähnt 
pojantenGipfeln, fein. 

die das Nübezahl: Dein Weg 
Ihe Zauberreich führte alsdann 
begrenzen, ge: Aus dem Gidgrunde 16. 501, nad) der ſchleſi⸗ 
lagert. ſchen Baude, einer 

* ſogenannten 


= 
Ich hatte einen häflichen Traum in der | 
Naht. Es war finfter über der Erde, wie in 
einer endlofen Höhle, und der Negen, vom 
Sturme gepeiticht, raufchte vom Himmel nieder, 
alö ob er alles rings umher erfäufen wolle; 
aber als ich erwachte und angitvoll und beflom: 
men zum Fenfter trat und das himmlische Ge: 
ſtirn mir fo freundlicd entgegenlächeln jah, da 
war mein Herz freudia, als ob es die rauhe 
Hand des Schickſals noch niemals angerührt. 
Ich rüſtete mich zur Fahrt nad) der Koppe und 
begann meine Wanderung in dem frijchen, 
tauigen, friedlichen Morgen damit, daß ich zu: 


Winterbaude, die zu gaftliher Einkehr mintt. 
Diefe Bauden find gemilfermaßen unſere 
ſchleſiſchen Sennhütten im Hochgebirge, An: 
fiedelungen, die von den Unbilden des rauhen, 
wild daherbraufenden Wetters viel zu leiden 
haben — namentlih im Winter. Zumeilen 
find fie jo eingeichneit, daß ihre Bewohner 
nur von der Hausthüre aus eine jtollenähnliche 
Deffnung durd) die Schneemauer bahnen oder 
nur durd den Dachaiebel ihren Ausgang 
nehmen können. hr Verkehr mit den Leuten 


im Thal behufs der Beihaffung von Lebens: 
mitteln ift dann außerordentlich ſchwierig; da 








In Rübezabls Revier. 503 


aber die Erfahrung ihre Lehrmeifterin geworden, | langen, bangen Tage, wo's jo unwirtlich, ein: 
ſo treffen jie bei Zeiten fhon Vorforge und | fam und grauenvoll auf den mit weißer Dede 
verjehen fich mit allem Notwendigen für die | umhüllten Bergen, wenn fhon aud) die bildende 





Hand der Natur eine Pracht entwidelt, die jte |; merbauden; folche, die der Vichwirtichaft wegen 
in ein Märchen, in ein Feenreich verfeten | nur im Sommer bezogen und im Herbſt wieder 
lönnte. Man untericheidet Winter: und Eom: | verlaffen werden, und joldhe, die auch im Winter 


64 








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A400 SIE 


—& 





Marz Beinzel. 





Das hohe Rad (©. son). 


bewohnt bleiben und darum ſelbſtverſtändlich in 
ihrer Bauart und Konſtruktion jolider und 
dauerhafter veranlagt find. jeder Bauden— 
befiter harıt mit Ungeduld der Sommerfonne 
entgegen, die den Schnee jchmilzt und allgemad) 
den jeltjam zufammengemwürfelten Schwarm der 
Touriften auf den Rieſenkamm lodt. Wenn er 
feine Naturftudien erſt wieder beginnt, da ift 
Freude da oben. Es kommt mancher Notgrofchen 
ein, es fehlt feinen Tag an Unterhaltung und 
auch nicht an Komik und Humor. Man muß das 
jehen, wie's in fo einer Baudenſtube hergeht, 
wenn plötzlich eine verregnete Geſellſchaft, die 
nebenbei noch der Sturm in feiner barbariichen 
Weiſe zerfchüttelt und zerzauft, in fie einbricht 
mit triefenden Schuhen und an den Körper ans 
klatſchenden Kleidern. Wie da jo ein elegantes 
Dämden, vielleicht die Tochter eines Millionärs, 
zimperlich und verſchämt mit nadten Füßen am 
Ofen hodt und wie der jteife Geheimrat, der 
fonft eine reine Karikatur von Zugefnöpftheit, 
ſich ſauertöpfiſch herbeilaffen muß, feinen Nod 
auszuziehen und in bloßen Hemdärmeln, wie 
ein ungeſchlachter Bauer, dazufiten. Das ift 
dann fo eine Art von Komödie für die armen 
Baubdeninfafien. 


| 


Von der fchlefiihen Baude aus fommt man 
in das Gebiet des fogenannten Anicholzes, der 
Swerafiefer, die als Strauchwerk am Boden 
hinfriecht und bald einzelne Büſche, bald ganze 
Waldungen in diefem Gebirge bildet. Der 
Baudenmann ſammelt foralam ihr Holz, denn 
er weiß, wie gut es feiner harzigen Beichaffen: 
heit wegen in jeinem alten, getreuen Kachelofen 
brennt, der Drechsler aber benübt es, um aller: 
lei jaubere und zierlihe Schnigarbeiten, die das 
Touriftenvolf gern als Andenten mit heim 
nimmt, daraus zu fertigen. Die elaftifchen 
und äußert biegfamen Zweige diefer Kiefer find 
immer nad) einer Seite hin gerichtet, jo daß ein 
Sudetenwanderer, der fih in ihrem Didicht 
verirrte und veritüidte, wohl Mühe hat, aus 
ihm ſich wieder herauszuwinden. Wo ihre 
Herrichaft begonnen auf dem Gebirge, da wird 
es einfam und einfamer. Nur das monotone 
Zwitſchern der Schneelerhe oder den Ruf 
einer Ningdrofjel hört man — denn faum ein 
anderer Vogel verirrt fich in dieſe Negion. 

Ich fuchte fodann Die Stelle auf, wo die 
Elbe geboren wird. Die Quelle des Fluſſes 
(©. 501), der allen Zauber, alle Wonnen, aber 
auch all das Unheimliche, Schredliche und Grauen: 


In Rübezahls Revier. 





Zer Rielengrund IE. bfs). 


volle der Natur hoh auf den Bergen fennen 
lernt, iſt in ein fchlichtes, ſteinernes Baſſin ae: 
faßt und läßt durchaus nicht ahnen, daß daraus 
einfogroßer, majeftätiich dahinraufchender Strom 
wird, der auf jeiner Neife nach dem Meere fo 
viele ihm huldigende Städte grüßt. Non hier 
aus wanderte ich nach der Elbfallbaude, die auf 
dem beigegebenen Bilde von dem Krkonos (5. 
501), von dem man weit ins Böhmer Yand hinein: 
Schauen fann, fait verdedt wird, um den Elbfall 
mit in die Sfizzenmappe meines Gedächtniſſes 
aufzunehmen. Diefer, der wie der Zaden= und 
andere Fälle bei heißem, trodenen Wetter erjt 
durch Deffnung von Schleufen in Aktivität ver: 
fest werden muß, ftürzt aus gewaltiger Höhe 
in den Abgrund, als jage ihn die Sehnſucht, in 
den „Sieben Gründen”, in den wilden Berg: 
ichluchten, mit den Waſſern, die dort hinabkom— 
men, fich zu vereinigen. Eine gute Strede tiefer 
liegt der Elbarınd (5. 502), den ich aber nicht 
berührte, mit feiner büfter romantischen Scenerie, 
von der man jich, wenn man die in den Tert 
eingefügte Illuſtration betrachtet, leicht einen 
feinem Mefen nahe fommenden Begriff machen 
kann. ch ftieg nach der Schneegrubenbaude 
empor, einem behaglid eingerichteten Einkehr: 
haufe, das von dem Grafen Schaffgotich, der 
fih um das Niefengebirge durch feine edelher: 
zige Opfermilligfeit die bedeutenditen Verdienfte 
erworben, erbaut worden und das fich Scheinbar 
an die Rübezahls: oder Teufelsfanzel, eine flache 
Granitmaſſe, anlehnt, die eine überrajchende, 
entzüdende Ausficht bietet (S. 507). 


| 


505 


getauft worden, 
find eine überaus 
gewaltige und gi: 
aantiihe Schöp— 
fung der Natur. 
Das Auge kann ſich 
faum entichließen, 
ruhig hinabzuſchau— 
en in dieſe totenöde 
Felſenwüſte, in de: 
ren Grunde aber 
doch das Geröll 
nod von üppig 
wuchernden Plan: 
zen bededt iſt, troß: 
dem der darin lie: 
gende Schnee von 
der Sonne Des 
Sommers nur jelten geſchmolzen wird. 

Die Feljen, grauſig zerflüftet und zerrijien, 
fallen fteil in die furchtbare Tiefe — und id) 





Fer Mittaahein 15, WON). 


fann mir wohl denfen, welchen überwältigenden 
Eindruck es maden muß, wenn der Wind die 


Die Schneegruben, nach welchen die Baude | wogenden Nebel in diefe Abgründe hineinjagt 


506 


und dann über die jchroffen Nänder wieder da— 
von treibt. Das Bild ©. 503 ftellt die „große 
Schneegrube“ dar, die wilder und fchauerlicher, 
als die „Heine“ und von ihr durd) einen ziem— 
li ſchmalen Feljengrat, die „Gräte“, auf der 








Mar Beinzel. 


der verderbenbringende Schwindel ſich in den 
Hinterhalt gelegt, getrennt wird. 

Der Weg führt nun auf Das hohe Nav 
(5. 504), einen riefigen, nah der Spite zu 
gewölbten Steinhaufen, wo man rajtend nad) 


Rübrzahls Luſtgatten E. 508), 


Schlefien, nad) den „Sieben Gründen“ und nad) 
Böhmen hineinblidt, eine Augenweide, wie fie 
dem Gebirgswanderer faum anzichender geboten 


werden kann. 


Bald erreicht man die Große Sturmhaube 


auf einem Wege, der früher zu den anſtrengend— 


ſten und befchwerlichiten einer Roppenwanderung 
gehörte und nunmehr durd die Thätigkeit des 


Niefengebirgävereines, der in dieſer Hinficht gan; 
Aufßerordentliches geleiitet, eine fajt alle Stra: 
pazen ausichliegende Umgejtaltung erfahren. 
Nachdem der Mannftein und die Mädelſteine 
paſſiert find, fommt man zur Petersbaude (2. 
498), einer auf böhmifcher Zeite gelegenen 
NWinterbaude, die fid) eines lebhaften Beſuches 
zu erfreuen hat und in der manche Flache feuri— 


— ⸗ 


In Rübejahls Revier. 





Säneegrubenbaube mit Rubezahla Manyel (2. 505), 


gen Ungars zu neuer Kräftigung getrunfen wird. 
Auch id nahın, ermüdet und erſchöpft, wie ic) 
war, zu diefem Meine, für den ich fonit gerade 
feine fonderlichen Sympathieen hege, meine Zu: 
flucht und zog dann auf dem Abhange, der die 
Mädelwieſe genannt wird, fürbak nad der 





deren Zerflüftung, wie die Sage geht, von 
einem Bligftrahl, der auf fie herabgefahren, 
herrühren joll. In verhältnismäßig kurzer Zeit 
gelangt man dann zum Rande des Großen Tei: 
des (S. 508), wo fih ein Anblid bietet jo 
grandios und erhaben, wie an den Schneegruben. 


Epindler: Kryftall: 
baude. klares 
Von da m fi ET REEENE Waſſer, 
wander⸗ 9 ae N RE in dem 
te ic — —9 tein diſch 
über die RL | —— lebt und 
Kleine über dem 
Sturm: ein ge: 
haube heimnis: 
nah dem volles 
Mittag: Schwei⸗ 
ſtein (S. genliegt, 
505), glänzt 
der aus aus der 
mehre: Tiefe der 
ren hin Schlucht 
terein⸗ herauf 
ander und leiſe 
aufge⸗ Schauer 

ichte⸗ 
3 Ne 
gruppen Zer Langegrund 1©. 509. Seele. 
beiteht, Faſt noch 


deren nördliche Front, von der Seite betrachtet, 
faſt ein ernſtes menſchliches Geſicht ſcheint. Von 
ihm aus begegnete meinem Blicke eine andere 
intereſſante Felsgruppe, die Dreiſteine (S. 509), 
wohl eine Verballhornung von „Druidenſteine“, 


mächtiger ift der Eindrud, den man am Kleinen 
Teihe (5. 508) empfängt, deſſen Felswände 
Ichroffer und deſſen Abgründe tiefer. Er enthält 
Forellen, aber auch um ihn her brütet eine laut: 
lofe Einfamtfeit, und ein nordiſcher Hauch, ala 


508 


ob man in dem rauhen Norwegen ſich befände, 
weht um feine Ufer. 

Endlich, nahdem ich in jtiller Andacht die 
Größe der Allihöpferin bewundert, feßte ic) 
meinen Wanderjtab weiter nad) dem Koppen- 
plan, einer mit Knieholz durchwachjenen Fläche, 
und fehrte, feuchend und fchweißtriefend, mit 
auf die Neige gegangenem Humor in die Rieſen— 
baude ein, die, gottlob, [chon unter dem Koppen— 
fegel liegt und in der zur Aufmunterung und 
Anfriſchung luftiger Geſang und luftiges Lachen 
ertönte, 

Ich erwähne hier noch einige ſehr ſchöne 
Punkte. In erfter Reihe den Riefengrund, in 
den man unfern von der genannten Baude einen 
Blid hineinwerfen kann, alsdann den weiter 
entlegenen „Luftgarten Rübezahls“ (5. 506), 
der eine große Fülle von Alpenkräutern aufweijt 
und darum von den Botanifern mit Vorliebe 
aufgefucht wird. Es dürfte hier der Ort fein, 
wo aud einige Worte über die Gebirgäflora, 





Der große Teich (6. son), 





deren bisher noch nicht Erwähnung geſchehen, 
aefagt werden können. Sie beginnt mit der 
Knieholzregion, wo neben manneshohem Farn 
das narziffenblütige Windröschen, oder Gebirgs— 


Mar Heinzel. 


hähnlein, das Alpenwindröshen oder Teufels: 
bart, die Peſtwurz und die fleine Primel Hab- 
michlieb heimifch find. Manche diefer lieblichen 
Kinder der Mutter Natur haben ihr prangendes 


— u 
= = 





Der Meine Teich (€. 507). 


Blütengewand, mit welchem fie bald nach der 
Schneefchmelze die Felfenfuppen und die Ab— 
hänge jhmüden, jchon abgelegt, wenn das bunte 
Volt aus den Städten auf das Gebirg jteigt, 
und wieder andere, die feltenjten mitunter, ver: 
bergen ſich in Schluchten und Felfenrigen und 
werden mur von dem Kundigen, der fich Feine 
Mühe verdriegen läßt, fie zu erlangen, auf: 
gefunden. 

Arzneipflanzen find im Gebirge äußerſt zahl: 
reich, wie das isländifche Moos, die Engelwurz, 
der jchwalbenwurzartige Enzian; fie werden 
von den Kräuterfammlern, die in Krummhübel 
und in anderen Orten der Umgegend wohnen, 
fleißig eingefammelt. Die Yeute aus dem Volke, 
die immer gern felbit „doktern“ und an ben 
Arzt fich nur im äußerſten Notfalle wenden, 
oder die Apotheken mit ihrem vielfeitigen Be: 
darf bilden ihr Abſatzgebiet. 

Der Wafjerreihtum des Niefengebirges und 
der bei weitem ftärfere Tau, als man ihn im 
flachen Lande beobachtet, begünstigen das Wachs— 





In Rübezahls Revier. 509 


tum und Gedeihen der Pflanzenin hohem Grade, mein Herz bebte — was ſoll ich mid) ſchämen, 
namentlic in den Gehängen und Thälern, die | e3 zu fagen — vor Freude, daß es nun auf: 


freilich einen fehr fur: wärts gehen follte zu 
zen Lenz haben, etwa De dem lodenden Ziele, 
vier Monate lang, auf Rs = das nad) rauher Müh— 
den dann der unendlich) fal nur, wenn man 


eben nicht mehr jung, 
leihtfühtg und aus: 
dauernd, erreicht wer: 
den kann. Endlich 
— endlich ſtand ich 
auf ihrem Gipfel — 
als eben die Sonne, 
wie ein großer feuriger 
Ball, mit ſeinem Wie— 
derſcheine alles vergol⸗ 
dend, zur Rüſte ging. 
Weit konnte man den 
Blick in die Runde 
ſchicken, vor dem ſich 
ein Labyrinth von 
Bergen, Thälern und 
Ortſchaften ausbreitete 
— bis die Beleuch— 
tung langſam verglüh— 
te, bis die ſchönen 
Farben, an denen ſich 


lange Winter folgt mit 
ſeinem Froſt und ſeinen 
furchtbaren Schnee: 
ſtürmen. 

Je nach der Höhe 
des Gebirges ändert 
ſich, ſo zu ſagen, ſein 
pflanzlicher Charalter. 
Sein Fuß gehört nod) 
dem Pflanzengebiet 
der Ebene an mit Eiche 
und Kiefer, dann mit 
1700 Fuß Höhe be: 
ainnt die Negion der 
Vorberge mit Tanne 
und Fichte, worauf 
man mit 3600 Fuß 
in die Region des 
Hochgebirges fih er- 
hebt, wo das Knichol; 
als verfümmerter Ber: 





treter des Baummwud): 2 br 2 = i ee das Auge geweidet, 
jes auftritt. — a een ihmwanden und nad) 
Als dritten inter: und nach die Schleier 


eſſanten Punkt führe ich nach dieſer Abſchweifung der Dämmerung des Berges Spitze umwoben 
noch den Ziegenrüden (S. 511) an, von dem aus | und die Luft feucht zu werden anfing. — 


der Wande— In dem präd): 
rer, ber bie —— Bee tigen Koppen: 
höchſt be: SET. Be; hauſe ſitzend 


ſchwerliche 
Vartie über 
dieſen Kamm 


nicht ſcheut, 


in ein wild— 


unter fidelen, 
übermütig lu: 
jtigen Men: 
ihen — wäh: 
rend die Glä— 





phantaſtiſches ſer klangen 
Schaffen der und ſchließlich 
Natur — gar der Tanz 
Weißwaſſer⸗ ſein rauſchen— 
En ur des Getöſe be- 
engrund u gann — ver: 
Langegrund gaß ich bald 
(©. 507) = Tir Zreifleine (€. 600. alle Müdigkeit 
einen mächtig und beteiligte 


fejlelnden und großartigen Einblid gewinnt. 
Meine Raſt war beendet. „Hinauf zur 
Koppe!“ (S.508) rief e8 ſehnſüchtig in mir und 


mid nad) Kräften an dem gemütlichen Trink: 
turnei, das eine Anzahl älterer Herren neben 
mir eröffnet. Much die Harfenet fehlte nicht. 





510 Mar einzel, 


Einige böhmische Künjtlerinnen griffen mit bes | Nacht herangelommen, eine wunderbare, träume: 

ihwingten Fingern in die Saiten und fangen riſch-ſüße Mondnacht — die weißen Nebel zogen, 

von Liebe und Seligkeit. Indeſſen war die | feierlich ſich bewegend — wie Geſpenſter — 
/ 











Tie Ehneeloppe iS. 309. 


über die Berge hin, und das Waſſer murmelte Viel Schlafen fonnte ich nicht; die Aufregung 
aus der Tiefe in geheimnisvollen, an das innerfte | war zu groß. Nerven und Blut fieberten. 
Gemüt anklingenden Lauten. So fam der Morgen — ein Morgen voller 


— — — 


————— 





In Rübezahls Revier 511 





Der Ziegenrüden (S. 509), 


Hoffnung — und ic erhob mid) vom Lager, 
um der holden Himmelsfönigin, die ihre An: 
funft bereits an den Bergen fignalifiert, meine 
unterthänigite, von Staunen und Bewunderung 
überfließende Huldigung darzubringen. Da 
plöglih erjchien fie, von einem fchimmernden 
Wolkentroſſe begleitet, Schön, daß fich nichts mit 
ihr vergleichen konnte unter der blauen Wöl: 
bung des Himmels und in den unermeßlichen 
Weiten der Erde und lächelte, wie eine gnädig 
gelaunte Majejtät, auf uns fröjtelnde Sterb: 
liche nieder, denen der Morgenwind fcharf ins 
Geſicht blies. 

Es war ein Moment voll wunderbarer 
Poeſie! 

Ich hielt dem Berggeiſte eine preiſende 
Rede. Er hatte mir keine Spur von Tücke und 
Hinterliſt gezeigt, er hatte mich unbehelligt in 
ſeinem herrlichen Gebiet herumſteigen laſſen, 
mir keinen Genuß verkümmert, keine Freude ge— 
ſchmälert. Ich deklamierte: 


Du alter Zaubermeiſter — 
Beherrſcher aller Geiſter 


Im Eingeweid' der Berge — 
Du haft mich, arm Gejwerge, 
Behütet wunderbar. 

Drum bring’ ich meinen Danf 
In Verſen, im Geſang 

Dir frohen Herzens dar. 


So viel als Flüche wettern, 
Wenn meine ird'ſchen Vettern — 
Getäuſcht von dir, betrogen — 
In feuchtem Nebelwogen 

Nichts ſchauen weit und breit: 
So vielmal ſei mit Schalle 
Unter des Himmels Halle 
Gelobt, gebenedeit. 


Ich ſteckte mir ſodann einen Teufelsbart 
auf den Hut und Glimmerſchiefer, mit duftigem 
Veilchenmoos überzogen, in eine Schachtel ge— 
packt, in die Taſche und ſtieg auf kürzerem und 
leichterem Wege wieder ins Thal nieder, um — 
meine mir ſelbſt bewilligten Ferien weiter aus— 
zunützen. 


65 


Bern, 


512 


Enge 


Oelſchlaͤger. 


l Kirk. 


Von 


Herm. Oelſchläger. 


mſummt von Bienen, ſonnenlichtdurchglüht, 
JVerſandet bier, dort doldenüberblüht, 
Debnt, wie des Meeres Fläche uferlos, 
Bis Erd und Himmel ineinander fließen, 
L Die Heide ſich mit Moor und Bruch und Wiefen 
Zur ferne hin, erhaben, einfam, groß, 

Wie alte Sagen weht's und alte Träume 
Geheimnisvoll durd; Büfche und durch Bäume, 
Raufcht's durch die Söhren, raufcht es um den See, 
Auf deilen dunfler Fläche, weiß wie Schnee, 
Seerofen mit balboffnen Kronen ſchimmern; 

Die Bäche Ningen und die £üfte flimmtern, 

Das Riedgras ſchwankt, das fchlanfe Schilfrohr bebt, 
Die Kräuter duften, aus den Scollen hebt 

Die £erche fchmetternd fich ins Blau. Durd; Strauch 
Und Wald und $lur zieht wunderbar ein Bauch 

Don Andacht, Träumerei, wenn weit und breit 

Die ganze weltverlorne Einfamfeit 

Dem Wanderer ins Untlig fchaut. Dermittert 

Steh'n Blöde, uralt, hingeftreut die Slur, 

Und heil’'ge Stille rings, die manchmal nur 

Don fern der Dorfuhr Mittagsfchlag durchzittert, 
Den Kätner mahnend, nun am Moor zu ruh'n 

Don fchwerer Arbeit, 





In ber Heide nun 
Stand einft ein Baus. Es war nicht groß, nidıt Mein; 
richt reich, nicht arm mocht’ fein Beſiger fein. 
Behaglich war es, lag in tiefem His 
Und von der lauten Welt fo abgejcieden, 
So losgetrennt und jo veriledt, 
Dafj es von felbit den Glauben mwedt, 
Das Böfe wenigitens, der Haß, der Neid 
Und was die Menichenherzen font mit £eid 
Und Angſt beichwert, das fönne nimmermehr 
Die endlos weite Heide ber 
Wie ein Geſpenſt, umbläbt von gift'gen Nattern, 
Bis bier zum Haufe feine Pfade finden 
Und müffe unterwegs ins Nichts zerflattern, 
Im Nichts verſchwinden. 


Doch ſchien hier Liebe wohl zu wohnen, Glüd, 
Das flets vom Lärm des Tages weit zuräd 
Sur Stille fliehen foll, Zufriedenheit 
Und andre Tugenden, die wir uns weit 
Dom Markt gern träumen, 


Strohgededt das Dadı, 
Das altersbraun geworden allgemadı ; 
Ein niedrer Giebel, mäßig zugeipigt, 
Auf deflen Höh’, von plumper Band geichniht, 
Als einz'ger Schmud zwei Pferdeföpfe prangen; 
Ein Erdgeſchoß — fünf Seniter in der langen 
Front feitwärts; unterm Giebel vorn am Baus 
Auslug und Thor, fo hody, daf ein and aus 
Die Diele bin bequem im Herbit die vollen 
Und fchwerbeladnen Wagen rollen. 


Ein Blumenbeet, das neben Kohl und Räben 
Sich nicht zu ſtolz dänft, Ueberm Hofe drüben, 
Dein ein uraltes, heil'ges E£indenpaar 
Die Kronen firedt zum Himmel blau und Mar — 
Un ihren Stamm lehnt Egg’ und Pflug empor 
Der Knecht, der von der Urbeit kehrt im Moor — 
Badlhaus und Schuppen, Und zulent ein Wald 
Im Halbfreis binten, grün und hoch und alt, 

er, wenn im Nulifeuer der verglühten, 
Derbrannten Heide braune Rinde fpringt, 
Wenn jitternd heiß die £uft in dumpfem Brüten 


I Auf allem liegt, fein Hall, fein £faut erflingt, 
Wenn fieberiich der Welt die Pulſe Mopfen — 
Im Moos des Morgentaus Kyflallne Tropfen 
Feſthält und über Menfchen, Tier und Kraut 

| mit fühlem Hauch Erquidung niedertaur ; 

N Der, wenn vom Oft die jcharfen Winde ftärmen, 
Nls fefler Wall vermag ſich aufjutärmen, 

Als Schu und Schirme berufen it zu dienen 

Im Korbe dort dem zarten Dolf der Bienen, 


Es ift ichon lange her, feit —*2 bren, 

) Da wohnte auf dem fleinen Sof ein Mann, 

| Der, wie er meinte, alle Gunft erfabren, 

| Die man vom Himmel nur erfahren fanrı. 
Gleich fern vom Mangel, wie vom Heberfluß 

Bot ihn das £eben, was es bieten muß. 

Wenn jeiner Kräfte froh und hoffnungspoll 

Ein Menfchendalein fid entfalten ſoll. 

Un jeden Tages Mühen oder Sorgen 

Trat zuverfichtlich er mit jedem Morgen; 

Er fchaffte bis zum Abend wie ein Knecht, 

Sich felbit zu feiner Arbeit je zu ſchlecht 

Und, da er alfo mit dem £eben rang, 

Doll Stolz, daß er’s zu feinen Gunften zwang 

Und daß zulett ihm alles qut gedich 

In Seld und Wald, zu Haufe und beim Dieh. 


Er war ein Jmfer. Nah dem Haufe land, 

Im Garten und geſchützt vor Sonnenbrand, 

bm Korb an Korb, Sein beſter Reichtum war 

er fleii'gen Bienen ungezäblte Schar. 
Voll Freude fah er, wenn mie eine Wolfe 
Der Schwarm am Morgen binflog, feinem Doife 
£ang in die weitgedebnte Beide nach, 
Auf der mit heifem Dunft die Sonne lag, 
Diel bunderttaufend Silberfädchen zogen 
Don Balm zu Balm fich, wie von Elfenhand 
Vetzgleich zur Nachtzeit zierlich ausgeipannt, 
Und drüberhin mit farb gen Schwingen flogen 
Die Salter durch die blaue Sommerluft, 
Gleich lieblihen Gedanfen. Süßer Duft 
Stieg aus dem rötlich weißen Blätenflor 
Des faun bewegten Heidefrauts empor. 
Still war's ringsum. Die Brille nur war laut 
Und mandımal fchwirrte aus dem Heidefraut 
Ein Dogel auf, daß zitternd bin und wieder 
Die blauen Glöckchen ſchwankten, und jetzt brach, 
Gelodt vom Duft, der auf den Büfdyen lag. 
Der Schwarm der Bienen aus der £uft bernieder, 
Brach wie ein Feind herunter anf die holden, 
Die honigreichen, unbewehrten Dolden, 
Brady in der Blütenfelche Heiligtum, 
Flog auf, Kam wieder, faufte mit Gefumm 
Die Heide bin, zum Plündern unverdroffen, 
Bis er des Nekiars denn genug genoffen 
Und nun, beladen dicht mit Blütenitanb, 
Nach Haufe flog, zu bergen feinen Raub. 


Wie freute fi Ian Kirk da flets aufs neu’! 
Denn immer batte noch die Sonne treu 
Sich ihm und hold bezeugt, fein Sroft, fein Regen 
Endlofer Wochen ihn um Ernt' und Segen 
Und feiner Bienen Fleiß gebradıt. Die Sonne, 
Sie war's, die Jahr um Jahr ihm Tonn’ um Tonne 
Mit gold’'nem Honig füllte — aus der Wabe 
Floß reich ihm flets die balfamduft'ge Gabe. 


Schon vier, fünf Jahre lang. Doch nicht genug! 
Jan Kirf nahm felber Spaten, Karft und Pflug 








Engel Kirk. 


Und quälte ſich mit fchwielenreicher Hand 

Am Moor herum und andrem fumpf'gen fand, 

Drei Anechte balfen ihm ja wohl dabei, 

Er aber ſchaffte mebr als alle drei. 

Schwer war die Arbeit und das Jahr war heiß, 

F hellen Strömen floß von ihm der Schweiß. 
re grub, entwäflerte, er legte troden, 

Bis endlich er mit eines Hinds Frohloden 

Die $lamme fdyärte, bis der Rauch perwehte 

Und in die Aſche er den Weizen fäte, 

Far meine Kinder!” ſprach er dann und lachte 
um Wald hinüber, wo ein Bubenpaar, 

s faum noch recht geſchickt zum Kaufen war, 
Um Band des Walds Sand auf Kaninchen machte. 
Wie die —— —— durch den Ginſter frochen, 
Dom Stein zerihunden und vom Dorn zerjtochen ! 
Der Dater ladıte: „Sind zwei wilde Rangen! 
Gott fegne fie, ſſärk' ihnen Herz und Glieder!” 
Dann ward er ernft und mit erbigten Wangen 
Beugt' er aufs neue ſich zur Arbeit nieder. 

„Uns Moor und Wildnis ſchaff' ich fruchtbar Land; 
Sterb’ ich fo fällt es ihnen in die Band, 

Den beiden Jungen — Brüdern, die fich lieben, 
Die feft zuſammenſteh'n, ein $leifch, ein Blut — 
Mir bat ſolch Glüd der Teufel bintertrieben — 
Gott jegn’ euch, Kinder — dann iſt alles gut.” 


Am Abend fat; Jan Kirf bei feinem Herde, 
Dor fich den Holztiſch auf geflampfter Erde 
Und drauf den fühlen Trunf, den er voll £ob 
Und mwohlverdient zu feinen £ippen hob. 

Auf andrer Banf die Knechte, mäd und ſtumm, 
Indes die Schüffel fleifig ging herum. 

em Berrn zur Seite, jung und ſchön an £eib, 
Des Baufes Ehre, Eugel Kirf, fein Weib, 


Schwäl war die £uft und hell die Sommernadht, 
Die Beide lag im Schlummer, überdacht 
Dom meiten Himmel, dran der Sterne Chor 
Aus blauen Tiefen leuchtend flieg enıpor. 
Im fernen Weiten zudt ein fables £icht 
Am Stug oft auf und zeigt, Daß ſchwet und dicht 
Geballt dort Wollen fteh'n, mit feuchten Schwingen 
Dielleiht noch Kühlung diefer Nacht zu bringen. 


Im Haus ward's dunfel. £eicht bewegt vom Zug, 

Gläht eine Campe, doc faum hell genug. 
Mehr als drei Schritte weit davon zu feh'n. 
Da fchien das Hofthor Mnarreud ſich zu dreh'n, 
Der Bund ſchlug an, ein Knecht gebot ihm Ruh’ 
Und ſchritt vom Kaufe träg dem Thore zu. 
Bald kehrt er wieder: „Berr, ein fremder Mann!” — 
„Wer iR's?” — „Seht felbt!” — da fam er fchon heran, 
z7 Thür herein, unbeimlich, ohne Gruß, 

Is folgte ihm das Unbeil auf dem Suf. 
Berlumpt, zerriffen ſchien er bis zum Grund, 
Ein Strolh, ein Straßenläufer, Dagabund, 
Die $rau erichraf. Ein tödlicher Gedanke 
Durchſchoß ihr Herz; — ibr war, der Boden ſchwanke 
Ihr unterm Fuß: der Mann — es ift — doch nein! 
Warum foll gleid; das Fürchterlichite fein? 
Kangfam und fed doch Ichritt der fremde vor, 
Ian Kirk fprang auf — die Campe hoch empor 
Und felbit von Grauen feltfam jetit erfaft. 
£ieh er das £icht voll fallen auf den Baft, 
Daf der im Bellen plönlich ftand, und rief: 
„Wer leid Ihr?” — „Ich? je nun, ich nehm’s nicht fchief — 
Du fennjt mich nicht ?* — „Um Gottes willen! ſprich“ — 
„Was denn? dein Bruder bin ich.” — Fürchtertlich!“ — 
„Ein freundlicher Empfang!” — 


Doll Haft ſtieß Jan — 
Und er war fonft bei Gott ein flarfer Mann — 
Die Campe auf den Tiſch, jonft lieh gewiß; 
Dor Schred gelähmt er jet fie fallen. Bleich 
Bis in die £ippen, franf, als ob ein Riß 
Das Ser; ihm töte, einem Menfchen gleich, 
Dem Tote auferſteh'n, die Fauſt gebalit, 
So flarrt er auf die fchredliche Geftalr, 
Die fid ihm Bruder nennt. Doc dann fi fallend, 
Die Knechte furz mit ſummem Min? entlaflend, 
Kehrt er zum Herd zurüf, wo ihm der Platz 
Als Hausherren zuſteht nad uraltem Sap. 
Dort fept er fi, fchiebt vor ſich hin das Cicht. 
mit feiner Musfel zudend im Geficht, 
Sieht auf den Mann, als ob’s rin Sremder wär’, 
Und fragt dann falt: „Bell Kirk, wo fommit du her?” 








513 


Wo fam er ber? Das war nicht fchnell erzählt, 
Und ob aufs Blut er feine Hörer quält, 
Ihm iſt es gleich, Ausführlich, fredh im Ton, 
Mit Klagen gegen alle Mit, voll Hohn 
Erzählt und prahlt er noch mit feiner Schande, 
Die ihm Begleit'rin war durch alle £ande — 
Seit £ebenszeit, Denn nichts war fo verrucht, 
Daß er’s nicht trieb, daß er es nicht verſucht 
Don Kindesbeinen an. Sein £ebenstrieb 
War nur das Böfe und das hatt’ er lieb, 
Wie andere das Gute lieben. Mut 
Zum Sſchlechten nur beflägelte fein Blut, 
Wie dunflen Höhlen gifr'ge Dünft' entquellen, 
So nie in ibm das Schlechte auf, die Wellen 
Des Bluts vergiftend und den Kopf umnadhten>, 
Daf er auf das, was Tugend heißt, veradytend 
Nur mehr und höhniſch fah. Sein größter Ha 
Traf feinen Bruder, den ohn' Unterlaß 
Im Sleiß er ſah. Wie haft’ er diefen Fleiß! 
Wie böhnt’ er fein! Wie anders, beffer weiß 
Er jelbit zu leben! Wie ein Graf fo frei, 
Verſchont von Kerrendienit und Sfaverei. 
Saulenzend trieb er alfo bin, befannt 
Als wuͤſter Menich zu Haufe und im £and, 
Er fpielte (falid natärlich), Nuchte, tranf, 
Und wie er 'mäblich tief und tiefer fanf, 
Geſchah's einft, daß bei einem Fechgelag 
Im Streit er einen andern niederitach. 
Er fam ins Zuchthaus. „Gott fei Danf!“ fpracd nur 
Jan Kirk, als er des Richters Spruch erfuhr, 
„Ja, Bott fei Danf! Nun find wir feiner los, 
Ihm half nichts mehr und Schand und Schimpf war grofj.” 
Dod; blähte faum zum z3weitenmal der Slieder, 
Kam auch Bell Kirf fchon aus dem Zuchthaus wieder 
Und fchlediter als zuvor. Das wülte £eben 
Begann aufs neu, nur toller, anzuheben. 
Irrt’ er durdıs Baus, halbtrunfen und verftört, 
So ward ringsum fein Cachen mehr gehört; 
Angit, Unlaft und Verdruß beichlich fie alle, 
Man wich ihm aus, im Hof, im Baus, im Stalle: 
Ein fchwerer Traum ſchien alles zu umgieh'n 
Und nichts gedieh mehr, wie es ſonſt gedich'n, 
Dann ging er fort wohl, weithin über fand, 
Nun barrte man daheim der neuen Schand’ 
In voller Angſt. Sie blieb nicht lange aus 
Und endlich fam er jelbit zurück nadı Baus, 
mit Swangspaf. ©, das fraf Jan Kirf am Ceben! 
Ind wie auch Engel fo entienlic; litt, 
Don Schimpf und Schmaxh im engiten Kreis umgeben, 
Des £afters Bild vor ſich auf Schritt and Tritt, 
Wie fie. die Liebliche, die Engelreine, 
Un der fein Herz mit ganzer Inbrunft hing, 
Die fonft barmhberzig war und mild, wie feine, 
Sich fchen in ſich zufammenzog, da fing 
Er an, das letzte Mittel zu bedenfen. 
Und fammelte voll Haft aus allen Scränfen, 
Was an erfpartem Geld er fand, um lot 
Und Sorge lieber in den fünft'gen Tagen, 
Als länger noch dies Jammerlos zu tragen. 
Bell Kirf nabm alles und er ward nicht ror, 
„Ja, nimm nur, nimm,“ fpracdh Jan und niemand fah, 
Wie bitter weh tiefinnen ihm geichah, 
Uls feines Bruders Band fe nadı dem Fleinen 
Sparpfennig griff — er hätte fönnen weinen. 
„Ja, nimm nur, nimm,“ ſprach Jan, „zieh übers Meer, 
Srei will du fein — dort kannt du's nach Begehr.“ 


Und da Bell fortzjog. war's daheim ein Feſt 
Und alles lebte auf. Wie wenn die Peſt, 
Die wärgend — ein £and gehalten, 
Daß £eben, Jugend, Reichtum nichts mehr galten, 
Tod, Bunger, Greuel waren auf den Wegen — 
Endlich verfhminder und ein neues Negen 
Doll froher Hoffnung alle Kerzen ichwellt: 
So war es hier. Wie eine neue Welt 
£ag alles da vor den erflaunten Sınnen 
Und nichts als Ftohſinn ließ der Tag gewinnen, 
Es war ein anderes, war ein neues Weſen: 
Man fang, man lachte, fühlte ſich geneſen 
Don einem grauenvollen Alp befreit — 
Mie flog die Arbeit und wie flog die Zeit! 


Um meilten doc kam Engel das 
Mie eine Schwalbe fliegt, fo og ihr Mut 
Aufs neue hoch am Himmel bin. Gejtalt 
Und Unich'n wuchlen ihr. Wie fi im Wald 
Die Tanne, die fo lang verfümmert jtand, 


u qui: 


514 


Gedrädft von andern und vom £icht verbannt, 
Urplöglich hebt und fchlanf zur Höhe ſchießt. 
Wenn voll der Sonnenzauber um fie flieht, 

So war auch fie. Gefundheit, Jugend, Kraft, 
Stolz, £iebr, volle, heiße Leidenſchaft 
Umleuchteten das Weib. Blanäugig. blond, 

Die Band fo Nein, fo weiß. wie nur der Mond 
Hellfilbrig alänzt daß fie vom Stanını der Sriefen, 
Das ward allein jchon durch die Hand bemwiefen), 
So wallte fie dahin auf ihren Wegen; 

An ihren Sohlen haftete der Segen, 

Aus ihren Bänden ſchien das Glüd zu fließen, 
Aus ibrem Blick ſich Wohlfein zu ergiefen, 

Aus ihrem Munde Wohllant zu ertönen, 

Ein Hauch von ihr den Swielpalt zu verföhnen — 
So Schritt fie hin durch Haus und Hof und Beide, 
Sich felbft zum Glüd, der Melt zur Nugenweide, 


Bel Kirf? Der war verichollen, ganz und rein, 
Dielleicht fchon tot. Dann war's für ihn ein Gläd, 
Kaum dachte mebr ein Menſch an ihn zuräck; 

Man war nur frob, von ihm befreit zu fein. 

Nur mancdesmal noch mitten in der Nacht 

Schrie Engel auf. Ihr Mann erfchridt, erwacht. 

Sie ficbert, bebt, ihr Haar ijt wie gebäumt 

In jähen Schreden. „Sprich, was if?” ruft Jan — 
„Ad, wie man nur fo thöricht träumen fann,“ 
Entgegnet fie, „ich hab’ von Bell geträumt.” — — 


Nun war er da, nicht tot und nicht verfchollen, 
Nun war er wieder da, und wieder follen 
Die Schredenstage neu beginnen? Nein, 
Allmädht'ger Gott, es fann nicht möglid; fein! 
Es fann nicht! darf nicht! rief’s in Engel wild, 
Doch faß fie ſchweigend, wie verjteint, ein Bild 
Der Angit und jab voll Spannung nur auf Jan, 
Der, als jein Bruder fchwieg, nun fo begann: 


„Du fommft — doch heißt dich niemand bier willfommen. 


Diel Unheil bat du einit von uns genommen, 

Als du von dannen zogſt. Zugleich mit dir 
Ericheint andy das, jo fürcht' ich, wieder bier. 
Derfemt, verftoßen, aller Melt ein Grauen, 

Crittft du berein — warum foll ich dir trauen? 
Jedoch du bift mein Bruder: Eine Brujt 

Bat uns —— — noch bin ich mir's bewußt. 
Voch fühl ich's tief, wie etwas in mir fpricht: 
Dein Bruder ift's! — Ich wollt’, du wärſt es nicht. 
Dod; bit du’s! Ob zun Segen oder Fluch, 
Enticheide da! Ich aönn’ dir den Derjudy 

Und fpreche: Sei willlommen, bleibe bier, 

Bleib’! Auf wie lang — das fteht allein bei dir.“ 


Bell blieb. Und wie vom abgebrannten Moor 
Rauchwolken fdywer und dumpfig zieh'n empor, 
Die £uft mit widrigem Geruch erfüllend, 

In totes Grau die weiten Cande hüllend, 

So war Bell Kirf. Noch füllte faum die Scheibe 
Des Monds ſich neu, fo fprady zu feinem Meibe 
Jan jchon befümmert: „'s war 'ne Unglüdsnadt, 
Die ihn zurüf in unfer Baus gebracht.* 


Und feit der Nacht ergoß endlofer Regen 
Dom Bimmel fich, der Heide Blätenfegen 
Ertränfend. Heine Biene flog mehr aus, 

Mie font im Sonnenlidyt mit muntern Schwingen 
Sich auf der Flut zu wiegen und ins Daus 
Suräd des Bonigs fühe fan zu bringen, 

Unluſtig frochen fie in ibren Zellen 

Und träg herum, verdriehliche Geiellen, 

Und nahmen, flatt vom Strauch die Yieftarlabe, 
Des £ebens Notdurft von der eianen Wabe. 
Verdrießlich ſah am Auslug vor dem Baus 

Jan Tag um Tag nach beffrem Wetter aus. 
Dod Tag um Tag ergof die Regenflut 

Sich unerfchöpflid und das war nicht gut, 
Dieweil das Moor, das faum bebaute £and, 

Nun auch ſchon wieder überflutet fand 

And weil das Grau, das fchwer vom Kimmel hing, 
Die Herzen auch lets drüdender umfing 

Und weil auch fonft ſchon jeder freude bar 

Das einjt fo frohe Haus geworden mar. 


Daran war Bell ſchuld, der als Tagedieb 
Im Hofe lag nnd feinem Menichen lieb. 
Wich er dem Bruder aus, fo floh dagegen, 
Don Baf erfällt, ibn Engel allerwegen. 


Germ. Oelfchläger. 


Sie grämte fi, im Innerſten verflört, 

Schalt ihren Mann nachgiebig, ſchwach, beihört 

Und hafte Bell fo heiß, fo wild, fo voll, 

Wie man nur das Verbrechen haſſen foll. 

Das war er ihr. Sie bielt ibn für den Mann, 

Der, will er, auch zum Schlimmften fommen fann. 
Sie hbafte Bell. Jhr ganzes Weſen mwallte 

Seindielig auf, wo fie ihn fah; fie ballte 

Im Grimm die Meine Band und mweinte dann 

In ihrer Ohnmacht, daß den braven Jan 

Ihr Haß nicht rährte: „Schi ihn fort, fogleih!” — 
„Er it mein Bruder!” jprach der andre weich. 

„Dein Bruder?” höhnte Engel. Fleiſch und But, 
Enticheiden die? Nicht Bösfein oder qut? 

Stammt Schlecht und Gut aus einem Quell? So ſcheide 
Das Schlechte, eh das Ganze Schaden leide. 

Das Böfe zeugt nur Böſes — ſchick ihn fort!” — 
„Noch nicht, * ſprach Ian, „du weißt. er hat mein Wort.” — 
„oc nicht?“ Und Engel drüdte fieberheiß 

Uns Eerz die Kinder und fie weinte leis; 

er nicht! Der Bimmel weiß, woher dies Bangen 
Mir fommt die Tage und die ewig langen 

Qualvollen Nächte her. Weit aus der Heide 

Bör’ ich's oft feufzen mie in tiefem £eide 

Und wie im Sturme bör’ ich Stimmen rauchen, 

Die warnend mahnen. Muß ich da nicht laufchen ? 
Und durd; den Regen hör’ ich leifes Weinen 

Um dich, um mich, um unfre beiden Kleinen — 

Das Magt. das ädızt, das flöhnt: gun , wir werben 
Unglüdlich noch, wie niemand font auf Erden.” 


Ben ſaß indeffen Iungernd bei den Knecditen. 
Die mit ihm fpielten und beim Branntwein zechten. 
Die Urbeit war ja Mein, feitdem das Moor 
Im MWafler fand, wie niemals noch zuvor, 

Und immer noch, faum einmal unterbrodyen, 
Der Regen riefelnd niederfam jeit Wochen. 

Und eine Beidefchenfe lag nicht weit, 

XNlein, dürftig, fchmutig, Dort vertrieb die Feit 
Auf feine Art ſich Bell, wenn Hof und Haus 
Ihm ungemütlich ward, und dort binaus 

£odft' er die Knedhte, denn er war wie Gift, 
Das, wo es immer auf den Körper trifft, 
Serftörend um ſich frift. Sie famen aern 

Und hielten Bell bald höher als den Kerrn. 


So ging die Wirtfchaft ſchlechter allgemac. 
Die Bienen bradıten nichts und bald gebrach 
Es audı im Stall an Sutter mehr und mehr, 
Das Korn lag balb verfault fchon, naf und ſchwer 
Im Selde draußen, Abgegrämt und ſſumm 
Schlich Jan in feinem öden Hof herum. 
Auch Enael fdywieg — was half ibr jedes Wort? 
Einft ſprach fie nur das eine: „Schi ihn fort!“ 
Jept fagte fie auch das nicht mehr; denn franf 
Tag einer ihrer Knaben. Speil’ und Eranf 
Dericd;mähend lag er tagelang im Schlummer 
Und fiechte bin — woran? man wußt' es nicht, 
Doch war der Knabe jeht ihr ganzer Hummer, 
So daf fie Tag’ und Nächte durd; beim Licht 
An feinem Bett in dumpfem Brüten faf 
Und alles andre, wie es ſchien, vergaf. 
Nur einmal fam ibr Schwager Bell. Da fuhr 
Sie wütend auf, voll Haß und Grimm, wie nur 
Die £ömwenmutter ihre Jungen dedt. 
Wenn fie der Unblic eines Feindes fchredt. 
Sie wies ihn jähb hinaus, ſumm, ohne Wort, 
Doch Blike in den Ungen. Bell ſchlich fort, 
Schlich fchweigend fort, gedudt, doc tüdiich ſchoß 
Der Rache Gier aus feinem Blid. Ste ſchloß 
Die Tbüre hinter ihm, das Herz zum Springen 
Doll banger Furcht. 


Und wieder war's einmal, 
Da kam — des Winters eif'ge Stürme gingen 
Yun beulend fchon ums Baus und nadt und fahl 
Stand binter ihm der Wald — da fam zum Plaudern 
Dom nächiten Hof der Schäfer. Ohne Zaudern 
Erzählt Jan Kirk, wie fchwer er fei betroffen 
In Feld und Baus, getäufct in allem Hoffen. 
„Und denft Euch,“ fchlof er, „aus Umerifa 
If auch der Bell, mein Bruder, wieder da.” — 
„Bell, Euer Bruder?” — „Ja.“ — „Der Thunichtgut ?" — 
„Ja, eben der.” — „Dann feld auf Eurer But.” — 
„Wie fo?" — „It er nun befier?” — „Um fein Baar.” — 
„Dann feid doch Mug und nehmt die Dinge wahr 
So, wie fie find.” — Der Schäfer war im fand 


Gerähmt als einer, der gar viel verftand, 
Diel wußte, mas ein andrer felbft im Traum 
Nicht abnte, war ein „weiler Mann” und kaum 
GBab’s zwifchen Erd und Himmel einen Pfiff, 
Den er nicht löfte, nicht fofort begriff. 
Und alfo fagt er, m es Menfchen gibt, 
Die jeder haffen muß, die niemand liebt, 
Weil ihnen von Geburt durch Ceufelsliſt 
Das Unheil an den Fuß geheftet if: 
„Es — mit ihnen, folgt auf Schritt und Tritt, 
Es trifft fie felbft und trifft die andern mit, 
Und treten fie auch in das jchönfte Haus, 
Gleich bricht die Not an allen Eden aus. 
Wo Reichtum war, da der Hunger bald, 
Das Dieh fteht um, der Käfer frißt den Wald, 
Die Heide dorrt, wenn fie nicht erjt ertrinft, 
In Regenfluten famt dem Moor verfinkt, 
Durds mg geh’'n Gram und Kummer. Wer gefund 
Und friſch war, Mlagt mit fieberheifem Mund, 
Und Zwietradht in in jede Brujt gefät, 
Dem Unkraut gleich, das zwiſchen Weizen fleht. 
Das ift ein £ ! Und es ender nicht, 
Bevor man nicht den unbeilvollen Micht 
Don Bals ſich ſchafft. Glaubt mir, ein folcher ift 
Auch Bell. So jeht doc, wie zur felben Friſt 
Des Himmels ganzer Segen Euch verläßt, 
zn da er Euch Äh wieder jert ins Neit. 
e felbit ein Eaugenichts, ein Dagabund — 
Und gleich fonımt alles mit ihm auf den Bund, 
Die Heide honigt nicht — zum erftenmal! 
Der Roggen fault, fein einz’ger Sonnenftrahl 
Fällt meht vom Himmel. Er verführt die Knechte, 
Die mitverlumpen, Euer Kind — ich dächte, 
Das fagt genug — wird franf, wird plötlidh fiech 
Und fucht Ichon heimlich; nach der Himmelsftieg” — 
Seht Engel an! Euch felbit — wie trüb’ und bleich! 
Und darum, Nachbar, rat’ ich Euch nur gleich: 
Schafft Wandel noch beizeiten! Jedenfalls 
Schafft Euch Bell Kirk, fobald Ihr fönnt, vom Hals!” — 


Jan bebte, doch er fprady: „Ich glaub’ es nicht, 
Was Ihr da fagt, und fenne meine Pflicht. 
Ja, Bell ift ſchlecht, doch wie in aller Welt 
Soll, daß die Sonne fcheint, daß Regen fällt, 
Daß die Gefunden franfen, Kranfe jterben, 
Sein Wert fein? £aft die Thorheit! Sein Derderben 
Sind feine £alter. Glaubt mir's!" — „Jedenfalls 
Schafft Euch den Bell, ich rat’ Euch, bald vom Hals." — 
„Dom Hals? Wohin? Dielleidyt auf offne Straße, 
Daf er in Schinpf verfintt?” — „Glaubt nicht, ich fpaße,“ 
Sprady ernſt der Schäfer; „fort! laßt ihn verichwinden ! 
Wer ſucht nach Bell? Wer wird ihn wollen finden?” — 
Und dabei fah der Mann jo wunderlich 
Auf Jan, daß den ein Grauen überſchlich 


Mn einem Morgen bald darauf war Bell 
Wirklich verichwunden. Seine Eagerftell’ 
War leer, war unbenutt. Yioch in der Nadıt 
Hatte, fo fchien es, er ſich fortgemadht. 
Man muft' es —— Engel jauchzte faſt 
Vor Jubel auf. daß fie von ihrem Gaſt 
Endlich befreit war, und auch Jan fchien mehr 
Erfreut, als aufgebracht. Nun war audı er 
Der Sorge los, im Guten oder Böfen 
Sich und fein Meib von diefen Bann zu löfen, 


Zwei Tage fpäter macht' er fich zur fahrt 
Sur naben Kreisitadt fertig, dort die Steuer 
Selbft einzuzahlen, die der Aermſte heuer 
Vom eignen Blut fi mahvoll abgeipart. 
Das Pferd war angeichirrt, Jan fchritt zum Schranf, 
Ihn öffnend, als er fdhreiend niederjanf. 
Denn das Geheimfach, drin jeit Mond und Wochen 
Den Scha er aufgelpart, fand er erbrochen 
Von rober Hand, das Geld — kein Zweifel blieb — 
Das Geld war fort und Bell nur war der Dieb, 
Beraubt vom eignen Bruder! Schwarze Nacht 
Schien wirbelnd fi Jan Kirf ums Haupt zu drehen. 
So abgrundlofe Schlechtigfeit, erdacht 
Dom Teufel jelber, ward noch nie geichen, 
Ward nie geaknt vom guten Jan, Die Dand 
Des eignen Bruders gegen ihn gewandt 
Sur räuberifchen Ebat! War da zum Mord 
Mehr nötig noch, als nur ein Schritt, ein Wort, 
Ein Augenblick, der jüäh den Reſt der vollen, 
Derbrecheriichen Kraft, die jtill noch ruht, 
Beftialiich wachruft und den wahnfinnstollen, 


Engel Kirt. 





Derruchten Trieb fich fätt'gen läft in Blut? 
Beranbt vom Bruder, * im haus, das Brot 


Beraubt jein 

für diefes Geld — ſchon fange her! 
Geraubt das Geld, das nun in Sieberhaft 

Der andere verfpielt, verjohlt, verpraßt! 

Ein Schrei der t entrang fich In: die Stunde 
Tilgt’ alle £ieb’ ihm aus und tief im Grunde, 
vom für jede andre Qual und Pein, 

Spürt er die Gier nach Vache nur, allein. 


So fprang er auf und in den Hof hinaus, 

Indes von —* Tammerruf das Haus 
Und von der Kinder Feterfchrei ericholl. 
Darn auf den Wagen — und das Pferd wie toll 
Antreibend jagt im Wettlauf mit den Winden 
Der Stadt er zu, gewiß, dort Bell zu finden, 
Am nächſten Tag, todmüd', fam er zurück, 
Das Geld war hin, gerettet nicht ein Städ, 
mit Dirnen und erbärmlichen Gejellen 
Dergeudet, weggeworfen, wie von Wellen 

inweggeipält. In namenlofer Mut 

richlug er Bell fat, Doch das heife Blut 
er legtenmal befänft'gend, jchied er nur 

uf immer fi; von ihm und that den Schwur, 
Mit eigner fauft ihn vor Gericht zu fchleifen, 
£ieß'‘ er noch einmal fid im Hof ergreifen 
Jan Hirfs, Und Engel pries ihn, daß er ſich 
Im Zorn beherricht: „denn Bell wird»ficherlich 
Sid; hüten, ferner unſtes Hauſes Chor 
Su nah'n; jeht, den" ich, hat er Schen davor, 

och du fei nun getroft! Und drängt die Steuer, 
Derfauf’ im Stall das Pferd! Niemals zu teuer 
Erwirbt ein Menſch dem Haufe Ruh’ und Glück. 
Die wohnen nur am fejtgebauten Herd, 
Der alles Böje trobig von fid wehrt. 
Und glaub’ mir's nur: jeht fommt auch uns zurüd 
Des Biel Segen, der uns einit fo treu 


Hlingt auch die Welt um uns und Sonnenichein 
Bligt wieder golden uns ins Haus herein.“ 

Sie fiel ihm um den Hals und füßte Jan 

Voll Inbrunft, Und dann gingen fie daran, 
mit frifchem Mut und frifhem Gottvertrauen 
Ihr Haus und Glüd aufs neue aufzubauen. 


So ging der Winter langfam hin, in Plag' 
Und unverdrofiner Mah für jeden Tag. 
Dann nahm ein Wind mit lauem, milden Baudı 
Das Eis vom Bad, den Schnee von Baum und Straudı, 
Und wie am MWaldhang aus der ſchwarzen Erde 
Mand gelber Keim jich fraftvoll Drängend hob 
Und all des braunen Winterlaubes Schwerde 
ge £ichte ftrebend auf die Seite ſchob. 
o rik auch Engel fraftvoll aus dem Schoß * 
Des Kummers und des Grams fidy wieder los. 
3 e flarfer Geift, zum neuen Tag erwacht, 
ob alles, was in dunfler Winternacht, 
Ihn erjt beſchwert, zur Seite und dem Kicht 
Wandt’ er fich zu in froher Zuverſicht. 
Nicht Jan, der ernft und ſumm blieb. Wie ein Kummer 
€ag es auf ihm und drüdt’ ihn ſelbſt im Schlummer. 
Und immer ſah er, wo er Hand und ging, 
Und ob er machte, ob ihn Schlaf a 
Den Bruder vor fid;, fchredlich, hafentteilt 
Und Rache drohend, Ueberall, durch geld 
Und Haus, die magre Band geballt. 
Derfolgt' ihn die entiegliche Geftalt, 
Wie ein Geſpenſt. Nichts kann den Spuf ihm bannen, 
Nichts treibt den dunflen Scyatten ihm von dannen, 
Sein ewiger Begleiter wandelt dicht 
Er neben ihm, im Dunkel und im €icht. 
Doch einmal, als er fpät zur Dämmerzeit 
Don: Fenſter in die dunfle Heide weit, 
Die fill und friedlich lag, noch finnend fah, 
Da glaubt’ er plöplich feinem Haufe nah 
Den Bruder felbit, leibhaftig Bell zu fchen. 
Wie Wölfe nächtlich um die Hürde fpäben, 
So ſchien er drohend um den Hof zu fchleidhen, 
Im Schub der Nacht. Ein Ingrinm ohnegleichen 


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516 


Erfafte Jan. Die $linte von der Wand | 


Jäh reißend, rief er: „Wer da?" Da verfhwand 

Der Schatten vor den Augen ihm, verichlungen | 
Wie von der Erde. Yan, von Gran’'n bezwungen, | 
Trat mit der Slinte ins Gemach zuräd: ! 
„Gottlob, ich träumte nur. Das war mein Glüd.” 


Und wieder ruhte in dem dunklen Urm 
Der Nadıt die müde Erbe. feucht und warm 
Und weich fuhr durch die fahle nordſche Heide 
Der ichmeichleriiche Mind des Südens. Sern 
Aus tiefem Blau erglänzte Stern an Stern, 
Aufbligend, wie ein Schmud auf famtnem Hleide, 
Im Hof war alles fill. Jan hatte ſpät 
Dın Weg zu einem Nachbarn erſ genommen 
Und war von dort noch nicht surädfgelommen, 
Die Kinder, nodı das furze Nachtgebet 
Auf ihren frommen Cippen, ſchliefen. Ceiſe 
Und friedlich ging manchmal ihr Atemzug 
Wie £ebenshaud durchs Zimmer. Engel trug 
Die Bibel ih heran gemohntermweife 
Und las, fo träb das £icht der Campe quoll. 
Aufs Buch gebeugt. andächr'ger Spannung voll 
Die alten, oft geleienen Geſchichten | 
Don weiland Konig Davids Chun und Didyten 
Und feines Sohnes ſtolzem Kegiment, 
Des Salomo, im Alten Teftament. 





Und Engel las und nahm der Zeit nicht acht. 
Da plötlidy tauchte aus der dunflen Nadıt 
Am Fenſter draußen bleich das Angeficht 
Bell Kirfs empor und an die Scheiben dicht 
Sich prejiend fpäht er durch den trüben Raum, 
mit Blifen, wie im dunflen Wald vom Baum 
Ein wildes Tier nach feinem Opfer blidt, 
Doc war's nur ein Moment. Dann ließ geſchidt, 
Unhörbar er fich wieder an der Wand 
Des Hauſes niedergleiten und verichwand. 
Und Engel las. Beim Flackerſchein des Eichts 
€£as fie noch immer. Engel, börft du nichts? 
Fahrt doch die Tigermutter auf und lauict. 
Wenn durch das Schilf der Nachtwind narker raufcht, 
Und fprungbereit, mit aufgeredtem Ohr 
Horcht fie, wenn dürr ein Zweig nur fnidt, empor, 
Für ihre Jungen, bis des Morgenlichts 
Strahl wach wird, lauſcht fie — Engel, warnt dich nichts ? 
Don all den vielen Heil’gen und Propheten 
In deinem dicken Buch — warnt feiner dich? 
Will feiner jetzt als Schüher zu Dir treten 
Und warnend dir die Schulter rühren? dich, 
Di retten? ©. dann mwirf das Buch ins Seuer! 
€s ift dein Tod! Schon naht dir ungeheuer 
Dein Schidial! Auf, bevor es dich erreicht! 
Bord, wie es draufen anf der Diele ſchleicht! 
Hör auf, zu Seien! Schlief die Thür! Zu fpät! 
Schon dreht die Angel ſich und vor dir fleht 
Der böje Bell. Was nüht dir jent dein Schrei'n? 
Bell Kirf ift da und du, du bil allein, 


Und wie er heiler „Guten Ubend!” bot 

Und dicht vor Engel ftand, da flammt‘ es rot 
Und heif ihm übers mweife Antligg. „Spricd, 
Was milljt du, Bell?” frug Engel fammelnd, — „Did, | 
Did; will ich,” ziichte der. „Don Bof und Haus 
Bat mich dein Mann in alle Welt hinaus 
Geftoßen, wie mit Bunden weagetrieben — 
Du haſſeſt mich und ich, Ich will dich lieben. 

ch lieb’ dich lange ichon.” Und nun begann 

in wildes Ringen zwiichen Weib und Mann, 
Auf Tod und feben, Wie des Meeres MWogen 
In ihren Kämpfen ſchreckensvoll ſich türmen, 
Sid; eng umklammern und binabarsogen 
Dom Strudel wieder zu erneuten Stürmen 
Auftauchen, alfo rangen bier die zwei 
mit Allgemalt. Ein Schredensruf. ein Schrei, 
Ein wildes Keuchen, dumpt verbaltnes Stobnen 
Erfüllt den Naum. Der Boden ſchien zu drohnen; 
Denn tapfer rang Jans Meib und heidenhaft 
$ür ihre Ehre. Aber ach die Kraft 
War doch nur eines Weibes. Jammernd fchrie | 
Um Hilfe Engel, zitternd brach ibr Hnie, 
Ihr Arm erlahmte, den wie erjgegolien 
Die Fauſt des frechen Burichen bielt umſchloſſen. 
Ihr ſchwand der Sinn, wie einem, der ertrinkt 
Und nun verflunmend in die Liefen finft. 
Sein Obr umtauſcht's und Purpurmwellen fliehen 
Ibm por den Ungen bin, die müd' ſich fchlichen. | 





Herm. Oelſchlaͤger. 


Dod wie jept Bell, dafj fie por Schmerz fib wand, 
Ihr fdhönes Baupt mit unbarmberz'ger Hand 

Un feinen reichen Föpfen rüdmwärts bog — 

Da ſprang die Thür gewaltig auf, da flog 

Auch Jan herein, da flog er in die Stube 

Und donnerte: „Zurüd, verfluchter Bube!“ 

Und faßt' ibn hoch und warf mit einem Schlag 
Bell auf den Boden, daß er ftöhnend lag. 


Und fill ward's. Niemand ipradı und niemand frug. 
Nur manchmal ging der Kinder — * 
ar durchs Simmer, leife, wie ein bauch 

es jungen £ebens, und jegt regte auch 
Bell Kirk fich wieder und ein Zittern lief 
Den Körper ihm binauf, als ob er fchlief’ 
Und Schweres träumte. Scheute ſich das £eben 
In ibm, zurüdzufebren? War's ein Beben 
Gebeimer, dunkler Angſt? War's Neue, Scham, 
Was berjbeflemmend ihn jeht überfam ? 
War ihm das £eben feiber nun verhaßt 
Und fträubt' er fi, die unmwilllommme £aft 
Aufs neu zu fragen, die nur neue Sünde 
für ihn bedeutet? Hatte geiſterbaft 
Sein Blick, indes er fchon mie hingerafft 
Um Boden lag, fidh in die tiefften Gründe 
Der Seele ihm gefehrt und fchredensHMar 
Die Nacht gefeben, die dort heimisch war, 
Aus der verbrecheriich und grauenvoll 
Don Ynfang an fein Thun und Denfen quoll? 
War jet der Tod nicht alles, was nodı gnädig 
Der Limmel ihm gewähren fonnte? _ 


Stumm 
Sah Ian auf ibn und jedes Mitleids ledig. 
Da warf im heft'gen Krampf fih Bell herum 
Und ſchlug die Augen langſam auf, im Kreis 
Sie mühooll drebend, und dann fprac er leis: 
„Ich will —”" „Du aber ſollſt nun nichts mehr wollen!” 
Scrie Jan und ri ein Kiffen aus dem vollen 
Bett nebenan, warf fib auf ibn und ſchloß 
Den Mund ihm — ad, für immer. Kegungslos 
Bielt er das Kiffen ſchwet auf Bell geprefit, 
Minutenlang, die einer Ewigfeit 
Gleichfamen. Seine hände hielten feſt 
Und zudten nicht. Und als er mit der Zeit, 
Im Antlitg heiß vom Drud und purpurrot, 
Das Kiffen wieder hob, da war Bell tot... . 


Die Mitternacht war lang ichon weit im Eand, 
Das £icht der Campe längſt herabgebrannt. 
Yan flarrte ſchweigend in die Nacht hinaus, 
Denn feine Serle war voll Gram und Graus. 
Und Engel ſaß am Tiſch. Gedankenſchwer 
Das Baupt geftägt, jo fah fie vor fih ber 
Dem Mond nad, der mit feinem Silberichritt 
Durchs dunfle Fimmer hin am Boden glitt, 
Den altersbraunen Schranf entlang, und jett 
Traf er die gute Bibel, die zerfeht 
Darunter lag. und jetzt, bel wie der Tag. 
Strich leis er hin, dem Orte zu, wo Bell 
Gar Mill und Aumm nodı auf der Erde lag. 
Da fafte fie ein jäbes Graufen, Schnell 
Erhob fie fih und trat zu Jan: „Wir haben 
Zu thun — fei ſtark — wir müſſen Bell begraben.” 


Auf einem Karren fuhren fie ihn fort, 
Die Seide bin, an einen ſtillen Ort. 
Das Gras war nodı nicht hoch, die fahrt ging leicht, 
Die Nacht war hell, bald war der Plat erreicht. 
Gar einfam lag er in der weiten Welt, 
Don einem Dutzend Föbren nur umitellt. 
Bier fam im ganzen Jabr fein Menich vorbei, 
Nur dann und wann ſah man mit beiferm Schrei 
Sid; Krähenfcharen in den Zweigen wiegen 
Und wieder mit Gekraächz von dannen fliegen. 
Bier gruben fie ein Eoch im dDürren Eand 
Und Engel ſcharrte mit der eigen Hand 
Die Schollen tief heraus, zu Bäupten fie 
Aufbäufend. Das war Urbeit, wie noch nie. 
Der trübe Mond ſchien Teis nur durchs Gezweig. 
So jchafften fie im Dunfeln, ſumm und beide, 
Sie aruben emfig. ratlos, und fodann 
In feine Grube jenften fie den Mann, 
Den toten Mann. Da lag nun Bell begraben 
Und fonnte Sried' und Kub für lange haben, 
Tent that er, eingefchlofien in vier Münde, 


rlichts Böfes mehr und alles war am Ende, 


Engel Kirf, 


Der Morgen graute, als fie heimmärts fuhren, 

Doc; niemand fah im Gras des Wagens Spuren. 
Und niemand frug nah Bell, Er blieb verihollen — 
Mer wird ihn fuchen? wer ihn finden wollen ? 


Und als der heiße Semmer fam, da blühte 
Die Heide reich wie nie, der Himmel glühte 
In lichtem Blau und zitternd lag die £uft 
Auf der unendlich bingeftredten Släche, 
Die, grün von Gräfern wogend, fich in Duft 
Und Sonne fern verlor, Des Lebens Bäche 
Umraufchten jung und voll das ſchlichte Haus 
Jan Kirks. Die Bienen flogen ein und aus 
Und bargen, heintgefehrt, mit Mühe fait 
Und Hot nur all dir reiche, fühle Lat, 
Und fleigig fchaffte wiederum am Moor 
Jan Kirf, wie fon, und wieder wie zuvor 
Sprad; er bei jeden neuen Spatenftich: 
„sür meine Kinder!” leife bin vor fich 
Und lächelte glädfelig, wenn die Rangen 
In Kinderluft ihn auf dem feld umfprangen ; 
Und Engel pries, daß ſich des Himmels Segen 
So fichtbarlich erweiſe allerwegen 
Und daß fich feine Gunft in diefem Jahre 
Un ihnen allen deutlich offenbare. 


Im Jult brach zur Nachtzeit ungeheuer 
Ein Wetter los. Der Himmel fand im feuer 
Sahllofer Blige: Schwere Donner rollien 
Die flurmgepeitichte Beide bin, als follten 
Heut Erd und Himmel untergehn,. Die Nacht 
War bang für Menſch und Tier, Mie eine Schlacht 
Erdröhnt es in den Läften. Prafielnd gof 
Die Regenflut hernieder und jetit ſchoß 
Ein Seuerball vom Firmament und tauchte 
In Gluten Haus und Hof, hell wie der Tag, 
Die Augen blendend, dann ein Donnericdlag. 
Daß alle Mauern bebten. Und ſchon rauchte 
€s ziſchend auf, ſchon züngelten die $lammen 
Juft an der mächtiaften der £inden auf — 

Der Regen löfcht fie — doch am Morgen drauf 
Brad bliggefällt der Baunı in fid; zuſammen. 


Jan fpradh: „Der Himmel felbft bat ihn zerſchmeltert, 


Da liegt der Riefe nun geſtürzt, entblättert. 
Soweit ich weiß, hat er nicht feinesgleicdhen 
Im Eand gehabt — ich ahn’ ein ſchimmes Zeichen.“ 


Und noch am felben Tag flog durch die Kunde 

Der Höfe eine jdyanervolle Kunde. 
Weit in der Beide draufien, wo im Sand 
Ein Dutend Föhren fiehen, war die Hand 
Wie eines Toten an den Tag gelommen 
Und wies zum Himmel aus der nadıen Erbe, 

. Ein Knecht, der bier am Morgen feine Pferde 
Dorbeigeführt, der hatt’ es wahrgenommen. 
Man jtrömt hinaus und fiebt hinweggeichwernmt 
Den Sand vom Sturm der Macht, der ungehemmt 
Das Grab durchwählt, das ohne Kreuz und Sarg 
Wer weiß, wie fang ſchon, einen Toten barg. 
Daß ein Derbrechen bier geichehn, war Har, 
Der Tote felber macht' es offenbar 
Und alle, wie fie um die Grube ſtehn, 
Getrau'n fih, Gottes Singer hier zu ſehn. 
Am Ende holt aus feinem flillen Baus 
Den £eichnam emfig fchaufelnd man heraus 
Und man erkennt Bell Kirf, denn wer im Eand, 
Wer hätte nicht den Tangenichts gefannt? 


Jan wird befragt, doch er erwidert nicht. 
Am andern Tag geht felbit er vor Gericht, 
Um, eh man andern nachforſcht, zu geſtehn, 
Die dunfle That fei nur von ihm geichehn. 
Yun famen ſchwere Zeiten. Im Gefängnis 
Bielt man Jan Kirk und Engel mondelan 
Wie graufam träg nahm, mit wieviel 33 
Die Prozedur ſchwerfällig ihren Gang! 
Doc hielten beide mutig aus und blieben 
Bei ihrer erfien Rede, Weib wie Mann: 
„Er bat uns felber in den Fluch getrieben, 
Es ging nicht anders.” Und dann ipradı noch Jan: 
Ich aber that's allein.“ Doch Engel, mild 
Binlächelnd, fagte: „Ja, jedoch was ailt 
Es auch, daß du's allein getban? Ich fand 
Dabei und fah’s und —* nicht die Band, 

Dem unglüdiel’gen Menichen beizuftehn, 


rängnis 


Dem nur fein Recht, fo dacht! ich, ift geſchehn. 

So dent’ ich heute noch. Du haft uns beide, 

Da jelbft der Himmel uns in ſolchem £eide 

Kein Helfer war, aus unerbörter Not 

Und Schimpf und Schmach befreit durch feinen Tod, 
Mas wir ertrugen, niemand fann cs wiſſen. 

Wer fieht ein Berz jerfoltert und zerriffen ? 

Wer fieht die Bitternis, wenn jede Stunde 
Erneurung bringt der tief verboranen Wunde? 

Wer fieht die Qual? Und wenn für Eher’ und Haus 
Kein Retter fommt, fo bricht fie endlich aus 

Und fchreit zum Himmel: Lieber Tod und Sterben, 
Als langſam fo noch länger hinverderben | 

Drum ftand ich da und fonnt es ruhig fehn, 

Da jenem nur fein Recht ja war geichehn. 

Drum fchrie ich nicht und meinte nicht — und haben 
Wir denn nicht beide heimlich ihn begraben ?* 


So ward das finftre Urtel dann gefprochen, 
So ward der Stab von Richterhand gebrochen. 
And weil der mächtige Bott Sebaoth 
Ein ftrenger Rächer ift und fein Gebot 
Uns fundthut: Ang’ um Auge, Zahn um Zahn, 
So ward für feinen Mord dem arnıen Jan 
Das £eben abgejagt und Engel follte 
Des Zeuge fein und dann für lebenslang 
Ins —— wandern. Da war's Engel bang, 
Sie ſchrie und klagte, zeterte und wollte, 
Wie boffend fie von Unfang an gemeint, 
mit ihrem Manne fterben, ihm vereint. 
Dann fprady fie ibm mit ſtarken Morten zu 
Und fprad» ibm Mut ein: „Alles endeit dus 
Ja, in Minuten, während lange Jahre 
Ich feufzend harren muß auf Tod und Bahre, 
Ich joll dich jterben jehen, quter ar. 
Dann blick“ auf mich nur, nur dein Meib ſieh an! 
Denf alles defien, was wir ſchwer gelitten, 
Wie wir uns liebten — trifft dich dann inmitten 
So guten Denfens jäh der Tod, befreit 
Bi du von allem Wehe diefer Zeit.“ 


Und wie die fchwere Stunde fam, da ſtand 
mit totenbleichem A unperwandt 
Den Blick auf Jan gerichtet, Engel. Nicts, 
nichts fah fie von den Schreden des Gerichts, 
nichts fah fie von der taufendföpf'gen Menge, 
Die wie ein Meer in braufendem Gedränge 
Beran ſich ſchob. Sie blidte nur auf Jan, 
Gewiß, daß er aus ibrem flarfen Auge, 
Wie er im eben ſchon jo oft getban, 
In diefer Stunde Mut und Stärfung fauge. 
Jetzt jahn fie ſich — zum leptenmate flog 
Sein £iebesbli zu ihr, wie zu den Spiten 
Des Bergs ein letter Sonnengrufi — dann bog 
Er müd fein Haupt. Da brad auch ihre Kraft; 
Don einer Ohnmacht diefem Ceid entrafft. , 
Sah fie nicht mehr das Schwert des henkers blitzen. 


Und als fie tags darauf von ihren Kleinen 
Den Ubfchied nahm, Sprach fie mit leifem Weinen 
Den Segen über fie: „Uus franfem Eerzen 
Segn’ ich euch, Kinder, in den tiefiten Schmerzen, 
Die je ein Weib erlitt. Doch fromm und rein, 
Was auch die Welt jeht von mir fpricht nnd alaubt, 
JR diefe Hand. Sie leg’ ich euch auf's Haupt 
Ind denft ihr einft des Daters, denft ihr mein, 
So thut’s im Guten. Und nun geht.“ 


Sie gingen 
Und weinten; dod; fie wußten nicht, warum. 
Sie blickten fchen. Doc Engel legte Aumm 
Jet ihre Hände in des Knechtes Schlingen, 
Der fie im Waagen, mie ſich das gebührte, 
Derdroff'inen Blides nun zum Zuchthaus führte. 


* * 
* 


Gelaſſen wandelt ihren ew'gen Gang 

Die Seit von Anfang an. Kein Ueberſchwang 
Don “Menfcenfreuden oder Menichenleiden 
Derlangfamt oder flügelt ihren Schritt. 
Gelaflen wandelt fie vorbei an beiten 

Und nimmt von beiden nach Gefallen mit. 
Don ihrer hoben jungfräulichen Stirn 

Strablt Falter Glanz, wie von der Alpen Firn 


517 


518 


Der ew'ge Schnee. Glück, Ciebe, Frohſinn, Luft 
Rährt nie das Eiſenherz in ihrer Bruft. 

Gefühllos wandelt fie, Der Schmerzensichrei 

Des Unglücks hallı ihr ungehört vorbei. 

Und ob der eine ihre Flucht beflaat, 

Der andre ihren Sauderichritt — fie fragt 

Nadı beiden Choren nit; fie fieht den Sand 
Gleichgältig in dem Glaſe niederrinnen 

Und rührt, dem Markt entrüdt, auf hohen Zinnen 
Der Klode Hammer mit gelafj'ner Band. 

Dem Glüf zum Hohn, dem fie zu rafch enteilt, 
Dem Schmerz zum Trog. dem fie zu lang vermeilt, 
Singt fie die uralt alte Melodie: 

Ich ende alles — ich felbft ende nie.” 


Und alfo hatte viermal fchon das Jahr 
Im Kreislauf fich erneut und viermal war 
Der Bienen Dolf zur Heide ausgeflogen 
Und beimgefebrt. Und durch des Chores Bogen 
War viermal fchon der Roggen eingebracht — 
Don fremder Band, und viermal hatte ſchon 
Sich jene unheilvolle Schrefensnacht 
Gejährt, Wie rafch war doc; die Zeit entflohn! 
Wie rafch, wie raſch! 


Nur Engel fand das nicht. 
Ein wenig bläffer war ihr ——— 
Als ſonſt. Das fam, weil fie die £uft entbehrte, 
Die Blut und Herz ihr fonft fo fröhlich nährte, 
Jest ſaß fie da und Magte ftill für fich, 
Wie qualvoll —— ihr die Zeit verſtrich, 
Da jeder Augenbli doch Jahr für Jahr 
Mir Schmerz und Gram ibr reich gefättigt war. 
Und weil das Juhr wie eine Emigfeit, 
Scien auch die Qual verzehnfacht durch die Zeit, 
Wie graufam war die Zeit, wie ichwer die Not! 
für alle Menſchen war fie jchon wie tot 
Dergeffen, wie ein ausgetretner $unfen, 
Ein Tropfen Blut, vom Boden aufgetrunfen, 
Die Arbeit that fie, wie fie fam. Doch wußte 
Davon ihr Herz nichts. Ihre Hände flogen 
Nur um die Pflicht, die fie erfüllen mußte, 
Die Seele war wo anders, Bilder zogen 
Trüb wechſelnd ihr vorbei in rafchem Slug. 
Das höchſte Glüd, gemifcht mit tiefftem £eide: 
Der arme Jan, das Baus, der Hof, die Beide — 
Da batte fie zu denfen denn genug. 
Und dann die Kinder, die — Gott fei's geflagt! 
Voch nicht ein einz'gesmal nad; ihr gefragt. 
Dod; nahm fies wie das andre. Aus dem £eben 
War fie wie Jan; fie mußte fich ergeben, 
Doch Jan lag fAumm, lag tot im Leichentuch, 
Indes mit jedem Pulsſchlag fie den Fluch 
Des Seins verlängerte! r das nicht mehr? 


Nicht fchredlicher's? ft Sterben denn fo ſchwer? — — 


Und plöglid kam's wohl auch, daß nadı der Weit 
Ein beifer Durft fie überfiel, nach Ceben 

Und Sreiheit Jung und fchön und fraftgefchwellt 
Rann durch den Körper ihr ein leifes Beben, 
Derlangen, Sehnfucht, Qual, nur noch einmal 

Su fduaffen in der Sonne goldnem Strahl, 

Den Hampf des £ebens mutroll zu erneuen, 

Mit ihren Kindern fidh des Tags zu freuen 

Uns wie die andern vielen Millionen 

Sich frei zu regen und im Glüd zu wohnen. 

Sie fdyraf zufammen. Wie die heiße, rafche 
Glutflumme plötlic; lodert aus der Aſche 

Und wie der Quell, feit Jahren fchon verlandet, 
Plõtzlich nodı einmal aus der Tiefe brandet, 

5o fam es über fie, Derzmweiflung. Schmerz, 
Wunic, Hoffnung, Gier durdyichättelten ihr Herz 
Und durch das Haupt, wie einem Steberfranfen, 
Tobten ihr heiß die marternden Gedanken. 

Doch ftritt fie's mannhaft durch und ganz zuleht, 
Wenn fih ibr Münfchen endlich müd geieht, 

Kam Ruhe wieder über fir, wie matt 

Des Seers Wogen rubn und ipiegelalatt, 

Die erit im Sturm getobt. Gelaffenheit 

Erfüllte fie, und das, was ihr zur Zeit 
Ergebung hieß. bis fie fogar vergaß — 

So fhien’s, — das jie in Schmach und Schmeigen ſaß 


Im fünften Jahr nun war's, da fam, als reiter 
Hirt feiner Herde vorgeſetzt, ein neuer 
Pallor zut Stadt, in deren Kirchenipiel 
Bleichfalls das nahgelegene Zuchthaus fiel. 
Ein junger Mann war Llemens Uriten, jung 


Berm, Oelichläger. 


Und ftarf im Glauben, voll Begeifterung 

*sür fein erbabnes Umt, voll Schwärnterei, 

Die feljenfet die Treue führt im Schilde, 
Bereit zur Bilfe, angetban mit Milde 

Und ftets gedenf, daß Gott die Lirbe fei. 

Ein Garten war fein Herz, darin er gut 

Die Menfchenliebe hielt in frommer But. 

Dor allem pflegt’ er fie und im Gemwier 

Des £ebens ward er niemals an ihr irr. 

Sie achtet’ er wie eine Wunderblume, 

Sum Heil dem, der fie pflegt, und Gott zum Ruhme, 
Die fiegreich jede Menſchennot beftreitet, 

Dom Himmel fommt und wieder zu ihm leitet. 
Darum, wenn auch mit fdywerem Herzen nur 
Sein junges Weib vom neuen Amt erfuhr, 
folgt’ er doch freudig jenem Ruf. Die Stätte 
War heilig ibm. Denn bier lag an der Kette 
Das Unglüd, lag das Elend, das Derbredyen, 
Der bittre Jammer und die blut'ge Rene, 

Die jeden Tag das Herz zerfleiicht aufs neue, 
Bier war ein Strom von Chränen zu beiprechen, 
Bier waren, die zerbrochnen Herzens find, 

Und die zerichlagenen Gemärs. Hier waren, 
Die Schifbräch auf des £ebens Meer erfahren, 
Abfeits gefchleudert jäb von Sturm und Wind. 
Bier fonnte feine fchöne Munderblume, 

Den Elenden zum Beil und Gott zum Ruhme, 
Sich in verflodte Seelen fiegreich drängen, 

Die £ippen öffnen und die Herzen fprengen: 
Denn wie der Regen fommt zur dürren Seit, 
Folgt auch der Not ſtets die Barmherziafeit. 


Und als er fo zu Engel Kirf einit fam, 
Zum erflenmal, da faßt' ihn tiefer Sram, 
So jung, jo fchuldig und jo trogooll! Schmeigend 
Hört! Engel auf fein Wort, die Stirn faum meigend, 
„Doch Eures Manns Verbrechen feht Ihr Mar?” — 
„Er that nur, was ihm Recht und Ehre war.“ — 
„Als er gefrevelt wider die Natur?“ — 
„Dafür war er fidh jelbit fein Richter nur.“ 
Und dennoch ließ den Paftor Engels Bild 
Nicht los mehr. Er fanı oft. u mild 
Sprach er ihr zu und wie die Sonn’ im März 
Das Eis der Släffe löft, räbrt‘ es ihr Herz 
Und löl’ es von der Eifesrinde, die 
Es fübl umſchloſſen hielt, bis denn auch fie 
Sich endlid; ihm ergab, ihm ganz vertrante, 
Daß er in ihre tiefite Seele ſchaute. 
Er war erflaunt, entiegt, beglädt, vernichtet! 
Am Mord mitidyuldig war fie, war gerichtet, 
Und doch wie — wie rein und ohne Fehle 
Erichien ihm dieſes Weibes ſchlichte Seele. 
Derdammt von: Richter, ſprach aus eigner Kraft 
Sie frei ſich, ohne Baß und £eidenichaft. 
Zeugin des Mords, falt, mit gelaffnem Blut, 
Dar einem Kinde gleich fie weich und gut. 
Und wie er all den Sammer dann vernahm, 
Der einſt durd; Bell jäh Aber Engel fam 


"Und über Jan und übers ganze Haus, 


Wie fie Unmenſchliches durch ihn erduldet 

Und wie er felbit den blutgen Schluß verichulder, 
Ging er beträbt von ihr, in tiefem Graus, 

Und weinte über fie, Doch eines land 

Ihm feit im Herzen, hier mit Gotteshand 

Aus Nerfernact und aus der Schande Ketten 
Sür diefes Keben Engel Hirf zu retien! 


Ja, ſprach er, Blut um Blut! In Gottes Namen! 
Wie Joram ward geitraft famt feinem Samen 
Für Bradermord, wie Abimelech fiel 
$ür feine ungeheuerliche That, 
So ward auch Jan gerichter, ihm das Fiel 
Des Seins verfürzt durch Richterhand. So bat 
Er jeines Bruders Blut, das von der Erde 
Zum Himmel ſchrie, verföhnt, im fichern Hoffen, 
Daf ikm dafür auch jenfeits Gnade werde. 
Das walte Gott! Dann Nand der Bimmel offen 
Der reu’gen Seele und fein Cerb hienieden 
Sant müd’ der Erde zu und ihrem Ärieden. 
Doch Engel, Engel hat man leben laffen 
Fär mindre Schuld! Und fie — ich fann’s nicht fallen — 
Soll jahrelang in Schimpf und Schande ftehn? 
£anglam verfommen, langfam untergehn 
Und jo vermodern? Bei dem Ungeficht 
Des Bimmel, diefe Menichen ahnen nicht, 
Wen fie da morden, wen fie da jeritören! 
Doch ruf’ idy's laut und alle follen's hören 


Ich fordre diefes Weib zuräd den Ceben, 

Der König fann, der König muß vergeben, 
Ihr ward für Meinre Schuld der größre Teil 
Der Strafe zugemeſſen. Bligt das Beil, 

So ift die Schuld gefühnt, das Haupt zu Füßen. 
Doch fie foll endlos lange Jahre büfen? 

© hätte man fie doch mit Jan a 

Der Welt enträdt! Wär’ ihr der Codesſtreich 
Erlöjung nidht, ihr Rettung nicht gewefen ? 
Yun irrt fie ewig lange Jahre hin, 

In Schmach, in Schande, mit verflörtem Sinn 
Und ohne Hoffnung, jemals zu geneien. 

Welch Elend, ohne Hoffnung und Dertrauen 
EnDdlofe Jahre in die Dede jchauen, 

Die fchweigend vor dem flumpfen Blid ſich dehnt 
Wie nactbededte Wäſte. Ringsum gähnt 

Das Grau'n. Die Zurien liegen vor der Schwelle, 
Derzweiflung, Jammer lagern in der Selle, 
Ungit und Geſpenſter bringt die finftre Nacht, 
Der Schmad; Bewußtjein bringt der Tag zuräd, 
Am Herzen reift mit fets erneuter Macht 

Die Klage um das lang verlorne Glück — 

Und unentrinnbar — nirgends zu entfliehen — 
Alltäglich neu gejtraft — niemals verziehen — 
Und unabfehbar diefer £eiden Drang, 

Eın Jahr ums andre und auf lebenslang 

Des Teufels Opfer und der Hölle Spiel? 

Das iſt zu viel! 


Und fo gelduh's, daß er zwei Jahre lang 
Um Engel Kirf mit feinem ——— rang. 
Der König wollte nicht. Denn Engel fi 
Schuldig genug. Wie würde vogelfrei : 
Und ſchutzlos die Geſellſchaft ſteh'n, wenn jeder, 
Der tief verlegt dem oder jenem grollte, 
Im eignen Redt tyrannifch walten wollte! 
Wenn jeder feinem Haß nur folgen, weder 
Dor Gott noch Menic fi jcheu n und wie ein Tier, 
Das brüllend aus dem Käfig bricht, voll Gier 
Un> Blutdurſt feinen Nächten überfallen 
Und morden wollte! Kann das heiß’re Blut 
Entihuld’gung fein? Und ift denn nicht vor allen 
Der König da, des Bürgers Erben, Gut 
Und Wohlfein vor verbrecherifchen Bänden 
ge fhägen? Und half Engel, die jo rein! — 
en Toten nicht begraben? Darum nein! 
Wie ſie's verdient, jo mag fie nun auch enden, 


Der Paſtor aber fette alles dran 
Und wie einjt Jafob mit dem fremden Mann 
Sn Hachtzeit bis zum Morgenrot gerungen 
n ſchwerem Kampf und doc nicht ihn bezwungen, 
Bis er dann rief: „Stark bijt du, ja! doch wenn! 
ch laſſ' dich nicht, du fegnereft mich denn!” — 
o rang er mit dem König und er lag 
Dor Gott auf feinen Knieen manchen Tag 
Und manche Nacht, auf daf er fein gedenfe 
Und ihm in Bnaden diele Seele fchenfe. 
Und endlid; ward's erfüllt. Am Königstag, 
Da Gutes jeder En erwarten mag, 
Kam ihm vom Throne der Befcyeid, daß gnädig 
gr Seit der Fürſt auf Engel Kirk gefeh'n; 
r fpreche fie fortan der Seffeln ledig. 
alls Paſtor Arjten felbit dazu veriteh'n 
ich wolle und ſich felbit dazu bequemen, 
Fur Jahreslauf fie in fein Haus zu nehmen. 
Bertehe fie die Probe gut, fo fei 
Sie losgeiprochen und für immer frei. 
Beitebt fie ſchlecht, dann — ſchloß das Gnadenſtück — 
Kehrt in das Zuchthaus fie fotort zurück 


So ſtand's gefchrieben. Engel in fein Baus! 

Er las und las und las es Ba ule aus. ” 
Sein herz fchraf auf, im Inneriten beflommen: 
Wie hatten jie ihn gut beim Wort genommen! 
Die Mordverdammte aus der Zuchthauszelle 
Don ibm geleiter über jeine Schwelle, 
Als Hausgejellin zu dem Hausgefind', 

u feinem Weibe und zu feinem Kind. 

ein Keim, dem Frieden Gottes nur geweiht, 
War es für ſolchen duftern Gait bereit? 
Und wenn der Schatten, der fie ganz umhbüllte, 
Allmählich auch fein helles Baus erfüllte? 
Und wenn fein Kind — doch durft' er denn die Blüte 
mit diefem Kächeln voller Cieb' und Güte 
Dem Weib vertrauen, das mit eigner Band 
Das Unglädsgrab gefcharrt im Heidejand ? 


Engel Kirf. 519 


Klebt nicht ein Fluch an foldhen Händen? Sollen 
Das Kind fie faſſen dürfen, nadı den vollen 

Und derben Bäckchen greifen, zärtlich jtreicheln, 
£iebfojend taten und voll Anbrunit fchmeicheln > 
Sie jah den Mord. Sie lief den Mord gefcheh’n. 
Mer jo Entiegliches mit angefeh'n, 

Muß nicht fein Auge wie verzaubert fein? 

Doll böfer Madıt? Nein, rief's in Arften, nein! 
Und Seelenangft befiel den Braven. Wieder 
Schritt er dann lang im Zimmer auf und nieder 
Und fampfte nun mit ſich viel Stunden lang, 
Wie mit dem König er der Jahre zwei 
Gerungen, wie ein Jafob jchwer und bang 

In jener Nadıt. Dann fprac er feit: „Es fei! 
Heut bin auch ich dır, ſtarker Gott, begegnet 
Und laff' dich nicht, bevor du mich gefegnet, 
Noch morgen hol’ ich Engel Kirf. Willtommen 
Ser fie bei mir und freundlich aufgenommen.” 


frau Arſten freilich war voll Wideritreit, 
Doch ftand das rechte Wort ihr jetzt bereit, 
Sie jpradı: „Mo Blut gefloffen im da ſproßt 
Dir feine Blume mehr als Uugentroft. 
Da jteht ein Kreuz — fo war's in alten Tagen, 
Das foll auch fie in Gottes Namen tragen.“ 
Er aber füfte ihr die Stirn: „Und follen 
Der Schhmerjbeladnen wir und Kummervollen 
Das fchwere Kreuz, wie es in alten Tagen 
Bei Chriſten Sitte war, nicht helfen tragen ?” 


Und Engel fam, Wie aus der dumpfen Nacht 
Der Blindheit einer neu zum Cicht erwacht 
Und, all der Slanzesfülle zugewendet, 

In freud'gem Schreden ſebt und halb geblendet — 
Wie einer, aufgerufen aus der Gruft 
Des Todes, wieder wandelt in der £uft, 
Die Sterne wieder fieht, für die feit Jahr 
Und Tag fein Ange mäd’ geichlojfen war, 
Und flaunend fühit, wie ihm die Sonne wieder 
Erwärmung gieft in die erflarrten Glieder, 
Wie, von der Frut des Lebens neu umrauicht, 
Er ihrem Locken mit Entzüdfen lauicht 
Und endlich ganz betäubt und unruhvoll 
Zagt, ob er weilen oder fliehen foll: 
So fand ſich Engel Kirf. Des Pajtors Knie 
Umtlammernd küht fie feine Hand, Doch wie 
Sie dann die ihre nad dem Kinde ſtreckt, 
In holdem Drang, den Knaben mit den füßen, 
— — £ippen liebevoll zu grüßen, 

er, in der Mutter Kleider halb veritedt, 
Grofäugig aur die Fremder ſchaut, da tritt 
In heftiger Bemwesung zwiſchen beide 
Stau Nriten, wie jur Wehr den Knaben mit 
Den Bänden ſchügend. Web! In tiefem £eide 
Bebt Engel Kirk zuräd. Ein großer Schmerz 
Durchzuckt iht treues, vielgepruftes Herz. 
Jit fie geächtet? Steht das Karn⸗-zeichen 
Auf ihrer Stirn? Ein Schreden fondergleichen 
Erfaßt fie. Fieber dann in Herfersnacht 
Zuruck. begraben in dem tiefften Schacht, 
Derienft in Schimpf, geichnürt in enge Bande, 
Uls fo zu leben! In das Haus der Schande 
Surf dann lieber noch, wo unbeieben 
Die einen Sunder bei den andern ſſeben! 
Surüf aus foldyer Sreibeit in die Zelle! 
Dod, bebr ihr Fuß und kann nidıt von der Stelle, 


Die Tage gingen jtill und friedlich hin 
Im Pfarrbof, wo ein milder, beitrer Sinn, 
Don Gottesfurcht und Frommigleit getragen, 
Den Menſchen kalf in gut’ und bojen Tagen, 
€s war im haus von jener belliafeit, 
Die aus den herzen felten ſtrablt, die weit 
Und nah das Kleinite trifft, to wie der Strahl 
Der Sonne findet auch das engite Thal 
Die von der Shwelle jede faune fchredt 
Und die der Blume gleich die freude weckt. 
Und Engel that wie alle Watend ging 
Sie rin und aus. Ein milder Sinn umfing 
Sie allaemacd. Sie mb den Nebelſchleier 
Serfliegen, der ihr Herz bedruckt, und freier 
Sah fie ins Weite. Wenn es kaum getagt, 
Sprang fie zur Nıbeit auf, wie cine Magd 
Tayhin zu ſchaffen. Danf empfing fie. Doch 
Sie warb um boh'res, wa.b um Bejj'res noch, 
Sie warb um £iebe und bisw. ilen ſchien 
Ihr Herz auch die der andern nadyyuzich'n. 


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520 


Dann jubelte fie MU für fih und fchon 

£itt auch frau Urften, daß ihr fleiner Sohn 
Mit Engel durch den Garten ſtrich nach Beute 
Im Hafelitraudie. Wie das Engel freute! 


Noch hatte fie das Pfarrhaus nicht verlaffen ! 
Sie fürchtere die Stadt, den Marft, die Gajlen, 
Durch die jie einft, vom Volke roh begafft, 
Gezogen war, dem armen Jan zur Seite. 
Ein trüber Zug! Ein trauriges Geleite! 
Ein böjer Tag, der noch in nn und Baft 
Ihr Herz erinnernd hielt, daß es verjagte! 
Der Paitor fchalt. So ging fie denn und wagte 
Sich einmal in die Stadt. Doch bald ſchon fam 
Entſetzt zurüf ins Pfarrhaus fie gefloh'n, 
Doll Todesangit und leichenblaf, voll Sram, 
Dom Dolf erkannt, war fie mit Spott und Bohn 
Empfangen worden: „Seht die Mörderin! 
Stolziert fie nicht in Sreibeit frech dabin? 


Dom Zuchthaus fommt fie! Sollte man es meinen?“ 


Ein Strafenjunge warf nach ihr mit Steinen 
Und andre folgten. Wie ein Wetter brach 
Es auf fie los. Sie floh und alle nad. 
Dergebens fah fie fih nach Rettung um, 

Die einen lachten, andre fchlofien ſumm 

Die Chur vor ibr. So jagte fie entiegt 

Die bäufer hin, ein Wild, das aufgehett 
Und todesbang durchs Waldesdickicht bricht. 
Die Steine flogen ihr ums Haupt, das dicht 
Sie ſchützend mit dem Tuch verhällt, die Nlot, 
Die Angſt lich ihr die Kraft, fonft lag fie tot 
Jegt auf der Straße, von der blinden Wut 
Des Pobels hingeopfert, die nad Blut 

Und Rache ſchrie 


Und tiefe Trauer zog 
Durch Arſtens Herz und Kümmernis. Wie log 
Der alte Spruch da wieder, daß die Stimme 
Des Dolfs die Gottes fei, wo alles Schlimme 
Und Rohe häflich aus dem Kerzen bradı 
Der Choren und Einfältigen. Dann ſprach 
Er: „Kommt! Sie follen uns nicht beugen 
Und laut vor allen will ich Gott — 
Hu feinem Knäblein neigt' er ſich hera 
Ind hob es auf und küßt' es und dann gab 
Er der erflaunten Engel auf den Urm 
Das Kind; das ſchmiegte feine Händchen warm 
Ihr um den Hals und lachte, — „Uber, Mann —!* 
„Auch du kommſt mit und Engel geht voran.“ 
So traten alle feierlich heraus, 
Die Srauen bang, bewegt von taujend Schmerzen, 
Er feines Berren frob und ftarf im Herzen. 
Wie ihrer barrend, unweit von dem Baus, 
Stand nodı das Dolf, in Kotten dicht gefchart 
Und böjen Willens voll. Und faum gewahrt 
Der Pöbel Engel wieder, ging die Reih'n 
Ein Murten bin und einer ſchwang den Stein 
In feiner Hand mit Droh'n. frau Arten fchrie 
Wild auf und jtürzte vor. Da ſtugten fie 
Und fah'n nun e.ft, weld; ein feltfamer Zug 
Da näher fam und daß des Paſtors Kind 
Es war, das Engel auf den Armen trug. 
Und wie es freundlich blidte! Wie im Wind 
Ihm feine langen, goldnen £odfen flogen! 
Wie, über Engel halb zurädgebogen, 
Es mit dem Dater jet aufjaudızend fcherzte 
Und dann die Dienerin frohlodend herzte! 
Die £eute traten fchen zur Seite, Wer 
Bätt' auch dem Paſtor Arften Gruß und Ehr’, 
Wo immer er im Dolf erſchien, verſagt? 
Wer ſich an ibn mit frechem Wort gewagt? 
So ichritt er hin, das Haupt voll Ernit gehoben 
Und voller Würde, wie durd; Sturmestoben 
Ein ſtarker Mann. Gleich einem Fauber ging 
€s von ihm aus, der jedermann umfing 
Und aud; den Kediten bändigte. Das Weh'n 
Göttlichen Geiſtes ſpürten fie, doc ohne 
Es nur zu willen oder zu verftch'n. 
Das eine nur begriffen fie: dem Bohne 
Der Welt entrüdte Urften bier das Weib 
Jan Kirfs und fchügend über ihren £eib 
Bielt er in Segen fe:ne Priefterhand, 
Da er fein Kind in ihre Arme legte 
Dor aller Welt, And feit der Stunde fand 
Sich feiner mehr, der fo viel Kedheit begte, 
Der Aermiien je zu fpotten. Wie gefeit 
Dor aller Unbill war fie feit der Seit 


Germ. Oelfchläger. 


Und wie die Slur aufs nene bläht und gränt, 
Die feufzend unterm Schnee lag und beflommen. 
So fchien der Fluch auf Engels Haupt aelähnt. 
Durd; Arſtens flarfe Band von ihr genommen. 
Und danfbar grüfite jeder Gerzensidylag 

In ihr mit neuer Freude jeden Tag. 


Und Segen war mit ihr, wie auf der Heide 
Er einſtmals mit ibr war. Wie das GBeichmeide 
In Eicht und Sonne bligt, fo ftrablre Gläck 
Ihr Dafein aus und £uft und FDoblergeh'n. 
Saft wie ein Wunder war es anzufeb’n: 
Derdoppelt gab das Gute fie zurärf, 
Das fie empfing. Gedeihen fhien gebannt 
An alles Thun und Schaffen ihrer band. 


Der Baum, der Strauch. der Stall, der Taubenidlas, 


Das Stüdlein Seld, das nah am Pfarrbof lag, 
Sie gaben Ernte, wie nodı nie. Die Bühne 

War voll von Obſt, wie voll von Sand die Däne. 
Der Keller war voll Frucht. Der Henne Schrei 
Rief mahnend durdı das Hans bin, Ei um Ei 
ir Korb zu fammeln. Wohl verwahrt in Karner 


ubr frah am Tag der Knecht die Milch von dannen 


gum Marft, und manches, was fie lang entbehrt, 
eil es des £ebens Notdurft ihr verweigert, 

Sah fih Frau Arſten unverieb'ns bejchert 

Und fand ihr Haus zum Wohlftand facht gefleigert. 
Sie nahm es ladyend hin, froh und geduldig, 

Als fei der Bimmel ihr nidyts andres fchuldig 

Der paftor nur ſprach demutvoll zu fich: 

Wie fommt ein foldyer Segen über mich? 


Und wider war es Sommer und es fehlte 

Ein Tag nur noch an Engels Probejabr; 
Im Garten fa Herr Arten ermit und quälte 
Sid; und fein Berz. Seit vielen Wochen war 
Ein böfer Geift ins £and ringsum gefahren 
Und in der Saat, die er feit vielen Jabren 
Gepflegt voll frommen Eifers früh und ſpät, 
Schoß Unfraut, das die Holle jelbſt gefät. 
In gifi'ger Blüte auf. Um Marfe zehrend, 
Die Kraft ausjaugend, bis zum Tod verheerend 
509 eine Krankheit durch das Volk. Kein Mort 

m Guten oder Böen half, Er warnte 
Umfonft. Das Hebel fraf ſich langſam fort 
Durch alle Herzen. Linheilvoll umgarnte 
Es Mann und Weib und Kind. Aruchtlos verlor 
Sein zürnend Droben fidy, nur taubem @®br 
—— Wie im Taumel, obne Sinn 
Und Denten trieb das Volk am Abgrund him, 
Hur nadı dem Irrlicht bafdıend, welches ſtrahlend 
Don drüben lodte und in Golöglanz prablend. 
Spielteufel hieß der böfe Geift, der fich 
Ins and gefegt. Er hauſte fürchterlich, 
ge Sparjamfeit, Genügen, $rohfinn fchlug 

r graufam nieder; jene bolde Blüte 
Des Friedens, die im redlidhen Gemüte 
Dicht bei der £iebe wohnt, die riß er aus, 
Warf auf die offne Straße fie und trug 
Derfchwendung, Geldgier, Streit in jedes Baus. 
Wie eine Tollbeit ging es durch das Eand, 
Da war faum einer, weldyer widerjland 
Der Chorheit aller und dem falſchen Schein, 
Kaum einer, der des Dolfes Sinn aemein 
Und roh fchalt, der wie Arten bang die Hände 
Zum Simmel bob, das ichredenvolle Ende 

oraus verfündend. Denn fie hörten nicht, 


Und alſo mit vergrämtem Angeficht 
Safı er und fann und Dachte all der Schmach 
Und Not, die fommen mußte, fdymerslich nach 
Und ob denn feine Rettung fei. Da fprang 
Des Sartens Thüre auf und in dem Gang, 
Der fühlungreic fich durch die Mitte 304, 
Kam Engel aufgeregt daber. Sie flog 
Mehr, als fie ging ; in heller Steudenglut 
Stand ihr das Antlig. Hoc berauf gefaßt 
Trug fie die Schürze, die von ſchwerer Caſt 
Zu tchwanfen fcbien. So fam fie wohlgemut, 
Schön, wie fie in der Deide war, daher: 
„Was bringft du, Engel? Ei, du trägft ja fchwer!” 
„Was ich da ee Ihr errater's nicht! 
Goldfiiche find's, die mir ins Netz gegangen, 


für Euern heinrich bab’ id fie artangen ” 
Und wie fie fo glüdielig lachend Ipricht, 
Hebt fie die Schwere Schürze hoch empor 
Und fdsürtelt fie und sü telt fie am Ohr 





Des Paſtors dicht vorbei. BZeuſilbrig Mingt 
Und flirrt es drin. Herr Clemens Ärſten ipringt 
Eıfchroden auf: „Um alles in der Welt, 


Was bringt du?“ — „Einen ganzen Kaufen Bed.“ — 
„Wem ift es?“ — „Euerm heinrich.“ — „Bit du toll?" — 


„Entfernt nicht! Seht, die ganze Schürze voll,“ 
Und damit fpreitet fie die Schürze aus, 
Ein Baufen blanfer Thaler blitt heraus, 
Voch heller als die Sonne, Wehe! Sielt 
Der Teufel felbit ins Pfarrhaus? „Und woher,” 
Frtug Arften abnungsvoll und ſorgenſchwer 
„Stammt dir das 
Für mich nicht! ein! Was joll der Bettel hier 
Fur mid? oc Euer Heinrich, dadıt ich mir, 
Wenn der einft groß wird, wenn er als Student 
Einft in der fremde draußen if, dann that 
Ser Aushilf’ ihm ein folder Pfennig gut. 

an weiß; ja, wie das geht. Lind darum nennt 
Mich nicht leichtfertig, daß auch ich mein Heil 
Derfucht wie viele. Ach, in banger Weil’ 
Erharrt’ ich die Entfcheidung und zu Gott 
gieht‘ ich, daf er den guten Willen mir, 

em Kind zuliebe, fegnen möge. Bier, 
Tiehmt denn das Geld!” 


Soll ich zu Schand und Spott, 


Frug Arſten fih, im eignen Baufe werden ? 
Dann wandt’ er fidh mir zärnenden Gebärden 
a Engel: „Bör mich! Nur ein einzig Wort! 
m Augenblick ſchaffſt du das Geld mir —— 
aran Gas Blut der Armut flebt. Du bi 
2. Schimpf mir worden! Soll des Teufels Ciſt 
uch mir das Haus umgarnen? Soll fein Fluch 
Auch meine Schwelle treffen? Dies mein Sprud: 
Du lohnft mir fchlecht, was ich an dir gethan, 
— mit dem Geld! Doch ſtehſt du damit an 
nd 3Öögerft du, laut trogend oder ſumm — 
Dein Probejahr, bedenf’, it morgen um.” 
Und Engel wurde kreideweiß. Sie lief 
Die Schürze mit den Ihalern finfen, Bief, 
Was da Herr Arſten fagte, neue Schande 
Und Elend, neues Zuchthaus und Gefängnis? 
Und Schande bis zum Tod nun? Doll Bedrängnis, 
Wie einer, der verfinfend nadı dem Lande 
Um Rettung ſchreit, fchrie Engel auf. Im Blick 
Die wilde Ungit des Todes fab fie groß, 
Mit weiten Aug’ auf Urften, der ie Kos 
In feinen Bänden bielt und ihr Geſchick 
Jegt prüfend wägte. Kalter Codesichmweiß 
Brad; aus der bleichen Stirn ihr, da doch heifi 
Das Herz ibr Mopfre, wie vom Sturm gejagt, 
Und weil der Mund ihr jet den Caut verfagt, 
Und ihr die Bruft umſonſt nach Utem rang, 
seit — hielt ſie minutenlang 
Den Blick auf Urſten nur. Wie ſtreng erſchien 
Er heut' ihr, der doch ſtets fo gern verzieh'n! 
Dfel firenger noch, als jene Männer, die 
Das Urteil einſt geſprochen über fie, 
Erhabener und größer. Und jetzt ſank 
Die Furcht ihr in die Kniee, daß fie fchwanf 
Sich neigte, wie der Pappel ſchlanker Schaft 
Im Wind ſich neigt. Doc plötzlich und bevor 
Bleihfüht'ge Ohnmacht ihr die legte Hraft 
Entyog, riß fie gewaltiam fich empor, 
um Badhe eilend, der den Garten lan 
id raufchend 350g. Auf wallten die Gewänder 
Um ihren £eib. Dann auf die Brüde fprang 
Sie flinf und weithin über das Geländer 
Gebengt, ichwang fie die Schürze: „Sprecht ein Wort, 
So rollt der Mammon mit den Wellen fort!” 


„Das wäre nicht gering're Sünde,” fprach 
Mild lächelnd Arſten. „Wirfit du's in den Bach, 
It's fchlimmer noch, als wollte du's verſchwenden. 
Wirt du das wollen? Geld ift hohes Gut, 
Rechtlich erworben und in rechten Bänden, 
Meil man der Wunder viele damit thut.“ — 
„Was fang’ ich an?“ rief Engel, „habt Erbarmen! 


Doch ja, jegt weiß ich's! Bier — fchenft es den Armen I* — 


„Das Fönnte geh’n, das läßt fi; überlegen,” — 
„Und ich?“ rief Engel, wieder rief verzagt. — 
„Du bleibit bei uns, wie ich es jtets gefagt, 
Und Gläck und Heil fei mit dir allerwegen.” — -- — 


Um Morgen aber trieb es Engel fort, 
Der Heide zu. Auf einem Bofe dort, 


8?” — „Je nun, ich hab’ geſplelt. 


Engel Kirf. 


— — un _. 


521 


Der einem fernen Detter Jans gehörte, 
War, jeit ihr eignes Haus Unheil zeritörte 
Und blutbejledte Schuld, ihr Knabenpaar 

ur Pflege bingegeben. Manches Jahr 

r ihr in Seufzen um fie hingegangen. 

* aber trieb ein maͤchtiges Derlangen 

ie nach dem Hof. Nun war das Weh vorbet, 
Die Schuld gefühnt, fie felber wieder frei, 
un fonnte fie vor ihren Kindern fleh'n 
Und ihnen offen in die Augen fch’n, 
un durfte fie ihre Muttergläd genießen, 
Die Nlievergeff'nen in die Arme fchließen. 
Nun follten endlich wieder ihre Knaben, 
Gleicd; andern Kindern, eine Mutter haben. 
Jans Kinder! Ihre Kinder! Chränenheiß 
Ward ihre Wange, daß ein foldyes Glück 
Das £eben noch ihr bot. Seltfamermeif’ 
Erichraf fie * und bebte halb zurück. 
Doch ſchritt fie tapfer fort. 


Ob wohl die beiden 
Dem Dater glihen? Wie des Baches Weiden 
Sclanf waren fie indes heraufgeichoffen. 
Gewiß, F — jegt zwei große Knaben 
Scyon fein. Ob fie wohl noch, wie einft, im Graben 
Am Wald Kaninchen jagten, unverdroffen 
Und luftbefeelt? Jetzt meinte fie ihr Schrei'n 
Ganz lant und neben fid; zu hören, wie 
Dor Jahren fie's gehört. Da flel ihr ein 
Jans Freude an den Knaben. Sie, ja fie 
War glädlicher, als er. Ob er heut nur 
Auf fie herabfah? 


Eigen widerfuhr 

€s ihr, wenn fie an ihre Kinder dachte 
Und fi ein Bild der lang Entbehrten machte. 
Wie fie ſich mähte, nie wollt’ es gelingen, 
Aut feite finien in das Bild zu bringen. 
Das fchwebte unflar hin, ſchwach, unbeftimmt, 
Wie eine kandfchaft weit im Duft verihwinmt, 
Wie jemand, der in weiter ferne geht, 
Daß man umfonft nach feinen Zügen fpäht. 
Und endlich ſank ein dichter Nebelflot 
Berab und fchob fich ihrem Auge vor, 

af fie wie blind war, bis denn ganz zuleht 
Des Heinen Heinrid; Köpfchen ergögt 
Und lachend ans dem Yiebelichleier blidte, 
Ihr ſchalkhaft drohte und fie gräßend nidte. 
Der fleine Heinrich! Ja. der war ibr lieb 
Wie eignes Blut. Der hatte wie ein Dieb 
Sich in ihr Herz gefloblen. Und wie war 
Er fhön und hold! Gewiß, ihr Hnabenpaar 
War nidıt jo fdrön! doch, fonnt' es anders fein? 
Er war ein Paitorsfohn, da mußt" er fein 
Und wie ein Prinz fein. So ein Bauernfind 
Iſt grob und plump, wie alle Bauern find, 
Was thut's? Wenn ihre Kinder an ihr hängen 
Und wieder ſich zu ihrem Herzen drängen — 
Schön oder nicht ichön — jeder Tropfen Blut 
Auft: fie find dein! und dann ift alles gut, 
Wer, armer — weiß, was dann gefcicht 
Und ob die Engel dir nicht doch entfliebt, 
Ob fte ſich nicht aus deinen Bändchen reift, 
Um da zu bleiben, wohin Gott fie weift, 
Bei ihren Söhnen! Kindehen, weine nicht! 
Die Engel fann's nicht feh'n — ihr Herz zerbricht 
Und zagt und Magt und weiß nicht, fummervoll, 
Wen fie nun halten, wen fie laffen fol? 


Yun ftanden fie vor ihr, fchen, trogig, fremd; 
Ihr berz war tief im Innerſten bekleninit. 
Kaum danften fie dem Gruße, Sagt doch, waren 
Das Engels Kinder? In den wen'gen Jahren 
So fehr vertaufcht in Seel! und Ungeficht ? 
Der fedre dort, der ältre, glich er nicht 
Dem fchuft'gen Bell? In allem, Zug für Zug! 
War das nicht fchredlich? War das nicht genug? 
Und jepo trat er frech, als wär's ein Spaß, 
Beran an feine Mutter: „Weißt du was? 
zu mag dich nicht.” — „Warum?“ — „Die £eute fagen 
es Daters Bruder habeft du erichlagen 
Und aus dem Fuchthaus feift du auch entfprungen.“ — 


Da Rieß fie fchreiend den verruchten Jungen 
Ins freche Antlig mit der Fauſt. Die Hand 
Bob fie zur Süchtigung, dann aber wandt' 

Sie raſcher noch ſich ab und floh, Die Nacht 


522 


zit auf der Beide fie dahin. Als fact 
er Morgen kam nadı all dem Weh und Graus, 
Stand fie erihöpft und mäd’ vor Arftens Baus 
Und totenblaß. Man führte fie herein. 
Der kleine Heinrich ftredte von den Kiffen 
Ihr feine Händchen ber. Don Schmerz zerriffen, 
Sant fie an feinem Bett aufs Knie. 2 wein’, 
© ne nicht 1“ fpradı füß das Kind und rich 
Die Wang’ ihr fact, „du gute Engel.“ — „Spridh, 
Was tit gefchehen?“ frug der Paflor dann, 
„Du machſt mir Angſt. Was trat an dich heran?” 
Da aber beugte fie ſich demutvoll 
Se Arten hin und ihre Ihräne quoll 

ufs neu und leif’ fprach fie zu feinem Weibe: 


„sragt mich nicht aus! Erlaubt nur, daf ich bleibe.” 


= * 
* 


Und wieder war's nach dreißig langen Jahren. 


Gar mancher Sturm war durd; die Welt gefahren, 
Gar mandes Wetter hatt" in wildem Toben 
Das Meer des £ebens wolfenwärts gehoben 
Und wieder fallen laffen, auf und ab, 
. Sieg die einen, andere ins Grab 

nd In das Dunfel führend. Licht und Nacht, 
Sie hatten wechjelnd ihre alte Macht 
Der Menichen fterblichem Gefchlecht bezeugt, 
Es oft erhöht und öfter noch gebeugt, 
Die Berzen durdhgerüttelt bis zum Grunde 
Und immer wieder Heilung jeder Munde 
Gebradht und neues Hoffen, neues Regen 
Und neuen fen; und neuen Blüterfegen. 


Und fo war £uft und Ceid und Freud' und Bangen 


Auch oft im Pfarrhaus ein: und ausgegangen, 
Die freude, ers mit Danfbarkeit begrüßt, 

Der Schmerz, durch jenen milden . verfüßt, 
Daß auch jein Stachel unfern Herzen frommt 
Und daß er, ıwie das Glüdf, von oben fommt, 
Denn dies war Arjtens Glaube fett und Mar, 
Der bielt ibn aufrecht. war fein Schild und war 
Ihm wie ein Schwert, das er zeitlebenslang 
Und fieugewiß in allen Tagen ſchwang. 
Und diefer Blaube war es auch allein, 

Der Kraft ihm gab, als er in ſchweter Feier 
Dor Jahren ſchon, den Knaben an der Hand, 

Um Sterbebette feines Weibes land, 

Sie hatte nichts als Fiebe ihm gegeben, 

Sie war das Sonnenlicht in feinem Leben, 

Wur feines Dafeins allerhöchlter Preis, 

An feinem £ebensbaum das ſchönſte Reis, 

Nun welft‘ es bin, nun ward es ihm genommen. 
Und als er weinend ftand und tief beflommen, 
Sprad; fie zu ihm: „Es fällt mir ſchwer, zu geh'n, 
Uns btieb noch viel gemeinfam zu befteh'n, 

Wie follen denn wir beide, du auf Erden, 

Im himmel ich. allein nun fertig werben ? 

Dod; für den kleinen Heinrich laſſ td} dir 

An meiner Statt die gute Engel hier. 

Sie wird ihm Mutter, wie ich felber, fein. 

Und fo lebt wohl, fo ſchlaf' ich friedvoll ein.” 


Und was blieb Paflor Arſten wirflidy nun, 
Als fich, fein Kind, fein ganzes Sein uud Chun, 
Sein ganzes Haus in Engels treue Hände 
Bu legen bis an ihrer Jahre Ende! 

r fie auch nur des Haufes Dienerin, 

Ging fie doch herrichend durd; dasfelbe hin, 
Still waltend und beforgt, beratend, lehrend 
Und das befcheidne But in Klugheit mebrend. 
Jung Beinrid; wuchs, wie ** auf der Heide 
Die ichlanfe Föhre, wie auf gräner Weide 
Ein frärt'aes Füllen, flarf und munter. Gm 
Beam ihm Engels unabläfj'ge Hut, 

Der Knabe war ihr Stern, ihr Augenlicht. 
Dar galt ihr £eben. Ihm ins Ungeficht, 
Ins heile, jugendblühende zu fchauen, 
Märchen erzählen, Zufunftsichlöffer bauen, 
Worin fie ihn mit ftolzen Namen nennt — 
Sum mindenten: Kerr Superintendent — 

Das war ihr hödhites Glüf und fo verrann 
In Scyerz und Ernſt die Zeit. 


Jegt war zum Mann 


Jung Heinrid; längft geworden; mwohlbeftallt 


Herm. Oclidyläger. 


Engel Kirk. 


Als Paflor und gellebt von jung und alt 

Wohnt’ er in einem Meinen Dorfe nah 

Und war mit Kind und $rau, dem Großpapa 

ER £iebe, der fein MWicgenfeit beging, 
eut angelangt. Das war kin an Ding 

für Engel Kirf. Das war ein Doppelfet, 

Das einmal nur im Jahr fich feiern läßt: 

Der Sobn als Gaft, Herr Arſten Jubilar. 

Gleich Engel floß auch ihm ſchon wei das Baar 

Die Schläfe hin; doch flattlich gleich dem Sohn 

Trug er noch ungebeugt der Jahre Eaft, 

Wie eine Leder auf dem £ibanon. 


Und als beim Mahle Jubilar und Gaf 
Und Schnur und Enfeifind gefeiert waren 
Im bellumflung'nen Toaft, da goß vom Maren 
Und feuerfräft'gen Wein, der aufgeipart 
Schon Jahre ber im Keller lag. die Gläſer 
Herr Arſten voll und rief in munt’rer Urt: 
„Der Engel, meinem treuen Reichspermweier, 
Weih ich dies Glas Ein frohes Alter gebe 
Der Gimmel ihr und mir! Stoßt an, fie lebe!” 
Und filbertönig Mangen durdıs Gemad; 

Die Släjer, bis der Weiheſtimmung Fülle 
Der Enteliohn mit ſchredlichem Gebrulle, 
Dom Mittagsfchlaf erwarhend, unterbrach. 
Und Engel lief hinzu. Großmätterlich 
Und zärtlich. wie fie einft um Beinridy fich 
Gemäht, liebfofte fie den derben Jungen, 
Bis der, nun froh aeitimmt, fe aufgeiprungen,. 
Den Eltern in die Urme lief. Da un 
zer Arſten auf den Schoß. Ihn äberkam 
er Rährung mächtiges Gefühl, als er 
Im Kind bier ſich erneut fah, fortgeſponnen 
e5 Eebens Faden, der ihm felber mehr 
Und mehr zu Ende ging. In vollen Wonnen 
Strich er des Kindes goldnes £odentaar 
Und füßte ihm das blaue Uugenpaar 
Und fegnet’ es aus feinem tiefiten Herzen: 
„sit dod; ein feltiam Ding, fein eigen Blut 
In andern jeb’n, es balten, füffen, herien, 
Und alles, was wir ſelbſt an frohem Mut 
Und Jugend einſt beſaßen, bier im linden 
Aufbläh'n des neuen Weſens neu zu finden.” 


Der Hnabe zappelte auf feinem Schoß. 
So liek er ihn, doch wider Willen, los, 

Und niemand fah es weiter, daß das Kind 
Zur offnen Thür hinaus und wie der Wind 
um Garten lief, wohin der Sonnenſchein 
&s rief und Dogelfang und Blum’ und Stein. 

Und längs dem Garten mälzte feine vollen 
Flutwellen heut der Bach hoch aufgeichwollen 
Don Kegengüffen, die der Sonmernadt 
Gemitrierftürme reichlidb ihm gebracht 

Und niemand fah's und fah dem Kınde nadı, 
Indes beim Wein der greiie Paſlot ſprach 
Don alten Zeiten und von Freud' und Eeid, 
Das ewig wedysie, wie dent alten Kleid 

Das neue folat und wie dem Tag die Nadıt, 
Und wie er Engel audy ins Haus gebradht. 
Er ſprach nicht oft davon; doch hatte beute 
Die Zunge ibm dir Wein gelöft; er ſcheute 
Sid; nicht, an die Dergangenheit zu rübren, 
Und pries dann Gottes gnadentriches führen 
Und wie ibm feine Gutthat felbt zum Segen 
Geworden fei und wie ihm allerwegen 

Die Engel felbft, feit fie im Huus gewohnt, 
Es taufendfad; an Haus und Kind gelohnt, 


Und Engel hatt’ es fill gehört. Das £ob, 
Mit welchem Arten fie fo laut erhob, 
Trieb ibr die Chränen ins Geficht. wie heil 
Im £enz zur Tiefe niederraufcht der Quell, 
Dom Strahl der Sonne frei gefüßt. Beſchämt 
Sanf vor dem ward'gen Mann fie hin: „O nehmt 
Mein £eben Euch zum Danfe. Denn genug 
That ich Euch nimmer. Nichts als meine Pflicht 
Erfüllt' ich, wie eın jeder thut, und tru 
Mid; Euer Arm nidır an des Tages Eicht 
Aus dunkler Nacht und aus der Nacht der Schande 
Ins Eicht der Ehre, aus der Schmach der Bunde 
In goldne Sreibeit? Drum feit Jabr und Tagen 
JA mir, als bliebe mir noch was zu wagen 
Für Euch, für mich. Ich dent! es nimmer aus, 
Daß mich mein Gott von bier, aus dieem Baus 
Wegführen fönnte, eh ich nod zum Schluß 


Karl Vogt. Die Zoologiſche Station in Neapel. 


Den Danf Eud; zeigte, den ich Pr. muf. 

Den thu' ich Euch zulieb' noch. Sagt nicht Mein! 
Was, weiß ich nicht, Es muß was Großes jein. 
Dann jterb' ich gern’, dann bleibt mir Euer Segen 
Und weiter ift am Sein mir nichts gelegen.“ 


Sie ſprach's und alle ſchwiegen ernft und till. 
Da jcholl ein Schrei vom Garten grell und fchrill. 
Der Kleine war's, der Enfel, der fo jchrie, 

Dor Schred ſaß Arften wie gelähmt. Dod; fie, 
Sie, Engel Kirk, die nie den Kopf verlor, 

Fuhr wie vom Donner wachgeichredt enıpor, 
Binaus zum Garten — wie ein Pfeil, vom Bogen 
GSejchnellt, fam fie den Laubgang hergeilogen. 
Dann durch die Wieſen — rajch, wie auf ein Da 
Der Blit vom Himmel ſtürzt — hinab zum Badh. 
Chat Bilfe not, fo war es bier. Und ja, 

Ein wilder Schrei entrang ſich ihr. Schon fah 
Das Kind fie treiben mitten in der Wogen 
Surcchtbarem Schwall, fchon halb binabgezogen, 
Dom weißen Seittagsfleidchen nur mebr faum 
Recht auf der Flut getragen, deren Schaum 

Die runden Bikederden voll Gier umipälte 

Und in den aufgelöjten £oden wählte. 


Ein Blick — ein Sprung — da hielt fie's fchon umfaßt 


Und rang ſchon tropvoll um die teure Caſt 
mit all den Wellen, die aufbraufend grollten, 
Das fchöne Kind ihr neu entreißen wollten. 
Sie gab’s nicht ber, fie fämpfte, froftdurdrichauert, 
Hum Ufer hin fich, das hoch aufgemauert 
Sich fteil erhob. Mit aufgeredter Hand 
Bot fie es ber, bis glüdlich fein Gewand 
Herr Heinrich faßte: „Gott jei Dant, es lebt!” 
Ruft er und beugt zu Engel ſich. Die hebt 
Und bäumt ſich kraftvoll aus der tüf'fchen Flut — 
Umſonſt — fie gleitet aus. Der Wogen Wut 
Empfängt fie neu — fie treibt zur Brüde hin — 
Ihe Haupt ichlägt an den Pfoflen, daß der Sinn 
Beräubt ihr Schwinder — Well! und Woge gießt 
Sich über fie — ıbr treues Auge fließt 

ür ewig ſich und aus dem Wellenreiche 
"Sieht man das tapfre Weib nur mehr als Keiche. 


„Das alfo war's, das war's, was du gewollt; 
Das war das Grofe, das da noch gefollt,” 
Sprach Arſten dumpf und fchlof die falte Hand, 
Noch feucht vom Schaum der Wellen und vom Sand, 
In jeine! „Sog id dich aus Nacht und Ketten, 
Singſt du dabin, den Enfel mir zu reiten. 
Kein Konig lohnt fo loniglich bienieden — 
Sprich, treue Seele, biſt du nun zufrieden?” 


Und ein Begräbnis war, wie nie das Land 
Gejeh'n nodı hatte. Taujendlöpfig ftand 
Kings am das frifche Grab des Volfes Menge, 
Wie damals fie in flntendem Gedränge, 
Jans Weib zu feh'n, das Hhochgericht umgeben, 
Fluch und Derwünicung fpendend, das ihr Ceben 
Derihont noch blieb. Heut rief im Trauerfleide 
Ein ganzes Dolf, das aus der fernen beide 
Berangejogen war, fein Hagend Wehe! 
Und drängte weinend zu des Grabes Nähe. 
Kerr Paflor Elemens Arſten aber ſprtach. 
Ob audy das Herz ibm fait vor Kummer brach, 
Mit fefter Stimme über fie den Segen: 
„Kein Menic; fann fchöner ſich zur Ruhe legen, 
Als du gethan. Nur Gott iſt obne Schle. 
Er ridyiet uns. — fahr’ wohl, du reine Seele!” 


Da füllte neuer Klage Caut die Luft, 
Da ſcholl ein Weinen jchmerzlidh um die Gruft, 
Da mühten alle ib, mit fronımen Händen 
Den leiten Gruß der Toten zuzuſenden, 
Die nun, in dunfle Nacht gehüllt, fo tief 
Den Schlaf der Ewigkeit da unten fchlief. 
Ein Blumenregen, hell und duftig, goß 
So reich ſich bin, daß bald das Grab er ſchloß 
Der Arme aber, dem fein Bärtdien eigen, 
Wurf auf das Grab den Kranz von Sohrenzweigen. 


ee ee 


523 
| Die Boologifde Station in Neapel. 


Von 
Karl Dogt. 
ESchluß.) 





ch betonte vorhin den internationalen Cha— 

rakter der Anſtalt und glaube, auf denſelben 
etwas näher eingehen zu ſollen. Dieſer Charat: 
ter ergibt fi aus der Teilnahme an den Ein: 
nahmen durch Beiträge, aus der Nationalität 
der Arbeiter an der Station und derjenigen der 
Angeftellten. Ein genaueres Eingehen auf dieje 
Bunkte läßt und zugleich einen tieferen Blid in 
das ökonomische Getriebe der Anjtalt werfen. 


Die Einnahmequellen. 

Sie ſetzen fih aus folgenden Elementen zus 
ſammen. 

Die Beſucher des Aquariums zahlen 
ein Eintrittögeld von zwei Franken. Es werden 
Familien: und Abonnementsbillette ausgegeben. 
Dies ift der Beitrag der Fremden, welche 
Neapel durdreifen. Er beträgt im hödjten 
Fall 30000 Franken jährlih. Die internatio: 
nalſte Einnahme, die fi) denfen läßt, denn die 
einheimische Bevölkerung zeigt nur geringe Be: 
teiligung an dem Beſuche. 

Die Verleihung der Tifche bildet eine 
zweite Einnahmequelle. Um diefen Ausprud 
zu erflären, muß ic etwas weiter ausholen. 
EinzelneRegierungen, nftitute, ja ſelbſt Private 
fönnen für die Zahlung einer jährlihen Rate, 
die einftweilen auf 2000 Franken (1600 ME.) 
feftgejegt ift, aber wohl auf 2500 Franfen erhöht 
werden muß, das Necht erwerben, einen ihnen 
genehmen Forſcher auf die Station zu fenden. 
Dort erhält er einen Platz mit Arbeitstiſch und 
Aquarium und nach einem feftgeitellten Regle— 
ment alles Material und alle Hilfsmittel, deren 
er zu feinen Unterfuhungen benötigt. Er hat 
nur feine optifchen Inſtrumente, Mikroſtop und 
Zupen, fowie fein anatomifches Beſteck mitzu: 
bringen, alles andere wird ihm mit größter Liz 
beralität geliefert, bis zum Material für Zeich— 
nungen. Er teilt dem Direktor und dem Chef 
des Saboratoriums feine Wünſche hinfichtlich der 
Tiere oder Pflanzen mit, die er zu unterfuchen 
wünſcht — fie werben ihm fofort verfchafft, jo: 
weit man über diefelben Herr ift. Wer freilich 
die Cassiopeja borbonica, eine der ſchönſten 


524 


und größten Meduſen, welche den Golf beſuchen, 
und nur diefe ftudieren wollte, müßte ſich etwa 
bis zur Mitte Auguft gedulden, denn das Tier 
erfcheint nur um diefe Zeit auf wenige Wochen 
und läßt fich ſonſt das ganze Jahr hindurch nicht 
bliden. Aber die Beamten fennen genau die 
Erſcheinungszeiten ber einzelnen Tiere und 
fönnen darüber jofort den Unerfahrenen be: 
lehren. Freilich find manche Klagen von Solchen 
laut geworben, welche meinten, man fünne ihnen 
zu jeder Jahreszeit die von ihnen verlangten 
Tiere auf einem filbernen Teller präfentieren. 


Wie dem aud) jei, jo find bis jegt von fol: 


genden Behörden und Inſtituten Tifche abon— 
niert, über welche die Minifter, die Präfidenten 
und Kommiſſionen ber betreffenden Inſtitute 
disponieren,. Regierungen: Italien und Preußen 


je vier Tifche, Rußland zwei, Baden, Bayern, | 


Belgien, Hamburg mit Hefjen:Darmitadt, Hol: 
land, Schweiz, Ungarn, Württemberg je ein 
Tiſch, alfo im ganzen 18 Regierungstiſche. 
Andere Inſtitute: Akademie in Berlin, Britifh 
Afjociation, Univerfität Cambridge, Univerfität 
Straßburg, Williams Kollege (Nordamerika) 


je einen Tiſch, alfo fünf Univerfitätstifche. Im 
' tionen auf etwa 38000 Franken anfchlagen. — 


ganzen find 23 Tifche abonniert, wovon 10 
dem Gebiete des Deutſchen Neiches, 13 den 
außerdeutichen Ländern zufallen. Das Deutſche 
Neichsgebiet trägt alfo nit ganz 44% der 
Abonnements, die im ganzen etwa 41000 
Franken abwerfen. 

Eine nit unbedeutende Brutto-Einnahme: 
quelle, die von ahrzu Jahr reichlicher fließt, wird 
durch den Verſand von konfervierten Seetieren 
hergeftellt. In diefer Beziehung hat die Sta: 
tion, befonders durch die Bemühungen bes Kon: 
fervators, Salvatore lo Bianco, faft ein Mono: 
pol. Mit feltener Findigfeit hat diefer Mann 
durch unabläffiges Probieren zahlreiche, der Natur 
eines jeden Tieres angepafte Methoden gefun: 
den, wodurch diefe, in fonfervierenden Flüffig- 
feiten aufbewahrt, fich ganz fo darftellen, wie 
fie im Leben fich zeigten. Die Weichheit, Durd): 
fihtigfeit und Kontraftilität der meiften niederen 
Organismen fcheinen einer lebensähnlichen Er: 
haltung um fo größere Hinderniſſe entgegenzu: 
ftellen, al3 auch die Farben Aufßerft zart und 
vergänglich find. Wer die vollfommen erhal: 
tenen und entfalteten Tiere, welche die Station 
verjendet, mit den unförmlihen, durch ben 
Weingeiſt zur völligen Unkenntlichkeit zufammen: 
gezogenen Klumpen vergleicht, welche man in 


Karl Vogt. 


älteren Sammlungen befist, kann ermefien, 
welche Dienste die Station auf diefe Weiſe dem 
Anfchauungsunterrichte leiftet. Diefe Dienfte 
werden auch allerorts fo ſehr anerfannt, daß der 
Verſand ſich jedes Jahr fteigert und jetzt in 
runder Summe etwa 17500 Franken brutto 
abwirft, aber anderſeits aud Ausgaben von 
nahezu gleicher Höhe verurfadht, jo daß von 
einer wirklichen Neineinnahme für die Station 
kaum gefprochen werden kann. Diefen Umftand 
‚ zu erwähnen halte ich für geboten, weil viele der 
' Meinung find, die Station made einen bedeu— 
\ tenden Gewinn; der Gewinn ift allerdings ſehr 
bedeutend, aber fommt der Wiffenfhaft im ganz 
zen, nicht der Kaſſe der Station als folcher zu gut. 
Anderweitige Subventionen. Hier 

| fann man jährliche Bewilligungen, außerorbent- 
| Tihe Schenkungen und Darleihen unterfheiden. 
In allen ſteht Deutichland obenan. Das 
Deutſche Reich bewilligte im Jahre 1883 einen 
Zuſchuß von 36 900 Franken (30000 ME.), die 
preußifche Regierung von 3683 Franken und da 
diefe Zufchüffe alle Ausfiht haben, wenigſtens 
teilweife bleibend auf die Budgets übertragen 
zu werben, jo fann man die jährlichen Subven— 


Der zoologifhe Jahresbericht, auf den wir noch 
zurüdfommen werben, bedt bei weitem bie 
Koften nicht. Für die Publikation diefes, jedem 
arbeitenden und lehrenden Zoologen unentbehr: 
lihen Hilfsmittels trugen im Jahre 1883 fol: 
gende Geber bei. Die italienifhe Regierung 
5000 Franken, die Berliner Afademie 2500 
Franken, die ruffiiche Regierung und die Kelling: 
huſenſche Stiftung in Hamburg je 1250 Franten, 
die Gefellihaft Natura artis magistra in 
Amsterdam 200 Franken. 
Stellen wir die verfchiedenen Einnahme: 
quellen aus Tiſchen, Aquariumäbilletten, Er: 
port fonfervierter Seetiere und Subventionen 
zufammen, jo beträgt die Bruttoeinnahme der 
| Station in runder Summe im Jahre 1883 
145000 Franfen (116000 Mf.). 

| Hinfichtlich der Schenkungen zu beftimmten 
Zweden überwiegt Deutfhland bedeutend ; das 
Reich bewilligte zum Bau des Stationsgebäubes 
100000 Franfen, während eine Subffription 
englifher Naturforfcher, an deren Spige ſich 
Darwin und Huxley ftellten, zu gleihem Ziele 
25000 Franken ergab; die Akademie in Berlin 

‚ fchentte 22500 Franken (18000 ME.), die 

| preußifche Regierung 7500 Franken (6000 ME.) 





Die Zoologiſche Station in Neapel. 


zur Erjtellung des erften Dampfers, den die | 


Station mit Aufwand von 10000 Franken aus: 
rüftete. 
Die verzinslihen Darleihen drüden wohl 
ſchwer auf das Budget der Station, Fonnten 
aber nicht umgangen werden. Außer dem Ka: 
pital von 302 400 Franken, welches Brof. Dohrn 
jelbjt in die Anftalt verwendete, dürfen wir 
wohl noch folgende Gönner nennen: Herr 
D. Beer, Kaufmann und deutfcher General: 
fonful in Neapel mit 71000 Franfen, der ver: 
jtorbene Profefjor Czermak in Leipzig mit 
20600 Franfen, Dr. Fiedler in München mit 
18000 Franfen, der verunglüdte Prof. Balfour 
in Cambridge mit 11000 Franfen, Herr Werner 
Siemens in Berlin mit 5000 Franfen. Herr 
Markus Goldihmidt in Frankfurt a. M. lieh 
anfangs den Betrag von 1875 Franken unter der 
Bedingung, dab die Zinfen durch zeitweilige 
Sendungen fonfervierter Seetiere an das Sen: 
fenbergifhe Muſeum in Frankfurt ausgegliden 
werben follten, jchenkte aber fpäter die Summe. 
Das Balfourfche Darleihen wurde an die Erben 
zurüderftattet. 


Die Forfher und Beamten. 


Um über die Benutzung der Station 
durch Forſcher der verfhiedenen Natio- 
nalitäten ins flare zu fommen, habe ich die 
genau geführten Liſten der Verwaltung fonful: 
tiert. Danad haben feit Eröffnung derfelben 
im Jahre 1874, alſo feit zehn Yahren, dort ge- 
arbeitet Deutſche111, Ftaliener5O, Engländer32, 
Rufen 23, Holländer 17, Schweizer 14, 
Belgier 7, Amerikaner 4, Defterreicher 4, Un: 
garn 4, Spanier 1, Dänen 1, im ganzen 268, 
im Durdfchnitte 28 Forfcher jährlich. Die 
Deutſchen betragen 40 % , die übrigen Natio: 
nalitäten 60% und von biefen letteren hat 
Stalien das ftärffte Kontingent geliefert. In 
dem Augenblide, wo ich diejes fchreibe, (an: 
fangs Januar 1884), find 21 Tiſche beſetzt, 
aber ein bedeutender Nachſchub aus Deutfchland 
angemeldet — ſechs Deutſche, vier Engländer, 
drei Italiener, zwei Ruſſen, zwei Spanier, je 
ein Amerifaner, Holländer, Schweizer, Ungar 
— bie Deutjchen betragen alfo nur 30 90 der 
Gefamtzahl, ein Verhältnis, das fich jehr bald 
zu ihren Gunften ändern wird. 

Die Forſcher, welche die Station benußen, 
find meiftens Profeſſoren, Privatdocenten, fel- 
tener Stubenten, welche fpecielle Arbeitszwecke 


525 


verfolgen; doch haben die Schweiz, Baden und 

Württemberg die Anficht bethätigt, daß auch 

| Sole, welde fih nur eine allgemeine An: 

ſchauung der Meeresfauna verjchaffen wollen, 
die Station mit Nuten befuchen können. 

Betrachten wir nun zulegt nod die Ver: 
teilung der Beamten unter die verjchiedenen 
Nationalitäten. Wir fönnen diefelben in zwei 
Gruppen teilen: Niedere Angeftellte, welche 
zum Betriebe der Station, zur Anfchaffung des 
Materials, zur Führung der Schiffe und Boote 
nötig find: Fiſcher, Matrofen, Majciniften, 
Maurer und Schmiede, Nachtwächter, Yabora: 
toriumädiener, Ausläufer — es find ihrer 24 
im ganzen, alle Italiener. 

Unter diefen niederen Angeitellten finden 
fih mande typiſche Prachteremplare. Da ift 
Aniello, der erite Matroſe, ein Rieſe an Körper: 
fraft, der mich Hudepad durch die Brandung an 
die Küjte von Ischia trug, für den Wind und 
Metter feine Geheimniffe haben; Giovanni, der . 
Fifcher, der die reichen Untiefen des Golfes, die 
Seccas, wie feine Tafchen kennt und jofort weiß, 
wohin er fi wenden muß, um diejes oder jenes 
figende, friehende oder im Grunde wühlende 
Tier zu erbeuten; da find die beiden Oberflächen: 
fifcher Giro und Ciccillo, die mit den feinen 
Negen die in den Strömungen treibenden Hoch— 
feetiere erjagen. Salvatore lo Bianco, der 
Konfervator, der die finnigen Methoden zur 
Aufbewahrung der Seetiere größtenteils er: 
funden hat, dirigiert nicht nur die Fiſcher 
nad den auszubeutenden Gegenden, jondern 
fommandiert auch noch eine Hilfsichar intelliz 
genter Jungen, die mit der jchnellen Auf: 
fafjung, welche den Südländern eigen tft, ſich 
vollftändig in die Kenntnis der Tiere einge: 
arbeitet haben. Guter Himmel! Wie mander 
friſch Angelommene hat ſchon diefen Jungen 
imponieren wollen dur) Nennung von Namen, 
welche fie wahrlich beſſer wußten, als er! 

Ueber diefer Gruppe italienischer Bedien— 
jteten fteht der Generaljtab, deſſen Mitglieder 
meift eine doppelte Aufgabe haben; einesteils 
die Miffenfchaft durch felbftändige Arbeiten, 
namentlid Monographieen für die von ber 
Station herausgegebene Fauna und Flora des 
Golfes von Neapel zu bereichern oder die Nedal: 
tion des zoologiſchen Jahresberichtes, ſowie der 
Mitteilungen zu bejorgen und endlich durch 

| Uebernahme eines Departements der Verwal: 
tung die Yaft des Direktors zu erleichtern. 


526 


Die Hälfte dieſer ftrebjamen, wie eine be: 
freundete Familie zufammenwirfenden Genofjen- 
ſchaft, deren Mitglieder ich gerne nenne, bejteht 
aus Deutfchen. Diejer Nationalität gehören der 
Direktor, Prof. Dohrn, der Chef des Yabora- 
toriums und Erſatzmann des Direktors in defjen 
Abweſenheit, Dr. Eifig, der zugleich die Ringel: 
würmer bearbeitet, der Redakteur der Publi— 
fationen Dr. Paul Mayer und deſſen Genoffe 
Dr. Giesbrecht, die fich beide mit Kruftentieren 
beſchäftigen, der Bibliothefar Dr. Brand, der 
die niederften Tiere, Protogoen und Coelente: 
raten jtudiert und der Sekretär und Rechnungs: 
führer Linden an. Von den beiden Stalienern, 
dem Konfervator Salvatore lo Bianco und 
Dr. Andres, welcher eine prachtvolle Monogra- 
phie der Actinien oder Sceanemonen zum Drud 
fertiggejtellt hat, verläßt der leßtere die Station, 
um eine Profeffur in Mailand anzutreten, wie 
denn überhaupt die Station faft zum notwen— 
digen Durhgangspunfte der heranwachſenden 
italienischen Profefjoren der Zoologie geworden 
it. Zwei Ruſſen, Dr. Ed. Meyer, der feinen 
fpeciellen VBerwaltungszweig beforgt, aber eine 
Monographie einer Gruppe von Ringelmürmern 
bearbeitet und der Dberingenieur E. v. Veterfen, 
früher Marinelieutenant und in allen technifchen 
Dingen äußerjt Ffompetent. Ein Schweizer, 
Dr. A. Lang, der neben der Oberaufſicht der 
Fifcherei und des großen Aquariums Zeit ge: 
funden hat, in auögezeichnetiter Meife eine 
Gruppe der Plattwürmer, die Planarien, zu 
bearbeiten, welche Arbeit foeben im Erjcheinen 
beariffen ift. Ein Holländer, Dr. VBosmaer, 
welcher die fo fchwierigen Schwämme bearbeitet. 

Zieht man aus diefen Angaben ein allge: 
meines Refultat, jo findet jih, daß der inter: 
nationale Charakter der Anstalt, den gegebenen 
Verhältnifien entiprechend, wohl gewahrt it. 
Das Deutjche Reichsgebiet fteht in finanzieller 
Bedeutung obenan, Italien folgt ihm in zweiter 
Linie. Die Arbeitäleiftung verteilt fih in der 


Weiſe, dab das Deutjche Neichägebiet die Hälfte | 


der höheren Beamten, etwa 40 %, der Arbeiter 
liefert. Wie könnte dies anders fein? Das 
Deutſche Reich hat feine Küften, welche zur Er: 


richtung einer größeren Station geeignet wären; | 
das Material fönnte nicht in ausreichender | 
Menge befchafft werden, die Fauna der Ditjee | 


ift ebenfo arm an Typen, als der Schlid und 
Sand der Nordfee. Und dennod werden gerade 


in Deutichland die Studien, welche ſich auf die | 


Karl Vogt. 


Entwidelung und Organifation der Meertiere 
beziehen, am eifrigiten betrieben! Mean fann 
dreift behaupten, daß Deutjchland in den bezüg- 
lihen Wiſſenſchaftszweigen wenigitens ebenſo— 
viel arbeitet, ebenjoviel publiziert, als alle 
übrigen civilifierten Länder zufammengenommen, 
und daß der Wert und die Bedeutung Diejer 
Arbeiten nicht Hinter den Leiftungen anderer 
Länder zurüdteht. Die Station von Neapel iſt 
aljo eine Notwendigkeit für die Entwidelung 
der Wiſſenſchaft in Deutfchland geworden, und 
daß diefe Wahrheit erfannt und infolge dieſer 
Erkenntnis die Anftalt nach Kräften gefördert 
worden ift und noch gefördert wird, gereicht den 
Behörden gewiß zu hohem Ruhme. In alien 
aber hat fih, wenn aud nur allmählich, die 
Ueberzeugung Bahn gebrochen, da das Yand, 
bie Provinz und die Stadt Neapel an der Sta: 
tion ein Juwel befigen, das ihnen wefentlichen 
Nuten bringt und einen mächtigen Jmpuls zu 
jenem Aufſchwunge der Wifjenfchaften gegeben 
hat, der fich jegt in dem klaſſiſchen Yande kund— 
gibt. Wenn einige Staaten, wie Franfreich und 
Defterreih gewiſſernaßen im Schmollwinfel 
ftehen, fo hängt dies davon ab, daf in beiden 
Staaten das erflufiv nationale und gouverne:- 
mentale Syjtem die Ueberhand gewonnen hat 
— ſchwerlich zum Vorteile der Studien jelbit. 


Die Leijtungen. 


Wenn im Laufe einer Zeit von zehn Jahren 
etwa 250 Forſcher aus den meisten Rändern 
Europas und aus Nordamerifa in der Station 
fi zufammengefunden haben, um dort ihren , 
Studien obzuliegen, fo ift gewiß in erſter Linie 
diefes Verhältnis als eine vorwiegende Förde: 
rung der Wiffenfchaft zu betrachten. Gewiß 
brachten viele diefer Forſcher noch mehr Kennt: 
niffe und Erfahrungen in die Station hinein, 
als fie derfelben entnahmen; aber ebenfo ficher ift 
auch, daß die meijten mit frifcher Anregung 
und mancherlei Bereiherung ihres Wiſſens— 
ihates nach Haufe fehrten. So tjt denn die 
' Station einerfeit3 ein Brennpunkt geworden, 
in welchem die Lichtitrahlen der Wiſſenſchaft 
aus den verjchiedenen Ländern fi ſammeln, 





anderjeitö gewiffermaßen ein Leuchtturm, von 
welchem aus fie nad) allen Seiten ſich verbreiten. 
Es hat ſich ſchon verwirklicht, was Prof. Yeudart 
in Leipzig mit prophetiihem Geiſte im Jahre 
' 1371 vorausjagte, als er Dr. Dohrn zur Er: 
munterung für die Ausführung feiner Pläne 


Die Zoologiſche Station in Neapel. 


ſchrieb: „Mit aroger Sachkenntnis und Umficht 
haben Site fchon Einrichtungen getroffen und 
einen Reichtum von Unterfuhungsmitteln in 
Ausficht geftellt, der aus der „zoologijhen Sta: 
tion“ in furzer Zeit eine „Hochſchule für Zoo: 
logie“ machen wird. Schon fehe ich in Ge: 
danfen unjere jungen Zoologen, wie weiland 
die Mediziner nah dem benahbarten Salerno, 
fo nach Neapel wallfahrten und mit den Hilfs: 
mitteln Ihres nititutes die Schätze heben, die 
das Meer uns Nelteren vorenthalten hat.“ 

Die Leiftungen werden in Deutjchland vor: 

zugsweiſe nad) den Publikationen beurteilt. „Sei 
Bücherwurm und wenn du did) auch damit be: 
gnügft, aus zwölf Büchern das dreizehnte zu 
machen oder Anderer Goldjtüde in kleine Münze 
umzumechjeln, Profeſſor wirft du doch.“ 

Die Station veröffentlicht drei Serien von 
Druckſchriften. 

Zuerſt die „Mitteilungen aus der zoo— 
lLogiſchen Station von Neapel“, Zeitſchrift 
in zwangloſen Heften, die jährlich einen Band 
bilden, mit Kupfern ausgeſtattet und für die— 
jenigen Arbeiten beſtimmt ſind, welche nicht 
einen monographiſchen Charakter tragen. Wenn 
auch einzig aus den in Neapel gemachten Arbei— 
ten zuſammengeſetzt, iſt das Journal doch weit 
entfernt, ein Geſamtbild der Thätigkeit der 
Station zu geben, da dem dort Arbeitenden 
nicht, wie anderwärts, der Zwang auferlegt 
wird, in dem Organe der Station zu veröffent: 
lichen. Jeder ift frei, zu publizieren, was, wie 
und wo er will. 

Eodann die „Jauna und Flora des 
GolfesvonNeapel“, ein aus Monographieen 
zufammengejegtes Werk in Folio, mit zahlrei- 
chen Tafeln. Jährlich ericheinen mehrere Mono: 
graphieen von Pflanzen und Tieren des Golfes, 
in Form und inhalt gleich ausgezeichnet. Viele 
Tafeln gehören zu den fchönften, die jemals ge: 
fertigt wurden. 

Endlih der „Zoologijhe Jahresbe— 





richt.“ Die bisher gelieferten Meberfichten die: | 
fer Art zeichneten fih meist durch ihre Aehn— 
Iichfeit mit dem „Hinfenden Boten“ aus; fie 
früdten und humpelten mühfam, oft um drei 





oder vier „jahre hinter den Leiftungen eines 
Jahres drein und erfüllten den wejentlichiten 
Zwed eines foldhen Berichtes, die arbeitenden 
Foriher auf dem Laufenden zu erhalten, in 
feiner Meife. 

Es würde die Grenzen diejes Aufjates 


527 


überfchreiten, wenn ich auf diefe Publikationen 
näher eingehen wollte. Sie erfchöpfen indefjen, 
wie gejagt, die litterariiche Thätigfeit der an 
der Station bejhäftigten Forfcher bei weitem 
nicht. Es liegt mir eine Lifte von 20 größeren 
oder Fleineren wiſſenſchaftlichen Mitteilungen 
vor, welche allein im Laufe der letten ſechs 
Monate des Jahres 1883 in verjchiedenen Dr: 
ganen veröffentlicht wurden und alle auf in der 
Station gemachten Arbeiten beruhen. Man darf 
fühn behaupten, daß eö feine naturwifjenfchaft: 
liche Fakultät irgend einer Univerfität gibt, 
welche ſich in Beziehung auf Publikationen mit 
der Station auch nur in entfernter Weife mejjen 
fönnte. 

Mag man aber aud den Mert diejer Ver: 

öffentlichungen nod) jo hoch anfchlagen, fo jteht 
er meines Erachtens doch zurüd hinter dem Ge- 
winn, welchen die Forjcher felbit einheimjen in 
dem Gebiete, welches erjt in neuerer Zeit eine 
hohe Bedeutung gewonnen hat. ch meine die 
mikroſkopiſche Technik, die Anfertigung von Prä- 
paraten, welche einerfeits der Forſchung felbit 
dienen, anderfeit3 die dauernden Belagsitüde 
für die gewonnenen Refultate liefern. Durch 
die unabläffigen Bemühungen der Angeftellten 
wie der arbeitenden Forſcher ift die Station die 
wahre Hochſchule für die mikroſkopiſche Technik 
geworden, auf welcher jeder fich mit allen Me: 
thoden derjelben auf das eingehendite vertraut 
machen kann. Alle Berfahrungsarten für Här- 
tung, Färbung, Zerlegung in Schnittferien und 
dauernde Konfervierung der feinjten embryolo: 
giihen und anatomischen, für mikroſkopiſche 
Studien geeigneten Präparate find hier in 
ſolcher Weiſe durdhgearbeitet, vervollfommnet 
und dur neue Erfindungen ergänzt worden, 
dag man bei einigermaßen gutem Willen als 
vollendeter Techniker aus der Station hervor: 
gehen muß. Das alles pflanzt ſich fort in wei: 
tere Kreife und die Dienfte, welche die Station 
durch diefe Ausbildung der Technik der Wiſſen— 
ihaft geleiftet hat und noch leiſtet, laſſen ſich 
nicht hoch genug anfchlagen, denn auf den ort: 
ſchritten dieſer Technik beruht großenteils die 
thatjähliche Grundlage, auf welcher die Wiffen: 
ſchaft weiter baut. 


Die Ausgaben. 


Wenn man von einem Einnahmebudget von 
nahezu 145 000 Franken (116000 Mark) jähr: 
lic hört, über welches die Station disponiert, 

67 


528 


jo follte man fajt glauben, man ſchwimme im 
Ueberfluß. In der That ift auch diefe Meinung, 
jo irrig fie aud) fein mag, vielfach verbreitet 
draußen im Yande und gar mandem will es 
nicht in den Kopf, daß die Anſtalt fo viel oder 
nod mehr fojten jolle ala manche Fakultät. Bis 
jegt aber haben die Rechnungen ſtets mit einem 
mehr oder minder bedeutenden Deficit abge: 
ihlojjen und wenn man ſich den ganzen Betrieb 
vergegenmwärtigt, der nicht wohl reduziert wer: 
den kann, jo begreift man leicht, daß es nod) 
mancher Anftrengungen bebarf, daß weitere 





Einnahmequellen geöffnet werden müfjen, um | 


die Bilanz gleich zu jtellen, ohne daß die einzel: 
nen Betriebszweige geichädigt werden. Ich gebe 
hierzu einige Belege aus den Nechnungen von 
1883 in runden Summen. 

Die beiden größten Ausgabepojten fallen 
einerſeits auf die Gehalte der Angeftellten 
(46 500 Franken) und die Zinfen an die Gläu— 
biger (30.000 Franken). Die einzelnen Gehalte 
jind wahrlid nicht hoch; man möchte faſt jagen, 
zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig, denn 
wenn ber Direktor 5000 Franken, der Chef des 
Generaljtabes und der ingenieur 4000 Fraufen 
jährlich beziehen und hiernach die weiteren Be: 
foldungen ſich abjtufen, jo fann man wahrlich 
nicht behaupten, daß hier nicht haushälteriſch 
zu Werke gegangen werde. Aber aus dem frü: 
her Geſagten geht hervor, daß eine große Zahl 
von Angejtellten höheren und niederen Ranges 
nötig tft, um bie ganze Maſchine im Gange zu 
erhalten, denn neben der wiljenfchaftlichen Thä— 
tigkeit, welche von dem Laboratorium und den 
Publikationen in Anjpruc genommen wird, er: 
fordert der Unterhalt der Aquarien und Ma— 
ſchinen, der Dampfichiffe und der Ruderboote, 
fowie der Dienft im Haufe eine Menge von 
Kräften, deren ganze Zeit in Anfpruch genom: 
men wird. Ebenfo verjtehen ſich die aus ber 
Verzinſung der aufgenommenen Kapitalien, 
welde zu dem Bau und der Einrichtung des 
Haufes, der Anfhaffung der Schiffe und ber 
Apparate verwendet wurden, von ſelbſt. Ge: 
ringere, aber doch ſchwer in das Gewicht fallende 
Poſten erwachjen durch den Betrieb des Erports 
von fonfervierten Seetieren (14 000 Franfen) 
an welden die Station nur etwa 3000 Franken 
jährlich verdient, durch die Bublifationen, welche 
ein Deficit von 13 000 Franken brachten, durd) 
die Koften des Laboratoriums (12000 Franken). 
Die beiden eriteren Poften werden fi wohl 


——— —— — — — — — — — — — — — — —— —— ———— — — 


Karl Vogt. Die Zoologiſche Station in Neapel. 


von Jahr zu Jahr verringern, befonders wenn 
dringend verlangte Subventionen eingehen; die 
Kosten des Zaboratoriums aber werden fich vor: 
ausfichtlich bedeutend vergrößern Durch den An: 
drang zahlreicher Arbeiter und die Schaffung 
neuer Arbeitszweige. Die Generalfpejen, der 
Anfauf folder Tiere, die von den Fijchern der 
Station nicht befchafft werden können und ben- 
noch zu Arbeiten verlangt werben, der Unterhalt 
der Maſchinen, der Bibliothef und der Schiffe, 
die Steuern, die Aufitellung der typifchen 
Mufterfammlung, die Beforgung des Aquariums 
für das Publikum, die Fılderei und die Her: 
ftellung von Zeichnungen und Photographieen 
benötigen fleinere Ausgabepoften, die fich aber 
in folder Weife fjummieren, daß den in runder 
Summe zu 145 000 Franken (116 000 Marf) 
anzunehmenden Einnahmen 150000 Franken 
(120 000 Marf) gegenüberftehen, fo daß alfo 
die Station im Jahre 1883 mit einem Verluſte 

von 4—5000 Franfen (3500 — 4000 Marf) ge: 

arbeitet hat. Dazu fommt noch, daf notwendig 

ein Nejervefonds für unvorhergefehene Fälle, 

Abnutzung des Materials u. ſ. w. gefchaffen 

werben muß. 

Sole Opfer können auf längere Zeit hier 
nicht gebracht werden. Will man alfo, daß bie 
Station noch fernerhin ihre jegenäreihe Wirkung 
entfalte, jo ift größere Teilnahme durch Abon: 
nierung von Tiſchen, durd Subventionen zu 
allgemeinen oder bejtimmten Zweden dringend 
nötig. 

Die Aufgaben der Zufunft. 


Bis jetzt hat die Station hauptſächlich die 
DOrganifation, die Entwidelung und das Leben 
und Treiben der Seetiere untereinander fi) 
zur Aufgabe gemacht. Daß mit diefen morpho: 
logischen, embryologifchen und biologifchen For: 
chungen einesteils die fyitematifche Bearbeitung 
der einzelnen Gruppen, anderenteil3 die tete 
Ausbildung der Technik Hand in Hand ging, 
verfteht jich wohl von felbit. Sodann ift e3 
ganz begreiflich, daß diefe Richtungen bie vor: 
herrfchenden fein mußten. War ja doch feit 
Darwins mächtigem Einfluffe, die ganze orga: 
nische MWiffenfchaft auf diefe Ziele gerichtet. Daß 
biefelben bei weitem noch nicht erreicht find, 
beweifen die bahnbrechenden Unterjudhungen 
Dohrns felbit, der durch Erforfhung der Ent: 
widelung der nieberften Fiſche, Neunaugen, 
Hate, Rochen die bisher landläufigen Vorſtel— 


itizedby Google 
Ar k 





N — —— 


Vor dem Gewitter, 


lungen über den Urfprung der Wirbeltiere ge: 
radezu auf den Kopf geftellt hat. 

Aber wenn aud die Forfhungen in diefer 
Richtung noch lange vorwalten werden, jo 
fann doch die Wiſſenſchaft nicht dabei ſtehen 
bleiben. Die Phyſiologie verlangt jtets drin: 
gender die Ausdehnung ihrer Unterfuhungen 
auf die anderen Tiere. Die Biologie dürftet 
um fo mehr nad einem aröferen Arbeits: 
feld, als die wichtigiten praftiichen Folgerungen 
fih an die Löſung der ihr geitellten Fragen 
fnüpfen, wie ich dies Schon oben andeutete, 
Durch Erweiterung der Näumlichkeiten mittelit 
Eritellung eines neuen Gebäudes, deſſen Koſten 
ausschließlich Italien zu tragen geneigt jcheint, 
nahdem Deutichland das Seinige zur erjten 
Erridtung der Station gethan hat, werden die 
Laboratorien für diefe neuen Forſchungszweige 
eritellt werden müſſen; das Arbeitsfeld des 
Golfes und eines großen Teiles des Mittel: 
meeres wird intenfiver, mit Berüdfihtigung der 
praftiihen Gejichtspunfte, bearbeitet werden 
müfjen. Aber alle diefe neuen Studienzweige 
bedürfen zu ihrer Betreibung ausgedehnter Hilfs: 
mittel, die bedeutende Summen repräfentieren, 
jei es für Anfhaffung derApparate, Inſtrumente, 
Dampfer u. |. w., jei es zum Betriebe während 
des Jahres. 

Wir fünnen nur wünſchen, daß dieje Hilfs 
mittel in ausreichender Weiſe gewährt werden. 
Gelingt dies, fo wird die Station in Wahrheit 





529 


eine Univerſität für die marine Wiſſenſchaft 
werden, auf welder der theoretiiche Unterricht 
dur unmittelbare Bethätigung der einzelnen 
erſetzt wird. Vielleicht kann es ja fpäter aud) 
kommen, daß eine Art afademifchen Unterrichts 
Platz greift, indem diejenigen Yorfcher, welche 


ı Ipecielle Aufgaben gelöft Haben, durch Bor: 


lefungen und Demonitrationen ihre Genojjen 
in die gewonnenen Nefultate einweihen; allein 
vorläufig überwiegen die praktiſchen Ziele, die 
jelbjtthätige Forſchung, fei es in rein willen: 
Ihaftlicher, jei es in nationalöfonomischer Hin: 
ſicht. Wie jehr das Bedürfnis der Löſung folder 
Aufgaben gefühlt und die Station als Mufter: 
anjtalt angejehen wird, zeigt der Umſtand, daß 
gerade in dem gegenwärtigen Augenblide die 
bedeutenditen Forjcher Englands, mit Hurley 
und Ray-Lankeſter an der Spige, zur Gründung 
einer folhen Anſtalt in England aufrufen, daß 
die franzöfifche Regierung vor Inſtallierung der 
Station in Marjeille den dortigen Profefjor 
Marion mit einer Miſſion zur Unterfuchung der 
Einrihtung in Neapel betraute, und von über: 
all, wo Stationen errihtet werden follen, 
Schottland, Nordamerifa, Australien, Beirat 
und felbft Mitwirkung verlangt wird. Dort 
handelt es jih um Gründung, hier, in Neapel, 
nur um weiteren Ausbau auf jchon vorhandenen 
Grundlagen, die um fo folider find, als fie durch 
harte und unabläffige Arbeit während einer 
Neihe von Jahren geichaffen wurden. 





Dor dem Gewitter 





530 


Otto Roquette, 


Siebenſchläfer. 


Novelle von Otto Roquetktte. 
Schluß.) 


er Abend war inzwiſchen heran— 
gekommen, im Gartenſaale wurde 
auf dem Flügel ein Tanzſtück 
geipielt, und nad) vielen Vor: 
ereitungen und Gelächter er: 
fholl ein Duo von Frauen: 
ftimmen. Hanno zog es vor, das Konzert im 
Freien, auf einer Gartenbanf anzuhören — 
oder auch zu überhören, denn vor feinem Sinne 
lang noch immer eine andere Stimme, bin: 
reißend, alles übertönend, die ihm das Herz 
pohen und das Blut aufgeregter jtrömen 
machte. Er hatte ſich ihr entziehen, einen 
Augenblid zu fich jelbit fommen wollen; da 
erblidte er eine Geftalt in der Thüre des 
Gartenjaales, deren ſchöne Umriſſe ſich deutlic) 
von dem erleuchteten SHintergrunde abhoben. 
Sie beugte ſich hinaus, wie um nad) etwas zu 
fpähen. Mit wenigen Schritten war er im 
ihrer Nähe. „Schwärmer!“ ſagte fie Teile. 
„Sie ſuchen die Einfamfeit? Wer ſich der guten 
Stunde entzieht, kann mehr, kann alles ver: 
lieren!” Aber mit diefen Worten war jie be: 
reits in den Saal zurüdgefehrt, und trat zu 
den Mufizierenden, welde während des über: 
lauten Geſpräches der übrigen Gefellichaft ihre 
Kehlen anjtrengten, um ſich vernehmlich zu 
machen. Endlich fing man an zu tanzen, alt 
und jung durdeinander, und Hanno bewies, 
daß er es noch nicht verlernt hatte. 

E3 war weit über Mitternacht, als er ſich 
j —J auf dem Heimwege befand. Der Tanz 
hatte ſeine Aufregung nur geſteigert, und wie 
in einem Taumel von Glücksgefühl gab es für 
ihn feine Vergangenheit, feine Kränfung und 
Schuld, feine Vergeltungäluft mehr, nur den 
Nachgenuß der legten Stunden und die Aus: 
fiht auf neues Begegnen. Der alte Zauber 
hatte ihm nicht nur von neuem ergriffen, er 
war mächtiger geworden, die einjtige Yiebe zur 
Leidenichaft erwahlen, deren Dämon ihn zu 
beherrichen drohte. Und dabei empfand Hanno 
doch nichts von Eiferfucht gegen Herrn von 
Falfenberg, denn er jelbjt war ja der gegen ihn 
Bevorzugte, der Hochbegünſtigte. Schon morgen, 





und zwar in der frühe fchon, wollte er ihr Die 
verfprochenen Bücher bringen, um fie nur fo 
bald als möglih wiederzufehen. Er hatte 
die Wahl aud) bereit3 getroffen, und freute fich, 
daß Yeontinens jchöne Hände in feinen Büchern 
blättern, ihre Augen darauf ruhen würden. 

Die Familie Wolmar wartete am anderen 
Morgen mit dem Frühftüd nicht auf den Gaft 
in der Giebeljtube, ſondern ließ ihn in den 
Tag hinein ſchlafen. Gudula hatte ihn heim: 
fehren gehört, und zwar erft nad) zwei Uhr. 
So war denn die zehnte Tagesjtunde ge: 
fommen, als er jein Fenſter öffnete, mit Dem 
Entichluß, fich wieder auf den Weg zu machen. 

Daß die Schweftern ihn unter dem Nuß— 
baum, wo fie bei ihrer Arbeit faßen, mit Lachen 
empfingen, verjtimmte, ja, es verlegte ihm bei: 
nahe. Und doc konnte er nicht umhin, eine 
Raſt bei ihnen zu machen, denn von Frau 
Theodore war ohne einen Fleinen Bericht über 
die Gefellichaft nicht Toszufommen. Schon 
meinte er, eö wäre genug, als der Vater er: 
ichten, ihm freundlid die Hand zum guten 
Morgen reichte und mit einer gemifjen Feier— 
lichfett Pla nahm. 

„Mein quter Sohn‘, begann der Konreftor, 
„ich habe dir etwas zugedacht, was du in alter 
freundlicher Weiſe aufnehmen wirft! Nicht als 
dichteriiches Werk, fondern als Herzensange: 
legenheit, welder ein der Poeſie entlehntes 
Gewand verliehen wurde. Es follte ſchon zu 
deinem Empfange bereit fein — du weißt ja 
jelbjt, weshalb es ſich verjpätefe.‘ Mit diejen 
Morten z0g er ein Manujfript aus der Bruft: 
tafche, und fette die Brille auf. 

„Ah!“ Au m Theodore und Gubula gleich— 
zeitig, die erwartungsvollen Blide auf den Vater 
gerichtet. 

Hanno aber erſchrak. Er ſah einer Vorle— 
fung entgegen, im Augenblid, da er fort wollte, 
da Neine Erwartung auf ein Wiederſehen ge: 
jpannt war, da jede Minute, die er verzögerte, 
als ein Verluſt erfchten. Seine Augen mu: 
iterten das Manuffript, welches ziemlich um: 
fangreih ausjah, und ein emiter Mißmut 


| — — 


Siebenichläfer, 


sollte ihn ergreifen. Sollte er der familie, 
»elche Die Stunde einer ſolchen Mitteilung jo 


ejtlih nahm, die Enttäufhung bereiten, daß 
x augenblidlid nit dazu gejtimmt, daß er 
ınders gebunden ſei, eine fremde Gefellichaft 
rufſuchen wolle? Er bradte es nicht übers 
erz, ja er wäre fogar zu jpät damit gelommen, 
denn ſchon hatte der Konreftor fein Gedicht 
„Auf unſres geliebten Hanno Wiederkehr‘ zu 
lefen begonnen. So fuchte der Gefeierte und 
doch tier Herabgejtimmte fid) zu fallen und zu 
fügen, wenn es ihm aud nicht gelang, feine 
Aufmerffarnteit an den Vortrag zu fefleln. 
Der alte Herr aber hatte diesmal fein Beſtes 
gethan, ſich reichlich und mit ganzem Gemüt 
auszujprechen. Seine PVerfe galten diesmal 
nicht nur dem frohen MWiederjehen, fondern 
reihten alle Beziehungen, melde Hanno von 
Sugend auf an die Familie fnüpften, anein: 
ander ; fie gaben Hunde von der Herzlichfeit 
diejes jchönen Verhältniffes, von der Tüchtig— 
feit des Bejungenen, feinem Aufftreben und 


Fortſchreiten, und näherten fi dann dem ge: | 


genwärtigen Zeitpunkt, da — durch eine ala— 
demiſche Berufung ein vielverheißendes Ziel 
vor Augen ftand. Das alles war jehr hübſch 
ausgedrüdt, mit poetijchen Bildern und Wen: 
dungen durchflochten und Fam innerlih warm 
aus dem Herzen. 

Der junge Mann ſaß in ftummem Hin: 
brüten dabei, feine Gedanfen jchweiften weit 
ab, er hörte bald gar nichts mehr. Dann er: 
faßte ihn eine Ungebulb, die falt zur Ver: 
zweiflung ftieg. Er hätte aufipringen und 
davonlaufen mögen. Der alte Herr aber las 
und lad, und fo viel Blätter er ummendete, 
fo viel ſchienen unten nachzuwachſen, es wollte 
fein Ende nehmen. Denn nachdem nun die 
Verſe die Bedeutung einer akademischen Wirk: 
ſamkeit für den Lehrenden, für die Jünger, für 
die Nachwelt, für die ganze Menfchheit dar: 
gelegt hatten, famen fie mit einem — | 
vollen Uebergang auf jenen Morgen, da der | 
Alte ausgegangen war, um für feinen Zögling | 
einen poetijchen Begrüßungsftrauß zu jammeln, | 
ohne zu wiſſen, wie nahe ihm berjelbe bereits 
gewejen. Das nächtlidhe Gemitter, die Flucht | 
in die Höhle, wurde nicht vergefjen, und au 
poetifhen Bildern (durch Naht zum Licht) | 
herangezogen. 





Hanno fühlte ſich wie ein Gefeflelter, der 
den Kampf gegen feine Ketten aufgegeben hat, 
um erdrüdt und ftumpf alles über jich ergehen 
zu laſſen. Da fielen ein paar Worte des Alten 
in feine Seele, mahnend wie Glodenton, feine 
befiere Negung wieder erwedend. Er fam zum 
Bewuhtiein deſſen, was ihm diefe Stunde 
fiebevoll hatte bereiten follen. Er fah Theo: | 


531 


dorend Augen feucht und gerötet (denn troß 
ihres praktischen Verftandes wurde fie leicht zu 
Thränen gerührt), er glaubte zu erfennen, daß 
Gudula feine Berftreutbeit beobachtet hatte. Er 
hörte jet ernitlich zu, und ein Gefühl feiner 
Unmürdigfeit, zugleich mit tiefer Neue, machte 
fih in im geltend. In einer ganz anderen 
inneren Bewegung, als ihn am Anfang der 
Vorlefung ergriffen, nahm er den Nusgang 
derjelben auf, und als der alte Herr zu Ende 
gelommen, jprang Hanno auf, um ihn mit 
aufrichtigem Dank in die Arme zu jchließen. 
Er empfing das Manujfript, welches ihm als 
Geſchenk zugedacht war, Theodore aber erklärte, 
es müſſe erjt eine Abjchrift für die „Werke“ 
genommen werben. . 

Zu einem Vormittagsbefuh auf dem Gute 
war es zu ſpät, und Hanno ſprach nicht von 
feiner Abſicht. Er beſchloß, die Bücher nad): 
mittags, oder morgen abzugeben. Nachmittags 
aber forderte der Konreftor ihn zu einem Spa: 

| ziergange auf, und Hanno ergab ſich darein, 
um in wiſſenſchaftlichen und gelehrten Ge: 
ſprächen doch einige Ablenkung der aufrühre: 
rischen Gedanken zu finden. Als fie heimfehrten 
fanden fie Thaflilo wieder fröhlid) bei den 
Frauen. 

Das Geſpräch fam nun aud) auf die geftrige 
Gejellihaft, und Frau von Ellerſtedt fonnte 
dabei nicht unerwähnt bleiben. 

„Ich habe ihr Bücher verſprochen,“ fagte 
Hanno, „und werde fie ihr wohl morgen 
bringen.‘ 

„Du Fannt dir die Mühe ſparen,“ entgeg- 
nete Thaſſilo, „denn die wird doch nicht darın 
leſen! Ueberdies will fie morgen fort.‘ 

„ort? Wohin? rief Hanno, und erfchraf 
über die Haft und den Ausdruck feiner Frage. 

Thaffilo wußte es nicht, wie er berichtete. 
Er hatte fie ſelbſt noch nicht gefehen, nur von 
Tante Aoelgunde bei Tifche vernommen, daß 
Frau von Ellerftedt auf ein paar Tage ver: 
reifen werde, vermutlich auf einige Landbe— 
figungen, dahin und dorthin. 

So mußte der von leidenſchaftlicher Un— 
ruhe immer wieder Berüdte ein ungewifjes Zu: 
warten vor ſich — ſehen, das ſeiner 
Stimmung nur noch mehr zu ſchaffen machte. 
Sie ſollte noch durch einen Zug verwirrend 
durchkreuzt werden. 

Als er tags darauf wiederum von einem 
Spaziergang zurückkehrte, den er diesmal allein 
angetreten hatte, fand er auch wiederum Thaf: 
filo zum Beſuch vor. Und zwar befand fich 
der junge Gaft allein mit Gudula, indem er 
dad Garn für ihre Stiderei hielt, welches fie 
abwidelte, feiner Unterhaltung mit Lächeln zu: 
hören. 


532 


Hanno beobachtete es vom Fenſter aus und 
fühlte ſich plöglih unangenehm dadurd über: 
raſcht. Ein ganz fremdes Gefühl durchzudte 
ihn plötzlich. Es war Eiferſucht. Morauf er 
gegenüber Herrn von Falkenberg in Zeontinens 
Nähe noch gar nicht verfallen war, das erariff 
Im jegt, mit einem Erſchrecken. Eiferfucht! 

ar es denn möglich? Er jchlug ſich vor die 
Stirn, als ob er ſich für feine Narrheit jelbft 
ftrafen wollte. Eiferfucht! Gegen wen? Gegen 
feinen Schüler, einen faum dem Knabenalter 
entwachjenen Jüngling! Es war ja ganz thö: 
richt, wie er ſich felbit fagte. 

Und doch mißftimmte, ja ärgerte es ihn, 
dat Thaffilo am nächſten, und am folgenden, 
und am dritten Tage wieder erjchien, und von 
den Frauen gern ar wurde. Vor allem 
hätte er fi der Freundichaft widerfeßen mögen, 
welche zwiſchen ihm und Gudula zu wachen 
ſchien. Es verftand ſich für ihn von jelbit, 
dat er da aufmerfen mußte, und fo blieb er 
gejellig bei der Familie, und wurde von ihr 
willtommen geheißen. Er empfand, daß ihm 
Gudula innerlih nicht um einen Gedanten 
ferner gerüdt war, ſelbſt in der leidenjchaft: 
lichen Aufregung, die durch eine vermwirrende 
Anziehungstraft in ihm angefacht wurde. Es 
famen ihm Stunden ernfter Selbitbetradhtung, 
die ihn in fein inneres wie in einen Abgrund 
bliden liefen, und aus welchem er mit Be: 
ſchämung und Selbitanflage fich zu dem Ent: 
ſchluſſe rettete, Leontine nicht wiederzufehen. 
Und zu anderer Stunde wußte er doc ganz 
genau, daß fie nun ſchon fünf Tage abweſend 
war, und er wurde ungeduldig, zu erfahren, 
wann fie endlich zurüdfehren werde? 

Da rief eines Nahmittags Theodore: „Es 
halten zwei Reiter vor unjrer Thüre, der eine 


fein. Richtig! Der andere fcheint ein Reit: 
fneht. Site bringen fogar nod ein drittes 
Roß mit. Gleich darauf ftürmte Thaffilo in 
Hannos Zimmer. „Du mußt mit uns!” rief 
er. Ah Hoffe, du thujt es. Sie wollen die 
84 ſehen, du weißt ja, unſre Siebenſchläfer— 
öhle —“ 
„Wer will fie ſehen?“ fragte Hanno. 

„Nun, Frau von Ellerſtedt und Falken— 
berg! Beide ſind niemals dort geweſen, und 
ich nur in jener einen Nacht, ſo daß ich mir 
nicht zutraue, ſie richtig zu führen. Bitte, über: 
nimm die Führung! Da wir alle zu Pferde 
find, habe ich auch für dich eines mitgebracht. 
Ich weiß, daß du reiten fannft. Bitte, befinne 
dich nicht zu lange, denn die beiden anderen 
konmen gleich hinter mir her!‘ 

Hanno befann ſich in der That nicht lange, 
fondern rüſtete fich ſchnell, während Thaſſilo 





Otto Roquette. 


auf einige Augenblide bei der Familie vor: 
ſprach. Die beiden jungen Männer fprangen 
in die Sättel, in dem Augenblid, da Leontine 
und Herr von Falkenberg bereit3 die Straße 
heraufgetrabt kamen. Während die beiden 
Paare einander begrüßten, ftanden Theodore 
und Herr Bolmar betradhtend am Fenſter, Gu: 
dula hielt fich mehr im Hintergrunde. „Sie 
ift wunderſchön!“ ſagte der alte Herr. „Wirk: 
lich bezaubernd!“ 

„sa wohl!” bejtätigte Theodore. „So 
wunderſchön iſt Noß und Weib, fo wunder: 
fhön der junge Leib‘ — wie es in dem be: 
fannten Liede —* — und dennoch kenn' ich dich! 
Du biſt die Here Lorelei!“ 

Gudula verließ das Zimmer, die berittene 
Geſellſchaft aber fette fih in Bewegung. 

Auf dem ſchlechten Straßenpflafter konnte 
der Ritt nur langſam Dee dafür unterhielt 
man ſich über gewöhnliche Dinge mit Ange: 
regtheit und verjtand -über ein Nichts zu lachen. 
Aber einmal aus der Stadt heraus, lie man 
die Pferde traben, um den Schritt erſt gegen 
den jteiler fich hebenden Waldweg hin zu hem— 
men. Da dieſer Weg ſich zwiſchen Felſen— 


wänden und Abgrund hinauf zog und nur für 
| einen Reiter 
ı Hanno fi) an die Spite des Zuges, bis zum 


enügenden Naum bot, fette 
Eingang in die Schlucht. Die Pferde wurden 
in einiger Entfernung, wo es eine freiere Wald— 
lichtung gab, unter der Obhut des Neitfnechtes 


— 
ie Geſellſchaft begab ſich durch den engen 


Felſengang in die Höhle, welche ſich augen— 
blicklich, bei günſtigem Stande der Nachmit— 


tagsſonne, die durch den engen Felſenſpalt 
drang, und einen Wechſel von Licht, Dämmerung 


und Finſternis hervorbrachte, bejonders vor: 
von beiden wird wohl unſer kleiner Freund | 


teilhaft zeigte. Hanno deutete auf einen zweiten 
Felſengang hin, der jeitwärts, wo die Dämme: 
rung begann, aufjteigend zu einer kleineren 
Höhle führte. Dieje öffnete fich freier, und 
führte ohne Beichwerlichkeit, zumal bei offenem 
Tageslicht, wieder in die Hauptjchlucht hinunter. 
Thajfilo verlangte dringend den Gang zu thun 
und auch Herr von Falkenberg wünfhe dieſe 
Felſenbildungen im ganzen kennen zu lernen. 
Allein Leontine wollte ſich unter keiner Be— 
dingung dazu verſtehen. Die Dunkelheit be— 
drücke ſie ſchon dermaßen, ſagte ſie, daß ſie ſich 
nach dem Walde hinaus ſehne. Sie bat Herrn 
von Falkenberg, den Weg ohne ſie zu machen, 
fie werde ihn draußen erwarten, und inzwiſchen 
unter der Obhut des Herm Profeſſors bleiben. 
Nach vergeblichen Bitten und einiger Zögerung 
verſtand ſich Herr von Falfenberg dazu und 


ließ, fih von Hanno bis hart an die finftere 
Felſenpforte leiten, durch die in der Entfernung 


Siebenfcläfer. 


doch Schon ein Lichtjtrahl fihtbar wurde. Thaf: 
filo ftieg vorauf, die Tritte der beiden Klet— 
terer verhallten in der Entfernung. Hanno war 
mit Zeontinen allein, fein Herz pochte lauter 
in freudiger Erregung. 

„Es iſt Zeit, daß wir uns allein ſprechen!“ 
+ ann fie. „Wie haben Sie — ge: 
ebt?“ 

„Ich habe Sie entbehrt! ſchmerzlich ent— 
behrt!“ rief er. „Ich bin glücklich, Sie wieder 
in meiner Nähe zu wiſſen! Warum mußten 
Sie ſo lange entfernt ſein?“ 

„Geſchäfte, lieber Freund! Leidige Ge— 
ſchäfte! Ich hätte eher Ihnen Vorwürfe zu 
machen, daß Sie mir die Bücher nicht brachten! 
Ach hatte Sie beſtimmt erwartet. Doch, feine 
Vorwürfe! ch wünſche Frieden zwifchen uns. 
Hanno! Freund! Soll Frieden, dauernder 
Frieden zwiſchen uns fein?“ 

„Für immer! Für alle Emigfeit!” rief er. 

„Darauf geben Sie mir Ihr Wort? 

„Ich gebe es! Nehmen Sie es als einen 

chwur!“ 

Er fühlte Leontinens Hand auf ſeiner 
Schulter, ihr Antlitz näherte ſich dem ſeinigen, 
ſchon fühlte er den warmen Hauch ihres Atems, 
und im Rauſch der Freude wollte er die Ge— 
liebte umſchlingen. 

Da machte 19 ein tiefer Seufzer in der 
Nähe vernehmlich, destid mit dem gepreßten 
Sammerrufe: „Ach Gott! Ach Gott im Himmel!“ 

Leontine fuhr entjegt zurüd, und eilte dem 
Ausgang der Höhle zu. 

„Wer ift da!” rief Hanno, nicht minder 
betroffen, indem er einige Schritte in das 
Dunfel hinein that. 

„Es geht zu Ende mit mir!” ſeufzte die 
Stimme. „Wer wird mir nod helfen?“ 

Leontine aber, von der feiniten Regung 
erfaßt, rief felbit die Hilfe ihres Degleiters an, 
und als dieſer ihr nicht ſogleich folgte, ver: 
ftärfte fie ihren Huf nad) den anderen Beglei: 
tern, und lief, von Angſt getrieben, allein durch 
die Schlucht. 

Hanno tajtete weiter und fand einen Men: 
ſchen am Boden liegen. „Was fehlt Ihnen?“ 
fragte er, fich niederbeugend. „Was treiben Sie, 
und wie fommen Sie hierher?“ 

„Ich, auter Herr!” jtammelte der andere; 
„Sie fennen mich nicht mehr, aber ich erfenne 
Sie an der Stimme. Ich habe fchon ein paar: 
mal gerufen, aber man hat es nicht gehört. 
Seht, da Sie allein waren —“ 

„So ertlären Sie dod nur, wer Sie find!" 
rief Hanno, unangenehm berührt, daß fein Ge: 
ſpräch mit Yeontine einen Zeugen gehabt hatte. 

„ech, anädiger Herr, ich bin ja einer von 
den Stebenidläfern, wie Sie uns nannten! 


533 


Wenn id) nur erjt hier heraus wäre! Der 
Hunger und der Froft find zu arg!“ 

Thaffilo ftürmte herein, mit der Frage, was 
hier vorgehe. Er und Falkenberg hatten den 
Hilferuf Leontinens gehört, und waren eiligit 
herabgefommen. „Ste fagte, die Höhle jtede 
voll von Gefindel, fo fuhr Thaſſilo fort, „und 
war nicht zu bewegen, länger zu vermeilen. 
Falkenberg wollte ſelbſt nachforichen, ihre Furcht 
erftreuen, aber es half nichts, jie verlangte zu 
More zu fteigen und um jeden Preis hinweg: 
zufommen. Sie find ſchon auf dem Wege. 

Hanno empfand das — ziemlich hart, 
allein ſein Gewiſſen rief ihn doch zu männlichen 
Pflichten auf. „Hier iſt ein Unglücklicher, dem 
wir helfen müſſen!“ ſagte er. „Er ſcheint krank. 
Greif‘ mit an, wir tragen ihn aus dieſem 
Höhlendunft in die Sonne.“ 

Thaſſilo fahte an, und gemeinjam trugen 
die jungen Männer den Kranfen, freilich unter 
ängitlihem Stöhnen und Wimmern desielben, 
ins freie, wo fie ihn auf einer von der Sonne 
erwärmten Stelle, an die Felswand gelehnt, 
niederließen. 

„Aber ift denn das nit — ? Freilich, das 
ift ja die ‚zweite Klarinette‘ aus der Muſi— 
kantengeſellſchaft!“ rief Thaſſilo. 

Der Kranke nickte. „Ja, gnädiger Herr, 
ich bin es. Mit meinem kranken Fuße konnte 
ich das Wandern ſchon lange kaum noch er— 
zwingen, aber mit dem Zurüdbleiben ging es 
aud) nicht. Und jetzt, da unten in der Stadt 
ward es fo ſchlimm mit mir, daß ich den 
Kameraden nicht folgen fonnte. Sie liefen 
mic im Wirtshaufe und wollten mich auf der 
Nüdreife abholen. Als mir aber mein Zehr— 
geld ausgegangen, warf mic) der Wirt auf die 
Straße. — konnt' ich nichts und bet: 
teln auch nicht. Da jchleppte ich mich hinaus 
und wollte die Höhle wiederfinden, zum letzten 
Obdach, und müßt‘ g darin jterben. Und id) 
Dix drei Tage und Nächte darin gelegen und 
eine Nahrung gehabt, und meinte, nun wär's 
zu Ende, da wachte ich wieder auf —“ 

So weit hatte der Unglüdlihe mit großer 
Anftrengung geiprodhen, als Thaſſilo ihn mit 
lautem Nusruf des Mitleids unterbrad. „Sechs— 
unddreißig Stunden nichts genoffen! er ftirbt 
vor nel 

„Bir müfjen ihm zu helfen ſuchen!“ ent: 
gegnete Hanno. „Sit der Reitknecht noch da?‘ 

‚Nein! Den beiden anderen ſchon gefolgt!" 

„So gilt es den Verjuch, ob wir den Kranken 
auf eins unfrer Pferde bringen.‘ 

Der Verſuch jcheiterte, man mußte den 
Mann wieder am Boden ausjtreden. 

„Ich fprenge nad) der Stadt!‘ rief Thaſſilo; 
„hole Nahrungsmittel, einen Wagen —“ 


534 


„Der kann hier nicht herauf! unterbrad) 
ihn Hanno. „Eine Tragbahre mit zwei Män: 
nern aus dem Hofpitale! Melde die Sadıe 
zuerjt in unferem Haufe! Theodore foll etwas 
Stärfendes ſchicken —“ 

„Ja! Ja!“ rief Thaſſilo, ſich aufs Pferd 
ſchwingend, und jagte den Waldweg hinunter. 

Hanno aber ſetzte ſich auf einen Stein, in 
die Nähe der beklagenswerten zweiten Klari— 
nette, welche mit geſchloſſenen Augen daſaß, 
aber von den warmen Sonnenſtrahlen ſchon 
ein wenig mehr belebt jchien. Ein Gejpräd) 
fand nicht weiter ftatt, da der Kranke fichtlic) 
zu angegriffen war. 

Hanno hatte inzwifchen Zeit, dem nachzu— 
denken, was er in ber erlebt hatte. Bei: 
nahe zürnte er dem Unglüdlihen durch den 
ihm der erjehnte Augenblid verkürzt, die 
Bringerin feines Glüdes in die Flucht getrieben 
worden war. Wann würde ein foldher Augen: 
blid wiederfommen? Und was dann? Was 
follte überhaupt aus alledem werden? Diefe 
Frage trat zum erftenmal in ihm auf, und fand 
ihn bei reichlicher Muße, fie in der Einfamfeit 
zu durchdenten. Denn es vergingen Stunden, 
und fchon begann es abendlicher ım Walde zu 
dämmern. Vergeblid richtete er die Blide den 
Weg hinunter nad) der erwarteten Hilfe. Sein 
Pferd freilich ftand bereit, ihn fort zu tragen, 
und jtampfte ungeduldig den Boden, doch mie 
hätte er über fid gewinnen mögen, den Lei: 
denden zu verlajjen! Zuweilen ſchien es ihm, 
als atme derfelbe nicht mehr, und Sorge und 
Ungeduld fteigerten ſich auch ihm bei der tiefer 
ſich ausbreitenden Dämmerung. 

Endlih famen die Träger, zugleih mit 
einem erfahrenen Wärter aus dem Hofpitale. 
Der Patient wurde durch Stärfungsmittel neu 
belebt und behutfam fortgetragen. Hanno folgte, 
das Pferd am Zügel führend, und fand unten 
am Ausgange des Waldes den Konreftor, der 
ihn erwartete. 

„Nun, mein Sohn!“ jo begrüßte ihn Herr 
Volmar: „Du haft Samariterdienfte geleiftet, 
darfit aber deinen Schützling jetzt getroft jenen 
Leuten überlaffen. Er wird in das ſtädtiſche 
Krankenhaus aufgenommen, id) habe das bereits 
beforat. Jetzt * mußt du erfahren, warum 
die Hilfe ſo lange gezögert hat. Wir haben im 
Hauſe auch einen Verunglückten, nämlich deinen 
jungen Freund Thaſſilo. Er iſt mit dem Pferde 
geftürzt, hart vor unferer Thüre, und liegt in 
deinem Zimmer, ſogar auf deinem Yager. Bleibe 
ruhig, ich bitte dich! Verletzt hat er fich aller: 
dings, wenn auch nicht gefährlich, aber der Arzt 
verbietet die Ueberführung nad) dem Gute, da 
er ihn unter den Augen behalten müſſe. Theo: 
dore ift um ihn bejhäftigt und verforgt ihn 


Otto Rognette. 


Siebenicläfer. 


beitens. Siehſt du, darum liefen wir did) 
warten, da uns die Hilfe für den auf unfrer 
Schwelle liegenden die dringendere ſchien. Er 
jelbjt freilih trieb uns am meiften an, das 
andere nicht zu vergeſſen. Much ijt bereits ein 
Bote nah) dem Gute gefchidt worden. Was 
in der Eile geſchehen konnte, ift geſchehen.“ 

So war es in der That. Als Hanno in 
fein Zimmer trat, rief Thaſſilo troß heftiger 
Schmerzen ihm zuerft die Frage nah der 
„zweiten Klarinette” entgegen, und fchien ſich 
ſelbſt erleichtert zu fühlen, als er erfuhr, daß 
fie lebe und wohl geborgen fei. 

Bald darauf erihien Herr von Hoberg, in 
der Abficht, den jungen Mann mitzunehmen, 
mußte jich aber in den Ausspruch des Arztes 
fügen, der feinen Ortswechſel duldete. So 
fonnte er nur feinen Danf ausjprehen und 
—* Gegendienſt ſeines Hauſes zur Verfügung 
tellen. 

Hanno und Theodore, die ganz mütterlich 
um den Verwundeten waltete, teilten fih in 
die Pilege bei Tag und Nadıt. 

Schon am anderen Morgen eridhien mit 
Thafjilos Reifekoffer ein ganzer Wagen voll 
auter Stärfungsmittel vom Lande, die denn 
nicht bloß für die Bedürfniffe des Kranken 
berechnet waren, und nachmittags nr Fräu⸗ 
lein Adelgunde vor. Sie war in ihrer Art 
teilnehmend und wacker, wenn auch nicht ängſt— 
lich oder empfindſam; ſie ſaß an Thaſſilos 
Lager, wollte einige Worte des Tadels über 
das übereilte und ganz verrückte Reiten, welches 
ihn zur Niederlage gebracht, nicht unterdrücken, 
und gab zu verſtehen, daß er bei ſeiner Unge— 
ſchicklichkeit noch gut genug davon gekommen, 
und von Glück ſagen könne, von ſo vortreff— 
lichen Menſchen aufgenommen worden zu ſein. 
Und nachdem ſie ſo ihr pädagogiſches Bedürf— 
nis befriedigt hatte, zeigte ſie ſich als eine 
gute und ſorgliche Perſon. Mit Frau Theo— 
dore ſchien ſie ſich gleich zu verſtehen, und 
ebenſo waren Herr Volmar und Gudula, bei 
welchen fie einige Zeit verweilte, ſehr geneigt, 
gutes von der etwas rauh gefaßten Dame zu 
denten. Die Fühlung zu einander ſchien gegen: 
feitia, denn Fräulein Adelgunde blieb länger, 
als fie fich vorgelegt hatte. Als fie fich ver: 
abjchtedete, lehnte fie die Begleitung des Haus: 
herren bis zu ihrem Wagen ab, da fie dem 
Herrn Profeſſor allein noch etwas zu jagen habe. 

In der Gartenthüre blieb fie ftehen und 
begann zu Hanno: „Es wird Sie vor anderen 
interefjteren, und fo follen Sie es zuerit willen, 
um vielleicht danach zu handeln. Wir haben 
geitern Abend eine Verlobung im Haufe gehabt. 

rau von Ellerftedt und Herr von Falkenberg 
wollen ein Paar werden.‘ 


—* 
= 
= 
w. 2 
in 
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Eu | 
— 





536 


Hanno fah fie erftarrt an. Aber die Ge- 
walt des Schlages fand ihn gefaßter und jtärfer, 
als er es fich jelbjt zugetraut hätte. Was er 
aber hervorbradhte, waren nur die Worte: „Und 
wußte Leontine zur Stunde ſchon von dem 
Unglüdsfall, welder Thaſſilo betroffen?“ 

Fräulein Adelgunde wendete ihm einen 
Blid zu, der das volle Verftändnis deffen aus: 
ſprach, was die frage bedeutete. „Sa! Yeontine 
mußte es! entgegnete fie. „Und wenn ihr 
Stieffohn aeftern den Hals gebrochen hätte, 
und Sie, Herr Profeſſor dazu, Frau von Eller: 
ftedt würde nichts danach gefragt, ſondern ſich 

anz munter mit Herrn von Falkenberg ver— 
obt haben! Laſſen Sie es ſich nicht mehr als 
nötig zu Herzen gehen!“ Fräulein Adelgunde 
beſtieg den Wagen und fuhr davon. 

Hanno aber fühlte, daß er eine Stunde der 
Einſamkeit brauchte. Er ſchritt durch den 
Baumgarten, an deſſen letzter Umzäunung, 
gegen die Felder und Wieſen zu, wo er einen 
Platz wußte, entlegen genug, um ihm ſtörungs— 
lofe Muße zu gewähren. Er befand fidy nicht 
fowohl in einer jchmerzlihen Aufregung des 
Gemütes, als vielmehr von neuer Erfahrung | 
und Erfenntnis aufgejtachelt, gegen die fein | 
männliches Ehrgefühl ſich vergeblid wehrte. 
Die Niederlage, welche fein Stolz erlitten, 
befchäftigte nicht mehr fein Herz, nur nod) feine | 
Gedanken, Er glaubte das Fünftlihe Spiel, | 
mit dem eine Erzgauflerin ihn bethört hatte, zu | 
durchſchauen, indem er fid) die $ egeamungen, 
die er mit ihr gehabt, vergegenwärtigte. Daß 
ihr feine Nückehr lei geweſen, daß fie 
eine Ausſprache von ſeiner Seite gefürchtet, 
nahm er als wahrjheinlid an, und jo auch 
ihren Plan bei dem erjten Wiederjehen, wenn 
es denn doc) nicht zu vermeiden war, behutjam 
zu tajten, ob fie durch ihre Zauberfünfte die 
alte Anziehung erneuern, das Vergangene ver: 
gefien machen könne. Daß fie längjt für Herm 
von Falkenberg entſchieden geweien, daran | 
zweifelte er niht. Es galt eben nur, einen | 
vielleicht gefährlichen Gegner in Schranfen zu 
halten, und es gelang ihr jo gut, daß fie ſich 
über feine Ungefährlichkeit ſogar luftig machen, 
durch ein unterhaltendes Spiel den anderen fo: 
gar ein wenig zur Eiferſucht reizen, und zu 
einem raſcheren Vorgehen veranlaljen Eonnte. 
Daß der von ihr einjt Uufgegebene ein erniter 
Charakter jei, und ein gegebenes Wort halten 
“werde, davon mochte fie überzeugt fein, und 
darum wollte fie eine Verfiherung, daß künftig 
Frieden zwiſchen ihnen fein follte. Er hatte 
das Wort gleich einem Schwur ausgeſprochen. 
Sie jah ſich am gewünfchten Ziele, wußte ſich 

efichert, und kümmerte ſich in ihrer Herzloftg: 
feit niht um das, was jie ſonſt angerichtet 


Otto Roquette. 


haben konnte. So ſah er jest das ganze Spiel 
an, und war mit jener Annahme vielleicht 
nicht weit von der Mahrheit entfernt. Aber 
wenn er auch nichts als Abſcheu und Verach— 
tung gegen das jeelenlofe, kalt berechnende 
Weib fühlte, jo wendete fih nun der ganze 
Strom leidenschaftlihen Unmuts gegen feine 
eigne Thorheit, um ihn in höhniſchen, bittern 
und zomigen Selbſtanklagen zu durdfluten. 
Sein Denken und Empfinden zum zweitenmal 
an fie verloren zu haben, mochte er fid nicht 
verzeihen, er fühlte ſich erniedrigt vor fich ſelbſt, 
jest erft im Innerſten gedemütigt. Es be: 
durfte feines ganzen Troßes gegen dieſe Ne: 
gungen, um fich nur einigermaßen zu fammeln 
und nicht unter dem Drud dieſer Stimmung 
vor den Hausgenoſſen zu ericheinen. 

Die Verlobung der ſchönen Frau wurde in 
den nädjten Tagen im Haufe des Konreftors 
befannt. Herr von Falkenberg felbjt war es, 
der die gedrudte Anzeige nebſt einigen an: 
jtändig freundlichen Worten an Thaffilo jen: 
dete. Diefer reichte das Blatt, nachdem er es 
gelejen, Schweigend an Hanno, welder Faſſung 
genug bejaß, zu entgegnen, daß er dergleichen 

abe fommen fehen. Etwas lebhafter nahm 


' Frau Theodore die Nachricht auf, doch unter: 


drüdte fie längere Gefprädhe darüber, um 
den Kranken, als den Nädhjtbeteiligten, zu 
ſchonen. 

Gleichwohl befand ſich Thaſſilo bereits auf 


dem beſten Wege zur Geneſung, da ſeine Ver— 


letzung ſich als weniger bedenklich herausſtellte, 


als es den Anſchein gehabt hatte. Er war 
guten Mutes, las viel, empfing die Beſuche der 
Familienglieder und erkundigte ſich jeden Tag 
nach dem Ergehen ſeines Leidensgenoſſen, der 
„zweiten Klarinette“. 

Hanno war inzwifchen feines inneren Ningens 
wohl Herr geworden, aber wie ein Bann lag 
eö immer nod, bis zur förperlichen Mattigfeit, 
über ihm. Der Verlehr, ja das Geſpräch mit 
Gudula bedrüdte ihn, er kam ſich ihr gegen: 
über jo niedrig, jo unmürdig vor, er juchte ſie 
wohl aar zu vermeiden. Häufig Ir er 
jenen Platz im Baumgarten, um zu lejen, zu 
ichreiben, vor allem allein zu fein. 

Hier befand er 1d eines Tages, ein Bud), 
in welchem er nicht las, in der Hand, und 
blidte über das grüne Thal nach dem Berg: 
rücden hinüber, ohne darum die Yandichaft fon: 
derlih zu betradhten. Da vernahm er leichte 
Tritte in der Nähe, wendete ſich und erfannte 
Gudula, welche auf ihn zu gegangen kam. Cr 


ſprang fast erichredt auf, als ob er ſich auf 


etwas ertappt fühlte, fie aber, indem fie die 
Stufen des erhöhten Ausfichtsplaßes betrat, 
rief ihm entgegen: „Verzeih', wenn ich dich 


Siebenfchläfer. 


ftöre! Hätteft du wohl ein Vierteljtündchen Zeit 
zu einem Geſpräch mit mir?“ 3 

„Gewiß, Gudula!“ entgegnete er in etwas 
banger Erwartung. 

Sie nahm Play und begann ſelbſt mit 
einiger Befangenheit: „Hanno, ich glaube, du 
weißt, daß ich eö immer gut mit dir gemeint 

abe!” 
b „Ja, Gudula, ich weiß es!“ 

„Nun dann,” fuhr fie fort, „wirft bu den 
Nat, den ich dir gebe, nidht verfennen. Hanno 
— reife ab! E3 wäre am beten für did) und 
— aud für uns. Tritt deine Neife nad) Ita— 
lien an, jobald als möglich! Für deine Stim: 
mung, für deine jetzige Yage iſt eine Verände— 
rung des Ortes, find ablentende neue Eindrüde 
durchaus nötig.“ 

Er ſchlug, innerlich betroffen, die Augen 
nieder und ſchwieg eine Weile, Dann begann 
er: „Du jcheinft damit etwas jagen zu wollen, 
was mich tief demütigt. it meine Stimmung 
im Haufe jo übel empfunden worden?“ 

„Ih alaube nicht, Hanno! Man mußte 
dich befchäftigt und ließ dich gewähren, man 
beobachtete dich faum. Ich aber, die ich dich 
beſſer fenne, als die anderen, fonnte mir wohl 
denfen, um was es ſich handelte. Warum, 
lieber Hanno, follen wir beide Geheimnifje vor 
einander haben? Leontine iſt —“ 

„Gudula, ich bitte dich!” unterbradh er fie 
heftig. „Sprich diefen Namen nicht mehr aus! 
Du weißt nicht, wie tief du mich beſchämſt!“ 

„Das liegt nur in deinem Gefühl,” ent: 
gegnete fie, „und ift durch feine Notwendig: 
eit geboten. Ich habe gerade die Abficht, von 
Leontinen mit dir zu jprechen und dir etwas 
u befennen, ein Geheimnis, das id) mit einer 
Sir von Schuldgefühl in mir getragen habe. 
Ich habe dir etwas verhehlt, feit lange, und 
das bedrüdt mich; denn zwiſchen Freunden, 
wie mir, it es ein ag, AA 

„Ein Unreht? Du, Gudula —? rief er 
in nicht geringer Spannung. 

„Ih muß weit ausholen,” fuhr fie fort, 
„wenn ich dir alles ſagen foll. Ich war ein 
Hleines Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren, 
und für mein Alter noch fehr ein Kind. Die 
Yeontine wurde damals von jedermann eine 
große Schönheit genannt, und ich ſchwärmte 
auch für fie, und freute mich immer, ihr au be: 
gegnen. a, meine Schwärmerei wuchs, als 
jie mich einmal freundlich bei der Hand nahm, 
mich nad) allen in unferm Haufe fragte, end: 
ih audy nach dir, und ich ihr befonders von 
dir allerlei erzählen mußte. Ich that es, find: 
lich aralos und freute mi, daß jie fo gern 
von dir hörte. Denn von nun an rief fie mich 
faſt täglih auf meinem Schulwege an, war 


537 


zärtlich gegen mid) und nahm mir mit höchiter 
Aufmerkſamkeit von den Lippen, was ich hi 
über dich mitteilen fonnte. Nun, du darfit 
überzeugt fein, daß es jehr harmlofe Mitteilungen 
waren! Einmal aber — Hanno, nun fommt 
mein Geheimnis! ch kann es nicht länger ver: 
fchweigen. Einmal wurde ih abends noch fort: 
geſchickt, es war nach der Apothele, da der 
Vater ſchnell etwas nötig hatte, umd als ich 
an den Kleinen Garten des Hauptmanns fomme, 
erblide ich zwei junge Leute, die fih umjchlungen 
Bon und küſſen. Ich erjchraf ſehr, ala ich 
eontine und * erkannte.“ 

Mit einem Ausruf der Ueberraſchung, des 
Widerwillens und der Scham wendete —— 
ſich ab, als wollte er ſein Geſicht vor Gudula 
verbergen. 

Das junge Mädchen aber fuhr fort: „Ja, 
Hr erfchraf, aber e3 war bald vorüber. Denn 
ih konnte mir nun Zeontinens Fragen erklären, 
und dachte mir, daß ihr beide ja wohl zus 
fammengehörtet, denn ich vernahm ja nun öfter, 
wie ihr auf Bällen miteinander tanztet, eud) 
in Gejellichaft jahet, und jo meinte ich, wenn 
das eine erlaubt jet, werde eö das andre wohl 
auch. Noch war ich findlich genug, nicht weiter 
daran zu denken. Erſt —— du abgereiſt 
warſt, und längere Zeit darüber vergangen, 
fam mir, bei der Nachricht von Leontinens 
Verlobung mit Herrn von Ellerjtedt, die Er: 
innerung an jenen Anblid wieder. ch erfchraf 
jest Schon mehr, zumal ich ein Jahr älter ge: 
worden war. Zugleich aber tauchten beun: 
ruhigende Gerüchte auf. Leontine follte ein 
älteres Verlöonis gebrochen haben. Andre wollten 
Zeugen einer gleichen Situation gewefen fein, wie 
ich jte gefehen, aber niemand wußte auf eine 
bejtimmte Verlönlichkeit hinzumeifen. So war 
ic allein die Wifjende, ängjtigte mich im ftillen, 
dak nodı andere dich erfannt haben möchten, 
und mußte auch meine Teilnahme verbergen, 
denn ich dachte mir, daf ihre Untreue dich tief 
jchmerzen würde.‘ 

„DO, Gudula!“ rief Hanno. „Es ift ab: 
iheulih, daß du, ein harmlofes Kind, diefer 
elenden Thorheit Zeuge fein mußteſt!“ 

„Und doch —“ nahm Gudula wieder das 
Mort: „Und doch war es vielleicht befjer, daß 
nicht andere, jondern ich allein dich erfannt 
hatte. Es wäre viel Gerede darum gemwejen 
und würde dem Vater und Theodoren gegen: 
über Unangenehmes für dic) daraus erwachſen 
fein. Und nun, lieber Hanno, bin ich froh, 
daß ich mir mein Geheimnis vom Herzen her: 
untergeiprodhen habe! Ich dachte nicht, daß ich 
e3 jemals über die Lippen bringen würde, ob: 
gleich es mich dir zn bedrüdte, und wer 
weiß, ob ich es gekonnt hätte, wenn ich nicht 


538 


einer Art von Notwendigkeit gewichen wäre. 
Die verdüfterte Gemütölage, welche dir das 
Miederfehen und der erneute Verkehr mit Leon: 
tinen gebracht hat, brach endlid) mein Wider: 
jtreben und bewog mid) zum Belenntnis.’ 

„Nun aber genug davon, teure Gudula!“ 
fagte Hanno. „Das weitere foll nicht zwiſchen 
uns beiden verhandelt werden!‘ 

„Es wäre dody gut und würde dich be: 
ruhigen!” entgegnete e. „Hier kann gar nicht 
davon die Nede fein, daß ich mid) in dein Ge— 
heimnis drängen wolle, den eriten Teil des: 
jelben fannte ich feit lange, den Verfolg in der 
legten Zeit haft du mir zwar nidt erzählt, 
aber ich habe ihn erraten, da ich eben den An: 
fang wußte. Zwar, daß es fo, gerade fo 
fommen würde, dachte ich nicht, obgleich — es 
denkbar war. Und, glaube mir, daf ich es im 
ganzen dod) beruhigt abgewartet habe! Denn 
ich kannte Dich zu gut, um anzunehmen, daß 
Leontine did; noch einmal dauernd feſſeln könne. 
Denn, wie mir ıhr Charakter inzwiſchen deut: 
lid) geworden war, mußte, ja, ed mußte ein 
Ende nehmen!” 

„Ein Ende, ja!” ſagte Hanno, „aber nicht 
durd; meinen gejunden Verſtand, ſondern mit 
einer Niederlage meiner Thorheit!“ 

„Du nimmit die Selbtanklage zu quäleriſch!“ 
entgegnete Gudula. „Daß Yeontine durd ihre 
Schönheit, durch ihr Weſen anzieht und fejlelt, 
ift eigentlich ſelbſtverſtändlich. Selbſt unfer guter 
Pater iſt hingeriffen von ihrem Anblid, und es 
würde mic) gar nicht wundern, wenn vor feiner 
Phantafie bereits ein Gedicht ſchwebte, etwa 
‚Die Schöne Amazone‘ betitelt. Und ſelbſt unsre 
Schweſter Theodore, die ſonſt Frauenfehlern 
gegenüber nicht nachſichtig iſt, kann wenigitens 
das Denken über dies pfychologiiche Nätfel nicht 
los werden.‘ 

„Gudula!“ rief Hanno plößlih, indem er 
des jungen Mädchens Hand ergriff. „Wirft 
du mir glauben, wenn id) dir verjichere, daß 
ich während meiner Verirrung di), dich den: 
noch im Herzen getragen habe? 

Sie entzog ihm leife ihre Hand, und Die 
Augen rein und offen zu ihm gewendet, jagte 
fie: „Sa, ich glaube es! Ich weiß, daß du mir 
gut bil. Und id — du mußt es doch auch 
willen! Ich wäre dir gut geblieben, jelbit wenn 
Leontine dir ihre Hand gereicht hätte! Freilich, 
das Unglüf mußte dann groß werden — aber 
das war ja unmöglich!‘ 

Er fühlte ſich ergriffen von ihrer Aufrichtig: 
feit, ihrem jungfräulich reinen Wefen und ein 
Seufzer drang über feine Lippen. „Wie ſchuld— 
bewußt ich mic) gerade vor dir fühle,“ ſagte 
er, „vor dir, Gudula — ich wollte, ich könnte 
es dir ganz ausſprechen! Denn, wenn ic) aud) 


— — —— — — —— 
— — —— — — —— — — — 


Otto Roquette. 


an dic) dachte, eine verächtliche Leidenſchaft hat 
mid) dir doc treulos gemacht —“ 

„Treulos?“ unterbrad) jie ihn in munteren: 
Tone. „Nun machſt du mich beinahe lachen 
über dein Schuldgefühl! Du haft mir nicht ver- 
ſprochen, immer an mid) zu denfen und hattejt 
feine Verpflichtung dazu! Wenn du in deine 
gelehrten Arbeiten dich vergräbit, und dich mit 
Leidenſchaft an römische Inſchriften verlierft, 
wirft du did) dann auch treulos gegen mich er: 
flären? Bon folden Spitzfindigkeiten darf nicht 
die Nede fein! Kurzum — ich rate dir, mache 
= auf den Weg nad) dem jchönen Lande der 
gelehrten Inſchriften und fonftigen — 
mittel! Deine Abreiſe wird nicht auffallen. Die 
Zeit, die du uns zugedacht hatteft, iſt herum— 
gegangen, die Bequemlichkeit zur Arbeit durch 
Thaſſilos Krankheit abgebrochen. Er felbft ift 
bei uns gut aufgehoben. Der Vater wird 
deinen Entſchluß ganz natürlich finden; Theo: 
dore, die, jo Flug fie fonft ift, Diesmal von der 
Urjache deines Trübfinns doch nichts gemerkt 
hat, kann aud) über deine Abreife feinen Ver: 
dacht ſchöpfen. Alfo reife! Und wenn du 
wiederfommft — nicht wahr? — bift du wieder 
der Alte!“ 

Hanno Sprang auf. „Gudula!“ rief er, „Du 
gibjt mir Freude, Selbitvertrauen, Ruhe des 
Herzens wieder! Deine Güte hat alle Schatten 
aus meinem Gemüte wieder verſcheucht. Na, 
du haft recht, ih muß und ich will fort, und 
als ein geſunder Menſch wiederkehren!“ Er 
kniete plöhlich vor ihr nieder, ergriff ihre Hände 
und küßte ſie. „Und dann — dann, Gudula?“ 
Dr er fort, indem er fie mit glüdlichen Augen 
anjah: „Was foll dann mit uns beiden ge: 
ſchehen ? 

Sie erhob ſich ſchnell, und trat von ihm 
zurück. „Nicht weiter, Hanno!“ entgegnete ſie 
mit ruhigem Ernſt. „Der Vorſatz, in dem ich 
dich hier aufſuchte, geht nur bis zu deiner Ab— 
reiſe. Ueberlege ſie jetzt und komme bald zum 
Entſchluß! Ich verlaſſe dich in dem Vertrauen, 
daß du meine Abſicht ehrſt, und — dich nun 
recht vernünftig beträgſt!“ Sie nickte ihm freund— 
lich zu und ſchritt hinweg. Er ſah ihr nach, bis 
die anmutige Geſtalt zwiſchen den Bäumen 
verſchwunden war, dann atmete er tief auf, 
wie im Gefühl innerſter Befreiung. 

Und wie es wohl geſchieht, daß ein Wort, 
eine Bezeichnung, die in einem beſtimmten 
Kreiſe, —* im Ernſt oder Scherz, geläufig 
geworden iſt, uns einfällt, um in anderer Be— 
ziehung eine gewiſſe Bedeutung zu gewinnen, 
ſo boten ſich ihm die vielgenannten Sieben— 
ſchläfer plötzlich zum Gleichnis für ſeine eigene 
Lage dar. „Ja!“ ſagte er zu ſich ſelbſt, „auch 
ich habe geſchlafen, bin in wüſtem, verwirrendem 


Siebenichläfer, 


Traume gewandelt, u in halbem Bewußt: 
fein meines bejjeren Selbjt zwiichen Kae 
und Erwaden ringen, bis ein Morgenruf mi 
au neuem Bewußtiein wedte! Dank dir, holde 
Mahnerin! Du bleibit meinem Dafein ver: 
bunden, einzig, wandellos, ewig —!“ 

Schon einige Stunden darauf, am Abend, 
fand er die Familie auf feinen Reifeplan vor: 
bereitet. Der Konreftor wollte fich eher wun— 
dern, daß Hanno fo lange bei ihm ausgehalten; 
Iheodore bedauerte, daß er nicht noch ein paar 
Tage zugeben wollte, hatte aber fonjt nichts 
einzumenden, zumal er verſprach, aus Italien 
wieder bei den Seinen einzutreffen und nod) 
einige Zeit mit ihnen zu verleben. Die Ab: 
reife wurde auf übermorgen feitgefegt. Gudula 
war heitrer, als man Te ſeit lange gejehen, 
und ließ fih von der älteren Schweiter aus: 
ichelten, daß fie über den Abſchied fo ver: 
gnügt fei. 

Als fih Hanno von feinem jungen freunde 
verabichiedete, jtand er zugleid mit Gudula 
vor feinem Yager. „Es ift recht dumm, u 
TIhaffilo, „daß ich dich nicht nad) Italien be: 
Beer fann, was ich im jtillen eigentlich ge: 


offt hatte! Da ich aber doch einmal wieder 


ein horizontales Dafein zu führen habe, fo tft 
mir’s lieber, ich liege e3 hier ab, als draußen 
auf dem Gute — obgleich auch da jett die Luft 
rein ift. Tante Adelgunde war heute nad): 
mittag da, mit der Nachricht, daß Frau von 


Ellerſtedt bereits weg ift, zu Verwandten Falken: | 
bergs, bei welchen auch die Hochzeit fein fol. 
Hoffentlich werde ich nicht eingeladen, denn id) | 


müßte ja doch danken! Inzwiſchen bleibe 


ich hier, bis du zurückkehrſt — ich habe das | 
mit Vater Wolmar bereits abgemadht — und 
laſſe mid) durch Fräulein Gudula in der Botanik | 


unterrichten. Sie hat es mir verſprochen.“ 
Gudula bejtätigte es lächelnd, und als Hanno 
fie betrachtete, mußte er innerlich laden, daß 
er jemals einer Negung von Eiferfucht hatte 
Raum geben fönnen. — 
Etwa vierzehn Tage nah Hannos Abreife 


war Thaſſilo wieder auf den Beinen und im | 


Garten, zwar nod an einem Stode gehend, 
aber doc mit der Ausficht auf baldige völlige 
Herftellung. Als der Konrektor ihn eines Tages 
vor feiner Bücherfammlung fand, nad) einer 
Stelle im Homer blätternd, machte er ihm den 


Vorichlag, fich täglich eine oder paar Stunden 


gemeinfam mit ihm zu befchäftigen. „Es wäre 
hübſch,“ meinte der Alte, „wenn wir es mit 
einer Tragödie des Sophokles ariechiic ver: 








ſuchten, oder unjern lieben Homer vormähmen!“ | 


Thaſſilo war gleich einverftanden, zumal er auf 


eine Nusfüllung feiner Tagesftunden bereits zu | 


denfen hatte. 


539 


So ſaßen fie eines Morgens über dem 
Sopholles, als Frau Theodore die Studien 
unterbrach, mit der Nachricht, er; ein junger 
Menſch den Hausherrn zu ſprechen wünſche. 
Er wurde in das Arbeitszimmer ggeiajien, 
und Thafjilo begrüßte ihn mit dem Willfom: 
mensruf: „Die zweite Klarinette!” Er ging auf 
ihn zu und reichte ihm die Hand: „Sie find 
wieder wohl auf!” rief er, „und ſchon weiter 
als ich, der ih nodh am Stode nachhinke!“ 

Die zweite Klarinette, oder vielmehr Peter 
Muhl, wie fi) ihr Name herausftellte, ſprach 
ein tiefes Bedauern aus, daß der junge Herr 
um ihretwillen ſelbſt einen Unfall erlitten, 
und wußte dem Konrektor zu danken für das 
Unterfommen und die guiege, die er an ihn 
hatte wenden lafjen. „Bin ich jet wieder ganz 
efund,” fuhr er mit feinem böhmischen Accent 
ort, „und gefünder als früher und fann ar: 
beiten.” 

Peter Muhl, ein junger Burſche von etwa 
dreiundzwanzig Jahren, ſah in der That jetzt 
viel rüftiger aus, als in feiner früheren Ver: 
fafjung als Siebenſchläfer. 

Bun denn,“ begann der Konrektor, „fo 
wirt du wehl deine ehemaligen Genoſſen auf: 
juchen, um mit ihnen, Klarinette blajend, weiter 
zu wandern? Ich kann mir denken, daß es um 
das Reiſegeld ſchlecht genug bejtellt iſt.“ 

„Rein, gnädiger Ser entgegnete Peter 
Muhl. „Ich will nicht mehr blafen und wan: 
dern, möchte lieber einen Dienft haben in der 
Nähe, wenn Sie mir verfijaffen wollten. Ich 
fann dienen in Haus und Hof, und graben 
und alles thun im Garten. Ich bin vom Lande 
und hab’ von — gedient, bis ich das Blaſen 
erlernte. Und ich that es nur, um mir bei der 
Muſik zur —— und zu Hochzeiten noch 
etwas zu erwerben. Denn ich habe früh keine 
Eltern mehr gehabt und mußte ſelber zuſeh'n. 
So hab' ich daneben immer bei der Muſik ge— 
ſpielt, bis die anderen kamen und mich über— 
redeten, mit zu wandern. Aber ich hätte 
es doch nicht mit ihnen ausgehalten. Jetzt 
möcht' ich wieder arbeiten, wie ich es gewohnt 
war. Sie haben Haus und Hof und ſo großen 
Garten, wenn ich — wenn ich könnte vei 
Ihnen —“ 

„Hm!“ machte Herr Volmar und ſchien zu 
überlegen, indem er die Geſtalt Peter Muhls 
aufmerkſam prüfte. Frau Theodore aber, welche 
während der Verhandlung vorſichtig im Zimmer 
geblieben war, erichraf bei dem Gedanfen, daß 
der Vater einen Bagabunden in Dienft nehmen 
fünnte. Der Poſten, zu welchem derjelbe ſich 
angeboten hatte, war nämlid wirklich frei, 
man hatte ſich vergeblid) nad} einer zwedmäßigen 
Beſetzung umgejehen, und jich inzwifchen etwas 


540 


— behelfen müſſen. „Dieſer Burſche hat 
ſicherlich Wind davon bekommen,“ dachte Theo— 
dore, „und ſucht ſich hier einzuſchleichen.“ Sie 
unterzog daher die Geſtalt des Erſatzmanns 
einer nicht minder aufmerkſamen Prüfung, und 
mit nicht ſo wohlwollender Geſinnung, als der 
Konrektor ihm entgegenzubringen ſchien. 

„Hm!“ fuhr der Hausherr fort. „Das ginge 
doch nicht jo unbedingt. Eine kurze Probezeit 
müßteft du immer erjt bejtehen. Etwa eine 
Mode.” 

„ech, Lieber Vater —!“ wollte Theodore 
einwenden, wurde aber von einem ernit be: 
ſchwichtigenden Blide zurüdgemiefen. 

„Etwa eine Woche, fage ich!“ nahm der 
Konrektor feine Nede auf. „Das jchließt nicht 
aus, daß, wenn du dic) übermorgen oder jchon 
morgen übel beträgit, oder dic) unbraudbar 
zeigſt, ich dich fofort wieder wegſchicke. Du 
haft jedenfalls auf der Wanderfchaft noch ſchlim— 
mere Dinge gelernt als das Blafen in eurem 
Quintett, welches an fi jchon etwas jehr Be: 
denfliches iſt. Du darfit daher in deiner Probe: 
zeit die Klarinette nicht berühren, und von 
diefer Enthaltfamfeit wird dein fünftiger Dienft 
bei mir mit abhängen.“ 

Peter zog fein Inſtrument haftig aus der 
Nodtafche, wollte eö dem Hausherrn über: 
reihen und in Verwahrung geben, mit der Ver: 
ag daß er der Kunit auch wohl ganz ent: 
agen könne. 

„Keineswegs! entgegnete der alte Herr. 
„Du wirft das verführerifche Werkzeug in deiner 
Nähe behalten, und deine Entjagungsfähigfeit 
daran prüfen. Merfe wohl! Höre ich did in 
deiner Kammer Klarinette blafen, fo wird Dies 
ein Zeichen fein, daß du wieder hinaus willft 
und noch desjelbigen Tages wirft du entlafjen. 
Und fo wollen wir es einmal verfuchen, mein 


Sohn! Am übrigen wird meine Tochter dir 


deine Beichäfttqung anweiſen.“ 

Der für feine Probezeit Geworbene machte 
ein jehr beglüdtes Gefiht und wollte dem 
Haushern die Hand küſſen. Frau Theodore 
aber, welche wohl wußte, daß es feinen Wider: 
ſpruch gab, wenn der Vater einmal feinen 
Willen fund gethan, ſeufzte und beſchloß, ein 
wachlames Auge auf Peter Muhl zu haben. — 

Daß nun die Briefe aus Ntalten, und zwar 
in jeder Woche einige, Jämtlid an Gudula ae: 
richtet waren, wunderte bald feinen mehr im 
Haufe, ja man jchien ſich mehr und mehr dar: 
über zu freuen, zumal Gudula in jehr heitrer 
und alüdlicher Stimmung war. Dieſe teilte 
fih allen mit, und fo verflofjen ihnen die 
Sommertage rafch und ungetrübt. 

Da machte Thaffilo Beobahtungen an dem 
alten Herrn, die ıhn mit einiger Beforanis er: 








Otto Roqueite. 


füllten. Der Konreftor fing an bei der arie: 
chiſchen Lektüre die Adverbia zu verwechieln, 
falich zu überfegen, er war zumeilen fo zer: 
itreut, daß der Jüngere ihn fortwährend hätte 
verbeffern müffen. Diejer ließ es zwar auf 
ji beruhen, fonnte aber nicht umhin, jeine 
Beobachtung den Töchtern mitzuteilen. Aber 
beide waren ohne Bejorgnis und ftimmten in 
ihrer Annahme überein, ald Gudula lächelnd 
ſagte: „Ich denke, die Urfahe wird eine neue 
Dichtung fein, über deren Ausführung der 
Vater noch nicht entjchieden iſt.“ 

Sp war es in der That. Aber nicht ein 
Gedicht ging dem Konrektor im Kopfe herum, 
fondern ihrer drei auf einmal, und Diejes 
Uebermaß von poetischen Stoffen machte der 
Geftaltungsfraft des waderen Boeten arg zu 
Ihaffen. Peter Muhl hatte ihm nämlich im 
Garten die herzbrechende Geſchichte feiner Hin: 
derjahre, ſowie das Unerfreulihe feiner mufi: 
kaliſchen Wanderschaft ausführlich erzählt. Diefer 
Bericht erfchien Herrn Volmar zu einer Dichtert: 
hen Bearbeitung ganz geeignet, zumal Dabei 
an Perſönliches und Häusliches anzufnüpfen 
war, wie er dergleichen liebte. Das Gedicht 
fonnte den Titel führen: „Der gerettete Yand- 
ſtreicher“, oder „Das Aſyl im Bürgerhaufe‘, 
und der Stoff ericdien ausgiebig genug, um 
viel zu jagen. Nun aber war vorher ſchon 
ein Stoff jo ziemlich) herangediehen, welcher 
ſich auf Thafjilos Niederlage bezog, und als 
„Des Jünglings Genefung” viel Ynziehendes 
und rührend Darftellbares hatte. Beanjpruchten 
diefe beiden Themata aber bereits die aleiche 
innere Teilnahme, fo trat ein dritter Stoff, 
fogar mit noch älteren Ansprüchen hervor, und 
drängte zeitweife die beiden jüngeren etwas 
rüdjichtslos beifeite. Herr VBolmar hatte näm— 
[ih in jenem Begrüßungsgediht an Hanno 
die Siebenichläfernadht nur nebenfähhlich behan: 
delt, und für eine bejondere Bearbeitung zu: 
rüdgelegt. Dieſe letztere follte nun mit feinem 
Waldgange beginnen, die merkwürdige Erjchei: 
nung des Jünglings im Eingang der Yeljen: 
ichlucht Schildern, dann das Gefpräd mit ihm 
und die Löſung der märhenhaften Scene durd) 
den Begrüßungsruf Hannos. „Die neuen 
Siebenſchläfer““ boten zahlreihe, höchſt an: 
regende Momente und gewannen an manchen 
Tagen den Vorrang vor den beiden anderen 
Stoffen. Vielleicht fonnten fie auch alle drei 
in eine Beziehung zu einander gebracht und zu 
einem anfprechenden Ganzen vereinigt werden. 
Nod aber lebten diefe drei Stoffe getrennt 
voneinander, und bejtritten einander die Stun: 
den zu ihrer Entfaltung. Hier hieß es nid: 
„Leicht bei einander wohnen die Gedanten, 
doch hart im Raume ftoßen fih die Sachen“ 


— ——— — — 


Sicbenfchläfer. 


— nein, die Gedanfen wohnten nicht jo leicht 
bei einander, fondern als ganz böje Nachbarn, 
denn jeder pochte gewiljermaßen auf jein eignes 
Hausrecht. Sprad „Des Jünglings Genefung“ 
janft und verjöhnlich, jo fuhren „Die neuen 
Siebenſchläfer““ in geſchloſſener Gruppe drein, 
um ihn zu überfchreien, Dann nahm 6 „Der 
gerettete Landſtreicher“ wohl des erjteren an, 


und hoffte mit ihm Hand in Hand das Feld 


zu behalten, fonderte ſich doc aber wieder ab, 
denn er wünſchte, wie Homunfulus, ſelbſt zu 
„entſtehen“. Der Kampf diefer drei Elemente 
machte die innere Werfitatt des quten alten 
Poeten jehr geräufchvoll und aufrühreriich, To 
da Herr Volmar von feinen Spaziergängen 
nur verworrener heimfehrte, und aud) in der 
Familie feine Zerjtreutheit nur Schwer bemeiftern 
fonnte. Aber er hoffte dennod des Uebermaßes 
Herr zu werden und das Dreiblatt nad) und 
nad) herauszugeftalten. 

Beichäftiat, wie er, waren aud) die übrigen 
im Haufe. Gudula ſchrieb Briefe — lange, aus- 
führliche Briefe, denn fie hatte Hanno die 
größte Ausführlichleit veriprochen, So konnte 
ie als Neueftes auch die Aufnahme des Sieben: 
ichläfers Peter Muhl in das Haus mitteilen. 
Ferner, dab Thaſſilo bereits weite MWande: 
rungen anftelle, um zu botanifieren; daß Frau 
von Hoberg aus dem Bade zurüdgefehrt jei, 
in leidlichem Befinden, und ihnen einen Beſuch 
gemacht habe, Tante Adelgunde jogar öfter bei 
ihnen vorſpreche, und dab man fich in Thaſ— 
jilos ferneren Aufenthalt bei ihnen denn ohne 


zu erzählen, woran der Empfänger der Briefe 
teilnahm, aljo durften fie lang werden. 
Frau Theodore aber wachte über “Peter 


— 
— 


Muhl, anfangs mit ernſter Sorge, dann mit 


ruhigerer Beobachtung. Denn die erſte Woche 


verging und die zweite, die dritte, ein Monat 


und mehr, und Peter blies weder Klarinette 
noch zeigte er andere hervorragende Untugenden. 


Er verjtand tüchtig zu arbeiten, hielt Hof und 
Garten in Ordnung und erwies fi) als an: 
jtelligen und leidlichen Burſchen. Er war jo: 
gar ein Taufendfünftler, fchnitt Blumenftäbe, 
verjtand jih auf Maufefallen und hatte ein 
Gejhid, den Maulwurf abzufangen. Schon 
mehrere der Schwarzen Gartendurhwühler waren 
von ihm ertappt und erlegt worden. Er fonnte 


aud VBogelbauer machen, und beflagte, da | 





541 


den Gebilden feiner Phantafie; nur der jüngjte 
Hausgenojje fing an gegen Ende des September 
das Winterfemeiter zu erfehnen, um als wirt: 
liher Student die Univerfität zu beziehen. 

Da fam ein klarer Herbjtmorgen, der einen 
Freudenſturm im Haufe erwachen ließ. Dies: 
mal erſchien der Heimfehrende nicht überrafchend, 
jondern hatte jeine Ankunft gemeldet. Und 
als Hanno unter den Familiengliedern diesmal 
auch Gudula jubelnd in die Arme ſchloß, und 
fie es errötend gejchehen ließ, fand niemand 
etwas Auffallendes darin. Nun ging es in 
der erften Stunde an das Erzählen. Hannos 
Beſuch jollte diesmal doh nur kurz fein, da 
er für feine neue Stellung bereits begehrt 
wurde. Daß Thaſſilo an derfelben Univerfität 
jeine Studien beginnen follte, verjtand ſich für 
alle Teile von ſelbſt. Und nad) wieder einer 
Stunde, da Hanno und Gudula ſich allein 
geiprochen hatten, trat ein glüdjeliges Paar vor 
den Vater, der feine Kınder gerührt in die 
Arme ſchloß. Es wunderte fi auch darüber 
niemand, aber die Stimmung aller war feit: 
ih und gehoben. 

Nachmittags aber, da man fröhlid unter 
dem Nußbaume beifammenfaß, erichollen plöß: 
lid) Töne, welche erjchütternd durd) alle Nerven 
fuhren. 

„O heilige Romantik!” fchrie Thaſſilo. „Es 
find die Unfren! Die Siebenſchläfer!“ Er fprang 
aus dem Garten auf die Straße. 

Ya, fie waren es! Ihre Nomantif war auf 


| R | der Sommerreife nur noch verwilderter, haar: 
viel Umftände gefügt habe. Es gab ja jo viel | 





dergleichen für den Hausbedarf abgelehnt wurde. | 


Um fo jchneller war er bei der Hand, wenn 
ihm von Iheodore oder Gudula etiwas aufge: 
tragen ward. 

sa, ſie waren alle befchäftigt: Theodore 
jet Schon mit der ferneren Politur Peters; 
Gudula mit Briefichreiben; der Konreftor mit 


iträubender geworden. Die Frechheit der erften, 
jet einzigen Klarinette, ging ins maßlofe! 
Das erſte Waldhorn mußte feine Studien bei 
dem Grauenhaften und Erjchütternden gemacht 
haben, die Bofaune jchien ſich auf das Weltgericht 
vorzubereiten. Nur von dem zweiten Wald: 
horn war, wie vordem, nichts Sonderliches zu 
jagen, als daß es, wie die übrigen, immer 
falſch einſetzte. 

Als Peter Muhl im Garten dieſe Klänge 
vernahm, ließ er einen faſt ergriffenen Maul— 
wurf fahren und eilte fort, nicht um nach ſeiner 
Klarinette zu greifen, und ſich anzuſchließen, 
ſondern um die einſtigen Genoſſen vor der 
Hausthür mit lebhafter Rede zur Ruhe zu 
verweiſen. Sie hörten wirklich auf, an 
über feine Begegnung und die Eröffnungen, 
welche er ihnen über feine dienftliche Stellung, 
jeine Wandlung und fein Glück machte. Das 
zweite Waldhorn hörte ihm mit aufgerifjenen 
Augen an und hätte Luft gehabt, mit ihm zu 
a Pi und wer weiß, ob dos erſte nicht ähn: 
liche Neigungen fühlte, wenn nur der Gedanke 
an Arbeit und an einen Dienjtheren nicht ſtö— 
rend gewejen wäre. Die Klarinette aber lachte 


542 


verächtlih, und die Bojaune ſprach wegwerfend 
über Peter Muhls Abtrünnigfeit. 

Während dies draußen vorging, fagte Hanno 
zu den Seinen: „Ob, ich bin jo glücklich, daß 
ich alles un mich her glüdlidh wifjen möchte, 
wär's aud) nur auf eine Stunde! Ich bewirte 
meine Siebenjchläfer! Sie waren auf eine Nacht 


meine Gefährten, fie follen etwas von meinem | 


Feſte ſpüren!“ 
„Ja doch!“ entgegnete Theodore. „Du wirſt 
uns doch auch einen Teil an der Bewirtung 


önnen, zumal ih die Schlüſſel zur Speife: | 


ammer führe!” Sie fchritt hinaus und Hanno 
begab ſich zu den Mufifanten. Seine Ein: 
ladung zu einem Imbiß wirkte überrafchend 
und bedeutend, und wurde nicht abgelehnt. Und 


als in den Hof dann ein Tiſch und vier Stühle 


—5* wurde, Brot, Fleiſch und das gute 
etränf erſchienen, welchem man lebhaft zu: 
ſprechen durfte, da fchienen ſelbſt die Klarinette 
und die Bofaune — und dachten nicht mehr 
ſchlecht von Peter Muhl. 

ſchläfer waren voll Dankes und nahmen es 
nicht übel, daß man ſich das Ständchen verbat, 
mit welchem ſie ihrem Abſchied eine größere 
Feierlichkeit geben wollten. Die einſtige zweite 
Klarinette ſah ſie mit Genugthuung wandern 
und ſegnete das beſſere Los, das ihr zuteil 
geworden. 

Drei Siebenfchläfer blieben zurüd, jeder 
beglüdt in eine ſonnige, felige Zukunft blidend, 
und erfüllt vom Genuß des jchönen Tages, der 
fie mit den übrigen Hausgenofjen vereinte. Das 
Herz des alten Konreftors quoll über von freu: 
diger Rührung. 


Die vier Sieben: | 


! 


| 


| 





Denn hatte er in der lebten 


Zeit, unterftügt durch Theodorens Winke, aud) | 


wohl vermutet, daß Gudula und Hanno fid) für 
das Leben gefunden, fo war die Gewißheit doc) 
nun im tiefften Herzen beglüdend. Freilid milch: 


ten fich in diefes Glüd auch einige Heine Be: | 


forgniffe. Hanno behauptete, es jei nicht nötig, 
lange mit der Hochzeit zu zögern. 
doc ein Hochzeitsgedicht nötig, und wenn nicht 
nötig, fo war es ihm Bedürfnis, denn fein 
Gemüt hatte joviel zu fagen und auszufpreden. 
Leider aber waren weder „Der gerettete Land— 
ſtreicher““, noch „Die neuen Siebenſchläfer“, noch 


Da war | 


| 





aud „Des Jünglings Geneſung“ fchon zuftande | 


gefommen, obwohl keineswegs aufgegeben, und 
es drängte ſich ein viertes dazu, welches ge: 
radezu das erite zu fein beanjprucdte. Der 
aute alte Poet jchüttelte gedankenvoll den Kopf. 
hm Fam zum Bewußtjein, daß, wenn ein 
Dichter ſich beitrebt, auch nur das Nächſtliegende 
feiner menschlichen Umgebungen und Verhält: 
niffe zu bearbeiten, es eine Unmöglichkeit it, 
diefe Fülle poetiihen Stoffes zu bewältigen. 


Ein Projeß aus der Petersburger Gefellichaft. 


Fin Prozeh 
aus der Petersburger Geſellſchaft. 


—. 


icht nur ein Bild von dem Leben und Trei- 

ben des einzelnen gibt dem aufmerffamen 
Beobachter in den Gerichtsfälen die gegen be- 
jtimmte Berfonen erhobene Anklage; jehr Häufig 
find diefe Perfonen nur die Nepräfentanten eines 
ganzen, fich weit erftredenden Syſtems, find in 
ihnen nur die fymptomatiihen Erjheinungen 
der Korruption und Demoralifation der joge: 
nannten Gejellichaft verkörpert. Der auf ber 
Anklagebanf ſitzende Verbrecher ift nur ein 
ichlauer Intrigant, der ſich die geheimen Schäden 
der Gefellfchaft zu nutze gemacht und aus den— 
felben die möglichiten Vorteile für fi heraus: 
zufchlagen gefucht hat. Daß ein derartiges Unter: 
tauchen in den Sumpf aber fein reinliches Ge— 
ſchäft fein kann, liegt auf der Hand, und ebenso, 
daß der Charakter deſſen, der ſich damit abgibt, 
ein unlauterer fein muß; und da fann es denn 
nicht ausbleiben, daß, wenn berartige Gift: 
pflanzen allzu üppig wuchern und ſich gar zu 
breit machen, die Organe der öffentlichen Orb: 
nung Hand anlegen müfjen, um diejelben aus: 
zurotten. Nirgends aber ift der Boden für folche 
Aftergewächfe ein jo günftiger, als in der ruf: 
fiihen, namentlid aber in der Peteröburger 
Geſellſchaft. In feinem Lande ift gerade die 
fogenannte gute, höhere Gejellihaft vom Ber: 
brechen jo durchfeucht als in Rußland; die fort: 
währenden Wühlereien des Nihilismus, der ſich 
bis in die höchſten Kreiſe erftredt und der mit 
brutalem Cynismus das Evangelium des Ber: 
brechens predigt, hat feinen forrumpierenden 


' Einfluß auf alle Schichten der Bevölkerung nicht 


verfehlt. Durch ihn ift das Gefühl für Necht 
und Sitte, die Zauterfeit der Gefinnung, Die 
Integrität des Wandels volljtändig verloren 
gegangen; ftatt deſſen hat fich eine für andere 
Nationen faum fahbare Yarheit in der Auffaj: 
jung der moralifchen und fittlihen Pflichten breit 
gemacht, welche, faum noch übertüncht mit dem 
Firnis äußerer Ehrbarkeit, am innerften Marke 
der Geſellſchaft zehrt. 

So nur war es auch möglich, daß vor dem 
Petersburger Gericht in diefen Tagen ein Prozeß 
verhandelt werden fonnte, der einjcharfes Schlag: 


‚ licht auf die Sittenverfonmnis der dortigen ge: 


Ein Peozeß aus der Petersburger Gefellichaft. 


ſellſchaftlichen Kreife wirft, obwohl in demſelben 
nur einzelne Daten zur Sprache gebracht wur: 
den, während das meijte hinter den Coulifien 
blieb, die dasfelbe jedoch immerhin nicht dicht 
genug verdedten, um nicht manchen Seitenblid 
dahinter zu gejtatten: wir jprechen von dem 
Prozep gegen die „Schwarze Bande“, welder 
weit über Petersburg, ja weit über die rufjiichen 
Grenzen hinaus in der ganzen civilifierten Welt 
ein berechtigtes Aufjehen erregt. 

Auf der Anklagebank fehen wir um zwei 
geriebene Gauner Namens Viktor Dubezki und 
Alexei Sarudny fih Perfönlichkeiten aus ver: 
jchiedenen hochgeachteten Geſellſchaftskreiſen 
gruppieren, wie den erblichen Ehrenbürger Ra— 
butowski, die Offiziere a. D. Kotowitſch und 
Kornilow, letzterer der Sohn des Helden von 
Sebaſtopol, welcher einſt ſogar zum Vizegou— 
verneur für die baltiſchen Provinzen auserſehen 
war; daneben den Bauer Graesnow. Alle dieſe 
Perſonen waren durch die beiden erſtgenannten 
Gauner, die Häupter der „Schwarzen Bande“, 
derart umgarnt, daß ihnen nichts übrig blieb, 
als den Anordnungen derſelben ſtrikte Folge zu 
leiſten. Erſt Opfer der beiden Hochſtapler, wur— 
den ſie mit der Zeit deren gefügige Werkzeuge! 

Als die Geſchädigten in dem gegenwärtigen 
Prozeſſe treten freilich nur zwei Perſonen auf: 
ein junger Edelmann, Korwin-Krukowski, und 
die Frau eines Kaufmanns erſter Gilde, Iwa— 
nowna; gleichwohl illuſtrieren ſchon dieſe beiden 
Fälle, abgeſehen von dem, was gelegentlich der 
Prozeßverhandlungen noch zur Sprache kam, 
die Thätigkeit der „Schwarzen Bande“ in ge— 
nügender Weiſe. Der junge Edelmann Korwin— 
Krukowski wurde nämlich von den Gaunern da— 
durch gekirrt, daß dieſelben ihr Schweigen von 
ihm für den Preis von 5000 Rubeln darüber 
erfauften, daß er gelegentlich eines in feiner 
Wohnung arrangierten Spieldens angeblid) 
„das Glüd korrigiert” hatte. Frau Iwanowna 
dagegen, die hübjche Frau eines reihen Kauf: 
manns, wurde von den Gaunern in eine Liebes: 
intrigue verwidelt, aus der zu entfommen, ihr 
nur durch Schwere Opfer möglich fein follte. Der 
Angeklagte Graesnom wußte fich derfelben näm— 
lich als feuriger Liebhaber zu nähern und ihr 
Herz zu gewinnen. Nachdem er die Frau, die 
jo thöricht geweſen, fich für eine Witwe aus: 
zugeben, gehörig umgarnt, verleitet er diejelbe 
zu einem Stelldichein in feiner Wohnung und 
hier wird nun die Kalle geſchloſſen: Dubezki 


543 


und nod) eine dritte, unermittelt gebliebene Ber: 
ion, überrafhen das Paar bei feinem Nendez- 
vous, geben der bejtürzten Frau zu erkennen, 
daß fie volljtändig darüber orientiert find, wer 
fie jet, und zwingen fie unter der Drohung, ihrem 
Manne Mitteilung von ihrer Verirrung machen 
zu wollen, einen Mechjel auf eine gewiſſe Ticho: 
mirowa auszuftellen. Aber in dieſen beiden 
Fällen hatten die Gauner die Nechnung ohne 
den Wirt gemacht. Frau Iwanowna machte 
jih, kaum den Händen der Spiehgefellen ent: 
vonnen, bald flar, daß fie hier in eine Yage ge: 
raten fei, welche doch über furz oder lang dazu 
führen müſſe, ihrem Manne ein Bekenntnis ihrer 
Verirrung abzulegen; kurz entſchloſſen that fie 
daher diefen Schritt fogleih und madte der 
Polizei Mitteilung von ihrem Erlebnis. Korwin— 
Krufowsti dagegen entſchloß ſich erſt, nachdem 
er infolge der eingegangenen Wechfelverbindlich: 
feiten feine Stellung verloren, die Hilfe der 
Behörden gegen die unverfhämt drängenden 
Gauner in Anfpruch zu nehmen, und fo wurden 
diefe endlich von dem ftrafenden Arme der Ge: 
rechtigfeit erlangt. 

Was wir fonjt noch aus den Verhandlungen 
über das Treiben der „Schwarzen Bande“ und 
namentlich über das Leben der beiden Führer 
derjelben erfahren, reiht ſich den beiden zur 
Anklage geitellten Fällen würdig an. 

Für das Naffinement Dubezfis jpricht, daß 
derjelbe im fahre 1872 für den General Lanskoi 
einen von einem Rechtsanwalt bereits in allen 
Inſtanzen verlorenen Erbſchaftsprozeß dadurch) 
gewinnt, daß er eine alte Urfunde des Zaren 
Joann Grosni ausfindig macht. Dieſer Pro: 
zeß, durch melden Dubezli dem General 
79000 Rubel gewinnt, bringt ihm 15000 Nu: 
bel ein. Bald darauf aber wird Dubezfi aus 
Petersburg ausgewiefen und begibt fich nad) 
Nizza, wo er einen jungen Rufen Rajchetom 
fennen lernt und im Spiel um 15000 Rubel 
betrügt, worüber ihm letzterer Wechſel ausitellen 
muß. Später fommt Dubezfi nad Berlin und 
vet dort durch einen Fußfall vor dem Kaiſer 
Wilhelm bei einem Spaziergange des letzteren 
defjen Herz zu rühren, jo daß ſich, nach Angabe 
eines Zeugen, die deutſche Botſchaft für die 
Rückkehr Dubezkis nach Petersburg verwendet, 
und ihm infolgedeſſen dieſelbe auch wirklich ge— 
ſtattet wird. In Petersburg ſucht Dubezki als— 
bald den jungen Raſchetow, deſſen Bruder eine 
geachtete Stellung im dortigen Appellhofe ein— 

ug 


Bermann Sriedrichs. 


544 


nimmt, wieder auf und bedrängt denjelben mit | 
den in Nizza auögeitellten Wechjeln derart, 
daß Raſchetow fich eine Kugel durch den Kopf 
ſchießt. 

Aber der Gauner weiß auch den Zufall 
wohl auszubeuten. So iſt er eines Tags auf 
der Straße ganz zufällig Zeuge des Geſprächs 
zweier ihm völlig unbekannter Damen, aus 
dem er erfährt, daß eine derſelben ein Verhält— 
nis mit einem bekannten Herrn hat. Sofort | 
heftet er fih an die Ferſen der Unbekannten, 
fundichaftet Namen und Wohnung derjelben | 
aus und ftattet ihr einen Bejuch ab, um fi 
ihr als Mitwiffer ihres Geheimniffes vorzu: 
jtellen und Schließlich gegen einen Wechfel von | 
1000 Rubel fein Schweigen erfaufen zu lajjen. 
Zugleich weiß der raffinierte Hochitapler die Dame 
derart von dem Mohlmwollen feiner Gefinnung 
zu überzeugen, daß dieſe ihm die Briefe ihres | 
Geliebten zur Vernichtung überläßt. Aber Du: 
bezti wird doch dies fojtbare Material nicht fo | 
ohne weiteres verjchwinden laſſen! Zunädjit | 
begibt er jich daher zu dem Liebhaber und läßt 
fih von diefem noch einmal 1000 Rubel für 
fein Stillſchweigen zahlen. 

Außerdem treiben Die Genoſſen der „Schwar: 
zen Bande” ihr Wefen als Heiratsvermittler. 
Ein Stubenmädchen Dubezkis heiratet 3. B. | 
einen Oberften, und einem anderen Stuben: | 
mädchen, der bereits erwähnten Zeugin Ticho— 
mirowa, wird fogar ein General zugefagt. a, 
der Angellagte Alerei Sarudny verichmäht es 
fogar nicht, gelegentlih den Polizeifpion zu 
machen. Die Hauptthätigfeit der Bande be: 
jteht aber in Erpreflungen, namentlid) beim | 
Kartenfpiel, und das Geſchäft florierte, das be: | 
weifen die Wechſel, die im Befise der Ange: 
flagten gefunden wurden und die eine Höhe von 
20000 Rubeln erreichen. | 

Aber auch nicht ohne einen aufregenden 
Zwifchenfall follte diefer an ſich jchon jo fen: 
jationelle Brozeh verlaufen. Während der Ver: 
teidigungsrede Dubezkis auf das ſcharfe Plai- 
doyer des Profurators Sablin ertönte plötzlich 
im Zufchauerraum ein Schuß, der einen unge: | 
heuren Tumult im Publitum hervorrief. Den | 
Schuß hatte die Tochter Dubezkis, eine Frau | 
Kunizin, auf fich abgefeuert, ſich jedoch dabei 
nur leicht an der Hand verlett. Kaum hört 
jedoch Dubezki den Namen feiner Tochter nen- 
nen, als er in eine furchtbare Aufregung gerät, 
eine neben ihm ftehende gefüllte Waſſerflaſche 





Die junge Pompejianerin. 


erareift und ich mit derfelben derart auf den 
Kopf ſchlägt, daß fie zeriplittert und er blut- 
überftrömt zu Boden finft. Erſt nad längerer 
Unterbredung und nachdem Dubezfi aus dem 
Saale geihafft, konnte die Verhandlung zu 
Ende geführt werden. 

Das Urteil lautete gegen Dubezfi und 
Graesnow auf zweijährige Zudthausjtrafe, 
gegen Sarudny auf fiebenmonatlihe Arbeits: 
hausftrafe und gegen die übrigen Angeklagten 
auf Deportation nad) Sibirien. 

Ob mit der vorläufigen Unſchädlichmachung 
diefer Verbrecher die Nachforſchungen über ihre 
Thätigfeit ihr Ende erreiht haben werden ? 
Obwohl die „Schwarze Bande”, wie aus der 
obigen Darjtellung hervorgeht, nody eine weit 
ausgebreitete „Praxis“ hatte, fteht dies doch zu 


‚ erwarten, da die Petersburger „Gefellihaft “ 


allen Grund hat, zu wünfchen, daß der darüber 
gebreitete Schleier nicht allzufehr gelüftet werde. 
O. B. 


Die junge Pompejianerin. 


Auf den CLeichen-Gips Abguß im Muſeum zu Pompeji. 


Don 


Dermann Sriedrichs. 


Du fiegft ans Eicht; die Aſche, holdes Kind 
Die did; begrub, die Aſche wehrt im Wind, 

Un deine Bahre tritt die Melt und flaunt, 
Bald mehr, bald minder ernft, wie fie gelaunt. 
Mir bit du eine Sterbende erichienen. 

Die Menge gafft — ich lej’ in deinen Mienen: 


Noch ftarbit du nicht; doch wiljend, was dir droht, 
Sieht ftill gefaßt entgegen du dem Lob 

Und ſchmiegſt im Fall den jeelenvollen Ceib 

Der Erde an. © rede, fühes Weib! 

Don jenem Schredenstage gib mir Kunde, 

Er dic; ereilt die finft're Todesflunde, 


Du ſchweigſt — und doch dein ganzes Weſen fpricht: 
Gch’, freund, du redeft meine Sprache nicht. 

Die Götter rüften zur Gigantenfdrlacht! 

Die Nacht bricht an, die ew’ge Todesnacht! 
Vergebens firäubt und mwindet fich das Eeben.... 
Geb’, Taf mich fill ins große Nichts entſchweben. 


Eleonore. 


545 


Sleonore. 


Roman von Auguſt Beer. 
(Fortiegung.) 


re] eber Dräfows blafjes, von der 

(| Stubenluft gebleichtes Antlit 
flog eine feltene Purpurglut. 
Er hatte durchaus feine Eile, 
zu antworten, da er zu einer 
— Entjhuldigung oder Rechtferti— 


Na 


gung wenig vorbereitet war. Unruhig Hin: und 
herſchreitend, ließ ihm Herbig aud) feine Zeit 
dazu, indem er fortfuhr: 





„But denn, wenn du nur wirklich der 
Knopf auf Fortunas Haube biſt und reichlich 
geerbt haft — das andere ift Nebenfache. Ich 
fragte aud) nicht aus dem Grunde, weil id) nad) 
den Umjtänden bejonders neugierig wäre. Das 
Nähere geht mich nichts an, und im Grunde iſt 
mir all das höchſt gleichgültig. Ich forjchte nur, 
um dir Öelegenheit zu geben, dich über die Lage 
mir gegenüber auszusprechen, wenn du Luft 
dazu hattejt. Dann find wir darüber hinaus 
und können zu MWichtigerem — für mid) nämlid) 
— übergehen.“ 

„So ſetze dich wenigftens! Ich habe bir 
allerdings einiges mitzuteilen,” bat jetzt Dräſow 
dringend, ernit und gefaßt. 

Der Ausdrud feiner Züge war dabei von 
jo bedeutfamem Ernſt, daß Herbig nicht umhin 
fonnte, feine Bitte zu gewähren, und, wenn 
auch widerwillig, ihm gegenüber auf dem Sofa 
lat zu nehmen. Zwar nahm er eine der von 
Dräſow angebotenen Cigarren an, legte fie je- 
doc) bald beifeite, um fich eine aus feiner eige- 
nen Dofe hervorzuholen und anzubrennen. 
Dann lehnte er fi zurüd, bat Dräſow zu be: 
ginnen, und diefer fing mit feiner etwas ſchwa— 
hen, wijpernden Stimme an, folgendes mitzu: 
teilen: 

„Es ift dir wohl nicht unbekannt, daß ich 
mit Steuber einmal ziemlich befreundet war. 
Die Unähnlichkeit zwischen ihm und mir fonnte 
nicht größer fein. Ich weiß noch heute nicht, 
was ihn, den geledten, jtußerhaften Weltmann 
und Streber an mir jo anzog, daß er mir fein 


i 


——— ——— — — — — — — —— — ——— —— — — 


Vertrauen ſchenkte. Dies dauerte noch fort, als 
er ſich in der früheren Welfenhauptſtadt an der 
Leine, wo er eine Zeitlang auf den Gerichten 
praktizierte, ſterblich in ein liebenswürdiges und 
gebildetes Mädchen verliebte, das dort in den 
beſten Häuſern verkehrte und als Muſiklehrerin 
wirkte. Sie ſtammte aus einer ſehr achtbaren 
Beamtenfamilie, ſah ſich jedoch nach dem Tode 
ihres Vaters mit der Mutter auf eine kleine 
Penſion angewieſen, ſo daß ſie keinen Augen— 
blick zögerte, ihr Talent zu verwerten und durch 
Klavierunterricht zu erwerben, was ſie mit 
der Mutter bedurfte. Gefördert durch die Be— 
kanntenkreiſe ihres Vaters in der Stadt, ſetzte 
ſie dieſen Erwerb auch nach dem Tode ihrer 
Mutter fort. — Steuber hatte das ſchöne, 
überall gern geſehene Mädchen zufällig in Ge— 
ſellſchaft kennen gelernt und faßte eine heftige 
Neigung zu ihr. Er fette alles daran — und 
e3 jcheint ihn einige Mühe gefojtet zu haben — 
ihre Liebe zu gewinnen. Vielleicht jchmeichelte 
es feiner Eitelfeit, — denn ob er überhaupt 
eines wärmeren Gefühls fähig tft, ijt mir jchon 
früher zweifelhaft gewejen. Vielleiht auch — 
doc) ich will ihm nicht zu nahe treten und gerne 
annehmen, daß die perfünlichen Vorzüge Pau: 
linens ihn allein beitachen. Sie jtand nämlich 
in dem Rufe einer hoffnungsvollen Erbin. Ein 
Großonkel von ihr lebte finderlos und hoch— 
betagt in der Butjahdinger Marſch. Jedenfalls 
aber mußte Steuber nachträglich in Erfahrung 
gebracht haben, daß die Erbichaft nicht jo be: 
deutend jei, ala er erwartet und vorausgejett 
hatte; denn eines Tages vertraute er mir un: 
verfehens brieflih an, daß fein Ehrgeiz und 
feine Zebensluft dennoch in Kollifion mit feiner 
Liebe geraten werde, wobei er den Stoßſeufzer 
einfließen lie, daß in feinem Beruf mit einer 
reicheren Frau eine ganz andere Carriere mög: 
lich wäre. Erſt jpäter erfuhr ich, dat Paulinens 
Großonkel teſtamentariſch über fein Vermögen 
verfügt, verfchiedene Vermächtniſſe an wohl: 


Auguft 


546 


thätige Stiftungen eingejegt und feiner Groß: 
nichte nur einen verhältnismäßig befcheidenen, 
wenn auch für ihre Bedürfnifje voll genügen: 
den Anteil zugemwiefen habe. — Auf jenes 
Schreiben Steubers hatte ich jedoch fofort die 
Antwort folgen laſſen, daß er verpflichtet ſei, 
Treue zu halten, fein Glück als gemwifjenhafter 
Mann zu fuchen, und dies auch ficher finden 
werde,“ 

Hier lieg Dräſow eine Paufe eintreten, um 
etwas aufzuatmen und die auögegangene Gi: 
garre wieder anzuzünden, Wäre er ein fcharfer 
Beobachter geweſen, hätte er bemerken müſſen, 
daß Herbig ein ſehr unaufmerffamer Zuhörer 
war und jet mit einem Ausdrud an die Dede 
fah, der genügend darthat, daß fich feine Ge— 
danken mit ganz anderen Dingen bejchäftigten. 
Doch ſetzte Dräſows Gutmütigfeit volle Teil: 
nahme an feinem Bericht voraus, den er, die 
rauchende Cigarre immer wieder aus dem 
Munde nehmend, aljo fortſetzte: 

„Seitdem würdigte mich unfer edler Steuber 
feines Briefs mehr. ch fette indes voraus, 
meine Mahnung habe gewirkt. Es ſchien aud) 
fo. Damals nun hatte ich viel Pech; notge: 
drungen zog ich mich noch mehr zurüd, um in 


nach Berlin zurüdgefehrt ſei. Doc) jah ich ihn 
nie, und er ſelbſt juchte mid) nicht auf. Da er: 
hielt ich eines Tags eine anonyme Einladung in 
ein befanntes Hotel unter den Linden, und weil 
ich dich dorten traf, fonnte ich mir nicht anders 
denen, als fie fei von dir ausgegangen. Deine 


Aeußerungen jedoch belehrten mich eines Befjern. | 


Du erinnerft dich wohl noch des Abends, wo 
du mir im Hotel von einer ſchönen Unbefannten 
am Oſtſeeſtrand fhmwärmerifch eine wunderliche, 
doch Feineswegs inhaltsreihe Geſchichte er: 
zählteft? He?“ 

Herbig wandte den Kopf her, fprach jedoch 
nichts, fondern ſah den Freund nur zerjtreut 
und abmeiend an. 

„Entjinnft du dich noch,“ fuhr diefer fort, 
„der jungen Dame, die jenes Abends und noch— 


mals am Tage deiner Abreife an uns vorüber | 


fam? indem fie das Hotel verließ, hatte fie 
mir ein Paket überreichen lafjen, wie du dich er: 


innern wirft. Nicht? Weil dein Hopf ganz mit 
deiner Oſtſeebekanntſchaft angefüllt war, hatteft | 
du die junge Fremde abends vorher für einen | 


Kandelaber angefehen.” 


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der Arbeit die Mifere des Lebens zu vergeffen. | 
Einmal hörte ich wohl, dat Steuber als Aſſeſſor 


Boder. 


„Ah, richtig! Der Kandelaber!* bemerkte 
jest Herbig, vor ſich hinnidend. 

„Diejelbe junge Dame — die übrigens mit 
einem Kandelaber jo viel Nehnlichkeit hatte, als 
id) mit einer forinthifchen Säule oder mit Der 
Statue des Sophofles — diefelbe junge Dame 
hatte mir jene Cinladung ins Hotel zufommen 
laſſen, wie jet das Paket, das id nach deiner 
Abreife auf Umwegen durd die Stadt nach 
Haufe trug, da ich es erjt 6 Uhr abends öffnen 
durfte. Mein Herz pochte — wie Krupps Eifen- 
hammer. Denn auf dem Heimmeg war ich Durch 
einen Vorfall und durch flüchtige Neben jehr be: 
unruhigt worden. Und dann die Neugierde, Die 
Spannung, die Erwartung! Du wirft es auch 
natürlich finden, denn dich ſelbſt judte es ſchon 
damals, hinter das Geheimnis zu fommen. Nun 
ſaß ich allein auf meinem ärmlidhen Stübdhen ; 
das Paket lag vor mir auf dem wadeligen Tifch. 
Gewiſſenhaft erwartete ich die beftimmte Stunde. 
Endlich, endlich fchlug es 6 Uhr abends. Aber 
noch immer machte ich mich nicht an die Löſung. 
Ich zündete erft mit Bedacht meine Lampe an. 
Dann jah ich noch eine Weile auf die Siegel des 
Pakets, indem ich mich Vermutungen über den 
Inhalt desjelben überließ. Nun aber brach ich 
die Siegel auf, um hinter das Geheimnis des 
Mädchens aus der Fremde zu fommen, wie Du 
fie nannteft. Mit bebender Hand hatte id das 
Paket geöffnet. Mehrere zufammengefaltete 
Papiere lagen darin, Ich war jett auf den In— 
halt jo weit gefaßt, daß id) in der That Manu: 
jfripte, Iyrifche Gedichte oder ſonſtige belletrifti- 
che Produkte erwartete. Doch nein, eö waren 
feine Verſe, das jah ich fofort, fondern Akten— 
ſtücke, Abjchriften gerichtlicher Dofumente, wie 
e3 ſchien ein beglaubigtes, förmliches Tejtament. 
Erichroden fuhr ich beim Anblid desjelben 
zurüd, Ber mir war dergleichen in die unrechten 
Hände geraten. Mir konnten Verfchreibungen, 
notarielle Urkunden über Bermädtniffe nur aus 
unliebjamem Verſehen zufallen — jo mußte ic) 
glauben. Ein Mifverjtändnis hatte die Zu: 
jendung an mich verichuldet, ein Irrtum den 
Zufall veranlagt, der mir feinen Einblid in 
fremde Alten gejtattete. So begann ich fie 
wieder einzupaden, ſah jedoh auf dem Um— 
ichlag deutlich meine genaue Adreſſe. Indes 
hatte ſich auch ein Brief in dem Paket gefunden, 
der an mich gerichtet war und diejelben fejten 
und entjchlojjenen Züge auf der Aufichrift zeigte, 
| wie jenes anonyme Einladungsichreiben.* 





— 


Eleonore, 


„Diefes Schreiben nun,” fügte Dräſow 
feiner Erläuterung hinzu, indem er aus einem 
Schubfach jeines Sekretärs einige Bapiere nahm, 
vor ſich hinlegte und eines davon entfaltete — 
„diejes Schreiben, welches ich hier im Original 
habe, lautet, wenn du die Geduld Haben mwillit, 
es anzuhören, folgendermaßen: 


Sehr geehrter Herr Doktor Dräſow! 


Wollen Sie mir zu gute halten, wenn ich, 
obihon Ihnen perjönlich unbekannt, auf Grund 
beiliegender Dofumente, Sie brieflich behellige, 
nachdem e3 mir geftern nicht ſchicklich geichienen, 
Sie der Gefellihaft eines Freundes zu ent: 
reigen. Ich ftehe allein, ohne nahe Verwandte 
in der Welt, die zu verlaffen ich im Begriffe 
bin, da es ſich der Mühe des Lebens nicht weiter 
lohnt. Ich bin die verratene Braut des Aſſeſſors 
Steuber, Ihres Freundes, wenn Sie ihn diefer 
Ehre noch würdig halten. Nach langem Sträu- 
ben — ein Wefen flößte mir bei aller Neigung 
Argwohn ein — nad) langem Widerftreben ver: 
lobte ich mich ihm dennoch. Alle Welt war 
gegen dieſe Verbindung, zum Teil aus politischen, 
zum Teil aus anderen Gründen; und fo war id) 
gegen alle Welt. Aus den Kreifen entfernter 
Verwandtihaft und der Bekannten meiner El— 
tern Scholl es: Du wirft einst veuig zurüdtehren, 
Pauline! — Das werde id) nicht, war meine 
Antwort. Und ich werde es nicht. — Mein 
Verlobter hatte mir damals zugefhworen, treu 
auszuharren ; er wäre ſonſt ja wert, aufgefnüpft 
zu werben, beteuerte er. Geſtern abend ward er 
daran erinnert, und er zitterte. Er foll noch 
tiefer erfchüttert, fein Hochzeitstag mein Todes: 
tag werden. Nicht weil ich den faljchen, ſchlechten 
Mann nod liebe. Ich verabſcheue, haſſe, nein, 
ich verachte ihn! Doch drüdt mic) die Laſt des 
Dajeins, Das Leben hat feinen Zwed mehr für 
mich, wohl aber der Tod, der feine ſchwarzen 
Schatten in feine fonnigen Tage werfen wird. 
Wo er ſich hinwendet, wo er weilt, am eignen 
Herd, im Richterftuhl, im Salon, beim Feſtjubel, 
auf der Reife, in der Stille des Waldes, auf 
Bergeshöhe, im Gewühl der Hauptftadt und in 
Ichhlaflojer Nacht wird dem Schauernden mein 
Geiſt gegenübertreten, daß er von nun an ruhe: 
[08 durd) das Leben fliehe. Und nun nur noch 
ein Wort von ihm, dann feines mehr. In einem 
vertraulihen Augenblick hat er mir einen Blid 
in das Schreiben eines edlen Mannes geftattet, 
Es war hr Brief, Herr Doktor, in welden Sie 


547 


fih an feine Ehre, an fein Gewiſſen wenden, 
ihn beihwören, Treue zu halten. Bon da an 
feimte ein Entichluß in mir für den gegebenen 
Fall, Als ich in den Beſitz meiner Erbichaft ge: 
langte, wandte ich mid) an einen zuverläffigen 
Freund meines feligen Vaters, dem ich ver: 
trauen fonnte, den ich von meinem unabänder: 
lihen Borjat und deſſen Notwendigkeit zu über: 
zeugen vermochte. Im Befite eines Notariats 
war er zugleich der rechte Mann für meinen 
Auftrag. Es galt meinen legten Willen aufzu: 
jegen. Man fchreibt mir Stolz zu. Doch befite 
ich nicht fo viel Eitelfeit, es verfchafft mir feine 
Genugthuung, im Grabe als öffentliche Wohl: 
thäterin gepriefen zu werden. Ich will mic) 
nicht denen anreihen, die im Leben die Dürftig- 
feit abweifen, um im Tode von fettgemälteten 
Verwaltern ihrer Stiftung gefegnet zu werden. 
Die Welt foll mich vergeflen, und Sie, Herr 
Doktor, jhulden mir feinen Dank. Ich folge 
nur dem Drange meines Herzens und einem 
Gebote der Pflicht, wenn ich durch meinen letzten 
Willen dazu beitrage, einem Mann ber dee, 
einem reblichen Gelehrten, einem gemwiffenhaften 
Schriftiteller den Weg in feinem erhabenen Be: 
ruf durch unfere rauhe Zeit zu ebnen. Ihm iſt 
nicht geitattet, den Erwerb als feinen Lebens— 
zwed zu verfolgen. Er kann nicht fremde Hände 
für fi und die Seinigen arbeiten laſſen. Was 
er verfäumt, bleibt verfäumt ; was er nicht fchafft, 
bleibt ungefchaffen. — Und bin ich die einzige 
Deutſche, die folder Verpflichtung nachkommt, 
um fo jchlimmer für die Nation, um jo weniger 
lohnt es ſich für mich, noch zu leben. Mein 
Tejtament — es ift nicht anzugreifen, genügt 
ftreng der geſetzlichen Form; ich bin großjährig, 
imftande über mein Vermögen frei zu verfügen; 
feine Verwandtichaft fteht mir fo nahe, um An: 
jprüche erheben zu dürfen. Mein Tejtament 
aljo jest Sie, Herr Dr. Dräfow, zum Erben 
meiner Hinterlaflenichaft ein, wie Ihnen die 
beiliegenden Papiere befunden. Es find Ab: 
ichriften der bei den Gerichten meiner Vater: 
ftadt niebergelegten Driginaldofumente. Ihnen, 
Herr Doktor, der Sie fich einer Unbelannten an: 
genommen, vererbt diefe Unbefannte — mit 
Ausnahme einiger Heinen Legate — ihr ge: 
famtes bares Vermögen für den Fall, daf fie 
unverheiratet vor Ihnen fterben follte. Dieſer 
in Ausficht genommene Fall tritt nun heute be: 
ftimmt ein. TQTrauern Sie nicht deswegen. 
Seien Sie glüdlih, wählen Sie fih Ihre Gattin 


548 Auguſt Beder. 


nah den Eingebungen Ihres braven Herzens. | lichjten, ins Hotel zu eilen, um vorerjt hier 
Gedenken Sie dabei dann und wann meiner, | nadhzufragen, ob die junge Dame noch nicht von 
ohne daß mein Andenfen einen Schatten in hr | ihrer Ausfahrt zurüdgefehrt fei. Dort erhielt 
Glück werfen, Ihre Ruhe ftören darf. Mir ge: | ich denn aud) auf meine Erfundigung die Aus: 
währt das Sterben Befriedigung, feinen | funft, die Dame fei noch nicht zurüdgefommen, 
Schmerz, ihnen feinen Vorwurf. Leben Sie | habe übrigens ihre Rechnung berichtigt und ihr 
aljo wohl und genehmigen Sie den Ausdrud | Zimmer aud für die fommende Naht — ein 
aufrichtiger Hochachtung, mit der ich zeichne ungewöhnlicher Fall — bereits vorausbezablt. 
Ihre ergebenite Pauline Brofpolt. „Während ich noch mit dem verhängnispollen 

„Mit derfelben fejten Hand,” ſetzte Dräfomw | Brief in der Taſche an der Portierloge ftand, 
ernft hinzu, „war dem Schreiben noch ein Poft: | trat ein Polizeibote ein, um den Wirt oder Ober: 
ſtriptum beigefügt, diefes Inhalts: ‚Das bare | Fellner aufzufordern, fofort nad dem Obduftions: 
Geld in meinen Koffern reicht hin, die Leichen: | hauſe zu kommen. Es handle fich um die Wieder: 
koſten zu deden‘ und weitere Andeutungen ent: erlennung einer im Engelbecken gefundenen 
hielt das Schreiben nicht.“ Leiche, bei welcher man eine in der Börſe ver— 
wahrte, freilich vom Waſſer gänzlich durchweichte, 
immerhin noch leſerliche quittierte Rehhnung des 
Hotels entdeckt habe. Mir brachen beinahe die 
Beine. Mir zitterten alle Glieder. Kaum ver— 
mochte ich der Aufforderung des Oberkellners, 
ihn zu begleiten, nachzukommen. Wir fuhren 
dahin, wurden vor die Leiche geführt. Beim 
erſten Blick erkannten wir ſie. Mehrere Augen— 
zeugen hatten von der Königinbrücke aus be— 
merkt, wie ſie ihren Entſchluß ausführte. Man 
hatte ſofort um Hilfe gerufen, konnte jedoch die 
Arme nur als Leiche wieder an den Strand 
heben. Auf ihre Effekten wurde gerichtlich Be— 
„Und weiter?“ ſchlag gelegt. Da jedoch alle Koffer mit meiner 
„Wie mir zu Mute war,“ fuhr dann auch Adreſſe von ihrer Hand verſehen waren und die 


Dräſow in ſeinem Berichte fort, „läßt ſich nicht Aufſchlüſſe, welche ich zu geben vermochte, mit 


| 
| 





3 


„So lautete der Brief,“ ſchloß Dräſow tief 
aufjeufzend feinen Vortrag und faltete das 
Schreiben wieder zufammen, indem er es auf 
den Tiſch und die Hand darauf legte. „So wie 
ich dir Wort für Wort aus dem Driginal vor: 
geleſen habe. Du magjt dich ſelbſt überzeugen.“ 

Herbig winkte ftumm mit einer Wendung 
bes Kopfes ab, fragte aber nad) einer etwas 
drüdenden Pauſe: 


bejhreiben. ch fuhr empor, warf nochmals | fonjtigen Erhebungen übereinftimmten, wurden 
einen Blid auf die feiten, entjchloffenen Schrift: | fie mir bald ausgeliefert. Ihre Leiche wurde, 
züge des Briefs, welche den Vorfat der jungen | foweit es anging, nach ihren tejtamentarifchen 
Dame, in den Tod zu gehen, ausipradhen, je: | Verfügungen begraben; ich ftand allein an ihrem 
doch durch feinen Strich, oder fonftige Spur ein | offenen Grabe und legte einen Immortellen— 
Zaubern, ein Straudeln, ein Beben und Zittern | franz auf den Hügel, der fi über demſelben er= 
ihrer Hand verrieten. Ohne auch nur einen | hob. Ein anderer Kranz umgibt ihr Bild hier 
Blick in die übrigen Papiere zu werfen, fchob | oben. Nun fieht fie mich aus demjelben jo ernjt 
ich tief erjchüttert und am ganzen Leibe fchau: | und fragend an. Warum wollte fie niht mehr 
dernd die Kopieen der Urkunden zufammen und | leben! So jung, fo feinfinnig, fo hold! — Das 
hinweg in ein Fach meines Bultes, um mit aller | ift meine Geſchichte.“ 

Haft davon zu eilen und mir Kunde zu ver: Als Drafom damit ſchloß, ftand Herbig 
Ihaffen, ob ſie ihren entjeglichen Entihluß aus: | haltig vom Sofa auf und ging wieder unruhig 
geführt habe. Ich bildete mir ein, ihren Vorſatz in der Stube auf und ab. 

vereiteln, die Verzweifelte tröjten und wieder „Und damit war's aus?“ frug er. 

ins Leben zurüdführen zu fönnen. Allein „Nein,“ lautete die Antwort. „Noch nicht 
centnerfhwer lag mir die nachmittags in der | ganz, obwohl id) in der Stimmung war, nichts 
Stadt vernommene Andeutung auf dem Gemüt | weiteres zu erwarten. Aber man juchte mic) auf 
und in den Beinen. Wie gelähmt fchleppte ih | und fand mich. Das Tejtament umzuſtoßen oder 
mich durch die Straßen. Wohin mich zuerft | ungültig zu erflären, wurden feine Berjuche ge: 
wenden? Ohne Zweifel war es am zweddien: | madt — wenigitens ijt mir nichts davon zu 


Eleonore, 


Ohren gelommen. Es wurde mir denn aud) 


alles — für meine Wünſche mehr ald genug — 


endlid) von dem Notar ausgeliefert, der ſich im 
Mit einem 
Schlag war id ein wohlhabender unabhängiger 


voraus bezahlt gemacht hatte. 


Mann. Hier die Dokumente, aus welchen du 


dich jelbit überzeugen kannſt. Mehr habe ich 


nicht zu berichten.“ 

„Laß, laß!“ ermwiderte Herbig, noch hin: 
und herwandelnd. „Ich glaube dir, ohne Ein- 
jicht zu nehmen und wünſche dir Glüd. Merk: 
würdig! Springt mein Kandelaber ins Waſſer! 
Dan erlebt jonderbare Dinge. Ja,“ fuhr er 
fort und warf, für einen Augenblid innehaltend, 
einen Blid nad) dem Bildnis empor. „Ich er: 
innere mich des Mädchens aus der Fremde — 
hübſch, jchlanf, eleganter Wuchs, und vornehme 
Haltung. So blidt fie mid auch aus dem Im— 
mortellenfranze an. Immortellen! wachſen fie 
nicht auch bei uns, auf Triften, am Rand ber 
Heide? Nicht wahr? Ya, es ift diefelbe Blume,” 
feste er nachſinnlich hinzu, indem er fein un: 
ruhiges Wandeln im Zimmer aufs neue be: 
gann, „zit jener Heine, dide, glatzköpfige Myn- 
heer nicht weiter hervor getreten?“ 

„Nein. Er ftand in feiner näheren Be: 
ziehung zu dem Fall.“ 

„sn Amjterdam war es, wo ich einmal im 


Rathaus durd ein Bildwerf A. Quellins tief ; 


gerührt wurde,“ fuhr Herbig fort. „Eine Ka: 


! 
} 


| 





tyatide, ein jchönes junges Weib, entblöft bis 


zur Hüfte, trägt da den Balkon und verhüllt fich 
weinend mit den Händen die Augen, als ob fie 


549 


„Bott bewahre. Er ift jetzt Nichter, trinkt 
gut, ißt aut, läßt ſich's ſchmecken, brilliert in 
der Geſellſchaft und jtrebt mit guter Ausficht 
weiter, wie ich höre. Ob er aber dennoch nicht 
inögeheim von Gemwifjensbifien gequält wird?!“ 

„Nicht fo viel!” ermwiderte Herbig, den 
Daumen auf die Spibe feines Goldfingers 
jegend. „Nicht nagelögroß. Gewiſſensbiſſe 
haben nur fein organifierte Naturen, Gemüts— 
menfchen. Ihrer Ferſe heftet ſich nur zu leicht 
ein Erinnyenheer reuiger Empfindungen und 
böfer Erinnerungen an; den anderen, ben 
Glüdlichen, denen der Kampf ums Dajein feine 
Bellemmungen madıt, nie — oder nur dann, 
wenn ſie ſich in der Falle fehen. Bei den meiſten 
Verbrechern regt ſich das Gewiſſen erft mit der 
Gewißheit der Sühne, mit der Todesangit. 
Was nun diefe arme, verratene Pauline Brof: 
holt betrifft, fo fonnte fie dem Treulofen feinen 
größeren Dienft leijten, als zu fterben. Ihm ift 
damit der quälende Alp ein für allemal vom 
Herzen gewälzt. Wäre fie am Leben geblieben, 
ja, dann hätte ihn doch fortwährende Furcht 
und Angjt vor ihrer Erfcheinung, vor einer plötz— 
lihen Begegnung geplagt und gejagt. Den 
Geiſt einer Toten fürchtet er nicht.“ 

„Vielleicht ftellt fich doch noch die Neue ein, * 
meinte Dräfom, trüb vor ſich hinblidend. 

„Keine Spur davon, verlaß dich darauf!“ 
verficherte Herbig. „Ich habe ihn nie unbefan: 
gener und zuverfichtlicher gejehen, ala an der 


Seite feiner Gattin in Nom.” 


nicht bloß unter der Wucht ihrer Laft, fondern 


mehr noch ob ihrer allen Bliden ausgeſtellten, 
verlegenden, unwürdigen Bofition leide. Selten 
hat eine leblofe Figur einen fo ergreifenden Ein: 
drud auf mic ausgeübt. Und dennod) war es 
mir damals noch nicht jo nahe geleat, wie viele 
jolder Karyatiden unter uns leben und feufzen 
— im Haufe, im Kabinett, im Salon. Beim 
erjten Blick — ich entfinne mich wohl — rief 
mir die Erfcheinung diefes Mädchens aus der 
Fremde auch die Erinnerung an A. Quellins 
Karyatide dunkel vor die Seele. Und nun hat 
fie ausgelitten. Gewiß ein edles, entſchloſſenes, 
wenn auch überfpanntes Weſen. Ihr Tod hat 
feinen Zweck verfehlt. Sie hätte fih jagen müf: 


jen, daß fie jterbend ihre Abficht, Mache oder | 


Vergeltung an Steuber, am wenigiten erreicht. 
Oder haft du vernommen, daß er tiefjinnig ge: 
worden ſei?“ 





„Du fchriebjt doch, fie jei ein Bläßhuhn!“ 

„Iſt fie auch, — ein Bläßhuhn, das goldene 
Eier legt und darum ihm lieb und wert. Die 
Verlafjene mag modern.“ 

„Der Mol! Und ich,“ ftöhnte Dräſow, 
„ih fie nun warm und joll mid) freuen, daß 
ich fein Proletarier, fein armer Schluder mehr 
bin, Neih bin ich nicht, allein die Intereſſen 
des Kapitals der Geopferten fihern mir doch 
eine anftändige Eriftenz und gewähren die nötige 
Unterlage zu gedeihlicher Thätigkeit. Soll ich, 
darf ich mich hierüber freuen?” 

Herbig zudte die Schultern. 

„Du meinft wohl, ftatt ind Waſſer zu 
fpringen, hätte fie dir in die Arme hüpfen 
jollen!” jprad er. „So flug war die Arme 
nicht. indes, fommen wir nun einmal auf 
meine Angelegenheiten; ihretiwegen eilte ich über 
die Alpen zurüd. Du haft dich doc nach dem 
Geheimrat Wantrup erkundigt?“ 


550 


„Beheimrat Wantrup? Nein. Warum ?* 

„Mein Gott!“ rief Herbig ungeduldig und 
heftig mit dem Fuße jtampfend. „Ich ſchrieb 
es dir doch, bat dic) darum. Ihm muß ich mein 
Teuerjtes erjt abgewinnen!” 

„sa jo!“ verjegte Dräfow. „Aber, wie 
hätte ich Zeit dafür gewonnen, da dein Schreiben 
vorhin erſt anlangte. Uebrigens, nicht wahr, 
Herbig, dein Teuerftes heit — Jenny?!“ 

„Bilt du beſeſſen? Eleonore heißt fie.“ 

„Richtig, Eleonore. Doc deuchte mir, fie 
heiße Jenny Norbhafe, * 

„Menſch, wie fommit du auf den Namen?“ 
fragte Herbig, ſich jo haftig nach ihm umkehrend, 
daß Dräſow etwas betroffen zurückwich. 

„Da kommt mir — wie, weiß ich nicht — 
ein beſchriebenes Kärtchen von einer gewiſſen 
Jenny Nordhaſe in die Hand,“ erläuterte er, 
ſich faſſend. „Ich las mich hinein, da du ein— 
tratſt. Es ſchwebt etwas ſeltſam Anziehendes, 
etwas Erfriſchendes, Einnehmendes, Zutrau— 
liches um dieſe Jenny.“ 

„Und da küßteſt du ſie.“ 


| 
| 





„Ihren Namen. Nur ihren Namen! Weißt | 


du, der Zauber, der Neiz, die Fascination, die 
Bezauberung.” 

„Du bift ein Heimtüder, Dräſow!“ fagte 
Herbig, ihn ins Auge fallend. „Eher Fonnte 
ih mir einen Elefanten auf dem Schlappſeil 
denken, als dich auf ſolchen Anmwandlungen. 
Allein, ich jehe, du bit gefährlich, entflammbar 
wie ein Strohdach. Das Billet — gib es ein- 
mal her — muß unter die Gedenfblätter und 
Photographieen geraten fein und war nicht für 
dich beſtimmt. Das fonnte dir ſchon die Auf: 
ſchrift ‚2. ©. beweiſen.“ 

Dräjow, deſſen Wangen ohnehin die Stu: 
benfarbe trugen, wurden hier leichenfahl. Ein 
Gefühl, wie er eö nie empfunden hatte, flößte 
ihm Wermut ein und das Herz zudte, als habe 
das „grüngeäugte Scheufal” einen Biß hinein 
gethan. 

„Mir deuchte,“ fing er dann zögernd an, 
„Dies 2. G. bedeute licet gaudere ober 
gestire — es ijt erlaubt, ſich über mic) luſtig 
zu machen.“ 

„Jenny verfteht fein Latein,“ ermwiberte 
Herbig hierauf. „Du mußt es anders deuten.” 

„But denn,“ erwiderte Dräfom ſich abwen— 
dend, „jo mag es ‚lieber Geliebter, lieber Ga: 
lan, Gatte‘ oder ‚Gemahl‘ heißen, oder meinet: 
wegen, wie eö wolle, da es für dich beftimmt iſt.“ 


Auguft Beder, 


„Nein, nicht für mid, alter Wiedehopf!“ 
erklärte jegt Herbig, der mit einiger Verwun— 
derung das Gebahren des Gelehrten verfolgte. 
„Der Zufall führte es mir in die Hand, ein 
glükliher Zufall! Es ift an ihre Schweiter 
Gretchen gerichtet; Jenny entipricht dem liebens- 
würdigen Eindrud diefer Zeilen, und — Eleo: 
nore wohnte bei den Schweitern.“ 

„Ei jo!“ meinte Dräfow aufleuchtend. „Iſt 
fie hübſch?“ 

„Wie? Eleonore hübſch!?“ flammte Her: 
big auf. 

„Cleonore!! Es Handelt fih um Jenny. 
Nun — iſt ſie's?“ 

„Ich glaube ja.“ 

„Was hat fie denn für Augen? Blaue?“ 

„a, ja, jtellenweife. Der Zufall lieg mich 
den Zopf finden.“ 

„O du Glüdspilz! Wie fieht er denn aus?“ 

„er?“ 

„Frag' wer! Der Zopf! Fit er ſchwarz 
oder blond, goldblond, rehblond, nuß: oder fa= 
ſtanienbraun?“ 

„Grün und blau iſt er, oder wie du willſt!“ 
verjegte Herbig geärgert. „Stürme ih von 
Rom bei jolhem Wetter über die Alpen hierher, 
um dir Auskunft über die Farbe des Zopfes 
von Jenny Nordhafe zu geben?! Nein! ch 
fam, von dir zu hören, was du von meiner 
Eleonore zu befunden haft. Meiner Eleonore, 
ſage ih. Laß dir im Vertrauen fagen: id habe 
fie in Thüringen wiedergefunden. Sie ift eines 
Geheimrats Wantrup Gattin — wenigitens 
jebt no) und dem Namen nad. Exiſtiert ein 
ſolcher in der Neichshauptitadt? Oder wo fonft 
in der Welt? Sprid!” 

„Ich weiß nur von einem Wantrup,“ ant= 
wortete Dräſow mit nachdenklichem Zögern. 
„Aber der iſt nicht Geheimrat, fondern quies— 
cierter Gymnaſialdirektor aus einer Landſtadt 
und Schwiegervater des — —“ 

„Laß alle ‚jondern‘ und ‚aber‘!” fiel Herbig 
ungeduldig ein. „Damit förderft du nichts. 
Ich vergeude nur meine Zeit. Wenn du nichts 
von einem Geheimrat Wantrup weißt, fo 
werde ich anderweitig erfahren, wo er jtedt. 
Denn erfahren muß ich es, heute noch, — ver: 
laß did) darauf! Finde ich Eleonoren — und 
dazu jollteit du, als Freund, behilflich fein — 
ift fie nur einmal mein, ganz mein eigen, dann 
werde ic) auch dir bei deines Herzens Mädchen 
zur Seite jtehen, Allein, erft muß fie gefunden 


— 


Eleorore. 551 


und gewonnen fein, Dräfovius, das fiehjt du ihütteln, während er ihm durch feine Haft das 


wohl ein.” Wort abſchnitt. „Ya, mir ift — auf Wieder: 
„Aber, Jenny —“ ſehen Dräſow! — mir ift, als müßte ic) heute 
„Mach' feine Einwürfe, ſprich nicht von | Eleonoren dort treffen!“ 

Schwierigkeiten!” fuhr Herbig mit ungejtümer „Das ift nicht unmöglich!” verjegte Drä— 


Bewegung fort, ohne den Freund zu Wort ſow mit ungewohnten Ernſt und fait bejtürgter 
fommen zu laflen. „Kein Hindernis jchredt Nachdenklichkeit, indem er den ftürmijch be: 
mich, fein Wivderftand hält mich ab. Nichts be: | wegten Freund bis zur Haustreppe geleitete, 
irrt mich. Unlösbar ift diefer Knoten nicht. | über welche diefer unverweilt hinunter eilte. 
Und muß es fein, zerhaut man ihn! Fortem | „Das ift feineswegs unmöglich!“ wiederholte 
Fortuna adjuvat!“ | der Zurüdgebliebene nachdenklich für ſich, als 
„Allein —“ er in feine Gelehrtenzelle mit dem Bewußtjein 
„Beſorge nichts. Auffehen wird vermieden. | zurüdfehrte, daß alle Vorjtellungen vergeblic) 
Fürchte nicht, daß ich Klugheit und Vorficht | geweſen wären. „Gar nicht unmöglich!“ fügte 
aufer acht laſſen werde!” verficherte Herbig | er nochmals befümmert, mit bedenklichem Kopf: 
mit demjelben leidenjchaftlihen Ungejtüm, der: | niden hinzu. 
ſelben Raſtloſigkeit auf: und niederichreitend. Und dabei gewannen feine Züge einen Aus: 
„Mit dem größten Zartfinn wird die Sade | drud, als fei ihm ein Licht aufgegangen, das 
angegriffen, Senfation vermieden, allein der | einen grellen Schein auf die Leidenſchaft des 
Konflikt gelöft — fo oder jo! Hilf mir nun den | Freundes und einen unheilfündenden Schimmer 
Pelz wieder umhängen, wenn du fo gut fein | auf den Weg warf, den derfelbe einzufchlagen 
willſt.“ im Begriff ſtand. 
„Wie? Du willſt ſchon fort?“ fiel hier 
Dräſow ein, dem Freunde zuvorkommend, der 
ſich nach ſeinem Mantel umſah. 
„Sch kann nicht länger weilen. Mein Kut— 
cher wartet unten — bei dem Wetter die 
ganze Zeit über! Es ſcheint zwar einiger Still: 
jtand eingetreten zu jein — man fieht nur nod) 
wenige Floden. Doc einerlei. Ich habe vor 
Nacht noch einige Beſuche und Einkäufe zu 
machen. Morgen fomme ich wieder. Diejen 
Abend werde ich bei Geheimrat Betting ver: 
bringen. Du fennit meine Verehrung für — — 
fo, ich danke dir!“ unterbrach fich Herbig ſelbſt, 
nachdem er wieder in den Pelz geſchlüpft war, 
und fuhr dann gelaſſener, jedoch nod immer 
mit Ton und Ausdrud entſchiedenſter Ent: 
ichlofienheit fort. „Du kennſt meine Verehrung 
für den trefflihen alten Herm, den ich wie | 
einen Vater fchäge und ehre. Wie freue ich 
mich, ihn einmal in feinem neuen Heim begrüßen 
zu dürfen! Habe mich aud) fofort nad) meiner 
Ankunft angefündigt und erwarte nun feine 
Einladung. Bon ihm und feiner trefflichen 
Gattin erwarte ich zuverfichtlich Auskunft über 
Eleonore, Rat und Beiftand. Während der 
Badefaifon an der Oſtſee fann ihnen eine Er: | wetteiferten nicht, mie in anderen Soireen, 
fcheinung wie Gleonore Wantrup nicht ent: | allzulange Schlepproben an Eleganz und Far: 
gangen fein!“ fügte Herbig hinzu, indem er | benpradt. Jedermann wußte, daß man hier 
nad) jeinem Hute und gleichzeitig nad) der Hand | durch ſolche Neußerlichkeiten feinen Eindrud 
des Freundes griff, um fie zum Abichied zu | machte, niemand bejtach, niemandes Neid erregte, 
70 


4. 


Jene Märznacht war nicht weniger ſtür— 
miſch, als es der Tag geweſen war. Wie 
Irrlichter huſchten die Wagenlaternen dahin 
und ſpiegelten ſich in trüben, von Schnee und 
Regen gebildeten Straßentümpeln draußen am 
Tiergarten. Durch die leeren, doch bereits in 
jungem Safte ſchwellenden Zweige und Aeſte 
der Baumkronen ſauſten die Sturmgeiſter des 
kommenden Lenzes und unten trabten die 
Droſchkengäule und raſſelten die Räder durch 
ein Wagen und Pferde beſpritzendes Chaos. 

So ſchlimm das Wetter, ſo uneinladend die 
Nacht und ſo entlegen die Wohnung des Ge— 
heimrats Betting für die Bewohner der inneren 
Stadt war, hatte ſich dennoch ein Geſellſchafts— 
frei eingefunden, der alle für den Zwed des 
Abends geöffneten Näume des gaftlihen Haufes 
füllte. Es war ein ſehr gewählter Zirkel, fein 
alänzender, wenigitens nicht, was man gewöhn: 
lih darunter verjteht. Bligende Uniformen, 
leuchtende Orden u. dergl. fehlten ganz. Auch 








552 


und bequemte ſich der vornehmen Einfachheit in 
Kleidung und Haltung an, welde die feinſten 
Geſellſchaftskreiſe überall auszeichnet oder doch 
auszeichnen follte. Deffnete die Geheimrätin 
Betting ihr Haus, fo fonnte fie füglich anderen 
Salons überlafjen, die es nötiger hatten, durch 
prunfvolle äußerlihe Zuthaten glänzen zu 
wollen. 

Als Bruno Herbig vorfuhr, gedachte er 
lebhaft jenes vergeblihen Beſuchs im vergange: 
nen Herbft. Indem er ausftieg, befchleunigte 
er feine Echritte, um unterm Regenſchirm — 
es jchneite und regnete noch immer bei unange: 
nchmem „Scladerwetter” — an dem Bor: 
gärtchen vorüber das Haus zu erreichen. Kein 
Rofenflor umduftete jetzt dasfelbe. Die Stämm— 
den waren entweder in die Erde gelegt oder 
mit Stroh umwidelt. Allein, dem Worüber: 
wandelnden war dabei jest ſeltſam zu Mut: 
als lägen die Kronen der Roſenſtämmchen alle 
in feiner Bruft verwahrt und jtrebten da einem 


neuen Blütenfommer entgegen. Die Einbildung 


verurjachte ihm Fein durchaus angenehmes und 
mwonniges Gefühl, da aud die Dornen und 
Stacheln ſich ſchmerzhaft geltend machten. Dod) 
fuchte er die wunderlich gemifchte Empfindung 
zu bemeijtern und fih ganz den Hoffnungen 
hinzugeben, welche er von dem Abend heate. 
Er lebte in der That der Zuverficht, day mit 
dem Eintritt in dieſes Haus fein Schidjal zur ge: 
wünfchten Entfcheidung gelange. Bon ihm, dem 
edlen, liebenswürdigen alten Herrn, der fich 
feinem danfbaren Schüler ſtets als väterlicher 
Freund bewiefen, durfte er aud) in einer ebenfo 
peinlihen, als zarten Herzensangelegenheit 
jene Förderung erwarten, die der Geheimrat 
jedem aufrihtigen und ſchönen Streben ange: 
deihen ließ. 

Mit all dem Vertrauen, das fein verehr: 
ter Lehrer heifchen fonnte, wollte er ihm bei 
guter Gelegenheit fein Geheimnis mitteilen, 


jein ganzes Herz eröffnen, und er glaubte gewiß | 
jein zu dürfen, daß ihm Nat und Beiftand ge: | 


währt wurde. 

Mit jolhen Gefinnungen, Hoffnungen und 
zuverjichtlichen Erwartungen war er gelommen, 
ins Haus eingetreten und hatte draußen jeinen 
Mantel abgelegt. Jetzt überfiel ihn eine felt: 
fame Bellommenheit, die ihm font fremd war. 
Im Begriff, fich in die Salons zu begeben, kam 
eine fonderbare Unruhe über ihn, deren Urjache 
oder Grund er fi) nicht zu erflären vermochte. 





Li 


Auguft Beder. 


Er hatte das Vorgefühl von etwas Unermwar: 
tetem, eines erjchütternden Erlebniffes, einer 
verhängnisvollen Begegnung. Es auf feine Vor: 
ausjegung von Eleonorens Anweſenheit deuten 
zu wollen, ging nicht wohl an; fein freudiges 
Verlangen nad ihrem Anblid lief; ſolche Aus: 
legung feiner SHerzenäbangigfeit von unver: 
muteter oder doch unbefannter Tüde des Schid: 
ſals nicht Leicht zu. Indes durfte er feiner 
Schwäche nachgeben; es galt, gefaßt zu fein. 

Sich) zufammennehmend, trat er denn nun 
mit der gewohnten guten Haltung in den vorderen 
Gefellfchaftsraum, wo Gruppen von meiftens 
älteren Herren in gelafienem Geplauder — über 
wiſſenſchaftliche Fragen, wie es ſchien — umher: 
ſtanden. Nur einige wenige Damen waren mit 
in die Unterhaltung gezogen. Das Ganze bot 
einen jo nüchternen, friedlichen und gewohnten 
Anblid, daß es aud) auf ihn beruhigend wirkte, 
obwohl er von den Anmwefenden niemand Fannte 
und niemand dem Eintretenden bejondere Auf: 
merkjamfeit fchenfte. s 

Während Herbig ſich nad) dem Hausheren 
umſah und zu diefem Behuf, da er ihn unter 
den Umbherftehenden nicht erfannte, mit wieder: 
erlangter vollfommener Faſſung fich der offenen 
Flügelthüre näherte, welche nad) einem belebten 
Saale führte, glaubte er jedoch zu bemerken, 
daß ihn eine der Damen freundlich lächelnd an: 
jah und ihm, da er ihr den Blid nochmals zu: 
wandte, mit der Vertraulichkeit einer Bekannten 
leicht zunidte. Mit einer Verbeugung fam er 
ihr um einige Schritte entgegen, als er in ihr 
diefelbe Dame erkannte, welche er bei jeiner 
Durchreiſe im letztverfloſſenen Herbit abends mit 
Steubers Braut und Schwägerin in einem der 
Modemagazine der Hauptftadt getroffen hatte. 
Sofort erinnerte er ſich, daß fie fich Damals jelbit 
als eine Bertraute der Herrin des Hauſes, in 
welchem er ſich jetzt befand, zu erkennen ge: 
geben hatte und nad) ihrem eigenen Geſtändnis 
mit derjelben an der See gewelen war. 

„Sie find es in der That, Herr Doktor?“ 
fragte fie in ihrer verbindlichen Weife. „Wir 
dachten Sie — Gott weiß, wie weit, nach dem 
Aequator hin.” 

„Vorgeſtern war ich ihm auch wirklich noch 
um zehn oder elf Grad näher, als heute,“ war 
feine Antwort. „Sch komme aus Italien, un: 
mittelbar von Nom.“ 

„30 kurz vor dem Dfterfeite Tonnten Sie 
St. Petersdom den Nüden kehren?“ 





Eleonore. 


„Ich habe alles im Stich gelafien, meine 
Gnädige, und mit Freuden,” fagte er. 

„Das fommt überraſchend!“ ſprach fie mit 
einigem Nahdrud, indem fie ein wenig den Kopf 
wendete und über die Schulter fah. „Weiß es 
unfer lieber Geheimrat?“ 

„Er war fo gütig,“ erwiderte Herbig, „auf 
die Anzeige meiner Ankunft hin fofort eine Ein: 
ladung ins Hotel zu ſenden.“ 

„So! Aber Eleonore hatnoch feine Ahnung!” 
verjegte die Dame. 

Eleonore? Herbig ftugte. Wie fiel ihr ge: 
rade jeßt und in diefem Zufammenhang der 
Name ein! Und dabei fah ihn die Dame mit 
einem Blide an, daß ihm alles Blut zu Kopf 
ſchoß. Was wußte fie von feinen Beziehungen 
zu Eleonoren, daß fie ihrer in dieſem Augen: 
blide und in jo andeutungsvoller — wenn nicht 
anzügliher — Weiſe erwähnen fonnte! War 
feine Liebe zu der jchönen Frau bereits ein 
öffentliches Geheimnis, — lag das fühe My- 
jterium feines Herzens ſchon auf jedermanns 
Lippen? — Bevor er feine Verwirrung wieder 
bemeiftert und fich aus feiner Betroffenheit er- 
hoben hatte, fuhr indes Fräulein Lenz — dies 
war ihr Name, wie er fich jet wieder entfann — 
völlig unbefangen fort: 

„Bir erfuhren nachträglich, daß Sie einige 
Tage jpäter wieder nad) Misdroy zurüdgefehrt 
jeien, wohl um den Dank für die Nettung des 
Schirmes zu holen!“ Und Fräulein Lenz lä: 
chelte ihn jchalfhaft an. „Leider waren wir 
ihon abgereift, aus unferem gewohnten Kreije 
nur Kommerzienrat Brink zurüdgeblieben, der 
denn auch Gelegenheit zu Ihrer näheren Be: 
kanntſchaft hatte.” 

„Kommerzienrat Brink?“ wiederholte Her: 
= „Wohl ein Irrtum. Ich entfinne mic) 
nicht.“ 

„Gewiß erinnern Sie fich feiner noch, wenn 
Sie nur wollen,“ meinte Fräulein Lenz. „Seine 
Perſönlichkeit vergißt fich fo leicht nicht. Wußte 
er und doc) mitzuteilen, wie jehr Sie ſich da: 
mals für die Domänenrätin von Frey interej: 
ſierten.“ 

„Sie ſehen mich ſehr erſtaunt, mein Fräu— 
lein. Nie flößte mir eine Domänenrätin In— 
tereſſe ein.“ 


„Allein, Sie waren doch nachträglich noch 


in Misdroy?“ 
„Nicht zu leugnen.“ 
„Und erkundigten ſich lebhaft nach der Do— 


553 


mänenrätin — einer etwas langen, ja allzu— 
langen Frau in blauer Seide.“ 

Jetzt entſann er ſich des Auftrittes und 
ſeiner beſchämenden Enttäuſchung am Strande. 
Doch zog er Schweigen vor, was umſo leichter 
fiel, als Fräulein Lenz ihre Aufklärungen mit 
einiger Lebhaftigkeit fortſetzte: 

„Und ebenſo muß Ihnen ein kleiner, runder, 
munterer, ſehr zuvorfommenber und galanter 
Herr aufgefallen fein.“ 

„Rotwangig, glatzköpfig?“ frug Herbig 
jeßt. „Ein rundes, altes, zierlihes Männchen?“ 

„Daöjelbe, da3 Ihnen in der Düne vor die 
Füße follerte und Ihnen ſpäter Auskunft gab 
über die lange Domänenrätin, der fie dann 
ſchleunigſt nachſetzten.“ 

„Bitte, meine Gnädige, laſſen wir die 
Domänenrätin als Mißverſtändnis beruhen,“ 
meinte jetzt Herbig. „Was aber jenes runde, 
muntere Männchen anbelangt, fo erinnere ich 
mich allerdings feiner noch. O, fehr gut!“ 
Herbig fonnte dies mit Necht verfichern, da er 
den Kleinen für den Gatten der Geliebten, Ge: 
heimrat Wantrup, anjah und fegte nicht ohne 
Schärfe hinzu, daß er den Scherz, den fich jener 
erlaubt, nicht vergeflen habe, worauf Fräulein 
Lenz, die ihn nicht ohne Abjicht aufhielt, Frie— 
den zu halten bat. 

„Ach, Herr Doktor, laſſen Sie mir mein 
altes, gutes, harmloſes Kommerzienrätchen un: 
geihoren!“ jagte fie halb im Scherz. 

„sh ſpreche, geitatten Sie mir die Be: 
richtigung, von dem kleinen Glatzkopf . . .“ 

„Alſo von dem Kommerzienrat Brink!“ be— 
merkte Fräulein Lenz. „Gut, daß wir ihn nicht 
hier haben. Eleonore und id) waren der Mei: 
nung, Sie ftänden mit ihm auf dem freund: 
lichjten Fuß. Sie wird ſehr erjtaunt fein, wenn 
ih ihr das Gegenteil berichte,” fügte die 
Dame hinzu, indem fie einen Blid durch die 
offene Thüre in den Nebenfaal warf. 

Dem jungen Gelehrten Teuchtete umfomehr 
ein, dab er fich in einem Irrtum befunden, 
wenn er den fleinen Glatzkopf von Misdroy, 
der mit fo viel muſikaliſchem Gefchid fein Ta: 
fchentuch anzumenden wußte, für den Gemahl 
Eleonorens gehalten hatte. Wichtiger erjchien 
ihm jedoch, daß die Andeutungen, welche ihm 
Fräulein Lenz gab, auf Eleonorens Gegenwart 
ſchließen ließen. Sofort mußte er fich hiervon 
überzeugen. 

„Und Eleonore — die Frau Geheim— 


554 


zur verbejlerte er ſich raſch, „befindet ſich 
hier?“ 

„Natürlich,“ erwiderte die Dame etwas 
verwundert. „Wie fünnen Sie daran zweifeln 
oder anders vorausfegen, Kerr Doktor! Ich 
würde Sie auch ſchon — indes,“ unterbrad) fie 
jih, „hier fommt der Hausherr ſelbſt!“ 

Während ſich nun Fräulein Lenz zurüdzog 
und in den nächſten Saal begab, wohl um ihre 
Neuigkeit am rechten Orte anzubringen, ftand 
Herbig tief erregt von der Gemißheit, ſich unter 
einem Dach mit der geliebten Frau zu befinden. 
Schmerzlih empfand er den Zwang, der ihm 
verbot, rüdhaltslos feiner Liebe zu folgen und 
in ihre Arme zu eilen. Diefem Taumel von 


Luft und Leid ward er indes nunmehr dur 


einen alten Herrn entriffen, welcher ihm zwi: 


chen den Gruppen der anderen Gäſte hin, mit | 


vorgeftredten Händen und leuchtenden Augen 
entgegeneilte. 

Sofort erfannte Herbig in demjelben, ob: 
wohl er ihn viele Jahre nicht mehr gejehen, 
feinen verehrten Lehrer, zu deſſen Füßen er 
einft alö begeijterter Hörer gefejlen. Geheim— 
rat Betting war eine ſchlanke, hagere Gejtalt 
mit fchneeweißen Haaren, vom Alter bereits 
etwas gebeugt, dennoch ein jtattlicher, anſchei— 
nend noch rüftiger und ein jchöner Greis, der 
ganz der Vorftellung entſprach, die man jich 
nad) dem Hufe feines edlen Charakters und 
jeines nicht minder edlen Strebens von ihm 
machte. Herbig ſtand tief ergriffen, während 
die Gruppen beifeite weichend, etwas Raum 
gaben. 

„Wen ſeh' ih! Wen ſeh' ich?“ rief ihm 
der ehrwürdige Herr des Haufes entgegen. 
„Men darf ich begrüßen?“ Und damit fahte er 
Herbigs Rechte mit beiden Händen. „Will: 
fommen, mein lieber Doktor! Gottwillfommen 
im Vaterlande und in meinem Haufe!“ 

Sofort machte er ihn dann mit den um: 
ftehenden Herren befannt, indem er mit fo herz: 
licher Freude von feinem lieben jungen Freunde 
iprad, daß den nahezu Nührung anwandelte. 
Mehrere der Anwejenden, wohlbefannte Namen, 


wechjelten verbindlihe Worte mit dem aus 


Nom heimfehrenden Königsberger Privatdocen: 


ten, bis der Geheimrat ihn wieder bei der | 


Hand ergriff und vorwärts zog nad den tiefer 
im Hausinnern gelegenen Sälen. 

„Kommen Sie, fommen Sie, mein lieber 
Freund, nun einmal zu meiner Frau. Sie 








Auguſt Beder. 


müſſen vor allem jegt der Herrin meiner Burg 
vorgejtellt werben!” ſprach der alte Herr dabei 
mit glüdlichem Eifer. „Eleonore weiß noch 
nicht im mindejten, wen ich ihr bringe. Sie 
foll überrafcht werden, und es wird fie über: 
rafchen; denn Sie dürfen überzeugt fein, daß 
nr von meinem treuen Herbig jchon erzählt 
abe.“ 

Eleonore? Hieß des ehrwürdigen Mannes 
Gattin Eleonore? Hei und falt ging ed dem 
Saite durch die Glieder. Ein Schauer wehte 
fein Herz an, ein Wirbel faßte feine Seele, und 
für einen Moment war ihm, als klappe ihm 
die Kehle zu, daß der Atem ausging. 

Dann wunderte er fi) ſelbſt, daß er einer 
herzbeflemmenden Befürchtung erlegen war. 
Warum follte die Geheimrätin Betting nicht 
auch Eleonore heißen, wie die Geheimrätin 
Mantrup! Der Name war beliebt und nicht 
ungewöhnlih. Und nad allem war die Anz: 
nahme nicht ausgeſchloſſen, hatte ſogar die 
Mahrjcheinlichkeit für ſich, daß der greife Haus: 
hetr mit feinen legten Worten zwijchen feiner 
Frau und Eleonoren unterjchieden haben wollte, 
daß lettere vielleicht eine Verwandte des Hau: 
jes oder eine vertraute Freundin desfelben war. 

Wenn nun Herbig mit ſolchen Erwägungen 
feine Befürdtungen beſchwichtigte, jo ſchlug 
doch fein Herz in banger, geipannter Erwar— 
tung, als er nun dem Geheimrat durch bie 
offenen Flügelthüren in den eigentlichen Gejell: 
Ichaftsfaal folgte, in deifen von gewürzhaftem 
Rofenaroma durhduftetem Naum die Frau des 
Haufes inmitten ihrer Gäſte ſaß. 


„Kollege Betting, Betting! Haben Sie 


ſchon gehört, gelefen?“ rief hier ein befannter 


Gelehrter den Hausherrn an und fahte ihn 
daber mit beiden Händen an den Ecultern. 
„Site find dennoch entdedt! Darwin felbjt ſoll 
fich faum faſſen Fönnen vor Staunen!” 

Diefe, dem alten Herm  zugeflüfterten 
Morte, welde Herbig eben noch zu veritehen 


‚ vermochte, hatten die Wirkung, daß Geheimrat 
' Betting, wie von einem elektriſchen Schlage ge: 


troffen, des jungen Freundes Hände losließ 
und mit einer haftigen Bitte um Entfchuldigung, 
fich mit dem Nüden abjeits in eine Ede ftellte, 
um ſich in einen eifrigen Diskurs über eine 
ganz neu auftauchende, alle jeitherigen Welt: 
anfhauungen über den Haufen mwerfende Ent: 
deckung einzulafien. 

Herbig, an der Stelle verharrend, wo ihn 


Eleonore, 


jein ehrwürdiger Führer ftehen gelajjen hatte, 
fonnte von der leidenfchaftlih geführten Ver: 
handlung der beiden nur einzelne Worte auf: 
jchnappen. Immerhin vermochte er aus den: 
jelben zu jchliegen, daß es fih um eine, wenn 
fie fich bejtätigte, großartige Entdedung han: 
delte, die ein unbekannter Late, ein ſchwäbiſcher 
Advofat über Organismen in Meteorjteinen ge: 
macht hatte, Und nun wollte ein anerfannter 
Fachgelehrter den mikroſtopiſchen Nachweis lie: 
fern, während unabhängig davon ein anderer 
die philojophiihe Begründung der neuen Theo: 
rie übernommen hatte: m Anfang war der 
Organismus! 

Hierüber verhandelten nun die beiden alten 
Gelehrten, ganz verloren in ihr Thema, mit 
lebhaften Gebärden, fechtenden Händen und 
heftigen Kopfbewegungen. Es blitte und wet: 
terte nur fo durch ihre Rede von Protoplasmen, 
Molekülen, biologiihen Einheiten, Aggregat: 
zuftand, Urmaterie, Weltjtoff, Dunftnebel, 
Kompleren, Eozoon, Yaurentiangneis, Affinität 
und chaotiſchem Welttanz. Und Geheimrat 
Betting hatte jowohl feiner Frau, als feines 
jungen Freundesundfonjtiger Hauswirtspflichten 
völlig vergejien. 

Indem Herbig um fich her blidte, fand er 
fih in der Nähe der Flügelthüre des Saales, 
in welchem fich zumeift Damen befanden, denen 
bereitö jeine Erjcheinung auffiel. Sein Auf: 
treten hier fonnteihn jelbjt nicht mit Genugthu— 
ung erfüllen. Doc harrte er noch eine Weile in 
jeiner jeltjamen Yage aus, ftetö erwartend, fein 
ehrwürdiger Freund werde ſich des Verlafjenen 
wieder erinnern und annehmen. Mittlerweile 
galt es, ſich die nötige Unbefangenheit zu be: 
wahren, den Gleichmut nicht zu verlieren, und 
mit faltblütiger Geiftesgegenmwart ſah er bald 
nad) der Wanddeforation, bald prüfend und 
mufternd über den Kranz von Damen hin, um 
ſich zu orientieren. 

Aber der Augenblid fam, wo all feine zur 
Schau getragene Unbefangenheit mit der be: 
jonnenen, gemütsruhigen Miene und erfünitel: 
ten Faſſung dahinſchwand, wo fein Schauen, 
Sinnen und Denken von einem Gegenitand fo 
ſehr in Anfprud) genommen ward, daß er die 


beiden gelehrten Alten und alles andere darüber 


vergaß. 
empfangäbereit auf der Ottomane? Das jchöne 


Wer ſaß dort inmitten der Damen | 


hohe Weib in der grauen Seidenrobe, mit dem | 


edlen Profil, die Stirn etwas geſenkt, das 


555 


bleiche Antlig unverwandt zu der plaudernden 
Nachbarin gewendet? 

Er hatte fie wiedergefunden, Eleonore, 
jeine immerwährende Sehnjucht, feine einzige 
Liebe. Dort ſaß fie, unter den Brauen hervor: 
blidend, wie ein verſchüchtertes, innerlich ſich 
aufbäumendes Mädchen. Obwohl jie nicht her: 
ſah, mochte fie ihm doch ſchon bemerkt haben. 
Es entging ihm nicht, wie ihr mit einem Im— 
mortellenjträußchen gejhmüdter Bujen wogte 
und zwiichen den gejenkten Brauen eine auf: 
jteigende Blutwolke gewitterhaft weilte. Sie 
icheint aufmerffjam und tief bewegt auf das zu 
hören, was die lebhafte Nachbarin berichtet. 
Wie heit wohl der fragliche Gedanke, der eine 
neue Molke über die” fchöne Stirn jagt? 
Spriht man ihr von etwas, das fie verlett, 
das fie drüdt? Allein, ihre Nachbarin lächelt 
häufig zwiſchen ihre Mitteilungen hinein und 
ſieht ſo munter und vergnügt aus, daß diejelben 
nur Heiteres, nichts Erichütterndes enthalten 
fönnen. 

„O nein!“ 

Die Ergriffenheit Eleonorens hatte aljo 
anderen Grund. Sie wußte, daß er ihr gegen: 
über an der Flügelthüre jtand. Schaute fie 
auch nicht her, ſchien doch ihre Aufmerkjamteit 
von nichts anderem in Anſpruch genommen. Er 
jelbjt vermochte den Blid nicht mehr von ihr 
abzuwenden. Seine Augen verfchlangen die 
teure Gejtalt. Er lechjte nad) einem Blid von 
ihr. Aber ftarr, unverwandt war diejer auf die 
Lippen der geſchwätzigen Nachbarin geheftet, 
von deren Geplauder fie vielleicht fein Wort 
verſtand. 

Viel länger vermochte er in dieſer Lage 
nicht auszuharren. Warum gab ſie kein Zeichen 
des Erkennens, warum kehrte ſie ſo andauernd 
die Augen von ihm ab? Ihr Geſicht trug ein 
unbeſtimmtes, geheimnisvolles, außerordentliches 
Gepräge, das er noch nie an ihr wahrgenommen 
hatte. Sie war ungewöhnlich blaß, ſchien ge— 
litten zu haben oder noch zu leiden. War ihr 
Mann in der Nähe, erlag ſie ſeinetwegen drücken— 
den Befürchtungen? Herbig ſah ſich raſch im 
Saale um und entdeckte niemand, den er dafür 
anſehen oder danach fragen konnte. Nun glaubte 
er, ſich ihr nähern zu müſſen, mochte daraus 
entſtehen, was da wolle. Dennoch verharrte er 
zaudernd an der Stelle, als ſich bereits aller 
Augen nach ihm richteten, nur die ihrigen nicht. 

Während ein ihm unbegreiflicher Einfluß 


556 


noch lähmend auf feinen Entſchluß wirkte, brach 
fi endlich der ehrwürdige Hausherr, noch glü: 
hend von dem VBernommenen und den daran ge: 
fnüpften Erörterungen, Bahn durch die Gruppe, 
welche fich mittlerweile zwifchen ihn und feinen 
Schützling eingefchoben hatte. Herbigs Hand 
wieder ergreifend, bat er taufendmal um Ent: 
ſchuldigung; allein eine außerordentliche, wid: 
tige Neuigfeit auf dem Gebiete der Weltfunde 
habe ihn abgezogen und nehme feine Gedanken 
faſt ausſchließlich in Anſpruch. 

„Nun aber kommen Sie, kommen Sie, 
teuerſter Freund, zu meiner lieben Frau.“ 

Damit führte er ihn durch die Mitte des 
Saals zu Eleonoren. 

In ſolchen Augenblicken wird der Menſch, 
der nicht bloß äußerlich lebt, inne, was er zu 
leiſten, zu ertragen und zu erleiden imſtande iſt. 
Sein Himmel ſtürzt ein, eine Welt voll Glück 
und blühender Hoffnungen bricht in ihm zu— 
fammen, knickt und zerichellt alles an Glauben, 
Vertrauen und Liebe in ihm, — und die Hal: 
tung und Miene foll und darf nichts davon ver: 
raten; er muß aufrecht ftehen, und fein Zuden 
eines Gefichtsmusfels darf vor fo vielen for: 
ichenden Augen anzeigen, wie ihm zu Mute, 
was in ihm vorgeht. Auch der Ungeübte erlangt 
dann oft wie durd) ein Wunder rajch die nötige 
äußere Faſſung; Eisfälte legt fih um das 
Herz, das in heißen Gluten jchmelzen und ver: 
gehen will. 

Zwei Menſchen ftanden ſich jetzt da an: 
fcheinend ruhig gegenüber, — Herbig totenblaf, 
doch äußerlich gefaßt, — Eleonore zwar bleich, 
doch gleihfam unberührt, gleihmütig, mie andern 
Fremden gegenüber. Als ihr Mann mit auf: 
leuchtender, freudiger Miene feinen Gaſt vor: 
führte, wandte jie ruhig dem Verleugneten das 
ſchöne Antlig zu und hörte jheinbar unerregt 
und fühl den Worten ihres greifen Gemahls zu. 

„Hier, meine Eleonore, der treuefte und 
liebite junge Freund deines alten Gatten. Dok— 
tor Herbig! Es wird dir angenehm fein, die 
Befanntichaft endlih zu machen, nachdem du 
längjt von mir weißt, wie fehr er deiner Adhtung 
wert ift. Sch ſtelle ihn unter deine Fittiche, 
meine Liebe!“ 

Nachdem er jeinen Schützling noch rafch ver: 
jchiedenen der anmefenden Damen vorgeitellt 


hatte, entfernte fich der greife Gelehrte jchleu: 


nigft, um den Kollegen aufzufuchen und vollends 
die Frage zu erläutern, zu erörtern, zu erwägen, 


Auguft Beder. 


infofern und wie weit man ber neuen, fo folgen= 
reihen Aufſtellung in der Wifjenfchaft Geneigt- 
heit, Glauben oder Zweifel entgegenzubringen 
habe. Und bald befanden fich die beiden alten 
Herren wieder mitten im neuen Meltgetriebe, 
halfen drehen und wirbeln, zerftören und or: 
gantjieren, und ſahen und hörten dabei nichts 
mehr von ihrer Umgebung. 

Indeſſen jtanden fich der Gaft und die Frau 
des Haufes inmitten eines Schwarmes von alten 
und jungen Damen nod) immer wie Erjtgefannte 
gegenüber. Wie die Augen aller ihrer Freun: 
dinnen, waren auch ihre Augen dabei auf den 
jungen Königsberger Docenten gerichtet, der eben 
auf der Nüdreife aus Italien begriffen war. 
Kein Zuden in ihrem ſchönen Antlite verriet, 
daß ihr der Mann überhaupt ſchon befannt ſei 

| oder wie nahe er ihrem Herzen ftehe. Ihre 
Miene war falt, ja jtarr, ihre Haltung ſeltſam 
jteif und ſpröde. 

„Es ift ſehr freundlih von Ihnen, Herr 
Doktor,” fagte fie in einem ihrem angenommenen 
froftigen Weſen entiprechenden, wie gefroren 
flingenden Ton, „da Sie uns die Ehre jchenfen. 
Eind Sie ſchon längere Zeit aus Rom zurüd?” 

„Bor einigen Stunden erſt angefommen, 
gnädige Frau,“ antwortete er in derjelben Ton: 
art, indem er fich verneigte. 

Mit derjelben fühlen Ruhe und Gelafjen: 
heit, wie die Begegnung überhaupt, nahm fie 
auch feine Antwort hin. Kein Zeichen des Er: 
fennens gab ſich fund. 

„Werden Sie längere Zeit hier verweilen, 
Herr Doftor?* 

„se nach Umftänden, gnädige rau,“ er: 
| widerte er. „Nach Umftänden. Am liebften —“ 
Er ftodte und gab dem bitteren Gedanken, der 
ſich ihm auf die Lippen drängte, einen anderen, 
minder fcharfen Ausdrud. „Am liebften würde 
' ich fofort wieder dahin gehen, wenn es die Ver: 
| hältnifje erlaubten. Indes, man fchiet fich in 

das Unabänderliche, ohne unnüge Worte dar: 
| über zu verlieren. “ 
Unter ihren fi) aufrollenden Brauen blitte 
es auf. Aber fie unterdrüdte die Negung, be: 
| zwang | fich völlig. 

„Das tft das einzige, was uns zufommt!* 
verfehte fie dann. „Es hat mid) gefreut, Sie 
fennen gelernt zu haben,“ fuhr fie hierauf etwas 
zögernd fort, fette aber rafcher hinzu: „Ich 
' hoffe, Sie werden uns wieder beehren!*“ Und 
| damit machte fie eine unzweideutige Bewegung, 


Eleonore. 


daß fie die Vorftellung und daran gefnüpfte 
Unterredung beendigt zu fehen wünſche. 

So, in den banaljten, abgedroſchenſten 
Gejellihaftsphrajen hatte ſich das Geſpräch 
ihrer eriten Wiederbegegnung bewegt. 

Es hätte des legten Winks nicht einmal be: 
durft, — Herbig würde jelbjt abgebrochen haben 
und zog fic) ohne weitere Erwiderung, ummillig, 
erbittert, mit Eisfälte im Bli und Todesgrimm 
im Herzen zurüd. 





5. 


Herbig war zurüdgetreten mit der Empfin: 
dung, als fei ihm das Blut in den Adern ge: 
ronnen. Solden Ausgang follte feine hohe 
Liebe nehmen! Diefe Erklärung fand jenes 
Verſchweigen und Verheimlichen, als er glüd: 
heifchend in ſchönen Herbittagen nad ihren 
Lippen ftrebte! Hintergangen hatte fie ihn und 
ihren Gemahl in zwiefahem Verrat! Eleonore 
war nicht eines ihm fremden, aleichgültigen 
Mannes Gattin, wie fie ihn glauben lieh, ſon— 
dern die feines edeln, verehrten Lehrers, des 
Mannes, den er unter allen Menſchen am 
meijten ſchätzte. 

Eine wilde Zerfnirihung nahm Beſitz von 
ihm. Efel, jchal erfchien ihm das Treiben um: 
her, jein eignes Leben, Lieben und Streben ein 
wüſter Garten voll verworfenen Unfrauts. Ent: 
jest, betäubt von der gemachten Erfahrung fand 
er fürs erjte feinen Anhaltspunkt im Chaos 
wirrer Gedanken und auf dem ſchwankenden 
Boden feines Bewußtſeins. 

Sah er von ferne nach ihr hin — und er 
vermochte auch jet nichts anderes, — jo ſaß 
fie nad) wie vor dorten, till die Freundin an: 
hörend inmitten einer redfeligen Schar. Auch 
jest verriet fein Zug ihres ſchönen Antlites eine 
wärmere oder tiefere Bewegung. Allein in fein 
Inneres zog dabei eine jchredliche Leere ein, als 
jei da alles ausgebrannt, verfohlt, Aſche. Dann 
fochte eö wieder in ihm auf wie ein brodelnder 
Vulkan, daß er hätte aufjchreien mögen vor 
Ingrimm und wilden Schmerz über ungeheuern 
Verrat, über heuchlerifche Aralift und kalte Ver: 
worfenheit. 

Solche Stürme durdtobten ihn, während 
er mit der Verpflichtung, ihre Gewalt zu zäh: 
men, nod im Salon weilte. Und während fich 
dabei der Aufruhr feiner Gefühle notgedrungen 


557 


etwas legte, nahm eine ſtumpfe Bitterfeit, eine 
träge, zähe Entrüftung fein Empfinden ein. 
Wie ein nagendes Gemwiffen in den verjtörten 
Menſchenſinn, wie eine gierige Natte in den ver: 
gifteten Köder, nagte er fi in feinen Groll 
hinein und verbohrte ſich in denfelben. Der 
Maßſtab zur ruhigeren und richtigeren Beurteis 
lung der Dinge war ihm verloren gegangen. 
Obwohl er hätte einfehen müſſen, daß Eleonore 
unter den bewandten Umftänden faum anders 
handeln konnte, ihre Haltung unter den Augen 
ihrer Gäfte der Sachlage entſprechend war, 
wenn die heimlichen Störungen ihres Herzens 
unter der Oberfläche verborgen bleiben jollten, 
hier wenigjtens nicht hervorbrechen durften: 
fühlte er ſich dennoch auch nachträglich aufs 
tiefite verlegt von der zur Schau getragenen 
unempfindliden Nuhe und dem falten Gleich— 
mut, mit welchem fie ihm begegnet war. Denn 
die fühle Aufnahme, die er bei der Hausfrau 
gefunden, mußte nach der Aufmerfjamfeit, mit 
welcher der Geheimrat ihn empfangen hatte, 
auch den Gäften aufgefallen fein. Unter diejen 
Umftänden gewann geflifjentlihe Sprödigkeit 
den Anftrich einer abfichtlichen Beleidigung. 

Während er bei ſich erwog, ob und wie er 
ihr entgelten folle, ob er noch länger weilen 
dürfe oder befler that, die Einſamkeit zu ſuchen, 
um fein widriges Geſchick in feiner ganzen 
Schwere und Tüde zu betrachten; während er 
bedachte, ob nicht ein raſcher Entichluß ihn am 
leichtejten den Qualen enthob, unter welchen er 
litt: jah er fi allmählih von Herren und 
Frauen umgeben, denen feine Perjönlichkeit 
Teilnahme einflößte und die ihn mit ausdauern: 
dem Bemühen in die allgemeine Konverfation 
zu ziehen fuchten. 

Allein er verhielt ſich ablehnend, einfilbig, 
kurz, gab verfehrte oder zerftreute Antworten, 
oder erwiderte herb und abſtoßend. Seine Be- 
merkungen famen aus einem vergällten Gemüt. 
Und was man als Originalität hinnahm, war 
der Ausfluß verftörter Laune und eines umſchat— 
teten Geiftes. Gefährlich war er auf naiv auf: 
dringlihe Fragen, und um folche zurüdzumeifen, 
ichredte er auch vor anfcheinend albernen Ent- 
gegnungen nicht zurüd, indem er fi im troden: 
jten Ton den Schein teilnahmlofer Thorheit gab. 
Daß er damit anftieß, war nicht verrwunderlich, 
fümmerte ihn jedoch wenig. 

Bejonders gab ſich eine Feine unterjeßte, 
lebhafte Brünette Mühe, ihn zum Reden zu 


558 Auguſt Beder. 


bringen, Seine Zurüdhaltung deuchte ihr Be: 
fangenheit, feine Schweigjamfeit Verſchüchte- 
rung, jo daß er nur zum Auftauen gebradht | 
werden müßte. 

„Ach, Herr Doktor, Sie fommen aus Rom?” | 
fragte fie. „Was macht denn der borgheſiſche 
Fechter?“ 

„Kann nicht dienen, gnädige Frau. Ich 
habe mit Leuten diejes Schlags feinen Umgang 
gepflogen. “ 

„ber den Apoll von Belvedere haben Sie 
doch beſucht?“ 

„Entfinne mid nicht. 
geitellt worden.“ 

„Eind Sie denn nie im Batifan gewejen?“ 

„Man hat mich nicht eingeladen. * 

So haben Sie auch den Laokoon nicht ge: 
ſehen?“ 

„Leider nicht; er muß zur Zeit verreiſt ge: 
wejen fein.“ 

Die funftfinnige Dame jah den gelehrten 
Nömer mit fo bedenklichen Bliden an, daß Fräu— 
fein Zenz fich hell auflachend zu ihm wandte. 

„Nehmen Sie fih in acht, Herr Doktor, 
daß Sie nicht in den Ruf barbarifcher Unbil: 
dung fommen,“ fagte fie. „indes fommen Sie, 
folgen Sie mir zum Buffet. Sie haben ja nod) 
gar nichts genofjen. Ihre Lebensgeiſter bedürfen 
der Anregung, und id) werde für etwas Er: 
quidendes Sorge tragen.“ 

Willenlos ließ er ſich bejtimmen, ſich zum 
wohlverforgten Erfriſchungstiſch führen zu laſſen, 
und durd ihren Beiftand war er bald mit dem 
Nötigen verfehen. Ein faftiges Stüd Indian 
jtillte den mit dem Eſſen fommenden Appetit, 
einige Gläfer Rheinwein hoben fein Gemüt aus 
der Bedrüdung und gewährten den gewöhnlichen 
augenblidlihen Troſt. Allein mit innerem 
Schauer dachte Herbig an die erite Mieder: 
begeanung mit dem greifen Freunde, dem Herrn 
des Haufes. 

„Und was fagen Sie zu den ſocialen Er: 
icheinungen in unfererReihshauptftadt ?* fragte 
ihn am Büffett eine aus den Nheinlanden jtam: 
mende Dame mit etwas tiefer und rauber 
Stimme, grauem Haar und Fräftigen Zügen, 
in denen ſich Charafter, Feitigkeit und Anftand | 
ausprägten. 

„Gar nichts, meine Gnädige,“ war Herbigs 
Antwort. 


Sit mir nicht vor: 


„Das iſt zu wenig!” erwiberte fie in einen 
Ton, als jei fie gewohnt, rüdhaltslos die Nüd: 
fichten zu beanfpruchen, die man einer Frau von 
ihrem Alter und Anſehen ſchuldete. 

„sch begreife niht, Frau Geheimrätin,“ 
verjegte jegt Herbig, „wie man fih darüber 
wundern mag, wenn von wilden Bäumen Holz: 
äpfel fommen oder Konfequenzen der im Nu 

wechjelnden Weltanfchauungen für die Praris 
gezogen werden. Sonſt gab es Ritter des 
Geiftes, jagt ein erniter Mann, heute Nitter 
des Blödfinns, deſſen Ausgeburten fich ala 
Glaubensartifel aufdrängen. Das iſt der Geiſt 
der Welt. Scief iſt alles, meint Timon von 
Athen.“ 

„Sie find ein Peffimift,“ äußerte die Ma: 
trone. 

„Ich wäre für den Peſſimismus vollfom- 
men reif, wenn fich nicht fo viel eitle Narren 
dazu befennten, jchreibt Gutzkow an einen 
Freund. “ 

„Wenn Sie wollen, fetten wir uns mit 
unferer Beute an jenen leeren Tiſch,“ meinte 
jest die alte Frau gemütlich, wie eine Rhein: 
' länderin. „Wir fönnen da eſſen und plaudern. 
Kommen Sie!” 

Und Herbig folgte ihr. 

Dort ſaß leider bereits ein Herr, bei deſſen 
Anblid die alte Geheimrätin brummte, als finde 
fie diefe Geſellſchaft ſo unwillkommen, als ent: 
behrlih. Der Herr Profeflor, wie er genannt 
wurde, hatte denn auch jchon ein ſeltſames Aus: 
fehen: große Augen bei vorjpringender Naſe 
und ſtark zurüdweichendem Kinn. Dies gab 
feiner Erſcheinung etwas Auffälliges, Geier: 
artiges, Geſpenſtiſches. Fortwährend muffelte 
er und plauberte dabei nach rechts und links, 
indem er, da viele feine Nähe flohen oder aus: 
wichen, die Zeute beim Knopf zu paden pflegte. 
Gewöhnlich ftellte er feine Säge in Frageform 
auf und beantwortete fie dann jelbjt mit einem 
jeufzenden „D ja!” öfter noch mit einem kla— 
genden „O nein!” wobei er wie ein Blutfinf 
piepte. Als fanatisher Anhänger der Viviſek— 
tion hatte er ein Buch zu deren Verteidigung 
geichrieben und ſcheuchte in Geſellſchaft mit einer 
Schilderung feiner „schönen Verſuche“ die Leute 
' weit hinweg aus dem Gehörkreis feiner glüd: 
licherweije Schwachen, klagenden Stimme. 

(Schluß folgt.) 


Sriedrich von Bellwald. Ceben und Treiben in Meriko 559 


Seben und Treiben in Mexiko. 


Von 
Friedrid von Hellwald. 


ge: Ich führe Dich weithin an einen fernen, 
öden Strand! Endlos vor dir flutet tief- 
blaue See wie ein Dpal in ſchimmernder Pracht. 
Senkrecht ſendet die Sonne ihre fengenden 
Strahlen auf deinen Scheitel nieder, denn längjt 
ihon haft den MWendefreis du überjchritten. 
Nadter, heißer, dürrer Sand nur bildet den 
troftlos flachen Küftenfaum; Fein Baum, fein 
Straub, fein Gras ſprießt auf dem ungaftlichen 
Boden, nur hie und da hebt ein jtachlicher 
Kugelkaktus fein häßlich grünes Haupt empor. 
Böje Seuchen, dem Fremden verderblid, wüten 





hier und in dem niedrigen Gemäuer dort, welches 
E ji) dir alö des Landes erjte Hafenjtadt ankün— 
: digt. Flieh' die gefahrdrohende Stätte und 
> zieh" ins Land hinein, deß' ſchneeverhüllte Kegel: 


berge hoch hinan ragen in den Haren Aether. 
Du ſteigſt bergan. Gleich einem Traum: 
geſicht ift dir der dürre Küſtenſtrich entſchwun— 
den, des Meeres Wogenſchall, die Stadt und 
ihre Schiffe auf der Reede. Waldesgrün, dicht 
und dunkel, umfängt dich, ſchützt dich gegen die 
Glut der Sonne, labt dich mit würzigem Dufte; 
milde feuchte Nebel hängen an den vielge— 
ſtaltigen Blättern und 
in jäh eingeſchnittenen 
Schluchten brauft tief 
unter dir kas⸗ 
fadenreid der 
reißende 
Waldbach. 
Mit den fein— 
gefiederten 
Farn wechſeln 
die mannig— 
fachſten For— 
men der Pal—⸗ 
men, und auf 
den ſeltſam— 
ften Gewäch— 
fen niften Vö— 
gel noch feltfamerer Art. Da, 
wo das Maldgebiet bebauten 
71 
















560 


Boden Plat macht, gewahrt das entzüdte Auge 
ein neues Bild. 

Größer und dräuender find fie geworden, 
die Bergriefen, die auf die tropische Landſchaft 
herabſchauen und ihr einen eigentümlichen Cha: 
rafter verleihen; inmitten prangender Fluren 
ftehen ausgedehnte Gehöfte und eingerahmt im 
Schmucke landihaftlihen Reizes kleine Städte 
von erfchredlich regelvechter Monotonie und jelt: 
fam Elingenden Namen; dann trifft das Auge 


- er na n.2r J 
er 
- EEE ENH en % 
5 El 


— 





Friedrich von Hellwald. 


auf grüne Laubwälder herrlicher Eichen und 
Ulmen, deren befreundete Form heimatlic) an: 
mutet und grüßt, ein allmählicher Uebergang von 
der Alten zurNeuen Welt. Hier darf der Menſch 
frei atmen, hier entfteigen dem Boden feine 
gefährlihen Miasmen, feine Wechfelfieber ent: 
fräften das Leben des Pflanzers, feine erjchlaf: 
fende Hige hemmt die freie Thätigfeit. Weich 
und mild weht die Luft das ganze Jahr hin: 
dur), bei Tag lind dur die Meeresbrife, 


Die Ba auf ber „Playa" in Merite t (E. 562). 


nachts durch erfriichenden Gebirgswind gefühlt. 
— Da, mo auf den höchſten Päſſen der Berge 
Scheitel endlich du erflommen, trittit du ein in 
ein neues, fremdes Land. "Der Wald bleibt 
allmählih zurüd, die Vegetation ändert ſich. 
Graswuchs, furz und fein, ſtrauchartige Stevien 
bezeichnen den Charakter der Landſchaft, welche 
zum Tafellande geworden. Hier, mehr denn 
2000 m über dem Meere weißt du faum, be: 
findeft du dich unter den Tropen oder unter 
dem Himmel Neapels. Nirgends mehr mahnt 
die Natur an den Typus des Tropifchen, wären 


nicht die Maße und die Größe der Pflanzen: 
formen. Dornige Mimofen, Yucca und haupt: 
fählich der Mais find hier die vorherrichenden 
Gewächſe. Nadelhölzer ziehen fich zum Teil nad) 
Oſten hin, gegen Weiten aber find die Berg— 
züge öde und fahl. Die große weite Ebene 
bedrüdt den Neifenden durch die Monotonie 
ihres Ausfehens und ift jeit Jahrhunderten der 
Sit einer hart bedrängten Bevölferung gewejen. 
Die Gegenden im eigentlichen Inneren des 
Landes bieten Scenerieen, den füdeuropätfchen 
ähnlich. Eine Maſſe von Städten, Dörfern und 





Leben und Treiben in Merifo 


Zandgütern, von Dliven=, Feigen-, Kirfchen-, 
Mepfel:, Quitten- und anderen Bäumen um: 
geben, Alleen von Bappeln und Eichen, Frucht: 
und Gemüfegärten aller Art würden dich ver: 
geilen laſſen, daß du fern auf fremder Erde 
wandelt, wenn nicht die Bflanzungen der gave, 
die Gartenzäune von Kaftus daran erinnerten. 
Wir befinden uns, der Leſer hat es längjt 
erraten, im Reihe Montezumas, in Merito. 
Mühſam feucht heute das Dampfroß auf dem 
Scienenftrang, welder von Vera Cruz durd) 
die gejegnete Tierra templada, über Cordoba 
und Orizaba etwas nördlich von den berühmten 
Gumbres und am Fuße 
des weithin  fichtbaren 
Feuerberges von Orizaba 
zur Waſſerſcheide der öſt— 
lichen Kordillere ſich em— 
porwindet und über die 
weiten Hochebenen hin— 
weg nad) der Hauptſtadt 
Mexiko eilt, Nicht nur 
in Merifo, jondern in 
allen Städten auf dem 
Tafellande find die Bor: | 
ſtädte unanfehnlih und | 
ſchmutzig, von der ärm: | 
iten Klaſſe bewohnt; | 
Schutt und Kehricht, | 
tieriſche Ueberreſte und 
Bautrümmer findet man 
an den 
Eingängen 
der Städte 
aufge: 
häuft, im 
der Nähe 
elender 
Hütten, 
den Woh: 
nungen 
(umpiaer 
Proleta— 
vier ober — wit VRR 
halbuad: * — 
ter India— 
ner. Der 
Kern der 
Stadt ae 
ſtaltet ſich 
freilich 
ganz an— 





rchſietturproben aus Merito S. 662). 



































562 


ders, 
den Eindrud eines alten Aztefenplages, fon: 
dern weit eher den einer, wenn auch fpanischen, 
jo dody vollfommen modernen, jehr hübjchen 
und auch im Verhältnifje reinlihen Stadt. 
Die Straßen find mit breiten Bürgerfteigen be: 
legt und in ganzen qut gepflaftert, und bejonders 
die „Plaza“ mit der wundervollen Kathedrale 


— 


* 


Mexiko macht heutzutage nicht mehr 





Friedrich von Hellwald. 


(S. 560), vor der ein Springbrunnen plätſchert 
und Bäume wie Blütenbüfche angepflanzt find, 
gewährt einen gar hübſchen und freundliden 
Anblid. Die meiften Städte haben gerade und 
breite Straßen, die fih, wie in den Vereinigten 
Staaten, rechtwinklig jchneiden. Die Häufer 
der Fleineren find der Mehrzahl nach einftödig, 
die der größeren haben zwei, drei und mehr 


Korribor eines meritaniſchen Haufe. 


Stodwerfe; der Baujtil ift der ſpaniſche, und 
insbefondere der Zopfitil des fiebzehnten Jahr— 
hunderts, doch fehlt es in Mexiko aud nicht an 
Häufernmoderner Bauweiſe (S. 561). Dieinnere 
Bauart und Einteilung der Häuſer iſt meiſtens 
ſehr hübſch und bequem. Die Stiege iſt beinahe 
immer ausnehmend ſteil und führt in den breiten 
Gang, der den Hofraum umgibt, und auf welchen 
alle Thüren münden. 
hübſch aeflochtenen Matten belegt, mit baum: 
artigen Pflanzen und Blumen geſchmückt, Bänfe 
find daſelbſt angebracht. Europäische Bewohner 
pflegen dort wohl aud Hängematten aufzu: 
ichlagen, wie auf unferer Abbildung eines ſolchen 


Er ift gewöhnlich mit | 


Korridors zu erfehen. Von dort gelangt man 
in das Gejellfchaftszimmer, das in reihen Häu— 
jern ſtets mit Teppichen belegt ift und prunf: 
volle, mit Seidenftoffen überzogene Möbel ent: 
hält. Vergoldungen find fehr beliebt, vergoldete 
Tische, Käftchen und Spiegelrahmen gehören 
zum ausgejuchtejten Zurus. Die Schlaf: und 
Wohnzimmer der Familie entbehren dagegen 
oft gar jehr der Nettigfeit und Neinlichkeit, auch 
begnügt man ſich für viele Menfchen mit wenig 
Zimmern. Die Mutter und fünf bis jechs 
Töchter Schlafen in einem Eleinen Gemach. Das 
Speifezimmer ift neben der Küche angebradt 
und mittels einer Deffnung in der Mauer und 


£cben und Treiben in Merifo. 


einer Vorrichtung werden Speifen und Teller 


fördert. Manche Küche ift mit impofanten Bad: 
öfen ausgeftattet, in welchen die jo beliebten 


563 


‚ Herde und in den landesüblihen Wirtshäufern 
durch unfichtbare Hände herein und hinaus be: („Fonda“) in Eleineren Orten jteht diefer ge: 


wöhnlih im Gajtzimmer felbit; ihn umjtehen 
noch gewöhnlicher einige oft recht jaubere, aber 


„Tortillas“ bereitet werden, ein aus geriebenem | leider zumeist. jehr ſchmutzige Frauenzimmer. 


Mais verfertigtes Badwerk in der Form einer 
dünnen Scheibe, tellergroß, weich und geſchmack— 
los. 


Sonſt bedient man ſich meiſt offener 





Läßt danad) das Innere mexikaniſcher Häufer 
mancherlei zu wünſchen übrig, jo nehmen fi 
dafür die Hofräumlichkeiten defto anmutiger 


—— 


Der Badolen im meritaniſchen Daufe 


aus, wie unſere Anſicht des Hofes im Hauſe 
des verſtorbenen Präſidenten Juarez (S. 564), 
des erbitterten Gegners Kaiſer Maximilians, 
zeigt. Bei weitläufigen Gebäuden findet ſich 
mitunter noch ein zweiter hinterer Hof, in wel— 
chem nicht ſelten eine Ciſterne oder ein Waſſer— 
behälter angebracht ift (S. 565). 
In diefen Häufern führen die Merifaner, 
fofern es fih um die beiferen, von Europäern 


abftammenden Klaſſen handelt, ein fehr inniges | 
”amilienleben ; das Verhältnis zwiichen Eltern | 


und Kindern, ſowie auch zwifchen Geſchwiſtern 
ift geradezu ein zärtliches zu nennen. In Merifo 
herricht die fonderbare Sitte, daß die Mädchen 


| 
| 
| 


bei ihrer Verheiratung nicht in das Haus ihres 
Mannes ziehen, fondern daß fehr oft der Mann 
ein Hausgenofje der familie feiner Frau wird. 
Co bildet fih ein großer Kreis um das Eltern: 
paar; Töchter, Schwiegerföhne, Enkel, Schwäger 
und Schwägerinnen, Vettern und Baſen be: 
wohnen oft ein verhältnismäßig fleines Haus, 
leben von der Großmut des Familienober— 
hauptes und zollen ihm auch viel Ehrfurcht. 
Selten treten fie aus diefem Kreife, oder dann 
doch nur in einen aanz ähnlichen; die Ideen 
bleiben äußerſt eng, das Intereſſe dreht fich 
beinahe ausſchließlich um die Creignifie des 
Familienlebens. Worin man aber den Frauen 


564 


Mexikos im großen und allgemeinen unendlich 
unrecht thut, ift in Bezug auf ihre Moralität. 
Schon das Bollwerk der Verwandten, das ge: 
wöhnlich eine junge rau umgibt, jet fie we— 
niger den Gefahren aus; doch find fie beinahe 
überall auch zurüdhaltend und vorzüglich der 
Anmaßung der Fremden gegenüber ftreng und 
beinahe prüde. Die Chen find innig und 
glüdlih; überall fieht man die Eheleute mit: 


Friedrich von Hellwald. 


einander; der aufmerkſame Gatte überhäuft 
ſeine Frau mit Geſchenken, was als Beweis 
von Liebe ſehr hoch gehalten wird. Vor der 
Ehe iſt jungen Leuten unter keinerlei Um— 
ſtänden eine freie Begegnung miteinander ge— 
ſtattet; ſie können ſich höchſtens von ihren Bal— 
fonen aus oder auf dem Paſeo, dem öffentlichen 
Spaziergange, gegenfeitiganfehen. Selbjtredend 


gilt dies nur von den höheren Klaſſen der 





Dof im Oauſe des Präfidenten Juarıy (8. 502). 


Kreolen. Von den Meſtizen und den niederen 
Voltsihichten find dagegen ziemlich lodere Sitten 
zu melden. Entführungen find bei ihnen an der 
Tagesordnung. 

Ueber die Schönheit merifanifcher Frauen 
läßt fich viel ftreiten; im ganzen genießen fie 
diefen Auf und verdienen ihn auch jedenfalls 
wegen der Pracht ihrer Haare und Zähne, des 
tiefen Glanzes ihrer großen, Schwarzen Augen, 
der wunderbaren Kleinheit ihrer Hände und Füße. 
Die Jugendblüte dauert aber nur furze Zeit 
und im reiferen Alter werden die Merifanerinnen 
meiſtens jehr ftark; auch zeiat fi dann oft ein 
dunkler Flaum auf der Oberlippe und mand)e 
Dame erfreut fih eines ziemlich jtattlichen 


Schnurrbärthens. In der Toilette liebt es die 
wohlhabendere Klafje, einen Lurus zur Schau 
zu tragen, der in den meiſten Fällen in finnlofe 
‘Brahlerei ausartet. Was aber die Damen jehr 
geihmadvoll tragen, und was ihnen ganz vor: 
trefflich jteht, das find die fogenannten „Rebo— 
308”, die Mantille der Spanierinnen, und ob 
jie num aus ſchwerer Seide oder Spigen, oder 
aus gewöhnlichen , felbitverfertigtem Baum: 
wollenzeug gewoben ijt, die jungen und älteren 
Damen willen fie jo geichidt und dabei immer 
ein wenig fofett umzumwerfen, daß es eine Luſt 
und Freude ift. Sonſt greift freilich die fran: 
zöſiſche Mode immer mehr um fih. Der Mexi— 
faner der unteren Klaſſen trägt die „Serape*, 





‘ 
| 
| 
j 


£eben und Treiben in Merifo, 


mn 


diefe in ganz Mit: — 
tel: und Südame⸗ 
Dede, um fih da: 
mit gegen Kälte 
und rauhe Luft zu 
ihügen. Aus den 
höheren Ständen iſt 
dieſes Kleidungs⸗ 
ſtück aber faſt gänz: 
lich verbannt. Dieſe 
tragen dagegen noch 
immer ihre koſt— 
baren Reitanzüge. 
Die Herren erjchei: 
nen auf dem Paſeo 
meift zu Pferde und 
jind da immer im 
Nationalfoftüm, 
während fie zu 
Haufe oder zu Fuß 
auf der Straße 
gleichfalls die ge: 
wöhnliche franzöft: 
ſche Kleidung tra: 
gen. Der große 
lichte „Sombrero“, der Hut mit fteifer, breiter 
Krempe, welcher die Schultern überragt, mit 
Goldſchnüren verziert, die dunfle Jade mit den 
vielen Heinen Silberfnöpfen, die reih in Gold 
und Silber gejtidten „Zapateros”, welde, über 
das gewöhnliche Beinkleid gezogen, von unten 
nur über das Knie reichen und mit einem Gurte 
um den Leib gehalten werden, find ſehr Heid: 
jam, und ebenfo geſchmückt wie der Neiter tjt 
auch fein Kleines gedrungenes Pferd. Der 
Sattel ift reich in Gold oder Silber gejtict, 
der große Sattelfnopf und die Nüdlehne find 
mit Silber bejchlagen, ebenjo verziert find 
Mundſtück und Kopfzeug; die Zügel beſtehen 
aus einer bunten ſeidenen Schnur, die mon: 
itröfen großen Radſporen, die übrigens gefähr: 
licher und graufamer ausfehen, als fie wirklich 
jind, dürfen nur aus Silber fein. 

Scharenweiſe reiten die Merifaner jo durd) 
die Gaſſen zu ihren Morgenpromenaben und 
diefes Neiten hat für uns etwas Geheimnis: 
volles, denn der Tritt der Werde ift beinahe 
lautlos, da die Hufe gewöhnlich nicht bejchlagen 
find. Ihr beliebteftes Ziel iſt der ſchon er: 
wähnte „Bajeo”, eine fchattige Promenade, die 


——i 
— — 


rita gebräudlihe — — 


— — — — — 


rer 


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—F 
2 





Waflerbehälter im Kinteren Hofe bed Haules (8, Son). 


« 


die Plaza und die „Alameda”, der öffentliche 
Garten, zu ihren charakteriſtiſchten Zügen gehört. 
In Mexiko iſt der Paſeo de Bucareli eine lange 
Allee, die aus vier Reihen häßlicher, verfrüp: 
pelter, pappelartiger Bäume bejteht , von beiden 
Seiten find Fuß: und Neitwege angelegt, der 
Weg ſelbſt ift nicht zum beften erhalten. Noch 
weniger glänzend tjt der Paſeo in Morelta, der 
Hauptitadt des Bundesſtaates Michoacan, welche 
zu Ehren des hier geborenen Patrioten Joſe 
Alonſo Morelos ihren früheren Namen Balla: 
dolid mit dem gegenwärtigen vertaufchte. Ein 
jchlichtes Denkmal zur Erinnerung an diefen 
heldenhaften Prieſter und Vorfämpfer der frei: 
beit Shmüdt den Paſeo (5.567), der ſich auf einen 
einfachen Baumgang reduziert. Morelia ift eine 
kleine Landſtadt, deren größte Sehenswürdigkeit 
vielleicht die 1788 erbaute, 5 km lange Waſſer— 
leitung ift, welche auf mafjiven Steinbögen 
dahinzieht (3.566). Die Einwohnerſchaft über: 
jteigt wohl faum 30—35 000. Gerade an jol: 
chen Plägen kann man beifer als in der Metropole 
Thun und Treiben fennen lernen. Das ganze 
Leben der Merifaner trägt den Stempel eines 
dolce far niente; nie ſieht man ſie gefchäftig durch 


in feiner Stadt fehlt und wie die Kathedrale, die Straßen eilen, mie tft ihre Zeit in Anſpruch 


566 


Friedrich von Hellwald, 


genommen. Sie jtehen früh auf, die Damen | und nieder gehen, um es trodnen zu laſſen. 


gehen tief verjchleiert in die Kirche, die Herren 
begihnen ihre Morgenpromenade. Nah dem 
Spaziergang zieht fi alles in die Käufer 
zurüd; gewöhnlich wird dann ein Bad genom: 
men, dann fieht man oft die Merifanerinnen 
mit aufgelöftem reihem Haar, das mantelartig 
ihre Schultern umwallt und beinahe bis zu den 
Füßen reicht, auf den Terrafien der Häufer auf 


Mit der Vollendung der Toilette vergeht lang= 
jam die Zeit; find Kinder im Haufe, jo wird 
ihrem Spiele zugejehen, doch auch dieje find 
janft und ruhig wie die Eltern; fein Lärmen, 
fein Streiten ift vernehmbar. Die kleinen Weſen 
ſcheinen fehr früh reif, entwideln ſich jehr ſchnell 
und find meijtens äußerft zart, weshalb die 
Kinderjterblichkeit eine ungemein ftarfe ift. Bei 





Die Waflerleitung von Morelia (©, 566). 


dem jungen Heiratsalter der Mutter ift der 
Kinderfegen in der Negel fehr groß. Von den 
fehr zärtlihen Müttern werden die Kinder meiſt 
jelbft genährt und vom früheften Alter an wie 
die Puppen behandelt. Schon des Morgens 
fann man fie zierlich gekleidet nad) der Ala- 
meda tragen fehen, abends nimmt man fie mit 
auf die Paſeofahrt. Wenn fie heranwachſen, 
befuchen fie während mehrerer Stunden des 
Tages Schulen, Wohlhabendere auch Penfto: 
nate, deren es freilich in den fleineren Städten 
nur wenige gibt. 

Aber bei aller Gelehrigleit, Folgſamkeit und 
Gutartigkeit fehlt e8 ihnen fhon in der jugend 





an einer gewilen Offenheit, einem wahrhaft find: 
lichen, rüdhaltlofen Wefen. Die ntelligenz er: 
wacht jehr früh und erreicht ſchnell eine gewiſſe, 
oft jtaunenswerte Höhe, aber dann bleibt fie 
ftehen. Um die Mittagözeit wird in jedem Haufe 
ein zweites Frühſtück eingenommen, bei welchem 
die Tortillas und fchwarze Bohnen, fogenannte 
„Frijoles“, zwei beliebte Nationalfpeijen, injedem 
Haufe, ob arm oder reich, die Hauptrolle fpielen. 
Auch Ragout von Truthähnen mit „Chile“, 
einer Art Spanischer Pfeffer, und Tomaten be: 
reitet, ift gleichfalls eine Lieblingsipeife. Mit 
Maismehl gemischt und in Maisblätter gewickelt, 
in Dunst gekocht, bildet dieſes Nagout die befte 


£eben und Treiben in Merifo. 


567 


Speife des Landes, die „Tamales”, wenigftens | gibt es fein eigentliches Mittagsmahl; man läßt 


für unferen Gaumen, weldem die mit großer 
Menge Schweinefett hantierende Kochweiſe Mexi— 
kos im allgemeinen wenig zufagt. Die Nad)- 
mittagäftunden vergehen in Empfang und ber 
Ermwiderung von Bejuhen; geiſtige Beichäftigung 
ift fo gut wie unbefannt, bejonders bei den 
Damen, welche außer dem Gebetbuch faum ein 
anderes Buch kennen. In fehr vielen Häufern 


fich eine Schofolade oder eine Speife bereiten, 
lebt überhaupt äußerſt mäßig. Das National: 
getränf, das aud) auf dem Tijche der Neichen 
nicht fehlt, ift „Pulque“, welches aus dem ge: 
gohrenen Safte der Magueypflanze, der ameri— 
fanifchen Agave gewonnen wird. Werden Gäſte 
erwartet, jo tritt an Stelle der gewöhnlichen 
Einfachheit große Ueppigkeit und die Neihe der 





Moreloh’ Tentmal IS. 5651, 


Speifen nimmt dann fein Ende. Nach der Paſeo— 
jtunde begibt man ſich ins Theater, wenn eines 
in der Stadt vorhanden ift; ſonſt ruft Die Abend: 
glode die Familien ins Haus, die ledigen Männer 
nad) den Kaffeehäufern, um Schofolade zu neh: 
men, die, jtark mit Zimt verfegt, ſehr gut ift und 
viel getrunken wird. Auch der Handwerker iſt 
daran gewöhnt und zumal die Frauen entjagen 
ungern diefem Genuß. Die Gefchäfte des Tages 
werden nun beſchloſſen; gewöhnlich bleibt die 
Familie der bejleren Stände beifammen, nur 
wer über Tag gearbeitet hat, geht aufden Markt, 
nach den Bortales, um zu hören und mitzuteilen. 
Gern fommen auch einige vertraute Freunde in 





1) 
| 


einer befannten Familie zufammen ; man fpricht, 
raucht, mufiziert und tanzt. Unter den gejelligen 
Talenten der Merifanerinnen fteht ihre Freude 
und ihr Talent zur Mufif obenan; fie fpielen oft 
jehr hübſch Klavier und befigen auch wohlflingende 
Stimmen. Bei einer ſolchen anfpruchslofen 
Abendvereinigung, einer fogenannten „Tertulla“ 
fiquriert weder Thee und Badwerf, noch gar die 
Weinflafcheoderdie Punſchbowle. Höchſtens reicht 
man ein feines Glas ſüßen Weines, „Sangria“ 
(Wafler, Wein und Zuder) oder Limonade. 
Die Männer trennen fi häufig von den 
rauen, um entweder eine Partie „Malılla“ 
oder „Treſillo“ zu jpielen, oder gewöhnlid) eine 
12 


Stiedrih van Hoffs. 


Warnung. 





Markt in Morelia. 


fleine Bank aufzulegen. Die galanten jungen 
Herren verlaflen die Damen nicht, die Unter: 
haltung ift leicht, Wit: und Wortipiele jagen 
ſich, leicht entzündliche Naturen flammen auf 
und alühen, aber der äußere Anjtand wird nie 
verlegt. Hier, in folchen Kreifen von Bekannten 
tanzt man gerne noch die fpanifchen Tänze, 
welche ftet5 von Gejang begleitet find und 
durch die Mimik erſt ihre rechte Bedeutung 
befommen. 

Auf dem Lande überjteigt die Zahl der 
Meitizen weitaus die der Kreolen. Pächter und 
Heine Gutsbefiger, jowie die vielen zertreut 


“ 


mwohnenden Hirten und Bauern find beinahe 
durchweg Meftizen. ihre Frauen kann man 
auf den bejcheidenen Märkten der Landſtädte 
treffen, wie ein Teil eines folhen in Morelia in 
obigem Bilde zu ſehen. Auch die Klafje der 
Handwerker in Dörfern und Städten zählt eine 
Menge folder Mifchlinge, deren Ehrgeiz es 
gern den Weißen gleihthun oder diefe über: 
flügeln möchte. Außerdem beichäftigen fich viele 
mit dem Handel, der ſich früher ausſchließlich im 
Betrieb der Weißen befand, und es ift auch gar 
fein Zweifel, daß die Zukunft des Landes in 
den Händen diefer Meftizen Liegt. 


«3 Warnung &» 


Von 


Friedrich von Hoffs. 


Da Niegt den blumigen Hang hinab 
Ein Falter, feht fi und ruht. 
Soll ich ihn fangen? Meidideldum! 
Hafen mir unter den Hut? 

Falter entflendht, 

Leidt geſcheucht, 

Kind, 
Hüte dich, fall’ nidzt! 


Da ſteht im See eine Lilie weh, 
Die wankt und winket mir zn. 
Soll ich mich büchen? Heidideldum! 
Pflüc’ ich fie, hat fie wohl Anh’! 

Ufer if jäh, 

Tief der Ser! 

Rind, 
Hüte dich, fall’ nicht! 





a3 Bur Zeitgeſchichte. > 


wuofaik. 


Fr Berlin bat fi eine allſeits will» 
= kommen gebeikene Agitation gegen 
das unfelige Mlavierfpielen geltend ger 
macht, weldye die Bearbeitung ber „ Draht- 
fommode” ober des „Saltenjpindbes* auf 
gewiſſe Tagesftunden zu beichränten trach ⸗ 
tet. Wer wünjdhte biefer Bewegung nicht 
Grfolg? Es aibt wohl faum einen Men» 
ſchen, den nicht Die herrichende Slavierpeft 
ju den undriftliäften Wünſchen verleitet 
hätte. Unſer Mitarbeiter Stinde empfiehlt 
Awangsüberliedelung bed Slavierpaufers 
in ein befonderes Mufilftabtviertel. 

Zu ben mancherlei Saden, welde 
von den Dieyerd und Baededers mit dem 
aue jeichnenden Sternen verichen werben, 


tritt num auch die — — Mitternadhte- 
fonne. Zweimal wöchentlich fahrende 
„Zouriftenshiffe* befördern diejenigen, 


welche das Naturwunder geniehen wollen, 
von Trondhjem nah bem Norblap. Die 
Hin» und Riüdfahrt inkl. der „Borjiels 
lung“ nimmt 8 Zage in Anjprud) 

Die Einwanderung Deuticher in Ame- 
rita zeigt eine beträdtiihe Gteigerung 
während des Mpriis. An genannten 
‘Monat hat ih die Yahl gegenüber bem- 
felben Monat des Vorjahrs um 2833 Per« 
\onen vermehrt, 

Ein nicht geringes volfäwirtihnftlichen 
Interefle erregt die Etatiftil liber die Ita» 
lienifchen Sparkaffeninftitute, welche 
dere Minifier für Aderbau, Andbuftrie und 
Handel ſoeben publiziert, Danach betrug 
am #1. Dezember 1883 bie Summe ber 
gemachten Epareinlagen; 1147695109 
Yire gegen 157205040 Pire im Jahre 
1869 und 348 121099 Lire Im Jahre 
1879. Im nanyen befikt Italien jeht 
283 Sparfafien, ber Zuwacht ber (ritt« 
lagen zeigt ſich am bebeutenbjten bei den 
Poſſſparlaſſen 

Yu den wenigen Dingen, die man 
bisher nicht zu zählen unternommen hatte, 
nehörten aud die Haare, obgleih ihre 
Menge vielfach Iprihwörtlih angewendet 
wurde. in engliider Aryl, Dr. Willon, 
der offenbar an Patientenmangel leidet, 





bat die ihm hierdurch gebotenen Mube 
ftunden dazu benußt, das Problem zu 
löfen, und fiche ba! er fand 127,920 Haate 
durchſchnitilich pro gebörig behaartem Kopf 
— gewiß weit weniger ald viele dachten 

Das 6Mmjährige Nattenfängerfeft 
wirb am 26. Juni in Hameln feſtlich be» 
gangen werben. 

An Amerila wird unſer genialer 
Staatsmann Bismard vielfah zu Ne 
Hamen von fyabrifaten gebraucht. Sofann 
man fefen, welche Uchnlichleit ber ©er 
waltige mit Spaufdbins Leim oder mit 
Sojodont bat; aber immer finde man 
dabei doch warme Anerkennung, die mit 
dem uns an fidh wenig ſympathiſchen 
Gebaren verlöhnt. 

Syür viele ift es ein harict Schlag 
geweſen. dab die Hamburger Scewarte 
ihre Wetterprognofen einitellte, doch fünnen 
wir ihmen zum Troſt mitteilen, daß in 
anderer Form bie fteis tilllommenen Nadı» 
richten wieder aufleben werben. 


Expedition und Aofonialmefen. 


GO des raffiihen Marinereflorts 
“SL, haben das Projelt einer neuen Nord» 
polerpedition ausgearbeitet, nad dem 
das Vorbringen nur langfam erfolgen und 
durd zum erricdhtende Stationen ftets eine 
Nüdtehr möglih gemacht werden fol. 
Die vielbeſprochtne Anfievelung der 
iyirma Lüderig an der Angra Bequena- 
ucht gab Beranlaffung zur Betrachtung 
des deutſchen Handels nah Wetafrita, 
wobel ſich heraueſſellie, daß wohl ſchon 
jet dee deutſche Handel auf Guinea dem 
englifchen überlenen ift, 1883 fuhren von 
Hamburg 13 regelmäßige Dampfer 25mal 
nah Gübmefiafrifa, und pwar machten 
4 deutiche Dampfer 10, 9 engliſche Dampfer 
15 Reifen. An jedem Fall hat das deutſche 
Slapital in Weitafrita die beiten Hofe 
nungen auf lohnenden Erfolg 


Thealer. 


Sarah Bernhard, die große framd 
2 ſiſche Schauipielerin und noch arbere 
NUetlameheldin, die wegen ihrer Mager» 





teit fprihwörtlih geworden if, lernt jeht 
das PVieblings-Anitrument Friedricht Des 
Großen — die Flöte blajen. Man er 
zählt fih nun, daß fle 9 bei ihren Stu ⸗ 
dien ſeſibinde, damit fie nicht durch bie 
Gewalt ihres eigenen Atems in eines der 
Flotenlöcher hineingeweht werde und auf 
Nimmerwiederiehen in dem hohlen Innern 
ded Inftruments verſchwinde 


wunfih, 

Sypgäbrend am 25. bi 26. Mai in 
—Weimar das Yubiläumsfeit des 
Allgemeinen dentichen Muſikvereins 
begangen wurbe, bereitet man in Bonn 
das 2bjährigne Etiftungstelt des Mänuer- 
nefangvereind vor, bei dem ein großer 
Gelangwettitreit veranftaltet werden ſoll. 

An Stelle rer. Hillers iſt Hof 
tapellmeifter YBliliner von Dresden unler 
den günftigften Bedingungen zum fädti- 
ſchen Kabellmeiſter und Xeiter des Sons 
jervatoriums in ſöln ernannt worden. 


Aunſt. 


Son fetter Belt find verſchiedene Dent ⸗ 
5 male enthillit worden, joam 21. Mai 
ein Luther-Ztandbild in Walhington, am 
11. Mai in Pavla ein Denkmal Gari 
baldis, am 2. Aunl ein Denkmal für ven 
General Dufour in Genf. 

Der Maler von Stetten hatle im 
diesjährigen Salon in Paris ein Bil 
ausgeftellt und war bafir mit einer Me» 
daille ausgezeichnet worben. Herr E. About, 
der Redakteur des XIX. Siecle und aud 
bei und als Autor woblbefannt, polemi- 
flert dagegen in einer Weije, die es jdiver 
madt, zu Sagen, ob feine Beidränftheit 
oder feine Gemeinheit größer ij, Er fann 
ſich nicht erflären, „dak die Deutjchen nicht 
in Frankreich den Empfang finden, den 
man den ftörenden Hunden bereitel*. Gr 
hat von dem Bild nicht gejproden, „weil 
Dre Name deb Aünſtlers auf 100 Schritte 
nad Deutfchtum riet‘, Ob Here About 
„laubt, mit folden Nlüpeleien feinem 
Vaterland einen Dienft zu erweiſen und der 
Alademie Ehre zu maden, der er angehört? 


570 


Wormfer Bürger erlaffen einen Auf» 
ruf zu Beiträgen für die Reitauration des 
Bormfer Doms, weld herrliches Dent- 
mal deutjcher Baufunft leider dem Berfall 
entgegengeht. 


Entdedungen. 


afteur, der bekannte frangöfliche Ge» 

fchrte, behauptet, das Mittel gefunden 
u haben, um der Hundtwut vorzubeugen, 
* er ſtellt ſogar ein allmähliches Gr» 
löfchen der Stranfheit in Ausſicht. Wird bei 
einem von einem tollen Hund gebijjenen 
Menſchen die Pafteurihe Impfung arıges 
wendet, bevor die Yundbsmwut ausgebroden 
ift, jo fann er gerettet werben. 


wilitärifdes. 


m 1. Juni trat das neuformierte 
& Ballondetachement der deutichen 
Armec, deijen Aufgabe in der Bornahıne 
von Berjuden mit dem Ballon captif 
bejteht, zufammen. Außer einem Haupt» 
mann, der als Boritcher ber Berſuchs- 
ftation fungiert, gehören zu dem Detade- 
ment 1 Premierlieutenant als Mitglied 
und führer des Detachements, 2 Selonde · 
lieutenants, 1 Luftichiffer als techniſcher 
Beirat, 4 Unteroffijiere, 35 Mann In— 
fanterie. 

In Amerika ift der Vorſchlag zur 
Erbauung ſchildtrötenartiger Banzer- 
fchiffe gemacht worden. Nach dem Pro⸗ 
jet des Seren Glart follen die Panzer: 
wände bes er foweit unter die Waſſer ⸗ 
linie reichen, daß eine ſenkrechte Bent 
unterbleiben fann. Das feindliche Geſcho 
trifft felbft bei beftigem Rollen des Fahr⸗ 
jeugs auf eine ſtart abgeſchwächte Fläche, 
von der es abgleitet. Die runden Geidhüh- 
türme würden durch einen nur bie eigent- 
lie Geſchühlammer dedenden birmen» 
fürmigen Raum erfeht, der mit der Spite, 
aus dem die Seihükmündung hervor« 
ragt, tel nad dem Feind gerichtet Äft 
und von deilen jhrägen Wandungen bie 
feindlien Kugeln abprallen. 


Bertehrsweſen. 


= ie een von Nübesheim 
3 auf den Niederwald iſt am 30. Mai 
eröffnet worden. 

Am 14. Mai wurde der Iehte Dauer» 
ring des Arlbergtunnels vollendet. 

Die fi) mebrende Zahl der Bich- 
eliften wird nicht ohne Genugthuung 
hören, daß bei einem Wettlampf, der in 
San Franzieko zwiſchen Bicyelijten und 
Reitern ausgefochten wurde, die erjieren 
einen voljtändigen Sieg davontrugen, 
Sechs Tage lang Fämpite man um bie 
Gntiheidung. Endlich fand es ſich, daß 
das abwerhjelnd von einem Herru und 
einer Dame gelenfte Bichele 1073 Meilen 
— hatte; 18, Meile mehr als 
as jchnellfte Pferd. 


Ausflelungen und Aongreffe. 


om 28. Juni bis 2. Juli findet die 
Do) erite Sommerobftansitellung des 
Vereins zur Peförderung des Gartenbaucs 
in den preußiſchen Staaten in Berlin ftatt. 
In Amfterdam, wo mebenbei gejagt 
für das Jahr 1885 eine Weltausftellung 
geplant wird, halten bie vereinigten nieder» 
ländifchen landwirtſchaftlichen Vereine vom 
7. bis 9, September eine internationale 
Tandwirtichaftliche Ausitellung ab. 
Eine BWeltausftellung wird fir das 
Jahr 1889 in Paris geplant. 
An New Orleans nimmt am 31. Der 
ember vieles Jahres eine internationale 
eltansitellung, die mit einer inter 
nationalen Baummollausjiellung vere 


— — — — — — —— EEE 
—— —— ——— — — — — 


Zur Zeitgeſchichte. 


bunden ift, ihren Anfang. Sie dauert bis 
31. Mai 1885, 

Am 25. Mai fand die Eröffnung der 
argentinifchen Musftellung in Bremen, 
am 27. Mai die ber internationalen 
Glektrieitätsausftellung in Turin flat. 

Fine internationale — 
ftellung wurde am 8. Mai in Eouth« 
Kenfington eröffnet, Am 17. desi. Monats 
nahm eine internationale Gartenbau«- 
ausftellung in Peteröburg ihren Anfang, 
der am 20, die Fröffnung einer ebenjolden 
in Paris folgte. 

Hundätage und Kongreſſe find un- 
jertrennlig! Wir nahen uns mehr und 
mehr jenen und all — beginnen dieſe 
Fulx den 10. bis 16. Auguſt it ein inter- 
nationaler Aerztekongreſt in Slopen- 
bagen angejagt. 


Anglüdsfäle. 


=:0% aller Sicherheitsvorrichtungen ift 
abermals ein Theater den Flammen 
Ps Opfer gefallen: das Stadttheater 
nu Wien. Glüdliherweiie brad der Brand 
am Tag aus, jo daß Menſchenleben nicht 
u beklagen find. Die, wie befannt, nicht 
ondertich projperierende ge wird nit 
mehr zu neuem Dafein eritehen, da die 
Genehmigung zum Wiederaufbau auf der 
jetzigen Stelle verweigert wurde, Außer dein 
Stabttheater-Brand ift nod von anderen 
Bränden zu melden: fo vernichtete am 
28. Mai eine freueröbrunft in Baum. 
Benh 105 Batitein» und 150 Strohhäufer, 
fo daß ein Berluft von 1,400,000 Fr. 
veruriadht wurde. Ein Brand in Bhila- 
delphia wurde dadurch veranlaft, das 
der Bliß in die Atlantic Petroleumraffinerie 
einſchlug und das brennende Del von 
12 Bajlins fi über die Strafen ergoh. 
gs betrug der Schaden 500,000 Dollar. 
räßlichere frolgenhatte ein ®rairicbrand, 
der durch die fFunfen einer Yolomotive im 
ſudweſtlichen Kanſas veranlakt wurde. 

Dei einem Brandunglüd in Neuftabt 
bei Koburg find 7 Männer verjhüttet 
worden, wovon 5 fofort tot blieben, 

Am 25. Mai ift der Moskauer Er- 
prefizug in der Nähe von Boloboje ent» 
gleift und find dabei mehrere Menfchen 
ums Leben gelommen. Die Schuld trifft 
einen Babnmwärter, der, um feinen ſtollegen 
zu ſchädigen, auf der Strede ein Hindernis 
anbrachte, an dem der Zug zu Grunde ging. 


Berdreden. 


Sy dem Prozeß genen Kraszewski und 
& Hentſch ift das Endurteil geſprochen 
worden. Der erſtere wurde zu 3 Jahren 


6 Monaten Feſtungthaft, der Ichtere zu 
9 Jahren Zuchthaus verurteilt, Arasgewsti 
verbilfit feine Strafe in Magdeburg, Hentſch 
in Halle, 

Dem Mörder des Deteltiv Blöch 
Hermann Stellmader, wurde der Prozeß 
gemacht. Er räumte bei der Vernehmung 
ohne weiteres ein, die furdtbare That be» 
gangen zu haben, vermeinte hingegen mit 
aller Entſchiedenheit die Veteiligung an 
dem Gifertiben Raubmord, Stellmader 
ift zum Tode durd den Strang verurteilt 
worben. 

In London wurde abermals rin 
Dynamit ⸗Attentat verübt, das aber glüd« 
licherwelſe ohne jchwere Folgen blieb. Der 
Berſuch der Attentäter, das Nelfondentmal 
in Die Luft zu fprengen, mißlang gänzlich. 

Als ein jeden Menidienfreund tief 
betrübendes Beiden muß es betrachtet 
werden, dak 1833 in Berlin gegen 651 
Slinder Anklagen wegen afbarer 
Handlungen bei der Kriminalpolizei ein« 
negangen find, Bon biefen 651 waren 
585 erit 6-12 Yabre alt! Die Anllagen 
lauteten außer auf Bettelei auf Diebftabl, 


Se 
’ iftung, ö hs 
Örperverleung = — 


Totenſchau. 

ring Auguft Yanaz dv. Liechtenſtein 
I im 75. Jahr im Mat zu Wien. 

Prinz Leopold v. Sahfen-Stoburg 
+21. Mai zu Wien. 

Adıtermann, Theodor Wilhelm, der 
Neftor der deutſchen Künftler in Mom, 
+ daf. im Alter von 84 Jahren. Fr wurde 
15. Auguft 1799 als armer Schreiners ſohn 
in Münfter geboren und erhielt erft vom 
33. Jahre ab feine Ausbildung als Bild» 

vor) Seine Lehrer waren Schadow und 
aud). 

Sire Bartle Frere, der befannte 
englijhe Staatsmann, welder mit bem 
Sultan von Sanfibar den Ber sur 
Aufhebung des Stlavenhandels abihlor 
und bis furz nad Benconsfields Sturz 
Gouverneur und oberiter Befehlshaber der 
Hapfolonie war, + 29. Mai zu London. 

Benjamin, B., einer der berühmteiten 
englifhen Rechtegelehrten, + im 73. Lebens» 
jahr zu Paris, 

— v. eg Prof. Dr. ©, 
eltions · Vorſtand des hud iſchen 
Amts in Berlin, + daf. nr * 
SBraſſin, Louis, der befannte Klavier · 
virtuos und Komponiſt, + 47 Jahre alt 
im Mai zu Peteräburg. 

Goita, Sir Michael, Komponiſt feit 
1852 in London, + zu Priabton. 

Gocppert, . Medizinalret, der 
Direktor des Breslauer botaniſchen Bartene, 
+ im Mai, 84 Jahre alt. 

Groß, Samuel, einerder bebeutenbiten 
Yerzte und Ghirurgen der Bereininten 
Staaten, +6. Mai zu Philadelphia. Im 
gleichen Monat flarb auch der berühmte 
amerifanifche Chirurg Dr. Willard Barfer 
zu New Port. 

Graf d’Hanfeville, Mitglied des Er» 
nats und der Akademie, + gu Paris. Gr 
ift der Verfaſſer der Broidyüre „yranfreic 
und Preußen vor Furopa”, in der er gegen 
die Handlungen der deutſchen Sieger in 
Paris proteitierte, 

Johnſon, Alvin I, befannter ame» 
ritanlicher Berleger, * zu New Yorl. John 
fon ift der Verleger der großen Encpflor 
pädie, die feinen Namen gr 

Hold, Georg Friedrich, befannte 
voltewirtſchaftliche Ecriftiteller, + im 
Alter von 75 Jahren zu Münden. 

Landini, einer der aefeiertiten fo« 
mifer Italiens, + im Mai zu Livorno. 

Maria Anna, Wie jerinand L., 
Kaifer von Deiterreich, + 81 Jahre alt am 
4. Mai in Prag. Die Berftorbene war 
eine Tochter Vittor Emanuel L, Abnigs 
von Sardinien. 

Midhat Paſcha und Mahnud Damet 
Paſcha ftarben zu Zaif. 

v. Nothmaler, General der Infan⸗ 
terie 3. D., +20, Mai zu Erfurt, 70 Jahre 
alt. Mit Rothmaler ftarb der Iekte preußi« 
ſche General, der von der Pike auf ger 
dient bat. 

Schödler, Pb. Dr, der befannte 
Verfafier det „Buch der Natur“, geb. 1813, 
+ zu Maini. 

Strondberg, Dr. H. ®., befann! 
durch jeine großen Eiſenba nbauten, + ben 
31. Mai m 2erlin. 

Thöl, Dr. Heinrih, Gch. Juflizrat, 
Profefior der Mechte in Göttingen, + dal. 
16. Mat im 77. Yebensjahre. 

Smetana, cjehiicher Nomponift, der 
fih durch eine Oper auch in Deutſchland 
befannt gemacht bat, + in Prag. 

Prati, Giovanni, ausgezeichneter ital. 
Dichter, geb. 27, Januar 1815 zu Das 
eindo, + in Rom. 


Eleftrifche Yreuigfeiten. 


Slektriſche Neuigkeiten. 


Eivilingenieur Lehel. 









Die große Leichtigkeit, mit der fich 
die Gleftrieität in fait alle anderen 
Formen der Naturerfcheinungen ums 
wandeln läßt, macht diejelbe ganz außer» 
ordentlich für praftifche Unmendung ger 
eignet, denn eih elettrijcher Strom braudt 
nur dur getrennte Kohlenipigen ges 
fendet zu werben, um Licht zu erzeugen; 
er braudt nur durch Drähte gefendet zu 
werden, um Wärme bervorjubringen; um 
einen Gifenftab jpiralfürmig herumgeführt, 
erzeugt er Magnetismus; in die Nähe eines 
anderen Stromes oder eines Magneten ge 
bracht, bringt er diejen in Bewegung oder 
tommt felbft in Bewegung; durch eine zur 
fammengejchte ylüffigteit gefendet, zerlegt er fie in ihre Beftandteile. 

Gewöhnlich wendet man zur —— von Gluͤhlicht pri« 
märe galvanijdye Battericen von möglich gm Spannung mit 
tonftantem Strome und geringem inneren Widerftande an, wozu 
fi) am beften die fonenannten Bunjen-Flemente mit zwei Säuren 
(das ift: Thonzelle mit (pofitiven) Kohlenpol mit Salpeterfäure- 
et (negativen), Zintpol mit verdünnter Schwefel · 

ure) eignen. . 

Ein jolde Bunjens@lement bat mit. frifcher Füllung eine 
Epannung von ca. 1,75 Woltaeinheiten (Wolts) und es iſt be 
hufs Erzielung der zu einer in An» 
wendung gebrachten Yampengröße er» 
orderlichen Epannung nötig, fo viele 

lemente hintereinander (das iſt: 
Stoblenpol des erften Elementes mit 
dem Zinkpole des zweiten Elementes, 
Koblenpol des zweiten mit dem Zink · 
pole des dritten zc.) zu verbinden, bis 
man die Gejamtipannung der tohlen« 
fafer in der Lampe erreicht hat. 

Die gewöhnlichen Glühlampen 
beftehen aus einer hohlen Glaskugel, 
in welder eine auf eigentümlide 
Weife dargeftellte verfohlte Faſer in 
Form eines Bügels, mit zwei ein 
mlndenden Platindrähten metalliidh 
verbunden, eingefhmolzen iſt. Um 
das Verbrennen ber Faſer möglichäl 
zu verhindern, wird die Kugel luftleer 
gemadt. Läßl man dur die Hohlen- 
faler einen entipredhend ftarfen galvaniſchen (eleftrifchen) Strom 


Big. 2. 


— Unfer Hausgarten. 571 


trägt beiläufig ein Drittel der aufgewandten Stromquantitäten, 
— So ift man 3. BD. mit einem Taſchendoppelaccumulator von 
dier Bolt *) Spannung in der Lage, eine Glühlambe, wie die fol- 

enden Figuren (1.3.4) zeigen, in Nadel, Blume, Broche xc. ger 
Fakt, dur 100 Minuten bei Benükung eines Drüders (Ston« 
taltor), der unter ben Slleidern unfidtbar getragen wird — in 
brifantefte Wirkung zu verjehen, jo dak man nah Belieben 
durch Bewegen eines Fingers die Yampe bloß eine Sckunde oder 
eine Minute oder auch länger ununterbrochen leuchten lafjen kann, 
wie ſolches die Figur 2, welde den Accumulator in Berbin« 


| dung mit einer die Glühlampe tragenden Bruftnabel und Fig. 1, 


‚ ben Hccumulator 












treifen, fo wirb felbe zuerſt rot glühen, dann weiß glühen, wobei | 


ein weißes, rubiges Licht ausgeitrahlt wird, 

Die durchſchnittliche Brenndauer der Glühlampen beträgt 
gegen 800 Etunden. 

Un Stelle der Bunfen-Flemente, die 
der Eäurebämpfe wegen in möglichft freien 
Räumen oder in Polalen mit gutem Luft 
durchzuge untergebracht jein müffen, treten 
diefes Umſtandes wegen gegenwärtig ſo⸗ 
genannte Uccumulatoren, die als Grfin« 
dung neuerer Zeit noch vieler Abänderun- 
gen und Werbeflerungen fähig find. 

Zweck der Accumulatoren ift: auf 
möglichft geringem Raume beliebig große 
Quantitäten eleftriihen Stromes anzu« 
lammeln, welden Strom man nad einiger 
Zeit bei Bedarf an anderer Stelle ver · 
wertet, zu welchem Zwede der Accumus 
lator zu laden ift, d. b. es ift nötig, den 
Strom von mehreren fräftipen primären 
Elementen burd; eine entipredhende Anzahl 
Stunden auf die im Accumulator befind« 
fidhen pofitiven und negativen Platten 
$ einwirken zu laffen, wodurd in demfelben 
diemifche Spannung fozufanen erwedt wird, welche Ichtere ſodann 
beim Einſchalten einer Glühlampe oder anderer Apparate, die 
dern eleftrifhen Stromdurchfluß Widerftand entgegenfehen, in 
eleftrifhe Spannung verwandelt oder umgejcht wird. 

St der im Accumulator vorhandene Strom verbraudt, fo 
fan man die Prozedur des „Ladens“ beliebig oft wiederholen, 
hat daher jederzeit eine Eleftricitättquelle zur Verfügung. 





Big. 3. 


Der aus Äccumulatoren erzielbare wirkliche Rutzeffelt ber | 





theater zu Prag 


in der Weftentajche geliefert wurbe. 
veritedt, veran ⸗ Eine weitere 
ſchaulichen. Anwendung der 
Biel Effelt macht Accumulatoren für 
eine Ballerine, der Equipagenbeleudye 
ren Ehmud kleine tung jliggiert fyig.3, 
Glühlämpden indem ſechs einfache 


Accumulatoren, in 


trägt, die durch den 
einen Ktaſten mon ⸗ 


vorhin erwähnten 





Accumulator in tiert, unter ben 
Betrieb gefeht find, Kurhbot geſtellt 
wie foldes vom werden, von wo 
Berfafier für die aus die Leitungen 
Austattung ber ſowohl zu ben bei» 

pereite „Ripp- Bin. &. den großen Seiten» 
Rippe“ am tal laternen, als auch 


deutihen Landes» ju einer an der 
Epihe der Deichjel oder aud zwei an dem Pferdegefdhirre anzu 
bringenden Laternen, reip. in den inneren Wagenraum neführt 
werden, jo dak man nad Belieben entweder einzelne Lampen 
allein oder mehrere gleichzeitig erglühen laſſen fan, wenn man 


| einen dem Bedarfe entiprechenden Umfhalter benübt. 


Für größere Beleudtungsanlagen find naturgemäß 
eröhere Accumulatoren notwendig, die man entweder mit 
Glementen oder mit einer Dynamo »eleftriichen Lichtmaſchine 
ladet. Die Anihaffung einer jolden Donamomajhine und 
Accumulatoren ift für Befiker von — fehr rationell, 
da erflere während bes Tages durch Straftübertragung leicht 
in Betrieb gefeßt werden fan, wodurd alle vorhandenen 
Aecumulatoren geladen werben, die fodann nah dem Stillitande 
der Dampfmafchine oder auch blok nad erfolgtem Ausſchalten 
während ber Nacht zur Speijung aller im Hauſe befindlichen 
Glühlampen dienen. Hat man Wafjerkraft zur Verfügung, fo 
find die Koften zum Betriebe der Dynamomafdine faft belanglos, 

Aus dem Gefagten ift zu eriehen, daß dort, wo die Accumu- 
fatoren bald nad ihrer Ladung zur Benutzung fommen und 
insbejondere, wo bie Ladung mit unbebeutenden Koften zu be- 
werfitelligen ift, weil die aufgeipeiderte Arbeitsmenge ſonſt 
überhaupt nuhlos verloren wäre, die Mecumulatoren eine große 
Zukunft für ji haben. 


*) „Bolt* bezeichnet die in ber Praxis für eleftriihe Meflungen 
angenommene Einheit ber een u, . 


Unfer Sausgarten. 
Ton O. Hüllig. 


Die Erdbeeren. 


In Frankreich fol, wie wir im vorigen Jahre in der 
Landwiriſchaftlichen Poft* fchrieben, der Erdbeerbau feine größte 
Ausdehnung im Departement Finiäterre in der Nähe von Plou—⸗ 
naftel bei Vreft haben. Die ganze Meeresfüfte, die Einbuchtungen 
an der Reede bei Breit und das Flußufer bis 600 m landein⸗ 
mwärts ift durch Heden und niedrige Mauern in Meine Felder 
von 50 qm abgeteilt und beinahe ausihlieklih der Anzudt von 
Grbbeeren gewidmet. E5 werben bier nur Barietäten der Fragaria 
chiloönsis gebaut. Die Ernte bauert von ungefähr dem 20. Mai 
bis in Die zweite Hälfte des Juli, und werden von hieraus 
wirklich mg Mafien verjendet, befonders durch Vermittlung 
von Breit, denn es joll keine Stadt auf dem Erdboden geben, 
in ber fo viele Grdbeeren verzehrt, konjerviert und verſchict 
werben, ala in Breit. Während der Grntezeit ißt bier alles Erd» 
beeren, und bod neben noch viele Früchte auf dem Felde vers 
loren, weil ed an Händen zum Pflüden fehlt. Nach dem Bericht 
des Concours regional im Journal „Sciefice pour tous* 
waren 1875 bei Plougaftel 200 ha mit Erbbeerpflanzgen bebaut, 


572 


und wurden in jedem Jahre 2 Millionen Kilo reife Früchte 
nah Paris geihidt. Außerdem wurden nad näberliegenden 
Städten wie Breit, Morlaiz, Yorient, Quimper, Nantes u. a, 
gegen 114 Mil. Hilo veriendet, jo dak der Geſamtverſandt 
wenigjtens 31, Mill. Kilo erreichte, Wenn nun aud die Früchte 
en der bier erzielten 
Maſſen fabelhaft billig ver⸗ 
fauft werben, nämlich für 
20 Gentimes, d. h. 16 Pen» 
nig für das ſtilogramm, ſo 
ergibt das doch einen Er» 
trag von 700000 Frank, 
und wenn 
die Betriche« 
foften mit 
einem Drits 
tel abgerech · 
net werben, 
fo ergibt ſich 
immerhin 
noch ein 
Reinertra 
von mehr ala 41, Mil, Frank allein für 
nad) auswärts verfaufte Erdbeeren. Bon 1876 
an joll der Anbau von Erdbeeren nod größere 
Ausdehnung gewonnen haben. i 

In Deu = betreibt das Elbthal pwiſchen 
Dreiden und Meißen den bedeutenditen Erdbeer⸗ 
bau. Nach offiziellen Mitteilungen gingen im 
Jahre 1879 allein von der Station Kötſchenbroda 
der LeipzigeDresdener Eiſenbahn, 10 km von 
Dresden, 48000 Kilo Erbberren in 1500 Sen» 
dungen meift nad Berlin. Fin anderer Mittelpunft des Erdbeer ⸗ 
baues ift befanntlich bei Hamburg (Vierlanden). 

Mit dem Vorjtchenden wollten wir nur andeuten, daß recht 
viele Menſchen mit dem Anbau von Erdbeeren ſich beſchäftigen, 
weil derielbe ſich aut bezahlt macht, wenn er richtig betrieben 
wird, Daß in aber nicht überall der 
Fall, weshalb wir glauben, aud) 
bierin der Tiebenswürbdigen Leſerin 
einige Ratichläge erteilen zu follen, 
die viefleiht umfomehr ſich ihrer 
Beachtung erfreuen werben, als man 
in der Regel im AUuguft, aljo binnen 
turzem, die Erdbeeren von neuem zu 
—— pflegt. 

er gewöhnliche Fehler bei der 
Kultur diefer beliebten Frucht iſt 
nämli der, daß die Pflanzen zu 
lange auf ihrem Plabe jtehen bleiben, 
und daß Neupflanzungen, wenn jie 
ausgeführt werden, oft wieder den» 
felben Plah einnehmen, auf dem die 
alten ſchon jajeelang geſtanden. Und 
doch jaugt die Erdbeerpflanze wie faum eine andere den Boden 
volljtändig aus, aud wenn er jährlich gebüngt wird. Deshalb 
follte fie nie länger ald vier Jahre auf ihrem Plahe ftehen 
bleiben, auch erft nad frübeflens ſechs Jahren wieder auf den⸗ 
felben zurüdtehren, Man teile deshalb fein Land für bie Erd- 
beerentultur von einiger Ausdehnung in 10 Ab« 
teilungen, von denen jährlich eine abneräumt, 
rigoft, reichlich gedüngt und ſecht Jahre hindurch 
mit Gemüfe bebaut wird. Auch ſollte man 
Erdbeeren in ber Regel nicht unter größere 
Bäume pflanzen, denn fie gedeihen nur in freier 
und, mit Ausnahme der Mittagsftunden, fonnis 
ger Lage und auf 
tiefgrundigem, alſo 
rigoltem Boden, den 
man aus Lehm, Sarıd 

und genügendem 

Dünger zuſammen⸗ 
(chen oder guigebüng« 
tem Ichmigen Sand» 
boden wählen follte; 
berjelbe .. mäßig 
feucht fein, in feinem Falle aber an 
ftehender Näſſe leiden; wo ſolche vor« 
banden, muß ſie dur Drainierung 
oder offene Gräben entfernt werben, 

Unter den Erdbeeren unterjdheidet 
man die Gartenerdbbeere von der 
Monatserdbbeere. Lehtere iſt 
wahrſcheinlich eine Abart der botar 
niſchen Spezies unſerer Walderdbeere 
(Fragaria vesca L.) und wird leicht durch Teilung alter Pilan- 
jen, aud durch Anbau ihre Samens vermehrt, den man durch 





Die. 1. 
«Bölhte) von 1882. 


Dr. Wilhelm Reubert 





Big. 5. Teutonia Goſchte 
bon 1883, 





Dia. 2. Garteninipeltor Hoff 
(@öläte) von 1883. 





Big. 4. GErbbeer-firinoline, 





Big. 6. Charvbdis (Wölchte) 
don 1882, 


Unfer Hausgarten. 


Abreiben netrodneter Beeren erhält und der möglihft bald nad 
der Reife (denn er verliert leicht feine Keimfähigkeit) in Schalen 
unter Glas auögejäet wird; er leimt bald, und werben die jungen 
Pflänghen auf ein gefchütt liegendes Bert mit qutem leichtem 
Bo verftopft, nah Anbruch des Winterd mit Zannenreifig 
o. dgl. bededt und im Früh; 
jahr im ſechs Reihen auf 

breiten Beet 


einem 1,3 m 
angepflanzt, tüchtig ange 


goflen und dann bis nabe 
an den Herbſt ſiets feucht 
gehalten. 


Sie tragen bei ⸗ 
ai den 
ganzen 
Sommer 
indurch 
reife Früch ⸗ 
te mit ſtar · 
tem Aroma 
und feins« 
fm 6% 
—** 
enn die Pflan im Auguſt in Zöpfe gejeht 
werben, kn Ki diefe De 
warmen Mijtbeet, im Weintreibhaufe oder im 
Doppelfenfter des warmen Zimmers leicht früb 
ur Reife bringen. Rantende Sorten aud der 
onatserdbeere fönnen wie die folgenden durch 
Ausläufer vermehrt, nicht rankende als Ein— 
fafjung der Wege im Gemüfegarten verwendet 
— 
ie Gartenerdbeere mit en verſchie · 
denfarbigen Früchten ift durch natürliche oder ee 5 
tung mehrerer Arten Fragaria elatior, virginiana, chiloensts 
Ehrh. u. a.) entjtanden, jo da man ihre Abftammung nur 
felten noch erfennen kann. Anpflanzungen werben meift mit Aue 
läufern älterer Pflanzen gemacht, die man deshalb, jomweit man 
fie ju verwenden gedentt, beim Rei« 
nigen und Auspuben der Beete ftehen 
läßt, damit fie fich vorher ſtart bes 
mwurzjeln. Man ven = aud Xeile 
älterer noch fruchtbarer Pflanzen, weil 
fie gewöhnlich früher ala die Ausläufer 
tragen. Bei beiden Arten ber Ber« 
mehrung ifl aber darauf zu adıten, 
daß nicht Pflanzen mit nur männs 
lien Blüten zur Berwendung fom+ 
men, die fich befonder& dann viel 
vorfinden, wenn die Pflanzen zu 
lange auf ibrem Plate geitanden 
haben; gewöhnlich find durch fie die 
weiblichen Pflanzen ftart verdrängt 
worden, fie ſelbſt aber ganz und gar 
unfrucdhtbar, 
Nach der Ernte, im KAuguft, ftehe oder grabe man Aus 
Läufer oder Die äuferften Zeile alter Pflanzen aus, ſchneide die 
größten Blätter ganz ab, vertürze die Wurzeln und fchlage im 
rauben Klima des Nordens und Oftens oder in hoher Lage dieie 





Big. 3, Rönig Mibert von Sachfen 
Goſchte von 1879. 


Keinen Pflanzen dicht zufammen auf einem geſchühlen Plaß ein, 


dede fie im Winter mit Laub und Zannenreifig 
und pflanze fie im Frühjahr, im ‚mäßigen oder 
milden Slima aber im Auguft gleih nad dem 
Ubftehen in 40-50 em Entfernung, vier Reihen 
auf ein 1,3 m breites Beet, das vorher flarf 
gebingt und tief 
gegraben war. Die 
Pilanzgen werben 
fo tief nefcht, daß 
nur die Spihen der 

erjblätter oben 
chibar bleiben, 
weil fie ſich fonft 
emporheben und 
verirodnen; dann 
giefe man ftarf, 
oft und durch⸗ 
dringend, zuweilen mit Dungwajjer 
oder Miſtjauche, ftet# aber mit dar» 
auf folgendem reinem Waſſer, bede 
die Beete pwiſchen den Pflanzen nach 
Eintritt des Froſtes mit Laub und 
Reifig, oder beffer mit kurzem Dün« 
ger, welcher Iehtere im Frühjahr bei 
dem dann nötigen Reinigen und 
Auflodern der Beete mit unters 
gehadt wird, halte fie dann ftets von Unkraut, die Pflanzen 
aber von Ausläufern rein, joweit man bieje nicht zur Ber 





Big. 7. Alex. dv. Humboldt 
Goſchte von 1R81, 


Wa Barber. Trachten der Zeit. 573 


mehrung braudt, durch welche fie aber jehr geſchwächt werden. 
— Zur Zeit der Fruchtreife folte man das Gießen einftellen, 
weil durch die dabei aufipringende Erde die Fruchte beihmukt 
werben; dagegen follte man die Bodenfeuchtigkeit durch Auflenen 
von Gerberlohe, Hädjel, Stroh, grober Coatsaſche oder am der 
Meerestüfte durch Scegras oder Tang zurüdbalten und gleich 
zeitig die Früchte gegen den Schmuß ſchüten. Lehteren Yrwed 
erreicht man auch dadurch einigermaßen, daß man die Pflanzen 
mit ihren eigenen Ranken zufammenbinde. Auch bat man 
eigens zu rn a Zwed eingerichtete Drabigeftelle, die Erdbeer ⸗ 
Krinolinen, mit denen man, wie Figura zeigt, die Pflanzen 
umgibt. Dieje Krinolinen (Fig. 4) ſind bei Kunft- und Handeit · 
gärtner Heren ©. Bölchle sen. in Köthen (Anhalt) vorrätig. 
Die ſchlimmſten Feinde der Erdbeeren find die Schneden; 
man vertilgt fie einigermaßen durch Weizentleie, die zwiſchen bie 
Planzen gar Schalen mit 


ftreut (wird; 
die Scneden 
frefien auch dieſe 
ern, wäljzen 
aber dabei 
n ihr fo feit, 
daß ſie ſich nicht 


Vier, bie zum 
Rande glei 
dem Erdboden 
verjenft, iſt jehr 
empfoblen wor« 
den ; bie 
Schnecken wer 


wieder verkrie⸗ 
den können, 


den vom Bier 
angezogen, ſau · 
werhalb man fen davon und 
Mer bei Tage : erjaufen * 
aufſuchen und Von N 
töten fanı. dig. 8. Bomel ıMöftteı rößften und 
Auch das Auf⸗ von Inst höniten Erd⸗ 
ftelten kleiner beerſorten geben 
wir einige Abbildungen; fie ſtammen aus der Gärtnerei des 
dergenannten Seren Goſchle, dem nahezu rinzigen Züdter neuer 
und anerlannt guter Sorten in Deutidhland; bei ihm find aud) 
jahlreiche andere Sorten, aud von Monatserbberren, vorrätig. 

Schließlich möchten wir noch auf ein einfaches Verführen 
hinweiſen, durch welches man die Erbbeeren des freien Yandes 
zu früher Meife bringt, Wan jhütt die zu ſolchem Zwede ans 
gelegten Beete dutch eine Yaubdede vor den Finfrieren, umnibt 
= im Januar mit einem wenigitens 50 cm breiten und cben 
o tiefen Graben, den man mach Art eines Miftbeets mit vorher 
erwärmten Pferbemiit, mit Geflüigelmift, ausgefodtem Hopfen 
und anderem wärmegebendem Dlaterial aussült und rund um 
die Miftbertfäjten aufichichtet, die auf die Werte mit den Pflanzen 
geſtellt und mit Fenſtern verichen wurden, vachdem man bie 
Ptanzen mit 250 R, warmem Waſſer tüchtig durchgegoſſen hatte. 
Das Ganze wird dann wie ein Treibbeet behandelt und bie 
Früchte werden wenigſtens zwei Monate früher reifen als ohne 
dieſe künſtliche Erwärmung 





Trachten der Beit. 
Von Da Barber. 


Allerlei Neuigkeiten aus der Haifon. 


Mehr ale zu jeder anderen Zeit iſt Die Mode jekt, da die 
elegante Welt auf die Manterfhait nad all den wundermirkenden 
Orten it, die den Vergnügungsbedüritigen Vergnügen, den 
Kranlen Geneſung beingen follen, als eine internationafe anju- 
jeben. Man trägt Altes, findet jede, ſelbſt Die grellſte Farben: 
miſchung ſchon, erſcheint heut en polonnaise, morgen quite 
engliab, tags darauf in gefaltetem Nod als normanniiche Biuerin, 
um fid) wieder einen Tag ſpäter als Pariſer Eldgante zu mer 
tamorphojieren. 

Die enpliihen und franzöjichen Moden find keineswegs wie 
ehedem Ausichlan nebend. Die deutſche, namentlich die berliner 
Modelonfeltion bat fich Seit dem leiten Jobrjehmt einen Welt 
ruf erworben, Berlin, das Anno 1560 faum 4 große Geſchäfte 
hatte, in denen Kleider und Mäntel fabrijiert wurden, weiſt heute 
ca. 50 Firmen erſten Nanges auf, die gegen 50000 Arbeiter und 
Arbeiterinnen beihäftinen und ihre Erjeugniſſe nach aller Herren 
Länder verjenden, Die berliner Moverrjeugnilie find nicht So fein 
flilifiert wie die wiener, dafür aber enorm billig, Tolid gearbeitet 
und ohne jede Ueberladung 

Bei meinem letzten Aufenthalt in Berlin hatte ich Gelegen⸗ 





* das erſt furze Zeit zuvor eröffnete Warenhaus der Firma 
. Liffauer (Marfgrafenitrage) in Augenschein zu nehmen, das 
feiner Ausdehnung und Reichaltigkeit mad) an die großen eng« 
lifchen Ware houses erinnert. 

Die Modedame kann da fragen: „Herz was begehrſt Du?“ 
ohne einen Wunſch unbeftiediat zu lafien. Die Parterre-Lotali» 
täten zeigen die foftbarften Seivengeiwebe, in denen die feit mehr 
als 30 Jahren bejtehende Firma Anerkanntes leiflet ; im erften Stod 
findet man allerhand leichtere Nouvcautes, |Mulle, Battift-, Boile- 
und Grenadinc-&erwebe, die fpeciell in Berlin fo vielen Anklang 
—— angefangenen Roben, die, nach neueſten Modellen zuge 
dnitten und zuſammengefaßlt, von jeder einigermaßen im Nähen 
neübten Dame felbft gefertint werden lönnen und mit Bejat, 
Spiten, Stidereien zu dem verhältnismäßigenorm billigen Preis von 
15 Mark verlauft werden. — Der überrajhend ſchnelle Abfah, 





Fia ?. iq u 
Babekoſtame 


den dieſe Roben gefunden, beweiſt, daß die Berlinerinnen praktiſch 
und arbeitfam find und gern mit Hand anlegen, um nicht, wie 
jo oft feitens der Ehemänner beffagt, als „teure” Frau gelten 
zu milfien, — 

Es it zu bewundern, daft dieſe annefangenen Roben nidit 
auc in anderen Städten Fingana gefunden; hier ſehe ich fie in 
fo reizenden Eremplaren, daß ich micht verichlen will, meine 
freundlichen Lejerinnen, auf deren Yippen ich Icon die Frage 
leje: „Wie und woraus find denn diee berliner Wunderkleider 
aefertiat, die uns von den Launen, IUnptinktlichleiten und last 
not lenat der jeht enorm hohen Rechnungen unſtet Modiften 
unabhängig machen wollen,“ eine Heine Stizze dberfelben zu ent« 
werfen. 

Da 3. B. rin. 1, eine aus poll de chevre, dem jeht ſehr 
beliebten, weil ſehr praftiichen Stoff gefertigte Nobe, deren Nod 
auf jeder Falte ſuſenmäßig anſteigende Samtbänder aufgeheftet 
bat; die Tunigue it mit Samt tajcdhenartig drapiert, das 
Arrangement auf einem jebem Seide beigegebenen Bilde vorge» 
jeichnet, fo daß, felbit wenn die bereits qelenten Falten ausein« 
ander genommen werden müſſen, die Drapierung leicht wieder 
ju orditen ilt. 

Fig 2 zeigt eim ſehr vpraftiiches Reiſekoſſum aus eeru 
farbenem Alpala; der ſehr effettwolle Aueputz ift durch ſchmale 
Hammgarnbörtdhen gebilder, die die Taille vorn als bereits 
fertiger Lah garnieren, leitiwärts den Nod, indem fie einen nad 


Jitized by Google 


Jda Barber. 


574 


unten zu fich ausbreitenben 
Zeil deden, der redhts und 
lints von — * an · 
einander — ehten Galons 
begrenzt itt. Das Vorder · 
blatt ift leicht gepufft, die 
Nüdjeite gefaltet. 

Qu den überaus leicht 
berfiellbaren Koſtümen 
zählt die in fin. 3 ab» 
gebildete Robe. Der Rod 
int bereits fächerartig plif- 
fiert, innen auf ſchmalen 
Gummifbnürden aufge 
näht, damit die nad 

underten zählenden Falt · 
nidt ausitrablen, 

Zaille und Aermel aus 
alattem Stoff werden mit 
leidyter Stiderei umrandet, 
die Tunique, kurz dra- 
piert, endet nad Hinten 
in langen Ehärpenenden. 
Nus dem Chaos der ale 
Nouveautd empfohlenen 
Stoffe, die ich in den durch 
einen Aufzug (der wohl 
täglid hunderte von Ma- 
fen benüßt wird) leicht 
erreichbaren oberen lagen 

- jehe, will id; verjuchen, 
einige Gewebe, deren mit 
Einfachheit gepaarte Ele 
ganz ihnen ein mehr ala 
epbemeres Dajein fichert, 
—— Von dauern⸗ 
em Wert ſcheinen bei⸗ 
ſpielsweiſe die mit reigen« 
den Streublümden oder 
rüdtemuftern durditid- 
ten ojtindifchen Baftftoffe, 
die mit blauen und roten Flachſtigerelen gededten Battift und 
gJephyt · Gewebe, die durchſichtigen Seiden.Örenadines, die Chan: 
geant-Satins und leinwandartig gewebten Woljtoffe zu fein; 
nächſt diefen der engliſche mit im Areugftich geſticien Würfeln 
durchichte Eröpe, der leichte wollene Grenadine und last not 
least, der neue Fancy-Mobair, der wie Seide ſchillert, zur ein 
fadhften, wie eleganteiten Toilette verwendbar iſt und von ben 
Damen mit wahrem Fnthufiadmus gelauft wird, Gleich beliebt ift 
ein wie Wolle ausjchender Seidenſtoff, Kaſchmirienne genannt, der 





Big. 4 
Fichus Viltoria. 





Trachten der Zeit. 








Big. 2. Bin. 1. 
Neue Roben, 


in der Syerbittoilette zu befter Geltung kommen jol. Man ver 
wendet ihn ſchon jet zu den auf roja Grund vorrätigen Bieur- 
Sare Koftümen, die für Land» und Badeaufenthalt viel in Ver⸗ 
wendung jind, 

Ganz reizend ausgeführt find die aus Epiken und ange 
fnüpften Ghenilfeborbüren vorrätigen Yihus Viltoria (Fig 4); 
statt des Mermels haben fie eine breite, oben ſtark eingelnauite 
Spitze, das Zaillenteil ijt vorn blufig arrangiert, und unten 
mit Schleife abgegrenzt. Das Fichu Untoinette (Fig. 5) wird 
aus farbigem, grell vom Stleide abflehenden Surrab gefertigt, 
mit bunten Blumen burdjtidt und mit Spiken umrandet; es fteitt 
eine wohl elegante, doch auffallende Tracht dar, die {&werlidh 
in weiteren Streifen Verbreitung finden wird. 

An Seebadeorten trägt man zumeift aus rehleberartig aus · 
fehenden Wouftoff gefertigte Stoftüme, die waflerbicht imprägniert, 
allen Unbilden der Witterung Widerfiand leiften. Gine mehr als 
praftijch fein wollende Dame lich fi jüngft ſogar ihr Babdeloftüm 
aus waſſerdichtem Stoff fertigen ; befragt, weshalb fie denn überhaupt 
Seebäder nehme, wenn fie durd ihre Badefleivung die Einwirkung 
des Waflers auf die Haut bindere, entgegnete fie naiv: „Man 
muß do die Mode mitmachen.“ — Die neuen Badekoſtüme find 
enttoeder aus leichtem Coton· Woll« oder Baftitofle gefertigt, wie 
das in Fig. 6 abaebildete Modell mit farbigem Rever& auf der 
Bluſe begrenzt, oder fie zeigen (Fig. 7) eine vieredig audger 
Ichnittene TFaltenbiufe, die mit lichteren Wollborten oder Stide» 
reien unrandet it. Man tränt rote, blaue, geſtreifte, auch 
farrierte Badeanzüge, jogar ſolche mit figurbildenden Einlagen 
aus Gummi; jo einfah das nur aus Beinkleid und Bluſe bes 
ftehende Koftüm ift, will es doch elegant und modern gefertint 
fein, Das Haus X. Modern in Wien (dem auch unjere Mobelle 
Fig. 6 und 7 entnommen find) madıt in dieſer Beziehung feinem 
Namen Ehre. Es fabriziert jo jlilvoll gearbeitete Badeanzlige, daß 
felbit Iehtere den zeitber beliebten bathing-dresses, deren cin 
engliſches Haus im Jahre 1883 ca. 15 000 Etüd nach Deutſchland 
importierte, vorgezogen werben. 

Faſt ſcheint es, ala ob die diesjährige Sommermode den 
ſonſt zu dieſer Zeit alljährlich fi geltend machenden ercentriiden 
Hutformen ganz und gar abbold je. Dan ſieht durchweg jo 
ſolide Façont mit einfahem Aufpuh, daß nad diejer Richung 
bin fiher ein Fortichritt in Modeſachen zu verzeichnen iſt — 
Start in Aufnahme find Die edigen Stapottehüte mit breiter Rafie 
Fig 8), die, wie unfer Modell zeigt, oben mit breitem gerifften 
Ottomanband und fyebertuff, innen auf dem Bügel mit Blumen 


garniert find. 
Die ftark geichtweiften, das Geſicht befcbattenden Hüte (Fig. 3) 


‘ werben neneruingh vorn mit Band, hinten mit Federn garniert, 


Chemiſche Spielerei. 


die mehr feitwärts geſchweiften dagegen ( 10) ınit vollem 
er en au dem fi) Libellen und Schmetterlinge, Leucht . 
täfer und andere “und Sehäfühler wiegen. 

RAleine Wirjenblümdpen oder lieder, Bergiimeinnicht, Relten, 
Primeln fiebt man diadbemartig gebunden, oft die ganze Froni 
der Heinen ütchen einnehmen (Fig. 11), eb 
Anſchein, als ob der ganze Hut mit Blumen gededt jei; | 
Facons Meiden Jung mie Alt vortrefflid; die jüngiten Frauen 
tragen derartige Rapottehütdhen und finden, dat fie ihrer natürlichen 

cm wegen allen anderen on jrien. 

Jene feine Demartationslinie, die ehedem pflidt« und ziel 
bewußt von Allen, 
die ſich gut kleiden 
wollten, aufrecht 
wurde, 


br ins Schwan ⸗ 
ten geraten zu fein. 
Alt und Jung trägt 
ch rmen, 
gleiche chen. 
Alles if modern 
für Alle und doch 
follte man, um 
nicht bald zu jur 
gendlid bald zu alt 
nelleidet zu fein, 
aud in Modeſachen 
des Dichterivorteß: 
„Eines ſchidt ſich 
nit für Ale,” 
nicht vergeflen. 


Giemifes 
Rhyſthaliſches. 


Senſitive 
Flamme Daß 
aud eine Flamme 
ide ne mufilas 
tif füht fein 
fan, er folgen» 
des xperiment, 
Laßt man aus einer 
fchmalen Gasbren⸗ 

nerröbre unter 

Drud Gas aus 
itrömen, fo daß 
die Flamme nad 
dem Anzünden eine 
Höhe von 40 cm 
erreicht, jo verkürzt 

wenn man 


het ſchrille 





erlönen läßt. bi 
ſchnell auf bie 
äl x* 


erreicht aber, ſo⸗ 
bald ver Ton auf- 
bört, wieder ibre 


lodentöne wirfen 
ähnlid und beſon · 
derd die Töne der 
Quinteeiner Beige, 
wobei die Flamme 
vlöpglid zu einem 
Heinen unrubigen 
Büjcel zufammenfintt. Weit empfindlicher noch ift eine Flamme 
von 50—55 cm Höhe, jedes Meine Geräuſch wird durd bie 
— angezeigt. Singt man den Vokal O, jo gerät fie ins 

wanfen, beftiner nach dem Bofal I und beim S-Yaut bildet 
fie einen wirt bewegten Feuerflumpen, Dagegen wird die Flamme 
dur den Vofal U nicht irritiert. , 

Silhouetten. Man zeichne varher bie Figuren im 
Umrifien auf feines Papier (am beften japanefiihes Papier), 
k B. einen Jäger mit Gewehr, löje dann etwas falpeterfaures 

felormd und reines Stärfemehl heißem Waſſer auf und 
überfahre mit einem feinen Pinſel die Umriſße der Zeichnung mit 
der Miihung. Iſt dies geſchehen, jo lafie man gut trodnen 
und berühre irgend eine Stelle des Umriſſes mit einem alimmen« 
den Holzipan oder brennender Cigarre. An der berübrten 
Etelle bildet ſich ein Meiner Funken, der feinen durd den 
nanzen Umriß der Zeichnung nimmi und diefe aus 


fig. 9. 





Bene Hulformen, 
Big. 8. 
Pig. 10. 


575 


unterhalb des Papiers, da wo bie Gewehrmündung des Jägers 
Hiegt, eine Meine Menge Snallquedjilber lebt, e& wird jo zu« 
glei das Schiehen dei Nügers nk iger 
Fin ‚bübiches ge Beiſplel, daß die Verbrennung 
von Metallen auf übnliche — wie bei organiſchen Nörpern, 
nämlih durch Aufnahme atmoſphäriſchen Sauerſtoffs vor fid 
bt, zeigt das Zinf. n verichaffe ſich aus einer Metallpreherei 
Shkfkäne, t diefe zu einem loderen Bündel zuſammen 
und hält diefes mittels einer Zange in eine Weingeift- oder Gas · 
fampe. Unter Bildung einer großen grünlicen Flamme ent 
zünden fi die Zinljpäne, wobei unzählige Floden von weißem 
BinforybdenRaum 
en das 
gperünent ans 
fteilt, erfüllen. 
Ueberfät- 
tigte Zöfung 
eines Salzes 
Dan fülle einen 
feinen Kolben zu 
zwei Drittel mit 
trgftalliftertem un» 
terſchwefligſauren 
BEI ne e fhn 
auf ein bad 


und bringe das 


und laſſe ihn ruhig 
ohne ihn weiter an« 
— —— 
abun 1 
ſaure — 
Sie 
[3 3 tr 
telt man A den 
Kolben, oder wirft 
man ein Stüdden 
 Saly in den« 


fhlange It 
man in der Lage, 
von einer Braune 
tohlenteerdeftillas 
tionsanftalt jene 
ihwarge M 
erhalten, 
der Deftillation des 
Teers auf leichte 
Orle und Beband« 
lung mit Natron« 
* ee — 
elfäure e bt, fo 
I man biefe mit 
rauchender 
terfäure, waſche das 
auf der ylüfiigkeit 
ſchwimmende Harz 
aus und trodne 
dasfelbe. Gin dar 
ausgefertigterstegel 
brennt mit leuchtender Flamme und vergrößert fich um fein Sofa 
Volumen, Diefe Art von Pharaofhlange hat vor der er ber 
ſchriebenen den Vorteil, feine ungefunde Gafe auszufto M. 


‚Fine fdwere Kopfarbeit. 


In der Finteitung zu Lehner: „Gorvenihe Chronit* (Ham · 
burg 1590) fteht gebrudt: Dieweil aber Schreiben ein fehr be= 
ſchwerliche und rt 4 Kopfarbeit it, und nocd viel ſchwetet 
antommt, wenn's mit Unluſt und Verdruß geſchieht, auch viel 
Zeit und Weil' dazu gehöret, che man ein Buch ſchreiben und 
verfertigen lann, jo hat Gott der Welt, uns und unferen Nach ⸗ 
tommen zum Beſten, die bobe, edle und in aller Welt rubme 
wiirdige Aunſt der Iruderei in Teutſchland in ber erhbiſchöf ⸗ 
lichen und churjürſtlichen Etadt Mainz dur den edfen Ritter 


Fig. 11. 


em Papier | Johann von Guttenberg neoffenbaret und herfürgebradht anno 


töft. Noch effettvoller wird der bübiche Verſuch, wenn man ° Gbrifti 1440, als Friedrich III. zum Saifertyum fommen. F, 


-. 
73 





576 


a. Bm 


— 


nn 


2 


> 


Die viele 


(Dreifilbig.) 

Die gr Eilbe bietet dir die lehten beiden; 

Dem Ganzen (einer Oper) lauſcheſt du mit Freuden! 
(Zweifilbig.) 

e meiner Silben 

Kommet jährig in die zweite, 


Wenn die er 


3 Bum Kopf:Berdrecdhen. 2» 
Hilbenräffel. 


(Zweifilbig.) 
Die erſte Silbe iſt niemals bier — 
Die zweite jagt es des Dichters bir: 
Das Ganze jedod ift eine Stadt, 
ifene und Stahlwerle hat. 








reuet fih das Ganze — ja es 


ft die ganze Welt voll Freude. 


DVerfehräffel. 


. Bin ein gewaltiges Tier und aud ein uralter Wohnfik; 
Schent mir ein b und du fhauft oft mir ins Antli 
° Staunend bewunderit du es in F verheerenden 
Setze ein Zeichen nur um: Sie 


. Nimmft du dem Ganjen, 
mein freund, von feinen 
dreimal drei Zeichen 

Erſtes Drittel hinmwen, bleibt 
nur ein Achtel yurüd. 

. Zeile in ungleiche Hälften 
Namen des mächtigen Gottes 

Unferer Ahnen, mein 
Freund: Siehe, ein Strom 
und ein Mob. 

Zwiſchen zwei Zeilen der 
Welt, als Grenzpuntt, bin 
ich aelegen, 

Lies mich riichwwärte: bu nennt 
einen altheidnifhen Gott. 

. Ausgeftattet mit Größe im 
orthographiichen Sinne 

Bin ich ein mächtiger Strom, 
ohne fie — Konjunktion. 

. Patriotiiches Feuer durch» 

glühte den edlen Fmpörer , 
Noch ein Wörtlein: bu nennit 
Sdwabens erhabenften 
Eohn. 
„ Ueber der erften raget die 
zweite ala mächtige Waffe 
Bei dem Ganzen, das wild 
febt in der tropiſchen Welt. 

. Bilde aus ſpaniſchem Titel 
und beutihem Laut der 
Empfindung 

Eines herrlichen Stroms Na» 
wien, mein ratender Freund 

ſtannit du jeneh Gebirge und 
diefen Zitanen verwandeln 


eihen verſehend, mein 
% reund, in ein beliebtes 
ericht ? 


ft, 8,8, 

inein, 

irtung ; 
e, ein heiliges Buch! 


welche bebeuten: 


aa BELIZE TEE IT IT ALITTEZETTEITITENLTEERZIEEES STE E20 U 51. UN ER SS EL NETIEELETTENLLLE ——— 






DER TTERTIISTT UOTE 


Ve 


BELIEET TEE TIL ETTETITSITTEEET PET TI ESS PrrTTEre 






arg ggu ne ee 


Anenun 


nn rernree a n rrirerernrriin— 


€? Fi 
mean 


BAG IEEE 15 173 BES LTTETITTESLEPTTEZITTTE TEST TTS TSZEISZZETIZETTZEE 


Benn man die Zahlen der obigen Figur bur die entiprehenden 
Buchſtaben erfegt, To erhält man 14 vieritellige Wörter, mit einem 
gemeinfamen Gudbuchſtaben. Die Anfangsebuchſtaben dieſer 14 Wörter 
nennen unlern Leſern einen guten Belannten, 1) Ein Gefäß; 2) ein 
mufifalifhed Inftrument; 3) ein Dogel; 4 eine Kompeftion; 5) ein 
Planet; 6) einer ber Götter in Wagners „Rheingolb*; 7) eine Quelle 
ber alteſten Geſchichte und ber evitden Tihtung; Rein Rammermäb- 
den; 9) ein Baum; 10) eine mädtige Herrierin; 11) ein Bafendbamm ; 
12) ein Dogel; 19) ein großer Bin; 14) ein Vogel. 


ARE TO TTi men gaTT men 


nod jenem fräftigen Seil an. 





‚1,1,1,10,0,0, r,r, 8, t, u,u 
Aus obigen 38 Buchflaben follen 8 Wörter 
1. Einen Wodentag; 2. 

Nahrungsmittel ; 3. Eine FFrauengeftalt aus der griechifchen Muytbr; 
4. Einen befannten frangöfiihen Schriftjteller; 5. Fin Hin 


5. Emie, 6. Ejie, 7. Suſe, Umme, 9. Meu, 








An Stelle der Noten find Buchftaben zu feken. 


Budflabenräffel. 


a, a, a, a, a, b, b. b, b. b, e, e, c,d,d,e, f, 


z. 
gebildet werden, 
in allgemein:: 


Infett; 6. Ein Befährt; 7. Einen 
—— ;8. Einen Fluß ia 
olen, 

Die Anfangs, fowie die End» 
buchſtaben von oben nad unten 
nelejen ergeben die Anfänge 
zweier belichter Welodieen cus 
wei Opern von Rich. Wagner. 

ie heißen die Texte dazu? — 


Dätfel. 


Du findeft es auf allen Feldern, 
Die Lenz mit friihem Grün ger 


ſchmückt, 

Du mer 8 in allen Wäldern, 
Wo did des Bögleins Lied enie 
züdt. 

Auf Libyent heitem Wüſten ſande 
Gilt es dahin in ſchnellem Flug 
Und in ber Sonne glüh'ndem 

Brande 
Zieht's oft in vieler Brüder Zug. 
Zu britt if eines Mannes 
amen, 
Der weit in — Landen 
nat, 
Und der aus vieler Titel Rahmen 
Verheigend dir entgegen wintt 


——— Mn Heſt 10, 


ß 1. Rufe 
Fan 5 deile «Sur, 
10. Eprer, 





äng' ein —— ches nichts 
iehe, zur Halbinſei wird's in der Ruſſen Bereich. 11. Gfien. Das Königreich heißt Preußen. 
Was mag es fein? Das Rätjel. 
Aapfefrätfet: 1. wer äft: Eris, 2. frei? der: Eider. 3. edle 
Dame: Leda, 4. einem Mal: Emma, 5. fich an bas: Hand, 
6. Edenhall Am Morgen: Yamm. 
Sildenrätfel: Ehret die Frauen, fie flechten und weben — | 
Himmliice Rofen ins irdijche Leben. ! 
Skataufgade: Im Stat liegt: Teeff-Bube und Treff | 
Mittelhand bat: Coeur · Bube, Treffeönig, Dame, Neun, Ast 
und Sieben, Pinue-Bchn, Foeur-Dame und Neun, Garreau A. 
interhand hat: Karreau-Bube, Pique-Dame, Neun, Abt und 
ieben, Coecur · Jehn, König, At und Sieben, Garreau«/Jchn. 
Eriter Stich: Torband Pigue-Bube, Mittelhand Coeur ⸗ Bube. 
Hinterhand Garreau-Bube. Zweiter Stih: B. Garreau« 
Eieben, M. Garreau-Ah, O. Garreau-fchn. Dritter Eid: 


Klüglich verbinde die Grasflur mit lieblich rauſchendem Wafjer 
Durch den ſchnarrenden Laut: fich' ein gefeierter Nam’. 


12, 


M. IrffeSieben, H. GorumZieben, BV. Treff ⸗Jehn. Det 
Spieler bat num Reit und die Gegner haben im Ganjen nur 
21 Pointe. 


MBätfel: Leinwand, Einwand, Ginband. 
Mebus: Der Bermeffene büßt das vermeſſene Wort mit [hmerem 
Gericht, dann Iernt er auch wohl noch weife zu werben im Alter. 


Zuchſtabenrebus: Bitte zum Thee pwiſchen 7 und 8. 





Schad. — f, von Pröpper, FZeitgemäßes aus Küdje und Baus. 577 


Schachaufgabe Ur. 7 
von I. Mindwik (Redakteur der Deutſchen Schadhzeitung) 
in Zeiprig. 
(Shwarz.) 








ABCDEFG 


— 7 
Weiß zieht an und feht in vier Zügen matt. 


Föfung von Ar. 6 
1. 7 6 — es: 
2. Dal — a5! beliebig. 
8. Lb5 — d3, e2, AT matt. 


Auf 1. Kf5 — gt: folgt 2. Dar — fü: nebft 3, LbB 
— 02 matt; auf 1, Tf6 — 17T oder f8, 2. Te6b — ed ic 





Fingelaufene Söfungen. 


Die Loſung der Aufgabe I. in Typen ift folgende: 
1.811 —g2 Kfb —es: RR Ld5 —e4 


2. DhI— bi matt. 2. Se8 — d6 matt. 
22200000 Sf3 — ha: } ARE ET TEE Ld5 —e6: 
23. Te4— e5 matt. 2. Tes — fi matt. 


Auf andere Züge folgt 2. Se8 — 46 oder 2. 892 — e3 matt. 


Ridhtig gelöft von W. Dams in Nepelen, W. ron in 
Deed, 5. Strömer in Stettin, V. Eholdt In Plauen, F. Paufner 
in Nürnberg, Sofie Schett in Unterwaltersdorf, W. Pravne in 
Emidow, ja Banıjo in Dornbirn, E. Auhl in Gotha, 
5. Bolke in Pote dam. 

Die —— Nr. 5 geftattet Rebenldſungen durch 1. Las 
— es, beliebig, 2. Lei — h#, beliebig, 3, Td6 — c6 matt, 
und durch 1. TA6 — g6,h6 ıc, Geldjt von W. tron in Perd, 
W. Dams in Hevelen, K. W. Winfler in Reubrig, @. Auhl 
in Gotba, H. Bolte in a in Budweis, 
G. 2. Feldmann in Franffurt a. J ja Banefd in Dorm- 
birn, Hermann Etrömer in Stettin, Üchrer Winfauer in Dorn- 
bim, Dr. &. Graf Earntheim in Innebrud, Gmanuel Merinsty 
in Wien, P. Etzold in Plauen, F. Paufner in Nürnberg, R. Hoc) 
in Et. Petersburg, R. Etähli in Langenthal, Gofle Schett in 
Unterwalter&dorf, A. Fehrmann in Hongen, I. Brik in Bubda- 
peit, ©. Winfauer in Dornbim, 9. ©. in Feleghhaja. 


Nr. 5 wurde ferner gelöft von F. Paufner in Nürnberg, 
2. 2. im Leipzig. 5 R 


Die Aufgabe Ar. 3 wurde ferner gelöſt von W, Aron in 
Beed. W. Pravne in Emihow, Franj Schreiber in Gorig, 
. Etrömer in Stettin. 


Briefwechfel. 

5. $. in Uinterwaltersdorf. Don Ihren 5 Aufgaben 
verwenden wir die beiden u mit Kd8, Kd5 (1. Tea) 
und Kes, Kh5 (1. Tas). Die Löfungen geben Sie ju un 
vollftändig an. 

a. ?. in HBöngen. Die Vöfungen und fonftigen, unſere 
Schachrubril betreffenden Mitteilungen find mit Aufihriftt.Schad* 
an bie Rebaltion von „Bom Fels zum Meer* einzuliefern. 


Beifgemäßes aus Küche und Haus. 
Bon $. von Pröpper. 


Nuguft. 


Italienifhe Suppe mit Würjihen. Man babe 
etwas Wildbretfarce und bereite daraus fleine Würftdyen, indem 
man fie, mittel& eines dünnen Wurfthörndens, in die dünnften 
Hammelsdärme füllt, je nah 3m den Darm zweimal umbrebt 
und fo die Wiürfthen abteilt, fie aber vorläufig aneinander lä 
und fie, 12—18, in eine mit Butter beftrihene flade Panne 
Icgt. Dann gebe man in 21 ftarke Bouillon 3 Eßloffel Tomaten · 
pürce und 100 g in Waller gelochte und danach in 3 cm lange 
Stüdden geichnittene Maltaroni; übergiehe kurz vor dem Ans 
richten die Würftdhen mit fochender Bouillon, laffe fie auffloßen, 
auf einem Sieb raſch abtropien, jerteile fie ebenfalls ſehr raid 
und lege fie in die Suppentertine, giche die Bouillon mit den 
Maccaront darüber und ferviere gericbenen Parmeſanläſe dazır. 
Wollte man bie Wurſichen nicht ſelbſt bereiten, jo fann man 
beim Mebger von der ganz dünnen Pratwurft (Sauciächen) 
nehmen, fie, wie oben angegeben, abloden und ganz wie bei 
den Fareewürſtchen verfahren, nimmt dann aber flatt der 
— Reis und flatt Bouillon eine recht fräftige braune 

udjuppe. 

Wildbretfarce Man bade 125 g Wildbret mit ebenio« 
viel Nierenfett oder Butter fein, thue 90 g in Milch eingeweichtes 
und feft ausgebrüdtes Weißbrot ohne Ktruſte, ein Ei, ein @igelb, 
jehr fein gehadte Peterfilie, Salz, weißen Pfeffer und Mustatnuß 

aran und arbeite die Maſſe gehörig untereinander. 

Tomatenpüree Dan zerbriide einige recht reife Tomaten 
— ohne etwas davon zu entfernen, da gerade der Saft (das 
Wafler), welches nad einigen Rezepten ausgebrüdt werben joll, 
die pifante Säure enthält — dämpfe fie mit etwas Sellerie, 
Zwiebel, Peterfilie, Salz und Pfeffer, bis das Wafler gan ein» 
gedämpft ift und gebe die Pürce dann durch ein feines Sieb, 

Hirſch auf altdeutihe Art (aus Klofterküde, 
16. Jahrhundert). Dan koche einen jhönen Giridhyiemer in 

ut gefaljenem Wafler ab (nicht zu gar) und röfte ihm hierauf 
Über einem Rofte, auf beiden Seiten ſchön braun, lege ihn auf 
eine erwärmte Schüffel und beftreue ihn ſtark mit Zuder, Zimt, 
Gewürznellen und Mustatblüte, Sorintben und abgejogenen 
Mandeln, Dann vergolde man jhöne Yimtflengel und Muskat 
nüffe in der Art wie man Nüfle für den Weihnahtsbaum ver» 
goldet, beftede den Jiemer damit und lafie nadfolgende Sauce 
oder aud nur Idhanniebeer · Gelee dazu reichen. 

Sauce, Man bringe 1, 1 Rotwein mit einem Stüddyen 

imt, 6 Gewürjnelfen und 90 g Zuder zu feuer, Lafie es kochen, 
ziehe es mit einem knappen G&löffel voll, mit ein wenig Waſſer 
verflopftem Kartoffelmebl ab und gebe ed durd ein Sieb. 

giebt man dad Süße nit, fo lege man den abgefodhten 
und wohl abgetropften Ziemer auf eine Schüffel, welche das Feuer 
erträgt und beſtreiche ihn mit Butter, vermiſche ein paar Hand» 
voll geriebenes Shwarzjbrot mit Salz und Ingwer oder Gewürz. 
nelten, beitreue den Ziemer damit, lege noch kleine Floͤdchen 
Butter darauf und lafje ihn in dem Kalt (Röhre) oben ſchon 
gelb werden, beftede ihm mit an Silberipiehhen (Wtelets) oder 
auch an zierlichen Holjipiehchen befeftigten Peterfilienfträuichen, 
garniere ihm mit gebämpiten Kartöffelchen und ferviere eine braune 
Zwiebelſauce (Sauce Robert) dazu. 

Gedämpfte Kartöffelben. Man flehe aus groken, 
eihälten, rohen Kartoffeln mit einem Ausftecher walnußgroße 
Rartöffelden aus, überbrübe fie mit lochendem Waſſer, lafſe fie 
jugededt, 10 Minuten lang darin auf dem Tiſch fichen und 
niehe das Waller ab; überbrübe fie nodimals und wenn fie auch 
darin wieder 10 Minuten lang geftanden haben und das Waller 
abargofien it, fo trodne man fie mit einem Tuche ab, laſſe für 
40 Sartöffelden 75 g Yutter mit Salz fehr beik werben, thue 
die Kartöffelhen hinein, ſchwenle fie recht um und faffe fie, zuerit 
zugebedt, recht heiß werden, dann aber, ohne Dedel und indem 
man fie oft umſchwentt, langſam weid bämpfen, weldes eine 
bis anderthalb Stunden lang andauern fann; fie müflen gan 
bleiben, hochgelb und inwendig ganz weich fein und find auch 
ſehr qut zu Beefſteals und dergleichen. 

Braune Bwiebeljauce (Sauce Robert). Man röfle 
4 Eßlöffel fein gehadte Ywicbeln mit 4 Eflöffeln Mehl in 
125 g Butter faftanienbraun, rühre es mit 3, 1 Fleiſchbrühe und 
4 Ehlöffeln Eifig an, wire mit 4 Gemwürznelten, 6 Pfchier- 
förnern, einem Vorbeerblatt und 2 Gitronmideiben und koche es 
eine Biertelftunde, gebe «8 durch ein Gaarfieb und füge noch 
2 EHlöffel Senf hinzu. 

Aprilojen-Torte Dan Ihneide 20-30 Wprilofen 
entzwei, nehme die lerne heraus, Mopie fie auf und fhäle und 


— u ı — 


578 Photographierter Big. — Neue Mufifalien, — Dom Büchertifch. 


ftohe die inneren Sterne wie Mandeln, ſchneide die Schale einer 
halben Gittone fein und loche aDes zufammen in 250 g geläuterten 
Zucker, bis die Apritofen weich find, worauf man das Ganze 
zum Ertalten auf eine Schüffel tut. Nun belege man eine 
Zortenform mit 2 Mefjerrüden did ausgerolitem Blätterteig oder 
mürbem Zeig, fülle die Aprifofen hinein und beftreue fe mit 
125 g gröblid geftoßenen Mandeln, die mit einem geriebenen 
mürben Weißbröthen, 60 g geſtoßenen Zuder und einem Thee · 
töffel geitoßenen Zimt vermiſcht worden, lege noch etwas friſche 
Butter in kleinen Brödchen darauf und bade die Torte in nicht 
au heißem Dfen. 

Ungarijde A a Hrn Man thue Yu kg Mehl 
auf das Badbreit und fuete es mit 8 Gidottern, einer Mefier- 
ipige Salz und Yuder und chwas Mil zu einem feſten Zeig, 
den man dann mit dem Stodlöffel fo lange ſchlägt, bis er ſich 
vom Badbreit und Löffel löft, wonad man ihn zu Meinen 
Ringen, etwa wie ein Armeing formt, die man in lochendes 
nn gibt und wenn fie in die Höhe tommen, mit dem Koch ⸗ 
töffeljtiel herausnimmt und zum Wbtrodnen auf ein Tiſchtuch 
tegt. Hierauf bejtreiht man ein Badbleh mit Butter, legt die 
Ringe darauf, beſtreicht fie mit Butter, — fie mit fein ger 
ftoßenem Zuder und thut fie in einen mäßig heißen Ofen, jo 
ba fie mehr trodnen als baden, aber ſchön braun und roſch 
dipröde) werben; ziehe die Bretzeln num zu je 10 oder 20 Etüd 
aufein Band und fnüpie & jujammen, und wenn ber ungariide 
Jäger dann auf die Jagd gebt, jo hängt er diefe, bei ben 
Zagern bejonders beliebten Wrepeln an den Modinopf oder 
auf die Jagdtaſche. Uebrigens auch zum Thee ſehr angenehm 
und dabei haltbar. — Aus Sjegedin. 

‚Shaum-Bowle Man gebe in eine weite und tiefe 
Zerrine Rg Zuder, prefje den Saft von 2 Gitronen und von 
2 Apjelfinen darauf, giehe das nötige Ciswafler darauf, um ben 
Zuder zu ſchmelzen und verrühre es mit einem filbernen Löffel; 
fiige dann eine Flaſche Borbeaug oder Burgunder hinzu und 
hierauf, nad und nah und immmerfort in die Hunde ruhrend, 
eıne halbe Flaſche feinjten Rum und danach 15 kg ſchönes, 
Mares, durchſichtiges, in Stüde jerihlagenes Eis und laſſe es 
10 Dlinuten lang ziehen. Fülle die Zerrine nun vollends mit 
feinitem bayriicem Bier, ſchlage dieſe Miſchung mit einem Löffel 
zu Schaum und ferviere ſofort und jeher kalt. 


»Phofographierter Blitz. 


„Beihwindigteit ift feine Hexerei“ fagte der Photograph 
Robert Hänfel in Reichenberg — da hatte er einen Blik 
photographiert. Am 6. Juli bei einem beftigen Gewitter ftelte 
Hanjel feinen Apparat auf — in [päter Abendjtunde bei wollen 
dunflem Himmel. Bon zehn Platten waren nur drei (die neben« 
ftehenden) brauchdar. Der Gejihtswinfel betrug, nad ben Bes 
tehnungen, welde er am darauffolgenden Tage anftellte, circa 
1700 m Dorizontweite. Wie empfindlich die Silberbromplatten 
geweſen jein ale: ergibt ſich aus der Schnelligleit einer Blitz⸗ 
erieinung, diejelde beträgt nad Wheatftone weniger ala den 
Miltionitel Zeil einer Sekunde. Aber au im anderer Weife ift 
das Ergebnis interefjant. Die Bilder, welche Hänjel von dem Blit 
erzielte, find ganz dazu angethan, die landläufige Meinung, der 
Blihſtrahl fahre im Yidzad zur Erde nieder, zu zerjtören. Biel 
eher hat er nad dem photographiichen Konterfei das Ausſehen 


eines Flußlaufs auf der Landlarte. Zu beadten ift aud bie | 


Beräftelung des Etrahls, welche bei der Annäherung an den 
Groboben eintritt. 


Neue MWufikafien. 


Es if zur Seit das Streben der Verleger, auf litterarifdhem 
wie auf mufifalifchelitterariihen Gebiete dem Publitum Gutes 
in würdiger Ausjlattung zu billigem Preije zu bieten, und was 
Poeſie und dahm Einſchlägiges anlangt, fo leiften Die Gollection 
Eprinann und ähnlibe Unternehmungen geradezu Gritaunliches, 
Fr gr auf muitaliihem Gebiete die Dolfsausgabe von Breit- 
Topf & Härtel und die Edition Peters ſich durch ihre trefflichen 
Ausgaben bei unerhört billigem Preife wahrhaft bervorthun. 
Die oben angebeuteie Tendenz verfolgt aud der „Verlag ber 
wWinfitaliichen „Univerjal-Bibliothel‘ in Leipzig (R. Schmidt). 
Dieje Univerjal-Bibliothet iſt bis dahin in 156 Nummern er 
ihienen und ijt beftimmt, „die Luft und Liebe zu Mufif und 
Gefang im Haufe zu pflegen“ Als ob Geſang nit Mufif 
wäre! Seltjam berübrt's den Musiker ftets, wenn von „Mufif 
und Gelang“ die Rede if. Doc lafien wir das! Storrelt aus- 
nedrüdt bringt alſo diefe Vibliothet Werte für Grlang und für 
Pianoforte und im meiltenteils quier Auswahl. Es find Bad, 
Händel, Rameau, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Weber, 


\ Mendelsfohn, Gherubini, Scarlatti, Bocherini, Pergolefe, rief), 
\ Hummel, Chopin, Areuber, Mehul u. f. w. vertreten, aber frri« 
\ N auch Thella — mit ihrem fadenſcheini Gebr 
\ der Jungfrau und Lefebure-Weln mut feinen EyiedofenRüdben 
„Les cloches du monastöre*, Jede Nummer foftet nur 20 $f. 
Wenn die Berlagshandlung forgt, daß die Auswahl alles wirf- 
lich Verwerfliche beifeite Läht und daß das Gute und Ehöne, imenn 
es einer —— bedarf, nur in einer echt künſtleriſchen auf. 
tritt, jo wird fi diefe Muſikaliſche Univerfal-Bibliothef* eimr 
geachtete Stellung erwerben können, Die Bearbeitung von Haybmz 
„Gott erhalte Franz den Staifer* hätten wir allerdings anders 
eroünjcht, als fie hier geboten ift. Solche dide Bah-Tremoios 
hreibt man heutzutage nicht mehr. 
Einen übrraus wohlthuenden Ginbrud maden die jüngft bei 
—F Kiftner in Leipzig erſchienenen neueren Werke von Etepban 
eller, Ein Ungar, der in Paris lebt und urbeutib kom 
poniert und ein Mann von neunundſechzig Jahren, welcher mit 
jugendlicher Friſche für die Jugend ſchreibi, der ift fürwahr eine 
ulide Erſcheinung, und wir maden Lehrer und Dernienbe 
aufs nachdrüdlichſte — am auf des genannten do niften 
Zwanzig Präludien für Pianoforte Op. 150 Heft I a 2 m. 
gef Ua 3m. Aufzeihnungen eined Ginfamen. Bir 
lavierftüde Op. 158. Pr. 2,50 M. Zweite Eonatine für 
Bianoforte als Vorſtudie zu den Eonaten der Meifter Op. 147. 
Pr. 3 M. — Geift, Gemüt und die Finger, fie alle finden idrr 
Rechnung dabei. Möge der trefilihe Meifter Stephan Heller uns 
bald Aehnliches wieder beſcheeren. 





Dom Wücherkiſch. 


Maskaoͤlnikow, Roman von F. M Doflojemstij, aus 
dem Bulle überfegt von Wilhelm Hendel. Leipzig, W. Frie⸗ 
drich. Doftojewsfij, der vor nicht langer Zeit verftarb, ift einer 
der bervorragendflen unter den modernen ruffiichen Echriftitellern. 
Das „Magazin für die Pitteratur des In» und Auslandes bradite 
vor längerer Zeit eine interefiante ag Se Gharalterifit des 
Dichters aus Feder W. Hendels. Derſelbe Autor bat den 
vorliegenden Roman Doftojewstys übertragen, ben wir als eine 
erfreuliche Ausnahme unter dem Wuſt aus dem Ruffiien über 
fehter Erzählungen begrüßen, die meiftend von folden Interpreten 
verbentjcht werden, bie fein ruſſiſch verfichen. Das Bud it — 
wie der Weberfeker in feiner Vorrede treffend bemerft — cin fi 
wejentlicher Beitrag zur Beurteilung und Erklärung der in Ru 
land ftattgefundenen Freigniffe neuer Zeit, obwohl es bereits vor 
anderthalb Jahrzehnten gefhrichen wurde. Die Lehren, melde 
den Zitelhelden zum Verbrecher machen, die unfinnigen Theo» 
rieen und verfchrobenen Begriffe über Moral und Menſchentechte. 
welche ihn ins Verderben bringen, find mit —— Abweichungen 
diefelben, aus denen die Geroen bes Nihiliemus hervorgingen 
Die Ueberjehung * ſich ftreng an den ruſſiſchen Text und lieh 
fa dabei doch jehr Leicht und fließend. Selten begegnen uns 

ufficismen — nichts ungewöhnliches gerade bei ſolchen Ueber» 
jehern, welche in Rußland gelebt haben und mit der Eprade 
vertraut find, Nur einen Punft muß id tabelnd bemerien. 
Herr Hendel hat die orthographiide Marotte, das Pronomen in 
der Anrede Hein druden zu lafien. Das gebt wohl in anderen 
Epraden, aber im Deutſchen entitehen durch ®leichidreibung von 
Sie und fie, Ahr und ihr zahlloje Mikverftändniffe, die man erit 
durd Meflerion in einer unwilllommenen Paufe der Deltre ber 
feitigen muß. M. v. W. — Der Kampf nm bie an 
—— Plaudereien von Heinrich Teweles. Xeipzig, 


Neimer, 1884. Die Heinen Aufſätze, welche zuerſt im Feuilleton 
der 


Prager „Botemia“ erihienen, bilden in ihrer Geſamthen eine 
ſehr anziehende Yeltüre. Der Plauderton ift glüdlich eingehalten, 
ohne dak ſich der Verfaſſer dadurd je zu jener blumenreiden 
Flachhein hätte verleiten laſſen, welde beutzutage von Feu leis · 
niften fo häufig als Geiſt verkauft wird. Die anmutige Form 
ift bei Teweles nie ohne ernften Anhalt, und biefer lektere darf 
auf allgemeine Beachtung Anipruh machen. Bon dem veridie 
denften Seiten wird der Sah beleudtet, daß die Sprache eines 
Bolfes die mweientlichfte und hauptſächlichſie Bedingung feiner 
nationalen @rifteng ift, daß die Größe einer Nation nur in ber 
Sprache ihren Ausbrud finden fann, daß ein Volt niemals dem 
Untergang feiner Sprache überlebt hat. Indem der Verf. dies 
durch gludlich De Beiſpiele aus der Geſchichte beweill, 
beitimmt er zugleich feinen Standpunkt — der Tageeftage. 
weiche der hanviniftiſche Eifer des Gjedhentums in Böhmen 
eraufbeihworen bat. Wir erfennen, daß es fi bier um einen 
—* ernſten Kampf handelt, deſſen Fanatismus eben in dem 
Objekte jelbft, der Nationaliprade, feine Erflürung findet. Wir 
Deutihe werben dem Berf. freudig beiftimmen fönnen, wenn er 
gegenüber dem ſanguiniſchen Beſtreben ber **8* ihre Sproche 
u heben und zu fördern, beſonders daranf dringt, daß teir die 
| Dhiege, Reinhaltung und Veredelung unierer Sprache ala eine 





Dom Büchertifch. 


heilige Pflicht betrachten jollen. Gewiß wäre in unjerer Geſchichte 
mandjes befier getommen, hätten wir an unferer Eprade ſiets 
nit dem ng zäben Stolz wie andere Volker feitgebalten, 
und der Gifer, mit dem ein Deutjch+Deiterreicher für dieſes Ziel 
eintritt, wird gewiß fm Deutichen Reich auf Sympathie rechnen 
dürfen, Daß mande Einzelheiten gewagt oder unrichtig find, 
braucht um fo weniger verihwiegen zu werben, al& das !er« 
dienſt des intereifanten Büdleins dadurd nicht beeinträchtigt 
wird. F. — Prinz Friedr Narl 
im Morgenlande. Nah ihren 
Tagebüchern und Handjeichnun⸗ 
gen von feinen Reiſebegleitern 
Prof. Dr. H. Brugſch und Major 
von Garnier. ranffurt a. O,, 
Trowihſch & Sohn. 1884. Fol. 
Ein Prachtwert erflen Ranges 
ift e3, von weldem uns durch 
die Gefülligfeit der Berlagshand- 
lung die Aubhangebogen der erjten 
Licherung vorliegen! und zwar, 
wir jagen dies mit gutem Nor» 
bedacht, ein Prachtwert nad jeder 
Richtung hin. Der Text bat 
feinen Geringeren zum Berfafier 
als Profefior Brugſch, den bes 
rühmten Hegyptologen, der durch 
fünfundziwanzigjäbrigen Aufent« 
halt mit dem Morgenlande ver 
traut it, wie faum ein anderer 
und, fo viel wir willen, dies ; 
mal zuerſt in feinem Leben bein 
Poden flrena nelebrier Forſchung 
verläßt, um feine Grfahrung und 
feine Feder der Schilderung jener 
Neileeindrude zu weihen, welche 
er als Begleiter des ruhmgelrons 
ten Prinzen Friedrich Marl von 
































579 


Preugen auf deilen jüngster Orientfahrt gewonnen und in 
Tagebüdern forglam befeitiat hat. Gein Gejährte, Major von 
Garnier, jeit lange in den Mukeflunden, welche der altive Heeres 
dienft ihm gönnt, der Hlunft gewidmet, hat mit genialem Stifte 
die wichtigiten Reifemomente (tgebalten und — last not least 
— Altmeifter Brend'amour hat jeine Skizzen im Holzſchnine 
wiedergegeben mit jener Vollendung, die wir an ibm gewohnt 
find. So fommt eben, nad den vorliegenden Proben zu urteilen, 
ein Werk zuftande, welchem bie 
im Bordergrunde jtebende ritter- 
liche Geftalt des Prinzen an und 
für fi dauernden Wert verleihen 
wird, das aber auch voraud« 
fihtlih als Aunſſwert der Gunſt 
des Büchermarktes ſicher fein darf. 
Wie dem Profpelt zu entnehmen, 
ift dasjelbe auf zehn Lieferungen 
zu 61, Bogen berednet, welde 
alle noch im Laufe diejes Jahres 
ericheinen werden, und enthält es 
zwölf Vollbilder nebit 50 in bei 
Tert gedrudten IMluftrationen, H. 
— Boll edten Humors, der auch 
volle Töne der Schwermut findet, 
find zwei Bücher, die in glei 
diem Verlage (Dresden, Heint 
Minden) erihienen, die Erit- 
lingewerfe jiveler hochbegabten 
Dichter find. „Silentium pro 
Paul v. Portheim* nleidh» 
jeitig auch das lehle Buch bes 
Dichters, der in fo jungen 
Jakren vom Leben ſchied — ent- 
bält neben den übermätigften 
Moemen, twie fie auf dem Boden 
der Stneipe wild gebeiben, um 
im Slommersbude dann ein un» 


ar 


Robbildung von Photographieen, melde Robert Häntel in Reichenberg bei einem Wemitter Berftellte. 


ſterbliches Leben zu führen, neben prächtigen Jech · und Wander: 
liedern eine Reihe von Gedichten, die, innig und feufch, eine weh- 
mütige Empfindung voll und ganz wiedergeben, Sie haben 
bleibenden Wert und werden den Namen des Dichters, über 
den fo früh das große Eilentium gefommen, nidt vergefien 
laſſen. — Weltzufriedenheit ift der zu des zweiten Buches: 
„Die Geſchichte des waderen Leonhard Jobefam" don 
Theodor Loewe. Der Held ift ein Schuiter, der weniger erlebt, 
als jonft jeine rk pilenen ; aber er ift nicht nur 
fein Alltageſchuſter, er it aud fein Alltägsemenſch; er verſleht 
au beobachten, er lebt mit den Augen, und jo bringt jeder Tan 
Neues und Gigemartigee. Das untericheidet ibn von Auerbachs 
vhilofophierenden Bauern: feine Weisheit ift die naive Unmittels 
barfeit der Betrachtung der Dinge. Schmerz und Not gehen an 
ihm vorüber: fein Gerz bleibt allumfaſſend, fein tüchtiger Vebens« 


mut, feine Weltfreude geben ihm nicht verloren. Es if ein 
wohrbaft erquidender, erfreuender Humor, der über diefem 
Buche auögebreitet ift; die Sprache ift edel bei aller Einfachheit, 
die ganze ählung unvergleichlich zart und feinfinnig, wir 
möchten den „Vobefam* nicht weit von Gottfried Hellers wunder 
famen Eefdropfer Geſchichten enreihen. R. — Die unter dem Titel 
„Saga‘* vereinigten Erzählungen I. Eidherihs gemahnen 
durh Stoff und Behandlung an Sdyfiels „Elkehardb*: ein 
ihwermwienender Vergleich, der fiher unterblieben wäre, wenn 
uns nicht die friſche Erzählungstunft, das getreue Zeitkoforit, 
die alles durchwehende warme Empfindung das Bud lieb und 
wert adıt hätte. Wir aratulieren dem noch vielveripredhen- 
den Autor zu diefem glüdlichen Wurf, dem Berleger (Nd Bonj 
& Go., Stuttgart) zu einem ſolchen Buche, dem Vejerpublitum 
zu den noch bevorfiehenden genußreichen Stunden. 


(Google 


— 


2 Der [uftige ©efellfchafter. 2» 


(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtommen!) 


Wie es geht. 

Gertrud: „Wer hätte das gebadıt, daß die einfl fo viel uns 
chwärmte Marie dein alten bäklichen, unliebenswürdigen Stanzleis 
efretär die Hand reichen würde ?* 

lie: „Gern hat fie ſich ber nit dazu entjchlofien ; aber 
was blieb der 2Bjährinen übrig? Ihren erften Liebhaber hatte 
fie zum beften; der, mit dem fie am bejten meinte, verlieh fie am 
erfien; da mußte fie ſchließlich den eriten beiten nehmen.” 


s 
Berliniſch. 


Ob feuriger Brünetten härmt 

Sich dieſer oder jener, A 
Für „fühle Blonden* einzig ſchwärmt 
Der richt'ge Spreeathener. 


v 


Im Vheaterdurean. 

Direlior (zur Sängerin): „Dem Publlkum find Eile ja un 
weiielhaft fehr ympathiſch, meine Liebe, aber ber Recenjent une 
Irre ochenblattes ſpricht Ihnen jede mufitalifdhe Begabung ab.“ 

Sängerin: „Da bat er von feinem Etandpunft ganz redht, 
Herr Direttor ; denn er bat in der That aller Bemühungen uns 
geachtet fein Gehör bei mir gefunden, * 


5 


Gut motiviert. 


„Herr, was ſchneiden Sie für Befidhter?* 
„Das ift mein Geſchäft; ich bin Solzicpneider. * 


» 
Xus der Böhterfhufe. 


Lehrerin: „Wie heißt ‚täufhen, betrügen‘ auf frangöfiich?* 

Mariehen: „Tromper.*“ 

Ychrerin: „Out, Und wie lautet das davon abgeleitete 
Subftantiv; jemand, der täufht und beirünt?“ 

Darlehen: „Zrompeter.* 


v 
Bewãhrtes Mittel. 


Des Mannes Macht iſt nur Legende; 
Bei der Ohnmacht der Frau hat fie ein Enbe. 


Xus der Kinderflube. 
„Die Auſtern haben body alle einen Bart, Dama?* 


„Ja, mein Kind,” 
„kafien fie ſich auch rafieren ?* 


* 


Beim Wort genommen. 


Ein durch ſein dünkelhaftes Weſen befannter Schriftftefler 
beftellt ih im Gafe ein Glas Waſſer; nachdem er eine ganze 
Weile vergeblich newartet, wiederholt er feine Beltellung. 

„Nehmen Sie's nur nicht übel, Herr Doftor!" entschuldigt 
ſich der von den Gäjten inftrwierte Aellner, „es Hit mir aber gan 
unmögli, Abren Wunfd ju erfüllen. Eie jelbit haben ja geſtern 
abend am Stammtiſch ausdrücklich erklärt: Mir fann keiner 
das Wafjer reidhen,* 


»robat. 


„Können Sie mir nicht eim Mittel angeben, um meger zu 
werben ?* 

‚Gehen Ze heute abend in das Wirtibaus zum goldeuen 
Yen und lafien Sie ſſch mit dem dort verlehrenden Dr, Gallig 
in eine Distufjion ein, dann haben Sıe gleih Ahr 
Bett weg.” 


Verſchieden beurteilt. 

‚Nicht wahr? die mufilalif-dellamatorifhen Vorträge auf 
kr Eur Soirce beim Geheimrat X... waren dod ganz ent 
udend f* 

e „Die Verpflegung Tick aber jehr viel au wünfden übrig.“ 

Ich fonnte mid wirklid) gar nicht fatt hören.“ 

„Und ih babe mid thätſächlich nicht fatt effen fonnm.* 


* 


Im Berliner Budikerkelſſer. 


— „Menigenefind, wie red'ft du denn? Du bifl ja 
janz beifer.” 

Epillefe: „Das lfommt davon, daß id heute vormittag je 
wählt habe, * 

Tübbele; „Haft du dir denn im Wahllofal jo erfältet ?* 

Epiliefe: „Das jerade nid, aber id habe do Müllern 
meine Stimme jejeben, 


” 


Shemannsfeufzer. 
Dem Atlas fhenkt viel Sympatbien 
Die Modedame leider: 
Yur Schule trägt der Badfiih ihn, 
Die junge Frau — jum Schneider. 


® 
Xus der Sdule. 


Lehrer: „Wann find die Flüſſe am gefährlichften ?* 
Karlden: „Wenn man fie in den Gliedern hat, jagt Papa.” 


* 


En gros. 


„Wieviel haben Sie während Ihres Aufenthalts in England 
wohl gebraudıt ?* 

„ira fünf Geniner.“ 

„Wie veriiche ih das?“ 

„Genau gerechnet 493 Pfund.“ 


> 


Dun das Album einer jungen Fran. 
Etell, was did an Heiz beglüdt, 
iemals in den Schatten; 

Wenn die Mofe jelbit ſich ſchmüdt, 
Schmüdt fie aud den Gatten. 


* 


Eben deswegen. 
Prachwolles Wetter heute!” 
Sie ſcherzen. Es gieht ja wie mit Fimern.* 
„ben deswegen. Ih bin Eheaterdireftor.* 


* 


In der Künſtlerkneipe. 

„Nun wie haft du den heutigen Zap verbradt ?* 

„Ach babe mich auf die Yeinwand geworfen.“ 

‚Tu baft alfo ſteißig an deinem Porträt gearbeitet ?* 

„Ad was! Geſchlafen habe ih, um das in der legten Nacht 
Rerjäumte nadyzubolen.” 

‚Und das nennit du ‚dich auf die Peinwand werfen‘ ? 

„Allerdings. Oder glaudſt bu, mein Bettlafen wäre Leine 


Yrinwand ?" 
C 3 
Scerzfrage. 


Weshalb find füdtige junge Aerzte als Ehemänner ſeht 
begchrt t 

Artwort: Weil man annimmt, daß fie ihre Krau 
bebandeln werden, —— 








Der geflirnte Simmel im Monat Auguſt. — Schmiedeeijernes Hausgerät. 


Der geflirnfe Simmel im Monat Auguſt.“) 


Bon den Planeten it in dieſem Monate Benus als Mor- 
genftern zu jeben. Sie erreiht am 21. ihren größlen Glanz. 
Auch Mars ijt am Abendbhimmel fidtbar und Saturn geht 
Zurz vor Mitternadht auf, Am 7, tritt der Bollmond, am 
14, das lehte Biertel, am 20. der Neumond und am 28. 
das erſte Viertel ein. Am 1. ftcht der Mond in der Erb» 
ferne, am 16. in der Erbnäbe. i 

In den Nächten um den 8, bis 12. Auguſt wirb man eine 
größere Anzahl von Sternjhnuppen wahrnehmen, bie ihren 
Ausgangspunft aus dem Sternbilbe des Perjeus nehmen und 
welde man beshalb „Perjeiden" nennt. Das Sternbild bes 
Perjeus fteht um Mitternacht dieſer Tage hoch am öjtlidhen 

immel. Im Süden des Himmels firablt der Helle Stern 
Yomelhaut, während in N der helle etwas rötliche Arkturus 
eben im Begriff if unterzugchen. Nah dem — 
prangt das Sternbild der Leier mit der funfelnden Wega. 


Schmiedeeifernes Hausgerät. 
Bon 3. Tulhmer. : 





Man it in gewilfem Sinne beredhtigt, unferer Zeit wieder 
den Beinamen der „eifernen” zu geben, wenn man beobadltet, 
wie dasjenige Material, welches nur bei den Niefenaufgaben der 
Technik feine mäßig bezahlten Dienfte Teilen, neuerdings wieder 
durch funftvolle Arbeit der Menſchenhand veredelt, feine Rolle in 
dem Shmud unferer Wohnungen angewieſen erhält, Schmiede 
eiſerne Veuchter, Hafietten, Garberobebalter, Lampenfüße und an« 
dered hat mit der neueren funftgewerblichen Bewegung wieder 
feinen Einzug in unjere Salons gehalten; es iſt willlommen ges 

eiken worben als neue Element, das durch die charalteri« 
iſchen Formen und die Zartheit feines Ornamentes eine Ab« 
wechſelung in die Holz⸗, Etud« und Brongeformen unserer Zimmer» 
ausflattung bradte. 

Mehr als wünfdenewert war namentlich uns Deutichen die 
Verwendung des Metalle zu unſern Hausmöbeln verloren ges 
nangen. Fur Bettitellen fand das Schmiederifen von jeher reich 
liche Anwendung in England und in Italim. Sein geringes 
Volumen bei großer Tragfähigkeit machſe es gerade zum Gerüft 
eines Möbels jehr braudpbar, bei dem Luftigkeit und Reinlichteit 
die höchſte Anforderung find, Während wir eijerne Bettftellen 


ne 
y N 


— — 





Echmiebreiferne Kaffette geſchloſſen· Don Hans Mayer in Münden, 


fat nur ala Motbehel für Dienftboten, für Kaſernen und 
ſtranlenhãuſer beftimmen, wird mit denfelbem in den genannten 
Yindern ein großer, allerdings nicht immer vom feinsten Ge— 
ihmad getragener Luxus getrieben; man überzieht die fihtbaren 
Zeile mit Mejlingblech, bildet aus Meſſingröhren hohe verihnöre 
telte Auffähe auf dem Kopf» unb Fußende, und ſchmüdt auch 

*) Huf viele Anfragen teilen wir hierdurch mit, daß bie Stern 
farte, welche dem eriten Hefte beigearben war. aub für neueintretende 
Abonnenten oder Cole, benen das Blatt abbanden gelommen ift, 
gegen Ginfenbung von 30 Piennig in Briefmarken durch bie Verlags 
handlung biefer Zeitihrift Ju beziehen if 


581 


wohl die Pfoften mit Glas oder Porzellanfnöpfen Der Katalog 
der weltberühmten Ausjtattungsfirma Mapple u. Go. in Yondon 
weiſt Stüde zum Preife von über 400 M. für das leere Geftell 
auf. Aber weit auzgebehnter und, wie wir leid) hinzufehen 
wollen, weit mehr durch die Hunft verihönt waren die Metalle 
— des griechifchen und römiſchen Altertums. Hier war eb 
ejonders die Bronze, die zu den meiflen derjenigen Zwecke ber« 
wendet wurde, zu melden wir bei Tiſchen und Stühlen das Holz 
anwenden, Dem mannigfaltigiien Gebraud dienten diefe leichten, 
zjierlichen, felbft bei fchlichtejter Behandlung immer mit unnadı= 
abmlicyer Grazie profilieren Geräte, die in allen Altertums- 
mufeen, in geradezu erbrüdender Menge aber im National» 
mujeum in Neapel vertreten find: Da jehen wir Seſſel, Stühle, 
Sofas, große und Meine Tiſche Samovars, Dofen, Eimer — 
am herrlichſten aber die zu vielfältigiten Zweden benutlen Drei« 
fühe und die Yaınpenträger, bie in zierliher Pflanzeniorm aus 
einem breiteiligen Fuße aufſchießenden Kandelaber. Dan kann 
annehmen, dab in der immerwährenden Umgebung diejer dünnen 
und zierlihen Möbel — neben denen ja auch derbere Stüde aus 
Holz und jelbit aus Stein eriftierten — das * des Menſchen 
des Altertums ſich weit mehr als das unſtige mitt dieſet Mager ⸗ 
feit der Formen vertraut gemacht hatte, 
Denn gerade darin liegt die Schwirrigleit, welder die Ein« 
führung des Schmiedeeijens bei uns jo oft begegnet: Wir find 
gewöhnt, unfer Hausgerät derber, förperlicyer zu jehen. Als Der 


Kaserhacn, 





Shmiebreiferne Raflette gebffuet), Don Han Mayer in Münden. 


mittelung Für dieje Schwierigkeit, welche eifernen Möbeln Immer 
entgegenfteben wird, bietet jih nur eines: das Clement der 
farbe. Und dies finden wir auch beim Gijen früher immer 
angewendet. Man kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß 
zur Zeit der Gotik und Frührenaifjance, dı man das Eiſen noch 
bäufiger zu Dausgerät verarbeitete, fein Stüd eriftierte, das nicht 
einen Meberzug von lebhafter Farbe gehabt hätte, Wenn diejelbe 
bei unfern Mufeumsjtüden jo häufig fehlt, jo find wohl aus. 
nabmslos die Reiniger und Neitauratoren dafür verantwortlid) 
zu madıen. 

Und fliliftiich fordert das Eiſen diefen Ueberzug unbedingt; 
wir wollen dabei von der praftiihen Forderung einer ſchühenden 
Dede genen den Roft gang abicher, da man dieje neuerdings durch 
chemiſche Prozeſſe ebenfalls erreicht hat. Allein erftens iſt das 
Material an ſich ohne jeden Reis. Man kann vom Zinn, vom 
Dei, ſelbſt vom Nidel jagen, dah fie in gepußtem Zuitand einen 
nur ihnen einentümlichen reizvollen Glanz baben. Beim Eiſen 
trifft Died nicht zu, aud fein Moft ift nicht wie bei der Bronze 
eine Beredelung, jondern eine Berunreinigung, 

Aber wir wollen gegen lehteren auch feinen ſchwarzen, etwa 
durch vergoldete Einzelheiten gchobenen Ueberjug: denn — und dies 
ift der zweite Grund, der für bunte Bemalung des Eiſens ſpricht 
— der an ſich Schon Lörperlofe Charakter diefer Ranlen, Stangen 
und Bänder wird durch Die Schwarze Farbe fait bis zur Unfihtbar« 
teit geſteigert. Gerade weil das Fifen dein Auge jo wenig Fläche 
bietet, möchten wir dieje Flache fo lebhaft geſärbt ſehen wie mög» 
id. Das Yinnoberrot, Orybgrün, Bergblau, Weih und Hell« 
gelb, das wir bei guterhaltenen gotiſchen Kirdengeräien von 
Gifen fehen, und auf weldem das Bold zur glängenditen Wir« 


582 Schmiedeeiiernes Bausgerät. 


fung kommt — alle diefe lebhaften Farben ſollten wir getroft 
wieder anwenden. Auch wer ſonſt feine Sympaibieen für bie “r 
teren bat, wird fie angenehm und wohltguend finden, wenn fie 
ihm in zarten, fchmalen Linien, auf den dünnen Schnörfeln bes 
ſchmiedeelſernen ãtes begegnen. 

Wit bezweifeln nicht, daß eine ſolche eng reden Behandlung 
des Eiſens demjelben nod weit jhneller die Vorliebe des Publi» 


fums erobern würde, als es biöher geſchehen iſt. Freilich mäfır 
noch eines dazu lommen, um ju verhindern, dab die lehterr ft 
nicht im ihr Gegenteil verwandelt. Das Gijengerät muß bant- 
Lich fein, Wir vergefien bei unferm Tradten nadı Stilrihtigfn: 
in neuefter Zeit nur zu gern, daß ein ſchönes Gerät nad altem 
Mufter, weldjes wir in die moderne Haushaltung einführen, vor 
allem braudbar fein fol! Wenn mir nun der Aunmſt ſchmied einm 





Shmieberiferner Rronleuchter für eleltriiched Pit. Don Hans Mayer in Münden. 


Petroleumlampenfuh, einen Handleuditer, eine Feuerzange ber» 
ſtellt, an deren jpigen Ranken id mir das Handgelenk verleke, 
fo wird das ftilvofle Gerät ſehr bafd feine Zelle einem glatten, 
ſchmudloſen Rivalen abtreten und auf das Bortbrett wandern. 

Zu verihiedenitem Gebraud werden heutzutage in allen 
Städten Deutihlands ſchmledeeiſerne Möbel verfertiat, oft in ge: 
fälliger Kombination des Eiſens mit blanfem Rotkupfer:; wir 
nennen von den befannteiten Mleiitern nur E. Buls und P. Marcus 
in Berlin, Miendorpf in Bremen, Sarıy, Sipf, Germann und 








Hammeran in Frankfurt, Kölbl in Münden, Gillar und Milde in 
Wien. Am beiten eignen ſich dieſe Arbeiten aber zu Beleudtungb- 
förpern , da die Dünne des Materials nur geringe Schatten, und 
damit ſchwachen Lichtverluft erzeugt. Ein befonderes Zufunftd- 
acbiet man fih dem ſchmiedeeiſernen Hausgeräte n in ber 
elektrischen Beleuchtung eröfftten, Die be, welche aus bet 
Werfitatt von Hand Mayer in Minden hervorgegangen. 
und die wir neben anderen Arbeiten desſelben Meiiters (S. 591) 
heute mitteilen, läht hierin das Beite erhoffen. 





Verantwortl. Herausgeber: W. Spemann in Stuttgart. Redalteur: Hof eph K ürf Gner ebenda. 
Nachdruck, auch im Gingelnen, wird firafrehtlic verfolgt. — Neberjehungsreht vorbehalten. 
Drud von Gebrüder Aröner in Stuttgart. 


Mm 


Don Interlaken zum Großen St. Bernhard. 


Bon 


d. Herzfelder. 


Be 3 






Nicht als ob wir von Interlaken 
fofort mit beiden Beinen in 
das italifche Gefilde hineinzu- 


a 

EV 
fpringen gedachten. Wußten wir doch, welche 
Berge und Thäler zwifchen uns und unfer Ziel 


gefhoben waren! Aber aus den umbüfterten 
verregneten Schweizer Bergen baldmöglichft in 
das fonnige Land der Eitronen zu flüchten, war 
der ſehnliche Wunfch, der uns früh vom Lager 


SR ‚ach Stalien!“ Tautete die | 
* BEN Loſung in der fünften Morgen: | 


AN | ftunde des 18. Auguft 1881. 


trieb. Aufgegeben ward der frühere Plan, über 
die Grimfel oder Gemmi ins Wallis einzubre: | 


hen, vielmehr der zeitlich Fürzefte Schienenweg 
nah Martigny gewählt, um von da zum Großen 
St. Bernhard hinaufzumallen. 

Als ung die Bödelibahn in zehn Minuten 
in Därligen abgejett hatte und mir das nafje 
Ded des Dampfichiffs betraten, jah es um und 
über und verwünſcht grämlich und greulich aus, 
In langen Tüchern Hingen die Wetterwolfen 
bis in den Thuner See herein, deſſen Wellen 
in mißfarbigem Grau ans Ufer fchlugen, der 
Mind pfiff unheimlich über das Waſſer und 
hinter ung, in Interlaken, brodelte ein ſchwarzer 
unheilvoller Hexenkeſſel. Vor und aber, weit 
gegen Weiten, leuchtete es hoffnungsvoll auf, 
lichte Streifen fäumten das aufbämmernde 
Flachland, leicht und Iuftig flatterte dort das 
Gewölk auseinander, das Thermometer unjerer 
Stimmung ftieg bereits über den Gefrierpunft. 
Und als nun Pafjagiere, Kiften und Kaften 
eingeladen waren und das Boot in die dunfle 
Flut Hinausdampfte, da ward von Minute zu 
Minute der Himmel freundlicher, der Mind 


Den Thuner See teilt eine leihte Krüm- 
mung in zwei Beden. Der obere Teil, ſchmäler 
und ernfter, wird von den fahlen Ralligenftöden 
im Norden und füblic von den wald: und wei: 


‚ dereihen Hängen des Morgenberghorns um: 


faßt; um die felfige „Nafe”, an den „Kalten 


Kindbetten“ vorüber, eilt das Schiff in die 


günftiger, und die malerifchen Geſtade, frifch: | 
' Kaufladen an Kaufladen, Schenke an Schente 
Klarheit der Morgenbeleuchtung vor den Bliden. | 


gewafchen und fauber gebürftet, lagen in aller 


So heitere Fahrt hatten wir nicht erwartet. 


untere Seelammer hinaus, die, weit ausgerun— 
det und gegen Weſten flad) ausbuchtend, rechts 
und linf3 an vorfpringenden Hügeln eine Fülle 
anmutigfter Veduten zeigt. Zuerft am linfen 
Ufer Spiez mit der vieltürmigen Burg bes 
Herrn von Erlah, dem modernen Schloßbau 
des Hotels, dem grauen Kirchlein daneben und 
den hochwipfligen Bäumen dazwiſchen, ein 
wahres Kabinettsſtück idylliſcher Landſchafts— 
malerei, dann am rechten Ufer die zierlichen 
Penſionshäuſer von Gunten, darüber der hohe 
Rebenhügel mit dem Dörfchen Sigriswyl, 
Oberhofen und das romantiſche Feudalſchloß 
der Grafen von Bourtal&s, der preußiſch-roya⸗— 
liſtiſchen Granden von Neufchatel, und endlich 
weiter gegen Thun Villen und Sclöffer, aus 
reihen Gärten ſchauend, vor allem Schloß Scha— 
dau, im englifch-gotifchen Stile übervoll orna- 
mentiert, von einem prunfvollen Park um: 
ihlofjen! Die Pyramide des Niefen und die 
blauende Kette des Stodhorns traten hervor, 
ala wir in Scherzligen landeten, von wo uns 
der Dampfwagen in kurzer Zeit nad) Bern ent- 
führte. 

Den dreiftündigen Aufenthalt allda nüßten 
wir ergiebig aus. Durd die Straßen diefer 
Stadt zu flanieren, hat mir immer ein gemwilles 
Behagen bereitet. Die mäßig hohen Häufer, 
aus grauem Sandftein folid aufgeführt, ruhen 
auf maffiven Bögen, unter deren offenen Hallen 


ftößt und ein rühriges Volt hin und her haftet; 


die Fenfterausladungen find balfonartig ver: 
74 


584 


3. Bersfelder, 


gittert und auf den roten Polſtern über dem | „Burgerlärm“, fein Haupt unter das Beil le: 


Geſimſe fitt jung und alt, auf die Straße | 


gaffend; nirgends fehlen die grünen Jalouſie— 
Läden, und mächtige Thorflügel führen in ebenfo 
mächtige Flurräume. Maffige Türme mit 
hochgejprengten Durchläſſen teilen die Straßen 
ab, an Märkten und Plätzen raufchen alter: 
tümliche, figurenreiche Brunnen, und allerorten, 
wo es nur anzubringen war, prangt in Erz, 
Stein oder Holz als Scilvhalter oder Eden: 
jteher das befannte Wahrzeichen von Bern, der 
Bär, Freund „Mutz“, wie die Berner ihren 
Liebling heißen. Das ift das alte Bern, auf 
einer Felſenbank hoch über der Aare angelegt, 
jeine Phyfiognomie fonfervativbehäbig, altväte: 
riſch-derb wie feine Bewohner, aber auch ebenfo 
pfahlbürgerlih, progig und abgejchlofjen wie 
diefe. Heller und ſchmucker präfentiert ſich die 
Neuftadt. Das Bundespalais, Mufeum, Ber: 
ner Hof u. ſ. w., wirkliche Prachtzeugniſſe der 
modernen Kunft, deuten darauf hin, daß hier 
ber Negierungsfig eines freien regjamen Volkes 
jich befindet und daß die patricifche Häuferburg 
der inneren Stadt ein ſteinerner Anachronismus 
it. Um Mittelalter und 19. Jahrhundert legt 
ſich hier aber gleichfreundlich ein Kranz der ge- 
fälligften Promenaden. 


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Als wir jo am Erdgeſchoß der Häufer unter | 
den fühlen „Lauben“ dahinfchritten, erinnerte | 


ich mich daran, welch ein hoffärtiges Geſchlecht 


dereinjt in diefen Räumen gewaltet, welch ein 


volfsbedrüdendes Negiment die bevorrecdhteten | 
Batricier geführt. Noch im vorigen Säfulum | 
haben die regierenden Zweihundert, die fid | 


Monfeigneurs betiteln liegen, den Kaufleuten 
und Gemwerbetreibenden, wenn fie Waren oder 
Werkzeuge trugen, den Durchgang durch diefe 
Arkaden unterjagt, auf daß die weitbaufchenden 
Neifröde ihrer Frauen und Töchter nicht be: 
läftigt würden. Wie die Geburtsariftofratie, die 
ausſchließliche Befigerin des Weinzehnten, die 
Landſchaften Waadt und Freiburg bedrüdte, iſt 
fattfam befannt. Auch innerhalb der Ping: 
mauern der Stabt ift viel unſchuldiges Blut 
gefloſſen, jedes freiheitliche Gelüfte der Bürger: 
ſchaft wurde mit Tortur und Henfersblod ge: 
ahndet, und wenn auch Die Gerechtigfeitägafie 
heute noch befteht, die Junkergaſſe in der Nähe 


gen, weil er es verjucht hatte, Die Macht der 
hochmütigen Bevorredhteten zu Dämmen. Ein 
Fragment aus Leifings Jugendzeit liegt noch 
vor, nad) welchem der große Geiitesapojtel den 
Opfertod Henzis in einer Tragödie verherrlichen 
wollte. 

Wir fchlenderten die Straßen auf und ab, 
wobei wir und weiblich darüber erzürnten, daß 
die Stabt ſich augenfällig immer mehr „fran: 
zöftert“, und wendeten uns dann zum Müniter, 
diefem Meifterbau der Spätgotif, von Matthes 
Heinz aus Straßburg im Jahre 1421 begonnen. 
Leider haben fie dem Turme eine Notfappe auf: 
gejeht, wie das aud an anderen Orten der all, 
wo es zur Vollendung an religiöfer Wärme 
oder am Gelde fehlte. Das Hauptportal mit 
den reihen Sfulpturen und fteinernen Blumen: 
ranken des Meifters Nikolaus Künz war von 
Engländerinnen belagert, die mit Najenzwidern 
und Zeichenheften bewaffnet waren, wir zogen 
uns deshalb auf die Münfterterrafje zurüd, 
wohl eines der anheimelndften Buenretiros 
der Schweiz. Wie erquidlich ift die Raſt unter 
ihren fchattigen Baumfronen, zumal wenn, wie 
heute, der Ausblid auf die Oberlandsberge ge: 
aönnt ift! Ohne den Bärenzwinger aufzufuchen, 
in weldem aus dem Stabtfädel eine Familie von 
Atta Trolle Geſchlecht unterhalten wird, fehrten 
wir zum Bahnhof zurüd, um dem Genfer See 
zuzujteuern. 

Bon Freiburg an find wir mitten im fran- 
zöſiſchen Sprachgebiete, aus dem wir eine lange 
Zeit nicht mehr herausfommen follen, und aud) 
im Wagen vernimmt man fein deutjches Wort 
mehr. Ueber die jühe, von Sandſteinflözen 
eingerammte Glaneſchlucht fett der Zug, an 
hochanfteigenden Wäldern fliegt er vorüber, 
Wieſen und Getreidefelder wechjeln mit welligen 
Hügeln und eingefchnittenen Thälern, die Berge 
des Simmenthals treten hervor und verſchwin— 
den, und jene mächtigen, zerfägten Felſenrücken, 
die links in weiter Ferne dunfeln, es find bie 
eriten Grüße des Savoyer Landes. Auf ein: 
jamem Hügel liegt das Städtchen Romont; mit 
jeinen Mauertürmen, der jchwerfälligen Burg, 


den alterögrauen, hodjtrebenden Anfigen erin: 


| 


belehrt und, daß die hochmögenden Herren die | 


Gerechtigkeit jehr junkermäßig traftierten. Anno 
1749, dem Geburtsjahre Goethes, mußte der 
edle Samuel Henzt, der Führer im fogenannten 


| 


nert es an bie fräftigen Holzichnitte aus Geb. 
Münſters „Kosmographey“. leid ihm aus 
dem Mittelalter in die Neuzeit hereingebannt, 
erfcheint in der fruchtbaren Tiefe, die bis zum 
Jura reicht, das ſchwarze finftere Städtchen 


Don Interlafen zum Großen St. Bernhard. 


Rue, und fpäter, an der Bahntrace felbit, das 
Felſenſchloß Dron:le:Chatel. Wir aber ſchauen 
mehr nad Süden aus, wo aus ſchweren Nebel: 
maſſen, die immer nod) herummogen , bald die 
Eisfuppe des Montblanc, bald die leuchtende 
Dent du Midi herausfpäht. 


585 


Der eingelullte See, Gebirg und Thal 
AU in ein einzig lebend Eins verflieht, 
Darinnen jedes Lüften, Blatt und Strahl 


‘ Anteil am Dafein hat und mitgenießt, 


Nun eilt der Zug abwärts, wir find in | 


Cherbres und fönnen faum erwarten, bis wir 
aus dem langen Tunnel von Corvallaz heraus: 
treten. Cin Pfiff ertönt, es wird Licht, män- 
niglich jtürzt an die Fenſter, 
züden fejjelt uns alle. 


Ufer des Genfer Sees! Da liegt er zu unferen 
Füßen, achtzehn Stunden weit in halbmond: 
förmiger Krümmung ausgejtredt, blauſchim— 


| 


lautlojes Ent: | 
Aus der Naht des | 
Bergihlundes plößlich heraus an die fonnigen .| 


1 


mernd im Mittagslicht, der unfterblihe Lacus | 


lemanus. Nur die ſüdweſtliche Spite, von 
Nyon bis Genf ftromähnlid verlaufend, der 
„Kleine See“, iftunferen Bliden entzogen; vor 
uns aber am nördlichen Ufer ruhen an Reben: 
bügeln, Rajtanienhainen und Objftgeländen die 
zahllojen Villen, Yandfise, Dörfer und Städte, 
alle anmutig und heiter wie ber fommerliche 
Glanz des Waſſers, 
favoyische Geſtade unmirtlih und düſter auf: 
jteigt, von ernjten Höhen ummauert. Welche 
unvergänglichen Namen find doch an diefen See 
gelettet! Calvin und Serveto, Voltaire und 
Nouffeau, Matthiffon und Bonftetten, Julie 
Bondeli und Frau von Stail, Gibbon und 
Byron und jener Dichterjüngling Shelley, „ein 
Atheift, der heiß nach Gott gerungen“. 
viele weltichmerzlichen Thränen find jener neuen 
Heloife geflofjen, die der Genfer Vhilofoph in 
die Gefilde von Clarens gezaubert! Wie viele 
auten und ſchlechten Verſe haben dieſe Ufer 
hervorgelodt, von Friederife Brun bis zu Luiſe 
von Plönnies: 


„Die Sonne fintt. Ein purpurfarbner Duft 
Schwimmt um Savoyens dunfle Tannenhügel, 
Der Alpenfchnee erglüht in hoher Luft, 
Geneva malt fich in der Fluten Spiegel.“ 


Diefe Verſe Matthiffons hat wohl jeder 
Gymnafiaft einmal recitiert, und mande aſch— 
lodige Tochter Albions lieft heute noch beim 
jummenden Theefefiel die Strophe Childe Ha: 
ralds: 

„Himmel und Erd' iſt ſtill, doch ſchlafend nicht, 
Nur atemlos wie tiefſte Wonn' und Dual, 
Wenn allzuvoll das Herz nicht ſeufzt und ſpricht. 
Himmel und Erde ift ftil — der Sterne Zahl, 


Wie | 


Was ſchaffend all erzeugt a? ——— all um: 

Vom hocgelegenen Laufanne führt die 
Bahn, dem öftlihen Horn des Halbmonds zu, 
immer am See in derjelben Richtung zurüd, 
bie fie von Cherbres her genommen, nur daß fie 
jeßt tief unten das Ufer entlang zieht, während 
über ihr die Berner Linie läuft. Dieſe zauber: 
hafte Fahrt zu fchildern, ift unnötig, wenn man 
nur die Namen Vevey, Clarend, Montreur, 
Glion, Chillon nennt. Die heiße Luft flim: 
merte über dem See, den der Mittagswind, 
bier le r&bat genannt, in leichten Wellen fräu: 
felte. Ein wunderſames Farbenfpiel zeigte der 


\ fanft gehobene Spiegel: in der Ferne dunfel: 


während gegenüber das | 


blau wie Italiens Himmel, fpielte die Flut in 
lihhtgrünen Schäumen ans Ufer, während in 
der Mitte weißgraue Striemen über das Waſſer 
zogen; am füdlihen Rande aber, hart an die 
dunfeln Wälder, die über das Felſengemäuer 
herabflimmen, legte ſich der See in ſtahlſchwarzer 
Glätte an wie ein metallener Schild. Einjam 


' war eöüberden Wogen, nur von Evian herrührte 


I 





ein lateinifches Segel feine feltfamen Flügel. 
In Chillon ftiegen viele Reifende aus, um 
den Kerker Bonnivards, berühmt durch Byrons 
Gedicht, zu befuhen. Das Schloß mit den 
vielen Ecktürmchen und den fürdhterlichen Ver: 
liegen unter dem Seefpiegel bildet ein Seiten: 
ſtück zur Pfalz im Nhein, doch wirkt diefe viel 
mädjtiger, da fie mitten aus dem Strom her: 
auswächſt, während Chillond Mauern gar zu 
nahe dem Strande aufragen und die Brüde, 
die hinüberführt, das Inſelbild beeinträchtigt. 
Wir durften nicht verweilen, weiter flogen wir, 


‚ unter dem Nighi Vaudois hinweg; in Ville: 
; neuve, 


wo die jchweren dunfelblauen Trauben 
über die Mäuerchen der Vignen herauöhingen, 
fagten wir dem einzigen See lebemwohl. 

Wir fuhren nun im Thal der Rhone auf: 


“ wärts, das, anfänglich eine breite fchilfbewachfene 
‚ Niederung, bald das Gepräge eines großartigen 


' hält. 


Gebirgöfpaltes annimmt und weit hinauf be: 
Vorüber ziehen die Weinberge von 
Morne, die auf dem Bergiturze von 1584 
fröhlich gedeihen, die [hmwarzen Marmormauern 
von Aigle und die Schlucht, die zu den Ormont: 
thälern aufwärts zieht; Ber mit den jtattlichen 
Salinenbauten bleibt links liegen, nahe an das 


586 


Geleife tritt jet die trübe wildſchäumende 
Nhone, die ih einft von ihrer Gletfchermwiege 
am Galonftod bis zum Eintritt in den See 
begleitet, und zwifchen der Dent de Morcles 
und ber Dent du Midi, den hohen beeiften 
Bergpfoften, hindurch brauft der Zug in den 
Tunnel hinein, an defjen Ausgang St. Mau: 
tice, das alte befejtigte Städtchen, liegt. Die 
düftere Abtei, nad) der Sage fhon im vierten 
Jahrhundert gegründet und noch jetzt von Au: 
quftinerchorherren bewohnt, war einft der Schau: 
plaß einer fürftlihen Greuelthat. Die Söhne 
Shlodwigs, des Merowingers, bradhen, von ihrer 
Mutter verhegt, in das heilige Aiyl, das den 
vertriebenen Burgunderfönig barg, und unter 
ihren Händen verblutete der wehrlofe Greis, 
ihr eigener Oheim. 

In St. Maurice verliegen wir die Wagen 
der „Suisse oceidentale“ und ftiegen in ben 
Schnedenzug der Simplonbahn, die vorläufig 
nur bis Brieg geht. Dort wird fie wohl aud) 
iteden bleiben, wenn der geplante Montblanc: 
tunnel das Gimplonprojeft aus dem Felde 
ſchlagen follte. 

Als wir weiter fuhren, war aud) das letzte 
Wölkchen verflogen. Im Thalhintergrunde 


| 
| 





tauchte ein breiter, hochüberfirnter Bergfceitel | 


auf, ed war der Mont Velan, der eigentliche 


Gipfel des Großen St. Bernhard, dem wir | 


morgen noch näher treten wollen. Vor Vernayaz | 


bligt e8 hell zwifchen den Felsſpalten auf, bie 
Piſſevache, der Waflerfall der Sallenche, donnert 
mehr als 200 Fuß Hoch über die fchroffe Wand 
herunter. Auch aus dem Wagenfenfter gejehen, 
bietet fie ein prächtiges Schaufpiel. Es find 
ſechs Jahre verflogen, feit ich den fchmalen 


Ziegenfteg hinauffletterte und über dem lauten 
ı hinaus gegen die Brüde, unter der die wilde 
| Dranfe der Rhone zueilt, und blidten in die 


Waſſerſchwalle ftand. 
Kaum hatten wir VBernayaz im Nüden, da 


that fich drüben an den Felſen ein anderes Na: 
Abendglanz überftrömte. Schon in tiefe Schatten 


turwunder auf, die Gorge du Trient, jener 
enggemundene ftromdurchraufchte Bergriß, ber 
in feiner ſchauerlichen Lage die Taminafchlucht 
weit überholt. Nur den klaffenden Spalt des 
Schludteingangs durften wir aus ber Ferne 
betrachten, wollten wir noch rechtzeitig ans Ziel 
gelangen, und fo legten wir uns mit Stiller 
Hefignation in die Kiffen zurüd, bis der alte 
Turm La Battiaz vom rebenbewachſenen Berg: 
fegel grüßte. Wir landen in Martigny. 
„Martigny:la:ville*, das Octodurum ber 


Nömer, das Goethe noch im jahre 1779 mit | 








I. Gerzfelder. 


jeinem deutjchen Namen Martinach bezeichnete, 
iſt ein altes verblichenes Neft. Zwar nimmt ſich 
die breite Hauptitraße, mit modernen Gajthöfen 
und dem verweſten Glanze etliher patricifcher 
Häufer prahlend, etwas behäbiger aus, feine 
winfeligen Nebengaffen aber find bettelhaft, 
eng und dumpfig, wahre Funbdjtätten für das 
Skizzenbuch motivehafhender Maler. Ueberall 
unverpugte Wände, fenterlofe Deffnungen, je 
nach Bedürfnis quer und frumm in die ver- 
ſchwärzte Mauer gebrohen, Balfons mit ver— 
roftetem Gitterwerf, Thüren, die nicht Schließen, 
Läden, die nicht Happen, und als Staffage 
finftere verfommene Menden, oftmals fieber- 
franf und blaß — das iſt annähernd das Bild 
jener Stabt, die vor Jahrhunderten fogar der 
Herrſcherſitz mächtiger Biihöfe war. Nur der 
Promenadeplaß, von befjer erhaltenen Bauten 
umgeben, mit Platanenalleen bejegt, macht den 
Eindrud des Eivilifierten. Dort fteht feit eini- 
gen Jahren auf ſchmalem Piedeſtal eine ſeltſame 
weibliche Büſte. Wild wogen ihr die Haare um 
die hohe Stirne, das Geſicht kehrt fich ung ftreng 
und troßig zu, über die gehärteten Züge jcheint 
e3 wie der Rauſch einer vergeiftigten Mänade 
zu fliegen. Keine gemeine Künftlerhand hat fie 
geichaffen, fie ift das MWerf Courbets, des Helden 
der Kommune, der in heroftratiihem Eifer die 
VBendomefäule zerftörte. Libert4 nannte er fie 
und foll fie der Stadt geſchenkt haben, aber die 
quten verpfafften Bürger wußten wahrjheinlich 
nicht, was mit der Freiheit zu machen fei, und 
jo ift jet furz und bündig darunter zu leſen: 
Helvetia. Ob fie ein Seitenftüd oder nur eine 
Kopie jener Freiheitsbüfte ift, die Courbet der 
Stadt Vevey ſchenkte, Tonnte ich nicht erfahren. 

Wir wanderten wieder zurüd, zur Stadt 


herrlihe Thalweitung hinaus, bie ber letzte 


getaucht, hof im Süden die hochgetürmte Wand 
mit dem Zeigefinger auf, die fie Pierre a voir 
nennen, aus dem weftlihen Thaljpalte äugelten 
die Aiguilles rouges hervor, gegenüber traten 
die Schneehäupter des Berner Oberlandes her= 
aus, hier an ihrem füdlichen Abhang fo gedrückt 
und befcheiden, dak man fie faum wieder er: 
fennen fonnte, und weit hinauf zerfloffen in 
weichem Duft die Höhenzüge um Sion und 
Leuf. Wie gerne wären wir noch weiter ge— 
wandelt, hätte uns nicht die einfallende Däm— 


Don Interlafen zum Großen St. Bernhard, 


merung und ber fnurrende Magen an die Nüd: 
fchr gemahnt. 
Bei Tiſche ſchien die Gefellfhaft, die meiſt 


aus Engländern beſtand, ein willkommenes 


Stillſchweigen bewahren zu wollen, als unſer 


Unſtern noch eine alte knöcherige Miß herein— 
führte, die ſofort alle Hoffnungen auf ein ruhiges 
Zuſammenſein zerſtörte. Sie ſprach oder viel: 
mehr belferte unnachläſſig fort, und dabei ziſchte 
fie die Worte fo nachdrucksvoll heftig durch die 
Zahnlüden heraus, daß die Gegenüberfigenden 
wie Belagerte erichienen, die ein Bombarbement 
auszuhalten haben. Verſtändnisvoll wadelte 
dabei ihre große Blondenhaube hin und her, 
und die vielen maffiven Ringe an ihren Fingern 
Happerten auf Tifch und Teller den Takt dazu. 
Keiner wagte fie anders als mit dem befannten 
langgebehnten „Yes“ zu unterbredhen oder 
vielmehr zu accompagnieren, und diefes geiſt— 
lãhmende Wörtchen wurde vom britifchen Chorus 
fo mechaniſch und fanonmäßig gehandhabt, daß 
uns ſchließlich der fühe Pudding jauer im Munde 
wurde. Wir leerten unfere Flafhe Wallifer 
Landweins und eilten auf unfer Zimmer, das 
nötige Handgepäd für eine einwöchentliche Fu: 
wanderung herzurichten. 

Des anderen Tages in früher Morgendäm- 
merung führte uns unfere Straße dem Großen 
St. Bernhard zu. Wenn wir die Reiſehand— 
bücher nachſchlugen, fo fanden wir zwar überall 
die Hinweifung auf gefchichtlihe Erinnerungen, 
die ſich an diefen Hochalpenweg fnüpfen, aber 


alle wollen uns glauben machen, daß er weniger | 


ſchön ala berühmt fei und daß er vor den übri- 
gen Bergpäfjen nad Italien weit zurüditehe. 
Berlepſch, der den Mund immer etwas voll 
nimmt, redet fogar von Langeweile und Ent: 
nüchterung. Nun, wir fennen die meijten 
Schweizer Uebergänge nah dem Süden, be: 
fonders Gotthard, Simplon und Bernina, aber 
noch find wir nicht fo blafiert, daß und gerade 
nur das Schönfte gefiele und daß wir uns den 
frifhen Genuß neuer Bergfcenen durch ängjt: 
fihe Vergleihung mit früher gefehenen ver: 
kümmern liegen; auch find wir nicht Neulinge 
genug, um der Gejhmadsrihtung roteinge: 
bundener Bücher unfer Urteil ohne weiteres 
auszuliefern. 


Deſſen waren wir jedenfalls ficher, ala wir | 


von Martigny auszogen, daß wir eine Straße 


wandern würden, deren Marfjteine zugleich die | 
Gedenffteine einer zweitaufendjährigen Geſchichte 


587 


| find, und daß uns bis zum Hofpiz Hinauf die 
| gewaltigen Schatten von Völkern und Heer: 
| führern zur Seite gingen. Denn was ift nicht 
' alles über diefen Felfenpaß herüber und hinüber 
geflommen! Römer und Longobarden, Franken 
| und Burgunder, Ungarn und Sarazenen, Deiter: 
' reicher und Franzofen, Klerifer und Laien, rö— 
miſche Päpfte, deutſche Kaifer und zulett noch, 
in fünftägigem Gemwaltmarfche, das Heer des 
' großen Konfuls, des forfiihen Imperators! 
An den Zug Hannibal zu denken, verbot mir 
mein biftorifches Gewifjen. Denn wenn id) mir 
auch nicht anmaße, in das Gezänke der Gelehr: 
ten einzugreifen, die in Fleinlicher Zerfajerung 
| 
| 





des Polybius und Livius bald für den Großen, 
bald für den Kleinen St. Bernhard, bald für 
den Mont Cenis und bald wieder für den Mont 
Genèvre als Uebergangspunft des punifchen 
Heeres ftreiten, fo ſcheint mir doch nach allem, 
was ih als Dilettant von den Akten dieſes 
Prozefjes kenne, die Anficht des Abbe Ducis, 
daß Hannibal über den Großen St. Bernhard in 
das Noftathal Hinabaeftiegen fei, die faben: 
iheinigfte und unhaltbarjte zu fein. Er hätte 
| ja, von Gallien heraus, um den Genfer See 
ziehen müſſen, und davon zu berichten, hätte der 
umfichtige Polybius gewiß nicht verfäumt. Ver: 
zichten wir alfo auf den großen Karthager! Es 
bleibt uns doch noch genug. Vor allem die 
waffenklirrenden Kohorten der Römer! Schon 
' hundert jahre vor Chriftus fannten die Kultur: 
‚ träger der Alten Welt diefen Wolkenſteg, und 
nachdem im Jahre 26 v. Chr. das heutige Nofta, 
| die Augusta Praetoria Salassorum, ihren 
| Heeren einen fejten Stützpunkt gab, da führte 
‚ über den denfwürdigen Paß jahrhundertelang 
die römifche Militärs und Handeläftraße in die 
norböftliche Schweiz nad) der großen Soldaten: 
folonie Augusta Rauracorum (dem derma— 
ligen Fleden Bafel:Augjt), die 2. Munatius 
Plancus im Jahre 27 v. Chr. gegründet hatte. 
Den Felfengrat des Bernharbbergs be: 
feftigte der Ditgotenfönig Theodorich, den die 
Sage als Dieterih von Bern (Verona) ver: 
herrlicht, über ihn ftürmten die Longobarden, 
um ſich an der Felſenfeſte Bard die Schädel 
‚ einzurennen, zogen die Heere Karla des Großen, 
er jelbit in den fahren 773, 787 und 801, das 
legte Malum Weihnachten im ftrengjten Winter: 
froſt und nad) ihm jeine weibiſchen Nachfolger 
Karl der Kahle und Karl der Dide. 
Wohl erwuchs der Straße des heil. Bern: 





588 


hard ein gefährlicher Rivale im Mont Cenis, 
feit um das Yahr 700 das Klofter Novaleje bei 
Sufa gebaut ward, die Franken auf diefem 
Berge ihre fejten „laufen“ errichteten und, 
von Ludwig dem Frommen geftiftet, ein Hofpiz 
jich dort erhob; doch weit über das Mittelalter 
hinaus wimmelten allfort die Pfade des Bern: 
hardspafjes von Bilgern und Kaufleuten, Fürjten 
und ihren Kriegern. Kaifer Arnulf beſetzte 
ihn im Jahre 894, die Eleinen fchligäugigen 
Ungarn jagten auf ihren Naubzügen über ihn 
hinweg, und nad) der Vernichtung der Araber 
durd Karl Martell nifteten ſich ſarazeniſche 
Horden, aus der fchönen Provence heraus: 
geworfen und zerfprengt, in den walliſiſchen 
Bergen ein und plünderten die wehrlofen Wanz 
derer, bis endlich ihren Näubereien der Garaus 
gemacht wurde. Noch heute geht man in den 
Seitenthälern des Wallis den Spuren farazeni- 
ſcher Niederlaffungen mit Erfolg nad, und im 


Saasthale mahnen die Namen Almagel und | 
ı meilenweit Hlaftertiefer Schnee Berg und Thäler 
ı füllte, peitfchte der Wille diefes einen eine 


Allalin und am Simplon der Namen Algaby 
an die Sprade der Araber. 

Burgundifhe Fürjten von Nubolf dem 
Großen an, führten ihre Neifigen über den 
Pak; ihnen folgten die Mannen der deutichen 
Kaifer, ala Konrads des Zweiten, Friedrich Rot: 
bartö und zulett noch Sigismunds; die Fähn— 
fein ihrer Vaſallen flatterten auf den ungaft: 


| 
| 


’ 





lihen Bergwegen, jo 3. B. im jahre 1163 | 


des Hilfsheers Bertholds von Zähringen. Wie 
früher ſchon die Päpfte Stephan IV. und 
Gregor IV., jo mußte fih aud Leo IX. be- 
quemen, über den Großen St. Bernhard in das 
barbarifche Deutichland hinabzufteigen. 

Zahllofe Scharen von Rompilgern, voran 
die Frommen aus Angelſachſen und Island, 
durdjitreiften fhon vor dem Jahre 1000 die 
wüfte Gebirgsöde, um an den Märtyrerftätten 
der heiligen Stabt zu beten, Laien jeden Standes 
betraten fie, die zu Rom Dispenfe und Indul— 
genzen um teures Geld erfauften, und Geiſt— 
liche, darunter hohe Mürbenträger der Kirche, 
wanderten durch die Schrednifje der Alpenmelt, 
um in Rom Befisitreitigfeiten zu regeln, Ab: 
läffe zu erbitten und wohl aud mit obligater 
Biederkeit zu intrigieren. 

Die Saumtiere der Kaufherren brachten 
aus dem Welfchland herüber Weihrauh und 
Gewürze, Arzneiftoffe und glutige Weine, 
manchmal auch allerlei Curiofa, 3. B. Affen, ja 
einmal fogar einen Elefanten; der Norden da: 


I. Berzfelder. 


gegen fandte feine Getreide, Vieh, Fiſche, Honig 
u.f. mw. Die Hauptzollftätte war zu Aoſta. 
Nicht alle, die da hin und wieder zogen, 
famen heilen Zeibes davon, viele überfchüttete 
die Lawine, Roß und Neiter jtürzten im die 
grundlofen Klüfte, und im verräterifchen Schnee 
erftidte mancher norbifhe Barbar. Die Ge: 
retteten wifjen aber in den Stinerarien, die und 
noch erhalten find, nicht genug zu erzählen von 


ben Gefahren, denen fie entronnen, von den Un: 
bilden des Wetters, denen fie beinahe erlagen; 


ein heißes Danfgebet ſchließt alle Berichte. 


Solchen Bedrängnifien des inzwiſchen ver- 


fallenen Weges trotzte in der Neuzeit noch jener 


Einzige, der nicht lang vorher aus dem Sande 


der afrifanifhen Wüſte zurüdgefehrt war. Bo: 
napartes Zug über den Großen St. Bernhard, 
von der Liebebienerei napoleonifcher Legenden: 
ichreiber übermäßig ausgefchmüdt, bleibt immer: 
hin ein kühngewagtes, ruhmvolles Unternehmen. 
In der Zeit vom 17. bis 21. Mai 1800, als 


Armee von 30000 Mann von Martigny bis 
Aoſta; über Fels und Eis hinweg, an graufigen 
Abgründen vorüber, trieb er Mann und Roß 
mit allen Hilfämitteln, die ein fharffinniger und 
rückſichtsloſer Geift zu erfinnen vermag; auf 
Kufen und in hohlen Bäumen wurden die Ge— 
ſchützrohre hinaufgefchleift, und ihn kümmerte 


es nicht, wenn da und dort erfchöpfte Krieger 


nieberfanfen, dem ficheren Tod verfallen. Noch 
Monate fpäter war ein Engländer, den ber 
Führer Couttet zum Hofpiz geleitete, über bie 
Menge von Gebeinen erjtaunt, die rechts und 
links vom Alpenwege bleihten. Schon am 
2. Juli 30g der Konful in Mailand ein, am 
14. pflüdte er auf dem Schladtfeld von Mas 
vengo ein neues Nuhmesblatt, mit Defairs 
Blut beträufelt. — 

Doch allzuviel der gefhichtlihen Seiten: 
iprünge! Bleiben wir hübſch auf der Laub: 
ftraße, die jet breit und gediegen an ben 
Bergrändern des Val d’Entremont hinanzieht! 


Miderlegt doch fhon, nachdem wir Martignys ı 
le:Bourg und die Nebenhügel hinter uns haben, \ 
an denen der „Coquempey” und „La Marque” \ 


reift, der Eintritt in diefes Engthal all bie 
Bedenken und Kritteleien unferer Reiſebücher! 
Wir finden freilich feine tannendunkle Felſen— 
fluft wie an der Via mala, feine ſchwindligen 
Bergkehren wie über der Saltinefchlucht der 


Don Interlafen zum Großen St. Bernhard, 


589 


Simplonſtraße, aber mit fedem Pinfel hat aud | weg von unferem Thale, über eine 2000 Fuß 


mer Natur frifche, originelle Gedanken hinge: 
worfen, und ein erhebendes Bild um das andere 
entrollt fich, jo oft wir mit der tief unten 
braufenden Dranje um eine neue Thalbiegung 
!ommen. Während zur Nechten die Höhen mehr 
zurückweichen und an den Staffeln der Vorberge 
armfelige Weiler mit braunen, eng aneinander: 
aerücdten Holzhütten fleben, zieht linfs über dem 
Wildbach eine lange araue Felſenmauer fort, 
ichroff ausgezadt, von trodenen Runſen durch— 
iurcht, vom Wetter verwaſchen; und weit an 
ihren jteinernen Rippen hinauf jteigen bie 
Aeckerchen der armen Thalbewohner, mühſam 
gepflegt und durch Mäuerchen geſtützt wie 
unſere Weinberge am Rhein und Main. Immer 
ernſter und härter wird der Charakter der Land— 


ſchaft, und doch tritt noch die Edelkaſtanie hart 


an das Bett des Gletſcherwaſſers, ihre ſchmalen 
dunkeln Blätter glänzen im Sonnenlicht und 
durch das wirre Laubwerk ſchimmern die helleren 
ſtacheligen Früchte. Auch ihr ſteter Begleiter, 
der Walnußbaum, breitet ſeinen Schatten über 
den kümmerlichen Raſen, der zwiſchen zerbröckel— 
tem Geſtein ein zweifelhaftes Daſein führt. 
Auch die Dörfer, durch die wir kommen, 
ſchauen gar dürftig aus, menſchenleer iſt die 
Straße in dieſer frühen Morgenſtunde, nur ein 


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hohe Felſenwand herabzüngelt, feine Eismaſſen 
jo ergiebig in das Val de Bagne abgeladen, 
daß der ungeheure Firnmall das Bergwafler 
jenes Thales mit einemmal einſchloß und zu 
einem drohenden See aufitaute. Noch am 
13. Juni führte der Ingenieur Vernetz einen 
Stollen durd) das Eis, um die Flut abzuleiten, 
aber umfonft! Drei Tage fpäter zerfradhte 
plöglic die fürchterlihe Gletfchermauer, und in 
ungebändigtem Schwalle ftürzten die Waſſer 
über das Bagnethal, von da famt den Erd— 
ihlipfen, die allwärts entitanden, über bie 
Hochwand, vor der wir eben halten, und wälzten 
jich verheerend in das Bett der Nhone. Bis 
auf den nadten Steingrund warb Erdreich und 
Aderfrume weggewafhen, das Mattland gründ- 
(ih fortgefhmwenmt und an 500 Häufer und 
Städel trug das empörte Element in die Nie: 
derung hinab. Ein vorfpringender Felsrüden 
rettete Bovernier vor der Zertrümmerung ; der 


Riß ſchließt ſich nie wieder, und alljährlid) 
‚zittern die Bewohner diefer TIhäler vor den 


beladenes Wägelchen, mit einem Maulefel be: 


fpannt, trottet lanafam vor uns her. Hinter 
Bovernier ſchließt jich das Thal enger zufam: 
men, dunfle Föhren füllen die Schlucht, unge- 
heuerliche Felsblöde verbarrifadieren den Fluß, 
der zornig über die Barrieren fett, und wie wir 
durch die Galerie de la Monnate ziehen, einen 
200 Fuß langen Feljentunnel, ähnlich dem 
Urner Loch, da donnert das gehetzte Waſſer fo 
verzweifelt an die Wandung, daß man glauben 
möchte, es werde fie jeden Augenblid zer: 
ſchmettern. 

Beim Austritt bleiben wir betroffen ſtehen: 


ihre Firſte ergreift. 


wir willen jebt, moher die vielen Felsquadern | 


durch das Thal gefchleudert wurden, denn drü: 
den durd die bemaldete Bergwand des linken 
Ufers geht von oben bis zur Tiefe ein weiter, 
breitflaffender Riß, geſchwärztes Steingerölle 
zieht durch den offenen Schlund bis in den Fluß 
und jpärlich wachen über den Trümmern früp: 
peliae Yatfchen. Der 16. Juni 1818 ift der 
Geburtstag diejes entjeglichen Spaltes. Schon 
mehrere Jahre vorher hatte der unförmliche 
Gietrozaleticher, der am Mont Pleureur, weit 


1 
I 


Yaunen bes jchredlichen Gietrozgletſchers, mie 
ihre Vorahnen feit dem Jahre 1595 zitterten, 
in welchem er eine gleiche Tragödie aufführte. 

Aber nicht Eis und Waſſer allein haben fie 
zu fcheuen, grauenhaft auch wütet das Feuer, 
wenn es mitten in der Erftarrung des Winters 
Vor mehreren Jahren 
brannte in einer Novembernacht das hochgelegene 
Dörfhen Bernay im Bal de Bagne nieder. Waſſer 
hatten die armen Leute genug, aber nur in der 
unzerbrechlihen Form des Eiſes, an Löfchen 
oder Hilfe von außen war nicht zu denken, und 
jo mußten fie mit gebundenen Händen zufehen, 
wie das Feuer von Hütte zu Hütte fprang. 
Nur die zwei unterften Häuschen retteten fie 
dadurch, daß fie diefelben mit mühlam ausge: 
ſtochenen Erdſchollen über und über bevedten. 
Und nun denfe man, die winterlihe Berein: 
jamung diefer Dörfer ift fo groß, daß erft 
Wochen naher das Schweizer Land von dem 
Brandunglüde Kunde erhielt und feine milden 
Haben Spenden fonnte. 

Solde düfteren Hiftorien ftimmten zu dem 
einfamen Wege, der uns nah Sembrander 
bradte an der Mündung des Bagnethals, aus 
dem das Wildwaſſer herabtoit, das mit dem 


vom Großen St. Bernhard kommenden Bade 


die Dranfe bildet. Die erbärmlihen Häufer 
des Dorfes Ichnen ſich recht maleriſch an die 


tized by Good 





590 3. Berzfelder. 


vorgefhobenen Hügelchen; von der einen Kuppe | eisüberftrömte Hochgeftalt des Mont Velan 


haut eine Burgruine mit geſchwärzten Mauern, 
die einjt Kaifer Siegmund den Luremburger be: 
herbergt haben ſollen. 

Den hochragenden Mont Catogne zur Red: 


Raftorte, an welchem das dunfle Ferret:Thal 
einmündet. Nadt und grau, wie die Felfen 


umher, ftarren uns die Käufer an, meift ftei: | 
nerne Blodhütten von abfchredender Dede, nadt 


und grau grüßen die Refte des Schloffes Chate- 
lard von der Höhe, und auf dem fleinen Markt: 


das Gras aus den Riten des verfommenen 
Granitpflaſters. Dürftiger mag es hier nicht 
ausgefehen haben, als die Sarazenen noch das 
Raubneft innehatten und (792) den ehrmür: 
digen Abt Majolus von Clugny wegzufangen 
ſich erlaubten. In ein Gefängnis glaubten wir 
auch einzutreten, als wir im Gaſthofe die engen 
dunfeln Steintreppen hinauftappten und in ein 
ftodfinfteres Gelaß geführt wurden. Doch eiligit 


licht hereinbrah waren wir überraſcht, einen 
jauberen Speifefaal vorzufinden, defien Wände, 
wie überall an diefer Straße, mit Bildern aus 
Napoleons Geſchichte geziert waren. Der Wein 
war vortrefflich und ergöglich die Unterhaltung, 
die ein Franzoſe mit der Wirtin führte. Er 
hatte erjt lange um einen Maulejel zum Ritte 


vor und auf, in ihren weichen, feingezogenen 
Linien, in der leisgeſchwungenen majeftätifchen 
Form ihrer Glieder der Jungfrau gleichend, 


ſichtbar vom Scheitel bis zum Fuße, bis in die 
ten, fommen wir nad) Orfieres, unferem erjten 





Tiefe ihrer fhneegefüllten Schründe, ihrer un: 
verjieglichen Firnfammern. 

So überrafht den Wanderer, der durch das 
Nikolaithal gen Zermatt pilgert, der einjame 
Riefenobelisf des Matterhorns. Doc; während 


dieſes bald wieder verſchwindet, behielten wir 
ı bis zum Hofpiz hinan den mweißfchimmernden 
plage, an dem das Hotel des Alpes liegt, fchießt | 


Berg, den zuerit der Prior des St. Bernhard: 


kloſters, Herr Murith, beftiegen, als treuen 


Gefährten und neben ihm die ſchwarzen, ſchwer— 
faltigen Felfenrippen des Grand Combin, die 
Aiguilles de Valſorey, jäh abfallende Schrofen, 
nur in den oberjten Ninnen mit dünnem Schnee 
bejprenfelt. Und je weiter wir aufwärts ftiegen, 
dejto eifriger lugten auf allen Seiten jpite 
beſchneite Felsnadeln über die Bergkuppen. Zur 


Rechten mag es wohl der Mont Dolent geweſen 
wurden die Läden geöffnet, und ala das Tages: | 


jein, defjen weißer Kamm uns begleitete, hinter 
uns glaubten wir die Spiten der Dent du Midi 
zu erfennen. 

Doc) fefjelten ung hinter Drfieres nicht die 


‚ Höhen allein; auch das Thal, das fich hier wie 





tier immer nod) nicht erfcheinen wollte. Zu ei: | 
ner Mißlaune trug offenbar das unverftänblide 


Patois bei, in dem die gute Frau mit ficht- 
lihem Behagen ercellierte. Diejes romanische 
Franzöſiſch ift ein Gemengſel feltifcher, römischer 
und italienifher Laute, in welche fih fogar 
deutihe Sprachfragmente verloren haben; eine 
befondere Eigentümlichleit dieſes Thales ijt, 
daß feine Bewohner das d ausgeftopen haben 
und auch das ] meiftens ignorieren, jo daß 3.8. 
un mulet (ein Maulejel) in ihrem Munde 
o muhet lautet. 

Mir liegen den Fremden fortwettern und 
wanderten in heiterjter Laune weiter; in reinfter 
Bläue jpannte fid der Himmel aus, und als 
wir vom Fußpfade, der über einen gewölbten 


Hügel geführt, wieder zur Strafe einbogen, da 
ward und auf einmal ein überwältigender, un: | 


vergehliher Anblid. Wie aus einer Verfenfung 
urplößlich herausgehoben, wuchs die prachtvolle, 


ein Fächer auseinanderlegt, bot uns ein präch— 
tiges Schaufpiel. War doch hier auf weiten 


| Fruchtfeldern, die von hochgeſchwungenen Hügeln 
in das Val Ferret gefeilfcht und fchüttete jet 
feine Ungeduld aus, als das gemietete Grau: | 


herab bis an die tiefgebettete Dranfe reichten, 
der Erntefegen des Jahres noch zu erbliden. 
Schnitter banden gerade die Garben der dunfel: 
gebräunten Gerjte, die ein bayerischer Bräuer 
faum verfieden würde, andere lagen zur Mit: 
tagsrajt unter breitäftigen Edelfajtänien, die als 
die letzten auf diejer Seite in dichten Gruppen 
zufammenftehen. 

Dann ward das Thal wieder enger, in 
dunkler Schludt kochte das Bergmwaffer, und 
bald klomm die Straße in vielen Serpentinen 
die Höhen hinan. An der Kapelle St. Laurent 
vorbei ftiegen wir zu dem weitläufigen Dorfe 
Liddes empor, das mit feinen finfteren kaſtell— 
artigen Häufern an grünen Bergwieſen hängt, 
den letten in diefem Thalgrunde. Mancher 
meiner Leſer kennt die Bauart der romanischen 


Dörfer Graubündens, dieſe plumpen, chief: 


hängenden Häufer, jchwerfällig wie Nitter: 
burgen, mit tiefen Gucklöchern, zerſchliſſenen 


‚ Läden und weitgähnenden Thorbogen, aber 


diefe fteinernen Trödelbuden erſcheinen nod) 


Don Interlafen zum Großen St. Bernhard. 


nobel und wohlfonferviert gegenüber der Armut 
und Nadtheit jolher Wallifer Trümmerhaufen. 
Als ich auf das traurige Liddes zurüdihaute, 
den verlotterten Häuferflumpen, in den bie 
Phantafie nur Schmuggler und Räuber ver: 
jegen möchte, auf die zerfplitterten Steinplatten 
feiner Dächer, über die ein mitleidiger Sonnen: 
itrahl fpielte, da war mir's, al müßte id) mit 
Fauft ausrufen: „Der Menfchheit ganzer Jam: 
mer faßt mich an.“ 

Durch die erniten Berglehnen ging es nod) 
eine Stunde aufwärts, bis wir die Kapelle 


Nötre Dame de Lorette begrüßten und das 
Proz. Ein plumpes Bergwirtshaus ſteht am 


legte WalliferDorf erreichten, Bourg St. Pierre, 


auch St. Pierre Mont Jour genannt. Diefelben | 


elenden Häufer, aus klotzigen Blöden roh auf: 
gerichtet, mit winzigen erblindeten Fenfterchen 


über den weiten Eingängen, alles hübfch verfallen 


und verflommen! Ueber den loderen Stein: 
dächern wächjt uraltes verfilztes Moos, deſſen 


leriſch ergänzt. 

Das ftattlichjte Gebäude im Neſte iſt das 
Wirtshaus, Dejeuner de Napoleon ift die 
hochklingende Firma des Hotels. Hier foll der 
fleine Konful gefrühftüdt haben, und natürlich 
hatten wir die Ehre, in demſelben Zimmer, in 
dem er bewirtet warb, unfer Mittagamahl ein: 
zunehmen. Viel Ehre und wenig Vergnügen! 
Denn den niedlichen Hammelärippchen folgten 





591 


bisweilen ein eisfalter Gletfcherbach herabjauft. 
Bald war alles Leben ringäherum eingefchlafen, 
fein Baum, faum ein magerer Grashalm zu 
fehen, nur Stein und zerrifjenes Erdreich, und 
auf der Höhe die Eismände und Schneelorridore 
des Mont Gourboijfiere. Das Defile de 
Charreire nennt man die Schludht, in deren 
dunklem Spalte die Dranfe unmutig ſich auf: 
bäumt. Die büftre Hoheit weltverlorener Ein: 
jamfeit ruht auf diefem Landſchaftsbilde. Da- 
bei wird die Straße immer ſchmäler und ſchlech— 
ter, bis fie ſich zulegt in ein wüſtes, fanft an: 
jteigendes Trümmerfeld verliert, den Plan de 


Eingange, die befannte Gantine de Proz, die 
aud im Winter, von Schneewädhtern ummauert, 
die Pilger des Großen St. Bernhard gajtlich 
aufnimmt. Am 20. Dezember 1879, als der 
Wirt Moret, der dort einfam hauft, auf einem 


Geſchäftsgange abweſend war, plünderten ita- 
roftbrauner Ton das melandolifche Bild künſt- 


lieniſche Schmuggler das Gehöfte und brannten 
e3 nieder, und als der Arme zurüdfehrte, fand 
er mitten in der graufen Winteröde die rauchen: 
den Reite feines Heims. Wohlthätige Beiträge 
aus der Schweiz haben es ihm ermöglicht, dieje 


vielbeſuchte Zufludhtsftätte wieder aufzubauen. 


Wagen und Maultiere ftanden vor dem Haufe, 


als wir vorbeizogen, ein ftruppiger Hund jagte 
‚ in den Steinen umher, fonjt weit und breit 


Speifen jo alt und zäh, daß fie unbedingt von | 


jenem Frühftüd des Chefs der armee d'Italie 
übrig geblieben fein mußten, und das Badwerf, 
grabenes verfteinertes Produkt altrömifcher 
Kunftpaufen, die zwifchen jedes Gericht einge: 
ſchoben wurden. Sie ließen mir Zeit, eine Karte 


Kirhe St. Peterd mit dem verwitterten Turm, 
fowie den römischen Meilenftein zu betrachten, 
der, in die Kirchhofsmauer eingeſetzt, noch deut: 
lich die Zahl XXIII erkennen läßt, und end: 
lih nod das Fremdenbuch zu ftubieren, auf 
deſſen letztem Blatte fich der Münchener Pan: 
deftijt Brinz über die Artifel des Herrn Ludw. 
Leuß in der Allgemeinen Zeitung mofiert. 
Halbjatt brachen wir auf, noch über vier Stun: 
den waren bis zum Hofpiz zurüdzulegen, aber 
rüftig und luftig nahmen wir den Weg unter die 
Füße. Zuerft durd einen anfehnlichen Lärchen— 
wald, dann die Feljenbänder entlang, über die 


alles ftill und leer. 
Hier beginnt der Saumpfad, der zuerſt freu; 
und quer über die Steinbroden hinwegführt, 


zwiſchen denen dürftige Grasbüfchel, mit ganz 
das als Deflert paradierte, jchien ein auäge: | 


Hleinen Gentianen und GSoldanellen durdjtidt, 


daran gemahnen, daß hier nicht alle Vegetation 
Küche zu fein. Modern erfchienen nur die langen | 


erjtit jei; dünne Wafleräderchen durchfegen dei 


' unmirtlihen Boden und die ftolze Dranfe plät- 
ſchert als ein armjeliges Bächlein herab. Bis 
nah Haufe zu ſchreiben, gegenüber die ehrwürdige | 


an den Nand dieſer Einöde geht zur Linken ein 
Gletſcher nieder, rechts ſchließt ein Fahler, rauher 
Feljenwall die Welt ab. Hier hinein führt der 
Weg und Hlettert zwischen finjteren Felfenbarrie- 
renaufmwärts. Es war das Defile de Marengo, 
in das wir bald eintraten, eine beängjtigende, 
langgefrümmte Steinfluft, die den Bach und 


| Pfad wie in einem engen Verließe einfperrt. 





Die raftlofe Natur ſcheint hier der ewigen Arbeit 
fatt geworden, die Starre des Todes liegt auf 


ihr. Selbft das Waffer in diefem Kerkerſpalte 


verrät faum einen Pulsſchlag. 
Beim Austritt ward es uns leichter ums 
Herz, war doch das Thal, das fidh fteil hinan- 
75 


592 


windet, offener und breiter geworden! Freund: 
licher freilich nit! Graue Steine und wieder 
Steine, dazwiſchen verfümmerte Rafenflede, 
und als einzig leuchtender Punkt der Schnee: 
rüden des Mont Velan! Aber nicht nur die 
Natur hat hier ihre troftlofen Steinmajjen aus- 
gefät, auch an Steinbauten, von Menſchenhand 
aufgeführt, fommen wir vorüber. Weit zur 
Rechten taucht im Grunde ein langes, fchmales, 
vohgemauertes Haus auf, fleine Fenfterlufen 
werden ſichtbar, La Pierre wird es genannt, 
eine Meierei des Hofpizes, wenn man funft: 
loſen Viehftällen einen folhen Namen beilegen 


darf. Und weiter oben, nahe am Wege, treffen 


wir auf zwei Fleinere Hütten, kaum von den 
dunfeln Felſen zu unterfheiden, L'Hopital hat 
fie das Volf getauft, die eine ein Behälter für 
aufgefundene Gebeine, die andere im Sommer 
zum Zufluchtsort für verirrtes Vieh beftimmt, 
im Winter das Afyl verlorener Wanderer und 
zugleih Wächterhaus der menſchenfreundlichen 
Mönde, die hier acht Monate lang Kerzen und 
Holz, Wein und Speifen niederlegen. 

Hinter L'Hopital ftanden zwei Schieblarren 
am Wege, mit großen Päden beladen, die in 
ganz neue Rupfen eingenäht waren; und als 
wir weiter gingen, fanden mir jenfeitö des 
Pads auf dem ſchwachen Grafe des Bachufers 
zwei Burfche, die auf dem Bauche liegend im 
Sonnenlihte fchliefen. Die roten Binden um 
den Leib fennzeichneten fie ala Staliener. Es 
waren, wie mir fpäter erflärt wurde, Schmugg: 
ler, und jene Bäde waren Kontrebande, die fie 
über die Grenze zu ſchwärzen hatten. Das 
waren die erften Menfchen, die uns feit Bourg 


St. Pierre begegneten; dann zog ein Knabe 


mit einem Maultier am Zaum fingend vor uns 
vorüber, und von der Höhe famen uns drei 


dunkle Geftalten entgegen, die wir bald als 


Chorherren vom Hoſpiz erfannten. Ihr Gewand 
ähnelt der Ordenstracht der Benediktiner. 
Schon von weitem grüßten fie uns auf das 
herzlichite, blieben dann ftehen und unterhielten 
ſich mit uns in heiterer, ungezmwungener Weife. 
Es waren fehr junge Leute, rotbadig und von 
Geſundheit ftrogend; der Gedanke ftieg in mir 
auf, wie bald der Froſthauch auch diefe Rofen 
fniden werde. Sie erzählten uns, daß fie zur 
Meierei gingen, um dort wirtfchaftlihe Ange: 
legenheiten zu ordnen, daß jie aber nicht ben 
geraden Weg genommen, fondern, um ihre 
Beine in Hebung zu erhalten, über eine ſchroffe 


\ 








3. Herzfelder. 


Bergkuppe herabgeflettert wären, bie jie uns 
zeigten. Mit mweltmännifher Höflichkeit ver: 
abjchiedeten fie fich dann, duckmäuſeriſche Ascetit 
war in diefen frifchen jugendlihen Zügen nidt 
zu leſen. 

Es that uns faft leid, allein weiter ziehen 
zu müfjen, denn in erfchredender Einförmigteit 
eröffnete fich jett die Grande Combe, jenes 
Hochthal von ſchauriger Abgejtorbenheit, das 
im Munde der Leute mit Recht das Totenthal 
heißt. Welcher Schreden mag dem einjamen 
Wanderer das Herz zufammenfhnüren, menn 
ihn bier der rafende Winterfturm übermannt, 
der durch diefe Wildnis fegt, wenn ihm überm 
Haupte das jchneeige Leihentuh im ſchweren 
Falten zufammenfchlägt! An folhen Weg mag 
Dante gedacht haben, ala er (im 3. Gefang ber 
Hölle) die Worte ſchrieb: 

Per me si va nella cittä dolente, 


Per me si va nell’ eterno dolore, 
Per me si va tra la perduta gente. 


(Durch mid) geht's in die Stabt voll Pein und 


arm, 

Dur mic; geht’ ein zum Schmerz, der nimmer 
ſchwindet, 

Durch mich geht's unter der Verlornen Schwarm.) 


Doch bedürfte dieſer Friedhof der Natur 
keiner ſolchen Aufſchrift, die ſchlichten Kreuze 
am Wege belehren uns, an welcher Stätte des 
Schreckens wir uns befinden. Eines darunter 
erinnert an den Opfertod des Paters Francois 
Cart, den im Jahre 1825 die Lawine begrub, 
ein anderes wieder iſt drei Brüdern und einem 
Knechte errichtet, die an die Rettung von Men— 
ſchenleben ihr eigenes Leben ſetzten. 

Immer ſteiler ging der Pfad über das 
felſige Bett ausgeſtorbener Gletſcher, bis nach 
langem Aufklimmen ein hartes ſolides Pflaſter 
die Hoffnung erweckte, daß wir dem Ziele nahe 
ſeien. Es war drei Uhr vorüber, die Sonne 
brannte auf dem nackten Steine, uns ſelbſt 
brannten die Sohlen. Noch einige Windungen 
durch Felscouliſſen — hurra! Ein hohes Kreuz 
winkt von oben, ein graues Dach ragt über die 
Klippen, noch einige Schritte tapfer vorwärts — 
wir ſtehen am Hoſpiz des Großen St. Bernhard! 
Die Steintreppen auf der Rückſeite des Hauſes 
ſtiegen wir hinauf; im kühlen, gewölbten Kloſter— 
gange zogen wir die Glocke, ein Marronier 
(Knecht) kam herbei, der uns zu einem kleinen 
Vorplatz führte und uns etwas zu verziehen bat. 
Kaum ftudierten wir auf der großen ſchwarzen 


— — — — — —— — 


Don Interlafen zum Großen St. Bernhard, 


Marmortafel die ſtolze Inſchrift, in der die Re: 
publit Wallis ihren Retter Napoleon feierte, da 
erſchien ein junger Chorherr, bewillfommte uns 
auf das freundlichite und geleitete uns jelbit 
durch den breiten Korridor bes oberen Geſchoſſes 
auf unfer Zimmer. E3 war ein jehr geräumt: 
ges, einfenfteriges, holzgetäfeltes Gemach; zwei 
feine Himmelbetten mit Teppichen davor, Waſch— 
tifche, Schränke und Stühle bildeten das Mo: 
biliar. Die Bilder Napoleons III. und Euge: 
niens hingen an der Wand, und nur ein kleines 


Kruzifie dazwiſchen bewies, daß wir nicht in | 


einem Gafthofe eingefehrt waren. Unfer Mönd) 
jtellte uns frei, ob wir den Wein auf das Zim— 
mer gebradht haben oder ihn im Speifefaale trin- 
fen wollten, deutete noch an, daß dort auch für 
andermeitige Labung geforgt fei, und belehrte 
uns, dab um jehs Uhr das Diner ferviert 
werde, wobei er mit feinem Lächeln bebauerte, 
daß wir heute, weil es Freitag fei, nur Faſten— 
ipeifen erhalten würden. Kein Oberfellner 
fonnte gemwandter, Fein Gaftfreund herzlicher 
ſich benehmen. 

Wir ruhten uns etwas aus, machten Toi: 
lette und gingen dann in den Speifefaal hinab. 
Die dunfelbraun gebeizten Holzwände geben dem 
mäßig großen Saale ein trauliches, familiäres 
Gepräge, während die lange, in rechtem Mintel 
aufgejtellte Tafel, von ſchweren Stühlen be: 


593 


war, fo mundete der Wein doch vortrefflich, und 
Butter und Käfe verrieten, daß fie im Hoc: 
gebirg ihre Heimat hatten. Ein Landpfarrer 
mit etlihen Schönen, die jehr laut waren und 
fih aufs Iuftigfte unterhielten, halfen uns in 
BVertilgung der Vorräte. Ab und zu fam ber 
freundliche Chorherr, der uns empfangen hatte, 
um als Haushofmeifter du jour nad dem 
Rechten zu fehen. Später fanden fi noch einige 
Bäjte ein, Männer und Frauen aus dem Rhone— 
thale. 

Es litt uns aber nicht lange im Zimmer; 


' das Verlangen auf dieſer hiſtoriſchen Stätte, 
dem höchjtgelegenen bewohnten Orte Europas 


| zügigen Gang gelangten wir ins Freie. 


legt, mehr an ein Hotel erinnert. Die übrige 


Ausftattung iſt gediegen, aber einfah: ein 
Schrein, der allerlei Andenken dankbarer Gäfte, 


Umſchau zu halten, trieb uns hinaus, 

Durd) den in Kreuzform angelegten wind: 
Da 
jtanden wir denn auf der Paßhöhe des Großen 
St. Bernhard (nahe an 8000 Fuß); zwifchen 
fterilen, hie und da mit Gras ſchwach angeflogenen 
Felſenhöhen eingejattelt, nah Süden fanft ge: 
neigt, ift fie ſelbſt eine unfruchtbare, trauervolle 
Dedung, abgejchnitten von der Welt, unzugäng— 
lich den Verſchönerungskünſten der Kultur, ohne 
Ausblid in die Tiefe, vom flüchtigen Sommer 
nur ftundenmeife befucht, do neun Monate 
lang von den froftigen Armen des Winters um: 
fangen, die rechte Bühne für die MWerfe der 
Entjagung und bes jchweigenden DOpfermuts. 
Der kleine farblofe See, der ſüdlich diefe Stein: 


' wüfte abgrenzt, trägt feinen Nahen, und doch 


namentlich Photographieen und Medaillen, auch 


weibliche Arbeiten, aufbewahrt, ein Seitentiſch 
mit Mufifalien und Fremdenbüchern beladen, 
ein elegantes Pianino, das der Prinz von Wales 


geftiftet, das ift alles. Die Bilder an den Wän-: | 


den, meijtens in ſchweren Goldrahmen und eben: 
falls Geſchenke treulicher Anhänger, behandeln 


zwar vornehmlich heilige und biblifche Gegen: 
jtände, fonft würde aber nichts an einen Hlöjter: | 


lichen Aufenthalt gemahnen, wenn nicht die 
offenen Flafchen, mit dunklem Stalienerweine 
gefüllt, daneben die gefchliffenen Fläfchchen mit 
allerlei Ziqueuren, die Teller mit Brot, Butter 
und Käfe, was alles A discretion der fremden 
auf der Tafel jteht, von jener anerfennenswerten 
Kloftergaftlichkeit Zeugnis gäben, die nur um 
Gotteslohn arm und reih, Gläubige und Ketzer 
bemirtet. 

Wir machten uns ohne Ziererei an die Ar: 
beit, und wenn aud) das Brot etwas altbaden 


ift es ung, als müfje jeden Augenblid Charon 
auf dem Totenjchifflein and Ufer rudern, uns 
in das Neid) der Schatten überzuführen. „m 
Winter fchreiten die Wanderer, die von Ftalien 
fommen, über die hoch mit Schnee belajtete 
Fläche des Sees hinweg; aber auch zur Som: 
merszeit überzieht in den Morgenftunden dünnes 
Eis jeinen Spiegel. Wo er endigt, endigt hier 
gleihfam die Welt, denn jo jäh ftürzt jenfeits 
der teile Hang ab, daß man über ihn hinweg 
nur in leere Luft ſchaut und das Thal nur ahnt, 
das und abmwärtö in die hejperifchen Gefilde 


\ bringt. Die guten Franzofen, die es mit dem 


geographiihen Wiſſen oft jo leicht nehmen, 
haben auch hier in der Vergötterung ihres Heros 
einen fühnen Sprung über die Wahrheit hinweg 
gemadt. So öffnet ſich auf dem befannten Bild 
Davids, das Bonaparte auf der St. Bernhards: 
höhe hoch zu Roß theatralifch darftellt, die 
italienische Niederung mit ahnungsvollem Hin: 


blick auf die Wunder der füdlichen Welt. So 


594 


3. Serzfelder. 


bringt in einem Werke aus jener Zeit(Le Mont | aus groben Quadern aufgeführtes, aber nüchtern 


Joux, discours historique ete. an VII 
der Profoß Ludler an der Pforte des Hofpizes 
folgende oratorifche Leiftung an die verfammel: 
ten Soldaten zumwege: „Von hier aus ſeht ihr 
den Genfer See (!) und feine reizenden Ufer. 
Dort liegt der Stein Neptuns, den fein Bruder 


Penninus von diefem Hofpiz herabrollte, einen | 
Dpferaltar ins Thal zu fenden ꝛc.“ Und Alfred | 


de Muflets Vater, Viktor de Muffet, der den 
Zug Bonapartes mitgemadt, erzählt in feinem 
Bude: Voyage en Suisse et en Italie, fait 
avec l’armee de reserve, an IX, daß fie auf 
der Höhe des Bernhard ein Feſt gefeiert, weil 
fie nad) den Zeugnifjen von Schriftftellern ver- 
meinten, mit wenigen Schritten mitten in bie 
Herrlichkeit Italiens hineinhüpfen zu können, 
und baf fie jehr verbußt geweſen feien, ala fie 
ein alter Mönch belehrte, der Weg hinab führe 
durch diefelbe Bergwilde, als fie heraufgefommen 
feien. 

Auf diefer einfamen Höhe ward einft ein 
feltiicher Gott verehrt, Penninus nannten ihn 


zur Ausfüllung ihres Pantheons zwangen, jo 
ward hier bald unter den Fittichen ihrer Adler 
dem „Jupiter maximusoptimusPoeninus“ 
ein Altar errichtet. Freilih fuhr der Wetter: 
ftrahl des Chriftentums auch in dieſe heilige 
Stätte, der gewaltige Donnerer jank zu einem 
Höllendämon herab, deſſen Teufelsfünfte nach 
dem Glauben des Landvolfs ſich noch heute in 
greulihen Gemwittern manifeftieren, aber lange 
Zeit hindurch hat das hriftliche Wolf noch an 
dem Namen fejtgehalten, unter dem die Römer 
diejen Gebirgäftod fannten: Mons Jovis, Su: 
piteröberg, Mont Joux hieß er, bis im Jahre 
972 der Arhidiafonus Bernhard de Menthon 
aus Aoſta heraufitieg und das kleine Hoſpiz, 
das die Mauren eingeäfchert hatten, wieder 


größer aus dem Schutt erhob. Die Kirche gab | 


ihm den Heiligenfhein, dem Berge gab das 
danfbare Volk feinen Namen. Doch jetzt noch 
heißen die gewaltigen Höhenzüge zwiſchen Mont: 


blanc und Monte Rofa in Erinnerung an den 
' fundigen feftgeftellt wurde, 


alten Gott die penninifchen Alpen. 
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts ward 





übertündhtes Haus überragt es, breijtödig, im 
fafernenartiger Gliederung wie ein Feitungsbauı 
die natürlichen Felfenbollwerfe, in deren Ver— 
ſchanzung es eingebettet liegt; gegen den An: 
prall der Stürme, die Wucht der Fröfte, den 
Drud der Schneemaffen hat e3 zu fänpfen, und 
wenn der Winter feine hohe Vortreppe unter 
dem Schnee begräbt, fchreiten die Bewohner 
darüber hinweg in die hochgelegenen Eingänge. 
Hinter diefem Haufe, nur durd den Saumpfad 
getrennt, der von Norden heraufführt, liegt 
auf dem weſtlichen Abhang ein zweites, etwas 
Heineres, hochauffteigendes Haus, gleichfam das 
Vorwerk der Hauptcitadelle, St. Louis ift es 
benannt; in gewöhnlichen Zeiten als Herberge 
der Frauen und als Vorratsfammer benütt, 
ward es wejentlich zu dem Zwecke erbaut, den 
Chorherren und ihren Knechten ala Zufluchtsort 
zu dienen, wenn mitten in der Strenge des 
Winters eine Feuersbrunft ihren Mohnfit zer: 
jtören ſollte. Zur Seite des Hofpizes gegen 


ı Nordoft fteht noch ein fleiner Steinbau, eine 
die Nömer, und wie fie nicht nur Länder und | 
Völker anneftierten, fondern aud) frembe Götter | 


Art von Schuppen, vor demfelben ſchaut uns 
ein büfteres Häuschen an, einer alten Felskapelle 
gleihend, das ift Die — Morgue. 

Wo wir unfere Schritte hinwandten, lagen 
die Hunde des Klofters in der Sonne oder 
mebelten faul und jchläfrig um uns herum. 
Gelbgefledt, ſchmal gebaut und bei weitem nicht 
jo derbknochig und robuft, wie wir fie aus aller: 
lei Sluftrationen fennen oder wie unfere Bern- 
hardiner erjcheinen, gleichen ſie keineswegs dem 
Ideale, das man fich von den berühmten Hunden 
zu machen pflegt, ihre entzündeten Augen gaben 
ihnen fogar den Anftrih des Krankhaften und 
Schwächlichen. Die urfprüngliche Raſſe ift be- 
kanntlich ausgeftorben, die dermaligen Hunde 
entjtammen einer Neufundländer Nachzucht, und 
wer weiß, mie lange auch diefe dem totbringen: 
den Klima troßen wird. Daß fie aus der Leon: 
berger Zucht hier angefiedelt wurden, wie man 
vielfach glaubt, iſt ganz unrichtig, die fogenannte 
Leonberger Hunde repräfentieren eine untaug- 
liche Baftardraffe, wie das erft im vorigen Jahre 
auf der Hunbeausftellung zu Cleve von Sad): 


Noch waren wenige Leute am Plate, zer: 


das dermalige Hauptgebäude aufgeführt. Man | Iumpte Bettler Tagen an den Treppen, einige 


denke ſich feinen prächtigen Klofterbau mit zopft: 


gen Drnamenten, mit mädtigen Geitenflügeln | 


und weiten Hofräumen! Ein langes jchmales, 


alte Frauen mit fehr defekter Gewandung 
ihlurften auf dem Grafe herum, das fpärlid) 
zwiſchen den Steinplatten wuchert, ſavoyardiſche 


Don Interlafen zum Großen St. Bernhard. 595 


Maultiertreiber gejellten fi zu ihnen, und wir | dem Simplon, das Napoleon 1. jtiftete, teils 
hatten Muße, uns hin und her wandelnd des | auf Eleineren Kuratien und Klöftern in den be: 
herrlichen Tages zu freuen und die hohen Berg: | nahbarten Thälern. Der Superior ruht im 
pfoften zu betrachten, die das büftere Bild feier: | alten Klöfterlein zu Martigny von den Müh— 
[ich umftehen, die Pointe de Dronaz, die Chena: | jeligfeiten des Bergdienftes aus. Meift junge 
lette, den Mont Mort und vor ung im Südweft | fräftige Männer finden Aufnahme in den ehr: 
über dem Col de Fenötre den fpigigen Pain de | würdigen Orden. Mit ftahlharter Gefundheit, 
Suere, der fi) eine faltige Gletfcherfchärpe um | opfermwillig und hilfäbereit treten fie ein, aber 
die Feljenbruft geworfen hat. oft ſchon nach wenigen Jahren welkt ihre Kraft 
Almählih entwidelte fih ein rührigeres | dahin, der eifige Mind dorrt alle Lebenskraft 
Treiben um uns her, Pferde und Saumtiere, | in den Adern aus, länger als 10 bis 12 
mit Fäſſern, Holzbündeln und allerlei Säden | Jahre erträgt es feiner auf diefem Boden, defjen 
beladen, hielten vor dem Haufe, vom Noftathale | magere Erdfrume jahraus, jahrein fo hartge: 
jtiegen Zandleute herauf, auf Maulefeln kamen | froren ift, daß nicht einmal ein Grab geſchaufelt 
die „befleren Stände“ von der Nordfeite her, | wird, in das man ihn betten könnte. Wer nicht 
darunter ein Ehepaar, mit dem wir am frühen | in ftillem Dulden dort abwarten kann, bis der 
Morgen in Martigny gefrühftücdt hatten. Es | Tod an fein Herz greift, und viele warten es 
waren Spanier, recht ungezwungene, gebildete | ruhig ab, der wird, natürlih nur dann, wenn 
Menfhen, mit denen wir gern Unterhaltung | ihn Schwäde oder Krankheit überwältigt, auf 
pflogen. Bald mifchten wir uns in eine Gruppe | den milderen Simplon oder in eine freie Klofter: 
von Bürgersleuten aus dem Wallis, fremde | Furatie verfegt. Meift kranken fie auch dort; fo: 
Geiftliche traten zu uns, die ſämtlich im Cortege lange fie aber hier oben ihre Pflicht erfüllen, 
aufgeräumter Frauenzimmer erſchienen. Mo | thun fie es mit jener offenen Heiterkeit, jener 
wir uns hinfehrten, fahen wir frohe Gefichter, | ungetrübten Opferfreude, die fih Jahrhunderte 
hörten wir muntere Geſpräche. Selbjt eine | hindurch) auf dieje Kämpen im Dienfte der Menſch— 
Gruppe von Engländern, die am See beifam: | heit unveränderlich vererbt hat. Nicht nur die 
menjaßen, ſchien von der allgemeinen Heiterkeit | tobenden Winterftürme, die qualvollen Märjche 
angeitedt. durd Eis und Schnee reiben fie auf, wenn fie 
Nah fünf Uhr ward es unbehaglich fühl, | Signalftangen pflanzen, Drahtfeile aufjpannen, 
das Seelein fhien fi zu verdüftern, und über | an denen fih die Wanderer über Klippen und 
das Schneedach des Mont Velan hinter uns | Ciswände hinüberhelfen follen, wenn fie Anechte 
jammelten fi die Nebel. Wir fchlüpften in | und Hunde auf der Suche nad) Verirrten be: 
unfere Ueberröde und fanden doch faum Schuß | gleiten — die lange, lange Dauer der Winter: 
vor dem Frofte, der von Minute zu Minute | fälte, die durch die didjten Mauern ihren Eis: 
ihärfer auf uns eindrang. Auf zehn heitere | haud) jendet, die ewige Trübe der Nebel unter: 
Tage im Jahre rechnet man hier oben; der | gräbt allein ſchon aud) die Fräftigfte Konftitution. 
heutige war einer dieſer auserwählten zehn, | Monatelang werden Tag und Nacht die Zimmer 
und doch ſchon um diefe Stunde ſolche angreis | durchheizt, und nicht bloß im Hauptgebäude, 
fende Kälte! Jetzt begriffen wir's, daß Aleran: | auch im Haufe St. Louis brennen allfort die 
der v. Humboldt die mittlere Temperatur diefes | Scheiter in den Zufluchtsräumen, in denen fie, 
Paſſes der norbfibiriichen gleichftellt, daß noch | wenn fie jemals drüben vor dem Feuer flüchten 
feiner der Brüder den Ablauf der fünfzehn | müßten, ohne folhe Vorficht rettungslos erfrie: 

Jahre, die er hier auszuhalten gelobt, jemals | ren würden. 
hier erlebt hat, Helles Geläute rief uns ab, dod war es 
Eine Kongregation von Auguſtinerchorherren | nicht das fchauerliche Hilfsglödlein, das an neb: 
iſt's, die der heilige Bernhard gegründet, vierzig | ligen Tagen, im Schneefturm oder im Grauen 
| 











an der Zahl. Ernite, ftrenge Regeln hat er für | der Nacht die Knechte ziehen, um den Pilger an 
fie aufgeftellt, aber durch die harte Rinde des | die gaftlihe Schwelle zu rufen, die friedliche 
Gejeges bricht die warme Menfchenliebe, die ihn | Ehglode lud uns zum Diner. Bald war die 
leitete. Nur 12 bis 15 Mönche haufen hier im | lange Tafel vollbejegt, etwa 45 Gäfte waren 
Hofpiz, von etwa fieben Knechten unterjtüßt, | es, bunt zufammengemwürfelt, Amerifaner und 
die übrigen leben teild im Tochterhofpiz auf | Engländer mit ihren Familien, das jpanifche 


596 


Ehepaar, italienifhe Gejchäftsleute, die Land— 
geiftlichen aus der Schweiz mit ihren Freundin: 
nen, und zuleßt einige junge Leute und mun— 
tere Bürgersmäbchen aus den ſavoyiſchen Thä— 


lern. In der eben gezeichneten Rangabjtufung | 
faßen fie um den Tiſch, wir zwei Deutjche oben= | 


an, zwiſchen uns der gaftliche Bater. Die übrt: 
gen Chorherren fpeifen im Refektorium. 

Das Menu war ein jehr eigentümliches, 
eine Reihe von Mehlipeijen, Mußen und Breien, 


dazwiſchen Stodfifch; Dmeletten und Maccaroni, | 
Kompotte und Käſe famen in rafcher Folge, | 
mehrere der Gerichte waren mir nach Ausfehen | 


und Zufammenjegung völlig fremd. Unfer Pater 
machte den liebenswürdigiten Wirt, unterhielt 
fi) in lebhafter Galanterie mit den englijchen 
Damen, die franzöfih vradebrechen konnten, 
jhenfte den Gäſten in feiner Nähe jelbjt den 
Wein ein und gab ab und zu den Dienern heim: 
liche Winfe. Kaum war eine Flaſche geleert, 
und alles becherte mit Luft, jo jtand wieder der 


Erfah auf dem Tifche. Ueber die ganze Tafel | 
flog fein aufmerfjamer Blid und öfters wußte | 


er den etwas unbeholfenen Marroniers beizu: 
fpringen. Dabei war er voll Munterfeit, die 
fich bald über die ganze Gejellihaft verbreitete, 
und das laute Gelächter, das oft am unteren 
Tiſche ausbrah, war ihm fichtlih ganz will: 


1) 


| 





fommen. Am lauteften war der eine Kaufmann | 


aus Stalien, der hier überhaupt zu Haufe zu 
fein fchien. Weber vor noch nad Tiſche wurde 
gebetet, nur einige befreuzten ſich andädtig. 

Als die Mahlzeit zu Ende war verbeugte 
fih unfer Wirt und verließ das Zimmer. Er 
hatte noch Gäſte zu empfangen, die in ber 
Dämmerung angelangt waren. Im Saale aber 
wurden die Stühle in einer dreifachen Halb: 
runde um das Klavier herumgeitellt und das 
liebe Publikum laufchte dem Spiele einer blond: 
lodigen Britin. Walzer von Strauß in diejem 
weltfremden Klojter! Es wunderte mid fait, 
daß nicht noch ein Tänzchen unternommen oder 
ein Kantus angeftimmt wurde. Man fühlt jih 
eben hier fo frei und fiher wie in einem Fa— 
milienfreife. Gafthofähnlich find alle Fremden: 
zimmer numeriert, auch die übrigen Räume 
tragen Aufichriften, als Salle a manger, 
Refectoire, Bibliothöque, Elise. 

Wir beide zogen uns frühzeitig zurüd, denn 
wir fühlten uns allmählich doc ermüdet. Als 


3. Berzfelder. 


fen, ſahen wir in die offenen Schlafjäle hinein, 
in denen das geringere Bolf untergebracht wird. 
Hohe, faubere Räume mit fehr joliden Bett: 
jtellen, ganz annehmliche Raftorte für die armen 
Werkleute, Maurer und Kaftanienbrater aus 
den piemontefischen Bergen, deren Dürftigkeit 
auch im Winter nicht zuläßt, den weiteren, aber 
jihereren Ummeg über den Simplon oder gar die 


' Bahnfahrt über den Mont Cenis zu benügen! 


Ueber 200 Gäjte vermag das Hojpiz zu be- 
herbergen; in dieſer Nacht Hatten, wie ih an: 
deren Tags erfuhr, ungefähr 80 Perſonen jeine 
Gaftfreundfchaft in Anjpruch genommen, und 
einige Tage vorher, an Mariä Himmelfahrt, 
gar über 600 Andächtige hier genächtet, die 


ı natürlich meiſtens auf Strohfhütten in den 


Hausfluren lagerten. 

Draußen war es bitter Falt, ein heftiger 
Mind jagte die mächtigen Wolfen über uns 
weg, wir fuchten unfer Zager auf, um unter 
dem Schuße des heiligen Bernhard den Schlaf 
des Gerechten zu jchlafen. 

Falbes Zwieliht dämmerte durch das Zim— 
mer, als wir nad unruhigem, von der Kälte 
unlieb geftörtem Sclummer erwadten, leije 
Hopfte es an das Fenſter, und ehe wir uns 
recht befannen, daß das der Regen jei, der ſei— 
nen Morgenbejuch anfündige, rollte es dumpf 
und ſchwer über unjeren Häuptern — wahrhaftig, 
ein rechtichaffenes Gewitter erlaubte jih im 
diefen Bergen zu rumoren. Raſch waren wir in 
den Kleidern und eilten hinunter. War aud) 
der urjprüngliche Plan zerftört, in der Frühe 
die Chenalette zu beiteigen, die prächtige Blicke 
auf den Montblanc gewährt, jo entjchädigte 


ı uns der Gedanke, auf diefer Höhe das Schau— 


ipiel eines gefunden Gewitters zu erleben. 
Vom Zugmwinde gepadt, ſchlug die Thüre dröh— 
nend hinter uns zu, als wir hinaustraten. 

Es war ein gewaltiges, betäubendes Ständ— 
hen, das da dem Hofpiz gebracht wurde, aber 
die erhoffte Augenmweide follte ung nicht werben; 
der feuchte, graugetujchte Vorhang, den Negen 
und Nebel ausgehängt, wollte nicht hinaufrollen, 
und nur ſchwach zudte e8 hie und da vom Mont 
Mort herüber aus der verjchlofjenen Bühne. 

Fünf Uhr war es. Während wir dann im 
Speijejaal den Kaffee nahmen — es war eine 
richtige ſächſiſche Cihorienbrühe — und id an 
manden Poeten gedachte, der hier ſchon ge— 


wir durch den fchmachbeleudteten Thorweg \ fefien, an Matthiffon, Rudolf Töpffer, den 
ſchritten, um noch einen Blid ins Freie zu wer: ı Verfaſſer der Genfer Novellen, an Franz von 


Don Interlafen zum Großen St. Bernhard, 


Gaudy, der hier oben Veilhen gefunden haben 
wollte, ließ das Wolfengetöfe nah, auch ber 
Regen war erfhöpft und nur weiße Nebel: 
wogen trieben noch vor den Fenftern herum. 
Andere Töne drangen jet in den matt: 
erleudhteten Saal, Drgelflang und Chorgejang, 


| 
| 
| 
| 


die Frühmefje hatte begonnen; auch wir gingen | 


in die Kirche, die innerhalb der Mauern des 
Haupthaufes ſich befindet, wohl die höchſtgelegene 
in Europa. Das Gotteshaus war ſchon be- 
trächtlich angefüllt, auf beiden Seiten fnieten 
Frauen in den Bänfen, im Mittelgange ftanden 
die Männer, und bejcheiden im Hintergrunde 
hielten fich die englifhen Damen, zu denen jetzt 


) 





auch die Spanierin trat. Die Kirche ift nicht 


fehr groß, das Chor faum kleiner als das 


leichtvergoldetem Schnitzwerk geziert, tragen 
die Dede, der Schmud der Altäre fcheint un: 
gefünftelter, ald man ihn jonjt in Klöftern 
findet, reich ormamentierte Stühle nehmen die 
Chorherren auf, die in ihren weißen Gemwändern, 


597 


ften wohl tragen fo viel mit ſich über die Berge, 
um der frommen Stiftung gedenken zu können; 
leider zeigt aber die Sammelbüchſe, daß auch 
die vermögenderen, bie in Hotels flott zu leben 
wiſſen, fi hier oftmals mit mwohljtilifterten 
Dankesſprüchen im Fremdenbuche losfaufen. 
Drei Tage lang muß jeder Gaſt, wes Landes, 
Standes oder Glaubens er fei, umſonſt beher: 
bergt und verföftigt werden, Kranfe bleiben 
ſelbſtverſtändlich bis fie genejen find. Da iſt es 
denn erflärlih, daß die eigenen Beſitzungen der 
Kongregation und der von Napoleon I. ge: 
gründete Fonds nicht ausreichen, daß alljährlid) 
an die Mildthätigfeit der Schweiz, Frankreichs 
und Staliend appelliert werden muß und die 


' Bilanz dem Pater Nechenmeiiter oft Heike 
Hauptſchiff, ſchwarze und rote Säulen, mit | 


vom Kerzenlicht beleuchtet, eben einen Choral | 


anftimmten. Es waren frifche, jugendfräftige 
Stimmen darunter, und über uns wäre wohl 
auch eine feierlichere Stimmung gefommen, wenn 
ſich nicht der Organift an der Orgel gar fo welt: 
lich aufgeführt und in tändelnden Opernreminis: 
cenzen die Würde der Handlung erjtidt hätte. 

An der Wand zur Linfen des Eingangs be: 
trachteten wir das marmorne Neliefbild, das 
hier Napoleon I. feinem Freunde Dejair über 
feinem Grabe errichten ließ. In nahezu Hafji- 
cher Einfalt, nur ſchwach an die Steifheit jener 
falſchen antififierenden Richtung erinnernd, die 
damals (1806) den galliihen Kunſtſtil be- 
herrichte, Hat Moitte den Helden von Marengo 
dargeftellt, wie er fterbend vom Pferde finft 
und zwei Krieger trauernd ihn empfangen. 
Gleich neben dieſem Denkmal iſt der Opferftod 
befeftigt, in den aud wir unferen flingenden 
Dank rollen ließen. 

Während in anderen Klöjtern das Geld unter 


Teller oder Tijchtuch gelegt oder einem Bruder | 


in die Hand gebrüdt wird, gilt hier ala unver: 
brüchliches Geſetz, daß die freiwilligen Gaben 
für die unentgeltliche Verpflegung nur dort ein: 
geworfen werden bürfen, damit die waderen 
Mönde ja nit erfahren, welcher Gaft und wie 
reichlich oder färglid er gefpendet. Nur die 
Marroniers nehmen ein Trinkgeld. Ueber20000 
Pilger find jährlich zu verpflegen, und die wenig: 


Schweißtropfen koſtet. 

Kein leichtes Werk it die Bewirtſchaftung 
diefer großartigen MWohlthätigfeitsanftalt. So: 
lange der Weg gangbar ift, ſchleppen Saumtiere, 
meiſt von der Sübjeite her, Wein, Früchte, 
Mehl, Del und alle die vielen Bedürfnifje 
herauf, die ein ſolches Gaſthaus in der Dede 
fordert, und auf Maulejeln wird zur guten 
Fahreszeit 6 bis 8 Stunden weit aus dem Val 
Ferret das Holz heraufgeführt, deſſen natürlic) 
eine unermehlihe Fülle in Nauc aufgeht. 

Wie langjam und mühevoll ſich ſolche 
Transporte abwideln, hat der Bau vom Jahre 
1822 gezeigt. Damals wurde dem Haupt: 
gebäude der dritte Stod aufgeſetzt; zwei Jahre 
bedurfte e8, um Baumaterialien, Steine, Sand 
und Holz hinaufzufchaffen, drei weitere Jahre 
verjchlang die Bauführung felbit. 

Die Einheimfung und Aufipeicherung der 
MWintervorräte, die Bewirtung der Fremden, 
der Empfang von Gönnern und Bevorzugten, 
die Obhut über Meiereien, Waldung und Vieh: 
weide, die Nedhnungsführung und Finanz: 
gebarung — all das liegt in den Händen der 
wenigen Chorherren, und jo begreift es ji), 
daß den edeln Menjchenfreunden die bejjere, jo 
furz zugemefjene Saifon auch nicht in vergnüg: 
lihem Ausruhen, fondern in andauernder Ar: 


| beit dahinſchwindet. Dabei find fie meift ge: 


lehrte Herren, die namentlich naturwiflenichaft: 


liche Studien pflegen. 


Eine meteorologifche Anftalt ift hier errichtet, 
Pflanzen und Steine werben gejammelt und 
geordnet, und das Mufeum, das den Fremden 
offen jteht, zeigt außerdem noch in feinen 
Votiertafeln, Münzen und Bildftüden aus 


598 


römifcher Zeit, welche Altertümer der font un: 
fruchtbare Boden birgt. 

Nah) dem Gottesdienfte und der Beſichti— 
gung der Sammlungen verabfchiebeten ſich 
unfere Spanier, obwohl wir fie vor dem Wetter 
warnten, dad noch einen Regenguß verſprach. 
Sie wollten den Weg nah Martigny zurüd, 
den fie heraufgefommen. Während die Geſell— 
ihaft im Saale frühftüdte, führte uns beide 
der aufmerkſame Pater an die Morgue, ſchloß 
den fonft verſchloſſenen Laden auf und ließ uns 
durch das Quergitter in die fchauerliche Toten: 
fammer jehen. Der Anblid, der fi) uns dar— 
bot, war nicht fo grufelig, als wir befürdhteten. 
Auf den Dielen lagen keineswegs Schädel und 
Knochen in greulicher Verwirrung herum, wie 
das nah der Schilderung mander Reifebücher 
und noch nad) der Darftellung von Michel und 
Leutz der Fall fein foll; die Tenne war vielmehr 
blank gefegt und nur aus dem Winkel fchim- 
merte ein Haufen zufammengefehrter Gebeine. 
An den Wänden aber, hart an den falten Stein 
gelehnt, ſaßen im Halbfreife, Leben prahlend, 
die Unfeligen, die hier der Tod fern von ber 
Heimat dahingerafft; in verblaßte und ver: 
ſchliſſene Kleider gehült, einige bloß in weiße 
Laken gemwidelt, hatten fie das eingefunfene 
Auge nad außen, nad) uns, gerichtet; deutlich 
waren bie Geſichtszüge noch zu erkennen, die 
eingetrodnete Haut lag dunfelbraun, bei einigen 
citronengelb über den Knochen, und wäre nicht 
die ängftigende Unbeweglichkeit geweſen, in ber 
fie feierlich zufammenfaßen, man wäre fajt ver: 
jucht worden, die ftillen Menſchen wachzurufen. 
Mumienhafte Verfchrumpfung zeigte feine der 
Leihen, wenn fie auch recht klein ausfahen, 
denn ad! die dünne kalte Luft, die hier die 
Lebenden tötet, bewahrt den Toten auf viele 
Jahre dies lügenhafte Bild des Lebens. Die 
ganze Einbalfamierungskunft befteht hier in der 
Zulafjung der falten Luft. Schon lange Zeit 
harren fie aus, ob nicht ein Freund, ein Ver: 
wanbdter füme, das jhredlihe MWiederfehen zu 
feiern, und feinem finft fobald die trügerifche 
Maske vom Gefihte. Dem einen Toten hatte 
man ein unbefleivetes Gerippe in den Schoß 
gelegt, dieſes mwißige Spiel mit dem Tode 
fonnte ich nicht ertragen, ich mußte mich abwenden. 

Seit vier Jahren war diefe Totenftätte von 
neuen Bewohnern verfchont geblieben, doch 
glaube man nicht, daß die Gefahren des Win: 


J. Serzfelder. Don Jnterlafen gun Großen St. Bernhard. 


ters ſich verringert hätten, auch nicht, daß es 
nur bie armen Teufel feien, die fich zu ſchlim— 
mer Zeit über diefe Einöden wagen. Als der 
gefürdhtete Regen fturmartig wieder losbrach, 
durchblätterte ich die Fremdenbücdher, da fand 
ih denn unter ſchlechten Verfen und lahmen 
Witzen jo manchen Beleg dafür, daß dem Ueber: 
mute, Zeichtfinn und tollem Sport nod) in neu: 
fter Zeit mancher Tourift zum Opfer gefallen 
wäre, hätte ihn nicht die Wachſamkeit der Mar: 
ronierd und ihrer Herren gerettet. Um nur 
ein Beifpiel anzuführen, hat vor mehreren 
Jahren ein adeliger Offizier aus Preußen im 
November, als viele Klafter Hoch der Schnee 
Klüfte und Abgründe überbrüdte, ohne Führer 
mit feiner Frau den Weg nad) dem Hofpiz ge: 
ſucht; im Schnee mußte er die erfchöpfte Frau 
liegen laſſen, er felbft tappte halb blind und ver: 
zweifelnd in der Irre umher, bis endlich die Hunde 
in ber Hütte L'Hopital unruhig wurden und bie 
Knete fih aufmachten, dieihn fanden. Ihn jelbit 
ſchleppte man fofort zum Hofpiz, auf einer Trag: 
bahre wurde fpäter die ohnmädtige Dame von 
Mönchen abgeholt. Drei Tage vermweilten fie im 
Klofter, bis der Weg nad) Süden offen mwurbe. 

Als Wind und Negen ſich gelegt hatten 
und die Luft wieder Far und heiter ward, 
dachten wir an den Aufbruch. Es war acht Uhr. 
Wir ftanden reifefertig unter dem Thor, da 
famen die Spanier wieder zurüd. Das Un: 
wetter hatte fie in der Grande Combe über: 
fallen und wieder heraufgetrieben. So furz ber 
Regen war, fo ausgiebig hatte er fie bedacht, 
namentlid) die Frau troff von Waſſer und fror 
zum Erbarmen, 

Wir nahmen zum zmweitenmal Abjchieb von 
ihnen und zogen von bannen, zwiſchen bem 
trüben Seelein und dem Plan de Jupiter hin, 
auf dem wir vergebens nad) den Trümmern bes 
alten Heidenaltars fpähten. 

Das Herz war uns voll, diefe wenigen 
Stunden im „Hofpital der Armen Chrifti“, 
wie das Hofpiz auch genannt wird, hatte uns 
des Dentwürdigen fo viel gebradt. Keinen 
Dank frigelten wir in das Fremdenbuch, er 
bleibt uns im Herzen eingefchrieben. 

Am füdlihen Rande des Sees fteht eine 
Steinfäule, es iſt der Grenzſtock zwiſchen ber 
Schweiz und Piemont. In den Nebel hinein, 
der von unten wieder mädhtig heraufquoll, rief 
ih aus voller Bruft: Eviva Italia! 





er Dberöfterreihifhe Seen. 


Vor 


Anton von Rutlhner. 


Non Iſchl an den St. Wolfgangfee. 


E: iſt ficher nicht angenehm, wenn jemand 
einen Bart beiucht, deſſen von Ernitallhellen 
Gewäſſern belebte grüne Matten und deſſen 
miüchtige Baumgruppen ihn zur Bewunderung 
hinreißen, er bereits vor fih Die nicht minder 
reizvolle Fortſetzung erbiidt, auf dem Wege 
nach ihr jedoch plöglicd eine Schranke gewahr 
wird, neben welcher eine Tafel ankündigt, daß 
in dieſen Teil des Parts der Eintritt nicht ges 


N wir N L 1 I: 
BER ——— stattet iſt. 
ER? > —— In eine Ähnliche Lage hat der Verfaſſer 


ſeine freundlichen Leſerinnen und Leſer geſetzt, 
als er, um nicht in den landläuſigen Fehler zu 
verfallen und Gegenden zum Salzkammergut 
zu zählen, welche geographiſch dazu nicht ge— 
hören, feine Schilderungen aus dem Salzkammergut im Oktoberheft 1853 „Vom Fels zum Meer“ 
auf die dem Salzkammergut benachbarten und an malerischer Schönheit ebenfo reichen Land— 
ichaften am St. Wolfgang:, Mond: und Atterfee nicht ausgedehnt hat. 

Er freut fih, nachdem denfelben durch die Bezeichnung „Oberöſterreichiſche Seen“ die geo- 

araphiich richtige Stellung angewiefen ift, die Schranfe bejeitigen und fich als Führer in diefe 
früher von ihm als referviert erklärten Teile des herrlihen Naturparkes Oberöfterreich anbieten 
u Dürfen, 
Jetzt hindert auch nichts mehr, als Ausgangspunkt für unfere Ceentour den dazu vorzüglich 
geeigneten Hauptort des inneren Salzlammergutes Iſchl zu wählen, wozu uns nebenbei die 
Rückſicht beftimmt, dadurd dem unveraleichlichen Iſchl erſt vollfommen gerecht werden zu fünnen. 
76 


Kailerlihe Cottage in Iſchl (E. 601). 


600 


Die Berhältnifie haben bei unferer ermähn- 
ten Beichreibung des Salzlammergutes ganz 
anders gelegen als heute. Damals bildete Iſchl 
einen beiläufig in der Mitte des zu ſchildernden 
Gebietes be: 

findlichen 
Punkt. Wir 
hatten jchon 
viel Zeit zum 
Beſuch der 
nördlichen 

Hälfte ver— 
wendet und 
eine nicht kür-⸗ 
zere Zeit er: 
heiſchte die 
füdlihe Hälf: 
te. So war es 
unthunlich, zu 
lange in Iſchl 
zu verweilen. 
Heute da— 
gegen treten wir unferen Ausflug aus ihm an, 
ob etwas früher oder fpäter, ijt gleichgültig, und 
deshalb fünnen wir uns eingehender mit ihm 
beſchäftigen. 

Je näher man Iſchl kennt, deſto lieber ge— 





Trinthalle in Iſchl «©, son), 





Anton von Ruthner, 


und in der Tiefe gedacht. Diefe köſtliche Lage, 
aber auch die dadurch erzeugte friſche und 
elajtiihe Luft bildet einen der Faktoren, und 
nicht den Eleinften, welche Iſchl beliebt machen. 
Ein anderer 
liegt in der 
von unsgleich⸗ 
falls kurz an 
gedeuteten 
Bauart des 
Marktes. 
Durd) die zu— 
meiſt breiten 
Gafien mit 
niedrigen 
Häufern und 
freundlichen 
Gärten ober 
Barfanlagen 
dazwiſchen iſt 
für die Be— 
wohner der 
Städte, beſonders für die ein Hauptfontingent 
der Sommergäfte jtellenden Wiener, der denkbar 
angenehmite Gegenfaß gegeben zu ihrem in den 
engen und dumpfen Straßen mit den leider 
von Jahr zu Jahr Faftellartiger werdenden Neu: 


winntman bauten, in 
e3. m der heigen 
unferen Jahreszeit 
Skizzen Staub, 
aus dem Gluthitze 
Salzkam⸗ und nichts 
mergut weniger 
wurde ſei⸗ als lieb— 
ner präch⸗ liche Düfte 
tigen Lage erzeugen⸗ 
an der den ge: 
Vereini⸗ wöhnlichen 
gung meh⸗ Wohnorte. 
rerer Thä: Dabei 
ler und des ſind die 
dadurch Iſchler 
gegönnten Häuſer in 
Ausblickes Viarrtirche und Poft in MAI S. 000). den beleb: 
auf die jid) teren Gaſ⸗ 
über den: jen faft 


jelben aufbauenden gewaltigen Gebirge, und 
wurde ebenfo der ringsum von ben nächſten 
Höhen, den Ausläufern des Hochgebirges, bis 
an den Markt herabreichenden jchattigen Wäl— 
der und der faftigen Wieſen auf der Höhe 


ausnahmslos nett, viele im Villenſtil gebaut, 
und auch an wirklich jtattlihen Bauten iſt 
fein Mangel. Als folde nennen wir: die große 
katholiſche Pfarrkirche (ij. oben), ein Bauwerk des 
vorigen Jahrhunderts, deren inneres in den 











Oberöfterreichifche Seen. 601 


eu _ 


Krenyplag in DIT. 


legten Jahren von dem Tiroler Künftler 
Mader in ausgezeichneter Meije al fresco ge: 
malt worden tft, und in deren von einem älteren 
Kirchenbau ftehengebliebenem Turme fih ein 
Nömerftein, worauf vier Figuren im Bruftbilde 
und eine Inschrift erfichtlich find, eingemauert be: 
findet; das Badhaus mit der Trinkhalle (S. 600), 
das Theater auf dem Kreuzplatz (ſ. oben), die pro: 
teftantifche Kirche, ein neuerbauter großer, leider 
in feiner äußeren Erfcheinung wenig anjprechen: 
der und auch in der inneren Einteilung nicht be: 
lobter Kurſalon (S. 603) inmitten eines Kur— 
gartens, das Hotel zur Bolt (S. 600), unmittel: 
bar an der Brüde das Hotel Elifabeth und von 
ihm flußabwärts das Pfannhaus (S. 604.) 

In Barkanlagen treffen wir im Marfte Mo: 
numente zum Andenfen an Erzherzog Rudolph, 
Bruder des Kaifers Franz I., und an Doktor 
Mierer an, welche fih um das Emporblühen 
Iſchls weſentliche Verdienste erworben haben. 

Das fünftlerifch wertvollfte Monument aber 
ijt der in jüngfter Zeit zur Erinnerung an die 
größten Gönner Iſchls, die Eltern des Kaifers 
Franz Joſeph, Erzherzog Franz Karl und Erz: 
herzogin Sophie, an der günftiaften Stelle im 
ganzen Markte, auf dem am Ende der Wierer: 
und Pfarrgafje, nur wenig Schritte von der 
Brüde und vom Beginn der Eſplanade gele: 
genen Plate vor dem Hotel Elifabeth errichtete 
gotiſche, von zierlichen Blumenbeeten umgebene 
Franz:-Harl:Brunnen. 

Daß die Häufer des Marktes und der mit 














ihm verbundenen Ortſchaften nicht bloß in der 
Thalfohle, fondern zum Teil auch auf den Ab- 
hängen darüber und den Steilufern der Traun 
und Iſchl Stehen, verhilft Jichl zu mandem 
pittoresfen Punkt in feinem MWeichbilde. Aus 
den erhöht ftehenden Gebäuden aber lenkt am 
meiften das in feiner Lage unterhalb der Kirche 
des Ralvarienberges den Markt förmlich beherr- 
chende Aftienhotel (S. 604) die Aufmerkfam: 
feit auf fich. 

Vorzugsweiſe haben fich die Willen auf den 
Höhen angefiedelt. Aus ihrer Zahl heben wir 
vor allem die auf dem Abhang unter dem Jainzen 
in einem ausgedehnten Park liegende gefchmad: 
volle Kaijervilla (S. 602) mit ihrer reizenden 
Cottage hervor (S. 599). Die Villa Sidingen 
auf einer Anhöhe auf dem rechten Traunufer iſt 
ein älterer, einfach edler Bau. 

Einen dritten Faltor, welchem Iſchl feine 
Beliebtheit verdankt, würden wir außer acht 
laffen, wollten wir nicht aud) den Komfort des 
fafhionabeln Badeortes betonen. 

Es foll nicht behauptet werden, daß fich die 
Iſchler diefen gebotenen Komfort nicht ausrei- 
chend bezahlen laſſen. Allein Preife, welche 
manchen befcheidenen Alpenreifenden verjtimmen, 
verftimmen nicht die hier weilende Geburts: und 
Geldariftofratie und manche nicht zu ihnen ge: 
hörige Berfonen, die den Grundfag haben, auf 
Neifen nicht zu fparen, und es gilt eben wieder 
einmal das 


„Eines ſchickt fich nicht für alle“, 


e— ——— nm” Te 


! 


ZEN 


Er uns 
“>, R PD > 
— ER —— wi 


Unſicht von Yihl, vom Park der Railerbilla aus (5. 802). 








Oberöfterreichifche Seen. 


Jedoch alles in allem bleibt Iſchl ein bes 
rüdender Sommeraufenthalt, deſſen Neize jeden 
Beſucher gefangen nehmen. 

Es hat eigentlidy gar nicht raſch Carriere 
gemacht. Obgleich fi der Sit des Gerichtes 
des Salzkammergutes bis zum Brande im Jahre 
1715 des heute als Ruine unterhalb des Kater: 
gebirges trauernden Schlojjes Alt: Mildenftein 
in dieſem nur eine Stunde von Iſchl ent: 





603 


Auch wir haben uns diesmal wieder mit 
Vergnügen in und um Iſchl bewegt. Gelüftete 
es uns, das Getriebe der Städter zu beobadıten, 
fo find wir die Ejplanade (©. 606) auf und ab 
geichlendert, gegen die Sonnenhite haben wir im 
ſchattigen Zaufener Walde, der ſich bis nach dem 
alten Laufen (S. 605) traunaufwärts erjtredt, 
Schub geſucht und gefunden. Aber auch unfere 
teilweiſe ſchon in der Schilderung des Salzkam— 


fernten mergutes 
Schloſſe, genannten 
und dann entfernte⸗ 
bis 1770 ren Lieb— 
im Markte lingspunkte 
ſelbſt be— in der Um— 
funden und gebung: die 
— 5 des 
als etten= 
der Haupt: bachs (S. 
ort des 607) und 
Salzkam⸗ feine poeti⸗ 
mergutes, ſche Wild⸗ 
nis, er 
rü er das j 8) ens op: 
Iſchlland TER > Rt pelblid und 
hieß, ge: —— EN F — — — die nahe 
golten hat, ee —— Dachſtein⸗ 
iſt es trotz ausſicht mit 
ſeines dem ro⸗ 
Salzberges mantiſchen 
und ſeiner Hohen⸗ 
Salzpfan- zollern= 
ne doch bis Waſſerfall 
in den An⸗ (S. 607), 
fang der Ahorn und 
zwanziger Lindau und 
ahre un— die Ruine 
Ba Yahr: Rurlalon in Iſchl (6. wi), Nilden: 
hunderts ſtein haben 


ein ſtiller, auf die Salzerzeugung als Haupt— 
erwerbszweig angewieſener Markt geblieben. 
Dann haben es die Bemühungen einzelner, 
wir haben daraus bereits des Doktors von 
Wierer gedacht, und die Errichtung eines Sol— 
bades aus ſeiner Verborgenheit gezogen, die 
Paſſionen der neueſten Zeit aber raſch gefördert. 
Jedoch trotz des zuletzt rieſigen Aufſchwunges 
kann es nicht ein Emporkömmling ohne eigenes 
Verdienſt genannt werden. Denn daß die Neu— 
zeit ihre Protekticn gerade ihm in erſter Linie 
angebeihen lief und läßt, verdankt es doch nur 
ſich ſelbſt, das heißt feiner herrlichen Natur. 


wir neuerlich befucht. — Stets? haben uns die 
landfchaftlihen Schönheiten Iſchls von neuem be: 
geiftert und der Abſchied von ihm würde uns aud) 
noch jetzt recht fchwer werden, wenn wir nicht 
wüßten, daß uns ftatt der verlorenen nicht went: 
ger preiswürdige Naturgenüfle erwarten. Und 
fo verlafjen wir denn bei guter Stimmung Iſchl. 

Unfere Nichtung iſt eine weſtliche, denn es 
gilt zunächſt dem St. Wolfgangjee. 

Zwei Wege führen durch das ziemlich breite 
grüne Thal der Jichl an ihn. Auf der Poſt— 
ſtraße nad) Salzburg erreicht man das an feinem 

| jüdöftlihen Ende liegende Strobl. Sie läuft 


604 


mehrmals an der hellen Iſchl hin, einem fehr 
furzlebigen Flüßchen, weil ja erft der Abfluß 





Piannhaus in Ih! (6. an). 


des Waſſers aus dem See den Namen cl 
führt und, wie wir wiſſen, die Iſchl ſchon im 
Meichbilde des Marktes Iſchl in die Traun 
mündet. Von Strobl fährt das Dampfſchiff in 
einer Viertelftunde nah St. Wolfgang, dem 
größten und intereffanteften Orte unſeres Sees. 

Die andere Straße trennt ſich etwa eine halbe 
Stunde außerhalb Iſchls von der Poſtſtraße und 
zieht fich nördlicher als diefe an den füdlichen 
Ausläufern des vom Schafberg nad Oſten 
zwijchen den Weißenbächen im Norden und der 
Iſchl im Süden ftreihenden Gebirgszuges, wo: 
von uns die Ziemit, der Leonsberg der General: 
ftaböfarte (1743 m), wieder vom Salzfammer: 
gut her bekannt ift, unmittelbar nad) St. Wolf: 


ang. 
: Auf beiden Straßen erſchließt fih mehr 
und mehr der Anblid der formenreichen Ge: 
birge auf der Sübfeite und aller Einzelheiten 
des nahen Schafbergs. 

St. Wolfgang nimmt den Naum am un: 
terften Ende des Schafbergmafjiwes ein und 
gewährt an den gegen den See offenen Punkten, 
vornehmlich auf dem erhöht liegenden Kalvarien— 
berge einen vortrefflihen Ueberblid des Sees, 
welchen letzteren wir nun in das Auge fallen 
wollen. 

Der St. Wolfgang: oder Aberfee ijt von 
Nordweiten nad) Südoften orientiert. Seine 
Länge wird mit 11 km, die Breite mit 2 km, 


Anton von Nuthner, 


die Tiefe mit 113 m angegeben. Sein mäd: 
tigiter Zufluß, der aus dem füblihen Ge— 


birge ihm zueilende Zinfenbah, hat 
jedod) etwa in der Hälfte der Längen— 
linie eine Halbinfel von folder Größe 
angeſchwemmt, daß der dadurch verengte 
Waflerfpiegel hier nur mehr einem 
breiten Fluſſe gleicht und die oben an— 
geführte Breite bloß auf den links und 
rechts von diefer Einfchnürung ſich aus— 
breitenden jüböftlihen unteren und 
nordweſtlichen oberen Seeſpiegel be— 
zogen werden kann. 

Die Nordſeite wird ganz vom 
Schafberg (1780 m) überragt. Er 
ſenkt fih in Fels und Wald zum See 
herab, am ſanfteſten in den ſüdöſtlichen 
Teilen gegen den Markt St. Wolfgang, 
am fteilften im Südweften, wo er mit der 
Falkenſteinwand in den See abftürzt. 

Am öftlichen Ufer fällt nördlich bei 
Strobl das Bürgel, einer jener abge: 
rundeten Felskegel, auf, wie folde als wahre 
Seeriegel am Ausflug mander Seen, z. B. am 
Königs: und Kochelfee in Bayern, am Wocheiner⸗ 





Atsienhotel in Icht S anıı, 


fee in Krain vorfommen. Die Kirche und 
Häufer des ihm benachbarten Strobl nehmen 
ſich freundlich aus, 


N 


- — a TIONIZeU BY RIOOTTE 
— — — — — — 7 


—* — — — — — — 
— — — 
m — — 


| 


Oberöfterreichiiche Scen, 


Den Hauptihmud des Sees bildet deſſen 
füdlihe Umrandung. Dort türmen ſich über 
niedrigeren Vorhöhen in freier Gliederung die 
markierten Geſtalten einer Anzahl Hocipigen 
aus jener Gebirgsgruppe, mweldhe den Raum 
einnimmt zwilchen dem Salzahthal vom Ein: 
fluß der Lammer in die Salzach bei Golling bis 
zur Stadt Salzburg im Weſten und dem Traun: 
thal von der Mündung des Goſaubaches in den 
Hallftätter See bis 
Iſchl im Diften, 
dann zwijchen der 
von der Stadt 
Salzburg am Fu: 
ſchel- und Wolf: 
gangjee vorbei nad) 

Iſchl führenden 
Straße im Norden 
und dem Gofau: 
bah von feiner 
Mündung bis hin: 
auf in das Thal 
Gojau, der aus 
diefem über den 
Pag Gſchütt nad) 
Rußbach Führen: 
den Strafe, dem 
Laufe des Ruf: 
baches bis zu fei- 
nem Einfluß in die 
Sammer und dem 
letzteren Fluſſe bis 
zu feiner Mündung 


L 





605 


ihres weitaus größten Teiles im Herzogtum 
Salzburg, zu fein, und er wird bei ihrer fpäteren 
Erwähnung aud nur ihn gebrauchen. 

Aus diefer Gruppe treten num ſüdlich vom 
Wolfgangfee vor allem hervor: der zu oberft fich 
in ein feines Horn zufpigende Sparber (1499 m), 
die mafjivere Pledwand (1538 m), und bie 
wegenihrer Wandbildungen unerjteiglichicheinen: 
den Berge der Rettenfogel (1778m) und Rinn— 
fogel (1821 m). 
In St. Wolfgang 
und feiner nächſten 
Umgebung, aber 
auch ſonſt nirgends 
am See, erblidt 
man außer dieſen 

Nedengeftalten 
noh den Kulmi— 
nationäpunft der 

Gruppe, das 

Gamsfeld, welches 
dräuend mit feinem 
folofialen nörd— 
lichen Felsabiturze 
in der Wilden Kam⸗ 
mer zwijchen den 
zwei Riefenpfeilern 
Sparber und Pleck— 
wand in fernem 
Hintergrunde em— 
poriteigt. 

Auf der Weit: 
feite des Sees end: 


in die Salzach im lih ziehen vom 
Süden. Be, Zmwölferhorn mäßig 

Aeltere Geo: Sol Konten Bahia hohe Bergrüden 
graphen haben dieſe hinter St. Gilgen, 
Gruppe die des welches gegenüber 


Hochzinken genannt, in nicht zutreffender Weiſe, 
weil nicht der 1762 m hohe Hochzinken, ſon— 
dern das Gamsfeld (2024 m) der fulminie- 
rende Gipfel in ihr iſt. Noch unglüdlicher find 
neuere Geographen mit der Bezeichnung Iſchler 
Gebirge. Denn mindeftens fünf Sechsteile 
aller Erhebungen der Gruppe gehören dem 
Yande Salzburg an, und welche Beziehung zum 
Fluß oder Markt Iſchl läßt fih 3. B. vom 
Gaisberg bei Salzburg oder vom Schlenfen 
und Schmidenftein bei Hallein auffinden? 

Dem Berfafler jheint vielmehr Nordöftliche | 
Zalzburger Kaltalpen der zwedmäßigite Name 
für die Gruppe, und zwar wegen der Lage | 


Strobl das norbweitlihe Ende des Sees beſetzt 
hält (5. 610), von St. Wolfgang aber wegen 
der nächſten Vorſprünge des Nordufers nicht 
fichtbar ıft, zu der weitlichen Verlängerung des 
Zuges des Schafbergs, und an fie fchließt ſich 
wieder diefer Berg jelbit an. 

Der Wolfgangfee fann zu den oberöfterrei: 
hifchen, aber nod) richtiger könnte er zu den 
Salzburger Seen gerechnet werden. Die Lan: 
desgrenze zwiſchen Oberöſterreich und Salzburg 
iſt nämlich von dem ſüdlichen Gebirge etwa auf 
dem halben Wege zwiſchen Iſchl und Strobl an 
das Flüßchen Iſchl herabgelangt. Von da geht 
fie den Yauf deöfelben aufwärts bis zu feinem 


— “ 


ized by GOOS) 





606 Anton von Ruthner. 


Ausflug aus dem Wolfgangſee, durchſchneidet 
dann diefen leßteren in nordweitlicher Richtung 
bis zu dem gegenüber der Mündung des Zinfen: 
baches und weftlih von St. Wolfgang gele: 
genen Vorsprung des nördlichen Ufers, von mo 
fie fi auf dem Schafbergftode nördlich, hierauf 
in einer weiten Ausbiegung gegen Dften, dann 
aber wieder nordwärts hält, um bei Weißen— 
bad) das füdliche Ufer des Atterfees zu gewin— 


nen. So gehört bloß der Heine norböftliche | 


Winkel des Sees bei St. Wolfgang mit dieſem 
zu Oberöfterreih, der ganze übrige See zum 
Herzogtum Salzburg, in deſſen Gebiet aud) die 
Spibe des Schafbergs fällt. 

Wir werden von den landſchaftlichen Neizen 


bes St. Wolfgangfees fpäter zu fprehen kom: | 


men und fehen uns zunähft im Marlte St. 
Wolfgang um (S. 608). 
See und Markt haben ihren Namen nad) dein 


heil. Wolfgang, Biſchof von Regensburg, erhal: | 


ten, welcher im 10. Jahrhundert 
als Einfiedler durch fünf Jahre auf 
dem nahen Falfenftein (S. 610) 
und an der Stelle, wo gegenmwär: 
tig der Markt fteht, gelebt hat. 
Der Heine Markt von 526 Ein: 
wohnern gruppiert fich mit feinen 
meijtenteil3 alten Häufern um 
einen Hügel auf unebenem, gegen 
den See geneigten Terrain. Dort, 
wo der See und die Bergipigen 
darüber in die Wohnungen herein- 
ſchauen, auf der Beranda bes 
Hotel Grömer und des etwas 
höherund auswärts an der Iſchler ’ 
Straße im Schweizerftil erbauten —* 
neuen Hotels (Peterbräu?), in 
dem ſtattlichen Pfarrhofe und dem 
Schloſſe läßt ſich gut ſein; in den alten Häuſern 
in den engen abſchüſſigen Gaſſen ohne den Aus— 
blick auf Berg und See möchten wir nicht wohnen. 
Den Pfarrhof und die Pfarrkirche hat das 
Stift Mondſee erbaut, welches die Pfarre und 
das Dominium ſeit uralten Zeiten beſeſſen hat. 
Im Pfarrhof hat ſich Kaiſer Leopold J. vor 
gerade 200 Jahren (im Jahre 1683), während 
der Belagerung Wiens durch die Türken bis 
zur Befreiung desſelben durch Karl von Loth— 
ringen und Johann Sobieski aufgehalten. Die 
Pfarrkirche, einſt Probſtei- und vielbeſuchte 
Wallfahrtskirche, ſtellt ſich in ihrer heutigen 
Erſcheinung als ein Bau aus dem 15. Jahr— 


hundert dar. Gewährt fie als folder In— 
terefje, jo nimmt ihr großer Flügelaltar unfere 
volle Bewunderung in Anfprud). 

Derfelbe bildet ein ftehendes Oblong von 
etwa 40 Fuß oder über 12 m Höhe. Ueber 
dem mit doppelten Flügeln und darauf mit 
altdeutfchen Gemälden auf Goldgrund ver- 
jehenen Mitteljchrein, in welchem wir die figu— 











2 


SER 
> 
wi ae 
4 Giplanabe im 
Rs (6. 603). 
’ 


Hapelle auf bem Iraumquai. 


ralen Darjtellungen erbliden, ſteigt der pracht— 
volle gotische Aufbau empor. Auch die Altar: 
ftaffel iſt reich geſchmückt, alles, Figuren, 
Gemälde, Ornamentif, gleich ausgezeichnet. 
Als Zeit der Vollendung des Altars gilt 
das fahr 1481, als der Künſtler desfelben der 
berühmte Michael Pacher aus Brauned (Bru: 
neden) in Tirol. Die Gemälde fchreibt man 
dem Wohlgemuth zu. 
Oberöjterreich erfreut ſich noch eines zweiten 
‚ vielgepriefenen Flügelaltars, Ddesjenigen zu 
Käfermarkt in dem im Norden der Donau ge: 
legenen Teile des Landes, dem fogenannten 
| Mühlviertel. 









‚ Oberöflerreichifche Seen. 607 


umb mein bye ſollen pey 
diffen waſſer frellih fein. 
Anno den 1515 jar ift das 
werk volpracht gott fey ge— 
lobt." Ein Sprucdband be: 
zeihnet dann noch Meifter 
Lienhart Rannacher, Stadt: 
brunnenmeifter aus Paſſau, 
al3 den Künstler. Das Kunft: 
werf zeigt, obgleich es in ber 
Hauptform ber Nenaifjance 
angehört, doch in den Details 
noch viel von der zur Zeit 
feines Entjtehens zu Ende 
gehenden Gotik. 

Der Beſuch der Kapelle 





Pollad Plan am Retteubah 
bei Iſchl (5, quak 





Kunſtlenner haben ſchon 
oft den Vergleich zwiſchen 
dieſen zwei in ihrer Art bedeutendſten Kunſtwerken 
des Landes gezogen, und derſelbe fällt immer zum 
Vorteil des St. Wolfganger Altares aus. Dabei 
wird nicht in Abrede geſtellt, daß der Käfermarkter 
Altar in den oruamentalen Teilen reichhaltiger und 
in den Hauptdimenſionen ausgedehnter iſt, dafür 
die Konzeption und Durchführung der Details beim 
Wolfganger weit vorgezogen und beſonders hoch— 
gehalten, daß ſich bei ihm eine organiſche Ent— 
wickelung des Grundriſſes mit dem Aufriſſe bis 
zur letzten Spitze hinauf kundgibt. 

Im Innern der Kirche bemerken wir noch die 
Kapelle des heil. Wolfgang mit ſeinem Bußſtein, 
ein angeblich von ihm herſtammendes Paſtorale und 
andere mit ihm in Verbindung gebrachte Gegen— 
ſtände, auch ſind ein Evangelienbuch aus dem 
12. Jahrhundert und ſchöne Kelche vorhanden. 

Ein gleichfalls namhaftes Kunſtwerk iſt der vor 
der Kirche nahe ihrem Haupteingang unter einer 
eigenen, von vier Säulen getragenen Bedachung 
ſtehende, aus Blei gegoſſene Brunnen (S. 608). 
Der auf hohem Sockel ſich erhebende Schaft, an wel— 
chem die ziemlich flache, kreisrunde Schale von fünf 
Fuß zwei Zoll Durchmeſſer befeſtigt iſt, ſetzt ſich aus 
der Mitte der Schale nach oben fort, und hier ſpru— 
delt das Waſſer aus vier Löwenköpfen in die Schale. 
Zu oberſt trägt er die Statue des heil. Wolfgang. 
Sockel und Schaft ſind mit Figuren, Ornamenten 
und Wappen geziert, die Schale aber enthält auf 
der Außenſeite Ornamente, Spruchbänder, Wappen 
und um den Außenrand die Inſchrift: „Ich pin zu 
den eren ſannkt wolfgang gemacht abt wolfgang 
haberl zu manſee hat mich petracht zu nutz und zu 
framen den armen pilgrumb dye nit haben gelt 




















Anton von Nuthner, 









und Einfiedelet Salzfammer: 
des heil. Wolf: gutes, in Ober: 
gang auf dem — ſteyermark, im 
Falkenſtein em— 3" A Salzburgifchen, 
pfiehlt jich we * EEE ; vorzüglich über 
ak. Et. Wolfgang am Wolfgangier (6. 606). — 
len Landſchafts⸗ Kalkalpen, und 


bilder und prächtigen Ausſicht, die man dabei 
genießt. 

Von St. Wolfgang wird der Schafberg (S. 
609) am häufigſten beſtiegen. Man erreicht 
das auf der Spitze erbaute Hotel Grömer auf 
guten Wegen in drei Stunden. 

Der Berg wird der öſterreichiſche Rigi ge— 
nannt, und die Ausſicht von ihm gewährt unbe— 
ſtreitbar einen hohen Genuß, weil ſie ungemein 
maleriſch iſt. Den Hauptreiz verleiht ihr die 
Sichtbarkeit von mehr als einem Dutzend Seen, 
und auch denjenigen, der nicht für entſcheidend 
hält, wie viel Seen, von denen ja ohnehin die 
entfernteren ſelbſt unter günſtigen Verhältniſſen 
bloß als leuchtende Flächen zur Ausſichtswarte 
heraufſchimmern, er geſehen hat, wird der Blick 
auf die um den Fuß des Berges ſich ausbrei— 
tenden großen Seen, den St. Wolfgang-, 
Mond: und Atterſee, entzücken. 

Außerdem reicht die Ausſicht außeror dent— 


lich weit über das flache Land von Oberöſterreich 


hinein nach Niederöſterreich und Bayern und 
erſtreckt ſich über zahlreiche Gebirge in Oeſter— 


reich, hier am vollſtändigſten über die des 


in den öſtlichen Teilen von Bayern. Dafür iſt 
dem Berge infolge ſeiner Lage am Nordrand 
der Alpen eine bedeutendere Gletſcherſchau ver— 
ſagt. Nur der nahe Dachſtein tritt imponierend 
als Vertreter der Firnwelt auf und nebſt ihm 
erzielt noch das Eisfeld des Ewigen Schnee— 
berges bei Werfen eine nachhaltige Wirkung. 
Dagegen vermögen die wenigen ſichtbaren Glet— 
ſcher aus den Hohen Tauern um Gaſtein als zu 
entfernt nicht einen größeren Eindruck hervor— 
zubringen. 

Danach iſt der Ruf des Schafbergs als eine 
vorzügliche Ausſichtswarte ein wohlverdienter, 
daß er aber als eine einzige, unerreichte geprieſen 
wird und die Thatſache, daß kaum ein zweiter 
Berg in den öſterreichiſchen Alpen ſo oft be— 
ſtiegen wird als er, finden ihre Erklärung, und 
zwar die letztere dadurch, daß er in der Nähe 
des vielbefuchten ich! liegt, daß man auf ihn 
leicht, ja jelbit ohne eigene Anftrengung reitend 
oder im Tragjeljel gelangen kann, und daf auf 
der Spitze, und zwar jchon feit einer Reihe von 
Jahren, ein gutes Gafthaus bejteht (S. 609), 
das übertriebene Lob jedoch dadurch, daß die 





| 


©beröfterreichifche Seen. 609 


Befucher, namentlich diejenigen von Iſchl aus, | welchem bloß die drei Orte Strobl, St. Wolf: 
zum großen Teil noch nieauf einem hohen Berge | gang und St. Gilgen liegen, zu einfam iſt. 

geitanden haben und ihre Reife auf den Schafberg Sind wir am Heinen Leuchtturm (S. 610) 
für eine heroifche Leiſtung, und was fie aufihm | nächſt St. Wolfgang vorbei, jo breitet ſich der 
gejehen haben, fiir das Unerreichbarite halten. | nordweftlihe Teil des Seebedens vor ung 


Unjer Schaf: 
berg kann übri: 
gend auch die 
Freunde von 
Höhlenwande: 
rungen zufrie— 
denftellen , weil 
mehrere Höhlen 
in jenem Maj: 
fiv eingetieft 
find. Als die 

großartigite 
darunter, allein 
auch als ſchwer 
zugänglid), wird 
das nur eine 
halbe Stunde 
füblich vom Gip⸗ 
felliegende, erit 
in der neueiten 
Zeit genauer 

durchforſchte 
Wetterloch mit 
reichen Stalak— 
titenbildungen 
und domartigen 
Näumen be: 
zeichnet. 

Jetzt aber be: 
fteigen wir das 
Dampfſchiff zur 
Fahrt über den 
Eee bis an jein 
nordweſtliches 
Ende bei St. 
Gilgen(S. 610) 
Die verſchiede— 
nen Motive um 
den See, vor— 


nehmlich die kühnen Spitzen des Gebirges über 
dem ſüdlichen Ufer und die Buchten der Nordſeite, 































aus. An der 
Felswand des 
Falkenſtein er— 
freut das ſieben— 
bis achtfache 
Echo. Dann 
blickt das Hoch— 
— zeitsklreuz vom 
— nördlichen Ufer 
in Die Flut her: 
ab. Es ſoll zur 
Erinnerung 
daran errichtet 
worden ſein, 
daß bier eine 
auf dem gefror- 
nen See tan: 
zende Hochzeits⸗ 
gejellihaft im 
Anblick der 
Spielleute, 
welche am Ufer 
an ficherer 
Stelle, dort, wo 
jebt das Kreuz 
ſteht, ſaßen, ver: 
ſunken iſt. 


— — 


— T er er ‘ 
DaF ten ÄT A N TEEN 






ei =: 


Shafbergfipige mit bem Golel römer (S. 608). Ultea Bafitaud auf dem Sähafberg. 


Das nächſte Denkmal, eine Heine Kapelle auf 
einem rings vom Waſſer umfpülten Felsgrunde, 





gruppieren fich zu immer neuen, immer über: | wieder nahe dem Nordufer, das Ochſenkreuz (S. 
rafchenderen Bildern, und diefer Wechjel der | 610), verewigt ein wenig tragijches Ereignis! 
Scenerie, der Umstand, daß doch ftet3 ein oder | Ein Metzger foll auf der Strafe am füdlihen 
das andere Objekt am Ufer uns befchäftiat, und | Seeufer einen Ochfen getrieben haben, diejer 
wohl auch die kurze Dauer der Fahrt lafien das | fcheu geworden und in den See gejprungen, der 
Gefühl nicht aufflommen, daß unfer See, an , Metger ihm nachgeſprungen fein, und, um ihn 








Anton von Ruthner. 





zurüdzuhalten, ihn 


am Schweife ge: 
faßt haben. Das 
Yyurüdhalten ge: = 


lang aber nicht, 
vielmehr ſchwamm 
der Ochſe, durch feinen Hintermann vollends 
in Schrecken gejeßt, und dieſen, der fih, um 
nicht unterzugehen, nur um jo mehr am 
Schweife fefthielt, nad) fi ziehend über den 


See der ganzen Breite 
— nach, bis beide an der 
Stelle des Od: 

— 5“ ſenkreuzes 
mwohlbehalten, 


wenn aud er: 
mübet, wieder 
feften Grund 
unter ſich fühl: 
ten. — Schon 
hat fi, aber: 
mals auf dem 
nördlichen fer, 
die reizende 
Bucht des Fürber: 
ges, welde dem 
Dampficiff als 
Winterhafen dient, 
vor uns aufaethan, 
find wir an den Ge— 
bäuden des Bräu— 
hauſes Lueg am 
ſüdlichen Strande 
vorbeigekommen 
und nun treffen wir 
nach einer Fahrt von 36 Minuten in St. Gil— 
gen ein. 

Der unbedeutende Ort intereſſiert uns einzig 
und allein wegen ſeiner reizvollen Lage am 
See und ſeines vorzüglichen Blickes auf den 


Srurhtturm 
am Moltgangiee 
(8, us, 


Chhlentreus. 


Landungeplag am MWolfgangter. 


Oberöfterreichifche Seen. 


Et. Gilgen (6. 604). 





weitlihen Teil bei: 
jelben. Wir ver 
lafien ihn auch fo- 
gleih und fteigen 
auf der Salzbur: 
ger Poititrage, 
welde von Strobl am füdlihen Ufer und 
nachdem fie an der Halbinfel des Zinkenbachs 
vorbei ift, fortan hart am Geſtade hierher ge: 
langt, den Scheiderücken zmifchen dem St. 
MWolfganger und Fuſchelſee hinan. Es ift 
und nämlich befannt geworden, daß fich dort 
oben ein Landſchaftsgemälde erſchließt, fo herr: 
lid, wie wir deren sans phrase ſelbſt in un- 
feren herrlihen Alpen nur wenige zu finden 
wüßten. 

Da ſehen wir denn uns zu Füßen am Weit: 
ande des Sees auf grünem Grunde die Häufer 
von St. Gilgen um die Kirche, deren ſchlanker 
Turm hod) emporragt, gelagert. Bon dort nad) 
Oſten überbliden wir den reizenden lichtgrünen 
See feiner ganzen Länge nad) mit allen feinen 
Landzungen und Buchten. Das Maffiv des Schaf: 
bergs, dejjen Spite mit dem Hotel fi nicht 
länger verbirgt, thront im Norden über ihm. 
Ueber dem öftlihen Ende aber, an welchem der 
freundliche Kegel des Bürgels und die Kirche 
und Ortichaft Strobl im Sonnenlicht glänzen, 
dann über dem daran fich reihenden Thale 
der Iſchl gruppiert fich in vorteilhaftefter Meife 
das Iſchler Gebirge bis weit die Traun abwärts 


| und vervollitändigt mit den auf der Südſeite 


des Tees über den Vorhöhen, und hie und da 
durch Schluchten unterbroden, in den fühnften 
Normen himmelanftrebenden Hochſpitzen den 
maleriſchen Rahmen des entzüdenden Bildes. 
Wir verfennen es nicht, daß man bei Beur: 
teilung von Seen und überhaupt von Natur: 
ichönheiten nicht dem oder jenem oder der oder 
jener wie dem Schüler einer Klaſſe aegenüber 


N 


Sriedrich von Weeh. Das rote Kreuz in Deutfchland. 


611 


feinen Mitfhülern den erften, zweiten u. f. m. | willigen zu ben amtlichen Organen der Ver: 


Platz anmweifen fann. Selbit vorausgeſetzt, daß 
der Beurteilende die verglichenen Objekte voll: 
fommen fennt, fie insbeſondere bei jeder Be: 
leuchtung gejehen hat, baher ganz unbeeinflußt 
von dem Eindrude ift, welchen er hier bei gün— 
ftiger Witterung, dort bei ungünftiger empfan: 
gen hat, bleibt das Urteil immer ein jubjektives, 
weil eben jeder fich ſelbſt und in feiner Art den 
Begriff des Schönen gebildet hat. 

Nur unter diefer Nejerve des fubjektiven 
Eindruds erflärt der Verfaſſer, daß ihm ber 
Wolfgangfee unter den größeren Seen Ober: 
öfterreih®, jene des Salzkammergutes inbe- 
griffen, an landichaftliher Schönheit mit dem 
Traunfee obenan fteht. Zwar fehlen dem Wolf: 
gangjee die Orofartigfeit des Traunfees und 
bie nicht leicht anderswo wieder anzutreffenden 
Gegenjäge im Charakter der Ufer desfelben, an 
nicht etwa Fleinlicher, fondern hoheitsvoller An: 
mut und an überrafchenden Gebirgsformen ba: 
gegen fommt er dem Traunfee mindeftens gleich. 


Das rofe Kreuz in Deutfhland. 


Bon 
Friedrid von Weed. 


— 


Ye dem blutgedüngten Schlachtfelde von Sol: 
ferino ift eine mächtige und fruchtbare An: 
regung auögegangen, Das verjühnende Werk 
der Menjchenliebe, das in unfern Tagen dem 
Mänrer mordenden Kriege zur Seite geht, 
wird unter der Flagge des roten Kreuzes im 
weißen Felde ausgeübt. Dies ift das Symbol, 
welches gleichzeitig an die Religion der Liebe 
‘ und an die Nationalität des edeln Menfchen: 
freundes erinnert, deſſen raftlofem Eifer die 
Neutralifierung der Berwundeten und Kranken 
— eine der höchſten Errungenschaften unferes 
Sahrhunderts — zu verdanfen iſt. 

Die Löfung der Aufgaben, welche durch die 
Vorfchriften der Genfer Konvention den Sa: 
nitätsbehörben der Armeen geftellt find, erheifcht 
eine ſolche Aufbietung von Kräften, daß die 
regelmäßigen amtlihen Organe nicht ausreichen, 
fondern fich durch Hinzuziehung von Freiwilligen 
verftärfen müfjen. Das Verhältnis diefer Frei: 


wunbeten: und Krankenpflege darf aber Fein 
willfürliches fein, fondern muß feſten Normen 
unterliegen, wenn nicht die ſchlimmſten Ver: 
wirrungen entftehen follen. 

Für das Deutfhe Reich hat Se. Majeftät 
ber Kaiſer und König am 10. Januar 1878 eine 
Kriegs:Sanitätsordnung erlaffen, welde vie 
Aufgaben der amtlichen wie der freimilligen 
Krankenpflege im Felde feitftellt. Für das könig— 
lich bayerische Heer ift eine in allen wefentlichen 
Punkten diefer Verordnung entſprechende Ver— 
fügung am 10, Februar 1879 ergangen. 

Durh die Kriegs-Sanitätsordnung von 
1878 ift vermutlich für einen längeren Zeitraum 
die Grundlage fejtgejtellt, auf welcher fich, im 
engften Zufammenhange mit der amtlichen 
Krankenpflege und in ftrengjter Unterordnung 
unter diejelbe, die freiwillige Krankenpflege zu 
bethätigen hat. 

Es war daher eine durch die Natur ber 
Verhältniffe vorgefchriebene Aufgabe der zu den 


| Zweden der freiwilligen Kranfenpflege ver: 


bündeten deutfchen Vereine vom roten Kreuz, 


| eine ſyſtematiſche Anleitung für das Wirken 





diefer Vereine im Kriege wie für deren vorbe- 
reitende Thätigfeit im Frieden ausarbeiten zu 
laſſen. 

Ihre Majeſtät die deutſche Kaiſerin und 
Königin von Preußen, die erhabene Protektorin 
der humanitären Beſtrebungen, die unter dem 
Zeichen des roten Kreuzes gepflegt werden, 
hat zur Förderung einer ſolchen Arbeit einen 
Preis ausgeſetzt, und von drei durch das Central— 
fomitee der genannten Vereine bezeichnete Preis: 
richtern, zu denen der Verfaſſer diefer Zeilen zu 
gehören die Ehre hatte, wurde einftimmig die 
Arbeit des königlich ſächſiſchen Regierungsrates 
Friedrih von Criegern als des Preiſes 
würdig erflärt. 

Dieſem vortrefflihen Werke!) folgen wir 
hier bei dem Verſuche, in der durch den Charafter 
diefer Monatsjchrift vorgefchriebenen Kürze ein 
Bild der Funktionen und Zuftändigfeiten der 
Drgane der freiwilligen Kranfenpflege zu ent: 
werfen. 


*) Das rote Kreuz in Deutfchland, Handbuch 
der freiwilligen Krankenpflege für die Kriegs: und 
vorbereitende Friedenäthätigfeit von Friedrich 
von Griegern. Gefrönte Preisichrift. Leipzig, 
Verlag von Veit u. Comp. 1883. XIV u. 282 
Seiten. 





77° 


: 612 Sriedrich von Weech 


Die freiwillige Krankenpflege hat feine felb: 
ftändige Stellung. Sie ift dem ftaatlichen Orga— 
nismus eingefügt und wird von ftaatlihen Be— 
hörden geleitet. Sie hat lediglich an der Er- 
füllung der Aufgaben, welche der amtlichen 
Krankenpflege geitellt find, mitzumirfen. 


Es ift daher unerläßlich, fich mit den gel: 


tenden ftaatlihen Vorjchriften über die Kranken: 


pflege im Kriege befannt zu machen. Den ge: 


famten Sanitätsdienit auf dem Kriegsſchauplatze 
leitet der Chef des Feldfanitätswefens. Ihm 
unterftehen ein Armeegeneralarzt bei jedem 
Armeeoberfommando, ein Corpsgeneralarzt (mit 
fonfultierenden Chirurgen) bei jedem General: 
fommando, ein Divifionsarzt bei jeder Divifion, 
ein Etappengeneralarzt bei jeder Etappe und 
eine ber Zahl der Armeecorps entiprechende 
Anzahl von Feldlazarettdireftoren. 

Auf dem Schladhtfelde erhalten die Ver: 
wundeten bie erjte Hilfe durch die Truppenärzte 
und die denjelben unterftellten Zazarettgehilfen 
auf den Truppenverbandplägen. Dorthin wer: 
den fie durch Hilfskranfenträger verbracht, welche, 
den Truppen entnommen, durch eine rote Arm: 
binde fenntlich find und nicht unter dem Schuße 
der Genfer Konvention stehen. 

Die nächſte Organifation bilden die Sa: 


nitätöbetachements, deren jedes mobile Armee: 
corps drei, jede Nefervedivifion eines befitt. | 
Sie errichten einen Hauptverbandaplak und 
laffen dorthin dur die ihnen zugehörigen | 


Kranfenträger die Verwundeten verbringen. 
Non da werden diefe nad) den Feldlazaretten 


geſchafft. Jedes Armeecorps hat zwölf Feld: 


lazarette für je 200 Verwundete und Krane. 
Diefe etablieren fih womöglich in Gebäuden, 
eventuell in Zelten und Baraden. Hier werden 
durch die Kranfentransportfommiffion vier Kate: 
gorieen gebildet: Leichtfranfe und Schwerkrante, 
Leichtverwundete und Echwerverwundete. 

Wer von diefen transportiert werden fann, 
wird in Fahrzeugen, welche mit der erforder: 
lihen Strohſchüttung verfehen fein müfjen, zur 
nächſten Eifenbahnftation verbradt. Damit ge: 
langen diefelben in den Bereich der Etappen: 
injpeftionen. In diefem werden bie Leichtkranken 
und Leichtverwundeten in den Leichtkranfen: 
fammelftellen vereinigt und, ſoweit ihre rafche 
Heilung zu erwarten jteht, biß zur Genefung 
und Wiederentlaffung zu ihrem Truppenteil, in 


den Etappenlazaretten untergebradt. Jene, 


bei denen eine raſche Wiederherſtellung nicht in 


Ausfiht jteht, werden in Kranfenzügen der Hei: 
mat zugeführt. 

Im Rayon der Etappen befinden fich ferner 
die jtehenden Kriegslazarette, welche in ber 
Regel bejtimmt find, die Mblöfung und ben 
Erſatz der Feldlazarette zu bemwirfen und nur 
ausnahmsmeife auh unmittelbar Kranke und 


Verwundete aufnehmen dürfen. 


Um die Anhäufung von Kranfen und Ber: 
wundeten zu vermeiden und für Die neuen Zu: 
gänge immer Platz offen zu Halten, ift ein forg- 
fältig organijiertes Evakuationsſyſtem einge: 
richtet. Die Schwerverwundeten und Scmer: 
franfen, welche nur liegend transportiert werben 
fünnen, werden in Lazarettzügen befördert, 
welde eine gejchlofjene Formation mit einem 
etat3mäßigen jtändigen Perfonal und Material 
bilden und im Inlande aus dazu geeigneten 
Wagen zujammengeftellt werden, die ſchon im 
Frieden dazu vorbereitet find. Wenn fie für 
den Bedarf nicht ausreichen, können Hilfe: 
lazarettzüge gebildet werden, in denen Lage: 
rungsvorrichtungen improvifiert werden. Diefe 
beiden Kategorieen werden auch unter ber Bezeich: 
nung Sanitätszüge zufammengefaßt. In ſolchen 
Zügen dürfen Leichtverwundete und Peichtfranfe 
nicht transportiert werden. Für diefe, Die fich, 
wenn auch mit Unterftügung, in ben Wagen be: 
geben und in fißender Stellung fahren fünnen, 
werden aus gewöhnlichen Perfonenwagen Kran: 
fenzüge zufammengeftellt. Um die Anftrengun: 
' gen der Fahrt zu vermindern, werden für Diefe 
| Züge Uebernachtungsſtationen eingerichtet. 

In der Heimat, d. h. im Bereiche der Be: 
ſatzungsarmee und der jtellvertretenden General: 
fommandos, bildet der Chef der Medizinal- 
abteilung im Kriegäminifterium die Spite des 
amtlichen Sanitätädienftes, bei den ftellvertre: 
tenden Generalfommanbos aber ber ftellvertre: 
tende Generalarzt. Die vom Kriegsſchauplatz 
fommenden Verwundeten und Kranfen werden 
| in die Nefervelazarette verbracht, deren Errid: 
| tung von den jtellvertretenden Kommanbobehör- 

den angeordnet und in denen ein Chefarzt die 
' Pflege der Verwundeten leitet. Wo ſich mehrere 
Lazarette befinden, find Nefervelazarettdirektoren 
beftellt. Diefe leiten den Transport vom Bahn: 
hof nad) den Refervelazaretten, die Verteilung 
der Verwundeten und Kranken unter diefe, deren 
Entlaffung entweder als geheilt oder als dienſt⸗ 
unbrauchbar oder zu weiterer Behandlung in 
Bereinslazarette ober Privatpflege. 














Das rote Kreuz in Dentichland. 613 


Zur Ergänzung der für den Sanitätsdienft | Deren Angehörige treten indes alsbald abfolut 
im Felde erforderlichen Gegenftände, fomweit die: ! unter militäriihes Kommando und unter die 
felben nicht im Feindesland durch Requifition | Herrfchaft der Disciplinarftrafordnung für das 
oder Ankauf befhafft werben fönnen, beftehen | Heer und verlieren fomit den Charakter frei: 
Lazarettrefervedepotö. Jeder Etappeninfpektion | williger Helfer. Ebenfalld nur ausnahmsweiſe 
ift ein folches zugewiefen. Jedes derfelben be: | fanıı bei den Feldlazaretten durch die Etappen: 
figt zwanzig mit Train befpannte Fahrzeuge. | infpektionen die Mitwirfung von freiwilligen 
Die Füllung der Lazarettrefervedepots erfolgt | Kranfenpflegern und Pflegerinnen geftattet 
von den fog. Sammelftationen aus den dafelbft | werden. Diefes Perfonal unterfteht vollftändig 
errichteten immobilen Güterbepots, bezichungs: | dem Chefarzt, von dem es jederzeit wieder ent- 
weiſe deren eriter Seftion, die fpeciell zur Auf laſſen werben fann. 
nahme und Bereitftellung der für den Sanitäts- Beim BVorhandenfein eines dringenden Be: 
dienft erforderlichen Gegenftände beftimmt ift, | bürfnifjes fann endlich der Generalinfpefteur des 
während die übrigen Seftionen derjelben Vor: | Etappen: und Eifenbahnwefens unter Vorbehalt 
räte aller Art für die Armee und alle Heeres: | des Widerrufes die Errichtung einzelner Ver: 
einrichtungen bereit zu halten haben. ‚ einälazarette auf dem Kriegsſchauplatze zulafjen. 
Sehen wir nun, inmieweit bie freiwillige | Aus der, wenn auch nur ausnahmsweiſen, Ein: 
Kranfenpflege berufen ift, an der Erfüllung der | fügung von freiwilligen Transportfolonnen in 
Aufgaben mitzuwirken, welche dem amtlichen | die Sanitätödetachements folgt, daß ſolche Ko: 
Sanitätödienfte gejtellt find. Die freiwillige | lonnen, allerdings auch nur ausnahmsweise, 
Krankenpflege wird in der Kriegsfanitätsord: | au zum Transport von Verwundeten und 
nung nirgends ausbrüdlich definiert, indes er: | Kranken aus den Feldlazaretten nad) den Eifen- 
gibt fi) aus einer Reihe von Beftimmungen, | bahnen verwendet werden fünnen. 
daß unter diefem Namen verftanden wird : eines: | Wie ſchon erwähnt, beginnt erft im Rayon 
teild die Gejamtheit der Hilfsleiftungen an | der Etappeninfpeftion die regelmäßige Mit: 
Material ꝛc., welche der Militärkrantenpflege | wirkung der freiwilligen Krankenpflege und zwar 
durch Privatwohlthätigfeit zu teil wird, andern: | unter Zeitung des CEtappengeneralarztes mit 
teild und vorzugämeife die Gefamtheit der Ber: | Hilfe des Delegierten bei der Etappeninfpektion. 
fonen, welche, ohne Mitglieder des Heeres zu | Zum Dienste bei den Leichtfranfenfammelitellen 
fein, an der Verwundeten: und Krankenpflege | und den Erquidungs: und Verbandftationen 
im Kriege mitwirken, und zwar ſowohl Mitglie: | fowie in den Etappenlazaretten foll das Berfonal 
der von Vereinen und Genoſſenſchaften ala aud) | der freimilligen Kranfenpflege herangezogen, die 
Privatperfonen. \ Erfrifhungsftationen können felbft vollftändig 
Diefe Gejamtheit wird, nad den Beftim: | von Organen ber freiwilligen Krankenpflege über: 
mungen ber Kriegsfanitätsordnung, dem amt: | nommen und durch Delegierte des Faiferlichen 
lichen Sanitätödienfte gegenüber allein vertreten | Kommiſſars geleitet werben. 
dur den faiferlihen Kommiffar und Militär: In erheblicherem Maße ermeitert ſich das 
infpefteur der freiwilligen Krankenpflege. Er | Feld der Thätigfeit der freimilligen Kranken: 
wird vom Kaifer ernannt und bevollmädtigt, | pflege bei der Evafuation aus dem Bereiche der 
die Gefchäfte durch von ihm zu ernennende De: | Etappeninfpektion nad) den Refervelazaretten. 
legierte ausüben zu laſſen. Die Etappeninfpektionen teilen den einzelnen 
Bei der Feldarmee fommt die freimillige | Transportlommiffionen Begleitperfonal aus der 
Krankenpflege in der Regel nicht zur Verwen- | freiwilligen Krankenpflege zu, welche diefe nad) 
dung. Sie hat ihre Thätigfeit zu entfalten im | Bedürfnis verwenden. Bei den Lazarettzügen 
Rücken der Feldarmee, im Bereiche der Etappen: | wird dies nur ausnahmsweiſe der Fall fein, 
infpeftionen und der ftellvertretenden Kom: | öfter wohl bei den Hilfälazarettzügen, während 
manbobehörben in ber Heimat. bei den Kranfenzügen in ber Regel das Begleit: 
Ausnahmsmweife fann bei den Sanitäts- | perfonal aus der den Transportlommiffionen 
detachements der Anjchluß einer für die Ber: | zur Verfügung geftellten freiwilligen Begleit- 
wundeten beftimmten Transportfolonne an die kolonne zu ftellen ift. 
Armee im Bereiche der fechtenden Truppen von Auf Antrag des Faiferlihen Kommifjars 
den Armeeoberfommandos geftattet werden. | fann der Generalinfpefteur des Etappen: und 


614 


Eiſenbahnweſens der freiwilligen Krankenpflege 


geftatten, Zazarettzüge aus eigenen Mitteln zu 
errihten und unter eigener Verwaltung und 
Zeitung in den Dienft zu ftellen. Da ein folcher 
Zug aus 41 Wagen zu beftehen hat, jo werben 
ſich die Koften für Einrichtung und Betrieb fo 
hoch ftellen, daß die freiwillige Krankenpflege 
faum in die Zage fommen wird, von diejer Er: 
mädtigung Gebrauch zu machen. Eher wird fie 
veranlaßt fein, nah Bedarf Hilfslazarettzüge 
einzurichten. 

Im Herrſchaftsgebiete der ftellvertretenden 
Generalfommandos bei der Bejaßungsarmee 
wird bie freiwillige Krankenpflege auf Anord: 
nung ber Nefervelazarettdireftoren bei dem 
Transport der VBerwundeten und Kranken vom 
Bahnhofe nah den Refervelazaretten ſich be: 
teiligen fönnen, Für dieſe hat fie ausgebildete 
Kranfenpfleger und Kranfenpflegerinnen bereit 
zu Stellen und fann in denfelben einzelne Zweige 
der Lazarettverwaltung, insbejondere der Wirt: 
haft übernehmen. Selbjtändig kann fie Ver: 
einslazarette (von mindeftens zwanzig Betten) 
und Nefonvalescentenftationen errichten. Privat: 
pjlegeanftalten dürfen nur folde Perſonen eröff: 
nen, welche durch eine Beicheinigung des Vor: 
jtandes eines vom Staate anerfannten Pflege: 
vereines nachweiſen, daß fie für Die ordnungs— 
mäßige Pflege der Aufzunehmenden (die indes 
auf Nefonvalescenten beihränft find) voll: 
jtändige Gewähr bieten. 

Eine der wichtigſten Aufgaben der freiwil: 
ligen Krantenpflege befteht in der Sammlung 
und Zuführung der freiwilligen Gaben für die 
Kranfenpflege und zwar ſowohl der Lazarett: 
bedürfnifje als der Erquidungsgegenftände. Se 
nad Ländern, Provinzen, Bezirken werben durch 
den Ffaiferlihen Kommifjar im Einvernehmen 
mit den jtellvertretenden Generalkommandos, 
womöglich an oder in der Nähe von Etappen: 
anfangsorten in Lazaretten der Militärverwal- 
tung Annahmeftellen errichtet, von wo die ge: 
fammelten Gaben an die ftaatlichen Güterdepots 
gejchidt werben follen, Auch bei der Füllung 
der Lazarettreſervedepots und noch in höherem 
Make bei der Errichtung von Vereinsdepots 
findet die freiwillige Krankenpflege Gelegenheit, 
eine reihe Wirkſamkeit zu entfalten. Schließlich 
hat fie noch die Aufgabe, Nachrichten über die 
in den Zazaretten befindlichen Vermundeten und 
Kranken an deren Angehörige zu vermitteln, fi 
zu diefem Behufe in den Lazaretten, in denen 


Stiedrich von Weech. 


ihre Angehörigen thätig find, hilfreich zu er 
weifen, als auch Nachweiſebureaus zu errichten. 

Der faiferlihe Kommifjar und Militärinfpel: 
teur der freiwilligen Krankenpflege, der, wie 
ſchon erwähnt, die leitende Spite der freiwilligen 
Krankenpflege ift und den Verkehr der einzelnen 
Organe derſelben mit den Staatöbehörben und 
der Armee zu vermitteln hat, bedient fih hierzu 
jeiner Delegierten. Diefe wählt er vorzugsmeife 
aus ſolchen Genofjenihaften und Vereinen, 
welche jhon im Frieden den Zwecken der Kranken: 
pflege fih gewidmet haben und berechtigt find, 
dem faiferlihen Kommiffar Perſonen in Vor— 
ſchlag zu bringen, mwelde fie zur Uebernahme 
der Funktion von Delegierten für geeignet hal: 
ten. Solche Delegierte werden auf Grund der 
Beftunmungen der Kriegsfanitätsordnung jo: 
wohl auf dem Kriegsfhauplage ala im Bereiche 
der jtellvertretenden Kommandobehörden beftellt. 

Alle Angehörigen der freiwilligen Kranken: 
pflege, welchen die Ausübung einer Thätigfeit 
auf dem Kriegsſchauplatze geftattet wird, müjjen 
uniformiert fein. Durch eine befondere Verord⸗ 
nung ift vor einiger Zeit Schnitt und Farbe 
diefer Uniform fejtgeftellt worden. 

Eine jo umfangreihe und wichtige Thätig- 
feit, wie fie den Organen der freiwilligen Kran: 
fenpflege durch die Kriegsfanitätäorbnung ein: 
geräumt ift, verlangt unfraglich ſchon im Frieden 
eine wohlorganifierte Vorbereitung. Und diefe 
wird am folgerihtigften von mehr oder weniger 
eng und feſt gejchlofjenen Körperſchaften er- 
wartet werden dürfen. Bezüglih der Dele- 
gierten, die der Eaiferliche Kommiſſar und Mi— 
litärinfpefteur ernennt, verweiſt ihn die Kriegs— 
fanität3ordnung ausdrüdlic auf jene Vereine 
und Körperfchaften, die ſchon in Friedenszeiten 
fi) mit Krankenpflege befchäftigen. Das find 
aljo die Zohanniter und Maltefer und bie 
bayerifhen Georgiritter, die Diafoniffinnen und 
barmherzigen Schweitern und die Vereine vom 
roten Kreuz. Die Nitterorden werden wohl nur 
Delegierte und bezahltes Pflegeperfonal ftellen 
fönnen, die Frauenorden und die Vereine vom 
roten Kreuz aber find in der Lage, eine große 
Menge von freiwilligen Kranfenpflegern und 
Pflegerinnen im meitejten Sinne des Wortes 
im Inland wie auf dem Kriegsfchauplage zu 
verwenden, aljo neben Delegierten und Depot: 
verwalten, pflegenden Schweitern und Kranfen: 
mwärtern auch mohlorganifierte und vollftändig 
ausgebildete Transportlolonnen. Die Bereine 


— — 


Das rote Kreuz in Dentfchland. 


vom roten Kreuz, an deren Spite ein in Berlin 
tagendes Gentralfomitee fteht, in welchem Ber: 
treter aller mit der Krankenpflege im Kriege ſich 
befafjenden Vereine (nicht aber der Orden) Sit 
und Stimme haben, find fo geartet, daß in 
ihnen der Wille, für den Krieg ſchon im Frieden 
vorbereitend thätig zu fein, ſich mit den hierzu 
nötigen Mitteln vereinigt. Die große Zahl der 
Frauenvereine bejchäftigt ſich vorzugsweiſe mit 
der Ausbildung von Krankenmwärterinnen, wäh: 
rend die Männervereine insbefondere den Unter: 
richt für Anlegung erfter Verbände und für den 
Transport von Werwundeten und Kranken, 
ſowie die für ein auf dem Kriegsfchauplag in 
Thätigfeit tretendes Corps unumgänglich) nötige 
militärifhe Schulung ins Auge faffen. In das 
Berliner Centralfomitee, das urfprünglid nur 
aus Delegierten der Männervereine beftand, 
find neuerdings auch Vertreter der oberften 
Spite der Frauenvereine eingetreten, und aud) 
die Kriegervereine, zunächſt Norddeutfchlands, 
haben ihre Abgeordneten in dies Gentralfomitee 
entfandt. In einigen deutfchen Ländern hat ſich 
für Frauen: und Männervereine auch ſchon in 
den engeren heimifchen Bezirfen eine organifche 
Verbindung ergeben und fegensreich bewährt, 
welche für die Männervereine und den vater: 
ländifhen Frauenverein in Preußen erſt noch 
im Entjtehen begriffen ift. 

Die Vereine vom roten Kreuz haben in den 
großen Kriegen ber lebten Jahrzehnte, neben 
den Ritter: und Frauenorden und vielfad) Hand 
in Hand mit diefen, eine nicht hoch genug anzu: 
ſchlagende Wirkſamkeit entfaltet. Eingeengt 
durch veraltete Reglements, mißtrauiſch be— 
trachtet von Kommandobehörden und Aerzten 
haben ihre Angehörigen im Kriege von 1870— 71 
eine Thätigfeit entwidelt, weldye weit über den 


Nahmen hinausging, der dur die amtlichen | 


Vorfchriften der freimilligen Krankenpflege vor: 
gezeihnet war. Die Vereine hatten indefjen 
einen ihre Bethätigung auf dem Kriegsſchau— 
plag weſentlich beeinträchtigenden ſchwachen 
Punkt in der ganz ungenügenden Organifation 
der Kolonnen, die fie zum Behufe des Verwun— 
detentrandportö in großer Zahl entfandten. Es 
war darunter viel unbrauchbares Perfonal, fo: 
gar Leute höchſt zweifelhaften Charakters, und 
auh wo Wille und Gefinnung tadellos war, 
fehlte es vielfach am Können, vor allem an dem 
ſtrammen Gehorfam, der im Kriege die Be: 
dingung jedes Erfolges it. 


615 


Das wird in Zukunft anders fein. Wie 
ihon erwähnt, iſt eine geſchloſſene Drganijation 
durch die neue Kriegsfanitätsordnung zur Vor: 
ausfegung der Wirkſamkeit der Organe der frei: 
willigen Krankenpflege gemacht. 

Ueber die auch heute noch fehr eng gezogenen 
Grenzen für die freiwillige Krankenpflege herricht 
unter den Vereinen vom roten Kreuz einige Un: 
zufriedenheit. Indes jehen doch — ganz abge: 
jehen davon, daß nad) Erlaf der neuen Kriegs: 
janitätsordnung diefe nunmehr als ein auf ge: 
raume Zeit wirffames Gefet zu betrachten ift — 
diejenigen Vereinsangehörigen, die den Krieg 
aus eigener Anſchauung fennen, einerfeits mit 
Unbefangenheit den großen Fortjchritt, welchen 
die neuen Verfügungen gegenüber den früher 
geltenden Beftimmungen bezeichnen und ander: 
jeit3 geben fie fich, geftügt auf die in der Praris 
gemachten Erfahrungen, der beftimmten Erwar: 
tung bin, daß die Unzulänglichleit der jtaat: 
lihen Sanitätsanftalten, die ſich bisher noch in 
jedem Kriege ergeben hat und aud) in Zufunft 
jich ergeben wird, einfach aus dem Grunde, weil 
feine Armee der Welt eine fo große Zahl von 
Aerzten und Kranfenpflegern u. ſ. f. mit fi 


\ führen kann, als man ihrer bedarf, wenn große 


blutige Schlachten raſch hintereinander ge: 


ſchlagen werden, daß diefe Unzulänglichfeit wie 





ae 


ehedem auch fünftighin dazu führen wird, eine 
der Schranken, welche die Neglements gegenüber 
dem Wirken der freiwilligen Krankenpflege auf: 
gerichtet haben, nad) der anderen zu bejeitigen, 
und die Hilfe, wenn fie in brauchbarer Weife 
geboten wird, auch da von Organen der frei: 


‚ willigen Kranfenpflege anzunehmen, wo fie reg: 


lementsmäßig nur von ftaatlihen Organen ge: 
leiftet werden follte. 

Daß fie fi fähig machen, zunächſt ordnungs⸗ 
mäßig, im Fall der Not aber aud) über die vor: 
gefchriebenen Grenzen hinaus, nad) Form und 
Inhalt wohlgeordnet in das gewaltige Gefüge 
einzugreifen, wie es im Kriege auf all den 
mannigfaltigen hier in Betracht kommenden 
Gebieten in die Erfcheinung tritt, das muß die 
gar nicht ernft genug aufzufafiende Aufgabe der 
Vereine vom roten Kreuz fhon im Frieden fein. 
Das preisgefrönte Werk des Herrn von Crie— 
gern bietet hierfür, in feinen Rüdbliden auf die 
Vergangenheit, in feiner Darlegung deſſen, mas 
heute Geſetz ift, und in den Erwägungen über die 
Friebensthätigfeit der Vereine vom roten Kreuz 
die zuverläffigite und ſachkundigſte Anleitung. 

78 


616 


4, Sobin. 


Die Madonna mit den Silien. 


Srzählung von X. Godin. 
Schluß.) 


as Mädchen an feinem Arm zit: 
terte und ſchauderte während der 
A paar hundert Schritte, die durch 
den Rüdwärtsanbau des Cirkus 
in das Freie führten, und ala 
* Luft den Brandgeruch, die verhältnis— 
mäßige Stille, draußen den Lärm des aufgereg— 
ten Durcheinander ablöfte, fchluchzte fie einmal 
auf, wie ein erfchrodenes Kind. 

„Wohin führt Zhr Weg, Fräulein?“ frug 
Robert, nahdem fie aus dem Menfchengebränge, 
das bereit3 den ganzen Pla ummogte, in eine 
ruhige Straße gelangt waren. 

„Wir wohnen in der Sophienftraße, das 
ift noch weit,“ fagte fie. „Aber bitte, fommen 
Sie mit bis an unfer Haus, meine Füße tragen 
mich faum. Fritzchen fol aber jetzt laufen!“ 

„Laflen Sie mir das Kind, e3 ift ja leicht 
wie eine Feder. Selbftverftändlich, daß ich Sie 
nah Haufe bringe. Warum zittern Sie aber 
noh? In der Gefahr zeigten Sie fi doch 
tapfer — fogar tapferer ala die Meiſten!“ 

Eine leichte Bewegung des Armes, der in 
dem feinen lag, ließ Robert zugleich mit feiner 
Begleiterin den Schritt anhalten. Zu feinem 
Erftaunen Fang ein filberhelles Lachen auf. 
„Das ift wahr!“ rief des Mädchens klare 
Stimme. „D, wie fie rannten! Haben Sie ge: 
fehen, wie meine dide Nachbarin auf die Bank 
ftieg, erft mit einem Fuß, dann mit bem anderen, 
die beiden Arme in die Luft hob, mit aufge: 
fperrtem Munde und folhen Augen!“ 

Auch Nobert mußte lachen, als das beweg— 
lichfte Mienenfpiel eine treue Kopie ber fomi: 
hen Figur zeigte. 

„Ich dachte nit, daß Sie Zeit fanden, 
dergleihen Beobadhtungen zu machen,“ ſcherzte 
er im Meitergehen. „m erften Moment fahen 
Sie aud nicht wenig erihroden aus und waren 





auf dem Sprung davonzulaufen. Und doch ein 
Auge für Komik?” 

„O, dergleichen würde mir in meinem legten 
Stündchen nicht entgehen,“ ſagte fie leichthin 
und begann eine drollige Schilderung ber 
Scenen, welche fi während der paar Minuten 
von Noberts Abweſenheit vor ihr abgefpielt. 
Er ſah ergögt auf die lebhaften Züge nieder, 
die ſich unterdem hellen Nachthimmel fein abzeich⸗ 
neten. Erſt jegt, während ihres forglojen Ge 
plauders fam er dazu, des Mädchens Gefidt, 
das er den Abend hindurch meift im Profil ge 
fehen, genauer zu betrachten. Alles an ihr war 
weich, ſchmiegſam und zugleih von pifantem 
Ausdruck. Die dunfeln, niht großen, ſchön ge: 
ſchlitzten Mugen funfelten ſchalkhaft unter einer 
ſchmalen, jchneeweißen Stirn und wurben burd) 
ftarfe, gleichfalls dunfle Brauen, die fich kaum 
mwölbten, jondern ala ein, beinahe zufammen: 
ftoßender Strich himogen, ganz eigentümlich 
beſchattet. Das feine Näschen, der feine Kinder: 
mund und das lichtblonde Gelod ftanden hierzu 
in einem Kontraft, der durch den zarten Teint 
noch gehoben wurde. Neugierig hörte ihr 
Führer dem Plaudern zu, das ihm feinerlei 
Aufſchluß über Stand und Bildungsgrad des 
Mädchens gab; troß einer leifen Färbung ſüd— 
deutichen Accentes, ſprach fie fehr korrekt, mit 
leicht fliegendem Ausdrud; was fie ſprach war 
voll Munterkeit, ſogar voll Mutterwig und 
verriet einen raſchen Geiſt. Um ſo mehr wunderte 
er ſich über einzelne Plattheiten, die zwar nur 
im WVorübereilen, dennod einen Mangel an 
feinem Gefchmad zeigten, der zu der ganzen Cr: 
ſcheinung im Widerſpruch jtand. Cs blich 
reichlich Zeit, diefe Betrahtungen anzuſtellen, 
denn ber zurüdzulegende Weg nahm eine gule 
Stunde in Anfprud. Von irgend Perfönlicen 
fam nichts zur Sprade als die Aeuferung: daß 


— — in 


Die Madonna mit den £ilien. 


der kleine Fritz, deilen Kopf bald in tiefem 
Schlaf auf Roberts Schulter lag, nicht ein 
Bruder des jungen Mädchens fei, fonbern ihrer 
vermwitweten Schweiter zugehörte, bei der fie lebe. 

Am Haufe angelangt, welches die Blondine 
als ihr Ziel bezeichnete, ud fie Robert ein, mit 
ihr einzutreten und fich bei der Schweſter vom 
Wege auszuruhen. Er lehnte dies mit dem 
Bemerken ab, daf es bereits ſehr fpät fei, reichte 
ihr das fchlafende Kind, nachdem fie den Schlüfjel 
hervorgezogen und die Hausthüre aufgeiperrt 
hatte und empfahl fih. Eine Heine weiche Hand 
drüdte die einige mit dem Worte: „Auf Wieder: 
fehen und taufend Dank!“ 

Dann verſchwand die zierliche Gejtalt im 
Haufe und Nobert trat feinen Heimmeg an. 
Die Nacht war lau und Schön, er jchlenderte be: 
haglıd dahin, das kleine Abenteuer hatte ihn 
angenehm berührt und während feine Gedanken 
ſich noch damit beichäftigten, machte ihm defjen 
Mitteilung an feine Frau fhon im voraus 
Vergnügen. Wirklich fehte er fih, troßdem 
ſchon elf Uhr vorüber war, als er fein Haus er: 
reichte, noch an den Schreibtiich und entwarf 
eine muntere Schilderung feiner Erretterrolle, 
wobei ihm einfiel, daß Franzisfa ihn fchelten 
würde, gar nicht nah) dem Namen jeiner Be: 
gleiterin gefragt zu haben. Er lächelte ſelbſt 
bei diefer Bemerkung, und das fleine Erlebnis 
ſchien ihm um fo hübſcher, eben weil es fi an 
feinen Namen fnüpfte, wie ein Blümchen am 
Wege einzeln ftehen bleiben würbe. 

Am nähften Morgen, als Robert bei feinem 
Frühſtücke ſaß, kam das Dienſtmädchen herein 
und ſagte: 

„Hier iſt ein Ding, was ich im Aufſchlag 
Ihres Rockärmels gefunden habe, Herr Bau— 
meiſter! es fiel heraus, während ich den Rock 
ausklopfte.“ 

Verwundert betrachtete Robert den kleinen 
Gegenſtand. Es war eine italieniſche Moſaik 
in Rautenform, einen Vogel im Neſte auf 
blauem Grunde darſtellend. Im erſten Moment 
begriff er nicht, auf welche Weiſe dies in ſeinen 
Aermel geraten ſein könnte; im nächſten fiel 
ihm ein, daß er im Verlaufe des Abends am 
Halſe des vor ihm ſitzenden Fräuleins ein 
rautenförmiges Medaillon geſehen hatte, das 
ſie an ſchwarzem Samtbande trug. Natürlich 
war ſeine Aufmerlſamkeit durch nichts an dies 
Schmuckſtück gefeſſelt worden, deſſen Exiſtenz 
nur als zur ganzen Erſcheinung gehörig in 


617 


feinem Gedächtnis geblieben und ihm wahr: 
fcheinlich durd} feine ungewöhnliche Form über: 
haupt bemerflih geworden. Daß fi bie 
Mofaik unterwegs aus der Faſſung gelöft haben 
mußte und an ihm hängen geblieben war, lag 
nahe, und er nahm fich vor, den Fund, welchen 
deſſen Eigentümerin vielleicht ungern vermißte 
ihr noch denfelben Morgen zuzufenden. 

Da fiel ihm ein, daß er ja weder eine 
Adreſſe, no die Nummer des Haufes zu be: 
zeichnen wußte, in welchem die junge Dame 
wohnte. Es war alfo nötig, die Bejorgung 
perfönlich zu übernehmen, wenn er richtiger Be: 
ftellung ficher fein wollte. 

Zunächſt fehlte es ihm hierzu an Zeit; das 
Fräulein mußte ihren Verluſt ſchon für diefen, 
vielleicht noch für den folgenden Tag verfchmerzen. 
Doch ftedte er für den Fall, daß er gegen abend 
zeitig genug frei fein würde, die Moſaik zu fich, 
als er nad) den Bureauarbeiten, die feinen 
Morgen füllten, nahmittags zur Bauftätte 
ging. E3 wurde wirklich für heute zu fpät; am 
nächſten Abende fand ſich aber Zeit; er benußte 
die Pferdebahn, um die von feiner Wohnung aus 
ziemlich beträchtliche Entfernung abzufürzen, 
und lächelte bei Erwartung dieſes zweiten 
Teiles feines Abenteuers in ſich hineir. 

Ein anderer würde eö wohl ſchwierig ge: 
funden haben, überhaupt das nur bei abend ge: 
fehene Haus wiederzuerfennen; der Architekt 
war zu fehr gewöhnt, jede kleine bauliche Eigen: 
tümlichfeit auch ganz abfichtslos zu bemerken, 
als daß er. nicht auf den erften Blid die bogen- 
förmige Hausthüre richtig refognosziert hätte. 
Nun galt es auch die rechte Thüre innerhalb zu 
finden. Robert entfann fih, daß feine Beglei: 
terin zu einem erleuchteten Fenſter des zweiten 
Stockwerkes aufgefhaut hatte, und folgte diefem 
Wink. Der Anblid Frischens, den er in dieſer 
Etage auf dem Flur fpielend fand, erfparte ihm 
die Wahl zwiſchen der Klingel zur Rechten oder 
Linken. Das Kind fah ihn zwar etwas zweifel: 
haft an, rannte aber bei der frage nad) der 
Tante auf die nur angelehnte Abſchlußthüre 
zur Linken zu, und hinein. Robert folgte und 
hatte nicht einmal nötig zu flopfen, denn ber 
demfchrillen Ruf: „Tante Flory, Tante Flory!“ 
öffnete fich eine Zimmerthüre und feine junge 
Freundin vom Cirfusabend trat heraus. Ahr 
feines Geſichtchen färbte ſich lebhaft, als fie 
Roberts anfihtig wurde, fie fam mit auäge: 
ftredter Hand auf ihn zu: 


618 


„Das iſt ſchön!“ fagte fie, und ſah be: 
friedigt aus wie ein Kind, das befommt, mo: 
nah ed im Augenblick die Hand ausjtredt. 
„Ich hatte auf Ihren Beſuch gehofft, daß Sie 
heute ſchon kommen, ift jehr lieb und ſchön!“ 

Ste war ihm mit einladender Bewegung 
nah dem Zimmer vorausgegangen, und bort 
fam er aud zu Worte, indem er das Bruchſtück 
ihres Schmudes hervorzog und ihr übergab. 
Ihre Freude, das vermißte Eigentum fo uner: 
wartet wiederzufinden ſprach fih auf das An: 
mutigfte aus, und fie dankte mit einer Wärme, 
als wären ihr Diamanten und Perlen zurüd: 
gebracht. Inzwiſchen nahm der Gaft auf ihre 
Einladung Platz und frug, ob der gejtrige 
Schreck ihrer Nachtruhe nicht übel befommen fei. 
Während ein munteres Geſpräch fich entfpann, 
ließ Robert feine Augen dann und wann durch 
das Zimmer ſchweifen. Es war mit einer ge: 
willen Eleganz eingerichtet, wenigfteng fiel eine 
jolde im erften Moment in die Augen; trotzdem 


jedes Gerät zierlid und in feiner Art geihmad: | 
voll war, blieb ein unruhiger Eindrud zurüd: | 


Effekt ohne Harmonie. Durch die offene Thür 
des anftopenden Zimmers bemerkte er einen 
großen, mit buntfarbigen Stoffen oder Gewän— 
dern bededten Tiſch, an dem fich eine Frau zu 
ihaffen machte, welche dieſer den Rüden zu: 
fehrte. Der Heine Salon, in welchem Robert 
jaß, war ſtark mit Blumenduft durchzogen, ber 
von mehreren Sträußen ausging, welche, mehr 
oder weniger frifch, auf Tiſch und Konfole ftan: 
den. Ueber dem Pfeilerfpiegel hingen zwei 
große, mit Bandſchleifen geihmüdte Kränze. 

Es ward dem Baumeifter hier raſch behag: 
lich, ala hätte er wer weiß wie oft ſchon in 
diefem mit weichen Kiffen ausgefütterten Korb: 
ftuhl geſeſſen und fi mit feinem Vis-a-vis 
unterhalten. Nichts Bequemeres, als das Ge: 
fpräch diefes Mädchens, deffen naive Zutrau: 
lichkeit den anderen ganz heimifch ftimmte. Sie 
hatte ein Talent, vom Hundertiten ins Taufendjte 
zu fommen, mit irgend einer leifen Pendel: 
ſchwingung geſchickt von einem Gegenftand auf 
den anderen hinüberzuleiten, che das erfte 
Thema erjchöpft war, ein Talent, welches No: 
bert nie in gleicher Weiſe angetroffen und das 
ihn in amufantem Geplauder die Zeit vergeflen 
ließ. Erft als die Frau aus dem Nebenzimmer 
mit einer brennenden Lampe eintrat und von 
Fräulein Flory als ihre Schwefter, Frau Rath 
mann, bezeichnet wurde, befann ſich der Gaft, 


| 
| 
| 
| 
| 
| 


N. Sobdin. 


daß er über eine Stunde Hier geſeſſen haben 
mußte. Nahdem er, um ber Hausfrau vorge 
jtellt werden zu fünnen, feinen Namen genannt, 
blidte er fragend auf Flory. 

„Ich heiße: die Schütz,“ ſagte fie lächeln, 
„und hoffe, daß mein Name Ihnen bekannter 
ift, als mein Gefiht e8 war, Herr Baumeiſter! 
Sie find offenbar fein Freund Des Theaters, oder 
ſchwören einzig zum Hoftheater, ſonſt würde ıd 
nicht nötig gehabt haben, mid Ihnen zu nennen.” 

Robert war wirklich ein fo jeltener Gaft der 
Theater, daß er fih, trog Florys zuverfiät 
licher Vorausfegung, auch jegt einen Moment 
zu befinnen hatte, um fih an den Namen der 
gefeierten Soubrette einer vielbefuchten Vor: 
jtabtbühne zu erinnern. Er verbeugte fid: 

„sh verſuche nicht mein Barbarentum zu 
entfchuldigen. Arbeit [chafft den Künften gegen: 
über nur da feinen Notjtand, wo Die Kunſt ins 
Fach ſchlägt. Leider hatte ich mich feit Jahren 


des Theaterbefuchs ziemlich zu entwöhnen.“ 





— — — — — — — — — 


„Nun werden Sie mich aber doch ſpielen 
ſehen?“ ſagte Flory in dem koſenden Ton, der 
ſoviel mehr zu ihren weichen Lippen als zu dem 
Schalk in ihren Augen ſtimmte. „Sie ver: 
iprechen mir das?“ 

Etwas zögernd ſchlug er in das ausge: 
itredte Händchen. „Meine Zeit ift fehr be 
ihränft —“ 

„Sie fommen! Und wenn ic Sie im Parkett 
entdede, will ich alles aufbieten, einen Ketzer 
zu befehren. “ 

Als Robert von diefem Beſuch nach Haufe 
fam, fand er einen Brief Franziskas, der ihn 
jehr erfreute. Er brachte die Mitteilung, dab, 
wenn gemifje, ganz wahrſcheinliche Konjunk— 
turen einträten, ihrer Nüdfehr im Laufe ber 
nächſten Woche nichts mehr im Wege jtände. 
Sehr befriedigt durch diefe Nachricht, antwortete 
Robert auf der Stelle, ohne in feinem Briefe 
des heutigen Ganges zu erwähnen, ber me: 
mentan al3 ganz Flüchtiges, Zufälliges zurüd: 
trat, während der Inhalt von Franzisfas Mit: 
teilungen eingehende Antwort und Meinungs: 
äußerungen veranlaßte. 

Am nächſten Tage, ald er mittags nach 
Haufe fam, fand er ein zierlich befriteltes 
Couvert vor, das eine Parkettkarte für die im 
X: Theater heute Abend ftattfindende Vorftellung 
der „Brille“ und zwei Zeilen von Flory Schüt 
einſchloß, die liebenswürdig baten, ihm die Titel: 
rolle voripielen zu dürfen. 


Die Madonna mit den £ilien. 


Die Ausfiht, feine liebe Hausfrau bald | 
wieder daheim zu haben, Hatte feine Stimmung | 
fo gehoben, daß er ſich ganz aufgelegt fühlte, | 
fich einmal in befonderer Weiſe unterhalten zu 
lafjen. Der Abend fand ihn demgemäß auf dem 
ihm angebotenen Site. Das gefüllte, baulich 
vecht hübſche Haus, die von Beginn an fehr | 
belebte Stimmung de3 Publikums verfegten 
ihn fogleich in einen fefttäglichen Humor und er 
folgte der Aufführung des Stüdes, defjen Stoff 
er weder als Novelleninhalt, noch in ber ge: 
ſchickten Bearbeitung fannte, mit wirflihem In: 
terefie. Bis jetzt hatte er nie eine Berfönlichkeit | 
auf der Bühne erfcheinen jehen, die ihm außer 
derjelben zuvor begegnet war. Es ſchien ihm, 
ala fpiele Flory Schüß in diefer Rolle fich felbit; 
jeder neue Ton, den fie anfchlug, mußte eine, | 
ihm noch nicht fichtbar gewordene Seite ihres | 
Naturell3 fein. Sie ſah als Fadette reizend | 
aus und es glüdte ihr ganz wunderbar, die 
Natur zu fopieren und dabei natürlich zu blei- 
ben. Wie ſchwierig dies fei, welches Talent, 
welche Routine fich dadurch verriet, wußte No: 
bert nicht zu beurteilen; der laute Beifall, wel— 
cher die junge Künftlerin auözeichnete, fand bei 
ihm aber ein lebendiges Echo. Syn der Scene | 
des Tanzes mit dem eigenen Schatten war fie 
entzüdend, und dem neuen Zufchauer entaing 
e3 nicht, daß er felbft längſt von der Schau: 
ipielerin bemerft worden war, die gerade in 
diefer reizvollen Scene ihre Augen wiederholt 
nah dem Plate richtete, den er als ihr Gaft 
einnahm. | 

Das luftige Bild tanzte diefe Nacht in No: | 
bertö Träumen. Er hatte fi vorgenommen, mit | 
einer Zeile für die Zufendung der Eintritts: 
farte zu danfen, und damit einen Strid) unter | 
die zufällig entitandene Beziehung zu machen, 
doch Fam er nicht dazu. Am zweiten Tage fagte 
er ſich, daß die gewöhnliche Artigfeit ihm ge: 
biete, diefen Dank nicht länger hinauszufchieben 
und ein Wort über den Eindrud daran zu 
nüpfen, den der Künftlerin Spiel ihm gemacht. 
Hieraus ward ein volljtändiger Brief, den ab: 
zuſchicken ihm nun wunderlich erfchten. Während 
er noch ſchwankte, ob er nicht beſſer thue, all das 
mündlich zu äußern, brachte ihm die Stabtpoft 
eine neue Karte für die Aufführung des heuti- 
gen Abends: „Ajchenbrödel”. Diesmal lag feine | 
Zeile bei, der Umſchlag des Billets trug nur 
drei Frage⸗ und ein Ausrufungszeichen. 

Robert lachte, beſchloß der Einladung in | 








| artiger Form abzulehnen. 


619 


das Theater zu folgen und am nächſten Tage 
zugleich mit Danf und Kritik weitere Güte in 
Gegen abend befam 
er wieder Nachricht von Franziska, welde die 
Ausficht, fie bald hier zu fehen, nicht nur auf: 
hob, fondern ihre Heimkehr fogar noch auf Wo— 
hen hinausfhob, wenn der Zwed ihrer Ab: 
weſenheit nicht in Frage gejtellt werben jollte. 
Berjtimmt durch Dies Unerwartete, verlor Nobert 
alle Luft an feinem projeftierten Abendvergnü- 
gen, blieb daheim und vergrub fih an feinem 
Schreibtiſch in Koftenanfchlägen und Berichten. 
Der nächte Nachmittag fand ihn auf dem 
Wege in die Sophienſtraße. Er hatte die 


' Theaterzettel an der Ede ftudiert und fich über: 


zeugt, dab Flory Schü heute nicht fpielte. 
Auch traf er fie zu Haufe. Mit einer ſchmollen— 
den Miene empfangen, die ihr reizend ftand 
und viel mehr ausbrüdte, als ihre fämtlichen 
lähelnden Grübchen, fah er ſich aufgenommen 
wie einen alten Freund und ſaß in der nächſten 
Minute ſehr häuslich eingerichtet im Korbſtuhl, 
Flory gegenüber. 

„Uebrigens kenne ich Sie ſchon lange,“ 
ſagte die junge Schönheit ganz unvermittelt aus 
einem Geſpräch über Allgemeines heraus; „ich 
bin Ihnen öfters im Park begegnet. Sie haben 
da freilich niemals von mir Notiz genommen, 
ſondern ſich eifrigſt mit einer älteren Dame 
unterhalten, die Sie führten. Wahrſcheinlich 
Ihre Schweſter?“ 

„Meine Frau,” ſagte Robert lächelnd. 

„Ihre Frau?“ 

Er fühlte ſehr ſcharf und beftimmt heraus, 
daß nicht Ueberrafhung, ihn als verheirateten 
Mann zu erkennen, den Ton biftierte, womit 
Flory die zwei Worte fprah. Es war derfelbe 
Ton, den er feit jahren nun ſchon fo oft zu 
hören befommen, der ihn ftet3 jehr unbefümmert 
ließ. Diesmal ärgerte ihn der Accent. 

„Meine Frau,“ fagte er in dritter Wieder: 
holung des Wortes, „die gegenwärtig abwefend 
ift, hoffentlich aber nicht allzulange mehr aus: 
bleibt. Sobald fie zurüd fein wird, werde ich 
ihr den Genuß verfchaffen, Sie jpielen zu fehen, 
Fräulein Schütz.“ 

Des Mädchens Augen blisten ihn einen 
Moment an. Ein mutmilliger Zug wetter: 
leuchtete über ihr Gefiht hin, dann fagte fie 
mit leichter Verbeugung in gravitätifchem Ton: 

„Wird mir eine große Ehre fein!“ 





620 


3. 

Un einem windigem, naffaltem September: 
abend hielt eine Drofchle vor dem von Haags 
bewohnten Haufe. Franziska ftieg aus, warf 
einen unruhigen Blick auf die bunfeln Fenfter 
der erften Etage, und Elingelte dann, während 
der Kutfcher bei ftrömendem Negen den Koffer 
herabhob und vor die verfchloffene Hausthüre 
ftellte. Es war zwifchen neun und zehn Uhr, 
eine Zeit, zu der regelmäßig abgeſchloſſen wurbe, 
deshalb konnte diefer Unmftand die Heimfehrende 
nicht in Verwunderung fegen. Als aber eine 
ganze Meile verging, ohne daß geöffnet wurde, 
zog fie mit einiger Aufregung an einem zweiten 
Knopfe, defien Glode den Hausmirt anging. 
Nun wurde aufgethan. Die Hausfrau erjchien 
mit einem Handlämpchen und fchien fehr ver: 
wundert, als fie Franziska erblidte. Ihre Ver: 
fiherung, daß fie fein Wort gehört, die Frau 
Baumeifter würde erwartet, betätigte Franzis: 
fa3 jchon auf dem Bahnhof gefaßte Vermutung, 
daß ihre Anmeldefarte verloren oder verfpätet 
fein mußte. Diefe Ueberzeugung mar, ber 
großen Täufchung gegenüber, ihren Mann nicht 
auf dem Bahnhof zu finden, ja beruhigend, 
denn fie hob die erſte Beforgnis auf. Sie frug 
die Hausmirtin, ob Haag anmefend fei, — 
möglicherweife hielt eine Dienfttour ihn für ein 
paar Tage fern und er hatte deshalb die Karte, 
welde ihre rafchere Ankunft meldete, noch nicht 
erhalten. Doch erfuhr fie: der Herr Baumeifter 
fei nicht fortgeweſen. 

Dben rührte fi nichts. Die Hausfrau 
folgte zu Franzisfas Verwunderung und leuch: 


| 
| 
| 
| 


A. Gobdin. 


Wohnzimmer auf dem Sofatifch bereitjtehente 
Lampe angezündet und die rau mit einem 
Danfesworte gehen lafien. Das Unbehagen, 
welches von einer nicht erfüllten Erwartung un: 
zertrennlich ift, übte einen faft peinlichen Drud 
auf fie. Während des geftrigen Tages, während 
der langen Fahrt Hatte fie fih in dem frohen 
Gedanken gewiegt, welche liebe Ueberraſchung 
für Nobert ihre Botſchaft gemejen fei, der ihre 
Ankunft rafch folgte. Sich nun nah fo Tanger 
Abwesenheit unbegrüßt und einfam in ihrem 
Daheim zu finden, beengte ihr das Herz; fie 
fonnte die Stimmung zu naher Freude nicht 
mehr in fi aufbringen, obgleich fie fich fagte, 
daß es fich ja nur um furzen Aufſchub handle, 
daß ihr Dann in jeder nächſten Viertelftunde 
erfcheinen könne, — ſicher nad) Haufe fommen 
müſſe, und bann wirklich ein volles, freudiges 
Ueberrafchen ihr Teil fei. Sie ward aber den 
jeltfamen Drud nicht los, mwelder alles Froh— 
gefühl ausgelöſcht hatte. Auf einmal trat die 
Kürze und Seltenheit der Briefe, melde fie in 
ben legten vierzehn Tagen von ihrem Mann 
erhalten, in veränderter Beleuchtung vor ihren 
Sinn. Gie hatte fi fein farges Schreiben 
damit erflärt, daß er wahrſcheinlich von Arbeit 
überbürbet fei, wie fie dies zeitweife mit ihm 
durchzumachen hatte. In folchen Zeiten, wo er 
oft bis zur Atemlofigfeit in Anfpruch genommen 
war, hatte fie, aud neben ihm lebend, manch— 
mal für eine ganze Reihe von Tagen auf feine 


Geſellſchaft zu verzichten. 


tete ihr, was fi als nicht überflüfftg erwies, - 
denn bie Flurlampe der von Haags bewohnten | 
Etage brannte nicht. Franziska flingelte um: | 


fonft; ehe fie es zum zweitenmal that, erbot 
fih die Wirtin mit ihrem Hauptfchlüffel zu 
öffnen: „es würde wohl niemand drinnen fein.“ 
Erftaunt fagte Franziska: „Guſte nicht da? 
Um biefe Zeit?” 
Die Frau fagte entjhuldigend: „Sie wird 


I 
l 


| 
| 


Der flüchtige Ton feiner kurzen Mitteilun: 
gen mochte auch eine Empfindlichkeit über das 
immer neue VBerzögern ihrer Heimfehr verraten; 
der Gemißheit froh, nun bald die laftende Tren— 
nung beendet zu willen, hatte Franzisfa biefe 
legte Zeit in jo eifriger Thätigfeit verlebt, daß 
ihr feine Zeit blieb, fich verzärtelter Sehnfucht 
hinzugeben. hr warmes, ehrliches Herz ſchlug 
feinem beiten Glüd nun um fo freudiger ent: 
gegen, — mo war e3 aber jett? Befrembet 


dachte fie dem eben Gehörten nad. Robert 


bei ihrer Schwefter fein. Gnädige Frau müflen | 
dem Mädchen das nicht übel nehmen! Der Herr 


Baumeifter gehen fleißig ins Theater und efjen 
abends nicht daheim, hat mir die Guſte gefagt, 
da hat fie nichts zu thun und geht mandmal 
ihre verheiratete Schwefter beſuchen. Ganz in 
der Nähe, ich werde fie gleich rufen.“ 


Franziska antwortete nichts; während diefer 
' noch wieberjehen. 


Erläuterung war fie eingetreten, hatte bie im 


„ging fleigig ins Theater“. Das lag doch fo 
gar nicht in feinen Gewohnheiten, — alfo fehlte 
es ihm wenigftens nicht an freier Zeit. Out, 
daß er für feine einfamen Abende eine zufagende 
Unterhaltung gefunden, aber doch fonderbar, 
daß feiner feiner Briefe diefer neuen Liebhaberet 
erwähnt. Was lag aber hieran! Er war ge: 
fund, war hier und fie würden einander heute 





un — 


Die Madonna mit den £ilien. 


Während fi Franzisfa dies wiederholte, 
ging fie in fteigender Unruhe auf und nieder, 
ohne nad ihrer fonftigen Weife ihr umher: 
liegendes Handgepäd gleich zu befeitigen, ohne 
baran zu denfen, daß ſie nach langer Fahrt mit 
dem Kurierzug fi einer Erfrifhung bebürftig 
gefühlt hatte. Das Mädchen erſchien auch nicht, 
mußte ſich alfo doch weiter entfernt haben, ala 
die MWirtin gemeint. Es flug zehn. Dieje 
in ihrem Haushalt eingerifiene Unordnung, das 
Marten und gefpannte Aufhorchen verjegten 
Franzisfa in eine gereizte Stimmung, die ihrem 
Naturell ferne lag und ihr ftörend zum Bewußt⸗ 
fein fam. Gewöhnt ſich zu beherrfhen, unzu— 
frieden mit der unangenehmen Erregung, welche 
in ihr Platz ergriffen, nahm fie die Lampe auf, 
trug fie zu ihres Mannes Schreibtifch und zwang 
fih, einige Notizen, die fie unterwegs kaum 
lejerlih in ihr Täfelchen eingezeichnet, auf ein 
Blatt zu übertragen. Dies geſchehen, blieb fie 
fiten, tief in Gedanfen, die nun wieder freund: 
lich wurden. Sie blidte um fi; endlich Daheim 
zu fein, war ihr ein reizvolles Bemußtfein, jedes 
Gerät ſah fie traulih an. Während ihr Auge 
jo den Schreibtifch ftreifte, vor dem fie ſaß, be: 
merfte fie unter dem Briefitein eine Korrefpon: 
denzfarte, und ftredte die Hand danach aus, 
um zu Schauen, ob das am Ende doch ihre eigene 
fei, welche nad) Roberts Ausgang angelommen 
und von Gufte dorthin gelegt worden wäre, 
Dies war nicht der Fall, eine gejchäftliche Notiz 
von fremder Hand füllte die Schriftfeite. Zu: 
gleich mit der Poſtkarte hatte Franziska aber 
ein glattes Vifitenfärtchen hervorgezogen, deſſen 
Aufjhrift fie verwunderte: Flory Schü — 
diefer Name war ihr befannt, fie hatte die be: 
liebte Schaufpielerin einmal auf der Bühne 
gejehen, im Frühjahr, als fie einen auswärtigen 
Beſuch in das Vorftadttheater begleitete, welches 
fie fonft nicht zu befuchen pflegte. Wie fam 
diefe Karte hierher, zwifchen ihres Mannes Ge- 
Ihäftspapiere? Mährend fie das Kärtchen fort: 
legte, fiel e3 auf die Kehrfeite. Franziska jah 
diefe eng bejchrieben, und las: 

„Ich habe heute nur im Einakter zu thun. 
Erwarte mich nachher an der Heinen Thüre, du 
verfäumft nichts, das andere Luftfpiel ift lang: 
mweilig. Zu Haufe werde ich dir allerlei zeigen. 


Wie fam das hierher? mar Framiskas 
Gedanke auch jetzt noch. Daß dieſe Zeilen an 
Robert gerichtet ſein könnten, lag ihr ganz ferne. 


621 


Plötzlich durchfuhr ſie aber ſolche Möglichkeit, 
ja Gewißheit mit ſo ſchneidender Schärfe, daß 
ſie die Augen ſchloß, wie vor dem unerträglichen 
Blenden eines Blitzes. Jhre Arme ſanken ſchlaff 
an ihr nieder. 

Das Geräuſch, auf welches ſie eine Stunde 
lang angeſpannt gelauſcht hatte, auf das ſie 
nun zu lauſchen vergeſſen, riß ſie aus tiefem 
Brüten. Draußen wurde ein Schlüſſel um— 
gedreht, im nächſten Moment öffnete ſich die 
Wohnzimmerthüre und Robert erſchien auf der 
Schwelle. Als er ſeine Frau erblickte, rief er 
in freudigſter Ueberraſchung: „Franziska!“ 

Sie machte eine Bewegung ihm entgegen, 
blieb aber ſogleich wieder ſtehen und ſtützte ihre 
Linke gegen den Schreibtiſch, während ihr Mann 
heiter ſagte: 

„Du biſt alſo deinem Dogma, niemals zu 
überraſchen, auch einmal untreu geworden!“ 

„Ih hatte mich angemeldet,“ ſagte Fran: 
ziska tonlos und wich mit leifem Widerſtand 
dem Arm zurüd, der fie umſchloß. 

„Was ift dir, Franzi? Gewiß haft du dich 
recht übermübet, jetzt jehe ich erjt, wie blaß du 
biſt!“ 

Es ward ihr kalt im Herz bei dem alten 
vertrauten Herzenston, ihre Augen erhoben ſich 
nicht. Sie ſtreckte die Hand nach dem be— 
ſchriebenen Kärtchen aus, warf einen Blick 
darauf, und frug, indem ſie es emporhob, mit 
ſo gewaltſamer Ruhe, daß ihr Ton kalt klang: 

„Iſt dies an dich gerichtet?” 

Nobert wechſelte die Farbe und fah feine 
Frau ftarr an. ° 

„Sa!“ fagte er frappiert. 

Beide Hände aufeinander gepreßt, atmete 
Franzista tief. 

„Erlläre mir —“ fagte fie dann, die ftillen 


| Augen auf ihren Dann geheftet. 


Robert antwortete nicht gleih. Er ging 
mit verfchränkten Armen ein paarmal hin und 
wieder, blieb dann vor feiner Frau ftehen, nahm 
ihr das Kärtchen aus der Hand, burdlas es 
und ließ es fallen. 

„Erklären?“ fagte er mit gefalteter Stirn. 
„Das Elingt, ald gäbe es nad) deiner Meinung 
etwas zu rechtfertigen.“ 

„Was geht dich diefes Mädchen an?“ frug 
fie in fehr ruhigem Ton. „Diefe Fremde, die 
fi Herausnimmt, did ‚Du‘ zu nennen, von ber 
ich nicht einmal weiß, daß ihre Exiſtenz dir be: 
fannt iſt.“ 


622 


„Da liegts!“ rief er unmutig. „Den 
Fehler muß ich mir allerdings von dir verzeihen 


laſſen. Was fich da rein zufällig angefponnen 
ı treu geworben ift, Robert, ich weiß, daß ich bir 
nächſten Briefe zur Sprache — ich verfchob erſt 
— unterließ es dann, weil Nachgeholtes fich fo | 


bat, fam nur ebenfo zufällig nicht gleich im 


leicht zu überflüffiger Wichtigkeit aufbaufht — 
furz, es wollte nicht in die Feder, ich zog vor, 
dir felbft zu erzählen. Uebrigens ſprach ich dir 
doch davon — es ift das Mädchen vom Cirkus.“ 

Er lachte ein wenig gezwungen, als fie 
nichtö erwiderte, und dann: „Wie es zuging, 
daß ich mit der amüjanten Eleinen Here auf 
ganz vertrauten Fuß geriet, ließe fich ſchwer 
erläutern. Es überfam mid eben einmal wie 
längft vergefjener Studentenübermut! 
Dusen, was du fo ernjthaft zu nehmen fcheinft, 
fpendiert fie jedem, mit dem fie etlichemale 
zufammengetroffen — furz, es gab und gibt 
zwifchen ihr und mir durchaus nichts — ein 
Verkehr für müßige Stunden —“ 


tobesernft. „Sechs Wochen — und ich finde 
dich nicht mehr.” 

„Du findeft mich, wie du mich verließeft,“ 
rief er nachdrücklich. „Nimm nur um Gottes 
willen nicht tragifch, was entftanden ift, wie eine 
Seifenblafe und ebenfo leicht zerrinnt. Sechs 
Wochen, ſagſt du — wären ihrer mehr geweſen, 
fo hätte einer, der gerne im Rate der Weifen 
fitst, ſich längſt darauf befonnen, daß er aus 


A. Sobdin. 


meiner Treue zu zweifeln, dann bin ich e8, der 
zu vergeben hat, und Schweres!” 
Ich glaube, daß mir dein Herz nicht un- 


mehr gelte, als äußerer Reiz einer anderen. Um 
unfer ſchönes Glüd ift es aber doch gethan. 


Sieh, ih hätte von Anfang darauf vorbereitet 


fein fönnen, daß ein Tag fommen würde, mo 
deine Augen von mir fortgelodt würden. Nie 


' babe ich vergefjen, in welchem Licht ich allen 


hr 


neben dir erjhien — allen — fogar deiner 
Mutter —“ 

„Die längjt deine wärmfte Freundin ift — “ 
unterbrad Robert. 

„Weil fie dich, wider ihr Erwarten, zu: 
frieden bleiben fah. Robert! ich habe damals 
unter diefem unverholenen Zweifel eines jeben, 
der dir nahe ftand, insgeheim bittere Dual er: 
litten, aber fie währte nur kurz. Zuverficht auf 
dich riß jeden Keim von Furcht aus, und weil 


ich ruhig und glüdjelig fein durfte, warb id 
„Bilt du es, der fpricht!* fagte Franziska 


auch fähig, dich zu beglüden. Das ift num zu 
Ende, — deine Augen ſuchten, dein Ohr hörte 
willig, was ich dir nimmer bieten fann, mas 


‚ dir zeigen mußte, woran du darbſt. Dies ift 


heller Neugier einmal Wege der Thorheit ging.” | 


Franzisfa trat dicht vor ihn hin und erfaßte 
feine beiden Hände. „Robert,“ fagte fie traurig, 
„du haft dich weit von dir felbit entfernt. Daß 
du jemals in die Fertigkeit fallen follteft, dich 
zu belügen, hätte ih nie für möglich gehalten. 


Dies Mädchen muß dir weit näher ftehen, als 


du weißt, fonft würdeſt du nicht von ihr ge: 
ichwiegen haben. Ich muß dich fragen und du 
follft mir antworten aus deinem tiefften Ge: 
wiflen: Gab es feinen Moment, wo fi ihr 
gegenüber Stärferes in dir regte?“ 

Eine jchnelle Nöte ftieg Robert bis in die 
Stirn. Er zog die Brauen zufammen und ant- 
wortete nicht. 

„Ih mußte es wohl,“ fagte Franzisfa 
Ichmerzlih und ließ feine Hände los. „Wir 
find lange Zeit glücklich gewefen, das ift nun 
vorbei. * 


„Was wäre vorbei?“ rief er in ftarfem | 
„Franziska, wenn es dir möglich ift, an 


Ton. 





erlebt und bleibt ftehen, audy wenn es war. 
Ich glaube dir, daß du mir nichts verheimlichen 
wollteſt, — daß du, der Offene, in diefem Falle 
aber zu fchmeigen vorgezogen haft, bemweift mir 
mindeſtens beine Beforgnis, mich fchonen zu 
müſſen. Menfchen, die in folder Weiſe gefchont 
werden, haben aber viel, viel eingebüßt! Meine 
Zuverficht ift hin, — ohne fie kann id) dir nichts 
geben, was dich für das Neizende entſchädigte, 
das vielleicht fein Mann zu entbehren vermag.“ 

„Du verfennft mih —“ fagte Robert gereizt. 

„Gewiß nicht,“ entgegnete fie ftill. „Sonft 
hätteft du mich fchwerlich hier gefunden. Ehe 
du nad Haufe kamſt, dachte ich fehr ernſtlich 
daran, ſchweigend fortzugehen und dir nie wieder 
zu begegnen. Es war ein feiger Gedanke, troß: 
dem mwürbe ich ihm nachgegeben haben, dächte 
ich nicht groß von bir.“ 

„Du haft daran gedacht, von mir zu gehen 
— du — Franzisfa?” stieß er heftig hervor. 
Ehe er weiter fprechen konnte, trat das eben 
heimgefehrte Dienftmäbchen mit zerfnirfchter 
Miene ein. Während fie ihre Entſchuldigungen 
vorbrachte, wendete Robert ſich um und ging in 
fein Zimmer. Was er hatte jagen wollen, war 
durchriſſen wie eine gefprungene Saite, er fühlte 
aber inftinktiv, daß die Unterbrechung zur red): 


Die Madonna mit den £ilien, 


ten Zeit gelommen, daß er im Begriffe geweſen, 
ih zu Worten hinreißen zu laflen, die befler 
ungeſprochen blieben. Franzisfas fühler Em— 


pfang, ihr Verhör, die Art, wie fie feine Ant- | 
wort aufgenommen, ihre legten Worte befonders, | 


verlegten ihn tief. Was hatte er denn gethan, 
um ſolches Abenden zu verdienen? Er warf 
jih in dem dunfeln Zimmer auf einen Stuhl 
und fuchte fich zufammenzunehmen. Daß feine 
Syrau betroffen fein mußte,"ihn mit einer Per: 
fon auf Du und Du zu finden, deren Be- 
ziehungen zu ihm er ihr verjchwiegen hatte, 
war begreiflih; daß fie aber dabei beharrte, 
hierauf ſchweres Gewicht zu legen, nachdem er 
ihr das Ueberraſchende erläutert, begriff er nicht 
und nahm es ihr jehr übel. Er hatte ihr die 


623 


| Mann, legte das Päckchen, welches die Nejul: 
tate ihrer Neife einſchloß, auf feinen Schreib: 
tijch und frug, ob er heute noch etwas darüber 
zu hören wünfche, was er verneinte. Dann bot 
fie ihm freundlich die Hand zur guten Nacht, 


| da fie wirklich reifemüde ſei und jchlafen gehen 





muntere Epifode feines Strohmwitwerlebens in | 


ihrem ganzen Verlauf zu erzählen gedacht, daß 
ein Zufall diefelbe ihr unvorbereitet und des— 
halb in ganz anderem Lichte vor die Augen 
führte, hätte jo nicht auf fie wirken dürfen. 
Das fah ihr nicht gleich! Bei diefem Gedanken 
madte er Halt. Ein wenig Ruhe und dies 
Mipverftändnis Hob ſich auf, mußte ſich auf: 
heben! 

Robert hielt fich für einen guten Menschen: 
fenner und war es aud), foweit Nachdenken und 
Beobachtung hierzu reif machen. Hier ließ ihn 


aber feine Menjchenfenntnis im Stid, wie e8 | 


meift geht, wo Gemütsfaiten ftarfberührt werden. 
E3 gibt manden Punkt, worin die Frau den 
Mann nur halb verfteht, und gleiches gilt im 
umgekehrten Falle. Kein Mann begreift ganz 
den Seelenzuftand einer Frau, die ihm eine 
Wunde entblößt hat, welche fie vor ihm, fogar 
vor ſich ſelbſt ängftlich verborgen gehalten, die 
fie geheilt glaubte und plöglich, bei rauher Be— 
rührung der empfindlichen Stelle, als unheilbar 
erfennt. Die meiſten bliden überdies auf einen 
Ausbruch mweibliher Erregung, felbjt bei der 
Frau, die fie hoch Halten, nicht viel anders 
zurüd, ald auf den Sturm im Glaſe Wafler. 
Während Robert fi mit Erfolg auf einen ge: 
lafjenen Ton ftimmte, erwartete er eigentlich 
bereit3, daß Franzisfa ihn auffuchen würde. 
Es gefhah nicht; als er in das Wohnzimmer 
hinüberging, traf er feine Frau beim Deffnen 
ihres Kofferd. Das Mädchen ging ab und zu, 
ein unberührtes Nachtmahl abzuräumen, das fie 
ungeheißen gebracht, und fonft durch allerlei 
Dienfteifer ihren Fehler gut zu machen. Fran— 
zisla richtete einige ruhige Worte an ihren 





nn 


möchte. 

Er fah ihr betroffen nah. Nun hielt er es 
nicht mehr für einen günftigen Zufall, daß er 
verhindert worden war, fich voll auszuſprechen. 
Er empfand, daß der Augenblid oft ungleich 
mehr bedeutet, ala die Stunde. 


* * 


* 


Schwüle Tage und Wochen folgten. Aeußer: 
(ich ſchien nichts im Leben der Gatten verändert, 
aber es war ein Nebeneinander, fein Miteinander 
mehr. Für Alltagsnaturen würde die Unver: 
änderlichfeit gemeinfamen Lebens wohl genügt 
haben, fie auf diefem Wege auch innerlich, wenn 
gleich langſam, einander wieder nahe zu führen. 
Es gibt ihrer viele, denen es eine wirkliche 
Hilfe ift, Schrittchen für Schrittchen vorwärts 
zu fommen, da ja das ganze Leben aus einzelnen 
Momenten beiteht. Dieje beiden, gemöhnt, ganz 
nad) der Wahrheit zu leben, rüdten ſchweigend 
immer meiter voneinander ab. Franziskas un: 
veränderliche Ruhe, bisher in den Augen ihres 
Mannes ihre ſchönſte Eigenfchaft, verdroß ihn 
jest. Sie hatte ein Zurüdfommen auf das Ge- 
ſpräch des erften Abends fichtlich vermieden, 
was ihn noch mehr verlegte und die Lippen ver: 
ſchloß. Dahin die ſchöne, leuchtende Wärme, 
welche fonft jede Stunde des Zufammenfeins 
erfüllt hatte. In Franziskas Art und Weiſe 
lag nichts von Verzichtleiftung oder gar von 
Märtyrertum, fie ging ihre ftillen Wege wie 
fonft, war voll Aufmerkſamkeit für ihren Dann 
wie für jeden, der in ihren Kreis trat, im Ge- 
jpräche ftet? anregend und angeregt. Nur war 
der feelenvoll verflärte Ausdrud, den fie durch 
das Glück gewonnen, von ihr gemichen, wie in 
Robert das ſchön befriedigte Yebenägefühl, mad: 
fendem Unmut gemwichen war. Er jah in den 
ruhigen Augen Franzisfas nur Kälte, das 
drängte die ihm natürliche Herzlichkeit zurüd. 
Die Veränderung des ihm eigenjten Tones be: 
itärfte aber in Franziska die Neberzeugung, ihn 
in dem Sinne verloren zu haben, der beiden ala 
der höchſte Sinn gemeinfamen Lebens galt. 
Statt dejjen ſchien jegt das Wort zu gelten, 
welches Robert geſprochen, als er um jeine 

79 


624 


U. Sobin, 


Frau warb: von jogenannten guten Ehen, wo welchem ihm ber längft beabjichtigte, ſtets ver- 
ſich die Menfchen ineinander ſchickten, jeder ein: | ſchobene Beſuch, den er Flory als Abfchiebs- 


zelne aber arm bleibt und allein. Sie fühlte 
fih fehr verarmt und zu betteln vermochte fie 
nicht. Tiefite weiblihe Scheu drängte ihr Leid 
in Berborgenheit zurüd, während fie nie ftärker 
empfunden hatte, was Robert ihr war, was fie 
ihm bisher geweſen. Es geht aber mit der 
Liebe zuweilen wie mit großem liegenden Beſitz, 
der fich nicht zu jeder Zeit verwerten läßt. 
Keine leifefte Spur von Mißtrauen mifchte ſich 
in ihre fchweren Gedanken. Robert fand wieder: 
holt, zwifhen dem in feiner Abmwefenheit von 
Haufe Einlaufenden, Briefhen Ylorys, ohne 
zu wiſſen, ob diefelben feiner Frau zu Geficht 


gekommen waren, und ohne ihr diefelben zeigen | 


zu mögen. Der Inhalt diefer Zettel: jcherzhaft 
flingende Vorwürfe über fein mwochenlanges 
‘ Ausbleiben, Lockungen ins Theater, in ihr 
Haus, bot volle Beftätigung deſſen, was er 
Franziska über die Art diefes Verkehrs gefagt. 
Er wollte aber nichts betätigen. Nach feiner 
Ueberzeugung mußte feine Frau von felbft in 
fich gehen, mußte einfehen, daß und wie fehr 
fie fih durch ihr Zurüdziehen an ihm und fi 
verfündigte. 

Im Laufe der Tage wurde feine Verftim: 
mung zum Groll. Die tiefe Störung des 
inneren Gleihmutes wirkte auf feine Arbeits: 
[uft, feine ganze Eriftenz zurüd. Zufällig 
blieben die Gatten gerade in dieſer Zeit ganz 
aufeinander angewiefen, da von den wenigen, 
mit denen fie freundfchaftlichen Verkehr pflegten, 
die eine Familie abwejend, die andere durch 
Krankheit heimgefuht war. Robert vermißte 
befonders den Hausfreund, deſſen immer gute 
Laune und bequemes Wefen ihn jet als dritten 
unfhätbar gemadt haben würden. Er hatte 
während der Abmwefenheit Franzisfas einmal an 


Hans gefchrieben, um anzufragen, wie e3 mit | 


der beftellten Kopie ftände und über fein Stroh: | 


witwerleben zu beiten. Wie gewöhnlich war 
aber von dem fchreibfaulen Künftler feine Zeile 
Antwort gefommen, und er felbft blieb meit 
über Erwarten aus. 

Eine Unluft an der Gegenwart, ein Un: 
behagen betreff3 der Zufunft, die Robert nie 


gekannt, ergriff ihn mehr und mehr. Die ge: 
fährlihe Empfindung einer Lüde, welhe für 


Aufwudhern fremder Saat fo ergiebigen Boden 
darbietet, wedte ihm das Bedürfnis nad) irgend 
welcher Erfriihung, und jo fam ein Tag, an 


beſuch zugedacht, im Licht einer erwünfchten 
Zerftreuung erſchien. Zwar hatte er zur Zeit 
feines häufigen Verkehrs mit ihr wiederholt 
vorausverfündigt, daß er plöglih aus ihrer 
Bildfläche verſchwunden fein würde, fobald viel 
Arbeit oder die Heimkehr feiner Frau über feine 
Beit verfügten; er 1 dann aber jevesmal deut⸗ 
lich, daß ihm diefe Verfündigung nicht geglaubt 
wurde. Der gute Humor, womit das fchöne, 
verwöhnte Mädchen nun troßdem fein Aus: 
bleiben hingenommen, die Unermüblichkeit der 
freundlichen Lebenszeichen, die fie ihm zugehen 
ließ, ftimmten ihn jehr zu ihren Gunften. Trotz⸗ 
dem zögerte er noch, dachte aber oft und öfter 
an biefen Gang und befam große Luft, zuvor 
einmal wieder das Vorftabttheater zu befuchen. 

Es war Sonntag. Robert faß in feinem 
Bureau und durchlas eben einen Zettel feiner 
Frau, den ein Dienftmann ihm überbracht, und 
welder ihm fagte, daß fie heute möglicherweije 
nicht zur Mittagäzeit zurüd fein würde, er alfo 
nicht mit dem Eſſen auf fie warten möge. Ob— 
gleich dies zum erftenmal vorfam, fonnte e3 
Robert nicht befonders auffallen; feine Frau 
war zu einer franfen Freundin gegangen, bie 
entlegen wohnte, und es lag nahe, daß ihre 
Anmefenheit dort heute irgendwie nötig ober 
nützlich ſei. Gleichgültig legte er den Zettel 
fort und dachte daran, den ohnedies freien 
Sonntag nun zu feinem Befud in der Sophien- 
ftraße zu verwenden, wozu er fich gleich zu 
rüften begann, Das pikante Gefihtchen warb 
auf einmal fehr lebendig in feiner Erinnerung ; 
er meinte ihr riefelndes Lachen ſchon zu hören, 
die reizenden Wangengrübchen vor fich zu fehen. 
Mährend er noch beihäftigt war, ſich umzu— 
Heiden, hörte er auf dem Gange draußen ein 
Poltern, und das Anflopfen eines Fremden an 
der Bureauthüre. 

„Gleich!“ rief er, „nur herein!“ und trat 
aus feinem Zimmer in dad Bureau zurüd, mo 
er einen Padträger mit einer ziemlich großen 
Kifte vorfand. 

Es bedurfte nicht erjt eines Blides auf ben 
Abfendungsort des Frachtbriefes, die Form ber 
Bilderfifte genügte, ihn zu orientieren. Als ber 
Mann fich entfernt hatte, blieb Robert mit fin: 
jterem Geficht vor der Sendung feines Freundes 
Hans ftehen; ein bitterer Zug legte fih um 
feinen Mund. Was follte ihm jet diefe Er: 


Die Madonna mit den Eilien. 


füllung eines Wunſches, der in eine Zeit zurüd: 
wies, die nicht mehr war? Sein nädjiter Ge: 
danfe hieß ihn den Bureaubiener rufen, um bie 
Kifte uneröffnet nach dem Bodenraum fchaffen 
zu laffen; da befann er fi, daß der Mann 
heute nicht im Haufe fei. Er warf nod) einen 
Blid auf das Holzgehäufe, nahm dann feinen 


Hut, ging und ſchloß wider Gewohnheit Hinter | 


ſich ab. Noch war er aber nicht bis zur Treppe 
gelommen, als er umkehrte, wieder aufichloß, 
und das Käftchen mit dem Hanbmerfäzeug her: 
beiholte. Er wollte doch jehen, was Hans ge: 


malt. Bald waren die Schrauben los, und der 


Blendrahmen auf einen der Zeichentifche in 
gutes Licht geftellt. 

Robert jtand mit untergefchlagenen Armen 
vor dem Bilde. Im dunfelblauen Mantel, ein 
weißes Schleiertuc über dem Kopfe, blidte das 
ſchmale, dunfle Madonnenantlig mit ruhigen 
Augen auf ihn Hin, Lilienzweige in den Händen. 

Ja, es war das Bild feiner Kindheitätage, 
mit den ftrengen, faſt fteifen Linien, dem tief 


gedunfelten Farbenton, — nur die Aehnlichkeit | 


mit Franziska, welche ihm eine zugleich lebhafte 
und unbeftimmte Erinnerung vorgefpiegelt, 
fehlte ganz und gar. Dennoch war ihm ran: 
ziska diefem Bilde gegenüber fo nahe, fo gegen: 
wärtig! Taufend Erinnerungen drangen zugleich) 
auf ihn ein, — feine Kinderzeit, feine Mutter, 


alles Gute, Liebe, Reine, das ſich an die heimat- 


lihe Madonna für ihn fnüpfte, hatten ja feine 
Gedanken zugleich mit den Lilien, die ihr Wahr: 
zeichen gemwejen, in die Hände feines MWeibes 


übertragen, von dem Augenblide an, wo fie 
ihm zum erftenmal begegnete. Heiß überflutete 


ihn das Gefühl, ihre Liebe fo wenig entbehren 


zu können, als den eigenen Atemzug, und es 
ging ihm wie ein Schnitt durch das Herz, dak 
ihm dieje Liebe entzogen fei. Der Groll in ihm 
ſchmolz hinweg, fo ganz und gar, daß er ſich 
nicht einmal mehr darauf befinnen fonnte; nur | 


das Entbehren blieb, und der Entſchluß, die 
unfihtbare Mauer niederzureißen, fein Gut mit 
feſtem Arm zu faffen und zu halten. 

Nicht lange und er war auf dem Mege, 
den er fich heute vorgenommen; es verlangte 
ihn danach, auch den oberflächlichſten Zufammen: 
hang mit jeder anderen zu löfen, ehe er Fran— 
zi8fa wieberfah. Florys vor einer Stunde nod) 
jo frifh aufgetauchtes Bild war ihm nun ver: 
ſchwunden wie in eine Theaterverfenfung und 
es erſchien ihm kaum begreiflih, daß er diefen 


625 


\ Weg fo oft zurüdgelegt hatte. Als er in das 
wohlbekannte Zimmer trat, fprang ihm das 
Flitterhafte in defjen Aufputz plöglid neu in 
die Augen, wie am Tage feines erften Bejuches. 
Er behielt aber nicht lange Zeit fid) umzufehen; 
bei dem erften Ton der Stimme, die nad) ihr 
frug, ftürzte Flory herein und fiel ihm mit 
einem Freudenſchrei um den Hals. 

Robert machte fi) los und fah betroffen 
des Mädchens Augen voller Thränen jtehen. 
Ihr reizendes Gefiht hob ſich zu ihm auf wie 
das eines bittenden Kindes, und fie atmete raſch 
in einem Ton, den er wohl auf der Bühne, aber 
| nie fich gegenüber von ihr gehört: „Böfer, Lie: 
ber, warum haft du mir das angethan! Noch 





ein Tag und ich wäre vor Sehnfucht frank ge: 
worden oder — zu dir gefommen. “ 
Seine Pulſe ſchlugen fchneller. 
„Ih fagte Ihnen voraus, daß ich früher 
oder fpäter mwegbleiben würde, liebe Flory! 
ı Nun ift’s an der Zeit — geben Sie mir eine 
Patſchhand und fagen wir Ade!* 
Der alte Nedton fam etwas gezwungen zu 
Tage und fand fein Eho. Flory ergriff feine 
' Hand und fagte mit großen, feuchten Augen: 
| „Sie? — Ihnen? aber was hab’ id dir denn 
gethan ?“ 

„Nur Liebes und Gutes, Kind! und hoffent: 
lic) fagen Sie das au von mir. Wir haben 
manche fröhlihe Stunde miteinander verlebt, 
es gibt wahrlich, feinen Grund, daß ‚Seufzer 
und Thränen dahinter nachfämen.‘ Ade! und 
vergeffen Sie nit ganz den alten Gejellen, 
fleine Fadette!“ 

Er war hinaus. Der Abjhluß mit diefer, 
von ihm ftets jo leicht genommenen Epifode 
hatte ſich nun doch nicht ganz fo geftaltet, als 
er vorausgeſetzt. Nie war ihm der Gedanke 
gefommen, daß Flory ihn anders betrachte, 
als wie einen Zufallsgaft, an dem fie ihre 
' Augen probierte, über den fie allerdings ein 
ı Ne zu werfen verfudt, defjen Gewebe aber fo 
| Iuftig geweſen, daß er überzeugt blieb, es mit 

der leifeften Bewegung zerreißen zu fönnen. 

Er wußte genau, daß auch die eben erlebte 
| Anmwandlung von Zärtlichfeit nur eine Laune 
| 
| 
| 
| 


war, und doch hatte er fi einen Moment davon 
berühren laffen, hatte zum erjtenmal gefehen, 
was er fi ftet3 verleugnet — bie Gefahr! 
Wenn diefe jungen Augen ihn früher fchon fo 

feuht und bittend angeblidt, wenn fie ihm 
noch in der Stimmung des heutigen Morgens 


626 


begegnet wären, wo er, jeinem Geliebteſten ab: 
gewendet, nach) etwas Erfreuendem dürjtete — 
wer weiß! Mie jehr hatte Franzisfas drängende 
Frage in der fchlimmen Stunde des Wieder: 
jehens ihn beleidigt! und nun befannte er fich, 
daß fie ein Necht gehabt, zu fragen, ihn auf 
fein Gewiſſen zu fragen, ob fih dem Mädchen 
gegenüber nie Stärferes in ihm geregt, ala Luft 
an erquidlichem Zeitvertreib ? 

Die fhöne, gehobene Stimmung, womit er 
fein Haus verlaffen, war erſchüttert, er hatte 
einen bittern Geſchmack auf der Zunge, un: 
erbittlich deutlich trat e3 vor ihn hin, daß ber 
Sprung, mit dem er aus bem feitgezogenen 
Kreife feines Lebens in eine bunte Welt des 
Scheines hinübergejegt war, die ihn gar nichts 
anging, dem reifen Manne überhaupt nicht zu 
Gefihte geitanden, und daß der Hauptreiz, der 
ihn dort fejtgehalten, eine Schwäche war, die 
er ftet3 weit von fich gewiefen: gejchmeichelte 
Eitelkeit. 

In wiberftreitendem Empfinden ging er 
den Weg zurüd, den er fo in fich beruhigt an: 
getreten. 

Franziska Fam um die Dämmerzeit ange: 
griffen nach Haufe. In der Familie, mit welcher 
fie den Tag verlebt, war der Tod eingefehrt 
und hatte Menjchen, die fidh teuer waren, von: 
einander geſchieden. Das weiße, ftille Geſicht 
der Frau, welcher fie die lete Liebe erwiejen, 
ging neben ihr her wie ein ftummer Zeuge aller 
Gedanken, mit denen fie ihr Haus betrat. Sie 
ſehnte fich tief nach ihres Mannes Augen, feiner 
Stimme, fehnte ſich, ihren Kopf an feine Schulter 
zu ftügen und ohne Worte von ihm verjtanden 
zu fein. Sich mit ihm auszufprechen, was man 
fo nennt, trug fie tieffte Scheu. Was hätten 
fie einander wohl fagen können, das durch 
Worte überfegbar geweſen wäre? Es gab nur 
eines: Herz an Herz jchlagen zu laffen. Und 
er liebte fie nicht mehr. 

Still legte fie ab, ging in ihres Mannes 
Zimmer und, als fie ihn dort nicht fand, in 
das anftogende Bureau. Es war noch eben hell 
genug, bie einzelnen Gegenſtände zu unterfchei- 
den; fo fiel ihr auf den erften Blid das noch 
aufgejtellte Bild in die Augen. Sie glaubte zu 
träumen — zwei Schritte und fie jtand vor diefem 
Bilde, das fie nie gefehen, das fie aber kannte 
wie ihre eigene Seele. Ein Namenlojes durd: 
fchauerte fie — die Madonna mit den Lilien 
hier in ihres Mannes Zimmer, fie jebt hier zu 


Friedrich Knauer 


finden, ließ ihr Herz erzittern. Da rafchelte etwas 
unter ihren Füßen, fie büdte fih und hob ein 
Briefblättchen auf. War das für fie? gab es 
Aufſchluß? Sie eilte zum Fenfter, erfannte 
beim legten Tagesihein Hans Kaiſers Schrift 
und las, von heißer Erregung getrieben, die 
wenigen Zeilen: 

„Ich habe Dir den Willen gethan, Alter, 
gern that ich's aber nit. Wie Du je darauf 
verfallen bift, Deine rau mit diefer bronze- 
farbigen Muttergottes zu vergleichen, tft mir 
ein Nätfel. Als Entfhädigung für mein Freund- 
ſchaftsſtück bitte ih mir aus, Frau Franziska 
nad meiner Heimfunft porträtieren zu dürfen, 
mit oder ohne Lilienftengel, wie es ihr genehm 
fein wird, 

Was Deine Heine Schaufpielerin betrifft, 
jo hat Dein Beriht mich amüfiert; ich kenne 
die allerliebfte Wetterhere, die für Strohwitwer 
im allgemeinen fein fehr heilfames Rezept gegen 
häusliche Einfamfeit fein dürfte. Für Dich 
gibt’3 da feine Gefahr, Du Haft ja eine Schu: 
heilige, beneidenswerter Glückspilz! Wenn Dir 
einmal eine Franzisfa-Doublette aufftoßen follte, 
jo melde mir das ohne Zeitverluft! H. 8.” 

Franzisfas Augen wurden feucht. Wie ein 
Strom raufchte ihr die alte, fo jammervoll ent: 


| behrte Zuverficht in das Herz und füllte eö bis 


an den Rand. Da ließ ein leifes Geräuſch 
fie aufihauen ; auf der Schwelle ftand ihr 
Mann und jah fie an. 

„Vergib!“ 

Das Wort flog wie ein Jubellaut über ihre 
Lippen. Herz an Herz empfanden die Gatten 
nur eines: Sie hatten ſich wieder! 


Loſe Blätter aus meiner Wandermappe 
Bon 
Friedrich Ananer. 


I dem echten Tourijten, der ohne jeden 
Nebenzwed die herrliche Natur durchwandert 
und mit dem mir die genußreiche Freude an den 
mannigfaltigen Naturfcenerieen teilen, haben wir 
das Verftändnis für die finnreichen Details, die 
unfcheinbaren und doch oft fo vielfagenden Ein: 
zelheiten bes Naturlebens voraus. Wir wandern: 
den Naturforscher gleichen da mehr dem Künſt⸗ 


coſe Blätter aus meiner Wandermappe, 627 








Epirtendbe Giähörmden 


(er, den oft ein einziger Baum, ein 
wunderlich aeforntes Felsſtück jtun: 
den, tagelang aefefielt hält. Es ae: 
schicht uns deshalb auch nicht Leicht, 
wie dem Tourtiten, daß uns eine 
Gegend ganz unbefriediat läßt. Ber: 
mag der Totaleindrud irgend einer 
Yandichaft nicht unfer Intereſſe zu 
erregen, fo bietet ſich doch allerorts 
Anlaß zu interejlanten Cinzelbeob: 
adıtungen, und ſolche Cinblide in 
das ſinnige Getriebe der Natur hat 


A! | An noch niemand ohne Befriedigung ge: 
IRER rt than, Was ſich jo auf meinen zchn: 
rer 6 { jährigen Wanderungen durch natur: 

beanadete Yänder in Wald und Feld, 


628 


in Fleinen Epifoden und Naturbildern vor mei: 
nen Augen abgejpielt, das will ich hier, foweit 
es auch für den nichtfachmännifchen Leſer von 
Intereſſe fein dürfte, wieder erzählen, und es joll 
mir genügen, wenn die nachfolgenden ſchmuck— 
lofen Schilderungen auch nur vermödten, dem 
Leſer manche liebe Stunde, verlebt in freier 
Ihöner Natur, wieder wachzurufen. 


1. Eine Wald: dylle. 


Im Juli war's. Die Miefen ftanden in 
vollem Blütenfhmud und allerorts machten 
ſich Ampfer:, Melden, Dolden: und Schoten: 
gewächſe und Difteln breit. Much die Waldflora 
ſtand in prächtigſtem Farbenkleide da; Gloden: 
blumen, die weigrötlichen Blüten der Engelmurz, 
die gemeine Waldrebe, der großblumige gelbe 
Fingerhut, der blutrote Storchſchnabel, Widen, 
verjchiedene Fingerhutarten — wer zählt fie 
alle — ſchmückten üppig wuchernd den Wald: 
boden oder rankten an den Blumen und Sträu: 
chern fich fort; angenehm bufteten aus jedem 
Winkel am MWaldrande die finnigen Cyflamen: 
blüten. Glühend brannten die Sonnenftrahlen 
durch die Luft und müde nad mehrjtündigem 
Nandern warf ich mid) auf einer Waldwieje im 
Schatten einer Tanne hin. Um mic ftand einer 
der herrlichen Nadelholzwälder mit prächtigen 
Baumgejtalten, wie fie in unferem deutjchen 
Walde immer feltener und feltener werden. Gibt 
es auch etwas Schöneres, als einen hoch in die 
Luft ragenden Nadelholzitamm? Wo, wie in 
unferen zufammenhängenden Waldungen, meh: 
rere Nadelholzarten nebeneinander fich finden, 
bietet es eine wirkliche Augenweide, all die wech— 
jelnden Nuancen des Blattgrüns und die ver: 
ſchiedenen Baumtradhten zu betrachten. Hier das 
zartefte Hellgrün der faum erft entfalteten Blät— 
ter, dort das tiefdunfle Grün alter Blätter, zwi: 
ſchendurch alle Schattierungen vom hellen zum 
immer gejättigteren, dunfleren Grün. Und die 
verſchiedenen Umriffe und Formen der einzelnen 
Bäume! Mit regelmäßigftem Nitwuchs, ein herr: 
liches Vorbild unferer gotischen Baukunſt, fich 
allmählich nach oben verjüngend, jteht die Fichte 
als elegante Schöne neben der Edeltanne, die 
ariftofratifch vornehm in ihrem hängenden Ge: 
zweige eine ftolze Lälfigkeit zur Schau trägt, 
während wieder bei der Kiefer mit ihren büfchelig 


gruppierten Blättern, die alle aus einem Bunfte | 
den. Auf mich machte das ganze Treiben den 


hervortreten, fi der ganze Baum um einen 





Sriedrich Knauer, 


haben wir, wie im Leben, den fühnen felbftver: 
trauenden Streber, den vornehmen Blafierten 
und den genügſam anfpruchlos Inſichgekehrten. 
.. . Nichts ftörte meine Träumereien. Nur ab 
und zu ließen fich die Aſtſchläge eines Spechtes 
vernehmen oder rief der Kudud feinen traulichen 
Nuf aus der Ferne herüber. Da vernehme ic) 
plöglid) ein Knaden eines abgebrochenen Zwei: 
ges und, wie ich lautlos Umfchau halte, fehe ich 
über mir aus dem Geäjte das Köpfchen eines 
Eihhörndens ſcheu und neugierig hervorlugen. 
Das muntere Treiben diefer liebenswürdigſten 
Bewohner unjerer Wälder hat von jeher mein 
und wohl aller Tierfreunde Intereſſe erregt, 
und mo immer fi mir die Gelegenheit bot, 
ihrem pofjierlihen Gaufelfpiel beobachtend zu 
folgen, ließ ich mich die verlorene Zeit nicht 
reuen. Diesmal jollte meine Ausdauer ganz be: 
ſonders belohnt werden. Schon nad) einer furzen 
Vierteljtunde hörte ich dasfelbe Anattern und 
Knaden von mehrfacher Seite, und bald fah ich 
eine ganze Familie von Eichhörnchen über mir 
im Gezweige verfammelt. Sie waren jedenfalls 
auf Nahrungsſuche fort geweſen und nun nach 
ihrem Heim zurüdgefehrt. ch zählte elf Stück; 
eineödavon bedeutend größer, gewiß die Mutter, 
jechs ſchon herangewachſene unge, vier viel: 
leicht drei Wochen alte Tierchen. Es hatte jich 
da ohne Frage die erite Brut mit den lebten 
Hedlingen zufammengefunden. Bon den ſechs 
älteren waren zwei ſchwarz gefärbt, die anderen 
hatten das befannte rötlihe Sommerkleid. Nach 
ihrer Ankunft hielten fie ſich einige Zeit in der 
Nähe ihres Neftes, das fih mit Hilfe meines 
Feldftechers als ein geräumiges Kugelneft mit 
flachfegeligem Dache entpuppte, defjen Eingangs: 
öffmung unten lag. Die Unterlage des Baues 
ſchien ein verlafjenes Krähenneft zu fein; die 
Außenwandung war von durcheinander gezoge: 
nem, gröberem und feinerem Reiſig gebildet. 
Das Net mußte noch eine andere Deffnung ha— 
ben, denn ab und zu fchlüpfte eines der Jungen 
bei der Eingangäöffnung hinein und fam oben 
fnapp am Stamme (dad Neft ftand zwischen 
zwei Gabeläften und dem Baunftamme) wieder 
zum Borfchein. Nah und nad) wurde die Ge: 
jellichaft lebendiger. Die Mutter ſchien an dem 
Treiben ihrer Jungen vielen Gefallen zu finden 
und machte ihnen die tolljten Sprünge vor, die 
von den fleinen Turnern fofort nachgeahmt wur: 


Mittelpunkt fonzentrieren zu wollen jcheint. Da | Eindrud einer regelrechten Unterrihtsübung, 


£ofe Blätter aus meiner Wandermappe. 


denn die einzelnen Uebungen wurden nicht durch: 
einander, jondern nad) und nad) vorgeführt und 
eingeübt. Den Anfang machten Kopfüberdrehun: 
gen an einem Afte, etwa wie wir fie beim Tur: 
nen an der Melle vornehmen. Es bot einen 
poſſierlichen Anblid, die Jungen in dem Be: 


itreben zu ſehen, es der Alten an Schnelligkeit | 


der Nabbewegungen gleihzuthun. Dann ging 
e3 ans Springen von Zweig zu Zweig, und in 
dem Verfuche, einander zu überbieten, Tollerte 





629 


| wiederholt eines der ganz jungen Tierchen auf 





einen tieferen Zweig hinab, in welchem Falle 
die Mutter ftets, wohl mehr aus Mutmwillen als 
aus Sorge, in jähem Sprunge binterherjagte. 
Ab und zu fchlüpfte eines der Jungen in das 
Neft und holte aus diefem etwas Eßbares her: 
vor, an dem es in der befannten netten Stellung 
mummelte, dabei aber wenig Nuhe hatte, denn 
jeden Augenblid fam eines der Geſchwiſter ver: 


langend heran und mußte ſich die Geftörte be: 





Manberndbe Ameilen 


ſtändig wenden und drehen, wobei fie ein ärger: 
liches Murren hören ließ. Meine Anweſenheit 
jtörte die Geſellſchaft durchaus nicht. In ihren 
Turnübungen waren ſie immer weiter vom obern 
Geäſte herab und ihrem Neſte weggekommen, fo 
daß uch fie immer befier zu Geftcht befam und 
meines Fernrohres nicht mehr bedurfte. Hier 
begann die Alte neue Turnerei, indem fie in 
jühem abe von einem Aſte des einen Baumes 
auf den ziemlich entfernten des Nachbarbaumes 
hinüberfpranga, die älteren ungen fofort, Die 
Füngſten erjt nach einigem Zögern binterher; 
befonders eines der Ichmarzen Jungen zeichnete 
ich bei all den Uebunaen durch Geſchiclichkeit 


| 


und Wagehalſigkeit aus. Als auch dieſe Nufgabe 
durchgeübt war, nahm das Weibchen einen An— 
lauf nach dem Hauptſtamme des Nachbarbaumes 
hin und lief dieſen, oft ſich mutwillig überpur— 
zelnd, entlang auf und ab, die Jungen zu im— 
mer ſtürmeriſchem Kletterrennen ermutigend, 
wobei wiederholt ein paar Junge über die Alte 
hinwegvoltigierten. Je beſſer die Jungen es 
trafen, deſto toller und übermütiger wurden die 
Gauklereien der Mutter. Den Schluß all dieſer 
Uebungen bildete dann ein Wettlaufen auf der 
Waldwieſe von dem Fuße des einen Baumes zu 
dem des anderen. In größeren und kleineren 
Sätzen ging's dahin und zurück, und oft rannten 


3a 





N 


630 


die ſchon wieder Umfehrenden den erjt Anlan: 
genden in die Arme. Bei all dem Umbherjagen 
wurde aber auch Labung nicht vergejien, bald 
hier eine Knofpe, ein junger Trieb gefnidt, dort 
ein Tannenzapfen nach Kernen unterſucht oder 
wohl gar eine aufgefundene Nuß mit größtem 
Behagen zerfnadt. Wer weiß, wie lange ich nod) 
dem frohen Treiben diefer liebenswürdigen Tier: 
chen unverbrofjen gefolgt wäre, hätte mir nicht 
ein in der Nähe gefallener Schuß die ganze Ge: 
jellichaft ins Gezweige verjagt. So oft ich aud) 
jpäter noch Eichhörnchen nachging und einzelne 
ihr Iuftiges Spiel treiben jah, eine ganze Ya: 
milie bei folcher Unterrichtöftunde zu belaufchen, 
glüdte mir nicht mehr. 


2, Auswanderer. 


Es ift nicht des Menſchen Los allein, dem 
Drang der Verhältniffe weihend, vom „Liebjten, 
das er hat”, jcheiden, fein Heim verlafjen zu 
müffen und ferner Fremde zuzuwandern. Aud) 
die Tiere überlommt zuweilen die zwingende Not: 
wendigfeit, von der Heimat zu laſſen und anderen 
Ländern zuzueilen. Ich willnicht der vielen Wan— 
derfahrten unferer Zugvögel gedenken; die fehren 
ja wieder; auch nicht der zeitweiligen Züge der 
Fledermäufe, der abenteuerlichen, fagenumipon: 
nenen Zemmingfahrten, der periodischen Hin- und 
Herzüge der Wildefel, der Bifons, der Renntiere, 


der Male und Robben, der plöglichen Wande: 
Ymamber fübafrifanischen Antilopen, der Wan- 


derheufchrede,”tT Ruubzüge gewiſſer tropiſcher 
Ameiſen, der jahrlten Brautzüge ber Landkrab⸗ 
ben, Seeſchildkrͤten AR; je. In all dieſen 
Fällen, wenn ic) von Wald: nn tefenbränden, 
Ueber hwenmungen, Seuchen grwüftungen 
durch Erdbeben abfehe, ift der eingegtene Nah: 
rungsmangel oder der Wunſch, für die inftige 


Brut pafjende Wohnpläße aufzufuchen, die Tñeb⸗ 


feder der Auswanderung, und ſie alle kehren regel: 
mäßig oder doch beim Eintritt der früheren Ber: 
hältnifje wieder nad) ihrer Heimat zurüd. Es 
gibt aber auch andere Umstände, die den Tieren 
ihr Heim verleiden können, läjtige Nachbarn, 
wiederholter Ueberfall ihrer Behaufung, Beun: 
ruhigung durch Lärm u. a. m. Solch läjtiger 
Beeinfluffung weichen viele Tiere, räumen ihre 
Siedelung mit Sad und Pad und gehen daran, 
an günftigerer Stelle eine neue Niederlafjung zu 


begründen. Diefer Fall trifft oft bei Ameifen: | 


folonieen ein, und einen ſolchen habe ich erft ganz 
fürzlich wieder zu beobachten Gelegenheit gehabt. | bald fürzerem Suchen fand ich jedoch den Zug 


Srledrid; Hauer. £ofe Blätter aus meiner Wandermappe, 


An einem der heißen Maitage diefes Jahres 
war ich in unfern Wienerwald hinausgewandert, 
und zwar von vornherein mit der Abficht, einmal 
dem Treiben der Ameifen im Freien zuzufehen 
und bannaus dereinen und anderen Nieberlafjung 
Heine Geſellſchaften ſamt Puppen und Eiern ge: 
fangen mitzunehmen. Ich hatte mehrere Baue 
im Holzenagender Ameijen und einige Kolonieen 
kleiner roter Nafenameifen mit Muße durchjucht 
und aus jedem Baue einige hundert Gefangene 
gemacht, als ich auf einer verjtedten Waldlichtung 
auf einen etwa vor einem Tage begonnenen ganz 
niederen Hügel unferer roten Waldameiſe ſtieß. 
Ueber den in den Erdboden gegrabenen Gängen 
waren die aus der Erde heraufgeholten Erd: 
frümdhen und etwa eine Handhoch Nadeln, Eleine 
Zweige, Halmwerk und Harzbrödchen zufammen: 
getragen. Die Inwohner fand ich in voller Ar: 
beit, zugleich aber, was mirfofort auffiel, bewegte 
fi) ein Zug hin und her wandernder Ameijen 
ſeitwärts nad) dem Walde hin. Sowohl die Teil: 
nehmer des Zuges als die beim Baue Beichäf: 
tigten waren durchaus Arbeiterinngn, Männchen 
und Weibchen waren nicht zu finden; aud fanden 
fi) bei Unterfuchung des Baues feine Eier oder 
Puppen. Die mitdem Zuge Ankommenden ſpran— 
gen fofort in die Arbeit ein, während andere die 
Arbeit fein liegen und fortzogen. Ich 
Treiben eine lange Stunde zu, als plößlich in 
dem Zuge infofern eine Aenderung eingetreten 
war, daß feine Arbeiter mehr anfamen, wohl 
aber immer mehr wegwanderten, bis nad) einer 
weiteren halben Stunde der Zug aufhörte, und 
da, wo früher mehrere taufend gearbeitet hatten, 
faum hundert mehr langjam ihrer Arbeit nach: 
gingen. Nachdem ich in einer nahegelegenen 
Reftauration einen Imbiß genommen, fehrte ich 
nad) etwa zwei Stunden wieder zu dem Baue 
zurüd und fand alles beim nur daß ab und 


zeinige Arbeiter in der‘ 








Zuges eintiikt. Sald f 4% 
und endlich war wiedif „yon Ur: 


beiterinnen im Julaufe, 
Zufchleppen von Baufto 
Treiben noch eine Weile zu, dann aber machte 
ich den Berfuch, der mir ſchon öfter geglüdt war, 
den Zug nad) feinem Urfprunge zu verfolgen. 
Dies war diesmal nicht ganz leicht, da der Zug 
ſchon etwa zwanzig Schritte vom Baue weg nad) 
einem Abhange Hin ſich verlor und wiederholt 
unter Gejtrüpp hindurchzog. Nach bald längerem, 


he 


ir gingen. Ich ſaft | 


\ 


G. Emil Bartkel. 


immer wieder und gelangte endlid) an den Wald: 
vand und längs diefem nad) einem Hügel, an 

dejlen Fuße ein erfichtlicy erjt vor furzem zer: 

ftörter Ameifenbau lag. Hier fand ich alles in 

Aufregung; Arbeiter, Männchen, Weibchen wog: | 
ten durcheinander; da und dort wurde eine Puppe, 
ein Ei in Sicherheit gebracht; aber es wurden | 
feine Anftalten zum Wiederaufbau getroffen, was 
ja ſonſt nad) jeder Zerjtörung eines Baues jofort 
geichieht. Ich fand bald den Grund hierfür, 
indem ich bei genauerer Unterfudung wahrnahm, 
daß der Bau jhon zu wiederholten Malen zer: 
ftört worden jein mußte. Nun wurde mir Har, 
daß die Ameifen im Begriffe jtanden, den Bau 
aufzulajjen und auszuwandern und daß der von 
mir zuerit aufgefundene Bau das neue Heim der 
Ameijenfolonie ſei. Daf dem wirklich jo, fonnte 
ich noch an demfelben Tage erfahren; denn als 
ich am Heimmwege nad) etwa vier Stunden beide 
Baue nochmals auffuchte, fand ich die Ameifen 


In einer Sturmnacht. 


631 


zum großen Teile ſchon überfiedelt, und ſtieß, als 
ich dem Zuge nachging, etiwa in der Mitte des: 
jelben auf Arbeiterinnen, die mit Puppen oder 
Eiern belaftet waren; andere Arbeiterinnen 
ichleppten Baumaterialien vom alten Baue mit. 
Die neue Anfiedelung war von der alten in ge: 
vader Linie über 300 Schritte entfernt; da aber 
der divefte Weg über jumpfiges Terrain führte, 
mußten die Nuswanderer in weitem Bogen um: 
gehen. 

Ich juchte acht Tage jpäter beide Baue 
nochmals auf, fand den alten ganz verlafien, den 
neuen gewiß dreimal höher geworden. Was ein 
ſolches auswanderndes Bölfchen bewegt und 
ob ihnen die Trennung von ihrer Geburtsftätte 
nahegeht, das entzieht ſich wohl unferer Beob- 
ahtung; die Härten und Mühen folder Aus: 
wanderung aber bleiben ihnen ebenjowenig er: 
jpart, wie dem Europamüden, der in der Neuen 
Welt fein Seil fucht. 





In einer Sturmnadt. 


Von 


6. Emil Barthel. 


Der Himmel grau, fein Sternlein mehr 
Erglänzt vom ganzen Sternenheer, 

Nur Wolkenſchichten jagen 

Und braulend fährt der Sturm daher, 
Die Erde bebt, es wogt das Meer 

Die Glocken halfen dumpf und fchwe: 
Und Menfichenberzen jagen. 


Kerr Gott, in deine Hand gelegt 

Set jedes Schiff. das Menſchen trägt 
Auf fturnmbewegten Wellen! 

Und jedes Berz, das haſtig ichlägt, 

And wie ein Schiff. vom Sturm bewegt, 
Auf Eebenswogen falten träat: — 

D fa cs nicht zerjchellen ! 








632 


Gauptmann Zernin. 


Der Hohentwiel 


Bon 


Haupfmann Bernin. 


„Wer die Geſchichte feines Vaterlandes in kurzen 
Umriſſen kennen lernen will, der vertiefe ſich in die 


Bergangenheit einer ſolchen Feſte, deren Sallen oder | 
Trümmer die Zeugen großer Freignifie gewejen find.“ | 


Goetbe. 


D* Neifende, welcher von Nordoften fommend 
auf der Schwarzwaldbahn das gejegnete 
badische Land von Dffenburg an quer durd): 
ichnitten, die Höhen des Maldgebirgs bei 


St. Georgen überftiegen und hinter Villingen : 
das wiefenreiche Thal der hier noch fehr jung: 


fräulihen Donau fchnellen Flugs durchmefien 


hat, wird am fernen Horizont durch einen felt: | 


famen Anblid überrafcht. Weftlich von dem aud) 
kriegsgeſchichtlich bekannten Städtchen Engen 
mit feiner großen und fchönen Pfarrfirche treten 


nacheinander mehrere Bergfegel fchroff hervor. | 


Da erſcheint zuerjt die Spite von Hohenhöfen 
und weiter füblih Hohenftoffeln; die Bahn 
biegt dann ganz nahe um die fcharfgejchnittene 
Ede von Hohenfrähen und hält endlich bei 
der Station Singen am Fuß der gewaltigiten 
diefer Bergkuppen, des Hohentwiel. Wie 
jchon der Name andeutet, find diefe Bergſpitzen 
ſämtlich von nicht geringer Höhe, fie erweifen 
fih mit noch vier weiteren Bergen als frei: 
ftehende Bafaltfelfen ohne Verbindung mit an: 


deren Bergrüden und fallen darum ganz be: 


jonders in das Auge. 

Wie fommt e8 — jo fragt man fi beim 
Anblid diefer ſeltſam geftalteten Bergriefen —, 
daß diefe zadigen Felsungeheuer fo unvermittelt 


in flahem Lande auftreten, welche Naturfraft 


hat jie gefchaffen, und wie lange ftreden fie 
wohl ſchon ihre bemooften Häupter jo fühn zum 
Himmel empor? 

Eine bejtimmte Antwort auf ſolche Fragen 
wird uns niemand geben, felbjt der gelehrtejte 
Geologe hat hierüber wohl nur Vermutungen. 
Ohne Zweifel bilden jene hohen, vulfanifchen 
Bergfegel, die mitten aus dem Bodenſatze alter 
Flut auffteigen, Denfjteine einer ſtürmiſchen 
Vorgeſchichte unferer alten Mutter Erde. In der 
Niederung, die einst gleich dem jetzigen Beden 





l 
1} 


| 


des Bodenſees von der wogenden Flut über- 
ſtrömt war, ragen dieje fchroffen und malerifchen 
Bergipigen empor; ihre bafaltiihen Maffen 


‚ müfjen ſich wohl glühend durch die Spalten der 


Erdrinde den Weg über den Mafferjpiegel ge- 
bahnt haben. Für Fiſche und Wafjermöwen mag 
es ein denfwürdiger Tag geweſen fein, als es 
in den Tiefen fo braufte und zijchte und Die 
Erdoberfläche eine neue Gejtalt annahm. „Aber 
das ift Schon lange her," jagt J. V. von Scheffel 
im erjten Kapitel feines „Ekkehard“ und fährt 
dann fort: „Es ift Gras gewachſen über die 
Leiden derer, die bei jener Ummälzung mitleid- 
[08 vernichtet wurden; nur die Berge ftehen 
noch immer ohne Zufammenhang mit ihren 
Nachbarn, einfam und troßig wie alle, die mit 
feurigem Kern im Herzen die Schranfen des Vor— 
handenen durchbrechen, und ihr Geftein Elingt, 
als ſäße noch ein Gedächtnis an die fröhliche 
Jugendzeit drin, da fie zuerſt der Pracht der 
Schöpfung entgegengejubelt. “ 

Sobald man bei Singen die Bahn verlafjen 
hat, wendet man ſich direft zu dem Ort und 
durchwandert feine breiten Hauptitraßen. Man 
überjchreitet dann den Schienenweg und das 
rafchjtrömende Flüfchen Nah, folgt hierauf 
einem durch Wiefen ſich ſchlängelnden Fußpfade 
und trifft nun auf einen guten Fahrweg, der 
in fanfter Steigung bergan führt. Faſt greif- 
bar ftredt uns der Hohentwiel feinen breiten 
Felſenrücken entgegen, in einer halben, höch— 
jtens dreiviertel Stunden fcheint er eriteigbar, 
allein bald verlangjamt, durch die zunehmende 
Steigung des Wegs, des Wandererd Schritt, 
und es dauert wohl über eine Stunde, bis er 
die Bergipige erreicht. Der Hohentwiel hat die 
nicht unbedeutende Höhe von 684 mı, erreicht 
alfo die beiden größten Spigen des Taunus: 
gebirges: den großen Feldberg (880 m) und Alt: 
fönig (798 m) nicht ganz, dagegen überragt erin 
nicht geringem Maße den höchſten Punkt der 
Bergitraße: Melibotus (512 m), den Felsberg 


| im Odenwald (495 m), den Trifels in der 


Der Hohentwiel. 


Der Dobentwiel. 


Nheinpfalz (462 m), den Königſtein an der 
Elbe (355 m) u. a. m. Nach einer Wanderung 
von etwa 25 Minuten erreicht man den Hof 


oder die Meieret bei der alten Linde, wo ein | 


ſchwäbiſcher Schultheig der Hohentwiel bildet 
mit feiner Umgebung eine württembergiſche 
Enclave - die Trümmer der alten Feſte hütet. 
Nun hört der Fahrweg auf, ein jteiler und 
recht jteiniger Fußweg führt weiter auf die 
Höhe. Der Weg wird immer unbequemer, jo 
dak auf demjelben ſchon unzählige Schweif;: 
tropfen vergoſſen fein mögen; endlich gelangt 
man an das erite in den Fels gehauene Thor, 
überfchreitet die ehemalige Zuabrüde und ift 
auf der eriten Bergterraffe angelangt. Ueber: 
rafcht blidt man um ſich und erfreut ſich an der 
ebenfo weiten wie ſchönen Ausſicht, die ſich in 
fo ausgedehnten Umkreiſe jelten in Deutichland 
wiederfinden mag. Der Dichter des „Efkchard“ 
jagt von ihr: „.... Ueber dem glänzenden Boden: 
fee grüßt der Säntis aus blauer ‚Ferne fo an- 
mutig und groß herüber wie vor viel hundert 
‚jahren, und es tft immer noch ein vergnüglich 


633 


©. Dulohwuht 
D Handı md Rof'mihlm 





Rah Merian, 


Geſchäft, ins jchwellende Gras gelagert, cine 
Umſchau zu halten über das weite Yand,“ 

In der Ihat wird hier eine Nundichau ae: 
boten, die einen feltenen Reiz hat. Fächerartig 
ausgebreitet liegt die ganze Niederung vor 
unjern Augen, nur einzelne Anhöhen — fo be: 
jonders der jeltfam ageitaltete Felsblock des 
Hohenfrähen jteigen aus derjelben empor 
und heben fich ſcharf vom Horizont ab. Südlich 
Ihimmert die lange Silberfläche des Bodenfees 
zu uns herüber, und hinter ihr hebt der breite, 
durd) eine Kluft in zwei Zaden geteilte Gebirgs— 
rüden des Säntis jein leider öfters durch Nebel 
verhülltes jchneebededtes Haupt hoch in Die 
Wolfen. Bet flarer Yuft muß der Standpunft 
auf dem Hohentwiel eine überaus weite, male: 
riſche Ausfidyt gewähren, die Tiroler und die 
Schweizer Alpen jelbft bis zum Montblanc 
jollen dem bloßen Auge erreichbar hier entgegen 
treten, während die lachenden Ufer des Boden: 
jees mit ihren verfchtedenen Gebietern — Baden, 
Württemberg, Bayern, Defterreih, Schweiz 
ſich deutlich unterſcheiden laſſen. Man gedenlt 





634 Hauptmann Zernin. 


auf diefer Höhe gern des Eichendorffichen Schönen | maleriſch, dann wieder jeltiam verwirrt. Die 


Liedes: Burg, die hier einjt geftanden hat, muß von 
„Wem Gott will rechte Gunft erweijen, ſehr bedeutender Ausdehnung geweſen jein. 
Den ſchickt er in die weite Welt, Schon die Bergkuppe des Hohentwiel, welche 
Dem will er ſeine Wunder weiſen weſentlich umfangreicher iſt als manche andere, 


In Berg und Thal und Wald und Feld!“ wie z. B. jene, auf denen die alte Burg von 
Die nächte Umgebung auf der Höhe zeigt Baden-Baden, oder der Trifels und die Maden-— 
dem Wanderer ein großartiges Chaos von | burg in der Pfalz, die Starfenburg, Schloß 
Trümmerhaufen. Da liegen fie, die gewaltigen | Auerbach und Burg Franfenftein an der Berg- 
Reſte von Felsbauten, auf: und übereinander, | jtraße, die Ebernburg an der Nahe, Nheinfels 
wie fie eine rohe Gewalt gejchichtet hat, oft | am Rhein u. a, m. geftanden haben, zeigt uns 


* — ee 
— — 


* 





Der Hohentwiel. 


durch die Reſte der ausgedehnten Ringbauten, trägt, wenn er forſchend überdenkt, was ſeit den 
daß hier einſt eine beſonders ſtattliche Fürſten- Tagen der Vorzeit über dieſe Felſenburg er: 
wohnung geſtanden haben muß. Und wie mannig- gangen, auf deren Trümmern heute ſein Fuß 
faltig und denkwürdig waren ihre Schiefale! ruht. Suchen wir nun die hauptſächlichſten 
Eine Geſchichte von mehr als 1009 Jahren redet , Daten feitzuitellen, die fih an der Hand kun— 
an dieſer Stätte zu uns; große, jtolze und wie: | diger Führer an dieſe redenden Zeugen der 
der traurige Tage waren es, welche die Inſaſſen großen Vergangenheit knüpfen laſſen Y). Freilich 
diefer Burg erlebt haben, bis der jtattliche Bau | — 
endlich in einen ſolchen Trümmerhaufen ver: 
wandelt wurde und alle menjchlicden Bewohner 
ihm den Nüden kehrten. 

Ebenſo groß wie der Genuß des Natur: 
freundes auf diefer Stelle ıft der Gewinn, den | 
der Freund vaterländiiher Gefchichte Davon: | 


'Y Wir folgen in den vorftehenden Angaben 
hauptſächlich dent fchon älteren, aber durchaus tüch— 
tigen Werke: „Geſchichte Hohentwiels, der unbe: 
zwungenen Feſte im dreißigjährigen Kriege. Ein 
Veitrag zur Gefchichte desjelben, aus urkundlichen 
Quellen dargeftellt von O. F. H. Schönhuth. Mit 
einer Anftcht. Freiburg t. Br., 1836." 

Weiter haben wir benutzt die vortreffliche und 


iii WM m me u 


Der Hohentwiel, 


werden wir faum mehr als eine ſchmuckloſe 
Aneinanderreihung von Creignifjen bieten kön— 
nen, wie fie in der Folge von vielen Jahr— 
hunderten über das Haupt des Hohentwiel und 
jeine Glieder vorüberzogen. Auch er war einit, 
wie es im Bollslied heift, eine „Itolze und 
fühne“ Burg, — jebt find ihre Mauern „zer: 
fallen und der Wind ftreicht durch die Hallen, 
Wolfen ziehen drüber hin!“ 

Ueber den Urjprung der Felfenburg Hohen: 
twiel ift ein dichter Schleier gezogen, den feines 
Forſchers Hand bis heute zu lüften vermocht 
hat. Gemichtige Anhaltspuntte fprechen jedoch 
dafür, daß der Hohentwiel von den Römern 
zuerſt befeftigt wurde, fo namentlicd der Name 
duellnm oder duellium, den der Berg fchon 
in den frühejten Urkunden trägt, ſowie die nahe 
Zage des Hohentwiel am Rhein und Bodenſee, 
an welchem die Nömer in den erften Zeiten ihres 
Uebertritts nah Germanien Niederlaflungen 
gründeten. Es wird angenommen, daf die Er: 
bauung des Kaftells auf dem Hohentwiel etwa 
im jahre 258 n. Chr. unter Kaifer Marimin 
erfolgte; andere halten fie erit 100 Jahre jpäter 
unter Valentinian für mwahrfcheinlih. In den 
alles verheerenden Stürmen der Völkerwande— 
rung blieb ficher die Felfenburg nicht verfchont, 
ſpäter wurde fie wohleinem alemannischen Großen 
als Wohnfit übergeben oder bildete den Aufent: 
halt der Saugrafen des Hegaus unter den Ka— 
rolingern. Um jene Zeit joll auf dem Berge 
Twiel ein Klofter errichtet worden fein. Im 
Jahre 890, als Schwaben noch nicht in ein Herzog: 
tum verwandelt worden war und feine Ein- 
fünfte zur königlichen Kammer gezogen wurden, 
famen die fogenannten Kammerboten ins Land, 
Erchanger und Berchtold, welche auf dem 
Hohentwiel ihren Si nahmen. Im Jahre 915 
hielt Die Burg ihre erfte Belagerung aus: Kaijer 

" Konrad lagerte ſich vor diefelbe, doch mußte er 
unverrichteter Sache abziehen, weil Herzog Hein: 
nid) von Sachſen in Franken eingefallen war. 
Damals muß der Hohentwiel ſchon eine feſte 
Burg gemwejen fein, denn fie war zum Aufent: 
haltsort der mächtigjten Gemwalthaber Ale: 


Zuttlingen, herausgegeben von dem K. ftatiftiich- 
topographiichen Bureau, mit Tabellen, Anfichten und 
einem Plan von Hohentwiel. Stuttgart, 1879.” 

Endlih haben wir in einigen Punkten aud) 
die „Weichichte von Hohentwiel von E. von Martens 
(Stuttgart, 1857)" zu Nate gezogen. 








635 


manntens gewählt und vergeblich belagert wor: 
den. Ohne Zweifel fam Twiel nad) dem Ende 
der Kammerboten an den neuerwählten Herzog 
Burkhard von Schwaben als Neichölehen und 
blieb in dejjen Familie. Burkhard II. vermählte 
fih mit Hadwig, der geiftreichen Tochter des 
Herzogs Heinrich von Bayern, einer Nichte des 
Königs Dito, „eine ſehr ſchöne, aber gar ftrenge 
Frau“, wie Ekfehard berichtet !). Die Ehe war 
nur von fehr kurzer Dauer, der ſchon bejahrte 
Herzog ftarb und hinterließ der Witwe ein 
reiches Erbe neben dem Herzogtum. Frau 
Hadwig — diefe von Scheffel jo charakteriſtiſch 
gezeichnete hohe Frau — ſoll 994 aus ihrer 
jtetS regen Lebenäthätigkeit abberufen worden 
fein, doch iſt diefe Zeitangabe nicht verbürgt. 
Nach ihrem Tode fiel der Hohentwiel an König 
Heinrich II., den Nachfolger Dttos III. Im 
Fahre 1079 befand ſich die Burg im Beſitz von 
Rudolf von Schwaben, deflen Gemahlin Adel: 
heid hier ihre letten Tage in Kummer und 
Armut verlebte, während Rudolf im Norden 
Deutfchlandse um die Königsfrone Fämpfte. 


Sein Schwiegerfohn, Markgraf Berthold von 








Zähringen, folgte ihm im Befis; zu jener Zeit 
wurde der Hohentwiel — vielleiht zum erſten— 
mal — erobert. Als nämlich nah Rudolfs 
Tode im Jahre 1080 der Kampf des Kaiſers 
Heinrih IV. und der Anhänger Nudolfs am 
Bodenfee noch fortdauerte und Berthold von 
Zähringen den Feind feines Schwiegervaters, 
den Abt Ulrich von St. Gallen, mit Krieg über: 
309, rächte fich letzterer dadurch, daf er feiner: 
jeits die Güter Bertholds verheerte und auf 
diefen Zuge die Bergfeftung wenn aud nicht 
mit Gemalt, fo doch durd Verrat ihrer Be: 
wohner nahm; er gab fie aber bald wieder zu- 
rüd, Im Jahre 1094 wurde Hohentwiel mit 
dem ſchwäbiſchen Herzogtum eine Befitung der 
hohenftaufiihen Maifer, doc traten auch Nitter 
„von Twiel“ auf, die aber wahrſcheinlich nur 
Vehensträger der Burg waren; jpäter erfchienen 





) Nicht der „Eklehard“ von J. V. von Scheffel 
iſt hier gemeint, ſondern der wackere Geſchichts— 


ſchreiber Eklehard IV., Mönch von St. Gallen, der 
2 \ offenbar dem deutihen Dichter als Vorbild feines 
völlig zuverläffige „Beichreibung des Oberamts 


unübertrofjenen fulturgeicichtlichen neuen Wertes 
gedient hat. Sein Hauptwerk ift die Fortjegung 
des von dem Mönche Ratzart begonnenen Werts: 
de casibus monasterii St. Galli (über die Schidjale 
des St. Galler Klofters). Ekkehard fol zu Mainz 
nad der Mitte des 11. Jahrhunderts geftorben 
jein, ob 990 oder in welchem Jahr, ift unbelannt, 


636 Baup'mann Zernin, 


in Urkunden die Herren „von Klingen, genannt 
von Twiel“ und jodann die Herren „Edeln von 
Klingenberg“ als neue Befiger; wahrſcheinlich 
verlieh diefen nah dem Erlöſchen des Haufes 
der Hohenftaufen Rudolf von Habsburg die Feite 
wegen der Verdienfte, die fi fein Kanzler Hein: 
rich von Klingenberg um ihn erworben hatte. 
Die Ritterburg wurde nun ſtark befeitigt, denn 
fie hatte mandhe Stürme auszuhalten. Im Jahre 
1464, al3 fünf Brüder von Klingenberg auf 
Hohentwiel jagen, die mit dem St. Georgen: 
bunde in offene Fehde geraten waren, wurde 
die Feſtung wiederum, jedoch vergeblich, belagert, 
ein Jahr jpäter folgte die Beilegung des Streits. 
Die Klingenberger famen in der Folge von ihrem 
Wohlitand zurüd und überliegen durch Vertrag 
vom jahre 1522 den Hohentwiel an Herzog 
Ulrich von Württemberg, unter deſſen Herrichaft 
die Felfenburg befonders für Württemberg eine 
hohe Bedeutung gewann. Vom Hohentwiel 
aus begann der Herzog im Jahre 1525 mit 
30 Fähnlein Fußvolk und 200 Neitern, zuſam— 
men 6200 Mann, den Zug zur Eroberung jet: 
nes Landes, den er jedoch unterbrechen mußte, 
weil er von den jchweizeriichen Hilfstruppen 
verlafjen wurde. Er kehrte jegt und ſpäter mehr: 
mals noch auf jeine Bergfeitung zurüd, die er 
dann ganz verlieh, um an den Hof des Landgrafen 
Philipp von Heſſen zu gehen, worauf er endlich) 
1534 wieder in den Befit feines Ahnenlandes ge- 
langte. Defterreich machte nun verſchiedene Ver: 
fuche, um wieder Herr von Hohentwiel zu wer: 
den, doch fcheiterten alle feine Bemühungen, und 
durch den Paſſauer Vertrag (6. Auguft 1552) 
fam die Feſte unbejtritten an Württembera, 
deſſen Fürften fie fortan in großen Ehren hiel: 
ten. Herzog Chriftoph ließ diefelbe nicht allein 
verjtärfen, fondern auch verfhönern und unter 
anderem die „Fürftlihe Burg“ dort aufführen, 
welcher Hauptbau zufolge der noch in Stein 
fihtbaren Zahl im Jahre 1554 vollendet wurde; 
auch das fogenannte „Rondel“, unftreitig das 
ihönjte Bauwerk der Feſte, wurde wohl zu ſei— 
ner Zeit aufgeführt. So fonnte jegt der Hohen: 
twiel nicht bloß als feiter Punkt, ſondern aud) 
als fürftliche Nefidenz ſich eines ftattlichen Aus: 
jehens rühmen; derfelbe erreichte gegen Ende des 
16, Jahrhunderts den Gipfelpunft feines Ruhms 
in der Schönheit feiner Erſcheinung ). 

) Etwa aus jener Zeit ftammt die Aufnahme 


unferes eriten Bildes, das wir nah Merian, topo- 
graphia Sueviae (1643), bier wiedergeben, Wir 














In den nächiten Jahrzehnten ging auf dem 
Hohentwiel nichts von Bedeutung vor. Da fam 
der breißigjährige Krieg, der die glänzendſte 
Kriegsepoche der Bergfeitung jehen fjollte, und 
zwar unter ihrem mutvollen Verteidiger, dem 
mwürttembergiihen Major Konrad Wieder: 
hold. Derjelbe war ein wahrer Heros, welcher 
der Felſenburg unvergänglichen Ruhm verleihen 
follte. Herzog Eberhard III. ernannte dieſen 
tapferen Krieger, einen geborenen Hejjen, der 
fih früh ſchon der ngenieurfunft gewidmet 
hatte, 1634 zum Kommandanten von Hohen: 
twiel, nachdem derfelbe jchon zwei ‘jahre vorher 
auf der Feſtung verweilt und damals die nahen 
Burgen Hohenkrähen und Mägdeberg dem Feinde 
entrifjen hatte. Die Kaiferlichen brüteten Mache, 
und im Juli 1635 309 Oberft Vitzthum mit 
einer anfehnlihen Truppenmadht heran, um 
Hohentwiel zu belagern. Dazu brach eine bös: 
artige Peitkranfheit unter der Beſatzung aus. 
Doch der tapfere Wiederhold verlor den Mut 
nicht und der faiferliche Oberſt jah fih im Fe: 
bruar 1636 genötigt, das Feld zu räumen, nach: 
dem er ein halbes ‚Jahr „umſonſt um die Dame 


entnehmen einem Reijebericht des Herzogs Friedrich 
von Württemberg folgende Einzelheiten, um eine 
anſchauliche Beichreibung zu geben, wie es gegen 
Ende des 16. Jahrhunderts auf der ftattlichen 
Fefte ausfah: „... Diß Fürftiih, ja Königlich 
Hauf ligt im Hegow, nit weit vom Bobdenfee, in 
einer luftigen und an Wein und Horn Frudtbaren 
Iandtögelegenheit, ift vber die maßen Beft, es ift 
fih zu verwundern, wie der fehr harte Felß, ledig 
vnd allein, in jo vbergroßer Höhe, im Feld auf: 
fteigt, da fo nahe darbei fein einiger Berg, der jhme 
möchte fchaden bringen, alfo das er weder mit Stei: 
gen, Schieen oder Bndergraben, durchaus nicht fan 
gemwältigt werden, auff demjelbigen iſt das Schloß, 
nicht nur mit vielen ſchönen Fürftlihen Zimmern, 
und nothwendigen Gemachen, wie auch guten Ci: 
fternen und Schöpfbrunnen, deigleihen mit Keller 
vnd Stallungen, fondern aud mit Pafteyen (Ba: 
fteien), Wählen (Wällen) vnd ftarfen Wehren, zum 
vberfluß verjehen, welches jedoch ohne Noth geachtet 
werben möchte, angejehen, das von Natur diejer 
Platz dermaffen beueftiget, das ſich darob zu ver: 
wundern. Wann auch fchon weder Wähl, Bollwerd, 
noch Paftegen, fondern nuhr allein die Thor vnd 
Falldruden, dahin gebaumet weren, würde es vor 
eines mächtigen Feindes gemalt woll ficher fein, 
daher auch ettlich nicht vnbillich fagen, das ſich eines 
ſolchen Haufes (da es auff den Vngariſchen Grengen 
gelegen) die gange Ehriftenheit zuerfreuwen hatten. 


Beneben wird an dilem Berg erbaumet, Korn, 


auch trefflih quter Roter und Weiffer Wein, wel: 
ches der Weich Doctor vom Willkom woll erfahren. 
Nicht weniger ift bei diejer VBeftung, an gutem Baum 


vnd Brennholz, gar fein mangel...” 


Der Hohentwiel. 


gebuhlt“, wie es in dem „Lobſpruch der weit: 
berühmten Veſtung Hohentwiel” des Jeitgenofjen 
M. Matthäus Ejenwein heißt. Im Jahre 1637 


| 


mußte Herzog Eberhard in bebrängter Lage jih | 
der Forderung Defterreihs fügen und in die | 


Abtretung des Hohentwiels an das letztere wil- 
ligen; doh nun war es MWiederhold, der die 
Ausführung des Plans vereitelte. Er ſchloß 
eigenmächtig mit Herzog Bernhard von Sadjen: 


Meimar einen Vertrag ab, wonach Sahjen und | 
Miürttemberger die Feſte gemeinjchaftlich befigen | 


und Kommandant und Bejagung in die Dienjte 
diejes Herzogs treten ſollten. Im Auguſt 1639 


erſchien nun der faiferliche Feldmarſchall Huyn 
| den, fo daß Wiederhold nach wie vor die Feind: 


von Gelern mit einer neuen Truppenmad)t vor 
der Feltung und unternahm die Belagerung. 


Diefelbe begann am 6. Auguſt mit einer Bes | 


ſchießung; Verfuche, die Burg durch Minen zu 
jprengen, reihten ſich an, doch ein großer Erfolg 
wurde nicht erreicht. Allerdings gelang es dem 
Gegner, in den Vorhof der Feſte einzubringen, 


der nur mit Paliſſaden befejtigt war, allein dann | 


wurde er wieder zurüdgetrieben. Am 8. No: 
vember wurde die Belagerung aufgehoben, doch 
blieb ein Teil der Kaiferlihen noch einige Zeit 


zurüd; nachdem fie im ganzen 1500 Mann, 


Wiederhold jedoh nur 10 Mann eingebüßt 
hatte, verfchwanden die Kaiferlihen. Im Sep: 
tember 11640 trat ein neuer Feind auf: Don 


| 





Enriquez mit 7000 öfterreidhischen und fpani= 


ihen Truppen, allein auch defjen Anftrengungen 
bliebenvergeblidh. Der Weimaraner Oberſt Roja 
kam zum Entſatz herbei, Wiederhold machte kräf: 
tige Ausfälle, und fo fam es, daß die VBelage: 


tungötruppen bald auf die geringe Zahl von | 


700 Mann zufammenfchmolzen. Im Juli 1641 
war es nun der furbayerifche Oberft Neumarf, 
welcher vor der Feſte erſchien; ihm folgte im 


1 
I 





! 


Dftober Graf von Sparre mit faiferlichen und 


bayerischen Truppen; letzterer hatte hoch und 
teuer verfprocdhen, den Hohentwiel in drei Mo- 


naten zu nehmen. Er eröffnete ein bedeutendes | 
Geſchützfeuer, jo daß nach dem Bericht eines | 
Zeitgenofjen das Feuer „etlihe Meilen weit | 


gejehen“ wurde. Allein auch diesmal nahm die 
Belagerung feinen glüdlichen Fortgang, und ala 
zu Neujahr 1642 die aus den Bejagungen vom 
Elfaß herbeigeeilten ſchwediſchen Truppen die 
Kaiferlihen überfielen und Wiederhold gleich: 
zeitig einen Ausfall unternahm, eroberte er jo: 
gar das ganze Sparreſche Lager. Bis zu Ende 
des „jahres blieb nun der tapfere Kommandant 


| 


637 


unangefohten, der inzwifchen viele glüdliche 
Streifzüge unternommen und unter anderem 
auch Ueberlingen erobert hatte. Auch noch im 
Jahre 1644 wagten bayerische Truppen einen 
Zug gegen Hohentwiel — er blieb gleichfalls 
erfolglos. 

Miederhold, welcher jchon lange über: 
zeugt war, daß ein allgemeiner Friede ein hoch— 
wichtiges Bedürfnis fer und demnächſt fommen 
müſſe, hatte erklärt, feine Feſtung gegen die 
völlige Befreiung Württemberg von Oeſterreich 
übergeben zu wollen; der Vertrag war zwar am 
21. Mai 1644 abgejchloflen, doch feine Bedin: 
gungen nicht von den Kaijerlichen gehalten wor: 


jeligfeiten im Bereich feines Platzes fortſetzte und 
im Sanuar 1645 unter anderem die Mainau 
überrumpelte. Im folgenden Jahre nahm er 
die Inſel Reichenau, indem er über den zugefro: 
renen Rhein ging, ſowie die Stadt Sulz. End: 
[ich wurde der Friede in Münfter und Osnabrüd 
abgeſchloſſen und der Hohentwiel darin Würt: 
temberg zugejprochen. Am 10. Juli 1650 über: 
gab der tapfere Degen dem Herzog feine Feltung, 
die er vor fo vielen Anfechtungen bewahrt hatte; 
er ſehnte fih nun nah Ruhe und endete fein 
thatenreiches Leben am 13. Juni 1667 zu Kir): 
heim unter Ted, noch nicht 70 Jahre alt. Ein 
treffliher Kriegsmann, ein tüchtiger und braver 
Degen hatte ausgeatmet! 

Unter Wiederhold hatte fich das „innere der 
Feſtung nicht unweſentlich verändert. Er baute 
dafelbft eine Kirche, deren Grunditeinlegung 
mitten im Rriegsgetümmel der Belagerung von 
1639 erfolgte und deren Bau in wenigen jahren 
vollendet war. Die Orgel dazu mußte das er: 
oberte Ueberlingen jpenden. Sm Jahre 1645 
wurde das Gotteshaus eingeweiht; es hat we— 
jentlich dazu beigetragen, die kriegsgewohnten 
Leute MWiederholds durch innere Erbauung vor 
Roheit und Sittenlofigkeit zu bewahren. Ferner 
ließ er das neue Gajthaus errichten, in welchem 
fich die Kanzlei ſowie feine Rüſtkammer befanden, 
worin er manches großen Helden Waffen auf: 
bewahrte, die er jelbjt erbeutet hatte oder zum 


Geſchenk erhielt; endlich erbaute er ein Zeug: 


und Kugelhaus, das mit Waffen und Munition 
ſtets reich gefüllt war; auch das neue Portal, 
über welhem Wiederholds Wappen mit furzer 
und doch vielfagender Inſchrift angebradht wor: 
den, war ihm zu verdanken. Diefe Inſchrift 
verdient näher gefannt zu fein, ſie lautet: 


638 BHanptmann Zernin. 


Durch Gottes Gnad und Helden Trew 
Dis Vöfte Hauf hier ftehet New, 

Der Feind hats zwar fünfmal geſchreckht 
Doch Hat der Herr zum Schuß erwedht, 
Den Wiederhold der fünffzehn Jahr 
Daſſelb befhügt in Feindts gefahr. 166. '). 


Die Geſchichte Hohentwiels ſchweigt feit 
1650 mehrere Jahrzehnte lang. Während des 
ſpaniſchen Erbfolgekriegs wagten kurbayeriſche 
Truppen 1703 einen Angriff auf die Feſtung, 
allein ſie mußten ſich unverrichteter Dinge zu— 
rückziehen. 

Herzog Karl Alexander von Württem— 
berg ließ nach dem Jahre 1734 noch manche 
Neubauten im unteren Teile der Bergfeſtung 
nach den Vorſchlägen von Georg Bernhard 
Bilfinger ausführen; ſie brachten den letzten 
Zuwachs der Burg, welche ſiets noch militä- 
riſchen Wert beſaß. Später verſchwand der 
leßstere immer mehr, und gegen die Mitte des 
18. Jahrhunderts verlor fie ganz ihre Bedeu: 
tung und wurde unter dem Herzog Karl haupt: 


ſächlich zur Feithaltung wichtiger Staatögefan: 


gener benußt. Unter denfelben find bejonders | 


aufzuführen: der preußiſche Werbeoffizier von 
Knobelsdorf, der württembergifche Oberit 
Rieger und der Landſchaftskonſulent Johann 
Jakob Moſer. Der erſtgenannte betrat die 
Feſtung in ſeinen Jugendjahren, um ſie als 
Mann mit grauen Haaren zu verlaſſen, Rieger 
war vier ‚jahre lang dort Gefangener, und Mofer 
fam aus heute noch nicht genau ermittelten 
Gründen nad Hohentwiel, um fünf Jahre 
ſtrengſte Einzelhaft zu erdulden. 

Wenn aud die Bergfeftung an ihrer ein: 
jtinen militärischen Bedeutung ſtarke Einbuße 
erlitten hatte, jo wurde fie doch fortwährend in 
gutem Ausrüftungszuftande gehalten. Mit 
Munitton und Proviant war fie für eine jahre: 





I 


ſprechend: 25 Kanonen nebjt anderen Geſchützen 
hatten auf der Feſtung ihre Pläge ). 


') Einer intereffanten Befchreibung der haupt: 
ſächlichſten Armierungsſtücke, die ſich noch gegen 
Ende des 18. Jahrhunderts auf Hohentwiel be 
fanden und die ein altes Buch über Büchfenmei fterei 
enthält („Sründlicher Unterricht der Büchfenmeifterei, 
Reißbuch von Johannes Siglin, angefangen zu 
Hohentwiel den 1. Auguſti anno 1728,” dandfchrift 
in Querfolio, mit jchönen Federzeihnungen) ift 
folgender Heiner Auszug entnommen: 

Ein Vierundzwanzigpfünder, genannt „der Bär”, 
mit folgendem Sprud): 

Ih alter Beer 

thu brummen jehr, 

mit meiner Pfeiff 

Ich alls umtehr. 
und dem württembergiihen Wappen mit der Um— 
ſchrift: 17 E.L. H. Z. W. 29. 

Eine ganze Hartaune*), ſchießt 48 Pfund. Bild: 
ein Hahn mit dem Spruch: 

Wann id Hahn kräh vf Hohentwiel, 
Mac ich dem Feind der Unruh Vier. 
Wann mein gefchrey thut erichallen, 
Thun viel derjelben zu Boden fallen. 

Unten dad württembergifche Wappen mit der 
Aufichrift: E. Z. H. Z. W. 

Unter dem Wappen: Fortitudo Vigilantia. 

Eine Viertels-Kartaune, Bild oben: Simfon, 
wie er mit dem Löwen ringt. Sprud): 

Wie Simfon den Lewen bezwang, 

Alfo ic meine Feind empfang, 

Vf Hohentwiel hin horche ich, 

Und meine Feind von weitem fich (feh’). 

Unten das fächfiihe Wappen mit der Ueber— 
Ihrift: Churfürft Johann Friederich der 1. diefes 


‚ Nahmens, ältefte grofmütige und Standhaftefte 


lange Belagerung verfehen, da Mehl und 


Fleiſch maſſenhaft vorrätig waren und die vier 
Pulvertürme „Tiger“, „Löwe“, „Panther“ 


und „Drache“ Pulver in ſchwerer Menge ent: 
hielten. Die Geſchützausrüſtung war dement: | 


’) Beide Denffteine — Infchrift und Wappen - 


find der heutigen Zeit zum größten Teil erhalten. 


Sie bilden mit den noch vorhandenen Ueberreiten 
des Schlofjes mit der Jahreszahl 1554 und dem 
in der Negiftratur des Kriegsminifteriums zu Stutt: 
gart befindlichen alten Fremdenbuch, das Einzeich— 
nungen von 1652 —1799 enthält, die aeichichtlich 
wertvolliten Ueberbleibfel der einft fo großen und 
mächtigen Felſenburg. 


Hertzog zu Sachſen. 

Ein einfaches Falkonet (auch Falkaune, oder 
Falke genannt, ältere Geſchützart) mit dem Bilde 
eines Fuchſes und dem Spruch: 

Das Füchslein man mic, nennen thut, 
Nehr mid) mit meiner Feinden Blut. 

Wann ich derfelben thu ein erfchleichen, 
Muß der Haar laffen fan, nit weichen. 

Ein Schild mit der Schrift: Churfürft Friedrich 
der III, Hertzog zu Sachſen, unten das ſächſ. Wappen. 

Ein Stüd, ſchießt 18 Pfund. Bild: ein Meer: 
ungeheuer mit einem Hörnlein im Mund. Spruch: 

Wenn ich blaß mit diefem Horn, 
So thut es meinem Feind Yorn. 

Unten den Neichsadler mit der Auffchrift: Con- 

silio et industria. Unter dem Adler: Oppilabit os. 


*) Die Kartaune war die Geſchütgatiung bet 16. und 17, 
Jahrhunderts, fie entftand aus der Bombarde und hatte ein 
längeres Rohr; die größeren Kartaunen wurden auch Daubt« 
büchſen oder Meten genannt, Es gab ganze, halbe und viertel 
Kartaunen, Nah dem alten Bude: „Theoria et praxis 
Artillerine, Nürnberg, 1683* war „eine gantze Garthaune, im 
Wall es gut, fo eine Kugel von 48 Pfund Eifen jhichet, 19 Eat, 
oder Augeln lang, wiegt am Rohre 69 Gentner, BO Pfund, auf 
1 und Stugel 160 Pfund Metal, den Gentner zu 110 Pfund 
gerecdnet* u, j. w 


Der Hohentwiel, 


Noh gegen Ende des 18. Jahrhunderts 
follen dieſe 25 Kanonen mit noch anderen 
fleineren Geſchützen auf dem Hohentwiel auf: 
geftellt gewejen jein, darunter verfchiedene 
Mörfer von bedeutender und geringerer Größe, 
und Böller, 

Es fam die franzöfifhe Revolution und mit 
ihr die lange Zeit der deutſch-franzöſiſchen Kriege. 
Im Dftober 1796 zogen Franzoſen und Defter: 
reicher am Fuß des Hohentwiel vorüber, jedoch 
ohne etwas gegen die Feſtung zu unternehmen. 
Im folgenden jahre wurde Oberft von Bil: 
finger deren Kommandant, der 1799 den 
Oberftlieutenant von Wolff als Beirat erhielt; 
beide Männer waren wohl wiljenihaftlid ge: 
bildete Offiziere, allein fie hatten nicht die er: 
forderlihe Charakterfeitigfeit und Thatkraft, 
um den ihnen bevorjtehenden Ereigniffen ge: 
wachſen zu fein. Als das Kriegsjahr 1800 be: 
gonnen hatte, beitand die Beſatzung der Feitung 
nur aus 106 Mann, größtenteils Invaliden; 
die Geſchütze beliefen fih auf die Zahl 27, doch 
follen davon nur zwei ganz brauchbar gemwefen 
fein. Am 1. Mai drängte das franzöfiiche Corps 
Tecourbe, welches den rechten Flügel ber 
Nheinarmee bildete, die Defterreiher von Schaf: 
haufen und Stein her am Hohentwiel vorüber, 
und gegen Mittag erichien General Bandamme 
mit feiner Divifion von 10665 Mann vor der 
Bergfejtung. Die erjte Aufforderung zur Ueber: 
gabe wurde von dem Kommandanten würdig 
beantwortet, leider war der Ueberbringer diefer 
Antwort der Oberftlieutenant Wolff felbit. Im 
Pfarrhaufe zu Singen foll nun bei einem reich: 
lihen Mahle General Vandamme den letzt— 
genannten zu überreden veritanden und ihm 
eine Stunde Bedenfzeit gegeben haben; feine 
Drohung, im Weigerungsfalle zur Belagerung 
zu fchreiten, Fonnte um jo weniger ernft gemeint 
fein, al3 er bereits Befehl erhalten hatte, tags 
darauf feinen Marfch fortzufegen. Der Kriegs— 
rat auf Hohentwiel hielt, da der größte Teil 
der Bejagung unzuverläffig oder unfähig zu 
einer fräftigen Verteidigung ſchien, einen ernft: 
lichen Widerftand für unausführbar und ent: 
ſchloß fi zu einer ehrenvollen Kapitulation. 
So wurde die Bergfeitung den Frangojen über: 
geben und jchon am 2. Mai von denfelben be: 
ſetzt. Bilfinger und Wolff wurden dafür am 
27. Mai zu Dinkelsbühl vom Kriegägericht zum 
Tode verurteilt, jedoch zur Kaſſation und Ein: 
fperrung, bezw. nternierung begnadigt; der 


— — — — — — —— — — — — — — 


639 


erſtere kam nad) Aſperg, ber letztere blieb jedoch le: 
benslänglich im Feitungsarreit. Die yranzofen, 
welche verſprochen hatten, den Hohentwiel im 
gleichen Zuftande fpäter an Württemberg zurüd: 
zugeben, hielten fi) keineswegs an biefe Zu: 
fage, fie befchloffen die gänzliche Zerftörung der 
Feltung. Am 10. Dftober begann das Ein- 
reißungswerk, die Grundmauern der herrlichen 
Burg ftürzten unter der Kraft des Pulvers, der 
eigenen Beute der Feltung, fie brachen zuſammen, 
nachdem fie jahrhundertelang dem Sturm der 
Zeit getroßt hatten, und am 1. März 1801 war 
das Merk vollendet: der Hohentwiel nur noch 
ein Trümmerhaufe. Ein Verſuch, den eriten 
franzöfifhen Konful zu beftimmen, das Werk 
der Zerftörung nicht fortzufegen, war abſchläglich 
beichieden worden, Marjchall Berthier hatte er: 
widert, daß auf Bandammes Verwendung für 
die Feltung „aus höheren Rüdfihten“ feine 
Rüdfiht genommen werden fünne. So mußte 
denn die ſchöne Burg fallen, fie wurde in Schutt 
und Trümmer verwandelt, fein einziges Bau: 
werk derfelben blieb verſchont. — — 

Die acht Jahrzehnte des laufenden Jahr— 
hunderts haben auf dem Hohentwiel feine wejent- 
(ihen Veränderungen hervorgebradt. In der 
erften Zeit gefchah faſt gar nichts zur Erhaltung 
der Ruinen und Gewölbe, die Reſte der Bau: 
lichkeiten blieben dem Berfalle überlafjen. Im 
Jahre 1847 entwarf der Generallieutenant von 
Prittwitz, der Feitungsbaudireftor der dama— 
ligen Bundesfeftung Ulm, einen Plan zur Wie- 
derherftellung der Bergfeftung, doch fam er nicht 
zur Ausführung ; wie uns der Sohn des ge: 
nannten Generals, Herr Oberft von Prittmig, 
Kommandeur des großherzoglich heſſiſchen Feld— 
artilferieregiment3 Nr. 25 in Darmitabt, mit: 
teilte, befindet fich jener Entwurf in den Aften 
des Königlih mürttembergifchen Kriegsmini— 
jtertumsd zu Stuttgart. Daß, wie E. von 
Martens in feiner „Geſchichte vom Hohen: 
twiel* annimmt, die Bergfeftung in Gemein: 
Ihaft mit ihren benachbarten Bergen in ein 
gewaltige Bollwerk Südweſtdeutſchlands ver: 
wandelt werden würde (er jagt vom Hohent: 
wiel: „Seine Wiedergeburt bleibt einer fpäteren 
Zeit vorbehalten”), iſt wohl faum anzunehmen, 
da für die Sicherung jener Gegend im Weften 
Straßburg mit dem füblihen Flanfenpoften 
Neu:Breifah und im Dften das gewaltige Ulm 
wohl genügen dürfte. Somit wird es dem 
Hohentwiel wohl ergehen mwie fo manden 

81 


640 


anderen von den Franzoſen zeritörten Burgen: 
fie find und bleiben wüſte Trümmerhaufen, 
ftumme Anfläger des Vandalismus einer Nation, 
die doch den Fortſchritt und die Civilifation 
auf ihr Panier gefchrieben hatte! — 

So ifter aljo — wie ein Blick aufdie heutige 
Geſtalt des Hohentwiel in dem nebenftehenden 
Bilde erfehen läßt — nur eine große Ruine ge: 
blieben, allein jelbft in diefem Gewande ift der 
Hohentwiel auch in der Nähe betrachtet immer 
noch ein Punkt von unerfchöpflicher Schönheit. 
Dr. von Paulus ſchildert ihn in der ©. 635 
angeführten „Befchreibung ꝛc.“ mie folgt: 
„Seine dicht mit Waldbäumen jeder Art be: 
ſtockte fteil-amphitheatralijche Nordfeite ift be: 
fonder8 am Abend wunderbar ſchön, wenn die 
unterfinfende Sonne die voll übereinander empor 
ih wölbenden Laubbaummipfel vergoldet und 
Falken und Habichte darüber langfam ſchweben. 
Dann die Felfenpflangen, unverwüftlih und 
unermüblih aus allen Geſteinsfugen fih drän- 
gend, dazwischen die ftärfjten einzelnen Bäume, 


meift Linden, Ahorne, Ulmen und Eſchen, die | 
frampfhaft in die Riten ihre Wurzeln hinein: | riefe, der Zeuge großer Begebenheiten, die ge— 
drehen, mit ihnen die Felſen umklammern und | waltige Burgruine, durh Sage und Geſchichte 
als prächtige Stämme hinaufitreben. In den | für alle Zeiten reich geſchmückt. 


Hermann Difmann. In der Heimat. 


ihattigen Falten des riefigen Berges Fried 
uralter Epheu und fhmüdt oft die Trümmer 
daß fie edeln Grabmälern gleihen,; Mauer 
pfeffer: und Steinbredharten blühen lebhaft aud 
aus der kleinſten Höhlung, goldgelbes Habicht: 
fraut ſchimmert weithin, allüberall wieder bei 
bläulihe Grün der duftenden Wehrmutpflanz: 
und um die höchften, noch nie von eines Menſchen 
Fuß betretenen Klippen ſchwankt, wie ein Laub 
das vom Windhauch ſich tragen läßt, Der Alpen 
falter Apollo, jo recht das dburchgeiftigte Bil: 
von der fonnigen Lichtheit diefer Yeljennatur.‘ 

Und an diefen Blid in der Nähe möge nos 
ein Hinblid in die ftolze Fernfiht nach Bodenſe 
und Alpenfuppen fih anſchließen, mie ihn de 
Didter J. V. von Sceffel jo ſchön ſchildert: 
„auf die fteilaufgefchoflenen Felsgipfel dei 
Hegaus in einfamer Schöne, . . . den blau im 
Miederjchein blauen Himmels mit geboppeltu 
Buchtung zu uns ſich herbiegenden Bodenfee, .. 
bie fernen riefigen, wie ein Hauch im Mbenbroi 
verfchwindenden Schneeberge . . .“ 

Das tft der Hohentiviel, der mächtige Berg: 


An der Beimat. 


Don 


Dermann Didmann 


Seid gefegnet, fchöne Sluren! 

Ceuchtend ſtrahlt mir das Gefild' 

Meiner Jugend goldne Spuren 

Mie ein holdes Märcenbild. 

Seit ich treulos dich gemieden, 

hab' id} ſchwet den Wahn gebäßt; 

De nur gibft dem Herzen Srieden — 
Teure Heimat, fel gegräft! — 


| 
| 
| 


| 
| 


Draußen hab’ ich nie gefunden, 
Was der Knabe hier verlief 
Sreundestroft in trüben Stunden, 
Treuer £iebe Puradies. 
Folgen wollt‘ ich meinem Sterne, — 
Und zur Wildnis, falt und wüſt 
Ward bein Eden, goldne Serne — 
Teure Heimat, fel gegräßt! — 


Mlüde legt der Pilger nieder 

Seinen Stab, da weh'n ans Ohr 

Bell die Klänge alter Kieder, 

Heben freudig mich empor. 

Heilige Stätte! — meiner feiden 

Bittern Keld; haft du verfüßt; 

Werde nie mehr von dir ſcheiden — 
Teure Selmat, fel gegrößt! — 


Eleonore, 641 


Ssleonore 


Roman von Xuguf Beer. 
(Schluß.) 


— —— 


„Wirklich, gnädige Frau?“ 
eh | der Herr Profeffor eben einen „Im der That hätte ich auf das Gegenteil 
|| Unglüdlichen, der ohne Ahnung geſchloſſen, viel verborgenen Sinn darin gefun: 
4) der Gefahr ihr unverfehens ver: | den,“ fuhr die alte Dame fort. „Allein, ic) 
fiel, am Anopfe gefaßt hatte | bin bereit, Sie aufzugeben, wenn Sie burdaus 





Tu 1 ünftig traf es ſich infofern, als 


und wie ein Tintenfifch feine | fein wollen, was Sie jcheinen.” 
Beute hielt. So vermodte die Matrone un: „Thun Sie das noch nicht, Frau Geheim: 
befümmert mit Herbig zu plaudern, und fie | rätin,“ mahnte er, „jo wenig Sie Macbeth be- 
achtete auch nicht weiter darauf, daß fich allmäh- | urteilen dürfen auf feine Ausfprüche nach der 
(ich ein anfehnlicher Zuhörerkreis abfichtlich oder | legten Begegnung mit den Heren hin, die ihm 
zufällig um ihren Platz jammelte. den ganzen Trug der drei Baubermweiber auf: 
„Und erklären Sie mir nur das eine,” deckten. Genügt doch ein Weib ſchon, verberb: 
fing fie plößlich nad einigen gleichgültigen | liche Täufchungen zu bereiten.” 
Neden an, „wie kommt's, daß Sie, der mir als „Halt! Laſſen Sie mir die Weiber in Frie: 
geiftfprühender, liebenswürdiger, weltmänniſch den, fonft friegen Sie e8 mit mir zu thun!“ 
gebildeter junger Mann gefchilvert worden ift, | warnte die alte Dame. „Die Frauenfeele ijt 
fih hier in der morofen Sonderlingsrolle ge: | wie ein gutes Buch, an welchem ein galliger 





fallen. Sie jteht Ihnen gar nicht.” | Kritifer im einzelnen hundert Ausftellungen zu 
„Das thut mir leid.” | madhen haben mag; allein dad Werl an ſich 
„Leid oder nicht leid. Sie müffen einer | fol er mir gelten laſſen —“ 

alten Frau ſchon erlauben, aufrichtig zu fein. „Meinen Sie denn, daf heute noch,“ mifchte 

Löſen Sie mir das Nätfel.” | fi hier der Profefjor mit dem Geierprofil un: 


„Nunmohl! Ich geſtehe zu,“ verſetzte Herbig, | verjehens ein, „daß heute noch ein Buch ge: 
„daß ich abfalle, wie Macbeth im vierten Akt.” | ihätt, die Zufendung eined Buchs ala Ehre 
„Wie meinen Sie dad nun wieder?“ angejehen wird? O nein! Heute wird ein Faß 
„Nach dem letzten Hexentrug liebt Macbeth, | Bier, ein Korb Wein oder Eier, eine Mettwurit, 
wie ein Verrücter, gemeine Nedensarten. Sollte | ein Schinten oder Käfe als mwürdige Ehren: 
dad Ihrem Scharfjinn entgangen fein, Frau | und Huldigungsgabe von großen Männern be: 
Geheimrätin?“ trachtet.“ 
„Es iſt mir bis jetzt nicht aufgefallen,“ er— „Das iſt in der Ordnung,“ bemerkte Herbig. 
klärte ſie. „Doch glaube ich, Sie haben recht. „Ein Buch läßt ſich nicht verzehren.“ 
Allein, wie paßt das auf Sie? Welche An— „Jedenfalls iſt es oft ungenießbar, wie 
wendung wollen Sie der Reminiscenz geben?” unſere jetzige Litteratur überhaupt,“ äußerte die 
Herbig zögerte mit der Antwort. Dann | alte Dame, fi Herbig zumendend, der, ihren 
ſprach er: Blick verjtehend und dem Geier zuvorfommend, 
„Das ift mein Geheimnis. Uebrigens | fofort einfiel: 
mußte ich nicht, daß ich mich hier anders, thö- „Für abgeftumpfte Gaumen, verzeihen Sie, 
richter ala fonjt gebe und äußere.” gnädige Frau, oder für folde, denen der Ge: 
„Sie handeln thöricht, indem Sie fih un: ſchmack für geiftigen Genuß überhaupt fehlt, ja! 
zeitig einer Gemütsverftimmung überlaffen; | Da befriedigt nur noch der verfifizierte Wein: 
aber Thorheit fpricht nicht aus Ihren Fauftifchen | fchmwelg, Bierſchlauch, Katenjammer, — daneben 
Aeußerungen.“ kaliforniſcher und ruſſiſcher Fuſel, ſtandinaviſche 





642 


Heringe, Pariſer Rattenragouts. So ift nun 
die von unferer neidifchen Kritif genährte Mode, 
und die Mode geht ftets dem Echten aus dem 
Mege. An Gutem fehlt es nicht in unferer 
Ihönenkitteratur; wahre Perlen der Erzählungs- 
funft liegen in unfheinbarfter Hülle vergraben. 
Namen nenne ih nicht; allein, erft heute 
Nachmittag fand ich in einem Grofchenbänd- 
hen ein wahres Kabinettſtück anfchaulicher 
Seelenkunde: ‚Im Banne der Sinne!‘ wie es 
fein Ruſſe, Engländer oder Franzoſe fchreiben 
fönnte. Man muß derlei nur zu finden willen, 
und dazu gehört ebenfo Gejhmad, als guter 
Wille, den man bei uns nicht mehr voraus: 
jegen barf.“ 

„Oho!“ fiel hier die Geheimrätin lebhaft 
ein, während der Herr mit ber Geierphyfiognomie 
haftig und darum unficher nad) irgend welchem 
Knopfe an Herbigs Geſellſchaftsrock taftete. 
„Geben Sie nur zu, daß noch mande andere 
Urfahe, auch eigene Schuld mitwirft. Bor 
allem die Koterieen, die aud) das beſte totfchwei- 
gen, das nicht aus ihrem Kreis hervorgegangen, 
die gegenfeitigen Ruhmesaſſekuranzen, die das 
öffentliche Urteil verwirrende Marktſchreierei —“ 

„Reklame macht nur, wer fie nötig hat,“ 
ihaltete Herbig ein, während die alte Dame 
fortfuhr: 

„Die Gedenhaftigfeit, mit welcher einer 
dem Publikum nichts Befleres mehr vorzuführen 
weiß, als quartalmweije fein eignes Porträt; die 


Ungeniertheit, mit der ein anderer Fro's Cber | 


als Pegasus reitet; der Aufwand von Kraft, 
mit welcher ein britter offene Thüren durd) 
Sturmbalfen einrennt, ein vierter Kruppſche 
Kanonen nah Spaten richtet, ein fünfter mit 
Vogelnegen Bären nachſtellt; vor allem das 
Vordrängen fchlehten Wuftes auf dem Bücher: 
markt. AU dies hat der Teilnahme an unferer 
Litteratur Eintrag gethan, in einer Zeit, an die 
wichtigere Aufgaben herantraten.“ 

Letzteres gebe ich nicht zu,“ erwiderte 
Herbig, indem er die taftende Hand bes Pro- 
feflors von feinem Rodfragen abftreifte. „Erſte 
Pflicht einer Kulturnation, wenn fie auf den 
Namen Anfprud erhebt, bleibt der Anteil an 
der Litteratur. Unfer Volk jedoch richtet fich 


nad) den oberen Luftftrömungen. Heute gilt ftatt | 


Litteratur Litteraturgefhichte. Nicht die Dich: 
tung, eine ſchlechte banale Analyfe derjelben 
lernt man fennen. Innerliche Hohlheit und Un— 
bildung ift die natürliche Folge. Altkluge Kin: 





Auguft Beder. 


der, auf den Bierbänfen verfimpelnde Fünglin 
und Männer, ins Modemagazin verlorene eit 
Weiber. Vor allem bedürfen wir wieder e 
geiftigen Genuffes fähiges Publikum.“ 

„Daran fehlt es doc) nicht jo ganz,“ wart 
die alte Geheimrätin etwas erregt ein. „Dent: 
Sie an ben Erfolg unferer archaiftifchen €: 
zähler.“ 

„Ad, das ſchlimmſte Kreuz !* entgegnet 
Herbig. „Vom Weſen des hiftorifchen Roman 
feine Ahnung. Welcher Ungefhmad, von Werte 
der fchöpferifchen Phantafie zu beanfpruden 
daß fie unterrichten, ftatt zu bilden. Das ii 
die eitle Hohlheit, die ſchon fo viel Schledtes 
Unfünftlerifches gehoben und getragen hat un 
das beſte unbeadhtet ließ: diefe Kreife madın 
die litterarifhe Mode, da ift das affektier: 
Miffen, das Liebäugeln mit dem Frembländ: 
hen, dad Nafenrümpfen über das fchlicht Gr 
ſunde heimiſch.“ 

„Und was ſind das für Kreiſe?“ fragte die 
alte Geheimrätin, den Kopf aufrichtend. 

„Da hält man jede gelehrte Schrulle, jeden 
wiſſenſchaftlichen Aberwitz ſchon reif zur poeti: 
ſchen Verwertung und Verherrlichung. Was 
ward nicht ſchon alles litterarifch in Schwung 
gebracht durch unfere Profefjorentöchter un 
Frauen!“ 

„Dazu gehöre auch ih!“ rief jeßt die Ge 
heimrätin mit flammenden Augen. „Vergeſſen 
Sie das nicht, Sie Giftmichel!* 

„Aber, Sie werden zugeben, meine Gnü- 
dige ...“ 

„Nichts gebe ich zu!“ 

„Daß Frauen fo wenig Urteil haben, als 
Verlaß auf fie ift, daß fie nur Angeeignetes 
nachſprechen. Die ſchlimmſten find, die fich für 
die Hlügften halten. Sie, Frau Geheimrätin, 
bilden ftets eine Ausnahme,“ 

„I danke für die Ausnahme, leifte Ver: 
zicht!“ verfeßte fie, indem fie fich fichtlich gereist 
erhob. 

„So fiege ih, wie neulich bei Pharfalus 
Cäſar!“ fagte Herbig mehr für fih. Allein die 
alte Dame hatte ed dennoch vernommen und 
fehrte fich nochmals her. 

„Meulih? Warum jagen Sie neulid, und 
was ift das mit dem Sieg?” 

„Nun, unſere archaiſtiſchen Erzähler thun, 
als feien fie vorgeftern dabei geweſen. Und 
Cäfar ftegte dadurch, dag —“ 

„Daß feine Soldaten den eitlen Junlern, 


Eleonore, 


die für ihre Nafen fürdhteten, ftet® nad dem 
Gefichte ftießen, — das wiſſen wir aud). Uebri— 
gens echt römiſch.“ 

„Verzeihung, Frau Geheimrätin, es waren 
deutſche Hilfstruppen, Landsleute vom Rhein, 
die ſo rückſichtslos zuſtießen.“ 

„Meinetwegen!“ Und damit wandte ſich 
die lebhafte Matrone zu ihrer Umgebung, um 
auch hier zu verſichern und zu beteuern, daß 
dieſer Doktor Herbig der reine „Giftmichel“ ſei. 

Sofort ergriff der Mann mit dem Vogel— 
geſicht die Gelegenheit, ſich auf Herbig zu ſtürzen 
und an ihn zu heften. 

„A propos abgeſchnittene Naſen,“ brach 
er los. „Glauben Sie denn, das Tier habe 
ähnliche Schmerzempfindungen, wie der Menſch? 
O nein!“ 

„D ja!“ 

„D nein!” piepte ber Mann nochmals mit 
dem fanfteften Gimpelton. 

„Damit aber, Herr Profeſſor, ſprechen Sie 
der marternden Viviſektion den praftiihen Wert 
für die Mebizin ab — den Biehdoftor aus: 
genommen,“ fagte Herbig. „Sch gebe aud in 
der That zu, daß die Organifation des Menjchen 
ihn empfindlicher macht, ala das entwickeltſte Tier. 
Eine Spinne, die Sie an den Beinen faſſen, 
läßt dieſe getroſt in Ihrer Hand zurück und 
andere nachwachſen. Ein Fuchs oder Wolf in 
der Falle nagt ſich das gefangene Bein ab, um 
loszukommen, und macht ſich auf dreien davon. 
Machen Sie einmal den Verſuch, ob Sie davon— 
kämen. Sicher gingen Sie zu Grunde.“ 

„D nein!” 

„So nagen Sie fi) einmal das Bein ab,“ 
mahnte Herbig. „Ein bekannter englifcher 
Schriftſteller erzählte vor etwa vierzig Jahren, 
daß er auch einmal Naturforfcher, das heißt 
jehr graufam geworben, indem er Eidechſen den 
Schwanz abriß und in den Stumpf einen Ein: 

‚ Schnitt machte. Nach kurzem kamen fie doppelt: 
geihmwänzt, mit einem förmlichen Frad, zum 
Vorſchein. Machen Sie einmal an fi die 
Probe, Herr Profeffor, ob Sie dadurch von 
Natur aus falonfähig werben.” 

Ein halb unterbrüdtes, dann aber dennoch 
losbrechendes Gelächter eriholl aus der Gruppe 
hinter ihnen, die aus älteren Herren und Damen 
beftand, während fich die blühende Jugend in 
der Ferne hielt. Indes ließ fich der Profeſſor 
mit dem Vogelkopf durch die Heiterkeit der Um: 
gebung weder ftören, noch abhalten. 





643 


„Glauben Sie denn, * begann er dem Königs— 

berger Privatdocenten gegenüber, „daß eine 

| folde zwedentfprehende Anpaffung, Entwide: 

| Tung und Veränderung beim Menfchen ganz un: 
möglid wäre? D nein! Was wir an der Venus 
Kallipygos bewundern und elegante Damen 
durh den Modefünftler für den Schein her: 
ftellen Tafien, haben die Hußmwannameiber, nad 
Le Baillants Bericht, in Hochentwideltem Maße 
von der Natur, durch Vererbung. Auf ber 
Wanderung ftellen fi die feinen Kinder dar: 
auf, wie auf ein Rutjchenfofferbrett; die eben: 
falls zwedentfprechend verlängerten Brüfte wer: 
den ihnen über die Schultern hin in den Mund 
geſteckt, und fort geht es über die füdafrifani- 
ſchen Steppen. Sie meinen vielleiht, es fehe 
unfhön aus? D nein! Was zweckmäßig, iſt 
auch Schön, und die Hußmwannafrauen mit ihren 
fleinen Händen und Füßen find wahre Grazien. 
Sie haben zwar gewöhnlich nichts an, als eine 
Heine Müte auf dem Kopfe, und Sie mögen 
wohl vorausfegen, das Heide nicht gut. O nein! 
Sehr gut leidet es, fehr fein wiſſen fich dieſe 
ſchwarzbraunen Damen zu benehmen und es 
find vortrefflihe Hausfrauen. Aber iſt das 
alles? D nein!“ 

„seht geben Sie einmal dieſe Exkurſe 
durch die ſüdafrikaniſchen Steppen auf,“ mifchte 
fih die Geheimrätin mit dem grauen Haar 
wieder ein, deren Gutmütigfeit wie gemöhnlic) 
über ihren Aerger auf Herbig rafch triumphiert 
hatte. „Herr Doktor Herbig wird alle dieje 
Beobachtungen ſelbſt machen, da er, wie man 
hört, eine große Entbedungsreife durch den 
heißen Erbteil plant.” 

„Sie werben nicht viel Neues mehr zu ent: 
deden finden. D nein!” flötete der mit dem 
Vogelkopf wie ein Dompfaff, indes ſich der Zu— 
hörerfreis inniger anſchloß. 

„D ja,” erwiberte Herbig, „wenn ich über: 
haupt dahin gehe. Bis jett habe ich noch feine 
rechte Luft, mich von einem Krofobil germalmen, 
von einem Löwen zerreißen zu laffen, von einem 
fannibalifchen Monbuttu geſpießt, gekocht, gefot- 
ten, gebraten und aufgefreffen zu werben, — und 
dann, wenn ich's berichte, bei feinem Menfchen 
Glauben zu finden, von jebem gelehrten Dfen- 
hoder angezweifelt und befrittelt zu werden.“ 

Ein herzliches Gelächter fchlug wieder in 
der Gruppe auf. Ihm felbft war es nicht luſtig 
dabei zu Sinne. Drängte die Unterhaltung 
fein Leid auch für Augenblide in den Hinter: 


644 


grund, jo füllte e8 dann wieder um fo fchmerz: 
licher die Bruft, und ftrömte es zurüd, erſchien 
ihm alles öde. Er hatte nicht überjehen, wie 
Eleonore zuweilen jheu und flüchtig herüber 
blidte, gleihfam verwundert und betroffen über 
die heitere Unterhaltung, die hier geführt 
wurde. Und, großer Gott, wie war es ihm zu 
Mut! Zu einer zufammenhängenden Unter: 
redung, in welde man ihn jeitens einiger äl- 
teren gelehrten Herren zu ziehen bemüht war, 


fühlte er fih in feiner Weiſe aufgelegt, zu. 


einem ernjten Gedanken: und Meinungsaus: 
taufch jetzt nicht fähig. 

Unter irgend einem Vorwand trat er von 
ber Gruppe zurüd und ſchritt weiter. Dort be: 
fand fich der greife Hausherr noch immer in 
eifrigfter Erörterung der neueſten wiflenfchaft: 
lihen Streitfrage. Die alten Herren, zu denen 
ſich noch ein dritter und vierter gejellt, hatten 





unterbes wenigftens auf Fauteuils und Sefjeln 


Pla genommen, die ihnen vorforglich hinge: 


ı um feinen Preis Sie beläftigen, aufhalten ode 


ihoben worden waren. Allein die Verhandlung | 


nahm mit derſelben Lebhaftigfeit ununter: 
brochenen Fortgang; alles, was nicht mit der- 
jelben zufammenhing, fümmerte die in ihr 
Thema Verlorenen nicht. 

Nah der entgegengejegten Richtung hin 
weilte die Frau des Haufes noch ruhig an 
ihrem Plage. Einfilbig, nur dann und warn 
mit einem etwas erzwungenen Lächeln auf den 
Lippen führte fie jest die Unterhaltung. Ein 
junger, etwas ftußerhafter Gelehrter, der eben 
an der Lehne des Sites ftand, auf welchem bie 
ihöne Frau inmitten ihrer Gäfte Pla ge: 
nommen hatte, gab fich alle erdenfliche Mühe, 
das Gefpräd in lebhafteren Gang und glätteres 
Geleis zu bringen. Allein fühl und kalt nahın 


fie feine Bemühungen auf. Jetzt antwortete fie | 


ihm in ihrer ruhigen, leidenſchaftsloſen Weiſe 
mit dem tiefen Herzklang ihrer Stimme, die 
auch jet ergreifend aus der Ferne an des Ge- 
liebten Ohr ſchlug, mit dem fanften Blid ihrer 
Augen, die feine Seele berüdt und verftridt 
hatten, wie ber Schlangenblid fein Opfer 
feffelt, — fie jelber ſcheinbar unbemegt. 

„Wiffen Sie aud, worüber fih die dort, 
der Geheimrat und die anderen ftreiten? Ueber 
PVolitif? O nein! Ueber Chonbdrite und Orga: 
niömen in den Meteoriten.” 

Und damit fühlte fih Herbig, faum ent: 
ronnen, wieder am Knopf gefaßt. 


* 
Auguſt Becker. 


jo weit, daß der Organismus als Grund un 
Urſache der Dinge erfannt wird.” 

„Sie meinen wohl, da8 wäre ein jr 
ihritt? D nein! Ich hoffe, Sie denfen nidı ' 
veaftionär.” 

„Bor einigen Stunden würde ich es ı. 
eine hoffnungsvolle Erkenntnis begrüßt haben.’ 
bemerkte Herbig. „Jetzt it mir alles gl 


' gültig — tote Materie, Chaos, leeres Nicht 


Und während er ſprach, heftete er feinen Be 
auf das ſchöne, immer nod geliebte Weib u 
ließ ihn durchbohrend auf ihr ruhen. 
Eleonore bog eben das Haupt etwas zum! 
um dem jungen Manne, der hinter ihrem Stul 
ftand, zu antworten, worauf derfelbe Haftig be 
jeite wich, indem er lebhaft genug, dah *) 
Herbig noch verſtehen oder wenigftens aus jene! 
Haltung und Bewegung erraten konnte, W 
Aeußerung that: | 
„D, gnädige Frau, ih möchte wirflid mi 





ftören. Nehmen Sie keinerlei Rückſicht "| 
mic.“ | 
Damit war er ganz beijeite getreten, us: 








die ſchöne Frau, die fih nunmehr von ihre! 





„Nun,“ erwiberte er, „jo wären wir benn | 


' Plate erhob und ihren Wirtinpflichten au) 


in den Nebenräumen nahlommen zu mole 


ſchien, vorüberzulafjen. Da und dort nod auf 


gehalten, verließ fie endlich aud) den Saal. 
Inzwiſchen hatte der Profefjor mit u 
Bogelphyfiognomie den ergriffenen Knopf & 
Herbigs Gefellfhaftsrod bereits in bebenklic“ 
Weiſe gedreht. 
„Seinen Fanatismus für die Wifjenfhait 


| in Ehren,“ erörterte er eben, „aber, wenn mar 


nur der Forfchung leben will, heiratet man de 
noch fo fpät? O nein! Am wenigjten heiratl 
man ala hinwelfender Greis ein junges, ſchönes 
blühendes Weib, deffen Großvater man fein 


könnte. D nein! Nicht daß ich Unrat wittere, 


oder daß man ihr aud nur im minbejten ji 
nahe treten dürfte, o nein! Es ift ein Glüch 
daß fie ein fo pflichttreues, fühles und ge 
(afjenes Gemüt hat. Allein, wenn man eine 10 
junge liebenswürdige Frau hat, darf man fit 
nicht ala Ballaft anfehen, o nein! Man da 

nicht merken laffen, daß fie einem mandmal 
zur Zaft wird, o nein! Richtig ift ja, er ſieht 
noch immer gut aus, ſcheinbar voll Rüſtigkeit, 


‚ fein Verftand ift nicht geſchwächt, o nein! for 


dern ſpitzt fich immer mehr zu. Aber fein Gefühl 
ift ftumpf. Das ift aber noch nicht alles, o nein! 


Eleonore, 


Herbig hatte nachgerabe dieſes Anflöten und 
Piepen fo fatt, daß er entſchloſſen war, lieber 
den Rodfnopf am Stiel zu lajjen, ala nod) 
länger biefem gimpelhaften „D nein!” gegen: 
über ftandzuhalten. Zudem zog es ihn fort 
nach ber Flügelthüre hin, hinter welcher Eleo: 
norens unvergleichliche Geſtalt vor jeinen Augen 
verſchwunden war. Mit einer furzen, fchneiden: 
den Entjhuldigung und plöglihem Rud riß er 
ſich los, fehrte dem Geierfopf den Rüden und 
durchſchritt langſam den nächſten Saal, in wel: 
chem fich zumeift junges Volk umhertrieb, das 
neugierig nad) dem erniten jtattlichen Fremden 
emporblidte. Dann trat er in einen anderen, 
dahinter gelegenen Raum, der ebenfalls zur 
Aufnahme der Gäfte bejtimmt war. Allein aud) 
hier fand er weder, was er ſuchte, Einfamfeit 
und Ruhe, noh — mie er mit einem Blid 
überſah — fie, die erhaffen zu müfjen vermeinte, 
die er fliehen follte und deren Anblid er den: 
nod) hmerzlich vermißte. Ohne fi) von einem 
Biel leiten zu laffen, aufs Geratewohl war er 
von da dur eine der drei Flügelthüren in 
einen bämmernden, nur von einer Hängelampe 
ſchwacherleuchteten Raum gelangt, der dem 
Treiben der Abendgejellichaft völlig entrüdt 
ſchien. Es war ein fhlihtes, enges Gemad), in 
welhem ein einfaches Sofa ftand. Er nahm 
darauf Pla und ließ den Kopf fummervoll auf 
die Hand ſinken. 

Auh Fräulein Lenz, die Freundin der 
Hausfrau und deren forgjame Helferin und 
Stellvertreterin in den Obliegenheiten diejes 
Feſtabends, hatte Eleonoren nicht aus den 
Augen gelaffen und erfah die Gelegenheit, wo 
fie abfommen fonnte, um derfelben unauffällig 
und möglichjt unbemerkt zu folgen, während die 
ſchöne Frau die belebten Gemächer durchſchritt 
und, wo fie aufgehalten wurde, mit verbind: 
lichem Wort und freundlicher Entfhuldigung 
fi losmachte, um ihren Weg dur das Haus 
unbeirrt zurüdlegen zu können. Einmal aus 
dem Bereich der geladenen Geſellſchaft, fchritt 
Eleonore rafcher durch die leeren Räume, in den 
Flur hinaus, die mit Teppichen belegte, durd) 
Wandlampen beleuchtete Treppe hinan und den 
oberen Korridor entlang, als jei etwas Beſon— 
deres zu beforgen. 

Mit der Ueberzeugung, den Bliden ihrer 
Gäfte jegt entrücdt, unbeobachtet und allein zu 
fein, beugte ſich plößlich der ſtolze Naden und 
das ſchöne Antlih der Dahinfchreitenden vorn: 


645 


| über, ihre Hände legten fi) vor die Augen und 





\ 


drüdten fo heftig gegen die edle Stine, als 
fönnten fie all die Qual, all die leivvollen Ge- 
danken, die ſich in derjelben kreuzten, zurüdr 
drängen und bannen. In demfelben Momente 
glaubte fie jedoch Tritte Hinter fih zu hören, 
ein leifes Geräuſch, ala ob ihr jemand nad): 
ſchleichend folge. Beftürzt ſah fie fih Hajtig 
um. Kaum hatte fie die Freundin erfannt, jo 
ergriff fie deren Arın und zog fie jtürmifch vor: 
wärts in ein entlegenes, jtilles Stübchen, in 
welhem nur ein Sclafdivan, eine jchmale 
Spindel und zwei Stühle zu fehen waren. Es 
war ein Edzimmer unter dem vom Nachtſturm 
umfauften Giebel. Der von großen Floden 
durchſtöberte Märzregen ſchlug prafjelnd an die 
Scheiben eines der beiden Fleinen Feniter. 

Hier warf ſich Eleonore auf den Divan, 308 
die Freundin zu fich nieder, ſchlang beide Arme 
um deren Hals und preßte ihr Haupt heftig an 
deren Bruft. Eleonorens Bufen wogte ftür: 
mich, ihre Pulſe pochten, als wollten fie die 
Adern fprengen; allein, fein Klagelaut fam von 
ihren Lippen, feine Thräne trat in ihre Augen, 
als fie jet wieder den Kopf erhob, und zu der 
Erfchrodenen ſprach, indem fie diejelbe mit bei: 
den Händen hinwegdrängte: 

„So, Lina, jest geh’ auch du!” 

Aber Fräulein Lenz war feineswegs ge: 
fonnen, dem ausgeſprochenen Wunſche nachzu— 
kommen. 

„Auch ih?“ fragte ſie, „Lore, warum?” 

„Gönne mir nur zehn Minuten Allein— 
ſeins!“ bat ſie mit bebender Stimme. „Nur 
zehn, nur ſechs, nur fünf Minuten.“ 

„Lore! Großer Gott, was iſt dir?“ forſchte 
dringlich die beſorgte Freundin. „Biſt du 
krank? Oder was fehlt dir ſonſt?“ 

„Geh', ich bitte dich! Nach ſechs Minuten 
magſt du wiederkommen. Jetzt aber, Lina, ich 
beſchwöre dich, laß mich einige Augenblicke 
allein!“ 

Nach einem forſchenden, beſorgten Blick im 
Zimmer umher und nach der Aufgeregten, fand 
es Fräulein Lenz für gut, jetzt derſelben — 
ſehr gegen den eigenen Willen — zu willfahren 
und das Stübchen zu verlaſſen. Sie ging oder 
that doch draußen, als ob ſie weiter gehe, trat 
jedoch, von Sorge und Angſt gepeinigt, unhörbar 
dicht an die Thüre heran und neigte ihr Ohr 
behutſam zum Schlüſſelloch. 

Der Anteil, welchen Eleonore an Herbigs 


646 Auguſt Beder. 


PVerfönlichkeit nahm, war der Freundin jchon | 


bei der erften Begegnung am Seeftrande nicht 
entgangen. Allein, fie hatte feine Ahnung da- 
von, wie tief und warm diefe Teilnahme war. 
Erſt die Erfhütterung, mit welcher Eleonore 
am heutigen Abend die Nachricht von Herbigs 
Anweſenheit aufnahm und die Haltung, bie fie 
gegen ihn beobachtete, hatte die Aufmerkſamkeit 


der Freundin erregt und deren Beforgnis ge: | 
wedt, als die junge, blühende, allgemein ge: 


ihägte, verehrte und umſchwärmte Frau bes 
Haufes ihr Weſen gleihfam in einen Eismantel 
hüllte, um die innere Erregung vor ihren 
Gäften zu verbergen und andauernd in dieſer 
iheinbaren Erftarrung verharrte. 

Belümmert um die Freundin horchte alfo 
Fräulein Lenz oben an der Thüre des vom 
nähtlihen Märzſturm umfauften Edjtübchens. 








Anfänglich blieb alles ftill, fie vernahm wenig: | 
ſtens nicht3 weiter, al3 die Naturjtimmen ber | 
Wetternacht. Nun aber glaubte fie drinnen | 
ſprechen zu hören, ſchluchzen, ftöhnen, Hagen, 
leis und beflommen. 


weinen, jammern: 
„D, mein Gott, mein Gott, wenn bu bift — 


ein milder Geift, ein barmherziger Gott, fo er: 


barme dich meiner!” 

Dann trat wieder tiefe, beängjtigende Stille 
ein. Fräulein Lenz hielt e8 nicht länger vor ber 
Thüre aus, 

„Lore, mad’ auf! Mad’ auf, Lore! Ich 


bitte, beſchwöre dich, mach’ auf oder ich rufe | 
den trügerifchen Gebilden der Poeten ihre er: 


nad Hilfe, deinen Arzt, deinen Mann!” 

Leiſe fnarrte ein Schlüffel im Schloß, die 
Thüre öffnete fih, Fräulein Lenz jchlüpfte 
durh die Spalte hinein und umfing bie 
Freundin. 

„Willft du etwas?“ fragte diefe anfcheinend 
gefaßt. 

„Alfo das ift dein Gethfemane! Was 
quält dich, Lore?” 

Eleonorens Herz fahte jegt ein ſchmerz— 
hafter, fürchterlicher Krampf, der fich endlich in 
einem Tchränenftrom löjte. Ihr Haupt ber 
guten Lenz auf die Schulter legend, meinte fie 
bitterlich. 

„Weine nur, meine Liebe,“ ſprach die Ge: 
treue, „Ich weiß, wie wohl die Thränen thun, 
weine dih aus. Und dann eröffne mir bein 
Herz. Bertraue dich mir an. Haft du mich nicht 
vertrauenswürdig gefunden? Nun denn. Mas 
lajtet fo fehr auf dir? Komm, fee did und 
ſprich!“ 





Und auf dem alten ſchlichten Divan ge— 
wann Eleonore allmählich ſo viel Sammlung, 
um ihr Herz vor der Freundin auszuſchütten. 
Sie berichtete furz, nur andeutungsmeife, in 
abgebrochenen Sägen die Gefchichte ihrer jungen 
Liebe, erwähnte der erften Begegnung unter 
den Eichen bei Katlenburg, ihres innigen, hoff: 
nungsvollen Gedenkens jener Stunde die langen 
Jahre hindurch, ihrer ftillen Entfagung und der 
Einihläferung ihres Herzens, da fie fih ent: 
ihloß, die Hand bes edlen Mannes anzu- 
nehmen, dem ihr Vater in Freundſchaft ver- 
pflihtet war. Und nun, da fie fih bezwungen 
hatte, die Sehnſucht befhwichtigt, das Leid ver: 
wunben, das bethörte Herz beruhigt und einge- 
lullt, deſſen Gefühl erjtidt und eingedämmt 
war hinter den Schranken der Pfliht, da trat 
er ihr wieder entgegen, ber einzige, den fie je 
geliebt, mit der ungebändigten Leidenschaft einer 
itarfen Mannesjeele — an ber See und im 
Thüringer Wald. 

„Auch in Thüringen?” fragte bie Freundin 


Schweigend verhüllte Eleonore ihr Haupt 
an der Bruft der Vertrauten, um ihr frampf: 
haftes Schluchzen unhörbar zu machen und zu 
erſticken. Als fie fich wieder fomeit gefaßt hatte, 
um Worte zu finden, klagte fie: 

„Und nun fol ich nicht hHadern mit meinem 
unfeligen Gefhid, mit ber graufamen Fügung 
des Zufalls, jener Vorfehung, die nur no in 


fünftelte und langweilige Rolle fpielt!“ 

„Klage die Poeſie nit an,” mahnte Die 
Freundin beſchwichtigend. „Sie gründet im 
Chaos der Welt ein Reich voll Harmonie und 
Gerechtigkeit, indem fie die Dinge richtet, wie 
fie fein follten. Nimm nicht teil an der Miß— 
achtung des “deals, die das Erbteil und Merk: 
mal ruchlofer Zeiten ift. Nur feine Verzweif: 
lung, Lore!“ 

„Und was foll ich anders, als verzweifeln 
in dieſer Not?!” entgegnete Eleonore in herz: 
zerreigendem Ton. „Kann ich meine Liebe ober 


| muß ich meine Pflicht verleugnen? Soll ich im 


Verrat beharren, meinen Mann Hintergehen, 
der mir fo innig vertraut, oder ihm mit meinem 
Eingeftändnis den Frieden und bie Freude 
jeines Alters rauben?“ 

„Das will Herbig?” 

„Darf ih mid von dem edlen Manne 
trennen, dem ich mich freiwillig angelobt habe?“ 


Eleonore. 


fuhr Eleonore, die Frage überhörend, fort. 
„Und darf ih auch nur ftille Wünfche für die 
Zukunft begen, wo er nicht mehr fein wird?“ 
fügte fie mit erlöfchender Stimme hinzu. 

„Hoffe alles von der Zeit, meine Lore,“ 

- tröftete die Freundin. 

„Daß hieße auf feinen Tod warten, nein!“ 
flüfterte Eleonore mit leifem Weinen, „er ſoll 
nicht ſterben!“ 

„Faſſe dich, meine Liebe, in Geduld!” 

„Geduld!“ wiederholte Eleonore jchmerz: 
lich. „Du weißt nicht, was das heißt.” 

„Biſt du deffen jo gewiß, Lore?“ fing jet 
Fräulein Lenz an. „Meinft du, wir alte Jung- 
fern üben fie nicht?! Ad ja — man läßt uns 


mit verbriegliher Miene beifeite ftehen oder | 





Lächelnd durch die Welt gehen und fragt nicht, 


wie uns zu Mute, Bewahren wir und den 
heiteren Schein, fo ſchenkt uns jeder fein 
Vertrauen, feiner feine Liebe, ſetzt nicht einmal 
voraus, dab wir anders als in Freundſchaft 
empfinden fünnen. Nun wohl! Man muß fein 
Herz bezwingen, entfagen können! Es ift ſchwer, 
allein es geht. Sei ftarf, meine Lore! Meine 


edle, willenäfräftige Lore, raffe dich auf. Ueber: 


laß did) nicht der Schwäche! Sei ſtark. Und 
auch er ſoll nicht verfinfen, er, ein Mann! hr 
könnt wenigſtens äußerlih ruhig und gelafjen 
nebeneinander gehen. Thue, was deine Pflicht 
gebietet und der Tag von dir fordert. Hier, 
meine Liebe, magft du dich ausweinen — ich 
verjtehe deinen Schmerz — dann bemeijtere 
ihn!“ 

Allein weder wollte Troft verfangen, nod) 
milderten Thränen den Kummer. Nur die 
Notwendigkeit vermochte es über die Betrübte, 
der Aufforderung der treuen Freundin nachzu— 
fommen und das entlegene Edjtübchen zu ver: 
lafjen, um wieder, da es feinen anderen Ausweg 
gab, zu den Pflihten der Frau des Haufes 
zurüdzufehren, als Fräulein Lenz nochmals 
drängte: 

„Nun fomm, Eleonore, ehe man ung ver: 
mißt und fucht. Nicht länger darfſt du dich 
deinem Leid Hingeben. Du warft ja font ftar: 
fen Willens, fei e8 wieder! Ihr könnt und 
müßt euch drein ergeben und ftandhaft mit der 
euch auferlegten Laft euch begegnen. Nicht 
länger darfſt du dich deinen Gäſten entziehen. 
Es muß fein!“ 


| 


| 


647 


6. 
Es muß fein! Das harte Wort birgt einen 


| Segen in ſich. Es iſt gut daß die zwingende 
Notwendigkeit unſeren Willen beſtimmt, daß 


kein anderer Ausweg bleibt, als der unumgäng— 
liche, fein anderes Mittel hilft, als das uner: 
läßlihe, infofern nicht Verzweiflung unfere 
Schritte leitet. 

War auch Eleonorens Entſchluß gefaßt, fo 
blieb doch ihr Leid ungebrochen. Es gibt einen 
Gram, den fein Erguß vor anderen erleichtert, 
weil er feine Quellen in fich felbft findet. Kein 
Sammer, feine Klage bringt Abhilfe. 

Man braudt nicht an höhere Abfichten zu 
glauben oder einen unabänderlihen und uner: 
gründlihen Willen vorauszufehen, um zu ber 
Einfiht zu gelangen, daß uns unfer Schidjal 
nit in die Hand gelegt, unſer Lebenslos nicht 
jo geworfen und gezogen werden könne, wie 
wir es wünfchen. Es ift die einfachite Lebens: 
weisheit, uns in die Schidung zu fügen, die 
Enttäufchung zu verwinden, das Auferlegte als 
unabweislihe Bürde — fnirfchend oder er: 
gebungsvoll — zu tragen. Eine fehr nüchterne 
und armjelige Philofophie; allein, unfer Men: 
ſchenlos läßt uns feine Mahl, — wir müffen 
fie und zu eigen machen, wenn wir erträglich 
zum Endziel unferer Pilgerfahrt gelangen 
wollen. 

Mit folhen oder ähnlichen Ausführungen 
geleitete Fräulein Lenz die junge Frau des 
Haufes durch den Gang und über die Treppe 


| zurüd, nad den unteren Räumen, wo ſich die 


| 





geladene Abendgefellihaft einftweilen ohne 
Mittelpunkt, wie nad) neuerer MWeltanfchauung 
das Meltgetriebe, nad) den Naturgefeben der 
Schwer: und Anziehungsfraft bewegte. Weniger 
die Zureben ber Freundin, als die unabweisliche 
NRüdfiht gegen ihre Gäfte und der Ruf ihres 
Haufes hatten es über fie vermocht, die nötige 
Faſſung mit Hilfe einer Heinen Dofis Mor: 
phium, die fie unbemerkt eingenommen hatte, 
zurüd zu gewinnen, Allein ihre Feſtigkeit follte 
zuvor noch auf eine ſchwere und erjchütternde 
Probe gejtellt werben. 

Arm in Arm waren die Freundinnen die 
Treppe herunter in den Flur gelangt, Eleonore 
nunmehr aufgerichtet in ihrer gewohnten Hal: 
tung. Sie empfand ben Seelenfchmerz nicht 
mehr in der heftigen Weife wie vorher. Ihre 
Beklommenheit hatte fih gemindert. Nun 
traten fie in einen, dem Treiben der Abend: 

82 


648 


gejellihaft etwas entrüdten Raum, um durch 
diefen nad) den belebten Salons zurüdzufehren. 
Das Gemach war nur matt von einer Hänge: 
lampe beleuchtet und anfcheinend leer. Nur auf 


zelner Mann, den Kopf tief auf die Hand ge: 
jtüßt, in Träumereien verloren oder über Ge: 
danken brütend, welden er in dem einfamen 


Raum, den nur dann und wann ein Gewirr | 
der Stimmen erreichte, ungejtört nahhängen | 


fonnte. 
Als nun die Thüre von außen fich öffnete 


ichrad der Einfame merklich zufammen und er: 


Auguſt Becker. 


aufklärende Worte mit Ihnen getauſcht. Allein 
— — bliden Sie nicht fo kalt, fo troſtlos und 
verzweifelnd; jehen Sie mich nicht fo anklagend 


‚ und vorwurfövoll an.“ 
der in die Ede gerüdten Caufeufe ſaß ein ein: 





hob fi, aus feinen Träumereien gewedt, haftig | 
beim Eintritt der beiden Damen, die vor feiner | 


Erjheinung unwillfürlih inne hielten. Aud er 
hatte nur einen Schritt vorwärts gemacht und 
jtand unverjehens vor Eleonoren. " 
Einen Augenblid glaubte er zu erjtiden 
und der Eindrud diefer unverhofften, plöglichen 
Begegnung benehme ihm den Atem. Alles 
Blut war ihm mit folder Gewalt zum Herzen 
geftrömt, daß eine fajt tödliche Bläfje fein Ge- 
ficht überzog. Dabei frampfte ein tiefes Weh 
fein Herz bei dem Gedanken zufammen, daß bie 
Zeit noch nicht gar weit hinter ihm liege, wo 
ein ſolches Zufammentreffen ganz andere, freu: 
digere Gefühle hervorgerufen hätte. Er jchien 
fein Wort finden zu fönnen und auch ihr fehlte 


„Weder Anklage noch Vorwurf fam auf 
meine Lippen, gnädige Frau,” mar feine Ant— 
wort, 

„Aber mehr als diefes liegt in Ihrer 
Miene, Ihrer Haltung,“ begann fie wieder. 
„Mehr als ich verdiene, von Ihnen verdiene, 
Bruno. Nachdem es das Schikfal nun einmal 


ı jo unfelig gefügt ... .* 
und leichte Schritte über die Schwelle famen, | 


„Das Schickſal?“ fiel er kurz, fat ſchnei— 
dend ein. 

„Die Tüde des Zufalld, wenn Sie wollen, * 
fuhr fie fort, mühfam nad Atem ringend. 
„Das unfelige Gefchid, das uns in unheilvoller 


; Stunde wieber zufammengeführt. Wollen Sie 


mich deshalb richten, verdammen, Herbig? 
Bruno, fönnen Sie das?“ 
Sie ſah ihn dabei mit einem durchdringen— 


‚ ben, unter den geſenkten Brauen hervorſchießen— 


der Mut, zu ſprechen, jo daß Fräulein Lenz, um 


der peinlihen Situation ein Ende zu bereiten, 
eine Entſchuldigung hervorbradhte, daß man ihn 
aus fühen Träumen gejchredt habe. 

„Er war nicht fü, mein gnädiges Fräu— 
lein,“ gab er zur Antwort. „Ich träumte einen 
ſchweren, quälenden Traum.“ 

„Dann bedaure ich,“ fagte jene, der Freun— 
din zuflüfternd, ſich jtarf und aufrecht zu er: 
halten bei diefer Gelegenheit, ihm ein ver: 
jühnendes, aufrichtendes Wort zu Jagen, — 
worauf fie wie ein Schatten von der Seite 
Eleonorens hinweg durch das Zimmer hufchte 
und hinter der Flügelthüre verſchwand. 

Eine peinlihe Stille trat ein, als jett die 
beiden fi allein gegenüberftanden. Stumm 
verharrte er noch, als fie ihn flehend anjah, 
bis fie jelbft das quälende Schweigen brad). 

„Bruno,“ begann fie mit dem rührenden 


Herzklang der Stimme, die ihn fonft fo tief er: | 


oriffen hatte. „Herr Doktor Herbig,” ver: 
beſſerte fie fih raſch, „ich hätte gerne einige 


den Blid an, der ihn verwirrte. Er fenfte 
unter dem Eindrud desfelben das Haupt, hob 
e3 aber fofort wieder und rang mit einem leiden— 
ihaftlihen Wort, das fi auf feine Lippen 
drängen wollte. Allein fie mahnte mit ftummer 
Bitte und erhobener Hand, es nicht auszu- 
iprechen. Dann erſt brachte fie mit gebämpfter, 
aber tiefbewegter Stimme hervor: 

„Richt aufbraufen, Bruno! Halten Sie 
ein! Ich beihwöre Sie, faſſen Sie fih. Seien 


' Sie nicht fo heftig, Herbig. Erfchweren Sie 


mir die Dual dieſes Augenblids nicht noch mehr. 
Sammeln Sie Ihre Kraft, zu ertragen, was 
wir nicht ändern fünnen. Wir fönnen, fo lange 
Sie noch hier weilen, ruhig nebeneinander 
gehen.“ 

„Slauben Sie wirflih, Frau Geheim- 
rätin?“ frug er mit vor Unwillen bebenber 
Stimme. 

„Wir müffen, wir fönnen uns gewöhnen, 
uns falt und gelaffen zu begegnen.” 

„Rein, gnädige Frau, das fönnen wir 
nicht!” erwiderte er in demfelben ergreifenden 
Flüfterton, wie fie, aber mit erjchütterndem 
Nahdrud, „Mindeftens der eine Teil von uns 
beiden vermag das nicht.” 

Sie ward noch bleicher, als fie bereits war, 
indem Sie den Kopf aufmwarf, wobei ihr Geficht 
einen Ausdrud annahm, der ihr, wie ſich Herbig 
noch oft zu entfinnen Muße fand, eine auf: 


Eleonorr, 


fallende Nehnlichfeit mit dem zümenden Apollo 
von Belvedere verlieh. Unter den gerollten 
Brauen blitte die Entrüftung hervor, während 
auf den gefräufelten Lippen der Unmwillen 
wohnte. Allein, er hielt ihren Blid aus, bis 
fie jelbjt die Augen ſenkte und in ſchmerzlichem 
Brüten des weiteren harrte. 

„Nennen Sie e8 Schwäche oder wie Sie 
wollen, Frau Geheimrätin,“ fuhr er fort. 
„5% fann einen Berrat an dem edlen Manne, 
den ich zu ſchätzen, zu verehren nur zu ſehr Ur: 
ſache habe, unwiſſentlich mir zu jchulden fom: 


men lafjen, aber ich kann ihn nicht wiffentlich | 
fortjegen. — Verſtehen Ste mich übrigens nicht 


falſch, ich bitte,“ fügte er bei, als eine Be: 


wegung des Unwillens durch ihre Geftalt | 


zudte, — „id fann nicht wunſchlos neben 


Ihnen weilen, nicht gleihmütig neben dem | 


Weibe ftehen, das ich geliebt, wie noch feines 
geliebt worden und — das mich getäufct. 
Das geht über meine Kraft.” 

Noch ftand fie wie erftarrt. Nun aber hob 
fie das ſchöne Haupt und fah ihn finfteren 
Blides an, defjen harter Ausdrud jedoch all: 
mählich hinwegſchmolz. 

„Inwiefern hätte ich Sie getäuſcht, Her— 
big?” fragte fie dann äußerlich gelaſſen. 





Er zauderte, begann aber hierauf dennod: | 


„Habe ich die Ehre, mit Frau Geheim: 


| 


rätin Wantrup zu jprehen? Nein. Dennoch 


jagten Sie mir damals, Wantrup fei Ihr Name. 
Auch der war falſch.“ 

„Nein, Herbig,” erwiderte fie mit ihrer 
janften Stimme. „Es ift mein Familienname, 
Nora Wantrup. Und fon damit verriet ich 
Ihnen damals mehr als ich follte, als ich durfte. 
Es war der Wille meines Mannes, daß ich unter 
diefem Namen mir für die wenigen Tage die ge- 
ſuchte Zurüdgezogenheit und Einfamfeit wahre 
und die Erholung fichere, da mir Ruhe not that 
nad) den gefelligen Strapazen an der See. Da 
famen Sie, Herbig. Ich habe Sie nicht be: 
trogen, nicht hintergangen, nicht getäufcht, — 
nit Sie, Bruno, nicht Sie! Von Jhnen habe 
ih die Vorwürfe und Anklagen nicht verdient, 
Bruno, die ich gegen mich ſelbſt erhebe, — von 
Ihnen nicht. Und foll ich mich nun ihm rüd: 
haltölos anvertrauen, dem ich mid) angelobt? 
Soll id) ihm mein Herz ganz eröffnen, ihm mit: 
teilen, was in und mit mir vorgegangen; foll 


ih auf die alten Tage, auf das ehrwürdige 
gebeugte Haupt noch ungeahnten Kummer la: | 


649 


den? Habe ich die Verpflichtung, fein Zutrauen 
zu töten, Verftörung zu bringen in biejes eble 
Leben, da3 auch Ihnen teuer ift? Herbig, ver: 
langen Sie dies? — So foll es geſchehen. 
Sprechen Sie alfo, habe ich die Verpflichtung?“ 

Er ſchwieg. 

„Raten Sie mir!” fuhr fie dringend fort. 
„Rur ein Wort.“ 

„sh Tann Ihnen weder raten,” verſetzte 
er dann, während von den Gejellihaftsräumen 
her jih Schritte und Stimmen näherten, „noch 
vermag ich Ihrem Wunſch zu entiprechen, hier 
ruhig neben Ihnen zu wandeln, Frau Geheim: 
rätin Betting. Doc gelobe ich, für den Reſt 
diejes Abends jene Faſſung und Gelafjenheit 
zu heucheln, die jedem Aufjehen vorbeugt. Und 
dann fort von hier mit dem Bemwußtjein meiner 
Schuld, — fort!” 

„So jei ed denn, wie Sie wünſchen, Herr 
Doktor,” ſprach Eleonore, ſich zu ihrer ganzen 
Höhe aufrichtend, indem fie mit einem Niden 
des Hauptes fich von ihm ab zu der zurüdfehren: 
den Freundin wandte, die mit mehreren Damen 
und Herren unter lautem Geplauder langſam 
daher fam, um denfelben auch diefes Kabinett 
des fchönen und geräumigen Haufes zu zeigen. 

Einer der Herren nahm den Königäberger 
Docenten, der übrige Teil der Gejellihaft die 
ihöne junge Frau des Haufes in Beſchlag und 
begab ſich mit derjelben in den großen Saal 
zurüd, fo daß fie vor Herbigs Bliden verſchwun— 
den war, bevor er eigentlich zur Befinnung ge: 
fommen. Eine Weile unterhielt er fid) mit dem 
Herrn, der ein Fachgenoſſe war. Als er dann 
wieder zu dem Mittelpunft des gejelligen Trei— 
bens zurüdfehrte, entging ihm nicht, daß Eleonore 
etwas unbefangener den Pflichten der MWirtin 
nahfam und den Verbindlichfeiten, welche ihr 
der Abend auflegte, mit der ihr eigenen liebens- 
würdigen Hoheit gerecht zu werben fich bemühte, 
während ihr greifer Gemahl nod) auf derjelben 
Stelle, im engeren Kreis, unverbrofjen mit Mor: 
ten, Händen und Gründen feine Anficht gegen 
die Beweiskraft der angeführten Thatfachen ver: 
foht und die neuen Aufftelungen über das 
Weſen der zur Erde fallenden Chondrite lebhaft 
beftritt. Seiner Wirtöpflichten fonnte ſich der 
alte gelehrte Herr dabei weder erinnern nod) 
annehmen. Es bedurfte deſſen auch nicht. 

Die Unterhaltung und Erholung der Gäfte 
nahm ihren ungeftörten Fortgang und Verlauf. 
Es hatten fich durch Wahl und Zufall größere 


650 


Gruppen gebildet, und bei der größten bewegte 
fih dad Gefpräh in feltfamen Wandlungen, 
bald fprunghaft, bald durch unvermerfliche 
Mebergänge je nad dem Geſchick der einzelnen 
Führer der Konverfation. Ein junger Mann, 
der einen Schnurrbart trug und denfelben beim 
Sprechen nad) dem Vorbilde des Reichsfanzlers 
etwad nervös zu zupfen pflegte, hatte über 
einen vielbefprochenen politifhen Vorgang eini- 
ges Nähere berichtet und verfuchte nun feine 
Hechel an einem befannten Luſtſpieldichter. 

Der, berichtete er, habe feine einaftige Poſſe 
dem Wiener Ringtheater eingefandt, furz bevor 
dasfelbe mit hunderten von Menfchenleben und 
allem zu Grunde ging. Als die Nadricht hier: 
von Entjeßen durch gang Europa verbreitete, 
hatte er nichts Eiligeres zu thun, ala auf bie 
Rückgabe feines Einakters zu dringen. Der 
Direktor, alle Beteiligten wollten fi ob ihres 
Ruins die Haare ausreißen, ganz Wien ver: 
zweifeln vor fhauderndem Entſetzen; da lief 
Depeihe um Depefhe von dem Poffendichter 
ein, man möge ihm jchleunigft das Manuffript 
feines Einakterd einhändigen, wenn man eine 
Klage um Schadenerfaß vermeiden wolle. 

Daraus nahm jemand Anlaf zu der oft ge: 
machten Bemerkung, daß durch ein großes Un- 
glüd, das viele vernichtet, unfer Mitgefühl 
weniger in Anfprud genommen werde, als 
wenn ein-einzelnes Menjchenleben zu Grunde 
gehe. Sofort war eine gutmütige Dame an die 
junge Fremde erinnert, die man im vergangenen 
Herbjt aus dem Engelbeden gezogen, worauf 
der junge Mann mit dem Schnurrbarte die 
Aeußerung fallen ließ, daß die Geſchichte mit 
jenem Doktor Dräſow zufammenhänge, deſſen 
in der äjthetifhen Monatsſchrift abgedrudtes 
Eſſay über den „Homunculus“ unddie „Mütter“ 
im Fauft Aufjehen erregt habe. 

„Ah ja, Doktor Dräſow!“ erinnerte ſich 
jeßt die Geheimrätin mit dem ergrauten Haar. 
„Er ſchleppte fih lange mit der Mifere unferes 
deutſchen Privatdocententums3 herum. Man 
ann fich ja denken: feinen Gehalt, feine Hörer.” 

„Iſt denn die romantische Geſchichte wahr?“ 
fragte die Heine unterjegte, lebhafte Brünette, 
fih vorbeugend. „Man jpriht ja von einer 
nicht unbedeutenden Erbichaft, die ihm eine un- 
befannte Schöne hinterlaffen haben fol. Sid 
in folden unpraftifchen, jchlotterigen, hypo— 
chondriſchen Pedanten zu verlieben! Eigener 
Geſchmack.“ 


| 


ar ——— — — —— — — —— — — —— — — — — — — 


Auguſt Beder. 


Herbig wollte eben für ſeinen Freund ein— 
treten, ala ihm eine der jüngeren Damen mit 
der Aeußerung zuvorkam: 

„Berliebt? Im Gegenteil. Sie mar in 
einen ganz anderen verliebt, — ich weiß es aus 
guter Duelle. Weil der fie fiten ließ, ging fie 
ins Waſſer. Sie wiſſen doch, wo das Engel: 
beden liegt? Niht?! Nahe bei Bethanien am 
Kanal, dicht vor der Michaeläfirhe, dem ſchön— 
jten kirchlichen Gebäude hier.“ 

„Aber erlauben Sie mir, die Michaelsfirde 
der ſchönſte Kirchenbau !* fiel hier ein graubärti: 
ger Herr mit rotem, cholerifhem Gefichte ein. 
„Da muß ich doch entſchieden widerſprechen.“ 

„Aber darum handelt ſich es ja nicht, Herr 
Oberbaurat,“ mahnte die grauhaarige Geheim: 
rätin, „fondern um das arme verzweifelte Mäb: 
chen. Man fagte damals, fie fei in dem Moment 
in das Engelbeden gefprungen, wo ihr Unge: 
treuer ſich in der Kirche innen mit einer anderen 
trauen ließ.“ 

„Steuber!” flüfterte hier Fräulein Lenz 
Eleonoren zu, jo daß es Herbig, der noch immer 
in feiner Zurüdhaltung verharrte, vernehmen 
fonnte, 

„Wollte fich jede ertränfen, die fiten ge: 
laſſen wurde!” meinte eine etwas hagere, mittel: 
alterlihe Dame hinter ihrem Fächer, den langen 
Hals redend. 

„Es ift doch eine große Gemiffenlofigkeit 
feinerfeits,” bemerkte die alte Geheimrätin mit 
ihrer etwas rauhen Stimme. 

„Heutzutage nennt man das Charakter: 
ftärfe !” äußerte ein ernfter Herr, mit den fehr 
abhängigen Schultern zudend. „Der Gemifjen: 
loſe bleibt im Kampf ums Dafein Sieger.” 

„Wären wir wirklich fo weit, jo wäre es 
ſchrecklich!“ erwiderte die Matrone und fächelte 
fich Luft zu. 

„Wollen Sie bejtreiten, daß ein zartes, 
reges Gewiſſen eine peinliche, ja böſe Mitgabe 
fürs Leben ſei?“ fragte der Herr mit den ab: 
hängigen Schultern. „Wir Juriften müſſen 
täglih dem Gewiſſen ein Schnippchen fchlagen. 
Nicht umfonft Hagt Hamlet: ‚So macht Ge: 
wiſſen Feige aus uns allen.‘“ 

„Dennod bleibt es ein fanftes Ruhekiſſen, 
mie ſchon die Kinderfibel jagt, — nicht wahr, 
Herr Aſſeſſor?“ wandte fih die Matrone an 
den jugendlichen Herrn mit dem Schnurrbart. 

„Beraltet! Eine Sage der Vorzeit!“ ant- 


‚ wortete der, die Haare unter der Nafe zupfend. 





Eleonore. 


„Glauben Sie doch ja nicht, gnädige Frau,“ 
fiel ber Herr mit den abhängigen Schultern 
wieder ein, „daß dem Schurken ein gelungener 
Gaunerſtreich nicht ebenfoviel freudige Genug: 
thuung bereitet, wie dem Edlen eine menfchen: 
freundlihe That. Das Gewiſſen regt ſich zu: 
meift erft, wenn die Strafe anrüdt. ch weiß 
nicht, wer der Treuloſe war; doch bin ich über: 
zeugt, daß er fich den Genuß bes Lebens nicht 
minder munben läßt, ala vorher.” 

„Beier! beſſer!“ meinte Fräulein Lenz, 
mit dem Kopfe nidend, um ihre Behauptung zu 
betätigen. „Allein, was fagen Sie zu ber 
Sade, Herr Doktor Herbig?” 

Aus feinem Brüten auffchredend, äußerte 
der Angerufene etwas verwirrt, daf dem Ge: 
rücht eine Thatfache zu Grund liege, was Fräu— 
lein Lenz ebenfalla wußte. An die Begegnung 
in jenem Modemagazin mochte er fie nicht er: 
innern, fich ebenfowenig ala Eingeweihten vor: 
führen, da fonjt an neugierigen Fragen und Er: 
fundigungen fein Ende abzufehen war. Um 
feine Meinung befragt, befchränfte er fich auf 
die Yeußerung, daß er den Entſchluß des armen 
Mädchens für einen fehr übereilten halte. 

„Das ift gut fagen, wenn man nicht in dem 
Fall ift,“ Tief fich die alte Geheimrätin wieder 
vernehmen. „Wer vermag fich vorzuftellen, 
was dem legten Schritt voranging und was fie 
zu bemjelben trieb!” 

„Ich erlaubte mir,“ entgegnete Herbig, 
„meine unmaßgebliche, ganz individuelle Anficht 
von der Sache auäzufpreden, ftehe auch nicht 
an, offen zu befennen, daß mich in ſolchem — 
Aufjehen erregendem — Gewaltſchritt die Dften- 
tation nicht angenehm berührt.” 

„Ditentation, wo man das Leben hin= 
wirft 21” 

„Auch da. Man jtirbt in Stille oder ftirbt 
auch nicht, gnädige Frau. Die wahren Mär: 
tyrerinnen find die Ausharrenden.“ 

„Die alten Jungfern!“ bemerkte die eb: 
hafte Matrone etwas rüdfichtslos, ſah fich dann 
ei doch ſtutzig um, ob fie nicht damit verlegt 
habe. 

„a,“ fiel Herbig raſch ein, „ja, wenn Sie 
wollen. Glauben Sie mir, daß unter dieſem 
Stande mehr Opfermut und Charafterftärfe zu 
finden, als wir ahnen, und daß wir fie eher 
ahten und bewundern, als belächeln dürften |“ 

„Wären wir bo) auch ledig geblieben, liebe 
Betting, um einen fo begeifterten Anwalt zu 


651 


finden!” wandte ſich hier die Matrone flüchtig 
an die junge Frau des Haufes, die, zumeift von 
einer flüfternden Nachbarin in Anſpruch genom: 
men, dennoch auf das allgemeine Geſpräch fo 
aufmerffam adhtete, daß ihr kaum ein Wort ent: 
ging. Indes richtete die alte Dame mit dem 
ihr eigenen Freimut wieder an Herbig die her: 
ausforbdernde Frage: „Und wenn nun das Leben 
völlig unleidlih wird — und Sie werden zu: 
geben müſſen, daß der Fall eintreten fann —, 
wie dann?” 

„Dann noch lange fein jenfationeller Sprung 
ind Dunkle. Eine Frauenleihe gehört nicht auf 
den öffentlichen Martt. Man kann ohne Auf: 
fehen aus dem Leben gehen, wenn feine Buͤrde 
wirklich allzu läftig wird.” 

„Sie lieben das Auffehen nicht, Herr Dok— 
tor?“ fragte die Matrone jetzt mit durchflingen: 
ber Ironie, welche jedoch Herbig zu überhören 
vorzog, indem er verficherte, daß ihm allerdings 
jede Marftichreierei und Ditentation in den Tod 
zuwider fei. Die geiftreiche alte Frau hätte er: 
widern fönnen, daß er nicht eitel fei, weil er bie 
Hleinlihen Mittel zur Anerkennung fcheue, daß 
fih aber feine Selbſtſucht und Eigenliebe in 
Stolz Fleide, dem fich etwas Uebermut beimifche. 
Doc unterdrüdte fie diefe Bemerkungen, als er 
fortfuhr: 

„sch Tiebe die Ruhe, wie ein Bifchof, hafje 
den Affeft —“ 

„Das ift mir neu!” fonnte die Matrone 
nicht unterlaffen einzufchalten, während er un: 
befümmert darum feinen Sat alfo vollendete: 

„Wie jede Schauftellung und mag nicht 
leiden, wenn man mit einem Sprinaftod über 
einen Öraben jet, den man ohne Anftrengung 
überfchreiten fann.* 

„Iſt auch völlig wider die Natur. Denn 
fein Tier ftirbt unter Nandal, o nein!“ flötete 
es hier dazwifchen, und der Profefjor mit dem 
Vogelgeſicht ftedte zu nicht geringem Schreden 
feinen Schnabel herein. „Die Kate, aud) fonft 
ein Mufter von Sittſamkeit, macht, wenn jte 
fterben will, feine Sprünge, heult und miaut 
nicht. O nein! Sondern verfriecht ſich in den 
verborgenften Winfel und verendet im ftillen. 
So meinen Sie es doch, Herr Doktor Herbig?“ 

„D ja! ch laſſe mir den Beweis aus dem 
Tierleben gefallen, obwohl da auch das Gegen: 
teil vorfommen mag.“ 

„D nein!” 

„Gut denn,“ erwiderte Herbig. „In allen 


652 


ſolchen Fällen halte ich es mit Lord Byron gegen 
Maſter Roscoe.“ 

„Und wie hielt es der poetiſche Lord mit 
dieſem Gentleman?“ fragte die Matrone. 

„Verſtatten Sie mir, ein wenig auszuholen. 
Zur Zeit des ruſſiſchen Feldzugs, anno 1812, 
brachten die Londoner Blätter einen rührenden 
Bericht über einen Unfall in der Wyl, wo bei | 
einer Kahnfahrt ein Dugend Menschen ertranten. 

«Mr. Roscoe, ein beleibter Mann, der vermittelit 

eines Boothafens und einer Nalgabel heraus: 
gefifcht worden war, that ſehr verzweifelt, als 
er hörte, daß feine Frau mit zu Grunde ge- 
gangen jet. Aniefällig bat er jeden feiner Retter, 





er möge ihn wieder ins Waſſer werfen. Und | 


dies wurde allgemein als ein rührender Zug 
von Gefühl aufgenommen.” 

„sh dächte doch, das wäre es auch!” Tief 
ih jet die unterfegte Brünette und mit ihr 
noch manche der Frauen und Herren im Kreife 
vernehmen. 

„Lord Byron dachte anders,” entgegnete 
Herbig. „Denn er fchreibt: ſeltſame Menfchen 
in und außerhalb der Wyl! Als ob diefer dide 
Mr. Roscoe ſich nicht felbft ins Waſſer hätte 
jtürzen fönnen, wenn er e8 wollte! — Die 
Bitte, ihn hinein zu ſtürzen,“ fünte Herbig hinzu, 
indem er fid) an den Geierfopf wandte, „ift doch 
dasjelbe, ald wolle ich Ihnen fagen: Lieber 
Herr Brofefjor, ſchneiden Sie mir doch gefälligft 
den Kopf ab! — da ich weiß, daß Sie e8 unter: 
lafjen würden.” 

„Wer fagt Ihnen denn das? D nein!” 
flötete der Mann in fo wehmütigem und in fo 
entfchiedenem Gimpelton, daß allgemeine Heiter: 
feit entjtand, in die nur vielleicht Eleonore nicht 
einftimmte. 

Indes machte ſich die Lachluſt jo laut und 
beharrlich geltend, daß es auch die Aufmerkſam— 
feit der gelehrten Alten erregte und, da fie 
ohnehin zu vorläufigem Schluß in der Streit: 
frage über die „Organismen in den Meteoriten“ 
gefommen waren, ihr Konklave vollends fprengte 
und auflöfte. Ueber den Grund der allgemeinen 
Heiterkeit unterrichtet, lachten fie nunmehr felbit 
herzlich mit. Damit war aber auch der Anſtoß 
zu anderer Bildung der Geſellſchaftsgruppen 
und zu weiterer Unterhaltung gegeben. Man 
fpielte, man mufizierte, man fang. Nur Eleo: 
nore felbit, fonjt gerne bereit, ihre Gäjte durch 
ihren feelenvollen Vortrag zu erfreuen, entzog 
fih heute diefer Aufgabe und konnte ſich erit 





Auguſt Beder. 


auf die Bitte ihres Mannes hin entſchließen, 
eine fchlichte, rührende Volfsweife zu beginnen. 

„Es waren zwei Königäfinder, 

Die hatten einander fo lieb! 

Sie fonnten zufammen nicht fommen, 

Das Waffer war viel zu tief.“ 
Sie fang es im plattdeutfhen Driginal, und 
ihre weiche Altftimme Hang in Herbigs Bruſt 
hinein mit einem Ausdrud, ſehnſuchterweckend, 
wie in der Sage der Ton meerverfunfener 
Glocken. Allein jchon nad der erſten Strophe 
brach fie plöglih und unmwiderruflih ab, indem 


‚ fie fich mit Indispoſition entfhuldigte, worauf 


einer der jüngeren Herrn, ein aufftrebender und 
erfolgreicher Komponift, ihre Stelle am Biano 
einnahm und die Gefellichaft dur den Vortrag 
eines neuejten Opus entſchädigte. 

„Meine arme Leonore,“ ſprach der greife 
Hausherr gelegentlich und gleichſam entſchuldi— 
gend zu Herbig, „leidet ſeit vorigem Herbſt an 
Schlafloſigkeit, die ihr Gemüt affiziert. Nerven— 
ſchwäche, Atonie, melancholiſche Anwandlungen 
ſind die natürlichen Folgen und wollen den an— 
gewandten Mitteln nicht weichen. Die Seebäder 
haben ihr nicht gut gethan, die Meerluft fie an= 
gegriffen, und auch einige Tage tiefiter Ruhe 
und Zurüdgezogenheit im Thüringer Wald ver: 
mochten das Uebel nicht zu heben. Doch macht 
es fich hoffentlih no, und für den Sommer 


werden wir, wenn ich's erlebe, einen ganz ab— 


gelegenen, ruhigen Winfel auffuchen. Sehen 
Sie, lieber Freund, feit jenen Tagen an der 


| See und in Thüringen find die fleinen unfchein= 


baren Immortellen ihre Lieblingsblumen. — 


| Aber, was nun Sie jelbjt anbelangt, lieber 
' Doktor, jo höre ich ja, daß Sie Ihren Plan, 


das Innere Afrifas der Miffenfchaft vollends 
zu erfchließen, noch keineswegs völlig aufgegeben 
haben. Es wäre mir lieb, Sie blieben uns er- 
halten. Bejtehen Sie jedoch auf Ihrem Projekt 
oder fommen Sie darauf zurüd, jo bitte ih, mich 
zeitlich zu verjtändigen. Was ih ala Privat: 
mann und durch meinen geringen Einfluß für 
Sie vermag, fteht Ihnen zu Gebot. Berfügen 
Sie über mid.” 

„Wie gütig Sie find, Herr Geheimrat!” 
ſprach Herbig bewegt. „ch werde nicht ver: 
fäumen, feinerzeit Ihr unverdientes Mohlmwollen 
in Anſpruch zu nehmen. Für heute jedoch) ge- 
ftatten Sie mir, mic) empfehlen zu dürfen!” 

„Wie! Sie wollen uns jchon verlaflen?“ 
fragte der alte Mann jichtlich unangenehm über: 


Eleonore. 


rafcht. „Nein, nein! Das geht nit an. Sie 
müſſen mir meine junge Frau noch unterhalten 
und aufmuntern helfen. Kommen Sie, — Sie 
follen Eleonore erſt fennen lernen, — fommen 
Eie!* 

„Bitte, Herr Geheimrat,“ erwiderte Herbig 
bereit3 mit dem Hute in der Hand und fic) 
jträubend, „die Aufgabe wäre ſchön, die Ehre 
unſchãtzbar. Allein —“ 

„Was denn? Was denn?“ fiel der alte 
Herr ein, als der junge zauderte und ſtockte. 
„Sind Sie wirklich unzufrieden oder habe ich 
davon läuten hören? Hat es an Ihrem Em: 


pfang gefehlt? Ach, die unliebfame Laune wäre | 
dur ihr Befinden entſchuldigt. Und daß ich | 


Sie nur flüchtig vorführen fonnte — die große 
Neuigkeit! Denken Sie: Umfturz unferer ganzen 
Weltanfhauung — im Anfang der Organismus 
als Urgrund aller Dinge! — Ad, daß man 
nicht überall fein fann. Aber, follten Sie nod) 
jo gerechte Veranlafjung haben, zu zürmen: 
fommen Sie jet, lafjen Sie Ihre Verſtimmung, 
reden Sie nur mit meiner Frau, und Sie wer: 
den ſich aud) verftändigen.“ 

Und wieder ftand er ihr gegenüber, diesmal 
zum Abjchied. Flüchtig verſchlang fein Blid die 
herrliche Erfcheinung des geliebten Weibes und 
ſenkte ſich dann, wie zerknirſcht. 

„Sie wollen uns in der That bereits ver— 
laſſen, Herr Doktor?” fragte fie, nah Atem 


ringend, während ihr Gemahl ſchon wieder von | 


anderen in Anfpruch genommen ward. „Hat 


der Abend Ihnen jo unangenehme Eindrüde 


hinterlajjen, daß Sie als der erſte aufbrechen? 
Das würde mir leid thun.” 


„Man lernt dergleichen überwinden und 


fih beſcheiden, gnädige Frau, — bejorgen 
Sie nichts. Die Welt iſt weit,“ fügte er hinzu, 
„ich werde lange wandern dürfen, um das Ende 
zu erreichen.“ 

„Sie können ruhig bleiben, Herbig,“ ſprach 
fie mit dem Ausdrud feltfam ergebungsvoller 
Gelaſſenheit und Faſſung. „Es gibt einen an: 
deren Ausweg, der vielleicht auch Ihre Zuftim: 
mung findet, Herr Doktor. Indes, haben Sie 
fein freundliches Wort für mich?“ 

„Es tjt leer und öd in mir,“ ſagte er. „Ich 
fühle mich erſchöpft.“ 

„Wenn Sie nicht allzu müde find,“ ſprach 
fie leife und ſah ihn mit dem fchüchternen 
Mädchenblick an, wie einft — in fchöner, hoff: 
nungsvoller Jugendzeit, „jo laſſen Sie uns 


653 


noch eine Weile plaudern. Ich weiß ja, daß 
Sie jehr gegen Ihren Willen nochmals mit mir 
zufammengetroffen find, obwohl wir uns viel: 
leicht nie wiederjehen werden. Wollen Sie 
mir nicht jagen, was Sie fo unfreundlich, fo 
hart macht ?* E 

„Wenn Sie es alfo wifjen,“ entgegnete er, 
„dab ich es gern vermieden hätte, jo erraten 
Sie wohl aud) den Grund. Was fann Sie 
meine Verftimmung fümmern, und was mid), 
daß Sie mir zümen!“ 

„IH zürne nicht. Aber glauben Sie mir, 
| ich leide mindeftens nicht weniger als Sie!“ 
lang es von ihren Lippen fo leife, daß er die 
Worte mehr verjtand, als vernahm. „Dennoch, 
wenn Sie mir auc) heftiger grollten, nicht mit 
haferfüllter Seele follen Sie fich von mir trennen. 
' Nein, Herbig, wir dürfen fo nicht ſcheiden,“ bat 
fie fanft. „Ich ſage nicht: wollen Sie mir ver: 
zeihen. Abbitte habe ich hier nicht zu leijten. 
Aber jeht, wo wir uns wohl zum lettenmal 
jehen, hege ich die Neberzeugung, daß Sie bei 
fälterer Weberlegung nicht bloß alles vergeben 
werden, was Sie ald meine Schuld erfennen, 
jondern daß Sie aud) einfehen werden, wie ich 
nur fehlte, weil ich liebte. Ihnen, Herbig, ver: 
\ gebe ich jedes böſe Wort; iſt doch feine Duelle 
diefelbe. Und in diefer ſchweren Stunde lebe 
| ih der Zuverficht: in der weiten Melt, die 
ı Ihrer Thatkraft offen liegt, werden Sie zu: 
weilen meiner freundlicher gedenfen. Und nun, 
Bruno, reihen Sie mir zum Abfchied nochmals 
die Hand!“ 

Ueberwältigt von dem flehentlichen Blid 
und Wort legte er jeine Rechte in die ihrige. 
Einen flüchtigen Augenblid nur ruhten dieſe 
‘ Hände, die die Natur für einander geſchaffen 
zu haben ſchien, ineinander. Dann neigte fie 
das Haupt, daß es Zeit fei. 

Und er ging hinaus in die finftere März: 

nacht, ohne ſich nach feinem Wagen umzufehen. 
| Auf weiten, dunfeln Ummegen jtrebte er nad) 
ı der Stadt zurüd. Weber ihm brauften die Lüfte 
| durch leere Baummipfel. Doch jtürmte es wil: 
der in ihm, als in der Natur. 





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ALS Dräfow den Freund anderen Tags im 
| Hotel bejuchte, fand er ihn verändert, blaß, mit 
ſchwarzen Augenrändern. 


654 


„Run, wie iſt ed ergangen auf der Soirée?“ 

„Schief fteht alles. ‚Von Liebe nichts in 
all den ſüßen Schuften und lauter Höflichkeit‘. 
Frage nicht weiter; fei ug, Dräfovius! und 
fümmere dich nit um ben Weltſturz. Es ift 
gefährlih, am Rand zu ftehen und in den Ab: 
grund zu bliden. * 

„So fteht es, meinft du. Aber du fügjt 
wieder — verzeihe, lieber Herbig, meiner Offen: 
heit — eine Thorheit an die andere. Gejtern 
war bir feine Leiter hoch genug; heute liegſt 
bu mit unverfehrten Oliedern auf der Nafe und 
macht nicht einmal den Verfuch, dich aufzurid): 
ten. Warum denn ftets himmelhoch jauchzen, 
zum Tode betrübt, da es doch eine goldne Mittel: 
ftraße gibt. Schon Marc Aurel rät, Herr feiner 
felbft und guten Muts zu bleiben in guten mie 
in böfen Tagen. Leiden ſchaden nichts, fondern 
bilden den Charakter. Aber auf Leidenſchaften 
beruhen die Krankheiten des Körpers und ber 
Seele.” 

Und fo weiter. Allein Herbig war nicht in 
ber Laune, dergleichen ruhig anzuhören. 

„Hör’ einer diefe Pofaune der Philifter!“ 
rief er. „Verſchone mich doch mit deinen Ge: 
meinplägen. Du haft gut philofophieren. 
Warum predigteft du deine Weisheit nicht dem 
Mädchen aus der Fremde vor ihrem Sprung 
ins Waffer! Sie hätte dich noch im legten Mo: 
ment enterbt. Etwa nit? Beitimmt. Du 
magft e3 gut meinen, würbeft mir aber einen 
ganz entjchiedenen Gefallen thun, mich mit 
deinen verftändigen Neben zu verfchonen. Sprich 
aljo nichts von meinen Angelegenheiten mehr, 
fondern von den deinen, — erlaube mir indes, 
nichts davon zu hören.“ 

Der Stubengelehrte maß den Freund hier: 
bei mit einem pebantifhen Blid. Die Ber: 
heerung und Verftörung, melde eine einzige 
Nacht innerlih und äußerlich an dem Freunde 
angerichtet hatte, entging ihm nicht. Betrübt 
weilten feine Augen auf Herbigs angenommener 
äußerer Starrheit, die nur als ſchlechter Ded: 
mantel der inneren Ruhlofigfeit, Zerrüttung und 
Berriffenheit diente. Gern wäre Dräſow wieder 
auf Jennys Zopf zurückgekommen; doch wagte 
er es jetzt nicht und hielt auch befjer feinen 
Mund, indem er ſich auf das Hören befchränfte, 
da Herbig fih in wunderlichen, grillenhaften 
Heußerungen mit merklich erzwungener Ruhe 
erging. Habe Dräfom noch einige Gebulb, wolle 
er ihm zu einer Profefiur in Nyangmwe oder zur 


| 
’ 


| 








Auguft Becker. 


Würde eines rector magnificus Udschi- 
dschiensis verhelfen und in feinen Etat ben 
ganzen Fıld: und Hippopotamosfang im Zulua 
einstellen. 

Hierauf entſchuldigte er ſich plötzlich mit 
einer Vifite, die er zu machen habe, und Drä: 
ſow fchied mit munderlihen Gedanken und Bor: 
ftellungen über das, was dem Freunde in ber 
Abendgeſellſchaft widerfahren fein mochte. 

In der That ging Herbig aud) daran, einen 
Beſuch zu machen. Bei allem Schulpbemußtfein, 
Selbitvorwürfen und Gemwiffensregungen, fehnte 
er fih im Zmiefpalt feiner Gefühle, wie noch 
nie, nach dem beraufchenden Anblid der gelieb- 
ten Frau, deren ebenfo reizende ala hoheitvolle 
Erſcheinung noch die Augenweide feiner wirren 
Träume geweſen war, Obwohl fie geftern ſchon 
wehmütig ernften Abfchied für immer von ihm 
genommen hatte, machte es die Sophiftif des 
Herzens doch feinem geheimen Wunſche begreif- 
ih, daß ihm damit die Verpflichtung einer 
Dankoifite um fo weniger erlaffen fei, als er 
feine Zeit mehr gefunden hatte, fih auch förm- 
lich von dem Hausherren zu verabjdieden. 

Nach einer halben Stunde befand fich fein 
Wagen fhon außerhalb des Pradtthores auf 
dem Wege nad) der Wohnung des Geheimrats 
Betting. Er fand den alten Herrn gerade in 
feiner Arbeitäftube und wieder diefelbe warme 
und herzlihe Aufnahme, Mit Begeifterung 
und eingehendem Eifer machte ber greife Ge: 
lehrte den jungen Kollegen mit den neueften 
Entdedungen und Erweiterungen ber natur- 
wiſſenſchaftlichen Disciplinen befannt, während 
deſſen Augen vergeblid an der Thüre hingen, 
als könnten fie mit durchbohrender Kraft hin— 
durch und in alle Räume des Haufes dringen, 
um nach der zu fuchen, deren Anblid zu meiden 
er jett die meifte Urſache gehabt hätte. 

Nur beiläufig ließ indes der Geheimerat 
mit einfließen, daß fi feine Frau nah dem 
geftrigen Abend etwas angegriffen fühle und 
darin ihre Entſchuldigung finde, vielleicht aber 
dennoch erjcheine, wenn fie höre, wer da fei. 
Nachdem er die Klingel gezogen, gab er dem: 
ericheinenden Diener den Auftrag an feine Gat- 
tin, obwohl Herbig fich jede Störung derjelben 
verbat, verlor ich hierauf wieder völlig in ab— 
ſtruſe wiſſenſchaftliche Erörterungen, indem er 
es für ſelbſtverſtändlich hielt, daß Eleonore ſich 


zum Empfang des Gaſtes aufraffen werde. 
Doch fehrte nach einiger Zeit der Diener mit 


Sermann Jäger. Die Eiche. 


lich feinen Forfchungen zuliebe fih den India— 
nern fo eng angeichloffen, jo fand er mit der 


| 
| 


671 


wald) bei Bremen, wo vielleicht die größte An: 
zahl der ältejten Eichen vorkommt, hat man 


Zeit immer mehr Gefallen an der Natürlich: | angeblih an einem gefällten Stamme über 


feit ihres Empfindens, der reinen Herzens: 


güte und zuthunlicher Freundfchaft, mit der man | 


ihm von allen Seiten begegnete. Die Trennung 
von den Gaftfreunden nach Ablauf des Urlaubs 
wurde ihm deshalb nicht leicht. Schwerer noch 
Laftete der Abjchied auf den einfachen Menjchen, 


welche mit dem neugemwonnenen Freunde den | 


einzigen Weißen fheiden ſahen, dem fie über: 
haupt je ihr volles Vertrauen entgegengebradht 
hatten. 


Side. 


Bon 


Die 
| Hermann Däger. 


a3 haft du alles erlebt, herrliche, erhabene 

Eiche! Einft — vielleiht vor taufend 
Jahren, ein ſchlankes Bäumden, im Schutze 
von Buſchholz aufgewachſen, überragt jet dein 
Stamm wie eine Felfenfäule den umgebenden 
Wald. Vielleicht lagerten die Krieger Karls 
des Großen oder die um ihre Freiheit fämpfen: 
den Sachſen jchon in deinem Schatten; oder 
Bonifacius, der Apoftel der Deutfchen, errichtete 
unter deinen Zweigen den chriftlihen Altar. 
Neue Gejchledhter von Bäumen wuchſen um 
dich her auf und vergingen. Und abermals ent: 
ftand ein neuer Wald umher und auch diefer 
verging, um nochmals jungem Aufwuchs Platz 
zu maden. Und jedesmal, wenn es um dich 
her licht wurde, haft du dich ein halbes Jahr— 
hundert gefonnt, gedehnt und gejtredt, und 
nur Farnkraut, Brombeeren und Waldkräuter 
durften unter deinem Schirme Platz behalten. 
Wenn du aber vom umgebenden Wald beengt 
wurdeſt, dann ftredteft du dich aufwärts, denn 
Licht und Freiheit ift dein Lebenselement. Wer 
deine Aeſte anfieht, kann deine Geſchichte daraus 
lejen. Man erkennt deutlih die Jahre des 
Drudes und die Jahre der Freiheit. 

Wenn wir an das hohe Alter der größten 
Eichen denken, jo dürfen wir aber nicht zu weit 
greifen. Eichen, welche über taufend Jahre alt 
geworden find, mag es wohl wenige gegeben 
haben. Im Hasbruh (dem fogenannten Ur: 





1100 Yahresringe gezählt, wobei der faule 
Kern nicht mitgerechnet werden fonnte. Dabei 
ift aber zu bedenken, daß auf fräftigem Boden 
zuweilen zwei Holzringe in einem jahre ent: 
itehen, wie ein.mir befannter zu einer Tiſch— 
platte verarbeiteter Querdurchſchnitt aus den 
Forſten der Unterelbe mit faſt 2 em jtarfen 
Jahresringen anzeigt. Diefer Baum hatte in 
54 Jahren auf dem guten Boden des Aue: 
waldes einen Durchmeiler von über 1 m er: 
reiht. Geheimrat Profeſſor Dr. Göppert in 
Breslau ſchätzte die feiner Zeit berühmte Eiche 
von Pleiſchwitz in Schlefien, mit einem Stamm: 
umfange von 41 Fuß (preußiih) und Aeſten 
von 14— 16 Fuß Umfang nad den Jahres: 
vingen auf nur 700-800 Jahre. Die mehr 
als taufendjährigen Eichen gehören daher der 
Dihtung an. Sehr alte Eichen jterben von 
oben ab, werden häufig hohl, wachſen aber noch 
wohl ein Jahrhundert fort und nehmen an 
Stärke zu. In der noch) friſch grünenden „hob: 
len Eiche” (Holle Ed) im Hasbrud Hafft von 
oben nach unten ein breiter Spalt, wie eine 
Felsihludt, und im Innern haben acht ‘Per: 
ſonen reihlih Pla; ſogar eine Kuh war ein: 
mal hineingeraten. 

Die Eiche ift jedenfalls der hervorragendite, 
eigenartigite Baum des mitteleuropäiſchen Wal: 
des, obſchon er an Stärke durch die Linde über: 
troffen, von der Ulme erreicht wird. Eine jolche 
arofartige Gejtalt gibt es weiter nit. Der 
mächtige, meijt niedrige Stamm tjt mit feinen 
Budeln und Vertiefungen einem Felſen zu ver: 
gleihen; und fo mächtige Aeſte trägt fein an: 
derer Baum der Länder gemäßigter Zonen. Es 
gibt Eichenäfte von 4—5 m Umfang, aljo von 
der Stärke eines der ftärkiten Baumfjtämme, 
und felbjt die geringeren können liegend für 
itarfe Stämme gelten. Strebt aud die Eiche 
im jugendlichen Alter mit den Aeſten aufwärts, 
jo nehmen diefe doch mit zunehmender Stärfe 
und Länge, aljo Schwere, eine wagerechte, ſelbſt 
abmwärtsftehende Richtung ein. Wunderbar ab: 
wechjelnd, ja wunderlidh find die Krümmungen 
der Aeſte, befonders der Nebenäfte. Bald fnie- 
artig aufwärts und gekrümmt, wie ein Widder: 
horn, bald vorwärts, bald nad} unten oder jogar 
rüdwärts gefrümmt, dann wieder ftellenweife ge: 
rıdeaus, baut ich eine Krone auf, deren Gerüſte 

85 


672 


wie verfchlungen und vielfach gekreuzt ericheint, 
und die an jeltfam wechſelnder Form nicht 
ihresgleihen hat. Fragen wir nad) den Ur: 
fahen dieſer eigenartigen, faſt launenhaften 
Mannigfaltigfeit, jo gibt uns die Gefchichte des 
Baumes Aufichlug. Die Abweichungen von der 
geraden Berlängerungslinie der Aeſte beruhen 
auf Störungen im Wachstum, teils furzen durch 
Beihädigung der Jahrestriebe, teils durch Jahr: 
zehnte, ja vielleicht ein Jahrhundert beitchende 
Hemmungen durch umaebenden Wald. Die 
Eiche braucht Freiheit und Licht, und wo fie in 
der Verlängerung der Aeſte gehemmt wird, 
wendet fie ſich jeitwärts, wo fte Licht und Luft 
findet, ſelbſt in ihre eigene lichte Krone zurüd, 
Aber noch größere Wirkungen haben, wie im 
Menfchenleben, die Heinen Leiden des großen 
Baums. Nur zu oft tötet der Maifroft die 
jungen Triebe, oder Maifäfer, Hirſchkäfer u.a. m. 
frefien die zarten Blätter, und der junge Trieb 
ift in beiden Fällen verloren. Da fommen nun 
die — Nebenaugen zur Geltung, treiben 
aus und erſetzen die Spitze. Dieſe Seitentriebe 
ſetzen aber den Aſt nicht in gerader Richtung 
fort, ſondern bilden oft Kniee. So entſtehen jene 
nur dieſem einheimiſchen Baume eigenen Krüm— 
mungen. Es muß hier aber bemerkt werden, 
daß die mächtigen wagerechten und ſeltſam knor— 
rigen Aeſte hauptſächlich an der Sommer: oder 
Stieleiche (QCuercus peduneulata), der Eiche 
des Tieflandes, feltener an den Bergeichen, 
nämlicd) der Trauben: oder Wintereiche (Q. ses- 
siliflora) und der in Unteröfterreih in den 
Eüdalpen und vereinzelt am Südabhange des 
Schwarzwaldes am Kaiferftuhl und Odenwald 
vorfommende Schwarzeiche mit weichbehaarten 
Blättern (Q. pubescens), welche mehr auf: 
wärtsgerichtete, weniger gefrümmte Hefte haben. 
Der Grund davon mag, abaejehen von der 
Artenaewohnheit, fein, daß Froſt- und Mat: 
füferfchaden im Bergwalde jeltener find, und 
daß diefe Eichen häufiger gemeinschaftlich und 
mehr aufwärts wachlen. 

Eine befondere Eigentümlichkeit ift das Ab: 
fterben der Aitipigen an alten Bäumen, und 
die Maler verfäumen nie, folche auf ihren Bil 
dern anzubringen. Ich geitehe, dafs ich fie lieber 
nicht ſehen würde, aber fie find als Charafter: 
feunzeihen des Baumes im Walde immerhin 
von einigem Wert: nur dürfen es nicht jo viele 
fein, wie an einer Eiche in dem unter meiner 
Aufſicht ftehenden Park von Wilhelmsthal, wo 


Berniann Jäger. 





Die Eiche, 


eine 5’ m im Umfang Haltende Eiche nır 
noch einen grünen Aſt zu unterft am Stamm 
hat, und fo in ihrer Nadtheit fast jchauerli 
ausficht. ch habe den Baum mit wilden Ri: 
bezogen, welcher bereits über 50 Fuß bu 
hinaufgeflettert ift. 

Herrlich ift die Belaubung der Eiche. T 
Blätter find kräftig durh Haltung und Gröte 
weich durch ihre Schönen budtigen Formen. V 
die Blätter einer Roſe ftehen fie um den Zwei 
und jeder bildet einen Strauß. Da nur vi 
fleinen aus Nebenfnofpen entitehenden Zwei 
furz find und dicht ftehen, jo jet fich das Enz 
der ganzen Aeſte aus unzähligen Blätterbüfcc: 
zufammen, von denen die einen weit vorfteh« 
und hell beleuchtet find, die anderen tief ır 
Schatten zurüdtreten. Daher fommen jene ben. 
lichen Lichtwirfungen, melde die Eiche nur ın“ 
wenigen Bäumen teilt. Vereint mit der Ü 
gruppierung, indem jeder Aſt gleichfam eine 
Baum für jich bildet, entjtehen durch die‘ 
Blättermafjen und Smeigbüfchel jene von dir 
Malern jo geihägten „Ausladungen“”. 


; Blätter der verſchiedenen fchon genannten Eide: 


einen Art harakteriftiih gefunden zu habe: | 


arten weichen in der Form wenig voneinan. 
ab, und wenn man gewille Blätter ala de— 


alaubt, jo findet man am nächſten, Der andere 


‚ Art angehörenden Baum dieſelben Blattformer. 


Nur die Zerr: oder Ziereihe (Quercus Cerris', 


welche im Gebiete des alten Deutjchlands ni: 


in Unteröfterreih und Mähren, ferner in der 


Südalpen und wieder in der weltlichen Schmeii 


vorfommt, weicht mit ihren gefägten, ſpitzigen 
Blättern von den übrigen Eichen ab; noch meht 
aber durch die Früchte, deren „Näpjchen“ mie 


Bucheckern mit Stacheln befegt find. Auch di 


Größe der Blätter ift nicht maßgebend un 
wechielt je nah Standorten und Jahreswitte 
rung. Im allgemeinen fommen an Bergeichen 
größere, an den Spiten breitere Blätter als 
an den Stieleihen vor. Nur der Stiel bilde: 
ein unterfcheidendes Merkmal: der Stiel der 
Traubeneihe und Schwarzeiche ift einige Cent 
meter lana, derjenige der Stieleihe ſehr fun, 
oft faum vorhanden. Die Blätter der zweiten 
Triebe, welche jedoch meift nur an jungen Bäu: 
men und Stodausichlag vorfommen, find. viel 
größer als die normalen, auch in ber Form 
abweichend. Reizend ſieht die Eiche aus, wenn 
die jungen Blätter teilweiſe von Maitäfern ab’ 
aefrelien waren, wo dann die nachwachſenden 


— 
De 
DZ 


674 


im helliten Grün prangen, während die unver: 
fehrten ſchon dunkel grünen. Im Entfalten find 
die Blätter mehrere Tage braunrot, dann bronze: 
farbig, und fie bilden zu dem lichten Mai: 
grün der umgebenden Gehölze einen reizenden 
Kontraſt. 

Um hier zugleich weitere Kennzeichen feſtzu— 
ſtellen, bemerke ich, daß die Blüten und Früchte 
der Stieleichen an langen Stielen abwärts 
ſtehen, die langen großen, faſt cylindriſchen 
Früchte (Eicheln) faſt immer zu zweien einander 
gegenüberſtehen, während bei der Trauben- oder 
Wintereiche die Blüten und Früchte faſt un— 
geſtielt büſchelweiſe an den Zweigen ſitzen und 
die kleineren Früchte zuckerhutförmig und ſcharf 
geſpitzt ſind. 

Intereſſant iſt das Keimen der Eiche. Die 
im Laub verſteckte Eichel bohrt ihre Pfahlwurzel 
in den Boden und hat bereits eine Länge von 
10cm und darüber, während die frei über dem 
Boden gehaltene Eichel noch geſchloſſen it. 
Dann teilt fie jih in zwei dide Samenlappen 
(Keimblätter), und nun treibt in kurzer Zeit ein 
fingerlanger Zweig hervor mit zwar fleinen, 
aber volllommenen Blättern. Wenn man die 
Anfänge einer folhen Pfahlwurzel fieht, be: 
greift man, welchen Halt fie einjt dem mäd): 
tigen Baum zu geben vermag. Da die Eiche 
ihre ſchweren Samen nicht außerhalb des Um: 
freifes ihrer Krone verfenden kann, jo müfjen 
Tiere die Verbreiter werben. 


‚ Baum, unter welchem fie opferten. 





An der Spite | 


der Pflanzer jteht der „Eichenförſter“, nämlich | 


der Häher (Eichelhäher, Nußhäher), welcher 
die Eicheln als Vorrat verftedt, aber oft nicht 
wieder findet; ferner thun es Mäufe, befonders 
Hafelmäufe, Eihhörnden (Eichkätzchen) u.a. m. 

Ein Baum wie die Eiche beherrſcht einen 
weiten Platz und behält, obſchon oft eingeengt 
durch andere Waldbäume, jchlieglih die Ober: 
hand. Wo Eichen noch Wälder bilden, wie in 
den Donauländern, jeltener in Deutſchland, 
füllen andere Waldbäume, meiſt als Unterhols, 
die weiten Zwijchenräume aus. Wir haben 
daher feinen Eihenwald im Sinne des Buchen-, 
Erlen: und Nadelwaldes, fondern nur zerftreute 
Eichen im Mifchwalde. Wird das Zwiſchenholz 
befeitigt und der Boden mit Rafen begrünt, wie 
es in großen Parken und Tiergärten gejchehen 
ift, dann haben wir Eichenhaine, welche die 
Dichter befungen haben, ohne recht zu willen, 
was eigentlih ein Hain iſt. Wo wir Eichen 
im Nadelwalde finden, war früher fiher nur 


Bermann Jäger. 


Eichenwald. Die Stämme find Dann auänahms: 
weile ſehr hoch, gerade und oft 6O Fuß hoch 
ohne Aeſte, weil jolhe im umgebenden Nabel: 
holze nicht auftommen fonnten. Unſere meijten 
großen Eichen ftehen auf Rafengrund und an 
Waldrändern. Traubeneihen fommen im Ge: 
birge häufiger in faft reinen MWaldbeftänden 
vor, aber jelten in jtarfen Bäumen, weil man 
fie nicht alt werden läßt. Noch weniger als 
Wald erjcheinen die Eihenfhälwälder, wie fie 
befonders in Weftdeutichland zur Geminnung 
von Gerberlohe verbreitet fd und dort ganje 
Gebirgszüge und die Vorberge der höheren Ge: 
birge bededten. Es ift niedriges Buſchholz, an 
deſſen Rande in tiefen Bergen hie und da ein: 
zelne Samenbäume ftehen bleiben. 

Eine fo mädtige Erfcheinung wie die Eiche 
mußte zu allen Zeiten die Aufmerffamfeit der 
Menſchen auf fich ziehen, Bewunderung erregen 
und an das Göttliche mahnen. In der That 
finden wir den Eichenfultus bei allen vorchriit: 
lichen Bölfern Mitteleuropas, ſogar bei den 
Griechen und Römern. Die Eihe war Zeus, 
dem Beherricher des Himmels, geweiht, und 
die Priefter des Tempels von Dodona weis: 
fagten aus dem Raufchen der Eiche. Germanen, 
Kelten und Slaven war die Eihe ein heiliger 
Hierbei 
jpielte die auf Eichen wachjende heilige Miſtel, 
jene feltfame immergrüne Schmarogerpflangze, 
eine große Nolle. Die Oper „Norma“ “führt 
uns eine ſolche Opferfcene mit der Miftel vor. 
Bei den germanischen Völkern war die Eiche 


‚ dem Thor oder Donar (Modan, Odin) geweiht. 


— — — —— — — 


Die Prieſter erhielten von den Römern den 
Namen Druiden, ſoviel wie Eichenbewohner, 
weil ſie in heiligen Eichenhainen wohnten. Noch 
jetzt erinnern Ortsnamen an heilige Eichen und 
von einigen Eichen ſind noch die alten Namen 
bekannt. So die Wyhe-Eiche bei Imbach an 
der Wupper, die Bils-Eiche bei Kitzingen, die 
„heiligen Eichen“ bei Grünheim in Sachſen, 
bei Mückeburg, Labiau, Heiligenbeil, Wehlau 
in Preußen u.a. m. Der Eichenhain in ber 
Stubbenig (Stubbenfammer) auf der Inſel 
Nügen, jebt Buchenwald, war der Herba ge: 
weiht. Bekanntlich legte Bonifacius der Heiden: 
befehrer jelbit Hand an die Donar-Eiche bei 
Hofgeismar in Heſſen, als er fie fällen lieb. 
Bei den Slaven war die Eiche der Baum ihres 
Gottes Perun oder Perkunos. Dem Gotte 
Prino oder Prove, bei welchem einft die Wen: 


Die Eiche, 


ben ſchworen, war eine Eiche bei Altenburg 
geweiht, um welche taufend Götzenbilder ge: 
ftanden haben follen. 

Nah der Einführung des Chriftentums 
wurde aus dem Eichenfultus Aberglauben. 
Wodan wurde von den chriftlihen Prieſtern 
zum Teufel geftempelt, und fein Baum verfiel 
den finjteren Mächten. Im geheimen dauerte 
der Eichenfultus noch lange fort, wie uns Joſeph 
Viktor Scheffel in feinem „Ekkehard“ nad hi: 
ftorifchen Quellen anziehend erzählt, indem er 
ein folches nächtliches Feft auf dem Berg Hohen: 
frähen durd die beiden Hirtenkinder Audifar 
und Hadamut belauſchen läßt. Mit der Auf: 
zählung der an die Eiche gefnüpften Aber: 
glauben und Volksgebräuche fünnte man viele 
Seiten füllen, Auch Volksgebräuche blieben an 
der Eiche haften und find heute noch nicht ver: 
ſchwunden. Das ſog. Scharholz, ein Eichen: 
flog, der neben dem Herde eingemauert wird, 
‚it noch überall in Bauernhäufern zu finden, 
wo wendische Stämme wohnen, befonders in 
der Lauſitz. Iſt er verkohlt, fo wird er zu Staub 
zermalmt und als Schugmittel gegen Hexerei 
aufbewahrt, wohl auch unter das Saatkorn ge: 
mijcht, damit es gebeihe. 

Es iſt auch nicht Zufall, daß die Eiche ein 
Feſt-, Familien- und Erinnerungsbaum ge: 
worden ift. Man pflanzte Eichen zur Erinne: 
rung an ein wichtiges Ereignis. Im Schloß: 
park zu Altenburg ftehen die zwei Vrinzeneichen 
„Ernſt“ und „Albert“, welche 1455 zum An: 
denfen an den ſächſiſchen Prinzenraub gepflanzt 
wurden. So gibt es viele Eichen bei Städten 
und Dörfern, ſowie in fürjtlichen Gärten, welche 
an ein wichtiges Ereignis anknüpfen. Noch 
1871 wurden hunderte von „Friedenseichen“ 
in Deutfchland gepflanzt. Auch als Ehrenzeichen 
wird von uns Deutfchen, wohl nad) römischer 
Ueberlieferung, der Eichenkranz als Bürger: 
frone für den Mann des Volkes gewählt. In 
den meijten Fällen wird jedoch Silber den wirf: 
lihen Eichenblättern vorgezogen. 

Die Eiche hat mit Recht von jeher als 


675 


Wir lieben es, von „deutſchen Eichen“ zu 
ſprechen, und feit Klopftod und den „Barden“ 
haben fich zahlreiche Dichter der Eiche als edel: 
jtes und alleinig deutjches Volksſymbol bemäch— 
tigt. In Wahrheit haben wir nicht mehr Necht 
dazu als andere Volksſtämme, in deren Ländern 
Eichen wachſen. Wir brauchen uns auch nicht 
einzubilden, daß mir bejonders mit großen 
Eichen bevorzugt wären. In den Donauländern 
und den Tiergärten und Parken Englands gibt 
es mehr große Eichen als bei uns, und aud) in 
Frankreich gibt es noch bedeutende Reſte ein: 
ftiger Eichenwälder. 

Dies führt uns auf die Größenverhältnifje 
des merfwürdigen Baumes. Die alte Eiche auf 
dem Ledeburshofe in Weftfalen hatte 41 Fuß 
Umfang; bei Behmel an der Lahn in Helen 
ftand noch in diefem Jahrhundert eine Eiche 
von 45 Fuß Umfang; die Eiche bei Dodersbach 
in Holjtein hat fogar 46 Fuß Umfang. Im 
vorigen Jahrhundert gab es noch Eichen von 
75—90 Fuß Umfang. Die Eiche zu Damony 
in England hatte fogar 68 Fuß Durchmeſſer (?), 
aljo 200 Fuß Umfang, und war zu Cromwells 
Zeit eine Schenfe darin. Die Durchfchnitts- 
ftärfe der jetigen ältejten Eichen beträgt etwa 
3—4 m. Die Höhe des Baumes iſt im Ver: 
hältnis zum Stamm und der Krone gering, 
reicht felten an 30 m. Der aftlofe Stamm tft 
meift niedrig, oft jo breit wie hoch, und es fällt 
feine Stärke aus diefem Grunde um jo mehr auf. 

Die Eiche iſt über ganz Deutſchland ver: 
breitet und war vor Einführung der Foritkultur 
der Hauptwaldbaum. Vereinzelt finden wir fie 
überall. In Weitfalen, hie und da aud in 
Hannover, fteht bei jedem Hofe wenigftens eine 
Eiche. Auch in Oberbayern, namentlich in dem 
Strich füdlih von Augsburg Müncen:Pafjau, 
wo es viele „Einöden“ (einzelne Höfe) gibt, 
fieht man um die Höfe häufig auf den Triften 
alte Eichen. In Buschhölzern iſt fie überall, 
objchon meijt vereinzelt, zu finden. Die wahre 
Heimat der mächtigen Stieleichen it das Tief: 
land mit tiefem nie trodenen Boden. In den 


Sinnbild der Kraft und Dauer gegolten, und | Auewäldern der Flüffe, befonders Norddeutſch— 
wenn man einen Kraftmenſchen bezeichnen will, | lands, 3. B. in den Elbforften von Wittenberg 
da kommt im Vergleiche die Eiche gleih nah | bis nahe vor Hamburg und den angrenzenden 
dem Felſen. Die Nedensart: „Ein Mann wie Wieſen — einft ebenfalls Wald —; an der 
aus Eichenholz geichnitt”, hat eine tiefe Be: | 
deutung, wenn aud) damit der Gedanke an eine | gegen Magdeburg ; im Spreewald und anderen 
nicht liebenswürdige Derbheit und Hartnädig: | Niederungen der Niederlaufig; endlich an den 


feit verfnüpft iſt. 


| 


untern Thüringer Saale und Elſter von Leipzig 


mehr trodenen Rändern der Buchenmwälder 


676 Osfar Jufinus. 





Preußens finden wir die fhönften Eichen. Sel: | jedem weichen, melandoliihen Ausdruck; fie iſt 


tener find fie in den Auen des Nheins und der 
Donau, Die Winter: oder Traubeneichen be- 
wohnen niedrige Bergzüge und VBorberge höherer 
Gebirge. In den Alpen fteigt die Eiche nicht 
hoch, bleibt hinter der Buche und dem Ahorn 
zurüd. 

Mar Schasler jagt von der Eiche: „Der 
männliche redenhafte Charakter der Eiche ſpricht 
ſich aud) in der ganzen Phyfiognomie des Bau: 





mes aus. Sie ilt in ihrer Geftaltung fern von | 


vol erniter Würde in der Ruhe, voll erhabener, 
oft in das Furchtbare fteigender Kraft in der 
Bewegung. Die Eiche flüftert nicht, wenn ein 
lanfter Zephyr durd das Laub des Maldes 
jtreift, fie heult nicht, wenn der Sturm ihre 
Zweige rüttelt, fondern ‚ver Eichenmwald brau: 
jet‘, wie Schiller mit feinem Naturinftinkt fagt. 
Denn braufend ift die zomige Stimme der 
Königin der Wälder, wenn fie ſich zum Kampfe 
mit ihrem Widerjadher, dem Sturme, rüftet.” 





Fine glüklihe Kur. | 


Sumoreske von Oskar Juffinus. | 


8 herricht heute eine recht heitere Stimmung 

an unferem Stammtifche: der eine von und 
macht den Genoſſen die offizielle Mitteilung, daß 
er fich mit Fräulein Adele B. verlobt und — mein 
Freund hat nicht mehr viel Zeit zu verlieren und 
feine Braut vielleicht noch weniger — in einigen 
Wochen feine Hochzeit feiern werde. In der allge: 
meinen freudigen Bewequng fehlt mir aber doch 





Klubs eine fo harmonifche Folie abgibt. Der if 


heute einruhiger Punkt, im allgemeinen Yärmein | 


beredtes Schweigen. Nachdem ich lange vergeb: 
lich darüber gejonnen, was mir eigentlich fehlt, 
wird es mir plößlich Har: unſer treuer Freund 
Tobias. 

Ja, wo iſt er denn, der ftille alte Herr, der 
zu den tumultuarifchen Berfammlungen unferes 


nicht einer von jenen, deren Gegenwart und be: 
engt, deren Schweigen wir als Hochmut, Miß— 
achtung, Blafiertheit auslegen müſſen, bei deren 
Anblid uns das Wort auf der Zunge eritarrt 
und deſſen übelwollenden Blid wir felbit, wenn 
wir ihm ausweichen, auf uns gerichtet fühlen. 
Nein, Tobias’ gutmütiges chrenfeftes Geſicht an- 
aufehen, belebt den Unterhaltungsflug: ſein 
Lächeln bedeutet Eingehen und Zufriedenheit, | 
feiner Augen helles Blitzen Wohlwollen und Ein: 
verftändnis mit allem, was die junge Welt 
Lustiges, Uebermütiges anftellt und wenn erden 
Abend hindurch unter uns gefeflen und mit fer 
nen lebhaften Bliden jedem Nedner teilnahm 


b 


Eine glüdliche Kur. 


voll gefolgt ift, da trennen wir uns mit dem 
Eindrud, als hätte er uns feinerfeits prächtig 
unterhalten. 

Er war unfer aller Freund und Liebling : 
zwanzig Redeluſtige ſchätzen die ftillen Eigen- 
fchaften eines ihrer Genofjen doppelt. — Als 
ich nach feinem Verbleiben fragte, war alles 
erftaunt, ihm nicht Schon längſt vermißt zu haben. 

Ja wo bleibt er denn? Einmal nad) dem 
andern Mal ſehen wir nad) der Thür, da fommen 
Kellner, Stammgäfte, fremde Herren und Da: 
men: Tobias fehlt beharrlich. 

Endlich einigt man fih, mit Hilfe eines 
Naczüglers, daß er ſich ſchon vierzehn Tage 
nicht am Tiſche habe bliden laſſen und zwar ge: 
nau jeit der Hochzeit feiner Nichte, von der er 
ſchon einige Wochen vorher zwar wenige, aber 
inhaltreihe Worte gefprochen hatte: wahrſchein— 
lic) jei dem alten Herrn das langatmige Diner, 
das jpäte Schlafengehen nicht befommen. Als 
Arzt erbot ich mich fofort dazu, Tobias am 
nächſten Tage in feiner Wohnung aufzufuchen. 

Als ich in derjelben anlangte, fand ich ihn 
zu meiner Freude nicht zu Haus. Ich hatte eben 
in einigen Zeilen meiner Genugthuung Aus: 
drud gegeben, die ih dem Mädchen zurüdlaffen 
wollte, als fein Fräulein Schweiter ihr von 
weißen Papierchen ummwideltes graues Haupt 
durch die Spalte ihrer Thür ftedte, und mid) 
erfpähend, freundlich bat, in des Bruders Zim: 
mer fie zu erwarten, 

So trat ich denn in diefes Schmudfäjtchen 
pedantischer Aunggefellenherrlichkeit: wie hier 
alles auf jeinem abgezirkelten Plätzchen liegt, 
fteht und hängt! Diefelbe braungelbe Arabesken— 
malerei an den Wänden und der Yaubfranz ae: 
nau im Gentrum der Dede mit den Umrankungen 
und den Seitenftreifen; diejelben ſchneeweißen 
Dielen, von denen man hätte fpeifen können; 
diefelben mit Häfelei überzogenen Sofakiſſen, 
vielleicht einige Häfeleien mehr als vor zehn 
Jahren, wo ic) das legte Mal hier war. Ebenjo 
wie damals geht der Pendel zwijchen den Ala: 
bajterfäulen der altmodischen Standuhr mit Gran: 
dezza hin und her, und ebenſo wie damals hält 
der grüne Papagei im Mefjingbauer feinen Kopf 
zur Seite und fieht den Eindringling prüfend 
an, Ebenfo noch glänzt der Spiegelrahmen des 
Spiegels, ebenfo die Politur des Mahagoni: 
pultes und die Goldbuchitaben auf den Bücher: 
rüden. Nurein Stoß Bapiere zeugte nebit dem 
frijch gebrauchten Schreibzeug und Gänfefedern, 





677 


daß hier noch vor kurzem ein lebendiges, willen: 
begabtes Weſen gewaltet hat. Als Arzt glaubte 
ich ein wenig Indiskretion auf mein Beruf3: 
gewifjen nehmen zu fönnen: ich hebe den Ser: 
pentinbriefbeichwerer auf und fehe von zitternder 
Hand eineganzeAnzahl Skripturen, Ausftreichuns 
gen, Radierungen, Barenthejen, Kopieen, Ha: 
fen, Mühlen, Nummern; als ic} eben das ſchwer 
leferlihe Manuſkript entziffern will, höre ich 
Schritte und Fräulein Tobias erfcheint in grande 
toilette. 

Die alte zierlihe Dame ift fehr bejorgt um 
Bruder Ulrih. Daß ich ihn um dieje Zeit, mo 
er ſonſt behaglich beim Frühſtück zu figen und 
mit ihr zu plaudern gepflegt, nicht zu Haufe 
treffe, jpreche eben für jeine Krankheit: er fliche 
alle Menſchen, feine eigene Häuslichkeit, ſogar 
feine treue Schwefter. Auf den einſamſten Pfaden 
des Tiergarten wandere er hinaus, mit auf dem 
Rüden gekreuzten Armen vor fi) hin jprechend, 
fo daß bereits die Kinder ihm nachzulaufen an: 
fingen. 

„Hm, Hm! und der Zuſtand datiert jeit der 
Hochzeit der Nichte?“ 

„Seit damals, Herr Doktor, nachdem ich 
einige Moden vor derjelben eine andere auf: 
fallende Gemütsveränderung an dem Bruder 
wahrgenommen habe. Bom Tage der Einladung, 
die er mit einem falligraphiichen Danffchreiben 
beantwortete, zeigte er eine jonderbare Erregt: 
heit. Er ſchloß ſich ganze VBormittage vorher in 
jein Zimmer ab: ich hörte ihn ftundenfang um: 
hergehen, jtehen bleiben, dann wieder fchneller 
Ichreiten: ich hörte ihn bald leife murmeln, bald 
laut mit fich jelbft reden, bald wie ein Schau: 
jpieler deflamieren. Wenn ich dann ängſtlich an: 
flopfte oder ihn bat, fich mir zu zeigen, da öff: 
nete er, nachdem er jeinen Schrank verſchloſſen, 
die Thüre, lachte aus vollem Halje, jtreichelte 
mir die Wangen und fagte: ‚Mein Eleines neu: 
gieriges Tüchterchen, davon verſtehſt du heute 
noch nichtö!* Ich bin nämlich 69 und er jchon 
71 Fahre. Seine Ungeduld und gute Stimmung 
wuchs von Tage zu Tage, bis —“ 

„Wie ging es ihm denn bei der Hochzeit 
ſelbſt?“ 

„Nicht gut, Herr Doktor, ſoweit ich ihn von 
meinem Site beobachten fonnte. Er hat nichts 
angerührt von all den ſchönen Gerichten und felbit 
die Ertraweine blieben ungefojtet. Seinen Nach— 
barn gab er verkehrte Antworten und wohl zehn: 
mal ftand er auf, ein Meſſer in der Hand, was 


678 


mir das Blut erjtarren machte, fiel aber, da an 
allen Eden und Enden Tijchredner wie die Pilze 
aufiproßten, wieder in feinen Stuhl zurüd. 
Mas er eigentlich gewollt, hat er mir nicht ge: 
fagt, nur das weiß ich, daß ich nach Aufhebung 
der Tafel ihn ganz zerfnirfcht, mit geſenktem 
Kopfe vor feinem Glaje fand, und daß er mir 
willenlos nad Garderobe und Droſchke folate. 
Seitdem diefer troftlofe Zuftand: er ißt nichts, 
trinkt nichts, fpricht nod) weniger als nichts und 
weicht allen Menjchen aus. Herr Doktor, ich 
fürchte das Schlimmite.“ 

Ich beruhigte die gute Frau, ohne jelbit Be: 
ruhigung zu empfinden. Doch war es mir, als 
ob meine indisfrete Entdedung mir Aufſchluß 
geben follte. Ich bat um ein Glas Waſſer und 
hob, jowie ich allein war, wieder den Briefbe: 
jchwerer empor. Was las ich da: 

„Hocgeehrtes Brautpaar! 
Hochzeitsgeſellſchaft!“ 

„Hochgeehrte Hochzeitsgeſellſchaft! Hochwür— 
diges Brautpaar!“ 

„Halten Sie es nicht für eine Ueberhebung 
— wollen Sie es mir nicht als eine Ueberhebung 
deuten — ich hoffe, daß Sie mich ſoweit kennen, 
um es nicht falſch zu deuten — wenn ich in mei— 
ner Eigenſchaft als Onkel und Freund — daß 
ich ſo zu ſagen als ein Naheſtehender — das 
Wort ergreife —“ 

Bei dieſem ergriffenen Worte hörte ich Fräu— 
lein Tobias auf dem Gange; ich ſchob eilig alles 
wieder unter den Briefbejchwerer. Es war ge: 
nügend ’ ich überfah die ganze Eadjlage. 

„Ich danke Ihnen, liebes Fräulein”, jagte 
id und das Glas Waſſer zitterte in meinen vor 
Freude bebenden Händen; nachdem ichin meinem 
medizinischen Erfahrungsihag gekramt, glaube 
ich Ihnen für die Gefundheit Ihres Herrn Bru— 
ders beſte Ausfichten geben zu fönnen : in vier: 
zehn Tagen tft er wieder hergeftellt.* 

„Wie,“ fiel die Dame freudig ein, „jo wollen 
Sie ihn in die Kur nehmen?“ 

„O nein, ich heile ihn, wie ein Magnetifeur, 
aus der Entfernung. Er braucht nicht zumir zu 
fommen, ic) nicht zu ihm. Ich bitte Sie fogar, 
daß Sie meinen Befuch, der ihn ängſtlich machen 
fönnte, ihm verfchweigen. Apropos, was jagen 
Sie zu dem neuejten Brautpaar? Der letzte aus 
unferer Tafelrunde hat nun auch daran glauben 
müſſen!“ 

Von hier aus entführte mich eine Droſchke 
in die Wohnung der zukünftigen Schwiegereltern 


Hochwürdige 


Os kar Juſtinus. 


unſeres jungen, alten Bräutigams, der, wie er 
geſtern erzählt hatte, alle Morgen um elf Uhr 
mit ſeiner Braut tändeln fomme. Ich gratulierte 
und wurde freundlich empfangen. 

„Ja,“ fuhr ich fort, als aud) der Herr Papa 
binzugetreten war, „wir betrachten una nämlich 
ſozuſagen, als die natürlichen Vormunde diefes 
unferes Abtrünnigen. Wir haben Ihren Herm 
Bräutigam an unferem Stammtisch großwachſen 
jehen, wir haben ihn als einen der pünftlichiten, 
zuverläffigiten Bejucher unferer Kneipe ins Her: 
geſchloſſen — “ 

Der Bräutigam war offenbar von der Be- 
tonung diejer feiner Vorzüge, welde in den 
Augen der Seinigen ihm vielleicht jehr zum 
Nachteil geteichten, nicht jehr angenehm berührt, 
er wurde unruhig, gab mir verichiedene Winfe; 
er hätte am liebjten unfere ganze Biertiſch-Ka— 
meraderei deöavouiert — er zeigte, daß er im 
beariffe ftand, ein Pantoffelheld zu werden. 

„Sie meinen,” fuhr ich, etwas ſchadenfroh 
über die guten Ausfichten unferes Kollegen fort, 
„dab diefe Mitteilungen nicht wichtig genug 
wären, um meinen Befuch zu motivieren: nein, ich 
hatte auch in der That noch eine zweite Abficht 
mit demjelben verbunden. Ich wiederhole Ihnen 
alfo vor allem, mein Fräulein, daß Sie erjt mit 
den Sahren darüber ins flare fommen werden, 
wie viel feiner Herzens: und Verftandesbildung 
Ihr zufünftiger Gatte dem Stammtijche ver: 
danft, welche alüdlihe Stunden, Abende, Mor— 
gen er im Kranze feiner treuen Freunde durch: 
gefoftet. Ihnen zuliebe geben wir unſere 
alten Rechte, unfere Prätenfionen auf. Dafür 
aber — 

Der Bräutigam ſah mich mit einem flehent— 
lichen Blicke an. 

„Dafür aber verlangen wir — und ich hoffe, 
daß Sie unfere Unverfrorenheit nur für den 
Ausdrud der purſten Freundichaft halten — mit 
zur Hochzeit geladen zu werden.“ 

Der Bräutigam ward leichenblaf, das Fräu— 
lein Braut hatte fih am Buffett zu Schaffen ge- 
madt, der Herr Schwiegervater, der ftandhal- 
ten mußte, lächelte vor Verlegenheit und that 
ſchließlich, als hätte ich mir einen Scherz erlaubt. 

Endlich befreite ich fie aus ihrer peinlichen 
Situation, 

„Befürchten Sienicht, daß der ganze Stamm 
tisch zu diefem Ihrem Ehrentage geladen zu wer: 
den den Anſpruch macht; eö handelt fih nur um 
eine würdige Repräfentation und für diejen 








Eine glädliche Kur, 679 


Zweck empfehle ih Ihnen unſeren Alteröpräfi- 
denten, Herm Partifulier Ulrich Tobias.“ 

Das Hang nun ſchon anders, die Herrichaften 
waren aud ſchon bereit, aber da begann mein 
heldenmütiger Freund wieder: 

„Sa, glauben Sie denn, Doftor, daß der 
alte Herr fommen wird, er ift ja auch, wie ich 
hörte, krank.“ 

„Eben darum,“ platte ich heraus. 

„Eben darum? Sehr verbunden — was 
fehlt ihm denn eigentlich?“ 

„Nun, fo erfahren Sie denn alles, und ich 
bin überzeugt, daß Sie fich nicht einen Augen: 
blid ıweigern werden, mid in meiner Heilmethode 
zu unterjtügen. Herr Tobias leidet an einem 
zurüdgetretenen —“ 

„Schnupfen?“ 

„Nein.“ 

„Scharlach?“ 

„Nein.“ 

„Nun an was denn?“ 

„An einem zurüdgetretenen Toaft! Sie 

zweifeln? Verlaſſen Sie fih darauf — ich habe 
. ganz unzweibeutige Beweije. Denlen Sie fi 
in die Lage diefes Mannes. Das erfte Mal in 
feinem Leben dringt die Verpflichtung an ihn 
heran, zu reden, feine einzige Nichte tritt in den 
Stand der Ehe — fein Herz gebietet ihm, ein: 
mal aus fi herauszutreten; er frägt einen 
Freund nad) dem anderen, fie bejtätigen ihm alle, 
daß ihm gar nichts anderes übrig bleibe, ala — 
reden. Nun geht er mit fi zu Rate, arbeitet, 
fit, verwirft, verbefjert — und wie er fieht, 
daß alles gut war, lernt er feine deutfche Arbeit 
vorwärts, rüdwärts, bis er fie auswendig fann, 
bis aufs lette Partifelhen; dann lernt er die 
Aktion, die Gefte vor dem Spiegel. Die Hebung, 
die Senkung, den Schlußeffelt: endlich beherricht 
er jeinen Stoff. 

„Der Tag naht. 

„Innerlich erfüllt von feiner Aufgabe, im 
angenehmen VBorgefühl der hervorzubringenden 
Weberrafhung und doch bebenden Herzens bei 
dem Gedanken, fein Gedächtnis werde ihn im 
legten Moment verlafien, fit er bei Tifch und 
repetiert ftill vor fi hin. Erachtet nicht feiner 
Nahbarinnen rechts und links, nicht der fervieren: 
den Kellner, fein Thema hält er ficher, er hält 
es warm, jetzt ſchweigt die Mufil, der Moment 
it gefommen, er gibt fich einen Rud und erhebt 
fih. Aber in diefem Augenblide iſt auch eine 
andere Berjon aufgeftanden und hat in kurzen 


——— — —— ——— —— —— — — — — — — — — — 


bündigen Worten das Hoch auf das Brautpaar 
ausgebracht. Wütend ſetzt er ſich nieder, hell 
tönt der Jubel in ſein umdüſtertes Gemüt. 
Aber, im Grunde genommen, hat jener ihm auch 
ſein Thema eskamotiert, ſeine privaten Ge— 
danken waren es doch nicht und er kann ſie noch 
ausſprechen. Er kämpft, wird wieder ſchlüſſig, 
ſteht auf, aber da beginnt gerade die Muſik; er 
verfolgt die aufgeſpielte Quadrille, das iſt nun 
der fünfte Teil, jetzt kommt das Finale; eben 
will er ſich erheben, da tritt eine Maske herein, 
hält eine Polterabendrede und es iſt wieder vor— 
bei. Ein drittes Mal und eine Stimme erhebt 
einen Tiſchgeſang. 

„So geht es fort; er bemerkt, wie man die 
ſchlechteſten Reden bejubelt, er zieht ſich in ſich 
zurück, er verbittert; doch dringt ſeine gute Na— 
tur immer wieder durch; was er ſagen will, hat 
doch noch keiner ſo geſagt, wie er; er wartet, er 
beobachtet, er harrt wie der Jäger auf dem An— 
jtande, und wie nun enblid fein Moment ge: 
fommen — da ertönt ein Tuſch, alles erhebt ſich 
froh von der ermüdenden langen Mahlzeit, er 
mit ihnen, aber die Wunde im Herzen und — 
den Toaft in der Kehle. 

„Und dieſe Nachwirkung. Die Blume, mit 
Sorge und Pflege, mit Kopfzerbrehen, mit 
Furcht und Hoffnung fo herrlich gediehen, zer: 
blättert zu jehen, ehe fich eines empfindenden 
Menſchen Herz an ihr erfreut. Der Toaft iſt 
nad innen gejchlagen: hier ftehen feine Wort: 
bilder unverlöjhlih und mit flammender bren: 
nender Schrift. Die Reue verzehrt ihn, warum 
hat er nicht laut an fein Glas geſchlagen, warum 
nicht feine Konkurrenten überbrüllt, oder ſich auf 
einen Stuhl gejtellt, wie hätte fich feine Nichte 
gefreut, wie hätte er felbit geglänzt! Immer 
verbitterter, immer verſchloſſener wird er. Nie: 
mand habe ihn aufgefordert, niemand nad ihm 
gefragt. Jeder ſchätze ihn gering, er fei ein un: 
nüßes, läftiges Inventar, je eher deſto bejjer 
müſſe er fich hinwegheben aus dem Kreife der 
Fröhlichen, Lebenden. 

„Das iſt die Krankheitsgeſchichte unferes 
Freundes,“ ſchloß ih, „in ihrer unerbittlichen 
Logik, es ift nicht anders zu helfen, als wenn 
wir ihm Gelegenheit geben, den verjchludten 
Toaſt — von fi zu geben und wenn Sie jet 
noch zögern fünnen, ihm diefe Gelegenheit zu ge: 
währen, jo habe id das Meinige gethan!* 

Das war überzeugend, 

Denjelben Tag trafen zwei Einladungäfarten 

Sb 


680 


mit der eigenhändigen Anfchrift der Eltern bei 
Herrn und Fräulein Tobias ein, ihnen auf dem 
Fuße folgte der Bruder der Braut, um die 
Schwanfenden zur Annahme zu gewinnen. Wie 
der junge Mann endlich ſchüchtern mit der Bitte 
heraustam, ala Freund des Bräutigams doch den 
eriten Toaft auf das Brautpaar zu übernehmen, 
daleuchteten Die Augen Tobias’ auf, erfagtezu. 

Das Hochzeitsmahl begann; ehe das Nagout 
fin aus feinen Muſcheln gefhält war, klang ein 
Glas und eine Stimme ertönte. 

„Hochgeehrtes Brautpaar! 

Hochwürdige Hochzeitsgeſellſchaft!“ 

Andachtsvoll lauſchte die Menge. Kein 
Menſch hatte jemals von dem ſchweigſamen 
Herrn ſo viel Worte hintereinander reden hören 
und nun dieſer Fluß, dieſe Eleganz, dieſe kühnen 
Wendungen. Man überhörte vollſtändig, daß 
der Redner die Braut immer Helene nannte, 
während ſie doch Adele hieß, daß er von ſeinen 
Onkelgefühlen ſprach, während er mit dem Che: 
paar doch nicht entfernt verwandt war, daß er 
von der auönehmenden Jugend des Chepaares 
redete, daß überhaupt alle Anfpielungen auf die 
Verhältniffe desfelben nicht entfernt zupaßten. 
Man achtete deſſen nicht und wie ed zu Ende 
ging und das Orchefter mit einem Tuſch einfiel, 


Serdinand Apenarius. 





Natur, 


da wollte der jubelnicht enden und jeder bränat 
fih an ihn heran, um einen herzlichen Hänte 
drud von ihm zu erwifchen und ihn zu bealüt | 
wünfchen; er jtrahlte und war mindeftens fo ce 
feiert, ald das Brautpaar jelbit. 

Noch in fpäter Abendjtunde erfchien er ea 
unjerem Stammtisch, Tuftig und ausgelafien, der 
verjüngte Alte. Beim erſten Blid ſah ih, me 
glüflih meine Kur ausgejchlagen war; ihm 
war gründlich geholfen, ob aber auch uns? 

Seitdem Herr Tobias zu dem Bemwußtiar 
feiner rhetorifchen Potenz gelangt, ſeitdem « 
das beraufhende Glüd des Ruhmes gefortet, 
mit einem Worte, feitvem er Blut geledt, ging 
feine private oder öffentliche Gelegenheit ver- 
über, wo er nicht wie eine Feder von feinem 
Plage aufgejchnellt wäre und eine halbe Stun 
die Aufmerffamfeit der Tiſchgenoſſen jchonungs 
loferweife in Anfpruc; genommen hätte. Wenn 
mich alſo meine Herren Kollegen Aerzte über 
die Anwendbarkeit diefer Kur aufs Gemifler 
fragen, jo möchte ich fagen: Wenn der Patient 
fräftig genug ift, da8 Leiden zu überwinden, fo 
laßt ihn lieber bei feinem zurüdgetretenen Toafte, 
zu leicht bildet fich fonft aus dem kleineren Uebel 
die Toastitis furibunda und dieje ift befannt: 
lid — ganz unheilbar. 


— NMatur 


Don 


Serdinand Avenarius. 


ab heut vor mir des Weges gehn 

Eine Dame mit ihrem Knäblein gefeh'n, 
Hocyelegant, das Bürfchlein zumal 

Wie gefchnitten aus dem Modejournal. 
Madame hielt grade £eftion, 

Dozierte vom feinen Unflandston, 

Und fagte, nicht Schritt und Tritt allein, 
Auch Wort und Blick mäfj' gemeflen fein: 
Er folle fich endlich ein wenig genieren, 
Zum Beifpiel nicht jo mit den Urmen fachieren — 
Man mäffe ja ſonſt glauben, daß er 

So ein bergelaufener Junge wär, 

Man mäffe ſich fonft ja ordentlich ſchaͤmen, 
Ihn jemals wieder mitzunehmen! 


Dass Bärfchlein — fünf Jahr mocht's, denk ich, zählen — 


That auch die Sache gewaltig quälen: 

Es trippelte fittfam und fill fürbaß 

Und dachte betrübt an dies und das, 
Serfnidt fchier von dem Herzelcid 

Ob feiner tiefen Derworfenbeit. 

Und als des Wegs eine Pfüge fan, 

Die endlich fein Auge in Anſpruch nahm, 
Wandt’s, eingeben? der £ehren fich 

Zur Mutter und fragte befcheidentlid; : 
„Darf ich mich 'mal in die Pfüte legen?“ 


Da dacht’ ich: dem treiben fie deine Spur 

richt aus, du luft’ge Mama Yatur, 

Trot aller Cadier: und Derfleifterung:: 

Du wirft ein Menſch — Glädauf, mein Junyt 











a3 Bur Beifgefldichte. 2» 


« 


Mofaik. 


DD“ Rattenfängerfeft in Hameln, 
weldes am 30, Juni flattfand, hat 
einen ungemein prädtigen Effeki gemacht, 
30 000 Perfonen nahmen daran teil, Bes 
fonders wird die Pradt der Aoflime ne 
rühmt. Bei dem Diner erfolgte die Bes 
fanntmadung, daß der Dichter Wolff und 
ber Komponijt Neßler zu Ehrenmitgliebern 
ernannt worden ſeien. 

Zu den neulich mitgeteilten Daten über 
die Poftfparfaffen in Atalien fönnen wir 
—— weitere Mitteilungen über die Boft« 

parkafien in Oefterreich machen. Nach 

den Angaben der diterreihiichen Korre- 
fponden; mwurben im eriten Betriebsjahr 
1820755 Ginlagen mit 8176389 Qulden 
geleiftet, von deren 1649255. Einlagen 
weniger al3 5 Gulden betrugen, Nah 
Abrechnung der Rüdzahlungen betrug das 
Guthaben der Einlagen am Schluß des 
eriien Geihäftsjahres 5230838 Gulden. 
Antereffant ift es, zu ſehen, aus welden 
Rreiien ih die Eparer zuſammenſehen. 
Es waren davon 179987 Studenten und 
Schüler, 42410 Rinder, 40299 Handwerter, 
24437 Dienftboten, 21649 Privatleute, 
24911 Beamte, 8500 Gelehrte, Proſeſſoren 
und Künſtler. 

Die Sammlungen detgenialen Münd- 
ner Rünftlers Gebon, der im vorigen 
Dezeinber einer heimtüdiichen Krankheit 
zum Opfer fiel, find für mehr als 
200000 Mark verfauft worden. 

Zu der Reichsfechtſchule für Lahr ift 
num eine Bettelafademie in Prenzlau 
ins Leben gerufen worden, welde aus 
ihren Grirägniffen arme Waifentinder 
unterftügen wid. Die Mitglieder heißen 
Studenten, von denen 20 eine burd einen 
„Doktor“ geleitete Klaſſe, 5 ſoſcher Klaſſen 
eine Fatultãte mit einem „Profefjor* an 
der Spike bilden. 10 Profeljoren bilden 
den Vorſtand der „Afabemifhen Körper 
ihaft“ und führen den Solleftivtitel 
„Aademifcher Senat‘. Mit 50 Pf. jähr« 
lien Beitrag kann man Student werden, 
eine Mitglicds-(Legitimationd-)Harte er- 
halten und in die Diitgliederlifte (Dratrifel) 
eingetragen werben, 


Expeditionen. 


Sgirorbeuftjöld beabjihtint eine Erbes 
75 dition nad dem Sübpol zu unter 
nehmen, die eliva 200000 Pd. Sterl. 
foften wird. England fol bejonders zur 
Aufbringung ded Geldes herangezogen 
werben. 

Erfindungen. 


3er Erfinder des neuen, fogenannten 
Deltametalld, A. Did in London, 
madıt den Vorſchlag, an Stelle des raſch 
duchfrefienen Stahla, für den Schiffsbau 
jein Metall zu verwenden. Gr bat aud 
ein Schiff aus Deltametall herftellen und 
im ryflallpalaft zur Ausſtellung bringen 
lafjen. Verſuche, die mit dem Deltametall 
in Bezug auf feine Widerſtandsfähigkeit 
gegenüber den zerftörenden Ginflüffen des 
Waſſers angeflellt wurben, haben jehr be« 
friedigende Rejultate ergeben. 


Entdbeiungen. 


er — der Wiener Sternwarte, 

Balifa, ift der glüdlide Entdeder 
eined neuen Planeten, der dieNummer 237 
und den Namen Göleftine erhalten hat. 

wilden der Eifenbahnftation Ciam ⸗ 
pino und der albaneſiſchen Gebirgsftadt 
Marino iſt eine ausgedehnte römiſche 
Billa entdedt worden, die einer Familie 
Namens Majalle gehört hat, Dan fand 
in dem Bau außer ſchönen Mojailfuh- 
böden, Marmortäfelungen, aud einen 
Trometheustorjo, eine gefliigelte Biltoria, 
Bruchſtüde einer Vaſe mit Figuren, einen 
Faun mit Schlaud, einen großen Aber, 
eine Apollojtatue, einen Marſhas, einen 
Serfules mit dem Lörvenfell Über dem 
Arm, die Hand eines Disluswerfers u.v. a. 


Gefundheitspflege. 

gen unbeimliher Gaf ift in Furopa 

aufgetreten: bie Cholera. Während 
man in Berlin den geiftvollen Entdeder 
des Cholerabacillus feierte, hatte die nun 
in ihrem innerfien Weſen erfannte Strant- 
heit wieder einmal in Toulon den euro. 
päifchen Boden betreten. Nah dem erflen 


Todesfall Hatte man nod beruhigende 
oe dann aber fleigerte ih bald die 
Zabl der Zodeöfäle, und nun wurden 
Radregein aller Art getroffen, den un» 
heimlichen Gaft zu befämpfen. Frankreich 
iſt nicht ſchuldlos, dak der eingeichleppte 
Reim auf feinem Boden fo qut gedieh 
Zoulon bat bygieiniihe Yuftände, welche 
die erfle Autorität Frankreichs, udel, 
felbft deplorable nennt. Und auf einem 
franzöfiichen Mititärtransportdampfer, der 
„Sarthe*, ift die Stranfheit eingefchleppt 
worben, ber ebenfo wie die meisten anderen 
derartigen franzöfiihen Schiffe an ln» 
fauberfeit nichts zu wünfhen übrig laffen 
foll, Zeit dem lehten Jahrhundert Hatte 
Frankreich vier Gholeraepidemieen durch⸗ 
jumachen, im ge 1832, bei der allein 
in Paris 18406 Perſonen ftarben, 1849 
mit 16165 Xodesjälen in Paris, 1853 
mit 9219 ZTobesfällen ebenda, 1865 f 
mit 13000 Todes fällen ebenda. 

In Frankreich ift eine andere Art von 
Zrunffjucht aufgetreten, die id — altohol« 
haltigen Riech uud Schönheitswäflern 
zuwendet. Bejonders find es Frauen 
und Mädchen, welche das Eau de Cologne 
innerlid; anwenden, 

Daß der Deutjche, der Gewohnheit 
einer Urväter treu, es noch immer liebt, 
eine oft trodene Achle fräftig zu befeuchten, 
ft nun eben fein Gcheimmie, daß aber, 
wie wir einer Statiftit entnehmen, jähr- 
lich 10000 Menſchen am Delirium in 
Deulfland zu Grunde gehen, muß doch 
ernftlih erihreden. Die Bunahme der 
Trunlſucht fäht ih auch an der Zunahme 
der Schenken fonftatieren, deren Jahl von 
13869 — 1877 in Preußen um 67 Pro in 
Medlenburg um 95 Pros., in den kleinen 
Bundesftaaten um 109 Proy., in Sachſen-⸗ 
Weimar um 126 Proz, flieg. In Berlin 
fommen auf 1123000 Ginwohner 11169 
Schenlen! 


Saudet und Verkehr. 


P" Härten Raucher find nad neuen 
3 flatiftifchen Angaben die Türken und 
Holländer, Die Schweizer folgen dann, fie 
verbrauden pro Kopf 2,8 kg, während in 


682 


Deulſchland auf den Kopf nut 1,4 Ra und in 
Frankrrich 1,3 kg auf den Stopf kommen. 


Im näditen Jahr wird die Pile'ö- 
Beat» Eiſenbahn in Betrieb genommen 
werden, die zu den merfwürbigiten Eiſen · 
bahnbauwerlen gehört. Sie liegt 2000 Fuß 
höher als die Lima, und Oroyabahn in 
Peru und fteigt auf mehr als 12000 Fuß 
über dem Dieer. Die ganze Strede jeht 
fi) aus komplizierten Kurven und Graben 
(bis 316 Fuß auf die Meile) zufammen, 
und fein Etilt von mehr ala 300 Fuß 
jeigt eine gerade Ridytung. 

Die fürzefte Fahrt, in der bisher ein 
Dampfer von Wew Work Europa er- 
reichte, hat vor lurzem der Dampfer Aınerila 
vom Wationalinjtitut erg Gr 
braudte von New Hort bis Queenätown 
6 Tage, 14 Stunden und 18 Minuten. 


Welche außerorbentlihe Ausdehnung 
das Eiſeubahnweſen in Deutichland ger 
nommen bat, werben folgende Zahlen am 
beften illuftrieren, 1882 betrug die Ger 
famtlänge aller deutſchen normaljpurigen 
Bahngeleife 23340 km (der Aequator bes 
trägt 40000 km). An diejer gewaltigen 
Etrede, die mit 11000 Xolomotiven, 
20000 Perjonen- und 226000 Güterwagen 
befahren wird, lienen 5415 Bahnhöfe. Den 
Dienft verjehen 290000 Beamte und Ar- 
beiter. Die Benützung ftellte ſich auf 
1 223 600 000 Perjonenfahrten und Guter · 
transporte von 3365 Millionen. Die 
Lolomotiven legten einen Wen von 312 
Millionen Kilometer zurüd, Wie ed mit 
der Sicherheit de Gilenbahnvertehrs be» 
ftellt ift, erhellen folgende Zahlen: auf 
51, Millionen Reljende fommt 1 Todes- 
fall ‚auf 24, Millionen eine Berlehung, 
d. i. auf 1 Million von Perfonen durch · 
fahrene Kilometer 0,00 Zötungen, 0,01 
Berlekung. 

Unfer vieljreibendes und vieldruden · 
des Jahrhundert braucht Bapierquantitä- 
ten von geradezu verblüffenden Mengen. 
(#8 werden von 3985 Papierfabrilen im 
Jahre 952 Milllonen kg Papier erzeugt, 
von denen 476 Millionen zur Serftelung 
von Drudfahen dienen und zwar zur 

lung von Journalen 300 ‘Mill. kg. 
as ift pro Tag 822000 kg. 


Ausfiefungen. 
9 Geihmadlofigfeit, welche in Kngpen 
ud« 


dur die Veranjtaltung einer 
Jebung Ichöner Frauen begangen wurde, 
findet in Polen Nahahmung. Frauen 
aller Stände und Nationalitäten können 
ur Ausftellung gelangen und ihre Aub⸗ 

eller ſollen mit Gelpbelohnungen, Des 
daillen und Ehrendiplomen ausgezeichnet 
werben. 

Berlin erhält im nächſten Jahr einen 
Anziehungspunft mehr; eine japanifche 
Ausftellung im Öpgieineausflelungs« 
Gebäude, die am 1. Mai eröffnet wird. 
Das Innere des Gebäudes fol zum Zwede 
der Auöftellung in ein japanefiihes Dorf 
umgewandelt werben, in weldem fid) in 
maturgemäßer Weife die Gebräude und 
Sitten der Japanejen entwideln werben. 
Das induftrielle Geben der Japanejen ſoll 
auf dem großen freien Plabe, wo feiner- 
zeit das Gafteinpanorama fland, zur Dar · 
ftellung fommen. Auch ein japanefijhes 
Theater wirb errichtet werben. 

Im Hamburger ns then Garten 
zu Ende Juli eine Ifiihausftellung 

att, bei der ſowohl Franggeräte aus alter 
und neuer Zeit, Schiffsmodelle von Grön« 
landfahrern und hamburgiſchen ſtriegs · 
ſchiffen, Zieraten aus Walfiſchlnochen. wie 
bildliche Darflellungen aus dem Walfiſch · 
fängerleben zur Ausſtellung gelangen. 


Zur Zeitgejchichte, 


Hongrefie. 
9» achte allgemeine Hongrek ebange- 
liſcher Chriſten aus allen Bändern 
findet vom 30. Auguſt bis 7. September 
in Ropenbagen ftatt. 
Ein Anthropologentongrek findet 
vom 4. bis 7. Auguft in Breslau ftatt. 


Binglüdsfäle, 


Bi einer Erplofion im ber Pulver ⸗ 
fabrit Pontremoli wurden breikig 
—— getötet und dreihig ſchwer ver 
wundet. 


Berdreden. 


une fol, wie man aus Paris 
SI ihreibt, jeht aud per Quftballon von 
den Feniern mit Dynamit und dergleichen 
bedroht werden. Wir halten die Nadıridt 
für eine Ente. 

Die Morbaffaire Heilbronner in 
Stuttgart hat jeht inſoweit ihren Abſchluß 
nefunden, als der eine der Räuber, ber 
Anarchiſt Kumiti, vor kurzem von dem 
Schwurgericht in Stuttgart zu lebend 
länglihem Zuchthaus verurteilt wurde. 


In Lübel hat fih ein Dr. Jenner, 
der ſich vor dem Schwurgeridhte zu ver- 
antworten hatte, kurz vor der Berkündi« 
gung des Urteils im Schmwurgeridisjaale 
ſelbſi das Leben genommen. 


In der Neuen Welt fommen immer 
noch Berbreden vor, die bei und glüd- 
licherweiſe einfach zu den Unmöglidpkeiten 
zählen. ine Räuberbande hat einige 
Stunden von Sanjas-Gity die Echienen 
einer Gifenbahnätrede gelodert, um da⸗ 
dur den Zug zum Sturz zu bringen und 
ihn dann zu berauben. Aber nur dad 
erftere gelang ihnen: drei Wagen und bie 
Lotomotive Nücpten den fteilen Damm 
herab, während die übrigen Wagen fid) 
losfuppelten und unverjehrt blieben. Die 
Menge der in den letzteren ſich befindlichen 
Paflagiere hielt die Bande vom Naube 
felbjt ab. Die Infaflen der herabgefallenen 
Wagen find großenteils umgelommen. 


Totenſchau. 


Aexauder, Prinz von Oranien, ftarb 
A 21. Juni im Haag, erſt 38 Jahre alt. 

Amthor, Ed. Dr. phil., Yeiter ber 
Geraer Handeldalademie, aud als Schhrift« 
ſteller befannt, ftarb am 4. Juli, 

v. Branbid, der Ichte hannoverſche 
Kriegsminifter, ftarb 13, Juni auf feinem 
Schloſſe Ridlingen. 

Gornid, Gyrus, der Erfinder ber 
Mähmafhine, geb. 1809 zu Rodbridge 
Gounty. Ba., ftarb Mitte Mai zu Chicago. 
Er machte feine Erfindung 1831. 

Droyfen, Johann Guftav, der aus · 
gezeichnete Gelehrte, Profefjor an der nie 


verfität Berlin, ftarb 19. Juni daſelbſt. 


(ir war geboren 1808 in Treptow, bat 
in Berlin ftudiert, dann am Grünen 
Klofter unterridytet und feit 1833 an ber 
Univerfität dociert. Bon 1840—51 war er 
BProfeflor in Kiel, dann in Jena, lehrte 
aber 1859 nad Berlin zurüd. Sein Haupt» 
wert ift die ‚Geſchichte der preußiſchen 
Politit*. Andere berühmte Schriften von 
ihm find „Das Yeben bes Feldmarſchalls 
Grafen Yort v. Wartenburg“, „Beldhichte 
des Srellenismus*, „Vorlefungen über bie 
Geſchichte der Freihtitstriege?, Ueberſetzun · 
gen bed Aeſchylos und Ariſtophanes und 
vieles andere mehr. 

Battinelli, Baetano, einer der beiten 
italleniſchen Schaujpieler, ftarb Ende Juni 
zu Rom, 

uner, Prof. Dr. Auguit v., aus⸗ 
gezeichneter Ainderarzt, Benründer bes 
nach ihm benannten Finderhojpitals in 


—— farb 11. Juni im 73, Lebene · 
ahre. 

Hellwald, Ferdinand von, Scrift · 
ſteller, der ſich namentlich auf dem Gebiete 
der niederländiſchen Litteratur dervort · 
gelhan und eine vortreffliche Geſchichte des 
bolländifhen Theaters — bat, ſtard 
23. Juni zu Glarens, Beritorbene, 
ein Bruder Friedrichs von Hellwald war 
feit 1874 Sektelät des Malteier-Drbens 
in —* ervrin 

ermann, Erbprinmj zur Lippe, flarb 
20. Juni, geb. 4. Juli 1829. 
eöheim, Unton Baron, durch 
feine Dialeltvitungen in weiteren Sreijen 
befannt, verjhied am 6. Juli in Baden. 

Node, Friedrich, ordentliher Pro» 
fefior der Mineralogie in Marburg, ftarb 
daſelbſt 17. Juni. Früher Docent in 
Heidelberg und Freiburg i. ®. 

Kolisko, Dr. Eugen, Primararzt 
und Profefior an der Wiener Univerfität, 
ftarb am 7. Juli im Alter von 73 Jahren. 

Lehweß, Adelbert, Geh. Sanitäts- 
rat, audgezeicdhneter Arzt, jtarb im Jumi zu 
Berlin. Er war ed, den 1579 die Deutidhe 
Botſchaft nah Botilanla jur Erforſchung 
der Beitepidemie fanbte. 

Lipinski, der belaumte polniſche 
Genremaler, der unter anderem das prriß» 
gefrönte Bild „Wochenmarkt in Siratau* 
geinalt hat, ftarb 28, uni zu Srafau. 

Munch, Andreas, norwegiſcher Dieter 
und Gelehrter, ftarb 27. Juni in dem Dorfe 
BVedböd am Sund. Derftorbene er · 
reichte ein Alter von 74 Jahren. 

v. Bhilipsborn, Rihard, Generals 
poftdireltor und birelter Borgänger Dr. 
Stephans, ift nah lurzem Aranimlagrr 
im Alter von 66 Jahren verfiorben. Bes 
teitö 1870 war er nad glüdliher Leitung 
feines Refiorts und eingreifender Mas» 
regeln — wir erinnern nur an die Ein» 
führung des einheillihen Briefportos 
innerhalb Deutfhlands — aus dieſer 
Stellung ausgeſchieden, um die Eentral« 
bodenfreditanjlalt zu leiten. 

Mabde, Wilhelm, befannter Rew 
Norter Buchhändler und Verleger, farb 
im Alter von 34 Jahren. 

Meder, Guido, Ditarbeiter der 
FKreuzzeitung und Agrarier vom reiniten 
Waſſer (mehr unter dem Namen Guido 
Buched bekannt) ift am 5. Juli im Alter 
von 43 Jahren aus dem Leben geihieden. 

Renaud, WUdilles, ausgezeichneter 
Reötelehrer, ftarb im Juni zu Heidelberg. 

Richter, Ludwig, der ausgezeichnete 
Muftrator, flarb 19, Juni zu Dresden. 
Ein kurzer Nadruf findet fih an anderer 
Stelle dleſes Blattes, begleitet von einer 
Nahbildung von Pohles trefflichem Porträt 
in der Nationalgalerie. 

ofen, Baron Andreas, befannt ala 
Verfafler der, Memoiren eines Delabriften, 

eb. 1500 zu Ejthland, ftarb im Juni auf 
Finem Landguie Wilnina (Chatow). 

v. Scheve, der Präfident des nroß« 

ogl. medienburgiid-ftreligihen Land · 
gerichts, ftarb Ende Juni zu Siffingen. 

Schmalner, Buchdrudereibeiiker, 
bochverdient um Erforſchung und Er ⸗ 
haltung der wendiſchen Eprade und 
Litteratur, ftarb im Jumi zu Bauben. 

Specbacher, Katharina, die Todter 
des berühmten tiroler Yanbesverleidigers 
und Genoffen Andreas Hofers und Ka 
fpingers, ftarb 24. Juni zu Innebrud. 

Töoröct be Szenbrö, Graf Nikolaus, 
ein namhafter Sportsman, flarb 71 Jahre 
alt zu Wien. Er war der Gatte der be» 
tannten Schaufpielerin Johanna Busta. 

Zwenganer, Anton, befannter Kand« 
Ihaftsmaler, feit 1869 Konſervatot der 
Pinafothel zu Münden, ſtarb Ende Juni 
zu Münden im Alter von 74 Jahren. 





©. Büttig. Unfer Gausgarten. 
















Anſer 
Sausgarten. 


©. KHüttig. 





Hyacinthen, Tulpen und 
Blumenzwiebeln im 
Binter. 


Im Juli oder früher fehlt 
wohl feinem Blumentliebhaber 
ein neueh —— von ſog. 
bolländiichen Blumenzwiebeln; 
dies follte benupt werden, um 
fobald wie möglich die zum 
Winterflor gewünfchten Ziwie- 
bein zu verſchreiben und zwar 
von einem zuverläffigen Haufe, 
wo ınan fiherift, gute, jehler- 
freie Ware zu erhalten, ftarle 
Zwiebeln, die man fofort nad) 
ihrer Anfunft auspadt und 
während eiwa einer 
Woche an einem trode« 
nen, ſchaltigen Ort 
ausgebreitet liegen läßt. 
Dann werben fie in 
Töpfe oder dergl. 2 
pflanzt — je früher biea 
peihicht, defto früher 
fönnen fie angetrieben 
werben, beflo früher 
werden fie blühen. — 
Bor dem Ein- 
dflangen wer; 
den fie, na» 
mentlih Hyacinthenzwiebeln, von etwa an 
hängenden Moder durch Abwiſchen mit einem 
weichen Lappen gereinigt, ſchadhafte Stellen 
werben ausgefähnitten und mit Hofjfohlenpulver 
betreut, 

Bon Hyacinthen pilanzt man gewöhnlich 
eine Zwlebel, von Fleineren auch zwei oder 
brei, in einen 8-10 cm weiten unglafierten 
Topf — von anderen mehr eleganten als jroed» 
mäßigen Gefäſſen fehen wir bei unferer „Rul« 
turammeilung" ab — mit guter fandbiger, mit 
verroltetem Huhdung gemifchter Gartenerde, 
der eine Schicht Heiner Topfſcherben zu leichte 
rem Abfluß des Gießwaſſers unterzufegen iR, 
Man füllt den Topf mit feuchter Erde jo wett, 
daß, wenn die Zwiebel leicht aufgefcht wird, 
ihr Hals die Höhe des Topfrandes erreicht; 
man gibt ihr eine Unterlage von reinem 
Sand, drüdt fie nicht feft und umgibt fie 
jo weit mit (Erbe, daß ihr Hals freiſteht. 
Ungefähr ebenio behandelt man auch bie 
Ywiebeln von Tulpen, Tazetten u. f. w. 

Nadı dem Einpflangen werden bie Töpfe 
mitden Zwiebeln 
im Garten 60 em tief vergraben 
und mil Erde bededt oder aud im 
dunflen Seller aufgeftellt oder in 
einer Kifle mit Sageſpahnen um- 
geben und bededt, — Das eigent- 
liche Treiben beginnt nad ungefähr 
zwei Monaten, nabdem man fid 
von ber erfolgten Bildung zabl« 
treiber Wurzeln überzeugt bat; 
mon flülpt den Zopf um, nimmt 
die Zwiebel mit dem Wurzelballen 
heraus, entfernt die obere Erde, 
legt fie auf die Scherbenſchicht und 
feht die Zwiebel fanft wieder ein, 
fo daß fie höher alö zuvor zu Liegen 
fommt; wenige Tage fpäter, nad 
dem fie wieder angewadien, kann 
man die Zwiebel mit einer bünnen 
Suanoldjungfräftigangiehen. Man 
fellt den Zopf dann im warmen 
Raume (Fimmer oder Gewachthaus) 





* 


Tin. ı, Ständer für Hyayiniben. 





Grocus 


Dig. 2 





Pig- 3. Gefhllte grobe Jonquillen. 


| wanzes Jahr in Zöpfen gehalten 
















auf einen Unterfak und verdunkelt die um ben 
ſchaft zu —— mit einer Papierhäte, Mähernb bet U 
tums muß reichlich werden, ſtets aber mit bie 25° 
erwärmten Waller. nad dem das Gie 
nad und nad auf, die Zwiebeln werben im ins freie 
pflanzt und fönnen nah 3—4 Jahren von neuem zum Trei 
enubt werben. 
on Hyacinthenſorten ifl Romaine bie 

Hleinfte; man jet immer drei Zwiebel in einen Zopf; icje 
folgen Homerus, Gellert, Henri le Grand, L’ami du co 
und La Jolie blanche. 





Für —— 
giä er (bie blauen fol« 
en befjer jein als an» 


dere) mit MWafler find 
folgende Gorien bie 
beiten: Ginfade rote: 
Duchesse de Rich- 
mond, La dame du 
Lac, Robert Steiger 
und Princesse Char- 
lotte. Einfache blaue: 
Baron van Thuyk, 
Prinz Albert, Grand 
Lilas, Oharl, Dickens 
und Regulus. Ginfade 
weiße: Grand Vainqgueur, Montblanc, 
Kronprinzessin, Themistokles, Anna 
Paulowna und Grandeur en mervellle, 
Einfache gelbe: Anna Carolina, Heroine 
und König von Holland, Weiter noch: 
Lord Wellington. Die Zwiebel foll dit auf, aber nicht im 
Wafler fihen; am beiten ıft Wegenmwafier, und muß das ver» 
dunſtele Wafler fiets durch vorher erwärmtes erjeht werben. Aud, 
die Hyacintben auf Wafler in Bläfern müflen zur Wurzelbildung 


Big. 4. 
Leueojum vernum, 


‚T), von denen 
juerft die Duc van Thol. drei Stüd Zwiebeln 
in einem Topf von 10 cm oberer Weite, und 
zwar ſchon im November angetrieben werben 
fönnen; nad ihr kommen Tour ne sol und 
andere frühe Sorten, die fpäter eingepflanzt 
und nad) und nad angetrieben werben, Bon 
Crocus (Fig. 2) werben gewöhnlich fünf Zinie- 
bein in einen Topf gejekt; fie dürfen aber nicht 
im warmen Raume angetrieben werden ; Jwildjen 
den Doppelfenftern des Wohnzimmers oder im 
Kalthauſe gedeihen fie gut, wenn fie vorher 
im Dunklen genügend Wurzeln gebildet habeıt. 

Aehnlich wie die Hyacinthen werben au 
Tazetten behandelt; auch fie Können auf 
Waſſer getrieben werden. Die frübefte Sorte 
in die gelbblühende Marfeiller Tayettr, 
ihre folgt ber 
weiße Grand Monargue; auf 
Grand Primo, weiß und wohl 
riediend, und der gelbe Grand 
Soleil d’or find quie Zreibforten, 

Mit den Zazetten find die wohl“ 
riedenden Jongquillen und Rar- 
siffen nahe verwandt, aber erſtere 
dürfen nur ſehr langſam, erſt im 
falten hellen, dann im mäßig war« 
men hellen Raume angetrieben wer⸗ 
den. Dan bat joldhe mit einfa hen 
unb anbere mit gefllllien Blüten und 
find namentlich bie lehteren (Fig. 3) 
ſehr ſchön, wenn aud die einfachen 
dem Zreibgärtner weniger Wider: 
ftand eninegenfehen. Roc ſchwieriget 
find Die Rarziffen; fie müffen ein 


und dann jo langſam wie bie 
Jonquillen angetrieben werden. 
Die Meerjwiebeln, Bcilla 





684 


amoena, bifolia, sibirica, rivalis und peruviana erden zu 
vier in einen Topf 3 cm tief gepflanzt und erit Ende Februar 
warm geftellt; die beiden fchgenannten Arten Laffen ih aud) auf 
Waller treiben. 

Aud die Shwertlilien werden früh in Töpfe gepflanzt 
und bürfen, nachdem fie neue Wurzeln gebildet, nur nad und 
nad) in eine höhere Temperatur gebradt werden; namentlich 
gilt dies von der in Dejterreidy einheimischen niedrigen Art mit 
nur einblumigem Schaft; aber die Blüte, befonders einer neuen 
BVarietät, einer Kreuzung pwiſchen Pumila und Olbiensis (aus 
Dlbiarauf Sardinien) ift ſehr jhön (Fig. 5). Ihre Farben find jehr 
manniafaltig und find namentlid Reinweiß und Goldgelb viel 





vertreten. Die Schnee⸗ 
Die gewoͤhn · alödden 
lihen Zreib« (Galanthus 
forten find nivalis), die 
Irisxiphio- März 
ides, die eng · alödden 
ſche (Leucojum 
Edwertlilie, vernum, 
persica un) Fig. 4), und 
reticulata, die Tram 
die nehför- benbyar 
mige.. Dan ciniben 
pflanzt drei s (Muscarl 
Zwie beln in , moschatum 
einen Xopf und comos- 
von 10 cm um var. 
oberer Weite monstruo- 
und ſtellt im Rum) werben 
Dezember wie die Cro- 
zuerſt Reti- cus, und bie 
culata, im Schad: 
Januar die brettblus 
andern Ar · me (Fritil- 
ten ans Fen · laria male- 
fler deb agris mit 
MWohnzim« den „Stiebihe 
mersoder ins eiern“) wird 
BR, fpäter —* * a 
nd  tempes ‚es. Amaryllis vittata. ji cyan« 
rierte, nicht Bee = = delt. 
warmeHaus. Die re 
ſache beim Treiben der bisher nenannten Ziwiebelarten if das 


recht frühe Einpflanzen in Töpfe und das mehrwöchenlliche Aufs 
bewahren im fühlen und dunklen Raume, damit fi genügend 
Wurzeln bilden, che das vorzeitige Wahstum angeregt werben barf. 

DieMaiblume(Convallaria majalls, Fig. 8) erfährt beim 
Treiben eine andere Behandlung. Man gräbt Ende Oftober die 
Pflanzen von den Anzuchtbeeten aus, trennt die diden abgerundeten 
Blütenfeime von den ſchlanken Blattfeimen, jeht letere wieber 
in rigoltes, friih und reihlid mit KAompoſt gebüngtet, nicht 
trodeneh Land, nimmt erfleren die Heinen Rebenaugen und feht 





Fig. 7. Zulpe, 


fig. 8. Conrallaris majalir, 


fie in Schalen mit leichter jmtipr Erde dicht zuſammen, To daß 
fie mit ihren Spitzen gleichmäßig 2 em über der Erde ſiehen, 
gleßt fie an, bededt fie mit Moos, ftellt fie in einen dunklen 
Raum mit B—8300 R. Wärme, hält fie durch Begießen mit 
warmem Waſſer ftets feucht und pflanzt fie bei beyinnender Blüte 
in geeignete Gefühe. Die erjten Heime werben aber bei bieler 
Echnelltreiberei feine Blätter entwideln und ftellt man, um ſolche 
u erhalten, gleichzeitig genügend viele Blattleiime warm, Bei 
päterem Antreiben werden aud mit den Blüten die Blätter 
erſcheinen. 





Ida Barber. 


Schließlich noch einige Worte über das Treiben des Ritter» 
flerns oder der Datobslilie (Amaryllis, Hippeastrum 
u. |. w.), von deren zahlreichen Arten die „Ihönftgeformte“ (For- 
mosissima L.) am leichteſten Blüten gibt. Dan legt nämlie 
die ausgewachſene und abgetrodnete Zwiebel von Weihnadyten 
ab an einen recht warmen Ort auf Moos, pflanzt fie im ben 
Topf jobald die Anoſpe ſich zeigt und ftellt fie bie zum Auf- 
blühen hell und warm. Nah dem Abblühen, das ih ım fühlen 
Raum bedeutend verzögert, flellt man fie in einen mäßig warmen 
Raum und pflanzt fie im Mai fret in ein mit Haide-, Dungerde 
und Zorfabfall eingerichteles Beet. 

Eine beionders ſchöne Art ift Amaryllis vittata L’Herit, 
die „nebänderte* (fig 6), mit A,robusta A, Dietr. die Stammmart 
herrlicher —— Sie entwidelt auf einem 60 cm hoben 
Schaft zahlreiche weike, mit drei roten Streifen burdgogene 
Blüten, die im Frühlahr, durch geeinnete Behandlung auch früber 
eriheinen, Man pflanzt die Zwiebel im September aus dem 
Freien in den Topf, ftellt fie troden im Warmen, wenn fie 
blühen foll, vom Januar an fehr warm auf und giekt, ſobald 
der Trieb ſich zeigt, jo oft die Oberflähe der Erbe troden wird 

Ein reiches Sortiment Blumengwie dela 
haben die Firmen Haage & Schmidt umd 
%. €. Heinemann in rt ur Berfügung. 





fig. 9. u. 10. Girusfiide Boien. 


Tradten der Beit. 
Bon Ida Warber. 





Heues aus der Saiſon. 


Dame Mode hat ed gleih all jenen erholungs» ober jer- 
fireuungsbedürftigen Schönen, die feit Woden in Sturorten und 
Billeggiaturen Aufenthalt genommen, für gut befunden, den 
Bantıfreis der Stadt zu verlaflen und da Gercle zu halten, mo 
die elegante Welt jetzt heimiſch tft. Der oft erhobenen Klage, dab 
es ihr an neuen Ndeen mangele, kann dort nit Raum gegeben 
werden. Man ficht in den belebteren Babeorten ein Trachten⸗ 
und Wölfergemiih, eine Unmenge eigenartiger jyormen, ab» 
ftehender Farben, origineller und bod dabei geihmadvoller 
Koftüme, dat man ihren Ideenreichtum vielmehr bewundern mödıte, 

Die Babefreiheit geftattet, wie befannt, eine bunte, oft fogar 
faleidoflopartig erieinende Roflümierung. „Grlaubt ift, mas 
gefällt“ it das Lolungewort. : 

Aunge ſchöne Frauen, die durchaus nicht geneigt find, ihre 
Bei unter den Scheffel (heute müßte man ag eine andere 
deladiiche Einheit nennen) zu ftellen, machen vom jener Freihen 
antgiebigiten Gebrauch. 

Man den rote und purpurbfaue Stleider von Allas · und Coton · 
ſtoff, die an ſich ſchon auffalend genug wären, mit bunten Plein« 
muftern durdftreut, mit türfiichen Bordüren abgepakt oder gar 
mit ſchomſchen breiten Eeidenfhärpen gejiert. Makarte Farben 
pracht eint fih dem Reichtum toitbariler weißer Epigen , die in 
wahrhaft verſchwenderiſcher Fülle all den grelfarbigen Kleſdern 
aufgarniert find. 1 . 

Des eintönigen Gran in Grau müde, hat dic Mode bietmal 
den bunten Farbſtellungen den erften Rang angewieſen. — 


Brünetten tragen gern Gelb in allen 
möglihen IT onarien, Olondinen Dlau. 
vom dunfeliten Andigo bis zum lich⸗ 
teten Azur fehattierend. 

Au jene Mitteliarben. wir Melbr 
nrau, Braun, Violett, Ztaubarau, 
Bordeau, Stahlblau, find außer dturs; 
allenfalls ſchenlen ihnen ältere Da+ 
men, die auf eine jolide Tracht ans 


Big. 2. 


gewieſen find, noch Beadtung, die Jugend macht von dem ihr 
u Ir wenngleich oft angetafleten Botrechte Gebrauch, gleich 


icblichen Kindern Floras in voller fFarbenpradt zu 
erſcheinen. 
Wem Mutter Natur ein hübſches ANrvchen, einen 


elaftifhern Gang und aud das dem Temperament inne -· 


wohnende Sprübfeuer des Geiſtes gegeben, mag ſich, 
ohne gerade auffallend zu erideinen, die berrichende 
Mode zu nutze machen; entſchieden unſchön würde jel- 
bige aber in all den Fällen wirken, wo eine weile 
Beſchränkung acboten, alles Auffallende verboten if. 
— Unendlich viele Mobedamen find in dem Vorurteil 
befangen, alles, was neu if, müfle nachgeahmt werden. 
Mehr ald auf einem anderen Gebiete gilt in Modefachen 
das Wort: „In der Beſchränkung Liegt die freiheit!“ 
Die in grofen Garreaus gehaltene, damenbrettartin 
emuflerte Robe, bie die hohe, manere Figut trefflich 
teidet, läßt die Meine, zum Gmbonpoint neigende 
neradezu lacherlich ericheinen ; dasfelbe gili von den grok« 
geblümten, damaffierten und im Zapifieriegenre aehalr 
tenen Stoffen. Ghangeants, matlabgetönte Wolljtofte, 
mit feinen Pleins durchflidte Gewebe, die allenfalle, 
um ber berridenden Diode gerecht zu werden, mit bun« 
ten Schleifen oder Spitzen gepuht kin tönnen, find für 
feine (Figuren verwendbar, 

Weihe broihierte Stleider erfreuen ih namentlich 
bei den in Sommerfriſchen weilenden Damen fteigender 
Beliebtheit. Wer auf nrößere Eleganz Wert legt, er 

änzt den weiiten durchſichtigen Uederwurf durch ein 
Freier Unterlleid, eine farbige Schärpengarnitur, zu 
der dann die den Hut gamnierende Blume ober Feder 
paflen mu. 

Tas Reueſte in diefem Genre find 5 Meter weite, 
durdiwen in AriihGuipüre geftidte Nöde, die wie bie 
Bauernröde gefaltet, doch an der rechten Seite derart 
nerafit find, als ob fie da in dem Stoffbauſch eine Art 
Greichen aſchchen bildeten; dazu runde, gleichfalls durch · 
weg gneflidte Taille, mit handbreitem Gurt abſchließend, 


halblange Aermel, die, oben kugelförmig eingeleht, mit einer 


Spihenruſche umrandet find, 


Trachten der Zeit. 





x \ Jene mit diverfen 
\ 


685 

Ein — — zwiſchen dem drapierten Ueber · 
wurf und dem glatten Bauerntock, der jeht als 
Uniform aller Modedamen zur Geltung kommen 


fol, ift der in ber Se 1 ſtigierte jehr Meidfame 

Jupon gree. Unjer Modell it aus damoisfarbe- 

nem Hafimir gefertigt, vorn gefaltet, zu beiden 

Seiten der Pliffees mit ſchwarzen Samtrofetten 

aepuht; der in Art der griechiſchen Eunifa gefertigte 

Ueberwurf ift mit 6 dbaumenbreiten Samtbändern 

bejeßt, da, wo er an den Hinterblättern aufſchlägt. 

mit Faille gefüttert; die Rückſſeile flieht wie ein 
fächerartig nelegtes dreiediges Tuh aus, ift aber 
mit dem gelrauften Borderrod in einem geſchnitten. 

Dazu runde Blufentaille, wie ber Rod vorn gefaltet 

und mit Rofetten garniert, — Na hinten zu ger 

puffte Röde find wenig beliebt; man ift endlich zu 
der Eiuſicht gelommen, daß das unnatürliche Ge- 
bauſch abgeſchmadt, denn ſchön zu nennen iſt. 

Auch die Taillen ſollen, wie es ſcheint, einer gründ» 

lichen Reform unterworfen werben, Die zwölf- 

und ſechzehnteiligen Fiſchbeinmieder weichen den 
ſich ohne jede Beihilfe von Stahl und Walfiſch 
gräten gut anſchmiegenden runden Leibchen, die 
durchweg in Qualfchfalten gelegt, oben mit vier 
facher Ruſche, unten mit Gurt und Banb« 
maſche abgegrenzt werben. 

Duhenden Knöpfen ge · 

ſchloſſenen Taillen, Die oft eine wahre Geduld 

\ probe vorausfehten, weichen allgemach den jehr 

praftiihen „Zweilnöpfern". So zum Beilpiel 
das tebte legere Jädchen, daß auf ber 

| Bruft dur ziori goldene Doppelmöpfe, am 

Taillenſchluß durd zwei von innen befeftigte 
aehalten ift, Die obere Anopfgarnitur erfekt 
die Broſche, bie gefätige Kane des Etoffes 

1 jede Schleife oder Brufigarnitur. 

’ An fühlen Tagen treten die Umbänge und 

| Paletots wieder in ihr altverbrieftes Recht. 

— Die neueren Paletotformen (zumeiſt aus 

/ Kwarzem Faille oder ſchwerem Rips gefertigt) 

/ nd, wie Fig. 2, vorn mit Shawlenden geſchnit ⸗ 
ten, hinten pliffiert, reich mit äheniuefranfen 
oder Spiken garniert. 

Zu eleganter Beſuchttoilette, die halb 
fommer-, halb herbſtlich aus Samt und 
Spiten gefertigt ift, empfehlen ſich die fangen 
Kalades aus Eamt, die (Fig. 3) vom ausein · 


ander geben, um das mit Be narnierte leid ſehen zu 
laſſen; auf der Taille ſieht man 


aft nur bie vorderen Geiten« 





Dig. 0. 


Big. 8. dig. ?. 


teile, da die Bruft mit breit gelegten Spitzen drapiert iii; Aermel 


aus durchſichtigem Stoff, edige Tafhengarnitur mit breiten Spihen. 


686 


Negenmäntel wird man in biefem Jahre zumeift anliegend 
mit gefaltetem angelehten Rod tragen; fie werben aus Water 
proof und geblümten oder Tricotſtoff gefertigt, in ber Art ber an» 
liegenden Jadens gejchnitten, die Müdenteile mit langen, bis 
um Saum reidenden Fradſchößen, benen ringdherum, bie 
gur umbillend, ein plijfierter Rod, der vorm zu fmöpfen ift, 
untericht wird. 

Die neuen Hutmodele zeigen hohe Köpfe, breite, feitwärts 
aufgeſchlagene Krempen, reichen Federſchmud. Recht apart find 
die aus degradierten Pfaufedern gefertigten Phantafie-Nigreites, 
die freisförmig um die Meinen Tyedergeitede garniert werden. 

Morgen- und Theaterhäubchen fieht man viel mit ſchmalften 
Bandihlüpfen, die nah Hunderten zählen, garniert. Fig. 4 
veranſchaulicht die jeht jehr beliebte syorm Benetia, die jogar 
von ganz dee Frauen petragen wird; ältere Damen bevor« 

t 


jugen mehr die hinten mit fächerartig gelegten Schleiertüchern 
endenben Goiffuren. 

Wenn ſchon die englijche Mode, die leider bis oben hinan 
jugefnöpft ohne Fragen zu tragen, allgemein angenommen wor» 
den, macht ſich doch bei all denjenigen Damen, bie fi auf das, 
was fleidet, verfteben, der Wunjd geltend, die weißen, das 
Mleid offen erſcheinen Lafjenden Lingerieen nicht zu entbehren. 

Ich will verſuchen, eine Serie reisender Spitzen ⸗Fichus und 
»Jabots, die ich dieſer Tage bei F. Bollarth (Wien) ſah, zu flig« 
sieren. Da beipielaweife ein aus echtem Tüll gefertigtes Jabot 
Louis Quinze, das wie ein breiediges Tuch geidnitten, mit 
der breiten Seite an ber hochſtehenden Halsrüfche feftigt wird; 
breite Point-Wiguille garniert das Tulltuch ringäherum; am 
Zaillenfhluß ift die Spihe übereinander geihlungen und wie 
oben am Hals mit einer Blume befeftigt. ig. 5 ſtellt einen 
breiten Spikenfragen dar, deſſen oberer Zeil aus einer aufwärts 
und einer abwärts gefehten Spike beiteht, unter der Ichteren ein 
fingerbreiter Einfah, dem eine plilfierte Bajadereſpitze angeſeht if; 
das Jabot befteht aus gleichartigen, terrafienartig — 
Spitzen, zwiihen deren Falten Phantafieblumen angebradt find. 

Gine reizende Stompofition ift der in Fig. 6 fkiszierte Hald« 
ftreif der den in Weiß felten zur eltung tommenden Offiziersfragen 
darflellt. Sranen und Jabot find aus einem geſchnitten; bem 
ungefähr 1, Meter breiten, dicht gefalteten weißen Batiftftreif, 
der den Aragen bildet, iſt da, wo die Plifiees ausfallen, eine 
breite Balencienne angefeht, die in dieſem Arrangement ebenfo 
trefflich Meidet, wie einfad und elegant ausfiebt. SKompfizierter 
tft Die in Fig. 7 Äfiggierte gewundene Schleife, die eine Ber- 
bindung von Spiten, Cröpe lisse und Spihenftoff barftellen 
und neuerdings wieder mehr ald die Weſtenfichus und gezogenen 
Lahzteile getragen werben. 

Es gibt konfervativ gefinnte Damen, die Jahr ein Jahr 
aus nidhts von neuen Kleiderformen, auffallenben Stoffen xc. 
wiſſen wollen; auf ihre Spiben und MWeihftidereien legen fie 
aber einen bejonderen Wert; an dem ſchmalen weißen Streif, 
der den Halsausjhnitt, den Wermel umgibt, foll man, wie fie 
meinen, wenn auch nicht die Modedame, dod die Dame comme 
il faut erfennen. — In der That müßte diefen Weihwaren, 
die mehr noch wegen ihrer Kleidſamleit und buftigen Friſche als 
ihrem Werte nad die Xoilette heben, eine größere Beachtung 
geſchenkt werben, als bies feitens der — derjenigen, die 
elegant aufzutreten meinen, geſchieht. — Wer ſich auf Spitzen ⸗ 
technit und ſtilgerecht außgeführte Stidereien verfteht, weiß, 
jenen oft unbeadhteten Aula enftänden ein poetifcher Zauber inne 
wohnt, der ſelbſt die einfachjte Toilette vornehm erjheinen läßt. 


Beitgemäßes aus Küche und Haus. 
Von 8. von Vröpper. 





September. 


Yralienifhe Wahtelpafteihen. Man gebe etwa 
achtzehn ſehr rein gepuhte Wadhteln, mit einer in bünne Scheiben 
aelchnittenen Zwiebel, Salz, ein wenig Pfeffer, zehn Wachholder- 
beeren und Is kg Butter in eine Kaſſerole und laſſe fie zugededt, 
eine halbe Stunde langiam dämpfen, während man einige Eß 
Löffel guten Rotwein daran gieht, dann thue man alles zufam» 
men in einen großen Mörfer und ftoße es fehr fein; vermiſche 
nun einen Teller voll Polenta mit Us k friiher Butter, zwei 
Eiern, zwei Gidottern umd drei Ehlöffeln geriebenem Parmejarı- 
täſe und rühre e8 eine halbe Stunde; befireihe Heine Paiteten« 
förmchen mit zerlaffener Butter, gebe in jedes einen Eßlöffel von 
der Polenta, dann ebenjoviel von der Fleiſchmaſſe und wieder 


£, von Pröpper. Feltgemäßes aus Küche und Baus, 


einen Loffel Polenta und bade die Paftethen bei g:linden Fam 
eine halbe Stunde, jtürze jedes auf ein friſches Treigenbi 
drüde einige Tropfen Gitronenjaft darauf und fervir ges 
Die Freigenblätter oder, in deren Ermangelung T ä 
werden vor dem Gebraude eine Weile in friſches Wafler er 
und bernad nut abgetrodnet. 

Zur Polenta nehme man groblörniges Maismehl => 
rühre davon, mit einem großen Rübrlöffel, jo viel in 

etwas gejalzenes Waſſer daß fih ein loderer Brei bilde, vr 
das Maismebhl gebt im Hohen ſeht auf, brennt aud leicht a 
weshalb man eB beftändig kräftig rühren muß und fein zu Karls 
—— aben darf, und fo rührt man fort, etwa eine Sumd- 
tunde lang, bis die Polenta fo did und feit ift, daß man nıh 
mehr rühren kann und I fie jeht auf eine Schüſſel 

Wil man die Polenta, Nationalgericht der Ytaliener, Has 
gs des Volles und ein Lieblingegericht yriedrids dr 

roßen, als felbftändige Schüffel geben, fo beftreue man Kr 
unmittelbar nad dem Stürzen, biht mit geriebenem Varrariet 
täſe, übergieße fie mit brauner Butter und ſerviere fofort, m: 
Belieben nody mit einer Beilage, Stinfen, Wurft oder des! 
Friedrich der Große liebte fie beionders mit gebratenem ul. 

. Dafenpaftete, die nidt gebaden wird. Dian mv 
einen {Hönen, jungen, geipidten Haſen in Butter recht jaftig vr 
nicht zu gar und fchneide, wenn er erfaltet ift, das Fleiſ d 

iemers im fingerdide, fchiefe Scheiben; nehme dann Ink ar 
ratenes ſtalbfleiſch, das Fleiſch von den Hafenichlegeln, 17% 
in Waſſer angelochte, dann in Yutter gebämpjte Zwicheln, at 
Sardellen, einen halben Eßlöffel gewürztes Salz, die Abſchane 
von 60g getrodneten und in Rotwein und Wafler recht ws 
getochten Trüffeln, hade alles zufammen und ftoße e# dexzd 
mit 125g recht friſcher Butter recht fein, ſtreiche es durd «ir 
Sieb, gebe davon zwei Ouerfinger hoch in die Pafteten-Terws 
und brüde es möglihft feft ein, darüber Iege man von den 
——— dicht aneinander und Scheibchen von ben or 
ochten Trüffeln und mwechäle fo mit den Sagen ab, bis bie Tr 
rine gefüllt, oben mit Farce geſchloſſen und alles gut eingerräf! 
und die Pajtete nun ganz fertig ift. 

Gebratener Hedht. Man ziehe einem fhönen grad 

cht die Haut ab, fpide ihn über den Rüden bin * 

ed und ftede den Schweif in den Rachen, fo daß er mm 
Ring bildet, beftrewe ihn mit fein geftohenem und gefiebtem Bet 
brot, laſſe in einer Bratlafierofe reiylih Butter heiß werden wi 
tege den Fiſch mit ein paar Gitronenfheiben anf den Baus 
hinein, begiehe ihn fteikig mit der Butter, thue zuletzt jaut 
Rahm und reichlidh Kapern daran und richte ihm, mit fein 
Sauce umgeben, an. 

DOftindifher Reit. Dan koche 1z3x gut gewajſchenen 
beiten Rarolinareis in reihlih Waller weih, doc jo, dak ?" 
Körner ganz bleiben, gieße ihn dann auf einen Geiher und taft 
ihn falt werden; doche unterdefien I,k Quder mit einem ftarter 
1,1 Wafler, bis er Füden zieht, gebe ihn, wenn er eimas a‘ 
faltet ift, unter den Reis und danach ein Glas Arak oder Rum, 
vermiſche es gut und menge zuleht eingemadhten Ingwer, i* 
großen Würfeln geichnitten, hinein und richte in einer Shalt 
an, Der Neis darf nicht zu fteif. fondern ſoll mehr mudc 
fein, und wenn man Ingwer nicht liebt, jo kann man 
deſſen Succade oder eingemadte Dielone nehmen, aud bie Schal⸗ 
noch mit eingemachten Aprikoſen garnieren, aber das eigentüm · 
lie dieſes Nationalgerichtes geht dann doch verloren. 

‚ Quitten»Baijers. Man foce einige Quitten in Waftt 
weich, ſchale fie und reibe das Blei auf einem Reibeilen ad, 
wiege 375 g davon und thue es in eine Schüffel; fiebe dann 1, k 
feinen Quder, ſchlage ſechs Eiweiz zu Schnee umd gebe mir 
einen Ehlöffel Schnee und einen Ehlöffel Juder an das Quitten 
marf, rühre dies eine Weile, gebe dann wieder einen Ehlöfft 
von jedem hinein und fahre fo fort, bis Zuder und Schnee auf“ 
gebraudt find; füge nun noch die abgeriebene Schale und det 
Saft einer Fitrone hinzu, fehe Meine Häufchen auf weißes Pa 
pier und trodne fie langfam im einem fehr fühlen Dim 
(Röhre), der offen ſtehen muß, denn die Baifers müfen hat 
fein, aber weiß bleiben, — Sehr fein. 

Schwarzbrottorte Man röfte 125g Schwarjbrot und 
ftoße es fein, —8 «8 mit etwas rotem Wein am und laſſe # 
ein wenig antrodnen; rühre dann zwölf Eidotter mit 33 
fein geriebenem Zuder eine halbe Stunde und füge U, k fein 

eriebene, nicht abgejonene Mandeln, etwas abgeriebene Eitronen» 
ale. etwas zu Würfeldhen gejchnittene Succade, fein geftobenet 
Zimt und Gewürznelten, das Wrot, einen kleinen Guk Are 
und zulekt den Schnee von zwölf Eiweiß hinzu, bade die Tori? 
etwa eine Stunde lang und ftreiche, wenn fie erfaltet ift, folgen" 
den Guß darüber: Dan rübre 125g geliebten Zuder mit einem 
Giweiß recht lange und dann 30g fein geriebene Schololade 
etwas Gitronenfaft und auch etwas Araf daran. — Schr gu! 


und fräftia. 
Man koche nd Ghotolade und 158 


Wein-Shololade. 
Zuder mit einer halben Flaſche gutem weißen Wein, verktapft 


jrvei Eidotter mit etwas Wein und gebe fie an die Schofoladt, 





auirle dieje bis zum jervieren und laſſe fingerlange und finger 
dide geröftete Weißbrotſchnitten, als Scheiterhäufchen geordnet, 
dazu reihen, — Bejonders an falten Herbfi- und Winter 
tagen, ſehr angenehm. 


Praktifhe Hausgeräte. 


Neue Plätt» oder Bügelpfanne (Syflen Steffens). 
Der voritehend felzzierte neue Apparat ermöglicht es zu jeder Zeit, 
wenn Feuer im Kochherde tft, alfo ohne befondere Syelzuorrich- 
tung, gleichzeitig vier Plätteifen in ganz kurzer iu — eliva 
10 bis 15 Minuten — plättrecht zu erwärmen: dieſelbe wird in 
die Herdplatte eingehängt und erſetzt den wwejentlid teureren 
—— en, der eine beſondere erung, ſowie Abzugsröhren 

edingt; die hierzu gehörigen Plätteifen find, wie beim ſchwedi ⸗ 
ſchen Plättofen, ohne Stähle oder Bolzen, und fünf folder Eiſen 
nenügen, um zwei Plätterinnen unausgejeht befhäftigt zu erhalten. 
Die neue Plättpfanne ift ein wirklich nühlicher Apparat, wie das 
Cohnſche Magazin in Berlin bereits deren mehrere bier mit 








Reue Plätt- oder Dügelpfante. 


Erfolg eingeführt bat, fie erſpart die Koſten des — 52 
und die nicht minder koſibare Zeit, iſt in der — auber 
und wenig umftändlih und der Preis von 6 Dark ermöglicht 
deren Beſchaffung aud Meineren Haushaltungen. Der Apparat 
it ca. 2355 mm hoch und bedarf für den Herd eines Raumes 
von ca. 240 mm, Die Plätteifen werden in jeder gewünſchten 
Anzahl geliefert und haben eine Yänge von ca. 155 mm, eine 
Breite von ca. 100 mm, eine Stärke von ca. 52 mm und ein 
Gewicht von ca. 2,75 kg; der daran befindliche Holzgriff macht 
die Handhabung zu einer bequemen. Der Preis eines ſolchen 
Eifens ftelt ih auf 4 Marl, jedoch fünnen auch ſchwerere und 
größere Eiſen zur Plättpfanne benuhl werden, 
Schinfenbeutel und Trleiihneh. Cine fleine Bor 
richtung aus Gaje gefertigt, welche man in der Speilefammer, 
oder außen an dem Fenſſer, oder 
wo es ſonſt paßt, aufhängt, um 
dem Inhalt Yuft zuzuführen und 
denjelben vor Fliegen zc. zu 
ſchüthen. — Der außen befind» 
liche verzinnte eiferne Hafen dient 
— Anbängen des Beutels, der 
nnen befindliche zum Anhängen 
des Schintens oder dergleichen. 
Unfere Skijje zeigt nun das 
rleiichne mit einem hängenden 
Iellereinfak verfehen, auf mel 
em der Teller mit der Fleiſch⸗ 
ineife ſich befindet; die eritere 
Nusführung ohne Tellereinjah 
foftet 3 Marl, die Ichtere 5 Mar. 
Die ganze Vorrichiung nimmt 
geringen Naum ein, hat eine 
öbe von ca. 42 cın und einen 
urchmeſſer von ca, 38 cm; fie 
erfeht einen Meinen Fliegen ⸗ 
ſchrank, ift beauem zuſammen ⸗ 
zulegen und aufzubewahren und 
in ber a figerlid) 
von großem Nuben. 


Schintenbeutel und Fleiſchnet fin. yaieiniihe Schaukel— 





adewanne, Die Schau 

— elſin » Badewanne iſt im Fuß ⸗ 
peftell mit eiſernen Schienen verſehen und hat eine ſchaukelattige 
Anordnung nad Arı des Schaufeljtubls; fie dient in gleicher Weile 


Praftifche Gausgeräte, — Der Photorevolver. 


687 


fir Erwachſene wie für Alnder, ebenio für ſchwache und franfe 
Perſonen, und ber Aufjih, den man mit rg dh und 
niedrig ftellen Tann, ermöglicht es, ohne jegliche förperlihe An« 
ftrengung ji in bie Wanne bineinzulehen und diefelbe in g 
Weiſe ohne Umftände zu verlaflen. Man rubt in der Schaufelfik- 
Badewanne bequem wie in einem Seſſel, Rüden und Oberförper 
finden in natürlicher Lage an der Nüdlehne ihren Stüßpunft, 
und dad Emporbeben oder Aufftühen des Körpers dur die 
Aerme fommt in Wegfall, vielmehr ftühen allein die Yüße den 
Badenden beim Ein» und Husfleigen. Der Badende verliert 
niemals die Gewalt Über feinen Rörper und fann feine Dage 
ftets, wie er es wünfdt, ändern, ſowie durch Borneigen bei 
Dberförpers die Schautelfih- Badewanne fo flellen, bak «ER 
ohne Hilfe aus derfelben, wie von einem Stuhl, erhebt. Die 
Konftruftion des Aufſthes verhindert jegliches Ueberſprihen des 
Waſſers auch beim Schaufeln, während dieſe Manipulation 
anderjeit® die Rörperteile nad Belieben des Badenden befpillt. 
Hände und Arme bleiben bei Benubung biefer — —— 
wanne vollſtändig frei, und man fann, wenn erforderlich, wäh ⸗ 
rend des Badens die Körperteile nach ärſtlicher Unorbnung 
waſchen, beſprigen u. ſ. w. Der Berbraud an Waller if ein 
ungewöhnlich geringer. 

Diefer nühlihe Apparat hat am Auffik eine Höhe von ca. 
50 cm, an der Nüdichne gemeſſen von ca. 75 om und eine 
Breite von ca, 47 cm, Borrätig tft die hygieiniſche Schaufel» 
ſij · Badewanne (ebenfo wie die anderen erwähnten Neuheiten) 
im Magazin bes tönigl. Hoflicferanten E. Cohn in Berlin SW, 
Veipzigeritraße 88, und fofter dajelbit 25 Marl, Die Ber- 
padungstoften beiragen 3 Marf. 


Der »Xhoforevolver. 


Unſern Leſern find fiherlih die faunenäwerten neueren Grs 
rungenichaften der Photographie nidt unbefannt geblieben. Eie 
wiſſen, das es mit Hülſe der jogenannten Trodenplatten gelang, 
galoppierende Pferde, in voller Fahrt beariffene Schnellzuge, ja 
den Flug der fo neihwinden Taube photographilih zu firteren, 
und daß man hofft, aud bie unenblid; rajchen Flünelbewegungen 
der Injelten auf demſelben Wene in ihre Beitandterle gerlegen zu 
fönnen. Sie wiſſen aud, daß zu diefen Aufnahmen unter günftigen 
Umftänden ber unfaßbar geringe Yellraum von Us Sekunden 
genügt, und daß Diefes Aukerft raſche Arbeiten des Sonnenlichts 
aud unbedingt erforderlich ift, weil die Aufnahmen fonft uns 
deutlich würden, 

Legt doch beifpieläweije ein Jagdzug mit 75 Ailometer ſtünd · 
tier Fahrt in ber Schunde 21 Dieter zurüd, jo dab er fid in 
der oben erwähnten Grponierungszeit um ctwa 21, Gentimeter 
fertbewegt! 

Zu diefen Augenblidsaufnabmen dienen neben befonders 
gebauten, ſich fonit aber von den gewöhnlichen Aukerlih kaum 
unterjcheidenden pbotographiiden Apparaten, jogenannte photo» 
nraphiiche Gewehre, mit benen man nah bem auizunchmenben 
Gegenitande, 3.8, einem Bogel, zielt, Diele Gewehre nehmen 
indelien viel Naum ein und find ſchwer unterzubringen, abge 
fehen davon, daß der Zräger Gefahr läuft, von übereifrigen 
selohütern, Denen Falbots ſunſt ein Bud mit fieben Siegeln 
geblieben, wegen nıdıt vorhandenen Jagdſcheins gepfändet zu 
werben, 

Air ziehen aus diejen Gründen den neuerfundenen Pho— 
torevolver von &, Emjalbert in Paris vor. Der Lauf 
dieſes fh Aukerlih von einem Revolver fauın unteridelbenben 
Apvarales enthält ein winziges Objeltiv, weldes fih nad Be» 
licben verriden lükt, in dem eriten Ringe liegt die flamera, 
und es iſt in dem zwetlen Ringe eine Anzahl Frodenplatten von 
vier Gentimeter Flaͤcheninhalt untergebradit, welde nacheinander 
vor das Objeftiv treten, wenn man den Driider unten in Thätig» 
feit verieht. Der Hahn oben hinter der Plattenlammet dient zur 
Feſiſtellung des Ninges während der Aufnahme. 

Die Bilder find allerdings wegen des geringen Imfanges 
an ſich faum verwendbar. (Fa ift indelien ein Leichtes, diefelben 
zu Haufe mit Muße jelbft zu vergrößern oder von einem Photos 
srapben vergrößern zu laſſen. 

Es leuchtet ein, daß ein folder, bequem in dee Taſche zu 
tragender Apparat Militärs im Tyelde, Reiſenden und Touriften, 
Beitungsberichteritahtern, Sünitlern, die Be eine hübſche Ecene 
oder eine Landſchaft ſeſtzuhalien wünſchen, höchſt ſchatbare 
Dienfte leiten kann 

Nur ihut man wohl, beim Zielen nad) Menjden, den Pho- 
torewoluer mit einem Tuch zu bebeden und ibn baburd einem 
feinen Fernrohr ähnlich zu machen. Sonſt denten die Leutchen 
es teachte ihnen ein Räuber, wenn nidt nad dem Leben, jo 
doch nad dem Geldbeutel. und man jeht fib Unannehinlichkeiten 
aller Art ous Go, m 

87 


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688 


Zweiſilbig. 
Gib nur erſt die erfte der Silben — 
Die lehte an Macht wirkt du werden: 
Das Ganze kann dir verleiden 
Den jhönften led auf der Erden, 


a3 Bum Kopf:-Berdrecden. 2» 


Silbenräffel. 


au, d, dl, du,e,e,e,er,er,en, fü, fr, ge. au, br, 
in, in, it, ma, rd, rt, rch, s, t, te, wi, wo, we, nn. 
Aus den obigen Buͤchſtaben und Buchftabenzufammenftellan 
laſſen fih 12 Wörter bilden, weldye eine befannte Stebe aus 
oethe ergeben. 


Sabprintb: Preis: Mäffel. 


Bei den jüngiten Ausgrabungen auf klaſſiſchem Boden ift aud das Fundament eines Labyrinths aufgefunden worden, das 


in der Relonftruftton eines unjerer eriten Ardäologen etwa nachfolgenden Grundriß zeigt. 


Bis gelang es feinem Grlchrten, 


1 
den Weg durch die verihlungenen Gänge zu finden, und wenn die Wanderungen nidt bloß auf Ts Papier ausgeführt worden 


wären, würden die Herren zweifellos einem erſchredlichen Hungertode verfallen fein. 


Wir unterbreiten nun unferen rätjelgrübten 


Veſern den Grundriß, und um ihnen die Mühe zu verfügen, ſtellen wir auf die Löfung des Rätſels nachſolgend verzjeihpnete Prefie 
He Bedingung müffen wir es aber maden, daß der verehrlide Herr Löfer die drei von moderner Hand mit Rebuffen gejierier 


enen Felder in richtiger Neihenfolge nadeinander durchſchreite. 








Imnnmie 






































— — 5 



























































= 








J 
* 


Das Labyrinth -Preis ⸗· Ratſel wird nochmals auf dem Umſchlage des erſten Heftes zum Abdruck gebracht werden, damit ?# 
den Löſern möglich wird, die Lößung in das Labyrinth einzuzeihnen, um es dann ohne Schaden für das Heft herauszunchmen 
und an uns einzufenden. Das Refultat der Verlooſung wird im dritten Heft befannt gegeben. — Alle Ginfenbungen, die bis zum 
1. November eingehen, finden Berüdjichtinung. 


Preife: 1. Preis: alle, Hellas und Rom (Prahtwerf, M. 70); 2. Preis: Alein und Thomé, Die Erde und ibr 
organiſches Leben (2 Bde, M. 33); 3. Preis: Falle, Ilujteierte Koſtilmgeſchichte der Kulturvölter (M. 28); 4. Preis: A. v. d. Elbe, 
Seliandfänger (M. 7); 5. Preis: 5 Bände der Collection Epemann nah Wahl; 6. Preis: 3 Wände desgl., ebenfalls nah Wahl. 


Rätſel. Auflöſungen zu Heft 11, 5. 576. 

Du muht, willſt du mein Wort erſchau'n, Sifbenräffel:: Dortmund, Nachtlager, Mailand. — Berfeh- 

Did rätſet: 1. Ur, Uhr; 2. Orkan, Noran; 3. Schachtel, Adtel; 
4. Donar; 5, Sur, Zeus; 6, Dder, oder; 7. Schill, Schillet; 
8. Nashorn; 9. Donau; 10. Atlas, Salat; 11, Taurien, 
12. Auerbach. — Bebus: Macht geht vor Recht. — Stern 
arithmogryph: Vaſe, Oboe, Möwe, Fuge, Erde, Loge, Eapr. 
Joe, Ulme, Mode, Mole, Ente, Elbe, Rabe: Vom Fels zum 
Mer, — Biofinfhlüffefräffel: 


zur Himmelshöh” den 

erheben ; 

Und ſtellſt du feine Zeihen um, o Menſch, dann iſt's das 
Erdenleben, 


Derfebräffel. 


1. Meine Gewäſſer verbinden zwei vielbefahrene Meere; 
Gibſt bu für „Fi“ mir ein „M”, führ ich befonderen Saft. 
2. Schreibt du mit .r“ mid, fo rag ich empor in tlirfifchen Yanden; | 
Schreibt du mid aber mit „n*, rag ich im deutichen Gebiet. | 
Wandle das „o* in ein „e* im Namen des großen SHellenen:; | 
Ziehe, ein deutfcher Poet, ber in der Freinde veritarb, 
. Dres Zeichen nur zählt das Lied voll hoher Veneiiterung ; 
Noch ein Zeichen, es raufht als germaniſchet Strom, 
. ib dem Sohne der Alpen, dem Tuftinen Vaſallen der Drave 
Noch ein Zeichen, er wird in der Oftwelt —— Etrom, 
Labe dich froh an den Ickten, dod nie neniehe das Ganze, 
Möoͤchleſt fonft werden, mein Eohn, was die erite Deiagt. 





Ya aethikEmeg era tems 


Pudfkadenrätfel: Freitag, Brod, Baucit, Baljac, Floh, Feb, 
Ada, Bug: „Treulih gelihret jiehet dahin“ (aus Lohengrin), 
„O du mein holder Abendftern" (aus Tannhäuſer). — Mälfel: 
<traub. 


[= u 2 


= 


Shah. — Dr. Karl Ruß. Naturanftalten In der Häuslichfeit. 


Schadanfgabe Ar. 8 


von Fr. Dnbbe in Roſtock. 
(Sdwarz.) 








Weiß.) 
Weiß zieht an und feht in vier Zügen matt. 


Scahaufgabe in Typen. II. 
Bon D. Iesperfen in Hiortlumd, 


Weiß. Kh4. Täl, g5. Lhl, h8. Sf6, f8, Be5, g3. 


Schwarz. Ked. Ld4. SoT. Be4, f5, h2. 
Weiß zieht an und feht in zwei Zügen matt. 


5chachparlie Air. 3. 
(Faltbeer-Gambit.) 


, Diefe Partie, welche ſich namentlih durch den überaus 
glänzenden und unerwartet rapiden Schluß ausjeihnet, wurbe 
zu Breslau in der erften Hälfte der Goer Jahte von Meifter 
Anderfien genen einen feiner talentvolliten Schachſchüler, den 
jetzigen Proſeſſor Rofanes gejpielt. 


I. Roſanes. wnoiye Ünheefjen 
Weiß. chwarj. 
1.0o27- ei eT—eb 
2.12 — fi drT—d5 
3. et — d3: e5 — 44 
4. L/1-b: + ceT — c6 
5.d5 — ch: Sb8B — 06: 
6. 8b1 — cd Sg8 — 6 
7. Dali — e2l LIsS — c5 
8. 803 — e4: Rochiert. 
9. Lb5 — 06 b7T—c6: 
10, d2 — d3 Ti8— es 
11.Le1— d2?2) Sf6 — et: 
12. d3 — o4: Le8- fs 
13.04 — 05 Dds-— be 
14. Rodiert 9) Lc5 — 44 
15.02 — oc Tas — b8 
16. b2 — b3 Te8 — ds! 
17.85g1 — f3 5 Dbe — b3:! 
18, a2 — b3: Tbs — b3: 
19. Ld?2 — el Ldi—e3+ 
20. beliebig. Tb3 — b1 matt 


Grläuterungen: !) Vorzuſiehen war 42 —d4. 23 In 
Betracht fam Los — f5. 9 Die RMochade ſcheint alles ficher- 
zuftellen, man beachte aber die Schnelligkeit, Eleganz und große 
Feinbeit, mit weldger der Rachſiehende den Gegner überwältigt. 


Sifuxe von Wr. 7. 


1. Les — 44 e4 8 
2. La4 — 02 16 — e4: 
3. Te3 — c3: beliebig 


4.12 — e3:, Te3 — f3: matt. 


ss ze esse 


689 
Dafuranfalten in der Häuslichkeil. 


Dr. Karl Auf. 





3. Stubenvögel, Allgemeines. 


Viel weiter verbreitet und viel tiefer ins Bollsleben ge- 
drungen, als man anzunehmen pflegt, ift die Liebhaberei für die 
Stubenvögel im allgemeinen. Wie jollte es auch anders jein — 
worin lönnte der Großftädter zwiſchen den ftarren Mauern einen 
Erſatz für die Naturgenüffe, welche er entbehren muß, anmuten ⸗ 
der und befriedigender finden, ala im NYubelliede feines hodh« 
begabten Lieblings, als in dem jyamilienbilde, weldyes ein Pärden 
geitderter Gäjte vor feinen Bliden entfaltet?! Nicht minder 
wertvoll zeiat fi) der Vogel ala Stubengenofje für den Sand» 
ee denn eimerjeits ift ein folder als Hausfreund und 
Genoſſe aud für den allerärmiten Dann zugänglih und ander« 
jeits hält ber Vogel in Gejang, — und Bewegung auch in 
der rauhen Jahreszeit gewiſſermaßen ein Stücchen te ar feft, 
welches er feinem Pfleger um jo wohlthuender entgegenbringt, je 
eifiger es draußen ftürmt und ſchneit. Darin alſo ijt die Nei« 
gung für die uns umgebende gefiederte Welt tief begründet. 

Es iſt förmlich rührend, zu jchauen, mit welder innigen 
Liebe der einſache Handwerter feinen Fink, feine Meiſe oder feinen 
Zeiſig verpflegt, mit weldyer Aufopferung dieſer feinen koitipieligen, 
edeln Serbtierfrefier, einen Sänger eriten Ranges, Nachtigall, 
Sprofier, warjplältden u. a, hält, mit weicher fait krampf ⸗ 
haften Sorgjamfeit jener feine feiniten Harzer Kanarien über« 
wadht, mit der einer den Lieder pfeifenden ‚gelernten‘ Gimpel be= 
wabrt, der andere ein Pärchen kleine Pradtfinten zu züchten fucht, 
der dritte eine ganze Vogelftube mit allerlei tropiſchem Gefieder 
unterhält, der vierte einen ſprachbegabten Papagei eingewöhnt 
und dann abridtet u. J. w. 

Selbftverftändfih muß ich in diefen Anleitungen die ganze 
— 7 aller folder Neigungen berücſichtigen und aljo dem 
mannigfaltigen Geihmad auf diejem weiten Gebiet nad allen 
Seiten bin Rechnung tragen, und von diefem Gefihtöpunlte aus 
bitte ich zunächſt die folgenden Natichläge fir die Behandlung 
und Pflege der Stubenvögel im allgemeinen beadten zu wollen. 

Bor allem follte jeder, der irgend einen gefiederten Gaſt an- 

uſchaffen wünfdt, Pepe prüfen, welde Art aus der wahr ⸗ 
haft unermehlichen zu Gebote ftehenden Mannigfaltigfeit der eins 
heimiſchen und fremdländifdgen Stubenvögel fi für feine Wer 
hältniffe eignet, bjl. feinen Anforderungen entipridt. Am u 
diefem Ziel zu gelangen, gibt es aber nur einen Weg, das iſt 
das Streben nad möglichit gründlicher Kenntnis der in Betracht 
tommenden Bögel. Die lektere ift au nod von einem anderen 
Gefihtspunft aus erforderlih, nämlich dem, dak wir einerjeit# 
nur dann die rechte fyreude an dem Vogel haben fönnen, wenn 
wir ihn in feinem ganzen Weſen, nad allen jeinen Eigentümlich« 
feiten und Zeitungen bin fennen, und anderjeits, daß wir nur 
dann die Ausfiht haben, ihn für die Dauer am Leben und ge 
fund zu erhalten, wenn wir von allen feinen Bedürfniſſen unter 
richtet find und diejelben nicht allein mit Sorgfalt, jondern auch 
durchaus naturgemäg zu befriedigen vermögen. 

Beim Cinfauf eines Vogels haben wir aber nächſidem not« 
wendigerweile darauf zu adten, daß er vor allem geiund und 
tebenstäbig in unferen Befih gelange und jur Beurteilung feines 
Zuftandes müflen wir ihn daher auf folgende Geſundheits— 
jeihen prüfen. Er muß feine natürliche Lebhaftigleit und wenn 
möglid ein glatt und ſchmud anliegendes, keinesfalls aber am 
Unterleib beihmuhtes Gefieder, klare und lebhafte, nicht trübe 
oder matte Augen, nicht ſchmutzige oder verllebte Nafenlöher und 
feinen ſpitz bervorftchenden Bruftfnoden haben; er darf beim 
Stilfiken nicht furgatmig fein. Abgeſtoßenes Gefieder, fehlender 
Schwan; und beihmußte Federn an verihiebenen Nörperteilen 
find freilich die leidigen Zugaben, welche die Gefangenidait fait 
allen fürzlih eingeführten oder vom gem: fen Vögeln 
gebracht bat; wenn dabei aber alle Gejundheitslennzeihen im 
übrigen vorhanden find, jo dürfen bie erjteren nicht als gefahr» 
ia 7 angejehen werben. 

ine Hauptbedingung für das —— aller Stuben · 
vögel liegt in der zwedmäßigen Einrichtung ihrer Wohnungen. 
Wenn man auf den Ausſtellungen oder in den Berlaufsläden 


' der Nadler die vielem finnlos eingeridteten, ja teilweile jogar 


tierquälerifchen runden polierten, mit unzähligen Schnörfeleien, 
GErferdien, Türmchen u. dgl. ausgeftatteten, wohl gar in funft« 
voller Yaubjägearbeit bergeftellten Käfige fieht und den fyabri« 
fanten Vorwürfe madıt, jo haben fie den wohlbegründeten Gin» 
wand, dak das Publikum diefelben durchaus im folder Weile 
haben will und alle anderen, zwedmäßigeren ungelauft läßt. 
Im neuerer Zeit ift es zwar ſchon etwas befler geworden, denn 
wir haben in den meiften großen Etädten Häfigfabrifen, welche 


690 


rmlid darin wetteifern, zivedentiprechende Bogelbauer ur 
ham ; aber das Beſſere auf diefem Gebiet vermag nur be 
ordentlih langjam ur Geltung zu gelangen, weil einerfeits nur 
zu vielfach das Verständnis fehlt und weil anberfeits leider nur 
au oft das Hubſche dem Zaugliden vorgejogen wird, 

Fin auter Bogelkäfign, gleicviel für melde Bemohner- 
ſchaft, muß vor allem folgenden Anforderungen entipreden. Gr 
biete genügenden Raum, jo daß die Vögel fih ausreichend bes 
wegen fönnen, Bei allem Heineren Gefieder ift dies unſchwer 
zu erreichen, bei großen Vögeln, bejonders Papageien, ift es aber 
faum möglid und man muß daher in anderer Weile, auf die 
id weiterhin zurüdtommen werde, Abhilfe icaffen. Sodann 
halte man an dem Grundſahz feit, daf jeder Vogelläfig eine mög- 
lichſt anſprechende Korn haben muk, wohlverjlanden aber, ohne 
daß er baburd an feiner bequemen Einrichtung Abbruch erleidet. 
Man wähle ſiets einen Häfig, welder mehr lang als tief und 
hoch und oben fanft gewdlbt oder auch vieredig ift. Ausbuch- 
tungen, welde zur Yierde dienen, von den BWögeln aber nicht 
benußt werben fönnen, fondern nur Raum rauben, follte ein 
guter Käfig niemals haben, ebenſowenig Schnörteleien und andere 
derartige Überflüffige Verzierungen. Echmud ift immerhin wills 
fommen, feinenfalls aber darf er auf Koften ber praftifchen 
Prauchbarfeit angebradt fein, Man zieht meiftens Stäfige vor, 
welche ganz von Metall find, dod in gewiffen Faullen zeigen ſich 
auch Holzlafige als vorteilhaft, immer jollte jedoch wenigſtens 
die Schublade aus Binkbled gefertigt fein. Der Eodel jet flets 
möglidit hoc, ‚damit der Vogel lein Futter hinauswerfen und die 
Stube verunreinigen fann. Die Schublade muß leicht ein» und 
ausjhiebbar fein und eine herabfallende Slappe haben, welde 
die Oeffnung verſchließt, wenn fie zum Reinigen herausgenommen 
wird. Die Erferdien oder fonjtigen Räume, in denen die Futter» 
und Wafjergefäße ftehen, dürfen keinenfalls dunfel, fondern müffen 
recht Hell und audy für die ſcheueſten Vögel leicht auffindbar fein, 
Je nach Geihmad darf man ein rundes, maſchiges oder gitter- 
artiges Dradigefiecht wählen, doch ſoll dasjelbe ſtets jo eng jein, 
baf der Vogel nicht den Kopf hindurchzwängen fann, und das 
erftere muß auch ſtets gut verzinnt werden, damit er nicht mit 
den Arallen irgendwo hängen bleibe. Zum Anſtrich ſoll man 
nur Yadfarben nehmen, welche jo feit und glatt antrodnen, daß 
die Vögel nichts davon abnagen fünnen. Dunkle Farben find 
vorzuziehen, weil fie die Bögel beffer für das Auge hervortreten 
lafjen. Die Eikftangen jollen von weichem leichtem Holz, nicht 
aber von Hohe, Hollunderzweigen oder dergleichen angefertigt fein, 
weil in den fehteren ſich nur zu leicht Milben einniften ; fie bür« 
fen nicht zu dünn fein, fondern der Vogelfuß muß fie eben nur 
umſaſſen fönnen, und am beften bringt man für jeden Aäfig 
didere und bünnere zunleih aus friihgeihnittenen Zweigen von 
Shitbäumen, Birken, Buchen u, a. an, welde von Zeit zu Zeit, 
je öfter deſto beffer erneuert werden. Man lege die Sitzſtangen 
nicht übereinander ein, damit die unteren nicht von den oberen 
herab verunreinigt werden lönnen; aud müſſen jie lets zwei bis 
drei Finger breit von der Häfigwand entfernt bfeiben, weil ſich 
ſonſt die Vögel die Ehwänze zerftoßen. Jeder Häfig fei fo eins 
gerichtet, dab er leicht und vollftänbig gereinigt werben fann, 
Die frutters oder Zrinfgefäße feien immer nur aus Porzellan 
oder Glas. 

Nächſidem bat der Vogelfreund mit möglichſter Eorafalt alle 
Einflüſſe zu vermeiden, welde für die Erhaltung und das Wohl» 

edeiben * Pfleglinge verderbenbringend werden lönnen; als 
olche find zu nennen: Zugluft, plötzliche und ſtarke Wärme ⸗ 
ſchwanktungen, Naßlälte, verdorbene, mit Dunſt oder Qualm er ⸗ 
füllte Luft und Unreinlichteit. Wenn ein wertvoller Vogel, ein 
iprechender Papagei oder dergleichen, troß der jorgfamften Pilene 
dennoch erfranft und zu Grunde acht, obne dak man eine Urfache 
aufzufinden weiß, jo liegt diefelbe vieleicht trohdem recht nahe, 
darin nämlih, daß fein Häfig an einer Stelle ftebt, wo die bei 
jedem Oeffnen der Thür aus dem külteren Rebenzimmer berein« 
trömende Luft ihn trifft ; ja es ann ihm ſchon Starken Schnupfen, 
alt» und Lungenentzündung bringen, wenn die Verforgerin im 
inter aus einem ungeheizten Raum fommend raſch herantritt, 
jo daß in der gleihmäßkig warmen Stubenluft plöglidy eifige Hälte 
aus ihren Kleidern ihm entgegenwebt. Des Morgens beim Rein- 
machen der Zimmer droht allen Bögeln, namentlich den zarteren 
Prachtfinken und Papageien, feiniten Aanarien u. a. Gefahr, ohne 
daß die liebevollen Pflegerinnen nur daran denken. Durch dad 
Aufrühren des Staubes, das Wilden und Waſchen und das plöh- 
liche Srfinen der Fenſter werden Naßlälte, Zugluft und Wärme ; 
ihmwankungen hervorgebracht, welche ſchon den Menſchen Under 
bagen, Schauer, Erkältung, Schnupfen u. f. w. bringen und er 
flärlicherweile auf die Tropenvögel erft recht verberblid einwirken. 
Vor dem allmorgentlihen Reinigen und Yüften der Zimmer jollte 
man daher alle Sing. und Echmudvögel ftets in eine andere 
Stube bringen, oder wenn ihre Käfige dies nicht neitatten, die 
—* wenigſtens während deſſen mit dichten Deden ſorgfältig 
chutzen. 


Berlin, Freund & Jeckel, 1884. 








Neue Bücher. 


Im übrigen hat bie Erfahrung längſt ergeben, daß feh «- 
unfere Stubenvögel keinetwens beſo n ders hinfällig find: ben Im 
famer Pflege erhalten fih die einen zierlihen Pradıtfinten vor 
Afrika, Afien und Auftralien zehn Jahre und weit darüber vi. 
aus und gleicherweile die einzelnen Sänger vortrefflich im Kine 
mande Papageien erreichen befanntlich ein Haunenswert bots 
Alter und jelbft von den ala äußerft zart und weihlih ame 
fehenen Bogelgattungen bat es fih im Ichlerer Zeit eram., 
daß fie bei verftändbnisvoller Pflege gar nicht fo leicht fierben. 
mus nur überhaupt gefund und Ichbensfäbig zu uns pr 
angt find. 

Es ift jelbitwerftändfich, daß ih nach Diefer allgemeinen Ui" 
fiht nun nähere Anleitungen für die Pflege der Angböria 
aller einzelnen Vogelgruppen geben werde, und beiläufig ja = 
der Hinweis geitattet, dak ich in denfelben auf die Darftellungs 
in meinem Handbuch für Vogellichhaber” I. (frembländis 
Vögel), II. teinheimiiche Bögel) und in dem größermn 
„Die frembländifhen Stubenvögel“ IV. (Lehrbuch der Etuter 
vogel · Pflege, ⸗Abrichtung und · Zucht), welche beide im Greusisn 
Verlag in Magdeburg erihienen find, Fuße. Wer ſich alio us 
näber über all dergleichen unterrichten will, fei auf bieje Base 
bingewieien. 


Mene Wücher. 


Dichtungen und Balladen von Ernft v. Wildendrul 
Unter diefem nicht ganz glüt 
lich gewählten Titel (find Balladen etwa Feine Dichtungen" 
hat der rajch berühmt gewordene Dramatifer abermals eine wır» 
volle Gabe geboten. Die Heine Sammlung enthält ein jhmung 
voDes und geihidt aufgebautes „mufitaliibes Drama: „Dam“ 
in der Löwengrube* und 12 Balladen, die nicht ale gleihwertu 


' find, unter denen aber einige Perlen für die geringere Wirtur 


der Übrigen entihädigen; wir nennen an erfier Stelle „Tr 
Tochter des Inta“, eine Ballade, die in fünf Abteilungen em 
erjchütternde Tragödie an uns vorüberzichen läßt, und das iv 
reit# früher (in „Nord und Süd“) veröffentlichte Herenlied 

Kürze, Araft und dramatiſche Bewegtheit machen Diefe beide 
Stüde zu einer wertvollen Bereicherung unferer Balladenlitteratur 
Einzelnes von den anderen Dichtungen wäre befier fortgebliehe 
und bat nur als Buchfülljel Berechtigung. 


Ausgewählte Gedichte von Wolfgang Kirhbadı. Leim 


 W. Friedrih, 1883. Hirhbadh, der geljte und phantaitewel‘ 


Verfafler von „Salvator Nofa* und der „Ninber des Reid 
zeigt in diefer Samınlung auch als Lyriter feine Urwüchſigten 


‚ und ein fühneb Wandeln auf unbetretenen Bahnen. Er ift feine 
von denen, welche ftels von neuem ihre jelbitzufriebenen Liedchen 


von Frühling und Liebe trällern oder ſich in das Mastenfofur 
verichollener Yeiten vermunmen; er ift ein moderner Menjh tu 


beiten inne des MWorts, in weldem ein mächtiger, gänmbt 
Idtengehalt nad Form und Geftaltung ringt. 


Dies Bud) ver 
langt denfoillige Yeier; aber ihre Mühe wird belohnt, tmden 
ihnen eine grokartige und eigenartige Auffaſſung von Natur und 
Leben teils in feierlihen Humnen, teils in nediſchem Humor em" 
gegentritt. „Götter und Geftalten" und „Der neue Hiob* fin? 
wobl die bedeutendften Abjchnitte des Buches; in den „Saturse 
zeigt Slirchbadh aud, dak er das Zeug zum GFpigrammatiter i1 
fi hat. Den Schluß bildet eine größere Dichtung „Die feligen 
Faune“, ein reijend phantafievolles Märchen, nicht ohme Jatirilät 
Epiten und Tücken. 

Nordifche Melodien. Gedichte von Rilolai Baumbas. 
St. Petersburg, Fridfon, 1883, In diefen Rordiſchen Melo 
dien“ fteilt ji uns N. Baumbad als cin recht beadptenamerter 
Syrifer hin. Sie find von Empfindung und Wärme, edel_st 
halten in der Form und ein reiches, tüdhtiges Innenleben ein 
barend. Man fan ed nur mit Sympatbie begrüßen, dab au‘ 
fo weit entfernt vom eigentlichen „Deutiden Dicytermald” di 
Pflege deutiher Dichtung in würdigen Händen liegt. Das Bud 
iſt auch äußerlich ke ausgejtattet. 

Sdllehlich möchten wir auf ein Meines belehrendes Seit 
aufmerffam machen, welches Blumenliebhaber nicht ohne Nuke" 


' durdleien werten: „Mitteilungen ded Riubé für Pflanzen 


zucht im Zimmer.“ Wien 18584, Im Selbfiverlage des Alubt; 
(Zefretär des Aube: Hugo Nörbe. 1. Be. Nolowratring! © 


Dasjelbe gibt auf zwei Yidhtorudtafeln die Bilder von einem 
beizbaren Blumentiip mit Glastaften, einen Vvermehrungelagen 
u. a., ſowie einige beherſigenswerte Andeutungen über die 
handlung der belicbteften Yimmerblumen und Pflanzen. 
würden mit großem Intereſſe jahlreihe Fortiegungen 
„Mitteilungen“ in die Hand nehmen, 


Be 
geir 


ſolchet 





Pr Der [uftige Sefellfchafter 88 


(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtommen!) 


Xus der 5chule. 


—* (in der Geographieftunde): „Und wenn Sie nun 
von Mainz den Rhein binunterfahren, da fehen Eie was, was 
fo zwiichen den bewaldeten Bergen hoch hervorragt (meint das 
neue Deutmal auf dem Niederwald), was ift dad?“ 

Schüler: „Das Binger Loch.“ (Allgemeines Hallo!) 


“ 
Finem Dichter ins Album. 


Schaff', Dichter, deine Werke, wenn die Stimme, 
Die innre, dich gewaltig dazu treibt; 

O5 fie dem Hinz, ob fie dem Kunz gefallen — 
Was kümmeri's dich? Lab! dünken es dich gleich; 
Woltit du nad jedem neu geſchriebnen Bude, 
Um Beifall beitelnd, Stimmen fammeln gehn 
Und jeden fragen: „Macht' ich's dir auch recht ?* 
Zu neuem Schaffen blieb’ dir ja nicht Zeit! — 


s 


Huf motiviert. 


Student (zu einem Fremden): „Wenn es Sie intereifiert, 
eine Menfur mitanzufchen, bin ih gern bereit, Sie zu führen. 
Es wird heute in einem Wirtshaufe, faum eine Halbe Stunde 
vor der Stadt, geichlagen.* 

Fremder: „IH danke, ich bin Metger!* 


2 
Stoffeufzer im Februar. 


Donnerwetter! Die ganze Zeit war milde Witterung, jo 
daß id) denfe, der Winter ift vorbei. And faum habe id) den 
Ueberzicher verfeht, jo wird's wieder falt. 


* 
„Einſam bin ich nicht alleine.“ 


Neiſender: „Schaffner, ic möchte allein jein!* 
Schaffner; „Bitte, fleigen Eie nur bier ein.“ 
Reifender: „Da fiht ja ſchon ein Herr drinnen?“ 
Schaffner: „Ja, der will auch allein fein.“ 


> 


Grafuliere ! 


wei ältere gerne begenneten ih einft in Zepfik auf 
* Promenade, begrüßten einander und begannen folgende Unter 
altung: 
Baden?” fragte der Eine. 
„ZTrinken!* jagte der Andere, 
„Militär?" 
„Magnat!* 
So — fo!* 
RER 
„König!“ 
„Ay — fo: gratulier'!” 
„Adien —!” 
„Unterthänigiter Diener!” 
Giner der ſehr einfach getleideten Herren war der Slönig 
—— Wilhelm IH. von Preußen, der andere, ein reicher 
eundherr aus Defterreih. Beide hatten die Gewohnheit, ſich 
ſehr kurz zu fallen. S 


Unter And! 
Welches Tier kann am meiften Kälte ertragen?” 
„Der Floh! Denn er läuft im Winter bei der größten 
Kälte im Hemde herum.“ 


Xu! 


A: „Was ift die neueite Konferve?" 
B.: „Ein gemadter Dann,” (Titel einer neuen Jacobjon- 
ſchen Pofie.) 


Ubi bene ibi patria. 


Auf der Grenze zweier Dorfgemeinden ward der Leichnam 
eines Handiverfäburichen nefunden, und zwar lag derſelbe jo, 
dak die Beine auf dem Gebiete der einen, der Kopf auf dem 
Gebiete der anderen Gemeinde lag. Beide Gemeinden weigerten 
fi, den Peichnam aufzuheben, bezüglich zu beerdigen. Wad) 
längerem Wortwedhiel jagte der Gemeindevorjiand der Gemeinde, 
auf deren Gebiete der Kopf Tag, zu feinem Gegner: „Den Leid 
nam habt ihr zu begraben; denn ‚Ubi bene ibi patria‘ wo 
die Beene find, da iſt das Vaterland,“ 


5 


Beifgemäße Fiebesbezeugung. 


Un alle Anſchlagſsſänlen möcht ich's lleben, 
Der Rohrpojt zur Befördrung geben. 

In alle Telephone möcht ich's Jingen, 

Ya durd Ballonpojt weiter bringen, 

Die Phonographen ſollten's wiederholen 
Bon Aria bi zu den Polen. 

Durch Nebelbörner möcht ich es verbreiten, 
Dein ift mein Herz zu allen Zeiten. 


s 
Allerlei infäle. 


Es ift unmöglid, den geh vieler Leute anders zu er» 
weitern, als daß man fie auf einen Berg ſchidt. 

Mancher fühlt fi) auf hohem Berggipfel über feine Mit 
menfchen erhaben und bedenkt nicht, daß cr auf dem Rüden eines 
Eſels dahin gelangt ift. 

Es gibt Leute, welde did um Auftlärung bitten, nur um 
dic belehren zu fönnen, 

Grofe Sperren verſprechen ojt und hinterher erfährft du, daß 
fie ſich nur verſprochen haben. 

Man trifft Leute, denen die Fähigkeit, ſich kurz zu faflen, 
durch zu langes Schreiben verloren gegangen if, 

Die Eitelkeit nimmt, fowie die Augenihwäde, in der Regel 
mit den Nahren zu. 

Wer dem Eitlen den Star ftidht, muß fih darauf gefaßt 
machen, nicht als Operateur, jondern als Dlörder ausgerufen zu 
werden, 

Viele Menſchen wiſſen nicht, was fie wollen, und wenn fie 
ed wühten, wollten fie es nicht. 

Eine eigentümlidie Täuichung ift darin gelegen, dab man 
unter den Fehlern feines Mimenſchen im der Regel die eigenen 
für die fremden hält. 


Das verhängnisvole Telephon. 


Herr P. hat in einer Meinen Provinzialftabt ein Danufalturs 
warengeihäft. Wor einiger Zeit reift er nad Berlin, um fein 
Lager zu vervollftändigen. 

Nachden in einem bedeutenden Engrosgeſchäft groke Finfäufe 
gemacht, wird er von dem Ghef ber Firma eingeladen, bei ihm 
u mittag zu fpeifen. Gere P. nimmt danfend an. Rach Tiſche 
ſuen der Hausherr feinen Gaſt durch die eleganten Wohnräume 
und zeigt ihm auch das Telephon, weldes die Privatwohnung 
mit den Lagerräumen verbindet. 

Herr P. hat noch nie ein ſolches Inſtrument geichen, der 
Gebraͤuch wird ihm erlärt und nun kann er ber Berjudung 
nicht widerftchen, dasjelbe prattiſch zu probieren. Er tritt daher 
heran und ruft: „Eind die Waren für Herm P. ſchon verpadt 
und erpebiert ?* 

Sofort erfolgt die Antwort zurüd: „Nein, wir müflen und 
nod näher ertundigen, er ſoll ein fauler Hunde fein!* 


Landezübliches Tableau! 


s 


Mifitärifhe Wangfrage. 
Unteroffizier: „Schulze, was ift ein Gefreiter?* 
Schulze: „Der höhere Grad von Gemeinbeit.* 





692 


Salon: WNagie. 
Bon Alexander. ') 





Eine überraſchende Erjheinung. Nimm ein unge 
fähr vier Fuß langes Band von einem Zoll Breite, oder ftatt 
deſſen einen Papieritreifen von gleicher Lange und Breite, füge 
aledann die äußerften Ende zufammen, jo daß du badurd einen 
großen Ring erbältft, beobadte aber dabei, dak du unbemerkt 
dem Bande in ſich eine einmalige, aljo halbe Umdrehung gibft, 
ehe du die Enden zufammenfilgit. Ie länger das Band ift, um 
fo weniger wird dieſe Umdrehung bemerfbar fein, fyrage nun, 
wie viel Ringe entjtehen würden, wenn bu vermittelft der Schere 





das Band der Länge nach wieder zerteilft, und man wird allge- 
mein der Anficht fein, dab alsdann aus bem einen, zwei Ringe 
entiteben, was jedod falſch iſt, da du auf diefe Weife nur zu 
einem großen Ringe gelangt. 

Wird das Band, ehe es zufammengefügt wird, vollftän- 
dig, nicht halb, umgebreht, dann in erwähnter Weiſe zer 
ſchnitlen, fo erhält man zwei Bang die ineinander hängen. 

Vermehren des Geldes in einem Hute Cs erfor 
dert immer einige Uebung, einen Thaler oder jonftiges Geldftüd 
in der Hand fo zu verbergen, daß es fcheint, als ob die Hand 
leer jei. Zur oberflädhlidyen Kenntnis jei bier nur erwähnt, daß 
dies in der Weiſe erreicht wird, daß man auf dem Jeige ⸗ und 
Mittelfinger, von dem Daumen gehalten das Gefdftiid ruhen 
läßt, und dasjelbe im Augenblide der Bewegung zur anderen 
Hand, in die innere Fläche der Hand gegen den Ballen des 
Daumen? feildrüdt. Dem jüngeren Dilettanten, der noch nicht 
im Befibe einer joldhen Fertigkeit jein wird, wollen wir zur 
Ausführung des nacdfolgenden Aunftftüdes ein anderes Mittel 
an die Hand geben, um den Mangel — Fertigleit in etwas 
zu eriehen. Gin Mark oder Zweimarkitüd wird am Rande 
mit einem Meinen Loche verjehen, durch welches ein ftarker ſchwarj · 
feidener Faden gezogen und an dem Gelditüde befeftigt wird. 
An diefem Faden wird 4-5 cm von dem Rande dei Gelbitüdes 
eine Schlinge gemacht, welche dazu dient, über den Zeigefinger 
geihoben zu werden, fo daß das Gelpftüd in der Hand hängt 

und jeden Augenblid zwiſchen dem Zeigefinger und Daumen 
gezeigt werden fann. Alsdann nimmt man in die linke Hand 
eine Anzahl, je ng je befier, 3. B. Zweimarlſtüden, erfaht 
dann einen Hut in der Weife, daß die mit Geld nefüllte Hand 
fih innerhalb des Hutes, der Daumen auferhalb über ber 
Krempe desjelben ſich befindet. Man kann auf dieſe Welle das 
innere deb Hutes zeigen, ohne das unter der Hand befindliche 
Geld bemerkbar werden zu laſſen. Aledann hält man den Hut 
herunter und macht mit der rechten Hand eine Bemwequng in der 
Luft, als ob man ein Geldjtüd auffinge, zeigt die an dem Faden 
befindliche Münze und gibt fidh den Anfhein, als ob man die. 
felbe in den Hut werfe, während man zugleich den Rüden der 

and zu den Zufchauern wendet, um das Oeldfiüd au verdeden. 
Im felben Augenblide läht man aber eines ber unter der linfen 

and gehaltenen Geldſtüce, weldes man bereitd mit dem einen 
—— von den übrigen abgeſondert hat, in den Hut fallen, 
was deutlich vernommen wird, namentlich wenn ſich erſt einige 
Geldftüde in dem ver befinden. Mehriah wird dies Kunftitüd 
dadurch noch achoben, dak der Ausiührende unter der Weſte 
eine Art Rejort, ein länglich flacher Kaſten von Blech oder dergl., 
verborgen bat, welder geitattet, fletd nur einzelne Thaler une 
bemerkt in die Hand fallen zu laflen, jo dab man alſo fihtbar« 
lich ab und zu ein Geldftüd in den Hut kann fallen lafien, wo⸗ 
durd die Täuſchung Sehr erhöht wird. Viel fommt auf bie Art 
und Weife der Ausführung an, doch muß es jedem überlaflen 
bleiben, die richtigen Geſtikulationen und Weifen felbit ausfindig 
ju machen, da der Raum nicht neftattet, hier detailliert darauf 
einzugehen. Will man dem Aunſtſtüd noch die Nebenabwecht ⸗ 
lung geben, jo verihaffe man ſich nod die Meſſerklinge eines 
Iajhenmefiers, welde in eine ſcharfe Nadel endet; nun gebe 
man an, erit ein Loch in den Hut jchneiden zu müffen, um die 


2) Bol, paz. 469 diefes Bandes, 








Salon: Magie. — Aus der Technik. 


Geldftüde auch von unten durchpaſſſeren zu laſſen, führt ze 
diefem Zwed ein Taſchenmeſſer in den Hut. während man zuales 
unbemerft von außen die oben erwähnte Sllinge mit ber Nam 
in den Hut geftedt hat und diefe von innen bin und ber bemest 
Desgleichen fann man nachher die Hälfte eines Durbichmittener 
Thalers ebenfalls mit einer Nadel verjehen, von außen on ben 
Hut fehfteden, und thun, als ob derſelbe nicht vollſtändig durs. 
nedrungen fe. Das weitere wird jeder Dilettant ſchon aus 


findig machen. 


Aus der Technik. 





Berfahren zur Uebertragung bon farbigen ober 
ihwargenZeihnungen aufeineebene oder belirbis 
getrümmte Fläde von Henry Abbott & W.CG. Gar 
riffon. Die Zeihnung wird vertieft auf eime Blatter ven 
Metall, am beiten Kupfer, eingraviert unb Dann mit rare fa 
lange beftreut, bis ale Bertiefungen volllommen mit berielde 
ausgefüllt find. Nachdem Hierauf die nicht vertichten Strlen 
farberein gemacht worben, wird die Platte mit Flüffigem Htolobiam 
libergofjen. Zur gleihmäßigen Verteilung des Hodiums mei 
die Platte bis zum XTrodnen deöfelben durch eine entiprhme 
Borrihtung in horizontale Richtung gedreht werben. Wisdam 
wird das 9 gebildete Häutchen von der Platte nelöft, indem 
man bieje einige Minuten horizontal unter Waſſer taudt. Run 
mehr iſt die Zeichnung feit auf das Kollodiumhã utchen übertragen 
und bat man nur nod nötig, dieſes auf die betreffende lebe 
tragungsflädhe mittels eines wafierhellen Mebftoffes, als Gelatine, 
Zuderlöfung oder dergl., aufzufleben, Das Kollobium entfernt 
man jebt leicht durch in Alkohol gelöften Actber. Die dann auf 
der Flaäche nachhaftende Deut fann man durch lleberpiniela 
von jFirnis oder lad nod dauernd feftlegen. AR die Yeidmung 
auf Porzellan oder Glas übertragen worden, jo bat nod ca 
Ginbrennen der Farben zu geſchehen, in welchem alle cin vor 
bheriges Entfernen des Kollodiums nicht erforderlich ift, Da ih 
dieſcs beim Brennen von felbit verflüchtigt. Das bier dargefielte 
Verfahren erſcheint fo einfadh und leiht außführbar, dab man 
faft geneigt ift, an das Ei ded Holumbus zu erinnern. 

Borridtung zur Tontinuierliden Abfüblung 
von fFlüffignkeiten. Der Direltor der ftädtifchen Wafier 
onjtalten zu Düfjeldorf, Her Friedrich 38 bat cınen 
Apparat konftruiert, welcher, in beliebiger Größe berftellbar, zur 
Abkühlung jeder vorlommenden Flüſſigkeit ohne Anwendung von 
Eis verwendet werden kann. R 

Die Einridtung diejes Apparates ift folgende: Ein Behälter 
(A), am beten von chlindriſcher Form, erhält in entipredender 
Entfernung von unten einen vielfach durchlochten Boden (1, anf 
welchen fauber gereinigte Scherben, Steine oder hnliche Gegen⸗ 
ftände derart gefüllt werden, dak ſowohl Yuft ala aus je 
Flüſſiglelt zwiicdhen denfelben freien Durchgang finden fünnen. 
Unterhalb dieſer Bodens find in die Wandung des Behälters 
arobe Luftöffnungen m, a, angebradt und direft unter dem Wo 
den befindet fich ein Raum zur Aufnahme der abgefühlten Flüffig 
feit, welche von bier durd ein Rohr abgeleitet werden fann. 

Oberhalb und zur Seite des Behälters ift mit demſelber 
eine Pulfions- oder Aipirationsvorridiung (P) (ein einfader 
Ventilator genügt) in Berbindung gebracht, mittels deiien ein 
tontinuierlicher Zuftftrom, wir 
durch die Quftitriche angegeben. 
dutch den ganzen Behälter cr» 
zeugt wird. Durd das ſeh 
neihloffene obere Ende de 
Vebälters gebt ein Roht mit 
niehlannenartig durdbohrtem 
Ende, durd; welches die adyu 
füblende Flüffigfeit eingela 


wird. 

Sobald dies geſchieht und 
zuglei die Wentilationzvor- 
richtung ſaugend in van gr 
feht wird, fidert die Fluͤſſiglent 
langiam und fein verteilt durd) 
die Ywildenräume der Ful · 
lung nad unten und begeanrt 
dabei drm von unten mad 
oben ftrömenden kalten Luft 
u. wodurch eine erbeblidr 

one beiwirft werdes 
muß. 
Drer geihilderte Apparat ift durdaus einfach und jedenfaDd 
ohne große Noften zu beihaffen, fo daß bderielbe vorausfidtid 








Neue Mufifalien, — Der geftirnte Bimmel im September. — Cudwig Richter f. 


überall da, wo @is nicht leicht zu beſchaffen und zu bewahren 
iſt, ſowohl in größeren Geidhäftsetabliffements als aud in klei ⸗ 
neren Hauswiriſchaften als nütliches Gerät willtommen geheiken 
werben wird, 

Berfahren, Eifenbabnrädervon Papier herju—⸗ 
ftellen. Seit einigen Jahren verfuht man, Eiſenbahnräder aus 
Papier geiertigt anzuwenden, wie es den Anfchein bat, auch mit 
autem Grfolg. Nur hat fid bisher das Berfahren, derartige 
Räder berzuitellen, nod als jo ſchwierig ergeben, daß die dafür 
verwendeten Koften die mit dem Gebraud derjelben verbundenen 
Vorteile faft ganz wieder aufhoben. Mit Freuden wird daher 
ein von Here Brudmann in Berlin vorgefhlagenes Ber 
fahren, joldye Mäder leicht und billig herzuftellen, begrüßt en. 

Diejes Berfahren wird mie folgt dargeflellt: Eine Rolle 
Papier ohne Ende (W) dreht fi um eine in dem Geſtell 8 ber 
findlide Welle (w), wobei das hg abgewidelt wird. Damit 
dieſes Abwideln mit einer gewi Spannung geſchieht, ift bie 
Welle w mit einer einfadyen Bremsvorrichtung verfehen, die hier 
aus einem um die Wellen w und w’ geſchlungenen und durd 
ein Gewicht beſchwerten Niemen beſteht. Der fih abwidelnde 
apierfireifen paffiert zunächft die Veitrolle L, über welchem ein 
Behälter mit einem in Waſſer nicht lösbaren SMebftoff angebracht 
ift. Ein Boritenbündel überträgt den aus dem Behälter fidern» 
den Klebſtoff gleichmaßig auf den Papierftreifen. Das freie Ende 
Diefes wird in die Welle x derart eingelafien, dab die Welle aus 
dem ſich über der- 
jelben aufwideln» 
den Papierblod 
Leicht wieder gelöft 
werden lanıı. Die 
Aufwidelung ger 
ſchieht, fobald Die 
Wellexin Drehung 
verjeht wird. Yur 
Herbeiführung des 

erforderlichen 

boben Grades von 
Haltbarkeit und 
Zãhigleit des fo 
entitehenden Nad⸗ 
blodes dient jeht 
nod folgende Vor · 
richtung. Cine by: 
drauliihe Prefie, deren Kraftäußerung je nah dem Wachen 
des Nadblodes reguliert werden dann, drüdt ihren Stempel nad 
unten. Die Fortlekung diejes Stempels bildet eine Babel (G), 
in welcher fich ein metallenes Rad R dreht und zugleich unmittels 
bar auf die Peripherie des fih aufwidelnden Radblodes brüdt. 
Hierdurch werden die einzelnen Schläge des Papierftreifens feſt 
aneinander gepreßt. Außerdem ift das Rad R in feiner Peris 
pherie mit feilenartigen Erhöhungen und Vertiefungen veriehen, bie 
auf dad noch feuchte Papier übertragen werden und bewirken, 
daß die einzelnen Schichten des Papierblodes unverrüdbar mit 
einander verbunden werben. 

Hat das fo aufgewidelte Papierrad den erforberlihen Um⸗ 
fang gewonnen, fo wird dasſelbe von der Welle x gelöft und 
langfam getroditet. Da die Papierftreifen zufolge ihres Feuchtig · 
feitögehaltes nady der Peripherie zu ftärker ausgedehnt wurden 
als nad dem Genteum zu, jo müflen fidh biefelben aud nad 
dem Troanen dort jtärfer zujammenziehen, wodurd eine bie 
Speftigfeit des ganzen Blodes noch vermehrende Spannung bes 
wirft wirb. 

Natürlich ift das Rad jekt noch nicht fertig, vielmehr wird 
dasfelbe erft auf der Drehbant in die für den Gebrauch notwen · 
digen Formen abgedreht. j , 

Das bier dargeftellte Verfahren erfheint jebenfalls praltiſch 
und leicht ausführbar; ob aber die fo gewonnenen Räder nun 
aud wirklich ihren Zwed erfüllen, darüber lann erft nad lanp« 
jährigen, eingehenden Berfuchen ein maßgebendes Urteil ab- 
gegeben werben. ; 





VEREINTEN 


Dene Mufikalien. 


Bor uns liegen zwei im Litolffihen Verlage erichienene 
Lieder von Milton Wellings: „Hoffe nur’ und „Auf dem 
Strome*. Beide find für eine Eingitimme mit Pianoforte- 
begleitung geichrieben und wenden ſich an jene größere Publikum, 
weiches zunãchſt einer ganz leichten, fih völlig unterorbnenden 
Stavierbepleitung bedarf und eine leicht fahbare Melodie liebt, 
ohne fih daran zu ſtoßen, wenn auch mande triviale Wenduns 


693 


wir ihnen dennoch, daß fie aud bier ihr Publikum finden 


werben. Die deutjche Ueberiekung von Otto Wolters ift ſehr 
gelungen. — Xotal verſchieden von dieſen ſoeben beſprochenen 
Yiederu find die ebenfalls als Movitäten vor uns liegenden 


Sechs Lieder für eine Singitimme und Pianoforte von Karl 
Neinede, Op. 178 (Hamburg, bei Rahter) und „Der Schwur‘‘ 
(Berlin, bei Ries & Erler) von demſelben Homponiften. Griteres 
gift enthält die Lieder „lage und Zrofi* aus „Des Knaben 

unberhorn*, „Wegewart* von Julius Wolff, Nachtgeſang? 
von Goeibe, „Wenn ich dich ſeh' fo lieb und bolb* von Friedrich 
Bodenftedt, „Weihnachten“ von Theodor Storm, „Jasmin und 
Flieder“ von Bodenftedt. Alle Lieder wenden ſich, ihrem ganzen 
Weien nad, an ein total anderes Publikum als die vorher ber 
iprodpenen von Wellings, die Begleitung ift, wenn auch nicht 
bominierend und ſchwer, fo doch jehr wejentlih, und am ben 
Sänger wie an den Begleiter werden Anſprüche gemadt, wie 
fie Robert Franz, Franz Schubert, Robert Schumann u. a. 
machen. „Der Shwur* (aus den Spielmannsliedern von Robert 
Baumb ) ift ein Repertoirelied der fyrau Ehud»Prohasta und 
dürfte "bald ein ebenfoviel gejungenes Lied fein wie desjelben 
Komponiften allbetannte Lieder „Abendreih'n", „Der Schelm”, 
„Mailied“, „Klein Anna Kathrin“ u. a. Gleichzeitig maden 
wir auf das Piederheit Op. 69 von Heinrih Hofmann aufs 
mertjam, welches bei Breitlopf & Härtel in Leipzig erſchienen It 
und mit Recht Freunde finden wird. 


Der geflirnfe Himmel im Sepfember.*) 

Was die Eichtbarfeit der Planeten in diefem Monat anber 
fangt, jo ift Mertur nahe bei der Eonne und alfo nicht wahr: 
zunehmen. Benus bleibt Morgenitern und erreicht am 21. ihre 
aröfte wejtlihe Ausweihung von der Sonne, Mars dagegen 
nähert ſich derjelben langiam. Jupiter ift nur in den Fruh 
ftunden zu jchen und Saturn geht erſt gegen 10 Uhr abends 
auf. Am 5. ift Vollmond, am 12. erftes Viertel, am 
19. Neumond, am 27. lehtes Viertel. In der @rpnäbe 
flieht der Mond am 10, in der Erdferne am 25, Bon Stern» 
bildern find in dieſem Monat gegen Mitternacht im Süden ber 
Waflermann, die File und ein Zeil des Waljijches zu fehen, 
nabe dem Sceitelpuntte fteht die Andromeda und unter dem 
Pol der große Bär. 


Fudwig Richter 7- 

Es gibt Menſchen, deren Tod uns mit demſelben Gefühl 
erfüllt, mit dem wir einem Freunde bei feinem Scheiden bie 
and zum fehlen Lebewohl drüden,. Wir wiſſen, “ wir trof 
räumlicher Entfernung innerlid vereint bleiben, daß wir mit 
einander fortleben. — Gin Kunſtler, deſſen Werte fid ein blei« 
bendes Dentmal in den Herzen feiner Zeitgenofien errichtet, 
ftirbt nie; was beftattet wird, ift nur bie äußere Gülle des 
Genius; der Geift und jeine genialen Echöpfungen find uns 
fterblih. Yu diefen auserlefenen Geiftern gehört auch Ludwig 
Richter, der am 19. Juni nad einem thatenreihen, durdaus 
harmoniſchen Leben der Natur feinen Tribut entrichten mußte, 
Am 28. Ecptember 1803 zu Dresden geboren, wurbe ber 
talentierte Knabe gar früh ſchon von feinem Vater in die Kupfer 
ftehtunft eingeführt, am der er Geihymad fand und fi bejonders 
an Chodowiedi heranbildete. Die in den zwanziger Jahren unter» 
nommenen Reilen durch Ftankreich und alien erweiterten 
feinen Gefichtöfreis und warfen ihn der Yandidaftämalerei in 
die Arme. Manchen Wechſel der zeitgenöffiichen ſunſtſtrömungen 
bat der bejonders durch fiebenswürdige Genremalerei befannt 
gewordene Nünftler durchleben müflen, nie iſt er aber feinen 
Idealen untreu geworden. Seine Werle zeihnen ſich weniger 
durch Großartigfeit, ala durd tiefe Empfindung, Tiebenswürbige 
Phantafie und berjerquidenden Humor aus, Sein Hauptgebiet 
war die Alluftration und mit (yug und Net bürfen wir Deutiche 
ihn den MWiedererweder der in unjeren Tagen zu fo herrlicher 
Blüte nedichenen Holzichneibelunft nennen. Gr verftand es wie 
fein Zweiter, den editen Vollston in feinen zahlreihen Bildern 
und Bildchen zu treffen, das Slleinleben im Haus und ber 
Kinderſtube zu Nhildern. die Volkslieder und Märchen zu inter 
pretieren und zu beleben. Diejer Kunſt verdankt Richter feine 
große Boltstümlichfeit, durch fie wird er jeinem Bolfe unver 


geßlich fein. 


gen und oft dageweiene Phrofen mit unterlaufen. Die Lieber | 


foffen in England in Auflagen von vielen Tauſenden erihienen 
fein, und wenn wir auch bezweifeln, dal dielelben in Deutich- 
land einen Ähnlichen Erfolg haben werden, fo Pprognojtizieren 


*, Uuf viele Unfragen teilen wir Bierburd mit, daß bie Stern: 
farte, welde dem erften Öefte beigegeben war, aud für meueintretende 
Ubonnenten oder Golde, denen bad Blatt abbanden gelommen if, 
gegen Giniendung von 30 Piennig in Briefmarken burd bie Verlage 
handlung bieler Zeitſchrift zu brateben iR. 





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Sudwig Rider. 


Nah dem Gemälde von L. Pohle. 


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Verantwortl. Herausgeber: W. Spemann in Stuttgart. Redakteur: Joſeph Kürf Hner ebenda. 


Nahdrud, aud im Einzelnen, wird ſtrafrechtlich verfolgt. — Ueberſehungsrecht vorbehalten. 
Drud von Gebrüder Hröner in Stuttgart. 





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Weltpofl. — Inferaten.Unhang zu „Dom Fels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 12. 


“ Weltpoft. 


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Nachſtehend Schluß der Löferlifte a ollecdhon 7 \DEIARM 
Preisaufgabe in Heft 7: 


5. Et. inM.,)Y.9.inG,, O.D.inW,, 


5 — 9 se — R., a. . — Preis des gedundenen Bandes DI. 1., franko per Foft M. 1. 25. 
tauß nd, 91.939. in}, D. 8. 
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de B. in B., O. B. in 9 in Milchgeſicht findet felten 
„8.6 in).,€e.n®R,€ » Sympathie. Wem ö ANGEIEGENNENEN 
in P.,6®2in®,4 6. in. S, Schnurr- oder Bollbart . ce ORGUR N 
rau I. M. in, 6.8. 2. im Z.. noch fehlt, der beftelle fi) gleich dem welt- BESURLUNG y.yErweRTHUNG 
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Fortſegung fiebe nächte Seiten. ! Barburg a. €. Guflao Elfan, Plätzen geeignete Personen z. Verkauf gesucht, 











BRSSOEOEBERAIOENFEERE 
Derfal u id 
erfälſchte ſchwarze Seide. 
Man verbrenne ein Müfterchen des Stoffes, von dem man kaufen will, und die etwaige 
Berfälfchung tritt fofort zu Tage: Echte, rein gefärbte Seide Fräufelt fofort zufammen, verlöfcht 
bald und hinterläßt wenig Aſche von ganz hellbräunlicher Farbe. — Verfälſchte Seide (die 
leicht fpedig wird und bridyt) brennt langjam fort, namentlich glimmen die „Schußſäden“ 
Hi weiter (wenn jehr mit Farbſtoff erjchwert) und hinterläft eine dunkelbraune Aſche, die fich im 
H Gegenſatz zur echten Seide nicht Fränfelt, ſondern krümmt. 
Zerdrückt man die Ajche der echten Seide, fo zerftänbt fie, die ber verfälfchten nicht. 
B Mufter von meinen ehten Seidenftoffen ftchen Jedermaun zu Dienften, 
und liefere ih einzelne Roben und ganze Stüde zollfrei ins Haus, ohne Zoll 
berehnung. [844] 
Ein Brief nad der Schweiz koftet 20 Pf. Porto. 
3 
3 
83 
— 


Zürich (Schweiz). G. Senneßerg’s 
Seidenftoff-Fabrif-Depöt. 


Königl. Hoflieferant. 


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Inferaten:Unhang zu „Dom fels zum Meer”. 





Pr — * kritiſche Ausgabe 20 


Dates Dirbietang, 
hervorragender Germaniften 


herausgegeben von 
Iofeph Rürſchner. 


Berlag von 
W@. Spemann, Berlin u. Stuttgart. 


Die neneften Bänbe enthalten: 

Br. 38. Klopftods Hermann 
ſchlachtund 33 Bardenweſen bes 
18. Jahrhunderts. 


Bo. * abeldichter, Satiriter 
und .. u arphilofophen des 18, 
Yahrbunderts. 


Inhalt der Bände 1-37: 


1u.6. Orimmelshbaufens „Sim. 
pieins —— mus“. (Werte 
Dr.) 2. Goethes, Fauſt“. (Merte 
re 3) 3. Schillers „Räuber und 
Fiesto“. (Merfe3. Bd.) 4. Kortums 
„Jobjiade*. 6. Leffings „Lieder, 
Den, gerimte Gabeln, ugenddramen*. 
(Werke 1. B.) Wielands „Dbes 
ten x.” (Werte. 2. ve 9. Örim- 
melehbaujens „‚Simplicianifde 
Säriften‘. Bd. 11. Günther Ge 
dichte. Bd. 8, 10 u. 12%. Etürmer 
und Dränger. Br. 1-8. Enthalten 
Klinger, Leifewig, Lenz, Wagner, 
Maler Müller, 2 Schu art. 
Bd. 18. Grypbius erfe. ®DBb. 14. 
Lejlings Augendfreunde Bd. 15. 
Moiherojhs Geſichte Philanders 
von Gittewald. Bd. 16. Goethes 
Dramen. Bd. 1, (Der Merle 6. Band.) 
Bd. 17, Lellings Jugenddramen 
u, dramatiſche Meifterwerte. Bp.2. 
18. Schillers „Kabale und Liebe* 
und „Don Rarlos* (in 3 Ausgaben). 
(Der Werte 4. Bd.) 19. Simon Dad 
und jeine freunde, Job. Röling. 
20, Goethes Gedichte. Bd. 1. (Der 
Werte 1. Bd.) Bd. 21. Ziglers Aiia- 
—— [a Der Schleſ. Schule 2. Br.) 
22. $ Alemaniſche Ge— 
Sy Fra PR J Hebels Schahtkäſtlein 
— a — Br. 
effings dramat. Nachlaß 
er — Meiſterwerle. (Werte 2 Bd.) 
Br. Die Gegner ber * 
Din Sthule. 2 Bd. Bd. 27. 
Goethes Raturwifienib. Schriften. 1Bd. 
Br. 28, Albertinus Qucifers Aönig« 
reich und Gerlengejaidt. Hreab. von R. 
Frhr.v. Lilienfron.(Erfter Reubrud!) 
DD. 29. Abraham a6. Clara „Judas 
—— Hrtgb. v. F. Pobertag. 
3031. Bürgers Gedichte. Hrönb. 
= Sauer. Bp. 32. Goetheß bu 
bite 2. Bd. (Der Werte 1. Bo.) 
Bd. 33. oh. R3*8 Gottſched 
und die Schweizer 3. J. Bod mer und 
43.9. Breitinger. Dregb. von rt 
Grüger. Bd. 34/95. Klopfiods Me 
fias. (Der Werte 1. und 2. Bd.) Hregb. 
von R. Hamel. Bd. 36. Se An 
Kleine Schriften zur Philofopbie 
m. Religion. Satiren u. Idyllen. 
(Der Werfel. Bd.) Hrögb.v.P.Nerrlid. 


III. Jahrgang, Heft 12 


Weißenburg. 


890 Meter über dem Meere. 


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— ac. 
elle und 


nd jeit 
lenen» 


abrhunderten als ſpecifiſche Mittel befannt: 
nelle, Waſſer derſelben wird in ftets friiher —— 


Georg · Bin 


endet. — Unfragen Über das Bad, Beitellungen von Wohnungen im Babel 


aufe und Europäifchen Hofe ıc. erledigt: 
Die Inspeetion der Wildunger Mineralquellen-Act Actiengesellschafl 


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Auch abgelaufene Fälle finden 
dauernde Pflog®. 


_ Nervosität, 
nerv. Veberreizungs- und Erschöpfungs- 
zustände etc. siud durch die neums!* 
Selbstbehandlungsmethode mittels 
statischer (ruhender) Eleotricität rw 
dical heilbar. Prospecte franco. 
11292) AR. Kruse, Stralsund. 







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Neue — Gegenſtande. 


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Ratent-Nollfhnuwände weientlich beſſer alt fogenamni* 
Span, Wände, Patent-Echieberwaage; die einzig erlitt fren.de 
Daage, die ohne Gewigte von 1 Gramm bit 10 Kilo nenan 
wiegt, waß bei Fyeberwangen unmöglid. Mafenmähmaid- 
nen mit 4 Obermefier, 
een Betrofeumlodherde 30 ehe 

t, durch Wafjerbaifin geruch · und gefahrlo 


wodurch ftreifiges S 


— Proſpecte gratis, — 


Theodor Küchler, Frankfurt a. 


WE Erſtes Speclalgeſchüftamerkantſcher Oefen ag 1190) 





Welpoſt. — Inferatenslinbang 3a „Dom fels zum Meer’. III. Jahrgang, Bef 12. 


© Weltpoft. (& 


Pr. 37, Alopflods Dden, Epi 
erammeundgeiflligdellieder. (Der 
Werke 3. 2b.) Hrigb. von R. Hamel. 

Dir „Deutſche National-Pitteratur‘* 
ift die einzige nah einbeitlihem Plane 
angelegte willenihaftlide Ausgabe der 
aejamten deutichen Pitteraturichäge von 
ihren Anfängen bit zur Neuzeit. 

Dir „Deutiche National-Litteratur‘ 
zeichnet fi dabei durch mufterhafte Aus · 
ftattung und eminent billigen Preis aus 
(die Pig. & 6—7 Bogen nur 50 Bi." 

Die Deutſche National-Litteratur‘‘ 
if ein mationale® Unternehmen von 
fo_Hervorragender Bedeutung, das 


mehr als Irgend eines Wemeingut der 


wahrhaft Gebilbeten werden follie. Webiideien werden follte. 
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ä Kord- Anerila, 9, 8, in Et., Em. 








Verlag von DIETRICH REIMER in Berlin, 
Juni 1884. 


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Bastian, A., Allgemeine Grundzüge der Ethnologie, 


Prolegomena zur Begründung einer naturwissenschaftlichen Psychologie 
auf dem Material des Völkergedankens. gr. 8. 1884. Preis geh. 3 Mark. 


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wickelung des Brandenburgisch-Preussischen Staates von 1415 
bis jetzt, mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Geschichte, 
Neunte verbesserte Auflage. — Preis 80 Pf. —— — 
AufVeranlassung des ich Deutschen 
Karten von Mykenai, — — Instituts aufgenommen 
und mit erläuterndem Text herausgegeben von Steffen, Hauptmann 
und Batterie-Chef im Hessischen Feldartillerie-Regiment No. 2. Nebst 
einem Anhange über die Kontoporeia und das Mykenisch-Korintbische 
Bergland von Dr. H. Lolling. Inhalt: Zwei Karten in Folio: 1) My- 
kenai mit Umgebung, 1:12,500; 2) Akropolis von Mykenai, 
1:750, in Umschlag geheftet; erläuternder Text in gr. 40 mit UVeber- 
sichtskarte von Argolis, 1: 300,000, in Umschlag gehefter. 1884. 
Preis für die Karten nebst Text 13 Mark. 


Kiepert, H., Nouvelle carte g6nerale des pro- 


vinces asiatiques de l’Empire Ottoman (sans l’Arabie), Mafsstab 
1:1,500,000. 6 Bl. mit UVebersichtsblatt der Administrativ -Eintheilung 
der Asiatischen Provinzen des Osmanischen Reiches, 1: 4,000,000. 1884, 
Preis in Umschlag 10 Mark. Auf Leinwand aufgezogen in Mappe 15 Mark. 

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1:600,000, Mit 8 Cartons: Baltisch Port. Hangostäd. Helsingfors. 
Reval. Kronstadt, Kunda Bucht. Narwa-Mündung. Laven-Sari, 188. 
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Segelhandbuch für die Nordsee. este, zercn 
Amt derAdmiralität. Erstes Heft. Meteorologische und klimato- 
logische Verhältnisse, magnetische Elemente, physikalische und Strömungs- 
verhältnisse des Nordseegebietes. Mit 21 Figuren und Tafeln. 1884. 
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Deutschland. Unter Mitwirkung des Vorstandes herausgegeben von Dr. 
W.Erman. IV. Band. 2. Heft, Mit4 Karten. 184. Preis 3 Mark 60 Pf. 


Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde 


zu Berlin. Herausgegeben im Auftrage des Vorstandes von Prof. Dr. 
G. v. Boguslawski. 1883. X. Bd, Januar bis December. Mit einer 
Karte, Preis complet geh. 4 Mark, [1326] 


Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu 


Berlin. Im Auftrage der Gesellschaft herausg. v. Prof. Dr. W. Koner. 
1883. XVIIl. Bd. mit 9 Karten und der Beilage: Verhandlungen der 
Gesellschaft für Erdkunde, 10 Nm. Pie — geh. 13 Mark, 





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St in D. C. fin, N. Ep. ind, 
Feſdw. G. in R. C. B. ink, 2v. 
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B., Dr. 8. in 2.. @. 8. in &t, 9,8%. 
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B. in y., IM. Cd. in 9, M. 
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III. Jahrgang. Heft 12. 


Die Allgemeine Zeitung 
(mit wiſſenſchaftlicher Beilage und Handelszeitung) 


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für die 2 lehten Monate, . für den legten Monat deö Quartals) zu beziehen. 
ee bei directer —— unter Streifband monatl. 4 ME. (Di. 5. 60 für die andern 
Jänder d. Weltpoftv.) Quarlalpreiß bei wachentl. Berjenbung im Weltpoftverein ME. 12. 


Probenummern nebft neneftem Onuartal-Regifter gratis. 














geitartitel, wiffenichaftliche u. handelspolitiſche Auffäte zc. 2c. in Nr. 160 bis 180. 
Deutſcher Reihstag. — Die Umtehr Ludwig Koſſuths. — Die Routen von Rorosfo 
nad Berber. — Ein Nahmwort zum Kraljewäti-Proceh, — Die nädfte Präfidenten- 
wahl in den Bereinigien Staaten. — Die ungarischen Wahlen und die Nationalitäten. 
Int Morgenland, Von 2. Steub. (VI) — bnifje aus dem dritten Band bes 
Urfundenbudes der Stadt Strafburg. Bon G Kaufmann. — franz Grillparzer. 
Don R. M. Werner. (V. Schlußartitel) — Die Ayeres Urgeſchichte Bon G. ©. 
Gornil. — Mündener Kunft. Don Fr. Pet. — Die Berträge Ruflands 2 Deutſch · 
land von 1656 bis 1808. — Die S —— * Sicilien. Bon I. Walther. — 
Ländernamen. Bon R. Meinpaul, (IV. Sqlußartikel.) — Eiebenbürgen. — Gin 
Beitrag — Quarantãne· Frage. Bon Dr. G. Wild, — Noch einmal die Etrusfer- 
Trage. Bon ©. Meyer — Quer durch Ghryfe. (III. Schlußartitel) — Der bay- 
Nun Bauernfrieg. — Kieperts neue Karte der aflatifhen Provinzen des türfifchen 
eiches 
Die Handelt und Gewerbelammer für Oberbayern über das Stempelfteuergeich. 
Der auswärtige Handel Defterreih-Ungarns im erften Quartal 1884. — ——— 
ſchaftlicher Bricf aus Rußland. — Das ® ältniß der großen und fleinen Landwirth- 
ſchaft zu ben Oetreidezöllen. — Die Ediweiz und bie lateiniſche Münzconvention, 


Deutſcher Reihstan. — Zur ——— Streitfrage. — Eorialreform und 
——— F — ch — Ruſſiſche Belenntnifie. — Oftaſien als Wirtbihaftt- 
gebi n 

Qulcaniamus und Gebirgsbilbung. Von J. Walther. — Die Ausflelung von Meii- 
fonierd Gemälden. — Ans Morgenland. Bon 8. Eteub. (VI. Bank). — — onie 
Daudets neuefter Roman, tanz Xaver v. Haindl. (Mefrolo; alb« 


verwäftung und olzverjchror ung. Bon F. 2 Etzel. — Die Klänge der ber Genre 
malerei. Bon R. Muther. — Die Zuflände im Wiener Hofburgtheater. — Münchener 
Kunft, Bon Fr. Pedt, — Rapoleons I. Jugendjahre nad den neueften archivalijchen 


Forſchungen. (1.) — Die beifiige Yandesausftellung kunſtgewerblicher Alterthlimer. 
Der nor feine wife —— 

orf und feine wi a utung, — us 0 a ufer 
in Tirol. — 5* ahrräberidht. der Handele- und Erenkianne 
für Oberbayern pro 1883, 

Deuticher Reihetan. — Nationalität und —— — Irrungen zwiihen Atalien 
und Oefterreih. — Der engliid: —* chriftenwechſel in der äghptiſchen Frage 
— Das franzöſtſche Necrutirung 

zer Didon und — — ac a Dr. M 


: verſi andeldtag und Geſchäftaſteuer. 

— Neues atlenitoen Eis — hen häfts 2, 2c.: Gotiharbs 

bhn. — Sees See, und Griparnifbant 

andeld und Gewerbelammer 
cinigle Shweizerbahnen. 


Aufträge für aan an die „Erbebition in Münden“, 
TT TREE 


& & SS | 


Handlung der Brildergemeine 
Gnadenfeld, O.-Schlesien. 
Sperialität: — 
Cigarren und Weine 
en gros & en detail. 
MOHTNEDENOEOENENENENEEDERERUTDENENENENEN 


L — DEZE 


VNNDDENNEEE NEIN 


[567) 
LIENEEENETTENDED 


a 











Da uns veeljeltig befannt geworben, dak Schuhe 
unb Stiefel geringerer Dualitär jalſchlich ale unler 
Fabrıtat verfauft werden, lieben wir und zu ber Ers 
Märung veranlaßt, dab alle unjere Fabrikate neben: 
fiehenbe Säutmarke auf der Sohle tragen. 


Otto Herz & Co. 


F'rrankfurt n. M. Grite und ältefte bentide 
Schuhfabrit mit Mafhinen- und Dampfbetrieb. 





Inſeraten · Anhang zu „Dom fels zum leer‘. III. Jahrgang, Heft 12, 


% Weltpoft. 


"2, F. H. in W. G. Sp. in 3. H. 
384 


_. 


F. W. in St, F: €. in J., 
O. M. in G. O. W. in W. RR St, in 
H. H., F. H. im ſt. W. I. in B. B. 
in L, LEeſeverein in A., Amtst. M. in 
ed. E, H. in D. bei M, Schuldit. 9. 
in A, Direltor G. in A., rn, Y. B. 
in 6, D. W. in B. C. W. 6. in®, 
G.Y% in O H in Tb. bi W. S. W. 


4. B. in B. Es if doch ctwas 

gewagt zu ſagen 
„Wenn im Maienglanze 

Die Rebe voll Trauben hängt.” 
Leider tft das nidt das einzig Schlechte 
an Ihrem Gedicht, fondern relativ immer 
noch das Beite. 

pr. B. Wir haben jo viele Ges 
Dichte zur Verfügung, da& Sie faum hoffen 
dürfen, Yufnahme zu finden, Was wir 
aber aufnehmen, honorieren wir auch. 

€. M. in St. Ebenſo Fortſetzung 
ſehr erwunſcht 

D. B. Ihr Lied iſt eines der uns 
gelenteſten, was uns je vorgefommen, 
Wenn Abre Beliebte, die Sie einft frevent» 
Lich lieber geftorben als in anderem Befik 
willen wollten, durch Verſe zu retten 
wäre, Sie würden fie nicht gerettet ha» 
ben. Und id weiß nicht einmal, ob es 
für ein chrbares Mädchen nicht befler iſt, 
tot, als die Battin eines folgen Rene 
fchmierer& zu fein. 

W. 8. in$. Die tröftlihe BVer- 
figerung, daß es Ihnen nicht um Honorar 
zu tbun iſt und daß Fels zum Meer in 
Ihren Belanntenfreilen gewinnen würde, 
wenn wir den Gedichten Ihret „Lieben 
Battın“ Aufnahme gewährten, erweicht unfer 
Herz doch nicht ſo weit, Sie um die fraglichen 
Poe ſiteen zu bitten 

Georg in 3. Das Dichſerheim er: 
ſcheint in Etrichen bei Dresden und wird 
von Heinze redigiert. Nach der Verſchmel ⸗ 
zung mit Edſſteins Dichterhalle iſt es Die 
einſige Zenſchrift ihres Gentes von wirf« 
lichtt Bedeutung. Der Herausgeber ſendet 
Ahnen gavık auf Wunſch einige Nm, 
Aufl. ridtin. Dant, dag Sie uns keine 
Gedichte ſandten 

SB. in Bad Soden. Die bezuglichen 
Peitimmungen find durd viele Jahrgänge 
des Armee⸗Verordnungeblattes zerftreut; 
eine ausjugamweile YJulammenftellung ent« 
halt, Firde, Talchentalender für Das Heer.“ 
Vielleibt gemünt Ihnen das Nachſtehende: 
Die bei der Verabſchiedung erteilte Ausficht 
auf Anitelung im Givtidienit gewährt 
Ahnen das Recht, ſich bei Behörden zu bes 
werben, doch find Diele nicht verpilichtet, 
Eie unter allen Umftänden zur gewünſchten 
Erle zujulafien, Ausſchlichlich durch 
verabfhiedete Offiziere werben 132 oft» 
amtsvoriteheritelen bejekt; Bedingungen 
find körperliche und geiſtige Hültinfeit, 
Stellung einer ftaution von 00— #100 M. 
und das nadı einjübriger Probedienitieiftung 
beftandene Gramen. Anträge find an das 
Strienemimiiterium, Departement für das 
Anvalidenmejern, a richten Außerdem 
finden Offiziere Anftelunn im Strafan« 
ſtalie · Telegranben«, Gijenbahn», Garni» 
fonwerwaltungde und Sommunaldienit, 
Anträge find besw. an das Mlinifierium 
des Innern, das Reicht poſtamt, Abteilung 
fur das Telegrabhenweſen, die betteffende 
Grienbabndirettion, Rorpsinteidantur, ober 
den hetreff Magiſtrat, miemalg aber an 
das Ariegsministerinn, zu richten 

Abonnent in Ehlingen. Wihe viel 
zu alt 







Echukmarle, 











Erfrischend, wohlschmeckend, kühlend. 


Man serstosse einen Bonbon ın einem Glase, piesse Wasser zu und augen- 
blicklich ist unter Umrühren ein Glas Brause-Limmade fertig. 


‚ mit 
Citronen-, Erdbeer-, Himbeer-, Johannisbeer-, Kirschen- u. Orangen-Geschmack, 
sowie einer Sorte, geeignet durch Aufgiessen von Wasser und Wein zur 
Herstellung eines Glases 


Champagner-Imitation. 


Die Brause-Limonade-Bonbons (patent. In den meisten Staaten) bewähren 
sich vorzüglich bei allen Erfrischungsbedürfnissen und sind daber 
sowohl im Sommer als im Winter, ganz besonders auf Reisen, Landpartien, 
Jagden, Manövern, sowie Bällen, Concerten, Theater etc. zu empfehlen. Auf 
die bequemste und schnellste Art — in einem Glase Wasser — geben 
sie ein höchst angenehmes und kühlendes, dabei sanitäres Getränk. 
Schachteln à 10 Bonbons 1 Mk. — Pfg. 
dto. a 5 2 U =: % (937) 
Kistchen mit 06 = 5 .. 00... 

"ür Export ausser deutschen mit engl., rpan.. bolländ., italienisch., 
schwed,, ruas., arab., indisch,, chines,, französ. etc, Etiketten. 
Ferner Brause-Bonbons mit medicamentösem Inhalte nach ärztlicher 
Vorschrift mit genauer Angabe der im Bonbon enthaltenen Dosis des 
Arzneimittels, (Eisen, Chinin, Pepsin, Magnesium sulphuricum, Kalicum 
bromatum, Lithium carbonicum, Natrium salicilicum, Cofföinum) nur 
in Apotheken erhältlich, 


Gebr. Stollwerck, Köln. 


Die Brause-Limonade-Bonbons sind In fart allen Niederlagen 
Stollwerckscher Chokoladen und Bonbons vorräthig, oder werden auf Ver- 
langen von denselben verschrieben. 





Enthaarungsmittel, 


Vrofeſſor Böttger'd Depilatorium in Pulverform von 
G. C. Brüning, ranffurta.M. Anerkannt beſtes Enthaatungs · 
| mittel, giftfrei, ganz unſchädlich, greift die zartefte Haut nicht 
an und it bekbalb Damen aanz bejonders zu empfehlen 

wer (5 ift das einzige Mittel, welches ärztlich empfohlen 

wird. ug (1222) 

Originafdofe & ME. 2., der babei au verivendende Pinfel DIE. —. 25. 
Zu haben in allen größeren Parfümerie- und Drognenbandiungen, 
fowie bei dem Erfinder G. E. Brüning, Frankfurt a. Wi. 












Frankfurt a. M. 
General - Agent 

der [900] 
„Coventry Club“, 
Sicherhbelts- u, 

„Balvo' Bi- 

nnd Tricycle. 
Ersatzth. u. Zu- 
behör. — Neue 
Prosp. gratis. 


Heinr. Kleyer, 
Fabrikant der 
„Herold“, 
Frankfurt. 


»- und Srädr, A 


Velocipede für — 


CA 
3) Erwachsene 
NL und Kinder. 


Velocip.-Roh- 
theile. 















— —— 


Meltpof. — Inferaten-Unhang zu „Dont Fels zum leer’. 


% Weltpoft. 4% 


aron v. B.inE. Der Zujak bet 
doppelttohlenfauren Natrons zumktafiee, um 
denfelben jtärfer zu machen, richtet ji jehr 
nad der Beſchaffenhen des zur Bereitung 
desfelben verwendeten Waflers, je nachdem 
dieſes mehr oder weniger Kalfverbindungen 
enthält. Für gewöhnlides Brunnenmwalier 
enügt auf ein Lot Kaffee eine Mefjer« 
pie voll doppelt fohlenjaures Natron. 
Das doppelt Lohlenjaure Natron kann als 
Zuſatz zu ſchwarzem Kaffee nicht als ver« 
bauung&beförderndes Minel angeleben 
werden, da lekterer jelbit ein ſolches iſt. 
Wird aber Mil in Staffee getrunken, jo 
ift dieſer dadurch viel ſchwerer verdaulich, 
weil die Gerbſäure des Kaffees in den 
Yöjungen eimweisartiger Körber ſchwer 1d5+ 
liche Riederſchläge erzeugt und jomit aud) 
in der Mil; ein Zufak von 0,5 g dop⸗ 
pelt kohlenfaures Natron auf eine Taſſe 
Kaffee dürfte dann von Nuten fein. Das 
doppelt fohlenfaure Natron ijt fein Kon ⸗ 
fervierungämittel für Milch, es müßte 
denn vielleicht in e> reichlichem Maße 
ugeſetzi werden, daß es jur Neutralijation 
ämtlicher Butterfäure, welche gebildet 
werden könnte, austeiche; dadurch würde 
aber auch die Milch ſelbſt ungenießbar 
werben, Dagegen eigriet es ſich in Lleinen 
Mengen als verdauungsbeförberndes Mittel 
beim Genuffe von Milch. Yu dieſem 
Ywede ftellt man ſich ein Pulver bar, 
welches aus 60 Teilen Dlilchyuder, 60 Teilen 
Arrowroost und 1 Teile doppelt fohlen- 
faures Natron zufammengelekt if und 
vermifcht davon 40 g = 3 Ehlöitel, ger 
ftriden voll, unter fortwährendem me 
rühren mit 1 Liter lochender Milch 
4. $. in®. Der Drang macht noch 
nicht den Dichter in dem Fall auch nicht 
die Dichterin. Wenn Sie fingen 
D ich hab’ mid, oft aefraget, 
Ob ich ſchon was Ew'get schuf, 
fo UDnnen wir Ahnen nur eine verneinende 
Antwort geben. Das Vorgelegte bat we» 
nigitens abfotut feinen Anfpruc auf Dauer. 
8, J 3. in 4. Dant für den durch 
Sie bewirlten Juwachs von vier Abon 
nenten. Bilder, die bereits in anderen 
Seitungen gebracht find, können mir nicht 
aufnehmen. Die Hipäfiguren ftreicht man 
am beiten an, wenn fie durch Berraucen 
bäßklidy getvorden find, natürlich mit aller 
Vorfiht. Auch können Sie diejelben fir 
niſſen und dann mit Pronzeftaub behan« 
deln. Beides Überläit man am beiten 
einem Fachmann. 
8. in 4. Die Uhren von F. 4. 
Köhler in Berlin jind fehr zu empfehlen. 
.3.in$. Wenn Eie öfters Em⸗ 
pfehfungsbriefe zu Finiendungen ſchreiben, 
pie den zu Ihren Gedichten an uns, fo 
werden die wenig Glüd damit haben 
Ele ſchreiben u. a.: „An dem Munde 
Ihres fo weit verbreiteten Blattes, wird 
das Motiv des Gedichtt vielleicht feine 
Wirkung alde Warnung nidt ver. 


fehlen.“ wi 
. ». in St. Die Einbanddeden 
find *. mmergleich geblieben und 
tragen fortlaufende Dandnummern. Leider 
haben aber auch Unbeſugte Deden in den 
Handel gebradht, die natürlich) mit unferen 
Driginaldeden nicht lbereinftimmen, 
$. 8. (Eine mit Glüdsgütern Ges 
feqnete.) Zeile ganz Ihren Standpunkt 
Gine Rüdfihtnahme perjönliher Natur 
bat bier newaltet, die nicht hätte walten 
ollen. — 
.B. in T5. In dem Fall iſt 
direte Zufendung am ratjamflen, nur 
müßten Sie in dem Fall mit dem Abon« 
nementöbetrag auch das Porto für 6 reip, 
12 Seite einjenden. 


III. Jahrgang, Beft 12. 


& Weltpoft. @ 





Echte Manila- 






Cigarren, wir 8 nicht Pd a a eh us 
— Bis en er mild. | gei dem Verleger an, ob er Ahnen midık 





ein ramponiertes € far geben will. 
Aercurius. Die Quelle des Eitats 
ift uns nicht ——— — 

. 54. in £-. a chien 
nur 2 Eoakänin RR bereits 
jur Ausgabe gelangt. Die Erjdeinungb- 
weile läht ih nidyt Ändern. 

Dr. 8. in Hdg. Die meiflen unferer 
Lofer find eben anderer Meinung und wir 
müflen tradıten, allen gerecht zu werben. 





100 Cortado M. 10, — 


Paul Zemke, Stettin. 


Importgeschäft. [1327] 
Wir verjenden 
arg. Einſendung 
bes Betrages ober 
Nadnahme: 














Doppel- IR. in WB. leder die Eymptome 
Feldſtecher von Tabakvergiftungen entnehmen wir aus 





„Johnitons Chemie des täglihen Lebenb“ 
(Berlag von G. Krabbe, Etuitgart) 
folgendes: „Die Hrankheitseriheinungen 
betreffen gewöhnlid; zuerft bas He * 
Bewegungen ſchneller, unregelmäßig, aus · 
jehend werden,;... e& treten unfichere, 
jitternde Bewegungen aud der Augen ein, 
fowie Aengitlichkeit, Aniälle von Schwindel, 
Verſtimmiheit, Unaufgelegtjein zu ener- 
giſchem Denten, weinerlide Stimmung, 
bie oit durch unbedeutende Beranlaffungen, 
namentlih durch Mufit zu förmlichen 
Weinträmpfen gefteigert wird." Alingen 
und Braujen in den Obren, Abftumpfung 
bes Geſchmads, Schitörungen, die 

mit Kopfſchmerz, Schwindel und Schlaf 
lofigleit verbunden find, führt Berfaffer 
weiter an. Prüfen Sie Ihren Zuiland 
nad) diejen Angaben und wenden Sie fidh 
bald an einen tüdtigen Arzt. 

a. 5. in Wien. Das eingegablte 
Attientapital der Deilerr.»IIngar. Bant 
beträgt allerdings nidt 39000000 A. 
jondern 90000000 fl. Auf unferer flatie 
Ntifhen Beilage zum Oftoberheit 1883 if 
aber eine bedeutend höhere Biifer, nämlich 
390000000 fl., angegeben, und bieje ex» 
Härt ſich folgendermaßen: 

Ztatutenmäß. Notentontngt. 200 000 000f, 
Onpothelardarlehen nebjt an» 

nelauften Biandbriefen c. 100000000 „ 

Gingezahltes Altienlapital 90000000 „ 

390.000 000 fi. 

Allerdings hätte ed eines ſtommentars h 





für Theater» und 
Neifegebraud, 
mit Sonnenblen« 
den, ſcharf und 
rein zeigend, ınit 
u feſtem Etuis zum 
Umbängen #15. 
Reife: 
Fernrohre 
3—4 Meilen klar 
jeigend, mit 6 Oläfern, elegant in Metall 
gearbeitet, „M 9. [1309] 


odelmaler 8 Sajulb, 
Optiſches Inftitut 
NANugsburg 


Flotho & Kaiser, Cöln 


(921) 
























Importeure 


Griechischer Weine. 


Versandt in Flaschen u. Fässern. 
Preis - Courant franco. 


Lebkuchen 


aus der Fabrik von 


Heinrich SS Häberlein, 


Kal. Bayr, Hojlieferant, [1274] 
yNürnbern.% 
Sortimentätifthen a5, 85. 1OM., 
Verpadung u. Porto inbegrifien, 
gegen Nadın. od. Borberzahlung. 

































Mürnberger 


biejer Ziffer auf unjerer Tabelle beburft, 
der wegen Naummangels fortgeblieben 
Wenn Sie übrigens berüdjidtigen, daß 
die Deiterr.»lingar. Bant die einzige Noten» 
bank für die Öjterr.»ungar. Monardle ift 
— der Umlauf ihrer Noten betrug 1881 
nad dem Status vom 31, Dezember 
30T A. —, während In Deutfche 
land 17 Woterbanten eriftieren und die 
Schweiz jogar 36 Emiffionsbanten befigt, 
werden Zie uns beipflidten, dab »ie 
DeſtertUngar. Bank eine weit bomie 
nierendere Stellung in Defterreih«Ungarn 
einnimmt, als durd blohe Aufführung 
des eingejahlten Altienfapitald vom 
90000 000 fl. angedeutet werden könnte, 
Deren Georg M. Cs kommt bei 
arten», wie auch bei vielen anderen 
Aufig vor, daß einzeln gehaltene 
Bwohlausgebildete, bartidalige 
ein diejelben find, weil nicht 
nit zum Ausbrüten tage 
enogenenſche Entwide 
bei den böberen F 
Bögeln nicht vorto 

































Yungen- und Halskranke (Schwind» 
füchtiae) werden auf die Brochüre 
„Ucber Heilwirlung und Anwen 
dung d. Pllanze Homeriang“ aufs 
mertjamgemadht, melde über die, wäh» 
vend der Dauer v, 9 Monaten ringe» 
bolten, ärsilih und amtlich fonita» 
tirten fenjationen. Sheilerfolge erichö« 
bfende Daritellungen entbält, Gegen 
Einſendung von 10 Pf. Porto zu be 
jieben durch Die centrale Vertrieb 
ftelle daätetijch « bygienifk, Gryeugnt 
3. Kirchhöfer, Trieit. [11 


























gebalte 
Dr. k 


























Weltpoft. — Inieraten-liinbana gu ‚„‚Dom Fels zum leer”, 


“ Weltpoft. ¶ 


zen Abonnent. Die Ne e, ob 
das Nehwild eine Galle (d. allen · 
biafe) beſſhe oder nicht, at in 93 
treifen ſchon oft erörtert worden. — Das 
Rehwild und überhaupt die ganze Gruppe 
birichartiger Wieberfäuer . t thatjädlidı 
feine Gallenblafe. ne ſolche fehlt 
aber aud) ſonſt no& gar a. ESäuge: 
tiesen, 3, B. dem Pferd, dem Eſel, dem 
Elefant, dem Samel, bem Lama, der 
‘Maus, —* amſter u. . w., während 
Rind, haf, Schwein, Hund, alle 
fteifchtre en Raubtiere und tiberhaup! 
die weitaus —— Säugetiere mit einer 
—— nd. Die Gründe 
Bun — chieden heiten zu 

rtern, Adel unjer Gebiet ; übri« 
— ſcheiden die Leder aus derjenigen 
Säugeliere, welche feine Gallenblaſe be+ 
fiten, eine der Galle ähnliche Flüffigkeit 
aus, welde bei der Verdauung der Nah - 
rungsftoffe mitwirft. 


A. in® Mir haben keine be. 
ſtimmte endeng, fondern ſtehen objeltiv 
den Dingen — Ein joldyer Kalender 
riftiert vorläufig nicht. 


A. in A.-P. Ihre Einfenbungen 
ſollen a gelegentlich benüht werben 
. Neber der genannten Lyriler 
bat feine Vorzüge, eine motiviertere Aus · 
einanderieung wäre bier nit gan; am 
Plah. Eine Auflage von 1852 hat wenig 
Wert, wird aber gern vom Berleger gegen 
Nabzahlung für eine neue Auflage ein» 


getauscht. 
.: A. Hier ift das Rezept der 
üpfeli nenmarmelabde. Man jdäle 
von zwölf ſchönen, faitreihen Apielfinen 
die gelbe Scale mit einem ſcharfen Meſſer ⸗ 
chen jo dünn ab, daß nichts weißes an 
der gelben Scale bleibe, fondern die Meinen 
Augen nur durdfchnitten find, und lege 
dieje Schale zwdlf Stunden lang in faltes 
Brunnenwafier, dem man ein wenig Galj 
jugefeßt bat. Die geidyälten Apfelfinen 
und noch eine ungeidälte ſchneide man in 
der Mitte durch, jchabe mit einem Thee · 
töffel Mark umd Saft in eine Porzellan- 
ſchale und lafje Krone und alles Faſerige 
jorgfältig yurüd. Die Schalen gebe man, 
wenn fie die gehörige Zeit in dem ger 
lalyenen Waſſer gelegen haben, in lochendes 
Wofler, koche fie faſt weich, ſchneide fie zu 
aarfeinen Streifen und füge jie zu der 
pielfinenmafle, nebft fein gefiebtem Raf« 
finabezguder (375 Gramm Yuder auf ein 
halbes Kilo der Mafje), vermiſche mit 
einem filbernen Löffel alles wohl in der 
Ginmachtafferofle, ſehe dieje über Kohlen» 
feuer (am beften von Kol a und 
laſſe unter jortwährendem janften Aufs 
rühren und Bewegen die Mafie zum Kochen 
fommen und wenigftens zwanzig Minuten 
fang fort flohen, Die Marmelade muß 
flar und did und die Streifdhen Schale 
dürfen nicht zerrüihrt fein, und man gieht 
hie dann fogleih in eine Schale und füllt 
fie hernach erft in die Gläfer, Licht man 
das Bitterfüße, jo kann man der ange 
aebenen Mafle nod; Schale, Saft und 
Mark von zwei bitteren Orangen zuſchen, 
ge befonder& bei Herren fehr beliebt 
#4, — In England if Diele vortrefilice 
larmelade beſonderr zum Thee beliebt, 
man fie auf offene, mit friiher Butter 
ht befirihene Welkprotichnitten fireicht 
3...an in Idar. Der 1, Januar 
ont an jebem Orte um Mitternadt 
1. Dezember nad Ortszeit. Der von 
n erwähnte Datumsunterfchieb zweier 
bei einander liegender Orte findet 
ih ftatt; genauere# kann bierilber an 
Stelle nicht geneben werben, vielleicht 

fpäter in einem befondern Artikel, 


30]. ie Heidelbera, 1%) 
Bade- Apparaten - Fabrik, 
Bade ’ 6 — 1880 — 1881 
empfichlt als Specialität 
d. Reuefte u. Praktiicfte 
in ®Batent- Zimmer 

Donde: —— 
24 verſchied Nummern. 
zur: Univ. -Batent- 
Badeöfen. Eylinder- 
Yadeöfen, init u. ohne 

Simmerbeizu * Bat. 

irculatſons · Bade · 
öfen, mit denen perma · 
nent ebada werd. fann, 
ohne das Feuer loſchen zu 
J müſſen. Regulirung des 
Badewaſſers auf r 
gewünſcht. Wärmegrad. 
Schneliſte Heigung. Et · 
piofon ausgeſchloſſen. 
Badewannen in allen 

Größen, Façons und 
J Ausjtattungen. Sit. 
badewannen. Geruchloſe 

Zimmer · Cloſets. 
Garten · und Haus. 

ſeuerſpritzen ⁊tc. 
Auftt. Preiscourante gratis und frauco 
A ——— 


5 Bereinigle Smnilätsopparaten-Fabeiken 3 


Tipoivsky-Fifcyer 
(€. Hagel) [1187] 
tdefderg, erfin C. 
ie as | ech 13. ; 
Nollftüßle, 
Saßrftüßle, 




























LIEZEERTESEETEETTIERTETTETETTERTTITEETTELEITEEEETTTTETTTTTTTETEITITTTT 


3 Aubßeftüßle, Bragftüble, 
= jowie alle Apparate zur Gefundheitd- u. 
E Arantenpflege in anerlanntır Güte. 
Proipette gratis. 
Größtes Spejinlgefhäft 
für 


Hanitätsartikel. 


“ hingen Holländer-käse, 


nr und form wie * eizertäfe, 

60 Piennig, feinfte hüringer 
ze eibutter ä 120 Piennig, Poftcoli 
5—10 Pd. verjendet unter Nachnahme. 


FERNER SE EEESEEIOBTERIGENIDL:7o0 LELZITEITTETT 


ALT ITITITTETTTITETTT 





11168) Die Dur Gtingen-Greuf jen. 





III. Jahrgang, Beft 12. 


w Weltpoft. 


nen — ws Ex 


er —— 75 £ il 
ezeichnet, aber ohne [oc win 

n €. (laflen Sie das „erfte 

Pa angeblichen Ben auch Ihr vr 


. (die Einleitu 
jun — jet Fi fd Bo. * 


491), Mohr (Sterntarte oral) 
9. in P.,_A. 30. in 29. (Ele 
agen von den Eträubern, da jie im 
Diai ins Blaue grünen, nun Sie ſcheinen 
* 5 m u ins Blaue zu ei 
n (freunde 
liche —* öl wi ben we 
B viel davon), 

R ig F. de und 
Er ration. Ihlafen den Schlummer bei 
Gerechten im Papierforb), A. ®. in & 
A. P.in A. (auf Ihre Bemertung 
dit aufnehmen oder Papierlorb“ Lafien 
.% na ein 2 m. antworten), 


"ae „int, 4 
> (Ihr 84 fer er gebadıt und 
nit ohne Humor, wenn aud für uns 
nicht geeignet), 38. $. (vorläufig noch 
kein Talent zu entbeden), £. Sb. in 38., 
a. ». £. in A. (Ro. 1 in der Wert» 
—— * en “i uns = 
erne in 
n ?., 6.» 8 in ⸗ 7 
— (das —— iſt ſchon in ben 
— der Zeit berührt worden, aber 
unfere Damen find —— 
* in 4 2 S.\ n1, N in 
(mir find * Material ei ft berieben). 
®. Sch. in ., 9. in $t., 
in B., * R AP RB ii 
54. in &., Dr. 8. in $., 4 m. 
n®., 6. ꝛa M. 
* in D. 
7 J. in 28. (Ahr Brief war viel amu⸗ 
ſanter, ald Ihre Gedichte, Sie ſollten 
Märden jhreiben), O. P. in PD. (Sie 
beginnen Ihren Brief „Ein Philoſoph bin 
Ih nicht und ebenjowenig ein Dichter“, 
von lekterem „Nichtjein* bat und Ahr 
Gedicht den ſchlagendſten Beweis gegeben 
Grfieres wünjden wir Ihnen aber zu jein, 
um mit Würbe ben Echmerz der Ableh⸗ 
nung und —* Epott ——— 
tragen), Alter Abonnent In 
N 5 ur 755 — ar 


: 
Be: = Fir 9 * £. "8. 
in in 8 
Eu dem BER, dad Sie mir 
übers r hängen! u . 1, 
3. 8. in MM. 9. 
Be ga Eh ?. 





£ 4 Be dern, St deli Ko 
an h E 


in 


m. bu ’ 
a in ». ai Eie das — 
ii nur aud an den andern Ort, bei 
uns fann es fo lang es will „ans Benfte 
piden*, es wird doch nicht eingelaffen, Ö 
noch fange nit Rügae 
R Dantend acceptiert — Einſen · 
ungen von in 
I 14 ae 3 
(einige Ihrer Scherze wollen * gerne 
abdruden, für daß weiter in Ausfiht Or. 
u. haben wir aber feine Derwendung), 
MM,P.W.in6., B. 4 
(den Scherz nem zum Drud be 
frde, =. in &. (gelegentlich). 
‚8. in Eb. Wenden Sie ih an 
den Buchhändler Aug. Schulz & Go. in 
Leipsig. Auch der Redacteur db. BI. würbe 
mit Ihnen in Gbange treten 


Weltpoft. — Inferaten.Ankang zu ‚Dom $els zum Meer”, 


w Weltpoft. & 


Dr. A. 38. in$. Mit beftlem Dant 
verffeitißen mir nadıftehend Ihre Yur 
ur: Dito Seifert, Privatbocent in 

ürgburg veröffentlicht in der Berl. Min. 
Wochenſchrift Wr. 36 u. 37 dei Jahres 
1883 feine weiteren Beobachtungen über 
I Wirkung des Ghinolins bei Diph- 
eitis und gibt dort an, daß durch öftere 
infelungen von 5progentigen Ghinolin« 
lölungen in gleihen Zeilen Altohol und 
Waſſer eine Erleichterung der fubjeltiven 
Beſchwerden, inöbejondere der beim 
Ehlingen folge, Rejultate, die aud id 
in meiner Icktmonatliden Praris voll 
tommen, befonders aber bei fatarrha«- 
liſcher Raden- und Helkentıkn 
dung beftätigen fann; der © ift 
kr ftarl, aber nit unangenehm. 1172 
T er Kern über Brennen. 

2 werga.S. Beften Dant 
für die Notiz nnd, des unangench« 
men finnentitellenden Drudfehlers in bem 
Urtilel: „Im Revier des Brodens” unjeres 
Eeptemberheft eb. Zur Orientierung für 
andere —— Leſer geben wir an bie 
fer Stelle folgende Auflläru . Das gröfte 
Waſſerbeden des Harzes (6. 659) heit 
Dverteih, nicht Oderteich, der Abfluß des · 

Iben in füdlicher Richtung nad Lauter» 
a (5. 659 und 666) wird Dber de 
nannt. Die Oder ift ein Bergfirom im 
Gebiete des nörblichen Harzes. Wir bes 
richtigen bei diejer Gelegenheit no einen 
anderen Drudfehler auf ©. 663, wo die 
bübjhe Meine Zeichnung bie „Bein 
genannte Br Buuterhen, nicht 
— ellen ſoll 
in A. 1) Sie wollen freund« 
na dr Ti e —— te abwarten, 
dann werden Sie in ber Reihe „Nature 
anftalten in der uslicpkeit“ von Dr. Rarl 
Rus, in den Abjchnitten über das Aqua- 


rium, alle Ihre Fragen ſachgemäß und 
ausführlich beantwortet finden. für heute 
daher nur folgendes, grünen Algen» 


welder fi an den Ölasplatten 
Ihres Aquarium, inöbefondere an ber 
Sonnenjeite bildet, follten Sie durchaus 
nicht als eine Plage anſehen, denn einer 
feit$ trägt er viel dazu bei, daß fid das 
Waſſer im beiten uftande erhält und 
anderjeitö dient er für Fiſche und andere 
Ziere als wertvolle Nahrung. Im übrigen 
ift er unſchwer fortzubringen, wenn Sie 
nämlih das Aquarium mit "großen und 
Heinen Schneden zahlreich bevöltern. Dieſe 
raſen den Algenanfak ſicherlich ab und 
Lie brauden dann nur vermittelft einer 
entipredhenden Bürfte hin und wieder nach · 
upußen. Ich laſſe die Algen aber, wenig« 
hens an der Sonmenfeite, immer gern 
gr 2) Auch Brunnenwafjer fünnen 
Sie bei Beachtung der nötigen gg 
jur Aquarium Füllung benuben. 
größte Fehler, welden man in ber Regel 
begeht, liegt in dem häufigen Waſſerwechſel. 
Wenn das Aauarium ausreichenden Pflan« 
zenwuchs enthält und regt viele Schneden, 
welche allen Unrat verzehren, jo braudt 
man in Jahr und Tag kein frifches Waſſer 
ju geben, 3) Wenn Sie ben Molchen 
welche übrigens doch nur für kurzge Zeit 
ins Aquarium gehören, entſprechende Ver» 
ftede bieten, jo eu! fie ſämtlich unfhwer 
ans Futter: lieg ne Meblwürmer 
und geihabtes *8* ie (Dr. 8. R.) 
Jeanne Eglife. Sie haben über all 
der unfrudtbaren Philoſophie vergefien, 
Ihrem Mätjel die Wſung beizufügen. — 
Dame Infognita zu meinen Fügen fann 
mid nun freilich nicht reizen, aber wenn 
das Wefen, dab fi dahinter verbirgt, jo 
häßlid ift, wie Sie — win id es 


anfak, 


mir wohl gefallen la 


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75 PFENNIGE. 





11. 


Jahrgang, Beft 12. 


% Weltpoft. 4& 


. MM. in Sf. Der betr. Berfafler 
ba zu Myeriben aufgehört. " 
3.M.incKb. Nur langfam, es kommt 
Alles. Der Eiherz if nit neu, daher 
für uns => wohl berwenbbar. 
®. 4. in 4. Her Gbuardb 
Fläber in ——— (Beipziger Sir. 14) 
2 bereit, Ihnen das beit. Buch zu ver⸗ 


8. 4. in ®. Gegen Shuppen- 
bildung wird u. der in der Apothefe 
um König von sm in Debenburg 
— —*8 empfohlen. 

8.8. in 33. Sie jagen, Ihre Ge- 
dichte jeien feine eilfertigen Reimereien. 
Und wenn Sie zu dem Früblingelied auch 
noch bejonders lange Zeit gebraudt haben, 
fo thun Sie mir aufridtig leid, bennm 
etwas Trivialeres ald bie Zufammen- 
ftellung der Reime Luft-Duft, blau-Au, 
grün · blühn, jang-Sllang, kann man fi 
doch in einem Frühlingslied night wohl 
denfen. Drigineller ift das abſchließen de 

Alles fro 


Bleibt nur fol 
aber jhön oder poetiih um alles in ber 
Welt nicht. Wir ändern mit Bezug auf 
Sie „bleibt nicht jo!* 

3. 4. in. Sie folgen, weil Sie 
augenblidlih bei der Kavallerie ftehen, 
müßten Sie aud den Pegafus reiten fönnen, 
Aber mit nichten, Sie find bei biejem 
edlen Tier nicht einmal als Stall knecht 


| zu gebrauden. 


.5. in 8. Gin Bud, akt ber 
&emie c gewinjchter Ausführlidfeit be⸗ 
banbelnd, dürfte wohl nicht eriftieren; bei 
dem heutigen Standpunft Der rbene 
chemie ift es nicht mehr möglid, famtlihe 
gem in ihrer Darftellungsweije und 

nwendung mit all den bamit verfnüpften 
Nebenumftänden in einem Werte zujanmen« 
uftellen, Als Fachwerte für parbendemie 
empfehle Ihnen: Gentele, I. ®., Lehr ⸗ 
buch ber Fardenfabritation x. Braune 
chweig 1880 Irre a” (Ladenpreis 

.12.) Bolley, ®., € Kopp u 
N. "Meyer, Die Fünftlich —— Farb» 
ftoffe. 4 Zle. Braunidiweig 1870/1880, 
Mit Abbildungen. (Babenpeeis mM. 17.) 
Mierzinsly, &t., Die Erd-, Minerals 
und Ladfarben. Weimar 1881. (Vabenr 
er * vor Dr..3.&. Audling- 


€.» 
2. e pi RR NG 
— Die in der Schwan ⸗ 
— vortommenden Perjönlicteiten 
nd wie alle Marimilien Schmidihen 
iguren nad dem Neben gezeichnet und 
in Berdtesgaden teilweife leicht zu er« 


fragen. Die Namen find natürlich fingiert 


bis auf den alten „Weyerzist”, den der 
Autor aus der Vergeffenbeit gejogm und 
der künftig wohl öfters mit Ehren im 
Berchtesgadener Lande genannt werben 
dürfte. 

. 5. in Gooperfiowu. Nur ſeht 
weniges in der Erzählung gehört der Wirt« 
lihteit an. Die Belanntibaft mit ‚einer 
Dame und eine flüchtige Mitteilung über 
ine Oeſchicd aus zweiter Hand regten den 

. an, feine Sraft im Ausjpinnen 


‘ zu verjuden. 


. in 99. Danf für bie Mitte» 
fung, dak Württemberg nicht, wie &. 41 
angegeben, 1841, fondern Ihon 1824 bie 
erite Dampfmalsine eibielt. Sie trieb 
das Dampiihift „Wilhelm“, weldes am 
11, Nov. genannten Yahres feine erite 
Probefahrt madte und am 1. Dez. feine 
regelmäßigen Fahrten begann. 

.& in 8. Das ift ein Irrtum 
Könige, der, fo viel wir wiljen, in ſpäleren 
Auflagen werbeflert n urbe. 





Weltpoft. — Inſeraten · Anhang zu „Dom Sels zum Meer‘, 


 Weltpoft. t& 


A in RK. Hier das Gewünſchie. 
Falſche Schildtrdien · Suppe. (Mock Turt- 
le Soup). Man nehme einen abgebrübten 
Salbölopf (mit der Haut) und beine ihn 


111. Jahrgang, Beft 12. 


“ WBeltpoft. BR 


a Su: io db ire. 
Eie à⸗ ie De IE: 
fteller ir fig mit Il; der Rätjelauf« 
geber hat ihm eigenmädtig das eine ba» 


ZIEGLER & GROSS - 


1 Probe-Kiste 








aud, weldyes am beiten gebt, wenn man 
der untern Länge nah einen Einſchnin 
madt und das Fleiſch dit an ben Rinn« 
baden, der Schnauze und über der Stirne 
abiöft, hierauf ein wenig wäfjert, mit 
faltem Wafler und etwas Salz zu Feuer 
bringt eine halbe Stunde kochen läht und 
wieber in faltes Waller legt, das Fleiſch 
dann in drei Gentimeter große, vieredige 
Stüde ſchneldet und in Fleiſchbruhe voll 
ends wei fodt. Nun röfte man einen 
Ehloffel Diehl in 125 g Butter jhön braun 
und gieße nebſt ein 1, Liter Rotwein, h 
viel Fleiſchbrühe Hinzu, daß die Brühe 
gebunden aber nicht did ift, fie muB eine 
bie zwei Stunden langjam foden und 
forgfältig abgefettet werden, wird dann 
dur‘ ein Sieb gegoffen, mit I1,—1, Liter 
Madeira und einer Mejieripige Cayenne» 
piehfer gewürzt und nebjt @ierflöächen und 
Farcentloechen zu den Kalbslopfſtildchen 
geiban. 

Gierflöshen. Man rühre ſechs hart» 
gelochte Eidotter mit drei rohen Gibottern, 
ein wenig Butter, Salz und Musfatnuß 

u einer glatten Mafje, forme mit ber 
Dans, die man öfters mit Mehl beftaubt, 
Tieine runde löschen und koche fie vier 
Diinuten in Fleiſchbrühe 

Farcetiltöshen. Man nehme 250 8 
geſchabies, rohes Halbfleiih, 25 g in Milch 
geweichtes und außgebrüdtee Meihbrot 
ohne Strufte, 25 g Butter und ein Gi, 
ftoße es zujammen im Mörfer und ftreidye 
es dur ein Sieb, würze mit Salz, Pfeffer 
und Muskalnuß und forme es in löschen, 
indem man einen Eheelöffel mit der Maſſe 
reichlich füllt und dieſelbe mit einem feuchten 
Meier, nad der Mitte zu in die Höhe 
pist, dabei recht glatt ſtreicht, dann vor» 
ln heraußjchiebt, daß ed wie ein großer 
Mandeltern ausfteht und fie zehn Minuten 
in Fleiſchbrlihe kocht. 

Dehſenſchweif · Suppe (Ox Tail Soup). 
Man wajhe den Ochſenſchweif, ſchneide 
ihn gliebweife durh und thue die Stüde 
nebft einer halben Möhre, halbem Scherie, 
Porren und anderthalb Ywiebel, alled in 
Stüde geihnitten, Thymian, Yorbeerblatt, 
einem Sträuschen Pelerfilie, und [eds 
Pfefferlörnern, in eine Kaſſerole, deren 
Boden mit ein wenig Bulter beſtrichen 
worden, gieke 14 Liter Wafler darüber 
und lafſe fie auf lebhaften Feuer jhön 
braun braten, während dem man die 
Stafierole bisweilen ſchüttell. Dann rübre 
man 60 g Mehl hinein, fülle eb mit 
14, Liter Wafler auf, gebe einen Thee ⸗ 
töffel Salz dazu und rilhre noch fo lange, 
bis ed kodht; jehe nun die Kaſſerole zur 
Seite und nehme Schaum und Feit pünft« 
lich ab, füge einen halben Zheelöffel Fleiſch ⸗ 
ertraft binzu und lafle es, unter wieber- 
boltem Abihäumen und Abfetten gelinde 
tohen, bis die Schweifſtüde fo weich find, 
daß das Fleiſch ſich leicht von den Knochen 
föft, lege fie in bie Suppen»Zerrine, niehe 
die forgfältig abgefettete Suppe durch ein 
Sieb darüber und aebe in Butter geröflete 
Weipbrotichnitten hinein, Wenn man, 
eine DViertelftunde vor dem Anrichten, ein 
Glas weiken Wein oder einen Guß Ma— 
deira und eſwas Gahennepfeffer zu ber 
Suppe gibt, jo gewinnt fie fehr, doch iſt 

v. P 


es nicht gerade nötig Wv. P. 
Av. M. in G. Gedichte gänzlich 
unbraubbar. Die einzelnen Punkte bes 


deulen Buchſtaben, die auß ver geringeren 
oder Öjteren Wiederlehr jener gefunden 
werden müſſen. 











mit 12 Flaſchen in 
verſchied. vortreffl. 










E Sorten. — Stifte w. SO 
3 | Stajchen frei — J 
= 5u Post- 3 
Kistchen 
2 Ko, = 
oO afchen, | = 
„füß, franco | S- 
5 nach allen Orten | 2 
des beutfchen Reiches 


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5 Rundstäbe v.6-35mm stark, rohu.polirt, 
& Wäschklamımmern, Bürstenhölzer, Knopf- 
& hölzer, Postkistchen. 


san cederiaeraag ceoenene vone Nora 







von we De — nm 
a Re 5 zung r 
jeden —— Würjelfpielen völlig 
ausreichend: eine betailliertere Bel ung 
würde ben Rahmen bed Brieflaftens übers 
fhreiten. — Wenn Sie uns Ihre Pofl- 
adrefie ſchreiben, werben wir Ihnen aus · 
führliche Anleitung brieflich zugehen laſſen. 
». g, in $. ir erhalten nod 
folgende Antwort. Das gewöhnliche Bolt 
zählt: Sonntag, Montag, Dienftag, Mitt- 
woch, Donnerjlag, tag Samt und 
wieder Sonntag. Es betrachtet Sonntag 
als abjhliekenden und einleitenden Tag 
der Mode. Wird alfo doppelt gezählt. 
Man barf nur die Probe bei Schultindern 
maden und bie Tage auffagen laſſen. 
Heitabfchnitt 14 eg grilndet auf ges 
naueres Fingeben in Beftimmung der Zeit 
im gefdäftlichen Verkehr und als fte 
des Mondmonates, mas die Dandleute 
felbjt ſeht gut wiffen. 
Harzer in F. Wurde ſchon früher 


berichtigt. 
— C. in A. Verjeihen Sie, 
wir wollen uns beſſern. 

&. A. in Die erfle Ihrer Auf- 
gaben wollen wir gerne acceptieren. 

Karl Keiling. Ihr erfied Manu“ 
jfeipt hat ums nicht fehr imponiert, aber 
itreben Sie nur fort auf bem Pfab ber 
Scähriftftellerei. Sie find ja erſt 18 Jahre 
alt, da erträgt die Stonititution nod eine 
Weile die Hungerlur, 

3. &. in B. Die Verjpätung der 
Auflelung der Hefte liegt nie am Ber« 
lage und müffen Sie fich deshalb an Ihren 
Bermittler wenden. 


@. £. in 6. Das hängt ganz von 


Sen ab. 4. Ir 6 
„P B. in Sh. Ihre Gedichte ver- 
blüffen durch ihre wunderbare Untlarheit. 
Ginmal trägt ihre Beliebte ein rote® Band 
im Haar und da wünfden Sie in Ihrem 
offenbar „Annberüdendem* Schmerje: 

Arägft Du dod um Dein Herje 

Ein rotes Band für mid. 
Denn wieder heißt ed mit Rüdficht darauf, 
daß ein Jüngling den ganzen Tag den 
Spuren feiner Geliebten nachgeht, 

Folgt daraus, daß er nur hier Richts 

t 


t. 
Wenn Sie dod mit dem gleien Effelt 
den Epuren Ihrer eigenen Schönen folgen 


— int 
A. ind. Meigela und Schaf 
fäfleın Mi ihon erſchienen, Göh er 
uffifreundin. Mätfel nicht ver⸗ 

wenbbar. Der Urjprung des Wortes Römer 
(für Zrinkgefähe), der fid bis ins 17. Ser 
hundert zurüd verfolgen läßt, ift nicht be 
tannt. Das betr. Reiterftüd fann von 
einer Dame jehr wohl ausgeführt werben. 
Auf Handbihriftenbeurteilung verftehen wir 
uns leider nit. — 

y. B. in BY. Gelegentlich Die 
Maſſe det Stoffes ift eben zu groß 

Abonnent in Weißkirden. Gott« 
hans „Portif* (Breslau, Trewendt). 

Abonnent in ®. Das geht aus 
Raumrüdfihten nit. 
.  Preikalferehe. Mit den Senntniffen 
eines Terzianers oder Selundaners lommen 
Sie volftändig aus, 
4. in BB. Diefelde Geſchichte paifierle 
in meiner Gegmwart einem beriihmten 
Bildhauer, der burd die auf dem Waſſer 
ihwimmenden Bitronenfcheiben verleitet 
mwurbe, zu glauben, es handle fih um 
Limonade. 





Weltpoft. — Inſeraten · Anhang zu Vom $els zum Meer”, III. Jahrgang, Beft 12, 


% Weltpoft. {6 


Adonnenutind. Ihre Idee, den Arieger 
mit einer —* don dei Tier. 
reichs zu vergleihen, wird Ihnen wenig 
Spmpathieen erwerben, Das gilt übrigens 
a. ganz im allgemeinen von dem erflen 

erh: 


RNützlich und ſchön wie das Roß, fei 

der Krieger im Arme deb Tyriedene. 
Sie Gludlichet, daß Sie nur ſchoͤne? Roffe 
Iennen, Ihnen ift offenbar der Anblick 
sroßfäbtiiher Droſchlengäule bis heute 
eripart geblieben. 

Dr. 3. in £. Sie haben Ihrer Be- 
rehnung entweder eine uünrichtige Formel 
au Orunde gelegt, oder einen Rechenſehler 
gemadt. Die goldene Zahl von 1970 ift 14, 
und biejer entſpricht für die Jahre 1900 
bis 2199, wie aus jeder Oſtervollmond⸗ 
tabelle zu erjehen ift, der 32. März als 
Dftervollmond. Diefer Tag ift im 
Jahre 1970 ein Sonntag, Dftern fällt 
daher auf den folgenden Gonntag, 
alfo auf den 29. — Nach der Gaußſchen 

ormel ergeben ſich für das betr. 

gende Zahlen: Biererreft 2, Siebener« 
veft 3, Neungehnerreft 19, are 1, 
ge Siebenerrefl 6. Die ten 


(N) 
3. Die einfachſte Methode, Gegen« 
ftände, befonderß polierte Eiſen · und Stahl» 
objelte zu vernideln, befteht im fog. An« 
fieden. Nah Fr. Stolba wirb zu einer 
verbünnten (5—10%,) Auflöfung von che · 
miſch reinem Ghlorzink fo viel Nidelfulfur 
zu t, bis die Flüſſigleit ſtark grün 
ärbt ericheint. 


Ichlägt 
dem Objekte fein Oxyd ober anhaftet, 
in Form einer glängenden blanfen Schicht 
nieder, Erſcheint der Begenftand überall 
vernidelt, jo wird er mit Waſſer, worin 
etwas Kreide ſuspendiert ift, abgeipült und 
orofältig abgetrodnet. Das Anjehen der 
o vernidelten Gegenstände ijt ein RR ge · 
Alliges, namentlich bei polierten Objellen, 
wo die Nicelſchicht mit einem Stich ins 
Gelbliche eriheint. — Als Bezugkquelle 
für die bei der Vernidelung nötigen Che · 
mitalien empfehlen wir die Chemiſche 
abrit auf Atien (vormals Sdyering)”, 

erlin, Tyennftraße. (M) 

. in 8. Prüderiel 

. 6 9. 5 Zu allem lyriſchen 
Mupfeligen auch noch zweierlei Kitteraturs 
ge ſchichte, daß ift denn Doch zu viel verlangt. 
Unus ex multis. Bom neuen Jahre 
ang fol Ihr Wunſch dur entfpredhende 
Genberung der Bejeichnung erfüllt werden. 
in 9. Ihr Gedicht iſt durch⸗ 


Fr. Mm. 
u sa Eine Höffige Anfr 
u. ‚in®. te nfrage 
an die Direftio® der tal. arinye u Berlin 
wird fidher zum Ziele führen. In betre 
Yhrer andern Trage verweilen wir au 
Raufer, „Meerihaums« und Bernflein« 
mwarenfabrifation* (Wien 1870). 

. $. in 9a. Fig. 7 auf 6.68 fleut 
Holyhäufer in Chicago, fFig. 3 auf S. 69 
das Uniondepot in tanjas Gity dar, Nur 
ein Irrtum im der Signierung der Holj« 
—* verurfadhte diefes unliebſame Vet · 

ben. 

(ud FroßAnn in 38. Glaurens 
monde Pe Sie ir be durd 
ein Antiquar, eiwa Scheible bier, Die 
Firma Wallroih egifliert noch 














= Corallin = 


ein mit" patentirten Maldiıen behan- 
beiter, ameritanifher PrlangenfaferRoff 
bon underwüßliher Dauer, ift leiter, 
elaßifder u. dabei bifliger, als die bid- 
her angewandten Gorjeteinlagen, wie 
Fiſchbein, Hornfläbe, Etahl xc. 

Für Nichtbrechen der Corallin- 


| 


Einlagen wird unbedingte Garantie in 


der Weise gelristel, dass der Wfache 


Betrag desKaufpreisesanstandslasver- 
qütel wird, wenn diese Einlagen währ- 
‚Ora nn» nDiagen 
brauchen beim Wafchen nidt an 
bem Gorlet entfernt zu werden. 
DW” Das Corallin-Corset 
bt ih megen jeiner großen Schmiegs 
—8 dem Körper befonderd ſchön ar 
und trägt zw einer bortheilhaften 
Figur anferorbentli biel bei, 
$ iehen durch alle größeren Gors 
ſel · Geſchafte. wo man ausdridlic: 
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® Weltpoft. {& 


. &. in 4. Ihre Wünfde ſollen in 
Betracht gezogen werden, der eine babon 
läßt fi fidher erfüllen, 

- #. in 38. Zur Bertreibung diefer 
tä = Müden lann man eine befjondere 
Urt Räuderlergen verwenden, deren Raub 


ben Zieren widerw iſt. As Schut- 
mittel finden wir am fiderften, auf den 
vier Bettpfoflen Stäbe zu fligen, bie 


oben durch Querleiften verbunden find 
und das dadurch entfichende Geftell mit 
feiner Gage zu begiehen. An der vorbern 
Selte läßt man die durch irgend etwas 
an ihren Enden belaftete Baze lofe Herab- 
pängen, um in dad Bett gelangen zu 

nen. Rur muß man fi hüten, daß 
dabei die Tiere in den geihüßten Raum 
bringen, da fie fih dur bie Beichrän- 
u noch unerträglider gebärben als 
ont. 


3. 8. An Dr. Rlein in Köln be- 


fördert. 
A. %. ing. Das Gewünfhte ge- 
ſchieht ja — und wird in * 
ige auch weiter geſchehen. Das B.ſche 
epilatorium erhalten Sie bei jedem beffern 
Friſeur, eine bef. Mor. ift uns nicht befannt 
£ in 8. Diefe pätung liegt in 
dem Bezug durch die Poft begründet. 
5 in A. Das liche ih nicht 
gut ausführen, weil die Beteiligung für 
derartiges zu gering fein würde. 


Wi . Bon bi 
liegt BEER ber Fe — 
&:. £. in St. it die Gewinnung 


der jiwei Abonnenten jagen wir dem ver» 
ehrten Herrn Kollegen beften Dant, 

A. in & Dante für freundl 
Anerbieten, wir haben genug. Stemtarte 
beforgt. ne derartige frang. Zeitung 
* 6.100 Die Umgeflaltung Apres 

. &. 100. mgeitaltung 
Namens können Gie nur mit behörbl 
Genehmigung vornehmen. Wegen der 
— Fragen wenden Sie fih an einen 

rt, 


$. ®. in. Schön if das freilich 
nicht, 3 bezieht fih natürlich 
auf die Hüte und nicht auf Die Maler, 
die. diefe en. 


3. A. in FÆ. Borläuftg nicht. 
F gt: in 8. Ihr Bunte iſt 
logiſch, aber im allgemeinen machen ſich 
die Männer aus ſolchen Sachen nichts 
A. 6 v. A. auf 5qcht. 31. Loſungen 
richtig. Silbenrätfel leider nicht ver 
wendbar. 
—— — „Ein feſte Burg ıc.* 
ie Aufloſung des Rebus, 
. a. in A. Sie haben ja leider fo 
reht mit Abrer Ieremiade über den 
Modeteufel. Doc feien wir ehrlich! Die 
Frau iſt's nit allein, die ihm bul« 
digt, au wir Männer tragen einen 
großen Zeil der Schuld. In dem einen 
Buntt jebod follten die Familienpäter 
einig fein oder werden: in der Erzie 
bung des beranwadjenden Gr 
Ihlehts. Daß die Heinen 4—Sjährigen 
Mädhen als Parifer Mobedamen en 
miniature —— wie Aeffchen ji 
mit ihren Glaçgées und Sonnenſchirmen 
— und auf dieſe Weiſe anftatt in 
njahheit und Natürlichkeit aus purer 
Puppentänbelei der Mütter in der flo 
fetterie und Gefallſucht großgejogen werden 
— das joll und darf nit fein. Fangen 
Sie daher getroft an, in Abrem Streife 
für einen „Berein gegen Modenartheit“ 
Propaganda zu mahen. Doch geheim, 
lieber freund, das rate ih Ihnen, jonft 
t Ihnen bermaleinfi eine andere 
enfeier bevor, als fie dem ſeeligen 
Frauenlob“ zu teil geiworben, 


war 
3 





Weltpoft. — Inferaten-UUnhang zu ‚Dom $els zum Meer. III. Jahrgang, Beft 12. 


% Weltpoft. {& 


4. mM. 12. Wenden Sie ji einmal 
an Dr, Dar Budyer in Münden: er wer 
vieleicht einen Nat, oder hat ein Leſer 
Yult nah Nfrita zu geben und einen 
Diener mitzunehmen ? Frageſteller wünſcht 
einen ſolchen Bolten zu begleiten 

85. 6. in A. Dant für Ihre Dlit- 
teilung. Aendern läßt fib nun freilich 
jebt nichts mehr an der Sadıe. 

>. in Ed. Vielleicht dient Ihren 
Zweden W, ©, Brills Hollandsche 
Spraakleer, 

€. W. in. Wir empfehlen Ihnen 
ſeht W. Schröters Unterrichts« und Er- 
jiehungsanstalt für geiftig zurücgebliebene 
Kinder in Dresden-Neuftadt, Apelliir, 44, 
über die foeben der jehr injtrultive zweite 
Bericht erſchien 

A.B. in3 Wenn Fleiß voraus» 
gelebt werben darf — ja! 

8. 5. in St. £. Genen den Nadı+ 
drud amerifanijder Mittel können wir 
leider nichts thun. 


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Wissenschaft die Rich. Brandt'iden Schweizerpillen einer Prüfung 
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und durchaus unſchädlich erklärt. 

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Appetitlosigkeit, 
Verstopfung, 
Blähungen, Leber- 
& Gallenleiden, 
Hämorrhoiden, 
liberhbaupt gegen Vers 
Dauungs- und Untere 
leibeſtörungen haben 
ſich die Rich. Brandt- 
ſchen Schweizer- 
pillen in unzäbligen 
Fallen bewährt und als 


wieſen, welches die vor« 
jüglichiten Eigenſchaften 
in fich vereinigt. Dieb 
find denn aud die 
Gründe, auf welden 
der MWeltruf der Rich, 
Brandt'ihen Schweizer« 
pillen ſich baſiri. Der 
billige Preis von M. 1 
pro Doſe maden dies 
felben Jedermann ie 
aänglid, doch achte man 
darauf, die ädıten Rich. 
Brandt'ichen Schweiger ⸗ 


pillen zu erhalten, welche auf der Doſe ein Etquett, wie obige Abbildung zeigt, 
tranen. Zu haben in den meisten Apotheken des In- und Auslandes, 
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Weiten; Cöln: Ginbornapothele; Dresden: Mohrenapothefe; Frankfurt 


a.W.: Nölerapothefe; 


Hamburg: Apotheler A. Rod; 


Hannover: Vöwen- 


apothele, München: Noimapotbete; Strassburgi. E.: Meiſenapothete; Stutt- 


gart: Apotbefer Reihlen 
Hoher Marlt 12. Schweh: Genf: Apotbeler A. Sauter, 


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III. Jabrgana, Heft 12. 


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Kennt ihr das Aanberwäldden nicht 

Mit feinen rerſchlungnen Gehängen, 

An welchem jtreitend am Fuft und Fidt 

Viel tanfend Bäume id drängen? 

Hier Tenket ein mächtiger alter Raum 

Die Jeſte kraftlos hinunter, 

Dort ſchießt ein junger empor durd den Raum 
Und breitet die Wipfel munter, 


Ahr konnt ihn, den Wald der Fitteratur — 
Ahr kennt audı das Zäumchen, das itolze, 
Ganz wenige Jahresringe nur 

Erſcheinen an jeinem Holze: 

Doch jtieß' es am Himmel au, wenn es könnt, 
Schaut keh ih von feiner Höh’ um 

Und feiert, was jonſt nur den Greifen vergönnt, 
Schon heute — cin Iubilöum. 


© fünfzigtaniendüer Abonnent, 

Faß Dir ein Smollis bringen: 

Das joll, fo weit man Dich nennt und kennt, 
„Vom Fels zum Meer‘ erklingen, 

Und das ift weit! — Dei Neih und Arm, 
Am Sonterrain und in der Manjarde, 

Im Schloffe und anf einfamer Farm 

Grägt man ten feine Kokarde. 


„Derr Briefträger, geben Sie endlich her!“ 
Auft bier Herr Schulze am Feniter, 


Er lechzt nach dem neneften „Vom Fels zum Aleer“, 


- Au bannen der Fangweil’ Gefpeniter; 

Eine Frau, auf der Nafe das Augenglas, 
Tritt ihm anf der Treppe entgegen — 

Ihr machen zumeist die Novellen Spuß — 
Sie gibt ihm &rinkgeld und Segen. 


Herr Müller ftndiert bier emſiglich, 

Was er feiner Gattin verehre, 

3 wette, er enticheidet ſich 

Anleht für „Vom Hels zum Meere“ — 


Iwei Knaben leſen es zumal, 
Wenn fie zur Schule laufen; 
Gemeiner fa gut wie General — 
Sie müſſen es alle kaufen. 


er Bageitolz leiend unverwandt 


Aſt anf nnd nieder geicritten, 


Dabei ift der eben gekommene Band 
Noch gar nicht mal aufgeſchnitten; 
Das Fräulein — wenn auch nicht mehr ganz jung — 


; Rann ihn kaum vor Sehnſucht erwarten, 


— 70 m — — — ——— me. 


Er bringt ihr Fehre und Aufklärung 
Für Rüde und Yimmergarten. 


Awei Damen aus der Haute rolée — 

Der Aimer hält am Schlage — 

Entnehmen joeben, wie id jeh, 

Was eridienen vom eriten Tage: 

Die Bilder werden in dem $alon 

In Ankunft paradieren, 

Und auch vom Terte kann man — au fond — 
Noch manches profitieren, 


Bier nicht ein Schneiderlein vom Rod 
Den Wilhomm dem lieben Aunden, 

Dort wird gar in den dritten Stod 
Der Bansfreund emporgenunden, 

dier endlich blidt der Millionär 

Süß Ihmanzelnd noch vom vor’gen, 


Als mit dem nenen Befte „Fels zum Meer“ 


Eintritt fein trenes Mohrden. 


KRurzum, wo der liebe Gajt erſcheint 

Giebt es Bewegung und Erabel, 

Und wo man gähnt nnd wo man meint, 

Erregt er Intereſſe und Inbel: 

So eile nun fürder, im Siegeslanf 

Wie eine Hodhflut braujend, 

Und fteige, mein mutiger Freund, slüdanft 


‚ Bald in die 


IT o60- ! 


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Aaubilãums-Preisaufgabe. 





Bo il der Sünder? 


Um an der Freude über unſern ſchönen Erfolg auch uniere freundliche Leſer teilnehmen zu latjen, ſhreiben wir biermit ein? 


Aubiläums-Preisauigabge aus, Die darin bejtcht, in obigem Bild den armen Sünder zu erlennen, dem das Zcdmunjeln des Zeufels 
eilt. Leder Abonnent fanrı an der Yölung dieier Preisaufgabe teilnehmen und wer rt zu dieſem Amer jeden Heft eim blauer 
Zettel beineneben. Nur Yöiungen, welche auf die Niitieite dieſes Yettelz neihrieben And und vorn die Quittung dee Buchhandlung 
tragen, bei der die Zeitichriit abonniert wurde, können bei der Preieverteilung berüdjichttat werden. Die Sendungen jind portofrei an 
die „Redaftion von Vom Fels zum Meer, Stuttgart” zu richten und muſſen bis zum Lk, April in deren Händen jein,. In dem nädıiten 
nad) diefem Termin erſcheinenden Het wird das Resultat der Verlofung, welde zwiſchen den Giniendern flattfindet, befannt gegeben. 





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Radierung. Nbzüne vor der Schrift. 3-17. Preis: der Bey: 
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bildung des Criainals, 38-40. Preis: el Ant. dv. Werner, 
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Der