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MUSKEGON, MICHIGAN
MAY 257 1848.
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Bweiter Band
(April bis September 1884.)
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Stuttgart.
Drud von Gebrüder Kröner.
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154353
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Inhalt.
Bweiter Band (April bis September 1884).
Seit
Romane, Hovellen, Blaudereien u. dgl.
Amyntor, Gerhard, von. Wer wars? . 194
Beder, A. Eleonore 16. 157. 280.381.545. 641
Berger, M. Wär’ ich geblieben doch — ig
meiner Heiden! . s 7
Ganghofer, Ludwig. Der Lehte 211
Godin, A. Die Madonna mit den Lilien 484. 616
Yolai, Maurus. Die Caldaria . . 330
Juſtinus, Oskar. Eine glückliche Kur 676
gaujer, W. Ein unbheimlicher Reifebegleiter 51
Löhn— Siegel, A. Ein alter —— 450
Malſer, Hans. Herr Florin 433
Oelſchläger, Herm. Engel Kirk 512
Rangabé, A. R. Die Najade 2.0, 188
Ze Dtto. Siebenſchläfer. 351. 530
Schwebel, Osfar. Die Feſte der * Bing
zeit in Deutihland . 272
Voß, Richard. Vedi Napoli 241
Zänder- und Völkerkunde, — ic.
Halifar, John. Aus dem himmlischen
Neiche der Mitte. Mit 10 Iluftrationen .
Heinzel, Mar. In Kübezahls Revier .
Mit 20 Jluftrationen von R. Schuiter.
Hellwald, Friedrid von. Leben und Treiben
in Merifo. Mit 10 uuftrationen . . 559
Herzfelder, J. Bon Interlafen zum großen
St. Bernhard }
Hollmweg, Bernhard von. Bei den Rothäuten
Mit 12 JUuftrationen.
Martini. Die Mafia in Sizilien ;
Mehlis, E. Eifenberg. Mit 4 IMuftrationen .
Pecht, Fr. Eine Perle unter den deutjchen
Städten. Mit 10 IMuftrationenv. BP. Mannfeld N;
Pietſch, Ludw. Die landihaftliche Umgebung
Berlins. Mit 13 Iluftrationen von DO, Strühel 258
Ruthner, Anton v. Oberöfterreihiiche Seen 599
Mit 15 Aluflrationen von I. I. Hirdner,
Bogel, H. W. Im Fluge durch Amerifa . 62
2Rit31 Mutationen von. RNAirchner, O Strüpel
un rö
Weſſely, J. € Die raotfge Schweiz 417
Mit 18 Jluftrationen von E. Geyn.
Naturwiſſenſchaftliche, naturgeſchichtliche und
eilwiſſenſchaſtliche Auffühe,
Bebber, J. van. Die Begründung einer
deutſchen meteorologiſchen Geſellſchaft 31
Jäger, Hermann, Die Eiche. Mit Illuſtratlonen 671
Kleinihmit, U. Aus dem VBienenleben
Mit 10 Jluftrationen von G. Schmidt.
Knauer, Friedrich. Loſe Blätter aus meiner
Wandermappe. Mit 3 Muftrationen . .
Müller, Molf. Der Geſang der Bögel
Mit 7 Illuftrationen,
Müller, Hermann. Alpenblumen
Mit 6 Mluftrationen von R. Püttner,
Mylius, Difried. Die Kunft der Tariderimie
Mit 11 Mluftrationen.
Mylius, Otfried. Die fünftlihe Straufen:
zucht in Südafrifa. Mit 6 Mluftrationen
Uffelmann, J.
fulofe . .
Vogt, Karl. Die Zoͤologiſche Station in
Neapel . 365.
Mit 12 Auftrationen vo von a. Schröder
Weech, Friedrih von. Das rote Kreuz in
Deutjhland . Br % ee a
Gefchichte und Aulturgefdjichte,
Köppen, Fedor von. Bismard in Frank:
furt am Main . .
Löher, Franz von. Ein amerilaniſches Urteil
über Deutichland
Nordmann, Hohannes.
Defterreich
O. B. Ein Prozeß aus der Beieröburger
Geſellſchaft
Zernin, RE
Mit 2 Mluftrationen.
Bildende Kunſt.
Schorn, D. von. Malerei und Jlluftration
in Japan, mit 11 Iuftrationen , eu
Koppel, Ernit. Arnold Bödlin .
Zitteratur,
Klaiber, Julius. Schiller auf der Solitüde
Mit 2 IUuftrationen.
Kluſik.
Gouvy, Th. Ein — für Pippo.
Walzer 415.
Hiller, Ferdinand. Morgens er
Parlow, Edmund. Ständchen
Umlauft, Paul. unge Liebe . .
Waldmann, Wilhelm Robert Franz in
feinen Liedern. Mit 1 Iuuftration
Vereinsleben in
Der "Hohentwiel
IV
Artikel verſchiedenen Inhalts.
Amyntor, Gerhard von. Die Sn —
und die Menfchenlibe . . .
Baldamus, E. Frühlingsboten
mit 4 Auflrationen.
Hönig. Die ruffiiche MWeichjelftellung
Lammers, A. Knabenhorte . .
Zammers, Mathilde. Deutiche gchrerinnen
im Auslande ; —*
Noe, Heinrich. Im finftern Wad . .
Nördlinger, Th. Die deutfchen Holyölle
Pecht, Friedrich. Die Meißener Borzellanfabrif
mit 25 luftrationen.
Gedichte.
Avenarius, Ferdinand. Mailiedhen .
Avenarius, Ferdinand, Natur
Barthel, ©. Emil. In einer Sturmnadt
Bartſch, Karl, Sanlt Julian
Bartſch, Karl. Berlieren und finden
Calm, M. Albumblatt . aa Kar a
Dilmann, Hermann. In der Heimat .
Sehter, Bodo. I. Märchen. II. Geftändnis
Frey, A. Sommernadt
Friedrichs, Hermann. Diej junge Bompejia-
nerin .
Greif, Martin. Seinſuchi nach dem Frühlinge
Hoffs, Friedrid ven. Mit einem ri
fträußchen .
Hoffs, Friedrich van. "Warnung i
Holkendorff, Franz von. Des Gelehrten
Bleib’ wie du bift! ;
Frühling
Krebs, Hugo.
Kunze, Wilhelm. Worauf es anfommt
Littauer, Hugo. Sprud . :
Noderid, U. Sprud . ». 2...
Souchay, Theodor. Emanuel Geibel
Don Himmel und Erde,
Der geftirnte Himmel 117. 225. 341. 467.
581.
Sammler.
Zur Zeitgeſchichte 107. 219. 335. 47.
567.
Unfer Hausgarten. Bon D. Hüttig. 109.
Mit 33 Aluftrationen. 221. 337. 460. 571.
Tradten der Zeit. Bon Ida Barber.
Mit 24 Muftrationen. 111. 222. 338. 461. 573.
Der Iuftige Gefellfhafter 113. 227.
349. 468. 580.
Zum Kopfzerbrechen 114. 226. 342. 464.
576.
Aus berühmten Muftern $
Sdhad . 115. 228. 343. 465. 577.
Die Kunft im Haufe. Bon F. an
Mit 9 Alluftrationen. . 345.
Ausder Technik. Mit 10 — 117.
344.
Zeitgemäßes aus Küche und Haus. Bon
L. von Pröpper. 117. 228. 343. 465.
577
Inhalt,
Excite
Die Holzblumen. Mit 1 Muftration .
Der Rattenfönig. Mit ı Muftration
471 | Ein biftorifhes Kartenspiel
101 Mit 4 Alluſtrationen.
Vom Büchertiſch 120. 229. 345. 467. 579.
191 | DieNaturanftalteninderdäuslidleit.
413 Von Dr. Karl Ruf.. Mit Illuſtration. 224.
Naturmwiffenfhaftlider Aberglaube .
137 | DOftereier. Bon 2. Meggendorfer. .
392 Mit 20 luftrationen.
41 | Picyeling. Bon 9. Vogt. - .
141 | Pergleih des Innafriutinen Alters
mit einigen Kirchenliedern
Athletiiher Sport . .
Die Humboldt:Nuine zu Earäcas, Bon
140 John Henry Wyrell. Mit 1 Muftration .
680 | Der Geldwert der Nahrungsmittel
631 | Elektrifher Fidibus . . . 2 20.
32 | Gehälelter Stern. Bon Gabriele Hil—
658 lardt. Mit 1 Illuſtration . .
364 | Diefranzlerihe Ede unterden Linden.
640 Von Dora Dunder. Mit 2 Muftrationen .
61 | Zur Geſchichte der Taubenpoft i
333 | Praftiihe Kühengeräte. Mit uuftrationen
Zwei Adreffen. Mit 2 Iuftrationn . . .
544 | Salonmagie. Bon Alerander. . 469.
173 | Eleftrifhe Novitäten. Von —
Peſchl. Mit 4 Muftrationen .
240 | Eine jhwere Kopfarbeit . 2
568 | Chemifdhes und Bhufitalifches i
Neue Mufilalien . .
433 | Photographierter Blig. Mit 3 Muftrationen
416 | Praktiiche Hausgeräte. Mit 2 uuftrationen
475 | Der PHotorevolver . care
299 | Ludwig Nidter 7. Mit Auftration .
196
257 Voll- und Einzelbilder,
Guter Appetit. Bon M. Kaltenmojer,
„Du, du liegft mir im Herzen.“ Von
9. Kaufmann. .
693 | Ein Abend in den Schweizer Bergen.
Von Joh. Gottfr. Steffan.
Der Tod der Virginia i
681 | Neapolitanerin. Bon Dürk. . .
Holländifhes Mädden. Der Herr
683 Burgemeifter. Von F. Bergen. 288.
Nach der Arbeit. Bon G. Hadl. . .
684 | Demasfiert. Bon A. Keller. . .
Die Heine Blumenjudherin. Bon. Kal:
691 tenmojer. .
Ein Fiſcheridyll. Bon £ RI Neggendorfer.
688 | Bor dem Gewitter .
115 | Hirtenfinder. v. Salentin.
689
Dumorifiifche Bilder,
* Wo iſt der Sünder? Von L. Meggendorfer.
* Ertrabeilage.
Juſtinus, O. Unſerem 50 000ften Abonnenten!
686 Mit Fuüuſtrationen von 2. Meggendorfer.
— — — — — —
sin amerikanifhes Urteil über Deufſchland.
Bon
Franz von Föher.
am Mittelalter ärgerten fich an-
ve dere Yeute über die Deutjchen,
9
weil bei dieſen zwei Dinge gar
zu groß ſeien, ihr Durſt und
ihr Nationalſtolz. Gute Trin—
— fer find unfere Landsleute alle:
weil — der Stolz aber auf unſer Volk
wurde in den unſeligen Zeiten des dreißigjährigen
Krieges ſo ſehr niedergebrochen, zermalmt und
vernichtet, daß er in den letzten fünfzig Jahren
erſt wieder anfing, ſich aufzurichten, und daß trotz
der letzten Kriegsthaten, trotz der immer offener
anerkannten deutſchen Hegemonie, gleichwohl
manchem unter uns leiſes Bangen anſchleicht,
wenn wiederum dunkle Wolken ringsum heran—
drohen. Kein Volk der Gegenwart hat in ſeinem
Schoße ſo viele unglückliche Schwarzſeher und ſo
viele freche Verkleinerer und Verdächtiger ſeiner
Leiſtungen und wohlberechtigten Hoffnungen.
Und wagt es einmal ein Deutſcher darzulegen,
was andere Völker dem ſeinigen verdanken, ſo
erſcheint ſicher alsbald ein darob erzürnter Lands—
mann, der dieſe Lorbeeren mit den Zähnen zer—
reißen möchte. Da thut es gut, unparteiiſche
Stimmen von vielkundigen Ausländern zu ver—
nehmen, und es iſt ein ſchönes Verdienſt desſelben
jungen Göttinger Gelehrten, der jüngſt ſo gründ—
lich über Geſchichte und Reform der Erbpacht
geſchrieben, Dr. Wilhelm Ruprecht, daß er uns
mit dem Zeugnis des berufenſten Sachverſtändigen
bekannt macht, das in Amerika Aufſehen erregte,
in Deutſchland aber kaum beachtet wurde, da es
in der in Europa wenig geleſenen Zeitſchrift der
amerikaniſchen geographiſchen Geſellſchaft er—
ſchien. Es iſt ein Vortrag, welchen vor einem
halben Jahre in dieſem Vereine Dr. Andrew D.
White über the new Germany gehalten hat. ?)
) Neu:Deutichland. Aus dem Enalifhen über:
jegt von Dr. Wild. Rupredt. Göttingen 1883.
Vandenhoek & Ruprecht.
— — — — — — — — — — — —— III — — — —
berühmten Cornell-Univerſität in Ithaka (New
VYork), die für die Vereinigten Staaten ein ganz
neues Princip aufjtellte, nämlich durch geſchicht—
liche wie juriftifche, politifche wie volkswirtſchaft⸗
liche Studien Männer für den Staatsdienſt vor:
zubilden. Es war eine große Kühnheit, aber
auch hohe Einficht und Vaterlandsliebe, welche
den Mut eingab, ſolch ein Princip in einem Lande
aufzuftellen, wo alle Nemter gute Beute der
Barteiführer find, wo nicht Fähigkeit, nicht Recht—
ſchaffenheit, fondern nur die Dienfte, welche man
der Partei geleiftet hat, zum Amte verhelfen,
und wo es den meilten im Grunde ebenjo
lächerlich erfcheint, Konfurrenzprüfungen für ein
Staatsamt, wie für das nädjte beſte Krämer:
aeihäft einzuführen. White hat indefien das
Glück gehabt, daß mehr und mehr bedeutende
Männer aus allen Parteien ihm zuitimmten, und
daß feine Hochſchule an Zahl der Bejucher wie
an Anjehen bejtändig zunimmt. Die Idee zu
feinem Werfe hatte er in Deutjchland geſchöpft,
wo er jtudiert hatte und wohin man vor vier
Jahren feinen zum Gejandten befjer pafjenden
Mann zu ſchicken wußte, als gerade ihn. Zwei
jahre lang befleidete er die Stellung eines ameri—
fanischen Gejandten in Berlin, machte während
diefer Zeit in Deutjchland, das er bereits ſechs—
mal befucht hatte, noch ergänzende Studienreifen
und fehrte dann auf feine geliebte Cornellhoch—
ſchule zurück.
Ergötzlich hebt White hervor, wie oberfläch—
liche Touriſten die deutſche Gegenwart ſchildern.
Den Engländer trifft in Deutſchland ein tiefer
Schmerz: man kommt ihm nicht mehr ehrerbietig
entgegen, er findet Zunahme der nationalen
Selbſtachtung und, ach, ſteigende Gleichgültigkeit
gegen engliſches Urteil; dergleichen ſetzt ihn in
Der Verfaffer ift Urheber und Präfident der |
ı berechtigt hält. Der Franzoſe kann nicht begreifen,
Erjtaunen, weil er es für ganz verkehrt und un:
warum die Deutſchen behalten wollen, was fie
eroberten, und warum Herrn v. Bismard mehr
1
2
ander guten Meinung feines eigenen Landes, als
an der Frankreichs gelegen iſt. Der Amerikaner
aber entjest fi darüber, daß in Deutſchland
Männer, Weiber und Kinder Bier trinfen und
der Muſik laufchen, während es ihm doch paf:
jender jhiene, wenn die Männer Branntwein
tränten und fich rauften, die Frauen aber foviel
Thee tränfen und foviel klatſchten, wie es bei
ihm zu Haufe allgemeine Sitte iſt. Weniger
ernſte Yankees find außer ſich Darüber, daf viele
Deutſche mit dem Meſſer eſſen und in Gurgel—
tönen Sprechen, während fie doch durch die Naje
ſprechen fönnten.
Mas aber die meijten Amerikaner empört
und weshalb fie meinen, auf einer höheren mo:
ralifhen und religiöfen Stufe zu ftehen, das iſt
der religiöjfe Unglaube, in welchem fie Deutſch—
land verfunfen wähnen. White ruft ihnen zu:
„An ihren Früchten follt ihr fie erkennen!“ und
erklärt in Bezug auf Deutjchland gerade heraus:
in feinem Lande ſei das Familienleben reiner;
nirgends des Einzelnen Hecht unverbrüchlicher,
fein perfönliher Charakter forgfältiger von der
Preſſe gewahrt; nirgends würden private Ge:
ſchäfte folider, öffentliche ehrenhafter betrieben ;
nirgends Wiſſenſchaft, Litteratur und Kunft in
einem höheren und würdigeren Geifte gepflegt;
nirgends junge Herzen weniger durd; Skandale
verborben, nirgends herrſche weniger Unehr:
bietigfeit und Spötterei; nirgends feien Trunfen:
heit, Raufſucht und Verbrechen weniger ver:
breitet. Ganz bejonders legt White Gewicht
darauf, daß erin vier Jahren feines Aufenthaltes
in Deutſchland zufammen nicht jo viele Betrun:
fene geſehen habe, wie in Amerika an einem
einzigen Feitfonntag. Unfer freundlicher Schub:
redner denkt freilich nicht daran, daß die Deut-
chen, deren ewiges Keuchtigfeitsbedürfnis nod)
aus dem langen Wohnen in den germanifcdhen
Wäldern herſtammt, ebendeshalb auch mehr ver:
tragen fünnen als andere Leute. Vollitändig aber
möchte ich nad) eigener Beobadhtung fremder
Völker beiftimmen, wenn White zwei Gegenſätze
an den Deutichen hervorhebt. Es gäbe fein
Volk in der Welt, das in feiner großen Mehr:
heit fich jo gleichgültig gegen Dogmen und Li:
turgie verhalte, fein Yand, wo man furdtlofer
die Wahrheit zu erfennen ſuche und die biblische
Kritik beharrlicher betreibe — und doch fünne
man jagen, daß fein Volf eine tiefere Ehrfurdht
vor dem Höchften im Herzen trage, feines erniter
nad) Religion ftrebe, feines für den Gedanken
— — — — —
Franz von £öher.
der Pflicht empfänglicher fei, feines tiefer von
Sittlichkeit durchdrungen, feines mehr zu heiliger
Begeifterung für erviges Recht und Gerechtigkeit
geneigt, Feines jtanbhafter darauf bedadıt iſt,
Ideale zu verwirklichen, als das deutfche Volf.
Aus dankbarem Herzen fügt White noch bei:
„Ich Tann es nicht vergefien, daß in den büfter-
jten Stunden unferes furdhtbaren Bürgerfrieges,
während andere, fich hriftliher Strenggläubig-
feit rühmende Völker offen und inögeheim die
Anarchie in Amerika förderten und bereit waren,
Bündnifjie mit der Sklaverei zu fchlieken,
Deutſchland allein den Glauben hatte, daß noch
Gerechtigkeit in der Welt herrſchen müfje und
mit Herz und Hand zu uns ftand.“
Der Deutſche ift im täglichen Leben oft jehr
grob, das will auch unfer amerifanifcher Freund
nicht verfchweigen, er fett aber hinzu: er fenne
fein Zand, in welchem der bloße Reichtum ohne
Bildung fo wenig gelte, wo ein auf ſchmutzige
Weife Reichgewordener jo unauslöſchlicher Ver:
achtung anheimfalle, wo man weniger gemeine
Prunkſucht finde, alsin Deutſchland. Diejes Lan—
des ganze gejellichaftlihe Ordnung jet von dem
Gedanken durddrungen, daß der Menſch nicht
vom Brote allein lebe. Aus verborgenen Quellen
fließe hier der Wirklichkeit etwas von einem
höheren idealen Leben zu, und es jei ein wunder:
barer Charafterzug der deutſchen Gejellichaft,
daß jelbjt der Menge derer, die in dem alltäg-
lihen Getriebe fait aufgingen, noch ein deal
der Treue, Schönheit und Güte bleibe.
Der Amerikaner hat vor allem fcharfen Blid
für das, was zum Geſchäftsleben gehört und be:
merkt fofort, woran es da fehlt. Im gemöhn-
lichen deutſchen Gejchäftsbetriebe findet aud)
White vielfah, und zwar mit vollitem Nechte,
eine gewiſſe Engherzigfeit und Kleinlichkeit, eine
jeltfame Aengjtlichteit, von den großen Handels:
ſtrömungen Vorteil zu ziehen. Es fällt ihm auf,
daß das Gewerbe in deutihen Städten für
weniger ehrenvoll und ehrlich gehalten wird, als
in amerifanifchen Städten gleihen Umfanges.
Handeltreibende Amerikaner beanfpruchen Leicht
größeren Gewinn, aber man findet bei ihmen
weit weniger Heinliche Betrügereien, als in den
entjprechenden deutichen Schichten. Man iſt aud)
in Amerifa viel gewifienhafter und geſchickter
in der Wahl des zu verarbeitenden Nobjtoffes,
und die Arbeit ſelbſt wird ſolider, geſchickter,
wirtſchaftlicher ausgeführt, als in Deutjchland.
Kein amerikanischer Handwerker von nur einigen
Ein amerifanifches Urteil über Deutichland. 3
Rufe würde 5. B. daran denken, zur Herjtellung | wenn er thatfächlich diefelbe Rechtäfrage fi vor
der gewöhnlichſten Möbel jo erbärmlich getrod: |
netes Holz zu verwenden, wie es in Deutjchland
häufig zu wirklich fünftlerifchen Arbeiten ge:
braucht wird. Bon einer großen Anzahl fcharf:
finniger und wertvoller Methoden der Konjtruf: |
tion, die in Amerika allgemein verbreitet find,
hat das deutjche Handwerk faum eine Ahnung.
Solde Schattenfeiten lafjen ſich leider nicht
leugnen. Sie hängen zufammen mit demriefigen
Alp von Handels: und Gemwerbebefchränfungen,
die erjt in unferer Zeit weggefhafft wurden.
Troß des jelbitjüchtigen Englands gefährlicher
Nebenbuhlerfhaft nimmt unfer Welthandel
mächtig zu, das rajche Aufblühen unferes Kunft:
gewerbes bringt die Franzojen zur Verzweiflung,
und endlich wird es doch der erleudhteten Für:
jorge der Regierungen gelingen, die Nete und
Schlingen vollends zu zerreißen, mit welchen
die nadte Geldwirtichaft, deren höchſtes Princip
die höchſte Freiheit im Geldverdienen ift, unfer
gemwerbliches Gedeihen noch umſchlungen hält.
„Man darf ſich nicht verhehlen, daß Deutſchland
in dieſer wie anderer Hinficht ftetige und gefunde
Fortſchritte macht."
Es war White vorzüglidh darum zu thun,
jeine amerikanischen Landsleute auf jo mander:
lei Hinzumeifen, was fie an Deutichlands Bei-
jpiel lernen könnten. Nicht genug kann er be:
tonen, daß die Grundanjhauung der ganzen
deutſchen Staatöverwaltung die ſei, dab jeder
Beamte, vom Reichskanzler bis zum niedrigjten
Schreiber, nit im yntereffeirgendeines Menjchen
oder einer Clique oder Partei, fondern einzig
und allein im Intereſſe des ganzen Volkes han-
dele. Diefes Grundprincip des deutſchen Staats:
weſens findet er namentlich aud) in der Yuftiz:
verwaltung lebendig. Sie ſei ftreng, jedoch ge-
recht, und laſſe der Sophifterei und Rechtsver—
drehung jo wenig Naum als möglich, während
das amerikanische Syjtem die Begehung von Ver:
brechen erleichtere, die Beſtrafung erfchwere,
und in den großen Städten eine organifierte
Klafje von Verbrechern habe aufkommen laſſen,
die zuzeiten deren Führer in den Stand gejett
habe, den Richtern Bedingungen vorzuſchreiben.
Auch aus dem deutjchen Civilrechte könnten nad)
Whites Anficht feine Landsleute noch viel Wert: |
volles lernen, obgleich er die Methode des ge-
meinen Rechtes in Amerifa nicht gegen die deutſche
vertaufchen möchte. Wir erlauben uns zu zwei:
feln, ob er diefe Anficht noch feithalten würde,
deutfchem und amerikaniſchem Gerichte abfpielen
fähe. Das letztere ift nicht ganz jo Foftipielig
und umftändlic und die endliche Entſcheidung
nicht ganz fo ungewiß, wie bei dem Verfahren
in einem englifchen Gerichtshofe gegen einen durch
Geld oder Vornehmheit mächtigen Gegner, allein
im großen Ganzen find die Fallftride im ameri:
fanifchen Eivilprogefje doch beinahe ebenfo ſchwie—
rig zu vermeiden, wie irgendwo an ber Theiß
oder unteren Donau.
Wenn Deutjchland in geiftiger Entwidelung,
wie allgemein anerkannt werde, das erjte Yand
der Welt fei, jo habe fi, erklärt White, dieſer
Zuftand aus dem früheren, wie alles Gute in
Deutfchland, durd) lange andauerndes Denken,
Arbeiten und Kämpfen entwidelt. Das Lehren
jei bei den Deutjchen ein ehrenvoller Beruf,
eine Zebensaufgabe: der Lehrer werde nicht an-
gejtellt, weil er billig, jondern weil er gut ar:
beite. Für die niederen Schulen herrfche De:
centralifation, für die höheren Gentralifation.
Jeder Bauer habe die Volksſchule vor der Thüre,
ganz Deutjchland aber nur 21 Univerfitäten,
während in den Vereinigten Staaten 360 An:
ftalten Univerfitätsdienfte zu leiften behaupteten,
wozu ihnen doch die Mittel fehlten. White
ſchlägt vor, es follten 20 bis 30 diefer Colleges,
nämlich die beftausgeftatteten, dahin jtreben, all:
mählich die Dienfte wirklicher Univerfitäten zu
leiften, und Zuhörer anzuziehen, die wirklich
den Bildungsgrad von Univerfitätstudenten
hätten: die übrigen Anftalten aber müßten
Mittelfchulen werden und den Ruhm von Eaton
und Harrow in England fi zum Biele ftellen.
Allein der Präfident der Cornell:Univerfität,
der fein Land von ganzer Seele liebt, wird
wohl jelbjt nur ſchwache Hoffnung hegen, daß
feine Vorfchläge zur Ausführung fommen. Ge:
ſchehen könnte es, aber erft dann, wenn dreimal
ſoviel Deutfche, als jet, in den Vereinigten
Staaten angefiedelt und in Geift und Einn
deutjch geblieben wären. Bis dahin werden dort
der Univerfitätsentwidelung wohl zwei Hinder:
niffe unüberwindlich entgegenitehen: das eine
ift der Family Compact, das ift in jeder Land—
ſchaft der allherrfchende Zufammenhalt geld:
reicher Familien, das andere der Mangel geifti-
ger Freiheit, der unentbehrlichen Lebensluft für
die Wiſſenſchaft.
Vol Trauer im Hinblid auf die übermütige
und nod) lange, wie es den Anjchein hat, un:
4 franz von £öher.
austilgbare Herrihaft des Seltenweſens in | wo im fechzehnten Jahrhundert „Deutjchlands
Amerika jagt White: „ES ift in der That un: |
möglich, einem Deutjchen verjtändlich zu madıen,
warum es lutheriſche Mathematik, kalviniſtiſche
Philologie, episfopale Naturphilofophie, uni:
tarifche Chemie, baptiftifche Geologie oder me:
thodijtiiche Botanik geben foll, oder wie es über:
haupt eine jolche geben kann.“
Deutjhland wird gewarnt.
Bewunderung für das deutfche Unterrichtsmwejen
geographiihe Lage die Einwirkung des Aus-
landes herbeiführte und eine Anarchie neuer
Art, nicht nur eine politifche, ſondern eine
Anarchie feines ganzen Lebens einriß. Deutjche
Litteratur und Kunſt wurden mit einer diden
Krufte franzöfifcher Frivolität überzogen. Der
erloſchene Bulfan war mit Unfraut überwuchert.
Vor der Methode aber des Unterrichts in |
„Bei all meiner |
beſaß Deutjchland noch nichts der Art.“
muß ich mic zu der Ueberzeugung befennen, |
daß in vielen Schulen zuviel ſcholaſtiſcher Drud |
herrfcht, daß die Jugend zuviel lernen, aber zu
wenig denken muß, daß die Kunft der Initia—
tive gefährdet, die individuelle Kraft unter:
graben wird. Bismweilen habe ich, wenn ich
vor der Hlafje eines der verſchiedenen Gymna:
I
jien oder unter den Studenten einer der ver: |
ſchiedenen Univerfitäten, die ich befucht habe,
jaß, einen Mangel an jener zurüdgehaltenen,
noch unverbrauchten Kraft zu bemerfen geglaubt,
welde die amerifanifchen und engliichen Stu:
denten im praftiichen Leben fo fehr fördert." —
Wollte Gott, dies wäre mit Unrecht gefagt! Es
ift nicht zu ermeſſen, wieviel fernige Kraft und
Friſche auf unferen Gymnafien durch kleinliche
Gelehrſamkeit ausgemergelt, oder durd einen |
furchtbaren Ballaſt von Studien, die für die
Nation, wie für das praktische Leben unfrucht—
bar bleiben, geradezu erdrüdt wird. Das wird
wohl nicht eher anders werden, als bis nie:
mand mehr öffentlicher Yehrer oder Beamter
wird, der nicht ein Jahr lang ſich in England,
Frankreich und den Vereinigten Staaten umge:
ſehen hat.
Unfer amerifanifher Gönner erklärt ſich
„das majeftätische Eintreten Deutſchlands in die
Neihe der Weltmächte“ nicht etwa als Folge
eines glüdlihen Zufalles oder eines höheren
Defpotenftreihes, fondern als die notwendige
Folge fortgefegter Opfer und langwierigen Ar:
beitens und Kämpfens. Deutjchland habe die-
fen Ruhm nicht nur durch den Sieg im Felde,
fondern noch weit mehr durch den Sieg über
ſich felbft, über Neigungen zur Trägheit und
Unvernunft gewonnen, und „es ſei der deutjche
Reichtum an kriegerifchem, ftaatsmännifchem und
diplomatifhem Genie deshalb fo erhaben und
ruhmvoll, weil er durch heldenhafte Anjtrengung
eines gefunden Vollscharakters errungen ſei“.
White blidt zurüd auf die traurigen Zeiten,
|
Zange, nachdem alle anderen europäifchen Na-
tionen eine moderne Litteratur entwidelt hatten,
Es
wäre hier wohl beizufügen geweſen, welch herr:
lie Litteratur die Deutfchen ſchon im Mittel:
alter beſaßen, reicher und mächtiger damals als
irgend ein anderes Volk.
Ueberhaupt würde die jehige gebietende
Stellung Deutjchlands, deſſen Kaiſerhof im
vorigen Sahre von Königen, Kronprinzen und
Fürſten lebhafter befucht war als jemals das
Paris des erjten Napoleon, den Nichtdeutichen
natürliher und deshalb erflärliher, deshalb
aber aud weniger gefahrdrohend erjcheinen,
wenn man allerorten befjer würdigte, daß das
Deutſche Neich bereits eine ähnlihe Stellung
einnahm, und zwar fat neun Jahrhunderte
lang von Karl dem Großen bis auf Ferdinand
den Zweiten. Dann aber folgte freilich eine
Zeit, wo unfer ganzes Volk roh und arm wurde
und fein Yand fo verwüftet, daß, wie auch
White beftätigt, in einigen Gegenden Bevölte:
rung und MWohlhabenheit erjt im letzten „jahr:
zehnt den Punft wieder erreicht haben, auf
welchem fie im Jahre 1618 ftanden. „Beide
Kirchen, die Fatholifche wie proteftantijche, über:
boten einander in dem Streben, die heilige
Schrift zu einer Stütze des Dejpotismus zu
machen, und man muß geftehen, daß das deut:
ſche Luthertum darin die Mutterfirche übertraf.
Noch im laufenden Jahrhundert wurden mächtige
unmoralijche Kräfte von außen gegen Deutjd):
land in Bewegung geſetzt. jede Heinere deut:
ſche Reſidenz wurde der Schauplatz ruſſiſcher
Intrigue, die ſchlimmer als die franzöſiſche war,
weil ſie nur rohe Gewalt darſtellte.“ White
ſelbſt wohnte einer Scene im Winterpalaſte
bei, wo der vorige ruſſiſche Kaiſer bei ſeinem
Regierungsantritte, als der Krimkrieg ſich in die
Länge zog, den öſterreichiſchen und den preußi—
ſchen Geſandten anfuhr, wie ein gekränkter
Schulmeiſter ungehorſame Schulbuben.
Das hat ſich gar ſehr geändert, und zwar
auch zur inneren Ehre Deutſchlands. „Auch
Ein amerifanifches Urteil über Deutichland.
andere Völker,“ jagt White, „haben fih den
Weg zur Größe erfämpfen müfjen, aber Deutſch—
lands Kampf iſt bei weitem der längite und
prüfungsreichite geweſen. Die Schwierigkeiten
und Gefahren, die Deutſchland bedrohten,
waren nicht nur materieller und friegerifcher,
jondern aud) geiftiger, fittlicher und jocialer Art.
Deutfchland, das ſich in jenem langen Kampfe —
jeiner Hauptthat in der Gegenwart und auf
Jahrhunderte hinaus — entwidelt hat, gleicht |
einem ftarfen, gefunden Manne, der alle in ihm
Ihlummernden Kräfte im Kampfe mit Hemm:
niffen und Gefahren entfaltet.” In der That,
es darf ſich feiner Gefundheit rühmen im Hin:
blide auf die greuliche irische Not, für welche der
brutale Engländer feine Arznei weiß, auf das
noch immer fiebernde Rußland, auf Frankreich,
das in einer Art fittlichen Niederganges begriffen
ſcheint.
Deutſche umgrenzen, nehmen an ſeiner ruhigen
Lebensluft teil. Aber wahrlih, an ernſteren
Gefahren fehlt es durchaus nicht. Im vorigen
Jahre, als der Fürft von Bulgarien das ruſſi—
iche Joch abjchüttelte, war auf ein Haar der
allgemeine Kriegsfall gegeben, und troß aller
Friedensſehnſucht und Friedensgewißheit, troß
höchſter Klugheit des Hauptes, welches all die
europätichen Verſchlingungen überfchaut, könn—
ten plößlich furchtbare Anforderungen an jeden
Mann in Deutſchland herantreten. Vor ein
paar Tagen jchrieb id einem Freunde ins |
Stammbud:
Zwei Weiber an der Seite,
Die wütend Rache ſchrei'n,
Tüdbolde im Geleite,
Die finfter ſchauen drein:
So, Deutiher! mußt du jchreiten
Ins neue Jahr hinein,
Kein Gott dir hilft zum Streiten,
Als Kraft und Recht allein.
Zum Glüd haben wir ein Heer von andert:
halb Millionen, von denen jeder Mann völlig
auögebildet ift und jeder genau weiß, was er
zu thun hat.
AL die Heineren Reiche, welche das |
1
„Ich hatte,” erwähnt White, |
„bei den großen Revuen das Glüd, mit den |
erjten militärischen Bertretern verjchiedener eu:
ropäiſcher Mächte zu fprechen, und fie alle er:
fannten an, daß fein anderes Heer der Gegen:
wart in jo hohem Grade die Eigenfchaften eines
riefigen lebendigen Organismus zeige, der von
patriotiſchem Vertrauen erfüllt, feinem Haupte
gehordht, wie die Glieder des menſchlichen Kör—
pers dem Gehirn.“
Er bewundert, wie wirt: |
5
ſchaftlich dieſe gewaltige Schöpfung durchgeführt
jei, fo daß die direkten Koften im Jahre nur
400 Millionen Mark betrügen, während die
tleine englifhe Armee 320 fofte. Gegenüber
der Thatjache, daß in den amerikanischen Groß:
jtädten (und wohl aud) in vielen anderen) „eine
Klaſſe von Söhnen reicher Leute aufwächſt, die
ichläfrig, verderbt, hohl und unfähig für alle
Thätigkeit, ohne Sinn für Wiſſenſchaft, Littera—
tur und Kunft find und gar nicht den Vorjat
oder Wunſch haben, irgend etwas zu thun oder
zu werden,” ift das deutſche Heer eine Hoch—
ſchule männlicher Tugenden und gewährt jchon
durch ſich felbjt eine Laufbahn. „Hiermit hängt
eine der größten Ueberraſchungen für den rem:
den, der die deutjche Gefellihaft erjt Fennen
lernt, zufammen. Er geht zu Hofe oder irgend
einer anderen glänzenden Verſammlung und ſieht
die jungen Leute in ftrahlenden Uniformen ſich
bis Mitternacht im Tanze drehen, anjcheinend
unfähig zu ernſter Beichäftigung. Und wenn
er am nächſten Morgen fpazieren geht, fieht er
diefelben Leute ftaub: und ſchweißbedeckt ihre
Truppen vom Morgendienft zurüdführen.” Nur
der Anblid diefer gewaltigen Heeresmadt ver:
hindert, daß den guten Deutichen in Ungarn
und Siebenbürgen, in Rußland und jeßt aud)
in — ganz Defterreid nicht noch ärger mitge:
jpielt wird. Daß die niedrige Verfolgung, die
unfere Landsleute nad) unjern großen Siegen,
freilich auch infolge derjelben, in jenen Län—
dern erleiden, eine Schmad) für die Nation find,
hat unfer amerifanifcher Freund nicht erwähnt.
Und wenn er von dem hohen Eindrud jpricht,
welchen jeder denkende Bejucher von der Feſtig—
feit, Unabhängigkeit und Würde des Deutfchen
Neichstages gewinne, hätte erhinzufegen können,
daf in feinem anderen Lande Männer und Par:
teien möglich wären, die aus Eitelfeit oder Ver:
bifjenheit oder politifchem Unverjtand fo frevel-
haft die notwendigen Bedingungen unferer
Stellung befritteln und befämpfen.
An unferem ehrwürdigen Heldenfaifer findet
White befonders eigentümlid drei große Cha:
rafterzüge: Schärfe des Blides-in der Beurtei-
lung militärischer und ſtaatsmänniſcher Genies,
treues Felthalten an ihnen troß aller Oppo—
jition, hohes Vflichtgefühl gegen den Staat.
„Kein Zebender hat durch jeinen Charakter und
jeine Handlungen foviel dazu beigetragen, die
demofratijhe Zeititrömung zu befiegen, als der
Deutſche Kaiſer.“
6 M, Kaltenmofer,
Von Bismard heit es unter anderem:
„Indem er die ungeredhtfertigten kirchlichen
Anfprühe, die vom Watifan ausgehen, be:
fämpft, ftreitet er nicht bloß für Deutjchland,
fondern für die ganze civilifierte Welt, für die
Katholifen nicht weniger als die Proteftanten.“
Eigentümlih feſſelnd ift die Schilderung von
des Neichäfanzlers Redegabe. „Wenn man
ihn zum erjtenmal hört, fcheint er alles andere
als ein guter Nebner zu fein. Sein mächtiger
Körper fcheint fich vergeblich anzuftrengen, feine
Gedanken herauszubringen. Dieſer Mann,
defien Neden Bände füllen, fcheint anfangs an
einem unglüdlihen Mangel an Geläufigkeit zu
leiden. Man hört ein Keuchen und Schnaufen,
unweſentliche Behauptungen und verwirrte Säße.
Aber plöglic fommt ein Wort, das helles Licht
über ein ganzes Gebiet der Politik verbreitet,
Guter Uppetit,
eine ganze Partei niederftredt, ein Wort, das
fih wie ein Lauffeuer zündend durch das ganze
Volk verbreitet. Dann folgen vielleicht einige
lofe aneinander gereihte Erinnerungen, und
plößlich mitten dazwiſchen eine jchlagende hijto:
riſche Auseinanderfeßung. Darauf etwa nad)
einer Menge weitichweifender perfönlicher Be:
merfungen eine Reihe zwingender Schluffolge:
rungen, die wie Blite über die Verfammlung
dahinfahren. Und endlich erjchallt nach einem
halb düſtern, halb mutlojen Selbſtgeſpräche eine
donnernde Herausforderung feiner Gegner, ein
Appell an das deutſche Volk, an das fommende
Gejchlecht, der die ganze Berfammlung, nein —
ganz Deutfchland mächtig erregt. In den
Staaten der Gegenwart hat es viele Männer
gegeben, die beredter geſprochen haben, aber
wohl faum einen, der jo machtvoll zu reden ge:
ein grimmiger Ausdrud, der einen Gegner oder wußt hätte.“
Guten Uppetit!
Don M. KAaltenmofer.
Der Burgberg vom Rrauiminfel aus.
Ssine »erle
unter den deutfhen Städten.
Von
Friedrich Pedt.
enn man Deutſchland und die
Deutſchen lieben lernen will, ſo
muß man beide in ihren Dörfern und
ı feinen Städten kennen lernen, bier
faft allein find fte denen der ganzen
Wisrehtähurg und MWafferburg Melt überlegen. Wir ziehen Jahr aus
Jahr ein zu Taufenden nad Italien;
und von Riva bis Nocca di Papa oder Nemi, Terracina oder Caprı find uns alle fchlechten Wirts:
bäufer befannt. Wie wenige von uns aber haben das mitten in Deutfchland, vom ſchönen
Dresden in einer Stunde mit der Eifenbahn, in anderthalb mit dem Dampfſchiff zu erreichende
|
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4
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8 Friedrich Pech.
Meißen gejehen, das all jenen ſchmutzigen
und finjteren Naubneitern, die nur durd)
ihre Umgebung Intereſſe erhalten, gerade
an echt malerischem Reize fo unendlich über:
legen ift. Das überdies, obwohl voll von
Zeugnifjen einer ehrwürdigen Vorzeit, den-
noch heute blühender und jchöner ift als je,
aljo den wohlthuenden Eindrud vollfom
menjter Harmonie des Einſt mit dem Jetzt
macht, während jene uns nichts als die
verkommenen Nejte einer glanzvollen, mit
der unſäglich armjeligen Gegenwart im
traurigiten Kontraſt ftehenden Vergangen
heit zu bieten haben. Ich fannte einmal
Eübieite ber Etadt, vom Nubenberg aus geſeben.
Weftieite bes Gisthala, von der Vooſchwitzer Höhe aus geichen,
eine adlige Dame aus der Marf, Die jich nicht wenig
Darauf zu aute that, daß jteben ihrer Ahnen als
Schnapphähne gelungen worden ſeien, und es kann
ja nicht beſtritten werden, daß der Galgen eine in ihrer Art
auch erhebende Erinnerung ſei. Jedenfalls it fie die ein
zige, welche die gegenwärtigen Einwohner jener italtenischen
Neſtchen mit ihren alorreihen Vätern verbindet, Wenn
uns aber felbit die kühnſte Nomantif in Italien uber den
Schmutz und die Berlommenbeit der Gegenwart höchſtens
in den großen Städten wie Venedig, Nom und Florenz hin
wegzutragen vernag, jo kann fie Dies auf Dem Yande, in
den Dörfern und Städtchen unmöglich mehr, während ac
vade fie unfer Stolz find.
Nirgends ıjt dieſer Stolz aber beſſer gerechtfertiat, als
in dem lieblichen Meissen, Diefer Perle, von der man nun
Cftleite. vom Ruhboc aus geichen bedauern muß, daß fie nicht am Arno, ſtatt an der Elbe
lieat, da dann Die Deutichen unzweifelhaft zu Tauſenden
hinwalliahrten und jich von gierigen Gaſtwirten prellen lajlen wirden, um ſie zu jehen, was
ihnen jest gar nicht einfällt. Doc ich will ja hier nicht tief eingewurzelte nationale Schwächen
belämpfen, fondern lieber in Verbindung mit unferen Bildern verfuchen, wenigſtens annähernd
1
Eine Perle unter den deutichen Städten. 9
einen Begriff von dem zu geben, mas gerade
diefes Städtchen fo bezaubernd macht, obwohl
es ſehr ſchwer ift, das feitzuhalten, wo Natur
und Gejchichte, Volkscharalter und Fürſten—
gunft, Zufall und Abficht fo eigentümlich zufam:
mengewirkt, um diejes einzige Ganze zu bilden.
Der arohe Oohlweg
Am beiten thut man, in Dresden eines
der jtündlich fahrenden Danıpfboote zu be
jteigen, um den lieblichen Ort zu erreichen.
Da fieht man denn bald die Höhen des
mit einem Wald von DObftbäumen und
malerischen Dörfern dicht beſetzten linken Ufers
des Stromes ſich mehr und mehr nähern, wäh
rend zur Nechten die Weinberge der Dresdener
Villen = Vorftadt Lößnitz noch entfernt herab:
grüßen. Nah anderthalbjtündiger Fahrt auf
dem ſich jo behaglich herum windenden Strome,
der offenbar nur zögernd ſich entſchließt, dieſes
üppige Gelände zu verlaffen, verengt ſich das
ı
f
|
!
Thal, die jet mit herrlichen Wäldern und ſtolzen
Burgen gefrönten fteiler gewordenen Höhen der
linfen Seite, die nunmehr dicht an den Strom
herangetreten find, öffnen fi hier einem vom
Erzgebirge herfommenden, tief in fie eingerijje:
nen Thal, um auf der anderen Seite des das:
jelbe durchſtrömenden Flüß—
chens alsbald wieder ſich zu
einem kühn emporſteigenden
iſolierten Felſen zuzuſpitzen,
der gekrönt von einem ſtolzen
Schloß, der berühmten Al—
brechtsburg, und dem Dome
von Meißen nur durch eine
überaus maleriiche Brüde mit
dem weiter hinten liegenden
Zt. Afraberge verbunden ift.
In der zwiichen dieſen ver:
jhiedenen Höhen gebildeten
Mulde lieat nun die Stadt
jelber be:
haglich
hinein:
gebettet,
klettert
aber auf
allen Sei—
ten ſo keck
die ſteilen
Abhänge
hinan, daß
die Häufer
einander
oft ebenjo
auf den
Köpfen zu
ſtehen
ſcheinen,
wie nur je
in Amalfi.
Das iſt
nun aber
um jo ma:
leriſcher,
als auf dem gegenüber liegenden rechten Ufer der
Elbe die Berge hier auf einmal auch ſo dicht an
den Strom getreten ſind, daß man wohl an—
nehmen kann, ſie ſeien einmal mit dem Schloß—
berg vereint geweſen und irgend eine Erdrevo—
lution habe ſie erſt ſpäter geſprengt und dem
Strom freie Bahn geſchaffen. Wie dieſer von
zwei maleriſchen Brücken überwölbt, mit Schiffen
>
“
Portal am Friedhoſe ber Stabikirde.
10
aller Art belebt, die Schlöffer und Kirchen,
Klöfter und Stifter, Felfen und Wälder der
teilen Ufer wiederfpiegelt, gibt das eine ganz
einzige Scene. Denn nicht nur find das fürftliche
Schloß und der Dom, welche die ganze Um:
Inneres bon Santa
Ara
gebung beherr—
schen, an ſich ſchon
hochintereſſante,
ebenſo kühne als
majeſtätiſche Bau
werke, ſondern al:
les andere ſchließt
ſich ihnen auch ſo
überaus harmo—
niſch an, um uns die Entſtehungs
geſchichte des Ortes während eines
halben Jahrtauſends mindeſtens bis
in die friſcheſte Gegenwart hinein
leicht erraten zu laſſen. Entſtammen Schloß und
Dom der gotiſchen Periode, fo gehört das Städt—
chen felber größtenteils jener der Nenaifjance, ein
weiterer Teil dem Notofo an. Die Gegenwart
jeit 1870 aber zeigt dann wiederum den Beginn
einer neuen Phaſe voll unermüdlicher Thätigfeit
und daraus folgenden behaglichen Wohlftandes,
Eanta Wfra,
Friedrich Pecht.
der fich überdies in all diefen Bauperioden durd) |
eine auffallende Verzierungaluft äußerte. Faſt
jedes Haus zeigt davon die Spuren durch reich
gejchnigte Thüren, zierlihe Erker, köſtlich ge:
ihmiedete Gitter, reizend verfchnörfelte Giebel,
dazwischen die anmutigften Gärtchen, aus denen
die frucdhtbeladenen Bäume ihre Aeſte voll Uep—
pigfeit über die Mauern hinüber hängen ; jedes
Fenſter hat fein Blumenbrett mit Rofen: und
Veranienftöden und, was nicht am wenigſten
anzichend, mit neugierig forfchenden, hübfchen
Mädchengeſichtern dahinter. Denn auch die
Meifnerinnen felber, nicht nur ihre Stadt, ge:
nießen eines klaſſiſchen Nufes der Anmut. Sicher:
lich wird fie nicht dadurch gemindert, daß die
Vorhänge, zwiſchen denen fie euch nachſehen,
ebenfo blendend weiß find als ihre eigene Wäſche.
Ueberhaupt ift vom italieniſchen inneren und
äußeren Schmuß hier feine Spur zu finden,
alles atmet deutſche Zucht und Ehrbarfeit, un:
ermüdlichen Fleiß und die regſte Betriebjamtfeit ;
da hämmert und klopft, fägt und
hobelt eö den ganzen Tag, niemand
geht müßig und felbjt die ganz nad)
altdeutjcher Art mit zierlihen Gelän-
dern geihmüdten Freitreppen vor
den Hausthüren zeigen uns nur
itridende oder nähende Frauen und
Mädchen auf den fteinernen Bänfen
nebenan. Selbſt der blondlodigen
und blauäugigen Kinder rofig blühende
Geſichter unterſcheiden fih von den
weljchen Lockenköpfen bejonders da—
durh, daß fie rein gewaſchen und
ſchön „geitrählt” find. Hier in diefen
unter Blumen und Blüten, Wein:
geländern und Jasminhecken ganz ver:
jtedten, lujtig den Berg hinauf klet—
ternden Häuschen, auf den mit rei:
chen Brunnen, mit Statuen der alten
Marfgrafen und einem ganz modernen
Siegesdenkmal von 1870 geſchmück—
ten, jo unendlich malerischen lägen,
in den behaglich gewundenen fteilen
Gäßchen und Treppen, wo man überall
durch die reich verzierten Thore, in die reinlichen
Höfe, die fpiegelblanfen Fenfter und die in
Blumenfülle prangenden Gärtchen die reizendften
Blide hat, wird der Maler auf Schritt und Tritt
unmiderftehlich gereizt zum Zeichnen nieberzu:
figen. Um fo mehr als er bald hoch oben die
—
—
ſtolzen Zinnen und Galerieen der Schlöſſer und
Eine Perle unter den deutichen Städten. 11
Kirchen herabblicken ſieht oder tief unter ſich den
reich belebten mächtigen Strom zwiſchen Thür—
men und Dächern, Treppengiebeln und Kaminen
heraufblitzend gewahrt. Ueberall aber begrüßt
uns ein ſtill beglücktes und befriedigtes Daſein
mit ſeinen ſauren Wochen und frohen Feſten,
überall ſteht das blühende rührige Leben der
Gegenwart mit der ehrwürdig ernſten Vergan—
genheit in ſchöner Verbindung, kein unheilvoller
Bruch trennt ſie von ihr. Hier in dieſem lachen—
den Thal, wenn irgendwo in der Welt, meint
man, müſſe das Glück wohnen!
Von hier aus hat denn auch Ludwig Richter
mit ſeinen Bildern des deutſchen kleinbürgerlichen
Lebens die halbe Welt entzückt,
hier hat er alle feine Inſpiratio—
nen geholt, die roſigen Kinder
und drallen Mädchen, die flot:
ten Burſche
und wunder:
lichen, unüber⸗
trefflichen al:
ten Philiſter
geſehen, mit
denen er uns
Jahrzehnte
lang ſo köſtlich
unterhielt. In
Dresden ge:
boren und zum
Künftler ge:
bildet, war er
erſt mehrere
Jahre in Sta:
lien gewejen,
ohne irgend:
wo einen red):
ten Stoff für
ſich finden zu
fünnen, malte
aber eigenfin:
nigitalieniſche
Landſchaften
und Figuren wie andere vor ihm, ohne viel Glück
damit zu machen. Zurückgekehrt erhielt er die
Stelle als Zeichenlehrer an der altberühmten
Porzellanfabrik und heiratete nun auch ſofort.
Da, im jungen Familienglück inmitten dieſes Pa—
radieſes, ging ihm nun erſt ſeine wahre Aufgabe
auf, die er in Welſchland vergeblich geſucht! Auf
ſtillen Spaziergängen in die dicht verwachſenen
Thäler hinein, dem Bach entlang, zwiſchen den
SE N nr — *
— *
———
*
—
FE NM
in Blüten faft erftidenden Gärtchen und ben
Meinbergen zum Schloß hinan, da entdedte er
endlich jene Welt voll Schönheit, die er bisher
achtlos Liegen gelaffen, wie Taufende von Deut:
ſchen vor ihm das Ideal in blauer Ferne juchend,
ohne es jemals zu erhafchen. Denn nirgends auf
der ganzen
weiten Erde
wird man eö
ihöner be:
währt fin:
den, daß tiefe
keit, Herzens:
wärme und
innere Zu:
friedenheit
ſich auf
Schritt und
Tritt, in al:
lem und je:
dem fo wohl:
thuend aus:
prägen mie
bier in bie:
jem beim:
lihen deut:
jhen Eden.
Hier lernte
Richter den
Schatz von
Ehrlichkeit
und Fleiß,
von Unſchuld
und Ehrbar:
feit, Treue
und Beſchei⸗
denheit, die
unfer Bolt
befitt, für
die Kunſt
verwerten
und der Na:
tion durch feine harmloſen Bilder wieder Freude
an der eigenen Exiſtenz, an der eigenen fchönen
Heimat beibringen. Das war das Geheimnis
jeines unermeßlichen Erfolgs!
Nas die Nichterichen Bilder dann befonders
jo auszeichnet, jene Bejeelung der ganzen Yand:
ihaft, ja ihre vollfommene Umgeftaltung durch
die fie bemohnenden Menſchen und Tiere und
deren inniges Verwachſenſein mit derjelben, das
Ser Wartturm am Seelenſteg.
Sriedrich
12
*
—
*
—
2
—
28
— a %
—*3
Eingane £E
zum Jahnagiſchen Hof e \
A
hat der Meifter erit hier in volliter Schönheit
aefehen, empfunden und mit dem Auge des
Poeten und Malers zugleich wiedergegeben.
Ohne die unermüdlihe Arbeit der Menschen
wäre Meißen nichts als ein waldiges Flußthal,
wie ed Hunderte gibt; feine eigentliche Schönheit |
erhielt es wie Venedig erjt dur die taufend:
jährige Thätigfeit feiner Bewohner, jie türmten
das ftolze Schloß auf, bauten den majejtätifchen
Dom, errichteten mit ihren frommen Gaben bie
Klöfter und Stifter, bepflanzten mit ihren Neben
die fteilen Höhen, verwandelten durch ihren
Fleiß den fargen Boden in ein blühendes und
grünendes Paradies, liegen feinen Zoll desfel:
ben unbenußt und ungeſchmückt.
Diejer Bienenfleiß in Verbindung mit einer
Gemütlichkeit, die mit ihren Blumen den Fein:
ften led verziert, die Reinlichfeit des Dafeins,
die alles aud) fauber, zierlich und alänzend, woh—
lig und freundlich haben will, diefes tiefe Wohl:
wollen, das jelbit die Tiere heranlodt und im
Winter den beftederten Sänger füttert, den der
Italiener wegſchießt oder blendet, das den Teich
mit Enten, die Miefe mit Blumen belebt, dem
die Natur nicht ſtumm, fondern die liebite Ge:
fährtin ift, der künſtleriſche Zinn, der ihre Kor:
Pecht.
men ſelbſt in ſeiner Baukunſt überall wiedergibt,
Gitter und Bogen mit ihrem Laubwerk verziert,
kurz dieſes, die Deutſchen vor allen anderen
Völkern auszeichnende innige Verhältnis zur
Natur, das hat Nichter zuerft in Meißen für
die Kunſt entdedt. Er hat ihr damit unftreitig
em aanz neues Gebiet erobert, denn alles,
was Schon Dürer und die uns ftanmverwandten
Niederländer nach diefer Richtung hin thaten, tft
doch noch weit entfernt von feiner Daritellunas:
weite. Bollends die Italiener und Franzoſen
iind hier ganz arm, weil fie überhaupt fein
inniacs Verhältnis zur Natur und noch weniger
zur Tierwelt haben, beide nur vom Gejichts:
punfte der möglichiten Ausbeutung betradten.
RR Nur die Engländer, und auch Dieje viel fpäter
5 als Richter und offenbar nad) jeinem Vorgang
haben eine ähnliche Richtung zur Behandlung
der Natur gewonnen. Mit ſeiner idyllischen Art
der Auffaſſung hat aber Nichter befanntlich eine
ungeheure Einwirkung auf die deutſche Malerei
achabt, die das Feld, welches er ihr aufdedte,
jeither nach allen Zeiten auszubeuten veritand.
- - Das alles aber hat ihn das liebliche Meißen
arlehrt, wo er abends vom Schloß herabiteiaend
alle Beivohner vor den Häuſern oder im Bart:
chen figend und arbeitend, die Kinder auf der
Straße jpielend, die Herden heimfehrend fah,
mit den Tauben und den Spaten auf dem Dad),
ben Enten und Gänfen im Teich, den Hühnern
im Hof jenes innigite, auf gegenfeitiger Freund:
ichaft beruhende Verhältnis einging, das ſich in
feinen Werfen jo erquidlicd wiederſpiegelt und
das im Grunde nur der patriarchaliichen Stim—
mung der ganzen Stadt entiprad, die dem
Fremden eine einzige große Familie zu bilden
ſcheint. War das fo vor fünfzig Jahren, fo iſt
es bis heute faum viel anders geworden, wie
man alsbald an den köſtlichen, echt altdeutſchen
Wirtshäufern fieht. Denn elegante Hotels zur
Abfütterung von Taufenden wie in der Schweiz
gibt es auch heute noch nit da, obwohl die
Stadt im legten Decennium nad allen Seiten
hinaus mädtig gewachſen ıft. Noch vor zwei
Jahren, als ıch fie zum letztenmal befuchte,
war der auf dem Markte gelegene erite Gaſt—
hof genau noch jo wie vor vierzig „Jahren, da
ic) das eritemal in ihm gefneipt hatte. Noch
jtund die jteinerne reitreppe, auf deren Höhe
euch die jtattlihe Wirtin empfing und in Die
große, braun getäfelte, echte alte Nenaifjances
jtube führte, Noch bedienten, ftatt hochnäfiger
Eine Perle unter den deutſchen Städten, 13
Kellner im Frad, die anmutigen Töchter des
Hauſes gleich ihrer Mutter damals mit fittiger
Freundlichkeit den Gaft, und trank man den
dunfelroten Landwein ftatt gefälichten Bordeaur
auf ſchneeweißem Linnen. Auch hier jtand man
ſchon nad) der erften Stunde auf fühler Terrafe
hinten am Haufe im Angefihte des herrlichen
Schloſſes den Kaffee trinfend mit der ganzen
Wirts⸗
familie
und allen
Stamm:
gäften in
einer Art
von
freundlich
wohlwol:
lendem
Verhält:
nis, wie es
eben nur
in ſolch
kleinem
abjeits lie-
genden
Orte mög-
lich iſt, und
ſich ſelbſt
in der von
Fremden
überfluteten ſächſiſchen Schweiz
nirgends mehr findet.
Die Grundlage des heutigen
Wohlſtandes der Stadt iſt die
weltberühmte, allein ſchon viele
Hunderte von künſtleriſch gebil
deten Arbeitern beſchäftigende
Porzellanfabrik, an welcher auch
unſer Richter angeſtellt war.
Früher im Schloſſe einquartiert,
wo ſie weder zur Erhaltung noch
Verſchönerung beitrug, vielmehr deſſen völligen
Ruin herbeizuführen drohte, wurde ſie denn auch
endlich in ein eigenes Gebäude oberhalb der
Stadt im ſchönen Driebiſchthal verlegt. Immer—
hin hat ſie das Verdienſt, den gewerblichen Un—
ternehmungsgeiſt zuſamt mit dem techniſchen
Geſchick und der ſich am kleinſten Häuschen
offenbarenden Verzierungsluſt in dieſer Bevöl—
kerung geweckt zu haben. Dieſe waren es, welche
ſie in den Stand ſetzten, alle keramiſchen Gewerbe
mit Vorliebe zu betreiben und dabei ſowohl von
Un ber Driebiſch
(Das Grunertide Dans.)
dem in der Nähe bei Aue gefundenen vortreff:
lihen Material ald von dem großen Ruf der
Meißener Fabrik Vorteil zu ziehen. So hat fi)
unabhängigvonihreine Privatinduftrieentwidelt,
die, gemöhnliches Porzellan, ganz befonders aber
jehr zwedmäßige und gefällige Majolifaöfen
erzeugend, ihre Produkte in die halbe Welt er:
portiert, ihnen einen großen Ruf eroberte, da fie
bald den Mut hatte, jelbjtichöpferifch vorzugehen.
Beionders tit hier die Fabrik von C. Teichert
ob ihrer trefflichen Leiſtungen zu nennen.
Das herrlich kühn gebaute Schloß aber wurde
| nach der Austreibung der Fabrik feit 1863 mit
anerfen:
nensiwer:
tem Ge:
ſchick re:
ftauriert
und feine
zahlreichen
prächtigen
Säle und
Gemächer
von den be⸗
deutend⸗
ſten Künſt—
lern der
Dresdener
Schule mit
Wandbil⸗
dern, wel:
che die Ge:
jchichte des
Hauſes
Wettin
darſtellen,
verziert.
Manche
derſelben
find jovor:
trefflich,
daß man die Albrechtäburg ſchon deshalb von
Dresden aus zu bejuchen niemals verjäumen
jollte, da fie auch in diefer Beziehung in Deutſch—
land faum irgendwo ihresgleihen finden dürfte.
So haben Dietrih und Kiesling, Choulant,
Breller jr., Heinrih Hofmann, Spieß aus Mün:
chen, ganz bejonders aber Prof. Julius Scholz
dort überaus interefjante Geſchichtsbilder aus:
geführt. Die zwei Säle, welde der letztere
mit feinen Gemälden angefüllt, gehören jeden:
falls zum Bedeutenditen, was die moderne
Etabt- oder Frauenkirche.
14
deutfche Hiftorienmalerei nad) diefer Seite hin
aeleiftet. Beſonders ijt ber Empfang eines
Kurfürften durch die Meißener Natsherren und
die übrige Bevölkerung, unter Voraustritt von
Bagen u. dal., jo köſtlich wahr und individuell
dargeftellt, hat dabei jo hohen Reiz der genial
freien malerifchen Ausführung und des geijt-
vollen Bortrages, daß er nad) diefer Seite hin
wohl alles Aehnliche übertreffen möchte.
So interejjant als das Schloß iſt auch der
daneben ftehende, leider unvollendet gebliebene
“au
Waſſerburg
Kapelle.
Dom mit den Gräbern der alten Meikener Her:
zoge. Vor demjelben fteht dann nod das
Bronzemonument Albrecht des Beherzten von
Hultzſch, eine jehr tüchtige Arbeit; auf dem Plate
jelber aber genießt man überall die entzüdendite
Ausfiht auf die zu unferen Füßen liegende
Stadt und die herrliche, in der Ueberfülle der
Vegetation oft fat eritidende Umgebung. Dem
Schloßberg gegenüber und mit ihm durd die
auf unjerem Bilde dargeitellte malerische Brüde
verbunden, liegt der St. Afraberg, welcher die
hübſche gotische Kirche diejer Heiligen und das
Gebäude der einjt jo berühmten Fürftenfchule
trägt. 1543 gegründet, hat fie Gellert, Nabener
und Lefjing unter ihren Schülern gezählt und
genieht aud heute noch eines quten Rufes.
Der zwölfjährige Leſſing fam am 21. Juni 1741
©t. Wolfgane.
Friedrich Pecht.
dahin und lebte ſo gerne da, daß er ſpäter die
Jahre, die er in Meißen zugebracht, ſür die ein—
zigen glücklichen erklärte, die er in ſeinem Leben
überhaupt genoſſen. Hier fing er denn auch zu—
erſt an zu dichten! Wer möchte ſich den Knaben
Leſſing nicht gerne in dieſe ſo maleriſche als hoch—
poetiſche Umgebung denken, die ſeiner Dichter:
phantaſie die reichſte Nahrung bot, vor allen
Dingen jene Vaterlandsliebe in dem jungen
Menſchen nähren mußte, die den ſpäteren Leſſing
in ſo hohem Grade und ſo wohlthuend auszeich—
net. — Kunſt und Natur, die Geſchichte ſeiner
Nation und ihre Gegenwart mußten ihm hier
immer noch am eheſten wohlthuende Eindrücke
hinterlaſſen, wo alles ſo harmoniſch und orga—
niſch ſich entwickelt hat, wo er
die Tugenden ſeines Volkes im
beſten und ſeine Fehler im milde—
ſten Lichte ſehen,
ſich daher auch am
eheſten zu jenem
furchtloſen Käm—
pfer für dasſelbe
ausbilden konnte,
der er geworden.
Hier träumte er ſo—
gar von einem gol⸗
denen Zeitalter,
das die Menſchen
ſich ſofort verſchaf⸗
fen könnten, wenn
ſie nur wollten!
Wie dürfte man
da zweifeln, daß zu
dieſem Glücksge—
fühl die herrliche Umgebung, in der er lebte,
nicht am wenigſten beitrug? Als er die Schule
nach fünf Jahren endlich verließ, war denn auch
der junge Held fertig.
Drüben überm Thale nach Oſten zu ſieht man
dann das ſchöne Schloß Siebeneichen und weiter:
hin noch eine wahre Ueberfülle uralter Klöfter,
Kirchen und Kapellen ſowohl als neu entſtan—
dener Schlöffer und Villen, Fabriken und ge:
werblidher Anlagen aller Art, fo daß man wohl
fagen kann, daß fich eine in ihrer Art hodhadht:
bare, ja glänzende Vergangenheit nirgends orga—
nijcher und wohlthuender mit der thätigen und
tüchtigen, fröhlich blühenden Gegenwart ver:
binde. — Daß die leitende Rolle aber, die da
einft die Herren Markgrafen und der Adel famt
Klerus, dann fpäter die Gelehrten der Schule
Eine Perle unter den deutjchen Städten. 1 5
fpielten, heute an den unterm Schuße des ange:
ftammten Frürftenhaufes fröhlich aufftrebenden
Bürgerftand mit feinen Bewerben übergegangen
it, das dürfte fiherlih als fein Nachteil zu be:
trachten fein.
Meißens Umgebung ift felbftverftändlicd)
überreih an den reizendſten Spaziergängen.
Einer der ſchönſten
ift aber der längs des
Driebiſchflüßchens
hinauf bis in das
etwa eine halbe
Stunde entfernte
Buſchbad. E3 iſt das
ein Weg, wie man
ihn fich in feiner ent:
züdenden Waldein—
ſamkeit nicht Schöner
denfen Tann und
wie ihn nur Viktor
Scheffel in all feinem
Reiz zu Schildern ver:
möchte. Für mid)
fnüpft ſich aber eine bejonders rührende und
erhebende Erinnerung an denjelben, die mir das
einfadhe unter Maldbäumen verjtedte Haus un:
vergeßlich macht, wo man weit und breit nichts
hört als den Gefang der Vögel, nichts atmet
ala Waldes- und Blumenduft. Denn dort be:
Der Meine Hohlweg.
Dichterlingen, die ich perfönlich fennen gelernt,
hat aber nie mehr einer, jelbjt Wilbrandt in
feiner Jugend nicht, fo fehr den Poeten ſchon
in feinem Aeußeren ausgejprochen, vorab einen
jo wunderfhönen Dichterfopf gehabt als diefer.
Noch habe ih vor mir an der Wand hängend
feine Totenmaske, und felbjt dieſe zeigt jo ſehr
den geborenen Bar:
den, daß man jofort
meint, fie müjle die
Züge des Walter
von der Vogelweide
oder des Gottfried
von Straßburg wie:
dergeben. Dabei war
ihm eine Gabe der
Nede verliehen, daß
er den Hörer unmill:
fürlih mit fortriß,
ihm Thränen in die
Augenloden ober ihn
lächeln machen, ihm
atemlofe Beflom:
menheit oder die helle Freude einflögen konnte,
uns im Handumdrehen neue fremde Welten vor
die Seele zauberte, daß man wie beraufcht von
ihm wegging. Man ftaunte nur, wo der in
einem thüringiihen Städtchen aufgewachſene,
fajt immer in größter Armut lebende junge
ſuchte ich einjt vor mehr als dreikig fahren den | Mann dieſe tiefe Menjchenkenntnis, dieſen
jo hochbe— Reichtum
gabten als von Ideen
unglüd: her hatte!
lichen Did): Wenn ir:
ter Otto gendwo,
Ludwig, lernte man
der in die— bei ihm, an
fer verſteck— Inſpiration
ten, grünen an den
Wildnis Seherberuf
Geneſung des Dich—
von ſchwe⸗ . ter3 glau-
rem Leiden Tas Klofter zum Heiligen Areny. ben. Und
gefucht diefe herr:
hatte, das den damals noch herrlich kräftig aus-
jehenden Mann wenige Jahre jpäter zu jeinem
eigenen Schatten machen jollte. In jener Zeit
aber war der Dichter des „Erbförſters“ noch
voll Hoffnung auf Heilung und voller Pläne
für eine große Zukunft, die ihm ja unzweifel-
haft bevorjtand, wenn er gejund geblieben wäre.
Unter den vielen echten Poeten und noch mehr
liche Kraft hat die Natur gleichgültig zu Grunde
gehen lajjen! Da fteht man vor dunfeln Rät—
feln, die uns nichts fo wünſchenswert machen
als ſolch friedlich ftille und ſüße Beſchränkung,
wie fte die Heine enge Welt noch bietet, in die
den Leſer einzuführen ſich Zeichner und Schrift:
ftellev vereint bemüht, um ihm zu zeigen, wie
hier der Fuß überall geweihten Boden betritt.
16
Nuguſt Beder.
Sleonore
Roman von Auguſt Beker.
Erfles Buch: Der Kandelaber.
1.
n Trift und Dorfanger vorüber,
Forſt und Heide entlang, brauft
im weiten Flachland, aus wel:
der Kartoffelfeuer fteigt, von
Norden heran ein Schnellzug der Hauptſtadt zu
und rollt, zwiſchen der = unjcheinbaren Anfängen
jeine Haft mäßigend, in die Bahnhalle, um feine
Menſchenfracht auf den eben nod) leer und ftill
gewejenen Perron abzufegen.
chem rechts und linfs der Naud
Rolt zum Dünenfand,
Weilt die ſchönſte Frau,
Blidt jo hoch und hebr,
Wenn die Möwe fliegt
Ueber das weite Meer,
Das im Traum — —
Und nun,“ unterbrach er fic) plötzlich ſelbſt,
als er des Schutzmanns anfichtig ward, der unter
‚ der Inſchrift orders for cabs an der Ausgangs:
Es war genau jechs Uhr abends, die Herbft:
fonne hinter den Föhrenwäldern des Horizonts
bereits hinunter.
Mährend die Ausfteigenden in buntem Ge-
wimmel dem Ausgang zudrängen, fcheint einer
derjelben, deſſen ausdrudsvolles blondbärtiges
Haupt merklich über das Niveau der Maſſe ragt,
wenig oder gar feine Eile zu haben. Beſchaulich
verweilend, doc) feineswegs träge, gleitet fein |
Blid, wenn auch vergeblich, nad) irgend welchem
befannten Gejicht umher. Dann treibt er ſelbſt
achtlos im Gewühl an der Tafel vorüber, die
vor Tajchendieben warnt, und fummt dabei un:
bewußt vor ſich hin, als ob irgend eine Erinne-
rung oder Stimmung ummillfürlich in ihm nad):
|
flinge — laut genug, daß einige Nachbarinnen |
im Gedränge nicht bloß die eigenartige, vom |
Grundton in die Dftave fpringende Weife, fon-
dern felbjt den Tert vernehmlich unterjcheiden
fonnten.
Der Fremde im dunfeln Reifegewand und
hellem Filzhute, ein junger ftattliher Mann
von etwa dreißig oder zweiunddreißig Jahren
und dijtinguiertem, aber nichts weniger als
ftugerhaftem Aeußern, fummte in feiner Selbft:
vergefienheit nämlich alſo vor fich hin:
„An der Oſtſee Strand,
Wo die Woge blau
|
thüre ftand, „antworte du mir, Orakel, bejahend!
Gerad' oder ungerad'!“ Und an den Unifor:
mierten fich wendend fügte er mit gelaſſener
Verjtändlichfeit hinzu: „Haben Sie die Ge:
wogenheit !*
Der Angeſprochene löfte eine Blechmarke
von feiner Schnur und reichte fie dem Neifenden
dar. Als diefer einen Blid auf die Ziffer warf,
welche ihm eine der draußen haltenden Drofchten
ficherte, runzelten fi merklich feine Brauen.
„Schlechte Nummer!“ dachte er überlaut,
Marke und Reifetafche einem der bereitſtehenden
Gepädträger überliefernd.
„Bitte, mein Herr,“ bemerkte diejer ehr—
erbietig, „die Nummer tft nicht fchlechter als
eine andere, und fo gut als irgend eine.”
„Das wird fich zeigen. Wo bleibt die
Droſchke?“
„Hundertſiebenunddreißig!“ rief der Mann
hinaus, worauf der Wagen alsbald vorfuhr.
„Sonſt kein Gepäck, mein Herr?“
„Nein!“ ſagte der Fremde kurz, reichte
unter der gewöhnlichen Klage des Kutſchers
über Zeitverſäumnis dem Gepäckträger ſeinen
Lohn und ſtieg ein. Nachdem er noch als Ziel
eines der eleganten Hotels unter den Linden
genannt hatte, ging es in gemächlichem Drofch:
fentrab an den Werkjtätten des „Voigtlandes“
vorüber durch das Oranienburger Thor in die
Unabfehbarfeit einer Straßenperfpeftive hinein,
welche bereits im gedämpften Licht des ſchwin—
denden Tages lag. Wo einmündende Gaſſen
den Blick weitwärts frei fießen, blidte der braun:
Eleonore.
rote Dämmerglanz des Herbitabends auf das
Straßenleben herein.
Unberührt davon fuhr der Fremde dahin.
Das Drafel, obwohl eigentlih nur im Scherz
angerufen, hatte ihn etwas verftimmt, da es ſich
feinen Angelegenheiten während eines kurzen
Aufenthaltes in der Hauptjtadt nicht günftig er:
wiejen. Als er jedoch auf der nächſten Brüde
von feinem Drofchfenfise aus den Anblid des
weithin warm angeleucdhteten Flußipiegels mit
Frachtſchiffen und Kähnen genoß, fchienen die
Erinnerungen, die den Grund feiner Seele
füllten, fo lebhaft angeregt, daß fie auch den
leichten Unmut über die ungerade Nummer zu
dämpfen vermochten. Denn wieder fang er leije
vor ſich hin:
„Ihrer Adern Gut
Kühlt die weiche Flut,
Die jo wunderbar
Perlt vom Lodenhaar,
Wenn dem Meer entjteigt
Der gejchmeid'ge Fuß
Und ihr Haupt ſich neigt
Zum erfehnten Gruß.”
Co fic feiner Stimmung überlaffend, ver:
fanf er tief in Träumereien und wurde e3 faum
gewahr, daß jein Wagen in die weite Straßen:
anlage unter den Linden einlenfte und endlich
vor dem Eingang eines palaftartigen Gebäudes
ielt.
ü „Ad, ein einzigmal,
Daß ich fie gejeh'n,
Nun ift mir zur Dual —“
„Wir find an Ort und Stelle,” unterbrach
jegt der Kutjcher den Träumenden, der auf:
Ihredend fein gemohntes Abjteigquartier er:
fannte. Er zahlte feine Droſchke und ftieg aus.
„Sind meine Koffer angefommen ?" fragte
er einen hübfchen jungen Mann mit wohlfrifier:
tem, glänzend ſchwarzem Haupthaar, der ihm
aus der Droſchke geholfen hatte.
So höflich als vorfichtig erkundigte fich diefer,
wen man zu empfangen die Ehre habe. Ohne
weiteres ward ihm Expreßſchein und Adreſſe
hingereicht.
„Jawohl, Herr Doktor, gewiß!“ ließ ſich
jetzt nach einem flüchtigen Blick in die Karte der
junge Mann freundlichſt vernehmen und griff
zuvorkommend ſelbſt nach der Reiſetaſche. „Alles
Gepäck ſchon auf Ihrem Zimmer, Herr Doktor!“
ſetzte er verbindlichſt hinzu. „Alles beſorgt!“
„Gut,“ bemerkte der Reiſende, indes man
an der Portierſtube vorüber die Treppe hinan
wegte Jungfrau erſchien.
17
in einen Vorraum gelangte, wo durch hohe
Fenſter noch genügende Helle in das Innere des
Gaſthofs fiel, während die weiterhin ſich aus:
dehnenden Räumlichkeiten fchon ſtark umfchattet
oder doch bereits im unficheren Zwielicht lagen.
„Ich bringe einigen Appetit mit,“ fette er hinzu.
„Was gibt’3 zu jo ungelegener Stunde?“
Während der Kellner dienjtbefliffen nad
Wein: und Speifefarte lief, fah fi) der Ange:
langte gleihmütig um, ließ den Blid in die
anjtogenden Räume jchweifen, über das par:
fettierte Foyer hin nad) den Salons, die, durch
Kolonnaden geſchieden, hinter Glaswänden fid)
ausdehnten und wie gewöhnlich zu diefer Abend:
ſtunde, furz nad) der Haupttafel, wenig bejucht,
ja anfcheinend völlig leer waren.
Soviel in der Dämmerung zu bemerken
war — man hatte ſich im Hotel noch nicht be:
müßigt gefunden, die Lichter anzuzünden —
befand fich hier noch alles im früheren Zuftande;
feine nennenswerte Veränt sung hatte jtatt:
gefunden. Nur in der tiefen, bejchatteten Ver:
längerung des Borfaales, die fi wie ein Korri—
bor hinzog, fiel dem Blid etwas auf, deſſen fi)
der ‚Fremde von vergangenen Tagen her nicht
entjinnen fonnte — eine dunkle Figur nämlich,
die man bei der zweifelhaften Beleuchtung im
eriten Augenblif nad Form, Umriſſen und
Haltung für eine junge Dame halten fonnte,
Ihre Unbemweglichkeit fam jedoch folcher An:
nahme nicht weiter zur Hilfe. Statuen dagegen
pflegen aus lichtfarbigem Stoff zu fein und nicht
zwedlos inmitten eines Hotelfoyers aufgejtellt
zu werden. So war e3 denn eher ein großer
Kandelaber, wie man fie zuweilen in modernen
Gaſthöfen trifft oder auch nur ein das Dedgebält
ftügender Pfeiler, der etwa als Träger eines
neu angebrachten Gurtbogens im düfteren Zwie—
liht den Schein einer menſchlichen Geftalt ge:
wann.
Der Fremde fühlte fi für jett nicht auf:
gelegt, feine Beobachtung weiter zu verfolgen.
Sleihwohl erregte es feine Teilnahme, als er
nunmehr in der Figur eine Karyatide zu erfen-
nen glaubte, die jedoch nicht in der leichten
Haltung jener Gebälfträgerinnen der Karya-
tidenhalle auf der Akropolis, fondern eher ala
eine von der Bürde bedrüdte, fchmerzlich be-
Irgendwo nämlich
hatte ihn der Anblick folcher weinend dargeſtell—
ten Mädchenfiguren einmal tief gerührt. Aber
wo, an welchem Prahtbau? Am Louvre nicht;
8
18 Auguſt Beder.
denn ba treten die Gejtalten nur als anmutiger
bilderreiher Schmuck paarweiſe unter den Kranz:
jteinen des Pavillongefimfes hervor. Wo nun
denn?
Bevor er ſich deſſen zu entfinnen vermochte,
hatte ihm der Kellner die Speifefarte eingehän:
digt, die er mit einem Blide überflog.
„Ein Beefiteaf genügt für's erfte, halb
durchbraten!“ bedeutete er. „Eine halbe Flaſche
Moſeler nebjt Selters. Sie beziehen doch Ihren
Mofeler aus Hußgens Lager in Trarbadh ?“
„Freilich!“ verficherte der Kellner aufleuch:
tend ob der Vertrautheit mit den Gepflogen:
heiten des Haufes. „Gewiß! Wünſchen der
Herr Doktor auf Ihrem Zimmer zu fpeijen?“
„Nein, nachher hier innen,“ erwiderte der
Fremde, nad einem Raum deutend, der fchon
völlig im Dunkel lag, immerhin aber die Mut:
maßung begünftigte, daß er nicht ganz leer jei.
Machten fi doch Laute von da vernehmlich, als
ob jemand hinter der Tafel zehre, mit Gefühl
und Verftändnis einer Mahlzeit obliege, wenn
aud von dem Gafte nichts zu unterfcheiden war,
als ein leuchtender Diamant am Finger, die am
Kragen befeitigte Serviette und eine nicht min:
der blanke, über den Scheitel bis in den Naden
reichende Stime. Auch ein dröhnender Ton,
fajt wie ein Trompetenjtoß, verfündete aus der
Dunfelheit, daß da, weil an einen Hornijten
füglich nicht zu denken war, ein ältlicher Herr
mit muftfalifher Anlage fein Taſchentuch ge:
braucht haben müſſe. Wenigftens machte der
neue Gaſt diefen Schluß.
Vorerjt wollte der Fremde — auf feiner
Karte ftand einfah Dr. Bruno Herbig — nad)
den Strapazen einer Eifenbahnfahrt fich auf
fein Zimmer zurüdziehen. Nachdem ihm nod
der Kellner auf feine leicht hingeworfene Frage
wegen der Karyatide im Foyer ebenjo flüchtig
verfichert hatte, nichts von einer Karyatide zu
wiſſen, vernüchterte fih deren Erſcheinung aud)
für ihn. Der vermeintlihe neue Gurtbogen
erwies ſich nur ala hochdrapierter Vorhang ; die
Figur darunter erfchien jegt als ein großer
Gusridon, oder vielmehr als einer jener manns⸗
hohen Kandelaber aus Bronzeguß, deren Form
in ungewifjer Erleuchtung allerdings die Um:
rifje einer nad) neuejter Mode gefleideten Dame
ziemlich täufchend vorzufpiegeln vermag.
Da ſolche Leuchterfolofje heutzutage in
großen Hotels nichts Auffälliges mehr find,
fehrte der Fremde dem Kandelaber den Rüden,
um fih von einem furzjadigen Heinen Auf-
wärter, der mit der Neifetafche und brennenden
Kerzen voraneilte, vollends die Treppe hinan
geleiten zu lafjen, während feine Gedanken zu
Erinnerungen zurüdfehrten, die ihn jetzt zumeift
erfüllten.
„Auf der Dünenhöh'
Küßt die kecke Bö
Ihre Wangen kühn,
Daß ſie röter blüh'n.“
Damit auf den erſten Treppenabſatz gelangt,
bemerkte er bei einem Streifblicke zurück mit
Verwunderung, daß der Gaſt des dunkeln Saales
— klein, dick, reich gekleidet und ſehr barhäuptig
— in das Foyer heraus und auf die Stelle
losgeſchritten war, wo der Kandelaber ſtand,
um ſich vor demſelben haſtig und wiederholt wie
eine Pagode zu verbeugen und eifrig auf den—
ſelben hinein zu ſprechen. Die raſchen Bücklinge
vor dem bronzenen Leuchterkoloß auf dem Parkett
des Foyers machten einen wunderlichen Eindruck.
Einigermaßen betreten verweilte der Zuſchauer
eine Weile, wollte ſich jedoch nicht zu lange da—
bei aufhalten.
„Der feiſte Glatzkopf ſcheint ſich einen Zopf
angetrunken zu haben!“ dachte der Fremde und
erſtieg, ohne ſich nach weiterer Erklärung des
ſeltſamen Auftritts umzuſchauen, vor ſich hin—
ſummend vollends die Treppe.
„Und der Wogen Schaum
Flockt dem ſtolzen Weib
Weiß wie Schwanenflaum
Um den edeln Leib.“
Mittlerweile hatte der kleine Kurzjack die
Flügelthüre eines eleganten Gemaches geöffnet.
Der Fremde zögerte jedoch einzutreten und be—
hauptete lebhaft, das ſei nicht ſein Zimmer.
„Doch, mein Herr, hier innen ſteht Ihr
Gepäck,“ beteuerte der Kleine, indem er die
Reiſetaſche einigen Koffern zugeſellte, welche
auf einem feldſtuhlartigen Geſtell oder daneben
auf dem Boden ſtanden.
„Allerdings iſt dies mein Gepäck,“ er—
widerte der Fremde unwirſch. „Indes iſt dies
nicht mein Zimmer. Ich habe Nummer zwölf
beſtellt, und dies iſt Nummer dreizehn.“
„Nummer zwölf iſt beſetzt — eine Dame
wohnt da,“ erklärte die Kurzjacke. „Hier iſt es
gemütlicher und freundlicher, mein Herr. Nichts
weiter zu befehlen?“
„Was ſoll ich mich ärgern!“ dachte der
Fremde, nachdem der kleine Menſch wieder
Eleonore.
draußen war. „Der Zufall nedt mid nun ob
der wunderlichen abergläubiihen Anmwanblung,
von geraden Zahlen Schidjalsgunft zu er:
warten.“
Indem er die Kofferfchlüffel erprobte und,
nachdem er alles in Ordnung gefunden, Rod
und Weſte abwarf, um fich in der Flut des
mächtigen Porzellanbedens auf feinem Waſch—
tiſch Geficht und Hände zu fühlen, war aud)
fein Unmut hinweggeſchwemmt. Raſch war die
nötige Toilette zu Ende. Das Feniter öffnend
lehnte er hinaus und jah über das Getriebe der
Strafe hinweg bei finfender Nacht weitwärts,
woher der braunrote Dämmerjchein noch durch
die Säulen des abjhliegenden Prachtthores in
die beginnende Dunfelheit hereinglühte. Eine
gute Weile hielt er am offenen Fenfter. Und
wieder fam die Stimmung zu ihrem Rechte, in
welcher fein Geift am liebſten ſchwelgte.
„gern am Horizont
Zeuchtet mir ein Bild —
Locken duntelblond,
Augen tief und mild;
Wie bewegte See
Wallt des Buſens Schnee,
Und ein Angeficht
Winkt wie Dämmerlidt ...“
Magen rafjelten vorüber, und mit der
Dunfelheit wehte empfindlid die Nachtfühle
herein. Er achtete deſſen nit, fich feiner
Schwelgerei in einer Erinnerung überlafjend,
die auf Augenblide in heißes Verlangen um:
ihlug oder fi in warme Sehnſucht auflöfte.
„Mein Gemüt fo bang
Schwankt nun tief bewegt,
Algen gleih und Tang,
Wenn die Flut ſich regt.
Und warum, warum,“ unterbrach er ſich
felbit, „habe ich nicht den Mut, dem Drange
zu folgen, der glüdverheigend mich verzehrt!
Warum Laffe ich nicht kurz entfchlofjen den Freund
allein dahin ziehen, wo die Myrte ftill und hoch
der Lorbeer jteht, — warum eile ich nicht zu—
rüd — meinem Herzen nad?
Wenn der Sehnfuht Wahn
Mich auf Flügeln hebt,
Daß mein Herz als Schwan
Hin zur Dftjee ſchwebt . . .*
Noch eine Feine Weile hing er fo ſehnſüch—
tiger Träumerei nad. Dann raffte er fich plöß:
lich auf, mit einem förmlichen Ruck, als rufe er
ſich jelbit zu: Dies weiche, vergebliche Hinhängen
an einen vorübergegangenen Traum thut nicht
|
|
I
19
gut. Weiter! — Und genau eine Vierteljtunde
nad feiner Ankunft im Hotel erfhien er im
fleinen Speifefaal, der jet ebenfo hell erleuchtet
war, wie alle übrigen Näume. Sein Beefſteak
wurde aufgetragen, die Flaſche Mofeler und
der Krug Selters entkorkt, und er ließ ſich's
ichmeden.
„Wie fommt’3,“ fragte er, als fein Mppetit
einigermaßen geftillt war, beiläufig den vorüber:
eilenden Kellner, „daß man nicht auch den großen
Kandelaber draußen leuchten läßt?“
„Welchen Kandelaber, Herr Doktor?” fragte
derjelbe lächelnd zurüd, indem er den gejcheitel:
ten Kopf herfehrte.
„Den im Foyer linfs vom Eingang.”
„Links vom Eingang?”
„Den mannshohen Kandelaber oder Gueri-
don, wenn Sie wollen, aus Bronzeguß.“
„Da fteht weder ein Gueridon, Herr Dok—
tor, noch ein Kandelaber aus Bronzeguß.“
„So mag er brongefarbig angeftrichen fein,“
verjegte der Gajt etwas ungeduldig, indem er
jeinem Notizbuche den Stift entjog, um auf die
Rückſeite der Weinkarte einige Striche zu werfen.
„Ich meine den Kandelaber im Foyer — hier
in dieſer Form!“
Der Kellner warf einen Blick auf die Zeich—
nung — eine Figur von großer Aehnlichkeit
mit einer nach neueſtem Geſchmacke gekleideten
Dame. Dann ſchüttelte er den Kopf und be—
teuerte mit verblüffter Miene:
„Wir haben ſolchen Kandelaber nicht im
ganzen Hauſe.“
„Nun denn,“ ſagte der Fremde, mit einiger
Ungeduld ſich erhebend, „ich habe ihn bei meiner
Ankunft doch deutlich genug geſehen.“
Damit trat er raſch in den Foyer hinaus
und ſah ſich auf dem glatten Parkett um. Hier
aber fand ſich in der That kein Kandelaber;
dagegen ſtand in einer Ecke das Geſtell eines
Kleiderrechens, das jedoch durchaus nicht mit
einem Kandelaber zu verwechſeln war, obwohl
der Kellner dieſe Möglichkeit in Betracht zog,
worüber der Gaſt in etwas ärgerliche Stim—
mung geriet.
„Um da Nehnlichfeiten herauszufinden,
müßte man die Augen eines Narren haben,“
äußerte er gereizt. „Ebenfogut würde ich Sie,
mein junger Herr, mit dem Schah von Berfien
verwechjeln oder Apollo mit Fitlipugli. Hier
ftand er, als ih anlangte, hier an dieſer
Stelle.“
2 Auguſt Beder,
„Er?“ wiederholte der Verblüffte. „Es war
fein Mann, Herr Doktor, es war eine Dame,”
„Wer war eine Dame?“
„Die Sie hier ftehen fahen und melde
nachmittags gleichzeitig mit dem älteren dien
Herm anfam.“
„Mit welchem dien Herrn?“
„Demjelben, der noch im Salle a manger
faß, da Sie jelbjt anlangten, Herr Doktor.“
Nun konnte er fich des kleinen diden Herrn
mit der großen Glatze wohl entfinnen, glaubte
fogar nad) flühtigem Erinnern, daß ihm ber:
jelbe etwas befannt vorgefommen ſei, daß er
ihn mindejtens jchon einmal früher gejehen
haben müfje. Doc) erfchien ihm das jet minder
wichtig.
„Uber die Dame?” fragte er, „wer ift die
Dame?“
Der Kellner, der noch von anderen Gäſten
in Anſpruch genommen war, die inzwiſchen an:
gelangt in den Sälen umherſaßen, hatte fi
ſchon zu lange vermweilt und zog fich mit einer
Entjhuldigung zurüd, als jeßt der Oberkellner,
ein Herr mit hellblondem Haar und Badenbart,
einnehmendem Weſen und ruhig vornehmer
Haltung, hinzutrat und mit einer Berbeugung
den fremden begrüßte, indem er fein Bedauern
ausſprach, daß er bei deſſen Auskunft wegen
augenblidliher Verhinderung nicht zur Stelle
gewejen.
„Und wer iſt die Dame?“
„Bitte, einen Augenblid Geduld, will gleich
nachſehen,“ antwortete der Oberfellner willfährig
und verbindlich, worauf fein blondes Haupt in
der Portierjtube verſchwand, um gleich darauf
wieder aufzutaudhen, „Bedaure ſehr,“ ſprach
er in feiner gelafjenen und milden Weiſe, „weder
die Dame noch der Herr haben fich bis jett ein:
geichrieben.*
„Iſt fie noch jung?* erfundigte fi der
Fremde jest, gleihjam nur beiläufig.
„Eine noch junge und ſehr hübjche Dame.”
„Hochgewachſen?“
„D ja.“
„Blond ?*
„Doch nicht.“
„Ich meine dunfelblond.“
„Aber jehr dunfelblond,* erwiderte der
Dberfellner noch immer mit einiger Zurüd:
haltung, indem er den Nachdrud auf „dunkel“
legte. Er hatte eine jehr diskrete Art, fi aus:
zubrüden und ſprach mild und ruhig.
„Iſt fie die Tochter des älteren Herrn —
oder,“ fügte der Fremde hinzu, ala der andere
die Achſeln zudte, „feine Gemahlin ?*
„Richt wohl. Die Beziehungen ſchienen
feine fo vertraute.“
„Und woher fam das Paar?”
„Bedaure, nicht dienen zu fönnen, Beide
fuhren gleichzeitig mit anderen Fremden vor,”
berichtete der Oberfellner noch ausweichend. In—
des jchöpfte er doch aus dem vertrauenerweden:
den Aeußeren des Herrn Doktors, ſowie aus der
Teilnahme, die immerhin aus deſſen Erfundi-
gungen leuchtete, und aus Erwägungen verſchie—
dener Natur Gründe genug zu etwas größerer
Mitteilfamteit.
Und fo erfuhr jener nod) folgendes.
Sofort nad) ihrer Ankunft ließ fich die junge
Dame das Adreßbuch geben, verjah ein Billet
mit der Aufſchrift und warf dasjelbe eigenhändig
in den Schalter des Hotels. Hierauf nahm fie
nod) am Schluffe der Table d’hote teil, um ſich
dann auf ihr Zimmer zurüdzuziehen, das fie
unabhängig von ihrem Begleiter bejtellt hatte.
Während nun der fahlhäuptige Herr im kleinen
Saal für ſich allein ſpeiſte, fam fie wieder in
ben Foyer herunter, verweilte befonders in der
oberen Fenfternifche oder ging auf und nieder,
verharrte wohl aud) längere Weile auf derjelben
Stelle, um wieder ruhelos über das Parkett
binzufchreiten. Kurz, ihr Weſen verriet Un:
gebuld, als erwarte jie jemand,
„Kam fie mit dem Stettiner Nachmittags—
zug?“ warf hier der Fremde hin.
„Wohl möglich,” lautete die Antwort.
„Und nun ift fie weg?“ erfundigte ſich jener
im Tone leichten Geplauders.
„Allerdings. Gleih nah Ihrer eigenen
Ankunft, Herr Doktor, verlangte fie nad) einem
Wagen. ch jelbjt winkte einem Droſchken—
führer, fie jtieg ein und fuhr weg.“
„Mit dem alten Herrn?“
„Nein. Der fpazierte zu Fuß unter den
Linden in die Stadt hinein.“
Jetzt erfundigte jich der Fremde näher nad)
dem Fenjter, wo fie verweilt, und da man nicht
anjtand, ihm dasſelbe zu bezeichnen, begab er
ſich in die Nifche, in welcher indes nichts Beſon—
deres zu bemerfen war, al daß im Fenfterhaud)
der einen Scheibe ein mit der Fingeripige ge:
fchriebenes Wort ftand. Wegen der draußen
herrſchenden Dunkelheit vermodte er es nicht
gut zu leſen; jo nahm er einen Leuchter von
Eleonore.
dem Marmortifhchen und hielt ihn nahe an die
Scheibe. Aber die Buchitaben waren fchon etwas
zerflofien. Es konnte Streber, Streben,
aber auch Sterben heißen und mar wohl
ebenjo bedeutungslos, als es gedanfenlos hin:
gefrigelt war.
Der Fremde fing an fich feiner Neugierde
zu ſchämen, fuchte feinen Pla im kleinen Saale
wieder auf und äußerte beim Norüberfommen
dem Oberfellner gegenüber in einem Tone, als
ob ihm alles andere feine befondere Teilnahme
einzuflößen vermöge:
„sh dachte in der That, es fei ein Kan-
delaber. *
o
Menn der Oberfellner, der eigentliche Ge:
ſchäftsführer des Hotels, im feiner delifaten
Weiſe auch nicht that, als gebe er fich befonderen
Gedanken über die Erfundigungen des Gajtes
hin, jo war er doch der Ueberzeugung, daß,
troß der anfcheinenden Flüchtigfeit jener Nach—
fragen, denjelben ein tieferes Intereſſe zu
Grunde Tiegen müſſe. Blofe Neugierde oder
gar frivole Späherei würden ihn wohl, bei aller
Verbindlichkeit jeines Weſens, zugefnöpfter und
ablehnender gefunden haben.
Indes ſaß der Fremde, ein junger Gelehrter,
der auf einer Reife ins Ausland beariffen von
Königsberg fam und die Fahrt bis zur pommer:
ſchen Küfte zur See gemacht hatte, nachdenklich
bei jeinem Glaſe. In der Eingenommenheit von
einer flüchtigen, Doch tief nachwirfenden Begeg:
nung an der See, nur mit halbem Augenmerk
für anderes, hatte er hier im Foyer eine junge
Fremde für eine Karyatide oder gar für einen
Kandelaber angejehen und dann an die Mög:
Iichkeit geglaubt, in ihr die jchöne Frau vom
Dftfeeftrande wiederzufinden, zu der alle feine
Empfindungen zurüdfehrten, während ihn doch
der Zwed feiner Neife an einen anderen, ent:
gegengefegten Pol wies.
Da das wirkliche Leben nur ausnahmsweiſe
unferen Hoffnungen durch romanhafte Zufälle
zu Hilfe kommt, erichien ihm bei nüchternem
Betracht jene Illuſion als eine unbegreifliche
Schwäche. Das Bewußtſein einer erfchlaffenden
Schmwärmerei drüdte ihn. Er fühlte mit tiefer
Verftimmung, daß er die Freude an der ge
ſtellten Aufgabe einbüßte, ſelbſt den Anlaß zu
furzem Verweilen in der Hauptitadt aus den
nn ——
21
Augen verlor. Indem er jo keineswegs erfreu:
licher Gedanfenfolge nachhing, ſank auch fein
Körper fchlaff in fich zufammen.
„Die Einfamfeit thut mir nicht gut!” ſprach
er für fi, worauf er mit einemmal den Kopf
hob und fich in den Hüften aufridtete: „Herr
Oberfellner !*
„Ras ſteht zu Befehl, Herr Doktor?“
„Wiſſen Sie zufällig, wo jetzt Geheimrat
von Betting — oder fennen Cie überhaupt den
Mann?“
„Dem Namen nad ſehr!“ Tautete die Ant:
wort in einem Tone, der hinzuzufügen jchien:
wir willen doc auch unjere bedeutenden Männer
zu ſchätzen!
„Als dankbarer Schüler und wärmiter Ver:
ehrer möchte ich dem alten liebenswürdigen Herrn
meine Aufwartung machen. Es ijt wohl etwas
ſpät, fi) anzumelden,“ fügte er die Uhr ziehend
hinzu. „Doc iſt heute wohl Empfangsabend.
Früher wohnte er Kronenftraße.“
„Der Herr Geheimrat bewohnt jett fein
eigenes Haus — am Tiergarten“ bemerfte der
Oberfellner, indem er fi) nad) dem Adreßbuch
umfah. „Indes, ob er jhon aus der Sommer:
frifche zurüd jein wird?!“
Der Fremde ſchien hieran nicht zu zweifeln,
Tief fich das Adreßbuch geben und einen Lohn—
diener zur Beforgung einiger Billets bejtellen.
beſchrieb noch einige Bifitenfarten, die er mit
Couverts und Adreſſe verfah, übergab fie dem
Lohndiener und verlangte nad) einem Wagen,
indem er jein Glas vollends austranf, den
Handſchuh über die Linke jtülpte, den Hut auf:
jeßte und das Hotel mit den Worten verließ:
„Am neun Uhr bin ic) ficher wieder da, —
wenn jemand nad) mir fragen ſollte!“
Draußen winften, riefen, pfiffen unterbes
Hausknecht und Portier eine Droſchke herbei,
die den Fremden aufnahm. Raſch brachte fie
ihn durch das Brandenburger Thor, den Saum
des Tiergartens entlang in eine jener ſchönen
jtillen Straßen, die von den Wohnfigen einer
beneidenöwerten Gejellichaftsflafje gebildet wer-
den. Endlich hielt das Fuhrwerk vor einem
villenartigen Gebäude, das, durch ein Vorgärt—
chen von den Nachbarnhäufern getrennt, ſich als
das Heim des verehrten Mannes erwies, dem
der junge Gelehrte zunächſt feine Aufwartung
zu machen wünjchte.
Der Geheimrat hatte ſchon feit Fahren feine
akademische Lehrthätigkeit, doch nicht fein Wirken
22 Auguft Beder.
für die Wiffenfchaft aufgegeben, wenn aud) fein |
Name meift hinter feinen Leiftungen zurüdtrat.
Bis in fein Alter hatte er fich den Enthufiasmus
des Gelehrten gewahrt. Die ehrliche felbitlofe
Hingabe an die Sache, an die Forſchung ſelbſt,
die neidlofe Anerfennung fremden Verdienftes bei
oft grillenhafter Verkennung und Verleugnung
des eigenen, die Uneigennüßigfeit und Opfer:
freubigfeit, mit der er ſtets bereit war, durch
Rat und That wiffenfchaftliche Bejtrebungen und
Unternehmungen zu fördern: hatte dem alten
Herrn die Verehrung weiter Kreife gewonnen,
und bei vielen feiner früheren Schüler gab fi)
eine Anhänglichkeit fund, die glängenderen Na:
men oft verfagt bleibt.
Mit jolhen Gefinnungen war denn aud)
Dr. Herbig gefommen. Aus dem Bedürfnis, ſich
einmal wieder feinem hochverehrten, unvergeß—
lihen akademiſchen Lehrer vorzuftellen, war zu:
meist ein kurzer Aufenthalt in der Hauptſtadt
hervorgegangen. Doch gewährten jett, als er
vor dem geihmadvollen Haufe ausjtieg, deſſen
unerleuchtete Fenster wenig Hoffnung auf Er:
füllung feines Wunſches.
den Drofchfenführer warten und begab ſich zu
vorläufiger Anfrage in das Haus, das, von einem
abblühenden reichen Rofenflor umhegt, etwas von
der Straßenlinie zurüd ftand. Schon unterm
Eingang ftieß er auf einen Mann, den Haus:
meifter oder Gärtner, der ihm auch jofort bebeu:
tete, daß die Herrichaften leider verreiſt feien.
Als hierauf der Fremde verwundert fragte,
ob der Herr Geheimrat noch nicht von der See
zurüd jei, da er feines Wiſſens ſchon vor einigen
Tagen Misdroy verlaſſen habe, — bejahte dies
der Mann mit der Ergänzung, daß man daheim
nur furze Raſt gehalten, um mit der Anhalter
Bahn weiter — an den Rhein — zu reifen.
Der Herr Geheimrat wolle einige in engeren
Kreifen verabredete, nod aufeinander folgende
wiflenfchaftlihe Konferenzen nicht verfäumen ;
die gnädige Frau aber gedenfe wegen einiger
Angegriffenheit infolge der Seebäder zur ſchö—
nen Herbitzeit noch mitteldeutihe Wald: und
Bergluft in Ruhe zu genießen. Und fo vergehe
heuer der ſchöne Herbitrojenflor daheim unge:
nofjen, feste der Mann faft Hagend hinzu.
indes gab der Fremde feine Karte ab, ſprach
fein Bedauern aus, die Herrichaften nicht ge:
troffen zu haben und begab ſich — mit einem
Blick über die Gartenplanfen und im Worüber:
fommen eine überhängende Rofe pflüdend, von
welcher ber Gärtner verfierte, daß es eine
jelbjtgezogene, beſonders jchöne und nad der
gnädigen Frau genannte Varietät ſei — nad)
dem Wagen zurüd. Er ftedte die Roſe, deren
Farbe jich bei Nacht nicht gut unterfcheiden lieh,
die aber eigentümlich duftete und fich weich,
feucht anfühlte, ins Knopfloch und fuhr weiter.
So freundlich das Anweſen und fo jehr es
des Geheimrats Mittel erlaubten, teuer zu
wohnen, blieb dod) der Entſchluß des alten finder:
lojen Herrn, ſich noch die Laſt eines Hausbefiges
aufzubürden, bemerfenswert. Wie lange mochte
er ſich defjen noch erfreuen?! Aufrichtig Teid
that es dem jungen Gelehrten, da er nicht, wie
gehofft, mit dem väterlichen Freunde fi über
feine nädjten Aufgaben auszusprechen, Finger:
zeige, Aufichlüfie erhalten fonnte, die feinen
Reifezwed förderten. Doc) hatte das Bedauern
über den verfehlten Beſuch auch einen weniger
jelbitfüchtigen Grund ; den größeren Anteil ſogar
hatte die Erwägung, ob er dem Antlit des ehr:
würdigen Mannes je wieder begegnen würde, ob
| er nad) jahrelanger Abwejenheit den unvergeß:
Vorſorglich hieß er
lihen Zehrer in diefem Haufe begrüßen bürfe,
von welchem er jetzt als Andenken nichts mit in
die Fremde nahm, als eine hinmwelfende Roſe.
Mit folhen Betrachtungen fuhr er wieder
durch belebte Strafen in die faſt taghell beleuch:
tete Stadt zurüd. Da und dort ließ er halten;
— mo e3 einen Bekannten zu fprechen, einen
Freund zu treffen galt, regelmäßig mit demſelben
ſchlechten Erfolg, mit befjerem dagegen überall,
wo im Vorbeikommen kleine Einfäufe beforgt wer:
den fonnten, wie fie Reijende zu machen pflegen.
Zulegt rafjelt der Wagen noch vom Spittelmarft
aus gedehnte, lange Strafen entlang in einen
ganz neuen Stadtteil und hielt erjt wieder auf
einem großen, vom Kanal durchichnittenen Plage,
der, von prächtigen Häufern begrenzt, ſich nad)
Nord und Süd in hellbeleuchteten, mit Baum:
reihen bepflanzten, ftattlihen Uferjtraßen fort:
ſetzte.
Hier, in einem Eckhauſe, vor welchem bereits
eine andere Droſchke hielt, wohnte nach Aus—
kunft des Adreßbuches ein Univerſitätsfreund,
mit welchem der Abend angenehm verbracht
werden ſollte. Seinen Droſchkenführer verab—
ſchiedend, ſtieg der Fremde die mit einem Teppich
belegte, beleuchtete Treppe hinan und las die
Namen der Bewohner von den Klingelſchildern;
endlich auch den des Freundes, wobei er wider
Willen Ohrenzeuge eines halb hinter, halb unter
Eleonore. 2 3
der Thüre geführten Zwiegeſprächs zwischen | Wieder fäumte das Meib mit der Antwort,
Frauen wurde, welche, den Eingang fperrend, | wohl verblüfft durch den hervorleuchtenden Ent:
ihn notgedrungen zum Warten veranlaßten. ſchluß. Dennoch nannte fie hierauf Straße und
„J, ſieh' mal, Sie fommen von auswärts!” | Hausnummer.
ließ jich die Stimme eines Weibes vernehmen, „Iſt e8 weit von hier?“ erfundigte fich die
das dem Ton und Ausdrud nad) eine richtige | Dame noch unter der Thüre.
' Köchin oder Haushälterin war. „Na nu, wie Das Weib ließ ein „Gottbewahre!“ hören
geäußert. Und Sie werden verjtehen, Madamfen, | und befchrieb dann mit geläufiger Zunge den
dak Herr Kammergerichtsaffefjor unter folden | Weg: vom Dranienplat den linfen Hafendamm
Umſtänden weder heute, noch morgen, noch über: | entlang, um das Engelbeden herum, an ber
morgen zu fprechen find. Herr Kammergerichts- Michaelskirche vorüber gegen Bethanien zu, aber
aſſeſſor haben jet anderes im Kopfe!“ nicht rechts über die Brüde, jondern links hinein,
„Gerade dieje Umftände heifchen dringend, | dann rechts in die Querſtraße gleich das zweite
daß ich ihn heute noch ſpreche!“ verjette im | oder dritte Haus. Man könne aber auch gleich
Umgangstone ber gebildeten Klaſſen eine Frauen: | hier über die Dranienbrüde auf das andere
jtimme voll Wohllautes, dem nur der fharfe | Ufer fchräg in die Straße hinein, dann rechts,
Nahdrud bejtimmten Entjchluffes einigen Ein: | dann links, immer gradaus über die Brüde, zu:
trag that. legt rechts in die richtige Straße: es fei gar
„J, Gott bewahre, das kann 'malnicht fein!” | nicht zu fehlen. .
entgegnete die andere. „Stehen Sie ihm denn Die Fremde dankte und trat, wohl fo flug
fo nahe, daß Sie eö durchſetzen möchten?” ala vorher, vollends heraus, während das Meib
„Das mag er ſelbſt entjcheiden!” lautete die | noch nachrief:
Antwort. „Nichts zu danken, Madamfen, gute Nacht
Die Fremde, welche übrigens mit merflih | und fallen Sie man nicht ins Waſſer.“
nordweſtdeutſcher Betonung der Silben fprad), Der junge Gelehrte war mit dem Hute in
ſchien nicht gewillt, mehr zu jagen, ala der auf: | der Hand beifeite gewichen, um ber Dame den
dringlid) dreiften Neugierde gegenüber unbedingt | Weg frei zu laffen, die von feinem Anblid etwas
von nöten war. betroffen, doch ohne weitere fichtliche Verwirrung
„Na, hören Sie 'mal Madamken, wie war | feinen Gruß mit einer ftummen Beugung des
das mit der Entſcheidung?“ lieh fich die andere | Hauptes erwiderte, dann, ohne fi nochmals
wieder und zwar mit einiger höhnifcher Gereizt: | umzufchauen, mit einer gewiſſen entſchloſſenen
heit vernehmen. „Sind Sie etwa Herrn | Haft die Treppe hinunter eilte. Da fie den
Kammergerichtsaffefjors feine Fräulein chweiter | Schleier herunter geſchlagen hatte, war von ihren
oder jonftige auswärtige Blutöverwandte, find | Zügen nichts wahrzunehmen. Aber es war eine
Sie?“ geſchmeidige ſchlanke Figur von eleganter Hal-
„Mehr als das!“ kam nad) einigem Zögern | tung und Bewegung. Ueber dem Gewande von
als Entgegnung. dunkler Bronzefarbe trug fie einen fait gleich
„Ale Wetter, mehr ala das?“ wiederholte | farbigen Ueberwurf. So viel man von ihrem
das Weib. „Iſt viel gefagt, Madamten. Und | Haar jehen konnte, war es fraus und Schwarz.
— wie ijt denn der werte Name?“ Zu weiteren Beobadhtungen ließ ihr rajches
„Um den handelt ſich's hier weniger, ala | Verſchwinden dem Nachblickenden feine Zeit.
darum, ob der, in deſſen Dienjt Sie ftehen, zu Als unterdefien die Haushälterin den Frem-
Haufe ift oder nicht.“ den bemerkte, zupfte fie raſch ihr Halstuch zu:
„Ra nu“, fing das Weib jet an, „das ift | recht, ftrich mit der Hand über die Schürze und
nu eflig mit den Damens! ch habe ja gejagt, | frug mit verbindlich zugeſpitzten Lippen nad)
Herr Kammergerichtöafleffor find vor einer hal: | deſſen Begehr.
ben Stunde ausgegangen.“ „Alſo Aſſeſſor Steuber ift nicht zu fprechen?“
„Wohin, wenn man fragen darf?“ fagte er kurz.
Das Weib zögerte, erflärte dann aber: „zu „Leider, mein Herr. — Kammergerichts-
Herrn Kommiffionsrat Patzky, wenn Sie die | afjefjor Steuber find nicht zu ſprechen, wie ich
Familie kennen.“ eben dem Frauenzimmerchen da geäußert habe, “
„Wo wohnt der?” verjegte fie mit einem verftändnisinnigen Blid,
24
während ihm ein gewiſſer mit Liqueurbuft ver:
mengter Kühengeruh das Weib noch unan-
genehmer madte. „Sie müfjen es ja gehört
haben, werden Ihr Teil gedacht haben, hi, hi,
hi! Schon wie fie fam, fagte ih mir: da iſt
waslos! Und richtig!” fuhr das überſchwenglich
vertrauensvolle und unnatürlich redfelige Weib
mit unnahahmlichem Augenaufſchlag fort.’ Nein,
das war einzig! Hab’ gemeint, ich joll ftiden !
Und wer iſt fie? ‚Mehr als das!‘ Sie haben
ja gehört. Aber eine Thränendrüfe ift Das nicht,
— nein, alles was redjt ijt — eine Thränen
drüfe ijt das Frauenzimmerchen nicht. Der Herr
Gerichtsaſſeſſor,“ lenkte fie auf eine ungeduldige
Gebärde des Fremden ein, „Herr Kammer:
gerichtsaflefior Steuber haben fich nämlich für
den Abend zu den Schwiegereltern begeben.
Reiche Leute, jehr reiche Leute.“
„Er iſt alfo verheiratet?“
„Noch nicht. Aber morgen foll Hochzeit fein.
Und da fommt nun das Frauenzimmerden ba-
her, na! Aber eine Thränendrüfe ift es nicht.“
„Bitte, hiermeineKartemit — Glückwunſch,“
unterbrach der Fremde die überjtrömende Mit-
teiljamfeit, indem er ein ‚gratulor‘ hinzufrigelte
und fich beeilte, wieder ins Freie zu fommen.
Da jeine Droſchke weggeſchickt, eine andere
nicht vorhanden und von der jungen Dame nichts
mehr zu jehen war, ſchlenderte er den Hafen:
damm entlang mit Gedanken an das eben Er:
lebte und an fein Mißgeſchick, das ihn feinen
feiner früheren Freunde treffen ließ. Die Nacht
warfriich, faſt rauh. Das abfallendeLaub der Lin:
den: und Haftanienallee rafchelte zu feinen Füßen.
Im Scheine der Gaslaternen glänzte da und dort
zwijchen den ruhenden Frachtbooten unheimlich)
die träge, dunkle Flut des Kanals auf, deren
Dämpfe als merkliche Nebelihicht an den Rän—
dern hingen. Auf den Bürgerjteigen des Kanal:
uferö, längs der jhönen Häuferreihen herrſchte
zu diefer Stunde nicht das fonftige Zeben. Die
Fabriken hatten fich bereits früher entleert, die
Theater gefüllt. Köchinnen und Hausmägde
hatten zumeift noch daheim zu thun. Nur die
Grenadiere vom Urban her trieben ſich durch das
Waſſerthor zahlreiher auf den Hafendämmen
umher, um fich bis zum Zapfenjtreich noch der
Freiheit und ihres jungen Kriegerlebens zu er:
freuen.
Weniger von diefen Beobachtungen als von
feinen Grübeleien in Anſpruch genommen, mar
der Spaziergänger an das ſchöne, große Waſſer—
Auguft Beder. Eleonore.
beden gelangt, das feinen glüdlihen Namen von
dem vergoldeten Bilde des Erzengels überm Por:
tal der gegenüber ſich erhebenden katholiſchen
Mihaelsfirhe führt. Die reizende Umgebung
des fchönen Kuppelbaues jenfeits des Waſſer—
ipiegels, für ihn fo gut wie neu, nahm feine
Aufmerffamteit fo fehr in Anſpruch, daß er zu
längerer Betradhtung fih nad einem günftigen
Standpunkt umjah, den ihm ein Kandelaber
zu bieten ſchien — jeltfamermweife wieder ein
| Kandelaber —, welcher dicht am Rande des Engel:
bedens im Dunfeln ftand. Mit den gewöhnlichen
Gasleuchtern ringsum war eine Verwechslung
‚ nicht möglich. Allein, es fonnte ein Kandelaber
‚ fein, ber hier für außerordentliche feitliche Ge:
| legenheiten als Fadelträger angebradit war.
Als er jedoch näher fam, bemerfte er nicht ohne
Betroffenheit, da er derfelben Täufhung in
derjelben Weife verfallen war, wie im Foyer
feines Hoteld. Da ftand, wie nicht länger zu
verfennen, eine dunkle Frauengeitalt, die regungs:
los in die Flut des Engelbedens blidte, während
auf dem Fahrdamm daneben eine Droſchke lang:
ſam daher rollte und nun völlig till ftand. Die
harrende Dame ſchien e3 nicht wahrzunehmen.
| Was fefjelte fie jo ſehr an die Stelle, was
erregte dieſe verfteinernde Aufmerkjamfeit da
unten? Was jtarrte fie jo unbeweglich hinunter
in das feuchte Element? Zog fie der Nefler
des Gaslichtes jo fehr an? Stand fie in brüten:
der Betrachtung oder in Ungewißheit über den
Meg und die zu verfolgende Richtung? Herbig,
nicht mehr im Zweifel, daß er die Fremde vor
ji) habe, die er vor der Thüre des Freundes
getroffen, erwog mit einer Regung ernten Mit:
gefühls für die Einfame, ob er fid) ihr mit fei-
nem Nat oder Beijtand aufdrängen dürfe, ob er
ihr feinen Schuß anbieten jolle, oder ob das
Zartgefühl überhaupt ein Dazmwifchentreten zu:
laſſe, eine Störung ihrer Einjamfeit erlaube.
| Jm Begriff fich zurüdzuziehen, um aus adhtungs:
voller Entfernung über ihre Schritte zu wachen,
| bemerkte er, daß fie plöglich zufammenfchredend
| das Haupt hob. Als ob fie jett erjt feine Nähe
| inne geworden, gab fie ihre jeitherige Haltung
haftig auf und eilte jheu, vom Rande des Engel:
| bediens hinweg, indem fie im Bogen auswich,
der Droichfe auf dem Fahrdamm zu, worauf
der Magen mit ihr in befchleunigter Fahrt
um das Waſſer und die Häuferreihe des Engel:
ufers entlang rollte.
| Noch eine Meile ftand Herbig und ſah dem
26
davonjagenden Gefährt nach, bis deijen Geräuſch
in der Ferne erlojh. War die Fremde wirklich)
entjchlojien, feinen Freund aud im Schoße der
Familie feiner Braut aufzufuhen? Daß bier
Beziehungen von ſehr delifater Natur vorlagen,
war leicht zu ermejjen. Was er von der Un:
befannten gehört und gejehen, ftellte fie feines:
wegs unter das Niveau der guten Gejellichaft.
Ihr Auftreten verriet, troß jenes auffälligen
Schrittes, weniger unmweiblihe Dreijtigfeit als
den Ernſt unbeugiamen Entſchluſſes und hielt
ih, abgefehen von der Unerflärlichfeit ihres
Vorhabens, ftreng genug in den Grenzen ber
Schicklichkeit. Welchen Grund hatte ſie, den
Bräutigam einer anderen nod am Abend vor
der Hochzeit fprehen zu wollen? Welcher
Endzwed führte fie zu diefem Behuf in die
Hauptitabt?
Solde Fragen und daran ſich fnüpfende
Gedanten begleiteten ihn, als er ſich von der
Umgebung des Engelbedens ab und wieder nad)
dem Mittelpunft der Stadt zurüdwandte. Nach—
dem er die belebte Brüde hinter ſich hatte und
in verfehrreiche, elegante Straßen zurüdgelangte,
blieb erda und dort betradhtiam ftehen und wollte
ſich allmählich den Linden wieder nähern, um nad)
jeinem Hotel zurüdzufehren, als er an einer Ge—
jellichaft von mehreren Damen vorüber fam,
welche im Geleite eines Herrn lautſprechend eben
um die Straßenede bog. In der Stimme des
Herrn, welcher die fleinfte der drei Damen am
Arme führte, glaubte er ſich nicht zu irren. In—
dem er den Plaudernden in nicht auffälliger
Weiſe folgte, bejtätigte ihm, als fie in ein Mode:
magazin eingetreten waren, ein Blick durd) die
großen Spiegelfenfter, daß er ſich nicht getäufcht
hatte. Der Begleiter der Damen war Kammer:
gerihtäafjefjor Steuber. Nun trat aud) Herbig
ein. Konnte er ſich doc gelegentlich noch mit
einigen Kleinigfeiten für die Weiterreife ver:
ſehen und dabei den Freund ſprechen, den ihm
das Schickſal nun dennoch in die Hände führte.
Aſſeſſor Steuber hatte jih in den Jahren,
daß fich die Freunde nicht mehr gejehen, nur
wenig verändert. Er fleidete ſich noch mit der:
jelben modischen Peinlichkeit, die ihn ſchon auf
der Univerfität vor andere ausgezeichnet hatte,
ihwang die noch immer einnehmende Gejtalt
mit derjelben leihten Tournüre, wie ſonſt. Erit
bei genauerer Betrachtung zeigten die von den
Augenwinkeln ausgehenden unzähligen Kleinen
Fälthen, dann aud) das über der Stirne dünner
Auguſt Beder
gewordene Haar, daß die Zeit nicht ganz jpur:
[08 an ihm vorübergegangen war.
Bei einer zufälligen Wendung in dem präch—
tig erleuchteten Raume ftand er plößlich dem
Freunde gegenüber, ſchien denfelben jedoch nicht
zu erfennen und wandte ſich wieder zu den Da:
men. Als aber deutlih und laut genug fein
Name ausgefprocdhen wurde, fehrte er ſich jchein:
bar unangenehm überrajcht, wieder um, drüdte
das Monocle ins Muge, ließ es wieder fallen
und eilte dann mit ausgeitredter Hand dem
Freunde entgegen.
„Herbig, du hier! Wie freut mid das!”
ſprach er, deſſen Rechte drüdend, und ſchien aud)
in der That erfreut, jchritt aber dennoch erit,
alö die Damen, aufmerfjam geworden, näher
traten, zu der üblihen Vorſtellung. Mit etwas
breitmäulig blödem Lächeln, das einigermaßen
ſchadhafte Zähne zeigte, nahm die Heine unfchein:
bare, aber reichgekleidete Braut die Glückwünſche
des Fremden hin. Auch die beiden anderen wur:
den ins Geſpräch gezogen — eine längliche
mittelalterlihe Schweiter der Braut mit erd-
fahlen hohlen Wangen und rauher Männer:
ſtimme, ſowie eine nicht verwandte blonde Dame
von wohlmwollendem Geſichtsausdruck, eine jener
Frauen, denen jedermann fofort vertraut und in
die fi niemand verliebt. Es war ein Fräulein
Lenz und zufällig mit den Patzkys und dem
Bräutigam zufammengetroffen.
Natürlich erfolgte eine Einladung zur Hod):
zeit, auch mit fittig verſchämtem Wifpern jeitens
der Braut. Allein Doktor Herbig, auf einer
Nomfahrt begriffen, fand Entſchuldigungen ge:
nug, die bei dem Aſſeſſor bald durchichlugen,
da der Freund ſchon am Abend des folgenden
Tages in Halle eintreffen mußte, um mit einem
mitreifenden Kollegen noch einige Vorbereitungen
zu treffen.
„Schon, daß ich hier verweile,“ bedeutete
Herbig, „it wider Plan und Verabredung.
Sonſt hätte ic) gerne dieje nordiſchen Herbittage
an der See zugebracht.“
„Die Abende und Morgen dafelbit jind doch
ſchon recht rauh und nebelig,“ meinte hier Fräu—
lein Lenz. „Wir bedauerten unfere Heimreiſe
nicht, da Bettinas ohnehin noch an den Nhein
wollten.”
„Sie fennen, meine Verehrte, den Geheim
rat Betting ?“ fragte Herbig.
„Beller deilen Frau,“ war die Antwort.
„Zie ift meine vertrautefte Freundin.” Und
Eleonore. 27
dabei warf fie einen Blid auf die Roſe an
Herbigs Ueberrod, als ob ſich ihr diefelbe durch
Farbe und Geruch fenntlich made.
Herbig überjah es, von einer anderen Er:
innerung in Anſpruch genommen, während die
beiden Patzky fi) wieder der Auslage zumandten.
„Und Sie waren mit in Misdroy?“ fragteer.
„Volle drei Mochen. *
„So!“ äußerte der junge Gelehrte und jah
wie abweſend vor ſich hin. „Das iſt mir ja fehr
interefjant!” entjhlüpfte ihm. Dann jchwieg
er gleichjam betroffen über diefe unmillfürliche
Aeußerung. War es ſchicklich, nunmehr Erfun:
digungen nad) ber unbekannten hohen Frau ein:
zuziehen, die gleichzeitig dort gemweilt hatte?
Indes er überlegte, wie mit dem Schein der
Unbefangenheit die Nede auf deren Erfcheinung
gebracht werden fonnte, wurde jedoch Fräulein
Lenz von der Schweiter der Braut an den Aus:
lagetijch gerufen, dem auch der Bräutigam alle
Aufmerkjamfeit wieder zumandte.
„Komm,“ ſprach er munter zum Freunde,
„laß dich ebenfalls ins Intereſſe am Stoff
ziehen und ſtehe uns bei der Wahl mit dem
äjthetifch gebrillten Geſchmack zur Seite.“
Während diefe Worte fielen, traten noch
andere Bejucher des Magazins ein, unter ihnen
eine junge Dame von jchlanfer Figur in dun:
felm Gewande. Sofort hatte Herbig in ihr die
Fremde vom Dranienplag und Engelbeden er:
fannt. Mit begreifliher Spannung folgte er
ihren Bewegungen, da fie fich der langen Tafel:
barriere näherte, hinter welcher elegante Com—
mis ab: und zuliefen. Sie fand — ob gefliffent:
lich ließ fih nicht erraten — ihren Platz ganz
in des Freundes Nähe, der jedoch ahnungslos,
von feiner Braut und deren Schweiter an den
Auslagetiſch gezogen, nur die Warenballen im
Auge hatte, welche von den Commis herbei:
geihleppt und aufgerollt wurden. Gleichzeitig
eilten andere Bedienftete des Gejchäfts den neu
hinzutretenden Kunden entgegen. Ruhig an
ihrem Plate ausharrend, wartete die junge
Dame, bis einer der Commis Zeit für fie finde
und ſchien durchaus feinen Anlaß zu dem Auf:
tritt geben zu wollen, den Herbig bei ihrem
Eintritt befürchtet hatte. Endlich wandte fi
einer der jungen Leute an die mit bejcheidener
Geduld Ausharrende:
„Was befehlen Sie, mein Fräulein?“
„Eine fornblaue Damajtbinde,“ antwortete
fie vernehmlich.
So einfad) die Antwort, hatte fie doch eine
ſeltſame Wirkung, die indes nur von Herbig be—
obachtet wurde, da die übrigen Beſucher des
Magazins allaufehr von der Mufterung der vor:
gelegten Stoffe in Anſpruch genommen waren.
Nod immer auf die Auslage niedergebeugt,
ſchnellte nämlich Freund Steuber bei jenen Wor—
ten förmlih empor, wandte mit frampfhaftemn
Nud den Kopf und ſah mit verfärbten Wangen
und dem Ausdrud tödlicher Beftürzung auf die
junge Dame. Um die Halsbinden prüfen zu
fönnen, hatte fie den Schleier zurückgeſchlagen,
jo daß ein zwar bleiches, doch feines, von ſchwar—
zem Haar umrahmtes Gefiht mit rotem, fait
üppigem Munde, aber jonjt jehr vergeijtigten
Zügen zum Vorfchein fam. Dabei heftete fie
den dunfeln Blid nur einmal und wie zufällig
auf den Aſſeſſor.
Er vermochte ihn nicht auszuhalten. Die
Augen ſenkend kroch er förmlich in fich zufammen.
Faffungslos, tief gebüdt, wie verfunfen in den
Anblid der vor ihm ausgebreiteten Stoffe jtand
er, während die fremde ruhig die vorgelegten
Seidenbänder mujterte. Plauderten feine Braut
und deren Schweiter faufluftig, arglos eifrig in
ihn hinein, fo nidte er nur mit blödem Lächeln
ihrer Meinung zu, ohne den Blid zu erheben
oder ein Wort fallen zu lafjen.
Dem Freunde, dem nichts entging, fchien es
Zeit, ihn aus dem unwürdigen Banne zu löfen.
Er legte ihm die Hand auf den bei der Be-
rührung zudenden Arm und jagte, ſich ver:
beugend:
„Geſtatten Sie, meine Damen, mic) kurz zu
verabichieden und den freund auf wenige Mi-
nuten entführen zu dürfen. Bitte, mein Lieber,
geleite mich nur vor die Thüre. “
Der Kammergerichtsaſſeſſor richtete fich mit
bereitwilliger Haft empor und ging, des Freundes
Hand in der feinen, ohne weiteres mit hinaus,
Draußen wandelten beide mehrmals jchweigend
auf und ab. Jeder ſchien dem anderen bas erjte
Wort überlafien zu wollen.
„Als ich dich befuchen wollte,“ begann end:
lich Herbig, um dem anderen den Anftoß zum
Ausfprechen über feine Lage zu geben, „traf ich
eine junge Dame vor deiner Wohnung mit
gleicher Abficht. Erwarteſt du jemand von augen
zu deiner Hochzeit? Cine nahe Anverwandte,
ein Bäschen?“
„Nicht, daß ich wüßte!” antwortete Steuber
mit gelajjener Beitimmtheit nach wieder gewon:
2 8 Auguft Becker.
nener Faſſung. „Wohl ein Mißverſtändnis, eine
Verwechslung. Laſſen wir ex nexu! — Die
friſche Nachtluft thut jo wohl!“
„War dir unwohl?*
„Nun ja, ein wenig. So unerwartet, plöß-
lid überfam es mid. ndispofition! Kon:
gejtionen! Die Luft da drinnen iſt jo beflommen,
Man iſt als ein Stüd Staatshämorrhoidarius
Anfällen von Schwäche, Uebelfeiten infolge von
Ueberarbeitung unterworfen. Wir find geplagte
Leute, Juſtitia iſt blind fürdie Leiden ihrer Jünger.
Hypochondrie, Neuralgie, Abſpannung — kurz,
es hat ſein Unangenehmes — ſprechen wir nicht
mehr davon — es iſt vorüber. Doch treten wir
aus dem Licht, die Gasflammen blenden ſo!“
Und nun ſprach er über die ungleichartigſten
Dinge raſch, flüchtig, heiter, lachte ſogar einige:
mal über feine eigenen Einfälle, verfiel allerdings
dazwiſchen in grübelndes Schweigen, um dann
mit befonnenem Ernſt fich über dies und jenes
zu äußern, worauf er abjpringend wieder zungen:
fertig gewandt von allem möglichen redete, nur
nicht von dem zunächſt gelegenen, nicht von dem
fremden Mädchen und nicht von feiner Hochzeit.
Ja, ervermicd jede Andeutung, jedes anfpielende
Wort, behielt aber gleihmohl, auch aus größerer
Ferne, die Ausgänge des Modemagazins im
Auge. — Den Freund fonnte feine weltmännifche
Haltung überfeinen Gemütszuftand nicht täufchen,
Mittlerweile war einmal die unanfehnliche
Geftalt der Braut unter der Thüre erfchienen,
um fich nad) dem Verlobten umzuſehen. Unruhig
geworden über deſſen Verbleiben, ohne feinen Nat
und Beiftand bei der Wahl der Stoffe, famen
die Damen zulegt famt und fonders heraus und
ſchauten, ohne eingefauft zu haben, verftimmt
und verdrießlich ſich um.
Auf dies hin berief fih Steuber auf die Un:
geduld der harrenden Frauen, griff zu letztem
Drud nad) des Freundes Hand und lieh fie mit
den Worten: „Alfo, wenn du dic; durchaus nicht
aufhalten lafjen willft, lebe wohl!“ wieder haftig
fahren, indem er ſich den Damen anfchloß und
mit denfelben fo eilig den Platz verlief, daß
Herbig feine Zeit mehr zu einer legten Ver:
beugung vor den Frauen fand,
Im Grunde bebauerte er dies bloß, weil
er nicht mehr mit Fräulein Lenz über das Leben
an der See fprechen konnte, Er warf nur nod)
einen Blick in die Zadenräume des Magazins,
ob auch das Mädchen aus der Fremde diefelben
verlafjen habe. Man war eben im Begriff die
Auslage zu fließen. So hielt denn Herbig eine
langfam daherfahrende leere Droſchke an und
fuhr unmittelbar nad feinem Hotel unter den
Linden zurüd,
3 J
Beim Eintritt in das Hotel hörte der Heim—
kehrende, als er ſich ſchon auf der Treppe er—
kundigte, daß ein Herr dageweſen, der ſeiner Aus—
ſage zufolge brieflich herbeſtellt worden ſei, ohne zu
wiſſen, von wem. Herbig überlegte. Er hatte doch
zu den verſendeten Billets ſeine Adreßkarte ſelbſt
benützt! — Ob der Herr nichts hinterlaſſen habe,
fragte er in die Portierloge hinein. — Nichts,
als daß er wiederfommen wolle. — Wie er aus:
gejehen? — Ziemlich groß, hager, vorgebeugt,
grünlice Brille, eine Bapierrolle im Rode, —
Schuhwerk, Haar und Bart ſchwärzlich — be:
ſchrieb ihn der ſchwärzliche Kellner, indes der
Vortier auf blauer Brille und aſchfarbigem Aus:
jehen bejtand.
Kopfichüttelnd ſchritt Herbig weiter, nad)
einer bequemen Nüdzugsede umfchauend. Auf
des Kellners Verficherung, daß noch überall Platz,
die meiften Gäfte noch im Theater jeien, begab
er fih in den nächſten Speijefaal, wo bereits
einzelne Fremde oder auch Gruppen mit Damen
ſaßen. Er wies vorläufig Wein: und Speife-
farte zurüd, ließ ſich bloß Selterwaſſer und
Zeitungen bringen, las, was er ſchon oft gelefen,
zuletzt auch die Inſerate, und verfanf endlich aus
Langeweile, während die Räumlichkeiten ſich all-
mählich mehr füllten, in Träumerei.
Ihn reute der verlorene Tag, den er alüd:
licher an ber Oſtſee verleben fonnte. Von allen,
denen er feine Anmwefenheit gemeldet, hatte fich
feiner — den Aſchgrauen rechnete er vorläufig
nicht — eingeftellt oder auch mur fchriftlich ent:
Ihuldigt. Eine große Bitterfeit ſchlich fich bei
ihm ein, der Gedanke an die Wertlofigfeit fo
vieler Bekanntſchaften. „Ein Wintertag — und
tot find alle diefe Fliegen!“ Und einen hatte
er unter Umſtänden getroffen, die vertrauten
Verkehr ausſchloſſen, in einer Zwangslage,
von Gewiſſensregungen erſchüttert, niedergedrückt
durch jene Fremde, deren Augen ſcheu auszu—
weichen er gewiß allen Grund hatte. Aber mit
deſſen raſcher Verabſchiedung war auch die Ge—
legenheit entzogen, bei jenem Fräulein Lenz Er—
kundigungen einzuziehen nach der ſchönen Frau
vom Oſtſeeſtrande, die ſeine Gedanken, ſeine Ge—
DY J ek ‚ogle
Eleonore, 2 9
fühle beherrichte, wie feine vorher. Im Geifte
verjegte er fich wieder an die Küjte, verlor fi)
allein in die Dede der Dünen, wo ihm die herr:
liche Erfcheinung geworden war. Kein anderer
Laut ſchlug da zwifchen Sand und Welle an fein
Ohr, alö weit draußen der Mömenjchrei und,
wenn diefer verjtummte, das trübe Rafjeln des
Strandhafers im Winde, der taftmäßig dumpfe
Anſchlag des Meeres. Betrachtſam ftill ſaß er,
in die Meite blidend, verloren in jehnfüchtige
Träumerei, fi und feine Umgebung ganz ver:
gefjend, — als ihm plötzlich fein voller Name
vernehmlich ins Ohr Hang.
Im Augenblide war ihm zu Mute, wie Sr:
wings Rip van Winfle, den in der Wildnis der
Katskillberge am Hudſon eine unbefannte Stimme
bei Namen rief — oder aud) wie dem Studenten
von Alcala, der im verlafjfenen Dachſtübchen Le
Sages hinkenden Teufel in einer Phiole jeufzen
hörte. Aufblidend fand fih Herbig in der elegan:
ten Umgebung eines Speifefaales feines haupt:
ftädtifhen Hotels, — und vor ihm jtand ein bis
zur Halsbinde zugefnöpfter Herr mit grünlicher
Brille, afhfarbenen Wangen, gebeugtem Haupte,
vorgeftredter Hand. Derjelbe fonnte ein Päda—
gog, ein Gelehrter, ein Schriftjteller oder etwas
anderes fein und fah wie ein abgegriffenes Lerifon
im Futterale aus, entſprach übrigens der Be:
ſchreibung des Kellner und Portiers. Aus der
Ueberrodtafche gudte die erwähnte Papierrolle
faft aufdringlich.
„Bruno Herbig fennt mid in der That
nicht mehr,” fagte der Herr in jener gebrochen
hohen Tonlage wijpernd, wie man es bei nord:
deutjchen Gelehrten nicht felten findet. „Drä-
ſow,“ fügte er ſich vorjtellend hinzu, „Dr. Daniel
Dräſow“.
Herbig hatte bereits die dargereichte Rechte
ergriffen. Freilich Dräſow — wie konnte er's
überſehen! — Dräſow, der ſchon als Student
bei großem Fleiße ſich kümmerlich durchgeſchla—
gen, dennoch nicht zu einem praktiſchen Lebens—
beruf zu bejtimmen war und fid) jet im Sfammer
deutſchen PBrivatdocententums ala Nepetent an
der Univerfität und mit fchriftjtellerifhen Ar:
beiten forthalf. Herbig hatte feiner in der That
vergefien, konnte fi) auch nicht entfinnen, ihn
von feiner Anmefenheit benachrichtigt zu haben,
ſprach aber gleihwohl lebhaft feine Freube dar:
über aus, daß doch einer der alten Bekannten
den Abend mit ihm verbringen wolle.
Er war in Wirklichkeit dem Zufall dankbar,
der ihm einen Studienfreund zugeführt hatte.
Nichts verftimmt mehr, als in einer Stadt, wo
man Freunde hat, am Abend fremd unter Frem—
den zu fißen. Indem er fürs erjte Grund und
Urſache der Erſcheinung Dräſows im Hotel dahin:
gejtellt jein ließ und dem Zweck derjelben nicht
weiter nachfragte, lub er mit aufrichtiger Herz:
lichkeit, liebenswürdiger Zuvorfommenheit beim
freundlichften Empfang den Stubengelehrten zum
Sitzen ein und rief nach Wein: und Speijefarte.
Ein Refüs ließ er nicht gelten, wenn aud) Dräfom,
feinen Ueberrod mit der Papierrolle ablegend,
eifrig verficherte, daß er bereits geſpeiſt — „ganz
in der Nähe!" Raſch war ein gutes Souper für
zwei und vorläufig eine Flaſche Marfobrunner
beitellt.
Es warin der That nötig, daß er für Dräſow
entſchied. Denn der fuchte noch immer auf der
Weinfarte nach dem billigften umher, fonnte ſich
durchaus nicht in den Zurus eines Soupers im
feinen Hotel finden und fchlug endlih eine
frühere Stammfneipe vor — „ganz in ber
Nähe!” — wo man bei einem fleinen Kommers
willfommen wäre.
Jedoch Herbig fchüttelte jih. „Nein!“ jagte
er bejtimmt, indes der Kork jprang, worauf er
raſch einfchenkte und auf alte Freundichaft an:
ftieß. „Bin froh, dem Grölzen vom jchwarzen
Walfiſch zu Askalon entronnen zu fein. Ein
altes hehres Studentenlied hört man da nicht
mehr. Weißt du: ‚Auf des Geijtes lichtge-
wohnten Schwingen!‘*
Dräſow fah ihn verftändnisinnig an, dachte
dabei an die Kojten des Soupers, an die „Magie
des Reichtums,“ griff bald zur vertraulichen,
bald zur höflichen Anrede (Herbig machte es in:
des auch nicht anders), langte übrigens mit
Appetit zu, nachdem einmal aufgetragen war.
„Und nun, Dräfovius, wie geht es „ihnen?“
fragte Herbig teilnahmsvoll.
„Wie foll es, ohne Moneten von Haus
aus, einem deutfchen Privatdocenten ergehen?
Ich eſſe Luft und werde mit Verſprechungen
geipeift, aber nicht fett dabei, wie der feifte
Dänenprinz.“
„Bugegeben. Was haben Sie jet unter
der Feder?“
Ich Schreibe meine Aeſthetik der Karrifatur
fertig. Allein, ein anderer Buchhändler fucht
mich zu einem Kommentar über Leſſings Drama:
turgie:Briefe zu bejtimmen. Und diejfer Ver:
leger, der mir das neue Offert gemacht . . .“
30 Auguſt Beder. Eleonore.
„Bringt fih um, wenn Sie nicht annehmen,
He?“
„Das gerade nicht,“ verſicherte Dräfom,
„allein, er hat mich doc vor meinem jeitherigen
Buchhändler ernftlid gewarnt.“
„Und fo ſchenken Sie ihm natürlich Ihr Ber:
trauen. Das erinnert mid an eine Gejdichte,
darf ich fie erzählen? Gut. — Da kommen
gleichzeitig ein Engländer und ein Franzoſe in
einem rheinischen Hotel an. Xebterer nimmt
den Wirt beifeite: ‚Nehmen Sie ſich vor diefem
jemmelblonden Anglais in acht, ein großer
Filou!‘ — Darauf fommt der Semmelblonde
im Vertrauen: ‚Hüten Sie fi) vor jenem ſchwarz⸗
bärtigen Halunfen, id) fenne ihn.‘ — Und der
Wirt denkt: Welche gegenfeitige Verkennung!
Eines Tages gegen Schluß der Saifon waren
beide ohne Zahlung und mit einem Teil des
Silberzeuges verſchwunden, um ihr Heil anderswo
zu verfuchen. “
„Und die Moral der Geſchichte?“ wifperte
Herbigs Gaſt.
„Müſſen Sie fich ſelbſt ziehen, Dräſovius.
— Wie fommen Sie übrigens dazu, einen Kom:
mentar jchreiben zu wollen?“
„Ic dächte doch, man fünne über alles einen
ſchreiben.“
„Allerdings. Eine paſſende Beſchäftigung
für einen alten Herrn, der noch ein bißchen mit
Tinte ſudeln will. Wie ging es mit Ihrem
letzten Buche?“ erkundigte ſich Herbig weiter.
Dräſow trank, winkte verdüſtert ab und af
dann weiter.
„Das Buch war gut,“ ſagte er, „aber —
die Kritik, wiſſen Sie, die Kritik! Sie ſoll an—
regen, erheben. Die Welt hat ſich jedoch um—
gekehrt. Das Urteil liegt heute bei der unreifen
Jugend.“
„Die wählte ſtets gerne dieſen Tummel—
platz,“ ergänzte Herbig. „Wie ſchreibt Lord
Byron an den jungen Freund? ‚Sie kritiſieren
ſehr fcharf, mein Kind —, wenn Sie einmal
älter find, bleiben Sie von allem unbefriedigt
und werben niemand übel behandeln!‘ Alfo,
lieber Dräfom, feine Schwäche! Da gibt’3 zweier:
lei. Entweder Sie beadhten den Tabel nicht,
oder machen es ein andermal bejjer. Freilich,
unter Umftänden gibt es noch ein Drittes.“
„Das wäre?”
„Sie laugen Ihren Gegner gehörig ab und
bearbeiten ihn mit dem ironiſchen Bügeleifen.
Oder, jhlagen Sie ihm doch einmal mit Thors
Hammer um den Kopf.“
„Wer das vermöchte!“
„Sum Teufel aud), jo fahren Sie ihm mit
der Feder tüchtig durch die Ohren, heften Sie
ihn mit dem Stift an die Wand! Nur fein litte:
rariſches Gezänt! Gleich den Kerl wie eine
Melone zerſchneiden, wie einen Kürbis zerhaden.
Dann Beſſeres ſchaffen, wenn man ſich hierzu nicht
gleich von vornherein entſchließen kann. Ergo
bibamus!*
Dräſow feufzte, nachdem er fein Glas ge:
leert hatte.
„Muß mich wohl dem Modegejhmad an:
bequemen, * fagte er dann. „Mode macht Brom:
beeren teuer wie Ananas! Nicht an die Kunjt
oder Wiſſenſchaft hält fie ſich, ſondern an deren
Schein. Ich werde eö mit einem Efjay über die
Bartfeife der Trojaner verſuchen. Oder mit
etwas recht Modernem, mit einer laut verfün-
beten, rüjtigen Dummheit. Wiffen Sie mir
feine?”
Herbig dankte für das chmeichelhafte Ber:
trauen, fonnte jedoch im Augenblid nicht dienen.
Indes fuhr Dräſow fort, Meſſer und Gabel
fleißig gebrauchend.
„Und was ift eö mit Ihnen? Haben Sie das
baltiſche Weſen fatt und wollen es mit unjerem
lumen orbi verſuchen? Oder treffen Sie Vor:
bereitungen zu einer Entdedungsreife in die
Mongolei, Sie Ethnograph?“
„Nein, Freund! Morgen jchon geht es ſüd—
wärt3 auf meiner zweiten Nomfahrt!”
„Slüdlicher! Könnte ich mit!“
„Nicht doch. Sie blieben überall ſtehen,
längjt gefammelte Notizen nochmals zu jammeln;
ich müßte weiter. Aber, wollen Sie feine Zu-
fpeife zum Rumpſteak, etwa eine Salzgurke?“
„Ih ziehe mit Petrarca Notrüben vor.“
„Und mit Taſſo Malvafier!* meinte Herbig,
wieder zur Weinfarte greifend. „Lauras jchein:
heilig langweiliger Anbeter fol hier nicht allein
über Sie beftimmen.”
„Muß es fein, dann Claret!” fiel Dräſow
ein und meinte, während der Bordeaux beitellt
wurde: „Schade, daß wir nicht Est est oder
Falerner miteinander in einer von Citronen und
Lorbeer umbdufteten Lokanda trinfen werben.
Dann hätte ich Stoff für mein nächſtes Bud).
Nicht ?*
(Fortfegung folgt.)
J. van Bebber. Die Begründung einer beutichen meteorologiichen Geſellſchaft.
Die Begründung einer deutfchen
mefeorologifhen Geſellſchaft.
Ton
3. vau Bebber.
ur Erforfhung der den atmofphärischen Er:
ſcheinungen zu Grunde liegenden Geſetze iſt
es durchaus notivendig, die Witterungsvorgänge
an verſchieden gelegenen Orten auf möglichit
großem Gebiete zu fennen, fie miteinander zu
vergleihen und aus dieſen Wergleichungen
Schlüſſe zu ziehen, ſei es, daß man die gleid):
zeitig jtattfindenden Wetterphänomene, oder aber
den durchjchnittlichen Charakter der Witterung
für längere Zeiträume in Betracht zieht. Hier:
aus ergibt ji) al3 notwendige Forderung mög—
lichjte Einheit und Vergleichbarkeit der Beob—
achtungen und die Innehaltung gewifler, genau
definierter Zielpuntte. In der That gibt es feine
Wiſſenſchaft, deren Erfolge fo fehr von dem
nad) feſten Grundſätzen geregelten einheitlichen
Zufammenmwirfen der Fachgenoſſen abhängen,
als die Meteorologie. Die Wahrheit diefer Be-
hauptung wurde im Auslande bereits lange da—
durch thatſächlich anerkannt, daß faft überall die
vorhandenen Kräfte fich zu Gefellihaften ver-
einigten, um die meteorologifche Wiſſenſchaft zu
pflegen, zu fördern und jo viel wie möglich für
praktiſche Ziwede zu verwerten. Bei dem Mangel
einer jolchen Gejellichaft hatten ſich die deutſchen
Meteorologen der öfterreichiichen Geſellſchaft für
Meteorologie angeihlofien, wo diejelben teils
alö ordentliche, teils als Ehrenmitglieder Auf:
nahme fanden; allein in einem Lande, mie
Deutichland, wo die wiſſenſchaftlichen Arbeiten
und Beitrebungen an verſchiedene Gentralpunfte
gefnüpft find, erjchien e8 durchaus wünjchens-
wert, einen engeren Verband aller auf dem Ge:
biete der Meteorologie thätigen Kräfte zu fchaffen,
um fo einheitliches Zuſammenwirken zu erzielen
und zum Studium ber Witterungsfunde allfeitig
anzuregen.
Diejes warder Gedanke, welcher die Meteoro:
logen der Seewarte bewog, die deutichen Fach—
genofjen zu einer Zufammenfunft zu dem Zwede
einzuladen, die Gründung einerdeutfchen meteoro:
logiſchen Gejellihaft zu beraten. Diefer Ein:
ladung wurde auch von allen Seiten mit der gröf:
ten Bereitwilligfeit Folge geleijtet. In der erjten
— —
— — — — — — — — — —
31
Sitzung vom 17. November 1883 wurde ſofort
in die Beratung der Statuten eingetreten und
am 18. konſtituierte ſich die deutſche meteoro—
logiſche Geſellſchaft. Aus den Statuten der Ge—
ſellſchaft wollen wir nun einige Punkte hervor—
heben. Zweck der Geſellſchaft iſt die Pflege der
Meteorologie ſowohl als Wiſſenſchaft, wie in
ihren Beziehungen zum praktiſchen Leben. Als
Mittel zur Erreichung dieſer Zwecke dienen Ver—
ſammlungen der Geſellſchaft, ihrer Zweigvereine
und Organe, Herausgabe einer Zeitſchrift für
Meteorologie, Unterſtützung wiſſenſchaftlicher
Unternehmungen, Vorträge und andere Maß—
regeln zur Verbreitung meteorologiſcher Kennt:
niffe in meiteren Kreifen. Die Geſellſchaft ift
eine allgemein deutſche, der Vorort wird auf
je drei jahre gewählt, alljährlich findet eine
Wanderverfammlung, in der Regel im Anſchluß
an die Naturforjcher-Berfammlung, ftatt. Es ſei
noch bemerkt, da die Gründung von Zweig:
vereinen an möglichit vielen deutſchen Orten in
Ausfiht genommen ift. Die innere Drganifation
diefer Zmweigvereine ift letzteren völlig überlafjen
und es find diefelben berechtigt, auch Nicht:
mitglieder der meteorologishen Geſellſchaft in
beliebiger Zahl aufzunehmen. Als Vorort der
Gejellichaft wurde Hamburg, als Präfident der
Direktor der Seewarte, Geh. Admiralitätsrat
Prof. Dr. Neumayer und als jtellvertretender
Vorjigender Prof. Dr. v. Bezold einjtimmig
gewählt, der übrige Vorftand befteht aus zwölf
gründenden Mitgliedern.
Noch am Abend des Tages der Gründung
hielt die Geſellſchaft die erite Vorſtandsſitzung
und gleich darauf die erjte allgemeine Sigung
ab. In der letzteren wurde als Berjammlungs:
ort für das nächte Jahr im Anſchluß an die
Naturforiher:VBerfammlung Magdeburg gewählt
und eine Neihe von Mitteilungen fahmännifchen
Inhaltes gemacht.
Zunächſt teilte Dr. Hellmann Reſultate der
Beobadhtungen von Dämmerungserjcheinungen
mit, die teils von ihm ſelbſt, teils auf feine Ver-
anlafjung in Spanien angeftellt waren. Hier:
nach erlischt rejp. beginnt die Dämmerung,
wenn die Sonne 15,6% im Yahresmittel unter
dem Horizonte fich befindet, im Sommer iſt
diefer Winkel Eleiner, im Winter größer. Die
Morgendämmerung hat durchichnittlih eine
längere Dauer, als die Abenddämmerung, eine
Erſcheinung, welde in den Feuchtigfeitsverhält:
niſſen der Luft ihre Erklärung findet.
32 Karl Bartſch. Sanft Julian.
Dr. v. Bebber erläuterte an der Hand einer | Eingehend beiprah Dr. Köppen eine neue
Reihe von Wetterfarten den Verlauf und die | Prüfungsmethode der Metterprognofen, wodurch
Ummwandlungen merfwürdiger Wettererichei: | jede Beeinflufjung durd das ſubjektive Urteil
nungen, welche vom 11. bis 13. November 1883 ausgeſchloſſen wird, und welche fihere Auskunft
fi vollzogen und welche eine faft volljtändige | darüber gibt, welcher Wert der Grundlage bei—
Analogie mit denjenigen vom 8. bis 11. Sep: | zulegen ift, auf welcher Wetterprognofen beruhen.
|
tember 1876 aufmeifen. In diefen beiden Fällen | ZurErläuterungdiefer Methode wurden für einen
bewegte fich eine Depreifion, von der Nordfee | hinreichend großen Zeitabjchnitt einerjeits Die
fommend, oſtwärts nad) der füböftlihen Dftfee, | Prognofen der Seewarte und anderjeits die in
anderfeit3 eine andere von der Adria nad | neuerer Zeit in Zeitungen zc. fo fehr verbreiteten
Polen hin, beide bildeten zuerft eine Furche nie: | MWetterprognofen auf längere Zeit voraus ge—
deren Luftdrudes, verfhmolzen dann zu einer | wählt, Während bei den erfteren eine reale
einzigen Depreſſion, und diefe, zu einem abgerun: | Bafis zweifellos nachgewieſen wurde, jo ergab
deten Minimum fich ausbildend, fchlug den ano: | fi), daf lettere jeglicher verwertbaren Grund:
malen Weg nad) Weſten ein. Bei diejer Gelegen: | lage entbehrten, aljo denfelben Erfolg haben
heit teilte derjelbe einige Reſultate feiner Unter: | müßten, als wenn fie vollftändig aus der Luft
fuhungen über anomale Bewegungen der De: | gegriffen wären.
prejfionen mit. Hiernach beſchränken ſich die nad) Es iſt zu hoffen und zu erwarten, daf die
Nord gerichteten Bahnen der Minima auf den | meteorologische Geſellſchaft, ſowohl durch direkten
Sommer, wo die höchſte Wärme im Diten liegt, | Anſchluß ala durch Bildung von Zweigvereinen,
die ſüdwärts gerichteten auf den Winter, wo der | in ganz Deutihland raſch alljeitig Verbreitung
Weiten die höchfte Temperatur aufweist, jo daß | finden und das Berftändnis der Witterungsfunde
aud) diefe unregelmäßigen Bewegungen dem Ge: | in allen Kreifen der Bevölkerung anbahnen wird,
jeße folgen, daß die Depreffionen bei ihrem | denn diefe Wiflenfchaft ift berufen, wegen ihrer
Fortfchreiten die höchſte Wärme rechts liegen | eminent praftiichen Seite, das Gemeingut der
laſſen. ganzen Nation zu werden.
— Sankt Julian. —
Von
Rarl Bartid.
In alten Zeiten flehte man Ich weiß mir eine Herberg' wert,
Sanft Julian um Berberg’ an; Nach der mein Herz hat lang’ begehrt;
Manch frommer Pilger ward bei Nacht Die it fo wonnig, ift fo warm:
Dom Heil'gen Ins Wuartier gebradht, Die Herberg' in der £iebiten Arm.
„Ach, weißt du nicht, du fremmer Chriit,
Daß fol Begehren fündlich ift?
mit folchem Berbergfuchen gab
Ich heil’ger Mann mich niemals ab.”
Sanft Julian, du heil'ger Mann,
Nimm dich aud; meiner gnädig an,
Und dib mir wandermäden Gaſt
Auch einer Herberg’ holde Kafl.
Du frommer Mann, du thuft mir leid,
Was ift dann eure Seligfeit?
Zum Himmel trüg’ ich fein Begehr,
Wenn nicht die £iebfle drinnen wär.
„Yun fage mir, du frommer Chrifl,
Wo dir die Kaft am liebiten iſt;
Und wenn ich es vermag zu thun,
Sollt du da gütlich aus dich ruh'n.“
ie Erzeugnifie der japanischen Malerei, deren
Anfänge ſich bis in das ſechſte Jahrhundert
nah Chriſti Geburt verfolgen laſſen, nehmen
gegenüber denen der europäiſchen Kulturvölfer
eine völlig eigenartige Stellung ein. Nur in der
Abgeſchloſſenheit, in welderfichdie innere Kultur:
entwidelung der japanischen Völker vollzogen
hat, läßt fih eine Erklärung dafür finden, daß
wir in den Malereien der jpäteren Jahrhunderte
noch derjelben naiven Daritellungsmweije begeg:
nen, welche die früheren Arbeiten fennzeichnet.
Gemälde, wie fie von europätichen Künftlern |
zum beforativen Schmude monumentaler Ge:
bäude an den Außenwänden oder im Inneren
al fresco ausgeführt werben, fennt der Japa—
ner nicht; ebenfowenig aber werden von ihm
Staffeleibilder mit Anwendung der Delfarben
nad) der in Europa üblichen Weife hergeitellt.
Es find ausfchlieglich drei verſchiedene Arten
von Bildern, aufderen Ausführung der japanische
Maler im Bereiche der jogenannten hohen Kunft,
welde die Verzierung von Induſtrieerzeugniſſen
ausſchließt, bejchränft ift, die Kakemono
(Wandbilder), die Mofimono (Rollen) und
die Biobu (Wandſchirme), denen fich die Illu—
jtrationen, welche entweder in Büchern oder
auf einzelnen Blättern, meist durch Holzſchnitt
vervielfältigt, ſchwarz oder farbig gedrudt er:
icheinen, anſchließen.
Die Kakemono find Gemälde von ſchmalem
5
34
Längenformat und zum Aufhängen an den Wän:
den ala Schmud der Zimmer bejtimmt. Da es
bei den Japanern Sitte ift, in jedem Wohnraume
nur jehr wenige, meist nur ein einziges Gemälde
aufzuhängen, für welches gegenüber der Ein:
gangäthüre eine befondere Nifche bejtimmt iſt,
pflegt der Beſitzer einer größeren Zahl diejelben
in aufgerolltem Zujtande in bejonderen Käſten
zu verwahren. Das Material, auf welches ge:
_—
Gig. 1 (6. 38).
malt wird, ift Seidenftoff oder Papier, welches
auf eine grobe Yeinwand aufgeklebt wird, wäh: |
rend man fich noch heute zum Malen ausſchließ—
ih mit Haufenblafe gebundener Wafjerfarben
©, von Schorn,
der landichaftlihen Natur und der Tierwelt ent:
nommen. „jn den meilten Fällen zeigt ein ein-
zelmes Bild ein abgeſchloſſenes Ganze und nur
jelten finden ſich zwei, höchſtens drei durch ihren
Inhalt zufammengehörige, fich ergänzende Ge—
mälde, welche gewöhnlich nad) dem Fortgange
der dargejtellten Handlung nebeneinander auf:
gehängt werden.
Die zweite Art von Gemälden, die Mat:
mono (Rollen), tragen dieſe Bezeichnung , weil
| fie zum Aufhängen überhaupt nicht verwendet
werden. Das Material, auf welches gemalt
wird, bejteht auch bei diefen aus Seide oder
Papier, die Streifen aber, deren man fich be-
dient, haben höchſtens eine Breite von 192 Fuß,
nach welcher die Behandlung der darzuftellenden
Figuren und Gegenftände ſich zu richten hat.
Am oberen und unteren Ende find fie durch oft
ſehr foftbare Stüde von gemuftertem Seidenftoff
abgeſchloſſen, die an der unteren Seite befejtigte
Rolle aber ift an den, an beiden Seiten deö
Streifens hervorftehenden Enden mit Knöpfen
verjehen, welche nicht jelten aus Elfenbein her:
geftellt und mit reihem Zierat ausgeſtattet find.
Zum Zufammenbinden der Nolle find in der
Mitte des oberen Randes zwei farbige feidene
Bänder befeftigt.
Obſchon derartige Streifen urfprünglich für
Manuftripte verwendet wurden, bediente man
jih ihrer doch ſchon ſehr frühzeitig zur Her:
ftellung von Bildern, teils mit, teils ohne Tert.
Durch ihre Länge boten fie befonders günftige
Gelegenheit zur Darftellung figurenreicher Sce:
ı nen und Aufzüge. Die auf ihnen behandelten
Stoffe wurden deshalb früher faſt ausſchließlich
der Mythe und der Geſchichte, vom fechzehn:
ten Jahrhundert an aber aud dem täglichen
Leben entnommen, wobei figurenreiche Prozeſ—
ſionen eine hauptſächliche Berüdfichtigung finden.
Die geeignetiten Flächen für größere Ma:
lereien bieten die Biobu oder Mandfchirme dar,
' welche, gewifjermaßen als Erjat der nur in ſehr
bedient, wie es ſchon in den frühejten Zeiten |
üblih war. Da von dem japanijchen Maler in
der Detailausführung das Wunderbarjte erreicht |
wird, müfjen die Binfel, deren er fich bedient,
von auferorbentlicher Feinheit fein.
Die auf den Kafemono behandelten Stoffe
umfaſſen das ganze Bereih der fünftlerifchen
Darjtellung. Sie find der Mythe und dem
Kultus, der Gefhichte und dem täglichen Zeben,
geringer Zahl vorhandenen Möbel in keinem
japanischen Zimmer fehlen. Da gemöhnlic zwei
derartige Schirme zufammengehören und jeder
derjelben für ſechs einzelne, gleich große Blätter
Naum enthält, können zwölf nach ihrem Inhalt
zufammenhängende Gemälde, 3. B. fortlaufende
Scenen einer Schlacht, zur Daritellung gelangen.
Wie auf den vorher bezeichneten Bildern
werden indeflen auch auf den Wandfchirmen die
verfhiedenartigiten Gegenftände behandelt, jo
Malerei und Illuſtration in Japan. 35
daß ſich auch hier, bei den älteren Bildern be: | in den japanischen Malereien ein großer Neid:
ſonders, die religiöfe, die Schlachten: und Genre- tum an Phantafie, eine feine Beobadhtungsgabe
malerei, bei den neueren vorherrichend die von | und eine hochentwidelte techniſche Geſchicklich—
Koftümfiguren, Tieren, Yand: feit. Da die Kunft in japan gegen das
ihaften und Pflanzen ver: ef Ende des ſechſten Jahrhunderts von Corea
treten findet. Nur die eigent: aus durch einen Gejandten des dortigen
liche Porträtmalerei ift von Königs Eingang fand und von
den Japanern in feiner Zeit diefem, nachdem er fich dauernd
geübt worden, und läßt die am königlichen Hofe niederge:
Darftellung der Köpfe trotz laſſen, die erſte Malerfchule ge:
der feinen Beobad): gründet wurde, haben
tung und des ein: ji im Laufe der Zeit
gehenden Studiums zwei bejtimmte Stile
der Natur, welches wir herausgebildet, von
bei ihnen bewundern, denen der ältere als
eine eigentliche Indi— der chineſiſche, der ſpä—
vidualiſiecung und tere, von den ftrengen
Charakterzeichnung chineſiſchen Formen be—
beinahe vollſtändig freit und zu nationaler
vermiſſen. Selbſtändigkeit ge:
In der Abgeſchloſ⸗ langt, als der eigent—
ſenheit des Landes lich japaniſche zu be—
und der durch dieſelbe zeichnen iſt. Aber auch
bedingten inneren Kul: in legterem machen fich
turentwidelung ift, wie wiederum zwei be:
bereits erwähnt wurde, allein ftimmte Nidhtungen
der Grund dafür zu finden, geltend, deren eine,
daß ſich die urfprünglichen die klaſſiſche, fh in einfachen ftrengen Linien
naiven Kunftanfchauungen bewegt, während die andere, die realiftifche, ſich
diefes Volkes bis auf die die unmittelbare Wiedergabe der natürlichen Er:
neuere Zeit erhalten haben.
Die Negeln der Perſpektive
und der Scattenfonjtruftion,
die Wirkungen von Licht und
Schatten und der Luftperjpeftive, jowie das, was
wir unter Kolorit und Stimmung eines Gemäldes
zu verftehen pflegen, find dem japanischen Maler
bis auf die neuejte Zeit volllommen fremd ae: ı
blieben, ja bei den alten Künstlern tt jogar von
jeder Andeutung eines Terrains, nach welchem
fih die dargejtellten Fiqurenjcenen bewegen,
Abitand genommen, fo daß die verichiedenen |
Gruppen und Geſtalten bei aller ihrer lebendigen
Mannigfaltigfeit frei in der Yuft zu ſchweben
ſcheinen.
Eine gleiche Naivität gibt ſich auch in der
Behandlung der Farbe zu erkennen, bei welcher
nur dominierende Lokalfarben zur Verwendung Fig. 3 (€. 40.
fommen, demnach alfo eine dur Abtonung und
Uebergänge erzeugte harmonifhe Farbenftim: | fcheinung zur Aufgabe macht. Ein anjchauliches
mung überhaupt nicht vorhanden iſt. Beifpiel hierfür bieten, wenn auch nur in flüch—
Troß diefer Beſchränkungen offenbart fih | tiger Zeichnung, die beiden Figuren 1 und 2.
36 ©. von Schorn.
In ihnen jehen wir denſelben Gegenftand, eine
mythologiſche Geftalt, zur Darftellung gebracht,
aber in ihrer künſtleriſchen Auffafjung und Be-
handlung tritt uns der Unterfchied der beiden
Stile deutlich entgegen.
Jahrhunderte hindurch blieb in Japan die
Malerei ein ausfchliegliches Privilegium der vor:
nehmſten Kaſten und wurde allein vom Adel aus-
geübt. Gegen das Ende des zehnten Jahrhun—
derts bemächtigten fih ihrer die Priefter des
Bubdahdienftes, um fie für ihre Kultuszwecke
zu verwerten, und erit im ſechzehnten Jahrhun—
dert, in welchem ber eigentliche japanische Stil
fih zu entwideln begann, traten Maler aus den
bürgerlichen Kreifen hervor.
Auf einem jener älteren bubbhiitifchen Ge:
mälbe erblidt man ben Bis-ja-mon, den Gott
des Ruhmes, zugleich die Perfonififation aller
Flag. H ıS. 40)
ritterlihen Tugenden, zur rechten Seite des
Buddha, welher auf der Lotospflanze fteht, in
majeftätifher Erfcheinung. Mit einem Fuße auf
einen unter ihm fich frümmenden Dämon tretend,
eriheint er in prachtvolle Gewänder gekleidet,
welche feinen Panzer und feine kriegeriſche Aus:
rüftung teilweife bedecken. Auf dem Haupte
trägt er einen reich verzierten Helm mit einer
roten Feder, während er in der einen Hand ein
dreizadiges Schwert, in der anderen eine Pagode |
hält. Sein Haupt ift von einem Freisförmigen
Heiligenfhein umgeben, auf deſſen Nand drei |
feurige Kugeln als Symbol der menſchlichen
Seele ſich befinden. Zur Linfen Buddhas fteht
die Figur des Gottes Tudo, des Symbols der
Strafe, eines mit tiefblauem Leibe dargeitellten,
zum Teil mit Flammen umgebenen Dämons.
In feiner rechten Hand hält er ein blanfes
Schwert, in der linken das Ende eines Schiffs:
taues. In der buddhiſtiſchen Kunſt ſpielen die
Dämonen eine hervorragende Rolle. Sie ſind
meiſt, um ihr teufliſches Anſehen zu erhöhen, in
ſehr lebendigen, bunten Farben, in Grün, Rot,
Blau, Gelb u. ſ. w. gemalt und nicht ſelten ge—
hörnt und mit fletihenden Zähnen dargeitellt.
Ein größeres Gemälde aus dem elften „Jahr:
hundert gibt eine Anfchauung von der Art und
Reife, wie der japaniſche Künftler das inferna:
Malerei und Jiluflcation in Japan,
p ==
S
a a
37
Ma. 5 (8. m,
liſche Gebiet ſich vorjtellt. Dasjelbe vergegen:
wärtigt in einer Reihe von Darftellungen, deren
Handlung auf der rechten Seite des 11Ye Fuß
langen und 10" Zoll breiten Bildes beginnt
und nad) links fich fortjegt, die Vorgänge in den
verfchiedenen Teilen der Hölle. Bon den vier
größeren Abteilungen, welche das Bild enthält,
zeigt die erſte drei in Grabgewänder gehüllte
Geftalten, welche durch ein dunkles Thal ihren
Weg fuchen. Ein Wegweijer deutet ihnen das
Ufer eines wild vorbeiraufchenden Fluffes an.
Die eine derfelben, in der rechten Hand einen
Stab haltend, mit der anderen ihr weißes Ge:
wand emporhebend, jcheint über das Waſſer hin:
überzufchreiten, während die beiden anderen dem:
jelben zitternd fich nähern.
Das Thal und der Fluf find hier offenbar
als die Symbole des Todes und des Grabes
gedaht. Daneben aber ſitzt, an den abgeſtor—
benen Stamm eines Baumes gelchnt, eine häß—
liche, grauhaarige Niefin, welche unter furdt-
barem Grinjen bemüht ift, die Geftalten ihrer
Gewänder zu entkleiden; und fo fehen wir fie
denn jenjeits des Fluſſes nadt vor den ſchreck—
Die zweite Abteilung zeigt die Darftellung
des Tribunals, bei welchem der Richter, ein
furdhtbarer Niefe, eine mächtige Keule in der
Hand haltend und von zähnefletihenden Dä—
monen umgeben, hinter einem Tiſche fit, und
zwar auf einer Ejtrade, von welder Stufen
hinab zur Hölle führen. Einem der in diejelbe
eintretenden Weſen hält ein roter Dämon den
Spiegel der Erinnerung vor, in welchem er die
von ihm begangenen Verbrechen erblidt. Anders
gefärbte Dämonen treiben mit anderen Ver:
dammten ihr teuflifches Spiel.
Die gräßlichiten Strafen fehen wir in der
dritten Abteilung fich vollziehen. Hier werben
Sünder in Stüde zerhadt, mit Mefjern gefol:
tert und in ſchwere Felsmaſſen eingequeticht,
wobei grüne, blaue und rote Teufel in Thätig-
feit find und Blutſtröme den Boden bededen.
Nach budohiftifcher Auffaffung muß jeder Sün—
der nad) dem Tode diefelben Dualen wieder er:
dulden, welche er bei Yebzeiten andere hat er:
leiden laſſen.
In der letzten Abteilung endlich jehen wir
ein vom Winde hin: und herbeweates Flammen:
lichen Richter treten, welcher ihr Urteil fpricht. | meer, in welchem die Sünder die höchſten Qualen
*
Br AT
Bert Tr
Fin. 6 1&. 40,
erwartet, denen fie endlich erliegen. Schlangen
lauern in den Eden, um die Entfliehenden zu
fangen, und über dem ganzen entfeslichen Höllen:
pfuhl ſchwebt das gigantifhe Haupt des An—
Hägers.
Mit dem Beginne des zwölften Jahrhun—
derts tritt die fchauriggroteste Behandlung der:
artiger Stoffe mehr in den Hintergrund und die
Hiftortenmalerei nimmt einen fräftigen Auf:
ſchwung, für welchen noch zahlreich vorhandene,
lebendig fomponierte Schladhtenbilder Zeugnis
geben.
Der hervorragendjte Meifter jener Zeit war
auf diefem Gebiete Kiomori, welder an den
Kämpfen, die er in feinen Gemälden jchildert,
ohne Zweifel perſönlich teilgenommen hat.
Wie bereits bemerft wurde, machte ſich erjt
im Laufe des ſechzehnten „Jahrhunderts ein
vollftändiger Umſchwung in der japanijchen Ma—
lerei bemerkbar. Bon da an verſchwindet mehr
und mehr die bis dahin übliche pathetifche Auf:
fafjungsweife und an ihre Ztelle gelangt mit
der Beobachtung und Wiedergabe der unmittel:
baren Wirllichfeit die Genremalerei zu allge:
meiner Aufnahme und Verbreitung. Hiermit
aber beginnt zugleich die Kunſt eine volkstüm—
lihe zu werden, denn nicht allein die Gegen:
jtände für ihre Daritellungen werden dem Volks—
leben entnommen, jondern auch die Künſtler ſelbſt
gchen aus dem Volfe hervor — die Kunit hört
urn FT Ir
‘
J
|
|
|
auf, als ein aus:
ſchließliches Pri:
vilegium der höch⸗
iten Stände zu
gelten.
Wenn aud) be:
reits im ſechzehn⸗
ten Jahrhundert
einzelne Maler
begonnen hatten,
Manujffripte,
welde in Buch
form, anjtatt auf
Rollen hergeftellt
waren, mit feinen
Miniaturen aus:
zuihmüden, jo
wurde doch erit
im fiebzehnten
Jahrhundert die
Verwendung der
Bücher für die
Wiedergabe künſtleriſcher Darftellungen allge:
meiner üblich, und wurden von da an zahlreiche
Holzjchnittwerfe mit und ohne Tert veröffentlicht.
Die Bücherilluftrationen jener Zeit find alle
in einem Tone — in Schwarz — gedrudt und
mit breiten Strihen, zwiſchen denen größere
ſchwarze Flächen fihtbar find, behandelt. Zum
größeren Teile bejtehen fie in Neproduftionen
von Daritellungen aus der buddhiſtiſchen Lehre
und aus der Gejchichte berühmter Männer und
Helden, welche deutlich erfennen laſſen, daß es
bis dahin die chineſiſche Schule war, welche die
hohe Kunſt in Japan repräfentierte.
Anders erfcheint dies in einem größere.
Werke vom „jahre 1722, weldes alle möglichen
japaniſchen Yebensverhältniffe in ihrer vollen
Wahrheit darftellt und infolgedejlen eine große
Popularität erlangt hat. Ein im ‚jahre 1745
gedrudtes Werk in 9 Bänden (Jiki-ſhi-ho von
Monkuni) enthält Zeichnungen, welche dazu be:
ſtimmt find, als Vorbilder für den Unterricht
und für kunſtgewerbliche Zwede zu dienen. Das:
jelbe umfaßt alle Zweige der Kunſt und zeit
vielfach noch den Einfluß des chineſiſchen Stils
neben völlig felbjtändigen und eigentümlichen
Zügen, wie aud) das auf der eriten Seite befind-
liche Bildnis des Herausgebers in der Behand:
|
lung einenentjchieden japanischen Charaftertrügt.
Der japanifche Künftler, welcher für den
Holzſchnitt arbeitet, fertigt feine Zeichnung auf
Malerei und Jluftration in Japan. 39
äußerſt dünnem Papier, weldes alsdann auf
den Holzichnitt aufgeklebt und vom Holzichneider
durchſchnitten wird, während bei uns die Her:
jtellung der Zeichnung auf der mit einem weißen
Grunde verjehenen Holzplatte jelbit erfolgt oder
photographifc auf dieje übertragen wird. il
aus erflärt es ſich, da Drigi:
nalzeihnungen von hervor:
ragenden japanijchen Illuſtra—
toren in verhältnismäßig nur
geringer Zahl vorhanden find.
Die erften Beifpiele von
farbigen Druden im neuen
Stile erſcheinen zwiſchen 1765
und 1780, und als Neuheit
treten am Ende des achtzehnten
SahrhundertsNbbildungen auf,
bei welchen die Umrifje ſchwarz
und die Zwiſchenräume mit far:
bigem Drud ausgefüllt find.
In der Zeichnung für den
Holzichnitt erreichte die neue
Richtung ihren Höhenpunkt
während der eriten Hälfte un:
feres Jahrhunderts in Hofu-
fai, der uns in feinen zahl:
reichen Arbeiten als ein emi:
nenter, mit einem unerſchöpf—
lihen Ideenreichtum begabter
Meifter entgegentritt. Geboren
in Jeddo als der Sohn eines
Verfertigers von Metallipie-
aeln, jtarb er 1849, nadıdem
er ein Alter von 89 Jahren
erreicht hatte. Die Zeit jeines
Nuhmes begann erſt in der
zweiten Hälfte feines Yebens.
Im Jahre 1810 eröffnete er
eine Schule für Kunftinduftrie,
welche ſich bald eines großen
Erfolges zu erfreuen hatte.
In demfelben ‚jahre veröffent-
lihte er unter dem Titel
„Mangoua” fein erftes größe:
res Werk, ein Kompendium, welches dazu be:
ſtimmt war, jeinen Schülern Vorlagen zu bieten.
Das Wort „Mangoua“ bezeichnet eine ſchnell
hingeworfene Skizze, eine auf den eriten Wurf
vollendete Zeichnung. Der erite Band des Wer:
tes enthält hervorragende Perſonen der buddhi—
ftifchen Legende, berühmte Krieger und Helden;
diefen folgen Daimios, Männer und Frauen der
verſchiedenſten Berufsarten, bet ihrer Arbeit ent:
weder in Thätigfeit oder ausruhend. Don den
Menſchen zu den Tieren übergehend, zeigt uns
der Künftler die Vierfüßler, die Fiſche, Wögel
und Mollusfen, dann die Pflanzenwelt in ihren
mannigfaltigen Erfheinungen, und endlich Häu:
jer, Gartenzäune, Felſen und
flüchtig hingeworfene land:
ſchaftliche Studien. Diejer erfte
Teil des „Mangoua“ enthält
demnad eine in ffigzenhafter
Weiſe gegebene Ueberſicht aller
Erjcheinungen der ganzen ſicht—
baren japanischen Welt.
Die dargejtellten Gegen:
jtände und Figuren find kaum
3—4 cm hoch und ohne
Boden, auf dem fie jtehen, ohne
Hintergrund, von dem fie jid)
abheben, auf jeder Seite von
oben nad) unten bunt durch—
einander geworfen. Letztere
aber jind in Bezug auf die
Charakteriſtik ihrer Stellungen
und Bewegungen in jo vorzüg:
licher Weife gegeben, daß in
ihnen der hödjte Grab von
Lebendigkeit erreicht iſt. Da:
bei entwidelt der Künſtler einen
ebenfo frischen als feinen Humor
und überall tritt bei ihm eine
geſunde Komik zu Tage.
Dem erjten Bande der
„Mangoua“ find von 1810 bis
1840 unter demjelben Titel
13 weitere Bände gefolgt, wäh
vend der Meifter gleichzeitig
eine große Zahl von Zeich—
nungen in einzelnen Büchern
und Albums mit und ohne
Tert, Illuſtrationen zu Ro:
manen, jowie auf einzelnen
Blättern Plafate und Pro—
ipefte der verjchiedenften Art
veröffentlichte. Nicht weniger bedeutend als in
jeinen figürlihen Kompofitionen erjcheint Hoku—
jai in feinen landſchaftlichen Darjtellungen. Alle
ſind voller Naturwahrheit und zugleich voll von
| Poeſie.
einer Stimmung Ausdruck zu geben und auf das
Mit wenigen Strihen veriteht er es,
' Gemüt des Bejhauers zu wirken. Einen haupt-
! ſachlichen Vorwurf für die künſtleriſche Behand—
40 ©, von Schorn. Malerei und Junflratton in Japan,
lung in allen möglichen Auffafjungen und
Beleuchtungen bietet ihm derBerg Fufiyama,
ein in der Nähe von Jeddo befindlicher
Bulfan, welder bei allen Japanern die
höchite Verehrung genießt. In einem befon-
deren Werke zeigt er ihn in hundert ver:
ſchiedenen Anfichten, von denen einzelne mit
reicher Staffage ausgejtattet find.
Unfere Slluftrationen bieten einige
Proben aus Hofufais Werken, melde feine
geiftreihe Behandlungsweife verſchieden—
artiger Stoffe in flühtig hingeworfener
Zeichnung erkennen laſſen. Den einzelnen
Köpfen der dem Zufchauerraum eines Thea:
ters entnommenen Gruppe (Fig. 3, ©. 35)
ift mit wenigen Strihen und Punkten ein
Ausdrud von Aufmerkſamkeit und Leben ver:
lichen, wie wir ihn in den Zeichnungen der
älteren japanischen Meifter vergebens ſuchen
werden. Vollitändig ebenbürtig den Zeich—
nungen eines Granboille in der Beobachtung
des Tierlebens und in der feinen Satire
menschlicher Eigenfchaften erfcheint das vom
Künitlerals , Schlupfmwinkel“ bezeichnete Bild,
in welchem er die mit dem Reishandel ver:
bundene Thätigkeit auf das Leben der Mäufe
überträgt und in ihren verſchiedenen Stadien —
ſchildert (Fig. 4, ©. 36). In einem kleinen
Strandbilde werden wir mit den Eigentümlich- fung, welche hier durch die einfachſten künſt—
feiten der Anlage eines japanifhen Hafens, zu: | lerifhen Mittel erreicht ift, den Reiz der Farbe
gleih aber aud) mit dem Leben und Treiben | kaum vermifjen, das gilt aud von Fig. 79.
in deſſen unmittelbarer Nähe befannt gemacht Bon Hofufais zahlreihen Schülern und Nach⸗
(Fig. 5, S. 37), und das Heine Mondſcheinbild ahmern iſt der bedeutendſte Hoffai, befonders
„Kommen und Gehen in der Naht“ (Fig. 6, | berühmt durch eine Reihe vorzüglicher, im Jahre
2.38) läßt uns in feiner ftimmungsvollen Wir: | 1840 erſchienener Farbendrucke. Daß aud) die
Silhouette, aleihwie bei uns,-bei den Ja—
panern eine Zeitlang in Mode war, be:
weift ein 1867 erjchienenes Album, wel—
ches eine große Zahl derartiger, ganz in
Schwarz gedrudter, in den Umriſſen aber
lebensvoll gezeichneter Porträts enthält,
deren jedes mit einer farbigen Arabesken—
umrahmung eingefaßt tft.
Alle bisher erwähnten Werke find von
Heinem, ziemlich gleihem Format und
durch Zufammenheften der einzelnen Bogen
zu einem Ganzen verbunden. Eine andere
Art der Publikation ift dagegen die von
einzelnen zu einem Album zufammen-
gelegten Blättern in großem Format.
Auf ihnen fehen wir neben allerhand an-
deren Dingen hauptſächlich Theaterfcenen
Th, Mördlinger. Die deutichen Holzzölle.
al
behandelt, deren Mittelpunft in der Negel | anziehenden Eigentümlichfeiten der urſprüng—
Japans berühmtejte dramatische Künftler bilden. | lichen japanifhen Malerei und Illuſtration all:
Noch find endlih die unter dem Namen
„Meiſho“ veröffentlichten Werke hervorzuheben,
welche in jeder japanischen Bibliothef durch die
Zahl und die Größe ihrer Bände die Aufmerk—
jamfeit auf fich ziehen. Ihren Inhalt bilden
illuſtrierte Führer durch die Sehenswürbdigfeiten
einzelner Zandesteile und Städte. Für jede
Provinz befteht ein befonderer „Meifho“, deren
mander an 20 Bände umfaßt. Da diefe Werke
in früheren Zeiten nur dazu bejtimmt waren,
das Wolf mit den Tempeln, den Klöftern und
heiligen Orten befannt zu machen, alfo ausſchließ—
lich religiöfen Zweden dienten, tragen die Dar-
jtellungen der älteren Ausgaben einen etwas ein:
förmigen Charakter, während den jpäteren durch
Hinzufügung einer lebensvollen Staffage mehr
Abwechslung und Mannigfaltigfeit verliehen ift.
Im Laufe der legten Jahre hat die japani:
{che Kunft durd) den zunehmenden wechjelfeitigen
Verkehr zwiſchen Japan und den Völkern Euro:
pas, welcher zunächſt durch die Einführung
der internationalen Auöftellungen hervorgerufen
wurde, eine völlige Umgejtaltung erfahren. Mit
dem Eindringen der Europäer in das bis dahin
allen fremden Kultureinflüfjen völlig verſchloſſene
Land und dem Bekanntwerden einzelner Glieder
jenes von Haus aus begabten und intelligenten
Bolfes mit den europäifchen Verhältniffen muB:
I
ten ebenfo, wie durch die Ein: und Ausfuhr der
beiderfeitigen Induſtrie- und Kunfterzeugnifie
die volfswirtfchaftlichen Zuftände in Japan eine
wejentlihe Veränderung erfahren.
fluß auch bald auf die japaniſchen Künftler und
mählich mehr und mehr zu verſchwinden drohen.
D. von Schorn.
Die dentfhen Holzzölle.
Bon
Th. Nördlinger.
uf der XI. Jahresverſammlung deutjcher
Forftmänner, welche in den Tagen vom 28.
bis 31. Auguſt 1882 zu Koburg jtattfand, bil:
dete den zweiten Beratungsgegenjtand die von
Dandelmannals Referent eingeleitete Frage:
„sit ein Zoll auf Holz und Rinde im Intereſſe
der deutſchen Foritwirtichaft geboten oder minde:
ſtens gerechtfertigt?“ Es wurde damals ſchließ—
lih von der Verfammlung, an der fich über
200 Forftmänner und Freunde der Yorjtwirt:
ſchaft beteiligt hatten, mit großer Majorität ein
Antrag des Neferenten angenommen, der dahin
' ging, in Erwägung, daß die deutſche Forftwirt:
Selbftverftändlic mußte ein bezüglicher Ein: |
die Art ihres Schaffens fich geltend machen. |
Während fie früher mit einem mäßigen Gewinne |
jich begnügten, juchten fie nunmehr, durch die
großen, aus dem Nuslande eingehenden Be:
itellungen verlodt, in möglichit kurzer Zeit Ver:
mögen zu erwerben. Am leichtejten glaubten fie
diefes aber dadurch zu erreichen, daß fie die ihrer
ichaft den einheimischen Bedarf an europätfchen
Nusholz quantitativ und qualitativ zu deden
vermöge, zu erflären, daß eine Erhöhung des
im Zolltarif vom 15. Juli 1879 vorgefehenen
Zolles auf Rohnugholz und vorgearbeitetes Nub-
holz im Intereſſe der deutichen Walbwirtfchaft
dringend wünfchenäwert jei. Zugleich wurde
' das Präfidium beauftragt, obige Erklärung zur
Kunft urjprünglich eigentümlichen Formen ver:
ließen und den europäiſchen Anſchauungen fich
anbequemten. So ſehen wir in den heutigen |
Erzeugnijjen der japanischen Kunſt fchon viel:
fach die Einwirkung der zahlreich dort einge:
führten Zeichnungen, photographiichen Nbbil-
dungen und Abgüſſe europäiſcher Kunſtwerke in
oft völlig mißverftandener Weife zur Geltung
gelangt, während gleichzeitig die in ihrer Art fo
‘
'
!
|
Kenntnis des Fürften Neichsfanzlers zu bringen.
Eine diesbezügliche, von der Reichsregierung
während der letten Legislaturperiode an den
Reichstag gebrachte Vorlage hat allerdings die
Genehmigung des letzteren — wir jagen
„leider“ — nicht gefunden. Doch ſcheint uns das
vorliegende Thema aud nach der ablehnenden
Haltung der deutſchen Volfsvertretung wichtig
genug, um vor den Leſern diejes Blattes be-
ſprochen zu werden, umfomehr, als wir die Hoff:
6
42 j Wilhelm Waldmann,
nung nicht aufgeben, es werde genannte Körper: | dem deutſchen Zollgebiete ift eine verhältnis:
ſchaft ein andermal in richtigerer Würdigung der | mäßig geringe und erjtredt fich hauptſächlich auf
fattifchen forjtlihen Verhältniffe den Yorderun: | Pechkiefer (Pitch Pine), Weymouthsföhre
aen unferer Waldwirtſchaft gegenüber fich ent: | (White Pine), rotes Gedern: und Hidory:
gegenfommender zeigen. Sodann hat Dandel: | holz und auf ſchwarze Walnuß, für welche
mann, der auch in den Neichstagsverhandlun: | Hölzer übrigens Preiſe bezahlt werden, die das
gen die Vorlage als Bundestommiflär zu ver: | Zwei: bis Vierfache der Preife unferer einhei:
teidigen Satte, in einem lichtvoll geſchriebenen miſchen hochwertigjten Nutzhölzer ausmachen.
Werke „Die deutſchen Nusholzzölle, eine Wald- Soweit zur Beantwortung der Frage über
ihugichrift“, das ſich auf ein umfangreiches | die Notwendigkeit und Höhe der Waldſchutzzölle
handels- und forftitatijtiiches, dem Verfaffer von | die gegenwärtige Yage der Waldmirt:
Reichs- und Staatöbehörden bereitwilligit zur | Schaft im Deutihen Reid; einer näheren Be—
Verfügung gejtelltes Material gründet, die be: trachtung unterzogen werden muß, it daran zu
antragte Erhöhung der deutſchen Nutzholzzölle | erinnern, daß letztere allerdings jeit den Frei:
einer eingehenden, auf thatfächliche Verhältnifje | heitsfriegen unter dem Einfluffe der Volfsver:
aeftügten Erörterung unterzogen. Er mußte ba: | mehrung, einer aufblühenden Holzinduftrie, der
bei zu dem Ergebnifje gelangen, dai eine mäßige | Marfterweiterung durch Schienenwege, der
|
|
|
Erhöhung der genannten Zolltarifpofition dur | Waldentlajtung von Grundgerechtigfeiten, der
die Notlage unſerer Waldwirtichaft geboten und | Kortichritte in foritlicher Wifjenfchaft und Technik
mit den berechtigten Intereſſen der übrigen be ſich in befriedigender Weife entwidelt hat, Holz-
teiligten Erwerbs: und Lebenskreife wohl ver- | preife, Waldrenten und Waldgüterpreife dem:
einbar jei. Es dürften viele feiner Ausführungen | zufolge allmählih geſtiegen find. Aber in den
auch für manchen außerhalb des Faches Stehen: | legten fünf Jahren trat ein empfindlicher Nüd-
den von Intereſſe fein. Führen wir etliches an! ſchlag ein, hat ſich die günftige Yage in eine ge-
Unter den Holzausfuhrländern, d. h. | drüdte und bedrängte verwandelt, deren ort:
denjenigen Ländern, welche Nutholz nad dem | dauergeeignet erfcheint, die Fortentwidelung der
Deutihen Reich ausführen und dadurd unfere | Waldwirtichaft zuhemmen, die Waldrentabilität
inländische Produktion ſchädigen, jteht das euro: | zu vernichten, die Rückkehr zu extenſiver Wirt:
päiſche Rußland obenan, und esift nicht abzu: | Schaft herbeizuführen und in letter Linie die
ſehen, daß die Ausfuhr ruffiihen Nutzholzes Walderhaltung jelbjt auf abjolutem Holzboden
und deſſen Konkurrenz auf dem deutichen Holz: | in Frage zu Stellen. Wenn die Notlage eines
marft in nächiter Zeit bei dem großen Wald: | Gewerbes fi im Nüdgange der Nenten und
reichtum des Ruſſiſchen Reichs und der fortſchrei- Preife offenbart, jo kann das Zinfen der Wald:
tenden Berbeflerung der Berfehrswegedurh Fluß: | renten, Unzulänglichkeit der Holzpreife und der
requlierung, Kanalifierung und Erweiterung des | die Nentabilität bedingenden Nutholzausbeute
Gijenbahnneßes eine wejentliche Verminderung | für unfere Gegenwart offenkundig Fonjtatiert
erfahren werde. Nächſt Rußland hat Dejter: | werden. Deswegen hätte die Bewilligung der
reih: Ungarn die größte Bedeutung für | geheiichten Nutholzzollerhöhung feitens des
die Nugholzeinfuhr nad) Deutichland, ungeadytet | Neichstages bei der bedrohten Zukunft des
feiner ungünjtigen fommerziellen Lage. Erft in | Waldes, diejes Trägers und Erhalters von
dritter Linie kommt Shweden in Betracht, Millionen Eriftenzen, gewiß den Intereſſen der
das, begünftigt durch Waldüberfluß, feine mari- Gefamtheit von jet und ſpäter gedient.
time Lage und Verbindung mit den Konſum—
tionsländern,, fowie durd die Ueberlegenheit
feiner Holzindujtrie feit jahren im Welthol;:
handel unbejtritten die erfte Stelle innehält.
Die Holzausfuhr der Vereinigten Staa: |
ten vonNordamerifa, diefem Yand einer im |
großartigen Stile betriebenen Waldverwüjtung,
wo 26 000 Sägmühlen im Betriebe ftehen, die | ls in Bayreuth die Bogen am höchſten
|
Robert Franz in feinen Siedern.
Wilhelm Fahnen
im Jahre 1878 Nohmaterial im Werte von fluteten und alle Welt mit Aufmerkjamteit
500 Millionen Dollars verarbeitet haben, nach | verfolgte, was von dort ausging, wurde in
e
Robert Franz in feinen Eiedern. 43
Mufiferkreifen die Mitteilung weitergetragen,
daß Richard Wagner die Lieder von Robert Franz
beſonders hochſtelle und ſie häufig in feinem
Heim ſich vorfingen laffe. — Richard Magner
und Robert Franz! Man wußte feine Erflärung
dafür, fchüttelte den Kopf — und lief die Sache
auf ſich beruhen.
Nun berührte es von neuem eigentümlich,
als nah Wagners Tode in dem „Leipziger
Wagner habe den
Balladenfomponiften
Loewe ſehr hoc) gehal:
ten und defjen Werte
mit Eifer ſtudiert,
ebenſo — die Lieder
von Robert Franz!
Wieder Richard
Wagner und Robert
Franz — das iſt ja
kaum zu begreifen!
— War's der völlige
Gegenſatz, der Wag—
ner reizen konnte,
dieſe Lieder auf ſich
einwirken zu laſſen
und bei ihrem Anhö—
ren Freude zu empfin⸗
den? Wagners leiden:
ihaftlihe Mufif, die
durh Kühnheit der
Modulation, durch be:
jtridenden Reiz der
Klangwirkungenfeſſelt
— und. dann Franz’
Lieder — die keu—
icheften, die mohl
überhaupt fomponiert
find, die dem Herannahenden jpröde ent:
gegentreten, feiner jinnlihen Negung Bor:
ſchub leiften, -- rein und weiß wie Marmor
daftehen!
Der Schreiber diefer Zeilen frug Nobert
Franz gelegentlich, was er von jener Mitteilung
halte, und erfuhr von ihm: „Auf einer Reife
in die Schweiz — in den 50er Jahren — be:
ſuchte ih Wagner, der damals in Zürich lebte.
Im Verlaufe der Unterhaltung öffnete er feinen |
Notenſchrank und ſprach auf deſſen inhalt deu:
! Sch hielt daS Ganze für einen Aft der Höflich:
feit und legte demnach Fein befonderes Gewicht
darauf. Jetzt iſt mir freilich manches verftänd-
licher und cs mag wohl Wahrheit fein, daß ſich
Wagner gerade für diefe Lieder lebhaft inter:
eſſierte. ch zeigte Ihnen ſchon früher, wie hier
ı Mufit und Wort jih deden und daß die
Muſit gleichſam aus dem Texte hervorblüht; —
| auch Wagner huldigt ja diefem Princip. Daß
Tageblatt“ die Bemerkung zu leſen war, unſere Ausdrudsformen divergieren, hat einen
Rob. Iran E
jehr anderen Grund,
und hätten wir beide
denjelben Gegenjtand
behandelt, dann wür:
den die Refultate ver:
ſchieden genug ausge:
fallen fein.” Mit we-
nigen Worten gibt
. Kranz hier jelbjt eine
Löſung des Rätjels.
Was befagt nun
die Wiedergabe des
Textes durch die Mu:
ſik? — Mufifaliich:
realiſtiſche Malerei, be:
fanntlih ein Fehler,
— iſt es nicht, wohl
aber die plaftifche Dar:
jtellung des mufifali-
ſchen Empfindens, das
der Tertinhalt in uns
erregt. Wagners Leit-
motive find eine logi:
iche folge diefes Prin—
cips und im Grunde
nichts Neues; — im
Gegenteil etwas fehr
Altes und Gebräud;:
liches, nur daß Wagner ihre Verwendung aus:
drüdlih zum Grundfat erhob. Bachs Mufit
wimmelt von folhen Motiven; bald handelt
fih’S dabei um Erſcheinungen in der Natur,
bald um Borgänge im pſychiſchen Gebiete. Es ſei
mir gejtattet, hier ein Wort Spittas (%. ©.
Bad) I. ©. 488) einzufügen: „Das malerische
‘ Element fehlt bei ihm (Bad) nicht; — jtreng
‚ genommen ift es ungenau, von Malerei zu reden,
|
tend: ‚Das iſt alles, was ih an Muſikwerken
beſitze!“
und meine Lieder! —
Es ftanden da — Bad, Beethoven
Was follte id) dazu jagen?
wenn die Mufif Bewegungen der fichtbaren Welt
in ihrer Weife nahahmt, In jeder bewegten
Erjcheinung der Außenwelt erfennt der Menſch
ein Spiegelbild gewiſſer eigener Gefühlsitrö:
mungen, und das Gefühl ift uns das unmittel-
44 Wilhelm Waldmann.
barfte Zeugnis des Yebens. Das Leben aber,
— — — künſtleriſch darzuftellen, ijt die eigent-
liche Aufgabe der Muſik. Hierin beruht die
innere Berechtigung der fogenannten Nachah—
mungen von dem Riefeln der Quelle, dem Wogen
des Meeres, dem Zittern der Blätter u. ſ. w.“
Das iſt feitzuhalten, — man joll die Natur
und deren Eindrüde nicht abmalen wollen, man
Kunſtwerk.
Spitta führt J. S. 544 und 592 und II.
S. 359 u. a. O. bezügliche Beiſpiele aus Bachs
Kantaten an (Fig. 1):
und Mo = yfe an
Nehnliches findet fih in der Kantate „Sie
werden aus Saba alle kommen“ — in ber |
Baharie: „Gold aus Ophir“ u. f. w., wo die |
Arbeit der Bergleute deutlich vernehmbar wird |
(vergl. J. Schäffer, Saba-Kantate) Fig. 2:
——
Bi. 2.
Spitta J. S. 554: „Israel zum Fall“ —
tiefer Sprung der Singſtimme (aus der Kan—
tate „Tritt auf die Glaubensbahn“).
II. ©. 390: In der Kantate „Bleib' bei
und, denn es will Abend werden” — im An:
fangschor — tiefdunfle Töne der Geigen und
Bratihen, — welde hier weniger die fried:
volle Stimmung abendliher Nuhe, als jenes
unheimlihe Bangen, weldes das allmählidhe
Schwinden des Tageälichtes begleitet, — wieder:
geben. —
Man kann gewiß fein, daß Bad) da, wo das
Wort „Himmel“ ericheint, die Singjtimme in
hoher Tonlage, und jobald das Wort „Hölle“
vorlommt, in der Tiefe fih bewegen läßt. —
Motive find mufifaliihe Formen, durch
welche Vorftellungen oder Vorgänge ſymboliſch
zum Ausdrud gelangen. Ein ſolches Abbild
fann, von verſchiedenen Komponiften behandelt,
ſehr verfchieden geraten; da jedoch die Men:
ihen in ihrem Empfinden mehr oder weniger
inmpathijieren, fo werden wir uns auch beim
‚ Hören derartiger Motive mehr oder weniger be:
muß vielmehr diefe in fi aufnehmen, in fid |
durdleben und dann gleihjam aus ih heraus
neugeftaltet wiedergeben; — fo entjteht ein |
friedigt finden.
Wenn im Barfifal, Aft I, Gurnemanz fingt:
Er naht, fie bringen ihn getragen,
DO, weh! Wie trag’ ich's im Gemüte,
In feiner Mannheit ftolzer Blüte
Des fiegreichften Geſchlechtes Herrn
Als feines Siehtums Knecht zu jeh'n. —
Behutjam! Der König ftöhnt!
und das Stöhnen durch das Motiv in Fig. 3
auf der folgenden Seite wiedergegeben wird,
jo erſcheint es uns, da wir den Tert fennen,
vollkommen charakteriſtiſch; — würde uns ba-
| gegen die Dichtung fremd fein, wer könnte wohl
ihren Inhalt aus dem Motiv erraten?
Dem muſikaliſchen Gedanken durch melodi-
ſche, harmonische und rhythmifche Formen einen
‚ bejtimmten Charakter aufzuprägen und biejen
dem Tertinhalte auf das
genauefte anzupaflen,
— — — dieſes Geſtaltungs—
— vermögen beſitzt unter
den Liederkompo—
niſten niemand in
dem Maße wie Ro—
bert Franz und hier
iſt eben der Berührungs-
punft mit Richard Wag—
ner. Hundertfach lafjen
ſich aus Franz’ Liedern
Beijpiele dafür anführen; ja, es wird die
' Wahl ſchwer, um bei dem Reichtum an folchen
die am meiften charakteriftiichen zu treffen.
Ich greife nad dem op. 4; man nehme bie
„Herbitforge von Oſterwald“ — eines der ſchön—
iten unter Franz’ Liedern: — „Trübe Schwere
lagert fih auf uns; wie ein banger Traum
naht der Gedanke, — fie, die du Liebit, iſt für
dich verloren ;
Er (der Sommer) fommt zurüd, er bringt uns
neuc Lieder,
Doch wird durch ihn die Angft auch fortbeihworen,
Daß ich dich Hab’, mein einzig Glüd verloren?“
— bejänftigend, alö wäre im Augenblid alles
Weh veraefien, tritt bei den Worten: „bringt
Robert franz in feinen £iedern. 45
und neue Lieber” — das Motiv in dur jtatt in | Das Lied: „Ihr Hügel dort am ſchönen
moll auf (Fig. 4). | Don” von Burns — ſchildert ein fchmerzer:
Hört! Der Kö : nig ftöhnt
J —
‚IN, ASS ABEL ——— — —
TE nen
"2, 7 BOEEN SA — —
2— — — — —— —— — — ——— —
— ——— = Te zer ==: —
*2 7 Ya
Big. 3. Pa “ ‚zo
fülltes Gemüt einer heiteren Natur gegenüber: | Wendungen deuten auf Blütenfhmud (Fig. 5),
gejtellt : Die Hügel grünen und blühen, die Vögel | dann beginnen die Vögel zu fingen in ftetem
—
fig. 6. —
”
Wetteifer (Fig. 6), bis das Mollmotiv der
wi. = Singjtimme — die eigentlihe Pointe des
“ Liedes — wiebereintritt. Man jehe fich'3 ge:
fingen jo füß, jo wonnevoll, — von meiner Liebe | nau an, es liegt hier von Franz’ muſikaliſchem
fang auch ich, doch es blieb von der Nojenzeit | Empfinden ein vorzüglices Beijpiel vor.
A Wo ift ein
Lied, welches
das: „Ichmöch⸗
te froh fein, doch
mein Herz iſt
tot” padender
wiedergäbe ala
Nr. 2 in op. 9?
— Soll ih an
das oft geſun—
gene Wr. 6 des
op. 17: „Die Heide iſt braun“ und an feine
Stimmung erinnern, wo mitten im Yeid die
vergangene glüdliche Zeit jo hold uns anweht,
nur der Dorn im Herzen zurüd. — In der An:
fangäbegleitung fehen wir Hügel neben Hügel
in reinen Linien fi aufbauen; mwohlflingende
46 Wilhelm Waldmann.
fobald das Motiv ftatt in emoll in cdur
wieberfehrt? (Fig. 7.)
— — —
er — —
— is) 171
SE ER e— Hr ——
Die Welt ift fo öd', fie war nidt fo ſchön
Piit lento
nah” — in einem ergreifenden Nachſpiel uns
den Wortinhalt empfinden läßt. Ohne Heran-
ziehung fremdartig
Elingender Inſtru⸗
mente geben bie
Tonverhältnifie
den Ausdrud an
und für fi Hin:
länglid) fund. —
In Nr. 6 des
—
Wie tröſtend klingt in dem tiefernſten Nr. 5
des op. 11 „Auf dem Meere” die Stelle: „Die
fügen Augen!” — Nr. 8 des op. 5 „ch lobe
mir die Vögelein“ — man fpiele das Cin-
leitungömotiv (Fig. 8), iſt es nicht, als hörte
man das „dodeldi, dodeldi” der munteren Sän:
ger in den Bäumen? —
Dann Nr. 4 des op. 18 „Meerfahrt” —
lauter Poefie und Duft! Die Mufifbilder tau—
chen hier in deutlichiter Anfchaulichkeit auf. —
Bejonders interejfant ijt (Mr. 1 des op. 48) der
Schluß des Heinefchen „Wenn zwei voneinander
icheiden” ; derjelbe lautet:
Wir haben nicht geweinet,
Wir feufzten nicht Weh und Ad!
Die Thränen und die Seufzer,
Die famen hintennach.
Ich wähle dies Beifpiel im Hinblid auf das
oben von Wagner citierte. Iſt auch die dra—
matifche Verwendung der Motive eine ganz
andere als die lyriſche, jo mag doch ein jeder
jehen, wie Franz entiprehend den Morten:
„Die Thränen und die Seufzer, die kamen hinten:
op.30: „Zieh' nicht
jo ſchnell vorüber,“
hat Franz den Auf:
ruhr des empörten
Herzens, das im
tobenden Gewitter
feinen Verbündeten
findet, draſtiſch genug dargeitellt; bei den Wor:
ten: „Dann rüttelt all ihr Blitze“ — ift der
muſikaliſche Nusdrud geradezu erfchredend: man
ſieht den Blitz grell und zudend am Himmel
dahinfahren. Je nach dem Wortinhalte wird in
den verjchtedenen Verſen die Form der Beglei:
tung geändert. Der Aufruhr in der Natur dient
der Zingjtimme als Hintergrund, welchem gegen:
über Zorn und Groll über die Untreue der Ge:
liebten hervorbrechen. —
Wer Franz’ Lieder nad) diefer Richtung
hin ftudiert, wird bald einfehen, wie das betreffs
derjelben gebräudjlihe und wenn aud in ge:
wiſſem Sinne bezeihnende Wort „Stimmungs:
lieder” eigentlich nicht genug ſagt; die Lieder
find fehr viel mehr! Nr. 1 op. 36: „Das Meer
hat jeine Perlen * — dieje grogempfundene Kom:
pofitionift, um mich etwas parador auszudrüden,
geradezu mufifaliihe Skulptur: man fann in
den Tönen fait gegenftändlih den Tertinhalt
greifen. Das gilt aud) von Nr. 2 des op. 42:
„Die helle Sonne leuchtet aufs weite Meer her:
nieder.“ — Einzelne Lieder wirken wieder mehr
maleriſch, es ift, als fänge und Hänge dann die
ganze Natur um uns her. Wie mutet 3. B. der
Schluß des „Im Grafe lieg’ ich manche Stunde”
Nr. 5 op. 17 an! Man hört das Summen des
Immchen, aber man hört es mufifalifch, nicht
realiſtiſch nachgeahmt! — Und wieder andere
Lieder erfreuen durch fymbolifche Züge — vom
weiten Meer, von Berg und Thal, von Sonnen:
glanz und Nebel gewinnt man den Eindrud durch
muſikaliſche Formen. Man vergleihe: Nr. 3
op.9 „Bitte“ (Weil’ auf mir du dunkles Auge).
— In Nr. 4 des op. 9: „Allnächtlih im
Robert franz in feinen Kiedern,
Traume“ folgt am Schluſſe: „und das Wort, und
das Wort“ — eine Pauſe, als grübele man noch
weiter — dann erft „hab ich vergejjen.*“ — In
dem grogangelegten Liede Nr. 10 op. 5 „Ber:
geſſen“ fühlt man bei der tremulierenden Be:
gleitung alle Fibern des Herzens dem Gedanken
entgegenbeben, der immer mehr aus banger
Ahnung zur Wirklichkeit wird. „Du bift ver:
geſſen!“ — und in ſchweren Tönen entringt ſich
der tiefe Schmerz der Bruft:
Vergeffen, ach! vergefjen fein
Vom liebſten Herzen in der Welt,
Das ift allein die größte Bein,
Die auf ein Menjchenherze fällt.
Man beachte den mit der Singftimme fano-
nisch geführten Baß, — ein Abbild des uner:
bittlihen, jtarren Schidjals. — Nr. 4 op. 28
„Nebel“: die abmwärtsgehende Anfangsfigur
jcheint auf „das Thal“ zu deuten,
Steigung von gis auf e durch anderthalb Dftaven
bei dem Worte „Berg“ höchſt charakteriſtiſch iſt.
Die weiten Lagen der Accorde fpannen ſich wie |
nebelhafte Schatten über der Scene aus und |
die breite Bewegung der Kantilene ijt völlig
im Einne des Tertinhaltes. — Nr. 6 op. 10:
„Umſonſt“ mit dem durd das ganze Lied pul= |
jierenden a im Baß tft eine Frage, wie ſie das
Menſchenherz jo mannigfach ungelöft in ſich trägt,
— ein Welträtjel.
Nahet man unter dem Gefichtspunfte der
poetischen und mufifalifchen Einheit den Liedern
von Robert franz, dann ijt es, als würde ein |
Licht auf ein Dunfel geworfen, ald würde eine
Scheidewand, die uns bisher von ihnen trennte,
fortgezogen; — je jpecieller man auf den Tert
eingeht, umfomehr Wärme ftrömt uns aus den
Tönen entgegen. Obwohl bereits verjchiedene
Autoren, die eine Charakteriftif von Franz'
Liedern gaben, Liszt, Ambros, Schuiter,
Hüffer, Saran — auf dies Moment hindeute: |
ten, jo jcheint dies immer noch nicht ausreichend
geſchehen zu fein.
fennung begrüßte ich es daher,
„Grenzboten“ (1881 Nr. 27— 28: das deutjche
Lied jeit Rob. Schumann) H. Kretzſchmar aus:
ſprach: „Franz imponiert durch die Meifterfchaft,
mit der er die Dinge in ihrer eigenften Art
iprechen läßt; — — worin ihn niemand über:
trifft, das ijt die energiſche Hingabe an die
Didtung. — Mit Leib und Leben wirft ſich der
Komponift in die Situation, mit einer Feſtigkeit
und Beitimmtheit, welche überwältigt und fort:
jowie die |
Mit um jo größerer Aner: |
als in dem
47
| reißt!“ — Das iſt es! Wer die Schönheit der
| Franzichen Lieder erfaſſen, ſich in fie hineinleben
will, muß zuerſt die Terte jorgfältig ftudieren.
Heutzutage ficht man's leider oft umgekehrt; die
Zingenden beachten nur die Kantilene eines
Liedes, laſſen fi durch den etwa vorhandenen
Reiz derjelben bejtimmen, und richten danach
ihren Vortrag ein, ohne ſich weiter um den In—
halt des Gedichtes zu fümmern.
Robert Franz ftellt ſich uns in feinen Liedern
höchjt eigenartig dar; — manden derjelben ijt
zwar eine gewifje Aehnlichkeit gemeinfam, obſchon
dabei von „Manier“ feine Nede fein kann.
Dergleihen Erſcheinungen erklären ſich aus dem
Vorherrſchen der moll-Tonarten, und aus der
thematifhen Behandlung des Grundmotivs
bald in höheren, bald in tieferen Tonlagen. Man
vergleiche:
„Aus meinen großen Schmerzen.“
„Mädchen mit dem roten Mündchen.“
„Da der Sommer kommen ijt.“
„Abendlich Schon rauſcht der Wald.”
„Weißt du noch.“
„Daß ih an dich dente.*
„sah weiß ja, warum id) jo traurig
bin.“
„An dem Dornbuſch blüht cin Rös—
lein.*
„Derweil id) fchlafend lag.“
„Hör’ id ein Böglein fingen.“
„Wenn fich zwei Derzen jcheiden.“
| u, j. mw.
| Diefen Zug haben diefe Gejänge mit den
altdeutſchen Wolfsliedern gemein; lange Zeit
war ein derartiges Verhältnis Franz ſelbſt un:
bewußt, denn niemals hat er ja bei feinen Kom:
pofitionen refleftiert und Nehnlichkeiten beabſich—
tigt. Einzelne derjelben find ſchlichtweg als
Volkslieder bezeichnet, andere wie in ein alter:
tümliches Koſtüm gekleidet.
op. 23 Nr. 1 „Mei Schägel das hat mi verlafjen.“
op. 23 Nr. 4 ART) weiß ja, warum ich jo traurig
1
5
.11Nr. 4
4
. 16 Nr. 5
2
4
. 20 Nr. 2
2
1
5
in
26 Nr. 2 “In dem Dornbuſch blüht ein Rös—
. 36 Nr. 3 „sobt ihr fie fhon geſehen.“
.40 Nr. 1 „Mein Schag ift auf der Wander:
ſchaft.“
und andere.
Sehr bezeichnend hat Liszt, deſſen hohe und
edle Auffaſſung aus jeder Zeile hervorleuchtet,
welche er über Robert Franz ſchreibt, die Lieder
charakteriſiert: „Der muſikaliſche Kern eines
| jeden Liedes iſt durchweg einfach: eine harmo—
nische, thematische oder deflamatorifche Wendung
op.
32
ee
48
ober Phraſe beitreitet gewöhnlich den ganzen
Verlauf. Sie ift jtets von großer Elaftieität und
er macht es dadurch möglich, den verfchiedenften
Nuancen der Stimmung dienjtbar zu werben.
Die Modulation beftimmt durchſchnitt—
lich die Entwidelung des Gefühls weit
mehr als die Melodie.”
Betrachten wir die Lieder nad) ihrem Inhalt,
dann find es befonders zwei Motive, die wir
muſikaliſch behandelt finden, — Naturftim:
mungen, — und Liebesleid.
Naturlaute finden wir jo zahlreich, in ſolcher
Vertiefung bei feinem anderen Liederfompo-
niften; in dieſer Eigentümlichfeit liegt aber das,
was uns untrennbar an ihn fejlelt. Das Natur:
gefühl ift dem germanischen Stamme angeboten,
es ſteckt ihm, wie man zu fagen pflegt, im Blute;
— ift der Himmel blau, — hangen ſchwarze
Wolken droben, — leuchtet die Sonne, ſenkt fid)
der Abend nieder, murmelt die Quelle, brauft
der Sturm — kurz, es gibt nichts in der Natur,
was nicht in unjerer Seele Wiederhall fände.
Man wird faum eine Färbung des Naturlebens,
die ein Empfinden in uns wachrufen fann, in
den Liedern von Robert Franz vermifjen. —
Mit den Naturbildern verbindet ſich unge:
zwungen das alte, — ewig junge Motiv der
Lyrik, — die Liebe. Frühling und Liebesglüd,
Herbitllage und Liebesſchmerz gehen in der Did):
tung wie im Gefange Hand in Hand. Man höre:
„Im wunderichönen Monat Mai“ Nr. 5 op. 25.
„Wenn der Frühling auf die Berge fteigt* Nr. 6
42
op. 42.
„Die blauen Frühlingsaugen ſchau'n aus dem
Gras hervor“ Nr. 1 op. 20.
„Es iſt mir wie dem kleinen Waldvögelein zu
Mut“ Nr. 2 op. 2).
„Da der Sommer fommen iſt“ Nr. 4 op. 11.
„Die Haide ift braun“ Nr. 6 op. 17.
„Das gelbe Laub erzittert” Nr. 5 op. 31.
„Bor Kälte ift die Luft erſtarrt“ Nr.5 op. 21.
„Aus den Himmelsaugen droben, fallen zitternd
lichte Funfen“ Wr. 3 op. 5.
Nur muß man nicht erwarten, daß Franz
in dem Liebe:
Bor Kälte ift die Luft erjtarrt,
Es kracht der Schnee von meinen Tritten :c.
etwa eine Minterlandichaft mit Schneedächern,
oder in Nr. 5 op. 31 „Abſchied“ das Erzittern
des gelben Laubes nadjgebildet habe, — es gilt
vielmehr, die allgemeine Stimmung des Tertes
muftfalifch zu reproduzieren. Man vergleiche
in diefer Hinficht Nr. 3 op. 40 „unter'm weißen
Wilhelm Waldmann.
Baume jigend" — die anfangs der Minteröde
entjprehend jtarre Begleitung ohne allen mu-
ſikaliſchen Schmud, bis fie fi) mit dem Früh—
lingsmotiv unter Triolenbewegung reicher und
reicher geftaltet. — Scheint am Anfange eines
Liedes die helle Frühlingsfonne und bringt das
Ende Herzeleid, — fo ijt es nicht felten, daß
ſchon der Anfang des Liedes einen ſchmerzlichen
Zug erfennen läßt, gleich einer Wolfe, die ihren
Schatten weit vorauswirft, — fo z.B. Nr. 1
op. 36 das vollendet ſchön fomponierte: Erſter
Verluft „Geftern hielt er mid) im Arme*. —
Wie Franz die mufifaliiche Malerei auffaßt,
dafür ift auch Nr. 4 op. 16 „Abendlich ſchon
rauſcht der Wald“ ein harakteriftifches Beifpiel;
man empfängt den Eindrud des Abendfriedens;
— es wird till in Wald und Feld, die Menfchen-
arbeit ſchweigt — und (wovon im Tert fein
Wort jteht) wie aus weiter Ferne hört man in
der Begleitung die Abendglode des Kirchleins
anfchlagen. — Da ift noch ein merfwürdiges
Stüd: „Altes Lied” op. 39 — voller Malerei
in dem geſchilderten Sinne; man verfolge es,
wie fi die Begleitung zu der in den verſchie—
denen Verſen wiederkehrenden Rantilene je nad)
der Situation ändert: ſchwüle Sommernadt, —
dumpfes Raufchen des Tannenwaldes, — un:
heimlicher Elfentanz, — am Ende Schludzen
und Stöhnen. —
Wie mag es wohl in der Liederjeele Franz
Schuberts ausgejehen haben, deſſen füher Wohl:
laut uns beftridt, wo wir ihm begegnen, — ber
mit Schönheit vergoldet, was er mit Tönen be-
rührt; — den naiven Frohſinn ſeines Sanges
treffen wir in den Liedern von Franz jeltener.
Auch Lieder, wie Nobert Schumanns hohes Lied
der Liebe „Ueber'm Garten durch die Lüfte”
finden fich hier weniger vertreten; — das etwa
Korrejpondierende bei Franz iſt mehr der Aus-
drud des Schnens nad) vollem Liebesglüd.
Ich ſagte es ſchon oben, Franz iſt vornehmlich
der Sänger des Liebesleids. In einer Zeit
nun, wo man das Heiraten am bequemiten durch
Gomptoire bejorgen laſſen fann, werden vielleicht
manche nicht geneigt fein, Robert Franz auf dies
Gebiet zu folgen; wer ein Lieb verloren hat,
nimmt ſich ein anderes, weiter hat man feine
Schmerzen. Wem aber ein Gemüt zu teil ge:
worden, das tiefe Weh nachzufühlen, wer jelbit
den „Dorn“ im Herzen empfand, der wird
jiherlid aus den Liedern unferes Meiſters Mit:
gefühl, Verföhnung und Troſt gewinnen.
Robert franz in feinen Eiedern.
Es ift auf das Ethifche in diefen Gefängen
bingewiejen worden; freilich finnlich pridelnde
Erregung der Nerven darf man ſchwerlich von
ihnen erwarten, das ift aud) nicht ihr Zwed, ob:
wohl fie an der rechten Stelle fo ſüß klingen,
wie die irgend eines Komponiſten. Man muß
nur bei dem Worte „ethifch” nicht, wie viele es
thun, an etwas Moralifierendes denken; es be:
deutet hier nur, die Schönheitsgejege in der
Kunft zur Anwendung gebracht zu jehen, welche
jeit Jahrhunderten maßgebend waren; folder
Schönheit folgt ftets eine Erhebung, eine Läu-
terung des Hörenden, des Beichauenden. —
H. Schuſter in feiner Brofchüre ſieht denn auch
den Grund der ethifchen Bedeutung von Franz’
Liedern in ihrer hohen Schönheit und darin, dafs
fie uns ein wahres Abbild des Empfindens
geben. Saran, der auf jenen ſchmerzlichen Zug
hinweist, wie er jedem auffällig werben muß, der
fich mit dieſen Rompofitionen befchäftigt, — und
der jelbit in den Liedern heiteren Inhalts nicht zu
fehlen pflegt, äußert ſich ähnlich: „Ueberhaupt
trägt das Franzſche Lied jenen Zug der Nefig-
nation an fih, den wir an den edelſten Volks—
liedern wahrnehmen; wenn man will, etiwas von
jenem „Weltſchmerz“, der das charakteriftifche
Gepräge aller neueren Lyrik fein dürfte, Er ift
aber bei ihm ohne jegliche barode Verzerrung,
ohne jegliche heuzutage fo beliebte krankhafte
Selbjtbeipiegelung, — vielmehr ein reiner treuer
Ausdrud der tiefen Sehnſucht nad dem
Idealen, die jedes Menfchenherz durchdringt.
— Hierin liegt, wie mit Recht hervorgehoben
worden tt, die hohe ethische Bedeutung der
Franzichen Lieder.” —
Ich ſprach von Liebestrennung, Liebesleid,
:groll, =zorn, und wir haben bereits Lieder diefes
Inhalts fennen gelernt, man braucht danad) nur
die Hefte aufzufchlagen: „Vergeſſen“ Nr. 10
op. 5. — „Wajlerfahrt“ Nr. 2 op. 9. — „Du
hajt mid verlaſſen, Jamie“ Nr. 6 op. 4. —
„An die Wolfe“ Nr. 6 op. 30. — „m Herbſt“
Nr. 6 op. 17. — „Mit ſchwarzen Segeln jegelt
mein Schiff” Nr. 6 op. 18. — „Verfehlte Liebe,
verfehltes Leben“ Nr. 3 op. 20. — „Die Liebe
hat gelogen” Nr. 4 op. 6. — „Na, du bift
elend” Ar. 6 op. 7. — „Erſter Verluſt“ Nr. 1
op. 36. — „Will über Nadıt wohl durch das
Thal” Nr. 4 op. 5 u. a. — Ein tiefes Weh ift
hier verborgen, und bei der Wahrheit des Aus:
drudes deſſen, was fie wiederipiegeln, erweden
fie in uns das edelſte und reinjte Mitempfinden.
49
— Welch verſchiedene Phaſen laſſen fie uns
durchſchauen: bald iſt es völlige Dede — bald
ein wehmütiges Erinnern an eine frühere glück—
liche Zeit — bald iſt die Liebe ohne Hoffnung
— bald ein Ausruf höchſten Schmerzes. —
— Das bereits geſchilderte Lied „An die Wolke“
ſtellt den Zorn des Liebenden der Untreue der
Geliebten gegenüber dar: er ruft Donner und
Blitz auf ala Mahner des verübten Unrechts.
Wie verfchieden ift Schumanns „ch grolle nicht“
von dem verwandten „Ja du bift elend“ von
Rob. Franz! Aus dem Liede Schumanns jcheint
Verzeihen und Mitleid hervorzutönen, daher eine
leidvenschaftlihe Bewegung der Melodie und
Harmonie; das Franzſche Lied dagegen atmet
dämoniſche Kälte.
Lieder des Liebefehnens, Scenen des Hof:
fens, des Glüdes finden wir in: „Du liebes Auge
willſt dich tauchen,“ Nr. 1 op. 16. — „Ständ:
hen“ Nr. 2 op. 17. — „An ihren bunten Liedern
Hettert die Lerhe empor” Nr. 4 op. 21. —
„Im wunderfchönen Monat Mai” Nr.5 op. 25.
— zn dem herrlichen „O jäh' ich auf der Heide
dort“ Nr. 5 op. 1. — „Frühlingsgedränge”
Nr.5 op. T — in „Die Harrende” Nr. 1 op. 35
— indem zartichelmijchen „Frühling und Liebe“
Nr. 3 op. 2 — in dem frifchen „Waldfahrt”
Nr. 3op.14 — in dem leidenjhaftlihen „Wie
ſehr ich dein, joll ich dir jagen“ Nr. 6 op. 14
— in dem vielgefungenen „Stille Sicherheit“
Nr. 2 op. 10 u. ſ. w.
Außer den geichilderten bieten ſich noch viele
Lieder anderen Inhaltes, 3. B. das munter
humoriftiihe Nr. 3 op. 18: „Nun hat das Leid
ein Ende” — Nr. 6 op. 36 „Nun hat mein
Steden gute Raſt“ und das reizende Nr. 3
op. 36 „Habt ihr fie fchon gejehen, fie, meinen
Schatz“ u. a. m.
Es ſei mir geftattet, noch einiger Punkte Er:
wähnung zu thun. Liszt hat in feiner Brojchüre
auf Franz’ Verhalten den verjchiedenen Dichtern
gegenüber hingewiejen ; Heine, Oſterwald, Yenau,
Burns, Eichendorff, Geibel, Möride und Goethe
find die vorzugsweise behandelten. nterejjant
it es nun zu beobachten, wie der Kompontft die
eigenfte Art der Dichter wiederzugeben verfteht;
das Perjönliche, was diefe ihren Gedichten un:
bewußt mitteilen, was fie in diefelben gleichſam
hineingehaucht haben, fpiegelt ſich ebenfalls in
den Kompofitionen unferes Künftlers wieder.
Man nehme das Goetheheft op. 33; gleich die
erite Nummer: „Irodnet nicht, trodnet nicht,
‘
50 Wilhelm Waldmann.
Robert Franz in feinen £iedern.
Thränen der ewigen Liebe” — mie wunderbar | habe? — Gott behüte, — man geht ftets den:
aufgefaßt ift das Lied, in prägnanter Form vieles
fagend, ganz der vornehmen Art Goethes ent:
iprehend! Und gibt es anmutigere Lieder als
Nr. 2 und Nr. 3? Wie anders dagegen die
Behandlung der Heinefhen Terte! — Das
Schmerzli-Hingebende, das Nedifch:Anmutige
in Formen gekleidet, die Heine fo harafteriftiich
von den übrigen Dichtern unterfcheiden, finden
auch in der Mufif unferes Komponiften den be:
redteſten Ausdrud. — Und wieder Eichendorff:
ſche Stoffe, z. B. „Meeresftille” in op. 8: das
ift nicht mehr des Tages Licht und Leben —
fondern eine Traum: und Märchenwelt, die uns
umflutet!
Das Verhältnis der Gefänge von Franz zum
deutichen Volksliede hat Saran Hargeftellt. Es
liegen nun noch Terte, fremden Litteraturen ent:
nommen, vor. Lieder von Burns finden wir
vielfach; komponiert, fodann böhmiſche, ſlaviſche,
ruffiihe Motive, ein Tert aus Krain u. a., und
es iſt wohl der Mühe wert, zu unterfudhen, ob
der Komponiſt aud hier Charakteriftifch-Natio:
naleö gegeben habe. Man fehe fich das Goethe:
ihe „Schweizerlied“ Nr.5 op. 33 darauf an;
— ebenfo Nr. 5 op. 40 „Ad ihr Wälder,
dunfle Wälder” und, worauf ich noch befonders
hinweiſe — Nr. 4 op. 14 „Hatte Liebchen
zwei“ (ungariih) und Nr. 6 op. 49 „Nor:
wegiſche Frühlingsnacht.“
Noch ein Wort vom Konzertvortrage. — Un:
längjt hörte ich die Behauptung aufitellen, Franz’
Lieder jeien ihrer ganzen Art nad) im Haufe an
ihrem Plate, für den öffentlichen Vortrag möchten
ſich nur wenige eignen. Allerdings zeigen fie eine
ſolche Wahrheit und Innerlichkeit des Gefühles,
daß der Eingende durch den Vortrag felbit zu
Stimmungen fortgerifjen wird, die man lieber
einem engeren Kreiſe, als einem größeren Publi—
fum gegenüber ausfpriht. Doch jo eng be:
grenzt ift der Kreis der „Konzertlieder“ nicht.
Aber hier hat man wieder einmal Gelegenheit
zu fehen, wie ſchwerfällig und kurzſichtig unfer
Blick zu fein pflegt. Wird öffentlich ein Franz—
iches Lied gefungen, jo hört man immer und
immer wieder: „O danke nicht für diefe Lieder“
— „Er ift gefommen in Sturm und Regen” —
— „Die Heide ift braun“ — „Die Höh'n und
Wälder fteigen“ ; — es läge doc) nahe zu fragen,
ob nicht ein Komponift, der jo Herrliches diefer
Art aefhaffen, noch Achnliches uns gefchenkt
jelben betretenen Pfad, ohne einen Blid nad)
rechts und links zu thun, und Schätze bleiben
ungefannt liegen.
Es würde leicht fein, eine erhebliche An:
zahl für den Konzertvortrag vollkommen geeig-
neter Yieder auszuwählen. —
Mer Robert Franz in feinen Kompofitionen
fennen lernen will, darf nicht nad dem einen
oder anderen Liede urteilen wollen, — man muß
jih vielmehr eine Zeitlang eingehend mit den:
jelben beichäftigen, ganz von felbjt gewinnt man
dann das Verjtändnis für die Tiefe und Innig—
feit der mufifaliihen Empfindung, die in den:
felben liegt. Man lafje die Mühe, welche etwa
die Begleitungen bieten, fein Hindernis fein;
eben durd fie find diefe Lieder Kunſtwerke.
Begleitung und Singjtimme ergänzen fich; ift
eritere der muſikaliſche Ausdrud der Situation,
fo jpricht letztere die Stimmung aus, die ſich der
Situation bewußt wird. Auch Klavieripieler
finden hier hohen Genuß, denn die meijten
Begleitungen tragen die Gejangsmelodie in fich,
und in Liedern, wo dies weniger hervortritt, läßt
fie ſich leicht ergänzen.
Man will die Beobachtung gemacht haben,
daf die Gefänge von Robert Franz in den letzten
Jahren befonders in den mittleren und Hleineren
Provinzialftädten am meiften gefungen werden;
ich möchte unjerem Volke dazu gratulieren, aus
den Provinzen jtrömt frisches, verjüngendes Blut
nad) den großen Centralorten.
Es ift eine befannte Thatjache, daß unfere
Nachbarn gewöhnlich das als Schwäche aus:
legen, mas fie jelbjt entbehren — und fo wird
uns Deutfchen der Idealismus oftmals vor-
gehalten. Ohne ihn würden wir doch nicht
Deutſche fein; — wehe der Beriode, in der wir
uns feiner entfleidet haben. — Für das Wolf ift
eben das bejte gut und der Jdealismus der
Franzſchen Lieder gehört zu dem beiten,
was wir befigen. Man muß nur von Mufik fid)
nicht bloß anregen lafjen wollen, man muß ihr
auch etwas aus ſich entgegenbringen, dann ſchenkt
fie doppelt wieder, was man ihr gab.
Empfindungen, von denen fie gar nicht
ahnen, daß fie in ihnen jchlummerten, gehen
allen verloren, welche die Lieder von Robert
Franz ignorieren. Muſik kann das Edelfte im
Menſchen weden, und dies thun im wahren
Sinne die von uns darakterifierten Gefänge!
Wilhelm £aufer. Ein unheimlicher Neifebegleiter,
51
Sin unheimlider Reiſebegleiter.
Von
Bilhelm Saufer.
ie haben dieſen ganzen Faſching
hindurch fajt jede Nacht getanzt
| und ſtatt vernünftigermeife
durch einen langen Tagesjchlaf
fih zu erfrifchen, haben Site
ihren Ehrgeiz darein gejeht,
des Morgens immer der erſte im Amte zu fein
und bei der Arbeit zu bleiben, bis die Stunde
da war, von neuem den rad und die tauben:
grauen Handihuhe anzuziehen. Sie wollten nicht
hinter ihren fpiegbürgerlichen Kollegen, die doch
ſchon vor zehn Uhr abends, um nicht ihrem Haus:
meifter den Sperrjechjer zahlen zu müſſen, nad)
Haus und zu Bett gehen und nicht hinter unferer
goldenen Tugend zurüdjtehen, die doh nad)
durdhtanzter Nacht bis zum hellen Mittag die
Federn nicht verläßt und fi dann durch eine
mehrftündige Fahrt im Prater zuneuen Leiſtungen
jtärft. Die Bellemmungen auf der Bruft, über
die Sieflagen, das Herzllopfen, das ſich für einen
ſonſt kräftigen Menjchen wie Sie jo wenig ſchickt,
rührt nur von diefer Lebensweiſe her. Da gibt
es nur ein Mittel, rafch und ganz zu genejen:
Verreifen Sie, reifen Sie nad) Italien, reifen
Sie allein, vermeiden Sie jede Gelegenheit, jede
Geſellſchaft, die Sie aufregen könnte.“
Alfo ſprach mein würdiger Freund und Arzt.
Ich gab ihm recht wie immer, fehr froh, daß er
mir feine Arznei und befondere Diät verfchrieb,
padte ein und ſaß am anderen Morgen bereits |
im Schnellzug nach Venedig. Für Geld und gute
Morte lieg mich der Schaffner ganz allein im
Wagen. Ungeftört fonnte ich mich dem Wonne—
gefühl hingeben, das mid) jtets ergreift, wenn |
ih nad längerer Sehhaftigleit wieder in die
weite Welt hinausfahre. Das Puſten der Lofo-
motive und das Knirſchen der Räder wandelt
fih in meinen Ohren zu melodifchen Tönen, dem |
fi) Tange vergefjene Jugendlieder, die mir in |
den Sinn und auf die Lippen famen, unmill: |
fürlih anpaften. Wien lag noch feine Stunde
Fahrzeit hinter mir, jo überrajchte ich mich ſelbſt
| dur das Singen des Verſes: „Federleicht ift
mein Gepäde und mein Mut jo jung und friſch.“
Meine Genefung war offenbar ſchon auf gutem
| Wege.
* *
*
Ein Nachwinter mit reichlichem Schnee hatte
die bereits grünenden Wieſenthäler und die
tannendunkeln Höhen des Semmering wieder in
ein weiß ſchimmerndes Gewand gehüllt; nur
hier und dort lugte, wie ein ſüßes Verſprechen,
an Büſchen und Bäumen freundliche Frühlings—
farbe unter dem überhängenden Schneedache
| hervor. Der fühle Hauch, der die Nerven jtärfend
| zum halb geöffneten Wagenfenfter hereindrang,
| wid, als die Höhe des Gebirges überfchritten
war, wohlthuender Sonnenwärme, und in lachen:
dem Lenzesſchmuck grünte und blühte Flur und
Feld der herrlihen Steiermarf. Der Süden
‚ begann bier feine reihen Schätze zu entfalten,
während in den zadigen Gebirgäformen, den
erniten Tannenmwäldern, welde den Horizont
begrenzten, und den zahllofen Flüffenund Bächen,
welche thalwärts eilten, noch der Charakter der
nordiihen Landſchaft fortlebte.e Das immer
wechſelnde Schaufpiel fejfelte Auge und Sinn,
bis die untergehende Sonne und die falte Abend:
luft gebot, fi für die Nadhtfahrt im Wagen
häuslich einzurichten. Mit einem Hunger, dejjen
jich mein durch feine Soupers verdorbener Magen
ſeit geraumer Zeit entwöhnt hatte, verzehrte ich
dad mitgenommene „NReijebrot“, tranf ein
Fläſchchen Bordeaur aus, widelte mich in meinen
Pelzmantel, um, von Cigarren träumend, deren
| Genuß mir der Arzt verboten, einzufchlafen.
So gut follte es mir freilich nicht fobald wer:
‚ den. Kaum hatte ih die Augen geſchloſſen, jo
traf mein Ohr ein ſeltſames Geräufch, zuerft von
fernher ein Pfeifen und Ziſchen, wie wenn der
Wind fih in den Schlöten der Häufer fängt,
dann näher und näher fommend ein Saufen und
Braufen und Knirfchen, wie von einem Orkan,
52
der einen Urwald niederlegt, ein Rollen nieder:
ftürgenden Gefteins, das Krachen zufammen:
brechenderTelegraphenftangen ;und endlich ſchlägt
der wilde Sturm, Die aus denfahlen Felsihluchten
des Karjtes hervorstürzende Bora, mit Rieſen—
gewalt an den Eifenbahnzug, wie wenn fie ihn
in die Schwarze Tiefe hinabreigen wollte. Wie
mit den Kräften der Verzweiflung arbeitet fi)
die jtöhnende Yofomotive noch langjam vorwärts,
die Wagen drohen fi) unter dem Windesanprall
zu heben und zur Seite zu neigen, ihre Wände
erzittern, ihre Fenster, von daherfliegenden Kieſeln
und Erdſtücken gepeiticht, rafjeln, wie wenn fie
in Stüde gehen wollten; ein eifiger Hauch dringt
durch alle Riten ein, läßt die Vorhängchen empor:
flattern wie Fahnen in freier Luft und durch—
fältet mid) troß der Pelzhülle bis auf das Mark
der Knochen. Stundenlang tobte das Unmetter.
Da ich, aber niemand bei mir hatte, für den ich
zu bangen gehabt hätte, fo war ich im Grunde
nur verdrießlich darüber, daß dasjelbe mid) jo
lange verhinderte, auch noch die legte Probe
meiner beginnenden Genefung zu machen und
mich endlich einmal wieder, worauf ich durd) die
Tagesreife mic) fo gut vorbereitet glaubte, gründ:
lich auszufchlafen. Ich wußte mich ſchon auf
italieniſchem Boden, als endlich ein leichter
Schlummer über mid fam. Es war fünf Uhr
morgens vorbei, da blieb unfer Zug ftehen ; ich
erwachte, wir waren in Venedig angefommen.
= *
*
Die Wagenthüre ging auf und ein Herr,
den Hut in der Hand, fragte mich, mit einer
tiefen Verbeugung in der Sprache Dantes:
„Habe ich die Ehre, mit Herrn... zu ſprechen,
der ein Quartier im Gafthof ... am Canal
Grande bejtellt hat?“ Auf mein ‚ja neue, nod)
tiefere Berbeugung : „Wollen Sie nur die Gnade
haben, mir Ihren Gepädjchein zu geben und hier
in die Gondel fteigen, die für Sie bereit liegt.“
Entzüdt, allen Aufregungen, ragen und allem
Lärm entronnen zu fein, die ſonſt auf den An:
kömmling einftürmen, legte ich mich auf die Polſter
der Gondel und freute mid) über die ſchmucke
Geſtalt des Gondeliers, der mid) mit einem
füßen Lächeln grüßte, als wolle er mic) zu einer
Inſel der Seligen führen. Zwei Minuten darauf
ihwammen wir bereits geräuſchlos über das
dunkle Wafjer der Laqunen dahin. Die ganze |
Stadt war nod in tiefen Schlaf verfunfen.
Einzelne Gaslaternen warfen ein ſchwankes Licht
Wilhelm Laufer.
auf die Kanäle, durd) welche unſere Gondel glitt,
feine Begegnung, fein Ton ftörte die märchen—
hafte Stille, bis wir an dem Hleinen, zierlichen
Palajte Iandeten, der erſt feit wenigen Wochen
ı zum Gajthofumgewandelt war. Mie die Außen:
jeite, jo gli aud noch das Innere mehr dem
behaglichen Heim eines reichen Patriziers der
Vorzeit alö einer Herberge für alle Welt. Eine
eigene Feine Treppe führte mich zu der nad)
‚ allen Seiten abgejchlofienen Mezzaninwohnung,
ı die für mich bejtimmt war. In dem fchönen
Marmorfamine meines Zimmers fladerte ein
luftiges Feuer, unter meinem Fenſter wiegte
fih die Gondel, die mich hergetragen und die
der Nuderer, um mir zu jeder Stunde zur Ber:
fügung zu ftehen, eben an einem Pfahl feitge:
bunden hatte. Alles atmete hier Wohlbehagen,
Stille und Nuhe. Ein ſeit lange nicht mehr ge:
fanntes Gefühl wohligen Ermattens überfam
mid) und ich fanf aufs neue in den Schlaf des
Gerechten, nachdem ich faum die Vorhänge rings
um mein Bett zugezogen hatte. Als ich wiederum
erwachte, ſchien bereits die helle Sonne in meine
Stube herein; von meinem Lager aus konnte ich
auf die jchöne große Kuppel von Santa Maria
della Salute hinüberſchauen, und wie eine Ein:
ladung zu ſüßem Weiterträumen ließen fich
Glockentöne von mandem nahen und fernen
Kirchturme vernehmen. Wie in einem Zauber:
reiche, wo ewiger Friede herricht, flojjen mir
unmerflid die Stunden und Tage hin, ob id)
nun im Fenſter liegend dem Hin: und Herfahren
von taufend Barfen auf dem großen Kanal zu:
ſchaute, oder mich um die Mittagszeit nad) dem
Lido hinaus rudern ließ, oder ziellos durd) die
Lagunen am Fuße herrlicher Paläfte oder an den
Hütten der armen Stadtviertel vorüberfuhr, oder
den Marfusplaß auf und ab wandelte, oder mid)
in einer Kirche oder Galerie in das Anfchauen
eines Gemäldes verlor. Ein Brief meines ärzt:
lichen Freundes aus Wien erinnerte mid) endlid)
wieder daran, daß ich mein Befinden zu prüfen
habe. Ich hatte dies — das bejte Zeichen meiner
völligen Genefung — lange ganz vergejlen. In
meiner Antwort fonnte ich mitteilen, daß ich mich
wieder friſch und fräftig fühle wie vor langen
Jahren, da ich Italien zum Zwed von Forſchungen
über altchriftlihe Kunſt durchreifte, und daß ich
beabjichtigte, nachdem ich einmal längeren Urlaub
genommen, mich jet nad) Herzenslust aufmeinem
alten Stedenpferde zu tummeln. Als nächite
Briefitation gab ich ihm Bologna an.
|
|
|
|
Ein unheimlicher Reifebegleiter.
Gemifienhafter als während des dolce far
niente in Venedig erfüllte ich in Bologna die
Pflichten des Reifenden. Vom Morgen bis zum
Abend durdjitreifte ich die ehrwürdigen, alten
Gaſſen der Stadt, die Kirchen, Paläſte und Ge:
mäldefammlungen, endlic die berühmten Fried—
höfe und Klöfter der Umgegend. Sn der frifchen
Luft, die von den Apenninen herüberwehte, er:
wachte meine alte Luft zum Fußwandern und
Bergfteigen. Das ärztliche Verbot gewaltjamer
Anftrengung fonnte nicht für übertreten gelten,
wenn id) den faum eine Stunde entfernten Monte
della‘ Guardia zu der herrlichen Wallfahrtsfirche
Madonna di ©. Luca hinanftieg. Gern ließ
ich meinen bequemen Führer am Fuß der engen
Treppe zurüd, auf der man zum Dach der Kirche
gelangt. Ich mochte jchon geraume Zeit in dem
jtillen Genufje der wundervollen Ausficht ge:
ihmelgt haben, die fich auf diefer gefährlichen
Höhe von den Apenninen bis hinüber zum Adria:
tiichen Meer eröffnet. Da ftörten mich plößlich
Schritte aus meinen Träumen auf; eine hohe
Mannögeftalt trat aus der Treppenthüre auf
das Dad heraus und näherte fi dem Nande
über der jchwindelnden Höhe. Noch die Breite
eines Zolls — und der Fremde, defjen Mantel
ſchon im Winde über den Nand hinausflatterte,
ſtürzte rettungslos in die Tiefe; halb aus Ent:
jegen, halb aus Zorn ftieh ich ein „Donner:
wetter!” aus und fahte nad feinem Mantel:
zipfel. Mit gleichgültiger Ruhe drehte jich die
Geftalt um und ich fchaute in ein tiefernites,
bleiches Gefiht. Wie traumverloren ruhten die
Augen des Mannes furze Zeit auf mir, dann
griff er, als bejänne er fich, nad feinem Hute,
ſprach ein deutjches „Danke“, dem, wenn id)
53
legten Abenden durd) das Leſen von Zeitungen
auf die Stunde des Bettgehens vorbereitet hatte.
Mein gewohnter Sit war nicht mehr frei; ich
hatte meinen Unbefannten vom Dache wieder
vor mir. Derjelbe erhob ſich raſch mit welt:
männtfchem Anftande, frug mich mit verbindlichen
Lächeln, ob er mid) vielleicht eines lieben Stamm:
plates beraubt habe, entjchuldigte fich dann viel:
mals, daß er vorhin nur fo knapp für den von
mir gezeigten guten Willen gedankt habe; er ſei
jedoch ſchwindelfrei wie ein Schieferdeder, mir
aber nichts dejto weniger für meine Dazwiſchen—
funft jehr verbunden. Ein Wort gab das andere,
wir machten gegenjeitig Bekanntſchaft. Er war
Ruſſe, machte feine erjte Reife in Italien, halb
zum Vergnügen, halb um kunſtgeſchichtlicher
Forfhungen willen. Es traf fich herrlich: auch
er beichäftigte ſich vorzugsweiſe mit altchrijtlicher
Kunft. Die byzantinischen Ueberlieferungen in
der Kirche feines Waterlandes hatte er gründlich
unterfucdht und zu diefem Zwecke bereits auch
glückliche Forſchungsreiſen nad Konftantinopel,
durch Kleinafien und Syrien gemadt. Jetzt
waren diealten KunjtdenfmälerHoms fein Haupt:
ziel; er hatte aber heute einen Brief aus Ra—
venna erhalten, der ihn benadprichtigte, man fei
gerade im Maufoleum der Galla Placidia auf
eine bisher verichüttete Moſaik geſtoßen, die ohne
Zweifel aus dem fünften Jahrhundert ftamme.
Morgen früh mit dem erſten Zuge wollte er dahin
fahren; ob ich mich vielleicht anfchliegen wolle?
Wie wäre es möglich geweſen, eine foliebens:
würdige Einladung auszufchlagen, eine jo herr:
liche Gelegenheit zu verfäumen? Meine Zufage,
ihn zu begleiten, erfüllte ihm fichtlich mit der
größten Freude.
recht hörte, noch der Ton eines Seufzers folgte,
und begann, als hätte er da oben nicht gefunden,
was er ſuchte, raſch wieder die Treppe hinab—
auf meinem luftigen Sitze. Meine ruhige Stim—
mung wollte ſich nicht wieder finden. Die ſelt—
ſame Erſcheinung hatte mich aufgeregt und ver—
gebens ſuchte ich die immer neu ſich aufdrängende
Frage niederzudrücken, wer dieſer Fremde ſei
und ob derſelbe ſoeben bei vollem Bewußtſein
mit ſeinem Leben geſpielt habe.
Ich kam an dieſem Abend ſpäter als gewöhn—
lich in meinen Gaſthof zurück. In dem prächtigen
Speiſeſaale war ſchon ein Teil der Lichter aus—
gelöſcht. Ich ging auf die noch hell erleuchtete,
behagliche Ede zu, in welcher ich mich an den
|
1
t
„Bon Ravenna fahren wir
dann,” ſagte er, „zufammen nad Rom und
durchforfchen miteinander die Katalomben; ein
' Landsmann, an den ich Empfehlungen habe,
zufteigen. Auch mic litt es nicht mehr lange |
ein Kunftfreund und Bildhauer, wirddort unjeren
Gicerone machen.” Auch die Ausficht auf ein fo
‚ langes Zufammenfein und auf noch weiteren
geſellſchaftlichen Zuwachs hatte nichts Unan—
genehmes mehr für mich. Wir ließen ein paar
Flaſchen Chianti kommen und tranken auf eine
glückliche gemeinſchaftliche Reiſe.
Mitternacht war bereits herangerückt. Der
Ruſſe ſchien mich aber durch verdoppelte Liebens—
würdigkeit und Geſprächigkeit vom Schlafen—
gehen abhalten zu wollen. Als ich zuerſt vom
Aufbrechen ſprach, ſcherzte er, ich ſei kein echter
Deutſcher, daß ich mich vor einem ſo leichten
54 Wilhelm £aufer,
Weine, wie der Chianti, fürdte. Dabei jchien
er zuvergeilen, daß er mir faft allein das Trinfen
überlajjen hatte. Endlich fagte ich ihm, ich müßte
es als ein ungünftiges Vorzeichen für unjeren
gemeinſchaftlichen NReifeplan betradhten, wenn
wir damit begännen, unjeren erften Zug zu ver:
ſchlafen. Dffenbar etwas verjtimmt erhob er
ſich endlich. Der Kellner fchritt uns jchlaftrunfen
mit zwei Kerzen auf der breiten Steintreppe
voran, um uns nad unjeren beiden Zimmern,
die nebeneinander lagen, zu leuchten. Die
Treppe — ein jeder Bejucher Boloanas fennt
fie — hat in der Mitte einen breiten Abſatz;
antife Sarlophage, Gedenktafeln, Büften find
von dem früheren Funftliebenden Palaſtherrn
längs der Mauer aufgeftellt. So oft ich die
Stelle betrat, war es mir fait, als jchritte ich
dur einen verlaffenen Tempel. Die Lichter
des Kellners, der ſchon auf der Höhe der Treppe
angelangt war, warfen nur einen ſchwachen,
zitternden Schein herab; bloß die weißen Marmor:
büjten und Sarfophage trogten dem Dunfel, das
uns zu umbüllen begann. Da unterbrach plötzlich
der Ruſſe das Schweigen, indem er mich mit
der Hand am Arme faßte, fein Geſicht ganz dem
meinigen näherte und mich fragte: „Tragen Sie
auch Piſtolen bei ſich?“ — „Nein, wozu aud) ?*
antwortete ich kurz. — „O,“ fagte er in düſterem
Tone, „man weiß nie, was einem begegnen fann;
jehen Sie, dies trage ic Tag und Nacht bei
mir.“ Damit zeigte er mir einen Revolver, den
der herzugetretene Kellner mit größerer Auf:
merkſamkeit als ich betrachtete. Einem Verſuch
meines Nachbars, unter meiner Thüre eine neue
Unterhaltung anzufnüpfen, wich ich aus.
Solange ich mich ausfleidete und die Vorbe:
reitungen zur morgigen Abfahrt traf, wollte mir
die jeltfame Frage und der Ton, in dem fie ge:
iprochen worden, nicht aus dem Kopfe. Mein
Nadıbar war offenbar ein jonderbarer Menſch.
Was hatte er jetzt noch, jtatt fih zur Ruhe zu
begeben, mit großen Schritten in feinem Zimmer
auf und ab zu gehen und halblaut mit fich felbit |
zu Sprechen? Dies beſchäftigte mich, ſolange ich
noch die Augen offen hatte. Eine Stunde etwa
mochte ich aeichlafen haben, da hörte ich meinen
Nachbar an die Zwilchenthüre pochen und mehr:
mals dringend meinen Namen rufen. ch ſprang
aus dem Bette und riegelte die Thüre auf. „Was
it ihnen? find Sie unwohl?* war meine Frage |
an den Ruſſen, der, feine fait herabgebrannte
Kerze in der Hand, Todesbläffe im Geficht, mit ' Beweifen, mit Gründen, die er aus Di
unheimlich glänzenden, weit aufgerifjenen Augen
mid) anftarrte. „Mir fehlt nichts,” antwortete
er, offenbar bemüht, in feine Stimme mehr Ruhe
zu legen, als er wirklich beſaß; „aber haben Sie
denn bei dem entjeßlichen Geräufche ſchlafen kön—
nen, das der Sturm in den Gängen und Kami—
nen und an den Fenfterläden verurfaht; mar
fünnte glauben, der jüngfte Tag breche an.“ Ich
wünjchte innerlich den Störer in das Land, wo
der Pfeffer wächſt. Er ſchien durch meine Ver:
fiherung, daß ich nichts gehört habe und auch
jest nichts höre, zwar nicht überrajcht zu fein ;
aber, meinte er, nachdem er mich f hon aufgeweckt
habe, werde es mir wohl nichts ausmachen, wenn
er den Reſt der Nacht vollends auf meinem Zim—
mer zubringe; es werde dann ohnedies um fo
ficherer derjenige, der zuerst aufwache, den anderen
rechtzeitig weden können. Wohl oder übel mußte
ich zufehen, wie er fich auf meinem Sofa aus:
ſtreckte. Dort war er bald in tiefen Schlaf ge-
junfen, während mic) lange der Eindrud dieſes
jeltfamen Auftrittes nicht zur Ruhe fommen ließ.
* *
*
Faſt rührend waren die liebenswürdigen Auf—
merkſamkeiten, womit am Morgen mein Reiſebe—
gleiter mich die Unannehmlichkeiten dieſer Nacht
vergeſſen zu machen ſuchte. Wie im Fluge legten
wir plaudernd die Fahrt nach Ravenna zurück.
Welches reiche Wiſſen, einen wie klaren Verſtand,
eine wie reiche Einbildungskraft, welche Gabe zu
erzählen, zu ſchildern, zu ſcherzen entfaltete mein
Genoſſe! Unſer erſter Gang vom Bahnhofe war
zum Mauſoleum. Es waren eben einige Alter:
tumsforfher aus der Stadt und der Nachbar:
ihaft da, um den Wert des neuen Fundes zu
prüfen. Die Navennaten waren alle von der
Ueberzeugung durhdrungen, die Mſaik rühre
aus der Zeit, da die Tochter Theodofius’ des Oro:
ben die Kirche, die jett den Namen S. Nazarto
e Celſo trägt, gegründet. Ihre Kollegen von aus:
wärts wollten nicht ohne weiteres beiftimmen ;
Kirchturm: Batriotismus und Wiſſenſchaft ent-
brannten in heftiger Fehde; an die Stelle der
Gründe traten bald gegenfeitige Vorwürfe und
nun, als es jtille geworden, mit fo znfpingenden
Funds
Ein unheimlicher Neifebegleiter.
orte jelbjt, aus dem Material des Wertes, aus
der Ausführung desfelben in feinen Einzelheiten
jchöpfte, den viel jpäteren Urſprung diefer Moſaik
dar, daß ihm ſchließlich alle, Die Ravennaten nicht
ohne Schmerz, recht geben mußten. Die ganze
Geſellſchaft ſchloß fih uns bei der Befichtigung
aller übrigen Sehenswürdigfeiten der Stadt an;
und mit einem Xiebesmahl, das bis in die fpäten
Nachtſtunden dauerte und das den über dem
Grabe einer jchönen Hoffnung Ravennas ge:
ſchloſſenen Frieden befiegelte, endigte der genuß—
reiche Tag, den ich meinem Neifebegleiter dankte.
Inzwiſchen hatten wir ganz vergefien, uns
nad) einem Quartiere für die Nacht umzuſchauen;
es war zu jpät geworden, noch unfer Gepäd vom
Bahnhofe draußen hereinzuholen, und fo ent:
ſchloſſen wir uns furzwegs, inden nächſten beften
Gaſthof einzutreten. Allzufreundlich jah es da
freilich nicht aus; die Wirtsleute felber und die |
paar Gäſte, die nod) bei trübem Lampenſchein im
unteren Naume faßen, flößten uns wenig Ber: |
trauen ein; allein wir blieben doch, nachdem wir
\
|
einmal die holperige Treppe hinaufgeftolpert und
in zwei leidlich Hergerichtete, aneinander ſtoßende
Stübchen geführt waren. Erft ala der Wirt ſich
wieder entfernt hatte, bemerften wir, daß an der
CEingangsthüre fein Schloß war. So leicht woll: |
ten wir e8 denn doch nächtlichen Einbrechern nicht
machen; unter Yachen und Scherzen rüdten wir
einen Tiſch und ein paar Stühle an die Thüre;
lange noch, nachdem ſich der Ruſſe im vorderen,
ich im hinteren Zimmer mich niedergelegt, ſpann
ſich unfer fröhliches, lautes Zwiegejpräd) fort.
Endlich machte die Natur ihre Nechte an mich
geltend, nur wie im Traum hörte und erwiderte
id) noch manchmal die Worte meines Nachbars.
Ich mußte längſt Schon eingefchlafen fein, da
ihredte mich mit einemmal ein unheimlider |
Ton auf, der aus einer anderen Welt zu lommen |
ſchien, ein Stöhnen, wie es fih nur einer mit
Todesqualen fämpfenden Menfchenbruft entringt,
und zugleich traf mein Auge das Licht der Kerze,
die immer noch das andere Zimmer erhellte. In
einem Nu war id von meinem Lager auf, um |
nad) dem Ruſſen zu jehen.
requngslos auf der Thürſchwelle jtehen bei
dem eıttjeglichen Anblid, der fich mir bot. Auf:
Ich blieb jedoch
recht jaß der Mann in feinem Bette, geifter: |
bleih war jein Antlitz, und wie auf ein verſtei—
nerndes Medujenhaupt ftarrten feine aus den |
Höhlen herausgetriebenen Mugen auf die Mün—
55
den beiden Händen entgegenhielt. Durch mein
Hirn ſchoß mit Bligesfchnelle die peinliche Er-
innerung an das, was in Bologna vorgefallen
war, jowie das lichte Bild geiftiger Hoheit, das
diefer Mann ſoeben noch dargeftellt und das
ſchmählich unterging, wenn nicht Rettung fam.
Auf den Unglüdlihen losftürzen und ihm
jeine Schießwaffe entreigen, war denn das Werk
einer Sefunde. „O, warum laffen Ste mid) nicht
ſterben?“ jammerte er auf, „nur der Tod fann
mid) von der Dual und Angſt meiner Seele er:
löfen, nur er vermag die Schredbilder zu ver:
jagen, die mir nachts den Schlaf rauben und mic)
auch bei Tag nicht mehr loslafjen wollen.“ Da-
bei ſenkte er, wie von Scham niedergedrüdt, fein
Geſicht auf meine beiden Hände nieder, die er
mit einem Strom von Thränen beneßte, während
frampfhaftes Schluchzen feine Bruft zu zer:
iprengen drohte. Jedes andere Gefühl in mir
wich einem tiefen Mitleid mit dem Manne, defjen
Geiſt ich jebt in fo wilder Zerrüttung jah. Alles
Bemühen, ihn zu veranlafen, er möge mir dod)
fein Herz ausfchütten, wies er zwar ängſtlich zu:
rüd, aber er beteuerte mir, was id) ihm gern
glaubte, daß er mehr unglüdlich als ſchuldig fei,
und er bat mich, ihn in feiner Not nicht allein zu
laſſen; er hoffe, mir nicht lange zur Laſt zu fein;
Nachrichten aus der Heimat werden dod) endlich
anlangen und ihn aus einer Ungewißheit über
fein Los reißen, die jeine Nerven bis zum Wahn:
finnigwerden, bis zum Gedanken an Selbjtmord
überreize. ch ließ ihn lange ohne Unterbrechung
fortreden; nicht nur feine, jondern auch meine
eigene Aufregung , die fich bereits wieder in be-
denflihem Herzklopfen anfündigte, fonnte dadurch
nur bejchwichtigt werden, und ich gab ihm das
Verjprechen, ihn nicht zu verlajlen nody von dem
Vorgefallenen irgend jemand etwas zu verraten.
Er wurde denn aud allmählich wieder ruhiger;
ich blieb am Nande feines Bettes ſitzen, bis er
fejt eingefchlummert war. Am Morgen war er
wieder ganz der Alte, fein Geift jo friich und
ichnellfräftig wie Tags zuvor. Nur ſchien feine
Liebenswürdigfeit mir gegenüber etwas von der
Art eines Kindes zu haben, das ſich an den
ihütenden Arm des Vaters mit Vertrauen
ſchmiegt. Auf unferer Fahrt nach Nom war von
den Vorgängen diefer Nacht nicht die Nede; um
fo reichliheren Stoff zu unbefangener Unter:
haltung bot die Erinnerung an den gelehrten
: Kampf im Maufoleum von Navenna,
dung des geipannten Nevolvers, den er fid) mit | —
*
56
Im Bahnhofe zu Nom jtellte fi) uns der
ruffiihe Bildhauer vor, an welchen mein Reife:
begleiter Empfehlungen hatte. Ich mochte nicht
fragen, ob derjelbe, ohne daß ich darum wußte,
telegraphiih von unferer Ankunft verftändigt
worden war. Immerhin etiwas befremdet, hatte
ich feine Luft, mic) einzumijchen, als der Bild:
hauer mit zubringlicher Höflichkeit feinen Lands:
mann bejtürmte, ſtatt in einem ungemütlichen
Gafthofe bei ihm Wohnung zunehmen. Als beide
ſchließlich ihr Geſpräch in ruffischer Sprache zu
führen begannen, hielt ich mid jeder weiteren
Verpflichtung für ledig, verforgte mein Gepäd
und verabjchiedete mich von meinem Ruſſen mit
gleichgültiger Höflichkeit, wie von der nächſten
beſten flüchtigen Reifebefanntichaft. Ich ftieg in
einem mir feit lange wohlbefannten Albergo ab,
deſſen Wirt mic mit alter Herzlichkeit begrüßte;
das Zimmer war das nämlidhe, von dem aus id)
in früheren Tagen zu meinen Wanderungen in
Stadt und Campagna ausgezogen war; von dem
Fenſter ſah ich drunten an der Straßenede noch
die nämlidhe alte Obitverfäuferin figen, die für
den Dottoretedesco immerihreſchönſten Früchte
aufbewahrte; in der Auslage des Kunſtladens
gegenüber ftanden noch die nämlichen faljchen
Altertümer, welche den unfhuldigen Engländern
jtets jo ins Auge ftachen; nichts fchien hier
verändert, und ich fonnte mich ganz einer Art be:
haglichen Heimatgefühles hingeben, mich wieder
ganz von der Aufregung der legten Tage erholen.
Der erite Abend brachte mich in der traulichen
Künftlerfneipe mit den deutjchen Freunden von
ehedem zufammen und mandem Fiasco ſüßen
Drvietos wurde zur Feier des Wiederjehens der
dünne Hals gebrochen.
Wir ftanden am Vorabend des berühmten,
durch Scherzgedichte und Luftige Abbildungen ſchon
mehrerer Gejchlechter gefeierten Gervaro: Feites,
einer Art Maifeſt, welches die deutfchen Künſtler
Noms im Verein mit italienischen Genoſſen nad)
altgermanifcher Sitte durd) Mummenſchanz und
waderes Trinken in den Gervaro:Höhlen zu feiern
pflegen, Ueberbleibjeln großer Steinbrühe aus |
der alten Nömerzeit, etwa fieben Miglien vonder
Stadt in der Nähe der alten Via Collatina ge:
legen. Diesmal hatte die ganze Künſtlerſchaft
Noms, ohne Unterfchied der Nation, ihre Betei: |
liqung zugefagt. Daß aud) ic) morgen beim Stell:
dichein nicht fehle, wurde mir noch beim Nach—
gemacht.
Wilbelm Kaufer.
Ich fand denn morgens alles, was fid) in Nom
zu fo früher Stunde dem Bett entreißen konnte,
an der Porta Maggiore verfammelt, um den
Karneval der Deutfhen, wie die Nömer das Feſt
tauften, mitzumachen oder wenigitens zu fehen.
Unter einer endlofen Reihe von Wagen, Neitern
und Fußgängern zog ich mit landsmänniſchen
Kunftfreunden und Künſtlern auf der fonft jo ein:
jamen alten Via Präneftina hinaus zu der Tor
de’ Schiavi. Hier, auf dem herrlichen grünen
Rafenplage um die alten Nuinen hielt der Vor:
ſtand des deutihen Künftlervereins Mufterung
über feine Truppen. Kein Feldherr fonnte je mit
vergnügteren Sinnen auf fein fieggewohntes Heer
Ihauen als diejer Inhaber einer Eintagsmadit.
Stolz jaß er, in feinen altdeutſchen Kaiſermantel
gehüllt, auf dem Throne des fahnenumraufchten,
von vier Ochjen gezogenen Maimagens, um:
geben von den Großen der Krone und von den
Hofnarren treulich unterftügt in feinem hohen
Amte. Neben ihm fuhr mit dem ftattlichen Ge:
Ipann von vier Schimmeln der Prachtwagen des
Imperator Bitellius, den ein italienischer Maler
darjtellte, einen riefigen Kochlöffel als Zepter
feiner Majeftät ſchwingend, während fascestra-
gende Liktoren, römische Soldaten, barbariiche
Söldlinge, in Tierfelle gekleidet, und Auguren
auf ihren Ejeln den Herrfcher Roms umgaben.
Unter dem raufchenden Spiel dreier Mufifbanden,
die in befränzten Omnibufjen fuhren, begann der
Umzug des feitlihen Heeres, voran der Kuchel—
wagen, bejett von Ganymeden, deren Kopfbe:
dedung umgejtülpte Weinflafhen waren, dann
jtolze venetianifche Reiter mit gezüdtem Degen,
eine Neiterin mit der ſchön gemalten Bundes:
fahne der deutfchen Künitler, ſodann endlofe Ge:
ſchwader von Ejelsreitern, Artillerie in der Uni:
form der weiland Reichsarmee und endlich die
Nitter des berühmten Bajocco-Ordens mit dem
Beher am roten Bande, der das Anrecht auf
die gemeinfchaftliche Atzung verlieh, unter den
leteren mancher Veteran, deſſen Bruft mit un:
zähligen Bajocchi, Ehrenzeichen aus alter Zeit,
bevedt war. Nach beendigter Mufterung ver:
fammelte der Kapellmeifter feine Getreuen um
fih und es wurde das Bundeslied der Künjtler
geſungen.
Der Anblick dieſer buntbewegten und bunt—
farbigen Menge, der Campagna ringsum, die
‚in ſaftigem Grün und im Blumenſchmuck des
haujegehen von den Freunden zur heiligen Pflicht
Lenzes prangte, der Kirchenfuppeln, die fern
von Nom herüber grüften, und der aus dem
Ein unheimlicher Reiſebegleiter.
|
Morgenduft auftauchenden Spitzen und Ketten
des Sabiner und Albaner Gebirges war ent:
züdend ſchön und erfüllte mein Herz mit feit-
licher Freude. Nach kurzer Naft brad der Zug
wieder auf. Bor den Gervaro-Höhlen hatte
fih bereits eine unabjehbare Wagenburg ge:
bildet; fliegende Wirtjchaften entjtanden wie
durch Zauber; Gampagnolen waren mit ihren
Frauen und Mädchen in Maſſe herbeigeftrömt,
und von Minute zu Minute wuchs die jchau:
Iuftige Menge, die von Nom herauspilgerte.
Böllerfchüffe verfündeten jebt den Beginn des
Hauptfeites. Die Priefter des Vitellius ſchlach—
teten mit feierlichen Geremonien, häufigen Liba—
tionen und unter brünftigem Gebet zu den Göt—
tern ein Opferlamm. Der \jmperator flehte
mit den Seinigen um günftige Vorbedeutung
für das Felt. Die Eingeweide wurden unter:
fucht, und fiehe da, im Herzen des Tieres fand
fih ein wohlverfiegeltes Sendichreiben der Gott:
heit an den Vorjtand der deutjchen Künjtler,
das der Hofnarr des letzteren entzifferte und
vorlas. Es war eine Aufforderung an die
Künftler, das Felt luftig und in brüderlicher
Gefinnung zu begehen. Ein Tuſch der Muſik
und allgemeines Hochrufen antwortete auf die
frohe Kunde. Nun ftieg man in die Höhlen
nieder, wo aller ein überrafchender Anblid war:
tete. Auf einer kleinen Anhöhe hatte der
Herricher der Künſtler deuticher Nation und der
römijche Kaifer Vitellius mit feinem glänzenden |
Hofjtaate ſich aufgeitellt. Zu ihren Füßen be:
wegten ji die Gruppen der Koftümierten um
die Menge der anderen Gäfte, mworunter gar |
manches jchöne Frauenbild aus Nom und der |
f
\
deutjchen Heimat, und das aus den zerriffenen |
Flanken des Hügels in einzelnen Strahlen
hereinfallende Tageslicht wirkte belebend und
lufterregend wie der Glanz von Kronleuchtern
in einem Feſtſaale. Nach einer neuen Anjprache
des Vorjtandes an die Säfte nahm man unter
den Klängen der Muſik und taufend Scherzen
das leder bereitete Mahl ein.
zu Pferd und zu Ejel; der Schauplat war eine
Wieſe zwiſchen dem Ausgang der Gervaro:
Höhlen und den Krümmungen des hier vorbei-
fliegenden Teverone, Die Neiter in ihren
mannigfaltigen Trachten, die komiſchen Zwi—
ſchenfälle, zu denen die ftörrifchen Ejel und die
ſchlechten Mietgäule reichlichen Anlaß gaben, die
Gruppen der Zufchauer im Thale und auf den
J
57
Höhen feſſelten die Aufmerkſamkeit der meiſten
ſtundenlang. Aber ohne Vergleich lohnender
ſchien mir der hier eröffnete Ausblick über die
weite Campagna, entlang den grünen Ufern des
Teverone, hinüber zu den blauen oder noch mit
Schnee bedeckten Sabiner Bergen, dem ſtattlichen,
aus ihrer Mitte emporragenden Monte Gennaro
und feitwärts zu den Bergen von Albano. Nur
zögernd fonnte ich mich gegen Abend von dem
wunderbaren Schaufpiel trennen und mich dem
Zuge der Heimfehrenden anſchließen.
In dem Jubel gleichgeſtimmter Yandsleute
über das gelungene Feſt waren mir kaum hin
und wieder die Unheimlichkeiten des Fremdlings
eingefallen. Derſelbe ſchien nicht bloß ſeinen
Vorſatz, mit mir die Kunſtſchätze Roms zu be—
ſichtigen, vergeſſen zu haben, ſondern auch dem
Verkehr mit der Welt überhaupt ausweichen zu
wollen. Denn warum hätte er ſonſt bei dem
Feſte gefehlt, an dem doch alle in Rom weilen—
den Fremden teilgenommen hatten? Der Ge—
danke, es möchte ihm etwas zugeſtoßen fein, be—
ſchäftigte mich aber doch bei der Nachfeier des
Feſtes, die mein Freundeskreis in unſerer
Lieblings-Trattoria beging: da trat er, gefolgt
von ſeinem Landsmanne, in den Saal ein.
Täuſchte ich mich nicht, ſo lag etwas wie
eine Wehmut oder Reue in dem Gruße, mit
dem er an mich herankam. Unſere Unterhal—
tung kam nicht in Fluß wie ehedem. Es fiel
mir auf, daß meine Landsleute mit verdrießlicher
Miene wegrückten und ſich der Teilnahme am
Geſpräche enthielten, als ſich der Bildhauer zu
uns ſetzte. Dieſer merkte nichts oder that, als
ob er nichts merke. War er mir ſchon beim
erſten Anblick widerlich geweſen, ſo wurde er
mir dies noch mehr, indem er nicht nur gegen—
über unſerem gemeinſchaftlichen Bekannten einen
Ton der Ueberlegenheit anſchlug, ſondern auch
erſtaunt ſchien, daß ich nicht das Gleiche thun
wollte. Der Menſch machte mir den unwillkür—
lichen Eindruck, als ſei er in das Geheimnis
des anderen eingedrungen und wiſſe dies nun
Alsdann begann draußen das Wettrennen
auszubeuten. Dieſer unbehagliche Eindruck
wuchs noch, als mir beim Auseinandergehen
meine Freunde ſagten, es herrſche gegen den
Bildhauer ein allgemeines Mißtrauen; vor
Jahren mit einem Staatsſtipendium nach Rom
geſchickt, habe derſelbe noch keine einzige Arbeit
gezeigt; er pflege ſich ſeinen reichen Landsleuten
anzuhängen und müſſe wohl hiervon, wenn nicht
von Schlimmerem, leben.
8
58
Bon gemeinichaftlichen Kunftausflügen fonnte
nun freilich die Rede nicht mehr fein. Aber auch
eine Warnung vor dem bedenklihen Umgang
ſchien mir nußlos, denn fo oft ich den beiden
begegnete, fiel mir die Beihügermiene, die der
Bildhauer zur Schau trug, und die Ergebung,
fajt Unterwürfigfeit auf, womit der andere ſich
dies gefallen ließ. — Einige Tage nachher traf |
ich ihn auf dem Korſo, den Bildhauer wie feinen |
Schatten an ihn geheftet. Er jah matter und
abgejpannter aus als jemals. Nachdem wir
uns begrüßt und einige gleichgültige Worte ge:
wechielt hatten, ſprach ich ihm von meiner Ab:
ſicht, Neapel zu befuchen, wo man einen nahen
Ausbruch des Veſuvs erwartete. Ich war nicht
wenig erjtaunt, als er den Wunſch äußerte,
mich dahin zu begleiten; aud war es mir, als
fähe ih plöglich in dem Auge des Bildhauers
einen Strahl tüdifcher Freude aufleuchten.
Wäre es noch möglich geweſen, feine Gejell:
ſchaft abzulehnen, jo wurde dies durch den
Eifer vereitelt, womit er, ohne meine Antwort
abzuwarten, fortfuhr: „Wir wollen gleich heute
noch reifen; wir nehmen gar fein Gepäd mit;
ich laſſe,“ wandte er fich zu dem Bildhauer,
„meinen Koffer bis zu meiner Nüdfehr bei
Ihnen.“ Der Bildhauer war offenbar über
diefe Ausficht befriedigter ala ih. Was würde,
nad den Erfahrungen von Bologna und Ka:
venna, mein ärztlicher Freund in Wien zu
diefem neuen gemeinschaftlihen Ausfluge gejagt
haben? Vielleicht: „Sich Neapel und ſtirb!“
= =
*
Der Zug, in welchem wir die Nacht hindurch
nach Neapel fuhren, war mit Reiſenden überfüllt.
Wir wurden mit einer ſechs Köpfe ſtarken eng—
liſchen Familie zuſammengepfercht; an Schlaf
oder Unterhaltung konnte nicht gedacht werden.
Zerſchlagen und verſtimmt langten wir in Neapel
an. Obwohl uns am Bahnhofe hundert heiſere
Kehlen den Namen aller möglichen Gaſthöfe zu—
ſchrieen, mußten wir eine unerquickliche Stunde
lang herumfahren, um immer wieder den Be—
ſcheid zu erhalten, daß alles beſetzt ſei. Endlich
nahm uns in einer Seitengaſſe der Chiaja ein
|
Milhelm Cauſer.
der uns bis zum Obfervatorium bradite. Das
Wetter hatte ſich inzwiichen ganz zum Schlimmen
gewendet. Ein dider Nebel legte fich um die Höhe
des Berges, leifer Regen, der allmählich ſtärker
wurde und uns bis auf die Haut durchnäßte, ſank
auf den mißfarbenen Aichenftaub nieder, in dem
wir bis an die Kniee wateten. Am Ende weiger:
ten fich gar unfere Führer weiter zu gehen, da
an feinen Umſchlag des Wetters mehr zu denfen
ſei und fie, durch Nebel und Regen am Aus:
ichauen verhindert, uns nicht gegen drohende Ge-
fahr ſchützen könnten. Stumm und verdrießlich
traten wir den Rückweg zum Obſervatorium an,
trockneten am Herdfeuer notdürftig unſere Kleider
und fuhren dann im geſchloſſenen Wagen wieder
nach Neapel. Die ſonſt in ſo herrlichen Farben
leuchtende Umgebung der Stadt glich der trüb—
ſeligſten und langweiligſten holländiſchen Land—
ſchaft, Grau in Grau ſchmolz der Regenhimmel,
die Buchten und die nächſten Inſeln des Meeres
ineinander, und von der Heerſtraße wie von den
ſonſt ſo belebten Gaſſen der Stadt hatte das Un—
wetter Menſchen und Tiere verjagt. Von dem
ganzen Tage war nichtS mehr zu retten; es blieb
nichts übrig, als heute einmal mit den Hühnern
ſich jchlafen zu legen. Auch mein Gefährte hatte
nichts hiergegen einzumenden,
Mehrere Stunden war ich in bleiernem
Schlafe gelegen, als mic) ein jhredhafter Traum
aufwedte. Doc, träumte id nod) oder war es
Wirklichkeit? ch hörte ganz deutlich, daf etwas
durch mein Zimmer ſich bewegte ; es machte Kleine
raſche Schritte, es fchleppte einen Gegenftand
am Boden hin, hielt einen Augenblid inne, dann
fnadte es wie von brechenden Knochen ; es hob
ein Ziſchen und Anurren an, ein Streiten und
Balgen mehrerer, die in nächtlihem Kampfe be:
griffen und ihre zornigen Stimmen zu dämpfen
ſchienen; dann hujchten fie wieder auseinander,
und abermals begann e3 unter ſchwerem Schnau—
fen und Stöhnen hin und her zu wandeln, ge:
heimnisvoll zu ziſchen und zu zanfen und ſich hin
‚ und her zu zerren. Eben richtete ich mich, völlig
erwacht, in meinem Bette auf, da ſtürzte zur
‚ Thüre mein Neifebegleiter herein, mit von Angſt
neu eröffneter Gafthof auf, in deſſen zweiten |
Stode neben allerlei Borratsfammern zweielende
Zimmer frei waren. Troß unferer Müdigkeit und
trogdem fich das Wetter jehr zweifelhaft anließ,
wollten wir noch am nämlichen Tage den Veſuv
bejteigen. Wir trieben endlich einen Wagen auf,
halb erjtidter Stimme nad Hilfe rufend. Ich
machte jhleunig Licht und Half dem Unglüdlichen
auf, der fih in Zudungen am Boden wand; noch
lange geberdete er fih wie ein Wahnfinniger,
während ich mich abmühte, ihn zu beruhigen; er
redete von Feinden und Berfolgern, die ihm, dem
Unſchuldigen, nadjitellten, von jeinen Seelen:
Ein unbeimlicher Neifebegleiter.
qualen, die ihn nirgends zur Ruhe kommen ließen;
es gebe für ihn fein Entrinnen mehr, dies hätten
ihm die Stimmen der Naht in die Ohren ge:
raunt. Er lächelte trüb und ungläubig, als ich
ihm fagte, auch ich habe ganz deutlich das un:
heimliche Geräufch vernommen, und wir werden
ohne Zweifel bald die Urfache desjelben erforiht
haben. Ich unterfuchte zuerjt mein und dann fein
Zimmer, ohne etwas zu finden ; unferen Fenftern |
3 ;
gegenüber erhob fich, durch eine schmale Gaſſe ge:
trennt, eine mehrere Stod hohe fenfterlofe euer:
mauer, auch dorther fonnte das Geräufch nicht
rühren. Wir traten auf den Gang hinaus; aud)
hier und im ganzen Haufe alles ſtill. Umſonſt
zerbrach ich mir den Kopf, wie dieje nächtliche |
Störung entjtanden fein und plößlich wieder auf:
gehört haben fonnte. Cs blieb am Ende nichts
übrig, als auf die Löfung des Nätfels vorerft zu
verzichten und meinen inzwijchen etwas beruhig⸗
teren Neijebegleiter zu Bette zu bringen. Allein
faum hatte ich die Lichter ausgelöjcht, jo fing der
nichts zu erbliden, als ich rajch wieder Licht ge:
59
' der mir aufitieß, war mein Neifebegleiter und der
Bildhauer. Der eritere faßte mich unter den
Arm und forderte mich auf, mit ihm zur Poſt zu
gehen, wo er einen Brief abzuholen habe; um
den Bildhauer fümmerte er ſich nicht. Doch folgte
uns dieſer, obgleich aud) ic) fein einziges Mal
das Wort an ihn richtete. Was mochte zwiſchen
beiden vorgefallen fein? Statt wie zuvor füg:
jam, begegnete mein Begleiter dem Bildhauer
mit unverhohlener Verachtung, welche dieſer mit
herausforderndem Troße zu erwidern ſchien. —
| An dem Schalter für eingefchriebene Briefe reichte
man meinem Begleiter einen Brief heraus, den
derjelbe mit zitternder Hand erbrach. Aber faum
hatte er einen Blid in denjelben geworfen, jo ſtieß
er einen lauten Freudenſchrei aus und ſtürzte
ohnmächtig zu Boden. Ich rannte nad) dem näch—
jten Brunnen, um in meinen Hut Waller zu
ichöpfen und dem Armen Stirn und Schläfen zu
benegen. Zu meiner inneren Entrüftung blieb
‚ der Bildhauer teilnahmslos an eine Säule ge:
Höllentanz von neuem an, und abermals war |
macht. Mißmutig, meinen Begleiter nicht dur) |
in abgerifjenen Worten für die ihm bewiejene
natürliche Gründe beſchwichtigen zu können, er:
gab ich mich ſchließlich darein, mit ihm zu wachen,
bis der hereinbrechende Morgen unſere Lichter
überflüffig machte. Sobald es im Haufe hell
wurde, befraate ich den Wirt und feine Yeute,
ob jie Den Lärm in diefer Nacht nicht vernom:
men und feine Kenntnis von der Urſache des: |
jelben hätten. Man beteuerte uns bei allen Hei—
ligen, daß niemals im Haufe etwas Unheimliches
fi vernehmbar gemadıt habe, und man beihwor
uns, um des Nufes des neu eröffneten Gajthofes
|
willen über das zu ſchweigen, was wir gehört ı
zu haben glaubten. Ich war in einer eigentüm:
lihen Yage: jo groß meine Ungeduld war, das
Geheimnis diefer Nacht aufzuflären, fo dringend
aebot mir die Menfchlichkeit, meinen Reiſebeglei—
ter nicht zu verlafien, dem in Neapel der Boden
unter den Füßen brannte und der mich beihwor,
auf der Stelle mit ihm nah Rom zurüdzufahren.
Endlich entſchloß ich mich, auch noch diejes lebte
Opfer zu bringen, und fo langte ich denn nach
bloß zmweitägiger Abwejenheit wieder in der
Zichenhügelitadt an.
* %
*
Nachdem ich einige Stunden in meinem Gaſt—
höfe gerajtet hatte, aing ich aus, um frische Yuft
auf dem Korſo zu fchöpfen. Der erite Bekannte,
lehnt. Endlich fchlug der Ohnmächtige die Augen
wiederauf; Thränen, aber offenbar Freudenthrä:
nen rannen ihm über die Wangen, er dankte mir
Liebe, umarmte mich ftürmifch und lief dann fort,
ohne zu jagen wohin. Seltfam erariffen von
diefem Vorgange, blidte ich nad) dem Bildhauer.
Diejer hatte eben den zerfnüllten Brief vom Bo-
den aufgehoben und las laut, wie um feine un:
verschämte Neugier zu bemänteln, den kurzen In—
halt desſelben: „Lieber... ., ein paar Stunden,
nachdem Du diefen Brief erhalten, werde id) bei
Dir eintreffen. Dein Oheim . . .“
Der Bildhauer murmelte etwas wie einen
Fluch zwiſchen den Zähnen, dann bat er mich
mit kriechender Höflichkeit, mit ihm in unſer ge—
wöhnliches Cafe am Korſo zu treten, wo er mir
manches zu meiner Aufklärung jagen werde.
Ich überwand die Abneigung, mich mit dem
widerlichen Menſchen an einen Tiſch zu ſetzen.
‚ Bald genug erfuhr ich denn, was ich längſt ver:
mutet hatte: Der Bildhauer hatte gleich in der
eriten Nacht, die mein Begleiter in jeiner Woh—
nung zubradhte, den Zuitand des letzteren er:
fannt und fich offenbar auch nicht ohne Erfola
bemüht, die Urfachen desjelben zu erforichen.
Nie mußte mein armer Freund durch eine ſolche
Mitwiffenichaft gelitten haben! ch jchnitt dem
Bildhauer zu feinem großen Verdruſſe das Wort
ab, als er fich in ziemlich durchfichtigen Anden:
tungen darüber ergina, daß ein ſchweres Ver:
60
brechen auf der Seele ſeines Landsmannes lajten
müſſe. Und eben war ich im Begriffe, wieder weg:
zugehen, da trat mein Reifebegleiter zur Thüre
herein, hinter ihm ein hochgewachſener Mann im
Reifemantel; er fchritt auf meinen Tiſchnachbar
zu, fpudte vor demfelben aus und ging zu einer
anderen Thüre wieder hinaus. Der Bildhauer
hatte fich leichenblaß von feinem Site erhoben,
fand aber erſt Worte, als die beiden ſchon wie:
der draußen waren; dann brach er in eine Flut
von Verwünfchungen aus und rief, er werde
jeinen Beleidiger aufs Schafott bringen, der—
jelbe fei ein gemeiner Verbredyer, ein Mörder.
Der ganze Auftritt, der viele Zeugen hatte, war
mir im höchſten Grade peinlih. Ich ließ den
Bildhauer in ohnmädtiger Wut forttoben und
trat auf die Straße hinaus. Hier fam mein
Neifebegleiter rafch auf mich zu und bat viel:
mals um Entſchuldigung, daß er mir jenen Auf:
tritt nicht erjpart habe; aber er habe, bevor ihn
jein Oheim, General . . ., nach der Heimat ent:
führe, an dem Elenden ſich rächen müffen, der
fein Vertrauen betrogen, ihn durch die Drohung,
tert und ihn ſchließlich fogar bejtohlen habe. Der
Wilhelm £aufer. Ein unheimlicher Neifebegleiter.
zu leiten, faſt klöſterlich abgeſchloſſen in dem
Flügel des Schloſſes, den ſie bewohnte, ſo daß
wir nur äußerſt ſelten und kurz uns ſprechen
konnten. Das zweite Hindernis war, daß meine
Geliebte durch ein älteres Familienüberein—
kommen bereits einem anderen, einem Garde—
offizier, den ich ſelbſt wegen ſeines freundlichen
Weſens zu meinen liebſten Bekannten zählte,
ſo gut als verſprochen war. Um uns endlich
über die Löſung dieſer beiden Verhältniſſe be—
ſprechen zu können, hatte mich die Geliebte eines
Abends ſpät, da ſie die Großfürſtin auf dem
Hofball wußte, zu ſich geladen. Wir waren über
die Schritte, die zu thun ſeien, einig geworden
und voll ſeliger Hoffnungen trat ich aus ihrer
Thüre, als ich mich dem Offizier gegenüber be—
fand, der unglücklicherweiſe gerade in dieſer
Nacht den Dienſt in dieſem Schloßflügel hatte.
Den Auftritt zu beſchreiben, der nun folgte,
müſſen Sie mir erlaſſen. Umſonſt war all mein
Bemühen, ihn zu überzeugen, daß ich nicht un—
ehrlich gehandelt habe; er ſchrie nur immer, ich
habe ihn und ſeine Braut entehrt und einer von
jein Geheimnis zu verraten, entjeglih gemar:
Bildhauer hatte feinen Koffer während unferer
Abwesenheit in Neapel mit einem Nachſchlüſſel
geöffnet und alles Geld aus demjelben genom:
men; nur einige Bankicheine, die zwiichen den
Blättern des Baedekerſchen Neifehandbuches ver: |
borgen lagen, waren feinen biebifchen Händen
entgangen. Außerdem hatte er ſich aus feinem
Briefwechſel alle diejenigen Stüde angeeignet,
die er vielleicht einmal als Erprefiungsmittel
benugen fonnte.
„Lieber Freund,” fuhr der Ruſſe dann fort,
„ich bin leider ein ſehr unheimlicher Reijebeglei:
ter für Sie gewejen. Aber für alle Aufregung,
uns beiden müſſe tot auf dem ‘late bleiben.
Endlich folgte ih ihm, um nur nicht durch den
Lärm noch das ganze Schloß in Aufruhr zu
‚ bringen, in die Wadtjtube; dort riß er einen
Säbel von der Wand, warf mir denfelben hin
‚ und drang dann mit wütenden Streichen auf
mid ein. Die ihm untergebenen Soldaten, die
ohne ich zu rühren zufchauten, mußten nachher
bezeugen, daß ich mich immer nur zu deden
ſuchte. Aber einmal war mein Säbel, unter der
Wucht eines Hiebes, tief gefunfen, mein Geg—
ner ftürmte vor und rannte ſich meine vorgehal:
tene Waffe in den Magen. Laſſen Sie mid
die ih ihnen verurfacht, für alle Freundichaft,
die Sie mir bewiejen, bin ich Ihnen zum min: |
deiten Mahrheit fchuldig. Ste wiſſen, welche be:
neidenswerte Stellung ich in der gelehrten und
gejellichaftlihen Welt von St. Petersburg ein:
nahm. Nichts fehlte mehr zu meinem Glüde,
als die Hand eines Yräuleins am Faiferlichen
Hofe, das ich liebte und das meine Yiebe er:
widerte. (Es waren nur zwei Hinderniffe zu
überwinden. Die Großfürftin . . ., deren Ehr:
geiz ift, eine national ruſſiſche Oper zu gründen,
alaubte in meiner Geliebten wegen ihrer präd):
tigen Stimme ihre fünftige Primadonna aefun-
den zu haben und hielt fie, um ihre Ausbildung
nicht bei dem Jammerbilde verweilen, wie das
blühende Leben des Freundes in wenig Minus
ten verlofch, wie ich umſonſt dasjelbe zu bannen
fuchte und er mich noch mit feinen letzten Wor:
ten zur eiligen Flucht mahnte, Die Erinnerung
an dieſe Schredensjtunde, der Schmerz über die
blutige That, über den Verluft der Geliebten
und meiner ganzen Zukunft verfolgten mich wie
die Erinnyen, wohin ich auch den Fuß feste.
Lange galt ich in meiner Heimat für einen ge:
meinen Mörder; die Yamtlie des Toten und
die Großfürſtin jelbit, die fich in ihrer Hofdame
gekränkt ſah, der ganze Hof, der den Bruch des
Burgfriedens im Schlofje für ein unverzeihliches
Verbrechen erklärte, ließen lange feine Entſchul—
digungs⸗ oder Milderungsgründe für meine That
Bobo echter
auffommen. Nachdem mich die Verzweiflung
bereits in den Zuitand verſetzt hatte, in dem Sie
mich gejehen haben, überbringt mir jegt mein
Oheim die endlich erwirkte Erlaubnis des Zaren
zur freien Heimfehr und das endgültige „ja:
wort der Geliebten.“
Mit großer Nührung hatte ich diefe Erzäh:
lung angehört und wir verabjcdiedeten uns als
Freunde fürs Leben. Als ich des Abends in
meinem ſtillen Kämmerlein alle diefe wunder:
. Smwei Gedichte.
|
|
61
man mir einen Brief. Derjelbe war von une:
rem Gaſtwirt in Neapel. Man hatte nah un:
ferer Abreife das ganze Stockwerk durchſucht,
wo wirwohnten, und inden alten Rorratsräumen
eine Menge Eulen entdedt, die, folange es heil
war, fich ganz ruhig verhielten, aber einen Höl:
lenlärm machten, jobald es dunfel wurde. Die
Eulen feien jest alle weg, jchrieb der Biedere,
ich folle nur wieder nad) Neapel fommen und
bei ihm wohnen. Dies gelobte ich denn auch zu
famen Erlebnifje nochmals überdachte, bradhte | thun, freilich jest ohne Neifebegleiter.
wei Gedichte.
Don
Bodo Sechter.
I. Märden.
Als ich heut zum Wald gegangen,
Weld ein Blühen, wel ein Prangen,
Weld ein wunderfamer Duft!
Wie wenn Elfenftimmen riefen
Aus den dunklen Waldestiefen,
Geht ein Klingen durd die Kuft.
Welch ein Raunen, welh ein Rauſchen!
Klang das nicht wie Küfjetaufchen,
Nicht wie heimlich Liebeswort ?
Und was regt fid} in den Zweigen ?
Welch ein Wiegen, weld ein eigen,
Welh ein Winfen dort und dort ?
Harte Blumengeifter ſchwanken
Um die Kelde, um die Ranfen
£eife mit Geflüfter hin.
Und auf duft’gen Blütenfloden,
Güldnes Krönlein in den £oden,
Ruht die Elfenfönigin.
Und fie ſcheint ſich zu erheben,
Und fie winft im Mäherfchweben
£ächelnd mit des Scyleiers Saum...
Herz, und fühlft du nicht ein Glühen,
Nicht ein neues, reiches Blühen ?
Sprid, und ift das nur ein Traum?
I. Geitändnis.
Stit flüftern Baum und Zweige
Ein Kied von Kiebesluft;
Aun fomm zu mir und neige
Dein Haupt an meine Bruft.
£cg’ deine Fleinen Hände
In meine Hände du,
Und deine Augen wende
Du meinen Mugen zu.
Du follft in meiner Seele
Geheimfte Tiefen fchau'n,
Und was ich jtets verhehle,
Dir will id es vertrau'n.
Dody, daf du im Gemüte
Hältft treulih es bewahrt,
Und dag dein Herz behüte,
Was ich dir offenbart,
Daf du wirft fchweigen müſſen
Don dem, was nun dir Fund,
Verſchließ' ich dir mit Küffen
Den holden Plaudermund.
ge Neife nach Amerifa bietet dank den
gewaltigen Fortſchritten unferer modernen
Schiffahrtstechnik jest jo wenig Schwierigkeiten
dar, daß man fie mit größerem Gleichmut unter:
nimmt, als vor 50 Jahren eine Neife vom euro-
päiſchen Kontinent nad) London. Man geht nad)
Hamburg oder Bremen, fest jich dafelbft in ein
ſchwimmendes Hotel eriter Klaſſe, faulenzt auf
demjelben bei vorzügliher Naturalverpflegung
und anerfennenswertem Komfort höchſtens
14 Tage und fteigt dann, in New Nork ange:
fommen, wieder aus. Das ift die Neife, wenn
man abficht von Seeunannehmlichfeiten, wie
Seekrankheit, Sturm, Kollifionen, Feuer, Ma:
fhinenbruh u. a. m., Fälle, die vorkommen
fönnen, aber glüdlicherweife nicht immer ein:
treten und deren Eintrittöwahricheinlichfeit ſich
umjomehr vermindert, in je fürzerer Zeit die
Dampfer die Reife zurüdlegen.
Cinft, in den fünfziger Jahren, bedurften fie
mindeſtens 14 Tage für die Neife von Bremen
— — — —
Umteitanitchet Obicltvagen IB. Bir.
oder Hamburg nach New York. Jetzt ſind aber
Schnelldampfer erbaut worden, wie die „Elbe“,
Die „Werra“, die „Fulda“, der „Neckar“,
ſämtlich dem Bremer Lloyd gehörig, welche die
Reiſe in ca. YBe Tagen beendigen. Und mit
der Schnelligkeit iſt auch der Komfort und die
Pracht in der Ausftattung diefer ſchwimmenden
Hotels gejtiegen. Man hat die erjte Kajüte in
das Mittelfchiff gelegt, in welchem man die
Schwankungen des Fahrzeuges und die Schläge
der Schraube am wenigsten empfindet, und alle
Kräfte unfres jet jo hochentwidelten deutjchen
Kunftgewerbes herangezogen, um die Salons
ſtilvoll auszuftatten.
Wahre Schmudfäfthen in gediegener und
geihmadvoller Eleganz find die Damenbouboirs
und die Herrenrauchfabinette dieſer Schiffe.
Ich ſage ausbrüdlich Herrenrauchfabinette; denn
auf engliihen Schiffen beginnt man jetzt fogar
Nauchkabinette für Damen einzurichten.
Trifft man nun neben diefem Komfort nod)
autes Wetter und angenehme Gefellihaft und
liebenswürdige Offiziere, wie ich auf meiner
Hinreife aufdem Steamer „Donau“ und auf der
Rückreiſe aufdem Steamer „Werra“ des Bremer
Lloyd das Glück hatte, fo vergehen die neun
8. W. Dogel.
Reifetage jo überrafhend ſchnell, daß man das
Ende derjelben faft ungern herannahen ſieht.
Aber nicht die geſchilderten Neifeerleichte:
rungen veranlaften mich, das ſchon zweimal
von mir bereifte Land der Vereinigten Staaten
zum brittenmal zu befuchen, jondern die Kunde
von der Fertigſtellung neuer Schienenwege durd)
die amerifanifche Wildnis. Die amerikaniſchen
Blätter lieferten enthufiajtiihe Berichte über
die landichaftlihe Schönheit und Fruchtbarkeit
der dadurd neu
erſchloſſenen Län:
deritreden. Dieſe
Berihte gingen
von Mund zu
Mund und erreg:
ten das Intereſſe
der Männer der
Wiſſenſchaften
ebenſowohl, als
das der Emigran⸗
ten, die drüben
eine neue Heim—
ſtätte ſuchen. So
bedurfte es nur
noch eines zwei⸗
ten Impulſes, um
den Entſchluß zur
Reiſe zu einem
definitiven zu
machen und die—
fer kam unermar:
tet in Geftalt
einer liebensmür:
digen Einladung
zum Kongreß der
National Photo:
graphic Aſſocia—
tion in Nordamerifa. Am 29. Auguit v. Is.
betrat ich zum drittenmal den gaftlichen Boden |
Nordamerikas und die merfantile Hauptitadt des |
Landes, die Riejenftadt New York. Große tief: |
eingreifende Veränderungen find hierjelbit in
den fieben Jahren, wo ich es nicht mehr ge:
fehen, vorgegangen. Man hat eine gewaltige |
Hängebrüde über den Meeresarm geichlagen,
der New Nork von feiner, auf der Inſel Yong
land gelegenen Nachbarſtadt Brooklyn trennt.
In allen Tonarten haben New Yorker Berichte
diefes von zwei Deutfchen, Nöbling, Vater und
Sohn, errichtete Niefenwerk gefeiert, das an
Im $luge durch Umerifa.
Big. 1. Wem York und BroofignBrüde bei Naht.
6000 Fuß lang it, fich über 100 Fuß über das |
63
Waſſer erhebt, über die Dächer der Uferhäufer
hinwegführt, von vier 15 Zoll diden Kabeln
getragen wird, einer breiten Fußgängerbahn,
zwei Fahrwegen und zwei Schienenfträngen
Raum gewährt und 151 Millionen Dollars ge:
fojtet hat. Es iſt jet die Hauptjehensmürdig-
feit von New York und gewährt nicht allein einen
prachtvollen Anblick ſowohl bei Tage, als aud)
abends, wenn es von eleftrifhen Lampen er:
leuchtet it, fJondern aud eine wundervolle
Nundfiht von
feiner Höhe auf
die tief unter ihr
liegenden Städte,
den jchiffebelebten
Meeresarm und
die grandiofe
infelumrahmte
Yai von New
York (Fig. 1).
Nicht jo reiz:
voll, weder im
Anblid noch in
dem Ausblid, den
es gewährt, er:
ſcheint ein anderes
Nefultat ameri:
fanifchen Unter:
nehmungägeiftes,
die New Morter
Hochbahnen oder
fogenannten ele-
vatedrailroads.
Für den unge:
heuren Berfehr
der zwifchen dem
Eajtriverund dem
Hudfon eingeeng:
ten, Schlauchartig lang ausgedehnten Stadt
erwiefen fih die Pferdebahnen längſt nicht
mehr als vollfommen genügend; fie arbeiteten
für den eilfertigen Amerikaner zu langfam und
jo erridtete er Stadtbahnen, wie fie London
ſchon feit Jahrzehnten und Berlin feit drei
Fahren bejist.
Mährend aber London diefelben in die Tiefe
der Erde verlegte, um die Straßen möglichjt zu
ihonen, wurden die Hochbahnen New Yorks
auf eijernen Pfeilern in den Straßen jelbit
errichtet und jo laufen fie meilenweit in der
Bomwery, dem Brennpunkte des deutfchen Lebens
und in verſchiedenen Avenuen entlang. An
EAN
64
zahlreichen Punkten nehmen fie den Bewohnern
der Straßen Luft und Licht, jie degradieren bie
Barterrelofalität zu Kellerwohnungen und diefe
unerhörte Nüdiichtölofigleit, diefe Vergemalti-
gung jondergleichen wurde von den glüdlichen
Konzeffionären der Bahn verübt, ohne daß für
das den Bewohnern Geraubte auch nur ein
Pfennig Entfhädigung gezahlt wurde. Ent:
wertung zahlreiher Grundſtücke in den gejchä:
digten Straßen ift die Folge davon. Man er:
|
UM Lu
rer —
Ai
5. W. Dogel.
jtaunt, wie eine ſolche deſpotiſche Rüdfihtslofig:
feit in einer freien Republik möglich war, felbjt
wenn man die Nützlichkeit des Unternehmens
zugeben muß.
Abgejehen aber von der Benadteiligung Der
Häufer, erfcheint das Eijengerüft in den Straßen
ſo über alle Maßen roh und proſaiſch, daß es
diefelben in häßlichſter Weiſe verunziert. Man
hat ſich bei Konftruftion der Hochbahn auf den
minimaliten Materialaufwand beſchränkt und
7
*
* — 9—
Fig ?. Bahnbof im Brand Central Debot (3. 604.
an manden Stellen erfheint das Gerüft auf jo ! Straßen, die von dem Landungsplate der Fähr:
dünnen Säulen ſtehend, daß der ganze Bau, | boote nad) dem Broadway hinaufführen, Stra:
mag er auch, wie man verfichert, auf dreifache
Feſtigkeit berechnet fein, den Eindrud des Ge—
brechlichen macht. Doppelt jo jchnell als die
Pferdebahnen legen die Hochbahnen die Fahrt
durh die 16 englische Meilen lange und am
breiteiten Teil nur vier Meilen breite Stadt
zurüd, die Geſchäftsſtadt oder Unterjtadt (down-
town) mit der Wohnjtadt oder Oberftadt |
(uptown) verbindend, ein Unternehmen, nüß:
lid) und abfcheulich zugleich.
Iſt New York eine ſchöne Stadt? Die Frage
fann bejaht und verneint werden. New Pork ijt
häßlich an der Waſſerſeite des Hudſonſtromes,
dem es nur hölzerne Werften und riefige Waren:
häufer zufehrt; New York iſt häßlich in den
|
ben, die an bodenlofer Unordnung, Geſtank und
Schmuß ihresgleichen ſuchen. New Nork it häß—
lich in der Bowery, in den unendlich nüchtern er-
icheinenden Straßen des Dftend, die man ihrer
Bewohner wegen auch unter dem Namen Klein:
deutichland zufammenfaßt. New Vork ift aber
ihön in der ſtolzen Straße der fünften Avenue
am Madifonfquare und Unionfquare und in
einem Teile des Broadway, der Hauptgeſchäfts—
itraße der Stadt, allenfalls auch an der Batterie,
dem parfartig ausgeftatteten Züdende, an dent
Hudjonriver und Eajtriver zufammenlaufen und
jest der arandiofe Badjteindau der Kornbörfe
feiner Vollendung entgegengeht. New Nork ift
Ihön am Gentralparf und noch manchen anderen
Im Sluge durch Amerifa.
Punften. Aber Schönes und Häpliches liegen
dort oft dicht zufammen, und deshalb macht
die Stadt einen gemijchten Eindrud, trogdem
auch hier die Neigung, ftilvoll zu bauen, mehr
und mehr Boden gewonnen hat und Leute genug
erijtieren, die den Funftgewerblichen Beftrebun:
gen der Neuzeit fih angeſchloſſen haben.
Noch weniger günjtig ift der Anblid New
Vorks bei Naht. Die Strapenbeleuchtung iſt
|
65
ungenügend, fie unterbleibt in Mondſcheinnäch—
ten; das Gas ift ſchlecht. Als Erjagmittel des:
felben dient jest majlenhaft eleftrifches Yicht,
aber leider ift dasjelbe höchit ungleihmäßia ver:
teilt. Eine regelrecht gleihmäßig durdgeführte
elektrische Beleuchtung zeigt nur die Hängebrüde
und die beiden großen Pläbe, der Madiſon—
jquare und der Unionfquare. Hier find große
alten errichtet, an denen ein Kranz eleftri:
ſcher Lampen hängt, leider zu hoch, um nad)
unten mit der nötigen Intenſität wirken zu
fönnen, jo daß es nur den zahlreichen, an den
Häuſern verteilten elektriſchen Yampen der
Magazine zu danfen tft, wenn die läge Leid:
lich gleihmäßige Erleuchtung zeigen. In den
Haufläden, Hotels, Bahnhöfen hat fich eben
das eleftrijche Licht allenthalben in Amerifa
Bahn gebrochen, jei es im Diten oder im fernen
Weiten. War ic doch nicht wenig überrafcht,
03 jelbit in den einfamen Negionen des Nellow:
ſton⸗Nationalparks zu finden.
In erſter Linie freilich iſt es das Bogen:
licht, welches ſich den Beifall der Amerifaner
erorbert hat. Der gleißende, blitzende, weithin
'
h
mit prahleriſchem Glanze leuchtende Funke ent—
ſpricht den Abſichten der Hotels und Geſchäfts—
häuſer, ſich auffällig, bemerlbar zu machen, am
beſten; es iſt ein Licht für das Avertiſſement
und ſo läßt man denn ſeinen Glanz weithin
ſtrahlen, oft ohne deſſen augenblendende Grell—
heit durch matte Glocken zu mildern.
Das mild leuchtende Glühlicht findet man
auch in Amerifa, aber es ift viel weniger ver:
breitet als das Bogenlicht.
Es iſt nicht meine Abſicht, hier eine Detail:
bejchreibung des ſchon taufendmal beichriebenen
New York zu liefern. Nur auf das Neue, was
ich dort vorgefunden, wollte ich den Leſer auf:
merkſam machen.
y
—
—
Fig. 5. VEtaburg tS. as),
Jetzt lade ich ihn ein, mir nach dem
fernen Weſten zu folgen. Zahlreiche
Eiſenbahnlinien ſtehen dazu zur Dispo:
ſition, aber nur ein einziger Bahnhof, das
Grand Central Depot, der Rew Mort:Een:
tral und Hudſonbahn zugehörend, findet
ſich in New Hort jelbit (fig. 2, S. 4).
Alle übrigen Bahnhöfe befinden ſich
jenfetts des Nem Hort an der Weſtſeite
begrenzenden Hudſon, des amerikaniſchen
Rheines, welder den germaniſchen Strom
nicht nur durch Breite und Tiefe, ſondern
auch in vieler Hinſicht durch die maleriſche
Schönheit ſeiner Ufer überragt. Die
Städte New Jerſey und Hoboken, wo die
europätihen Dampfer landen und zahl:
reiche New Yorker wohnen, nehmen die Dftufer
an feiner Mündung ein. Zahlreihe „Ferrys*
(Fährboote, Fig. 3, S. 65) verbinden diejelben
mit New Norf; fie landen zumeift unmittelbar
an den am Fluſſe gelegenen Bahnhöfen.
Ein foldes Ferry trug mid in fpäter Nacht
nad dem Bahnhofe der Pennſylvania Bahn, die
mid, über die Alleghanyberge und Pittsburg,
dem amerifanifchen Birmingham, nad) dem nahe
an 1000 enaliihe Meilen von New York ge:
legenen Chicago führen ſollte.
Zwei Nächte und einen Tag dauerte dieje
5. W. Vogel.
— *
Be
2 nn
—_
Big. 4. Hufeifenkurve an den Alleghandübergängen 16. dm.
Fahrt, die man in den bequemen amerifanifchen
Sleeping cars mit Yeihtigfeit zurüdlegt. Denn
man hat den Reifelomfort jenfeits des Oceans bis
zum raffinierten Luxus entwidelt. Die fürftlich
ausgeftatteten Schlafwagen find öfter wahre
Metiterftüde der Aunfttiichlerei. Für 2/2 Dollar
täglich it der Neifende berechtigt, die Bequem:
lichkeit diefer „Sleepers“ zu genießen, die in der
Nacht ein breites wohlausgeftattetes Bett, am
Tage in originelljter Metamorphofe die ſchwel—
lendſten Polſterſitze, außerdem Eiswaſſer, Waſch—
toilette nebſt anderen Bequemlichkeiten darbieten.
Im Fluge durd; Nmerifa.
Die hohe Ausbildung des Neifefomforts ift eine |
Notwendigkeit in einem Yande, wo man lange
Fahrten zu machen gewöhnt ift, wo eine Reiſe
von New Nork nad Chicago, entiprechend einer
Fahrt von Berlin nad Petersburg, zu den all:
täglichen Dingen gehört und infolge der ſtarken
Konkurrenz zahlreiher nad demfelben Ziele
führender Linien auch billig (ich zahlte 20 Dol:
lars) geleijtet werden kann.
Leider jchafft all diefer Komfort eine allge:
meine Yandplage der amerikaniſchen Eifenbahnen
nicht hinweg, das iſt der fchaudervolle Lokomo—
tivenqualm. Die unfere Lokomotiven an Größe
übertreffenden Maſchinen, melde meijt der
Billigkeit halber (denn amerikanische Eiſen—
bahnen werfen nicht die glänzenden Dividenden
ab, die man ihnen nachrühmt) mit jchlechten
Kohlen aeheizt werden, jpeien aus ihrem brei-
ten dütenförmigen Schornftein eine Maſſe feiner
Kohlenjplitter und Aſche aus. Dieſe Zub:
itanzen fliegen bei geöffneten Fenſtern in die
Wagen (um nicht das aus dem Deutichen ent:
Ichnte, leider troß Stephan bei uns noch ge:
bräuchliche mißtönige Wort Waggon zu gebrau:
den) und bededen mitleidslos die ſchwellenden
Poljter, die lururiöfe Holzarchitektur, die elegan-
ten Teppiche, und was das Schlimmite ift, auch
den, oft von der amerifanischen Hige arg genug
geplagten, in Schweiß gebadeten Neifenden mit
einer unangenehmen Patina von Staub. Nicht
jelten finden die feinen Bartifel auch ihren Weg
in die Augen und verurſachen empfindliche
Schmerzen, jo daß man oft genug, jelbit in
itarter Hitze, die Fenſter ſchließt und auf den
friſchen Yuftzug verzichtet, bloß um den abjcheu:
lichen Staub abzuhalten.
So genoß auch ich den Anblid der male:
riſchen Alleghanyberge (Fig. 4, S. 66) durd)
Fenſterſcheiben und hielt mich, hinter den ge:
67
gehen kann. Diejes iſt angenehm für den
Reiſenden, der fi einen Platz ſuchen will, un:
angenehm für denjenigen aber, der jolden ge:
funden hat und fich fortwährend durch neue
durchlaufende Ankömmlinge gejtört fieht. Den
amerikanischen Wagen fehlen ferner die bei uns
üblichen Gepädnege oder Bretter. Statt dejjen
haben ſie dünne leichte Konfole, die höchſtens
einen Hut zu tragen vermögen. So ijt man
genötigt, ſchwerere Gepäditüde, die man nicht
abgeben mag, zwiſchen die Füße auf den Boden
des Wagens zu jegen, wo fie bei längerer Tour
recht unbequem werden.
Von den fühnen Bauten der Benniylvania:
bahn auf der Strede, wo dieſelbe die Allen:
hanys überjchreitet, wird in Amerika viel erzählt.
Dem Europäer, welcher die Semmeringbahn, die
Schwarzwaldbahn oder gar die Alpenbahnen
(Brenner, Gotthardt 2c.) geſehen hat, werden
dieje Alleghanyübergänge ſchwerlich imponieren.
Unfere Illuſtration 4 ftellt einen der öfter ge:
nannten UWebergänge, die Hufeifenfurve dar.
Man erfennt leicht, daß Nehnliches in Deutſch—
land vielfach zu finden ijt.
Aber maleriſch ericheint die Scenerie in
ihrem mannigfachen Wechjel wundervoll bewal:
deter Berge und fchattiger Thäler. Nur dort,
wo der innere, aus Kohlen und Eiſenerz be:
ſtehende Reichtum der Berge die Gemwinnfucht
herausgefordert hat, findet man oftmals die
maleriſchen Scenen durch große Berghalden,
Kohlenhaufen und ſonſtiges rohes Menſchen—
|
ſchloſſenen Fenjtern auf friſche Yuft verzichtend,
ihadlos an dem im Hotelmagen von ſchwarzen
Kellnern kredenzten Breakfast (Kia. 6, ſ. Titel:
viqnette). Außer dem fchredlicdhen Yofomotiven:
qualm bieten aber die amerikanischen Eifenbahn:
einrichtungen troß allem Komfort mandherlei
andere Mängel dar, die dem europäiſchen Reiſen—
den mehr auffallen, als dem Eingeborenen. Die
amertlantschen Wagen find ohne Coupés; ſie
bilden große, lange Käſten, die mindeitens
0 Perjonen faſſen, in der Mitte einen Gang
haben und durch die Plattform derart verbunden
find, daß der Reiſende durch den ganzen Zug
werf geitört.
Pietät gegen die Natur, deren reiche Gaben
dort gierig ausgebeutet werden, findet man in
Amerifa jelten. Am erfreulichiten ift der An:
blid der Sommerfige auf den Höhen des Ge—
birges. Dort in der reinen Yuft, in einer
Höhe von 3000 Fuß hat man ein prächtiges
Hotel errichtet und den umgebenden Wald in
einen herrlichen Park umgewandelt, Creſſon
heißt der anziehende Platz, der freilich ſeine
Segnungen nur dem Begüterten ſpendet, denn
der Board beträgt täglich 4!/e Dollar.
Jenſeits diefer Station ſenkt fih die Bahn,
Der Zug eilt bergab, ohne Dampf zu gebrau:
chen, dem berühmten Obioflufje zu, um bald das
dicht an demjelben gelegene rauchige Pittsburg
zu erreichen, deſſen Eifen-, Rupfer: und Glas:
werfe und “Betroleumraffinerieen ungeheure
Maſſen von Qualm entwideln, in weldem oft
alles verſchwindet (Fig. 5).
68
Für 50 Millionen Dollars Wert wird hier |
in gedachten Artikeln jährlich fabriziert; jo er:
zählte mir ein amerikanischer Gentleman, bei dem
ich mich über den entjeglichen Qualm beflagte |
und fügte hinzu: smoke is business. Bei aller
Anerkennung des amerifanifchen Unternehmungs:
geiftes ift man doch froh, wenn man aus der
projaifchen Stadt wieder heraus ift und mit
dem Eifenbahnzuge den von grünen Hügeln be:
grenzten Ufern des Ohio folgt, der von fleinen,
jonderbar, gleich fchmwimmenden Pavillons ge:
einziges, am Hinterende des Schiffes liegenbes
Schaufelrad getrieben werden. (Ziehe 2
unfere Abbildung auf S. 66.)
Manchmal fieht man diefe Dampfer
al3 Bugfierdampfer wirken; aber jie
ziehen die Kähne nicht, wie bei uns,
fondern jtoßen diejelben und, um das
zu ermöglichen, find die Enden derjelben
flach abgejtumpft.
An den Ufern des Dhio wächſt aud)
Wein — faft hätte ich hier im An:
denfen an den Grüneberger gereimt:
Er braucht nicht Regen, nicht Sonnen:
ſchein. Der Amerikaner jhäst diejes
Ohiogewächs, aber den vermöhnten
europätichen Lippen will er nicht recht
munden. Der Gejhmadijt eigentümlicd)
erdig. Wenn ich die Wahl habe zwiſchen
5. W. Dogel,
Zu diejer Einförmigfeit trägt nicht wenig
die Vorliebe der Amerifaner für Holzbauten bei,
die billig und schnell errichtet und, wenn der
Standplat (der oft nur gemietet ift) nicht mehr
gefällt, weiter transportiert werden fünnen. In
den Alleahanys, wo Petroleumquellen aebohrt
werden, um nach kürzerer oder längerer Zeit
wieder zu verfiegen, wandern oft ganze hölzerne
Städte, die den Quellen ihre Eriftenz verdanfen,
‚ um an neuerfchloffenen Betroleumfundorten fid,
neu zu inftallieren. Solche Holzhäuser zeigt Fig. 7.
bauten Steamers belebt ift, welche dur ein
Ohio und Grüneberger, jo greife ih zum legteren. |
‚ reizlofer Umgebung, zwijchen flachen Ufern den
Ohioufern, bald biegt fie nördlich ab und führt
Leider folgt die Bahn nicht zu lange den
dann durch weniger interefjante Negionen der
Staaten Ohio und Indiana. Zwar ift es eine
fruchtbare Landſchaft, in der zahlreihe Yaub:
waldungen mit wohlbebauten Feldern wechjeln,
aber es herriht in der hügelreihen Landſchaft
eine gewiſſ e Einförmigkeit in der Bodengeſtal—
tung wie in der Anlage der Wohnplätze. Letztere
gleichen einander zum Verwechſeln, zum Ver—
zweifeln. Faſt alle Städte haben denſelben
Grundriß (er bildet ein Netz ſich rechtwinklig
durchkreuzender Straßen) und denſelben Ge—
— — ſoweit von Stil die Rede ſein
kann. Wer einige amerikaniſche Mittelſtädte
geſehen hat, findet beim Anblick der übrigen nur
Bekanntes wieder und das bleibt ſo auf tau—
ſenden von Meilen. Portland, die Hauptſtadt
des von den Wellen des Stillen Meeres be—
ſpülten Staates Oregon, ſieht nicht anders aus,
als eine Mittelſtadt des amerikaniſchen Oſtens.
Je weiter nördlich, deſto einförmiger wird
die Landſchaft. Schließlich bildet es eine relief:
SHolybäufer an PFetroleumfunborten.
Sie. 7.
loje Ebene. Endlid erblidt man in gänzlich
Michiganſee, einen jener fünf gewaltigen Seen,
welche, ohne ich durch hervorragende landſchaft—
liche Reize auszuzeichnen, dennod) eine bemerfens:
werte Cigentümlichfeit des nordamerikaniſchen
Kontinents bilden und als Waſſerſtraße jelbit
Seeſchiffen (melde durd den mächtigen Yorenzo-
itrom und den den Niagarafall umgehenden
Wellandfanal in diefelben gelangen) den Ju:
gang geitatten, jo daß Chicago, obaleih an
1600 engliſche Meilen vom Ocean entfernt, da—
durch zum Sechafen wird.
Vie ein Meer dehnen fi diefe Wajler:
flähen vor dem Auge des Beſchauers aus und
vergeblich jucht das Auge das jenfeitige Ufer.
Endlich; kündigt ſich Chicago an. Die Ein:
fahrt in diefe „Königin des Weſtens“ iſt nicht
viel verſprechend. Zwiſchen endloſen Reihen
elender ruppiger Bretterhütten, weiterhin zwi—
ſchen qualmigen Fabrikanlagen fährt der Zug
entlang, um endlich in dem neuerbauten Depot
Im Fluge durch Mierifa. 69
(mit dem Namen Depot bezeichnet man im all:
gemeinen in Amerika einen Bahnhof) zu endigen.
Die amerifanifshen Bahnhöfe waren Anfang
der fiebenziger jahre noch entjegliche Inſtitute.
Man fonnte fie mit Scheunen vergleichen; fie
boten Obdach vor dem Regen, das war alles.
Bon Erfriihungsräumen, Wartefälen zc. wußte
man damals nichts.
jo. Aber in New Nork, Philadelphia, Waſhing—
ton, Chicago find jegt neue, zum Teil nad) euro:
paiſchem Muster eingerichtete Bahnhöfe ent:
jtanden, welche jo ziemlich allen Komfort bieten.
Zu Diefen gehört auch das neue Depot, |
Vielfach ıjt es heute nod) |
| gangspunft dient (Fig. 8). Diefe „Unton De:
pots“ find jo ziemlich nad) derfelben nachfolgend
dargeitellten Schablone angelegt:
B
Non dem langen Stationsgebäude B, in
welches vier verihiedenen Bahnen als Aus: | dem die Burcaus und die Nejtaurants unter:
Fin. R
gebracht find, acht ein breiter Weg — Perron —
P ſenkrecht ab, zu deſſen beiden Zeiten die ver:
ihiedenen Bahnen einmünden. Oft halten in
jolden Depots aleichzeitig adıt zum Abgehen
bereite Züge, und der Reiſende muß wohl auf
die an denfelben aushängenden Tafeln achten,
um den richtigen Zug nicht zu verfehlen.
1.
Chicago ift an Cimvohnerzahl höchſtens halb
jo groß wie New Nork, man aibt diefelbe jest auf
600000 an; aber an Nühriafeit, an geichäft:
lichem Unternehmunasaeiit und Großa— tigkeit des
Verfehrs gibt es jener Stadt nichts nach; zwar
üt es nicht ein univerjeller Weltmarkt wie jenes,
Untons Tenot im Ghreano,
' aber es dominiert in Dem Handel mit Brettern,
(Hetreide und dem im Dentichen Reiche jetst ver:
botenen Schweinepökelfleiſch. Topographiſch hat
es vor NewPorf den Vorteil voraus, in feinem
Wachstum, von der Seeſeite abgeſehen, ganz uns
gehindert zu fein, Denn rinasum erjtredt fich Die
endlofe Steppe nach drei OBERE SEHEN,
reislos und flach wie ein Billard, Bon Terrain:
ſchwierigkeiten ift feine Nede, Das Yand liegt
fait au niveau mit Dem Michiganſee und bet
Zturmfluten ergoß ſich dieſer einft ſogar auf die
Straßen, Zo bildeten ſich Sümpfe und das
Uebel wuchs in fo bedenflihem Maße, daß der
Magiſtrat von Chicago eine Hebung der ganzen
Ztadt um ca. ſechs Fuß veranlaßte. Durch unter:
gezogene Balken und ein untergelegtes Schrauben:
(> v
\AOOJ I“
70
inftem hob man Haus für Haus aus dem Grunde
heraus und ftellte es auf neue Fundamente,
House raising (Häuferhebung ) iſt eine Eigen:
tümlichfeit Amerikas. Sie wird aud angewendet,
wenn man die Häufer um ein Stodwerf erhöhen
will. Hier ſetzt
man ein foldes
auf, dort fett
man's unter.
Die Stadt
wird durch den
Ghicagoflug in
zwei ungleiche
Teile geteilt. So
vorteilhaft der:
jelbe für bie
Schiffahrt ſein
mag, jo unange:
nehm iſt er durch
die zahlreichen
Verfehrsitörun:
gen, wenn die
Brüden aufgezo-
gen werben müſ—⸗
fen, um Schiffe
paffieren zu lajjen. Man hat deshalb an einer
Stelle den Fluß durd einen Tunnel ähnlich dem
Themfetunnel untergraben, der nicht nur wie
jener Fußgän—
gern, jondern
auch Wagen und
Pferden die Baj:
jage geitattet.
Chicago iſt
das erftaunlichite
Beiſpiel rapiden
amerifanijchen
Städtewads: .
tums, denn 1830
hatte es erit 12
Häufer und höd)-
jtend 100 Ein:
wohner und erit
1837 wurde es
als Stadt infor:
poriert. Eine fa:
tale Unterbredung erfuhr jein den Neid anderer
amertlanifcher Städte erregendes Wachstum
durch die furchtbare Brandfataftrophe von 1871,
welche 12500 Gebäude in Aſche leate, 100000
Menschen obdachlos machte, für 190 Millionen
Dollars Eigentum zeritörte und den Banferott
Fin. 9. Dinneapolis (©. 72.
— —
Ma. 10. Untondepot in Et. Vaul. Ausgang der Nordpacifichahhn S. 73.
8. W. vogel.
zahlreicher Feuerverſicherungsgeſellſchaften zu
Folge hatte. Man aing raid genug an den
Wiederaufbau der Stadt, aber lange blieb
Chicago noh eine Stadt der Brandruinen.
Fünf Jahre nad) dem Brande, 1876, fand id)
diejelben noh im
ziemlicher Zahl;
jelbit der Bahn:
hof am See, wo
ich ausftieg, ge:
hörte noch zu
ihnen. Der all:
gemeine Rück—
gang der Ge:
ihäfte in der
zweiten Hälfte
der jiebziger Jah—
re that dem er-
neuten Aufblühen
der Stadt wejent-
lihen Abbruch.
Jetzt hat jie ſich
volljtändig wieder
erholt. Ich fand
fie 1883 blühen-
der und belebter alö vor dem Brande,
Hohbahnen wie New York hat Chicago Gott
ſei Dank nod) nicht.
Straßenbahnen vermitteln
den Verfehr
hauptſächlich;
aber ſie werden
nicht mit Pferden
getrieben, ſon—
dern durch end—
loſe Drahtſeile,
die unterhalb des
Pflaſters über
Nollen laufen
und durd eine
Dampfmajdine
in Bewequng ge:
fett werden. Der
EN. Kanal, in wel:
EEG. dem die Seile
liegen, iſt mit
der Yänge nad)
aufgeichlisten Eijenplatten bededt. Durch den
Schlitz fommuniziert die Kuppelvorrichtung mit
dem Wagen. Die Drehung eines Hebels genügt,
diefe Huppelung mit dem laufenden Seil feſt zu
verbinden oder aber diefelbe davon zu löfen. Für
‚ den Neuling haben diefe ohne Pferde laufenden,
Im Fluge durch Umerifa.
feinen Be:
wegungs⸗
mechanismus
zeigenden —
Wagen (oft
bilden zwei
bis drei einen
Zug und iſt
von dieſen nur
der vorderſte
mit dem Seil
verfuppelt )
etmas Leber:
raſchendes; fie
bilden die
Strikingno- A
velty von de;
Chicago. In
der That jind
fie jedoch nicht neu. San Francisco bejitt dieſes
Syſtem ſchon ſeit 10 Jahren. Es iſt die Erfin-
dung eines Deutſchen, Namens Eppelsheimer.
Milwaukee, die nur vier Eifenbahnftunden
von Chicago entfernte, ebenfalls am Michiganſee
gelegene Stadt zeigt eine bedeutend günjtigere
Situation wie diefe. Sie liegt auf hügeligem,
waldreihem Terrain, welches wegen feiner Er:
hebung über den Eee nicht nur malerifcher, fon:
dern auch gefünder ericheint, als der Untergrund
von Chicago. Der See bildet hier eine natürliche
Einbuchtung, die den Schiffen einen fichereren
Bin. 11. Rinnebatelall (©. 7m.
1
71
Gay Ditappoiniment 15. 56).
Anferplat gewährt, als
die Reede von Chicago,
und dod) iſt Milwaukee
in der Entwidelung, bet
gleichem Alter wie let:
teres, erheblich hinter
dieſem zurüdaeblieben,
jo daß es menig über
10000 Ginwohner
zählt, Darunter Die
Hälfte Deutiche.
Dennod fehlt es ihm
feineswegs an Betrieb
jamfeit. Bierbrauerei,
Müllerei, Kornhandel
und Eiſenhüttenbetrieb
— ſtehen hier in Blüte.
Die Stadt weiſt ein
Ausſtellungsgebãude
von großen Dimenſionen, nicht minder groß—
artige Geſchäftshäuſer für den Groß: und Klein—
handel, impojante Hotels und Banfgebäude auf.
Ohne jolde iſt überhaupt eine amerikaniſche
Stadt, ſelbſt eine Heine, nicht denkbar. Leider
find diefe Bauten überall nad) derjelben Schablone
errichtet.
Chicago und Milmaufee galten einit für
den New Yorker als far west. Jetzt find die
Grenzen des Wejtens durch den Bau der Pacific:
bahnen viel weiter hinausgerüdt.
In Europa baut man Eifenbahnen, um große
Bis. ı2.
Städte miteinander zu verbinden, in Amerika
führt man fie in die Wildnis, um diefe der Kul—
tur zu erichliegen und dadurch zur Gründung
von Städten Beranlafjung zu geben. Daher findet
man an den neuen Gijenbahnlinien Ztädte
in allen Entwidelungsjtadien. Manche nur ein
Zammelplat elender Holzhäufer, gegen welche die
ort Enelling IS. 731,
Die. Id. Mammoth Hotipring
= b
im erſten Kapitel ab:
acbildeten fait als
Paläſte ericheinen (S.
68), andere wieder,
die neben der Majo—
rıtät ihrer Holzhäuſer
eimae Zteingebäude
zeigen, wieder andere,
in Denen Die Geſchäfts—
ſtadt und die Wohn:
ſtadt Sich aejondert
haben und leßtere be:
reits Villen mit wohl:
gepflegten Gärten auf
weist, endlich ſolche im
lebten Ztadium, in
Denen Die Zteinhäufer
wenigſtens in Der Ge:
— ſchaftsſtadt Die Holz
bauten jo qut wie ver:
drängt haben.
Der dritten Periode gehören zwei blühende,
am oberen Mifitjfippi gelegene Städte an, St.
Paul (Fig. 10, ©. 70) und Vlinneapolis
(Aa. d, ©. 70), beide nur zchn englische
Meilen voneinander entfernt, beide von nahezu
derjelben Einwohnerzahl (50 — 60000), beide
von der gleichen Betriebfamfeit und beide, wie
!
ne —
nn
Im Fluge durd; Unterifa,
73
das in Amerika bei Nachbarftädten die Regel iſt, Welt auf, welche ihre Betriebsfraft von den
gegenjeitig eiferfüchtig auf ihre Entwidelung.
Bin 19. Minnetontaiee
St. Paul liegt maleriſcher als Minneapolis; es
ift auf einem hoch über dem Miſſiſſippi aufitei-
aenden Plateau gebaut, ein Kranz villengezierter
Hügel umrahmt die
Stadt und gewährt
herrliche Nusblide auf
diefe und das hügel:
umrahmte Miſſiſſippi—
thal. Das beraige
Terrain hat Veran:
laſſung gegeben zur
Abweichung von dem
regelmäßigen aber
langweiligen ſchach—
brettförmigen Grund:
riß, den fonjt alle
amerikaniſchen Städte
zeigen. Aber der weit:
liche" Charakter der
Stadt verleugnet ſich
troß “aller großſtädti—
ſchen Einrichtungen
nicht, jo find z. B. die
Straßen ohne Pflaiter.
mitten in der Stadt gelegenen Mifjiffippifällen
leihen, auch St. Anthonys- Fälle genannt. Die:
jelben find für diefen induftriellen Jwed gründ—
lich verbaut, jo daß jede Spur von malerijchem
Charakter, den jie jonjt gehabt haben follen, ver:
nichtet ift. Den Umgebungen der beiden Städte
fehlt es nicht an romantischen Punkten. Da
ift der von Yonafellow befungene Minnehahefall
(Fig. 11, ©. 71) — das indianishe Wort be:
deutet: „Lachende Waſſer“ —, bei dem ſich
eine wenig geteilte Wafjermafje, einer Goſſe
ähnlich in ein bewaldetes Thal ftürzt, ferner
das Fort Enelling (Fig. 12, ©. 72), maleriſch
gelegen auf hoher Felienbanf am Miſſiſſippi,
jest Si des Generaltommandos für fämtliche
Forts im fernen Weiten, endlich der Minne:
tonfafee, der mit feinen zahlreichen Ein- und
Ausbuchtungen und feinen hügeligen, bewaldeten
‚ Ufern auffällig an die Haveljeen bei Berlin er:
innert (Fig. 13).
St. Paul iſt der eine Anfangspunft der
neuen Nordpacificlinie(der andere, nördlicher lie:
gende ift Duluth am oberen See). Eine Fahrt
von zwölf Stunden genügt, um von hier aus
das große Gebiet der weitlihen Territorien zu
erreichen, die erit durd Die neue Bahn der Kul—
‚ tur im großen Stile erſchloſſen werden jollen.
Herd]
Gig. 16, Margo (inte Babnhof der Rorbpacifichahn) IS. 10),
Negelmäßiger ift das flachliegende Minnea—
polis angeleat, die Mühlenjtadt par excel- |
lence, Es weilt die größten Mahlmühlen der |
Auf der weiten Strede der nunmehr vollendeten
1900 Meilen langen Bahn ficht man Städte
in allen oben geſchilderten Anfangsitadien, dar:
10
TV
mr
24 8. W. Vogel.
unter Ortichaften, wo ſogar Holzbauten Yurus
jind und bie Yeute noch in Zelten wohnen.
Das gewaltige Gebiet zeichnet fih aus durch
jeine trodenen Sommer, in welden das Gras
zu einer braunen Maſſe ausdörrt und die Negen:
loſigkeit
vielfach eine
künſtliche
Bewäſſe⸗
rung der
Felder nötig
macht. In
den öſtlichen —
Territorien * —
finden ſich
Bäume in
größerer
Zahl nur in
der Näheder
Flußläufe;
Wälder
weifen nur
das bergige
Territorium Montana,
Wafhington auf.
Die Reihe der Steppenftäbte wird eröffnet
von Fargo (Fig. 14, ©. 73), gelegen am roten
Fluſſe, der die Grenze von Mlinnefota und
Dakota bildet. Fargo zählt 12000 Einwohner |
und beiteht
gleich vielen
ferner Oregon und |
Big. 15. Ernten in Tatota S. ıd),
wenig Intereſſantes enthaltende Zeitungen, Drei
Hotels, Wafferleitung und ſogar elektriſches Yicht,
aber fein Pflaſter. Das eleftriihe Bogenlicht
dient jebt bereits an vielen Pläßen Amerifas zur
‚ Straßenerleuhtung, aber in ſehr ungeſchickter
Reife. Man
errichtet
150 bis 200)
Ruß hohe
erferne Se:
jtelle (jiche
Fig. 14)
oder aber
Maiten, an
deren Spitze
ein Kranz
eleftrifcher
Lampen an:
gebracht iſt.
Yeider hän—
gen dieſel—
ben zu hoch,
um mit hin:
reichender Kraft nach unten wirken zu fünnen
' und die Türme find zu weit voneinander ent:
fernt, als daß das Yıdıt des einen, die von dem
andern Licht verurjahten Schatten aufhellen
fünnte. Fargo iſt ein Hauptverladungsplaß für
Weizen, das wichtigite Erzeugnis Dakotas. Hier
finden ſich in
der Nähe
anderen Er 4 Ta TE Er jene acwal:
Ste 5 —— — — —
Steppen— tigen Far⸗
ſtadten aus men, wie die
zwei Häu— Dalrymble
ſerreihen zu
beiden Sei—
ten der
Bahn, in
denen einige
Seitenſtra—
hen recht—
winklig ein⸗
münden.
Kleinere Steppenplätze weiſen oft nur eine
ſolche, der Bahn parallele Häuferreihe und aar
feine Nebenftragen auf. Fargo tft unter allen
Steppenpläßen der Nordpacificbahn die volk—
reichite und vorgeſchrittenſte. Es hat bereits eine
ziemliche Anzahl Steingebäude, ein Opernhaus,
in dem hie und da eine Wandertruppe ſich hören
läßt, zwei täglich ericheinende, freilich herzlich
Fia. 18. Pilünen in Tatota IE, 75).
Farm, die
bet 20000
Ader 136
Ernte:
majchinen,
außerdem
eine ent:
ſprechende
Zahl an
Säe- und Dreſchmaſchinen beſitzt, denn hier
jind Arbeiter felten und teuer und deshalb weiſt
man alle Arbeit möglichit den Maſchinen zu.
Ende Mat beginnt die Nusfaat in den von dem
harten Winter fußtief aefrorenen Boden, Ende
Auguſt die Ernte. Viehzucht treibt man hier
nicht. Das gejchnittene Getreide wird nicht ein:
gefahren, jondern gleid) auf dem Felde mittels
Im Fluge durch Amerika,
75
Dia. 11,
Lofomobile und Dreſchmaſchine ausgedrofchen
und dann zur Bahn abgefahren. Scheunen und
dergleichen Gebäude find deshalb überflüjjig
(Fig. 15 u. 16, ©. 74). Ein Ader des Dakota—
landes liefert 15 bis 30 Buſhel Weizen.
Je weiter man mit der Eifenbahn nad)
Leſten fortichreitet, deſto weniger fultiviert er-
icheintdie Steppe, dejto trifter wird das Anfehen
der Steppenjtädte, deſto fteriler der Boden. Die
Bahn überfchreitet den Miſſouri auf hoher eifer:
ner Gitterbrüde und verbindet hier zwei gegen:
überliegende miteinander rivalifierende Orte,
Bismarf. \
midenparf gegeben. Der Boden ift wenig zum
Aderbau geeignet, aber die Sohle der Thäler
enthält vielfach reichlihen Graswuchs, der Ge—
legenheit zur Viehzucht gibt. Taufende von
Nindern weiden bereits hier, um voll gemäftet
nad) dem Dften verfauft zu werden. Die Eigen:
tümer halten feine Ställe, die Kühe laufen
Sommer und Winter frei umher und werden
zeitiweife durch reitende Hirten beauffichtigt,
welche die Eigentümer der Kühe an den den let:
teren eingebrannten Zeichen erkennen.
In manden Orten, z. B. Little Miffouri,
Bismard hat ſich die
(Fig. 17) in der Er:
und Man: — de liegende
dau, let: Braun⸗
teres mit kohle ent—
2000, ers 5 zündet und
jteres mit ' Die über:
3000 Ein: ee — lagernden
nen TREE] : Felſen
Im welt: ——— ganz
lichen braun ge—
Thal des brannt,
Staates ähnlich wie
Dalota in Deutſch⸗
tritt ein land bei
Sandſtein— Duttwei⸗
plateau ler und
auf, das Königs⸗
zum Teil Fia. 18, Osltzerne Brücke über dem Little Mifourl, Eu,
Braun: Weſtlich
kohlen einſchließt und von zahlreichen Eroſions—
thälern durchfurcht iſt. Der Regen hat hier an
den Abhängen der Felſen eigentümliche pyra—
midenförmige Geſtalten ausgewaſchen; daher
hat man dieſem Landſtrich den Namen Pyra—
von Little Miſſouri erreicht die Bahn bald den
Yellowſtonefluß, einen aus dem berühmten NYel—
lowitonegebiet fommenden, der Elbe an Größe
gleichenden Fluß und fie folgt ihm hunderte
von Meilen weit bis zu feinem Ausgangspuntte,
76 5. W. Dogel.
Erde ent:
. iprudeln,
teils ruhig
zu Tage
tretend,
teils als
permanen:
te Sprudel
empor⸗
ſpringend,
teils als
intermit⸗
tierende
Geiſer
fochende
Waſſer bis
zu mehre-
ren hun—
dert Fuß
empor:
ſchleu⸗
demberühmten Yellowſtone— RE. dernd,
thal, das jich bei Yiving in manche
ſtone öffnet. Hier befindet Kalk, an:
man ſich bereits in dem, dere Kie—
ſeinen Namen in der That führenden Bergland ſelerde, wieder andere Schlamm und Schwefel—
Montana. Hohe, zum Teil ſchneebedeckte Pils | waſſerſtoff ausſcheidend. Das erſte Naturwunder
ragen zu beiden Zeiten der Bahn auf, freilich | diefer Art, welches der von der Eijenbahn kom—
weniger malertjch wie die der Schweiz, denn Die | mende Reiſende erreicht, ift der Mammoth Hot:
meisten der Höhen zeigen kahle Abhänge. Die | fpring (Fig. 19, ©. 72), ein folofjaler, terrajjen-
malerischen Partieen des durch feine zahllofen | fürmiger, aus Kalf beftehender Quellenberg, auf
heißen Quellen berühmten Yellowitonegebietes | deſſen Stufen ſich zahllofe, Kalk ausjcheidende
erreiht man, wenn
man die Hauptlinie
verläßt, um einer
Zmweigbahn in das
Mellowitonethal zu
folgen. Diefes zeigt
in feinen oberen Bar:
tieen einen faſt alpt-
nen Gharafter, ob:
gleich feiner der um:
gebenden Berge die
Höhe von 12000 Fuß
überragt. Aber nicht
die Hodhgebirasnatur
allein iſt es, welche
das Mellowitone
aebiet jo intereflant
macht, fondern die
Unzahl heißer Quel:
len, welche hier der Big. 21. Gaftlegeiier S. ion.
Im Sluge durch Amerifa. 17
Beden gebildet haben. Dur dieſe Kalfaus: | worden. Vor demjelben liegt das erit in dieſem
ſcheidungen feiner Quellen ift der Berg, der von | ‚jahre vollendete Vammothhotipringhotel (in
weitem einem letjcherfuße ähnelt, aufgebaut , der Figur in feinen Anfängen fihtbar), das erite
Fiq. 22. Beifernebiet (©. 79),
Hotel der Art, welches die von der Negierung | engliihen Quadratmeilen foll, laut Kongreß—
fonzefjionierte PBarkimprovement Company im beſchluß, den Naturfreunden vorbehalten bleiben.
Nellowftoneparf gegründet hat. Diefe machen denn auch von den ihnen ver:
Andere Anſiedelungen ſind hier nicht gejtattet, | liehenen Nechten den umfaſſendſten Gebrauch.
denn das ganze Terrain in der Größe von 10) | Der Amerikaner liebt eine eigene Artder Sommer«
EEE ſ—
Big. W. Nebergang Über Glarke'a Fort IS #2. Urbeiteritadt.
reifen, die er mit Camping bezeichnet. Er be: | führt damit, oft die ganze Familie mit ſich
frachtet einen Wagen mit Zelt Jagd- und Küchen: | nehmend, ineine durch malerifche Scenerieen aus:
geſchirren, Lebensbedürfniſſen verjchiedener Art | gezeichnete Landſchaft und hält unterwegs nad)
78 6. W. Dogel.
Belieben Raſt zur Herrihtung der Mahlzeiten | genug gegen den Wald, der es ihm Liefert, in-
und zur Nachtruhe, die teils unter dem Zelte, | dem er leichtfinnig fein Bivouacfeuer brennend
teils unter freiem Himmel abgehalten wird. | zurüdläßt, dem gar zu leicht der ganze Wald,
Das Holz zum Abtochen feiner Mahlzeiten Fällt | zum Opfer fällt. Solche Gamppartieen (Fig. 20,
er, wo er es findet, und er ijt oft undanfbar |. 76) durchichwärmen mafjenhaft den Nellow-
jtoneparf und Waldbrände gehören
— daſelbſt zu den Alltäglichkeiten.
Auch der Präſident der Vereinig—
ten Staaten, Arthur, bereiſte zur
Zeit meiner Anweſenheit in dieſer
Weiſe den Yellowſtonepark. 280
Maultiere waren nötig, um ſein
und ſeines großartigen Gefolges
(er reiſte mit dem Höchſtkomman—
dierenden der Vereinigten Staaten,
SR; er “2 fs
. E u
a I se —
ig. 26. Dellomwitoneranion (2. ;uy,
(Heneral Sheridan, mehreren Governors und
50 Sergeanten) Gepäck zu befördern.
Der oben erwähnte Mammothberg liegt ein
ziemliches Stüd von den großen Geijern ent:
fernt. In merflicher Zahl zeigen ſich diejelben
erjt einige Meilen jüdliher am Gibbonfluß. bis an 30 Fuß emporſchießen. An anderen
Ruhig fliegende heiße Quellen find an deſſen Stellen ift der Boden aufgeflafft und entjendet
Ufern mafjenhaft verteilt. Man merkt ihre | ziichend Dampfwolfen, die zum Teil mit einem
(Gegenwart oft nur in den fühlen Morgen: und Geräuſch hinauspfeifen, als würde ein Dampf:
Abenditunden durd „die ihnen entjteigenden | fejjel abgeblajen. Die Bäume der Umgebung
Dampfmwolten. Yauter und vernehmlicher offen: | ericheinen von der ausgeichiedenen Kiefelerde oft
bart jich aber die Gegenwart der heigen Quellen | ganz wei; infruftiert. Manche diefer Geifer find
in einem in der Nähe des Gibbonflufjes liegen: | Schlammvulfane, d.h. ſie ſprudeln ein ſchmutziges,
den waldigen Thale, das man das Norris: | oft ſchwarzes Waſſer empor. Weiter nad Süden
geiferbaffin genannt hat; hier blidt man in einen | am Gibbonsfluffe entlang wird die Geiſerthätig—
wahren Hexenkeſſel. Der Boden des Thales ift keit wieder eine ruhigere, doc findet man fait
ganz weiß von tiefelerdeinkruftationen, an mans | allehundert Schritte am Wege mehr oder weniger
chen Stellen bilden diejelben Beden, aus denen | verftedt eine warme Quelle, oder ein mit fieden-
unaufhörlich Waſſerſtrahlen mit Dampfwolten | dem Waſſer angefülltes dampfendes Beden, aus
Fig. 28. Eruption ded old faithfull (€. 79),
Im Fluge durch Umerifa. 9
dem oft das Waſſer als immerwährender Spring:
quell emporſprudelt.
Größere Geijerbaffins weiſt die Nachbar:
Ihaft des Fireholeflufjes auf. Man unterjcheidet
bier ein unteres, mittleres und oberes Geifer:
baffin. Das lettere ift das großartigite. Hier
findet fich die folofjalfte aller Geiſer, d. h. inter:
mittierende beige Springquellen zufammen. Das
Geiſerbecken it ein weißes vegetationsleeres
Manche haben ji Krater aus Kiefelerde auf:
gebaut, wie der Gajtlegeifer (Fig. 21, ©. 76,
und Fig. 22, ©. 77), andere entjpringen auf
der Höhe eines janften Hegels, wie der old faith-
full (Fig. 23, ©. 78), wieder andere wie der
Grantgeiſer zeigen als Krater nur ein unregel-
mäßiges Loch in dem Boden des Baljins. Ebenfo
mannigfach erfcheint die Höhe der fpringenden
Wajferfäule und die Zeit zwifchen zwei aufein:
Feld von Kiefeljinter, in welchem die Deffnungen | ander folgenden Eruptionen. Die höchſte Höhe
| dürfte 250 Fuß fein. In Bezug auf Häufigkeit
der Geifer die mannigfaditen Formen bilden.
Fin. 7. Epofanr Kolls (8. 87).
der Eruptionen fteht unter den großen Geiſern der
old faithfull obenan, er fpeit jede Stunde eine
Waſſerſäule bis 150 Auf. Neben diefen großen
Geifern gibt cs noch eine Unzahl kleiner heißer
Quellen, die oft regelmäßige, freisrunde, mit
Niefelfinter aufgebaute Baſſins bilden ( i. Ab:
bildung), aus denen das heiße Waſſer unauf:
hörlich in den benachbarten Firekoleriver abflieft.
Eine andere Gruppe heißer Quellen find die |
Schwefelquellen. Diefe bilden kreisrunde Beden,
welhe enorme Maſſen Schwefelwaſſerſtoff aus:
hauden, durch deſſen Zerfegung in den Höh—
lungen des umgebenden Gefteins ſich Schwefel
ausſcheidet, der jich oftmals in ſchönen Kryſtallen
anjest. Es haben ſich in diefer Art förmliche,
ganz mit Schwefel durchſetzte Berge gebildet.
Aber nicht minder intereſſant als die Geiſer
find die großen Seen, Wafjerfälle und Schluchten
des Mellowftonegebietes. Sein Hauptwailer:
beden, der 8000 Fuß hoch Tiegende Nellomitone:
jee fendet feine Waſſer durch den Yellowſtone—
fluß thalwärts. Dieſer ſtürzt fih in zwei mäch—
tigen Waſſerfällen in eine tiefe Schlucht, den
Nellowitonecanion (Fig. 247 ©. 78), die an
2000 Fuß tief in das trachytiſche Hochplateau
eingefchnitten ift. Nicht allein der gewaltige
Wafierfall feijelt hier die Aufmerkſamkeit der
Neifenden, jondern auch die im höchiten Grade
phantaftiichen Geitaltungen und Karben der die
Schlucht einengenden Felſen. Diefelben aleichen
bald Türmen, bald Bajtionen oder Kaltellen und
jpringen weit in die mannigfach gefrümmte
80 &. W. Vogel.
Big. 28. Flußubergang burd Ferm IE, 8m.
Schlucht vor. An manden Stellen bilden fie
fpige hochragende Zaden, die von Adlerneiten
gekrönt find. Ihre Farbe zeigt alle Schattierun:
aen, vom hellen Schwefelgelb und Nojtfarbe
bis zum tiefen Duntelbraun. Die Höhe der
Felſen ift mit reichem dunfelgrünem Tannen:
wald geziert. Wir haben in Europa ähnliche
Schluchten, der Bodefefjel des Harzes gibt eine
ungefähre Idee davon im Kleinen — aber wohl
feine, die neben jo merfwürdiaen Formen und
Narben ſolche gewaltigen Waſſerfülle aufweiſt.
Merk—
würdig iſt,
daß dieſes
Wunder—
land der
VYellow⸗
ſtones bis
zum Jahre
1870 eine
Terra in-
cognita
war, daß
man den Er⸗
zählungen
der India—
ner von
ſpringenden
Geiſern und
ſiedenden
Flüſſen
nicht
glaubte,
bis zuerſt
Lieute—
nant
Deane in
dieſe Ne:
gionen
drang und
die Wahr:
heit jener
Angaben
durch eige⸗
ne Wahr—
nehmung
erkannte.
Zwei ah:
re Später
wurde Die
Negion
durd eine
große willenjchaftliche Erpedition unter der Füh—
rung von Profeſſor Hayden durchforscht und nun:
mehr ift ſie durch Die Nordpacifichahn allen zah—
lungsfähigen Naturfreunden zugänglich gemacht.
In landichaftlicher und naturhiftorischer Hin—
ſicht bildet das Yellowſtonegebiet den interejjan:
teiten Punkt an der nördlichen Bacificlinie. Die
Scenerieen, welcde fid) den Neifenden bei der
Fortſetzung des Eifenbahnweges nah Wejten
hin darbieten, erſcheinen im Vergleich zu dem
Nellowitonepark anfänglich etwas nüchtern. Das
Dig 2% Plukktergang durch Ferm IE. 4).
Im $luge durch Amerifa,
ziemlich fomplizierte, eines einheitlichen Charak—
ters ermangelnde Syſtem von Gebirgsfetten,
welches man unter dem Namen des Felſen—
gebirges zuſammenfaßt, bietet nicht entfernt
die landichaftlihen Neize europätfcher Gebirge
dar. Die Höhen find meiſtens Fahl oder nur
mit jpärlihem Grafe, das im Sommer braun
und verbrannt erſcheint, bededt. Wälder finden |
ſich nur fporadiih. Einige Abwechjelung ge:
währen die Flüſſe, deren Lauf die Bahn folat,
jo der Gallatinfluß und der Miffouri, welcher |
eriteren aufnimmt. Nach Verlafjen des Mifjouri: |
81
thals erreicht Die Bahn die Hauptitabt Montanas,
Helena genannt, nad) Fargo der volfreichite
Ort an diefer Strede, denn er zählt 8000 Ein:
wohner. Die Straßen der Stadt erjcheinen
häuferreicher, nicht durch jo viele leere „Lots“
unterbrochen wie die Fargos und der übrigen
Steppenpläge, und die bergige Umgebung ift
nicht unmalerisch, troß ihrer Kahlheit. Die Stadt
jteht auf goldhaltigem Boden. Ringsum ift der:
jelbe aufgewühlt durch Goldfucher. est hat
die primitive Goldwäſcherei dem hydraulischen
Minenprozefje Pla gemadt. (Vgl. V,p.609 ff.)
Fia. 90.
Jenſeits Helena durchbriht die Bahn das
Gebirge in einem großen Tunnel, der zur Zeit
meiner Reife ähnlih einem anderen öſtlich von
Helena befindlichen noch unvollendet war und
aufeinem provijorischen Seleije umgangen wurde.
Die Yandihaft in der Umgebung des Tunnels
it waldreih und maleriih. In Kurven über:
fchreitet hier die Bahn das Gebirge und erreicht
in der 5773 Fuß hohen Waſſerſcheide zwiſchen
dem Atlantifchen und dem Bacifiichen Ocean den
höchſten Punkt.
Die Stationen an dieſem Teile der Bahn
ſind oft nichts weiter als eine Vereinigung einiger
Zelte oder Bretterhütten. Miſſoula, eine Stadt
von 1200 Einwohnern, iſt der einzige Ort von
Um Rolumbialtom IS. am.
Belang. Ber der einfamen Station Arlee be:
tritt die Bahn eine Nefervation der Flathead—
indianer, d.h. einen Landſtrich, welcher regierungs:
feitig den Indianern als Cigentum referviert
ift und in welchem fich fein Weißer anfiedeln darf.
Freilich wird dieſes Verbot oft umgangen.
Bei der Durchſchneidung dieſer Nejervation
hat der Neifende reichlich Gelegenheit, Indianer
und deren Zelte rejp. Hütten zu jehen. Erſtere
‚ zeigen in Bezug auf Koſtüm die größte Mannia:
faltigfeit. Schr gern tragen fie bunte wollene
Deden, welche ihnen auf Negierungskojten ae:
liefert werden und in denen fie felbit bei glühen:
der Hite auf den Stationen Parade maden.
‚ Die Kleidung der Männer bejteht im übrigen
11
82 5. W. Dogel.
aus Ledermokaſſin, Beinkleid und einer Art Kittel.
Alle haben tiefihwarzes fchlichtes Haar, das in
zwei Zöpfen zu beiden Seiten des Geſichts
herunterhängt. Einzelne ſchminken ihre Stirn
rot. Ein Häuptling, den ich bei der Station
Arlee fah, trug ein von den anderen etwas ab-
weichendes Koftüm, ein Lederwams mit aufge:
nähten bunten
Lederitüden
und langen
Lederfranjen.
Um feinen Filz:
hut war ein
Stüd Pelz ge:
widelt und eine
hohe Feder auf
denjelben ge:
itedt.
Die Weiber
tragen ein lan:
ges Unterfleid
von fehr buntem
Stoff, einenidt
minder bunte
ade und ein
ebenſo farben:
reihes Kopf:
tuch. Ihre Kin:
der (jogenannte
Bapufen)
ſchleppen fie in
einem jadartı-
gen Tuche auf
dem Rüden.
Mit dem
Verlaſſen der
Indianerreſer⸗
vation erreicht
die Bahn das
waldreiche Thal
des Clarke's
Fork (Fig. 26, S. 77), eines großen Neben—
fluſſes des Kolumbiaſtromes, der ſich in das Stille
Meer ergießt. Wald, Fluß und Gebirge ver—
einigen ſich hier zu anmutigen, zum Teil ſogar
großartigen Landſchaftsbildern.
Leider werden dieſelben erheblich beeinträch—
tigt durch die Waldbrandverheerungen. Meilen—
lang dehnen ſich die durch Feuer verwüſteten
Wälder, deren Stämme, teilweiſe ihrer Aeſte be:
raubt, wie Schwarze Maſten in die Lüfte ragen,
Big. 21. Zmwilinasfellen und Rorbpacificbahn am Rolumbiaitrome IB. *4),
Im Fluge durch Mmerifa,
an der Bahn entlang aus. Nicht jelten durch—
eilt der Zug noch brennende Forſten, und davon
auffteigender Höhenraud) bededt dieganze Gegend
wie dichter Nebel.
Die Bahn nimmt hier eine nordweſtliche
Richtung bis zu dem durch jeine Naturfchönheiten
berühmten Lake Pend d’Dreille, wendet fih dann
füdlich zum
Spokanefluß,
ebenfalls ein
Nebenfluß des
Kolumbia-
jtromes, welcher
bier zahlreiche
Waſſerfälle bil-
det, deren Waj:
jerfraft von
. Eügemühlen
wader ausge:
nußt wird, und
dem jedenfalls
die Stadt Spo:
fane Falls (Fig.
27, S. 79), die
jetzt ſchon 2000
Einwohner
zählt, ihren Ur—
ſprung ver:
dankt.
Weiter weſtlich
erreicht die
Bahn das Hoch—
plateau des
Territoriums
Wafhinaton,
einen öden
Landſtrich, der
außer Salbei
und Sonnen:
rojen faum eine
Vegetation auf:
weift. Hier wird der lodere Boden dur den
Wind in mächtigen Wolfen von Staub empor:
gewirbelt, welcher den Reiſenden in unan-
genehmiter Weife beläftigt. Selbit in der Nähe
der Flußläufe ericheint diefe Hochebene öde, und
doch joll der Boden derjelben eine große Frucht:
barfeit entwideln und reihe Weizenernten ge:
währen, wenn er von den gewöhnlich im Oftober
eintretenden Negen durchfeuchtet wird.
Die Bahn endigte zur Zeit meiner Reife an
x
(58 9) quppyaok ze BR
v
ee
*
——
el TER a — * *
* * er“
84 5. W. Dogel.
dem Snake River bei der Station Ninsworth,
einem aus Bretterbuden beitehenden Steppen:
plate, hauptjächlich von Arbeitern bewohnt, die
‘Ye weiter man nah Reiten fortichreitet, deſto
großartiger wird die Scenerie. Die Bafalte bilden
phantaftiiche Klippen, welche die Eifenbahn in
tiefen Hohl⸗
hier bei dem großartigen, noch in den Anfangs-
ftadien befindlihen Bau der Brüde über den
Snake River beihäftigt find. Bis zur Vollendung
des Baues werden die Züge bruchſtückweiſe auf
einer Dampffähre übergefebt.
Solde Flußübergänge mittels Ferrys find
für Ueberjegung von Cijenbahnzügen in Amerifa
häufig im Gebraud. Unfere Figuren
28 u. 29 (5. 80) zeigen eine der am
beiten fonjtruierten Anlagen der Art
am ZSacramento.
Nah Ueberjchreitung des Fluſſes
erreicht die Eifenbahn bald einen ande:
ren Wüftenplat, Wallula, und wei:
terhin den berühmten Kolumbiaftrom
(Fig. 30, ©. 81), einen mädtigen
Fluß, der bis 700 Meilen von feiner
Mündung fhiffbar und etwa doppelt
fo breit alö die Donau bei Peſt iſt, er
durchbricht in feinem oberen Yaufe ein
Bajaltplateau, deijen ſchwarze Felſen—
maflen ihn auf beiden Seiten über:
ragen und feine Spur von Vegetation
zeigen. Die dunklen Felfen find von
hellgelbem Flußſand überdedt, und
an manchen Stellen in der Nähe der
wegen durch⸗
bricht (ſiehe
Fig. 31, ©.
»2). Das
Flußbett zur
Seite Der
Bahn ift
durch breite
flade Ba:
jaltinjeln
unterbro=
chen, über
weldhe Das
FR Waller in
—= KRasladen
hinweg:
rauſcht.
Das ſind die
berühmten
Strom:
ichnellen, weldhe unter dem Namen Paſſage
ofthe Dalles befannt find. Hier erblidt man
zuerſt die jchneebededten Häupter des vom Ko—
lumbiajtrome durchbrochenen Kasfadengebirges,
darunter den Mount Hood von 17500 Fuß Höhe.
Bei der Station Dalles, einer aufblühenden
Stadt von 3500 Einwohnern mit großen Hotels,
Dig. 24. Ghineflihe Reftauration (6, As).
Bahnlinie bildet derfelbe förmlihe Berge. Er | hübſchen Yaden, einer Gießerei und einem Walz:
gefährdet oft felbit den ftarfen Bahndamm. | werf, deren Häufer terrafienförmig den Abhang
Im Sluge durch Amerika.
am Kolumbiaftrom bededen und eine herrliche
Ausficht auf denjelben gewähren, ändert ſich plöß-
ih die Scenerie. Es jtellt ſich reihe Vegeta:
tion ein. Großſtämmige, oft an 180 Fuß hohe
sichten bilden impofante Wälder und geben ge:
meinſchaftlich mit den hochragenden Bafaltklippen
und dem ftolzen, injelreichen Strome eine immer
wechfelnde Folge prachtvoller Yandichaftsbilder.
Endlich verläßt die Bahn den Fluß, um fichder
an einem Nebenflufje des Kolumbiajtromes, dem
Willamette, liegenden Hauptitadtvon Oregon,
Portland, zuzumwenden, das bereits einen ganz
impofanten Ort von 35 000 Einwohnern bildet.
Die europäiſchen Mitteljtädte unterfcheiden
ih von den Großſtädten gewöhnlich dadurch,
daß ihnen wichtige Verfehrähilfsmittel, Anftalten
zur Erleichterung des Handels, der Komfort und
die Eleganz in der inneren Einrichtung der |
Wohnhäufer und in der äußeren der Straßen
mehr oder weniger fehlen. Diejer Unterſchied
bejteht in Amerika nicht. Bei uns haben wir
zahlreiche Mittelftädte ohne Wafferleitung. Der
1
85
fangen, die im Kolumbiajtrome ſich tummeln.
Das ThaldesWillamette, in dem Portland liegt,
it ebenfo ausgezeichnet durd) den Neichtum feines
Bodens als durd feine malerischen Scenerieen,
in welchen die von herrlichitem Wald gefrönten
Abhänge überall den Hintergrund bilden. Fit
das Wetter völlig klar, was leider infolge der
auch hier grafjierenden, Höhenrauch erzeugenden
Waldbrände nicht immer der Fall iſt, jo erblidt
man auch den fegelförmigen, dem Aetna ähn:
lichen, 60 Miles entfernten fchneebededten Mount
Hood, den König des KHasfadengebirges. Ein
‚ milder Himmel wölbt fich über diefer Landſchaft.
Die Sommer find nicht allzu heiß, die Winter
lo mäßig kalt, da Schnee und Eis zu den Aus:
nahmen gehören.
Aber Portland iſt nicht der einzige Endpunft
der Nordpacificlinie. Ein anderer Zweig gebt
von Wallula aus nad Tafoma am Pugetfund,
deſſen Umgebung flimatifch, landſchaftlich, land:
wirtſchaftlich und forſtlich nicht minder gejegnet
Amerikaner gründet ſolche oftmals, ehe er mit _
dem Bau einer Stadt beginnt. In Deutichland
it das elektrifche Licht noch immer Gegenitand
des Verfuchs in Großſtädten; in Amerika erhellt
dasjelbe bereits Wüſtenplätze (fiehe oben die
Mittelftädte großartige Hotels, Banken, Waren:
nur noch in der Ausdehnung, in der Einwohner:
zahl und der Großartigfeit des Verkehrs.
So ift es auch mit dem fernen, nur 35 000
Einwohner zählenden Portland in Dregon
(Fig. 32, ©. 83), das ein Europäer, der feine
gewaltigen Werften am Willametteflufje, welcher
für ſchon ziemlich ſchwere Seeſchiffe zugänglich ift,
und feine Hauptitragen (Fig. 33, ©. 84) fieht,
für eine echte Großjtadt halten würde.
Die Entwidelung von Portland beruht auf
dem Ernte: und Holzfegen des Landes und der
nahen Verbindung mit dem Stillen Meer. Wie
in Dafota, fo werden auch hier bereits, troß der
dünnen Bevölkerung, reihe Weizenernten dem
Boden entlodt und leichter per Schiff als dort |
per Eifenbahn in die Kanäle des Melthandels
geleitet. Sägemühlen ohne Zahl finden fi) am
Kolumbiaftrome und an dem wundervollen Meer:
bufen des nördlich davon gelegenen hochmaleri:
Ihen Pugetſunds, und Taufende von Fiſcher—
booten find thätig, um die zahllofen Lachſe zu
ericheint als diejenige des Kolumbiaftromes und
Nillamettes. Portland liegt 123 Miles vom
Meere entfernt, und leicht Fannı es fommen, daß
es von den näher am Meere gelegenen Orten
‚ überflügelt wird, jobald dieje in das ſich rapid
‚ ermweiternde Eijenbahnneß hineingezogen werden.
Beichreibung von Fargo). In Amerifa haben |
und verfügt jogar über eine deutjche Zeitung,
lager, Schulbauten ; kurz, der Unterſchied zwischen |
Mittel: und Großſtadt ift verwiſcht und eriftiert |
Portland birgt mehrere taufend Deutjche
einen deutjchen Turn: und Gefangverein. Außer:
dem aber weiſt es mindejtens ebenfoviel Chineſen
auf, die hier wie in San Francisco fi) mitten
in der Stadt angejiedelt, große Handelshäufer,
Schuh: und Stiefelfabrifen, Wäſchereien, Ne:
ſtaurants in chineſiſchem Stil (Fig. 34, ©. 84)
und Joßhäuſer, d. h. Tempel, und ſogar ein
Theater gegründet haben. Als Kinderwärter,
Hausdiener, Gärtner find fie allfeitig gefucht und
‚ umfounentbehrlicher, als die Preiſe, welche euro:
päiſche Arbeiter hier fordern, unfinnig hoch find,
und viele, felbjt wohlhabende Familien Port:
lands, welche die Chinejen nicht lieben, es deshalb
vorziehen, ſich ohne jeglichen Dienftboten zu be—
helfen. Denn eine jtarfe Animofität bejteht gegen
die den Weißen Konkurrenz machenden Bewohner
des himmlischen Reichs, ein Nativismus, der
allerdings dadurch eine Berechtigung gewinnt,
daß die Chinefen fid) nicht mit Amerikanern ver:
‚ mifchen, in Kleidung, Sitten und Gewohnheiten
‚ ihrem Mutterlande treu bleiben und ftets, wenn
|
nicht lebendig, fo doch als Zeichen nach demfelben
zurüdfehren, denn die chinefischen Kompanieen,
5. W. Vogel.
86
welde die Einwanderer des himmlischen Neichs
importieren und dafür von dem Verdienſte ge:
wiſſe Prozente ziehen, find auch kontraktlich ver:
I
Int Fluge durch Umerifa.
breit, gleich einem fliegenden Meere ; hier wird der
Ertrag der Yachsfticherei gelandet, um in den
jogen, Gannaries gekocht, in Büchfen gepadt, ver:
pflihtet, im Falle des Ablebens ihre Yeiche nad) | lötet und über die ganze Welt verjendet zu
der Heimat zurüdzutransportieren, und Chinejen:
leihen find deshalb fein jeltenes Kradhtitüd für |
europätihe Schiffe, die zwiſchen Kalifornien,
Dregon und China fahren.
yet ift durch die von der Arbeiterpartei
durchgeſetzte Antichinefenbill die Einfuhr der Chi:
worden. Man landet fie nicht mehr direkt in den
amerifanifhen Häfen, fondern in Kolumbia.
Werden in Amerika Geſetze gegeben, jowerden
zu gleicher Zeit Mittel und Wege erfunden, ſie zu
umgehen, jo iſt es mit den Temperenz⸗(Mäßig⸗
keits⸗)Geſetzen und aud) mit der Antichinefenbill.
Portland fteht mit San Francisco vorläufia
no in feiner direkten Eifenbahnverbindung.
Aber jchnell nähern ſich die die beiden Städte
vereinigenden Linien der Rollendung. Sn:
zwiſchen wird der Verkehr hauptſächlich durd)
Schraubendampfer der Dregon:Eifenbahn: und
Schiffahrts : Gefellihaft (Fig. 35) vermittelt,
die wöchentlich zweimal zwifchen beiden Städten
laufen und drei Tage und drei Nächte Fahrzeit
benötigen. Die Schiffe berühren auf ihrer Fahrt
durch den Kolumbiaſtrom die Stadt Aſtoria, einen
vom Stillen Meere nur zehn engliihe Meilen
entfernten, den ſchwerſten Schiffen zugänglichen
Hafenplat. Hier ericheint der von waldigen
Hügeln eingerahmte Rolumbiajtrom majeſtätiſch
werden. Im jahre 1881 wurden nicht weniger als
550 000 Kiſten Lachs im Gefamtwerte von 2°4
Mill. Dollars verpadt und verihidt. Wiederum
ſind es Chinejen, die in diefen 49 Cannaries als
I
Arbeiterthätig find. Aſtoria birgt wohl von allen
amerikaniſchen Städten den höchſten Prozentſatz an
neſen erſchwert, aber keineswegs unmöglich ge:
chineſiſcher Bevölkerung, denn es hat unter nahe
6000 Einwohnern 2000 Chineſen. 1500 Boote
ſind ausſchließlich mit dem Lachsfange beſchäftigt,
von denen jedes im Durchſchnitt per Saiſon
1200 Lachſe liefert. Der Fiſchfang wird zur
Zeit, wenn die Ebbe beginnt, an der Mündung
des Fluſſes betrieben, nahe der großen Sandbank,
welche ſchon manchem Schiffe gefährlich wurde.
Ein ſchöner Dampfer der Oregon-Dampf—
ichifffompanie, die „Queen of the Pacific“,
ſtrandete hier zur Zeit meiner Anweſenheit in
Portland und wurde nur mit Verluſt der halben
Ladung wieder flott. Weniger glücklich war die
„Great Republic”, welche vor drei Jahren
ander Sandbanf Schiffbrud; litt und deren Wrad
mit Reiten von Mafchinenteilen zur Zeit der
Ebbe noch heute aus dem Waſſer hervorragt.
An jener Stelle endigte gegenüber dem Cap
Disappointment (ſ. Fig. 11, ©. 71) mein Flug
nad) dem fernen Weiten und vorbei an der ge:
fährlihen Barre trug mich der Dampfer füd:
wärts auf dem Stillen Meer nah San Francisco.
zz |
Big 95. Dod der Oregon Eitenbabn und Ehiffahrtö-@elenfhalt in Portlanb.
Mm, Berger. Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden!
87
Wär id geblieben dod)
Auf meiner Heiden!
Novelle von
M. Berger.
Schluß.)
un hielt er auch jenes in der
Hand, auf welchem das liebliche
Geſicht verzerrt, faſt unkennbar
erſchien; eine düſtere Wolke zog
F über ſeine Stirn und das Bild
erweiterte ſich. Mitten in der ſüdlichen Pracht
und Herrlichkeit Italiens ſah er jenen Ort, an
dem ſoviel Unglück, ſoviel Sünde geſchah, und
ſah ſich ſelbſt dort, von einem Ausfluge zurüd:
kehrend, den Spielſaal durcheilend — aber plöß:
lich fand er ſeine Schritte gehemmt durch eine
ihn überwältigende Macht. Er ſah eine junge
Frau dort mitten unter den Spielern ſitzen,
einen Haufen Gold vor ſich, mit glücklichem
Lächeln umherblickend, immer größere Summen
wagend, bis das Glück ſich wendete und alles
Gold einem anderen zugeſchoben wurde.
Und da ſah die Frau jenem Bilde gleich —
und es war feine Frau.
weggeholt, wie fie ſchwur, jo oft jie Gelegenheit
fände, wieder zu jpielen, troß jeiner Bitten;
'
I
|
|
|
I
Wie er fie von dort |
warum folle er ihr verbieten, was fie als Kind
bei Vater und Mutter gefehen und felbit gethan? |
Das ftand heute lebendig vor feinen Augen;
aber noch ein anderes ſtand ebenfo fichtbar da:
neben. Schwach und frank lag fein fchönes,
blühendes Weib und mit matter Stimme fagte
fie zu ihm: „Edgar, vergib mir, vergik, was
id) dort in Monte Carlo that, was ic) dort fagte; |
ich kann nicht gefund werben mit diefer Laſt auf
dem Herzen, wie oft ich fie auch gebeichtet habe,
fie wird nicht von mir genommen, wenn du fie |
nicht von mir nimmſt.“
Und als er verfpradh, zu vergeben, zu ver: |
geilen, da hatte fie einen Schwur auf das Kruzifir
verlangt — und er hatte ihr nicht gemwehrt, feine
Finger darauf zu legen. So war damals im
befiegelt worden, der ihn und fie zu Gefährten
wenig Monaten fein ſtürmiſch Herz verlangend
geihlofien im Rauſche wonnevolliten Glüdes.
Was hatte ihm diejes Glüd gewährt, hatte es
gehalten, was es verſprochen?
Man hörte draußen Schritte.
Er deutete nad} der Thüre:
„Sie wäre die Nechte geweſen!“
Marianne trat ein; fie jah bleich aus, fo
träumeriſch, wie nachtwandelnd.
„Mein Vater will nicht mitgehen,“ ſagte
ſie tonlos.
„Und Sie?“ fragte Santen.
Sie richtete große fragende, angſtvoll blickende
Augen auf ihn.
„sh gehe mit, wenn Sie es wollen.“
„Gut, wir werden Sie um drei Uhr ab:
holen,“ erwiderte der Maler.
Zur bejtimmten Stunde fuhr ein Wagen
vor und Marianne ftieg ein.
„Iſt es nicht viel fchöner jo, als mit der
häßlichen Eiſenbahn?“ fragte Melanie, fie be:
grüßend,
„Gewiß,“ entgegnete das junge Mädchen,
„zumal an diefem wundervollen Tage.”
„Edgar iſt voraus, es dauerte ihm zu lange
mit dem Wagen, er muß natürlich jtets etiwas
anderes wollen.“
„Er hätte die beiten Stunden verloren,
wäre er fo jpät angekommen,“ fagte Marianne.
„Nun natürlich, die Arbeit geht vor allem,“
fpottete Melanie.
Sie fuhren durd Felder und an blühenden
Obftbäumen vorüber ; bald hinter der Stadt lagen
einzelne Villen mit größeren Gärten, überall
Knospen und Blüten und fröhlihe Menfchen,
A dem Lebenswege machte, der Bund, den vor
N)
dunklen Krankenzimmer aufs neue der Bund | die fi des Frühlings freuten.
88
An einem Heinen Wirtshaufe hielt der Aut:
icher an; „von hier müjjen die Damen zu Fuß
gehen, immer dort hinaus, bis zum Walde und
dann gleich rechts den Bach entlang, dort liegt
die Mühle, von der Herr Santen fagte, daß er
da warten wolle.“
Sie Stiegen aus. Melanie war jehr guter
Laune und fand alles ſchön und nad Wunſch,
wie ed auch fam, jelbjt den ſchlechten ausge:
fahrenen Feldweg mit den großen Rinnen. An
den Heden blühten Blumen ſie pflüdte eine
ganze Handvoll.
Der Weg war nicht weit, der Wald noch
nicht jo dicht belaubt, man fah die Mühle bald
und auch Santen dort vor dem Hofthore fiten,
weldes alt und gebräunt war. Er bemerkte die
Herannahenden nicht, ganz leife ſchlich Melanie
hinter ihn und warf ihre Blumen über feinen
Kopf, daß fie zwiſchen feine Hände fielen. Che
er fih ummenden fonnte, hatte fie auch jchon
ihre Arme um feinen Hals geſchlungen und rief
fröhlih: „Gefangen!“ gab ihm einen Kuß und
erlöfte ihn.
Er aber jtand auf, hob fie von der Erde,
hielt die fleine, zarte Gejtalt hoch in die Höhe,
daß fie um Gnade bat, fühte jie mehrmals und
feste fie Dann nieder.
„Blumenfee,“ rief er lachend, „welch einen
Ueberfall hajt du dem forglojen Gatten bereitet;
bift du allein, wo iſt Marianne?“
„Dort jteht fie ja, ganz entſetzt über dein
Benehmen, Edgar, es war aber auch zu arg,“
fagte Melanie in gefränkter Würde, die ihr jehr
komiſch jtand.
Marianne jtand noch an derjelben Stelle,
ihren Strauß Blumen in der Hand. Zitternd
hatte fie der Begrüßung zugefehen.
„Er hat fie doch lieb,“ jubelte es in ihr.
Sie wußte nit, dab Edgar, wie heute früh,
auch jest plößlich denfen mußte: „Bezaubernd
und doch nicht die Nechte,“ und bei dieſem Ge:
danken ſuchte er unwillfürlich jene erniten jeelen:
vollen Augen des jungen Mädchens, die jo vieles
verschwiegen und jo mandes ausipraden.
Er begrüßte fie nun auch, indem er ihr gleich
feine Skizze zeigte; bald war ihr Intereſſe ganz
und voll bei feiner Arbeit, verweilend bei dieſem
oder jenem Heinen Detail, dieſem oder jenem
Lichteffekt.
„Nun möchte ich ſchnell noch einiges feſt—
"halten, ehe die Sonne eine andere Richtung
nimmt, führen Sie einftweilen Melanie im Walde
M. Berger
umber, jorgen Sie, daf fie mir nicht ungeduldig
wird, nicht wahr, Fräulein Marianne?“
Melanie fprang herzu, legte ihren Arm in
den ber Freundin und fie wanderten ins Grüne
hinein, bald hörte man ihre Stimmen fröhliche
Lieder fingen. Ihr Geſang hatte anderen ermedt,
nicht nur Vogelfang; aus der Mühle ertönte
eine helle Mädchenftimme, fie war nicht ftarf,
hatte aber einen eigentümlid weichen Klang,
der eindrudsvoll wirkte. Santen laufhte, es
waren feine fröhlichen Lieder; Volkslieder, aus
denen Heimweh herausflang. Auch Marianne
und Melanie waren ftehen geblieben, kamen
langjam der Mühle näher.
Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden,
Da hätt’ ih nichts verjpürt von all den Leiden,
Wär’ ich daheim doch nur, wär’ ich geblieben,
Da hätt’ ich nichts gewußt von all dem Lieben !
Bleiben, ach, darf ich nicht und kann nicht jheiden —
Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden!
Schon bei den eriten paar Worten mar
Marianne jtehen geblieben und hatte, Melaniens
Arm loslaffend, fi an einem jchlanfen Baum:
ſtamme fejtgehalten; jedes weitere Wort fiel
auf ihr Herz centnerfchwer; und als ob all das
Schwere, was auf dies junge Herz fiel, es zum
Berſten bringen mußte, ſtand's auf einmal Har
vor ihr: „Du liebſt jenen Dann, der dort drü—
ben auch dieſem Liede zuhört, der zu dir her-
blidt, ob du's auch recht hörst und der einer
anderen angehört.“
„Bleiben, ach, darf ich nicht und kann nicht
jheiden!“ wiederholte das Lied und langſam
und traurig ſchloß es:
„Wär' ich geblieben doch auf meiner Hei-
den!” Ein Heimweh nad ihren Tannen über:
fiel Marianne, ein Einſamſein überfam fie,
Thränen jtrömten ihr über die Wangen.
„Nun haben wir ein Geheimnis miteinan-
der und das iſt nicht gut,“ hörte fie Edgar jagen;
alles fam ihr wieder in den Sinn, der Augen
blid vor der firtinischen Madonna, jo manches
Heine Zeichen, welches bedeutete — wir gehören
zu einander und achören einander doch nicht an!
„Ein langmweiliges Lied, wie einfältig, es
fommt ja gar nichts darin vor, es ſagt gar nichts,
nod weniger wie eure Geheimjchrift,“ hörte fie
Melanie ausrufen, die ihrem Gatten entgegen=
ging, der nun auf fie zukam.
„Wie falt deine Hand ift, Edgar, du haft
zu lange da geſeſſen;“ er aber jah nur das Mäd—
chen, weldyes immer nod) den ſchlanken Stamm
u
— —
Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden!
des Eichbaumes im Arme hielt, wie um fich zu
ſchützen.
„Ich glaube, es iſt Zeit, nach Haufe zu fah—
ren,“ ſagte er, „ich will den Kutſcher benad):
richtigen.“
„Aber ich bin fehr hungrig, ic) dachte, wir
würden ein ländlihes Mahl in der Mühle ein:
nehmen, das hattejt du mir verſprochen.“
Marianne erwahte aus ihren Träumen
zum Bemußtjein des Gedanfens: „Sie darf es
nicht willen,“ und mit den Worten: „ch gehe
in die Mühle, zu jehen, was wir dort befommen
fönnen,“ lief fie hinweg. Bald war jemand
gefunden und das Mahl beitellt, welches in der
mit Oaisblatt bezogenen Laube aufgetragen
wurde. Auch ein Strauß Goldlad und Nar:
ciſſen fehlte nicht; Marianne ordnete noch die
großen Bläfer mit der fhäumenden Milh und
ſchnitt das friſche Schwarzbrot auf, als Santen
mit Melanie hereintrat.
„Für Sie habe ich Bier beftellt und etwas
Käfe, die Milh würde Ihnen wohl nicht be:
hagen,“ rief fie ihm zu.
„5a, das haben Sie gut gemacht,“ entgeg:
nete er und fie ſetzten ſich alle um den einfachen
Holztiſch.
„Wer ſingt bei Ihnen?“ fragte Melanie
die Müllersfrau.
„Es iſt ein Schweſterkind, es wohnt hier
eine Zeitlang, weil es krank war, ſoll ſich er—
holen; eigentlich hat der Herr Doktor das Singen
verboten, kann's aber nicht laſſen, 's hat eben
Heimweh,“ ſagte die Frau, „dort kommt es.“
Ein bleiches, zartes Mädchen trat aus der
Hausthüre und wollte nad) dem Walde zu.
„O fie foll uns noch fingen,“ rief Melanie.
„Du hörſt ja, jie darf nit,“ erinnerte
Santen.
„Nur nod) ein Lied, das ſchadet nicht.“
Die Frau war geehrt, daß des Schweiter:
Iindes Singen ber feinen gnädigen Frau gefalle.
„Annele, fomm ber, ſollſt noch eins fingen,
bein liebjtes, thu's nur,“ redete fie dem Mäd—
chen zu, als jenes ſich ein wenig zierte. Bald
aber war es überwunden, fie fette fich in die
Laube, die Hände in dem Schoße gefaltet und
fang noch einmal:
Mär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden!
Das gefällt mir nun gerade nicht fo gut,“
rief Melanie, als das Lied zu Ende war, „finge
doch noch etwas, mein liebes Kind.“
89
„Aber Melanie, das Mädchen ermüdet ſich,“
warf ihr Gatte ein.
„Lab doch!“ fagte fie ärgerlich).
Das Mädchen fang weiter, ein Lied nad)
dem anderen; bleid und teilnahmlos ſaß fie da
und doch Hang ihr Gejang jo wunderbar und
ergreifend.
Melanie dankte endlih, nahm eine Kette
von roten Korallen von ihrem Halje und gab
jie dem Mädchen, welches erjtaunt zur Müllers:
frau hinblidte. Dieje redete durdy Wort und
Gebärde zu und jo fühte das Mädchen die Hand
der Geberin und verließ mit der Tante die Laube.
„sch wollte, du hättejt dies nicht gethan,“
fagte Santen zu feiner Gattin.
„Warum?“ fuhr jene auf. „Edgar, vergiß
nicht, daß ich Herrin meiner Saden bin und
durchaus feine Einjpradhe in meine Handlungs:
weife liebe.“
Dabei blidte fie auf und unwillkürlich mußte
Marianne an jenes Bild denken, noch mehr, als
Santen mit eiöfaltem Tone jagte: „Meine liebe
Melanie, das werde ich niemals vergeſſen,“
fich fteif und ceremoniös verbeugte und die Mühle
mit den Worten verlieh;
„Ich werde den Kutſcher ſchicken, für mid)
jelbjt ziehe ich die rafchere Fahrt mit der Bahn
vor.“
Er hörte gar nicht mehr, als fie ihm nad:
rief: „Man kann ja nicht bis hierher fahren,
wir gehen mit,“ und war fo jchnell im dichteren
Laubwald verfhmwunden, daß fie das Nachgehen
bald aufgab.
Marianne hörte ſchweigend zu, als die junge
Frau in bittere Klagen ausbrach, ſie dachte nur
das eine:
„Wir haben ein Geheimnis miteinander und
das iſt nicht gut.“
Welche Qual brachte das Ende des jo heiter
begonnenen Ausfluges!
Melanie war plötzlich müde und faum fort:
zubringen; fie weinte, ftampfte mit dem Fuße
auf, wollte nicht weiter gehen, wollte nicht allein
im Walde bleiben. Faſt verlor Marianne die
Geduld — „wieviel mehr muß er leiden, und id)
will ihm nicht dieje Heine Stunde abnehmen?”
Und wieder redete fie der Freundin zu, nahm
die Feine rau auf den Arm, fie eine Strede
weit tragend, bis ihr die Arme fo weh thaten,
daß fie es nicht länger fonnte: „Wie jchade, das
war jo Schön,“ lachte Melanie und hüpfte voran
wie ein Kind.
12
90 M, Berger.
Endlich war der Magen erreicht, ſchon fing | find ſchwere Ketten für einen Mann und doc)
es an, dämmerig und fühl zu werden; gut in | ijt feiner jo frei im fich ſelbſt, um fich davon
Deden eingehüllt, lehnte Frau Santen in der | loszumachen. So find nun einmal die Männer,
Wagenede und war bald eingefhlummert. das bezaubert, betört und dann iſt's zu fpät.
Wie ſegnete Marianne diefen Schlummer, | Mein Kind, es finden fich nicht alle, die zu ein:
nun war fie mit ihren Gedanfen allein — und | ander gehören, und wenn fie fich gefunden haben
doch, fie fonnte ja nichts anderes denken als: | — ja dann werben fie getrennt,“ ſchloß Ferrand
„Bleiben, ad), darf ich nicht und kann nicht fchei: | bitter, ihren Arm loslafjend, als fie die Stufen
den! Nein, nein und fann nicht fcheiden. ” der Veranda hinanjtiegen. Drinnen war alles
So erreichte man endlich die Stadt; durch | heil und friedlich, der Theeleſſel ſummte fein
das Geraſſel auf dem Straßenpflafter erwachte | altes, ewiges Lied und es lautete gaſtlich und
Melanie, bald hielt der Magen vor der Villa. einladend.
Im Garten gingen zwei hohe Männergeftalten, Marianne bereitete den Thee und als fie
Ferrand und Santen, Sie famen andenWagen. | ihrem Vater, der düfter vor ſich hinfchauend im
Edgar öffnete und half Marianne heraus. Ihre Seſſel [ehnte, die erſte Taſſe reichte, blidte er
Hand lag in der feinen, fie fühlte einen leifen | fie jo freundlich und liebevoll an, daß fie leiſe
|
Drud. an dem Stuhle niederglitt, ihren Kopf an feinen
„IH danke Ihnen, Fräulein Marianne, | Arm lehnte und den Thränen nicht länger Ein:
Sie dürfen uns nicht verlaffen,“ ſagte er zu | halt gebieten fonnte.
ihr, ohne daß es die anderen hörten, die ebenfalls „Kind, was ijt dir?“ fragte Ferrand er:
miteinander ſprachen. ſchrocken.
Marianne nickte ſchweigend mit dem Kopfe. „Und wenn ſie ſich finden, dann werben
„Sceiden, ad, kann ich nicht!” diefe Worte
jtanden mit glühender Schrift vor ihren Augen
und das andere Wort: „Bleiben, ach, darf ich
nicht!” war ausgelöfcht, vergejjen. mit einem tiefen Seufzer.
Ihr Vater nahm ihren Arm in den feinen Marianne erhob fi), fie hatte an anderes
und führte fie dem Haufe zu. \ gedacht, aber es war qut, daß er fie nicht
„Du haft mir gefehlt, es war überall fo | verftanden, fie wollte ſich jelbjt nicht verftehen,
ftill und leer; ich habe den Thee beſtellt, brauchſt dann müßte ja auch das andere Wort wieder
feine Pflichten heute mehr auszuüben, du fiehft | jihtbar werden: „Bleiben, ach, darf ich nicht.“
bla und müde aus. Armes Kind! Santen „Zante Agnes hat aejchidt, du möchtejt
machte fih Vorwürfe, dich allein mit feinem | morgen in der Frühe zu ihr fommen, ſie fühle ſich
fleinen Satan gelafjen zu haben, und doch wie: | unmwohl. Es ijt mir leid, wenn deine Studien
der fagte er mit dem Egoismus des Künftlers | hierdurd) geftört werden, aber ich wünſche, daß
— ‚id fonnte nicht mehr bleiben, fie hat mir | du für Frau von Martin alles thun möchteit,
meine ganze Stimmung verdorben. Ich werde | was du kannſt,“ ſagte Ferrand nad) einer Weile
diefe Skizzen nicht brauchen können, ich verliere | zu feiner Tochter.
die Freiheit im Schaffen, wenn diefes Erlebnis Marianne war gern hierzu bereit, und jo
mir jtets in den Sinn fommt‘. Wir müfjen ſchon geſchah es, daß, als Santen am nächſten Tage
treu bei ihm ausharren. Der arme Kerl ift übel | fam, ihre Staffelei leer war, nur das angefan:
fie getrennt,“ flüfterte fie.
Er ftrich fanft über ihre heifen Wangen.
„a, fie gehörte wirklich zu mir,“ fagte er
daran.“ gene Bild mit den indigoblauen Wellen und den
„Aber weshalb hat er fie denn geheiratet?” | hellgelben Felfen erinnerte an die Ereignifje des
ſtieß Marianne endlich heraus. geitrigen Tages. Er fette fi) vor das Bild und
M Siehjt du nicht, wie bezaubernd die Heine | begann daran zu malen, unter feinen Händen
Here fein kann?“ fragte lachend ihr Water. | verfchwand bald die grelle Farbe. Er änderte
„Und außerdem die anfpruchsvolle Künftler: | nichts an der Kompofition — „das tft ihr Ge:
natur, die nicht bedenkt, wo fie verbraucht, die ı danfe, der muß bleiben, denn er iſt aut.“
nicht rechnen kann; Melanie ift ein reiches Mäd— Dann ging er an die eigene Arbeit, aber
den geweſen, eine jogenannte gute Partie, du | heute war fein guter Tag für ihn. Er war un:
hörft fie ja ſelbſt ſagen — wozu arbeiten, mein | ruhig, öfters wandte er ſich nad) der Thüre um,
Vater gibt uns ja alles, was wir wollen. Das | ging ins Nebenzimmer, ſah durch die Veranda
Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden !
nad) dem Garten, malte wieder eine Weile und
legte dann Pinſel und Palette unmutig nieder.
Ferrand Fam, eine Heine Thonvaje in der
Hand: „Hier, Santen, bringe ich Ihnen etwas,
das Sie eigentlich begeijtern follte.“
„3a,“ entgegnete er, „dieje einfache Form
iſt ſchön und ich habe wirkliche Freude am An:
ihauen derjelben, aber wenn id} fie mit meiner
Kunft in Zufammenhang bringen foll, ijt fie mir
verleidet; denn dann muß ich an die Ausitellun:
gen denfen, die nächſtens wie ein großer Geſchirr—
markt ausjehen werden, da fann mich eine Wut
erfaſſen —“ und er ergriff die Vafe, als wollte
er fie zu Boden fchleudern.
Santen ereiferte fih, wie es Ferrand fchei:
nen wollte, mehr wie notwendig. war, er eilte,
fein Eigentum zu retten und wollte begütigen.
„Nein, deshalb brachte ich fie Ihnen nicht,
daß Sie in eine ſolche Berſerkerwut ausbrechen
follten. Was haben Sie denn heute gemalt?“
fragte er, vor die Staffelet tretend.
Santen hatte ſich nach dem Fenfter gewandt:
— „es will heute nichts werden,“ nahm feinen
Hut und wollte das Zimmer verlajjen. „Ich will
in die Galerie wallfahrten, vielleicht wird meine
Stimmung beſſer,“ ſagte er, Abjchied nehmend.
„Ihr ſeid wunderbare Yeute mit euren
Stimmungen. Zum Glüf hat Marianne nod)
nichts Davon,“ fagte Ferrand ihm auf die Schul:
ter Elopfend. Er beadhtete dieje Worte nicht und
eilte hinweg.
Es war um die Mittagszeit, als er in der
Galerie anlangte. Die Säle waren leer, er ver:
weilte bald vor diefem, bald vor jenem Bilde,
jo fam er endlich auch in das Heiligtum — zur
firtinifchen Madonna. Ohne einzutreten, blieb
er in der Thüre ftehen, ji an einen der Pfoſten
Iehnend und fchaute auf das Bild hin. Kein
Laut jtörte feine Betrachtung, da regte fich plötz—
lic; etwas in dem kleinen Kabinett, er hörte ein
unterdrüdtes Schluchzen, er blidte hinein, eine
Frauengeftalt lag fait in fich zufammengeiunfen
‚auf dem Diwan, die Hände vor das Geficht ge:
preßt.
„Marianne!“ ſchrie Santen auf; jene zuckte
zuſammen. „Hier finde ich Sie, weshalb ließen
Sie mich allein? Ich kann nicht malen, wenn
Sie nicht da ſind, ich bin nun einmal daran ge—
wöhnt.“
Seine Stimme klang hart und vorwurfsvoll.
„Ich war zu Frau von Martin gerufen
worden,“ entgegnete das Mädchen, welches ſich
9
erhoben hatte, und deſſen jtolze Haltung be:
weijen jollte, dai es den Vorwurf nicht zu ver:
dienen glaubte.
„Ausreden,“ warf verächtlih der Maler
hin, „und ohne mich in die Galerie zu gehen —
es ift und bleibt mein Vorrecht, Sie hier einzu:
führen.“
„Seit wann habe ich Ihnen meine Freiheit
geopfert?“ ſuchte Marianne zu fcherzen. „Ich
war nicht allein hier, ſondern im Gorreggio: Saal,
bei den jpanifchen Bildern —“
„Und die haben Sie zum Weinen gebracht ?“
unterbrady Santen.
Marianne errötete, er fuhr fort: „Warum
haben Sie geweint? ich will es willen, ih muß
es willen, “
Er faßte ihre Hand.
„Sie brauden es nicht zu willen,“ ant:
wortete Marianne, ihm die Hand entzichend,
„und nun fommen Sie noch einmal zu der Maria
in Aegypten‘, die will ich Ihnen zeigen.“
Er blieb jtehen.
„Beriprechen Sie mir eins — gehen Sie
nicht mehr aus, wenn id) zum Malen fomme, ich
fann Sie nicht entbehren; das iſt doch wahrlid)
fein jo großes Opfer!“
„Und doch noch größer, als ich zu leiten
vermag, die Wünfche der Tante Agnes gehen
noch vor den Ihren. Uebrigens habe ic} jtets
vergeflen, „ihnen zu jagen, dat Frau von Martin
Sie kennen zu lernen wünſcht; freilich eben tt
fie krank und fann nicht viel Menſchen jehen,
jpäter aber müfjen Sie mit Melanie hingehen,
fie zu bejuchen. “
„Wie Sie wünſchen, Fräulein Ferrand,“
ſagte Santen plötzlich verändert, „nun laſſen
Sie uns zur ägyptiſchen Maria gehen.“
Sie traten vor das Bild. Heute ſprach ſie,
und er hörte zu; jo ſchien es wenigſtens. Dann
trennten fie ſich und jedes fuchte fein Heim auf.
Es vergingen Tage, es vergingen Wochen,
aber fein Taq und feine Mode, an dem Santen
nicht fam, Marianne nicht an ihrer Staffelei
ſaß, fie nicht ein gemeinfames Intereſſe am
Nachmittag oder Abend zufammenführte. Wohl
waren Melanie und aud) Ferrand ftets mit ihnen,
und doch war es, als gehörten nur fie zu einan—
der und Marianne fühlte immer deutlicher, wie
ihre Kreiheit im Denten und Handeln gänzlich)
dahin ſchwand, wie fie nur noch lebte in feinem
Willen und nad) demjelben.
Nie oft ſchon hatte fie fich empört gegen
92 M. Berger.
dieſe Gewalt, die in ihr Leben getreten und ſich
ihrer mit ſolcher Herrſchaft bemächtigt hatte; wie
oft gealaubt, fich befreit zu Haben und dann war
fie doc) wieder zu ſchwach geweſen, einen Ent:
ihluß, der fie von Santen trennen würde, zu
fafjen, wenn fie ſah, wie fie feinem Glücke, jeinem
Mohlbehagen nötig war, wie jelbit Melanie
durch ihren Einfluß weniger launenhaft, bejtän:
Diger wurbe.
„Wirmüffen treu bei ihm ausharren,“ hatte
ihr Vater gejagt, es war Freundespflicht, fie
durfte nicht gehen; wie hätte fie es aud) gekonnt,
durfte fie den Vater verlafien? So war das
junge, thörichte Herz bald zur Ruhe geiprochen
und das Verhängnis fchritt langjam feinen Gang
fort. Ferrand ſah nicht die bleihen Wangen
und die öfters verweinten Augen, er bemerkte
nit das Aufleuchten derjelben, wenn Santen
eintrat, fein Name als Künftler erwähnt wurde,
auch nicht das müde, abgeipannte Weſen, wenn
Melanie einen Nachmittag lang allein dageweſen
war. Mit feinen Studien befchäftigt, ſah er die
Tochter nur, wenn andere dabei waren, oder
wenn er ihrer bedurfte und fie zu fich rief; dann
fand er fie ſtets angeregt und heiter, ftetö bereit,
dies oder jenes für ihn zu thun.
Marianne war nicht unglüdlih; wohl litt
fie namenlofe Bein, wenn fie ſah, wie Santen
in feiner Häuslichkeit alles entbehrte, was ihm
zum Glüde nötig war, wohl war es oft eine
Qual, die fie faum zu ertragen vermochte,
wenn er gereizt und unzufrieden, auch gegen fie
bitter und ungerecht erihien; lag es aber dann
in ihrer Macht, ihn umzuftimmen, gelang es
ihr, ihn heiter zu jehen, dann war alles Weh
vergeſſen.
Die Briefe an den Großvater ſprachen von
Befriedigung und Freude an den neuen Beichäf:
tiqungen, den neuen Pflichten, fie fagten aber
nicht viel von den neuen Freunden.
„Ehe die Tannen ihr Winterfleid an:
ziehen, fomme ich zu Dir — o wie wollen wir
uns dann des Zufammenjeins freuen. Grüße
mir aud Gertrud.“
Aber es war noch lange bis zu der Zeit, da
die Tannen ihr Winterkleid anzogen; der Monat
Juli mit feinen glühenden Sommertagen neigte
ſich faum dem Ende zu. Santen hatte eine fleine
Reife angetreten, er wollte die Ausftellung be:
ſuchen, fein Bild hatte dort viel Aufjehen erregt
und war bald verfauft worden, man erwartete
ihn in den nächiten Tagen zurüd.
Melanie hielt ihren Sommerfchlaf, nur des
Abends erfchien fie und holte öfters Ferrand und
jeine Tochter ab, um mit ihr auf die Brühlſche
Terraſſe zu gehen oder eine Spazierfahrt im
Mondſchein zu unternehmen.
Nod immer hatte die Einführung Santens
und feiner Frau bei Tante Agnes nicht ftattfin-
den fünnen, Frau von Martin war lange Wochen
leidend geweſen, hatte niemand, felbft Marianne
nicht ſehen können; nun war fie wieder wohler
und jobald Santen zurüdgefehrt, follten die
Freunde das ftille Heim in der Roſenſtraße
kennen lernen. Marianne fühlte eine gewiſſe
Scheu vor diefem Ereigniffe, die Urſache davon
war ihr jelbjt nicht Klar.
Sie war an ihrer Staffelei fleißig geweſen,
hatte gezeichnet und gemalt — wie freute fie
fih, dies alles dem Zurüdfehrenden zu zeigen.
Würde er zufrieden fein, würde er Fortichritte
finden? Alfo in die Zukunft denfend, hörte fie
plöglid, wie die Thüre der Veranda heftig ge:
öffnet wurde, raſche Schritte durcheilten das
Gartenzimmer, fie erhob fich, e8 mußte Santen
fein; ehe fie noch einen Schritt vorwärts gethan,
ftürzte er ins Atelier, veifebejtaubt und erhitt,
in freudiger Erregung feinen Hut auf den näch—
ften Stuhl werfend, beide Hände ihr entgegen
reichend.
„Marianne! nun bin ich wieder bei Ihnen.“
Sie aber ſtand bleich und ſtumm an der
Staffelei, dem erſten Impuls, ſeine Begrüßung
ebenſo ſtürmiſch zu erwidern, nicht nachgebend.
Auch Santen kam nicht näher, fuhr mit der
Hand über die Stirne und ſagte nach einer
Weile:
„Berzeihen Sie, ich vergaß mid.“
Sein Blid wurde ernft und trübe, fein Ge:
ficht faſt fo bleich wie das ihre; dann aber fam
er doch auf fie zu, langſam und ruhig.
„Waren Sie fleißig?“ fagte er mit fehr
verändertem Tone und betrachtete ihre Studien.
Marianne durdhzudte ein wilder Schmerz.
Sie hätte auffchreien mögen, und in ihrem Her:
zen rief es laut und immer lauter: „Mein bift
du und doch bift du's nicht, warum, warum!”
Endlich hatte fie foviel Gewalt über ſich
gewonnen, um fich zuzutrauen, ihn anzureden:
„Und Ihr Bild fommt nicht zurüd? ch
wünſche Ihnen Glück dazu, mir aber thut es
leid!“
„So wenig Ehrgeiz haben Sie für mich?“
fragte er mild und freundlich.
Mär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden!
„Das nicht, aber es fehlt mir hier,“ ent:
gegnete fie beherzter.
„Es war uns ein guter Kamerad, nicht
wahr? Nun, id fange ein anderes an. Und
Sie? Malen Sie immer wieder das Meer,
haben Sie Heimweh danach, Sie Schwarzwald:
mädchen?“ Und er feste fich vor die Staffelei.
„a, das Meer hat es mir angethan,* jagte
Marianne. „Kennen Sie das Lied: ‚Das Meer
erftrahlt im Sonnenſchein, als ob es golden wär,
ihr Brüder, wenn ich jterbe, verſenkt mich in das
Meer.‘“
„sa, ja, ich fenne es,“ fuhr Santen lebhaft
auf und ſummte eine Melodie vor fih hin:
„Hab’ immer das Meer jo lieb gehabt, e8 hat
mit janfter Flut fo oft mein Herz gefühlet, wir
waren einander jo qut.”
„Sterben wollen wir aber nicht, Marianne,
wir wollen leben — leben!“
Sie legte ihre Hand auf feine Schulter und
jagte leife und bejtimmt:
„Sterben wollen wir nit, wir wollen ar:
beiten!“
„sa, arbeiten,“ wiederholte er mit dem
Kopfe nidend. „Doc ich muß nad) Haufe, Me:
lanie weiß nicht, daß ich heute zurüdfomme;
hier dieſes laſſe ich da, ich brauche es gleich
morgen, wollte e3 nur jchnell im VBorübergehen
abgeben. Adieu Fräulein Ferrand, auf Wieder:
jehen! Dod halt, faſt hätte ich vergefien, ich
habe Ihnen dies mitgebracht.“ Und er reichte
ihr eine Photographie hin.
„Nie entzüdend,* rief Marianne freudig
aus, „it es ein Nelief? Ab, von Thorwaldien,
wie erinnert es an Goethes: ‚Wer kauft Yiebes:
götter.‘“
„Er nennt eö die Liebesalter. Sehen Sie
dort den Korb mit den Amoren, neugierig be:
trachtet von denen, die nicht wiſſen, was jene find;
dann diefe Geitalt, die jehnfüchtig die Arme nad)
dem Kleinen geflügelten Burfchen ausbreitet,
dieje hält ihn feit am Buſen, damit er ja nicht
entfliege, diefe trägt ihn weinend nur nod) an
den Flügeln, und jenem ernjten Manne ſitzt er
im Naden, ihn beherrichend wie ein Joh, dem
Greiſe entflieht er.”
Er hatte ihr das Blatt wieder genommen,
als er es ihr erklärte, jet gab er es zurüd.
„So, nun nehmen Sie es, und fuchen Sie
ſich hr Ebenbild, das meine kenne ich.“
Er ging und Marianne vertiefte fich mit
neuem Ernſt in ihre Arbeit.
93
Kaum war eine fleine Stunde verflojjen,
als ein Magen vorfuhr und Melanie eintrat.
„sch war bei Tante Agnes,“ rief fie, ſich
fröhlich in einen Seſſel werfend, ftolz auf den
föjtlihen Streich, den fie ausgeführt.
„Melanie, du ſcherzeſt,“ jagte Marianne
erſchreckt.
„Ich war bei Tante Agnes, Roſenſtraße 20.“
„Aber ſage mir, wie war das möglich?“
„Nun, das iſt ganz einfach. Heute beim
Frühſtück las ich in der Zeitung: ‚Ein Papagei
zu verfaufen, Nofenjtraße 20°, fuhr natürlid)
hin, denn ich wünfchte mir nichts fehnlicher, als
einen Bapagei, fomme richtig an, aber der Vogel
it eine Stunde vorher verfauft worden; jo geht
mir's ja immer; ich will wieder fort, leſe nur
noch unten die Namen der Hausbewohner, da
jehe ich plößlich — Frau von Martin — kehre
ſchnell um, laufe hinauf, man öffnet, ich gebe
meine Karte und werde eingelafjen. Etwas mußte
ich doch haben!“
„Konnte es der Papagei nicht fein, jo mußte
es Tante Agnes fein,“ jagte Marianne lähelnd.
„ber jo früh am Tage, die arme Tante.”
„Sie ift auch ſehr erichroden, fie glaubte,
es fei euch etwas Wunderbares geichehen, als ob
man mid) dann jchifen würde! Sie hat fid) je:
doch bald wieder gefaßt; ich erzählte ihr, wie es
mir mit dem Papagei gegangen und fie [ud uns
alle auf morgen Nachmittag ein, vorausgejeßt,
daß Edgar noch heute fommt. Nun wäre dies
endlich auch joweit und diesmal habe ich es
fertig gebracht. *
Marianne malte eifrig weiter.
„Dein Gatte ijt zurüd, er legte einiges hier
ins Atelier.“
Die feine Frau jprang auf: „Und das jagit
du mir jeßt erft. Wie wird er zanfen, daß ich
nicht zu Haufe war; er wird alles aleich jehen,
was ich in feiner Abwejenheit kaufte, und eine
Menge Dinge merken, von denen er nichts wiſſen
jollte!*
„Haft du Heimlichfeiten vor ihm?“ fragte
Marianne in faft verächtlihem Tone.
Mit leichtfinnigem Adjelzuden antwortete
Melanie: „Ne nun, zuweilen!”
„Dann fahre jchnell nach Haufe, denn es iſt
icon eine Stunde verfloffen, feit er hier war.”
rau Santen nahm eilig Abjchied.
Als Marianne ſpäter ihrem Vater von dem
Beſuch bei Tante Agnes erzählte, erheiterte ihn
diefer Ueberfall jehr.
92
Gy. mußt gegen Abend hingehen, um zu
724 JE die arme Frau dies überftanden hat,“
* Poazıng .
Zante Agnes ſaß auf dem Balkon, als am
Abend ihre junge Freundin bei ihr eintrat. Sie
jah müde und angegriffen aus.
„sh erwartete dich,“ rief fie jener zu,
„weißt du, daß Melanie Santen bei mir war?“
„Deshalb fomme ich,“ antwortete Marianne.
„Ich bin unjchuldig daran, Tante Agnes, Me:
lanie ift unberechenbar. *
„Und das ift die Frau eures Freundes,“
fagte Frau von Martin, „iſt er wohl ſehr glüd:
lich mit ihr? Bafjen fie zuſammen?“ fuhr fie
fort, das junge Mädchen forjchend anſehend.
Marianne errötete bis unter die fraufen
Haare: „Sie ijt nicht immer fo findifch,“ ent:
gegnete fie.
„Ihr fommt morgen alle zu mir; ſagte fie
dies?“
„Ja, aber iſt es nicht zu viel für Dich, liebe
Tante, bift du wohl genug?” fragte Marianne.
„Ich wünjche es dringend,“ erwiderte Frau
von Martin jehr bejtimmt.
Und fo geichah es.
Ferrand ging mit feiner Tochter ſchon frühe
nad der Roſenſtraße, alles war fejtlich herge:
richtet, Blumen zierten das Zimmer, den Thee:
tifch.
„Du vertrittit die Hausfrau, mein Kind, “
jagte Frau von Martin.
Endlid fam auch Santen mit feiner Krau,
Melanie wie eine alte Bekannte Tante Agnes
M. Berger,
„sh weiß nicht,“ antwortete Marianne
zögernd.
„Wir ſingen ſehr ſchön zuſammen, gnädige
Frau,“ verſicherte Frau Santen, „zweiſtimmige
Volkslieder, ohne Begleitung; komm, Marianne,
wir ſetzen uns draußen auf den Balkon, das
wird reizend.“
Marianne wußte nur zu gut, da, hatte
Melanie fih einmal etwas in den Kopf gejeßt,
fie nicht davon abzubringen war, es ſchien ihr
klüger, nachzugeben.
„Wenn du erlaubſt, liebe Tante?“ fragte
ſie. „Gewiß, gewiß,“ entgegnete Frau von
Martin, „ich freue mich ſehr, euch zu hören.“
So ſangen ſie denn alle die kleinen Lieder
und es war wirklich lieblich anzuhören.
„Wie hieß doch gleich das Lied, welches dir
und Edgar ſo gut gefiel, das Mädchen ſang es
damals draußen in der Mühle,“ ſagte Melanie,
ſchon in der Balfonthür jtehend, um wieder ein:
zutreten.
Santen erhob ſich fo raſch und heftig von
jeinem Stuhle, daß die Taſſen auf dem Tiſche
| flirrten.
„Edgar, wie hieß es?“ beharrte die junge
rau,
„Ich weiß nicht, welches du meinſt, es gibt
viele Lieder, die mir gefallen,“ antwortete er
| ungeduldig.
„Ic was; das eine, ich brachte es dir ja
auch, Marianne: etwas von einer Heide. hr
wißt es recht qut. So hilf mir doch jemand, id)
}
begrüßend, Edgar, etwas befangen und fürmlich, |
wie er eö leicht Fremden gegenüber fein fonnte; |
bald aber verſchwand dies und die allgemeine |
Unterhaltung war lebhaft und angeregt.
Frau von Martin ſprach am wenigjten und
öfter begegnete Marianne ihren Bliden, die
ängftlich und forjchend auf ihr ruhten und dem |
Mädchen die gewohnte Unbefangenheit raubten.
Santen jaß zwiichen ihr und der Tante; Me:
lanie plauderte eifrig an Ferrand heran, der ihr
wie immer lächelnd zuhörte und zuweilen einen
Heinen Sieb verjette, den fie weiter nicht be:
achtete. Santen erzählte von der Neife, von der
Ausjtellung, Marianne hörte ihm zu, um fo be:
geijterter, wenn er eines der Bilder beiprad).
„Wollen wir Tante Agnes nicht etwas vor:
fingen?” fragte plöglih Melanie; eine düftere
Wolfe, die Frau von Martin nicht unbemerkt
blieb, flog über das Geſicht des Malers.
möchte willen, ob ich jo unrecht habe, ich finde
es nämlich entjeglich albern,“ wendete fie ſich zu
Frau von Martin.
„Ich hörte dich's erſt neulich fingen, Ma:
rianne, als ich dich abholte und du im Atelier
ſaßeſt, in deinen Skizzen herumfuchend. *
Marianne ſchwieg noch immer. Santen war
erregt und blidte feine Frau unmutig an. er:
vand, eine Scene fürchtend, redete feiner Tochter
zu, das Lied zu verfuchen.
Marianne blieb draußen auf dem Balkon,
der noch von den legten Strahlen der unter:
gehenden Sonne beleuchtet war; im Zimmer
wurde es faſt dunkel, außer Frau von Martin
fonnte niemand das junge Mädchen fehen. Sie
aber ſah wie Marianne, das bleiche Gefiht von
dem Widerfchein des jonnenvergoldeten Himmels
beleuchtet, nocdy immer regungslos auf dem
Heinen Sofa ſaß, die Augen in namenlojer
Dual nad) oben gerichtet, die Hände Frampfhaft
Wär’ ich geblieben dod; — Auf meiner Heiden ! 95
gefaltet. Dann fam es plötzlich wie ein eiferner
Entſchluß über fie und fie fang mit lauter,
fiherer Stimme:
Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden,
Dann hätt’ ich nichts verjpürt von all dem Yeiden,
Wär’ ich daheim doch nur, wär’ ich geblieben,
Dann hätt’ ich nichts gewußt von all dem Lieben!
Bleiben, ach, darf ich nicht, und kann nicht ſcheiden —
Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden!
Sie hatte geendet — einen Augenblid waren
alle jtill; das Lied war eine Gejchichte tiefiten
Herzeleids, es war der Aufſchrei eines Herzens,
das verzweifelnd unterliegt im Kampfe mit fid)
jelbit.
Und all dies hatte ein jeder gehört und
auf jeine Weiſe ausgelegt.
In dieſe Stille hinein ſchlug eine Feine
Pendeluhr im Nebenzimmer mit hellem Klange
eilig jieben Uhr. Melanie horchte und zählte.
„Zollte um fieben Uhr nicht das Theater
angehen? Marianne, du weißt noch gar nicht,
daß wir auch für dich ein Billet genommen haben;
es wird Othello gegeben, ich freue mich fo jehr |
auf den Mohr! Müſſen wir nicht gehen?“ fragte
fie den Gatten.
Sie hatten alle während diejer Auseinander:
ſetzung der jungen Frau Zeit gehabt, ſich aus
den Gedanken herauszufinden, die jenes Yied
Mariannens in ihnen ermwedt.
Santen jprang auf, als fünne cr nit
ſchnell genug ins Theater fommen, Tante
Agnes ſchien einen Verſuch machen zu wollen,
Marianne dazubehalten, dieje ſelbſt lief willen:
los über fich bejtimmen und Melanie erklärte:
„Ohne dich gehe ich nicht, du mußt mitfommen,
du gehörft zu ung.“
So ſchieden fie.
Man hörte unten an der Hausthüre den
Maler einen Wagen anrufen, ſie ſtiegen ein, im
nächſten Augenblick war der Wagen um die Ecke
verſchwunden.
Ferrand und Frau von Martin waren allein.
. „Wie foll das weiter gehen, Ferrand?“
fragte fie errent.
Er ſchien aus einem Traume zu erwaden:
„Was weiter gehen?”
_ „Nun, jehen Sie denn nicht, daß Marianne
<anten liebt, konnten Sie fo blind fein?“
„Marianne — Santen liebt“ ſprach Ser:
—* nach, als wiſſe er nicht recht, was dieſe
Worte bedeuten ſollten.
„Und zu Grunde geht,“ ſagte Frau von Mar—
tin mit Nachdruck.
„Ach was, ſo unvernünftig iſt Marianne
nicht,“ wehrte Ferrand ab.
„Liebſter Freund, damit hat die Vernunft
gar nichts zu Schaffen; ich jage Ihnen, dieſe bei:
den gehören zujfammen, find füreinander ge:
Ihaffen, und ihre Herzen jtreben einander zu,
troß dieſer unglüdlihen Frau, die das gerade
Gegenteil ift von dem, was Ihren Freund alüd:
lich machen fönnte. Und glauben Sie mir, Fer:
rand, Santen weiß jehr genau, wie es mit
Marianne jteht, und fein eigen Herz wird er
auch fennen. Und nun jagen Sie mir, was ſoll
daraus werden!“
„Ich habe das Mädchen niemals jo fingen
gehört,” ſagte Ferrand wie zu fich jelbit. „Ueber:
haupt wenn ich fie vergleiche mit dem Kinde,
das mir in die Arme flog, als id) vom Reifen
iprad), dort oben auf ihrem Berge bei dem Alten,
man follte nicht glauben, daß fie diefelbe ift.
Agnes, jollten Sie recht haben ?*
„Sie fragen noch und ſehen dies Tag für
Tag mit an? Schon lange wollte es mich be:
dünfen, als müfje in Marianne etwas vorgehen,
was ihr ganzes Sein erregt, id) wollte aber erjt
mit eigenen Augen urteilen.”
„Und Sie meinen, daß diefe beiden ſich wirk:
lic) lieb haben?“ fragte Ferrand.
„Um Gottes Willen, Ferrand, wie ſchwer
Site begreifen! Sic) lieb haben iſt noch ein viel
zu ſchwacher Ausdruck: fie find eine Ceele ge:
worden ineinander, fie fünnen fich nicht mehr
entbehren. Sehen Sie nicht, wie Santens Augen
eintauchen in die Ihrer Tochter, bis man aus
Mariannens Augen heraus nichts anderes ſieht
als fein Bild? Hier muß gehandelt werden,
Marianne muß; fort, ich aber will mit ihr reden.“
Ferrand fuhr fich mit der Hand über die
Stirn: „So furzfichtig follte ich gewefen fein? S
vertieft in meine eignen Angelegenheiten, daß
ich mein Kind aus den Augen verlor? Agnes,
ich Dachte nur immer an Nora, wenn id Mari:
anne um mich hatte, und Nora fonnte niemand
anderes lieben, fte liebte mich!“
Er legte feine Hand auf die Augen, dann
fagte er trübe: „Sie meinen, fie gehören zufam:
men! Ya, dafür jorgt das Schickſal, daf die ſich
nicht finden, die zufammengehören,“ jchloß er
bitter.
Er reichte rau von Martin die Hand. „Ich
ſchicke Ihnen das Kind morgen früh.“ Cie wagte
96
nichts mehr zu fagen, er fah fo namenlos traurig
aus und fo hilflos in feiner Trauer.
„Gute Naht, Ferrand.“
Und jo ſchieden fie.
„Die einen jchütteln ihr Schiefal ab, die
andern ſuchen ihm zu entfliehen; nur wer es
auf fich nimmt, als vondem Einen geſchickt, der
die Menfchenfeelen als fein Eigentum zurüd
haben will, wenn das Leben gelebt ift, nur dieje
jind nicht davon überwunden worden — fie blei:
ben Sieger.”
Leiſe jagte dies Tante Agnes, als fie allein
war.
Ferrand ging nad) dem Theater, er nahm
ein Sperrjigbillet und trat ein. Er ſuchte im
Haufe umher, ob er feine Tochter ſähe. Dort
ſaßen fie in einer kleinen Loge, der Bühne ziem:
lich nahe; Melanie mit alühenden Wangen und
glänzenden Augen, in voller findlicher Freude
andem Ungemwöhnlichen, fein Kind auf dem Stuhle
zurüdgelehnt, bla, falt, teilnahmlos, hinter ihr
Santen, düſter vor fi hinſchauend.
Im Zuwiſchenakte ging Ferrand zu ihnen.
„Ich möchte Marianne abholen, ſie ſieht ſo müde
aus und hatte einen angeſtrengten Tag,“ ſagte
er, fie fragend anſehend.
„D id gehe gern mit, lieber Vater,“ ant—
wortete fie lächelnd. „Es it wahr, ich bin müde
und habe Kopfweh.“
„te ſchade,“ rief Melanie, „dann fichit
du nicht, wenn er ſie erbrofielt, das muß ganz
grufelig werden.“
Santen ſagte nihts. Er reichte Martannen
die Hand, blidte ihr tief in die Augen: „Gute
Nacht,“ flüfterte er ihr zu, jo wie man einem
Freunde, den man lange nicht mehr jehen wird,
„Lebe wohl“ zuruft.
„Auf Wiederfehen,“ erwiderte Marianne
im Tone der Gewohnheit.
Sie ſprachen nicht viel zufammen auf dem
Heimmege. Ferrand ſchien anzunehmen, daß
Marianne fogleih zur Ruhe zu gehen wünſche,
und begleitete fie nach ihrem Zimmer, fühte fie
auf die Stirn und gab ihr fchweigend die Hand,
Nun war fie allen — allein, jeit fie gefun:
gen und im Liede ihr Geheimnis verraten. Er:
ihöpft ſank fie auf einen Stuhl, thränenlos
jtarrte fie vor fih hin, die Hände feſt ineinander
gelegt. „Nun willen fie es alle, und ich weiß es
aud) ganz klar,“ jagte fie vor fi hin, „und num
müfjen wir uns trennen. O hätte das Mädchen
jenes Lied nicht gefungen, niemals hätte ich fo
m. Berger.
deutlich verftanden, was mir im Herzen wunder:
jelig und namenlos traurig lebte. Nun muß id)
ſcheiden — und darf nicht bleiben,“ fügte fie
leife hinzu. „Oroßvater, jo fommt dein Kind
zurüd, jo müde, fo todesmüde! Mär’ ich ge:
blieben doch auf meiner Heiden!”
Am nächſten Morgen beim Frühſtück bat
Marianne den Vater, ihr zu erlauben, auf ein
paar Wochen zum Großvater zu gehen. „Lab
mich noch heute reifen,“ fagte fie eindringlich.
Ferrand geftand es ihr zu, wußte er doch,
weshalb fie es wünjchte: „Ich ſelbſt werde dich
hinbringen. ”
Bald nachdem ſie fich getrennt, trat ſie beim
Vater ein, zum Ausgehen gerüftet: „Ich will
Tante Agnes lebewohl jagen.“
So brauchte er fie nicht aufzufordern, rau
von Martin zu befuchen.
Das Atelier ſtand offen, als fie vorüber
fam, fie ging hinein, trat an feine Staffelei, an
die ihre, räumte ihre umherliegenden Skizzen
zuſammen, legte die Farben in den Kaſten; das
Bild lieh fie ftehen.
„Bielleiht malt er noch etwas daran zum
Andenten!*
Dann machte fie jih auf den Weg.
fam an der Galerie vorüber.
„Nein, nicht dort hinein, Nichts, was daran
erinnert.“
Frau von Martin begrüßte fie liebevoll,
ohne Gruß ging Marianne auf fie zu, fie reichte
ihr die Hand, fie fühte fie; als Tante Agnes
reden wollte, wehrte jie ihr.
„Ich weiß, was du jagen willft, o ſage es
nicht!“ bat fie flehend. „Ich muß fortgehen,
id will es thun, es iſt ein großes Yeid, was id)
mit mir nehme. Gebe Gott, daß ich es allein
trage. Ich hätte das Lied nie gejungen, man
zwang mid) ja dazu, aber als ich es fingen mufite,
fonnte ich's nicht anders fingen, und da wußtet
ihr alles, was ich mir ſelbſt noch nicht einge:
itanden hatte. O meine Mutter! ich will an fie
denfen und an das, was du von ihr geſagt
haft: — erfülle dein Herz mit Geduld, Yiebe
und Treue — wie ſchwer, wie ſchwer, wenn das.
Leben jo harte Wege führt!“
Ueber die bleiben Wangen floſſen Thränen,
der Ausdrud des jungen Gejichtes aber war
fajt ſteinern.
As Marianne ſchwieg, rief Frau von
Martin aus: „O dafs ich euch nicht früher ſehen
fonnte, “
Sie
Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden! 97
Das junge Mädchen ftrich ihr ſanft über die | duch den Garten ein ins Speijezimmer. Die
Wangen: „Gute Tante,” fagte es wehmütig | Thüre des Ateliers war geöffnet, Santen ftand
lãchelnd, „laß mich nur zum Großvater fommen, | vor feiner Staffelei, fie mußte ihn noch einmal
der wird Schon zu helfen wiffen. Es ift mir gar | fehen, er bemerkte fie ja nicht. Als fie fich aber
nicht jo traurig zu Mute, nur wehe thut es, | dann leife zurüdziehen wollte, wandte er ſich
fehr wehe. Es ift, als fei ein großes Net über | um und fam erregt auf jie zu.
mich auögebreitet, aus dem ich mid) befreien „Blauben Sie, ich wäre fortgegangen, ohne
müſſe, jebt, wo ich nichts mehr für ihm fein | Sie gefproden zu haben? Und wenn Sie bis
darf!” zum Abend ausgeblieben wären, Sie hätten mid)
Und wieder blidten die Augen jo ftarr und | hier gefunden. ch habe Ihren Vater geſprochen;
teilnahmlos in die Weite. Sie wollen fort —, wiſſen Sie nicht, daß Sie
„Eine Sünde ift es, jemanden fo lieb zu | alles mitnehmen, was mir das Leben lebens:
haben!” jagte jie nad) einer Weile. wert maht? Ohne Sie, Marianne, bin ich nidts,
Frau von Martin. juchte vergebens nad) | Sie find es, die mic) begeijtert, zu neuer Arbeit
einem Worte, welches klären und tröjten follte, | anfpornt, Sie find es, die mich veriteht und
und doch konnte fie fich nicht entjchliegen, das | ich brauche Verjtändnis — ich kann dich nicht
Urteil und den Troft auszufprecdhen, den man | gehen lafjen.“
für die bereit hat, welche den Mann liebt, der Er redete wie außer fich, er fahte ihre Hand,
einer anderen angehört. zog die bebende Geftalt in feine Arme, küßte fie
Sie fonnte nihts von dem jagen, mas fie | mit Leidenschaft. Ihre Kraft war gebrochen,
ſich vorgenommen, alles verftummte vor der | fie ließ es mwillenlos geſchehen. Dann fank fie
heiligen Unſchuld dieſer reinen Liebe. auf einen Stuhl und es war einen Augenblid
„Leb' wohl, Tante Agnes, ih fomme nun | ganz till.
nicht mehr hierher. Der Vater bringt mic) nad) Er ftand noch immer vor ihr, fie fühlte feine
dem Heiligenberg; es thut mir leid, daß er allein | brennenden Blide.
bleiben joll, aber — ic) fomme ja wieder zu ihm! Sie wußte nichts, als daß fie ihn liebe —
D es mwird alles qut, dort oben unter den Tanz | grenzenlos, und als fie die Augen zu ihm erhob,
nen beim Großvater.“ da ſtand's dort zu lejen jo klar.
Frau von Martin nahm das Kind der reun: „Marianne, nur ein Wort; ſag' mir, einmal
din in ihre Arme; lange hielten fie fih um: | nur muß ich es hören, jag mir, daß du mid)
ihlungen, fein Wort wurde mehr aeiprochen. lieb haft —“
Ron hier aus wollte fie zu Melanie, fie „D Edgar, wie jehr —“ jagte fie leije,
mußte Abjchied von ihr nehmen, ihr Weggehen | indem fie die Hand auf feine Schulter legte, da
jollte fein Entfliehen jein; Santen war ja nicht | er nun vor ihr fniete.
zu Haufe, er malte dort, wo fie ſonſt auch war. Er bededte die Hand mit Küffen.
Mühjam ftieg fie die Treppen hinauf, ſchon von „Und doc) willjt du mid) allein laſſen, allein
weiten hörte jie das Bellen des Hundes, er | mit ihr, die bethören kann, bezaubern, aber die
war auch der erfte, der fie begrüßte und zwar Liebe des MWeibes, wie fie dem Manne nötig ift
ziemlich feindjelig. zu feinem inwendigen Xeben, zu feinem äußeren
„Die gnädige Frau ſchläft noch,“ hieß es. | Schaffen, nicht geben kann, weil fie nur ſich ver:
Sa das hätte fie ſich wohl denken können. jteht, nur ſich liebt; du willſt mich allein laſſen
Nod war e3 zu frühe, um den Heimweg an: | mit Melanie?“
zutreten, fie wandte fi) nad) dem „großen Gar: „Melanie,* jagte Marianne langjam und
ten,“ fie ging umher auf befannten und unbe: | dann war's, als käme die ganze Energie, deren
fannten Wegen. fie fähig war, mit einemmal zurüd.
Iſt es nicht, als fer ich heimatlos? dachte fie. Sie fprang auf.
Sie war jo müde. Endlich ſchlug die Stunde, In demfelben Augenblid öffnete ſich die
ju welder Santen das Atelier jtets zu verlafjen | Thüre der Veranda und Stimmen, die in fchnei:
pflegte. Marianne kehrte um. Sie mied die | dendem Widerjpruche mit dem eben hier Er:
großen Straßen, fie wollte ihm nicht begegnen. | lebten ftanden, wurden vernehmbar.
Der Weg dünkte ihr endlos. Nun ftand fie vor | „Hier werden wir fie finden, die paſſio—
der Billa, fie jchien wie ausgeitorben; fie trat | nierten Künitler, fonımen Sie nur mit, Yieute:
1:
98
nant Steinbach,“ rief Melanie, „warum wollen
Sie denn nicht eintreten? Edgar, Marianne,
feht, wen ich gefunden habe!*
Umfonjt blidte fih Marianne nad) der Thüre
um. Das Atelier hatte wohl einen Ausgang auf
den Flur, diefer aber war von außen verſchloſſen;
nad dem Speifezimmer ftand die Thüre offen,
man mußte fie von der Veranda aus fchon be:
merft haben; ein Entfliehen war unmöglid. So
ging fie denn den Anfommenden entgegen und
verjuchte, Lächelnd die Gäſte zu bewillkommnen.
Melanie blidte fie verftört an:
„Was ift gejchehen — Edgar?“ rief fie und
ftürmte an dem Mädchen vorbei ins Atelier.
Dort ftand ihr Gatte, es war ihm nichts ge:
ihehen, gar nichts — und doh! Warum ftrömte
ihr alles Blut nad) dem Herzen, warum blieb
fie an der Thürfchwelle wie feitgebannt ?
Ein wunderbarer Gedanfe blitte in ihr auf.
Zum erjtenmal ſah fie etwas vor fi, was
nicht greifbar und doch wirklich und ſchrecklich
war. Gie fing an zu begreifen, was ein Wort
bedeuten fonnte, welches fie, wie oft, lächelnd,
fpielend gebraucht — verlieren! War es mög:
lid, konnte fie Edgar verlieren und ſah ihn dort
vor fich ftehen? Ein wilder Schrei entrang ſich
ihren Lippen; umſonſt ftredte fie die Arme nad)
einer Stütze aus; fie ſchwankte und fiel, und
Dunkel umfing fie.
Draußen auf der Treppe der Veranda ſtand
Lieutenant Steinbach, taufend Entfchuldigungen, |
taufend Begrüßungen ungejchidt jtammelnd,
Marianne glitt wie eine Nachtwandlerin durd)
den Speifejaal auf ihn zu, die Hand hinreichend,
als fie den Schrei hörend fih umwandte.
Edgar hielt die Bewußtlofe im Arme, toten:
blaß wie fie ſelbſt; Marianne nahm die erftarrten
Hände der jungen Frau in die eigenen: Marmor:
fälte konnte Eifestälte nicht erwärmen.
„Tragen wir fie in mein Zimmer und dann
überlaflen Sie mir die Sorge.“
Während dies geſchah, kam Ferrand, der
die Gartenpforte offen gejehen, durch diefe in
die Veranda.
Staumend begrüßte er den Lieutenant, der,
das Geſchehene erflärend, Abſchied nehmen
wollte: „Ich dachte nicht im entferntejten an die
Möglichkeit, Sie hier in Dresden zu treffen, als
ih mid plöslib von Frau Santen anrufen
hörte, die troß aller Gegenreden mich mit hier:
her nahm. Doc ich muß eilen, ich werde er:
wartet, meine Frau — id bin jeit einigen
I
I
|
J
M. Beraer.
Tagen verheiratet, befinde mich auf der Hoch—
zeitsreiſe. Es war ein langjähriger Wunſch
meiner Mutter, die meine Frau ſchon ſeit ihrer
Kindheit kannte, gewiſſermaßen für mich aus—
geſucht, fie gehörte den Kreiſen der haute-
finance von Berlin an,“ brachte er endlich unter
Zögern und Stottern hervor.
Ferrand jchüttelte ihm die Hand, und da er
fah, mit welcher Unruhe der junge Offizier nach
der Uhr blidte, geleitete er ihn durch den Garten
nad) der Straße, indem er die Gartenpforte
hinter ihm ſchloß. Als er nad dem Haufe zu:
rüdfehrte, begegnete ihm Santen:
„Ihre Frau fühlt fich nicht wohl,“ redete er
diejen an; „iſt fie befjer?“
„Ich weiß nicht, fie ift mit Marianne,“
und der Maler ftürmte an ihm vorüber auf die
Straße.
Wieder war Ferrand allein, nicht ohne eine
dunkle Ahnung davon zu haben, es müfje etwas
geichehen fein, was feiner ausſprechen wollte.
Wie er an feiner Tochter Zimmer vorbeiging,
hörte er diefe leiſe fprechen; feiner Hilfe bedurfte
feines, fo ging er hinauf in fein Arbeitszimmer,
die Löſung diefer Nätjel zu erwarten.
Das aber, was Marianne ſprach und er
nicht verftanden, Melanie hatte es jtürmifch und
ungeduldig verlangt. Es waren die Worte jenes
Liedes:
Wär' ich geblieben doch auf meiner Heiden!
Still lag ſie, mit geſchloſſenen Augen lau—
ſchend; auch als Marianne zu Ende war, ſchwieg
ſie und ſchaute ſie an: „Du liebſt Edgar, und
nicht allein dies, er liebt dich auch! Was bleibt
dann noch für mich?“
Thränen liefen die bleichen Wangen herab,
und die braunen Rehaugen richteten ſich ſtarr
und fragend auf die Freundin: „Muß ich nun
fortgehen, zurück zu meinem Vater, oder ins
Kloſter?“
„Melanie, wie kommſt du auf ſolche Ge—
danken?“ entgegnete ſanft und leiſe das junge
Mädchen. „Du biſt ſeine liebe, kleine Frau, die
für ihn ſorgt, die ihm ein ſonniges Heim bereitet,
in dem er ſich wohl fühlt, die ihn begeiſtert,
wenn er mutlos wird, ihn tröſtet, wenn ſeine
Kraft erlahmt, die ihm alles erfüllt, ſich ſelbſt
vergißt und nur in feinem Glücke lebt, die —“
„Halt ein, halt ein,“ rief Melanie, die
Hände der Eprecdhenden ergreifend, „das thue
ich nicht, das habe ich nie gethan, das kann ic)
auch nicht thun!“ rief fie tonlos.
Wär’ ich geblieben doch — Auf meiner Heiden!
Marianne hauchte einen leifen Kup auf die
weiße Stirn der jungen rau: „Das wirft du
aber jet thun, mein liebes Herz, du haft deinen
Gatten lieb, dann iſt dies alles ganz leicht."
„O, es dünft mir jehr ſchwer und fehr viel.
Marianne, ich fürchte mich vor Edgar. Bleibe
du bei uns.“
„Ich gehe in mein Tannenheim zum Groß:
vater,“ entgegnete jene. „Morgen jchon, heute
noch!“
Feſter noch hielt Melanie der Freundin
Hand umfaßt, ohne zu ſprechen, eine Weile
blieben ihre Augen ſtarr und unverwandt auf
deren Antlitz haften, dann ſchloſſen ſie ſich und
ein ſanfter Schlaf löſte alles qualvolle Denken
mitleidig auf.
Marianne ſaß an dem Lager wohl eine
Stunde lang, dann löſte ſie ihre Hand aus den
Fingern der Schlafenden; es wurde leiſe an die
Thüre gepocht, Edgar fragte nach Melanie.
„Sie ſchläft und darf nicht geſtört werden,“
antwortete Marianne, ohne zu öffnen.
So verging eine zweite Stunde. Marianne
durchlebte noch einmal alles, was in den letzten
Tagen innerlich und äußerlich in ihr Leben ge—
treten; wie ſie auch dachte, wie ſie auch fühlte, es
fonnte nicht anders fein, fie mußte gehen, wenn
es auch ſchwer war und immer fchwerer wurde
mit jedem Augenblide.
Wieder kam Edgar an die Thüre. Diesmal
ging fie hinaus zu ihm; fie jtattete Bericht über
den Zuftand der jungen Frau ab, fie fagte ihm
manches von dem, was fie miteinander ge:
ſprochen:
„Ich muß gehen, noch heute gehen. Wir
müſſen frei werden von dem Banne, der unſere
Herzen beherrſcht, Sie und ich — und nur die
Trennung kann dieſe Freiheit bringen. Aber,“
fuhr ſie ſanft und weicher werdend fort, „gerade
das, was Sie zu verlieren meinen, wenn ich
fort bin, ſoll uns verbinden; in der Kunſt finden
wir unfere freiheit wieder. Das iſt der einzige
Hare Gedanke, den ich zu faſſen imſtande bin,
und jo wollen wir fcheiden, nicht im Sturme der
Gefühle, die uns irre zu führen rohen — in
der Klarheit dejjen, was uns gemeinjam bleibt,
ohne da es Sünde wird.“
„Sie haben recht, Marianne, wie immer,
So müjjen wir fcheiden. Leben Sie wohl!“
Ihre Hand ruhte in der feinen.
„Sehen Sie zu Melanie,“ ſagte fie und
verließ ihn, um ihren Vater aufzufuchen.
|
99
Am Abend reiste Ferrand mit feiner Tochter
ab, in wenig Tagen waren fie am Ziel. Der
Fußweg an den Fällen hinauf war für Ma:
vianne zu beſchwerlich, fie fuhren bis vor das
Forfthaus.
Der alte Bollmann, welchen ein Telegramm
von der Ankunft benadhrichtigt hatte, hob fein
Enkelkind aus dem Wagen, prüfend die bleichen
Wangen anfchauend, fopfihüttelnd die fragen:
den Blide auf Ferrand gerichtet.
Gertrud nahm der Heimfehrenden das leichte
Handgepäd ab und führte fie in ihr altes Zim:
merchen. Auch fie jah „dem Kinde“ ſcheu und
ängjtlid nad, es fchien ihr verändert. Aber nie:
mand wagte zu fragen.
Ferrand blieb nur wenige Tage. Ehe er
Abſchied nahm, hatte er eine lange Unterredung
mit feiner Tochter.
So ſaßen denn der Großvater und das
Entelfind wieder zufammen unter den Tannen,
aber es war nicht mehr wie damals, als es Früh—
ling werben wollte.
Die Sommerglut war gelommen und hatte
vernichtet, was nicht Kraft zu widerſtehen fand
— in der Natur und im Menschenleben.
Marianne hatte ihre Farben und Pinjel
auögepadt und begann fleißig zu malen. Der
Großvater freute jih, wenn er jeine Tannen
wiedererfannte. Gertrud verwunderte fich ge:
bührendermaßen, das war doch noch anders als
die Vögel und Blumen und die Sterne in des
Fräulein Zimmer auf weißgetündter Wand.
„Daß iſt's alfo, was du draußen in der Welt
aelernt?* fragte er Mariannen.
Sie ftand auf.
„Zah uns hineingehen in den tiefen Wald,
Großvater, ich will dir's jagen.”
Sie fahte feine Hand, wie ſie's als kleines
Kind gethan und als fie dort zwijchen den
ichlanten Edeltannen gingen, begann fie zu er:
zählen von Santen, von Melanie, von dem Tage
in der Mühle und von dem Liede bei der Tante.
„Wär’ ich geblieben doch auf meiner Heiden,
Dann hätt’ ich nichts gefpürt von all dem Leiden,“
jagte fie leife. „Und doch, Großvater,“ fuhr fie
fort, plößlich ſtehen bleibend und ihn mit blitzen—
den Augen anjehend, „dünkt es dir nicht unge:
recht, auf ein Glüd verzichten zu müſſen, welches
einem eigentlich gehört? Hat nicht jeder Menſch,
einer wie der andere, ein Necht auf Glüd, auf
Liebe; weshalb muß ich hergeben, was mein
gehört, weil eine andere es ſich angeeignet hat?
M. Berger.
100
Warum darf ich nicht jagen: verlaß diefen Platz,
es it der meine. Warum muß Edgar mid) ver:
gefjen, warum muß ich ihn vergefjen, wenn wir
edel und gut fein wollen? D wie oft habe ich
gedaht — hinweg mit allen diefen von Men:
ſchen feitgefegten Begriffen, ich will befigen, mas
mein gehört! Dann freilich ſah ich dich vor mir
jtehen und du fchüttelteft den Kopf und winkteſt
mir mit ernitem Blide hinweg. D ich fcheue das
Leid nicht ; ich bin jung und kann damit Fämpfen,
und ic) habe die Kunſt, die kann mid) freimachen.
Ich muß lernen und fleigig fein, der Vater hat
es mir verfprechen müfjen, daß er im Winter
mit mir nach München geht, und wenn ic) dann
einmal jo jhöne Bilder male wie er — fie hielt
einen Augenblid inne — dann fann id; wieder
ganz glüdlich fein.” Der Großvater fchüttelte
ungläubig den Kopf: „Mein Kind,“ begann
er langjam und feierlich, „die Kunft ift etwas
Schönes und Herrliches, aber ein anderes ift
es, was did allein vom Leide freimachen fann,
weißt du nicht, was das ıft? Mir würde feine
Kunft der Welt geholfen haben, mein einfam
Leben, aus dem alles genommen ift, was Freude
und Glüd darin war, weiter zu führen, wenn
ich nicht die Kunst gelernt hätte, es zu des gro—
ben Gottes Ehre zu leben, der es mir jo geſchenkt
hat wie es ijt. Haft du daran noch nicht gedacht?“
Da fiel Marianne dem Großvater um den Hals:
„sa, Großvater, ich wußte, daß ich bei dir das
Rechte finden würde für Herz und Verftand. So
will ich denn jtill fein und hilf du mir, daß id)
es einft vermag, all mein Lieben und mein Kön:
nen, mein Wollen und Mögen dem großen Gott
anheimzujtellen, dann kann ich auch vielleicht wie
du mein Zeben zu Ende bringen zu Gottes Ehre.“
* *
*
Mehrere jahre find vergangen. Ferrand
lebt mit feiner Tochter in München, wo Martanne
ernfte Studien gemacht hat. Mit rajtlofer Ener:
gie und eifernem Fleiße arbeitet fie. Man be:
glückwünſcht den Vater zu dem Talente der Tod:
ter. Er hat nur ein wehmütiges Lächeln zur
Antwort. Keiner begreift den teilnahmloien
Mann. Keiner weiß, daß fein Herz trauert um
das friſche, fröhliche Kind, das er vor nicht fo
langer Zeit vom Heiligenberg geholt hatte, wenn
er jet die ernite, bleihe Jungfrau unermüdlich
. — nn —— — — — — — — ——— — — —
arbeiten ſieht und ihm der feſt geſchloſſene Mund
und der tiefe Ernſt auf ihrer Stirne von neuem
auffällt. Es iſt des Morgens früh. Marianne
|
‚tritt ein,
Wär’ id; geblieben dod; — Auf meiner Heiden !
bereitet den Thee am Frühſtückstiſche, ihr Vater
Zeitungen und Briefe in der Han,
auch für fie find zwei dabei.
„Bon Tante Agnes,“ ruft fie erfreut, und
legt das zweite Couvert weg. Erſt nachdem jie
manches aus Frau von Martins Schreiben dem
Vater vorgelejen, öffnet fie den anderen Brief.
Zwei Blätter entfielen demfelben, das eine davon
war jorglich in ein kleines Couvert gelegt.
„Bon Lieutenant Steinbach,“ jagt Mari:
anne erjtaunt, doch je weiter fie lieft‘, um jo
mehr ſcheint der Inhalt fie zu bewegen.
Langſam fallen Thränen aus ihren Augen,
ohne zu reden, gibt fie den Brief Ferrand, nun
das andere Schreiben zur Hand nehmend.
Sie öffnet es nicht gleich. Sie blidt vor
fih hin, als ſähe fie Geftalten aus weiter Ferne
eritehen und vor fie hintreten. Vorſichtig legt fie
dann das Blatt auseinander, leife ftreicht fie
darüber Hin, es waren nicht viel Worte, die
Handſchrift unficher und ſchwach. Dies war zu
lejen:
— „Marianne! Einen legten Gruß und eine
legte Bitte. Ich weiß, daß du fie erfüllen wirft;
drum kann ich ruhig fterben. Steinbad) jagt dir,
was zu jchreiben ich nicht die Kraft habe. Das
Kind heißt Marianne wie du, möge es dir ähn:
[ich werden. Edgar. *
Ferrand blidt die Tochter an, als er den
Brief zu Ende gelefen:
„Melanie elend umgefommen, nachdem ſie
um des Spieles willen Mann und Kind vernach—
läffigt, Santen geitorben am römifchen Fieber
oder wahrſcheinlich an fieberhaftem Ueberarbeiten,
während der gute Lieutenant mit feiner reichen
Frau in fühem Nichtsthun profperiert. Das iſt
was ſie Leben nennen! Und du, mein Kind,
was haſt du beſchloſſen?“
Kannſt du fragen, mein Vater,“ entgeg—
nete Marianne mit einem wunderbaren Leuchten
in den Augen.
„Aber deine Kunſt,“ wollte Ferrand ein—
wenden.
„War fein Vermächtnis, wie es num jein
Kind iſt. Laß mich an der Heinen Marianne gut
machen, was das Yeben Schweres für ihren
Water brachte.“
Ferrand fühte die gerötete Wange feiner
Tochter:
„Die Liebe ift eine gewaltige Macht. Für
das Weib iſt fie das Verhängnis oder die Er:
löfung.“
FSrühblingsboten.
\ Dan
&. Baldamus.
a im „Dunklen“ Erdteile — der gar
nicht fo dunkel ft, wie das modiſche Epitheton
vermuten läßt — ging es kurz nach Neujahr auf den
meteorologishen Stationen der befiederten Nitro
nomen gar lebendig zu. Das war cin Negen und
Nühren, ein Blaufchen und Plaudern, cin Jauchzen
und Jubilieren, wie cs felbit in der ſanguiniſchen
Vogelwelt nur cin großfrohes Ereignis zu erzenaen
vermag. Und ein ſolches hatte ſich allerdings für
die Wintergäjte des vajten Erdteiles vor kurzem zu.
getragen: die Lebenswederin alles Irdiſchen, Die
Liebe Sonne, jchritt zufchends dem Norden zu, um
ihm den ſchönen Frühling zu bringen. Den Früh
ling! Weißt du, o Menſch, was dies offenbar der
Bogelfprahe entjtammende Wort für Die aufertropifce — =
Vogelwelt bedeutet? Diesſeits und jenfeits Der Wendekreiſe: — | N
Frühling ift Grimmen und Blühen und Duften, iſt Tichten und ae
Eingen und Jubeln, ift Heimat, Yiebe, Mutterluft und Mutter: i
laft, iſt alles,
was das Wogelherz Größtes
und 1
Herrlidites in jih fat. Und nun gar Frühlingsahnung!
Zuerft war fie über die Wintergäfte des
Südens gefommen. Im Kaplande, an den ſchö—
nen freien Ufern des Dranje und Limpopo, rings
um den Ngamijee begann es allmählich Fühler
zu werden — die Sonnenjtrahlen fielen fchräg
und fchräger. Bald merken's auch die anderen,
die weiter nördlich Winternden, daß die Sonne
auf der Fahrt nach dem Norden tft, nad ihrem
Heim. Und hätten fie es noch nicht gemerkt, die
Gäſte der großen Seen und der großen und
Heinen Flüſſe des kompakteſten aller Erdteile:
ihre füdlicheren Genoſſen erinnern fie um fo
lebhafter daran.
Vieltaufendftimmig ertönt in der Morgen:
frühe ihr Mahnruf. Am Congo, am Niger und
am hundertarmigen Nil. „Wißt ihr's nicht?
Ahnt ihr's nicht, ihr Träumer? Der Frühling
hat feine Wanderfhaft angetreten! Er zieht
102
mit der Sonne nad Norden! Nach Norden in
unfere Heimat! Auf! erwacht, macht Platz, rüdt
weiter, ihr Glüdlihen, die ihr vor uns fein
Nahen verfündigen dürft! Und grüßet, grüßet
unfer gejegnetes, feliges Daheim! Bald ziehen
wir jubelnd euch nach! Ade, ade, und vorwärts! *
Und am Tage und am Abend und in der
Naht wird
eö lebendig
über dem
dunklen
Erbteile.
An feinen
tiefigen
Wafleritra:
Ben entlang
eilt alles
nad Weiten
und Nor:
den, was in
dem buch—
ten: und bil:
dungenrei:
chen Europa
jeine Heimat
weiß — im:
mer neue
und unger
zählte Echa:
ren rüden
nah —
rüden mei:
ter bis zur
lanageitred-
ten Nord:
küſte Afri—
kas.
„Sie kom—
men, ſie ſind
da — ju—
belte einjun:
ger Feld—
lerchenherr, der mit den Seinen zwiſchen
Senegal und Gambia überwintert hatte und vor
einigen Tagen nad) Tunefien vorgerüdt war,
feinem Bräuthen zu — fie find da und nun
geht's fort über das blaue Meer!”
„Und dann — dort —“
„Und dann?“ wiſperte verfchämt die ſchlanke,
junge Braut.
„Du weißt es ja, du meine fühe, herzige
Liebe! Nach unferer trauten deutfchen Heimat
E. Baldamus,
geht es — und dann — bort gründen wir un:
feren glüdlihen, unferen erfehnten Hausftand.
Ha, welde Wonne, wenn wir über der grünen-
den, blühenden Wiefe ſchweben werden, deren
zartes Laubdach die Wiege unferer Kinder — *
„O finge mir das ſchöne Lieb,“ unterbrad)
die glüdliche Braut und lehnte ihr Köpfchen an
die Schulter
bes Gelieb:
ten, ſinge
mir das rei-
zende Lied
vom ‚grünen
Wiejenplan‘
das du neu:
lich gedich—
tet haſt, o
Lieber.“
„Ach ja,
Her von
Alauda, ‚Ti:
rili, tirila,
nun find wir
wieder da‘
bitte recht
ſehr! Sie
fingen es ja
ihon recht
leidlich, Ver:
ehrtejter!
Und drüben
wird ed nod)
fehr viel bej:
fer gehen!
Hm! Und
was ich fer:
nerbemerfen
möchte: jehr
viel beſſer
Hingt es
doch, als das
eintönige,
geſchmackloſe Geleier der Wüſtenlerchen hier
herum, eurer ſand- und lehmfarbigen Vetter—
ſchaft. Aber natürlich, ſehr natürlich! Denn
wie wir Lateiner ſagen: Quale vinum, tale
latinum! Dieſe jämmerlichen Sand- und
Steinwüſten, und unſer herrliches Wald- und
Wieſengrün; dieſes brackige Lagunenwaſſer
und unſere klaren kühlen Quellenbäche, dieſe
rieſigen hartgepanzerten Käfer, Schnecken
und —“
Srühlingsboten.
„Ah! unfere verehrte Gutsherrſchaft,“ unter:
brach fih Herr Sprehe:- Star diesmal felber.
Bevor wir jedoch diefe großen Reſpekts—
perfonen dem freundlichen Leſer vorzuftellen die
Ehre haben, müfjen wir wohl die Anweſenheit
des rebjeligen Herrn Sprehe:Star in Tunefien
erllären. Der merkwürdige Kauz mar, vor
fünf Jah:
ven, vorzei⸗
tig feinem
Häuschen
entichlüpft
— am 30.
Mai war's
— und ins
najie Gras
gefallen.
Dort hatte
den durch⸗
näßten,
froſtzittern⸗
den Neſtling
ein Knabe
gefunden
und ſeinem
Vater ge—
bracht, der
ihn zwiſchen
Rock und
Weſte er—
mwärmt und
getrodnet
hatte. Nach
faum einer
Stunde
munbeten
ihm ein
Dutend
Mehlwür—⸗
mer ganz
vortrefflich,
und von Stund’ ab zeigte er eine rührende
Anhänglichfeit an feinen Wohlthäter, der ihn
frei in Haus und Garten umberfliegen und mit
den legten Nachzüglern gen Süden ziehen lief.
Herr Star, der feinen erjten Winter in Süd—
italien und Sizilien zugebracht und dafelbft den
Namen eines Sign. Stornello geführt hatte,
war im nächiten Februar zu feinem Netter zu:
rüdgefehrt, befuchte dann in den nächjten Min:
tern unter dem Namen Mr. V’Etourneau die
103
betta und Südfranfreih, dann Spanien und
Portugal und war in diefem Winter als Bericht:
erjtatter und Interviewer nah Tunis gegangen.
Was nun Herrn Stars „verehrte Butsherr:
ſchaft“ anlangt, fo hatte ſich diefe jocben aus
einer größeren Gefellihaft „ver Geſellſchaft“,
welche in unnahbarer Höhe ihre Kreife zog, in
Doppel-
ichrauben:
mwindung
ganz in der
Nähe unfe:
rer Heinen
Befannten
nieder: und
herabaelaj:
jen. Diefe
aber wußten
fehr gut, daß
die großen
Leute den
Zanf und
Etreit der
Heinen zu
benugen
pflegen, um
beide Teile
zur gerechten
Strafe und
im Namen
des Natur:
geſetzes zu
verſchlucken.
Diesmal ge:
ihah dies
nun zwar
nicht. Ein:
mal, weil
Herr Star
zwar unge:
wöhnlic)
laut und deutlich geiprocden, aber doch ganz
friedlich und feineswegs aggreſſiv; es handelte
fich ja in der Fremde aud) nicht um Wahlen!
Dann aber auch, weil zur Zeit ein erfledlicher
Neptilienfond in Tuneſien vorhanden, welcher
den Schlund der Herrſchaften bei weitem glatter
paffierte, alö das Federvolk. Endlih — wir
müfjen den hochbeinigen und Tangfchnäbeligen
Boruflen, welche nur durch das Not der eben
' bezeichneten Extremitäten fich als Angehörige
herrliche Riviera, die Ahnen des Herrn Gam- |
des Deutfchen Reiches dofumentieren, Gerechtig—
104
feit widerfahren lafjen — endlich freute fich doch
das gutöherrliche Ehepaar fichtlich des Jufanmen:
treffens mit ihren heimatlichen Hinterfajjen in
der Fremde, wenn es auch daheim die nötige
gefellichaftliche Neferve beobachten mußte.
Das geht nun einmal jo in der lieben Vogel:
welt !
„Auch bereits zur Neije gerüftet ?* jchnarrte
Herr von Klapperſtorch-Weißenſtein herablafjen:
den Tones.
„Freut mich ſehr, Sie hier verfammelt zu
finden,“ fügte, das ‚ehr‘ offenbar bereuend, die
ſpitznaſige Frau Gemahlin hinzu, und reichte
dem Größten unter den Kleinen die äuferjte
Spitze des Mittelzehes zum Gruß.
Herr Sprehe:Star fette ſich eben in Pofitur
— und das verjtand er gründlich — um in eine
Flut von Dank: und Ergebenheitäverficherungen
unterzutauden, als Herr von Klapperjtord den
langen Schnabel öffnete.
„In 14 Tagen it Petri Stuhlfeier. Da er:
wartet uns unfer liebes Schwaben. Noblesse
oblige! fertig alfo, wer unter unferer ‘Bro:
teftion reifen will!“
„Sehrgnädig, “ ftammelten hochbeglückt Herr
Star und der Lerchenjüngling. „Wir erwarten
nur noch,“ ſetzte diefer hinzu, „unjere Verwanb:
ten und Reifegefährten, Heidelerches, Wiefen-
piepers.“ — „Ya und Hausrötlings und Wipp:
jtärts,* fiel Star ein, „die übrigens, wie uns
joeben der Sahara: Kernfpredher Stephans mel:
det, famt den Fitifjen der gelben und braunen
Linie, noch heute eintreffen werden." — —
Wer zählt die Myriaden fehnfüchtiger Vogel:
herzen, welde am Abende diejes Tages der
Heimat entgegenflopfen! Der ganze weite Strand
von Tanger bis Suez ift bededt von Scharen,
groß und Hein, welche die eriten fein wollen,
drüben jenfeits des Mittelmeeres den nahenden
Lenz zu verfündigen, und ihre altgewohnte oder
neu zu erfämpfende Heimftätte zugemwinnen! Wie
fernes Gemitterrollen flingt es bei den erften
Flügelichlägen.
Auf! Empor! Hinüber! Nur drüben blühen
Lenz und Liebe!
Drüben aber im ſchönen Schwabenlande war
der Vorfrühling diesmal fhon recht früh ein-
gezogen: ſchon einen oder zweit Tage vor Petri
Stuhlfeier. Mit den Schneeglödchen und Schnee:
tropfen und den goldgelben Chriftwurzröschen
waren die Vorpoften der Feldlerchen und Stare,
mit den blauen Märzblümchen und den Lerchen—
€. Baldamus,
jporntrauben Heidelerchen und Wiefenpieper den
bedächtigen Störchen vorangeeilt.
Ein altes, kleines, fauberes Städtchen mit:
ten in Schwaben und in fprofjendem Wiefen:
und Gartengrün. Und darin eine alte Kirche mit
alten, geräumigen Turme, und gegenüber das
alte gotische Nathaus mit geräumigem Keller,
und über dem Ganzen die helle, warme, wohlige
Sonne von Petri Stuhlfeier. Das war ein
Sonnenſchein, wie ihn Robert Reinick geſchildert
hat. Durch alle Thüren und Fenfter drang er
und jtahl ſich in alle Herzen hinein. Zumal auf
die hohen hellen Fenſter der Schulftuben hatte
er's abgeſehen, daß jie wie von felber aufiprangen.
Und die Buben und die Mädchen fpringen auf
und jtürzen hinaus auf Straße und Markt —
und die Yehrer hinterher. Selbſt in das enge
dunkle Herrenftüble des Ratskellers drängt er
ſich hinein und ſchürzt und ſchürt und fchärft den
Alltagsdurft der ehrfamen Bürger beim Früh—
ihoppen. Aber fein Meifterftüd führt er doch
im Turmftüble des alten Stadtpfeifers aus. Der
lugt am Südfenfter ins Himmelblau; am weſt—
lichen jtehen zwei, die jollen und wollen nad
Weſten Ichauen — und fie thun’s auch wirklich
einmal — und: „Vater, die Trompete! Sie find
da! Da find fie!“ jubeln die zwei und bliden
ſich glüdjelig in die Augen. Schon hat der Alte
die Trompete an die welfen Lippen gepreßt, da
reichte er fie dem jungen braunlodigen Manne:
„Nein, ich Fann doch nicht Abſchied blaſen! Der
Ton möchte zittern vor Wehmut, heute, wo id)
zum fünfzigiten Male — bier, nimm hin, mein
braver Sohn! Zum Anblafen unferer lieben
Störche gehören freie Zungen und fejte Lippen!“
Drunten aber in den jonnigen Straßen hatte
man die wohlbefannten Töne vernommen und in
die Häufer waren fie eingedrungen, und jubelnd
jtürzte jung und alt hinaus in den Sonnenjdein
auf Markt und Straße: „Der Stord) iſt fommen!
Der Storch iſt da! Unfere Störhe! Willtommen,
willfommen!“
Ueber allem Sang und Jubel hatten die
Leute gar nicht bemerkt, daß die Iuftige Trom:
petenfanfare heute jo ganz anders Hang. Das
war ein frijcher, feiter, fröhlicher Ton und der
doch jo ganz eigen vibrierte.
Droben auf dem Kirchdache hatte fich in:
zwijchen das gefeierte Paar niedergelafien, um
von hier aus mit würdiger Bejcheidenheit die
Huldigungen der guten Heimatjtadt entgegenzu:
nehmen, welche ihm reichlich dargebracht wurden.
$rühlingsboten.
„ Voyez Madame*, jagte Herr von Storch,
der noch immer bei feierlihen Gelegenheiten
einige franzöfifche Broden als zur Repräjentation
gehörig betrachtete. „Sehen fie nur, rau Ge:
mahlin, wie uns unfere gute Heimatjtabt ehrt
mit Sang und Klang! Der Empfang unjerer
braven lieben Landsleute läßt ma foi nichts zu
wünſchen. Drüden wir ihnen denn in gewohnter
würdiger Weife unjern Dank für ſolches Will:
fommen aus, indem wir ihnen ein richtiges
Storchenduett klappern!“
„Ich danke, Herr Gemahl,“ erwiderte Frau
von Storch etwas pikiert, „ich danke! Klappere
du nur allein!“
„Aber Frau, was haſt du? Was ſoll ich von
dir denken?“ fragte der Herr Gemahl, der ſofort
aus dem ‚„Bejellihaftstone* fiel, wenn feine rau
Gemahlin übler Yaune war. „it das eine Früh:
lingsſtimmung, wie wir fie doch heute ganz be-
fonders empfinden müfjen, da wir —“
„Frühlingsſtimmung?“ unterbrad) die Gat:
tin. „Woher foll fie mir fommen? Stehen wir
nicht fhon eine halbe Stunde lang auf dieſem
langweiligen Kirchendadhe, und haft du dich auch
nur einmal nad) unjerem Haufe umgejehen? hajt
du —
„Ei potz! Nein, ich will meiner Würde nichts
vergeben. Aber galt ihm denn nicht unfer erjter
Blid, als wir im goldenen Sonnenfchein unfere
Kreife über diefer Stadt zogen?”
„So? Nun, ich habe nichts von diefem Blide
bemerft.“
„Aber, liebe Frau!“
„Ja, ja! Deine Blide galten nicht der Wiege
unferer Nachfommen, die doch jedenfalls der Aus—
befjerung bedarf. Sie galten —“
„Nun, Madame, fie galten?“
„Thue nur nit fo unſchuldig! Ich hab's
wohl bemerkt, fie galten, ja, ja, fie gelten —
denn eben blidjt du wieder nad ihr — ber
ihmuden Türmertochter galten und gelten fie!
Lache nur nicht, du Treulofer!” rief fchluchzend
die arme Frau.
Und leider hatte fie recht, die arme rau.
Ihr Herr Gemahl blidte noch eben mit fichtlichem
Wohlgefallen auf die ſchmucke blonde Dirne
hinab, welche in freudiger Erregung dem Nats:
feller zufchritt, um den althergebradhten Labe—
trunf für ihren Vater in Empfang zu nehmen,
mit welchem die Stadt die Verfündigung des
Stordeneinzuges lohnte. Auch weiblich gelacht
hatte Herr von Storch troß des Schluchzens feiner
— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —
105
armen rau; auch dies müſſen wir leider be:
ftätigen. Dann aber hatte er das linke Bein
unter die federn gezogen, wie er ftetö zu thun
pflegt, wenn er Gehirn oder Schnabel in ernite
Thätigkeit zu jeben vorhat, und der armen rau
eine Gejchichte erzählt, welche fie volljtändig be:
ruhigte.
Eine Frühlingsblume nad) der andern hatte
fich entfaltet, den ſelten jhönen März und die
erite Hälfte des April hindurd. Den Veilchen,
Primeln und Anemonen war die Sippe der
Ranunfeln gefolgt. Im Garten blühten Nar—
ciſſen, Syacinthen und Frühtulpen. Und mit
jeder neuen Blüte, mit jedem neuen Dufte zogen
auch neue Klänge durch die laue feuchte Lenzluft.
Die große Mehrzahl der Sänger — und unter
ihnen mander Virtuoſe erjten Ranges — war
bereits von Strich und Zug heimgefehrt und ver:
einigte fih mit dem zurüdgebliebenen Stamme
des Frühlingsorcheſters zu den täglichen Proben
für die große Yenzfantate, welche am 10. Mai
ihrer Generalprobe entgegenfah und am 12. des
Wonnemondes zur Aufführung fommen jollte.
Früher war dieſe troß des zeitigen Lenzes nicht
wohl zu ermöglichen; denn einige Hauptjoliften
des gefiederten Orchefters find von Natur fo zart:
bejaitet, daß fie jedes rauhe Lüftchen fcheuen,
oder vielmehr jo verwöhnt, daß fie nun einmal
vor dem 8. Mai nicht eintreffen, oder doch nicht
bei Stimme find.“
„Einen ganzen Korb voll Neuigkeiten, liebe
Frau,“ klapperte Herr von Storch feiner Gattin
zu, welche bereits jeit einigen Tagen auf vier
großen weißen Eiern jaß und von der Zukunft
ihrer Kinder träumte. „Zunäcjt aber laß mic)
dein Frühſtück auspaden, meine Teure! Dies:
mal ift es nicht fo übel und wird, hoffe ich, deinen
Appetit reizen. Ich jehe, du haft da noch die drei
Taufröfche vor dir liegen. Auch die fette Ringel:
natter haft du nicht angerührt. Nun, was jagt
du zu diefem Häschen und diefem breitägigen
Entchen? Mit diejer Karauſche nimm dich ein
wenig in acht, von wegen der Stachelflofjen, du
weißt ja!“ Unter foldhen Reden hatte der fürjorg-
lihe Gatte all die Herrlichfeiten vor der Gattin
ausgebreitet und mit einigen blauen Sumpf:
BVergifmeinnichtzweigen und Maiblümchen zier:
lid) befrängt.
„Es find die erjten; ich habe fie am Wald:
rande für dich gepflüdt, meine Teure,“ fuhr der
galante Gatte fort, indem er der Teuren einige
der Maiblumen über die Naje hielt.
14
106
„Und nun meine Neuigfeiten! Alfo eritens:
übermorgen iſt Polterabend droben auf dem
Turme. Der junge Trompeter hat fur; nad)
Petri Stuhlfeier das Patent als zünftiger Stabt-
mufifus auägeftellt erhalten. Die Väter der
Stadt haben die jhmetternde Anzeige unferer
Ankunft nad Gebühr zu würdigen verjtanden.
Am felben Tage natürlich ftille Verlobung der
blonden Babette mit dem braunlodigen Künftler,
aber doch nicht fo ftill, daß Tauben, Dohlen und
Segler, welche den alten Turm bewohnen, nichts
davon bemerkt hätten, und da die drei unge:
fiederten Turmbewohner den gefieberten ftets
freundlich gefinnt waren, jo machte Frau Dohle
den Vorſchlag, die ganze geflügelte Stadtmufif
aufzufordern, den Hochzeitstag durch ein großes
Konzert zu feiern. Frau Dohle ſprach wie ge-
wöhnlich jo beredt und mußte ihre Rede mit
ihren wafjerblauen Augen jo eindringlich zu be-
gleiten, daß ihr Vorjchlag allgemeine, und id)
fann wohl jagen freudige Zuftimmung fand.
„Und fo iſt denn morgen die erfte Probe im
Buſchgarten der Wirtſchaft zur Nedartraube,
woſelbſt das Hochzeitsfeſt gefeiert werden foll,
anberaumt worden. Auch ich Habe auf Anfuchen
€, Balbanıns,
Sröhlingsboten.
des Komponijten, welcher die geiftreiche Anfıdı
ausſprach, die Klapper habe das gleiche Anrecht
auf mujfifalifh=tieffinnige Verwendung, als
3. B. Peitſche und Beden, und befonders bei
Hochzeitsmärſchen aud) eine tief finnige Bedeu:
tung. Ja, meine Liebe, unfer Jnftrument fommt
noch zu Ehren! Ich werde es aber auch tüchtig
üben, um den beabfihtigten Effeft nicht abzu—
ſchwächen.“
„Hörſt du? die andern üben gleichfalls! Ah,
Herr Nachtigall! Er iſt doch der Meiſter, der
unübertroffene, unübertreffliche! Und dort das
prächtige Grasmückentrio! Und hier unter uns
im Stadtgraben der Sumpf- oder Gartenſpötter
— und über der Wieſe die Feldlerche — und
am Waldhange die Heidelerche — und Sing—
droſſel und Amſel und — — O, da muß ich
auch einſtimmen.“
Und Kopf und Schnabel auf den Rücken
ſtemmend, klapperte Herr von Storch ein be—
geiſtertes Solo, das ebenſo deutlich, wenn auch
weniger melodiſch, als die übrigen Sänger, den
Lenz und die Liebe und das Leben, das Wonne
leben des Grünens, Blühens und Singens der
Natur zu preifen verſtand.
Der Sammler
2 Bur Beifgefhichte. &»
Bereinswefen.
9% erfte Generalverfammfung des
Dentichen Kolonialvereind tagte
am 5. Januar in Frankfurt a. M. Der
PVräfident, Fürft zu Hohenlohe · Langen ·
burg, wies darauf bin, daß zwei Unter ⸗
nehmungen den Vorſtand in erſter Linie
beihäftigten, der Plan Haſſes zu einer
Eriäliefung Paraguays im Intereffe ber
deurichen Voltswirtihaft und die deutfchen
Tempterfolonieen in Syrion. Der Berein
om diefen erften, wirklich deutſch ger
liebenen Kolonien, denen die Mittel zu
raiherer Entwidelung fehlen, durch ein im
Heimatlande aufzubringendes - Darlehen
unter die Arme zu greifen.
Die Begründung eined Weitdeut-
ſchen Stanalvereind Fund am 5. Januar
in Miüniter ftatt. em un von
Sagemeijter, Oberpräfident: von Weit»
phalen, Vorfitender: Dr. Natorp in Efien.
Theater und Muflk.
er Bigennerbaron ift der Titel
einer lomilhen Oper, die Strauß
gegenwärtig fomponiert und deren Libretto,
von Maurus Joiai verfaht, eine biftorifche
Aneldoie aus der Geſchichte Wiens zum
Oıgenitande bat.
„Der Richter von Zalamea’ als
Oper ift in Euvers (Belgien) über bie
Bühne gegangen. Berfaljer des Text
buches find Armand Silvejtre und Detroyat,
die der Erfolg des Calderonſchen Stüdes
in Deutidland x ihrer Arbeit veranlaft
dat. Die Mufit lomponierte der Belgier
Benjamin Godard.
„Der Mohr des Zaren‘ von Ric.
Doh hat, wie jeinergeit in Münden, aud)
im Stadttheater zu Hamburg eine jehr
beifällige Aufnahme gefunden.
Der Fürft Nikita von Monte-
negro hat rin dreialtiges Drama: „Die
Balfanfaiierin“ verfaßt.
Im Breöfauer Stadttheater errang
am 10. Januar „Penelope“ ein vieraftiges
Luffpiel von Oxlar Auftinuß, einen vollen
Grioln. Die Stritit rühmt einftimmig das
Feſſelnde der in dem Freiheitskriegen ſich
abjpielenden Handlung und die Feinheit ·
der Diction.
Zur Säfufarfeier ber erften Auf-
führung von Schillers „‚iedco in
Mannheim ift in Mannheim und Leipzig
das Trauerfpiel in der Faſſung, die es
vor hundert Jahren hatte, zur Aufführung
gebradjt worden.
Flotows nachgelaſſene Oper: „Der
Graf von St. Megrin* ift bei ihrer erften
Aufführung in Köln jehr freundlich aufs
genommen worden. Die Muſit ift durd-
weg welodiſch.
Dslar Blumenthals Probepfeil
ift auch am Lobetheater in Breslau und
am franfjurter Stadttheater mit entſchie·
denem Erfolg gegeben worden. Die Kritik
rühmt die feine Intrigue und den von
Kalauern nirgends beeinträdhtigten geiſt -
reichen Dialog.
Sapellmeifter Dtto Drache in Dred«
den wurde zum Mufifvireltor am tönigl.
a daſelbſt ernannt.
herefe Malten, Aönigl. Kammer:
fängerin in Dresden, erhielt vom Herzog
von Sachſen · Altenburg die goldene Ver»
dienftmedaille für Kunſt und Wifjenihaft.
‚Zofephine Gallmeyer, unter dem
Namen: „vie feihe Pepi” der Liebling
der Wiener und überhaupt aller, welche
fi) an dem uriprüngliden und genialen
umor dieſes weiblichen Komilers irgend
einmal ergöken durften, ift am 3. Februar
in Wien einer ſchweren, unbeilbaren Stranf«
heit erlegen, die bereit 1882 von Pro»
ſeſſor Älbert als Neubildung in der
Beckenhöhle diagnofiert wurde. Joſephine
hatte gewünjdt, ohne Sang und Alang
in einem Mafiengrabe beerdigt zu werden
wie — eine Bettlerin, als welde fie,
was ihre Sinterlaffenihaft betrifft, freilich
auch geftorben ift. Ihre Freunde haben
indejien dieſe Berfiinung umgeftohen und
ige am 5. Februar ein ſchlichtes, aber
an Ehren reiches Begräbnis bereitet.
Ermeftine Wegner und Pepi Gallmeyer,
die populärften Vertreterinnen nord» und
füddeutihen Humores, beide tot, dahin ·
gerafit im beiten Lebensalter, im Zenſth
ihres fünftlerifchen Ruhmes. Fürwahr,
da hat Here Mors einen rafjinierten Ge»
ibmad iejen unbeine ganze Welt voll
Luſt, eben und jprühender Laune mit
zwei Senſen ſtrichen rung „Aus is*
wie der Titel einer hübichen Novelle von
Hofephine Gallmeyer lautet. —
Aunft und Penkmatle.
od. v. Gebhards religiöfed Hi-
Hftorienbild: „Walhung des Leiche
nams Ghrifti“, früher unter dem Titel:
Pieta befannt, ift von der Verwaltung
der önigl. Gemüldegalerie in Dresden
angefauft worden,
Die Erbauung eined Hunfthaufes
in Darmftadt ift vom dortigen Hunfle
verein endaültig beſchloſſen worden.
Der berühmte Nupferitecher Prof.
Rud. Stang in Düffeldorf ift nach Amfter«
danı berufen, um dort eine neue lupfer-
ſtechſchule zu benründen,
Robert Bolfmann foll ein Grab»
denfmal erhalten; es bat ſich zu dielem
Zwede in Budapeit ein Komitee gebildet,
das Beiträge unter der Adreſſe Herrn
Guſtav Fuchs, V. Mdlergafie 23, Budas
peft, entgegennimmt.
Dr. Scjliemann befindet fih zur
Zeit in Marathon, um einen in der Mitte
der Ebene gelegenen Hügel aufſudeden,
er vermutet in demjelben ein Grabdent»
mal zu Ehren der Gefallenen. Die grie»
Hilde arhäotogiiche Geſellſchaft beabfichtiat,
in diefem Jahre Ausgrabungen im Eleu⸗
finifchen Gerestempel, und in Epidaurus,
wo dem Aöllepios ein Heiligtum erbaut
war, vorzunehmen und den Meeresgrund
der biftorijchen Bucht von Salamis unter-
juchen zu lafien.
Fefte,
——— trifft man ſchon jeht Dor«
CF bereitungen zu dem 500jährigen Aubi⸗
läum der Univerfität, welches im Epät«
fommer 1886 gefeiert werden wird. Aus
Staatsmitteln werden zu der Feier allein
160000 Marl bewilligt werden. U. a.
beabfihtigt man aud die Herausgabe einer
Sammlung von Urfunden, die fih auf
108
die Geſchichte der Univerfität beziehen und
eines Verzeihniffes aller Profefioren und
Studenten, bie mit der Univerjität als
Lehrer oder Hörer in Verbindung ftanden.
Die Stadt Leipzig bat ſich bereit
erllärt, für das dajelbft abzubaltende 8.
deutihe Bundesſchießen nicht allein „ben
Feſwlatz darzubieten, fondern aud einen
Garantiefond von 170000 Mark zur
Dedung der Koflen aus Stabtmitteln auf-
——
Die neuerbaute Stadthalle im
Mainz, die zweitgrößte Deutidhlands, iſt
am 5. Januar feierlich eingeweiht worden.
Diefelbe erhebt jih im italieniichen Re—
naiflanceftil in unmittelbarer Nähe des
RhHeines und faht 3800 Perjonen:
Die Zwinglifeier in Stappel bei
Zürih am 6 Januar nahm einen ſehr
würdigen Verlauf. Am Zwingliſtein ers
mahnte Pforrer Fan in zündender Rebe
die verihiedenen Konfeffionen zur Fintracht.
Der Feſtzug nah dem Pantheon
in Rom als eine Kundaebung nationaler
Dankbarkeit für Biltor Emanuel und fein
Wert, fand am 9, Januar unter Beteili
aung von 25000 Perfonen mit 1500
Fahnen und 80 Mufiflapellen ftatt. Die
eier verlief programmmäkig.
Das 50jährige Stiftungäfelt des
Wiſſenſchaftlichen Gentralvereins und
der von diefem geflifteten Humboldt-Alas
demie hat am 26. Januar in Berlin flatt«
gefunden,
BSüdermwefen.
DEE Nordaus Schrift: „Die fon-
7 >s ventionellen Lügen ber Kultur ·
menfichheit” ift in Wien wegen Beleidi⸗
aung des Slaijerbauies und verſchiedener
anderer Delikte fonfisziert und von ber
Genjur in Oeſierreich verboten worden.
Aus der Feder der Königin von
England if ein neues Buch hbervorge
gangen, betitelt: „Ginige Blätter mehr
aus dem Tagebuche über ein Leben in den
Hodlanden von 1862 bis 1882*, ein Nach ⸗
trag zu ihrem vor 15 Jahren veröfient-
lichtem Tagebuche. Gine Bollsausgabe
mit zahlreihen Illuſtrationen und Por«
träts ift in Vorbereitung.
In biefen Tagen eriheint ein neues
Bud von Buſch über den Fürſten Bis.
mart, das interefjante Gnibüllungen aus
dem Leben des großen Staatemannes ent-
halten wird,
Witterungsverbältniffe.
Dr Meteorolog Neid in Göttingen
macht uns für die nächſte Zeit ſchlechte
Ausſichten. Nah feiner Annahme folgt
den milden Wintermonaten diefes Jabrs
wahrſcheinlich im März ein Nadminter
mit Schnee.
Berdreden,
(Din Maubmörber, der ſich ein Ges
werbe daraus machte, Mädchen unter
Seiratävorfpiegelungen an fi zu Toden
und fie dann meuchlings ju ermorden, um
fid) in den Befit; ihrer Griparnifte zu jeßen,
it in der Perjon eines gewiſſen Hugo
Schent von der Wiener Polizei entbedt
worden. Es iſt bereits eriwielen, daß der
Verbrecher jeit 1879 vier Mädchen umges
bradt bat. Auch der Bruder Schents und
der Maſchinenſchloſſer Schloſſarel, die den
Mörder bei jeinen Bluttbaten unterftüßten,
find mit demfelben verhaftet worden.
Ein großer Poftdichftahl wird aus
Budapeft gemeldet. An dem dortigen
Voſtamt ift am 5. Januar eine 38 kg.
ſchwere Gelbfifte in Lederumhüllung, die
245000 fl. in Banknoten enthielt, au
rätjelhafte Weife geftohlen worden. Au
die Entdedung des Thäters ift eine an⸗
Sur Zeitgeſchichte.
ſehnliche Belohnung ausgejekt, Ein anderer
BVoftdiebftahl ift auf der Etrede Leipzig —
Berlin verlibt worden. Hier gelang es
den bisher unermittelten Thätern Poft«
beutel mit einem Anhalt im Wert von
80 000 Marl r entwenben.
Ein vierfaher Mord ift am 17. Jan.
in Neuentamp, einem zu der Bürger-
meifterei Neulirchen bei Opladen gehörigen
Dt verübt worden, Fin Mann Namens
uchs tötete ein junges Mädden und
deijen Water und Mutter, teile durch
Schnitle in den Ka teils durch Echüfie
und ſchließlich ſich ſelbſi. Die Unthat der
die Familie zum Opfer fiel, entſpran
nicht etwa perjönlicher Rachſucht oder j
aut brechender Leidenihaft, Tondern der
verbrecheriſchen Phantafie eines durd den
Sampf mit Not und Sorgen gänzlidy ver«
wilderten Menicen.
Ein Raubanfall, der in Plan und
Ausführung an denjenigen erinnert, der
unlängit in einem Etuttgarter Bankgeſchäft
verübt wurde, ift in Wien zur Ausführung
—— An die Wechſelſtube des
anfiers Eiſert drangen am 10. Nanuar
Abends zwiſchen 5 und 6 Uhr zwei Mäns
ner ein, welde dem Beſitzer Eiſert Sand
in die Augen warfen und * mit einer
Hadce ſchwer verlehten. Eiſert flüchtete
bitferufend in ein nach hinten gelegenes
immer, in weldem ſich jeine beiben
naben mit ihrer Lehrerin befanden, und
von da in den Hof, verfolat von dem
einen der Morpgejellen, der dem Bankier
noch mehrere lebenegefährliche Wunden
beibradite. Sein Genofie hatte inzwiichen
die Lehrerin und den älteren Stmaben
ſchwer verlekt und dem jüngeren Slinde
das Genid umgedreht. Sodann raubten
die beiden Verbrecher die Stafje aus, wäh-
trend ein dritter Genoſſe vor dem Geſchäfts ·
lofale Wade ftand. Obwohl die gräßlicdhe
That gleich darauf bemerft wurde, gelang
es den Verbrechern, mit ihrem Haube zu
flüten. Als mutmaßliger Mörder wurde
ein gewiſſer Jofevh Pongrak, alias Troitz,
aud Trauz verhaftet.
Unglüdsfäle.
agpin ſchredliches Brandunglüd er
Deignete fih in Penniylvanien auf der
Bredbford-Berdell und Ainzna-Bifenbahn.
Gines der über dem Schienengeleife ange»
braten Petroleumrefervoire barft und das
herabftrömende Erdöl entzjlindete ſich in
dem Augenblid, ald ein Perfonenzug das
runter durchſuhr. 26 Menſchen erhielten
ſchwere Brandivunden, drei frauen fanden
in den Flammen den Tod,
Der Dampfer City of Columbus
erlitt am 18. Januar beim Kap Gayhead
an der Stüfte von Maſſachuſetts Schiffbruch.
104 Perfonen ertranten, gereitet wurden
nur 22 Menſchen.
Die Not und der pefuniäre Schaden,
weldhen die Ueberſchwemmungen in
Wheeling und Newport (Stentudy) an«
gerichtet, bat eine bedenlliche Höhe er
reicht ; der Berluft allein in Wbeeling be⸗
aifert ſich auf ſechs Millionen Dollars.
on allen Eeiten werben Aufrufe um
Hilfe erlafien.
Totenfdan.
72 Jr ehemaliger Staatsminifter
und Watgeber Napoleons bes 111.
ftarb am 3, Februar in Paris.
Laster, Eduard, Dr. jur., Rechtsan-
walt in Berlin, hervorragender deutſcher
Parlamentarier und Molititer, welcher
einen nadbbaltigen Finfluß auf die Ge—
fehgebung des neuen beutichen Reiches
und auf die Geftaltung des Parteitweiens
neübt bat, geb. am 14, Oftober 1829 zu
Yarortidin in Pofen, ftarb, aufeinerameri»
ort in
hien ⸗
taniſchen Reife begriffen, in New
der Wat zum 5. Januar am
chlag
Kolert, Louis, Komponiſt und gr
ſchãhter Muſilichriftſleller, geb. am 13. Ja⸗
nuar 1825 in Stönigäberg, ſtarb am 4. Ja⸗
nuar in Wiesbaden.
Moſtock, Trik, talentuoller Dan
ſchaftsmaler, Marb in Berlin am 26. De⸗
jember, 31 Jahre alt.
Erblam, Heinr. Wilb., Dr. theol.
Konfiftorialrat und Profeflor der heo-
logie an ber Univerfität Königs ftarb
—* am 9. Januar im 74. Vebend«
ahre.
Hohenlohe. Schillingsfürft, Yran-
jitca v., Gemahlin des Prinzen Chlodwig
su Hohenlohe und Zodter des Grafen
mM Efterhazy, aeb. am 24. Septem ⸗
—— ftarb am 10. Januar in Ab»
azia.
Sudard, Philippe, Begründer der
befannten Schololadenfabrif zu Eerrieres,
Kanton Neuenburg, flarb dafelbfi am
14. Aanuar, 87 Jahre alt.
Gramer, Alphons v., Genre- und
Porträtmaler in Düfieldorf, geb. 184
au ER: flard am 4. Januar in
Horwitz, Dr. berühmter Schach-⸗
fpieler Bretlaus, ftarb fürzlih in Bozen.
Lange, Dr., Richard, befannter Päpda:
nog. Inhaber einer höheren Knabenſchule
in Hamburg, Serausgeber der von Dieiter-
weg begründeten „Blätter für Etziehung
und Unterridt“, ftarb in Hamburg am
10, Januar.
Mühlenfelö, Elfriede v., benabte
Diterin , au durd ihre MWohltbätigfeit
befannt, ftarb in Dresden am 12. Januar
Ulrici, Dr, Hemann,, Och. Renier
rungsrat u. orbeutl. Profeiior der Pbilo»
fophie an der Univerfitär Hale, berühmt
durd feine Shaleſpeare · Forſchungen und
Nevifion der Echlegel-Tiedihen Shate-
jpeare» Ueberſeung, Berfaffer mehrerer
pbilof, Schriften. geb. am 23, März 1806
zu Pförten in der Niederlaufig, ftarb im
Halle am 11. Januar.
»Ferfonalien.
er bayer. Aultuöminifter, Johann
v. Lutz, ift vom Abnig von Bayern
in den erblihen Freihermftand erhoben
w
orben.
Geh. Hofrat Dr. Rubolph v. Gott-
ſchall in Leipzig erhielt vom g von
Sachſen ⸗Koburg⸗Gotha das Homthurkreug
1. — des Sadjen-Erneftiniihen Haut-+
ordend.
Edmund Kretfchmer, dem flompo-
niften der „SFoltunger* hat der Abnig von
Sachſen das Nitterfreug 1. Klaſſe des
Albreht-Ordens verliehen,
Dr. Leopold Kompert wurde vom
Kaiſer von Defterreih in Anerfennung
feiner litterariichen Thätigleit und feines
nemeinnüßigen Wirkens der Titel eines
Regierungsrates verliehen.
Dr. Hermann Riegel, Direltor des
Mufeums in Braunſchweig, wurde von
der tönigl. beigiihen Runitafademie zu
Antwerpen zum Ehrenmitgliede emannt.
Antendanzrat Chronegt, der D ref»
tordes jahien-meiningiichen Hofſchauſpiels,
ift vom König von Bayern durd Ber»
leihung bes ———— 1. Klcfie des
Verdienſtordens vom heiligen Michael aus-
gezeichnet worben.
Ein entſekliches Verhängnis ift über
den befannten Dürer-Biographen Thanfing
bereingebrodhen. Der geiftoolle Aunſi⸗
aelehrte, Profefjor an der Univerfität Wien,
wurbe in Nom, wo er dem neuerridhteten
biftorifhen Inftitut in Rom beigegeben
war, plöglih wahnfinnig.
©. Hättig.
Unfer Sausgarten.
Von O. KHüftig.
Begonien
Die Mitglieder diefer Familie (Begonlaceae R. Br., jo
benannt nad Michel Begon, der 1638 geboren wurde und als
anzöfliher Intendant auf Et. Domingo ftarb; ein eifriger Ber
tberer der Pflanjentunde) find jaftige, ihönbtü ende Sträuter
oder Halbiträuder mit am Grunde ſchiefen Blättern. Ihre
reihen Arten ſtammen meiit aus den Tropen, einige aus den
&Ggebirgen von Peru, Bolivia u. ſ. w. Seit ihrer Einführung
in die Gärten burd den franzöjiichen org Gharles
Blumier (geb. 1646 zu Marjeille, + 1704 auf der Anjel Gadis
am Dafen von Gadig) haben fie zu den beliebtejten Pflanzen
unferer Gewädhshäufer gehört, aber fo vielfältige Wandlungen
durdgemadt, wie faum eine andere Pflanzenfamilie, und find
fie ſchließlich zum bevorzugteften Liebling unjerer Blumenfreunde
Pie. ı.
Begonia discolor hybrida (8. 110).
geworden, der in jeinem Fortſchreiten, in feiner Verbeſſerung
den Endpunkt noch lange nicht erreicht zu haben ſcheint, weshalb
er auch in dielen Blättern eine Beſprechung verdient.
Aber es ift überflüſſig, auf die vielen, Seit zwei Jahrbuns«
derten aufgefundenen und in die Gärten eingeführten Arten viele
Worte zu verſchwenden, denn die Liebhaber wie die Fachmänner
unterfheiden heute nur zwei Gaupigruppen: Blatt» und
Blüten oder Anollen-Begonien. Die erfleren, die Blait«
Begonien, ftammen alle von einer Art, dem Könin, Begonia
Rex Ptz. von Oftindien, deſſen Griffel wahrſcheinlich mit dem
Blütenftaub von Discolor R. Br. und anderen Arten befrudhtet
wurde, mwodurd viele Blendlinge entitanden find, Pilanzen mit
kurzem Stamm und dunkelgrünen bis tief purpurroten Blättern,
die in der Mitte durd eine jcharf abgenrenzte breite, oft ſilber ⸗
e Zone gejeihnet find; ihre Unterjeite ift rötlich und mit
dun slegefroten Nerven veriehen, Die Anzahl dieler Blend»
linge vermehrt ſich beinahe täglich, weil die ſchönen Blätter mit
ihren verfchiedenen Farben und Zeichnungen eine jwedinähige
dung aud in dem leichten, graziös zujammengeitellten
„Deutihen Blumenftrauß* gefunden haben.
Unier Bausgarten.
Die Angehörigen |
109
diefer Gruppe find aud gute Zimmerpflangen, die ſich leicht ver-
more inc bieten fie % Pflege Ks bejonderen Schwie ·
gt Zwed der Vermehrung ent man ein Blatt oder nur
einyelne Xeile deöjelben mit mehrfach durchſchnittenen Nerven
auf die fandige Erde einer fladyen Schale, wo es durch mehrere
Häldyen oder oben aufgelegte Steindyen feitgehalten und oben
Fia ?. Begonia tuberosa erecta superba (6. 110),
mit einer Glaticheibe oder Olasglode von der äußeren Quft ab-
geihloffen wird; man hält es mäßig feucht und in einer Tems
peratur von + 14 — 160 R. Bald erſcheinen an den Schnitt«
punkten der Nerven Meine a ie die, nachdem fie ſich
genügend bewurzelt haben, abgelöjt in ganz Meine, ſpäter im
IT Q
Bie. 9.
Begonia tuberosa Seleni perfocta (8. 110),
nrößere, mehr flache als tiefe und nie zu große Töpfe mit möge
lichit fruchtbarer, aber loderer und jandigner Erde gepflanzt werden,
Sie vertragen viel Sonne, wenn fie and während der Mittags:
jeit negen diefelbe einigermaken geſchützt fein wollen, Während
des Wahstums follten fie reichlidh, juweilen mit Dunamwaher
begofien werden ; Ipäter begieht man wenig, während bes Winters
beinahe gar nidt. Im Sommer fünnen die niedrinbleibenden,
buntblättrigen Pflanzen aud zur Einfaffung von Blumen» oder
Blatipflanzengruppen verwendet werden. Webrigens präfentieren
110 ©. Hüttig. Unfer Hausgarten.
fi auch die Blüten des einen Blendlings, der Begonis discolor | mit Erde, fondern 2-3 mm. hoch mit Fichtennadeln, auf Die
Rox hybrida, Louise Chretien (fyig.1, &. 109) jehr vorteilhaft. | man durch eine feine Braufe geben Tann, ohne befürdten zu
Gine ſchöne halbftraugartige Hybride ift Begonia erecta | müflen, daß die Samen aus Ihrer Page verſchwemmt werben ;
«uperba (Fig 2, ©. 109) die ihre aroßen, brennend ſcharlachroten wo Fichtennadeln nicht zu haben find, muß man von unten
Plumen bis in den Spätherbft entwidelt; ichen, d. r in eine Schale oder einen
Stedlinge vom Frühjahr blühen aufer- Seller, auf dem das äh mit ben
ordentlich dankbar jhon im eriten Som« Sammlömern fteht. Die Ausfaat ge
mer und auch noch im folgenden Win- ſchieht am beiten Mitte März, fpäte-
ter, weshalb man fi auch niemals alte ftens im Juni, und erhält man
Pilangen halten jollte, die bald dadurch noch jhöne Gruppen»
unfhön werden. flanzen, bei der ipäteren Yus«
Die höchſte Stufe der Boll« aat für den Herbit, Die Säm-
tommenbeit baben doch bie linge follen, jobalb fie ſich
Stnollen« ober einzichens fafien laſſen, verftopft (pikiert)
den Begonien erreidt; fie und dann einzeln in Heine,
find im Laufe vieler Jahre ſpäter in wenig größere Töpfe
durch Sreuzungen entitanden, mit jehr frudtbarer Erde oder
d. b. durch Uebertragung des audı in das freie Land des
Blütenflaubes der einen auf hbalbwarmen Wiftbeet5 wer«
das Piftill der anderen Art, wie pflanzt werben, wo fie, auch
Begonta Boliviensis A. DC. unter dem fyenfter, moglich ſt
von Bolivia, Veitchi Jos. Hook., viel friihe Luft erbal-
rosae flora Jos. Hook., beide aus ten müffen und wo dann und warn
Peru und der von diefen flammenden ein milder, —— Regen viel zu ibrem
Baftarde Sedeni (Fig. 3, &. 109), Froc- Grbeihen beitragen würde; von bier
fünnen fie, felbft während der Blütezeit,
ohne weiteret auf dad Blumenbert oder
—— in Topfe gepflanzt werden. Im
Anfonge find fie zu beſchatten, jpäter
aber ver volen Sonne, mit Ausnahme
vielleicht der Mittagsfonne, ausjufchen.
Sie blühen, felbit auf balbihattiner
worden ift, und zeichnen ſich nament⸗ Stelle, unaufbörlid bis in den Spät-
li die Züdtungen des Kunft« und herbſt, befonder& wenn fie vor drohen»
Handelsgärtners Paul Hirt in Uelzen Dig. 4. Begons tuberosa Froebeli. dem Frühfroſt durch eine leichte Dede
beli (fig. 4) u. a. m.
Daraus entitanden Pflanzen mit
Blumen, die an Größe, jhöner, renel-
mäßiger Form und Mannigfaltinteit
der Farben — reines Weiß, Gelb, Roſa,
Scharla u. ſ. w. — alles übertreffen,
was von Florblumen jemals geliehen
(Hannover) vor allen anderen vorteil« geſchuht werben.
baft aus, wie auch unfere Abbildungen beweiſen, die, gleichwie Die Im Herbit fterben unjere Begonien ab, „fie ziehen ein“,
obigen Blattbegonien, nad den in feinem Garten genommenen aber nur, um im näditen Beäbiahe um fo fräftiger wieder zu
Photographieen aefertigt find. eriheinen. Die Knollen befreit man im Herbſt vollitändig von aller
Herr Hirt hat ſtnollenbegonien mit einfachen und folde mit ihnen anhaftenden Erbe, legt fie zufammen oder fortenweis in
aefülten Blumen, welche Iehteren in ihrer durchaus regelmäßigen trodenen Sand und bewahrt fie an irgend einem trodenen, froft«
Form ſich mit Balfaminen, jelbft mit freien Ort auf. Im fyebruar bringt man mehrere zufammen in
Stamelien vergleichen laſſen und die durch j einen Topf oder eine Schale und treibt fie unter dem Fenſter des
die Verwandlung der männliden Ge⸗ \ Warmbaufes oder des warmen Miitbeet3 an, pflanzt fie dann
ichledhtsorgane, der Staubgelähr, in einzeln in Heine, jpäter in etwas größere Töpfe oder, wenn zum
Dlumenblätter entftanden find , ba aber Auspflanzen ins Freie beftimmt,
die beiden Geſchlechter ſich auf verſchie⸗ weiter außeinander ins Mifibeet,
dene Siam Berielben TDELASSEDETRINEN, von wo fie, nad und nad an
jo finden fi auch aufeiner Pflanze frifche, zuleßt an viel Quft ge
gefüllte Blumen neben einfachen; wöhnt, direlt aufs Blumenbeect
gewöhnlich ift die mittlere von drei verjeht werden können. Bei biefem
nebeneinander fihenden Blumen mehrmaligen Berpflanzen kann man
eine gefüllte, weil männlide, wäh» einzelne Triebe, oder alle bis auf
vend bie anderen zwei oft einfad, einen abnehmen, um fie als Sted-
weit weiblid, find, linge zu behandeln.
Man zieht die Planzen t h \ Die Begonien find eben
ziemfih leicht aus Samen — — x F — 50 jhöne flangen wie
— womit nidt behauptet ’ 1 fie auch ſtets das fonnige
werden joll, daß jedes, einem Fenſter des Wohnzimmers
Gremplar mit gefüllten Blu» sieren und ein berrlidyer
nen entiprofiene Samenfom Schmud des Blumentiibes
auch wieder gefüllte Blumen im Salon fein werben. Auf
gibt — im Gegenteil! Nur dem Blumentiſch wirb aber
ein Heiner Teil der Samen: ihr Gedeihen, wohl aber aud ba&
Batiat wneben ganthnlig ER Ne ale vr Com
elultat ergeben, q nk * 8 22 wenn die e e J
nur die ſchwächſten Samen, ſolde die rl 36: 4 — 817, ers dicht mit Moos umgeben find,
ſchwer feimen und besbalb jpät aui« N . > —* woburd dem häufigen Wechſel des
neben, weshalb man die zur Ansjant Er seurbtinfeitägehaltes vorgebeugt wird.
in Öfter gereichter ſchwacher Dung«
ouf thut auch bier qute Pienfte, und
merden unjere Knollen - wie Blatt
beaonien überall die ude der Blus
en» und Pflanzenliebbaber fein, ber
fonders wenn fie, die Samen, Pilan-
sen oder Ainollen, den Gewächthäuſern
bes Seren Paul Hirt in Welzen ent»
flammen. "
benüßte Erde geduldig und recht lange y N
balten joll, che man fie wegwirft, auch n
wenn alle aufgegangenen Sämlinge be:
reits no find; die Nadızünler
arben gewöhnlich die hen Blumen.
(Fe ift deshalb befier, Die beften, nament»
lich die gefüllten Varletäten, durch Sted⸗
linge zu *** ae leicht wachſen
nn, — Dos Verfahren be
eek. = hun ——— — Fig. 5. Bougquel biverfer Knolleubegonien.
Der Same iſt ſtaubfein, die ihm . Ben
entiproffenen Pilängden anfangs ſehr Hein und die gewöhnliche Die Gärtner Deutihlande haben in überwiegender Mehr.
zahl den Zollſchut abgelehnt, welden andere, gegenüber der (Fin.
Grde meiit fo mit Unfrautfamen verunreiniat, daß die aus dieſem ; t
bervorwachienden Pilanzen die eigentlichen Pitenlinge ſehr leicht fuhr von abgeſchnittenen und anderen Blumen aus Italien bejw.
Frantreich, ſich von der betr. Behörde erbeten hatten: fie wollen
unterbrüden. Deshalb follte man zur Auzjaat von Benonien- von j
famen nur ausgenlübte, alfo unfrautfreie Erde nehmen. Auf diefe die nicht ungefährliche Konkurrenz in anderer Weife unfhäplid
freut man die reihlid mit feinem Sand gemiſchten machen, indem fie ihren Gejhäftsbetrieb barauf einrichten, während
SZ amenkörner dünn aus, drüdt fie fejt und bebedt fie leicht, micht des Winters mehr als bisher, ſelbſt möglichſt viele Blumen zu
Ida Barber. Trachten der Zeit.
iäpigt, ftet$ und zu entipredenden Preifen fäufer finden, ohne
den Armen bie Freude an einer mitten im Winter für wenige
Tiennige erworbenen Roje zu verderben. Dieſem Eireben dient
ein ebenfo ze ähes wie pradjtvolles Werk der Verlagshand-
Kae B- rey in Berlin:
„Die Winterblume. Anleitung für Gärtner und Garten»
liebhaber zur Wintertultur der für den Shmud der Wohn»
räume und Glashäufer, für Bouquets. Vaſen xc. gerig
— einheimiſchen und ausländiſchen Blumen und Blatt:
pflanzen“,
von bem ausgezeichneter P
vielen Jahren anerlannten Königl.
erzielen, die, weil friid, a nit von einer weiten Reife qe-
en« und Blumenzüchter feit
Preuß. Gartenbaudireftor
. Gaerbt. ein Wert, das fid) in eingehender, —
aus ptatti “a Weile ſich in eingehender, fahgemäßer, durch
jur Blüte kommen
oder auch jhöne Blät-
ter geben.
—
aſſer
die ee
neuerding: auch in
Deuiſchland zu hoher
Ham-
bura, Berlin :c. jähr ·
li mehrmals wieder-
tchrenden Berſteige ·⸗
3. &aı
. Sanders & Go,,
t. Albans bei Lon⸗
don, leicht und billig
erwerben lann, ſon ⸗
dern auch, weil man
endlich gefunden bat,
dak ihre wunderbar
ihönen Blumen mehr
als andre zum leid
ten, — „Deuts
ſchen Biumenftrauf*
u. dergl. zu verwen⸗
den find, der hoffent-
lich recht bald das
iteife „Fronzöfiiche
Vouquei* verdrängt
haben wird.
Das Bud, 46
Bogen in gr. 8, ift
äuferft elegant, aud)
mit gelungenen Ta
in Buntprud
ausgeftattet und wird
nicht nur dem praf- i
tiſchen Pflanzenzüchter von großem Nuhen, fondern wird auch
jedem Salon zu großer und bauemder Zierde gereidhent.
Fis.
FJrachtften der Beit.
Bon Ida Barber.
Sy überrafchend großer Auswahl find die für die diesjährige
Fruhjahrsſaiſon beflimmten Neuheiten bereits vorrätig. Es
iheint, als wolle man allen auffallenden Moden den Abſchſed
Heben und in erfter Linie den foliden, formvollendeten zum Durch⸗
brud) verhelfen.
Ber Wahl der Stoffe berüdichtint man die glatten, fein ge
lüperten, die ſowohl in Wolle wie in Seide In feinen jyarben«
= ee vertreten find und vormwaltend mit Samt verarbeitet
er R
Geftreifte, fonenannte drefierte Gewebe, die wegen ihrer
Dauerhaftigkeit wohlverbiente Beachtung finden, werden next
mit glatien Tuchſtoffen fonteltioniert. Aaftimir mit abgepaften
ordüren oder punltartigen eingeftidten Pleint iſt viel zu den
l
Fe WETITTUN
Big. I.
111
engen, eugliſchen Softümen in Berwendung, während bie mit fidhel«
artigen Saıntfiguren oder Kleinen Balmen durchwebten Stoffe
=r ” — nad franjoſiſchen Muſſern gefertigten Roben An«
ang finden.
Necht apart find die im Sanevasgenre gewebten Stoffe, man
ficht fie zumeift in dunklen Farben, doch mit fo grellen Muitern,
die eine Art Areuzftich imitieren, durchſetzt. daß leicht anzunehmen
ift, man babe eine Tabiſſerie und feinen leid vor ſich
Derartige auffallende Stoffe werben zu großen Mänteln, Nebin«
gote# und Polonaifen verarbeitet, mit breiten Eamtftreifen um«
randet und reih mit Samtmajchen garniert.
In der Reihe der Seidengewebe ſtehen die did gerifften
Ottomays immer noch im Vordergrunde. Glatte Taffelas haben
nur dann eine Berechtigung, wenn fie mit fagonniertem oder
mit Samtblumen
durhwirfktem Satin
- tombiniert find. Aelr
tere Stoftüme laſſen
fih durch all die
gemufterten,, neftreif»
ten, mit Samtfiguren
durchſehten Stoffe
jehr leicht moderni«
fieren, Belonders ge ·
eignet für Dielen Zwed
it ein in allen Far⸗
ben vorrätiger Atlab-
ftoff, der in Zwiſchen ·
räumen von je 1, cm
mit ſenlrecht gehenden
Samtitreifen durch⸗
wirtt ift.
Saltin · Rhadames
mitgefchorenen. rips«
artigen Samiblumen
und abgefaßten Bor
dilren wird germ zu
Schleppen, eleganten,
mit Spiken garnierten
Mänteln, aud zu fur»
jen ſchätpenariig ar:
rangierten Tuniques
verwendet.
Geſtreifte Stoffe
(Fig. V fieht man
viel zu durchweg plif-
fierten Röden, die in
entſprechenden Ywir
ihenräumen mit
nleihfalls gefalteten
Samtauflanen gededt
find, garniert; Die
Echneppentaille If mit
- Gamt begrenzt und
durch einen biß zur
Adiel reichenden
Samttragen veroll-
ftändigt. Der vom
Stoff ber Robe gefer⸗
tinte Hut Wird wie wid durchweg plifiiert, der Hopf geſchoppt
und anfheinend hinten durch eine Schleife zufammengejonen.
, Mehr für die elegante Befuchstoilette beftimmt ift ber in
— 2 fkiggierte Anzug. Dad Hauptmotiv bilden die ſpihen
Zagen, die ſich effeltvoll von dem damoisfarbenen Lederftofte,
der mit Goldfternen und roten Chenilletupfen durchftickt tft, ab«
heben. Leber der polonaifeartigen Tunique, deren Kalten von
der Taille aus berniederfalen, den Nod maleriſch drapieren, ſiht
ein jehr Heidfames turzes Samtjädhen, das rings herum auch
an der Kante jpit; gezackt ift und jede Falte und Etoffiwendung
zu befter Geltung foımmen läßt.
Gleichfalls ſehr beliebt, elegant und doch einſach iſt das
Koſtum Siefanie; eine vorn durch Patien und Stahlſchnallen
geſchloſſene Samttaille (Fig. 3) mit rundem Schoß, dem nad
binten zu Revers und Puff angeſeht find, dedt faſt zur Hälfte
einen gleichfalls mit Samt garnierten Doppelrod, deflen Falten
voll und tief herttiederfallen und cine Art Tunique bilden, ber
jede Raffung fehlt.
Derartige glatte Doppelröde mit breitem Samtjtreif werben
namentlich von nemuflerten Stoffen gefertigt und dürften, da fie
(weil wenig dem beim Eiten umvermeidlichen Gedrücknwerden
auzgefebt) ſeht prafiiich find, beitimmend für bie yrübjahrs-
trat jein.
Als bequeme und doc Meidfame Gaustradht empfichlt man
jekt ftatt der Tangen Editeppröde kurze Röde in lebhaften Farben
und dazu paſſende Ueberwürfe aus bellerem, geblümten Stoff
rin. 4, ©. 112), die vorn lofe find, an jeder Zeite eine haubbreite
96 *
\
{ \
Big. 2.
. alte haben und die bloufenartig genrbeitete intertaille zur Geltung
112
tommen Taflen; hinten ift der Ueberwurf body nerafft und bildet ı der Ausftellung anerkannt, das beite fteierjche nach
® ein Mittelding pwiſchen Straßen · und Haustoilette; die Figur
eriheint in derartigem Softüm vollflommen modegereht, ohne
eingeengt oder durch Spangen und Andpfe beläftigt zu fein.
Die Mäntelformen find wenig von denen des Winters vers
ſchleden. Alt und jung trägt anliegende, lange Façons, bie
einfacheren find vorn pweireihig gefnöpft mit engen Aermeln, die
eleganteren vorn zurüdgeihlagen (Fig. 5), ſeitwärts geſchlitzt und
durch Schleifen zufammengehalten, der Aermel offen und wie
Ber ganze Mantel mit breitem Samt bejeht. Borftchende Modelle
find dem Atelier der Madame Breyer in Wien entnommen.
Allem Anſchein nad werben die dem Stopf feit aufliegenden
Gapotes wie die die Stirn befepattenden gewölbten Hüte für bieje
Satfon wenig in Verwendung tommen, Bejonderer Belichtheit er«
freuen ſich die freiftehenden Fagons. Sie haben zumeift einen
Big. 4. 16. 111.)
diademartigen Aufichlag, find aus Satin ober Samt gefertigt, mit
ftark gefrauften Federn oder auffallend großen Blumen garniert.
der in fFig. 6 ffijzierte Kapottebut ift faum handgroß, fo
daß das hinten body frifierte Hoar bervortritt; vorn ein breiter
mit Golbihnur abgenähter Samıbügel, den linfs eine große gold»
gelbe Roſe dedt. — Die innen mit Puffen garnierten Hüte
(Fig. 7) haben einen neihoppten Stopf, vorn eine lange, längs
des Auhenrandes garnierte Feder, die in dieſer Form trefflich
Heidet. — Junge Damen tragen die rings herum aufgeihlagenen
Hüte mit hohem Kopf, deren Rand einen ſich nad vorn ver»
breiternden Samtbeiah zeigt. Fig. 8 kennzeichnet dieje ſehr kleid ⸗
jame und fehr folide Form, die zur einfadhiten, wie jur eleganteiten
Toilette artragen werden lann. Unſere Hutſtiggen ſind ber
Mailon Maur (Wien) entnommen.
Gine eigene Modeinduftrie beidäftint ſich jeht mit der
Wiedergabe von Scenen aus dem Zierleben, die durch Appli«
fatıon oder Malerei auf die verſchiedenſten Luxusgegenſtände
übertragen werden. Man fieht Schleifen, Shawls, Fächer,
Schärpen u. dergl. mit derartigen Tieremblemen defortert und
weiß nicht, ſoll man diefe den lieben Bierfühlern zjugewandte
Sympathie beläheln oder gar gutheiken. Die Schluſvignette jeint
uns auf Fächern ganz reigende derartige Bilder; nod neuer und
nicht nur für uns, jondern jonar zum Grport nad Paris be»
fimmt, find die nah Drujanys Austellung auf der Wiener
Stodhtunftausftellung aufgenommenen Skizzen, die die fteierichen
Kapaunen, denen man Nationaltradgt angezogen, in allerhand
Variationen zeigen und mit dieſen unjere DModegegenitände
ihmüden. — Der Herr Druſany auf Gut Spindelbof im jchönen
Steiermark ift ein fachtundiger Geflügelzüchter, der, wie auch auf
Ida Barber, Trachten der Zeit.
franzöfiär
Art gemäftete Geflügel erzeugt, ob er aber dadurch das Reär
erworben, jeine jeiiten Slapaunen und Truthähne unſeren Zoi:
lettenrequifiten als Siegel aufzudriden, ift jehr fraglich. Ammerdin
läßt man fidy einen qut gemäfteten Indian en miniature, den
Sie. Tr. din. a.
eine Schöne ald Applifation auf ihrer Buſenſchleife trägt, noch
eher gefallen, ala die im Borjabre üblichen Spinnen, an deren
Anblid nervöfe Perfonen ſich erft gewöhnen mußten.
Der Phantaſieſchmuch zeigt nleihialls Köpfe von allerhand
Getier, Yöwentllauen, —— Schwanflügel, Eintage;
fliegen, die, wie ſchon ihr Name jagt, nur zu ſchnell vergeben
und fo billig fie auch find, immer nod zu teuer bezahlt werden,
da fie, wenn die Mode ihnen nicht mehr hold, feinerlei reellen
Wert haben. Für den echten Schmud find mujcelartige Win-
dungen mit Perlen fehr beliebt. — Seitdem die ſchwarze Perle
auf fünftlihem Wege täuſchend ähnlich bergeftellt wird (paten-
tierte Erfindung des Juwelier Scharf, Wien) tft fie ein Mode
artifel geworden, der anftandslos felbit von Damen, die jonit
allem Falſchen abhold find, getragen werben fann,
@3 Der luſtige Geſellſchafter. 28
(Sreiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willfommen!)
AUbgangs-Bengnis.
„In Bezug auf Sauberkeit ließ Minna kaum ettvas ju
wünſchen übrig, nur ihr Maul war immer ungewaiden.“
C 2
Guter Rat.
Kaufmann: —* Sie mal, Herr Dollor, was made ich
mit meiner frau? leidviel ob die Geidhäfte gut oder fahledht
geben. fie muß alle Jahre
| Bad. Ihre Reifen nad
dem nad der Schweij
und Zirol haben mid ſchon
ein
}
APSSTTTTET FENTUITTE BEE EeT ERLITT TIEETTTITE N t
weres Geld gekoftet,
ae bs ih en
Wozu raten NE
Eie mir?“
Dottor: „Zufügen.“
’
Zlauſtblet Grm.
a: „Wiflen Sie, war
um die in Berlin
alle fo find ?* :
®.: „Na ;
| * — — se 5
Hnpothelen nicht t, die i
darauf fichen,* ,
=
Aus der Reifezeit.
Dame: „Wie tönnen ;
Sie eb wagen, mir eine Lie» F
bederlläring zu maden? }
Sie find ja verheiratet.“
Augenbliali
a ER a
Dame: „Strohmil-
wer? Uba! Darum fatt-
1 en Sie wohl jo leicht
euer?*
| »
Vom DBerfehen.
.Ih b te
* * * verjeht fagte
IIIrrE PıPerr PPerrIeTTe 77 IT Were
3
d da fam er b
in die Hauptftadt. :
Sõ bin verfeht!" fagte a
Ur Quintaner —
nad Quaria.
“I bin verjegt!” ſagte die Obrieige — da far fie an die
»I4 bin verfeit!* fagte die Uhr - da kam fie ins Lethhaus.
Böfe Arankideit.
Doltor: „Sie Magen über ein Nervenleiden, Here Ztudiojus,
Das — nen benn?*
ns
t: „Der nervus rerum.*
s
%: „Nun, Herr Baumeister, Sie find ja heute fo ernit
und am?*
babe [don einige Tage einen neuen Rif; im Notıf, *
*
»e»
—*
Schweſſer: „Aber, lieber Bruder, wie ſiehſt du aus?“
Bruder: „Das Loinmt von unferem Rakenvich.*
Scheer: Ums Himmelswillen! Bruder, wie fiehit bu aut?" =
Bruder: „Das fommt von den Menjuren. * :
nicht probiert habe
Offenes Geſtändnis.
Richler: „Wo Haben Sie am letzten Sonntag geſchlaſen ?*
Zeuge: „In der Predigt. *
s
Scderzjfragen.
Iſt es denfbar, dab ein Herr und eine Dame, die zufammen
zwanzig Jahre zahlen, ſich verloben ?
Antwort: Ia! Sie if
neunzehn Aahre alt und er
iſt Ginzähriger.
DD BEI II ZEIT TTS TI TI IT ET TE
Zehn Jahre Anterfdied. i —
Wer ift der größte deut
= fe Staatömann ber
© Gegenwart?
Antwort: Gerſon in
Berlin. Erhatdasgeug
dazu.
s
Neue Hfrafe.
Onlel Regierungsrat ift
in der Ichten Zeit wohl recht
unartig geweien, Rapa?*
„Weshalb denn, mein
Eohn?”
„Na, weil er jekt alle
Tape in ver fammer fiken
muß.
2
Skat und Ehe.
Gine Sfatipiel-Nedensart
Klingt im Eheleben hart:
Riemals jagt zur Frau der
Mann,
Daß ste ihm nid „reigen®
Tann.
Hebotene Vorſlcht.
„Zie! Nehmen Sie fi
in edit, daß der Herr da
drüben mit feinem Taidhen«
meter Ihrer Nafe nicht zu
nahe kommt.“
‚Warum denn?”
‚Griitupfertcher.”
v
Immer nad) eigener Anſchauung!
N: „Haben Sie ſchon gehört, daß die Haben hundert Jahre
alt werden fünnen ?“
2: „Hundert Jallte? Das glaube ich nicht, folange ich's
Morgen ſchahſe ih mir aber einen an.“
»
Lin feiner Beobachlker.
Der Kerr Dortor ſcheint großer Hundefreund zu fein, *
Woraus ſchließen Zie daß
„zo oft ıy mit ıbm im Geſellſchaft war, habe ih immer
einen kleinen Epik bei Ähm wahrgenommen.”
yy Google
114
3 Bum Kopf:Berßrechen. 2»
Dedeufender Fund.
63 wurde eine Inſchrift auf einem Steine vorgefunden, in
welchem die Buchſtaben mit Etiften beieftigt, angebradt waren.
Ein großer Teil derjelben war jedoch verloren gegangen, fo daß
an dem Steine außer den verbliebenen Buchſtaben nur noch einige
Stiften oder wenigftend doch Kleine Aushöhlungen, wo bie Stiiten
der verlorenen Buchſtaben angebradt waren, erichtlich blieben,
Diefer Stein ift nun bier getreulidy wiedergegeben :
— —
——
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Ein Gelehrter entnahm aus den Worten manibus, caper etc.
daß es fih um ein Opfer handelt, welches den Manen eines Wer»
ftorbenen gebracht wurde. Die Gelehrten unſerer Zeitſchrift jind
fi über den Anhalt nicht ganz einig und erwarten Aufidlüfie
feitens der Leſer.
KXrithmetifhe Aufgabe.
Eine Baueröfrau, die einen Korb mit Eiern auf den Marft
trägt, bat das Unglüd, denfelben fallen zu laffen, fo daf die
Gier jerbrechen. Ein vorübergehender Dienichenfreund befchlicht,
ihe den Schaden zu erjeßen, und fragt, wie viele es geweſen
fein? „da,“ fagt fie, „genau weiß id) e& nicht, wenn ich aber
die Eier zu zwei, zu ‚„ ju vier, zu fünf und zu ſechs ab»
zählte, blieb jedesmal eins übrig, wenn id fie aber zu ficben
abzäblte, blieb mir nichts übrig; ich weiß aber, daß «8 feine
fiebenhundert waren; wie viel Gier hat die Frau gehabt?
Dar —
Wie kann man durch Verſetzen der Buchſtaben aus den vier
Borten „Arbeit, „Io*, „Eva*, „jhilt* die Namen wweier
Königinnen ein und desſelben Landes, und aus den vier Wörtern
„Part“, „Salm“, „ohne“, „Seite“ die Namen zweier Dichter
diejes Landes erhalten ?
Quadrafräffel.
Die mit einem Stern bezeichneten Felder des untenfichenden
Quadrats find mit je einem Buditaben jo auszufüllen, dab bie
fünf wagerechten Reiben fünf befannte Wörter ergeben, und daß
die erfte und dritte jenfrechte Reihe, von oben nad unten gelejen,
einen berühmten Nomponiften nennen,
Dediffrieraufgabe,
2f1w 5a g2i Kamit 120t1 gl2a Alte,
21 g5v Nidig zitlägfn2fl c21t1a!
1t biv2wcw, gilt nltgt ylim2ltla.
1t
2p Andfm 2vw, gltnitalgig Bflplite;
Q
(0)
3
Auflöſungen zu SHeft 6, 9. 715.
Schlüffelrätfel (Schlüfiel dazu):
99 Iogavıy
abcdefhıkl
Ts Yso0oyY}0®
mnorstuvwz
Mebus: Kolonialpolitik,
a Aufgabe: Ein Maler zu Amalfi malte niemals
unde,
Sildenräffel: 1. Und, 2. Acht 3. und 4. Hundert, 5. Zehn,
6. und 7. Adıtjig, 8. Vier. Richtig untereinander geſtellt
ergibt als Ganzes: 1884.
Skataufgade: Am Slat liegen: Zreff-Bube und Pique-Zchn
oder Piqueflönig), Mittelhband bat: Treff⸗Aß, ——
König (reip. Piqut ⸗Jehn) zc. Hinterhand hat: Coeur · Bube.
Treffegchn, PiquerHeun und Acht x. — Griter Stich:
Vorhand PiauerBube, Mittelhand Goeur oder Garreau,
—*25*8 Coeur · Bube. Zweiter Stich: Vorhand Treffs
ieben, Mittelhand Treff ⸗ Aß, Hinterhand Treff · Jehn. —
Vorhand kommt nun entweder mit Pique ⸗Aß ober mit dem
Garreau» Buben an den Stich und hat dann Reſt.
Buhfladenverfegung: Durch Berjehen der Vuchſtaben Tann
man aus den drei Wörtern „Dorf*, „Grille‘, „Seite“ den
Namen Gottfried Keller, und aus ben vier Wörtern „Rügen“,
„Rinde*, „NReb*, „ih“ den Titel feines Romans „Der grüne
Heinrig* erhalten.
Üuflöfung des Preis-Hhlüfelrätfels in Heft 4.
a Mädchen, c mit h Schlitten mit Pferd, d Zelte, e Herren
mit Schlinſchuhen, f Heine Schlitten, g Damen, h (fiche c),
i Anaben mit Schlittiguhen, k Löcher im Giie, 1 Hunde,
m Bänke, n Echneehaufen, o Echneemänner, —— s Damen
mit Shlittihuben, t Mädchen mit Schlitiſchuhen, u Knaben,
w ahnen, z Schneebälle,
Luſtig tummelt auf dem Gije
Alt und Yung fih, Groß und Alein;
Aeder jucdht auf feine Weile
Sich des Winters dort zu freu’'n,
— —— — —
Shah. — Nach berühmten Muſtern. 11 5
Schach · Aufgabe Ar. 3
von D. W. Clark in Zarnaul.
(Schwarz.
0DEFGH
— —
— — — —
m ©
Weiß zieht an und jeht in zwei Zügen matt,
Sdadpartie Ar. 2.
Evans · Gambit.)
Dieſe Partie, vor einer langen Reihe von Jahren von dem
1879 verftorbenen Anderjjen gegen den in Berlin noch jetzt
lebenden Schadveteranen Dufresne gefpielt, wird an Glanz
und Eleganz von feiner anderen übertroffen.
Adolph Anderfjen, Jean Dufresne.
Mei. dıwarz
1.e2 — o4 eT—e5
2. 8g1—f3 Bb8 — ch
3 Lfl— cä4 Lf8—c5
4.b2 — ba Le5xX ba
6.02 — c} Lb4 — a5
6.42 — di e5 x da
1.0-0 da4 — 43
8.Ddl —b3 Dds — f6
9e4—e5 Die — gel)
10. Tfi1—el 88 — e7
11. Lel-a3 brT— b52
12. Db3 X b5 Tas —b38
13. Db5 — a4 La5 — 66
14. Sb1 — d2 Le8s— br
15. 5d2 — e4 Des — f5?
16. Lc4 X d3 DIS —h5
17. Se4 — 16 +3) ETXLE
18,05 Xf6 Th8— ga8t)
19, Taı — di Dh5 X f35)
20, TelXeTr+ 8c6 X 76)
21.DasXdr+ Kes X dt
22. Ld3 xXft5++ KdT— e8n
23. Li6 — dT + K beliebig.
24. La53 XeT +
Erläuterungen: DAuf8c6 Xe5 geihieht Tf1 — el
und gewinnt. 2) Ein Gegengambit zum Zwed ber Schwächung
des feindlichen Angriffes. 3) Einleitung zu überaus fhönen Epiel«
wendungen. 4) Mit der Drohung Df3: 5) Dak Schwarz,
weldes den Gegner ja mit + bedroht, die folgende pradtvolle
Opferfombination nit ertwogen, wird niemand wunder nehmen.
A .. folgt das Zurmopfer 47: 7) Bei Kc6 feht
247 *
5chachbriefwechſel.
Die Bilungen der Schachaufgaben Nr. 2 und 3 folgen
im Maiheft (8).
Die Schachaufgabe Nr. 4, welche im Maiheft ericheint,
wird eine Löfungs-Breisaufgabe fein, woranf wir bie
Schachfreunde ihon jest aufmertſam machen.
8: 3 ing Sceitert an 1..... ‚„f5— fa Senden
Eie uns die ragliähen Partieen zur Anſicht ein.
B. ®. in 5. Wal wegen 1..... ‚Se4.
3. ®. in 4. Schlagen Sie in Portius' Shahlatehismus*
Aufgabe Nr, 1 nah. Die Löfung iſt falſch.
. PD. in. Wie Sie aus der Löfung zu erjchen bes
lieben, haben Sie richtig gelöft.
Nr. 1 wurde gelöft von W. Dams in Repelen, W. Lieb»
mann in Leipzig und F. Vogeler in Ghemnih.
Nah berühmten Muſtern.
Das Neujabrsrätfel im 5. Band, welches bei unferen Leſern
fo außergewöhnliches Interefle erwedte, ift einer Chiffrier-Manier
nadhgebildet, wie foldye 1793 bei der Wurmferihen Armee am
Rhein kurz vor ihrem Rüdzuge entbedt wurde. Die Reusffranfen
bedienten fi ihrer, um mit freunden zu verkehren. Giner
diefer Briefe lautete:
Lieber Bruder!
Morgen früh reife ich
auf 8 Monate fort, ehn=
geachtet der fo flürmen-
Yen Winde. Gott wird
uns die Freude geben,
uns wohl wieder zu fe=
hen. Diefe Linien fol-
ben Zeuge meiner Liebe
feyn, bis wir uns wieder
fehen.
Legte man dann auf diefe Eeite eine vorher verabredete
Papier-Schablone, jo erhielt man den wahren Sinn, welchen der
Abjender dem Adrefiaten mitteilen wollte, nämlid:
Morgen früh
ürmen
wer
die
Aernien
Der Hinweis auf dieſe merlwürdige Korrefponben;, mit
Schablone und Schreiben findet ſich im Jabraang 1795 des
bei Johann Ghriftian Dietrid in Göttingen erfhhienenen Ne»
volutionsalmanads Eeite 283.
$. £utbmer, Die Kunft im Haufe.
Die Kunſt im Saufe.
Bon H. Futhmer.
116
Silberfd mu d.
ie die Toilette unſerer Damen, jo hat befanntlidy auch das
ee Seihmeide jeine beftimmte Rangorbnung: für Ausnahms-
gelegenheiten trägt man die Brillantgarnitur — wenn man jie
bat! — für —— Falle den Goldſchmuc und zum Haus ·
tleid reiht ein Quincaileri»Shmud aus. Wie ſich hinſicht ·
lid) der beiden letzteren Klaſſen die Anſichten in ben letzten zehn
Jahren verändert haben, das gibt einen begeidhnenden Mahſtab
für den freieren und ridptigeren Standpunkt, den wir überhaupt
den deforativen Stünften gegenüber einnehmen.
Wer kennt nit noch heute den Goldihmud der fünfziger
und ſechziger Jahre, wie er für die Anjprüche der bejcheideniten
Kafien in Pforzheim und Schwäbiſch-Gmünd und aud wohl
nod an anderen angefertigt wurde, und der von ben
YJuwelierläden unferer Meineren und fleinften Städte auch heute
noch nicht ganz verbannt ijt, während in den größeren Städten
ſchon ein
Ihmähen würde. Dem
noch ganz intereffant fein, daß
man das geringwertigſte Bold zu
diefer Dünne auswaljen und doch
nod verarbeiten, ibm doch noch
eine fhreiende Politur geben fonnte
— vom funftgewerbliden Standpunfie
bezeichneten diefe federleichten, von Anichen
unendlih klobigen Edhnörkel, Gartoucen,
Schleifen x. den vollftändigen Banterott des
Geihmads. — freuen wir uns, daß es damit
befler geworden ift; aber midt die vollendeten
Goldarbeiten unferer Tage, die nad) etruriichen
und altnordifhen Vorbildern das edle Metall in
feiner ganzen Schönheit zur Geltung bringen, bürjen
wir jenen Edaumproduften entgegenftellen, denn
folive und ausgezeichnete Goldwaren zu teueren
Preifen gab es aud) damals; wer aber weniger aufs
wenden will, kann beute edel geformtes, Tolides
und doch billiges Geſchmeide tragen — denn das
Silber ift als Shmudmetall wieder in feine Rechte
eingefeht und gerade in den fleigigen Städten des
Schwabenlandes, die wir oben anführten, werben
heute Silberihömudarbeiten bergeitellt, die auch den
verwöhnteften Geihmad jebigen können.
Daß das Silber frü ale Material für
Schmud nicht als ebenbürtig galt, ift eine von den
Launen der Mode, nad deren Grund man gut thut
nicht zu fragen. Wenn es auch nicht die leuchtende,
fröhliche Farbe des Goldes hat, jo ift das feine
es fein natürliches Meid ift, dohein
äuferft dankbates Element in der Farbenſtellung
unjerer Zoilette, zumal wenn diefelbe neuerdings vor leb»
bafteren Tönen nicht mehr zurüdichredt. Die jonjtigen guten
Eigenſchaften des Eilberd, vor allem feine Schmiegfamteit
a Dehnbarfeit, welde ihm von jeher für die edeliten
Werle der Stleinjtulptur den
Borrang vor allen anderen ger
geben bat, jei mur beiläufig
erwähnt
Wir fönnen in dem auß
Eilber gietem Geichmeide
der neueften Zeit — dem bie
Lejerin immerhin den Namen
„Quincaillerie“ geben mag, wenn
fie es nur trägt — zwei Haupt«
richtungen unterfcheiden, die eng ⸗
liſche und die deutiche. Die erftere
verwendet das Eilber in beinahe
weiher Farbe und in einer flumpfen
Behandlung der Oberfläche, welche
dies Weiß recht entſchieden hervor»
treten läßt, Die formen find
jumeilen ſehr derb und einfach,
was bei diefem fkünftleriid»dant«
baren, an ſich aber nicht wertvollen
Material nicht recht motiviert er⸗
fcheint; zumeilen jehen wir aber
diefen Halstetten und Armbändern
fchr edle Mujter aus dem grier
ienftmädchen, welches etwas auf ſich
Technologen mag es aud) fpäterhin immer
ält, ihn ver«
Wie. 8.
chiſchen und römifhen Altertum
zu Grunde gelegt, zuweilen aud
arbariihen Edhmud, keltiſche
Gräberfunde u. dergl. mit Gefchid
benußt. Immer ift der Gejamtein«
drud dieſes engliſchen Genres im Silber-
Ihmud ein durdaus ruhiger, freundfid-
erniter, wir möchten ihm in der Toilette
der Damen ſchon feiner weißen farbe wegen
ähnliche Nolle wie den Rüſchen, Spiken, Man»
ichetten u. f. w. zuweifen.
Weſentlich anders wirft der deutiche Silber»
Ihmud. Er folgt dem entſchiedenen Zug unferes
Stunftgewerbes und entlehnt feine Borbilder der
deutichen Nenaiffance; ein fpäter Meft derielben,
der ſich im Bauernihmud bis ins vorige Jahr«
hundert in Süddeutſchland erhalten hatte umd
jeht noch häufig in unferen Sammlungen in
außerordentlich reizvollen Beifpielen zu jehen ift,
bietet ebenfalls beliebte Mufter. Der Charafter
der lehteren iſt eine burdhaeführte Formenſchön ·
heit bis ins einzelne; in fehr Meinem Makftab
ift die fehte Mante, das Hleinfte Angelstöpfcen
noch durdeifeliert. Auch die Müdjeite ift meift
nod) mit dem Grabfticdel behandelt, Alles dies
geben unjere modernen Arbeiten, zum Teil wohl
mit Hilfe der vorprägenden Maſchine wieder
und beſtht bierin das unterſcheidende Merkmal
von der wirfliden Jahrmarkt» Bijouterie, die
natürlich nicht verfäumt bat, auch dieſe an ſich
ihon billigen Sachen in ſchlechter Prägung plun-
derig aus verfilbertem Mefjing nabzuahmen.
Bei der deutlichen Silber» Bijouterie ift die helle
farbe des nereinigten Silbers nicht beliebt, man läßt es
ihwad orydieren, ohne, wie die Gontrefagon thut, die
Tiefe mit Schwarzer Farbe
zuzufchmieren, Die höch⸗
ften Stellen des Orna⸗
mentes, welde durd den
Gebraud) blank werden,
bilden zu dem zarten Grin
einen hübſchen Gegenfat.
Dies letztere ift, wie be»
reits oben gejant, neben einer
ftarf farbigen Xoilette ein ſehr
danfbarer Gegenjab; übrigens
verträgt oder verlangt fogar auch
dieſes Silbergrau eine Aufböhung
durch Farbe an dem Schmude
ſelbſt. So fehen wir farbine
Salbedelfteine, befonderd Gras
naten, aber aud Türkiſe, Lapis⸗
lazuli, aud Heine Perlen mit
Grfolg an dem Silberſchmuck
verwendet, Bei einer ſolchen,
einen gewifjen Farbeneffelt erjie»
enden Behandlung ift natürlich
auch Bergoldung nit ausge»
ſchloſſen, doch ift diefelbe mit
Der geflirnte Himmel im Monat Upril. — Aus Küche und Hans. — Aus der Technik.
großer Borfiht anzuwenden, um nicht den Eindrud des Un ⸗
echten zu maden. Die unjerem Yuffak nem Alluſtrationen
ſtammen aus den Werkſtänen der . Bauer in Schwä ⸗
biih-Gmünd und V. Ritter in Gotha und find nad eigenen
Entwürfen — Außer den genannten auf dieſem Ge
biete bewährten Meijtern beihäftigen fih aber im Norden und
Eüden von Deutihland nod viele Werkitätten mit diefem zwar
billigen, aber echt fünftleriigen Silberfhmud.
Der geflirnfe Himmel im Monat Xpril.*)
In ** Monat kann man den Verſuch machen, den
Planeten erfur mit blofem Auge aufzufinden und zwar
Schluß des Monats kurz nad Sonnenuntergang. Der
Sreignetfte Tag ifl der 25., wo der Planet am wmeiteften öſtlich
von der Sonne ftebt. Auch Venus ift noch gut zu fehen und
zwar faft 2 Stunden lang nad Sonnenaufgang. Jupiter ſteht
anfangs um 7 Ubr, ſchlleßlich ſchon 5%, Uhr abends in Süden
und geht natürlih auch entiprechend früher unter, zulekt [don
gegen 2 Uhr nachts. Noch beſchränller ift die Sichtbarkeit des
Saturn, der bereits 3 Uhr nadmittags im Meridian
fteht und endlih in der Abendbämmerung ganz unſichtbar wird.
Das erfte Mondpviertel tritt am 2., der Bollmondb am
10, ein. Lehterer ift von einer Mondfinfternis begleitet, die
jedod nur unbedeutend if und von der überhaupt Europa nichts
fiht. Man wird fie in Oft-Afien, Australien und dem weftlichen
Amerifa beobadyten fünnen. Das lehte Mondviertel findet
fatt am 15., der Neumond am 25. ; am folgenden Tage fleht der
Mond in der Erbnäbe und foll dann nad einem alten, neuer
— wieder aufgefriſchten Aberglauben, Regen und Wind
ringen.
Aus Küde und Sans.
Bon £. von Pröpper.
Aüglihe Verwendung der Hpeifenrefle.
Suppevon Kartoffelbrübe. Man lafie etwas Mehl
in Butter aufgehen, gieße die Kartoffelbrühe daran, thue Suppen»
träuter hinein, wie in eine Fleiſchſuppe und hernach geröſtete
Weißbrotwürfelden, tann die Suppe auch nod mit Ei und
faurem Rahm abziehen.
Rartoffelbrühe follte überhaupt nie weggefchlittet werden,
da fie, wegen ihres Startoffel» und Ealzgehaltes, aud zu Saucen,
Gemüfen und dergleichen, jo viel beffer ift, ala blofes Wafler;
doch kann man k nur von geſchãlten Startofjeln benußen.
Gansbruftreite in Ragoutmuidheln (Coquilles).
Man ſchneide die Reſte in kleine Würfelchen und ſchwinge fie
mit etwas friiher heiker Butter einige Minuten lang über dem
Feuer, gebe fie nun in die mit Sardellenbutter ausgeftrichenen
Muiheln und ſchlage vorfihtig, damit der Dotter ganz bleibe,
ein Ei auf jeve Mufdel, falze es, fehe die Muſcheln einige Mir
nuten vor dem Anrichten in den Badofen (Röhre), dak die Fier
an aber ja nicht hart werden und ferviere jofort über einer
achted ig nefalteten Serdiette.
Aufgezogenes Sauerkraut mit Fiſch. Man kann
zu dieſer Fehr beliebten Sparf&hüffel, denn fie wird faft immer
aus Reiten bereitet, faft alle Fiſche benuhen, wenn glei
Schwaben und en ber ie
au
Gechtkraut) bevorzugt wird,
aber auch Schellfiſch, Kabeljau, Karpfen und dergleichen, find
fchr gut dazu.
Dan habe nun einen [hönen Reſt Sauerkraut und ein hübſches
Stüd gelochten oder gebratenen Fiſch, den man entgrätet und in
nette Stüde teilt. Dann verllopfe man etwa drei Gier mit einer
Tafie faurem Rahm und vermiſche den größten Zeil dieſer Mafle
vermittelft einer Gabel, mit dem Sauerkraut, beitreiche eine Auf«
laufform wohl mit Butter, beftreue fie mit gefioßenem Weißbrot
und fege ben größern Zeil des Sauerfrauts hinein, den Fiſch
darauf und auf diefen Gtüdhen Butter, Salz und eiwas
& in
") Auf viele Anfragen teilen wir dierdurch mit, daß bie Etern-
tarte, welche bem eriten dert beigegeben war, aud für meneintretende
Abonnenten ober Eolde, denen bad Blatt abhanden gelommen in
gum Ginfenbung von 30 Pfennig in Briefmarten burg bie Verlags.
nblang biefer Zeitſchrift zu begichen if,
117
Pfeffer, darüber den Reſt des Sauerkrauts und über biejes ben
Met der Mafle, geftoßenes Weikbrot und Stüdhen Butter und
8 = is m in den Badofen (Röhre), bis das Weißbrot
n bräunlich ift.
Farcierter Pfannkuchen. Man bade einen newöhn«
lihen Pfannkuchen, fleche aber nicht hinein, weil er nicht loder
fein ſoll, Lege ihn auf eine Schüffel und laſſe ihn erfalten, nehme
dann einen Fleinen, etwa eigroßen Reſt Fleiſch, hade ihn mit
ein wenig Eped und vermenge ihn mit einem Ei. Salz, Pfefſer,
Muskatnuß und ein wenig in Wafier geweichtem Weihbrot zu
einer Farce, beftreiche damit den Pfannkuchen, rolle ihn auf und
drüde ihn mit der Hand ein wenig nieder, jdhneide ibn dann
der Quere nad in fingerdide Scheiben und bade fie mit Butter
auf beiden Seiten. — Gute und woblfeile Beilage zu Gemüſe
und Ealat.
Groquetten von Kartoffelpüree. Man gebe in die
übrig gebliebene Püree, etwas in Waller geweichtes Weifibrot,
ein wenig Diehl, Sal, Muskatnuß, Citronenſchale und ein paar
Eier, forme längliche Groquetten daraus, wende fie in gefiebtem
Weißbrot um und bade fie mit Butter in der Pfanne. — Bei«
lage 7 grünen erh: oder Möhren, oder mit Kompot zu geben.
rutbahnjhlegel auf ungarifhe Art, mit Pas
prila. Dan reibe bie reftgebliebenen Schlegel eines gebratenen
Zruthahns, jeden mit einer ftarten Meſſerſpitze Paprifa (ſpaniſchem
Pieffer; allenthalben ein, lafje dann ein Stüd frijde Butter in
einer Pfanne recht hei werden und die Schlegel fünf Minuten
lan t ftartem er darin braten, worauf man fie recht
heiß anrichtet und eine weiße Gapernjauce dazu reicht.
Salat aus Rindfleiidreften. an ſchneide etwa
Y, kg faltes Rindfleijd in feine, mundgerechte Etüdden, ver«
re etiwas Genf mit zwei Ehlöffeln didem jaurem Rahm und
vier Ehlöffeln Eifig, füge dann Pfeiler, Salz, fein gehadte
wiebelden, Eödragon, Pimpinelle und Pfefferkraut (breitblätterige
reſſe) Hinzu und menge das Fleiſch damit an,
Mayonnaije, Su diejer eignen ſich Refte von gebratenem
Geflügel am beiten, die man neit zerlegt, mit Mayonnaljefauce
übergieft und mit Salat und Eiern garniert, doc fünnen auch
Kalbsbratenrefte, in hübſche Scheiben geihnitten, dazu benußt
werben.
Folgende Sauce ift befonders zu empfehlen: Man gebe im
eine Scale einen here Iheelöffel gehadte Schalotten, einen
Theelöffel gebadte Peterfilie oder Esdragon, einen Theelöffel ge-
ftoßenen Juder, 8g Sal und ein Eigelb, rühre nad und nad
einen Ehlöffel feines Del und zwei Eplöffel feinen Eifig hinein
und eben vor dem Anrichten 1; Liter geſchlagenen Rahm.
Schneeberg. Man ſchneide Reſte von Stuchen oder Pudding
in länglie Stüde, beitreihe eine Porzellanſchüſſel mit frifcher
Butter und lege abwehjelnd eine Schichi von diefen Stüden und
eine Shit von eingemadten Früchten, welche auch aus ver ⸗
ſchiedenen Neften beftehen fönnen, darauf, ſchlage drei Eiweiß
zu fteifem Schnee, vermilche ihn mit drei Eßloͤffeln gefiebtem
Yuder und ftreiche dies über die Stüde, befiche ed mt Zuder
und - — in einem nicht zu beißen Ofen (Röhre), —
wie Bisfuit,
Aus der Technik.
Wenefle Patentanmeldungen.
Automatifhes Minenfyftem. Zur Pefeitigung eines
nod ſchwerwiegenden Uebelftandes bei der Verwendung der See-
minen haben die Herren de Zaund unb Ezigyarto in
Wien eine Borritung erfunden, mittela welcher die ftets ver«
änderlihe Wafierhöhe über der Seemine jelbitthätig reguliert
werden fol, Mit dem zur Beranterung dienenden Stein ijt eine
Doppelrolle D (Big 1) verbunden, um weldye ſich zwei von der
Mine ausgehende —— in mehrfachen Windungen ſchlingen
und dann mit einem Cylinder C, dem Regulator, in Verbindung
gebracht werden. Diejer Requlator ift oben volftändig verichloffen
und außerdem nocd zur Serftellung eines als Auftrieb wirtenden
Iuftgefüllten Raumes mit einer Scheidewand S verfehen, während
unten ein durchlochter Boden den Berihluk bildet. Zwei von
oben nad unten durchgehende Röhren R und R’ dienen nur zum
Durdlafien der Drahtjeile. — Wird diefe Borrichtung nebjt der
Sremine bei einem beliebigen Waflerftand in der Weile, wie
dies die Zeichnung angibt, verientt, jo bewirkt der Auftrieb
ber Sceemine fo lange ein Steigen derjelben, bit das in den
Requlator eindringende Wafjer diefen derart beihwert, daß er
dem Auftrieb der Scemine das Gleichgewicht hält. — Durd
118
allmäbliches Anziehen und —— Feſtlegen der er Dr '
üde. :
man der Mine die erforberliche Lage unter der Waflero
Erhöht fih alsdann der Waflerftand über derielben, jo wird
durch den hierdurch entftehenden größeren Drud ein grö
Bafjerquantum in den Regulator gedrängt, fo daß dieler nad
unten fintt, während die Seemine nad oben fleigt. — Das
Umgefebrte findet na« Drud des Renus
türlich ftatt, obald fi lators vorläufig allein
der Waſſerſiand ver⸗ auf theoretiicher Berech ·
mindert, wodurch der nung und dieſe ergibt
Regulator gehoben und in der Praxis nur gar
die Sceemine herunter ⸗ u oft fehler, welche den
gejogen wird. — Unber 84 ganzen Ey»
dingt ift diefe Vorrich⸗ ftems in Frage zu ſtellen
tung äußerit ingeniös vermögen,
erdacht und verjpridt Ein aufammen»
auch bebeutungsvolle legbarerKeifetiſch.
Borteile beim Gebrauch Herr Rudolf Peters
aus Alt⸗Landeberg hat
einen Tiſch fonftruiert,
welcher auf jeder Reiſe
als ein faum 50 cm
langes und 25 cm brei«
tes, reip. hohes Hüften
mitgeführt und an jedem
beliebigen Ort, wo fi
Raum dazu findet, alfo
der Seeminen ; nur bür«
fen darum die Erwar«
das Funktionieren einer
monatelang unter Wai»
ee befindlien Molle
neswegs volllommen
gefihert und ſodann be= audbim@ijenbahncoupe,
ruht die SHerftellung / mit großer Leichtigleit
des notwendigen Gleich ⸗ en. ergerichtet und aufge»
9-1,
gran jwiidhen dem t werden fann. Die
uftrieb der Mine und uptbeitandteile diejes
Tiſches find: Die Tiſchplatte T; dieſelbe bildet beim Transport
die vier langen Wände des Käfichens, beitcht fomit aus vier
dur Scharniere miteinander verbundenen Zeilen. Zu berjelben
gehören vier Steifen S, welche die Plattenteile zufammenbalten
und 2a mit denfelben verihrauben laſſen. Das Stativ Y mit
drei durch Scharniere mit bemjelben verbundenen Füßen F und
Wie. 2.
drei loſen Streben X. Diefer Teil
Täkt ſich mit Leichtigkeit zuſammen ·
Mappen und dann im die zum
Kaften formierte Tifhpfatte ein-
fhieben. Den Verſchluß des Kaſtens
bilden dann nod pwei Bodenbreit«
Ken mit Handhaben, durd melde
ein Riemen zum Bufammenhalten des
Da fih in den vorhandenen Zwiſchenräumen des zujammen»
geflappten Käfthens noch manderlei andere Reifebebürfniffe wie
auch Lebensmittel ze. unterbringen laflen, erſcheint der Reiſetiſch
durchaus praftiih und empfehlenswert. (Fin. 2 u. 3.)
Gin Tafhentintenfaß, Yu den bereits zahlreich vor«
bandenen Artileln diejer Art hat ein Stubiofus ſtüſter aus
Berlin ein neues hängen BB‘,
Ganzen gezogen wird.
Gremplar erfuns dem SHängering
den, weldes 0, welcher eben»
jedoh erwah · alla mit zwei
nenswerte Bor» ufhängern B'’
— aufweiſt. (B) verſehen
sjelbe befteht ift, dem Geitell
aus dem halb» mit drei frühen,
kugelförmigen die ſich nad oben
eigentlichen Tin» und jwar bis
tenfaß(A ig. 4) über den vers
mit Gutiapercha · ſchloſſenen Gut»
dedel und zwei Gig. d taperdadedel
loniſchen uf · umklappen lafs
fen, jo daß dadurch der Dedel feſt nach unten gebrüdt wird
und das Ganze fih beauem in der Taſche mitführen läßt. Der
eine Fuß läht ſich durd eine Schiebevorrichtung 8 erheblich ver ·
fürgen, ſo daß das Stativ auf die ſchiefe Fläche eines Pulte
ſicher aufgeſtellt werden klann. Das Ganze erſcheint handlich und
prattiſch und iſt ala beſonderer 574 die Hängeeinrihtung zu
beachten, durch weldhe das Tinlenfaß ſieis eine ag Se ane
erhalten fann, felbft wenn der Standort wie in Eifenbahnen,
auf Schiffen zc. erheblich ſchwanlen follte,
Apparat jurgrapbiihen rl Bed Tönen
und zum Reprodugieren derjelben. Herr Arthur Freuch,
Die Holzblumen.
St, Georg in London, hat einen Äuferft finnreihen Apparat gur
Patentierung eingereicht, deſſen Zwec darin beitcht, die darch
ein Zelephon gelangenden Zöne auf photographiihem Wear
(faubatten und dann jpäter wieder zu reproduzieren. Der
pparat ift ziemlich einfah und wie folgt beihaffen: Eine mit
einer lichtempfindlien Schicht verjehene Glasplatte G dreht fi
in einem Geflell um ihre Udje, was durch ein skiamätie —
vor
wird. An ent ·
ſprechender
Stelle befindet
ſich ein Tele
phon T, deſſen
Rohr eine feine
Durchbohrung
O enthält, fo
daß ein durch
O fallender
Lichtitrahl die
Glasplatte
trifft. — Nun verſchließt
Wird nun die Blasiheibe gedreht während Töne das Teledhon
treffen, fo marlieren ſich le er Zeichen auf der Scheide
die nachher photographiſch fiziert werden fünnen. — Gi mus
bierbei bemerkt werben, dak durch Vermittlung einer einfachen
Vorrichtung der Weg, den obige Zeihen auf der Glasicheibe
beſchreiben, eine Spirallinie bildet, wodburd die Länge besjelben
weniger kurz bemefjen wird,
Sollen nun, nad beliebig langer Zeit bie fo iſch firierten
Töne wieder wacgerufen werden, jo wird bie Glas.
ſcheibe in den Apparat eingefcht und fobann anftatt der Klappe
ein Meines Stüdchen Selen, weldes Metall befanntlich die Eigen»
daft befigt, die Fleftricität nach Maßgabe des darauf fallenden
tes zu leiten, vor die Lihlöffnung gebradt und zugleih in
die Leitung des zum Telephon gehörigen eleftrifhen Apparats
eingeihaltet. — Sobald jeht Lichtitrahlen durch die Zeichen ber
gedrehten Glasſcheibe und die Durdbohrung O fallen, wird die
Membrane des Telephons genau nah Mafgabe des auf das
Selenftüdden fallenden Lichis in Vibration verjekt und das er»
wünjdte Tönen tritt ein. So wunderbar die Wirkung dieſes
Apparats auch erfcheinen mag, jo haben uns dod die Erfahrungen
ber lehten Jahre belehrt, daß Wirkungen gleich wunderbarer Art
& thatjädhli hervorrufen lafjen, und ift barum aud bier nicht
aran zu zweifeln, daß mit diefer Erfindung wieder ein ber
Deutungsvoller Schritt vorwärts auf dem Gebiete der Eleltro-
technik gemadt worden ift.
Big. 5.
Die Solzblumen.
Gibt es denn Blumen von Hol, wenn man jelbfiverftänd»
lich fünftliche Nahbildungen ausjchlieht? fragt der verehrte Leſer
Allerdings gibt es ſolche und zwar gehören diefelben längf nicht
7 den von der Diutter Natur am werigften bevorzugten. fprei«
ich entbehren fie des jühen angenehmen Duftes, des bunten lieb»
lichen Farbenihmudes unfrer heimatlihen Blumen; — was aber
ihre Form und Geitalt anbetrifft, jo ift diefelbe, wenn aud) von
feften,, tienichten Holze, in den meiften ger fo ſchwungvoll
und anmutig, daß man nicht mit Unrecht ihr häufig den Namen
Rosa de madera „Holjroje“ beilegt. Die Sache ift jedoch, mir
es im erfien Augenblid eriheinen mödte, durchaus nidyt neu.
Der gelehrte Botaniker hat längſt Kenntnis davon genommen
und fie in den Bereich feiner wiſſenſchaftlichen Forſchungen ge»
zogen, wie 3. B. ans einer intereflanten Abhandlung bes Grafen
von Solms-Laubady ) über diefen Gegenſtand hervorgeht. Nichts ·
deftoweniger herricht über die Art und Weile der Entftebung
noch ein Dunfel, zumal bei derjenigen Art von Holzblumen,
deren bier insbeſondere gedacht werben joll und deren Heimat
Gentralamerita ift. Diejelben befiken eine gewiffe Gleich ſoͤrmig ·
feit, find durchgehends von einem proportionierligen, kräftigen
Unterftamm getragen und haften nicht, wie dies meiftent bei den
böhft ungleihförmigen, europäifchen Auswüchſen der Fall if,
unmittelbar flab an dem Stamm des Baumes.
Die erfte Belanntihaft mit einer foldhen Blume machte ib
in dem Haufe des MinifterrRefidenten von Guatemala, der ſich
1) Das Hauftorium der Loranthacen und Thallus der
— und Balnophoreen von H. Grafen zu Eolmi-
aubad).
Lügower.
Ein biflorifches Kartenfpiel, — Der Rattenfönig.
Fe eit in Merilo befand.
ei Selegenheit eines Diners
war die Tafel mit einer
„Flor de madera* ge
ihmüdt und errente durch
die Gigenartigleit ihrer Er«
fheinung allgemeine Auf»
mertjamleit. Leider vermochte
der Eigentümer nidt über
die eigentlihde (Entitehung
diefer jonderbaren Blume,
die von mehreren Anweſen ·
den jogar als ein fünftliches
Erzeugnis betrachtet wurde,
nähere Austunft zu geben,
er verſicherte jedoch, daß e&
ein Naturproduft ſei und in
den Urwäldern Guatemalas
bei nur einer beitimmten
Baumgattung vorfäme.
Diefe Andeutung gab mir
bei meiner jpäteren Anwejen-
t in Ouatemala Beran-
fjung, dem Gegenjtande
Bierlicjleit und Gleich ⸗
mäßigfeit einer blumen
ähnlichen Geftaltung, wie
i ber Rosa de madera
eigen. E
Fin Hiflorifces
Kartenfpiel.
Im vorigen Band un«
En Zeitſchrift veröffent«
ichten wir auf p. 199 ff.
48 Starten eines biftorijdhen
Kartenipiels. Leider fehlten
in dem uns zur Berfügung
ſtehendem jeltenen Eremplar
die vier Buben, welde zu
König und Dame in Be-
jiehung ftehen und in fol
ender Reihenfolge auftreten :
119
Rofat.
n:
ergichotte, Kojal, Ziroler und Lützower fpreiheitstämpfer.
a
n nachzuforſchen. ledann, daß die DI
* * En. = gegen le Durd den Beſitzer eines zweiten Exemplars find wir heute in
weit kg (Guatemala), vier Leguas von Guatemala entfernt,
in den Waldungen vorfäme, welde ſich am Fuße des Vulcan | der angenehmen Lage, das damals fehlende nachzuholen, und
del ayuu (Wajier-Bullan) hinziehen. Dort gebeihe die Blume | hierdurch unfere &eler in den volftändigen Bejih des inter
bei einer befonderen eflanten Kartene«
Baumgattung , die
bei den Eingebore»
nen den Namen
Quifleroilla führe;
übrigens fäme bie
felbe im großen
Ganzen nur jelten
ipieles zu fehen.
Der Ratten-
vor. Der gütigen Rönig.
Bermittlung eines
des rt wei Pen Has —
55* ge em —— ab *
ufſuchen einer ogenannter Wat»
ſolchen Blume be» tenfönig, d. i. eine
a De a Der
‚ die m
Wochen ein vor» Schwängen derge ⸗
Fe — ie > ftalt ineinanber'ver«
Sere der in bei«
ehender Zeihnung
nad einer Photo«
widelt und zufams
mengewachfen find,
daß fie durdaus
nicht voneinander
tönen, erijtiere,
Aber man kann
an dem Morhan«
Zeile der wirllichen denjein derſelben
Gröfe. Die beiden denetenen nicht Mg da
doc zuweilen ſolche
anderen Eremplare
erhielt ich einige Zeit fpäter durch biefelben Vermittler, die zur
GEntihuldigung der Verzögerung anfübrten, daß die „Flor de
madera* immerhin nur vereinzelt en und das Aufſuchen
mit mandperlei Schwierigkeit verfnü
Was nun die Entitehung pen eig tümliden BI
en Blumen«
erigeinung anbeteifft, fo ift wohl annehmen, daß dieſelbe ent»
we
ireier.
auf einen Inſelten ·
ſtich, ober, was wohl noch
wahrſcheinlicher ift, auf die
Wurzeltraft einer Parafiten«
pflanze zurüdzuführen tft,
deren amenlorm, vom
Winde oder einem Bogel
ze. in die äußerite
nojpenjpike eines Zweiges
gefallen ift, bier allmählich
auswuchert und vermittelit
der fid) auöbreitenden Wur ·
ein das eigentümlidhe er
ilde hervorruft, welches
immerhin nur als eine Ab»
normität betrachtet werden
muß. — Auch bei uns fom-
men verwandte Erſcheinun ·
nen, 3. B. bei der Eiche und
beionders beim Locantus
europarus vor, obgleich
diejelben mehr den Charal ·
ter eines monftröjen Aus«
wuchſes tragen und nie die
Naturfeltenbeiten zu finden find. So wurde vor einiger Zeit
zu Lüneburg im Grundſtücke des Herrn Oblert an der Groben
Bäderſtraße ein ſolches Raturwunder entdedt, das unjerer Zeiche
nung zu Grunde gelenen hat. Es jind ihrer acht Ratten, welde
freisförmig mit den Köpfen nad) außen, durch ihre Schwanzenden
feit und fo unlöslih verſchlungen find, dab fie nur mit Ans
wendung großer Gewalt zu
trennen geivefen wären. —
Eine ähnliche Abnormität
wurde vor vielen Jahren in
Erfurt in der Schloſſergaſſe
angetroffen. Hier Hand «in
altes Haus, welches man als
Getreibeipeichher gebraudıte.
Das Gebäude war aber jo
baufällig geworden, daß c#
eingerifjen und abgetragen
werden mußte. Als nun
die Zimmerleute bie Boden»
breiter aufboben, ſprangen
viele Ratten bervor und bald
fanden die Leute unter der
Diele eine Rattengeiellichaft,
welche mit ihren Schwänzen
derart verwidelt waren, da
fie fih midt fortbewegen
tonnten, So fonnten fie
mit Leichtigkeit aetötet wer ·
den, was natürlich geſchah,
ohne zu ahnen, was für eine
© Bergläotte.
120
Seltenheit damit dem Shidjal alles Fleiſches überliefert wurde.
65 warm nämlich elf der gewöhnlichen Hausratten, ſchwärzlich
aſchenſarbig und volltommen ausgewadhjen. Die Ehwänze waren
ineinander dit verihlungen und zuſammengewachſen. Sie glidyen
einem Stnäuel von ber Größe einer Fauſt. Die Berihlingung
Schwänze fing etwa einen Zollvon den Leibern an. Der Schwani ·
wulft ragte etwas über die Ratten hervor. In Orbnung ge
bracht, Hildete der Sinäuel den Mittelpunkt, und die elf Ratten
bildeten ebenfoviel Strahlen, am deren äußeritem Ende ſich bie
Köpfe befanden. Die ganze ſtreisfläche hatte wohl an 11, Fuß
im Durdymefier. Unter mehreren herbeitommenden Zuidauern
ergriffen zmei junge Yeute zwei entgegenliegende Ratten und
sogen mit Gewalt daran; die eine rig nahe am Leibe ab und
der Schwanz blieb im Knäuel zurid. Beim Drehen und Wen⸗
den diefer Rattenfamilie ſah man deutlih, dab auf dem oberen
Teile des Schwanzfnäuels die Schwänze wie verſchlungene Stride
über» und untereinander ſich durdyogen, auf dem unteren aber
mehr wie zu einem Floh gebildet und ineinander verwachſen
waren, an weldem
man beutlih nur i
Erhöhungen wie
Nähte ober Leiſten
gewahr wurde,
©. Lehmann.
In‘
Dom ı
- * —
Büdertild. -
Der 1. Band der
im Berlag von Jul.
Niedner (Wiesba ⸗
den 1883) erſchei⸗*
nenden „Erzählune
gen aus alten beut«
ſchen Städten“ von
9. Bonnet“ enthält
eine Erzählung aus
dem 15. Jahrhun⸗
dert betitelt „Der
Geifterbanner
von Rothen⸗
burg.” Der Leſer
ſieht fi mitten in
das foziale und po»
litiſche Veben und
Treiben einer das
zumal geiftig wegen
Stadt verſehl. Die
NRepräſentanten jer
ner mittelalterlichen
Seit find feine che»
men und weſen⸗
Ioje Phantaſte ⸗
gebilde ſondern lebentfriſche und Inmpailiihe Geſſalten. Tos
Zeitlolotit iſt gewahrt, die Dittion nicht ohne Porſie und Wohl⸗
laut. Wir werden Gelegenheit nehmen, im turjem Die weiter
erihienenen Bände an diefer Ztelle anzuzeigett.
Im Anſchluß an obigeb Wert it der hiſtoriſche Roman
‚Nürnbern* von Luiſe Oito Weinzia, H. Fiſcher Nachfe zu
erwähnen, zu deſen Empfehlung wohl die Mirteilung genünt.
daß bereits die dritte Ausgabe dieſes ſarbenprächtigen, auf
ernilen Etudien beruhenden Romanes aus dem 15. Jahrhundert
vorliegt. „Auch ich ſah Dich, und deine Eirine Iprachen”; jedem
der dies „Melinnienfäitchen des allen deutſchen Reiches“ geſthen,
wird es ähnlich wie dem Bertafier ergangen fein, welcher „die
alte Zeit lebendig warb und vor deren geiftigen Auge die Jahr⸗
hunderte verfanten wie der ſinlende Tag”, — Mödte das Bud
recht wiele Leſer finden.
Um einige Jahrhundert meiter zurück vericht uns E. Hartners
Roman „UnserdenjhmwargenAreny* Etipzig, A. Reiter).
Nerfafier vericht es, ſhon nad werigen Zeiten den Leſer zu
ſeſſeln und ihn für das Merchichise und Hulturbiib, welches er
friſch und Ichenpig gejeichttet, gu interejkeren. Der Vorwurf.
den er ſich gewählt, iit der Stamthf, dem die ihrer Götter und
Freiheit beranbten Preußen im 13. Jahrhunderte mit den Rittern
des deutſchen Ordens um bicje ihre beditcen Güter gekämpft
haben. Eo iii ein beißen ſchweres Hingen des alten trokinert
Heidentums nit dem Khriftetiglauben das unſer ganzes Drnten
und Empfinden auf fich zicht und fchielt.
Ger Rattenlönig.
Dom Buchertiſch.
‚Dasbift du” iſt der vielverſprechende Titel eine Romane?
in 4 Büdern von G. dv. Amyntor (Berlin, Fr. Qurdhardt), dei
nun mehr im Herzen des deutſchen Volles Wurzel ehe Ber
faſſers der „bupodondriihen Plandereien.“ Daß wir darauf
verzichten müfjen, an diejer Stelle den höchſt lefenswerten Roman
eingehender zu anafyfieren, bedauern wir. Bei dem guten Slang.
deſſen fi der Name Ampntor jedoch zu erfreuen bat, gewügt
wohl biefer furze Sinmeis, Mit fyreuden begrüken wir qaleid-
$ a die 2. Auflage des „Neuen Romanzero” (uamburg,
. F. Ridter), cine Sammlung von lyriſchen eugniflen
Ampntorß teils geharniſchter und polemifdher Natur, teils pbilo-
lophiicher und rein menſchlicher Richtung, wie u. a. die „Tyriebhofs
melodieen* Im ben Romanzen ift vielfach der echte Baͤlladenton
getroffen ; das den Schluß bildende Myfterium „Der letzte Menih*
eröffnet einen —5 Ausblid in eine glüdlihere Welt, in
welcher der Menih wiffend und glaubend bier ſchon bes
verlorene Paradies wiederfindet, —
Ein Buch, das fih durch Friſche und Ungeſuchtheit ſtofflich
wie formell r
— ans
jeichnet, iſt die Er:
sählung „Um Pe⸗
tie" von Ad. Bren-
nede (Zürich, Fäfer
Shmi eg
afler ba e gt
e aus dem großen
egtjahre 70771
zum Zeil felbft mit
— elbt, Wa t
mifcht ſich mit D
tung in barmoni«
ſchem Buß; ber
offen Ir age te
tende
zu Ihämen!
Der als Inter
pret der nordiſchen
Litteratur bereits
mohlbefannte 8.
Paflarge hat die
deutihe Litteratur
vor Furzem mit
einem neuen Werl
hen, ‚„Norwegiſche Balladen“ (B. Edlide, Leipsie)
betitelt, heteichett. Die Auswahl ift geſchick —— und
ichr reichhaltig Wir beaeanen Mamen wie Bijörnfon,
Wom, Abfen, Storm ı1. 0. — auch die Ueberiehung ift ab»
neietien von wenigen Härten Im Ganzen fließend und poctiid.
Höcft wertvoll find die suchlirden Frfiärungen unter dem Tert,
ohne welche ein Verftändeis beim größeren Publitum rein une
moglich toäre,
Tal; A. Godin aus dent Herzen jhreibt und deshalb auch
das Anmere der Leſets erfaiit, boben wir wiederum bei brt
Lektüte der drei uns vorlienenden Werte der wohlverdient fo be
liebten EC xhritfiefterin erfahren. Der Noman „Mutter und
Sohn” Eeipzig, E. Heil) und „Bräfin Leonore* (Leipzig,
Zdufe u. Fo.) find nur auf breiterer Baſis aufgebaut und
funftvoller aefägqt als die nenen Novellen, „Shidjale* be
sitelt, welcht zum Teit wahre KHabinttftüdcdhen unferer modernen
AFrrzüblungelitterotur genantt Werden dürfen.
Das Inbenzwärdige Frziblungstalent, welches Helene Stödl
kereitz viele Freundinnen erworben hat, befundet fih abermals
vordeilbatt in den an die reiiere weiblide Jugend adrefficr-
ten vier Erpählungen, welche unter dem Geſamttitel „Ber
Ihhlungene Yebenspfnde: ıPerlin, Lubarich u. Go.)
ericienen find. Ta das Barhltialier (pardon, verehrte Leſerin!)
et ſehr leſeluüſtiges iM, beiten wir durch Nennung eines wahr
taft auten Buches uns von verſchiedenen Geiten Dant m
verdiene, -8-
Verantwortl. Herausgeber: m. Spemann in Stuttgart, Redakteur: Jof eph Kürſchner ebenda.
Nahdrud, auch im Einjelnen, wird ſtrafrechtlich verfolgt, — Ueberfegungsrecht vorbehalten.
Drud von Gebrüder Aröner in Stuttgart,
Meltpofl. — Inieraten:Unhang zu „Don Sels zum Meer’, III Jahrjang, Heft 7
% PN) eltpoft. BR —— Rilligste Bezugsquelle für
errwedt flet dad Intereffe rima Holländische
nr t 4 " der Damenwelt, einglattee | Cigarren u. Tabake
*
pn mr Tr ss gar .
Milchgeſch findet jelten garantirt aus nur besten impor-
Sympathie. Wen tirten Tabaken, frei von allen
Schnurr- oder Bollbart
& 9
Ferlöumng, Sue — noch iehlt, der befſtelle ſich gleich den welt:
berülyinten
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= — rn ee —
2; — —A — am Bahnhof.
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Preiseouraut in Heft 2 dieser
Zeitschrift.
—*
=. ur) 2, = Schönſ a
Se Eee, Y Hötel Hab Se vernieell
> + 0 — — — (975) 0) te a 15. Geſchenk A ; vernidelt
Sr a — — Mart.
TS und EIN RE ı NEBRICH, Sekt-1 Depöt, Köln. [973] Ohne lcbun —
— rig Yange, Berli dwedteritr. 252.
rw 5 EL er Akew, | Venus Schönheiten Cab, Pracht-Album BEL FIRE ———
12 Blatt vers, geg. Fint, v. 31, „4 franco —
— BET EIER — a t. eın dr, Adol bs BI oto r. Stutter n!, 2
DER 8 v ‚otog wird briefl geheilt. A Ret.»Mart
“oben i.@. Gatalog &öban 1.3. (Gatatog gratis. 1966] 966] wird briefl. ge eilt, Anfr. m. Ret.»Marlean
Das Freisrätfel im Weißnautsdeft, Arthur Heimerbdinger, Straßburg LE.
I. Baumann» Knobel, 3
Lintheſchergaſſe 20.
von dem in dieſem Hefte die rechte Löſung o — —
veröffentlidyt wird, wurde von den nachfolgend
Angegebenen richtig gelöft und find Dielen die
beiftebenben Preiſe zuertannt worden:
1. Preis: Zürich,
nie: we e ci Mn Preis des gebundenen Bandes MM. 1., franfo per Fol M. 1.
— FJ. W. Schmidt, Lübed, Wahm- brachte ingrijdren folgende neuer Bünde:
3. Preis: Carl Laſſen, Lübed. Bad 57 ZB RN Schmidt, Glaſsmacherleut. Kulturbild aus Dem bahriſchen
Weitere Löjungen gingen mi&l en und 55. J. Ludwig, Mein Grofoheim und andere Erzäylungen. Mit einer
Be Pe Tail |” 5, Saiten ton 6 We Beier
dort die Preile 7-15. . 89. a Harte, Jm Walde von Garquing;. Mit einer Einleitung von
Sortiekung fiebe nächſte Seiten. 8 Beſtellung genügt Angabe ber Bandnummer,
— ——
Derfälſchte ſchwarze Seide.
Man verbrenne ein Müſterchen des Stoffes, von dem man kaufen will, und die etwaige
Verfälſchung tritt fofort zu Tage: Echte, rein gefärbte Seide kräuſelt jofort zufammen, verlöſcht
bald und hinterläßt wenig Aſche von ganz heilbräunlicher Farbe. — Verfälfchte Seide (bie
leicht ſpeckig wird und bricht) brennt langjam fort, namentlih glimmen die „Schlußfäden‘
weiter (wenn jehr mit Farbſtoff erſchwert) und binterläfit eine dunfelbraune Aſche, die fih im
Gegenfag zur echten Seide nicht Fränfelt, fondern krümmt.
Zerdrüdt man die Aſche der echten Seide, jo zerftänbt fie, die der verfälſchten nicht.
Dinfter von meinen echten Seidenftoffen ſtehen Jedermann zu Dienften,
und liefere ih einzelne Roben und ganze Stüde zollfrei ins Haus, ohne Zoll.
berechnung. [344]
Ein Brief nad der Schweiz foftet 20 Pf. Porto.
Zürich; (Scyweiz). ©. Henneberg's
Seidenſtoff-⸗Fabrik-Doͤpot.
Königl. Hoflieferant.
IS TEE ZERSEFFT ⸗ — e ααα
Da U U ET ET LT SET TI ZZ IT ZZ ZEIT ZEIT III IT
F
A EL TE ST EEE EEE SET IE TEE SZ ZIZ II ZEIT ZT SIZEZES TEE IEITTTTETT
Inferaten:Unhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 7.
— 5 iR
SB
Ag Kiftorifch kritiſche Ausgabe 2
User Miielrtusg
hervorragender Germaniften
herausgegeben von
Iofeph Rürſchner.
Verlag von
B. Spemann, Berlin u. Stutfgart,
Die neueften Bänbe enthalten:
Bd. 28. Albertinus Qucifers Hönig«
reih und Erelengejaidt. Hreab. von R.
Frhr. Lilienfron.((Erfter Neudrud!)
d. 29. Abraham a S. Glara „Judas
der Erzichelm.* Hrägb. v. F. Bobertag.
Inhalt der Bände 1-27:
j 105. Orimmelstaufens „Sim
plicius GSimpliciflimus*, (!Merfe
1.u.2.2b.)2.Ooetbhes, Faust“. (Werte
12. Bb.) 3. Schillers „Räuber und
Wiesto*. (Werte 3. Bd.) 4. Kortums
„Jobfiade”, 5. Leſſings „Lieder,
Oden, gereimte Fabelnze., Jugenbdramen. *
(Werle 1. Bd.) 7. Wielands ‚Obe
ron ꝛc.“ (Merle 2. Band.) 9, Grim⸗
melsbaujens „‚Simplicianiide
Schriften‘ ®b. 11. Günther: Ge
didte Bd. 8, 10 u. 19, Etiirmer
und Dränger. Bd. 1-3. Enthalten
Klinger, Yeifewik, Lenz, Wagner,
Maler Müller, CH.%.D. Schubert.
Bd. 13. Oryphius Werte. Bd. 14.
Leljings Augendfreunde. Mb. 15.
Moſcheroſchs Gefihte Philanders
von Sittewald, Bd. 16. Goethes
Dramen. Bd. 1. (Der Werte 6. Band.)
Bd. 17. LVeifinas Augenddramen
u. bramatijche Meiiterwerte. Pp.2,
18. Schiller „Sabale und Liebe*
und „Don ftarlos“ (in 3 Ausgaben).
(Der Werle 4. Bd.) 19. Simon Dad
und jeine freunde, Joh. Rölina.
20. Goethes Gedichte. Bd. 1. (Der
Werke 1. Bd.) Bd. 21. Biglers Niia-
tiiheBantje.(DerSchlef, Shule2. Br.)
DD. 22, Hebels Alemaniſche Ge
dichte. Bd. 23. Hebels Shapkäftlein
dedrheiniihenHausfreundes, Bp,
241 u. 25. Lejlings dramat. Nahlak
u. dramat. Meiſterwerke. (Werfe 2. Bo.)
Dd. 26, Die Gegner der zweiten
ihlefifhen Schule 2 Wd. Bd. 77.
Goethes Naturwifienib.Schriiten. 1Bd.
Die „Deutſche National-Litteratur
iſt Die einzige nach einheitlichen Plane
angelegte wiſſenſchaftliche Ausgabe der
geſamten deutſchen Litteraturſchähe von
ihren Anfängen bie zur Neuzeit.
Die „Deutiche National-Pitteratur
—— ſich dabei durch muſterhafte Auss
attung und eminent billigen Preis aus
(die Lig. & 6-7 Bogen nur 50 Pf.)
Die „Deutiche National-Litteratur
ift ein nationales Unternehmen von
fo hervorragender Bedeutung, enthält
eine folhe Hülle der uns zunächft lie
genden litterarifhen Schäbe, daß eö
mehr als irgend eined Bemeingut der
wahrhaft Gcbildeten werden follte.
Dreisausihreiben für Feuilleton,
Fortwährend bemüht, die „Neue Mufit-Zeitung‘ zu einem Blatte erften Rang:
zu geftalten und ihren Leſern gediegenften Unterhaltungsftoff zu bieten, erlafjen wir
hiermit ein Preisausfchreiben für Feuilletons unter nachſtehenden Bedingungen:
& 1. Den für die Preisbewerbung beftimmten Arbeiten müflen Motive aus bem
Künftlerleben (fomponiften, Virtuofen, Sänger, Sängerinnen ıc. zc.) zu Grunde lieger,
dabei find Geftalten der eigenen Phantafle entiprungen nit ausgeſchloſſen. Sie joln
in ergäblender Form abgefaßt fein, gleichdiel ob im Gewande der Novelle, der biographı.
ſchen Erzählung, des Märchens oder der Humoresle. N —
8 2. Der Umfang eines Feuilletons darf nicht weniger als fünf und nicht mehr
als fünfzehn Epalten der „Neuen Mufil-Beitung* umfafjen.*)
5 3. Fur die beiten Arbeiten werden folgende Preife ausgeieht:
Ein L Preis von 600 Mark
Ein I. Yreis,von 300 „
Ein Il. Yreis von 150 „
& 4. Undeutlich geſchriebene und alfo ſchwer Ieferlihe Dianujfripte werben von
der Stonfurrenz ausgeſchloſſen. E :
$ 5. Die Arbeiten müflen mit einem Motto verjehen und fpäteftens bis 1. Jımi
1884 im Befihe des Verlegerö der „Neuen Mufil-Zeitung” (P. I. Zonger in Köln) fein;
dem Manujtript ift ein verichlofienes Gouvert beizufiigen, welches ganz datielbe Motto
nebft genauer Adreſſe des Einfenders enthalten muß. Außerdem ift das Motto um»
der Titel des Manujfriptes anzugeben.
5 6. Die preiögefrönten Werte werben —*5* des Unterzeichneten.
$ 7. Es bleibt vorbehalten, nicht prelsgekrönte, aber dennoch gute, zur
Breisbewerbung eingefandte Arbeiten, für die „Neue Muſit-Zeitung ans
zuwählen; biefe werden mit 10 Mark pro Drudipalte honoriert und geben
ebenfalls in das Eigenthum des Ausichreibers über. j
$ 8. Die unberüdfichtigt gebliebenen Einſendungen können während dreier Monatr
von Belanntmahung des Refultates an gerechnet, zurüd verlangt werden; bis zu Dieier
Friſt nicht reflamierte Manuflripte fallen der Vernichtung anheim.
$ 9. Als Preisricter fungieren die Herren: [1188]
Felix Pahn, Profeffor in Königsberg,
Ernfi Rasqué, Schriftteller in Darmftadt, j
Auguft Beifer, Redakteur der „Neuen Mufif-Zeitung‘‘ in Köln.
810. Das Refultat wird vorausſichtlich bis 15. Auguft 1884 befannt gegeben werben.
Verlag der Neuen Mufif-Zeitung
(P. I. Tounger) in Köln a/Rh.
*) Eoldhen Bewerbern, welchen die Reue Mufit Zeitung nit befannt tit, ſtehen Proßeblätter
in jeber Bud und Muftfalienbandlung oder vom Verleger gratis zur Werfügung.
In allen Buchhandlungen ist vorräthig: (1161)
Die Diphtherie.
Ihre Entstehung, Verhütung und Behandlung.
Von Dr. ©. &. Rothe, Altenburg.
Elegant in Leinwand gebunden. Preis 2 Mk. 40 Pf.
Landw. Institut der Universität Leipzig.
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Der Anfang des Sommer-Semesters ist auf den 22. April fostgesetzt,
Programm und Stundenplan vom Unterzeichneten zu beziehen.
Der Director:
[1156] Geh. Hofrath Dr, Blomeyer.
Weltpoſt. — Inſeraten⸗Anhang zu „Vom Fels zum Meer‘. III. Jahrgang, Heft 7.
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flebend mitgetailt find, Löfungen, die erſt
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Troilus und Kressida
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Giovanni Boccaccio.
Zum ersten Male ins Deutsche übertragen von
Freiherrn von Beaulieu-Marconnay.
Original-Büttenpapier. Liebhaber-Einband. Preis 5 Mark.
Verlag von A. Hofmann & Co, in Berlin, [1162]
Bon Paul Henfe, Georg Ebers, Fr. v. Bodenftebt, ©. Brandes, Jul. Große,
Mob. Waldmüller, Hieronym, Lorm, E. A. König, R. Döhn, 2. Laiftner u. A.
als ein höchſt bedeutendes Werl anerfannt:
Raskolnikow,“Doſtojewſkij.
Nah der 4. Auflage des ruſſiſchen Originals überfeht von Wilhelm Hendel.
Berlag von W. Friedrich in Leipzig. 3 Bände, 10 Mark, gbd. 12 M. 50 Pf.
Georg Ebers jchreibt: „Diefer Roman ift eine furdtbar ſchöne, gewaltige Dich ⸗
tung . 2... Ich habe faum etwas Ergreiſenderes gelejen, als dieſes furdtbare Bud,
weldes ſich er! gemeinen Mord gründet, der doch nicht gemein ift, welches uns das
Herzensbündnig eines Räubers mit einem gefallenen Mädchen vorführt, weldes uns
anmuibet wie eine reine, durch Hagelſchlag beſchädigte weiße Blume. Mit fliegender
Hand habe ich Seite um Eeite gewendet, und als id) fertia war, athmete id auf wie
nad) einer Wanderung über gähmende Abaründe. Dieſes Werk, diefer Dichter find groß
und wertb, dak man fie fennen lernt.“ Paul Henie jagt: „Nun erſt fann id Ihnen
danken, daß Sie mir dazu verholfen haben, dies höchſt merkwürdige Buch kennen zu
lernen, das in feiner Art vielleicht unerreicht daſteht, von einer pinhologiiden Sraft
und Tiefe, wie fie jelbft unter den Landsleuten des Berfallers fich elten finden wird,“
Georg Brandes: „Das Buch muß als ein Quellenwerk erften Ranges für die Ent
ftehungsgeichidyte des modernen Rußland betrachtet werden.” (M. fr. Pr.) — Aehnliche
Urtheile jällten die obengenannten Dichter und Schriftfteller. [1185]
in Heuser’s Verlag iLonis Heuser) in Leipzig & Neuwied erschienen soeben:
DIE MORPHIUM-EINSPRITZUNGEN, deren Wirkung, Anwendung und Ab-
gewöhnung von F. Altvater. Preis M. 1. 80.
DIE MORPHIUM-SUCHT und ibre Belandlung von Dr. Albr. Erlenmeyer.
2, Aufl. Preis M. 3. 60. [1139]
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.
Soeben erihien und ift durd alle Buchhandlungen zu beziehen:
‚Bibliothek für Of und Mer“,
Unter Nedaction von Dr. Alfred Friedmann. Jeder Band, mit einer
Titel: Jlluftration von erften Hünftlern, ift einzeln käuflich und koſtet
elegant gebunden 60 fr. — IM. Jährlich erjcheinen 25 Bände. Abon—
nenten auf complete Eremplare erhalten jeden 25. Band aratıs,
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Genrebilder von B. Chiavacci, 152 Bogen Octav,
Mit Titel-Jluftr. von Hans Schliegmann.
Band II. Novellenfranz von E. von Bauernfelb.
15 Bogen 8. Mit Titel-JNuftration von %. Yewin.
Band III. Blätter im Winde. Neue Skizzen von Ferd.
Groß. Mit dem Porträt des Berfaljers.
Die weiteren Bände bringen Beiträge von oh. Nordmann,
Julius von der Traun, Aug. Silberftein, Ada Chriften, Leopold
Kompert, Ad. Silberjtein, Mar Nordau, Balduin Groller, Ed.
Mautner, F. von Schönthan, Mar Kalbed, F. Mamroth, Oscar
Welten, Emil Reichlau, J. R. v. Weilen, Lucian Herbert, J.
H. Wehle u. v. A. | 1173)
Berlin, Wien, Yeipzig, Hugo Engel.
Weltpoft. — Inferaten.Unhang zu „Dom Fels sum Meer’.
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„Mittheilungen über Landwirthfchaft, Gartenban u. Hauswirthfcaft“
un „Snöuftrieller Wegweifer“
wurde in Unerfennung ber Reichbaltigfeit, Bielfeitigkeit und Bediegenheit feines Inhalts
die gelesenste und verbreitetste Zeitung Deutschlands.
Die Vorzüge des „Berliner Tageblatt‘ beſtehen vornehmlid in Folgendem:
„Täglich jweimaliges Erjheinen ala Abend» und Morgenblatt. —
Gänzlid unabhängige, freifinnige, politifhe Haltung. — Spezial«
Ktorreipondenten an allen widhtigen Pläken und baber raicheite und zus
verläffige Nachrichten ; bei bedeutenden Greianifien umiafiende Epezial-Telegramme.
— Ausführlide Nammerbericte des Abgeordneten« und Herrenhaufes
fowie des Neihötags. — Umfaſſende Handelbzeitung und Gouräzettel
der Berliner Börſe. — Bollftändige Ziehungeliſten der Preußiſchen und
Sächſiſchen Lotterie, fowie Uuslooiungen der wichtigſten Loospapiere.. —
Graphiſche Wetterlarte nad telegrapbiichen Wittbeilungen der Deutſchen
Erewarte — Militärijhbe und Eport-Nahridhten. — Perjonal-Ber
änderungen der Givil- und Dilitär-Beamten. — Ordens- Berleihbungen. —
Reihbaltige und wohlgefihtete Tages-Reuigkeiten aus der Reichs-
bauptitabt und den Provinzen. — Intereſſante Geritöverhandlungen, — Theater,
Litteratur, Kunſt und Wiffenichaft werben im fFeuilleton des „B. T.* in
auspedehntem Maße gepflegt, außerdem erjcheinen in demielben
Romane und Novellen
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pro 1884, Brobenummern verimbet gratis und franco die Erpebition bes
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Das Sreisrätſel in Heft 6 wird
in Seit 8 zur Erledigung gebradt, in
dem wir auch die reitierenden Antworten
zu geben hoffen, was Diesmal bei der Fülle
der Finfendungen leider nicht möglich war.
Nidtige Löjungen dandien ein:
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fafier angefragt. ‚
Trener Freund. Dielen Dank für
die guten Ratſchläge, die wir uns nicht
nur binter die Ohren ſchteiben, ſondern
die wir auch befolgen wollen.
=. W. in St. Der Blütenduft
in dem Sie Ihre Nadtigall idhmettern
laſſen, ſcheint Ihre Nerven ftart afjiziert
au haben. Sie ſehen in dieſein Yultand,
wie der blaue Himmel die Erde mit gols-
denem Scheine küßt! .
.». 8. in®. Gedicht gem accep»
tiert. Glüd auf zum Erfolg! Der Litter
ratur-Stalender berüdjihtigt nur lebende
Dichter.
Ceſte. 1) Rosge, 2) Ed. v. Harte
mann, wenn Gie ihn dafür gelten laſſen
wollen. 3) Soviel uns belannt, ja. Das
on if Unſinn. Was ift das für ein
db:
„Ein junges Mädchen, frob und leicht
Wie Blajen auf dem Fluſſe“
O wie zerfprang da die Blaſe fo bald.
Gebrauden Sie Blajenpflafter.
Käthe. Mit Gedichten einer Sieben
jährigen jollten Sie uns bod) verſchonen.
A) in A., P MM. in P. Vielen
Dant. — A. 8. Nibt nur die Böglein
ihlafen bei Ihrem Gedicht — das lann
auch Menſchen paifieren,
A. in M. Das iſt etwas zu viel
verlangt; wie follen wir Stenntnis davon
haben, wohin bie Geburts» und Sterber
alten des vorigen Nahrhunderts, Ihre Heine
Gemeinde betrefiend, hingelommen find?
Menden Sie fich doch einmal an die Straß ⸗
burger Bibliothet, fie hat vielleicht Kunde
davon.
Sidylle B. ?. Co thöricht find wir
denn doc nicht, auf diefen Leim zu neben,
das allem Anſchein nad der Mopſtodſchen
Richtung angehörige Gedicht aufzunehmen,
A. Sc. in S. Beſten Dant.
Märzufhlag. Cie wünjden einen
Erjat für Milhrahrung, da dieſe lehtere
Strankheitsteime enthalten fann. Es ſchiene
rationeller, fih nad Mitteln umzuſehen,
wie eine gejunde Mil zu beſchaffen if.
An ländlichen Gemeinden hat diejes feine
Edwierigkeit, nur müflen Cie ſich nad)
dem Gelundheitszuftande der Kühe erfun«
digen, deren Mild Sie geniehen wollen,
Ginfictige Landwirte wiflen jehr wobl, ob
ihre Tiere gejund find oder verdächtig.
Geben diejelben wenig Mild und huften
fie, fo follte der Verkauf der Milch untere
bleiben. ine weitere Aufſicht über die
Ställe befteht leider noch nicht, doch drängen
dazu die Thatſachen, welche wir und Ans
dere ermittelt haben. Sollten fi, wie
Sie jagen, „Unzählige” durch dieſe That
ſache beunruhigt fühlen, jo wäre Hoffnung
vorhanden, daß jene janitäre Forderung
durcgejeht wird, Nur mühten ſich die
„Beunrubigten“ zujammenthun, um auf
die Behörden die nötige Preifion auszu ·
liben. Prof. lebe.
R. =. in St. Im. 33 Nr. 3u 4
des Reihegeiches vom 6. Februar 1883
ift die Ehe ziwilchen Stiefeltern und Stiefs
tindern, aber auch zwifchen Perfonen, deren
eine die andere an Hindesftatt angenommen
bat, verboten. Da u = Geſeh Neichör
aeieh ift, geht es den Yandesgejehen ber
einzelnen Staaten vor.
Melipofl, — Inferaten-Unbang zu „Dom Sels zum Meer‘.
w Weltpof. 6
. Eh. in A. Sie haben gar fein
Zalent zum Dichten. Sicgen Eie bat
andıwert auf! — ZI. 3. in S.
Yieder kommen ung nichts weniger als
Aieblich— vor. Bei dem Beginn De&
einen
„Ueber das leuchtende Meer der Gedanfen
Seh ih dich, Liebite, = mir fhmwanfen.“
dachten wir, Ihre Beliebte litte an allzu»
großem Durft. Warum wantt fie denn
Ad) das Iandlied iſt mufterhaft albern,
nden Sie das nicht jelbit, wenn Eie
tolgende Berje gebrudt jehen ?
Tod liegit du
O Hirihluh
Mir im Grafe
Vor der Naſe.
Der übrige Blödſiun mag verſchwiegen
jein. — $. in 3. Ganz unbraudbar. —
® 36. in £. Nein. - B.@. in $.
uch fiir Die Weltpoft nicht verwendbar. —
—— za. in 8. — 3. M.
iginalität. — &. &. in W.
zu viel dergleihen. — $. 8. 6- i
m.ing — ®. F. in .„—?}. £ in
PB: Werden Eıe älter. — En
r. A. @M. Auch für das (pos haben
feine Berwendung. — Karlchen in ®.
Ihre Furt vor dem Papiertorb war
ü k J A. in B. -
AMA. — 2 €. * in$.—
i 3. in
EP. — € Ming.
‚ind. Mit Bergnügen acceptiert.
. BB. in Salvator. Ausb
rüftung des deutiden Anfante
riften. Gewicht des Infanteri erehres
IM 71 mit Bajonett 5,265 kg, ohne Bajonett
4,5 kg. 80 Palronen, die der Mann
trägt, wiegen ohne Pag ſchachteln 3,36 kg
mit Badihadteln 3,48 kg. Gewidt im
Durdihnitt: der Heim 1, kg, der Mantel
3,5 kg, ber Sübel mit Scheide 0,92 kg,
das Beil des tragbaren Infanterie Schanj-
jeugs mit Futteral 3,5 kp, die Pide des
tragbaren Anfanterie » Shanzzeugs mit
utteral 2,5 kg, der Spaten des trage
baren AnfanterieShanzjeugs mit Futteral
1,25 kg, der verpadte Tornifter (ohne Man»
tel) etwa 15 kg. Die gefamte trieggmähige
Ausrüftung des Infanteriften, in melde
einbegriffen if: Aeibung, Bewaffnung
(Gewehr mit Munition), Gepäd an Aus+
rüftungsitüden, das Schanzzeug, wiegt
negenwärtig im Durchſnnt 30 kg. Dieſes
Gewicht ift etwas größer bei ben nrößeren
und ftärferen umd geringer bei ben Mlei=
neren Seuten, wobei das tragbare Schans-
zeug nicht unerhebliche Gewichts unterſchie de
bedingt, nicht minder auch die Kleidung.
68 ift ja befannt, dak das Gewicht der
Ausrüftung in den Armeen verjdieden ift
und im Yaufe der Seit ſehr gemedhielt
bat. Das hödfte Gewwicht erreichte wohl
das Gepäd der Zuaven in ber franzd+
fiihen Armee 1859 während des italieni»
ichen Felidzuges, es betrug 41,5 kg. —
Das Angebotene würde die Redattion ſeht
erfreuen.
A. in B. Wir empfehlen Ahnen
in wärmiter Merfe die Anftalt für Glas»
malerei von PaulGerbard Heineri-
dorff in Berlin, 64 Unter ben Linden,
die das Shönjte zu verbälinismähin
billigen Preiien auf dem Gebiete ber Glat⸗
malerei liefert. Sie verfendet ihren in-
jtruftiven Bericht gratis und franto,
. £. in ®._ Das gebt nicht!
.5.i1n 3. Dant für Ihre freund»
nmerlung.
3.6. in A. Soll geſchehen.
3.5. Nur für ben Hausbebarf.
liche
II. Jahrgang, Heft 7.
Mervenfhwäde, Mervofität.
Ynter den Leiden, welche den Menſchen heinſuchen und häufig durch eigenes Ver⸗
ſchuſden oder in Folge von Sünden unierer Boreltern entitanden find, find die Er»
ranfurgen des Mervenlebens wohl die zahlreihiten, ftörenditen und langtvierigften.
An den feltenfien Füllen weiß übrigens derjenige, weicher jeine Nerven yerrüttete,
mas ihm eigentlich fehlt, er tlagt heute über dies, morgen über jenes, balb find es
Ehmrrjen im dieiem, bald in jenem Körvertheil, die ihn quälen; Mikmuthb und
Gbereigtheit wechſeln mit freude und Niedergefhlagenbeit; die Geiftesträfte und das
Gemüth find kranthaft afficirt und neben törperlicher Shmwäde. Mattigfeit und Ab»
ipannung wird der ſtopf von einer gewiflen Sanbere und Eingenommenbeit befallen,
denen Ai häufig Shmwindelanfälle und andere Uebel beigejellen.
Urmaãhlig find die weiteren Grideinumgen, welche je nad dem Grad, melden daß
Leiden erreigt bat, ſich einitellen lönnen und wenn fie aud in ihrer Art verihieden
find, dod eine geile Achnlichkeit in ihrem Weſen zeigen. [1177]
Möge doc derjenige, bei dem ſich derartige GFriceinungen einftellen, nit leicht ·
ſtnnig darüber hinweggehen im ber Hoffnung, e8 vergehe da⸗ Ates von felbit.
Die Urfadhe diefer Erſcheinungen liegt häufig tiefer, indem febtere in der Regel
Hand in Hand mit einem mangelhaften, reip. verborbenen Blute achen, das erit auf
naturgemäße rationelle Weiſe wieder zu feiner normalen Zuſammenſchung gebracht
werden muß, wenn der Leidende wieder Im den Boubenß jeiner Geiundbeit fommen fol.
Aus der in der 12. Auflage erihienenen hodinterefanten Brolcüre, betitelt Dr.
Liebaurs Regeneration, möge man übrigens fich lelbſt über die Urjaden, den Berlauf
und die Peleitigung dieſer Störungen im Nervenleben informiren. Dielelbe it a 50 Pf.
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An neuerer Zeit wurden von unieret Koryphäüen der medicinischen
Wissenschaft Die Rich. Brandt 'iden Schweizerpillen einer Prüfung
unterworfen und diejelben für ebenjo ſichet wirlend, wie angsnchm zu gebrauchen,
und durbaus unihädtich erllärt.
dasjenige Mittel er«
wirien, weldes bie vor“
ziglichften Figenichaiten
in ich vereinigt, Dies
find denn auch Die
Mründe, auf welchen
der Welteuf der Rich.
Brandr ſchen Schwrizer⸗
yillen ſich baſitt. Der
billige Preis von M. 1
pro Doſe machen die—
feiben Icdermann jur
gänglich doch achte man
daran, die üchten Rich
Brandrſchen Zaweijet ·
GraenCongestionen,
Schwindelanfälle,
Unreines Blut,
Appetitlosigkeit,
verstopfunz,
Blähungen, Leber-
& ballenleiden,
Hämorrhoiden,
überhaupt acpen Here
danungöe und Inter»
leibeſtorungen haben
fihdie Rich, Brandt-
ideen Schweizer-
pillen in unzähligen
Fällen bewährt und als
pillen zu erhalten,
tranen.
u.9N: Berlin: Ztraukapsthefe, Ginhbomaegoshefe, Breslan: Apotbeler Dr.
Weißllein; Coln: Finbornapotbete; Dresden: Wohrerapottele; Frankfurt
a. W.: Adteranothete, Hamburg: Apotheler %, od; Hannover: Lowen ·
abothele; Munchen: Holenapotbete; Strassburgi. E.: Vie imapothefe; Stutt-
gart: Avotheler Reibten u. Schou Oritereih; Wien: Abotbeltt B. Grob,
Hohct Markt 12 zdweij: Genf: Myotbeter W. Sauict [866}
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brennen, Magzenkatarrhen, bei Ver-
dauungzsstörungen überhaupt. wirkenüber-
raschen im kindlichen Organismus und
ein hei Atonie des Magens und Darmennals
besonders
depanirt
22
—2
welche auf der Doſe ein Füquctt, wie obiae Abbildung zeigt,
Zu haben in den meisten Apotheken des In- und Auslandes,
zufolge sitzender J.elensweise ganz
auzuemjftehlen,
Depöts in allen Mineralwasser-Handlungen, in den
Apotheken und Droguen-Handlungen.
Brunnen-Direction in Bilin (Böhmen).
1798]
Weltpoft. — Inferaten,Unbang zu „Dom Sels zum Meer‘. III. Jahrgang, Beit 7.
(t i - ® a ®
9 Zelivch. ® | Die Allgemeine Zeitung
ta Eli obc mi nem andern garı (mit wifenfhaftliher Beilage und Handelszeitung)
fen eriftiert nicht, da Schellac nur in —— früher in Augsburg erſchienen
Epiritus (Altohol) Leicht löslich, dagegen iR in Deutidland und Defterrei R z —
Fon nat mi Zar & durb die Poftanftalten für 9 Marf vierteljährlich
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Weingeift gelöfter Schellad ift im Anftrid Brobenummern nebft neneftem Duartal-Regiiter gratis.
jiemlid) ſpröde, weshalb man eine Aleıs
nigfeit Leindl oder Firnis der fertigen | Leitartikel, wiffenſchaftliche und handelspolitiſche Auffätze 2c. in Nr. 36 bis 42.
Yöjung zufeßt. Genaue Vorſchriften bier- Militärifche Rüdblide auf das Nahr 1883. (IV.) — Die neue ruſſiſche Verlehrt ·
über zu geben, ermangelt es hier an Raum | ſtraße nach Gentralafien. — Aus der Provinz Pojen. — Der fyremdenartitel der rumã ·
und empfehlen wir Ihnen das Studium | miiden Berfofung. — Die engliſche Ihronrede. -- Die Schlacht bei Tofar. — Ein Stüd
der über Yadiabritation handelnden und | Gulturtampf in Baſel. — Aus der preußiſchen Rang» und Quartierlijte des Jabres 1884.(1.)
in jeder beijeren Buchhandlung käuflich ju Wilhelm v. Böll. (Nefrolog.) — Uriprung und Bedeutung von Schlllers Ballade
habenden Werle. ME „Der Handſchuh“. Bon Dr. M. Yandau. — Yur Aunft-Ardäologie des Mittelalters. -—
euer Abonnent. Ihr Gedicht ift | Allgemeine deutihe Biographie. — Briefe aus der Reichthaupiſiadt. — Staatsrechtliche
uns jo aus ber Serle geichrieben , dab | Fragen zun bayeriihen Univerfitätenbupget. — ur neueiten deutſchen Grzählungs«
wir es bierberjehen. Ueber den Inhalt literatur. Bon Fr. Munder. (III) — Nitlas Ziegler, Albredit Dürer und Hans
Ihres Briefes müffen wir ſchweigen Schänfelein. Bon fr. Leitigub. — Hermann Ulrici. (Nefrolog.) Bon M. Garriere. —
O dichte nicht! Genft Haedel: Andifche Neilchriefe. — Hermann Hettnet. Bon D. 2. v. Strauß und
Wenn du nod Wein zu trinten haft, Torney. — Artiftijpes aus iylorenz. Bon Fr. Pet. — Gin neuer Roman Octave
So dichte micht, jo dichte nicht! uillets. — Goethe bei Hans. Von H. Dünger, — Stubienblätter aus Ytrien und
Und feift du aud der lehte Gaſt — Friaul. Von H. Noe. (VIIL)
Der Wirt, er ſpart die Lichte nicht. — Bant» und Vvötſenzuſtändt in Frantreich. Das Berhältniß bes Hrn.
So lang das Liebchen dir's vergunnt, Gladitone zu Hrn. Ferd. de Leſſeps in ber Suezcanalfrage.
O dichte nicht, o dichte nicht!
So ihön als wie ihr Rofenmund Aufträge für Streifbandjendungen an die
Eind Bodenftebts Gedichte nicht. Expedition in Münden.
Haft du nody einen Heller Geld, — In unterzeiänetem Verlage erideint in 24 halbmonatliden Lieferungen a 5-9
So dichte nicht, ſo dichte nicht! Bogen in ar, 89 elegant ausgeftattet zu dem Preiie von „Eine Mar‘ pro Lieferung
So armı ala Dichter auf der Welt >
ee we | Gejchichte Der deutſchen Litteratur
ureatus. .
€. $. 4. Unferes Willens sibt es von ihren Anfängen bis auf die nenefte Beit (1884)
feine — von ze F Tri⸗ von
cheies weiche beſonders empfehlenswert T
zum Gebraud) bei Steigungen ift. Eänt- _ , j Franı Birl I. .
lihe Behitel diefer Art erfordern dagegen Dieſe neue deutſche Litteraturgefhidte will frei aber gewilienhaft, parteilos aber
bei einigermaßen fteilen Eteigungen einen verftändnisvoll für jede eigenartige Regung des Litleraturgeiſies, ausgehend von wärmiter
derart geiteigerten Aräfteverbraud (Mus | Liebe und vollem Berftändris für alles, was ber deutfche Geift litterariich geſchaffen, nicht
tel wie Yungen), daß Velocipebreiter auf nur loje zufammenhängende Fitteraturbiographien neben, jondern in allen Yitteratur«
Touren bergan abzufteiger und ihre Ma» erjheinungen bie inige Beziehung zu deutſchem Volletum, zu deuticher Spradje und Eitte
idine vor fidh herjuſchi⸗ den pflegen. Fur nadjuweilen ſuchen. 953]
eine bernige Gegend, jeltit wen die Bene Beiondere Aufmerkjamteit wibmet der Berfafjer der Behandlung der Literatur unferer
aut gehalten find, erfiheint die Anihaffung | ; eit umd unterwirft diefelbe einer Beurteilung sine ira et studio. Der ganze dritte
eines Delocipeds dethalb überhaupt mıdt nd behandelt die Litteratur un.ctes Aahrhunderts, die bis auf das Jahr 1884 be»
ratjam. in Arpt oder Geiftlicer wird rüdjichtint werden foll. Jede einzelne Dihtungsart, auch jelbft die Heinjte dialeltiſche
feine regelmäßigen Zouren dort wahr« Abweichung ſoll eingehende Frwähnung finden,
cheinlich bequemer, raſcher und mit ge Die Behandlung des Stoffes ſoll im höherem Sinne populär gehalten fein; nur eine
tingerer Anftrengung zu Fuße zurüdlegen, Mode vermag diele neue deutiche Vitteraturgeichichte nicht mitzumaden — bie Mode des
als mit Benutung eines Velocipeds. fitterariichen Biiderbuches mit begleitendem Text. Dieſes Wert jeht den Inhalt über
Nicht verwenddare Einfendungen die Form, den Körper über die Gewandung und verzichtet gern darauf ein typographiſches
madten: xx—x 2. 0.91%, E. W. Raritätenfabinet zu fein. RR —
i. 8. wWwir hatten eine Gänſehaut, als Der erjie Band behandelt die Ältefte Zeit bis 1500 und wird bis Weihnadten 1883
Ahr Gedicht von uns verihludt worden vollftändig, der zweite Band enthält die Reformationszeit bis zur Maifiihen Periode,
war, genügt Ahnen das), D. 8. i. der dritte Band die neue und neueite Zeit bis 1884 und liegt dab Wert Herbit 1884
Eh.-3., Hhen, 2.R.i.D.,H.P.i. A. J volitändin vor. a
.* 5 r. Anferieren Sie Ihre Alle Buchhandlungen jowie bie Berlagsbandlung nehmen Beftelungen entgegen.
goat: in Beibeipe „anni. Dar | Wilhelm Friedrich, K. Hofbuchhandlung in Leipzig.
Das font Berlangte fönnen Sie durch jede Die „Süddentjchen Blätter für
Buchhandlung erhalten. PR
Dr. €. 8. in MB. Sie ſchreiben | un u. Vogelzucht“, Berion
uns: Am 2. Bde, (1882 Auguft) Heft 11 der Buchhandlung von Friedrich Arnold
S. 577 finde ih eine rätjelhafte Inſchrift in Münden, empfehlen fih als das
der auf den Goldmacher Gajetani geprägten billigfte Fachblatt Deutſchlands allen Ge ·
Münze. Die Sache ſiellt ſich aber ſehr flügelzüchtern, Vogelliebhabern und Händ ⸗
anfach dar, wenn man annimmt, daß lern zum Abonnement. Zweimal monatlich
mit oder obme Willen (mie es 5. B. bei erſcheinend, bringen fie reichſtes Material
Glodeninihriften häufig geihehen ift) die aus berujenen Federn, jämmtliche Bereins«
Worte reiv. Buchſtaben verkehrt gejeht ‚ angelegenheiten, vergleihende Marftbe»
richte und in jeder Nummer einen flatt«
find. Id leſe: Sie (Kys) mundus vult 1
decipiquia (Kwya!) etalchemistarum lichen Inferatentbeil. Der Preis dieſer
Seitfchrift ift pro Jahr 3 M., pro Quartal
plena sunt omnia, ergo (Obere = \
ercho = ergo} deeipisatur! — Beiten 75 7. Beſtellungen nehmen alle Budı-
Dant für die Mitteilung. > bandlungen und k. Poftanftalten entgegen.
.$.in®B., 3. Sch. in, Wir gi . (SEN 2* Die Poſt nur ganzjährig. Probenummern
haben vergeblich verfucht, auf Ihre Fragen
belicbe man von der Werlagshandlung
Antwort zu erhalten. ftanco zu verlangen. (1191)
Weltpof. — Inferaten:Unbang zu „Dom fels zum Meer”,
W Weltpoft. 16
in 8. Den Ehering wechſelt
— ui Gegenden glei bei der
Verlobung.
in &. Leider bin ich nicht
Scha pleier aber der „alte Belannte” iſt
bem Redakteur mit der Jeit nit unbefannt
geworden, hofft ihn audp dieſen Sommer
vielleicht wieberguf * nett
w
if ie Borbereitu u —
3.8. in R. Leider nicht mehr aus
führbar
‚in 8. Empfehlen Koberfteins
Grundrib der deutſchen Nationallitteratur,
Gera Iagebın von Bartich.
€. 3.in$. Dant für freundliches
Anerbieten, find aber ſchon zu reich bes
dacht worden,
Bm. e. nr Witz em neu, leider!
—t- 12. M.
durch jede Bughand ung.
A. 8. in ®. Freundlichtn wien
dem treu Gebentenden, aud Herr Haus
mann,
A. 9. in HS. Wurde längft in dem
NAreis der = Geliiiel einbezogen !
Da bürfte ein Pferdedoltor
doch e en net fein als wir,
Aud na u haben
ſolche amd nod Wert, denn ihr Inhalt
gebört zu den harafteriftiichen ertmalen
der 5
3. Gin Gonverjationdferiton
or 2: * jeden Autor berüdfidhtigen.
Ueber den Grund ber Nihtaufnahme ver
I die betreffende Redaktion Aus ·
tu FR ——
in F—t. Bei hunderten
von ——— tan man die einzelnen
unmöglid im Gedächtnis behalten. Die
ige () follen gebradht werden, wenn
wir nichts Behleres haben.
Cehtroteniher Bromberg.
Dantend ——
in
F. A 54. i Die neuen Bände
werben ie meb : als reihlih em⸗
dädigt haben, er Dant
ür ihr ndliches
Bwei — ——— "in 4. An ſolchen
—— — trägt nieder Berleger, jondern
die beiteffende Stelle von der Eie die Hefle
beziehen die Senn
Ausdrüden mit
®. in ®.
ridgtüffet und dann falt aus
®. gi n V. 8. Wurde uns ihon
früher eingeſendet.
. 3. in — Haben beim
Berfa er angefran
‚in. &. Gelegenttid ju verwenden,
Dant.
% A. in Mt. Gewiß! Sollen wir
von Ihnen denen, daß nur derjenige
einen hinter der Thüre vermutet, der jelbit
dahinter ee bat?
A M. in V. Wenden Sie fih an
Iſchie ſche in ®e
au
as iſt ganz richtig, denn
das Urteil wird mit Nüdſicht auf die ver
ſchie denen Berbredyen nicht mit Müdjiht auf
die Ausführbarleit ausgelproden
&. in M. Veider nicht möglich.
Beanerin. Der Proben harre id
nod) immer! Prof, Dr. Weflely in Drauns
— Fin. Ihre Wü
n re uſche jollen,
—— möglich erfüllt werden. Die Bilder
welche Eie haben mödten, find ſchon
in Vorbereitung. Das franzöfifche und
engliihe Wert nad) dem einzigen daraus
mitgeteilten Eah zu erfennen, ift ein
Ding der Unmöglichkeit. Fraglic, ob dies
felbit der Verfafler fünnte. Yon M. wird
nichts fommen,
einem U
wa
Auflage 315,000; das verbreitetite
aller deutihen Blätter überhaupt;
außerdem erſcheinen — —
gen in breigebn fremden >praden,
Die Modenwelt.
Yuuftrirte Zeitung
ür Zoilette und
anbarbeiten,. Alle
14 Zage eine Num-
mer. Preis viertel»
jährlich M.1.25 -
75 fir. Yährlid
eriheinen:
24 Nummern mit Toi ·
fetten und Sand»
arbeiten, enthaltend
Ihreibung, welde
das ganze Gebiet
der Garberobe und a für Damen,
Mädchen und Anaben, wie für das zartere
Stindesalter umfafin, ebenſo Die N eibe
wäjdhe für Gerren und die Bett- und Tiſch ·
wãſche 2c., wie die Handarbeiten in ihrem
ganzen Umfange.
12 Beilagen mit etwa 200 Schnitimuſtern für
alle Gegenftände der Garderobe und etwa
400 Duftervorzeihnungen fir Weib» und
Buntftiderei, Namens-Ghiffren ꝛc.
Abonnements werben jederzeit angenommen bei
allen Buchhandlungen und Poltanftalten. —
Probe-Nummern gratis und franco durd Die
Grpebition, Berlin W, Potsdamer Stt. 38;
_ Bin I, Operngaffe 3. (969)
Taschen. Repeiitorlun der
Sprachen.
Latein. Französ. Englisch.
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Die 3 Sprach. zus. brosch. 1,50 M.
” „ cart. 3—M.
Von Dr. G. Traut.
Für Alle, welche in kürzester
Zeit diese Sprachen wieder-
holen wollen. [1158]
Darmstadt, bei C. Köhler’s Verlag.
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(E. Magquet) gı1se]
eidelder erfin C.
— F | ge 15,
III. Jahrgang, Geft 7
“ Weltpoft. *%
€. 6. in WS. Lafien eu fih den
Weihnadtö-ftatalog von A. F. Shmibt
in Erfurt fommen. Derielbe ift überaus
reigend außgeftattet mit einer Photographie
von Erfurt, um bie ſich getrodnete Blumen
winben,
3.0.3. ind. Wir entfinnen uns,
dem Inferat über nilotinfreie Gigarren
öfters in der Mluftrierten Zeitung begegnet
zu pe: vielleicht ſchlagen Eie dort ein»
mal nad. Senner behaupten, dieſe Er ·
aeugrifie entbehrten des rechten Genuffes.
in Nein.
8 eden follen weiter fein,
Dann fann Weltpoft mit hinein.
Die Langenſcheidt ·
ſche jet od. in enfalle vorzuziehen.
Die Zifferblätter find
mit ——— arde beſtrichen, melde
am Tage das Licht ein- und in der Nacht
wieder ausftrahlt. Stellen Eie am Tage
die Uhr recht int Licht, womöglich bireft
— — werden Sie die Leucht ·
taft jehr er
Ienotus. Das Bild ift gebradt
worden und jivar in dem Artikel über den
Maler v. —
€. A. in Schon im letzlen Hefte
fanden * Fa berieben, weitere jo
a5 i N aan el»
mann —— —— 5* hren Wunſch
zu
34 Es in. Verfaſſer ift im Dialeft
gebli
®- a. in 5ch · Y. Haben zuviel der»
gleiyen um neues acceptieren zu fönnen.
.B. in. Das fann nur aus
Verſehen geſchehen fein. Haben Eie wirf«
lich die ſchwierigen Rätiel nicht verftanden ?
Wo Außeraewöhnlices zum erſten mal
auftaudte wurbe e8 aud immer erläutert.
Abdonnentin in oshau. Wir
find von Ihrer guten Abſicht völlig über
jeugt und danfen herzlich dafür. ber
wir ſtehen zwifchen zwei ern und thun
wohl am beiten zu ſchweigen.
Dchonom auf dem Erzgebirge
a landwirticaftlice Prefje bei Parch in
erlin
Freund und Abonnent in Aal-
Aufta. Wilfen wir leider nidt.
Eand. med, in Erfangen. Bertha
Behrens. Kötſchenbroda bei Dreäden,
aa u 18.
28. 8. in 8. Ketten und Bude
ftabenrätiel nern acceptiert.
A hi in W. Une iſt ein Schrift
eller dieles Namens nicht befannt. Wiſſen
Sie nidyts Mäheres Über ihn?
A. in S. Jeder Keil der Zeichnung
bedeutet einen befonderen Buchſtaben
Jeanne E. in K. Die Antwort if
nicht vernefien, fondern nur aus Mangel
an Plah surüdgeftellt worden. Höchſt er-
freut, Dali aud Ahnen die Weihnachts
nummer fo qut gefallen hat.
in Empfehlenswert
find die automatic ſich verſchloſſen hal ·
tenden Tintenfäſſer und Aſchenbecher, die
9. Ehomburg & Eohn in Berlin an
fertigt. Siehe auch Anferat.)
5ch. 8 A. Welchen Einfluß
der Genuß der uffer auf die Geſundheit
des menſchlichen Körpers hat. Dieſe Frage
fann doch wohl nur ein um fein feiblidyes
Wohl allqzuſehr Belorgter ftelen; denn es
ift midht einzufeben, daß eim unſchuldiges
Badwerf wie Buffer, irgend welcht Nach ⸗
teile für den geſunden Menſchen haben
Könnte. „Allzupiel,* if allerbings, wie
in allen anderen Dingen „ungefund“,
— 7. Key fehlt uns die Zeit.
RA. 8. in®. Eol womöglih ge
ſchehen.
Weltpoſt. — Inferaten-Unhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft ?,
iR Weltpoft. 4
e Abdounentin in A. (ine
ut fichere Auskunft vermögen wir
midt zu erteilen; nad Ahnlichen Fällen
aber zu urteilen, ift der Zräger nenannten
Ramens nidt beredtigt, fih ©. v. D.
nennen. Die ficherfte Auskunft ers
mn Gie durch das Heroldsamt in
in.
Berlinersit,
351.26,
Königl., Grossherzogl., Herzogl. und Fürstliches
Hof-Pianoforte und Kunst-Institut
—— a — liefert anerkannt nur preisgekrönte und preiswerthe
viel wir wifien, vergeiffen, Sie müßten fie Pianinos, Flügel, Cottage-Orgeln
alfo antiquariſch juchen lafien. 2) Wenn
des Preifes fann Ihnen dort jede Eorti-
ments buchhandlung Beiheid neben,
„in 8. Dantend acceptiert
2
. & de. inB-Mm. © .
I) 1 »-ı en ac
3.8in . Die Babefaifon in Streuz«
BR A de Mai.
®». ®. in £®. Erſcheint nicht
3. in 4. BDanfend empfangen. Em ·
diehlung ſoll vorlommenden Falls gern
erfolgen.
—— solls. Wenden Sie ih ver ·
trauenövoll an einen guten, zuverlälfigen
Patentanwalt, der wirb Ihnen zur Aus«
führung und Patentierung verbelien.
Aleedlatt in Sannover. Studien⸗
föpfe haben wir no zahlreich in unierer
Mappe, Sie follen nädjftens wieder deren
zu jeben befommen.
2.3.in B. Beilen Dant für Ihre
Mitteilungen überden Norbdeutichen Lioud,
—* vortrefilihe Leiitungen niemand
t anerfennt als wir, In jenem Ar—⸗
titel follte vornehmlich das engliſch · ameri·
laniſche Dampfſchffweſen geihildert werden.
D. in A., P. ind. Beſten
. in WM. Leider läßt ſich Ihr
ch nicht erfüllen,
A. €. in WS. Das mit Kupfer le
gierte Silber befikt eine weniget alänt«
jende Farbe als das reine Silber, und
man ſucht daher die Oberfläche der Abernen
enftände mit einer Schicht von reinem
Silber zu überziehen — die Gegenſtände
werben an« oder weihgeiotten. Man cr:
bist nämlid die Begenftände zum ſchwachen
talüben und taudt fie 10—15 Mi
nuten lang in eine in ein kupfernes Gefäh
aebradhte Yöjung von 2 Zeilen Kochſalz, 11
Teilen Weinftein und 32-48 Zeilen Waſſer,
(amerikan, Harmoniums),
besitzt vorzügl. Empfehlunzen von Musik-Autoritäten, wie Ritter, Ehrlich,
Bott, Bemmert, Scheiffler etc., bietet die grössten Vortheile durch Zahlune®-
Erleichterungen und bei Baarzahlung durch Vorzugspreise. Längste Garantie,
kteparatur- Werkstätte. [574]
% Weltpoft. 4
Frage. (
®. £. in $S. wiünſcht zu willen,
warum man für „in einer Wode* jagt, „in
8 Tagen,“ während man für zwei Wochen
richtig 14 Tage gebraucht. Wer kann uns| RE
Auskunft geben ? |
Antworten.
(Frage in Wr. 12 des vor. Jahrg.)
die Zujammenjehung des Gaftropban von
Apotbefer I. Fürft in Prag betr.) Duaiiia«
holz 30 g, unreife Womeranzen 15,0 ge,
Salgantwurzel 4,0 g, Cardamomen 2,2 £,
Sternanisöl 10 Tropien, Pomerangen»
ihalendl 10 Tropfen, Spiritus 180,0 | BE
Waffer 120,0 g werde digeriert und filtriert.) |
50 g hiervon koſten 70 Areujer (öiterr.
Währ.) = 1,4 Mt. (#8 ift die Zuſammen⸗
fehung des Elixire gut, ift jedoch erjtändig
paraltifiert durch das zufammengejehte
Srangen-Elirir, wie es in jeder Apothefe
zu billigem reife zu haben ift |
|
Griechische
+ Weine. +
1 Probekiste
mit 12 ganzen Flaschen, 12 aus-
gewählte Sorten von Cephalonia,
Corinth, Patras und Santorin.
Flaschen und Kiste frei. Ab hier zu
19 Mk. 50 Pf.
1 Postprobekiste
mit ® ganzen Flaschen, herb und
süss. Franco nach allen deutschen
und österr. - ungar. Poststationen
gegen Einsendung von
4 Mk.
J. F. MENZER,
Ritter des K. Griech, Erlöserordens.
Neckargemünd.
(frage Nr, 1 im Heft 1.) GHattel|
Fleden, jog. Spiegel, auf Hammaarıre
stofflleidern entiernt man durch Abreiben
mit Spiritus wur
(Frage Nr, 2 in Heitl,) Um blind
neworbene Glasſcheiben zu reinigen, d. bh
fie von den mitroſtopiſchen Lamellen, welche
ſich teil durch den Einfluß des Lichte,
teils dutch Temperaturwechſel von der Ober⸗
fläche des Glaſes gelöft haben, zu befreien,
wendet man am beiten verbünnte Fluß—
jäure an, die man jo lange mittels eincs
Sdwammes aufträgt, bis die Scheiben!‘
volllommen Nar ericheinen, Zuletzt ſpült
His fie völlig weiß erfcheinen. Auch kann] man noch mit reinem Mahler nad. Da:| Magazin Ein-
man verbünnte Schwefeljäure (1:40) und] Berbünnen der Flußſaure darf nur in für t N
faure fchwefeljaure Aalilöjung anwenden, | Bei» oder Guttaperdjagefähen ausgeführt Bijouterien getragene
welche letztere ſchon bei gewöhnlidier Tem⸗
veratur binreihend wirt. Gewöhnlich
muß die Operation, nachdem der Genen:
Hand mit feinem Sand oder einer seien
Meifinnkrakbürjte abgerieben und dann
aeglübt worden iſt, wiederholt werden
Nah dem Anſieden iſt Die Oberfläche der
Silbergegenftände natürlich matt, weil
die Silberteilden durd die Operation ae:
wiſſermaßen voneinander getrennt werden;
durch Polieren wird fie aber leicht wieder
glänzend gemacht.
Alte treue Abonnenten in San-
nover. Die diesmal aus Haummanpel
auf der Hatiftifhen Tafel unbericdiihtin!
gebliebenen Frequenzangaben dertechniichen
hichuten, jowie der Fachſchulen Deutic-
lands werden auf der nädhitjährigen Tafel
in möglidhfter Pollftändigfeit vertreten jein
ii ». Die ee Adreſſe genünt
u
werden, auch ift Dringend Vorſicht geboten
daß die S icht mit den Händ — & Schutz-
ie saure mi mi en Banden u .
Perührung fommt, da fie höchtt ſchmerz ⸗ Double - Gold, Marke.
bafte und under Umſtänden jelbit nefäbrs . ®
lite Wunden erjrunt r ” lie 50,0008t° Panzerkette
kam am Ih. Janmnr $} zam Versand, [926]
IN DEN APOTHEREN: Panzer-Uhrketten
von echt Hold nicht au untericheiben.
5 Jahre ſchriſtliche —
derren⸗ſtette
— Sud 5 M.
vergold. Damen:Fette
n mit eleganter
Quafte
Ctüd 6 M.
Garantie-Schein: Den Belrag dieſer Uhr—
fette zahle ich aurüud, falle die elbe inner:
halb 5 Jahren ſchwarz wird,
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Berlin V. Leipsigerftraße 95.
Sable, Unerfennungsbriefe fliegen sur
Einficht vor,
Illuſtr. Katalog gratis
: . 8 0 8.
A. 4. in 2. Würde nur wenigen 75 PFENNIGE. Briefmarken und Banknoten aller Länder
Abonzenten gefallen. Ce | 1\ (WC it Zeblung
zaf Steno. Jeder Punkt bedeutet
— —344* mehr oder minder
ufinen Wie olung ber Punkte müſſen
Sie auf F —— raten.
—— . Mit Vergnügen
acceptiert. > a
Inferaten-Unbang zu
Dr. ftles' Diätetirche Hetlanftalt,
Dresden, Bachftraße 8. [1136]
Für Magen-, Herz, Unterleibs-,
Nervenleiden, Säfteverderbniß, Aus
fhäge, Wierenteiden, frauenfranf-
heiten. Proipecte frei. Schriften: Dr.ic#’
Diätet. Huren, Schroth’iche Kur :c.
3.Aufl. Pr.2M. Durch j. Buchh ſow. direkt.
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Io&, mit und ohne
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biumig, von M. 60 reiv. M. 80 pr.
100 2. an, ſuche Abnehmer.
Durd direften Antauf ber Trauben
am Stod u. Erfparung der Reiſeſpeſen
bin ich in der Lage, dem Käufer für
mäßige Preiſe Weine von hervorra-
gender Qualität liefern zu fönnen.
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tiert M. 12,
— Preislifte franlo ſaoni
. Schartiger, Heidelberg.
5 ee
Apfeljinen
—* oder Citronen von Meſ ·
Alluſtt —F &
na, feinfte, reife, gewählte
rüdhte, neuer Ernte, 35 —45 Etüd
in einem ſchönen 16. Bfunb-Rorbe,
m. Seegras gen. Froſtgefahr ash
her, veriendet nach ganz Deutidh-
land padung- und portofrei gegen
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verzuflt a fl.1,00 reip.fl.1,76p. Storb.
Anlehensloose.
Preisliste gratis. (906)
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Frankfurt a. 3 ==,
AltePfeifenraucher sollten d
versuchen, welche "Holländ,
Tabak ganz vorzüglich schmeckt u.
riecht. 10 Pfd, frco. kosten 8 Mk. bel
(1142) B. Becker, Seesen a II.
Lungen- und Halöfranfe (Zhwind-
fühtige) werben auf die Brodlire
„Ueber Heilwirfung und Anwen ⸗
dung d. Yilanze Homeriana” auf ·
merljam gemacht, welche über die, wäh
rend der Dauer v. 9 Dionaten einge»
holten, ärſtlich und amtlid konita-
tirten fenjationell. Seilerfolge eridhö-
pfende Darftellungen enthält. Genen
Einſendung von 10 Pf. Porto zu bes
ziehen durd die centrale Veririebs⸗
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J. Kiranöfer, Trie. (127
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Erfurt (Preußen).
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7 ; Cotillon-Bouquets von getrodneten Blumen, per
ei Did. 1, 2, 3, 4, 6 bi8 9 Marf.
) Cotillon-Bouquets von frifhen Blumen, per Did.
6, 9, 12 bis 30 Marlk.
Cotillon - Touren, Knallpapiere, Attrapen,
—— Kopfbedeckungen etc.
illi
Mein beſchreibender Pradt-Statalog über Ball-
- und Cotillon-Gegenstände mit über 500 muifter«
haften Jluftrationen, Grläuterungen für die neuen und
' neueiten Touren (über 150) und Geſellſchaftsſpiele ift
No, 252, Susasnas-Teuz erſchienen und ficht auf Verlangen franco und gratis
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Fin Abend in den 5chweizer Bergen.
Don Job, Bottfr, Steffan,
A. R. Rangabe.
vie Najade.
Novelle von A. R. Rangabé.
Deutſch von 3. Pielfd.
J.
ohn Littel flanierte am Themſe—
quai, die Cigarre im Munde, die
Hände in den Taſchen, die Augen
in die Weite gerichtet, ſorglos wie
der reichſte Lord der Regent—
Street. Aber die durchſcheuerten Ellenbogen
ſeiner Rockärmel, ſein abgenützter Hut, ſeine
zeriſſenen Stiefel ließen in ihm kaum einen
Sproſſen der üppigen Ariſtokratie erkennen.
Und John Littel war in der That von
niederer und armer Abkunft; aber ſeine Studien
in der Schule ſeines Heimatdorfes und die Lek—
türe einiger Marryatſcher Romane hatten ſeine
Ideen über die Sphäre, in der er geboren war
erhoben, und Littel glaubte ſich zu großen
Dingen beſtimmt.
Bevor er aber zu einem Romanhelden wer—
den konnte, mußte er leben; um zu leben, mußte
man eſſen; zum Eſſen gehörte Geld, und um
Geld zu haben, mußte man arbeiten, gleichviel
was. Littel fand dieſe Schlußforderung un—
widerleglich; infolgedeſſen entſchloß er ſich,
die Stellung eines Commis in einem Handels—
haufe anzunehmen. Das it, ſo dachte er, einnot:
wendiger Anfang, die erite Sprofje der Leiter,
auf weldhe man den Fuß ſetzen muß, um bis zur
höchſten Sprofje derjelben empor zu fteigen.
Diefe untergeordnete Stellung befriedigte
fürs erjte die Anfprüche Littels. Sie ernährte ihn.
Aber von jeher hatte Littel eine ganz bejon:
dere Neigung für das pale ale, das National:
bier der Engländer; jo verhunzte und parodierte
er auch den einzigen griechiihen Vers, den er
aus feinen Schultagen im Gedächtnis behalten
hatte: „Ariston men hydor* (Waſſer ift das
beite, was es gibt) in feinem engliſch-griechiſchen
Accent mit „Airaistos men tziuthos* (Bier
ift das beite, was es gibt). Er liebte es auch,
Zmeifellos waren das Schwächen ; er hatte aber
in feinen Romanen gelejen, daß alle großen
Männer der Vergangenheit und der „Zukunft
ftets ihre Schwächen gehabt haben und fie immer
haben werden. Das verhinderte die feinigen
nicht, fein Feines Gehalt bis zum legten Pfennig
zu verbrauchen. Und darum jehen wir ihn mit
Burslöerten Aermeln, abgenügtem Hut und
zerriffenen Stiefeln.
Das war nicht alles: aus feinen Lieblings:
büchern hatte er mehr als eine Zehre über die
Unabhängigfeit, die Freiheit, die Würde des
Mannes geihöpft.
Eines Tages ſchien ihm die Natur einiger
Wechſel, die er einzutragen hatte, etwas zwei—
deutig, und er faßte den Verdacht, daß fein
Prinzipaldem Sflavenhandel nit ganz fremd fei.
Ergriffen von edler Entrüftung lief er zu
ihm und erflärte ihm, er wolle nicht länger einem
Herrn dienen, der feine Mitmenjchen verhandle
und aus folhem Handel mit der Freiheit jeiner
Brüder Gemwinn zöge.
Der Kaufmann antwortete ihm mit einem
fo kräftigen Fußtritt, daß er die Treppe, den
Kopf zuerit, hinunter flog. Daher fam es, daß
unjer Held hier auf den Quais flanierte, die
Augen in die Weite gerichtet und die Cigarre
im Munde.
An dem jo Beichäftigten ging jemand dicht
vorüber und jtieß ihn heftig an die Schulter.
„Ich bitte taufendmal um Verzeihung, mein
Herr,“ fagte der Fremde.
„O, es tft nicht der Nede wert,” erwiderte
höflich Herr Littel.
„Glauben Sie mir, ic) ſtieß Sie nur aus
Berftreuung, ich war etwas abwejend, voll:
jtändig abjorbiert durch das prächtige Schaufpiel
| der zahllofen Schiffe. Täglich wenden fid) tau—
fende nad) den vier Himmelsrichtungen. Ich
im anregenden Kartenipiel Erholung von der | beneidete innerlih denen das Glück, welde
mechaniſchen Thätigkeit des Kopiften zu fuchen.
die Welt auf den Flügeln diefer Meeresvögel
Die Najade.
durdeilen fünnen. Empfinden Ste nicht ähn—
liches, mein Herr? *
Ich teile vollftändig Ihre Anficht, * antwor:
tete Littel. „ch würde mic) als den glüdlichjten
Menſchen ſchätzen, follte es mir je vergönnt fein,
jene unbefannten Küften zu befuchen, an denen
der civilifierte Menſch fo jelten landet, alle die
Wunder der Natur zu fehen und den Menſchen
unter allen focialen Bedingungen zu ſtudieren.“
„Ich begreife volltommen Ihre philoſophiſchen
Neigungen und ich teile ſie. Aber ſtellen Sie
ſich meinen Kummer vor! Eins der ſchönſten
Schiffe, das Sie am Ufer ſehen, jene Brigg dort,
iſt bereit, unter Segel zu gehen zum Zweck einer
ſolchen wiſſenſchaftlichen Reiſe. Ihr Kommandant,
mein ausgezeichneter Freund, Herr Spray, hat
mich aufgefordert, ihn zu begleiten. Unglücklicher—
weiſe halten mich dringende Geſchäfte zurück
und zwingen mich, dieſe herrliche Einladung
zurückzuweiſen.“
„Oh! Sie haben unrecht,” rief Littel enthu—
ſiaſtiſch. „Wäre ich an Ihrer Stelle, fein nod) fo
wichtiges Gefchäft fünnte mich zurüdhalten.“
„So hegen Sie den heißen Wunſch, eine
ähnliche Reife zu machen?“
„Das fragen Sie mih? Nichts fönnte mir
ein größeres Vergnügen gewähren.“
„In dem Falle,“ ſagte der Fremde, „war
es vielleicht ein glüdlicher Zufall, der mich mit
Ihnen zufammenführte. Ich habe Ihnen ſchon
gejagt, daß Herr Spray mein Freund ift. Und
jo glaube ih, daß ich ihm nicht vergeblich bitten
werbe, wenn ich ihn erfuche, Sie an Bord zu
nehmen. Warum nit? Was ift dabei zu ver:
lieren? Und er hat zudem nod den Genuß
Ihrer GSejellichaft.“
„Oh! mein Herr!” rief Littel ganz außer
fih, „dürfte ich auf folh ein Glück hoffen?
Aber nein; ih muß Ihnen aufrichtig bekennen . . .“
„Wenn Sie nit wollen...“ jagte der
Fremde.
„Nicht wollen? Wie! das iſt es nicht; aber,
erlauben Sie... ih muß Ihnen wohl geſtehen
... ich habe nichts, wovon ich meine Fahrt be:
zahlen könnte.“
„Und wo wäre denn die Gunft, die mir
Herr Spray gewährte, wenn er verlangte, daß
Sie die Fahrt zahlten. Ich verlange, daß er
Ste umsonst an Bord nimmt.”
„Aber... es ift nicht das allein. Ich habe
wahrhaftig nicht einmal fo viel, um ihm meine
Kost zahlen zu können.”
— — — —— — — —— — — —
123
„Ah!“ ſagte der Fremde nachdenklich, „das
iſt eine Schwierigkeit. Aber vielleicht läßt ſich
doch ein Mittel finden... Sie find ein junger,
kräftiger Mann von blühender Gejundheit. Wenn
Sie fih nun aus Liebe zur Wiffenfchaft ent:
ihliegen, von Zeit zu Zeit mit Hand anzulegen
.. . Aber was ſage ih? Ohne Zweifel behagen
Ihnen die feemännischen Arbeiten nicht.“
„Ganz im Gegenteil, mein teurer Herr,“
rief Littel auf dem Gipfel des Glüds, „im
Gegenteil, ich habe in ihnen eine gewiſſe Er:
fahrung. Ich verfichere Ihnen, daß ich nichts
Bejleres wünſche, als mir durch meine Arbeit
mein Brot und mein Bier zu verdienen. Ich
will Ihnen ſelbſt nicht verhehlen, daß es mein
Selbitgefühl beleidigte, wenn ich ihm zur Laſt
fein müßte.“
„Oh! dann wird fich die Sache wundervoll
einrichten lafjen,“ fagte der Fremde. „Sie
fönnen jelbit, außer auf Nahrung und Bier im
Ueberfluß, auf einige Belohnungen, auf ein
feines Gehalt rechnen. Wenn Sie alfo wollen,
fo holen Sie Ihr Gepäd; ich werde Sie hier
erwarten, und Sie gleich meinem reunde, Herrn
Spray, voritellen. “
„Mein Herr,“ antwortete Yittel, „mein
Gepäck, ich trage es an mir.“
„So gehen wir dann.“ Und fie ftiegen in
die nächſte Barle.
„Und wohin wird die Neife gehen?“
„Nach Afrika, nach all den Orten, an denen
die Natur einen würdigen Gegenſtand für das
Studium oder die Betrachtung bietet.“
Littel drückte ſtumm die Hand feines Be:
aleiters. Seine Dankbarkeit war jo groß, daß
er fie mit Worten nicht auszudrüden vermochte.
Der Kapitän Spray empfing den Freund
feines Freundes mit großer Yiebenswürdigfeit,
reihte ihn in feine Mannſchaft ein und verſprach
ihm, wunderbare Dinge zu zeigen, Dinge, von
denen er ſich feine Vorftellung machen fünne,
Am nächſten Morgen verließ die Najade
jtolz die Mündungen der Themje, alle Segel
vom Nordwind gebläht, und einen Monat fpäter
ducchfchmitt ihr Kiel die Wellen Senegambiens
angefichts der Weſtküſte Afrikas.
Während der Fahrt Schienen unferem Freunde
die Manieren des Kapitäns fchroffer als bei dem
eriten Zufammentreffen. Mehr als einmalhatte er
ihn geſehen, wie er, die Biftole in der Hand, dem
erſten, der ihm nicht gehorchen würde, drohte,
eine Kugel durch den Kopf zu jagen.
124 4. R. Bangabk.
Nach Littels Gefühl war das für den Chef
einer wiljenfchaftlichen Erpedition ein wenig zu
wild; aber jo find die Manieren der Seeleute!
Die Gewohnheit der abjoluten Gewalt macht fie
oft tyranniſch.
Uebrigens war ber gute Littel — ſtets be:
müht, feine Pflicht aufs Genauejte zu erfüllen
— jelten der Gegenftand des Zorns oder auch
nur der Beachtung feines Vorgeſetzten.
Eines Morgens bei Sonnenaufgang ftand
Herr Spray am Steuerbord der Najade und be-
obachtete aufmerkſam den verlaffenen Hafen, den
man joeben paffierte, und eine ſchmucke Goelette
in deſſen Hintergrunde, die dort vor Anfer lag.
Der von der Spite des großen Majtbaums
Hatternde Wimpel ließ in ihr ein Kriegsſchiff
erfennen.
Auch die Goelette ſchien die Brigg bemerft |
zu haben, denn ſchnell wurde ihre Flagge auf:
gehißt und ein Kanonenſchuß betätigte es. Die
Meerbrife entrollte die Falten des Banners.
Hätte die Najade irgend ein Intereſſe daran
gehabt, dieje ſymboliſche Frage nicht zu beant:
worten, jo würde fie jchleunigft ihre weißen
Flügel in voller Weite ausgejpannt und ihre
Spite ins Meer hinaus gewendet haben.
Anderfeit3 aber würde, wenn es ſich um
einen Schnelligfeitäfampf zwifchen den beiden
Schiffen gehandelt hätte, die fleine, einer
Schwalbe gleich leichte und jchlanfe Goelette
alle Chancen haben, den Sieg über ihren Gegner,
die ſchwere ſtarkbauchige Brigg, davon zu tragen.
Kein derartiges Intereſſe ſchien die Be:
wegungen der Najade zu beeinfluffen. Sie hißte
unmittelbar darauf, wie es einem Schiff zu:
fommt, welches weiß, wie es fi) zu benehmen
hat, die Kauffahrteiflagge derjelben Nationalität
auf und begrüßte die Goelette, die ariſtokratiſchen
Allüren der föniglihen Marine nahahmend,
jogar mit einem Kanonenſchuß.
Zu gleiher Zeit wendete fie, ihrem Bug
eine Neigung gleich einer graziöfen Berbeugung
gebend, zum Eingang des Hafens hin; bald lief
jie in denfelben ein und warf im Fahrwaſſer der
Goelette Anker. Die Schnelligkeit und die Ge:
nauigfeit, womit ihre Segel eingezogen wurden,
erregte die Bewunderung, vielleiht fogar die
Eiferſucht ihrer Nachbarin.
Das Boot der Najade wurde fofort ins
Meer gelaffen. Einige Minuten fpäter ftieg
Kommandant Spray, gefolgt vom Matrojen
Littel, die Treppe der Goelette hinauf.
„Habe ich die Ehre, mit dem Kapitän diefes
Schiffes zu fprechen?* fragte er einen jungen
Dffizier, der ihm entgegen fam.
„sa, mein Herr,“ antwortetediefer, „Arthur
Filthon, Kommandant der königlichen Goelette
‚Der Dauphin‘,*
„Welche Freude für Landsleute, Komman-
dant Filthon,“ rief Spray voller Wärme, „fich
hier in diefen wilden Ländern zu treffen, fo ent:
fernt von dem gemeinfamen Vaterlande, unferem
luftigen England !”
„Aber wünſchen Sie vielleicht meine Papiere
|
zu fehen?“
„Wenn Sie die Güte haben wollen,” fagte
der Kommandant, mit einer höflichen Verneigung
dad eifrige Anerbieten Herrn Sprays beant-
wortend.
Diefer zog fogleih ein goldgeftidtes Porte—
feuille aus feiner Tafche, nahm einige Papiere
| heraus und übergab fie dem Offizier. Der
| Kommandant des Dauphin las die Dofumente,
las fie dann noch einmal und noch ein drittes
Mal, und fhien ihnen eine Aufmerkfamfeit zu
ſchenken, die nicht befonders im Einklang ftand
mit der Nüdjicht, die man einem fo refpeftabeln
Schiffe wie der Najade ſchuldete. Endlich gab
er fie Herrn Spray, der geduldig wartete, zurüd.
„Nehmen Sie die Bapiere zurück,“ fagte er,
„Ste find in Ordnung.“
Und nachdem er einige Augenblide ge:
zögert: „Herr Spray,” fügte er hinzu, indem
er diefen prüfend anblidte, „Sie reifen alfo
zum Zwed wifjenfchaftlicher Forfhungen? Sind
Sie deffen ganz gewiß?“
„Ob id) es bin!“ ermwiderte der andere, die
Stirn runzelnd.
Aber gleich darauf lächelte er hinterhaltig
und jagte, fich zu Littel wendend: „Laſſen Sie
uns allein, fehren Sie zur Barfe zurück.“
Dann trat er auf den Kommandanten zu.
„Kapitän Filthon,“ fagte er in geheimnis-
vollem Ton, „ich darf mich ohne Furcht einem
Dffizier Ihrer Majeftät anvertrauen? Kennen
Sie diefe Unterſchrift?“
Und er überreichte ihm ein anderes Papier.
„Es ift die des Ministers der Kolonieen, “
fagte Filthon.
„Ganz ridtig. Sie fehen: der Vorwand
für meine Fahrt ift eine Erpedition zu wiſſen—
ihaftlichen Forihungen; aber der geheime Zwed
meiner Sendung ift der, die franzöſiſchen Nie:
derlafjungen und Faktoreien längs der ganzen
Die Najabe.
afrifanifchen Küfte zu beobachten. Sie werben
begreifen, daß man ein Kriegsſchiff nicht, ohne
Verdacht zu erregen, mit einer folhen Aufgabe
betrauen fonnte. So haben Sie die Erflärung
für das, was Ihnen an meinem Schiff nicht
ganz in der Ordnung erfcheinen mag.“
„Ah! in dem Fall verftehe ich ... das er:
klärt gewiß... .“
„Und nun werden Sie erlauben, daß ich
mich zurüdziehe, nicht wahr, Herr Kommandant?"
fuhr Spray fort. „Aber da ich das Glüd hatte,
Ihnen bier zu begegnen, enticheide ich mich,
für diefe Nacht hier im Hafen zu bleiben. Darf
ih hoffen, daß Sie mir heute abend gegen
acht Uhr mit Ihren Offizieren die Ehre erwei:
fen, an Bord der Najade ein gutes Roaſtbeef
und einen Plumpudding zu eſſen?“
Der Offizier fchien einige Augenblide zu
zögern; dann aber, als hätte er feinen Ent:
ihluß gefaßt, antwortete er: „Mit großem
Vergnügen, mein Herr! Auf acht Uhr aljo.
Und id) bin um jo mehr erfreut, ald wir uns
auch morgen noch nicht trennen werden. Auch)
ih fahre morgen nah Süden, und fo werde
ih die Ehre haben, als Bededung mit Ihnen
zu ſegeln.“
„Welch' unerwartete Freude für mich!” rief
Kapitän Spray. „Wie munter werden wir
reijen !*
Darauf zog er fich zurüd, zwiſchen den
Zähnen murmelnd: „Diefer Herr fieht mir
ganz danad) aus, als beargwöhne er die Ne:
Ipeftabilität meiner armen Najade.”
An Bord zurüdgekehrt, gab er die Befehle
für den abendlichen Empfang.
Der Kapitän Filthon feinerfeits rief feinen
Lieutenant. „Die Phyſiognomie des Schiffes
dort will mir nicht recht gefallen,” fagte er zu
ihm. „Wie denfen Sie darüber, Lieutenant
Saltwater?“
„3a,“ antwortete dieſer; „es it ſtarkbau—
big; und dann fcheinen mir an feinen Maſten
mehr Lappen zu hängen, als es fich für ein
ernftes und vernünftiges Schiff gehört. Ah,
ah! Sie haben nicht unreht, Here Kapitän.
Aber haben Sie denn feine Papiere nicht ge-
jehen ?*
„Sie find in Ordnung, ich fage nicht nein,”
antwortete Filthon. „Er hat fogar geheime
‚nitruftionen. Aber das alles ift mir nicht
ganz Far. Ein Zeugnis kann gejtohlen oder
gefälfcht fein. Er hat uns zu heute abend zum
125
Souper zu fih an Bord geladen. ch will, daß
wir hingehen. Da foll es ihm nicht gelingen,
uns zu täuſchen.“
„Und wenn er uns nachts entwiſcht? ...“
fagte Lieutenant Saltwater.
„Sie haben recht,“ antwortete der Kapitän.
„Befehlen Sie, daf alles bereit jei. Sobald
wir zurüdgefehrt find, lichten wir die Anker
und pojtieren uns vor dem Eingang des Hafens.
Und ich garantiere Ahnen, daß er uns nicht
entwijcht; er müßte fih denn in eine wirkliche
Najade verwandeln. ”
— — *
II.
Abends ließ Kapitän Spray, der eine Ehre
darin ſuchte, ſeine Gäſte aufs beſte zu empfan—
gen, alle ſeine Boote ins Meer. Er ſelbſt ſetzte
ſich in eines derſelben und fuhr an die Goelette,
um in Perſon die Herren Offiziere zu geleiten.
Es waren ihrer vier an Bord des Dauphin.
Der Kapitän Filthon nahm drei von ihnen mit
fih. Der vierte, ein Ajpirant, der die Schiffs-
wache hatte, mußte troß alles Drängens des
gaftfreundlichen Herrn Spray an Borb des
föniglihen Schiffes bleiben.
„Wann foll id) die Barfen fhiden, um Sie
zurüdholen zu laſſen?“ fragte der Afpirant.
„Oh! Sicher nit vor Mitternacht,” rief
Herr Spray.
„Alſo um Mitternacht,“ jagte der Kapitän
Filthon.
Die Beſucher wurden auf dem Deck der
Najade mit der Muſik der Nationalhymne „God
save the king* empfangen. Herr Spray hatte
diefe Schiffstapelle aus allen Dilettanten an
Bord zufammengeitellt.
Dann ließ er ein Feuerwerk abbrennen, das,
obwohl es nur ein ſehr einfaches war, doch durd)
die Neuheit des Schaufpiels die Bewohner die:
jer wilden Einöden in Erjtaunen ſetzen mußte.
Schließlich bat er feine Gäfte, in den Salon
hinabzufteigen. Das Gemach war glänzend er:
leuchtet, der Tifch lururiös ferviert.
„Ste haben ein ſchönes Schiff, Kapitän
Spray,“ fagte Filthon. „Wollen Sie nicht
die Gefälligteit haben, uns dasjelbe im Detail
bewundern zu laſſen?“
„Es tt nicht eigentlich ſchön, Kapitän Fil-
thon,“ antwortete Spray; „es ift zu rund, zu
mweitbauchig. Ich habe mir vorgenommen, e3
126
künftig nicht wieder zu benützen; aber Sie wiſſen,
weshalb ich für diesmal feine unſchöne Geſtalt
anderen eleganter und leichter gebauten vor:
ziehe. Aber mit dem größten Vergnügen werde
ih Ihnen das Schiff zeigen. Da Sie dasjelbe
der Ehre Ihres Beſuchs gewürdigt haben, würde
es mid) glücklich mahen, wenn Sie fi der
Mühe unterziehen wollten, dasjelbe vom Mait:
forb bis zum Kiel zu befichtigen. Sie werden
erkennen, dab meine Najade beſſer iſt, als fie
ausfieht. ch werde mir nach dein Souper die
Erlaubnis erbitten, Ihnen auf derjelben die
Honneurs zu machen.”
Das Bankett war ausgezeichnet und dehnte
ſich bis in die Nacht hinein aus. Als es beendigt
war, als die Flaſchen wohl zwanzigmal herum:
gereicht waren, erhoben ſich die Offiziere, und
der Kommandant Filthon jprah den Wunſch
aus, das Schiff befichtigen zu dürfen, bevor er
auf das feine zurüdfchre.
Lichter!“ rief der Kapitän Spray.
Sogleich traten Littel und ein anderer Ma:
trofe, Laternen in den Händen tragend, vor.
Sie ſchritten voran und unter ihrer Yeitung be:
gann die Befichtigung des Schiffes.
Mit Ausnahme der Kapitänsfajüte bildete
der ganze Raum zwifchen den beiden Verdeden
einen einzigen großen Saal. Auf dem Boden
und in den Wänden desjelben waren in einer
Entfernung von je drei Fuß untereinander feite
eiferne Ringe angebradt.
„Was bedeutet diefer Saal und was dieſe
Ringe?“ fragte der Kommandant Filthon, Spray
erftaunt anblidend.
„Sie find für feltene afrifanifhe Tiere be:
jtimmt, die ich auf meinen willenschaftlichen
Erkurfionen erwerben und lebend dem Londoner
zoologischen Garten überliefern will,“ antwortete
Spray. „Das heit, Kapitän,“ fügte er mit
leifer Stimme hinzu, „das bezwedt nur, andere
auf eine falihe Fährte zu führen. Sie erraten,
wen.“
„sch errate es,” antwortete Filthon und
wars dem Lieutenant Saltwater einen aus-
drudsvollen Blid zu, den diefer mit einem be:
jahenden Neigen des Kopfes beantwortete.
Von da gingen fie in den unterjten Schiffs:
raum und in die Pulverfammer.,
enormer Haufen von eijernen ftarfen Ketten.
„Und dies, was bedeutet das?“ fragte der
Offizier.
Der erite
Gegenftand, auf den ıhre Blide fielen, war ein
U. NR, Rangabi.
„Ah! Habe ic) Ihnen mein Abenteuer nod)
nicht erzählt?“ fragte lächelnd Kapitän Spray.
„Denken fie nnr, vor einigen Tagen begegneten
mir auf der Höhe von Senegal einem Schiff,
deſſen Aeußeres uns ſehr verdächtig erichien.
Auf zehn Meilen roh man den Händler mit
Menſchenfleiſch. Ich näherte mich ihm und rief
es an. Der Kapitän fragte mich, ob ih die
Erlaubnis habe, auf feindliche Schiffe zu kreuzen,
und mit welchem Recht ich ihn anriefe. Ich
zeigte ihm meine Kanonen, und gegen dieje Do-
fumente hatte er nichts einzumenden, Sch be:
mächtigte mich feines Steuers, jchiffte die
Neger an dem Drte, wo er fie aufgenommen,
wieder aus, und nadıdem ich die Ketten fonfis-
ziert und zu mir an Bord hatte bringen lajjen,
ließ ih ihn jelbit das Weite fuchen, da ich
in der That nicht die Vollmacht hatte, ihn zu
hängen.”
„Wir aber, wir haben diefe Nutorifation,
Kapitän Spray,“ ſagte der Offizier.
„Nun dann hängen fie ihn, wenn fie ihn
haben,” jagte Spray mit halb naivem halb
ironiſchem Lächeln.
Littel drehte fih um und blidte erftaunt
auf feinen Chef. Er begriff den Zweck diefer
ganzen Lüge nicht.
„Uber wijlen Sie, Herr Spray,“ bemerfte
der Kommandant des Dauphin, „Sie thun nicht
flug daran, eine jolhe Beute an Bord zu be:
wahren. Sie fünnte peinlihen Verdacht erregen
' und dem Nuf der Najade fchaden. Ich würde
!
Ihnen raten, dies Eifen an Bord des Dauphin
zu deponieren. “
„Ih glaube wahrhaftig, Sie haben recht,“
fagte Spray, „und ich werde Ihrem Rat folgen.“
„Jetzt aber, meine Herren, ift es Zeit, auf:
zubrechen,“ ſagte Filthon zu feinen Offizieren.
„Morgen alfo, Herr Spray, werden wir ge:
meinfam reifen. Es iſt ſogar wahrſcheinlich,
daß wir noch zahlreihere Geſellſchaft finden.
Schiffe der föniglihen Marine und zwar folche
vom größten Kaliber, liegen in diefen Gegenden
vor Anker. ch zweifle nicht, daß fie, wenn ich
ihnen einige Signale gebe, die Gefälligkeit
haben werden, uns zu begleiten und die Ein:
förmigleit unferer Reife zu unterbrechen.”
„Ah! ! welch! ein Glück!“ rief Kapitän Spray.
„Brechen wir auf,” fagte der Kommandant
des Dauphin.
„Die Barfe des Kapitän Filthon!“ rief
Spray mit lauter Stimme,
Die Najade.
„Noch nicht angekommen,“ antwortete eben:
fo der wachhabende Matroje.
„Wie! iſt das möglich!” fagte Filthon.
„Mitternacht ift doc) vorüber.“
„Oh! das Unglüd ift nicht groß,” fagte
Spray. „Gedulden Sie fi, fie wird fommen.
So habe id) das Vergnügen, einige Augenblide
länger Ihre Gegenwart zu genießen.“
Daraufhin nahmen fie wieder Platz an der
Tafel und leerten noch einige Flaſchen mouſſie—
renden Porters. Eine Stunde nad) Mitternacht
war die Barfe noch immer nicht erfchienen. Der
Lieutenant Saltwater verlangte ein Spradrohr
und es an den Mund jegend, rief er dreimal:
„Oho, vom Dauphin! Die Barke des Komman-
danten.“
Und dreimal wiederholte das Echo der
Berge rings umher die Worte.
„Nun kann es ja nicht mehr lange dauern,
ſie muß bald kommen,“ ſagte Herr Spray.
„Setzen wir uns.“
Bei jedem Anſchlagen der Wellen lief der
Lieutenant hinaus, um nachzuſehen; aber wie—
der verging eine halbe Stunde und die Barke
lam nicht.
„sh weiß nicht, was ich davon denken ſoll,“
ſagte Kapitän Filthon. „An Bord des Dauphin
ſchläft alſo alles, und auch Greedyfiſch wird
eingeſchlafen ſein! Kapitän Spray, werden Sie
mir Ihr Boot leihen?“
„Das Boot ins Meer!“ rief Kapitän
Spray.
Wenige Augenblide fpäter verabichiedeten
fih der Kapitän und die Offiziere des Dauphin
vom Kapitän der Najade bis zum nächſten
Morgen, an dem er, wie Herr Filthon wieder:
holte, das Vergnügen haben würde, gemeinfame
Neife zu mahen. Eie jtiegen in die Barke und
jteuerten auf die Stelle zu, an der der Dauphin
vor Anker gelegen hatte.
Die Matroſen ruderten kräftig; zwanzig
Minuten waren vergangen, da ſtießen fie ans
Land.
„Was heißt das?“ rief Filthon zornig.
„Lieutenant, Sie ſitzen am Steuer, aber Sie
haben jchlecht gelenkt, mein guter Yyreund. Ge—
ftehen Sie nur, daß der Porter Ihnen bie
Windrofe im Kopf verwirrt hat. Laſſen Sie
mir das Steuer!“
„Herr Kommandant,” antwortete der Of:
fizier, um zu bemeijen, daß er nicht vom Wein
benommen jei, „da ift der Thron der Kaſſiopeia
127
und da ber Krebs, dort müßte folglich der
Dauphin liegen. “
„Sie haben recht,“ ſagte der Kapitän; „dort:
hin werde ich wenden.“
Er wendete in der That dorthin; aber er
fehrte bis nahe zur Najade zurüd, ohne auf
den Dauphin zu ftoßen. Nun lavierte er nad)
allen Richtungen hin. Keine Spur der Goelette.
„Was für eine verteufelte Geſchichte! was
bedeutet das?”
„Mir fällt eben ein,“ bemerkte Saltwater,
„ich habe dem Kadetten Greedyfifch den Befehl
gegeben, die Anker zu lichten, damit wir uns
nad unferer Nüdfehr vor den Eingang des
Hafens legen fünnten. Hat er mich vielleicht
falſch verftanden und follte unverzüglich los—
gedampft fein?“
„Das wird es zweifellos fein. Er iſt fo
unbejonnen, diefer Maſter Greedyfiſch,“ ant:
wortete Filthon, und mit einem heftigen Nud
das Steuer nad) rechts drehend, wendete er das
Boot gegen den Eingang des Hafens hin. Aber
die Nuderer waren ſchon müde und die Ent:
fernung noch jehr beträchtlih. Es waren ihrer
ſechs; drei von ihnen ruderten, die anderen
follten ihre Kameraden jpäter ablöjen. _ So
wurde die Schnelligfeit des Bootes um die
Hälfte verringert, und als man endlich an den
Eingang des Hafens fam, begann es fchon zu
tagen. Die Offiziere ließen die Blide rings:
umberfchweifen, aber nirgends entdedten fie
den Dauphin.
Filthon war ganz außer fih. Er fonnte
nit daran denken, auf diefem gebredplichen
Fahrzeug ins Meer hinauszufahren; das er:
laubten weder die erjchöpften Kräfte der Ma-
trojen, noch der Zuftand des Meeres. Er jah
ſich alfo gezwungen, zur Najade zurüdzufehren.
Aufs äußerſte überrajcht hörte Spray den
Bericht der Offiziere an.
„Es iſt ganz Far,“ ſagte er, „daß ſich Ihre
Mannſchaft empört hat. Aber feien Sie ruhig,
mein teurer Filthon: fo forpulent meine Najade
ift, fie hat einen raſchen Schritt, fie fönnte noch
dem Achill damit aushelfen. Die Burſchen
mögen frühftüden und ein wenig ausruhen,
fie haben ja die ganze Nacht gearbeitet. Und
id werde mich jtärfen, um den Dauphin ein:
zuholen, “
Das Frühftüden und Ausruhen der Bur-
ichen und das Lichten der Anfer nahm den
halben Tag in Anſpruch. In jeder Minute
128
der ſechs Stunden ſtießen die vier Offiziere im
Chor ein energiſches Goddam! aus, und in den
Zmifchenpaufen zermarterten fie ihr Gehim,
um zu begreifen, was aus dem Föniglichen Schiff
geworben jei; aber fie begriffen es dennoch nicht.
Aber nichts zwingt uns, gleichfalls in ſolcher
Ungemwißheit zu verharren. Eine Stunde, nad:
dem die Offiziere mit dem Kapitän Spray den
Dauphin verlafjjen hatten, hörte man von ber
Goelette aus das Geräuſch der Nuder einer fich
nähernden Barfe. Die Mannfchaft des Dauphin
ichlief; die Wache rief: „Wer da!“
Die Barfe legte darauf auf Badborbfeite an.
„Wir fommen vom Kommandanten Filthon,“
fagte eine Stimme. „Ich habe dem Herm
Dffizier der Schiffswache einen Brief zu geben
und ihm einige Worte zu fagen.“
Das Individuum, welches eben jo geſprochen
hatte, ftieg in Begleitung zweier anderer Ma-
trofen auf das Ded und übergab Herrn Greedy—
fiich, der vorgetreten war, ein Schreiben. Aber
in dem Augenblid, wo diefer die Botjchaft las,
jtürzte ji) der Seemann, der fie ihm überreicht
hatte, auf ihn, warf ihn mit herfulifcher Stärke
zu Boden, ſchloß ihm mit der einen Hand den
Mund und feste ihm mit der anderen die Piftole
auf die Bruft. „Wenn Sie ſich rühren, wenn
Sie einen Schrei ausſtoßen, find Sie verloren,
Sie und Ihre ganze Mannfchaft,* fagte er.
Die beiden anderen Matrofen ftürzten ebenfo
auf die Mächter, entwaffneten fie, fnebelten fie
und banden ihnen die Hände.
Gleichzeitig famen noch zwei andere Barfen
heran, die fich bis jet im Dunfel verborgen
gehalten hatten. Ihre Ruder waren mit Segel:
tuch ummunden, damit fie geräufchlos gegen die
Wellen fchlugen. Sie flammerten fih an der
anderen Bordjeite des Schiffes feit, und bald
waren ungefähr zwanzig bis zu den Zähnen be:
waffnete Männer aus den drei Fahrzeugen ge:
ftiegen und aufs Ded geſprungen. Die einen
ftürgten in das Arjenal, um ſich der Waffen zu
bemädtigen, die anderen aufs Zwijchended, wo
fie die Mannjchaft, die ihrer Anführer und aller
Verteidigungsmittel beraubt war, ergriffen und
banden.
U. R. Rangabe.
mit gejpanntem Hahn in der Hand, wurden als
Wache aufgeftellt, acht andere lagerten fich auf
dem Verded, der Reit beftieg wieder die Barfen
und fehrte geräufchlos in dem Augenblid, als
Kapitän Filthon und feine Tifchgenofjen die
erite Flafche Champagner leerten, zurüd. Die
aht an Bord des Dauphin gebliebenen Ma-
trofen Sprays durchſchnitten mit einem Arthieb
das Anfer und bald verließ die Goelette, von
einer friſchen Brife, wie fie in diefen Gegenden
jeden Abend vom Lande her weht, getrieben,
den Hafen und fuhr Scharf nad Norden.
Das war der Grund, warum Filthon fie
vergeblich fuchte.
Endlich, gegen Mittag, fette ſich auch die
Najade in Bewegung. Anfänglich ſchien ihre
Schnelligkeit nit dem Lobe ihres Komman-
danten zu entſprechen, zwei Stunden lang trieb
fie jchwerfällig im Golf dahin, ehe fie das
äußerfte Vorgebirge erreichte, welches die Aus:
ficht nach Norden abſchließt. Hier aber wendete
fie nad) Süden; und es jchien, als zöge fie den
Seitenwind dem ihr im Rüden wehenden vor.
Denn kaum hatte fie diefe neue Richtung ein:
geſchlagen, als fie auch gleich einem faulen
Pferde, das die Sporen in den Flanken fühlt,
ihre Schnelligkeit verdoppelte, und mehr als
zehn Knoten in der Stunde zurüdlegte.
So fegelte fie den Neft des Tages und die
folgende Nacht. Der Dauphin war weit und
breit nicht zu erbliden.
„Kapitän Filthon,“ fagte Spray zu dem
Offizier, als fie fih bis auf geringe Diftance
einem öden Landvorſprunge genähert hatten,
„wie Sie wiffen, geht meine Route nach Süden,
der Dauphin aber fcheint nicht diefe Richtung
genommen zu haben, wir hätten ihn ſonſt ein:
' geholt. Fahren Sie noch weiter mit uns, fo
Im Augenblid waren der Offizier, die Wade |
und die Mannichaft in den Schiffsraum ge:
worfen; man jchlof fie ein und drohte, daß fie
bei dem geringiten Verſuch, denfelben zu ver:
lafien, über die Klinge fpringen müßten. Die
Luke wurde geſchloſſen, zwei Männer, die Biftole
entfernen Sie fih vorausfichtli immer mehr
von ihm, und das kann Ihnen nicht angenehm
fein. Das bejte, was Sie thun fönnen, ift, Sie
erwarten hier irgendwo Ihre Goelette.“
„Nein, mein Herr,“ antwortete Filthon.
„Im Namen der Königin befehle ich Ihnen,
das Schiff zu wenden, damit wir den Dauphin
in einer anderen Richtung ſuchen.“
„Mein teurer Herr Filthon, ich möchte
mich ihnen gern gefällig zeigen, aber Sie wiffen,
meine Inſtruktionen . . . Es ift mir unmöglich).
Ich darf unglüdlicherweife feinen anderen Be:
fehlen gehorchen, alö denen meiner Inſtruk—
tionen.”
Die Najade
Dann rief er mit jchallender Stimme:
„Ein Boot ins Meer!” Und fih zu feinem
Lieutenant wendend, fagte er: „Sorgen Sie
dafür, daß man für einige Tage ausreichende
Lebensmittel in das Boot ſchaffe. Die Herren
werden vorausfichtlich feinen Markt in der Nach:
barjhaft finden. Nehmen Sie aud Waffen.
Sie werden ihnen diejelben übergeben, wenn
jie auf feitem Lande find. Ich zweifle nicht
daran, daß Herr Filthon die Jagd liebt. Möge
es Ihnen gut gehen, meine Herren! Seien Sie
verjichert, daß es mich ganz troftlos macht, jo
bald Ihrer liebenswürdigen Gefellichaft beraubt
zu fein.“
Die Offiziere ſahen ein, daß unter ſolchen
Umpftänden ein jeder Widerftand unmöglich und
Läderlih fe. Ohne ein Wort weiter zu ver:
lieren, ftiegen fie in das Boot und wurden mit |
ihren Waffen und ihren Vorräten an dem eriten
Felfen des Vorgebirges ans Land geſetzt.
Als das Boot wieder zur Najade zurüd:
gelehrt war, hißte Herr Spray die Flagge auf
und ließ den Kommandanten ber föniglichen |
Goelette Dauphin reglementmäßig falutieren.
Drei Tage jpäter lief die Brigg in einen
Guchtenreihen, tief ins Land einfchneidenden |
Hafen, der hinter einem Labyrinth von un:
zähligen Heinen Inſeln verborgen lag, ein. Ein
fremdartiges Signal wurde bei der Einfahrt |
in dieſen Hafen auf der Höhe ihres Majtes
befeitigt: ein in zwei Hälften geteiltes Faß, an
dem ein langer ſchwarzer Lappen hing. Bald
darauf wurde ein gleiches Signal auf einem
der umliegenden Hügel fihtbar. Darauf jtieg
Kapitän Spray in fein Boot und lieh fich,
während das Schiff Anker warf, ans Yand
fahren. Die anderen Boote der Brigg folgten
bald dem feinen.
Wie groß war die Freude John Littels,
der feinen Chef begleitete, endlich wieder fejten
Boden zu betreten! So jollte er denn endlich
diefes jungfräuliche Land fehen, diefen Boden,
dem die menschliche Werdorbenheit noch nicht ihre
Spur aufgeprägt hat! Ganz in der Nähe jollte
er die wilden Bewohner diefes Landes, diefe
erjtgebornen Kinder der Natur und der rei:
heit beobadıten.
Die Barke des Kapitäns bog von der Küjte
aus in einen ziemlich breiten Yluß ein und
fuhr denfelben zwiichen niedrigen und waldigen
Hügeln eine halbe Stunde weit hinauf. Sie
war mit Kiften und Tönnchen beladen.
129
Man war faum gelandet, als ein riefiger
Neger aus dem Gebüfc trat und den Reifen:
den entgegenfam.
„Mongas ijt willkommen!“ fagte der Kapi:
tän Spray. „Nun, haben wir die dreihundert
Stüd Ebenholz? Sieh’ her, ich habe mein Ver:
iprechen gehalten.“
Und er zeigte ihm die Kiſten.
„Dreihundert, nein!“ fagte der Schwarze,
| indem er englisch zu radebrechen verfuchte, „drei:
hundert, nein, nur zweihundertundneungig. *
„Wie, Sir Mongas, deine Majejtät hält
ihre Verpflichtungen nicht?“
„IH, Majejtät, halte Verpflichtung,“ ant-
wortete Mongas, „aber ih, Majeftät, Fönnen
| nicht mehr. Bin gegangen nachts, tief nachts
Königreich Hotto-Ho. Arme Ebenholz jchliefen.
Waren dreihundertundfünfzig. Ich drüber her:
gefallen, fie lebend zu fangen. Schwarzer Teufel
aufgewacht und gefämpft wie Hund. Er ge:
‚ tötet zwanzig von Mongas, Mongas getötet
ſechzig von Hotto-Ho. Dreihundertundfünfzig,
verloren ſechzig, bleibt zweihundertundneungig.
' Da find fie alle.“
t Er führte den Kapitän hinter einen Felfen,
und John Littel jah voll Entſetzen auf einer
‚ Heinen Ebene mit gebundenen Händen und
Füßen die zweihundertundneunzig Hotto-Ho,
die Gefangenen des Königs Mongas, bewacht
von dreißig Wilden feines eigenen Stammes.
„Du haft mir zweihundertundneunzig zu:
geführt,“ fagte er zu Mongas. „Hier find
1450 Liter Branntwein, fünf Liter fürs Stüd.
Hier find auch, wie es abgemacht war, die
Stoffe zu den Schürzen und die allerfeinften
Halsbänder, alle aus rotem und blauem Glas.“
Mongas betrachtete diefe foftbaren Gegen:
ftände, bejonders aber jeinen geliebten Brannt:
wein mit ftumpfjinnigem Yäceln.
„Seht, ihr da, vorwärts!” jagte ber
Kapitän zu feinen Leuten, indem er ihnen
die am Boden liegenden Neger zeigte.
Die Matrojen holten fofort aus dem Boot
Holzftüde, die der Yänge nah in der Mitte
gejpalten waren. In denſelben befanden ſich
immer in der Entfernung von je einem Fuß
voneinander runde Deffnungen. Durch jede der:
jelben wurde der Hals eines Schwarzen ge:
ſteckt und dann darin feit geſchloſſen. Dasjelbe
| Schandholz genügte für acht bis zehn dieſer
Unglüdlichen. jeder Matrofe nahm das vor:
dere Ende eines diefer feltfamen Joche auf die
17
130 A. R. Bangabe.
Schulter und führte dies menſchliche Vieh daran „Sind fie eingeſperrt?“ fragte der Kapitän,
hinter ſich her. „Ja.“
Littel war ſprachlos bei dieſem Anblick. „Iſt noch Platz übrig?“
Ihm dünkte, daß dieſe Anordnungen nichts mit „Für die zehn, die uns fehlen.“
wiſſenſchaftlichen Forfhungen gemein hätten. „Und meint Ihr nicht, daß wo Platz für
Seine Beitürzung jtieg aber aufs hödhjite, als | zehn ift, auch noch wenigſtens für dreißig wäre?“
Kapitän Spray ihm in dem Augenblid, in wel: „Wie foll das möglich fein?“ jagte der
chem ſich die erite Abteilung diefes ſcheußlichen Lieutenant. „Wir geben jedem nur ein und
MWarenzuges in Bewegung ſetzte, eine Peitſche | einen halben Fuß Raum in der Breite; in der
mit den Worten gab: „Begleite diefe hier, und | Länge ſtoßen die Füße aneinander.“
wenn das Ebenholz nicht marſchieren will, fo „But, qut, feien Sie nicht zu gemifjenhaft.
fchlage zu, bis das Blut fließt.“ Eie mögen fi ein wenig zufammenprefjen; nur
Alles Gute in Johns Seele empörte fi ‚ um zwei Zoll follen fie aufeinandergejchoben
bei diefen Worten. | werden. Mas find zwei Zoll? Dadurch gewin—
„Ich, ich jollte diefe Unglüdlichen ſchlagen!“ | nen wir vierhundert Zoll, dreiunddreißig Fuß,
„Du wirft fie Schlagen, du wirft ihnen das | aljo Platz für zweiundzmanzig Stüd.“
Fleiſch zerpeitihen. Siehſt du, der erfte, der | „Aber wo finden wir diefe zweiundzwanzig
da, will nicht jchnell vorwärts.“ Stuück?“ fragte der Lieutenant ſchon volltommen
„Aber feine Füße find ja durch den Strid | überzeugt.
angeſchwollen!“ „Das werden wir ſehen,“ antwortete Spray,
„Schlag zu; ich will nicht ſo viele Worte.“ und trat wieder zu Sr. Majeſtät dem König der
„Niemals!“ rief Littel, die Peitſche weit Mongas.
fortſchleudernd. „Ich ſchlage nicht Geſchöpfe „Lieber Mongas,“ ſagte er zu ihm, „ich
Gottes, Menſchen, die unabhängig und frei ge- habe noch Branntwein übrig, die fünfzig Liter,
boren ſind, unſeresgleichen und unſere Brüder.“ die ich dir als Preis für die zehn Schwarzen,
„Ah! du ſchlägſt nicht?“ | die du mir nicht verfchaffen fonnteft, beftimmt
„Nein, ich werde nicht chlagen. Und nun | hatte. Wir find Freunde. Nimm die fünfzig
thun Sie, was Sie wollen, Kapitän Spray.” | Liter! Ich will nicht knickerig fein. Rufe deine
„Wir werden fehen,“ rief diefer wütend. | Leute her, damit wir ihnen einfchenfen.“
„Werft diefen Mann zu Boden.“ | Die dreifig Neger, Mongas jelbit, jeine
Sofort ergriffen die Matrojen Littel und | Frau und feine Tochter festen fih um den
warfen ihn nieder. Kapitän Spray. Man jchlug das mit Brannt-
„Bieht ihm die Kleider aus und gebt ihm | wein gefüllte Faß auf, und jeder fuchte jo viel
zweihundert Peitichenhiebe auf den Rüden. * als möglih von dem „inhalt ſich anzueignen.
Die Matroſenriſſen ihmdie Kleidervom Leibe. Bald lagen fie einer neben dem anderen ſchnar—
„Verzeiht Mann diefem,* ſagte Mongas chend oder volltommen betäubt und bewußtlos
zum Kapitän. „Verzeiht, er es thun zu Gefallen | auf dem Boden. Nur der König, dejien Natur
mir, ic) bitten Kapitän.“ fräftiger war als die der anderen, hatte fich
— „Haben Sie denn feine Unverichämtheit | noch einige Funken von Vernunft bewahrt.
nicht bemerkt ?“ „Freund Mongas,“ ſagte der Kapitän, „ich
„Er nicht gewollt ſchlagen armen Echwar: | habe dir noch nicht das koſtbarſte Produkt un:
zen. Ich bitten fehr, ſehr,“ wiederholte der qute | ferer Länder gezeigt.” Er öffnete eine Kifte,
Mongas,. nahm eine Flafche heraus und goß in ein Hei:
„Es fei, aus Nüdfiht für Eure Majeftät, | nes Glas zwei Tröpfchen eines roten Liqueurs.
will ich ihm verzeihen. Geh’ mir aus den Augen. | „Kofte mal das,“ fuhr er fort. Der Neger
Seiner Majeftät magit du es danfen, daß du | trank und fchien in himmlische Verzüdung ge:
mir entlommen bijt,“ fagte der Kapitän, in | taucht.
befien befonderem Intereſſe es lag, dem jchwar: „Wir nennen das ‚Liqueur‘,“ fagte der
zen Monarchen zu jchmeicheln. Kapitän.
Auf folhe Art wurden alle Schwarzen in „Bitte, gib Liqueur, Freund Kapitän,“
die Boote und von diefen an Bord des Schiffes , lachte Mongas in einem Tone, als verlange er
transportiert. das größte Gut der Erde.
Die Najabde.
„Oh,“ antwortete Spray, „oh mein Teurer,
das geht nicht fo. Der Liqueur ift teuer, ſehr
teuer. Ich kann dir nichts davon geben.”
„Mongas gibt, was Kapitän will, wenn
Kapitän gibt Liqueur.“
„Mongas hat nichts zu geben; Kapitän
wird feinen Ziqueur geben,“ antwortete Spray, |
die Sprache des Schwarzen nachahmend.
Ich bitte, ich bitte.”
„Es gibt fein ‚ich bitte‘, das ihn dir ver:
ſchafft . . . Höre! MWillft du mir die Men:
ſchen, die da ſchlafen, überlaſſen, jo erhältit du
den Liqueur. Eine Flache Liqueur für fünf
Stück Schwarze, weil du mein Freund bift.“
„Warte! warte!” rief Mongas und zählte
an feinen Fingern ab: „Fünf und fünf zehn,
und fünf fünfzehn, und fünfzehn dreißig. So
hat Mongas ſechs Flaſchen, jechs Flaſchen?“
Und der Unglückliche klatſchte in die Hände
und tanzte vor Freude.
Herr Spray gab ſeinem Lieutenant ein
Zeichen, worauf dieſer mit ſeinen Matroſen
herantrat, die dreißig Neger auf die weiter
oben geſchilderte Art in den Pfahl ſteckte und
fie nad) den Barken führen ließ.
„Nimm die jehs Flaſchen,“ fagte der
Kapitän zu dem fchwarzen Oberhaupt. Diejer
ergriff fie, öffnete die eine und leerte fie mit
einem einzigen Zug. Der fpirituofe Inhalt
derjelben raubte ihm, deſſen Bewußtjein jchon
nicht mehr flar war, jede Spur von Vernunft. |
„Gib mir auch, mir aud,” jchrieen feine
Frau und feine Tochter wie zwei bellende
Hunde. F
„Geht oder ich erwürge euch!“ heulte
Mongas in feinem Naufh, und er fuhr fort
zu trinken.
„Gib mir auch, mir auch!“ mwinjelten die
beiden Frauen.
„Freund Kapitän, nicht auch nehmen dieje
beiden? Mongas gibt fie umſonſt,“ fuhr der
Neger fort, der ſchon nicht mehr wußte, was
er fagte.
„sh will fie nicht umſonſt,“ antwortete
Spray. „Ich habe noch diefe beiden Flaſchen
mit grünem Liqueur, der ift ſehr koſtbar. Willſt
du fie?“
„Nimm diefe hier, nimm diefe hier,“ rief
Mongas wieder, indem er die beiden Frauen,
die ihm unaufhörlich den Reft des nhalts der |
Flaſche ftreitig machten, zum Kapitän hinſtieß.
„Dieje nehmen, mir grünen Liqueur geben!“
131
Der Kapitän gab ihm die beiden Flaſchen,
und während der Unglüdliche aus ihnen tranf,
wurden die beiden Frauen von den Matrofen
zu den Barfen gejchleppt.
„Laß es dir gut gehen, Mongas,“ fagte
der Kapitän Spray. „Trachte nur, mir fürs
nädjte Jahr dreihundert Stüd bereit zu halten,
ich werde dir viel Liqueur mitbringen.”
Und er beſtieg fein Boot.
„jest blidte Mongas um ſich und ſah mit
Erftaunen, daß er allein ſei. Ein Strahl von
Vernunft ſchien in feinem Gehirn aufzuleuchten.
Zugleich hörte er die Stimme feiner Frau und
‚ feiner Tochter, die in dem Augenblid, als die
Barke vom Ufer abgeſtoßen wurde, troftlos auf:
ſchrieen.
Wie ein Pfeil flog er an das Ufer des
Fluſſes.
„Freund Kapitän,“ rief er, „gib mir Frau
zurück, gib mir zurück Linga, Tochter meine.
Linga iſt mir Sonne, nicht mir Sonne nehmen.“
Und der arme Neger lief längs der Küſte
hin, dem Lauf des Schiffes folgend. Die beiden
Frauen ſtreckten die Arme nach ihm aus, aber
Kapitän Spray ſtellte ſich taub. Das Boot
verließ endlich den Fluß und näherte ſich dem
Schiffe.
Als Mongas es ſich entfernen ſah, ſtürzte
er ſich in die Fluten, und durchſchnitt dieſelben
mit der Schnelligkeit eines Delphins. Sein
Rauſch war in dem kalten Waſſer augenblicklich
verflogen. Schwimmend erreichte er die Brigg
und nun fing er von neuem an zu ſchreien:
„Gib mir Frau zurück, gib mir Linga zurück,
meine Tochter.“
„Soll er haben, was ihm zukommt?“ fragte
der Lieutenant, feine Piſtole ladend.
„D nein! Was fällt dir ein?“ fagte Herr
Spray. „Wirf ihm ein Tau zu und hilf ihm
herauf.“
Littel hörte diefe Worte und dachte bei ſich:
„Der Mann ijt alſo doch nicht durch und durch
ein Schurfe.*
Das Tau wurde ins Meer geworfen, Mon:
gas erariff es und fletterte mit der Geſchicklich—
feit einer wilden Kate auf das Ded.
„Sind wir bereit?“ fragte der Kapitän.
„Wir find bereit,“ antwortete der Lieu:
tenant.
„Man lichte den Anker.”
„Freund Kapitän,” fagte Mongas, „gib
‚ mir rau, gib mir Tochter.“
132 U, R. Rangabé.
„Legt diefen Neger neben - die beiden | Naummangel, die Tortur, die ihmen die zu
Frauen,” fagte Herr Spray. „Geh’, damit feſt gefchnürten Bande verurfachten, bereiteten
man dir deine Frau und beine Tochter geben | den unglüdlichen Gefangenen die ſchrecklichſten
kann.“ Qualen, lähmten ihre Kräfte und machten ſie
Er verſetzte ihm einen Fußtritt vor den krank. Zwei oder drei, die ſchwächſten unter
Leib. In demſelben Augenblick ergriffen den | ihnen, ſtarben nach einem mehrſtündigen Todes—
Unglücklichen vier Matroſen, ſchleppten ihn lampf; aber ſie blieben bis zur Zeit der In—
ins Zwiſchendeck bis zum äußerſten Ende des ſpektion in ihren Ketten, dann erſt wurden ſie
Raums, in dem die dreihundertundzwanzig | von denſelben befreit und ins Meer geworfen.
Wilden auf dem Boden lagen, und ftedten „Wir müffen uns auf einen Berluft gefaßt
bier als eine befondere Ausnahme feine Füße | machen,“ fagte der Kapitän Spray zum Lieute-
in denſelben Blod, welder die feiner rau | nant; „der zehnte Teil der Mare wird wohl
und feiner Tochter umſchloſſen. umlommen. Um fo mehr werden wir den Preis
der übrig bleibenden erhöhen. Unterdeſſen ge:
winnen wir dadurch immer etwas Platz.“
Die Inſpektionsbeſuche fanden dreimal wäh—
rend des Tages und dreimal während der Nacht
itatt. Der Kommandant durshichritt bei den-
jelben, begleitet von feinem Lieutenant, die
Reihen der Neger. Ein Matrofe fchritt ihnen
voran und ein anderer folgte ihnen. Bei der
Inſpektion am Mittag und am Abend gab man
den Negern ſchwarzen, aus Gerfte und MWafjer
gefneteten Zwiebad. Als der Kommandant am
eriten Abend an Mongas vorüberging, ftredte
der Gefangene feine fraftlofen Hände aus und
frallte feine Finger, als wolle er feinen perfiden
Henker zerreißen. Aber der großherzige Herr
Spray warf ihm trotzdem fein Stüd Brot hin
und fagte: „Da if, Mongas!”
Der Matrofe, welcher hinter dem Komman:
danten ging, war Littel.
Als er feinerfeits an den Neger herantrat,
beugte er fich faſt unmerflich zu ihm nieder und
ließ einen kleinen Gegenitand in feine hoch aus:
gejtredte Hand gleiten.
„Ah!“ rief der Wilde.
Er hatte eine fleine Feile erfannt. Yittel
nahm die Peitſche, die er am Gürtel trug und
ließ fie über dem Kopf Mongas durch die Luft
faufen, da die ſchmalen Riemen aneinander
klatſchten.
„Was gibt's?“ fragte der Kommandant.
„Diefer Neger wollte ſchreien, und ich habe
ihn geichlagen.*
„Gut jo, mein Junge,“ fagte Spray. „Ich
jehe, daß dir die Yeltion genüßt hat. Deine
Erziehung tft fertig.”
Nachdem die Inſpeltion beendet war, richtete
Mongas an die gefeſſelten Neger einige Worte
in ihrer gemeinfamen Sprache und bald darauf
begannen alle einen eintönigen Geſang, eine
III.
Man kann ſich die Empfindungen des Negers
eher voritellen als fie bejchreiben. König feines
Stammes, bis jett unbeftegt, ungebändigt wie
ber Löwe der Sierra Leone, hatte er feinen
Namen zu einem von Senegambien bis zur
Pfefferküſte gefürchteten gemacht. Jetzt lag er
zu Boden geworfen, bejiegt von Branntwein,
vertiert durch die Trunfenheit, ein Gegenjtand
des Spottes und der Verachtung; gebunden
führte man ihn fort, um ihn in Amerika wie
ein Laſttier zu verfaufen, damit er dann unter
den Veitjchenhieben erbarmungslojer Herren
jtürbe. Seine Augen, die fih auf unnatürliche
Art erweiterten, unterliefen mit Blut; auf feine
Lippen, welche er wie ein Tiger fletichte, trat
ein rötliher Schaum. Gebeugt jaß er da, denn
er hatte feinen Platz, um ſich auszuftreden; er
jtieß eine Art Geheul aus und heftete ftarre,
ichredliche Blide auf feine Frau und feine Tod):
ter, Die Najade fette die Segel bei und ge:
wann gegen Abend die hohe See.
Nach einer mehrjtündigen Fahrt durch das
Inſelmeer, welches den Eingang zu dem Hafen
ſchloß, mündete fie in das offene Meer. Der
Wind fam noch immer aus Nordweiten und war
fogar frijcher geworden. Diejer Wind war ber
Brigg günftig gewefen, als ihr Kurs von Norden
nach Süden ging, jet aber war er ihr fonträr,
denn der Kapitän wollte Virginien in den Ver:
einigten Staaten erreichen, um dort feine Waare
auszuſchiffen; und gerade aus jener Nichtung
wehte der Wind. Die Najade mußte nörblid)
jegeln, um den Wind zu gewinnen und begann,
ſich bald nad) rechts, bald nad) links zu wenden.
Das Schaufeln des Schiffes, der Luft- und
— —— — — —— — — — — — — — — nn
Die Najade,
Art wie Klagelied anzuftimmen. Ihre Stimmen
erfüllten das ganze Zwifhended. Der laute
Schall derfelben übertönte das Knirſchen der
Feile, mit der Mongas das Schloß feiner
Feſſeln zerftörte. Plöglich liefen fih Schritte
auf der Treppe hören, und haſtig verbarg ber
Wilde feine Feile.
„Was bedeutet dies Geheul?* fragte der
Kapitän.
„Armer Neger weint Vaterland jeines, “
antwortete Mongas mit Hläglicher Stimme.
„Sage ihnen, fie follen nicht fo laut weinen,
jonjt werde ich fie anders weinen lehren.“
Der Kapitän ftieg wieder hinauf, um ſich
zum Schlaf niederzulegen. Während der ganzen
Nacht wurde nun der Hlagegejang nur von Zeit
zu Beit und weniger laut wiederholt. Die Feile
begleitete ihn mit mehr Vorſicht.
Am nädhiten Abend trat der Lieutenant wäh-
rend der Inſpektion plöslich auf Mongas zu.
„Was haft du da?“ fragte er ihn.
In der einen Hand hielt Mongas die Feile,
in ber anderen das Stüd Brot, dad er am
Mittag erhalten hatte. Schnell ſchloß er die
Hände aneinander und verbarg die Feile in der
Krume des Brotes.
„Es ift eine Brotrinde zum Eſſen,“ fagte er.
„Ah! eine Brotrinde,“ antworteteder Lieute—
nant. „Aus Eigenfinn haft du fie nicht verzehren
wollen. Gut. Ich will fie ins Meer werfen;
wir werden ja fehen, was du eſſen wirft.“
„Gebt mir Brot zurüd,* fagte Mongas mit
flehender Stimme. „Armer Neger hat Hunger.
Gebt zu efien armen Neger.”
„AH! Appetit ift aljo wieder da?“ ant:
wortete der Lieutenant und warf ihm, wie einem
Hunde die Brotfrufte hin.
Mongas ergriff fie und begann fie zu ver:
zehren.
Die Dffiziere hatten ihre Runde noch nicht
beendet, als plößlih eine Stimme aus dem
Maftkorb herab erfholl: „Ein Segel! ein Segel
am Horizont!”
Der Kapitän und jein Lieutenant ftürzten
auf das Ded und nahmen ihre Fernröhre zur
Hand.
„Oh! ſchlechte Neuigkeiten !” jagte der
legtere. Es ift wahrhaftig ein Schiff und zwar
einer der größten Dreimafter! Cs läßt feine
Wimpel wehen! Es ift ein Kriegsſchiff!“
„Donnerwetter! Es hat uns gefehen!“ rief
der Kapitän. Es hißt die Flagge auf! Halt!
133
Die Trifolore ! Diefer Herr ift Franzofe! Ab,
ſieh' doch! Er hat die Nafe auf unferer Spur.
Er hängt alle feine Lappen aus. Er fcheint
jehr nach unferer Belanntfchaft zu verlangen!
He, ihr da!” ſchrie er feiner Mannſchaft zu.
„Jeder auf feinen Boften! Achtung! Alle Segel
auf! Badbord gejteuert! Noch mehr! Nod)
mehr! Mit dem Winde gejegelt !“
DieNajade, deren Bug bis jest nach Norden
gerichtet war, wendete ſogleich nach Süden um
und flog, von der Wirkung des Windes auf ihre
voll entfalteten Segel getrieben, gleich einem
wilden feurigen Pferde auf ihrer flüffigen Bahn
dahın.
Aber nad) einer Viertelftunde ſah der Kapi—
tän, daß alles vergeblidh ſei. Das fie ver:
folgende Schiff ging bedeutend fchneller und
ſchon erſchien es hinter ihnen gleich einer riefigen
Schneepyramide.
„Durd Schnelligkeit erreichen wir nichts, “
fagte er zum Lieutenant. „Verſuchen wir es
mit der Lift. Sobald es dunkel ift, ziehen wir
den größten Teil der Segel ein, damit er uns
aus den Augen verliert. Während er uns nad)
Süden hin fucht, werden wir den Kurs nad)
Norden nehmen, wir werden und dem Lande
nähern; vielleiht gelingt es uns, dort einen
Schlupfwinkel zu finden. Iſt er aber morgen
früh noch auf unferer Spur, fo bleibt uns noch
ein anderer Ausweg.“
„Welcher ?* fragte der Lieutenant.
„Wir werfen von Zeit zu Zeit einige der
Schwarzen ins Meer. Während der Herr Fran:
zofe feine Zeit damit verliert, fie aufzufifchen,
werden wir anderen verfuden, jo fchnell als
möglich fort zu fommen. Und jollten jelbft alle
drauf gehen, jo wahren wir doch unjere Haut,
und die ift foftbar genug, daß wir den Verſuch
machen, fie zu retten.“
John Littel hörte diefe Worte und ſchauderte.
Bei Einbruch der Dunfelheit ließ es ſich der
Kapitän, der durchaus nicht ruhig war, vor allem
angelegen fein, dem Schiffe einen anderen Kurs
zu geben. Littel benügte diefen Augenblid, um
in die Kajüte des Herrn Spray zu treten. Sein
Herz ſchlug mächtig. Er ergriff einen Bund
Cchlüffel, das über dem Bett des Komman-
danten hing, nahm nacheinander jeden der
Schlüſſel und legte ihn auf einen Wachsabdruck,
den er in der Hand hielt. Endlich fand er unter
ihnen einen feinen, der vollitändig zu diefem
Abdrud paßte; er löfte denfelben von dem Bund
134
ab, hing diejen wieder an feinen Blat und ging |
hinaus. Bei der mitternächtlien Inſpektion
begleitete John wieder feinen Chef.
Als er bei Mongas vorüberging, gelang es
ihm, diejem einen Heinen Schlüſſel in die Hand
gleiten zu laſſen, und er wies dabei auch mit
dem Finger auf die Ketten der Neger. Dann
ließ er wieder jeine Peitiche knallen und rief
mit lauter Stimme: „Rühre dich nicht, wenn
man es dir nicht erlaubt hat.“
„Diefer Littel wird ein befjerer Neger:
wäcdter, als ich erwartete,” ſagte der Kapitän
lachend.
Nach dieſem Beſuch begann der Klagegeſang
von neuem. Der Kapitän und der Lieutenant
waren vollkommen durch die Beobachtung des
franzöſiſchen Schiffes in Anſpruch genommen,
deſſen großes weißes Segelwerk ſich deutlich von
dem Haren Himmel der Tropen abhob. Es
ſchien, als ob der Feind jeinerjeits die Be-
wegungen der Najade verftand oder doch arg:
mwöhnte, denn auch er verringerte die Zahl feiner
Segel.
Mährenddes hob Mongas mit Hilfe feiner
Frau und feiner Tochter das obere Holz feines
Blodes, zog feine Füße daraus hervor und
öffnete geräufchlos, bis zu dem ihm nächjt liegen:
den Schwarzen kriechend, die Ketten, die deſſen
Hände und Füße belajteten, übergab ihm den
Schlüfjel und nahm jchleunigjt wieder feinen
Platz ein. Der erfte Schwarze that das gleiche
beim zweiten, der zweite beim dritten und jo
ging e3 weiter bis zum legten, der den Schlüfjel
an Mongas zurüdgab.
Um vier Uhr, der Stunde der zweiten
nädtlichen Inſpektion, waren alle Neger von
den Feſſeln befreit, aber nicht einer von ihnen
bewegte fih. Nur Mongas gelang es, den
Schlüter an Littel zurüdzugeben, der jich, jo:
bald er wieder auf Ded gejtiegen, beeilte, den:
jelben auf feinen alten Plaß zu bringen.
Am Morgen hatte jich das franzöſiſche Schiff
der Najade bis auf zwei Meilen gemähert.
Und nun begann eine verzweifelte Jagd ohne
Raſt und ohne Aufihub. Während die Najade
alle ihre Segel entfaltete, als jege jie all ihre
Hoffnung einzig in ihre Schnelligkeit, wendete
fie diejelben bald nach rechts, bald nach links
und verfuchte durch unerwartete Manöver zu
entfliehen, gleich einer Maus, welde die fic
<< A AA ——— — — —
MR, Rangabé.
ſeinen erſten Kanonenſchuß, die Kugel zerriß
das große Segel des Negerſchiffes.
Das geſchah in dem Augenblick der Morgen—
inſpektion der Schwarzen im Zwiſchendeck.
„Uns bleibt kein anderes Mittel,“ ſagte
Herr Spray zu dem Lieutenant. „Wir müſſen
ihnen das Bad geben, müſſen die Ware opfern,
um unſer Leben zu retten. Bringen Sie mir
die Schlüſſel. Die Mannſchaft ſoll mit uns
herunterſteigen. Aber paſſen Sie auf, daß man
ſie nur immer zu zehnen hineinwirft. Während
er ſie auffiſcht, gelingt es vielleicht, uns in jene
Sackgaſſe zu retten. Da ſoll er uns nur auf—
ſuchen! Die Enge hat kaum acht Fuß Waſſer.
Unfere Najade kommt durch. Der Herr Fran—
zoſe ſoll nur kommen und ſich hineindrängen,
wenn er dort feſtſitzen will wie der Tower zu
London!“
Er ſah auf den Kompaß.
„Ruder nach Steuerbord!“ kommandierte
er. „Oſten, ein Sechzehntel Nordoſten!“ Und
mit einer Handbewegung gab er dem Steuermann
die einzuſchlagende Richtung an. Dann nahm
er das Schlüſſelbund und ſtieg, von der Mann:
ſchaft gefolgt, ins Zwiſchendeck. „Die dort unten
müſſen den Anfang machen,“ ſagte er, auf die
im Hintergrunde liegenden Neger zeigend; „die
liegen am engſten aufeinander gepreßt. Es iſt
gut, wenn ſie mehr Raum gewinnen.“ Und er
ging mit den Matrofen auf fie zu.
In dem Augenblid, als er an Mongas vor:
überging, beugte ſich Littel zu dieſem nieder
und murmelte ihm zu: „Es it Zeit.“
Der Kapitän war bis zur Mitte des Saals
gefommen.
„Auf, Kinder Mongas’! Auf! Hotto⸗Ho!“
ihrie das ſchwarze Oberhaupt mit fchallender
Stimme, indem er, feine Feſſeln weit von fi
ſchleudernd, aufiprang.
Sogleih erhoben fich die dreihundertund:
zwanzig Neger, warfen ihre Bande von fih, um—
zingelten die waffenlofe, volljtändig wie erftarrte
Mannichaft, warfen die Matrofen zu Boden,
und legten fie in ihre eigenen Ketten. Mongas
entriß dem Kapitän die Schlüffel, ſchloß die
Sclöffer der Ketten und bejtimmte fünfzig
Schwarze als Gefangenwärter. Dann lief er
' mit den anderen ins Arfenal und legte Hand
verfolgende Katze täufchen will. Alles vergeblich.
Gegen acht Uhr fendete ihr das fremde Schiff
auf die Waffen. Dann ftürzte er auf das Ded,
bemächtigte fich dort der wenigen auf demfelben
gebliebenen Matrofen und des Steuermanns,
und lie fie das Schidjal der anderen im Zwi—
Die Yajade.
ichended teilen. Nicht einer von ihnen wagte
den geringiten Widerjtand.
In dem Augenblid riß eine zweite von dem |
franzöfiihen Schiff gefendete Kugel eine der
Schoten des Fodmaftes fort. Aber ſchon war
die Najade, die die gleiche Nichtung beibehalten
hatte, in die Meerenge eingelaufen, und fegelte
in einen tiefen Golf. Das franzöfiihe Schiff
durfte fich nicht in denfelben wagen; es mußte
die Verfolgung aufgeben und ſich damit begnü—
gen, der Najade Kugeln nachzuſenden, melde
ihm aber mit der wachjenden Entfernung immer
ungefährlicher wurden.
„Was nun thun?“ fagte Mongas zu feinem
Befreier Kittel, „Schwarze Haut nicht können
Schiff regieren.“
„Willſt du alles thun, was id) dir fagen
werde?“ fragte Littel.
„Du armen Mongas gerettet und Frau und
Tohter. Mongas dir gehorchen und ftürzen ins
Meer, wenn du ſagſt.“
„Haft du irgend einen mutigen, ergebenen
Mann?“
„Varidas!“ rief Mongas.
Ein ſchwarzer Koloß näherte ſich. Littel
führte ihn ins Zwiſchendeck, in dem ſich die Ge—
fangenen befanden und ſagte, eine Fallthüre
aufhebend: „Nimm dieſe beiden Piſtolen. Wenn
dieſe Leute auf irgend eine Art ihre Ketten
brechen, und ihre Wächter bewältigen, ſo gib
Feuer in dieſes Loch: es iſt Pulver darin; wir
werden dann alle in die Luft geſprengt.“
Mongas erflärte dem Neger dieje Worte.
Darauf fette ich derfelbe mit großer Nuhe an:
gefihts der entjegten Mannſchaft neben die
Fallthüre.
„Du, Freund Mongas,* fuhr Littel fort,
„ſteigſt jetzt auf Ded und hältſt deine Leute in
Gehorjam.” Littel feinerfeits löfte nun alle
Segel und ließ eines nad) dem anderen fallen;
denn er allein fonnte fie nicht handhaben. Er
ließ nur eines der Eleinften entfalten; dann nahm
er das Steuer zur Hand, während der Wind vom
Nüden fam. Plöslich fieht er vor ſich in der
Tiefe des Golfs auf einer Höhe, die hoch über
dem Meere aufragte, einen Gegenjtand, der ſich
in Form eines Signals bewegt. Es waren vier
an der Spite einer Stange befeftigte Stüde
weißen Segeltuchs. Er wendet augenblidlid,
das Steuer und gibt der Spite die Richtung
darauf hin; mit einem Arthieb jchlägt er die
Schoten des legten Segels herab, damit das
FELL — u nn — —
135
Schiff nit weiter fahren fann, jest mit Hilfe
der Neger das Boot ins Meer, bejteigt, die
Najade Mongas’ Obhut überlaffend, mit einigen
Schwarzen die Barfe und jteuert dem Orte zu,
an welchem das improvifierte Signal weht.
Vier Männer waren oben auf dem ein:
famen Hügel. Wie groß war die Freude Yittels,
als er die vier von Spray verratenen Offiziere
des „Dauphin“ erkannte. Er lief auf fie zu,
erzählte ihnen, was geihehen war, nahm jie in
jein Boot und führte fie zu der Brigg.
„Kapitän Filthon, bis jest habe ich die
Brigg geführt; jetzt lege ich die Führung der:
jelben in Ihre Hände.“
Der Kapitän nahm fogleid) das Steuer, ver:
teilte die Arbeit der Matrojen zwijchen Littel
und feinen drei Offizieren, ließ die Segel auf:
hifien und wendete das Schiff dem Ausgange
der Meerenge zu. Die Fregatte lag vor der:
jelben zum Angriff bereit. Aber der Kapitän
Filthon ftieg eiligit in fein Boot, begab fi an
Bord des franzöfiihen Schiffes, nannte dort
jeinen Rang, jchilderte feine gegenwärtige Lage
und erbat den Beiftand feines Kameraden. Er
erhielt zwanzig Matrofen Verſtärkung und fehrte
zur Najade zurüd.
Seine erite Sorge war, ein Kriegägericht,
aus feinen drei Offizieren beftehend, unter feinem
eigenen Vorſitz zu bilden, den Kapitän Spray
und den Lieutenant vor dasfelbe zu jtellen, beide
fummarifch zu verurteilen und fie im Verlauf
einer halben Stunde, den einen links, den an:
dern rechts an der Segelftange des Hauptmaftes
aufhängen zu lafjen.
Nachdem das abgemadht, richtete er das
Schiff nad) Norden. Nachdem er einige Stun:
den gejegelt war, fam er zu jenem Golf, in
weldhem der Dauphin fo ſchnell auf jo wunder:
bare Weiſe verſchwunden war. Bald erkannte
er feine auf dem Schaum der Wellen tanzende
leichte Goelette. Wahrfcheinlich lagerte fie in
diefer Gegend, die Nüdkehr der Najade erwar-
tend, um diefe weiter zu begleiten, denn faum
hatte fie die Brigg bemerkt, jo änderte fie ihren
Kurs und kam derfelben entgegen.
„Ah! ah!” fagte der neue Kommandant des
Dauphin, ich jehe, dab der Baum der Najade
Früchte getragen hat. Ich mwette, daß mein
Vorgänger am Steuer der Goelette ift. ch be:
grüße Sie, Herr Kapitän Filthon. Was meinen
Sie zu ihrem Belvedere. *
In diefem Augenblid rief das Sprachrohr
136
den unrechtmäßigen Kapitän und den Lieutenant
des Dauphin auf die Brigg. Beide beeilten ſich,
zu gehorchen, und da das Kriegsgericht in Ber:
manenz tagte, jo hingen beide nad) Verlauf
|
einer Biertelftunde an den beiden äuferiten
Enden der Segelitangen des Kodmaftes. Die |
vier Ruderer der Barke, welche fie hergeführt
hatten, wurden feitgenommen und bald darauf
wehte auf der Goelette wieder die königliche
Flagge, Die alte Mannſchaft hatte wieder das
Schiff in Befit genommen und die Näuber, die
jih zu Herren desjelben aufgemworfen hatten,
lagen gefettet im unterjten Schiffaraum.
Nach dreitägiger Fahrt warfen beide Schiffe
an der Küſte des Königreichs Mongas’ Anter
und gaben den Negern und ihrem Oberhaupt
die Freiheit zurück.
Mongas warf ſich wie ein Kind weinend an
die Bruft John Littels.
„Du retten Mongas,“ jagte er, „und Weib
Mongas’ und Linga, Tochter Mongas’ und arnıc
Schwarze. Sage Mongas, was du willit, Mon:
gas wird alles geben, alles.”
„sh will,“ antwortete Littel, „von dem
—
4
%
RT
Der Tod der Dirginia.
dankbaren Monarchen Abſchied nehmend, „daß
ihr euch nicht ſelbſt zu Werkzeugen eures
Elends macht, daß ihr nicht eure eigene Frei—
heit verratet, daß ihr nicht das Blut eurer
Brüder verkauft.“
Nach wenigen Wochen ſchon lief der Dau—
phin, die Najade im Schlepptau führend, in den
Hafen von London ein,
Der Kapitän Filthon und der Aſpirant Öree:
dyfiſch wurden vor ein Scegericht gejtellt und
frei gefprochen. Die Mannjchaft der Najade er:
ſchien vor demjelben Gericht und wurde in die
föniglichen Arfenale geſchickt, was gleichbedeutend
mit lebenslänglider Zwangsarbeit ift.
Die Najade felbft wurde öffentlich konfisziert
und zum Tode verurteilt; fie wurde zerſtört
und zu ihrem Holzpreife verkauft. Der Ertrag
diefes Verkaufs, ungefähr 60000 Fran,
wurde dem mutigen Littel als Belohnung zu:
erkannt,
Diefer widmete einen Teil der erhaltenen
Summe zur Hebung des nationalen Bierhandels,
den Reſt aber zur Unterftügung einer Gefell:
ichaft, deren Zwed die Befreiung der Neger ift.
Der Tod der Pirginia.
Mathilde Eammers.
Deutfhe Sehrerinnen im Xuslande.
Von
Mathilde gammers.
= den Hunderttaufenden von Ausmwande:
rern, welche alljährlich über die deutſchen
Grenzen hinausziehen, um in der Fremde zu
ſuchen, was die Heimat nicht bietet, bilden
Frauen, welche fich dem Lehrfach gewidmet haben,
einen nicht unbedeutenden Prozentjat. Da ſie
nicht wehrpflichtig find, jo fümmert fid; die Ne:
gierung nicht um fie; da fie fein Vermögen mit
hinausnehmen und nur eine Arbeitäfraft jolcher
Art, an welcher im Baterlande Ueberfluß iſt, jo
ichit ihnen fein Volkswirt einen Seufzer nad.
Die Familien, welche fie etwa zurüdlafien, trö-
ften ji) über dem Schmerz der Trennung mit
dem Gedanken, daß die Sorge um ihren Unter:
halt jo am jicherften gelöft ift. Und jo würden
dieje Wanderzüge jahraus jahrein weiter gehen
fönnen, würden jegt nicht plößlich von verjchie:
denen Seiten Stimmen, und zwar gemictige
Stimmen laut, welche das Schidjal der in die
Fremde pilgernden Lehrerinnen als ein höchjt
bedentliches fchildern und damit natürlich bei
Eltern, VBormündern und den betreffenden
Frauen felbjt lebhafte Bedenken über die Zu:
Läfftgfeit einer folhen Auswanderung wachrufen
müſſen.
Wenn nun der Zug deutſcher Lehrerinnen
ins Ausland lediglich auf dem von den Vorfahren
ererbten germaniſchen Wandertriebe ſich gründete,
ſo wäre es in jedem einzelnen Falle leicht, ihn
aufzuhalten, und jede, der ihre perſönliche Sicher—
heit und ein erträgliches Leben daheim lieber
wäre, als das Erproben von ſicher verbürgten
Gefahren im Auslande, würde ſchon von ſelbſt
zu Hauſe bleiben. In vielen Fällen ſpielt auch
gewiß das Verlangen, die Welt zu ſehen, etwas
Neues zu erleben, der Enge der täglichen Ver—
hältniſſe zu entfliehen, bei dieſer Art der weib—
lichen Auswanderung ſo gut eine Rolle wie bei
der von den maßgebenden Gewalten mit viel
größerer Sorge betrachteten Auswanderung
männlicher Arbeitskräfte und ganzer Familien.
Indeſſen würden die Yodungen der Ferne als
folder allein doch grade bei einzelnen rauen
und Mädchen fchwerlich jtarf genug fein, fühlten
fie fih daheim nicht thatſächlich überflüffig, und
Deutiche £ehrerinnen im Muslanbde,
137
| erwarteten fie nicht von einem Aufenthalt im
Auslande Vorteile, welde die Heimat nicht
bietet. Solange ein ungeheuer zählebiges Vor:
urteil den deutjchen Frauen, die im häuslichen
Beruf nicht mehr Arbeit und Brot finden, die
Wege zu faft jeder anderen nüßlichen und loh—
nenden Berufsthätigfeit außer dem Lehrfach
verfperrt, jo lange wird es mehr Lehrerinnen
bei uns geben, als wir im Lande gebrauchen
fönnen, und fo lange werden die Ueberzähligen
den Blid über die Grenzen dahin richten, wo
man ihre Arbeit verlangt und bezahlt. Da nun
obendrein ein Aufenthalt im Auslande nicht bloß
denen ihren Lebensunterhalt verfpricht, die ihn
daheim nicht mehr finden fönnen, jondern allen
eine gewiſſe Weltgemwandtheit und Selbitändig:
feit gibt, und in einigen Zändern eine Gelegen—
heit zur Erwerbung von Sprachfenntnifjen, die
leichter als jedes andere Wiſſen fpäter in der
Heimat zu verwerten find, jo ſcheint es doc
wünfchenswert, daf; nicht diejenigen allein zu
Worte fommen, welde an der Stellung der
deutjchen Erzieherin im Auslande nur Schatten:
jeiten gefunden haben und den Schluß unver:
meidlich machen möchten, daf jedes junge Mäd—
chen, das als Lehrerin in ein nichtdeutfches Yand
oder in einen fremden Erdteil zieht, in äußerſter
Gefahr ift, an Leib und Seele verloren zu gehen.
Denn das iſt faktisch der Inhalt mehrerer
fürzlich veröffentlicher \Journalartifel und länge:
ver Auffäge, welche fih mit diefem Gegenftande
beichäftigen. Cie ftellen es als die Negel hin,
daß deutjche Erzieherinnen in der Fremde jchlecht
behandelt, unmäßig ausgebeutet, von allem Ver:
fehr mit gebildeten Yeuten ausgeſchloſſen werden,
daß ihre Körperfräfte unter der unausgejegten
Arbeit bei unzulänglicher Verpflegung, ihre
Geiſteskräfte und ihr Gemüt durd) die Demüti:
gungen, denen fie ausgejegt find, und durch die
unerträgliche Vereinſamung, in der fie leben
müſſen, zerrüttet werden, daß fie eine Beute der
gewillenlojeiten Spelulation nicht nur von jeiten
der Stellenagenturen, fondern von feiten der
Selfershelfer des Lajters find, und daß fie alfo
körperlich, geiftig oder fittlih Schiffbruch leiden
müſſen — während fie doch nach Meinung diejer
furzfichtigen Beobachter nur zu Haufe zu bleiben
brauchten, um allen diefen furchtbaren Gefahren
zu entgehen. Gewiß haben die Urheber diejer
Schilderungen im beiten Glauben geſprochen;
wer wollte daran im geringiten zweifeln? Gewiß
find ihre Urteile ſämtlich aus fonfreten Fällen
18
138
geihöpft, und es macht ihrem warmen Herzen
und ihrer Nitterlichfeit Ehre, daß fie ihre Stimme
erheben, um die Wiederholung folder Fälle un:
möglich zu machen. Und wenn fie nur folde
Mädchen abjchredten, die aus reiner Abenteuer:
luft in die Fremde ziehen möchten, ohne aud)
nur im geringjten dem Kampf ums Dafein in
diefer Form gewachſen zu fein, oder die aus
Hochmut einem wirflih vorhandenen Beruf zu
Haufe entlaufen, jo hätten fie ein gutes Werf
gethan, und die Leute mit gegenteiligen Erfah:
rungen fönnten ftill dazu fchweigen, wenn aud)
zur Steuer der Gerechtigkeit und Wahrheit wohl
viele Zeugnifje dahin abgegeben werden möchten,
daß auch bei Engländern und Franzoſen, bei
Italienern und Ruſſen, und wo*rimmer Gottes
Sonne jcheint, ein Mädchen in abhängiger Stel:
lung rüdjichtsvolle Behandlung, wahre Herzens:
güte, Wohlwollen, Anhänglichteit und Dankbar—
feit finden kann, nicht bloß in Deutſchland.
Im Intereſſe vieler jtrebjamer Lehrerinnen
ber, die auf ein jo bedeutendes Bildungsmittel
wie einen richtig ausgenugten Aufenthalt im
Auslande nicht jchlechthin verzichten fönnen, und
vieler anderer, Die Dort unter weit vorteilhafteren
Bedingungen arbeiten können als daheim, tft es
geboten, daß nicht einzelne trübe Erfahrungen
allein zu Worte fommen und dann vom großen
Publikum als die allgültige Negel angejehen
werden. jeder Einzelne überfieht von der Ge:
famtheit der Fälle ja doch nur immer eine ge:
ringe Zahl; je mehr ein Berichterftatter mit alles
umfaſſenden Behauptungen um fi) wirft, deſto
vorjichtiger wird man feine Behauptungen auf:
nehmen müfjen. So verfichert Julius Einfiedel
in einer bei Gebr. Henninger in Heilbronn er:
ſchienenen Schrift I), die Zahl der in England
anmejenden Gouvernanten aus Deutjchland,
Frankreich und der Schweiz belaufe ſich auf viele
Taufende, „von denen der dritte Teil bis die
Hälfte immer außer Stelle ift*. Man möchte
da doch fragen, auf welche ftatiftische Erhebung
ſich diefe Behauptung gründet, und wundert jich,
wenn man, wie die Schreiberin diefer Zeilen,
eine verhältnismäßig ſehr ausgedehnte Befannt:
ſchaft unter deutichen Gouvernanten jenjeits des
Kanals hat, dab, was fo ohne weiteres als Regel
verfündet wird, auf einen namhaften, feit vielen
Jahren beobachteten Bruchteil noch nicht zum
) Das Gouvernantenwejen in England. Cine
Warnung von Julius Einfiedel. Bd. IX, Heft 3
der Zeitfragen des chriftlihen Vollslebens.
|
|
Mathilde Cammers.
zehnten Teil Anwendung findet. Freilich hat
derjelbe Herr Einfiedel in fehr fcharfjinniger
Weiſe alle diejenigen, die ihm aus ihrer perſön—
lichen Erfahrung etwa widerſprechen möchten,
mundtot gemacht. Er gibt zu, es fei zu ver-
wundern, daß durch die Hunderte von deutjchen
Gouvernanten, weldhe die Ferien zu Haufe ver:
bringen, nicht längſt alle Yllufionen von der
lodenden Fremde gründlich zerftört und die von
ihm vertretenen troftlofen Anfchauungen im
großen Publifum an die Stelle getreten feien ;
aber diefe „betrogenen Seelen” ahmen bewußt
oder unbewußt dem Fuchs in Aeſops Fabel
nad, der feinen Schwanz in der Falle gelafjen
hatte und nun nicht nur feinen Schmerz verbiß,
jondern auch ganz jo that, als ob er höchſt zu:
frieden wäre und alle anderen es ihm nur nach:
machen dürften. Gegen dieſe Paliſſade läßt ſich
ichlechterdings nur mit einigen unbejcheidenen
Fragen Sturm laufen. Wieviel Hunderte von
den aufgeführten Taufenden von Gouvernanten
kennt diefer geehrte Herr perfönlih? Won wie
vielen kennt er die Stellung fo genau, um zu
wiſſen, wie weit fie zu Klagen berechtigt wären,
aud wenn fie nicht Hagen? Und wie groß ift
daher fein Recht, von denen, die er fennt, auf
die, welche er nicht Fennt, zu Schließen ?
In den mir zugänglich gewordenen Aufſätzen
über die vorliegende Frage tft durchweg fo ver:
fahren, daß über Stellung und Behandlung,
Ausbeutung, Verlafjenheit, Hilflofigkeit deut:
icher Lehrerinnen im Auslande ganz allgemeine
Behauptungen aufgeitellt und zum Beleg dann
einzelne draftiche Fälle erzählt find. Ich möchte,
itatt von meinem Standpunkte aus durd) das:
jelbe Verfahren zu gegenteiligen Schlüſſen zu
führen — was jehr bequem wäre — lieber »
ein paar von langjähriger und ausgedehnter
Erfahrung eingegebene Ratjchläge für diejenigen
herjegen, welche aus irgend einem Grunde Luft
hätten ins Ausland zu gehen, aber nicht wifjen,
was dabei zu beachten iſt.
Das erite ift das Hinfommen. Der un:
ficherfte, Fojtipieligite und gefährlichjte Weg —
darin fcheinen ſich alle einig zu fein, die ihn
verfuht haben — iſt durd Agenten oder Zei:
tungsanzeigen. Er ſchlägt nicht jedesmal fehl
und führt nicht jedesmal in die Irre; aber wer
ihn betritt, follte fich immer erjt nach einer per:
jönlihen Bürgſchaft für die Zuverläffigkeit der
Verhältnifie umjehen, in die er eintreten will.
Das ift am unerläflichiten für alle überjeeischen
Deutiche £ehrerinnen im Auslande.
Länder, Frankreich und das öftliche und füdliche
Europa, wo, wie mir noch heute eine genaue
Kennerin diejer Dinge in Webereinftimmung mit
meinen fonftigen Beobachtungen jchreibt, die fitt:
lihen Anfhauungen auf einer tieferen Stufe
ftehen als die unferen; am erjten zu entbehren
für England und die übrigen germanischen Län—
der Europas. Leute, an welche man fi am
ficherften um Auskunft wendet, find Konfuln,
höhere Polizeibeamte, proteftantiiche Pfarrer;
natürlich ift Diskretion geboten, wenn man die
Mahrheit wijjen will. Eine Vermittelung durch
einen beiderfeitigen Befannten oder durd die
Direktion einer Lehranftalt ift vorzuziehen, it
auch billiger als der oben bezeichnete Weg. Iſt
man einmal draußen, hat feine Stelle aufge:
geben und fucht eine andere, fo gilt dasjelbe.
Möchte bald in allen fremden Ländern, wo es
viele ausländische Lehrerinnen gibt, das Beiſpiel
unferer Fugen und thatkräftigen Kolleginnen in
England nahgeahmt werden, von denen ihrer
etwa 700 jegt ‚einen Verein zur gegenfeitigen
Unterjtügung, Stellenvermittelung und billigen,
anftändigen Unterbringung während der Ferien
oder in ftellenlofer Zeit bilden! Diefer Verein
deutjcher Lehrerinnen in England hat fein eige:
nes behagliches Daheim in einem der beiten
Stadtteile Londons, 16 Wyndham Place, Bry:
anfton Square W. Wer Mitglied werden will,
muß über 20 jahre alt fein, ſich perſönlich bei
den Vorjteherinnen im Daheim voritellen und
ein Zeugnis von einer Dame beibringen, in
deren Haufe oder Familie die Betreffende min:
beitens ein Jahr lang als Erzieherin oder Leh—
rerin gewirkt hat. Die Vorfteherinnen fennen
aufs genauejte die Anforderungen, welche das
engliihe Publifum an deutſche Gouvernanten
zu ftellen pflegt, und fünnen daher am eriten
dazu helfen, daß nicht, wie die Engländer fagen,
ein vierediger Pilod in ein rundes Loch fommt.
Und dies führt mich aufs zweite, nämlich: die
Anforderungen, welchen diejenige zu entjprechen
hat, die eine erzieheriſche Wirkſamkeit im Aus:
lande ſucht. Sie muß erjtlich förperlich gefund
und fräftig fein, nicht von zarter Konjtitution
und ſchwachen Nerven. Das verjteht ſich eigent:
lich von jelbit, denn in welchen Beruf paßt ein
zartbejaitetes Dämchen, das vom erſten Wind:
haud) umgeworfen wird? Aber wer gleich dem
Manne hinaus muß ins feindliche Leben, hat
dod noch mehr Widerſtandskraft nötig, ald wer
feine Arbeit im ſchützenden Banne des Haufes
139
findet, und in der Fremde frank werben ijt gehn:
mal fchlimmer als daheim. Auch eine größere
moralijche Widerſtandskraft ift in mehrfacher
Beziehung derjenigen nötig, welche in ein frem—
des Land geht, als derjenigen, die ſchlimmſten—
falls in einer Tagereife ihre Bekannten wieder
erreichen fann. Sie muß das Fremde, Unge:
wohnte heiter ertragen fönnen, fi von Kleinig:
feiten und vorübergehenden Dingen nicht beirren
lafjen, mehr zum Lachen als zum Weinen geneigt
fein und nicht leicht etwas übelncehmen. Sie
muß größere Neife und größere Charakterfeitig:
feit haben als ihre Schweiter, die bei Vater
und Mutter hinter dem Dfen bleibt, und in
ihrem Weſen muß e3 ſich ungefucht zeigen, daß
fie ihrer fittlihen Würde nie etwas vergeben
wird. Ob ein auffallend hübſches Mädchen, ein
an Huldigungen der Männer gewöhntes, ein
agefalljüchtiges, ein puß: und vergnügungsjüch:
tiges Mädchen irgendwo zur Lehrerin und Er:
zieherin taugt, wollen wir hier nicht erörtern:
ins Ausland taugt fie weniger als jede andere.
Se mehr die deutfche Lehrerin mit den überall
gültigen Formen der feinen Sitte vertraut it
und je fchneller und geräufchlofer fie fih den
befonderen Sitten der Gejellichaft, in die fie
eintritt, anzubequemen weiß, deſto cher wird
fie fih auch ohne bejondere Anjtrengung die
Behandlung zu fihern wiſſen, die ihr als einer
gebildeten Frau gebührt. ch ſetze, obgleich das
befremden mag, nichts über ihre wiſſenſchaftliche,
pädagogische und fünftlerifche Bildung hinzu.
In diefer Hinficht wechſeln die Anforderungen
nicht bloß in den verfchiedenen Ländern, fondern
je nady der Art der Wirkſamkeit und auf den
einzelnen Stellen zu ſehr, al3 da etwas Allge-
meingültiges in ein paar kurze Sätze zufammen-
gefaßt werden fünnte. Folgendes aber iſt zu
beahten. Es weiß und kann nicht leicht eine
Lehrerin zuviel, manchmal aber wohl zu wenig.
Die Eramina in Deutjchland find nicht nad) den
Anforderungen des Auslandes, fondern nad)
denen deutſcher Mädchenſchulen bemeſſen; ein
gutes Examen iſt alſo noch keine Bürgſchaft,
daß man für jede beliebige Stelle draußen
tauge. Fremdſprachliche Konverſation und bril—
lantes Klavierſpiel werden gewöhnlich im Aus—
lande höher geſchätzt als gründliche Kenntniſſe
in den Elementarfächern — bei Gouvernanten
in deutſchen Familien übrigens auch!
Fürs dritte laſſe man ſich vor Annahme
einer Stelle nicht nur möglichſt genau ſagen,
140
was verlangt wird, und verjpreche nichts, was
man nicht leiften kann, fondern man mache auch
vorher aus, wie man in Bezug auf Ferien und
Freiftunden, auf räumliche Unterkunft, auf
Plichten außerhalb der Unterrichtsitunden, auf
Kirchenbeſuch, Gefelligkeit, Kündigung und ähn:
liches geftellt fein wird. Ein wenig Deutlichkeit
vorher ijt beſſer als gegenfeitige Enttäufchung
nachher. Es iſt nüglich, eine bejtimmte Anzahl
jährlicher Ferienwochen vorher zu vereinbaren
und auszumachen, ob man fie anderömo und
auf eigene Kojten verleben muf oder nad) Wahl
auch auf der Stelle ſelbſt verleben fann. Cs
ift nur bei wenigen Leuten nicht nötig, ſich ein
oder zwei tägliche Freiftunden innerhalb der
Tageszeit zum Selbftitudium und zur Erholung
auszubedingen, und ift doch zur Bewahrung der
förperlihen und geiftigen Gejundheit unerläß:
lich. Wer nicht Luft hat mit feinen Zöglingen
das Schlafzimmer zu teilen, muß ſich danadı
vorher erkundigen. Man frage genau, welde
Aufficht über die Kinder außerhalb der Schul:
ftunden zu führen fein wird, und fei vorfichtig
in der bindenden Uebernahme häuslicher Pflich—
ten, weil viele Gebieterinnen — in Deutſchland
übrigens jo gut wie anderswo! — darin fein
Maß kennen. So gut aber wie es die Gouver—
nante freut und erquidt, falls wohlmwollende
Leute ihr über die feitgefegten Bedingungen
hinaus gelegentlich eine Erleichterung ſchaffen,
ein Vergnügen bereiten, ein Geſchenk machen,
an ihrem perjönlichen Ergehen Anteil nehmen,
fich nad) ihrer Familie erfundigen, ihr Vertrauen
ichenfen, jo jicher verbeſſert und befeitigt es aud)
ihre Stellung, wenn fie einmal ein wenig mehr
thut als wozu fie fontraftlich verpflichtet it: |
einmal bei einem kranken Kinde wacht, in einer
befonderen häuslichen Not zufpringt und fonit:
wie zeigt, daß fie zu den feiner gearteten Men-
ichen gehört, die geneigt find mehr zu thun als
fie müfjen, und weniger zu verlangen als fie |
fünnten.
Daß ein ganz junges Mädchen, und fei fie |
noch jo trefflich angelegt, jchwerlich fürs Ausland |
taugt, dürfte aus dem Geſagten ſchon hervor:
gehen. Anderjeits muß noch foviel jugendliche
Glaftiertät vorhanden fein, dag man fid) leicht
in fremde Menſchen und Dinge jchidt, wenn |
man zum erftenmal die ſchwarzweißroten Grenz: |
pfähle hinter fih läßt. Leider ift fein Naum
mehr, zu erörtern, in welder Weife ein Aufent- |
halt im Auslande für die eigene Ausbildung |
Serdinand Avenarius,
— — — m — —
Mailiedchen.
beſonders nach der ſprachlichen Seite hin nut:
bar anzuwenden ift, obgleich gerade darin eine
der Bedingungen gegeben ift, auf einer halb:
wegs erträglichen Stelle auszuharren.
Jeder Platz in der Welt hat feine Schatten:
feiten, jede Gouvernantenftelle in Deutjchland
und außer Deutfchland ganz gewiß auch. Wenn
du die befonderen Laften fpürft, die mit deiner
bejonderen Stelle verbunden find, fo thue dies.
Verſetze dich fo unbefangen, wie du fannft, in
die Lage der Leute, von denen du abhängjt, und
frage dich, ob fie das, was dich drückt, nad} ihrer
Art und Eigentümlichkeit leicht ändern könnten
oder nicht. Meinft du das erftere, jo wage eine
bejcheidene, freundliche, ruhige Bitte. Wird fie
dir abgefchlagen, oder ſcheint fie dir fo ausfichts:
105, daß du fie nicht wagen magjt, jo wäge ab,
ob die Vorteile deiner Stellung diefen Nachteil
aufwiegen oder nicht, und danad) trage ent-
weder in der Stille, was fich nicht ändern läßt,
oder mach’ ein fchnelles Ende. Und follteit du
von Herrn Julius Einfiedel zu den Füchfen ohne
Schwanz gerechnet werben, weil du nicht Hagit,
fondern meint, daß tüchtige Gouvernanten ge:
wöhnlich überall in der Welt gut behandelt
werden und gute Stellen finden, jo tröfte Dich
mit der Schreiberin diefer Zeilen, der es aud)
jo aeht.
Mailiedcdhen.
Don
Ferdinand Avenariue,
Nun lacht das goldene Gottesaug
cenz in den dunfeliten Tann,
Da ſeb'n mit bellem Kinderblid
Maiglöfcden verwundert ſich an,
Sie ſeh'n fih an und fragen fi:
Nun fag’ mir, wer du bit?
Sie feb'n ih — und verſteh'n ihn nid
Den Salter, der fie kaßt!
In Eiedern mit der Lerche ſchweht
Die Seele zum Sirmament —
Ach, hätt" ich Einen, dem ich recht
Don Kerzen banfen fonnt'
s
* — Hin.
— —114
re Be, .
» m
-
|
Meißener Vorzellanfabrik.
Friedrich Vechkt.“
ie Geſchichte der weltberühmten Anſtalt, von
der ich hier eine kurze Skizze zu geben ver—
ſuche, iſt mit der Erfindung des Porzellans ſelber
ſo genau verknüpft, daß beide nicht zu trennen
ſind und man notwendig ſogar mit der ihres
abenteuerlichen Begründers beginnen muß. Ich
thue das um ſo lieber, als dieſelbe in der That
wie gemacht ſcheint zu einer kulturgeſchichtlichen
Behandlung. Allerdings wirft ſie ein mehr
) Ueber Meißen im allgemeinen ſiehe Pechts
Aufſatz S. 7 ff. dieſes Bandes.
va
wi 2
Tsd Giatallen in bie Drennöfen.
arelles als erbauliches Licht auf unſere damalı-
gen deutſchen ftaatlihen Zuftände ſowohl als auf
unfere Bildung. Denn zu einer Zeit, wo Frank:
reich ſchon fait auf der Höhe der feinigen jtand,
wo es Schon einen Corneille, Nacine und, was viel
mehr it, einen Molidre und Voltaire nicht nur
erzeugt hatte, ſondern auch zu ehren wußte, wäre
bei uns beinahe ein Krieg zwiſchen Preußen und
Sachſen entbrannt um den Beſitz eines ſchwin—
delhaften Apotheferlehrlings, der unfere Fürjten
' und Staatamänner an der Naſe herumführte.
142
Diefer Apothekersjunge war niemand an:
ders, als oh. Friedr. Böttger, der jpätere Er—
finder bes jo berühmt gewordenen ſächſiſchen
Porzellans, ein begabter, aber abenteuerlicher
Geſelle. Er wurde am 5. Februar 1685 zu Schleiz
geboren, wo ſein Vater Münzkaſſier des regie—
renden Grafen von Reuß war. Später erhielt
derſelbe die Stelle als Münzwardein in Magde—
burg, wo er bald mit Hinterlaſſung des Helden
unſerer Geſchichte
ſtarb. Dieſer Va—
ter war ein ge—
ſchätzter Chemiker
und Goldmacher
dazu, — in der
Meinung anderer
wenigſtens — und
vererbte offenbar
dem Sohne ſeine
Talente. Die Mut:
ter heiratete nad)
jenes frühem Tode
einen Ingenieur,
der diefem Stief-
john eine gute wil-
ſenſchaftliche Er:
ziehung geben lief
und ihn bei feiner
bald hervortreten:
den Neiqung zur
Chemie ſchon im
zwölften Jahr zum
Hofapothefer Zorn
in Berlin in Die
Lchre gab. In ſich
gekehrt, beſtändig
Chemie und Alchy⸗
mie ſtudierend und
deshalb die Ein:
famfeit fuchend, fette er jih da bald in den
Nuf, entweder ein Genie oder ein Narr, jeden:
falls etwad Beſonderes zu fein. Die Neigung
aller jungen Leute zum Wunderbaren mag mit:
gewirkt haben, ihm die Fabbaliftiihe Philo—
jophie des Helmonte, deren er ſich bemädhtigt
hatte, intereflanter erfcheinen zu laſſen, als
einfaches Pillendrehen, und das Forfchen nad)
dem Stein der MWeijen bei Baraceljus, Bafılius
Balentin u. a., fowie den Umgang mit dem
„roten Löwen“ und der „grünen Schlange“ viel
angenehmer, als den mit den Pflaftern. Durch
dies Gebahren ward er ſehr bald der Gegenitand
Jehann Friedrich Wättger.
Friedrich Pedht.
einer gewiſſen Aufmerkſamkeit, die er ſorgfältig
zu nähren und ſich in ein myſtiſches Dunkel zu
hüllen verſtand. Nun fing er auch an im ſtillen
zu laborieren, natürlich mit den Materialien
ſeines Prinzipals. Kam er dadurch mit dieſem
in Konflikt, ſo wurde er aber auch zugleich durch
einige Abenteuer bei ſeinen Verſuchen, die ihm
einmal beinahe das Leben koſteten, zum Stadt:
geſpräch. Vollends, nachdem er ſich gar an einen
al3 Alchymiſt her:
um abenteuernden
griechifchen Mönch,
Lascaris, anſchloß
und von ihm die
Goldtinktur ſowohl
als das Rezept zum
Stein der Weiſen
angeblich erhielt.
Immerhin iſt es
ein Beweis früher
Reife, daß Böttger
ſchon in ſo jungen
Jahren verſtand,
ſich in einen ge—
heimnisvollen Nim⸗
bus zu hüllen. Der
nüchtern vernünf:
tige Prinzipal wur:
de ihm aber immer
auffäffiger ob feines
abenteuerlichen
Weſens und jo ging
ihn denn der Yehr:
ling fchon mit drei:
zehn jahren erft
nad) Breslau, danıı
ein Jahr jpäter in
eine entlegene Vor:
ſtadt durch, um
beidemal nach einiger Zeit reumütig in die Apo—
thefe zurückzukehren. Das Goldmachen wollte
er aber troß alles Werbotes nicht laſſen, ja
brachte es durch allerhand Kunſtſtückchen ſogar
dazu, fertiges Gold vorzuzeigen und ſeinen Ruf
geheimer Wiſſenſchaft dadurch nicht wenig zu
erhöhen. Auch erreichte er es auf Bitten ſeiner
Mutter vom Lehrherrn Zorn, ſchon mit ſechzehn
Jahren von der Lehre freigeſprochen zu werden,
| nachdem er erſt vor deſſen Augen und denen all
feiner Verwandten in einem Tiegel nad langem
Glühen wirkliches Gold produziert hatte, freilich
nur, nachdem er vorher ein „rotes Pulver“ in
Die Meifener Porzellanfabrif.
denjelben geihüttet. — Das machte ihn nun
zum Helden des Tages und nur fein eigener
Stiefvater war der fehr vernünftigen Meinung,
er werde wohl Zorn felber das Gold gemauft
haben, das er nachher im Tiegel gewiefen. Das
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wurde es in Berlin, wo ſein plötzliches Ver—
ſchwinden noch Stadtgeſpräch war, bald bekannt,
daß er ſich dort aufhalte. Der König ſandte nun
ſogleich ein Kommando Soldaten, um ihn abholen
Mu laſſen. Das gab ihm aber ein jo gewaltiges
Nelief in den Augen der Sachſen, daß fie fich
nunmehr diefes Juwel erft recht nicht wollten
143
half aber nicht das mindejte, ganz Berlin glaubte
jegt doch an ihn, ja fogar der König ließ ſich
das Gold zeigen, das er gemacht. Da Böttger
aber wohl wußte, daß er die Erwartungen nicht
erfüllen konnte, die er erregte, jo blieb ihm nichts
übrig als die Flucht. Dieſe führte er
nunmehr jofort aus und ging nad ber
damals noch ſächſiſchen Feitung Witten:
berg. So hoch war aber ſchon fein Ruf
geitivgen, daß der des Goldmachens fehr
bedürftige König alsbald einen Preis
von 1000 Thalern auf feine Habhaft:
werdung ausfette, als feine Flucht in
Berlin belannt ward, und vor Zorn über
diefelbe ftampfte. Da Böttger nicht dazu
gemacht war, fein Licht unter den Scheffel
zu Stellen, fondern vielmehr in Witten:
berg raſch wieder Gläubige, fonar unter
den Univerfüäts: Profefloren fand, ſo
rauben laſſen, fon:
dern ihn im Ge—
genteil auf dem
Zchlofie wie einen
vornehmen Ztaats:
gefangenenfeſthiel—
ten und behaudelten. Der König von
Preußen hatte nun gut Botſchaft über
Botſchaft ſchicken, ja er fonnte dem Wit:
tenberger Kreisamtmann 10000 Thaler,
für die Auslieferung verfprechen, Militär über
Militär fenden, man brauchte in Dresden Gold
zu notwendig, um einen Mann aussuliefern,
der es machen Fonnte, wie jedermann überzeugt
war, Man verjtärkte aljo erft die Garnifon
von Wittenberg, fchidte einen Generalmajor
— von Albendyll — und vier Offiziere zur
144
Bewachung des Apotheker—
jungen, und führte ihn zu—
letzt, als die Reklamatio—
nen und Verſuche König
Friedrichs I. immer drohen:
dermwurden, fort nad) Dres:
den zur aroßen Befriebi:
gung der Wittenberger, die
fich ſchon auf eine preußiſche
Belagerung gefaßt gemacht
hatten.
Daß er aber jegt einen
Goldmacher in feinem Beſitz haben follte, das
wirkte ganz eleftriich auf den ob feiner maß:
lofen Verſchwendung in ewiger Geldnot befind:
lichen Auguſt II. von Sachſen, der fich gerade
in Warfchau befand.
Co hod er daher
auch die Freundſchaft
mit feinem preußt:
ſchen Herrn Bruder
ſchätzte, jo ſetzte er
ſie doch lieber aufs
Spiel und lieferte
Böttger nicht aus,
ſondern ſchickte ihn,
weil er ihn dort ſiche⸗
rer glaubte, erſt als
Staatsgefangenen
nach dem Königſtein
und wies ihm ſpäter,
als Böttger, dem
die ewige ftrenge
Bewachung anfınq
langweilig zu wer:
den, fi) darum toll jtellte, eine jehr ſchöne
Wohnung nebjt Laboratorium in feiner eigenen
Reſidenz an. a der Statthalter, Fürſt zu
Fürftenberg, reifte ſogar, nachdem ihm Böttger
erit das Goldmachen angeblich aelehrt, mitten
im Winter nah Warſchau
mit deſſen Tinkturen, um
die Bereitung auch dem
König zu zeigen, was fie
denn auch richtig mitein:
ander am zweiten Weih—
nachtöfeiertage um Mitter:
nacht in tiefiter Stille, in
einem der geheimften Ge:
mächer der Reſidenz pro:
bierten und nach zmweijtün:
digem Glühen der Tinktur
SEI —
Yeisener Porzellanfigur.
Der Former unb Dreßerfaal
- Dreber bei der Arbeit
Friedrich Pecht.
in einem Tiegel, denſelben — voll einer Art
Blei fanden.
Da man wie gewöhnlich das Verunglücken
der Operation auf Nebenumſtände ſchob, die man
außer acht gelaſſen, ſo ward Böttgers Anſehen
dadurch
gar nicht
geſchwächt.
Im Ge—
genteil
machte er
jetzt die Be:
kanntſchaft
des da—
mals welt-
berühmten
Optifers und
Chemifers Wal:
ther Freiherrn
von Tſchirnhauß,
eines hochgebil
deten Mannes,
der aber aud) jei-
nerjeits an dem
jungen begabten Abenteurer alsbald Tebendigen
Anteil zu nehmen anfing und famt dem Statt:
halter felber bei ihm oft ſpeiſte, der auf königliche
Koften Gäſte beliebig einladen fonnte. Als aber
der König felber nad) Dresden fam, fand er erſt
recht Gefallen an dem jungen Mann. Gefange:
ner blieb er freilich, wenn auch jegt im goldenen
Käfig, wo man ihn indes, des gehofften Ge:
winnes halber, bei beiter Laune zu erhalten
Formen zum Preſſen.
Die Meißener Porzellanfabrif.
fuchte, An der Sorgfalt, N)
mit der man ihn fefthielt, | IN
änderte felbit der ſchwedi— | A
ſche Krieg mit feinen. Nie: —99000—
derlagen nichts. Nach und
nach erregte es aber doch
Mißtrauen, daß Böttger
zwar ſehr viel Gold ver—
laborierte, aber keines
machte, ſondern nur immer
neue Ausflüchte erfand.
Schließlich machte er 1703
einen Fluchtverſuch und kam
bis nad) Linz, ward aber
dort eingeholt und fortan
noch jhärfer bewacht. Denn
an jein Unvermögen, Hold
zu machen, glaubte man
deshalb doch nicht, ja in
der größten Bedrängnis
durch Karl XII. hoffte der
für ihn fehr eingenommene
König immer noch auf
Böttgers Kunft, der ihn mit
großer Gewandtheit in Die:
jem Glauben zu erhalten
wußte. Nach und nad) be:
fan er fogar einen Sof:
jtaat von nit weniger als
17 Berfonen, teils als Ge:
jelfchaft, teils als Be:
wahung. So hatte er im
April 1704 dem König
fhon 40000 Thaler ge:
fojtet, ohne daß diefer von
jeinem Aberglauben abzu:
bringen gewejen wäre. Ja,
Böttger wußte jelbjt die
wiſſenſchaftlich gebildeten
durch fein anregendes und geiftvolles Weſen zu
bethören.
Nun brachte man ihn, als er Ende 1705
noch nichts erzielt hatte, nah Meißen aufs
Schloß, „weil er dort ungeltörter arbeiten
fönne”. Bon diejem ward erim Zeptember 1706
des Krieges halber wieder auf den Königſtein
und, nad einem mit anderen vornehmeren
Stoatögefangenen luftig zugebrachten „jahre,
1707 zurüd nach Dresden, diesmal in ein Yabo- |
ratorium auf der Jungfernbaſtei geführt. Der
König war nun doc) endlich mißtrauiſch geworden
Techniker Tſchirnhauß und Pabſt immer wieder
| geben hatte.
145
Se past
In
—* a
Al l
h ll: Hu lin | in N Ya
—
il — * —
Das Laboratorium
und drohte, ihn hängen zu laſſen, wenn er ſeine
Verſprechungen nicht erfülle.
In diefer Not brachte ihn Tſchirnhauß auf
die Idee, die Fabrifation des Porzellans zu ver:
juchen, die er jelbjt Schon vergebens angejtrebt,
nachdem Auguſt I. Schon Millionen für dieſes
damals nur aus China und japan zu beziehende,
aber ebendarum hochgeſchätzte Fabrikat ausge:
Und ſiehe da, was dem erniten
wiljenfchaftlihen Forſcher nicht gelungen, ſchüt⸗
tete jetzt das Glück dem —— Schwindler
Böttger in den Schoß! Wie das eigentlich zu:
ging, darüber weiß man nichts Sicheres; gewiß
1)
146
it nur, baß er fchon im Dftober oder November
1707 das erfte Porzellan lieferte und der König
die Errichtung einer förmlihen Fabrik in Dres:
den genehmigte, bei der ſchon im Jahre 1708
|
A
|
D
gerfhe war erjt rotbraun, wie das unterm
Namen terra sigillata befannte antife Gefchirr:
material. Erjt zwei Jahre fpäter gelang es ihm
das weiße mit Vollfommenheit herzuftellen. Der
den großen Wert der Erfindung raſch einjehende
König war nun bald
verföhnt und fürderte
Böttgerd Arbeiten
auf alle Weife, um
fo mehr, al3 er auch
jetzt die ftille Hoff:
nung auf Entdedung
der Goldtinktur noch
nicht aufgab. Bött:
ger felber aber, der
bei feinem ewigen
Laborieren offenbar
viele Kenntniſſe er:
worben und der ted)-
nifches Geſchick von
Haus aus befak, ar:
beitete jett mit un:
geheurer Energie troß des bald darauf erfolgen:
den Todes feines Gönners Tſchirnhauß und ver:
befjerte die Fabrikation fort und fort, jo daß er
oft Tag und Nacht nicht von den Defen wegfanı. |
Friedrich Pecht.
I N x et.
NATIEITNI —
De Glafurſtube.
—
| ——
Gefat aus Meikener Torjellan.
2
FD
Pr 4
zwanzig Perfonen angeftellt waren. Ohne Zmei:
fel hat Böttger Tſchirnhauß' frühere Arbeiten
gekannt und benüßt, da diefer ſchon ein alas:
artiges Porzellan erfunden hatte. Das Bött:
Nun handelte es fich aber um einen paflen:
ben Platz, wo man die Fabrikation ins große
treiben und doch gehein halten fünnte, um fo:
wohl den Ruhm als die Vorteile derfelben allein
zu ernten. Diefe Geheimhaltung wurde fo jtreng
gewahrt, daß die
Arbeiter die furcht—
barjten Eide ſchwö—
ven mußten, das
„Arcanum“ nicht zu
verraten, welches
doch Böttger ohnehin
fait allein fannte, ja
daß man überdies
centnerweife Mate:
rialtien, wie Gips
u. dal. herbeiführte,
die man gar nicht
brauchte, blof um zu
verbergen, welche
Erde es vorzugsweiſe
war, die man zur
Bereitung des Porzellans am geeiqnetiten ge:
funden hatte. — Weil e3 als auf ifoliertem
Hügel aelegen, ſehr bequem abzuſchließen und
die Kontrolle der Einz und Ausgehenden leicht
Die Meißener Porzellanfabrif.
durdzuführen war, geriet man jett auf das
Meißener Schloß als den pafjenditen Platz zur
Anlage der Fabrik. Durch feierliches Patent des
Königs vom 27. Januar 1710 ward fie dort
inftalliert, troß des verzweifelten Miderjtandes
der Domherren des Stift, die ihre ſchönen Woh—
nungen mit herrlicher Ausficht fehr ungern auf:
gaben. Es ward nun eine Adminiftration ge:
bildet und der noch immer gegen alles Recht als
Öefangener gehaltene Böttger funktionierte bald
147
als ihr Direktor, bald behielt er bloß bie tech—
niſche Zeitung, lebte übrigens in Saus und
Braus, um fih für die mangelnde Freiheit zu
entjchädigen. Die größten Vorfihtsmaßregeln
aber wurden getroffen, ja eine eigene Schloß—
wache inftalliert, damit das „Arcanum“ ja nicht
durch die Arbeiter verraten werden fünne, was
freilich auf die Länge doch nichts half, nachdem
einmal der Wert der Erfindung befannt gewor:
den war.
Der Boffierfoat.
Eine halbwegs gute Adminiftration zu or:
ganifieren, gelang indes nie, obwohl der un:
ordentlihe und hochfahrende Böttger vorläufig
noch in Dresden blieb zur Beaufjichtigung der
dort belafjenen Fabrifationszweige, als des
Malens, Schleifens ꝛc. und nur zeitweife nad)
Meißen fam. Deshalb gab die ihren Betrieb
dod) fortwährend ausdehnende Fabrik noch lange
feine Rente, fondern geriet immer tiefer in Schul—
den; nicht am wenigiten durch Böttgers Un:
ordnung, der allmählich in feiner ewigen Ge:
fängnishaft ein Säufer geworden war. — m |
jahre 1714 hatte er endlich die volle Freiheit
erhalten, die ihm feit 1609 verfagt geblieben
war. Infolge feiner Ausfchweifungen jtarb er
indes fchon am 13. März 1719 und hinterließ;
die Fabrik in einem nichts weniger als blühen:
den finanziellen Zustande. Cs war dies um fo
mehr der Fall, als fait alle bejieren Stüde, die
fie erzeugte, vom König zu Geſchenken verwendet
wurden, mit denen er außerordentlich freigebig
war, Man mufz fich nur wundern, daß es Bött-
ger wenigitens gelungen war, die Produktion
fortwährend auszubilden troß aller Hindernifie,
welche jeine und anderer jchlechte Nominiftration
ichuf, bei der er bald aar feines Anfchens mehr
148
bei den Arbeitern genoß, die hier ſelbſt ſchon
das Streifen mehrfach praftizierten. — Indeſſen
hatten fich doch alsbald talentvolle unter ihnen
gezeigt, fo befonders Köhler, der Böttger jchon
bei den erjten Verfuhen der Bereitung des
weißen Porzel:
lans geholfen
und Cdubert,
welche beide die
Bereitung der
Maſſe, das Ola:
jieren und Bren:
nen leiteten.
Selber lieder:
ih, wie Bött—
ger, fonnten ſie
aber natürlich
ihre Fabrikge—
heimnifje nicht
bewahren, die
denn auch ſchon
bald verraten
wurden und zur
Gründung von
ähnlihen Fabri—
fen in verſchie—
denen Gegenden
Deutichlands
führten, Da:
neben war Die
offizielle unge:
eure Geheim—
haltung einfad)
lächerlich.
Es bleibt nun
übrig zu zeigen,
wie weit zu Bött-
gers Lebzeiten
die Fabrikation
gebracht ward.
Das erſte Ma:
terial hatte der:
jelbeinder Dres:
dener Gegendge—
funden, dann be—
nützte er für das rote Porzellan die zu Okrylla
bei Meißen gefundene Thonerde, die ſchon längſt
berühmt war. Für das weiße bezog er dann
den Thon erſt aus der Gegend von Kolditz und
Waldenburg, beſonders aus Terpizſch, ſpäter
aber den feinſten Thon von Mehren bei Meißen.
Ganz gelang die Fabrikation Böttger indes erſt,
Ftiedrich Pecht.
Auflegen von Epinen und Blumen auf bat Porzellan.
als er durch Zufall auf die in Aue bei Schwar-
zenberg gefundene Erde fam. Diejelbe verkaufte,
ob ihrer Weiße und Feinheit, der Beſitzer dieſes
Terrains, Veit Hans Schnorr, ſchon lange ala
Puder. Böttger, deilen Kammerdiener fie als
folhen für ihn
felber verwen
dete, geriet, ala
er das erfuhr,
auf den Einfall,
fie zur Porzellan—
bereitung zu ge:
brauden, was
jofort glänzend
gelang. Mehr
Schwierigkeit
machte die Er—
lernung des
Glaſierens und
Brennens und
die Behandlung
der ſich durch das
Brennen ſehr
ſtark verändern—
den Farben, be—
ſonders des
Blau. Indes
präſentierte man
doch ſchon 1717
dem König die
erſten blauen
Taſſen. Mußte
das erſte rot—
braune Porzel—
lan noch geſchlif—
fen und poliert
werden, ſo lernte
man nach der
Erfindung des
weißen ſehr raſch
das Malen,
Aetzen, Gravie—
ren und Email—
lieren desjelben,
wie man denn
auch die längſt ausgebildete Technik der Email:
malerei und Glasfabrifation, jo das mit Gold
und Eilber, Stahl und Scimelzauslegen, das
Ueberfpinnen mit Gold: und Zilberfäden ꝛc.
raich auf das neue Material übertrug. Schon
auf der Oſtermeſſe 1713 kam ſolches mit Gold,
Silber, Stahl, Schmelz und mail verzierte
Die Meißener Porzellanfabrif.
weiße Por:
zellan in
Leipzig,
1715 aud) in
Dresden
zum Ver—
fauf, wel:
cher aber jo:
fort fo be:
Ser Biumenfaal,. — Porjeflanwaren mit Plumenmalerei.
149
dem aber ziemlich gleichzeitig mit Böttgers
Wirkſamkeit der Nofofoftil in Dresden durch
des unſterblichen Architekten Pöppelmanns
Genie aufkam und zu jener größten Aus:
bildung aebradht ward, die ſchon Semper
anertennt und deren herrlidiites Denkmal
der von Pöppelmann 1710 begonnene, um
1722 vollendete berühmte Zwingerpalaſt iſt,
fo wirkte das unmittelbar auf die deforativen
Gewerbe ein. hm folgte der Umbau des
japanefiichen Palais und die Errichtung
vieler anderer Gebäude durd den pradht:
liebenden Auguft Il. Dieje
Bauten, wie der am Hofe
herrſchende Luxus überhaupt,
erzeugten eine Anzahl defo-
rativer Künftler erjten Nan-
ges, welche nun alsbald diefen
alle Welt mit Entzüden er:
füllenden Stil auf die Por:
zellanfabrifation nicht weniger
als auf alle anderen Kunſt—
gewerbe übertrugen. Das
Verdienft diefer Uebertragung
fommt nun allem nad) am
meiften dem Genie zmweier
Männer zu, die nad) Bött-
gers Tode bald die Seele der
Fabrik wurden. Zunächſt den
geſchickten Maler Hörold, der
deutend ward, daß lange nicht alle Nachfrage | den japaneſiſchen feinen Farbenſinn mit dem fo
befriedigt werden fonnte. Die Erfindung madıte
nunmehr das ungeheuerjte Aufjehen in ganz
Europa und Sachſen ward mit Recht allgemein
um dieſelbe beneidet. Daß Böttgers ohnehin
großes Selbitgefühl nicht wenig dadurch geitei-
gert ward, iſt jelbjtverftändlich, wie nicht minder
das aller Arbeiter.
Seinen eigentlihen Wert, die ganz ſpecifiſche
Bedeutung erhielt das ſächſiſche Porzellan indes
erst durch die Künitler, die jenen eigentümlichen
Stil für dasfelbe erfanden, der dasjelbe als
„ Vieux-Saxe* heute noch durch die ganze Welt
gehen läht. Hatte man nämlich anfangs als
Mufter zunächſt die hinefischen und japanefischen
Gefäße, Teller und Tafien benütt, die fchon
Auguft I. in jehr großen Mafjen in Dresden an-
gejfammelt, jo war das infofern fehr gut, als
man dabei doch die mit Notwendigfeit aus der
Technik und dem Material ſich ergebenden Stil:
formen überhaupt, dann vorab das fo feine
japanefiihe Rolorit fich aneignen lernte. Nach—
zierlichen als pifanten Kolorit der damaligen
Franzoſen, vorab des Watteau auf die Por:
zellanmalerei
verpflanzte.
— Nod) nad):
haltiger und
origineller
aber wirkte
der berühmte
Bildhauer
Kändler, der
1731 an der
Fabrik ange:
jtellt ward und
der Produk—
tion eine ganz
neue Wen:
dung gab.
Dazu fam,
daß nad) des
unordentlichen
Deeibener Porzellanfiaur.
150 Friedtich Pech.
Böttgers Tode doch eine wenigitens etwas befjere
Administration einzuführen gelang, welde die
grogen Vorzüge auszunüben verjtand, die das
Meißener Porzellan felbit vor dem chineſiſchen
voraus hat, feine Dauerhaftigfeit, Härte, Bil-
ligfeit, und die ihm alsbald einen fehr großen
dad Auffommen unferer eigenen Induſtrie
bilden.
Bei der Meißener Fabrik blieb freilich auch
jet noch der ſächſiſche Hof der befte Kunde, der
ungeheure Quantitäten des Fabrifats zu Ge-_
ſchenken verbrauchte, allerdings aber dadurch auch
Nuf ermwar: nicht wenig
ben, ſobald feinen Ruf
es durchjene ausbreite:
Geſchmacks— te, Eben:
verbeſſe⸗ deshalb
rung in der und ob der
Produktion immer noch
jenen Reiz ſehr man—
wirklicher gelhaften
Neuheit ge: Admini-
wann, ber ftration
überall fo gabdie Fa-
unwider⸗ brik nicht
ſtehlich nur keine
wirkt. Dieſe Rente,
verſchaffte ſondern er:
ihm denn forderte
auch alsbald oft Zu—
in ganz ſchüſſe,
Europa was auch
Verbrei⸗ nach dem
tung, ſo daß Ableben
die Fabrik des ver—
kaum genug ſchwende⸗
liefern konn⸗ riſchen und
te. Nur das pracht⸗
ſtand dem liebenden
Abſatz an— Auguſt des
fänglich noch Starken
im Wege, und der
daß beſon— Thron⸗
ders noch — beſteigung
die Leipzi— — * Auguſt des
ger Kauf— Dritten
leute, die Eaal ber Poliererinnen. nicht viel
bisher gro: bejier wur:
hen Gewinn vom Verlauf des hinefiihen Bor:
zellans gehabt, fih im geheimen der Ver:
breitung des ſächſiſchen möglichit widerſetzten.
Alfo genau diefelbe Erjcheinung, die wir aud)
heute noch in allen möglichen Induſtriezweigen
wahrnehmen, wo nur zu viele unferer Kaufleute
das ohnehin jo große Vorurteil der Deutjchen
für alle fremde Ware noch nadı Kräften be:
fördern, weil fie vom Vertrieb derjelben mehr
de. Umfomehr hatte fidh der technische Betrieb,
befonders durch Hörolds Talent, verbeilert.
Derfelbe übte Schon gleich nady Böttgers Tode
den wohlthätigiten Einfluß, befonders dadurd),
daß erdann 1731 noch Nändler als Movdelleur und
Lehrer der Modellierfunft anjtellte, defien wahr:
haft unerfhöpflihe Erfindungen von graziöfen
Gruppen und Figuren wie Ziergeräten aller Art
in Verbindung mit Hörolds foloriftiihem Talent
Vorteil haben und jo das Haupthindernis für | der Jabrifation erft jenen ganz ungewöhnlichen
Die Meißener Porzellanfabrif.
Kunitgehalt
gaben, der fie
allein durch
Jahrhunderte
zu erhalten
vermochte,
weil er ſo ganz
dem Charak—
ter des Ma—
terials wie
dem der Zeit
ſelber ent—
ſprach. Man
— Bebrifzeiäen, Qwichelmufter. Könatbla
fieht hier em Dradienmulter, Boryellangefüh mit Wattenu
mal recht was bild, Aumitmaler bet bee Arbeit
A 5
geniale Hünft-
ler einer Induſtrie nüten fönnen! Den Ton,
welchen PBöppelmann in der Mrcchiteftur an:
ſchlug, hatten fie allerdings nicht angegeben,
aber ſie festen ihn doc im Kunſtgewerbe fort.
Es iſt das Nofofo in feiner klaſſiſchen Form,
wie es eigentlich nur in Deutjchland zu feiner
höchſten Ausbildung gebradht ward, und mie
fih das glatte fühle, zierlihe Material des
Porzellans ganz vorzüglich dazu eignete. Diefe
fofetten ala Schäfer und Schäferinnen verfleide:
ten Hofleute mit dem ewigen fühen Lächeln
auf den Lippen, diefe Pagodenfiguren mit
wadelnden Köpfen, die zu allem Ja zu jagen jchei:
nen, was der Uebermut der Herrjcher befahl, der
fie erhob durch feine Gunft und in ihr nichts ver:
finfen ließ, fie zerichmetterte wie Gejchirr, wenn
Gmaillieröfen.
er fie ihnen entzog, fie waren eigentlich alle fchon
von Haus aus porzellanen geweſen und es war
eine Art von Anachronismus, daß Böttger ihr
Material erſt erfinden mußte. Die lange Dauer
der Wirfjamfeit Kändlers, von 1731 bis 1775,
begünftigte aber auferordentlich die Entwidelung
des Stils und die Bildung feiner großen Schule
wie einer feiten Tradition. Während feine
frühejten Arbeiten noch mehr die üppig über:
mütigen Barodformen zeigen, wird das zierliche
aber innerlich nüchternere Rokoko allmählich
152
immer herr—
fchender in den:
jelben mit fei:
nen auf die ae:
brodyenen Ba:
vodformen nur
aufgehefteten
Blumentetten,
feiner Roſen—
und Zwiebel:
muiterver:
ſchwendung und
jenem raſch
wachſenden Na:
turalismus in
der Nachbil—
dung der Plan:
zenformen, zu
dem das jede
Kühnheit ei lau:
bende Material
förmlich auffor:
derte.
jigen Verwendung von Vögeln und anderen
Tieren, mit Denen man Die Bafen und Aufſätze
verzierte, Paliſſys Einſluß maßgebend geweſen,
Porzelanihole mil Auf.
wie bei der oft mit merkwürdiger Birtuofität
betriebenen Nachbildung aller möglichen Blu:
men, die ganz frei herausmodelliert und auf:
geheftet wurden. Zugleich entfaltete Kändler
Unjtreitig iſt befonders bei der jo hau:
Peryelantabrif iın Trtlebitchthol
Sriedrid; Pecht. ö
— zu \
der, Ar —* PR ——
ers
aber im fernen Kon:
pojttienen nicht et:
wa nur Die fran:
zöſiſche kolette Yü
ſternheit, wie wir
ſie z. B. an dem
mitgeteilten Uhrgehäuſe (S. 153) mit feinem
ſentimentalen Flötenbläſer, der Lautenſpielerin
und Dam Juntker, Der einem Landmädchen den
Hof macht, finden, jondern er verftand ſich auch
aanz gut auf jenen echt Deutichen, familienhaften
Zug, wie wir ihn in den beiden fojenden Grup:
pen finden, wo Die Mutter das Kind an der
Brust oder dem Vater zulächelnd zeigt ( S. 154),
wie wir bei der au der Urne des Gatten trauernd
ſtehenden Witwe und ihrem ſofort bereiten Tröfter
— 155) auch jenen Humor entdecken, Durch
den ſich dieſer Künftler ſehr zu ſeinem Vorteil
vor den Chardin, Watteau und Boucher aus:
zeichnet, Dre ihm ala Muſter vorgeſtellt wurden.
Wie die Barod: und Rokoloarchitektur ſelber, acht
auch dieſe Gefäßbildnerei bloß auf maleriſch pi:
kante Wirkungen aus, und unterſcheidet ſich da:
durch grundlich von der Der Rengiſſance. Die
in allen Farben ſchillernde, ſüße und lokette,
ſelten tiefe, aber immer pikante und reizende
Färbung Hörolds, welche Watteau überaus glück
lich ins lichtvolle des Porzellans überſetzte, unter—
ſtützte ihn dabei nicht wenig zur Hervorbringung
in ihrer Art unübertrefflicher und einziger
Produkte. Durch die ewige
fabrifmäßige Wiederholung
diefer Dinge aber bildete
fi fehr bald ein fo feit:
ftehender Stil in der Ted):
nit aus, daß er bis heute
nicht ganz zu ruinieren ge:
wefen ift. Und doch hatte
die Fabrik fo ſchwere Zeiten
durchzumaden, bejonders
bei der preußifchen Inva—
fion 1745 und nod mehr
bei der im fiebenjährigen
Kriege, wo fie fait zu
Grunde ging und ihre Vor:
räte von den Preußen felbit:
verftändlich ala gute Beute
behandelt wurden. Den:
noch hatte ſich der Abjat
im Jahre 1752 bereits wie:
der auf 224 000 Thlr., die
Zahl der Arbeiter aufnahe:
zu 400 gehoben, die kurz
nah dem jiebenjährigen
Kriege ſogar auf 731 ftieg.
Friedrich der Große hatte
während desfelben die An:
ftalt oft beſucht und fich
alle Mühe gegeben, die
Fabrikation nad) Berlin zu
verpflanzen, ihr überdies
für mehr als eine halbe
Million Waren entnom:
men. Dennod) erlangte fie
gerade bald nachher ihren
Höhepunft, den fie bis heute
nicht wieder erreicht hat.
Dazu trug nun wohl die
um diefe Zeit erfolgte Be:
rufung des berühmten Ma:
lers Dietrih als Direktor nicht wenig bei,
deſſen leichtes und gefälliges Talent dem
Kändlers immerhin verwandt war, wenn es
auch jenem an echtem Naturgefühl wie Kühn:
heit der malerifhen Behandlung keineswegs
gleihlommt. Mit ihm.ging der Humor ver:
loren und hielt der antififierende Zopf feinen
Einzug. Nach ihm ward der Bildhauer Acier
aus Paris berufen, der indes Händler jo wenig
erjegte als andere Künftler.
Nahdem jo 1774 die Fabrik mwenigjtens
materiell ihre größte Höhe erreicht hatte, — die
—
Die Meißener Porzellanfabrif,
Uprgepaufe aus Poryellan S. 1521,
geiftige datiert allerdings weit früher — ging
fie erſt langſam, dann immer fchneller zurüd, fie
verfteinerte ebenjo, wie das geſamte deutſche
Kunft: und Staatsweſen. Die langen Kriege
von 1792 bis 1815 waren aber nicht geeignet,
fie zu heben. Nicht nur ftodte der Abſatz nad)
Rußland und der Türkei faſt gänzlich, der bis
dahin der größte gewejen war, fondern die alte
Kunftfertigfeit war auch faſt ganz verfchwunden,
die Fabrik von ihren zahlreichen Konkurrenten im
In: und Auslande vollitändig überholt worden,
da fie mit dem Rofofojtil ihr N Lebens:
2
154 Sriedrich Pecht.
princip aufgegeben hatte. — Erft die Gründung | jeit Sempers, Rietfchels und Hähnels Wirken
des Deutfchen Zollvereins einerjeits, die Hebung | in Dresden anderjeits gaben ihr wieder einigen
der deutſchen und fpeciell der ſächſiſchen Kunſt Aufſchwung. War die Cornelianifche Richtung
aber nichts weniger als ge:
eignet für die Porzellantech—
nif, fo fonnte auch die An:
itellung bes ihr angehörenden
Ludwig Richter als Zeich—
nungslehrer der Fabrikation
zunächft feine Früchte tragen,
da er viel zu wenig Kolorift
war, um irgend günftig zu
wirken. Seinen eigenen Stil
der Kompoſition aber, der
das allenfalls wohl hätte
thun fünnen, wenn er einen
Koloriften wie Hörold zur
Seite gehabt hätte, hat über:
Meihener Porzelanfigur. dies Nichter nur erit nad) Meihener Porgellanfigur.
jeiner Verſetzung an die
Dresdener Akademie recht ausgebildet, obwohl vermocht, diejer Anftalt wirklich neues Leben
er die Antriebe dazu in dem ſchönen Meigen | einzuflößen. Indes war es wenigſtens voll:
empfing. Am allerwenigften war aber die neu: | fommen fahgemäß, daß man wieder auf die
eingeführte, ftreng bureaufratiihe nur aufs | alten klaſſiſchen Produktionen des Rokoko zurüd:
Rentieren fehende Adminiftration geeignet, der | griff, ihre Formen, die man noch großenteils be:
Fabrik aufzuhelfen und fo dauerte es denn auf: | fa, wieder neu abdrudte und ihre Malerei fo:
fallend lange, bis ſich der fünftlerifche Gehalt der | pierte, jo gut oder vielmehr ſchlecht, als man es
Leiltungen, der einſt jo groß gemwejen war, nur | eben verjtand. Das Witige und Spigige, den
wieder einigermaßen hob. Dazu war die geniale | geiftreih pifanten Vortrag derfelben verjtand
Liederlichleit unter Auguft dem Starken mit | man freilich offenbar gar nicht mehr, fonft hätte
ihrem feinen Geſchmack und ihrer Gleihgültig: | man nicht ihre feingebrochenen, aber fräftigen
feit gegen das Geld zweifellos viel geeigneter. | Farben durd fühe und ſchwächliche erjegt und
Selbit das außerordentliche Aufblühen des Kunft: | den Vortrag derjelben, die fede, übermütige
gewerbes in ganz Deutichland, zufolge der Er: | Pinfelführung mit folder punftierender Lahm—
eiguiffe des Jahres 1870 mit ihrer ungeheuren | heit vertaufht. Dennoch fteigerte ſchon dieſe
Hebung des Nationalwohlitandes hat es nicht | fentimentale Nahahmung den Abjat aufs glän-
zendjte, aberfelbit
diejer wirkte nicht
fonderlich auf die
nur fisfalifche
Geſichtspunkte
kennende Leitung.
Dafür brachte
man allerdings
den techniſchen
— — Betrieb wieder
Be en; etwas mehr auf
Sqhale auß Meibener Porzellan. die Höhe der Seit. Gefäh aud Meikener Poryellan,
War die Be: —
laſſung der Fabrik in den bisherigen Lolalitäten jelben hinunter ins Triebiſchthal ſich als ab:
immer ein ſehr großes Hindernis geweſen, fo | jolut notwendig herausftellte, ſowohl um eine
daß die 1863 ftattaefundene Verlegung der: | Wafjerkraft zu gewinnen, als die Ab: und Zu:
Die Meifener Porzellanfabrif,
fuhr zu erleichtern, fo vergrößerte man fie
jetzt noch einmal zu Anfang der fiebziger
Jahre und der Abfa erhob fich 1874 bis auf
1681000 Mark, die Zahl der beichäftigten
Perfonen auf 655. Angefichts des veränderten
Geldwertes und der ungeheuer gefteigerten
Konjumtion ift das freilich faum die Hälfte der
einitigen Blüte. Jedenfalls hat die gegenwär—
Melbener Porsellanfigtr.
tige, vorzugsweiſe auf kaufmänniſche Principien
bafierte Verwaltung der Anftalt durch ihr Zu:
rüdgreifen auf die Form des Vieux-Saxe
wenigjtens jenen praftijchen Blick erwieſen, der
fih nad) der Nachfrage richtet, allerdings ohne
irgendwie ſchöpferiſch vorzugehen.
Aber darüber kann doch feine Frage fein,
daß der Betrieb einer ſolchen Staatsfabrif ſich
heute bloß dadurch genügend rechtfertigen läßt,
wenn man fie als eine Mujteranitalt betreibt,
die der übrigen bejonders in Sachſen, ja fpeciell
in Meißen jelbit jehr bedeutenden Produktion
biejer Art entweder neue Mege zu weifen, oder
doch auf den alten mit qutem Verftändnis weiter
zu gehen hat. Daß die Meikener Fabrik bis
heute aber in ihrer Produktion nur wenig Ein:
wirfung, weder der fo vortrefflichen Dresdener
Bildhauerfchule, noch derdortigen ausgezeichneten
Koloriften unter den Malern, wie 3. B. des fo
genialen Scholz zeigt, während doch die gefamte
deutſche Induſtrie den Farbenfinn Mafarts
fühlen läßt, daß fie ebenfomwenig einen Einfluß
der unter Graffs Zeitung fo friſch aufblühenden
Dresdener Kunſtgewerbeſchule zeigt, das bemeift
155
doch, wie jehr ihr bis heute neben der finanziell
untadelhaften Leitung das eigentliche artiftifche
Verftändnis fehlt. Da fünnte nur ein fünft:
lerifches Talent helfen, welches, wie jeinerzeit
das Händlers, der Produktion eine neue Wen:
dung zu geben, fie auf die Höhe der heutigen
Kunst zu heben vermöchte, wie dieſelbe ich einft
auf die des vorigen Jahrhunderts, dank jenen
Männern, mit fo großem Glüd jtellte.
* *
Während zu dieſer Skizze für das That—
ſächliche, die Biographie Böttgers von Engel—
hardt, Klemms Werkchen über die kgl. Porzellan—
ſammlung und Viktor Böhmerts neu erſchienene
„Geſchichte und Statiſtik der Meißener Por—
zellanmanufaktur“ neben langjähriger eigener
Beobahtung der Erzeugnifie diefer Anſtalt be-
nußt ward, geben unfere Abbildungen die Fabril—
lofalitäten, wie fie jet find, Die einzelnen tech:
nischen Vorrichtungen und einzelne Erzeugnifie
der Fabrikation, So fehen wir auf Seite 141
das Einfüllen der Waren in die Brennöfen,
dann unten das Erproben derjelben und oben
den Heizer jelber, melde uns dieje jo große
Sorafalt erfordernde Operation des Brennens
des Porzellans in ihren verſchiedenen Phafen
verfinnlichen. 5.143 zeigt dann den Apparat
zum Schlämmen, und das Nundbild den, welcher
zum Mijchen und
Entwäſſern der ge:
ihlämmten Erben
dient. S.144 führt
oben einen Dreher
am Drehjtuhl vor,
der wie bei aller
Töpferei, jo aud)
beim Worzellan,
ihon darum eine
Hauptrolle jpielt,
weil Die große
Mafle desſelben,
wie ſie heute er:
zeugt wird, doch durchaus aus couranten Ar:
tifeln, Servicen und Tifchgeräten aller Art
beiteht, das in der Hauptſache auf dem Dreh:
ſtuhl hergeitellt wird. Neben dem Drehen
bildet das Preſſen in die Formen, wie wir fie
unten an diejem Bilde liegen fehen, eine Haupt:
arbeit. S. 145 führt uns dann das Laboratorium
mit feinen verfchiedenen Werkzeugen vor, und
Meibener Porgellanfigur.
156
©. 146 zeigt die Glafurftube, während uns im
Doffierfaal auf S. 147 der Beginn der mehr
fünftlerifchen Operationen, die Herſtellung der
Modelle, das Auflegen der Blumen und fonftigen
Verzierungen auf dieſelben bargeftellt wird.
©. 148 zeigt das Auflegen der Blumen und
Spitzen ꝛc. auf die ſchon in der Hauptform her:
geitellte Ware, und S. 149 den Saal, wo die,
eine jo wichtige Abteilung der ganzen Fabrik
bildende Blaumalerei vor ſich geht ſamt ber
fertigen Ware im Vordergrund. ©. 152 führt
uns die Fabrik dann felber vor, wie fie fich jetzt
nach ihrer Verlegung ins Triebiihthal und in:
folge der neueften Anbauten geftaltet.
Es folgen nun Mujter der hauptfädlichiten
Produkte der Fabrik, ſoweit derjelben nicht ſchon
früher gedaht worden. So auf ©. 151 ein
durchbrochener Teller, wie feine Herjtellung durch
jene Verbindung außerordentlicher Geſchmei—
digkeit und Härte des Materials allein ermög:
licht wird, die Dinge erlaubt, welche fonft nur
in Metall möglic) find. Im Fond des Tellers
fehen wir dann den eigentlichen Kunſtmaler an
der Arbeit, wie er eben eine Scene in dem fo
Sriedrich Pet. Die Meifener Porjellanfabrif.
beliebten Watteaufchen Geſchmack herftellt, die
wir ähnlich) auch oben am Rande und auf einer
nebenjtehenden Vaſe mit fönigäblauem Grund
im Söoreögefhmad angebradt finden, während
nebenan Drahen und Eidechjen A la Palissy
zufammen mit Vögeln und Blumen — befonders
dem fogenannten Zwiebelmufter — alſo die
fpecififche Drnamentation des Vieux-Saxe und
ihre technische Kühnheit noch weiter verfinnlichen.
An den Eden find dann die verfchiedenen Fabrik:
zeichen dargejtellt, jo das älteite mit Augustus
Rex, das jeßige mit den zwei Schwertern, eben:
jo das Graf Brühlſche Zeichen 2c., während man
unten noch die Cmaillieröfen fieht. S. 150 führt
uns in die Stube der Poliererinnen, da ſich die
zarten Frauenhände zu biefem bei dem zer:
bredlihen Material jo delitaten Gejhäfte am
beiten eignen. ©. 142 gibt uns des Erfinders
Böttgers, Porträt, das wenigjtens die Kühnheit
des Mannes ahnen läßt; nachfolgende Vignette
aber fchließt das Ganze mit einer chineſiſchen Pa:
gode, umdie Herkunft derganzen Technik anzudeu⸗
ten, wobei wir nur wünschen, daß das Chinefentum
bloß ihren Anfang, nicht aud) das Ende bezeichne.
Auguft Beder. Eleonore,
157
Sleonore.
Roman von Xuguf Beer.
(Fortfegung.)
a] ein! Indes das erfte Glas
Pr || ebeln Purpurweins auf das,
| was wir lieben!“ ſprach Her:
1] big, indem er anftieß, austranf
MW und das Glas hinftellte. „Zu
Bücherzweden reift man allein,
mein Lieber. Sie bedürfen großer Vorbereitun:
gen, fchleppen Schreibzeug mit — unter zwei
Galonen Mlizarintinte, vier Pfund Stahl:
federn und drei Nies Papier thun Sie's nidt.
Billiger und bequemer, mein Freund, bleiben
Sie daheim, fchreiben die Reife in Ihrer Stube.
Sie laden? Nichts leichter. Mit Gfell-Fels
und zwei anderen Welſchlandſchilderern vor fich,
fchreibt man darauf los, nicht zu ſchwunghaft,
eher verfleinernd — es iſt glaubwürdiger, haus:
badeneNikolaiiheNüchternheitift zeitgemäß. Bei
Meflungen die Durchſchnittszahl der früheren,
oder man übertrumpft nod) die niederfte Angabe.
Laofoon, den faradiihen Stier, verfchiedene
Madonnen fee nur fed herunter, Halte dich
darüber auf, da die medicäifche Venus die Ge—
jellfchaftstoilette fajtübertreibe, polemifiere gegen
den gelehrten Smel fungus in Norifs Reife,
weil er das Pantheon für ein geeignetes Lokal
zu Hahnenfämpfen erklärt, während du felbjt
eine Lanze für eine große Welthundeausftellung
im Kolofjeum einlegen magſt.“
„Machen Sie feine jhledhten Witze!” fiel
hier Dräſow vollen Mundes ein.
„Gar nicht. Bin feft überzeugt, bie beite
Reife durch Italien wird neben einem Meidinger
Dfen gemadt. Näubergefhichten ziehen nicht
mehr. Dagegen große moderne Gefichtöpunfte.
Welche Nemefis! Einjt zogen wir aus den ger:
maniihen Sümpfen, um jenſeits der Alpen
Schätezufammenzuraffen. Jetzt raffen wir Schätze
daheim zuſammen, um fie hinüberzutragen.
Um das ganze Mittelmeer herum ſitzen Frank:
furter und Berliner Banquieräfrauen und werfen
Geld ins Wafler. Das als Grundmotiv. Sonit
mag man, nad Barnftaples Nat bei Kapitän
Marryat, die Seefranfheit nad) der Meerfahrt
auf dem feiten Lande befommen — merkwürdig,
weil ungewöhnlid. Schade übrigens, daß hr
Bud nicht ſchon fertig ift. Sch würde es mit:
nehmen — mit deiner Erlaubnis als Opiat!
Denn — Macbeth kann nicht mehr fchlafen.*
„Hm!“ machte Dräſow mit Meſſer und
Gabel hantierend. „Und was treibt denn Sie
über die Alpen ?*
„Mich?“ verfegte Herbig und fchlürfte lang:
fam an feinem Glafe. „Verſchiedenes. ch weiß
es felber nicht. Es iſt fein rechter Raum mehr
zur Geiftesthat. Der Baum, unter deſſen Schat:
ten wir geflüchtet, fchattet zu viel — es wird
fühl, feucht, dumpf, muffig — Starke Pilzent⸗
widelung. Kurz, ich dachte an Afrifa, mitten
durch von Biferta bis zur Tafelbai, fühle jedoch
noch feinen Beruf zum Märtyrer, am wenigſten
den, von Dfenhodern meine Entdedungen an:
gezweifelt zu ſehen. Aljo fürs erjte eine Wall:
fahrt nad) Rom und Sizilien.“
„Auch die Schwalbe treibt der vandaliſche
Wind!” bemerkte Dräſow nachdenklich, indes
Herbig fortfuhr:
„Und dennoch — fo ſeltſam iſt des Menfchen
Sinn — bei diefer Fahrt nad Süden weiſt mein
Herz gleich der Magnetnadel nad) Norden, nad)
den vandaliſchen Küſten.“
„An den Oſtſeeſtrand zurück?“ wiſperte
Dräſow empört. „Iſt man ein Bernſteinkäufer,
ein Salzfiſchhändler, ein Heringsmakler?“
„Iſt die Perlenſchnur alter Hanſeſtädte von
Lübeck bis Wisby nichts? Dann das Heiligtum
von Arkona, Harthaſee, Vineta ...“
„Phantasmen! Problematiſcher Nebel!
Hyperboreiſches Düſter!“
„Sonnenauf- und Untergang breiten mehr
Licht und Glanz um Rügens, Uſedoms, Wollins
Küſte, als ich in Neapel finde,“ verſetzte Herbig,
der ſich eine Cigarre anſteckte, nachdem er ſich
158
überzeugt hatte, daß auch fonft in ben voller ge:
wordenen Sälen geraucht wurde, „Und dann
jene duftige Verfchleierung von nah und fern,
Waldjee, Düne, das weite Meer...“
„Alfo immer nod) rei an Stimmung,” fiel
Dräfow ein. „Wir ahnten ſtets den großen
Lyriker in Ihnen. Aber wo erſchienen Gedichte
von Bruno Herbig?“
„Zhorheit. Dies alles muß dem Publikum
vorgefungen werden. Der Dilletantismus, dem
feine Eitelfeit teuer zu ftehen fommt, plagt mid)
nicht. Genug, wenn man zuweilen noch Poejie
erlebt.“
„Und das haben Sie, erſt jüngft, auf der
Reife!” ſprach Dräſow ihn durch die Brille ſcharf
firierend. „Und es handelt ſich um ein Weib!“
„Er könnte recht Haben!“ meinte Herbig an
die Dede blidend.
„Meine Scharfficht täufcht mich nicht!“ fuhr
Dräſow jelbitgefällig fort, indem er Meſſer und
Gabel aufitemmte. „Allein, wenn fonft nichts,
Freund, jo gedulden Sie fi. Jenſeits der
Alpen werden Ihnen flanımende Blide, flaumige
Dberlippen, römische Büjten und Naden aus
dunklem Laube wie Goldorangen glühen.“
„Kein italiiches Weib kann fih mit ihr
meſſen!“ ermwiderte Herbig ernithaft.
„Mit Ihrer Braut?”
„Wäre ſie's!“
„Wer tft fie denn?” wifperte Dräſow ver:
traulich.
„Weiß ich's? Ich ſah ſie nur ein, zweimal.
Allein, um dieſes Weib könnte ich ein anderes
Troja zerſtören und wieder aufbauen.“
„Schwärmerei! Unſer nordiſches, verküm—
mertes zartes Geſchlecht ohne Nacken und Büſte,
nur Haut, Knochen und — Geiſt!“
„Auch ſolche waren dort. Allein, als fie —
dem Meere entſtieg.“
„Alſo eine wahrhafte vandaliſche oder obo—
tritiſche Schaumgeborne, eine nordiſche
Aphrodite!“
„Ein viel erhabeneres Weib.“
„Eine Walküre?“
„Nein, auch das nicht, Dräſow. Hab' die
Walküren ſatt. — Können Ste ſich eine Vor:
ſtellung machen von der hehrſten und ſchönſten
der göttlichen Vanen ...“
„Von welchen die Vandalen ihren Namen
haben.“
„Mag ſein. Alſo eine Freya Vanadis! Nur
darfſt du ſie dir nicht zu hell denken, ſondern
— — — — — — — — — — — —
|
Auguſt Beder.
dunfelblond, das Antlit blaß, aber gleichjam
mit durchſichtigem Braun untermalt. Nicht zu
milhblütig, fondern wohl imjtande zu zürnen,
wie es in der Edda heißt:
Wild ward Freya und fauchte vor Wut,
Die ganze Halle der Götter erbebte.
Kurz, wenn du willft, eine germaniſche Pallas
Promados.“
Dräſow hielt eine Weile vor Verwunderung
im Benagen eines Rebhuhnflügels inne, drohte
dann ſeinem Gegenüber ſcherzhaft mit dem
Meſſer und fuhr in ſeiner Beſchäftigung wieder
fort, indem er ſagte:
„Me Hercle! Bei Ihnen ſitzt es tief. Die
hohe Athena mit einem modernen Weibe ver—
gleichen, dem weder Homer noch Pindar etwas
iſt, wenn er nichts in die Küche liefert!! Allein ich
weiß ſchon von unſeren Schulfreunden Odyſſeus
und Aeneas her: auf Reiſen iſt man zum
Schwärmen für Frauen leicht aufgelegt. Denk'
an Schiller, der, auf der Flucht, zur Verzweif—
lung des Begleiters eine gewöhnliche Kellnerin
anſchmachtend, nicht zum Fortbringen war!
ja,“ fuhr Dräſow mit dem Anſchein und dem
Gebahren eines jtarfen Geiſtes zu wiſpern fort!
„Das ewig Weibliche zieht uns nicht hinan, fon:
dern herunter. Und wenn man mit Gänfen
jprechen will, muß man zifhen. Und muß es
fein, fo bleibe man nur mit Haut, Knochen und
dem bißchen Bildung daheim. Ich ziehe den
römischen Typus vor, willen Sie, — unterſetzt,
Büfte, Naden, Flaumlippe!*
„Sie wollen mid) wohl umbringen, wie
Simfon die Philiſter!“ fuhr jetzt Herbig los.
„Indem ich eſſend und plaudernd den Kinn:
baden gegen Sie gebrauche? Nicht übel. Aber
genug!” Und Dräſow legte Meſſer und Gabel
weg und griff nad der ihm hingereichten Negalia,
die er — ein wahrer Zündholzmörder — wohl
ein dutzendmal anzündete, mitunter auch verfehrt
in den Mund nahm. „sch bin jet bereit, die
empfindfamfte Gejchichte anzuhören. Vor allem
erzählen Sie mir, wie man bei folder Schwär—
merei für die Meiber noch nicht unter den Pan—
toffel geraten tft.“
Herbig winfte dem Kellner zum Abräumen.
Bevor er antwortete, ſah er fich im gut venti:
lierten Saale um, — aud) der Nebenfaal hatte
fich gefüllt, zum Teil mit Damen. Dann hielt
er feinem Gegenüber eigenhändig die brennende
Gigarre zum Anzünden, was nur für den Augen:
blid half, fette fich bequemer, indem er aus
Eleonore.
einer friichen Flafche einfchenkte, mit Dräfom |
anftieß und nun zu der nachfolgenden Mit:
teilung ſchritt.
4.
„Sie wiffen, oder wiſſen es vielleicht nicht, *
begann Herbig, „ich ſtehe völlig allein im Leben.
Vater und Mutter liegen längft hinterm heimi—
ihen Oberrhein begraben, und ich felbjt ſitze
droben im hohen Nordoſt als Privatdocent in
der Stadt der reinen Vernunft, wie Sie hier,
|
lefe Länder: und Völferfunde mehr zu meinem |
Vergnügen, als zu anderer Belehrung, — und
mein Vermögen reicht gerade hin, ſolchen Luxus
zu führen und — feine reiche rau nehmen zu
müfjen. Dies zur Erklärung des Umſtandes,
auf den Sie zuletzt Bezug genommen. So fa
id mich nad) einer gebildeten um und die ge:
bildete nach mir. Allein, ich ließ fte fiten oder
— man weiß e8 nicht recht — fie mich, denn fie
hat ſich im Frühjahr anderweitig qut verheiratet.
Thränen flofjen nicht. Aber einfam, unbefreundet,
ward ic ungejellig wie ein eingefangener Wolf.
Und da ich für den Winter doch ſchwerlich ein
Kolleg zujammenbringe, Sudan mir dod zu
weit und heiß ijt, gehe ich nad) Rom, — Schupp
in Halle will mit und erwartet mid. Von
Königsberg aus fuhr ich zur See mit dem
159
vereint am Ufer wandelten. Nun lag vor mir —
im Vordergrund — der helle, feinfandige, feite,
belebte Badeftrand. — Eine Weile fah ich dem
Treiben zu. Bald aber war id — der Fremde
unter Fremden — des Anblids fatt und lang:
weilte mich auch hier. Doch meines Schidjals
Uhr ſchlug ihre Stunde. Eben wollte ich alfo,
des Schauſpiels überdrüffig, mid) wieder hinweg
wenden zur Rüdfahrt. Da entitieg ein Weib
dem Meere...“
„Dem Badekarren wollen Sie jagen!“ warf
Dräſow ein, dem die Regalia zum fünfzehnten
Male ausgegangen war.
„Müſſen Sie denn immer dreinfprechen!”
braujte Herbig auf, doch minder rauh und ärger:
lich al aus gut gelauntem Uebermut. „Sie
thun befjer, Ihre Cigarre ordentlich anzuzünden
oder eine andere zu nehmen. Ich jage: ein Weib
ftieg heraus. Götter, welch' ein Weib! Die
Herren riffen fhon von ferne die Hüte von den
blanken Scheiteln, die Damen trippelten fnidjend
‚ und fchnatternd hinzu; ein Heiner, dicker, glatt:
köpfiger, reich gefleideter, ältlicher Herr fam mit
Dampfer nad) Swinemünde, befuchte Herings: |
dorf auf Uſedom, wo ich mic langmeilte, und
dann aud mit befonderer Gelegenheit — Mis: |
droy auf Wollin. —“
„Und da geſchah es.“
„sa, wohl geſchah es!” verfette Herbig
feinem Gegenüber zunidend. „Um etwas mehr
von der Inſel zu fehen, hatte ich mich in einer |
tief einfhneidenden Bucht des Haffs — beim
Teerofen — ausjegen laflen, durchwanderte
den fhönen Wald und watete, ohne mich lange |
im Dorf mit feiner fehenswürdigen Kirche auf:
zuhalten, langjam vorwärts durch den heißen
Dünenfand der Inſel. Mid ganz dem Zufall
und zwedlojen Umherſchleudern überlafjend, ge:
riet ic in die Dünen, die gegen den Nordwind |
ihügen. Indem ih einem Hohlweg durch die
Sandhügel folgte, jhlug ein Tofen — erit leife,
dann immer vernehmlicher — an mein Ohr.
Und nun lag es vor mir — das tiefblaue Meer.
|
|
I
einem Shawl herbei undftellte ſich auf die Zehen,
um ihr denjelben um die Schultern zu legen, —
und fie nahm es hin, ala fei der faubere Alte ihr
Grom oder Gemahl. Ich aber ſtand unbeweglich,
eine Salzfäule, ſtarrte nad) ihr wie verzaubert.
Ob fie mic) überhaupt bemerkte! Sie war zu jehr
umringt, und ic) mußte zufehen, mie fie inner:
halb des Schwarms dahinſchwand, aus der Ferne
nur noch an ihrem blauen Paraſol erkenntlich.“
„Und das war alles?” fragte Dräſow, unter:
des fleißig dem Glafe zufprechend.
„Das war für jet alles. Andere Leute
gingen noch genug da auf und ab. Dennod) er:
ſchien mir der Strand verödet, der Himmel um:
wölft, der Meeresfpiegel gleihjam umgewendet,
grau wie Quedjilber. Endlich wich ich jelbit von
der Stelle, fuchte mit dem empfangenen Eindrud
die Einfamfeit, verlor mid) immer weiter am
Geſtade hin, wo es öde, wild wird, — rechts
der teilen Düne häuferhoher Flugfand, links
Hier glatt, dort gefräufelt, eine Welt voll Licht |
und Glanz. Dann fuchte id Menfchen auf, dort,
wo Männer und Frauen getrennt badeten und
da3 weite, weite Meer. Ya, das Meer! feinen
Anblid erjett fein anderer. Es lag jebt da
wie im Sclafe, dabei tief atmend; und bei
jedem Atemzug jhlug eine Welle an das Ufer
und rollte jhäumend und braufend über den
Sand zurüd. Und weit, weit, weit draußen
ſchoß eine große Möwe mit fchrägen weißen
Schwingen über die Flut. Ich ſah ihr lange
nad), zuletzt nicht mehr allein. Hinter mir von
160
der öden Düne erſcholl ein Menfchenlaut, der
mir ans Herz ging. Es riß mich herum. Und
wen ſah ih? Wer ftand oben auf dem Strande
des Dünengrates?“
„Sie!” ergänzte Dräſow, wieder ein Streid):
holz erprobend.
„Natürlich fie, das bedarf feines Kommen:
tars, Dräfovius. Sie ftand oben, zuerft allein.
Nun traten andere hinzu. Gleichzeitig jah ich
das blaue Paraſol vom Rande fliegen und —
es hatte fich inzwilchen ein Wind erhoben —
die ſchroffe Sandwieſe herunter feewärts treiben.
Im Nu fprang ich hinzu, wie ein Löwe auf
feinen Raub. — Ich rettete das Paraſol und
begann mit meiner Beute fofort die bewegliche
Düne zu erflimmen. Sie war nicht allzuhoch,
aber grundlos, verräterifch nachgiebig, leidlich
loder. Dennod glaubte ich in meinem leiden:
ihaftlihen Eifer alle Schwierigkeiten zu über:
winden. Ich hob die Kniee, ich fletterte, ich
ftieg, ich Homm, Fam aber dabei nicht mehr von
der Stelle. Vergebliches Bemühen! Bis zur Er:
ſchöpfung ftrengte ih mid) an, im Zickzack empor
zu fommen. Ein mühjames Werk, Der Strand:
hafer, an den ich mich hielt, ſchnitt mir in die
Finger‘ oder gab nad; mit jedem Schritt im
lojen Sande glitt id) zwei zurüd. Sie ſchütteln
den Kopf? Berfuchen Sie's einmal. Mit fand:
gefüllten Stiefeln und gefundenen Händen
hätte ich vielleicht doch das Plateau erreicht, von
welchem fich Die edle Geftalt noch immer herunter:
bog. Aber ganz plöglich ſchoß etwas Rundes,
Dides den loderen Hang herunter und hätte mich
wohl mit in die Tiefe gerifjen, wenn ich nicht
den Stiefelabjat vorgehalten, da es mir vor
die Füße rollte. Jetzt richtete ſich der ſchwarze
Knäuel vor meinen Augen aus dem Sande auf
und entwidelte ſich als dasjelbe feifte Männchen
mit dem blanfen Scheitel, das mir ſchon am Bade:
jtrand aufgefallen war. Er bat um das blau:
jeidene Paraſol. Was wollte ih machen; — id)
gab es hin. Aber wie fam es hinauf? Indes
brauchte ih nicht lange dafür zu forgen. Von
einem erfinderijchen Kopfe, der alle vorrätigen
Tücher zu einem Nettungstau verbunden, wurde
unter dem lachenden Beiltand der übrigen das
Parafol ſamt Männchen wieder emporgezogen.
Noch ſah ich deſſen Beinchen in der Höhe ſtram—
peln, jah die hohe Frau fich huldreich zu mir
niederbeugen, hörte fie Eangvollen freundlichen |
Dank jagen. Dann entihwand die Gefellichaft
unter Lachen und Scherzen hinterm Dünen:
Auguft Beier,
rand, den zu erreichen ich mich vergeblich be-
mühte.“
„Und warum zog das ewig Weibliche nicht
auch Sie hinan?“ erkundigte ſich Dräſow, als
Herbig eine Pauſe eintreten ließ.
„Lernen Sie rauchen, ſtatt ſo unnütz zu
fragen,“ bemerkte Herbig, mehr neckiſch als
übellaunig, indem er einſchenkte. „Schon wieder
ausgegangen? Nehmen Sie einmal diefe! —
Und was meinen Sie denn? Ich war der Ge:
jellichaft völlig fremd, die Düne fteil und ein
Menſch ift feine Möwe, um ſich hinanzuſchwingen.
Als ich auf einem Umweg dennoch oben anlangte,
lag die Düne öd, ohne Spur jener Menschen,
— vor mir in einiger Entfernung das Dorf
mit feiner Kirche, hinter mir die bewegte See,
und im Flugſand drüben tauchte ein Mann auf,
der winkte und rief. Es war mein Fährmann,
hohe Zeit zur Nüdfahrt. Wir fanden jenjeits
des Waldes unjer Boot, fteuerten zwifchen nie:
deren Binfenwiefen — dahinter Dörfer, Wind:
mühlen — in die Swine hinein. Und ſchwer—
mütig erwachte ich anderen Morgens im „Deut:
ihen Haus“ zu Greifswalde, das ich nod am
fpäten Abend mit dem lebten Zug von Smwine:
münde aus erreicht hatte. Mit taufend Fäden
30g es mid) nad Misdroy zurüd. *
„Warum find Sie nicht dort geblieben?“
„Weil — wahrlich, Dräſow, Sie haben eine
böfe Art zu fragen an fih. Das müſſen Sie
fih abgewöhnen. Ich hatte in Rojtod zu thun,
wollte Rügen noch beſuchen. Zurüdgefehrt
ſchickte ich von Smwinemünde mein Gepäd vor:
aus und fchiffte mich wieder nad) Misdroy ein.
Auf der ganzen Tour — laffen Sie uns einmal
anjtoßen und trinfen! — auf der ganzen Tour
aljo hatte ich nur einen Gedanken: fie! nur eine
Vorjtellung: fie! Ich hätte den Dcean durch—
ichifft, fie nochmals zu ſehen: die hohe, eben:
mäßig ſchöne Geftalt, das edle Dval des wie
halbes Dämmerlicht myjteriös blafjen Antliges,
— die mehr breite als hohe Stirne vom Haar
ummogt und umjchattet, wie Nügens Kreidefels
von Wald und Meer, — das Auge geheimnis:
voll zwijchen Braue und Wimpern ruhend, wie
im Waldesbunfel der Herthafee, die Miene ver:
fchleiert, die Stimme tieffinnig und der Gang —“
„Lächelnd,“ warf Dräfom ein, da Herbig
ſich beſann.
„Bei der fünften Rippe Ihrer Großmutter!“
braufte diefer auf, „Mann, unterbrich mich nicht
mit jo jchnöden Gloſſen!“
Eleonore.
Diefer bejtand jebocd darauf, daß ein lächeln:
der Gang zu einer tiefjinnigen Stimme gehöre
und jchon dageweſen ſei.
„Rein, unkundiger Thebaner,“ hielt Herbig
entgegen, „ihr Gang glich jenem, den Homer ber
"Hero und Athene zufchreibt, vem Scheuer Tauben.”
„Sp, fo! Einen Taubentritt hatte fie.
Schön. Aber weiter, wie ging es das zweite
Mal in Misdroy?“ fragte Dräfom mit vorge:
beugtem Haupt und der wieder auögegangenen
Cigarre zwifchen den Lippen, in einer Haltung
und dem Ausdrud fcheinbar erwartungsvolliter
Spannung, während Herbig fortfuhr:
„Ich juchte nad) ihrer Fußſpur im Sande,
— vermweht. Ih frug ihr beiläufig nad im
Gajthofe; man fonnte aus meiner Beſchreibung
nicht flug werden. — Was niden Sie fo zu:
ftimmend, Dräfom?! — d) erfundigte mid)
vorfihtig am Strande nad) ihr, auch bei den
Fildern, — man iſt ja Ethnograph. Und einer,
der klügſte, jchien mic) zu verftehen und ſprach
etwas von einer „Domänenrätin”, — die
Damen fämen öfter auf den Kaffeeberg. Ich
ftürzte mid) auf den Kaffeeberg, wartete und
wartete, vergeblid. Jetzt hieß es, viele Gäſte
jeien inzwifchen abgereift, unter anderen aud)
— id hörte zufällig den Namen — Geheim:
rat Betting. Wenn Sie meine Verehrung für
den vortrefflihen alten Hern fennen, mögen
Sie ſich vorftellen, wie leid es mir ſchon feinet:
wegen that, nicht ſofort nach Misdroy gegangen
oder da geblieben zu fein. Es ift der Mann,
dem id) die freundlichſte Erinnerung bewahre.
Nun ihm fo nahe gemwejen ohne Ahnung von
dem liebenswürdigen Greife. “
„Greis!” wijperte Dräſow, die nicht bren—
nende Regalia aus dem Munde nehmend.
„Breis?! Schlägt aus, wie eine hohle Weide,
der man den Kopf ftußt.“
„Bitte, rauhen Sie nicht immer falt und
ſprechen Sie nit jo von einem Manne, der
unfere höchſte Achtung verdient.“
„Die verfag’ ich ihm ja nicht. Aber diefer
reis hat vor drei jahren wieder geheiratet,
ſag' ich ihnen, — ein weibliches Weſen — —“
„Selbſtverſtändlich.“
„Ein Frauenzimmer,“ fuhr der andere fort,
wieder eine Anzahl Streichhölzer vertilgend,
„eine junge Dame...“
„Das ſpricht für die Empfindungen, die der
vortrefflihe Mann noch einflößt. Gewiß ein
ausgezeichnetes Weſen.“
——— ———— — — —— — — — — — — — —
161
„Man fagt es. Sie foll ihn vortrefflich
halten. Es ift die Tochter eines an Gelehrſam—
feit und Kindern reichgefegneten, an Glüds:
gütern armen Schulmannes aus einer Land—
ſtadt,“ berichtete Dräfom, indem er nunmehr
nad) jedem Wort oder Satze mühfam, für den
Zufhauer geradezu beflemmend, an feiner
Cigarre 320g. „Hat ihren jüngeren Brüdern die
griechischen — und lateinischen — Lektionen —
überhört. An Freiern — mag's niht — gefehlt
haben. Aber der Alte — pflegte — wie der
Doktor Erythropel in der Vafteuper Heide —
jeden zu eraminieren: „Haben Sie Sanskrit
itudiert ? — Zend? — Aramäiſch? — Neues
aus der Steinzeit oder über den Gletjcherichliff
an unferen Fündlingen zu Tage gefördert? —
Diatomeen unterjucht? — oder auf atrophyjfifa=
(chem Wege Bemweife für Qungenatmer auf dem
Monde beigebraht? — Niht?! — Und Sie
wollen mein Schwiegerfohn werden? — Pflan:
zen Sie Buchweizen, — züchten Sie Heid:
ichnuden, — ſchaffen Sie Material für Mett:
und Schladwürjte, — aber meine Tochter ſchlagen
Sie ſich aus dem unentmwidelten Cerebralſyſtem!“
— Der Geheimrat befam fie.”
„Sehr begreiflich,“ bemerkte Herbig. „Aber
hat denn aud) dieje feinen Zug? Sie ftrengen
ſich ja fürdhterlih an, Dräſow. — Schade
übrigens, daß ic) den verehrten Mann hier
nicht traf.“
„Sie fommen — aber auch — zu einer
Zeit — wo niemand hier iſt.“
„Sind Sie niemand? — Werfen Sie doch
einmal den Stumpf weg und fommen Sie zu
Atem. — Auch Steuber traf ih, wiſſen Sie,
der immer ausſah, als wäre Apollo jein Pate
und hätte ihm feinen Konfirmationsrod geſchenkt.
Er heiratet.“
„Sa,“ bemerkte Dräfow ruhig, „er hat fich
ihon als Neferendar in Hannover mit einem
Fräulein Pauline Brofholt verlobt.“
„So!! — Er heiratet jedoch Fräulein
Patzky, wie es ſcheint, eine reihe Erbin. *
„Alfo dennoch!” fprady Dräſomw ſichtlich un-
angenehm berührt. „Abſcheulich. ch genoß eine
Weile fein Vertrauen, mahnte ihn ernftlih an
jeine Pflicht. Seitdem hat er mich allerdings
vernachläſſigt. — Sprechen wir nicht weiter von
ihm. — Sind Sie etwa hier auf der Spur
Ihrer Unbekannten von Misdroy?“
Herbig jeufzte und erklärte aufrichtig, daß
er gehofft Habe, bei Bettings einigen Aufſchluß
21
162
über diefelbe zu erlangen, da fie jedem im Babe
aufgefallen fein müſſe.
„ber,“ fette er hinzu, „ich erlangte nichts
als die Kunde von der Weiterreife der Herr:
haften und diefe nelfenduftige Roſe.“
„So, daher ftammt der ſeltſame Geruch,“
bemerkte Dräſow. „Webrigens dachte ich mir
fhon den ganzen Abend, warum du in deinem
anonymen Schreiben diefer nelfenduftigen Roſe
nicht alö Erfennungszeichen ermähnteft, da du
doch von mir, um VBerwechfelungen vorzubeugen,
ala Merkmal eine Papierrolle in der Rodtafche
verlangteit. Cie jtedt noch im Ueberrod, —
eine ungedrudte Abhandlung von mir über ‚die
Mütter: und den Homunkulus im zweiten Teil
des Kauft.”
Herbig fah den anderen groß an. Defien
Reden erſchienen ihm nachgerade unbegreiflid.
„Was ſoll ich gethan haben?“ frug er be—
troffen. „Gott bewahre mich! Ich habe dir
weder geſchrieben noch ein Zeichen verlangt, —
gar eine Papierrolle mit den Müttern und dem
Homunkulus.“
„Keine Papierrolle?“
„Fällt mir gar nicht ein.”
Statt aller Antwort langte Dräſow ein
Billet aus der Brufttafche und hielt es dem
Leugnenden hin. Nach einem Blid darauf fagte
jedoch Herbig, das fei nicht feine Handſchrift.
„Etwas verftellt,“ bemerkte Dräſow, „um
mir eine Ueberraſchung zu bereiten.“
„Nichts wollte ich Ihnen bereiten. So hübſch
und charaftervoll fchreibe ih nicht!” beteuerte
Herbig. „Es ift nicht von mir.“
Beide waren fehr verwundert über den Um:
ftand. Sie prüften die Schrift wiederholt und
lafen den Inhalt: eine anonyme ernite Bitte in
achtungsvollen Morten, zwiſchen acht und neun
im Hotel — mit einer Papierrolle in der Rock—
tafche als Erfennungszeihen — erfcheinen zu
wollen. Am Schluß wurde zum voraus Danf
für diefe Gefälligfeit und das Erfuchen auöge:
Iproden, die Anonymität fürs erfte noch zu
geitatten.
Es war doch ſehr feltfam. Dräfom fonnte
fi durhaus nicht denken, von wem fonft das
Schreiben herrühre, obwohl ihm die Schrift nicht
völlig unbefannt deuchte. Sie mußte ihm fchon
irgendwo vorgefommen fein. Daß das Billet
nicht von Herbig ftammte, fonnte er durch feine
eigene Schrift leicht beweiſen.
So fräftig die Züge des anonymen Schrei—
Anguſt Beder.
bens, war die Annahme einer Frauenhand nicht
ausgeſchloſſen, und Herbig fcherzte nachgerade
über römifhen Typus, Naden, Flaumlippe.
Allein Dräſow, merklich verbüftert und nad):
denklich, bat endlich jehr ernfthaft und in über:
rafchend eindringlihem Tone, die Angelegenheit
für jegt auf fich beruhen und den Gegenjtand
fallen zu laſſen. Er brachte die Nede auf Her:
bigs zweiten Befuh in Misdroy zurüd und
fragte nad) dem weiteren Ergebnis besfelben.
Herbig, noch immer mit dem Drange fi
auszufprechen über das, was fein Gefühlsleben
am tiefiten berührte, überlegte, wo er anfnüpfen
folle. Indem er einfchentte, mit Dräſow anſtieß
und trank, legte er fi) rauchend auf die Lehne
zurüd.
„Richtig!“ begann er dann die Fortſetzung
jeiner Mitteilungen. „ch vermochte alfo in
Misdroy nicht zur Gewißheit zu gelangen, ob
fie noch da, ob fie abgereiſt ſei. Um ficher zu
gehen befuchte ich beide Gafthöfe, ohne etwas
zu erfahren. Ich ließ mir zulegt ein Glas Grog
und die Fremdenliſte geben. Ich blätterte in
legterer herum, bei jedem Frauennamen er:
mwägend, ob Stand und Herkunft zu der Er-
iheinung pafje. Alfo: Frau Schiewe, Kanzlei:
direktorswitwe aus Poſen — nichts; Fräulein
Hilda Sandel, Schulratätochter aus Breslau —
nichts; Frau Schurf, Kohlenhändler — —
nichts; Frau von Krewig, geb. Schlewitz, auf
Plewitz bei Drewig — aud nichts; Fräulein
Linda — — Hier veranlafte mic) jedod ein
lautes, einem Pofaunenftoß ähnliches Geräuſch,
aufzubliden. Ich war nicht mehr allein im Lokal.
An einem anderen Tifch hatte ein kleiner, dider,
behäbiger, rotwangiger, feingefleideter Glatzkopf
Plat genommen, der eben im Begriff war, fein
Taſchentuch einzufteden. Der 9 7 it
dem Kellner über eine Luſtpartie, an der teı
zunehmen er verhindert geweſen; der ‚Jordan: *
fee wurde genannt. Seine Erkundigungen
waren fo genau und ausführlih, daß denfelben
mehr als bloße Neugierde zu Grunde zu liegen
fhien. In feinem Benehmen hatte er etwas
Geſetztes und befonders in der Art, wie er das
Tafchentuch benüßte. Es ift unbefannt, wie er
es anftellte, aber es ift Thatſache, daß feine
Nafe dabei wie eine Trompete dröhnte. Dieſe dem
Anſchein nah ganz unfhuldige Eigenihaft er-
warb ihm indefjen die Hochachtung des Kellnerz,
fo daß der jedesmal, wenn ihm jener eigentüm=
lihe Ton zu Ohren fam, den Kopf fchüttelte,
Eleonore,
fih verneigte und fragte: Was befehlen
Sie?“
Hier benüste Dräſow eine Heine Pauſe, um
zu fragen, ob der Heine Herr identifch mit jenem
Kollegienrat Schitſchikoff eines ruffiihen Ro:
manes fei. Herbig verneinte, indem er fortfuhr:
„Gogols Schilderung feines Helden wandte
ich nur, weil pafjend, beiläufig und teilweije
auf mein Alterhen an, in welchem ich übrigens
bereits das Männchen vom Strande und von der
Düne erfannt hatte.“
„Soldhe Exemplare,” wandte Dräſow ein,
„nd nicht allzu felten und finden ſich allent:
halben. Auch im Nebenjaal fit eines. Doch,
erzählen Sie weiter.”
„Ohne mehr bei der Sache zu fein,“ fo be:
richtete Herbig, „blätterte ich alfo in der rem:
denlifte; allein, jo war nichts herauszubringen.
Aufſchluß, und zwar genauen Aufſchluß, fonnte
mir eben nur ber kleine Herr mit dem gejetten
Weſen geben. Aber meine Scheu, ihn darum
zu erfuchen, war unüberwindlih. Mechaniſch las
ich alſo weiter, ihn dabei jtets im Auge behal:
tend : Fräulein Linda Strumpf — nichts; Frau
Hempel, Fräulein Stempel — nichts — nichts
— alles nichts. Aber hier: Frau Theodora
von Frey, hier! — Domänenratsgattin! — —
Kellner! rief id aus vollem Halje, ärgerte mich
jedoh, da der gefette kleine Herr fih etwas
erftaunt nad) dem Schreier umblidte. Wenn er
der Domänenrat felbjt wäre! — Alſo nur
flüfternd erfundigte ih mid: Nicht wahr, Kell:
ner, es ift eine kleine unanfehnlide Frau, die
Domänenrätin?! — Förmlich bejtürzt ſah mich
der Burſche an. — Alfo groß? — J ja, fehr!‘
— Eie iſt e3, jubelte es in mir. — Noch hier?
— ‚Will gleich nachfragen!‘ Und damit wandte
er fich zu meiner Beftürzung gerade an den ält:
lichen Herrn. Der drehte nochmals langſam den
Kopf nad) mir und quäfte: ‚Wenn Sie die große
Dame meinen mit dem blaufeidenen — — Zu
dienen ! fiel ich haftig ein. Eben die mit dem
blaufeidenen! — ‚Die ift vor fünf Minuten hier
vorüber nach dem Badeltrande hHinausgegangen !*
— Verbindlichſten Dank! — Anfcheinend ruhig
tranf ich meinen Grog aus, zahlte, verabſchiedete
mich, lief aber, einmal aus dem Gejichtäfreis,
wie ein Winbhund nad) dem Strande zurüd, wo
nad) wie vor die Meereswellen in filberweißen
Schaumlinien brandeten, fonnte jedoch die fchöne
Frau nirgends vor den Badepläßen entdeden.
— Können Sie mir nicht jagen, wandte ich mid)
163
an den nächiten beiten, wo die Frau Domänen:
rätin von Frey — — — ‚Hier,‘ fiel mir der
Mann ins Wort, ‚hier!‘ und wies lädhelnd mit
einer disfreten Handbemwegung auf einen vor:
überwandelnden Turm. Ich fage Ihnen, fieben
oder acht Fuß maß diefe Domänenrätin, die in
einem blaujeidenen Kleide da ihren Spaziergang
madte. Sie hätte fih auf einem Jahrmarkt
ſehen laſſen können. Aber feine Spur von einer
Hehnlichkeit! — Nun mögen Sie fi denken,
wie begofjen ich daftand, dann von hinnen ging,
die nächſte Gelegenheit zur Rüdfahrt ergriff.
Ich wollte dem Glatzkopf nicht wieder vor die
Augen kommen. Zu meiner Beihämung gejellte
fi die Ueberzeugung, daß er mic) geflifjentlich
auf falicher Fährte lieh, indes er jelbit die
Rüdkunft der jhönen Frau von dem Ausflug
erwartete. Und jo ließ ich fie zurüd, fam mit
ungeftillter Sehnjucht hierher. Meine Nom:
fahrt iſt mir verleidet. Ich fühle nur zu tief,
dab all mein Lebensglüd von diefem Weibe
abhängt.“
„Das iſt Schwärmerei!” bemerkte Dräfom,
als Herbig ſchwieg, mit unverfennbarem Ernit.
Seine Stimmung war mit der Entdedung, daß
jener nicht der Abfender des empfangenen Bil:
lets, völlig umgefchlagen. „Seien Sie froh,”
fuhr er fort, „daß nicht jedem Wunſch Erfüllung
wird. Beſcheiden Sie fich mit Ihrem Los, das
Taufenden als das große erſchiene. Gerade
das am heißeſten erſehnte Glüd ijt,fo oft die
Quelle bitterjten Leids, qualvolliter Neue.“
Höchlichit eritaunt jah ihn Herbig an.
„Sind Sie des Teufels, Sie flaumlippiger
Sittenprediger! Sie fallen ja ganz ins Triviale,
wie ein fchnapsdufeliger Macbeth im vierten
Akt. Und bei folhem Wein! Trinken Sie ein:
mal aus, Sie Streihholztiger!” jagte Herbig
und hätte zweifelsohne in dieſer jofos poltern:
den Weife noch fortgefahren, wenn nicht während
der Trinfpaufe jener mehrfad erwähnte Nafen:
ton jo kräftig aus dem Nebenfaal erihollen wäre,
daf beide aufmerkfam wurden.
„Sum Donner auch, ich glaube, er iſt's!“
rief Herbig herumfahrend.
„Ich jagt’ es ja,“ ergänzte Dräſow ruhiger,
„e3 fie einer drinnen. *
„Kellner!" Der Schwärzliche Tief herbei.
„Was ift der alte Herr, der fo viel Talent
zum Stabstrompeter zeigt? Noch nicht einge:
ſchrieben?“
„Doch, Herr Doltor,“ verſetzte der Herbei—
164 Auguſt Beder.
gewunfene. „Rentier Venulo aus Amfterdam.
Die Dame figt bei ihm.“
„Welche Dame?“ erfundigte ſich Herbig leb-
haft, und fein Geficht ward blaß und dann blutrot.
„Die Sie im Foyer ald Kandelaber anfahen,
Herr Doktor,” äußerte der Kellner im Hin—
wegeilen.
Herbig ſchien damit wieder mehr ernüchtert.
„Es ift jeltfam, lieber Dräſovius,“ wandte
er ji an feinen Gaft, „ich jah am Abend nad)
meiner Ankunft hier in jeder Dame nur einen
Kandelaber, fo erfüllt war ih von der einen.
Wenn fie's wäre! Diefes holländischen Rentiers
Gattin oder Braut?! Ich muß dahinter kom—
men. Soll ih hinein?“ fragte er, mit dem
Kopfe nad) dem Nebenfaal winkend. Doc fam
er davon raſch ab zu einem anderen Entichluß.
„Herr Oberfellner! Haben Sie die Gemogen:
heit: die beiden, der kleine Herr mit der Glate
hier innen und die Dame ftehen demnach in in:
timen Beziehungen ?“
„Bezweifle,“ war die gelafjene Antwort,
die mit einer anmutigen Bewegung des Blond:
fopfes verbunden war. „Die Belanntichaft iſt
feine vertraute.“
„Uber fie kamen doch mit dem Stettiner
Zug?“
„Mit der Lehrter Bahn. Der holländifche
Herr äußerte zu mir jelbjt, er habe die Dame
nur flüchtig auf der Reife, an den Haltftationen
gejehen und kennen gelernt. Sie ift fehr ein:
filbig gegen Mynheer, gibt nur furze Antworten,
fcheint etwas übellaunig und zerftreut, fieht
manchmal gejpannt nach dem Eingang, als er:
warte fie jemand, kurz — — ich glaube übri-
gens, die Dame will ſich zurüdziehen. Ent:
ſchuldigen Sie, meine Herren!”
Und der Herr Oberfellner begab ſich in den
Nebenjaal. In der That wurden dort Stühle
gerückt. Man ſchied da drinnen — ziemlich
fremd, unter förmlihen Verbeugungen. Und
nun fam fie — für einige Augenblide fichtbar
— vorüber, warf einen fcheu forjchenden, faft
finfteren Blick umher, jtußte beim Anblid Her:
bigs zwar nur merklich, erwiderte aber deſſen
Verbeugung mit einem furzen, fremden, ftolzen
Niden und jhritt dann raſch durch das Foyer
nad) der Stelle, wo ein Stubenmäbchen ihrer
harrte, um fie auf ihr Zimmer zu geleiten.
Herbig jah jehr betroffen drein, während
Dräſow ihr ſchweigend, nicht ohne eine gewiſſe
Bewunderung nadhblidte.
— — — — — — — — — —ñ— eú — — — —
„Iſt ſie's?“ fragte er leiſe.
„Wer?“
„Vom Oſtſeeſtrand? Eine ſehr anziehende
Erſcheinung. Schlank, nicht zu groß, ſchwarz—
lockig. So denke ich mir den ſabiniſchen Typus.“
Herbig verneinte.
„Es iſt das Mädchen aus der Fremde,“
erklärte er, „dem ich heute abend nochmals
unter ſehr eigentümlichen Umſtänden begegnet
bin.“ Und nun teilte er das Nähere mit.
Aufmerkſam hörte Dräſow zu, von dem
Vernommenen anſcheinend tief erſchüttert.
„Wenn ſie es wäre,“ ſagte er, „Pauline
Brokholt, Steubers verlaſſene Braut! Und
dieſes anziehende, geſcheite Weſen — ich habe
einmal einen Brief von ihr geleſen — konnte
er verlaſſen!“
Eine längere Pauſe trat ein. Auch nachher
blieb das Geſpräch einſilbig, ſtockte nicht ſelten
ganz. Zum Trinken ſchienen beide nicht mehr
aufgelegt.
„Sie ſind müde, Freund. Flüſtern wir
nicht weiter zuſammen,“ meinte Herbig, „ſonſt
könnte die Welt noch auf den Verdacht kommen,
wir ſeien in einem Komplott gegen ſie. Komm
morgen wieder, Freund, bitte — begleite mich
zum Bahnhof. Jetzt aber halt' ich dich nicht
länger auf und ſchreite zu weiteren Thaten.“
„Was haſt du noch Großes vor?“
„sch werde noch eine Cigarre rauchen und
dann zu Bett gehen.“
So ſchieden fie für die Naht. —
„Es iſt ein vortrefflicher Menſch, ein ganz
— vortreffliher — Menſch,“ fagte Dräſow auf
dem Heimmeg zu ſich jelbit. „Allein — er liebt
rauhe Ausdrüde!” Der Streihholztiger lag ihm
noch in den Ohren. Und nun überließ er fi
ſtets ſchwermütigeren Erwägungen. —
„Welch ein Wrad von einem Mann!“ fprad)
Herbig, in feinem Zimmer auf: und nieder:
jchreitend. Dann horchte er, ob fich nichts in
der Nebenjtube rege.
Es war alles ftill.
5.
Spät erjt erwachte Bruno Herbig andern
Morgens aus einem verworrenen Traum. Er
fonnte ſich des einzelnen nicht mehr entfinnen.
Nur foviel war ihm erinnerlich, daß ihn die See:
flut wie ein brüllendes Ungeheuer den Flugjand
fs
Eleonore,
der Düne hinan verfolgte, wo er fih an einem
Rofenitraud hielt, deſſen Dornen feine Hände
zerfleifchten. Aus jeder Roſe jah ihn ein befann-
tes Frauenantlitz an, ſchwarzäugig, braunäugig,
blauäugig, ftrahläugig — und die ſchönſte brach
unter feiner Hand vom Zweige, und während
fie über den Abhang rollte, ſtürzte er ſelbſt tief,
tief, immer tiefer in die See, die zum Sandmeer
ward. Alles Mühen, dasjelbe zu durchwaten
und wieder zu der Nofe zu gelangen, die mit
eigentümlihem Nelfenduft die ganze Sahara
erfüllte, war umfonjt. Keuchend, lechzend ſank
er immer tiefer ein, und der Müftenfand wehte
und legte ſich über ihn hin.
Matt und immer nocd feuhend lag er jeht
da mit offenen Augen. Seine erfte Wahrneh:
mung bildeten die golbbraunen Tapeten des
Zimmers, die zweite ein Geräufch Hinter der
Wand im Nebenzimmer — leife Tritte, Deffnen
und Schließen von Koffern und Schränfen. Ein
Gemiſch von Rojen: und Neltengerud durch—
duftete die Stubenluft. Noch eine Weile lag er
ftill, bis er den Kopf hebend zu vollem Bewußt—
jein fam. Die in den Teppich vor feinem Bette
geftidte Roſe fonnte doch die Täufhung nicht
hervorbringen! Er fah nochmals hin, — er
redte die Hand aus und hob eine wirkliche, welfe
Nofe auf. Ihre Hauptfarbe war ein — wie mit
Goldſtaub bejtreutes — dunkles Braunrot, das
nad) außen hin in eine bläulich⸗ weiße Schattierung
überging, der Rand tiefafchgrau. Nun erinnerte
er ſich, daß er eben erft, noch halb im Schlaf,
die jeltene Roje auf dem Marmortiſchchen neben
dem Bette liegen gejehen und danad) gegriffen,
aljo wahrſcheinlich ſelbſt fallen gelaffen Hatte,
um im Nu, im Moment des Erwachens, noch
ein ganzes Schidjal zu durchträumen.
Die Rofe fiel in feiner Hand auseinander,
die einzelnen Blätter flogen vor dem Hauch
feines Mundes zum Teil wieder auf die Diele.
Er jtand auf, fammelte fie forgfältig und legte,
halb angefleidvet, die zarten Blumenteile in
ein leeres Schächtelchen, das er in einem Koffer
barg. Warum er es that? Er wußte ſich jelbit
faum Rechenſchaft darüber abzulegen, wenn nicht
zur Erinnerung an einen hochverehrten Mann
— es fiel ihm jeßt ein, — deſſen Hausgärtchen
er die Hofe entnommen hatte.
Nachdem er ſich völlig angefleidet, ben Kaffee
auf feinem Zimmer getrunfen, die Koffer ge:
ſchloſſen und alle Vorbereitungen zur Abreife
getroffen hatte, machte er, obwohl ihm Zeit ge—
165
nug blieb, feinen weiteren Verfuch, noch andere
Belannte aus der gelehrten Welt zu treffen,
fondern ließ in gewohnter Weiſe das Gepäd
zum Bahnhof befördern und nad) Halle aufgeben,
um forglos reifen zu können.
Gegen Mittag, als eben die Sonne etwas
hervortrat — der Himmel war heute bewölkt
und der Wind ging — kam der Eleine Kurzjad
gelaufen mit der Meldung, daß der Herr von
gejtern abend mit der grünlichen Brille — Herr
Doktor Dräfom — unten warte. Erfreut, nod)
einige Stunden verplaubern zu können, eilte
Herbig hinunter. Es war ja dod) eine treue, an:
hängliche Seele und ein zuverläffiger Menſch,
diefer Dräſow! Der Empfang war herzlicher
als geftern. Herbig beftellte noch ein Frühjtüd.
Eine Menge Erinnerungen, die abends nicht zur
Spradje gefommen waren, wurden aufgefrijcht,
eine Reihe wifjenjchaftlicher Streitfragen erör:
tert, wobei fih Dräjom dem Freunde als ein
überrafchend jcharffinniger und denfender Kopf
zeigte. Ganz in die Freudigfeit des Gedanfen-
austaufchs verloren, wandelten die Freunde jetzt
lebhaft plaudernd im Foyer auf und nieder,
Herbig mit ftolz und hochgeredtem Haupt, der
andere mit dem Kopf zwifchen den Schultern
und auf die Bruft vorgefunfen — das Bild
eines deutſchen Stubengelehrten.
Eben waren fie bei einem bejonders inter:
efjanten Thema angelangt, als eine der fremden
Damen, welde im Hotel wohnten, hinter der
Glaswand die Treppe herunter fam, indem fie
noch die feinen ſchwediſchen Handſchuhe feiter
zwiſchen die zarten Finger drüdte. Eine hübſche
fchlanfe Figur, leider verjchleiert — das etwas
windige Wetter rechtfertigte dies, — dagegen
hell gekleidet. Die Gejtalt erinnerte an das
Mädchen aus der Fremde, aud die Haltung.
Bei aller gemefjenen Bewegung erfchien ihr
Gang entſchloſſen, als fie vorüberfommend die
Verbeugung der beiden ruhig erwiderte und
dann draußen bei dem grauföpfigen Portier
ftehen blieb, den fie dem Anfchein nad) bat,
ihr eine Droſchke herbei zu winfen.
Während fie noch an der Stelle verweilte,
trat der kleine Kellnerjunge mit der kurzen Jade
zu den beiden Herren im Foyer mit einem
fauberen, fait zierlihen Paket heran und fagte,
er jet beauftragt, dasfelbe an Herrn Dr. Gott:
hold Daniel Dräſow, Privatdocenten an der
Univerfität abzugeben.
„Das wäre nun allerdings id,” ſagte der
166
Gebeugte mit der Brille, indem er das Papier:
pädchen hinnahm und in der Hand wog, worauf
er nad) der Adreſſe ſah. Es war genau und
richtig die feinige ; es gab feinen andern Privat:
docenten dieſes Namens in der großen Stadt,
und zum Ueberfluß war noch Straße, Stadtteil
und Hausnummer feiner Wohnung angegeben.
Dräſow hielt die Adrefje dicht vor feine Brille
und machte dabei ein jehr verblüfftes Gefict.
Was ihn zumeift in Verwirrung fehte, war der
Umftand, daß das Pädchen mit denfelben klaren
charaftervollen Schriftzügen beichrieben war, wie
das anonyme Billet, welches ihn abends in das
Hotel beſchieden hatte.
Unterdes war draußen die Drofchfe vorge:
fahren. Denn die junge Dame grüfte nochmals
mit einem ftummen Abjchied herüber, nidte dem
Kellnerjungen zu, als ob fie befondere Urjache
habe, mit demfelben zufrieden zu fein, und ließ
fi dann von dem grauföpfigen Portier über den
Tritt und durch den geöffneten Schlag helfen.
Bon einem Feniter des Foyers aus fonnte Herbig
noch bemerfen, wie fie dem Alten die Hand
drüdte und der mit einer tiefen Verbeugung
danfend und ſchmunzelnd ſich zurüdzog. Ein
Peitſchenhieb, und die Drojchfe war davon, be:
vor fi Dräfow von feiner Ueberrafhung erholt
hatte. Noch immer wog er das Palet in der
Hand. Und ehe er fich entjchliegen fonnte, das
Siegel zu erbrechen — es zeigte eine von einem
Pfeildurdhbohrte Taube, — fragte er den Fleinen
Kurzjad, wer ihn mit der Ueberreihung des
Pädchens beauftragt habe.
„Die junge Dame, die foeben abgefahren, *
war die Antwort.
„Sich', ſieh'!“ Tachte Herbig auf. „Du bift
denn doch nachgerade der Knopf auf Yortunas
Mütze, machſt aber ein Gefiht, als fei dir ein
Donnerfeil in die Tafche gefahren.”
„Was mag es fein?" fragte Dräſow, und
das Paket zitterte in feiner Hand.
„Was e3 fein wird? Lieber Nefthetifer, und
du fragit noch. Ein Bändchen Lyrik, über welches
man dein Urteil verlangt, — ein Manuffript
von Liebesfeufzern und Elegieen, über welche du
dein Gutachten abgeben follit. Brich einmal das
Siegel entzwei und ſieh'!“
Mit bebender Hand befolgte Dräfom den
Nat. Es ergab ſich jedoch nichts, ala ein weite:
res verfiegeltes Couvert mit feiner Adrefje und
eine Heine goldgeränderte Karte, die die Worte
enthielt:
\
Auguſt Beder,
„Die Abfenderin erwartet von Herrn Dr.
Dräſow Diskretion, daß er die weiteren Siegel
nicht vor abends ſechs Uhr öffne.“ —
„Geheimnisvoll !” bemerkte Herbig, nachdem
er ebenfalls die Worte gelejen hatte.
Eine Unterfhrift hatte diefe Bitte nicht,
allein es war diefelbe Hand. Uebrigens fühlte
fih der Inhalt des Pakets in der That wie ein
Heft von Gedichten an. Es fonnte jedod auch
etwas anderes fein. Halt! Da auf dem inneren
Siegel fteht etwas faum merflih: Streben und
Sterben! Aber Aufihluß gab es nicht.
„Hör’ einmal, Dräfovius,* begann Herbig,
indem er ihm das Paket wieder zurüdgab. „Es
ift nicht möglich, daß dir hiermit ein fibyllinifches
Buch übergeben ift, das all deine Lyrik über den
Haufen wirft; daß du, während ich vergeblich
danach tradhte, bei aller trodenen Nüchternheit
und ungeſucht in einen Roman verwidelt wirft.
Gar launenhaft wirft das Schidjal feine Loſe,
meine Teilnahme iſt gewedt, abends ſechs bin
ich ſchon in Halle. Löfe die Siegel.”
„Das werde ih unterlajjen,“ ermiberte
Dräſow bejtimmt. „Die Abjenderin fol nicht
umjonjt meiner Diskretion vertrauen.“
„So wollen wir mindeftens hören, wer dieje
ſchlanke Parze oder Cumäiſche Sibylle war.“
Und Herbig winfte dem Oberfellner, der eben
mit dem Bortier ſprach. Jener trat heran, dieſer
hielt ji mehr im Hintergrunde. „Wer war die
Dame? Ich meine die junge entjchloffene im
hellen Kleide, die eben abfuhr? Cine Eng:
länderin ?“
„Eine Deutſche. Kannten Sie fie nicht mehr,
Herr Doktor?” ‘
„sh Habe eine beitimmte Vermutung.
Alfo?*
„Diefelbe,“ berichtete der Oberfellner, die
geftern mit dem ältlichen holländifchen Herrn
gleichzeitig anlangte, und die Sie dann für einen
Kandelaber hielten.” Der Oberfellner fügte
nod) die Bemerkung hinzu, daß fie die Note des
Hotels, weldhe jeden Morgen übergeben zu wer:
den pflegt, fofort berichtigt; für die Bedienung
noch etwas Beträchtlihes zugelegt habe, bevor
fie wegfuhr. Und Oberfellner und Portier zeig:
ten dabei jehr hochachtungsvolle Mienen, während
Herbig, in feiner Mutmaßung beitärkt, weiter
fragte:
„So kehrt fie nicht mehr zurück?“
„Doch, doch. Ihre Koffer ftehen noch in
ihrem Quartier.“
Eleonore.
„Wohin fuhr fie?”
„Zur Michaelstirche, befahl fie dem Droſch—
fenführer,“ antwortete der Portier aus dem
Hintergrunde.
„Und — mie heißt ſie?“
„Sie wollte ſich erſt einfchreiben, wenn fie
zurückkomme.“ —
„Alles jehr geheimnisvoll,“ äußerte Herbig
zu Dräſow gewandt. „Zweifelsohne ift jedoch
die Karyatide, für welche id) Verblendeter fie
zuerft anjah, mit dem Kandelaber am Luifen:
ufer identiih. Ob deine Vorausfegung über
"ihre Perſon richtig, laß ich dahin geitellt, bis
fih dir abends ſechs das Nätfel mit dem Siegel
löft, wenn du es bis dahin aushältit.“
„Gewiß,“ beteuerte Dräſow, indem er jet
das Paket in’der Brufttafche feines Nodes barg.
Ich hätte gute Luft, noch zu warten, wel:
hen Ausgang dies Abenteuer nimmt,“ fuhr
dann Herbig fort. „Da ich jedoch feinen Teil
daran habe, die Pflicht ruft, Wunſch und Sehn:
fucht ſchweigen muß, brechen wir allmählich auf.
Meine Rechnung, Herr Ober — — halt! Da
fällt mir ein, wo ic) die weinende Karyatide ge:
fehen, deren Anblid mich damals jo erjchütterte.
Es ift ein Bildwerf Quellins im Rathaus zu
Amfterdam. Wo ift Mynheer mit der Glatze
hingefommen ?“
„Bereits auögegangen, Herr Doktor.”
„Nun, der Holländer fümmert mich weiter
nicht. Bitte alfo, meine Nechnung, Herr Ober:
kellner!“
Wie bewegte See
Wallt des Buſens Schnee,
Und ein Angeſicht
Winkt wie Dämmerlicht! —
Dies vor ſich hinſummend, hatte Herbig ein—
mal das Foyer der Breite nach durchſchritten
und kehrte ſich dann plötzlich zu Dräſow.
„Wo ich am liebſten wäre, brauche ich dir
nicht zu erklären,“ begann er. „Doch darf ich
nicht länger ſäumen. Mein Reiſegefährte in
Halle erwartet mich bejtimmt heute nod. —
Morgen geht eö weiter nad Süden. Sieh’
mein Los, lieber Freund, der du Fortuna für
deine Stiefmutter hältſt. Es ift doppelt traurig,
nicht dahin zu dürfen, wohin das Herz neigt,
fondern in entgegengefegter Richtung weiter zu
müſſen, zumal auf fo langweiliger Fahrt, die
feinen Anblid, als märkiſche Kiefernheide, feine
Abenteuer bietet, als ſolche, die gegebenenfalls
mit einem Genidbruch verbunden find,“
167
„Du fliegft darüber weg,” bemerkte Dräſow
halb abmwejend.
„Stundenlang auf einen Sit geheftet,
zwifchen dufeligen Schnarchern eingepferdt,
nennt du fliegen?! Sonst,“ fuhr Herbig fort,
„mit dem Hauderer war's anders, die Zange:
weile machte es intereflant, wenn einen ein Ad}:
ſenbruch zwifchen Jüterbogk und Treuenbriegen
in eine fliegenbelebte Dorfſchenke warf, wie es
dem Mündhaufen Immermanns wiberfuhr.
Dort auf dem Sandplateau des Flemming, wo
der Dorfichulg jedem fein Quantum Wafjer vor:
wiegt, halte ich einmal im Schatten märfifcher
Binien bei Dünnbier von Zahna poetifche Som:
merfrifche, wenn ich's erlebe. Ich liebe Einfalt
der Natur und unauägetretene Pfade. *
Dräſow wies auf die Schladhtfelder von
Großbeeren und Dennewig an der Bahnlinie
hin, auf die Höhen von Blanfenjee mit der
Kapellenruine rechts von Trebbin, auf Jüter—
bogf, deſſen Schmied, Tetzels Ablaßkaſten, die
Schloßkirche von Wittenberg, die dem Romfahrer
eine Mahnung mitgebe, — auch möge fich der:
jelbe zmifchen Elbe und Mulde des frommen
Eängers von ‚Befehl du deine Wege‘ erinnern.
Herbig beteuerte jedoch, ſich an gar nichts er:
innern zu wollen, al3 bei der „Warze“ des Mil:
denfteins, daß der Sand hinter ihm liege und
die Erde wieder Knochen zeige — an der Saale
hellem Strande. Einmal in Halle, fügte er
hinzu, fei ihm durch die märfifchen Steppen der
Nüdzug abgefhnitten. Sei e8 denn!“
Nun ward die Redhnung berichtigt, und
Dräſow fuhr mit zum Bahnhof. Zum legten:
mal reichten fich beide die Hände, und der Zu—
rüdgebliebene fah noch eine Weile dem Zuge
nad. — —
Abends, zur Zeit des Sonnenuntergang,
ftand auf dem Perron des Bahnhofs in Halle
ein unterfegter Herr mit dunklem energijchem
Gefiht, martialiihem ſchwarzem Schnurrbart
und einer behaarten Warze neben der Naje. Als
der Zug hereinfuhr, eilte er mit mächtigem
Schritt zum biedern Willfomm eines der Aus:
fteigenben.
„Schön, daß Sie jelbft fommen, lieber Her:
big,“ ſprach er mit dröhnendem Baß. „Sonft
hätte ich Ihnen fchreiben müflen. Meine Schwie:
germutter ift geitern angefommen zu dem längjt
in Ausficht geitellten Beſuch. Sie bleibt jedoch
nur auf acht Tage.“
„Aber, lieber Schupp, was geht dasmich an?“
168
„sa, Sie begreifen, daß ich fo lange nicht
wegfann, — fie würde es übelnehmen, und ich
habe Gründe, — kurz, vor acht Tagen wird
aus unferer Nomfahrt nichts, denn, mie die
Dinge liegen, dürfen Sie nicht fort ohne mich.“
Herbig war erblaft. „So wollt’ ih, daß
ein Donnerwetter —“
„Wie?“
„Mich an die Dftfee zurüdichlüge!”
„Was thun Sie an der Oſtſee, Herbig?
Alles ehrt von da heim, fagte mir unfer alter
Geheimrat Betting — Sie fennen ihn ja — da
er mit feinem Weibchen bier durch fam, ich
glaube an den Rhein. Sie wifjen doch, daß er
wieder gcheiratet hat.”
„sh weiß, ich weiß, weiß alles, — daß er
glüdlich ift — alles weiß ih. Aber was nun
anfangen, was hier thun?!“
„Sie können die Halloren auf ihren Ur—
ſprung unterfuchen,* ließ fich der biedere Baß
des Freundes vernehmen, indes man dem
Droſchkenplatz fich näherte, „— nad) den Denf:
fteinen des Drufus an der Elbe forſchen —
vielmehr an der Saale, die nad) dem Tacitus
als Dberelbe gilt. Es wird Sie interefjieren,
daf hier in Halle das Calägia des Ptolemäus
gejtanden habe.“
„Iſt mir ganz einerlei, wo das Nejt ge:
ſtanden hat.“
„Mebrigens bieten aud die Frendifchen
Stiftungen —
„Kümmern mid) nicht foviel!“
„Sie machen Ausflüge nad) Wettin, Hohen:
turm, zu der Pfeilerbafilifa auf dem Peters:
berge.“
„Fällt mir gar nicht ein.“
In diefer Weife wurden noch Gibichenftein
— mo Ludwig der Salier den Flohſprung ge:
macht haben ſoll, — die Rudelsburg, Jena,
Weimar in Vorfchlag gebracht, jedoch fo vergeb:
lic wie Leipzig. Keinen Schritt wollte Herbig
in diefe Krambude ſetzen.
„So vergnügen Sie fih, wie Sie wollen,
meinetwegen am Brüllen der Thüringer Wald:
hirfche am Rennſteig,“ meinte Schupp. „Es ift
gerade Zeit.”
Er werde thun, was ihm gefalle und nie
wieder eine Verabredung mit dem Hallenſer
Schupp treffen, verſetzte Herbig, indem er fi
in den Wagen warf und mit bitterem Groll gegen
fein widriges Geſchick nad) dem Gafthof fuhr.
Wie anders hätte er diefe acht Tage an der Dit:
Auguſt Beder,
jee verwerten können oder felbjt in der Haupt:
ftabt mit dem treuen Dräfovius. Was der wohl
jest trieb?! —
Vorerſt nichts Befonderes. GebüdtenNadens
war diefer Stubengelehrte nad) der Abreife des
Freundes um die Südfront der Hauptitadt bis
zum Thorbeden gewandert und hatte, um fi
Bewegung zu machen, von da unter den laub:
abwerfenden Baumreihen hin, an ſchönen Häufern
und Villen vorüber, längs des Kanals, zulett
die Brüde beim Engelbeden erreiht. Er war
dabei einem innern Triebe gefolgt, durch diefen
ihm faft noch unbekannten Stabtteilheimzufehren,
auf den er dur die Mitteilungen Herbigs —
des glüdlihen Menfhen! — aufmerffam ge:
worden war. Der ſchöne, würdevolle, romanijche
Kuppelbau der Kirche innerhalb der jenfeitigen
Anlagen mit dem golbblinfenden Drachentöter
über'm Portal, feſſelte auchihn. Menſchen ftanden
drüben umher, Karofjen hielten vor der Kirche.
Und als ſich diejelben in Bewegung ſetzen wollten,
entftand eine Bewegung am Rande des Waſſers,
aus welchem Schiffer etwas heraufholten und an
der Wagenreihe vorübertrugen, daß der ganze
Zug — wenn auch nur auf Augenblide — ftodte,
Dann ging alles wieder feinen gewohnten Gang.
Dräſow überzeugte ſich durch einen Griff an
feine Brufttafche, daß er das ihm fo überrafchend
zugeftellte Pafet noch hatte. Das Engelbeden
umſchreitend, folgte er dem Menfchenftrom in
der Richtung, wo er feine ſchlichte Wohnftätte
zu erreichen hoffen durfte, zwischen deren engen
Wänden fi ihm noch abends das Siegel des
anvertrauten Geheimnifjes öffnen follte. Vor—
überfommende hatten von einer Hochzeit ge:
fprochen, einer Trauung, die in der Michaela:
kirche jtattgefunden, und daß man während
derjelben eine Leiche aus dem Wafjer gezogen
habe. Er wollte Näheres hören. Niemand wußte
ober ſprach noch davon. Das Leben jchhlug feine
Wellen braufend darüber hinweg durch bie
Straßen und Pläße der großen Stadt.
Bweiles Buch. Der Bopf.
1
Der Weg — eine alte, Nord und Süd ver-
bindende Heerftraße über das Waldgebirg —
wird, wo er die Höhe erreicht, noch im Anfteigen
breit wie eine Fahrbahn durd die Heide, teilt
Eleonore.
fi) in mehrfach) auseinanderlaufende Geleife, die
wie die verfchiedenen Ninnfale eines Stromes
ſich Doch immer wieder im alten Bette zufammen: _
finden. Weiß: und Notbuchen mit weitaus:
ladenden Aeſten, fnorrige Eichen, dazwischen ein
Hagedorn, dunkle Fichtenpyramiden, ftahlgrünes
Wahholdergebüfch ftellen fic) ihm entgegen oder
begleiten ihn gruppenmweije, wo der geſchloſſene
Zaubforft ihn nicht einengt.
Mer diefe Strafe heute wandert, ift ein
glüdliher Mann. Ein goldener Herbittag liegt
warm über dem Bergwald, der in buntejter
Farbenpradt fi weithin über Höhen und Thäler
ſchwingt, dort die ſchroffe Schludt hinunter:
klimmt, die enge Felsfpalte übermölbt, hier aus
der dunflen Tiefe an den Wegrand herauffteigt.
Und draußen — fteil aufragende fahle Wände,
überwaldete Halden, zum Teil urbares Tafel:
aelände, eines hinter dem anderen, dunkles
Maldplateau, langaezogene oder maleriſch ſich
fchneidende Höhenlinien, der fhöne Gebirgszug
felbft, in deffen Faltenwurf die Anfiedelungen
der Menſchen fi) bergen — alles in bläulid;-
weißer, halb durchſichtiger Verſchleierung, alles
wie ſchwimmend im milden Dufte des herbitlichen
Nachmittags.
Manchen Rüdblid gönnt fid) der Wanderer,
der allein diefes Meges waldeinwärts zieht. Aus
einem andern waldfriihen Thal des Landes
hatte ihn der Bahnzug heute unter jenen hohen
Kaltwänden, die in hellen fahlen Rillen fchroff
wie eine Alpfluh abfallen, durch eine Thalenge
voll idylliiher Siebelungen hergebradt. Das
Feengeipinft der Eommerfäden flog über das
herbitliche Gefilde oder hing fih an die flingen:
den Telegraphenfaiten, weldye den Schienenweg
begleiten. Auf dem geſchorenen Rafen der Thal:
wiejen weideten fchedige und einfarbig braun:
rote Kühe, die vorüberfaufende Magenreihe gut:
mütig anglogend und inftinftiv die Zeitlofen ver:
meidend, deren Roſenkelche mande Strede mit
einem zarten Farbenjchimmer übergofjen. Kaum
ftand der Zug am Ziel, fo jprang der Neifende
heraus. Dort die Burg der Burgen, hier gleich
gegenüber lud der Bergforft — dunkle Fichten —
in feine Dämmerung ein. Im nädjten Gafthof
wufc ſich der Neifende den Staub ab und lieh
ihn von feinen Kleidern bürften; dann fort über
die Brüde, in die Fichten hinan, an Berahöfen
vorbei, über die Höhe in den ftillen Thalſchluß,
bei der Quelle unter der Eiche vorüber durd)
das Wildgatter in den Forft, bergan im fallen:
169
den Buchenlaub, die fchattigen Halden entlang
und hinaus auf eine jener alten „Wein:
jtraßen“, die zum Rennfteig hinanziehend und
denjelben freuzend, über das Gebirg nad) Fran:
fen führen.
Co war er heraufgelommen an die Stelle,
wo die Bergheide beginnt, der Weg fich teilt,
die Fahrbahn links noch im Schatten des herauf:
fteigenden Laubwaldes weiter zieht, der breite
Gangfteig jedoch, bald auf bald ab, über die
Höder des Felsrüdens daneben führt. Heide:
fraut, zum Teil noch blühend, färbt die Höhe
braun und, wo es zurüdtritt, breiten Moos:
teppiche die wunderbarften Samtfarben aus.
Oben, an einem der zahlreihen dichten
Wachholderbüſche, lagerte fi) der Wanderer,
das Antlit nad Norden gewendet. Die Auf:
merfjamfeit, mit welcher er auch die Einzelheiten
der Naturerfcheinungen betrachtet, das Kleine
nicht überficht, verrät naturwiſſenſchaftliche Bil-
dung. Bald hebt er einen Käfer aus der Sands
rille zwifchen dem Heidefraut, bald pflüdt er
eine Beere aus dem Nadelgeheg des Wachhol—
ders, um fie auf ihren äußeren Bau hin zu
betrachten. Aber darüber büßt er den Ueber:
blid des Ganzen, die freude an der Landſchaft
nicht ein.
Die Stadt felbft, von welcher er herauf:
geftiegen, liegt verjtedt, faft ohne eine Spur
ihrer Nähe. Doch erinnert mancher in die Ein:
jamfeit heraufgellende Pfiff an das unfichtbar
vorüberfaufende Dampfroß und an den belebten
Bahnhof. Nun fonnte es nicht ausbleiben, daß
der fagenberühmte ſchroffe Kalkrücken gegenüber
die Blide nad) Tannhäufers letztem Zufluchts—
ort bei feiner heidniſchen Liebe z0g. Allein,
immer häufiger und länger fehrten die Augen
des Manderers zu den Hügelmellen zurüd, die
nad; Norden im bläulichen Dufte des Herbit:
tages ſtets täufchendere Achnlichleit mit dem
zum Horizont anfteigenden Meere gewannen.
Und zuletzt verlor ſich feine Seele ganz in diefen
Anblid.
Die Einſamkeit entfejjelte Herz, Bruft und
Stimme. Das Gefühl der Menfchenferne hier
über dem Bergmwald verlieh den Mut, zu fingen,
was er fonft nur zu funmen gewagt. Er fang
ein Lied, das, auf der Reife entjtanden, ihn
überall hin begleitet hatte. Er fang es aud)
jett nicht allzulaut, aber doch mit tief inner:
lihem Klang vor fih hin bis zum Ende, ohne
abzufegen oder etwas auszulafien.
170
An der Ditfee Strand,
Wo die Woge blau
Rollt zum Dünenjand,
Weilt die ſchönſte Frau,
Blidt fo hoch und hehr,
Wenn die Möwe fliegt
lieber das weite Meer,
Das im Traum fi wiegt.
Auf der Dünenhöh'
Küßt die fede Bö
Ihre Wangen kühn,
Daß fie röter blüh'n;
Und der Wogen Schaum
Flockt dem ſtolzen Weib
Weiß wie Schwanenflaum
Um den edlen Leib.
Ihrer Adern Glut
Kühlt die weiche Flut,
Die jo wunderbar
Berlt vom Lodenhaar,
Wenn dem Meer entiteigt
Der geichmeid'ge Fuß
Und ihr Haupt ſich neigt
Zum erjehnten Gruß. —
Ad, ein einzig Mal
Daß ich fie geſeh'n!
Nun wird mir zur Qual,
Wenn die Yüfte weh'n,
Wenn der Yaubwald rauſcht
Hier im Binnenland,
Seit ih ihr gelaufcht
Dort am Dftjeeftrand. —
ern, am Horizont,
Yeuchtet mir ein Bild:
Loden dunfelblond,
Nugen tief und mild;
Mie bewegte See
Wallt des Bufens Schnee,
Und ein Angeficht
Winft wie Dämmerlidt.
Mein Gemüt jo bang
Schwankt nun tief bewegt
Algen gleih und Tang,
Wenn die Flut fi reat, —
Wenn der Scehnfuht Wahn
Mich auf Flügeln hebt,
Daß mein Herz als Schwan
Hin zur Oſtſee ſchwebt.
Eine Weile, nahdem das Lied verklungen
war, jaß er noch) in derjelben Haltung, das Antlitz
nad Norden gekehrt, als ein leichtes Nafcheln
dicht neben ihm jeine Aufmerkſamkeit erregte.
Sieh' doch, aus dem Stahlgrün des Wacholder:
buſchs, bei weldiem er ruhte, nur wenige Zoll
überm Boden hob fi ein züngelnder Schlangen:
fopf, der, platt und breit, deutlich am Halfe ab:
ſetzend, hin und her hadte und zum Biſſe aus:
holte. Raſch fprang Herbig auf. Eine harm—
EEE —
|
Auguſt Beder.
tüdische Blid verriet den Giftwurm. Ein Schlag
mit der ſchwanken Gerte, und das Tier frümmte
fich betäubt zu feinen Füßen. Ein weiterer Hieb
tötete es vollends.
Auf dem Heidebudel des hervortretenden
Gebirges den Nuheplag mit einer Areuzotter
zu teilen, war in heißer Tagesftunde eine un:
gemütliche Raft. Noch mehr des unheimlichen
Gelichters konnten ſich in dem dichten Dorngeheg
des MWachholders bergen. Das dunfle Zidzjad:
band auf dem Rüden, der am Halſe deutlich ab:
jegende flache Kopf, der dide furze Schwanz
ließen ohnehin feinen Zweifel aufflommen, —
die getötete war unverfennbar ein Exemplar
der reizbarften und gefährlichiten unferer Gift:
ſchlangen. Da er das Reptil nicht mitnehmen
wollte oder fonnte, hing er den Leichnam zur
Warnung für nadhfommende Wanderer an das
Dorngeäft des Wachholders und jchritt weiter
auf dem hohen Rüdgrat der Beraheide
Wie hoch über dem Forft er feine Wande—
rung fortjeßte, zeigte ein Durchblid am bunt:
belaubten Hand über jchroff abjtürzenden Fels
in tiefe Waldaründe. Der Pfad führte jeht
über einen laubbejtreuten Anger, auf weldem
eine Herde, aus dem Buchenwald heraufiteigend
und fcheinbar ohne Hirt — nur von Gnomen ges
hütet, die fi beim Näherfommen jedod als
Wachholderſtaudenauswieſen — ihre ®lodenhar:
monie im Schatten weithingeitredten Aſtwerkes
eines Paares mächtiger Bäume fortflingen
ließ. Dann wieder jacht anfteigend, durch wild:
malerijche Bergheide, fam Herbig an den Stein:
ji auf der Kuppe, wo fein Blid oftwärts den
Thüringer Wald entlang bis zu deſſen höchſten
Punkten flog, während über den Südrand des
Forftes am Nennfteig einzelne Kegel eines frem:
den Gebirges, der fernen Rhön, luftblau auf:
ftiegen. Der jhönfte Ausblid ward ihm jedod)
unterm breiten Zaubzelt einer wetterharten furz:
ſtämmigen Eiche, deren weitauögreifendes Aſt—
werd — eine Eigentümlichfeit aller Yaubbäume
hier oben — einem Bilde den Rahmen gab, wel—
ches ſich über tiefe Waldgründe und die Zinnen
des alten Landgrafenſchloſſes nordweſtwärts auf:
that: die langgezogenen Linien der Bergterrafien
im Heſſenlande hintereinander bis zum Yieb:
Iingsfige der Arau Holda, dem hohen Bafalt:
plateau des Meiner — in der verflärenden
Beleuchtung der Herbjtnachmittagjonne.
Nahende Menichenftimmen und das Gefläff
loſe Ningelnatter war das nicht. Schon der | eines Köters vertrieben Herbig aus einjamer
Eleonore.
Betrachtung, die auch hier wieder zur fernen
Meeresküfte zurüdfehrte. Alle Schönheit diefer
Berglandichaft entbehrte für ihn des ſchönſten
Inhaltes. Am Saum eines Lärdenbeftands
hinunter fand er fich in der Dämmerung maleri:
her alter Buchen auch ohne den dort ange:
brachten Wegweifer zurecht. Von da führte die
„Weinſtraße“ ihn die Höhe entlang wie durd)
einen Park, und nun famen zwei ſchöne Landauer
des Meges, deren Inſaſſen über einen freien
Waldſchlag hin denfelben Anblid der Beraland:
ſchaft genofjen, wie Herbig oben im Eichenrahmen.
indem er vorüber eilte, ward die vom lichten
Gehölz malerifch umfäumte Bahn wieder einfam,
fill. Die tiefe Ruhe hier oben that ihm wohl,
nichts rührte und regte fih. Mit einem Mal
aber raufcht es vernehmlich. Wer tritt dort aus
dem bunten Geheg? Bei dem großen Pan und
Dianens Köcher — der gefrönte König des
Waldes felbit.
Nur fünfzig Schritte etwa entfernt ftand in
der That ein ftolzer Zwölfender. Heräugend
und den friedlichen Wanderer nicht fcheuend,
jegte er dann fonder Haft wohlgemut und leicht
über den Weg ins Gehölz und verſchwand.
Herbig fühlte fich durch diefe Begegnung
freundlicher angemutet, als durch andere feines:
gleichen. Freudiger fah er auf Baum und Bufc-
holz im buntfarbigen Herbitihmud hüben und
drüben am Wege, der den Beraforft in fern:
blidender Waldperfpektive durchzog. Leider ſtand
die Sonne jeht, des Wanderers Augen blendend,
gerade im Gejicht, jo daf er Entgegenfommende
faum mehr unterschied, — aud) ein Frauenpaar
nicht, das goldumflofjen in der Lichtung erfchien.
Ob die Geftalten herwärts, ob fie hinmwärts
Ihritten war jchon der Entfernung wegen vor:
erjt nicht zu erfennen, zumal das Sonnenlicht
zwifchen den bunten Waldſäumen in vollem
Glanze unmittelbar hinter ihnen ftand. Indem
er ji zumeist auf dem Nafenpfad hielt, der
hinter Einzelheden und Bäumen daneben hin:
lief, wandelte Herbig etwas gebüdt, den Hut in
der Stirne, den Ueberzieher im Arm, aud) etwas
müde und der Begegnenden wenig achtend, da:
hin. Seine Gedanken irrten wahllos umher,
und wie fie Bedeutfames und Unbedeutendes,
aud) eine Traumerinnerung ftreiften, wähnte
Herbig fi unverjehens von einem eigentüm:
lichen, nelfenhaften Nofenduft angeweht, worüber
der Wanderer auf der Höhe des Waldgebirges
jelber ungläubig lächelte.
171
„Berzeihen Sie, mein Herr,“ fagte eine
jugendlihe Frauenftimme, ihn aus feiner Ab:
ipannung jchredend. „Entidhuldigen Sie die
Frage, ob man von hier oben durd) die Land:
grafenſchlucht in die Stadt zurüdfommt.“
Von der Sonne halb geblendet jah Herbig
auf. Jenſeits der Hede auf dem Fahrweg ftan:
den — foviel vermochte er zu unterfcheiden —
Arm in Arm zwei elegant gefleidete, hochgeftal:
tete Frauen. Er wiſchte ſich mit dem Tuch die
Augen und befchäftigte ſich mit dem Binocle,
indem er fich zur Auskunft anjchidte.
„Allerdings, meine Damen!“ verfegte er,
ih des Wegweiſers unter den Buchen beim
Dradenftein erinnernd. „Schon nad einer
Viertelftunde werden Sie, wenn Sie den Weg
nicht ſcheuen, an einen links zur Schlucht hinunter:
führenden Pfad gelangen.”
„Sie find jehr gütig,“ ſprach diefelbe Stimme
wieder. „Allein, wollten Sie nicht die Freund:
lichkeit haben, uns ein Merfmal des zu wählen:
den Wegs näher zu bezeichnen?“
„Wollen die Damen nur Die Güte haben, ſich
ſtets auf der Weinftrafe hier weiter zu bemühen, *
erflärte Herbig nod) immer mit undeutlich jehen:
den Augen, „bis der lichte Wald auf jchmälerem
Joch aufhört und der Weg unter großen alten
Buchen ſich im dämmernden Schatten zu ver:
lieren jcheint. An einer der Buchen jteht der
Megmweifer. Dort wollen Sie fid) nur den ftarf
betretenen Pfad links hinunter wenden, fo
fünnen Sie nicht fehlen.“
„Und der Weg führt richtig zur Stadt
zurück?“ fragte diefelbe Stimme weiter, die ihm
faft das einzige Unterfcheidungsmertmal der
beiden Damen blieb, jo jehr flimmerte es ihm
nod) vor den Augen.
„Sicher, wenn Sie fih im Grund der
Schlucht an den Waſſerlauf halten, der links
ins Marienthal hinausführt.“
„Sehen Sie,“ wandte fich hier die Wort:
führerin heiter zu der anderen und dann wieder
an den Ausfunftgeber: „Lohnt der Weg?“
„So viel ich von früher weiß, ſehr!“ ver:
fiherte Herbig, der einzufehen begann, daß es
bei jo umftändlicher Erfundigung galt, die Be:
gleiterin zu überzeugen. „Schon der Abjtieg
ift reizend und die Schlucht felbjt ein maleriſch
enges, überwaldetes Felsthal.“
„Wir danken Ihnen, mein Herr?“ fiel jebt
die andere Dame ein, und der vollere Klang
diefer tiefer liegenden Stimme ließ die Abficht
172
durchtönen, der Beläftigung bes Fremden ein
Ende zu bereiten. „Entjchuldigen Sie die
Störung.”
Und damit entfernten fie fich, wie fie ge
fommen waren, Arm in Arm, die Weinſtraße
auf der Höhe des Gebirgs entlang.
Herbig rieb fi nochmals und emfiger die
Augen. Diefe Stimme! Er fonnte fi nicht
enthalten, den Dahinſchwebenden nachzuſchauen.
Beide ſchlanke Gejtalten in lihten Gewändern,
elaftiihem Schritt, die eine mäbchenhaft hager,
ſchmächtig, die andere noch etwas höher und
mit mehr weiblicher Fülle. Es entging ihm
nicht, daß fie zufammen flüfternd leife lachten,
ſich wohl über ihn, den blödfichtigen Auskunft:
geber luftig machten. Welche reizende Erfchei:
nungen im berbitlihen Bergforft! Da fie von
der Abendſonne hell befchienen dahinmwandelten,
fonnte er nachſchauend und der Sonne abge:
wandt, deutlicher und genauer unterjcheiden. |
Sie trugen die Sonnenschirme geihlofien, —
wenn fie diefelben nur aufipannten! Menn
fie nur noch einmal zurüdblidten! Diefe ftolze
Figur und — ihre Stimme! Um Gott, wäre
es denn möglich, feine Täufchung !
Herbig jtand tief erregt, in großer Unruhe.
Er wußte nicht, was beginnen, um fich zu über:
zeugen, daß er jih irre. Warum fehrte die
ſchöne ftattlihe Frau ihr Geficht nicht wieder
her? Nadırufen, fingen, um fie hierzu zu be:
wegen, verbot die Schielichkeit. Aber wie, wenn
fie etwas verloren hatten, das er zurüdbringen
fonnte? Sein Auge flog den Weg entlang, —
nichts, kaum ihrer Tritte Spur war zu be:
merken. Wenn er mit feiner eigenen Börfe,
als angeblid; gefundener, nachlief? Oder fie
noch auf ein ficheres Erfennungszeichen des ein:
zufchlagenden Pfades aufmerkſam madıte, ihnen
als wirkſamſtes Mittel gegen Verirrung feine
Begleitung anbot? — Ad), zu fpät. Sie lachten
ihm wohl ins Geficht, wie ja feine tölpifche
Blödſichtigkeit bereits den rechten Moment ver:
fäumt und ihren Spott herausgefordert hatte,
Die Entfernung zwijchen ihm und ihnen ward
immer größer.
Und nun waren ſie völlig hinter Busch und
Baum bei der allmählichen Biegung des Wegs
entſchwunden, ob er aud den hohen Rand des:
jelben bejtieg, um noch ihren Anblid zu er:
haſchen. Es war jeine fefte Ueberzeugung, daß
diejelbe Stimme ihm aud den Dank vom
Dünengrat an der Dftfee zugerufen, daß fie es
|
Auguſt Beder. Eleonore.
geweſen, ihr ſchwebender Gang, ihre fcheue, ftolze
Haltung. Nüchterne Ueberlegung machte zwar
ihre wiberftreitenden Zweifel geltend. Allein,
er vermochte faum von der Stelle zu weichen.
Und voll innerer Erregung wandte er fich erjt
dann dem Walddurchſchnitt zu, der ſchnurgerade
nad) dem alten Jagdhauſe am Rennſteig führt,
als die Erwägung in ihm aufjtieg, daß er da
wohl Aufihluß über die Damen erhalten und
dann, auf der Heerjtraße ins Marienthal hin:
unter, den beiden zuvorfommend, ihrer ruhig am
Ausgang der Landgrafenſchlucht harren konnte.
Holz: und Bauernfuhrwerfe hielten auf dem
Sceitelpunft der das Gebirg überfteigenden
Chaufiee vor dem Gafthaufe, wo fie den Nenn:
fteig und die Weinſtraße freuzt, und Männer
und Frauen ſaßen innen beim Bier. Es war
hier oben auf der Firft des „Waldes“ noch
mild genug, um einem Wirtözimmer an dem
ſchönen Herbjtabend jeden Platz im Freien vor:
zuziehen. Herbig trat in den Wirtögarten an
einen Tifh, auf welchem noch Kaffeegeſchirr
ftand und fragte den halbwüchfigen Burfchen,
der herbeieilte, um die Tafjen wegzunehmen
und die Tafel abzuwiſchen, ob der Platz nicht
belegt fei. Seines Wifjens, antwortete der
junge Menſch, feien die beiden Damen weg.
Und wohin? Seines Wiffens über die Mein:
jtraße und durd die Landgrafenſchlucht. Dann
ließ er als Aufwärter die frage folgen, was
dem Herrn gefällig ſei.
Herbig beitellte vorerjt ebenfalls eine Tafje
Kaffee und erkundigte ſich beiläufig weiter, ob
die Damen einheimische gewefen feien. Seines
Wiſſens ja! war die Antwort; die eine wenigſtens
habe er jchon öfter hier oben gefehen und vorige
Woche zweimal. Und die andere? Hierauf zu
antworten fand der junge Menfd) feine Zeit,
da er lebhaft an einen Tiſch gerufen ward, mo
eine Gruppe junger Forſtakademiker beluftigt
einem müßigen Fremdenführer zuhörte, welcher
den Wachtel: und Nachtigallenſchlag, Hühner:
aegader und andere Naturlaute nahahmte. Der
Beifall ermunterte denfelben zulett zu einer
arofartigen Nede über die Notwendigkeit des
Fremdenführerweſens und die Ueberflüffigfeit
aller Bädeder und leblofen Wegweiſer.
„Kann Ihnen,“ fuhr er fort, Herbig ins
Auge faſſend, „ann ein gedrudter Bädeder oder
ein toter Wegweifer Ihnen auf dem Wege die
Zeit vertreiben, was vorpfeifen, Witze reißen,
oder das Gepäd tragen, den Nod ausziehen,
Martin Greif. Sehnfucht nadı dem Früblinge.
ja die Börfe abnehmen, wenn Sie's für gut
halten? Kann er Ihnen ein Glas Bier bejtellen,
jelbft austrinfen und, wenn Gie fi einige
Groſchen nicht gereuen lafjen, Ihre Gefundheit
ausbringen, dazu eine gejchmadvolle Rotwurſt
verzehren, um Ihren eigenen Appetit zu reizen?
Niiht kann er, gar niſcht. Aber ein Führer,
wie fi) einer in mir vorzuftellen die Ehre hat,
fann es und noch mehr. Machen Sie nur ein:
mal die Probe. Und hätten die beiden Damens
hier am Tiſche — ſchöne Damens, noble Damens,
meine Herren, auögezeichnete Damens — hätten
Sie fih, ftatt allein zu gehen und tote Weg:
weijer zu befragen, meiner Obhut anvertraut, fo
wären fie geborgen geweſen,“ ſchloß er unter
Halloh, „wären von mir, ihrem Kavalier, ge:
führt, geleitet und verteidigt worden, in der
Landgrafenſchlucht oder im Liliengrund, bis auf
den legten Tropfen Bier.“
Herbig empfand es unangenehm und wenig
erquicklich, daß ich feine Gedanken in wunder:
licher Weiſe mit denen diejes armen Schluders
freuzten, reichte ihm abwinkend einige Grofchen,
worauf der ſchnurrige Gefelle auch mit tiefer
Verbeugung, fchiefbeinig und in frumm ge:
tretenen Sohlen den Abmarſch antrat. Gleich
darauf brachen die jungen Forſteleven auf, und
Herbig ſaß für eine Meile fajt allein. Nicht
gefonnen, feine Erfundigungen ſchon aufzugeben,
wiederholte er, als nun fein Kaffee gebracht
wurde, die unbeantwortete Frage, ob nicht auch
„die andere* öfter hier gejehen werde. Seines
Wiſſens nit, lautete die Erwiderung des
Jungen; mwenigitens fo lange er hier bediene,
fei fie zum erftenmal dagemefen. Aha, dachte
Herbig, — und wer denn die Damen feien,
fragte er. Seines Willens Schweitern, Tautete
die Antwort. Ob fie jüngft in einem Oſtſee—
bade gewejen feien? Seines Wiffens nicht.
Es war aud) unwahrfcheinlih. Selbſt wenn
er den Worten des jungen Menſchen fein Ge:
wicht beilegte, erſchien ihm nachgerade feine
Vorausſetzung als eine täufchende Vorfpiege-
lung feiner Phantafie. Warum follte er die
Unbelannte von der Ditfee hier wiederfinden,
wohin ihn der Zufall, eine Verzögerung feiner
Nomfahrt, geichleudert hatte. Mit ſolchen Er:
mwägungen heruntergeftimmt, dachte er nicht
mehr an rajhen Aufbruch, zumal nad) mehr:
ftündiger Wanderung in der Sonnenhite das
Bedürfnis einer gründlicheren Erfrifhung und
Erholung fich einftellte. Sein Wahn war aus,
173
die hoffnungsreihe Annahme ein Irrtum.
Allein, hatte er nicht ſelbſt die eine die andere
mit „Sie* anfprehen hören? Das war ein
Punkt, der mit dem ſchweſterlichen Charakter
wenig übereinjtimmte, ein Moment, mit dem
man mindeftens vorerft noch nicht ins reine zu
fommen vermochte.
Nachdem er mit dem Kaffee fertig war, lief;
er jih ein Glas Bier geben. Er verſchloß ſich
nicht gänzlich mehr anderen Eindrüden und den
Erſcheinungen feiner Umgebung. Allmählic be:
gann das abendliche Leben und Treiben um das
Gafthaus auf dem Nennfteig ihn von den irren:
den Gedanken abzulenfen. Zudem war nun die
Luft fo erquidend, die ſchwindende Beleuchtung
der Fichtenwipfel fo warm, die herbitlih an:
gehauchte Belaubung der Eichen und Buchen
genau fo farbenfhichtig, wie man es auf Land—
ihaftsbildern für unnatürlich hält. Dann und
wann brüllte eine Kuh oder ein Ochje unterm
Joch der Fuhrwerfe draußen auf der Straßen:
höhe, oder es wieherte ein Pferd vor den Equi:
pagen, die aus den Bädern heimfehrend nod)
hier heraufftiegen und nad) furzem Aufenthalt
wieder weiter rollten. Und jest, als bräunlich
grüne Abendichatten fich über den waldumhegten
Naum am Nennfteig oben legten und die rötliche
Färbung der Wege und des Plates vor dem
Haufe auffälliger hervortrat, hielten draußen
die Graufchimmel des Brauerwagens; polternd
verſanken die vollen Bierfäfler im Kellergewölbe,
geihäftig wurden die leeren zur Seite gerollt,
und auch das weibliche Dienftperfonal ging
ſchäkernd ab und zu. Und als aud) das vorüber,
famen nod) jpät ganze Züge von Gäften durch
die Waldesitille herauf und trällernd über die
Freitreppe hinan ins Haus.
(Fortfegung folgt.)
Sehnfucht nach dem Srühlinge.
Don
Martin Greif.
‚Fräßtingster, der dich erlebt,
Mag an deiner Pradıt fich freuen,
Ded den man zuvor begräbt,
Ihm auc wirt du Blüten fireuen.
Und es it am Ende gleich,
Ob es fo, ob fo wird werden,
Wenn nur du an Knoipen reich
Wiederum erfcheint auf Erden.
Die kunſt der Tazxidermie
Vorbereitungen zum Musitopfen.
117% heute ein älterer Mann die Säle eines
naturhijtorifhen Mufeums betritt und die
dajelbjt aufgeftellten ausgeſtopften Tiere mit
denjenigen Specimen vergleicht, welche man vor
vierzig bis fünfzig Jahren daſelbſt zu jehen ge:
wöhnt war, fo muß er in biefer Kunſt des Aus
ftopfens der Tiere einen ungeheuren Fortſchritt
fonjtatieren. Die Taridermie oder das Aus:
itopfen, wie es vor einem halben Jahrhundert
geübt und in den älteren Büchern von Sukow
u. a. m. gelehrt wurde, ift aus einem Handwerk
au einer wirklichen Kunst emporgewachſen, welche
fürdie Naturwiſſenſchaft und das praftijche Yeben
eine unberechenbare Bedeutung erlangt hat. Alle
Ansprüche, welche an die Plajtif gemacht werden,
gelten nun aud) für die Taridermie; wir dürfen
nun mit Necht und mit Erfolg von den neueren
ausgeftopften Tieren und Vögeln nicht nur
Schönheit, ſondern entſchiedene Naturwahrheit
in Haltung, Tracht und Modellierung und ebenfo
Veranfhaulihung des Typus und der Indivi—
dualität verlangen. Die moderne Taridermie hat
in den größeren Säugetieren, in den Familien:
gruppen von Vögeln mit ihren ungen und in
den verſchiedenen Sommer: und Winter, Hoc):
zeitö- und anderen Kleidern wahrhaft fünftle:
riſche Meifterwerke aufzumeifen, welche für die
Naturkunde von ungemeiner Wichtigkeit, von
unbezahlbarer Lehrhaftigkeit find und Wefen und
Leben der Tiere unendlich deutlicher veranjchau:
lichen als alle noch jo vollendeten Kupferwerke
und Atlanten in Aquarellfolorit oder in Farben:
drud, Die fünftlihen Färbungen auch der beiten
mit dem Pinſel folorierten Abbildungen ver:
bleiben mit der Zeit, zumal in den feineren
Nuancen und Uebergängen; die natürlichen Far:
ben der gut ausgejtopften und wohl aufbewahr:
ten Tiere troßen der Zeit, wie dies in den
größeren Sammlungen gar häufig an Exem—
plaren zu beweijen ijt, welche, wenn aud) etwas
lintifh und ungefügig, ſchon vor achtzig und
hundert jahren ausgeftopft worden find. Ein gut
Die Kunft der Tapidermie.
ausgejtopftes und naturmahr dargeitelltes Tier
oder ein Vogel ift taufendmal praftifch lehr—
reicher und für Gedächtnis und Unterſcheidungs—
vermögen wirffamer, als die bejte Abbildung,
und dies reiht die Taridermie unter diejenigen
nüslichen Künſte, welde heutzutage eine ganz
befondere Beachtung beanjpruden dürfen und
ſowohl als Dilettantismus wie als gewerbs—
mäßiger Broterwerb fid) eine Menge Jünger
erworben haben.
Dies mag e3 rechtfertigen, wenn wir unfe:
ren verehrten Leſern im nachſtehenden an der
Hand einiger Holzichnitte einen furzen Begriff
vom Weſen und der Praris der Taridermie und
ihrer Zeiftungen zu geben verſuchen, joweit fie
den gebildeten Leſerkreis zu intereffieren geeig:
net iſt.
jeder Meidmann und Jagdfreund, jeder
Freund der Naturmwiljenichaft, jet er nun Yieb:
haber oder Fachmann, interejjiert ſich angelegent:
lich für Taridermie und verjucht jich in ihr, denn
fie jest ihn in den Stand, ſich die ſchönſten und
feltenjten Exemplare feiner Jagdbeute oder
feines Fangs dauernd zu fonjervieren, damit
feine Wohnung zu Shmüden und ihn die charak—
teriftifchen Merkmale der einzelnen Arten und
Varietäten fennen zu lernen. Der Ornitholog
3. B. fann einiger Vertrautheit mit und einiger
Uebung in der Taridermie nicht entbehren, weil
fie zumeift feine Studien zu fördern und ihm
mande Mußejtunde angenehm und nütlich aus:
zufüllen und ihm das Specififhe der Fauna
feiner Umgebung dauernd vor Augen zu führen
175
Ausgeftopite Gufe.
vermag. Daher fchon einerfeits die Menge von
Naturfreunden, welche zugleich dilettantiſch
jünger der Taridermie find. Allein diefe Kunſt
findet auch noch) aus anderen Gründen Verehrer
in jenen Freunden des Naturjchönen, welchen
eine Gruppe von ſchönen, reich und bunt be:
fiederten einheimischen oder erotischen, gut aus:
geftopften Vögeln unter einer Glasglode oder
in einem Glaskaſten ein anregenderer und
ſchönerer Zimmerſchmuck iſt, als die verjchiede:
nen Nippes und Bibelots, welche wir in unferen
Salons anhäufen. Und
Die Zahl dieſer zu ver:
mehren, ift ja teilweiſe
auch das Ziel, weldes
wir mit den gegenwär—
tigen Zeilen im Auge
haben.
‚Die Vorfrage einer
erfolgreichen Yeiftung in
Ausgellopfter Eharlahibis und junges Arotobll.
176 Die Kunft der Taridermie.
der Taridermie ift das Beichaffen guten Mate:
rials, alfo der Bälge von Säugetieren und
Vögeln, der Häute von Fiſchen, Schlangen, Ei:
dechſen u. f. w. Diefe Gegenftände find aller:
dings leicht Fäuflih, denn es fehlt nicht an
Naturalienhändlern, welche ungeheure Vorräte
davon auf Zager haben, wie Hagenbed in Ham-
bura, Jamrach in London, Frank in Amjterdam,
die Nachfolger von Verreaur Freres in Paris,
Henry A. Ward in Rocheſter, Staat New Norf
u. a. m. Aber wir gehen von der Vorausſetzung
aus, daß der Liebhaber Jäger oder Vogelfänger
ift und ſich fein Material felbft verſchafft, weil die
Beurteilung der Güte und Brauchbarkeit käuf—
licher Bälge ohnedem einige Erfahrung erfordert.
Da ift denn die Hauptfache die geſchickte Ablöfung
und Vorbereitung, jowie Aufbewahrung des
|
| Balgs — das „Abziehen”, weldes minder gut
Ausgetopfte Walbiänepfe mit Jungen.
zu befchreiben als praftifch zu erlernen ift. Wir
beſchränken uns, hierüber nur einige Andeu—
tungen nad der Vorſchrift des rühmlichit be-
fannten Ausftopfers Waterton zu geben. Die
erprobtefte Art der Konfervierung eines Bogel-
balgs 3. B. erheifcht eine forgfältige Aufmerf-
famteit von dem Augenblid der Erlegung bis
zu der Zeit, wo derjelbe zum Ausftopfen bereit
it. Die Wunden müfjen zunächſt mit Baum:
wolle oder gehadter Hede (Abwerg) veritopft,
die blutbefchmierten Federn mit einem feuchten
Schwamm abgewaihen werden. In heißen
Ländern muß der erlegte Vogel ſogleich ab:
gezogen werden; anderswo darf man den Vogel
erſt alt werden lafjen. Mit einem Einſchnitt
am Bruftbein beginnend, wird die Haut lang:
ſam entfernt, indem man ein ftumpfes Inſtru—
ment ungefähr von der Geftalt eines Löffelſtiels
unter diejelbe zwängt, gleichzeitig aber Sorge
trägt, die Haut nicht zu ftreden. Die Flügel:
knochen werden an den Schultergelenten ab:
geſchnitten, dann die Nüdjeite des Schädels
Die Kunft der Taridermie.
177
Ausgeftopfter Seeſiſch.
bloßgelegt und die Halswirbel vom Kopfe ge:
trennt. Nun wird das Hirn aus dem Schädel
genommen, die Augen werden entfernt, indem
man die kleinen Knochen zerbricht, welche die
Augenhöhlen vonder Dede des Mundes trennen;
von dem Unterkiefer wird alles Fleifch befeitigt
und dafürSorge getragen, die Ohröffnungenund
die Augenlider nicht zu verlegen. Hat man es mit
Meeresvögeln zu thun, welche gewöhnlich jehr
thranig find, jo muß man gepulverten Kalf reich:
lih verwenden. Die Haut wird fodann mit
Arfenikfeife oder einer Löſung von korroſivem
Sublimat eingerieben und die entjprechenden
Vorkehrungen getroffen, um diejelbe zu trodnen.
Unmittelbar nah dem Erlegen des Vogels müfjen
genaue Notizen über jeine Mafverhältnifie, die
Farbe feiner Augen und Füße, fein Geflecht,
die Jahreszeit u. ſ. w. gemacht und dem Balge
beigelegt werden; dann mwidelt man den Balg
in ein weiches Papier, etwa wie man ein Schreib:
heft aufrollt, und dreht oben und unten die
Enden des Papiers übereinander. Soll der
Balg auf gröfere Entfernung zum Ausjtopfen
verjhidt werden, jo muß man ihn, einzeln oder
mit anderen, in eine Schachtel paden, deren
fämtlihe Ritzen und Fugen verpicht werden,
um die Inſekten abzuhalten, zu welchem Behufe
auch reichlich Kampfer oder irgend ein anderer
ftarfer Niechftoff in die Schachtel gelegt wird.
Werden die Bälge beim Berpaden einzeln in
weiches Papier eingelegt, wie Pflanzen in einem
Herbarium, fo halten fie ſich auf langem Trans:
port noch bejier.
Bevor man mit dem Ausjtopfen eines Vogels
beginnt, wird der Schädel mit forrofivem Subli:
mat gewafchen und der Balg vom Hals aus
wieber darüber gejtülpt, dann werben die Flügel
und Füße genau angepaßt mittels Stüdchen
Eifendraht, die man mit einem Mitteljtüd ver:
bindet, welches fi der Yänge nad) vom Kopfe
bis zur Schwanzfpite erjtredt und hier ein Dreied
bildet, um die ausgebreiteten Steuerfedern zu
jtügen. Einer der Hauptfehler ausgejtopfter
Vögel ift eine fcheinbare Verlängerung des
Beins. Die drei Anochen, welche das Bein
eines Vogels zufammenjegen, find nämlich bei:
nahe in Geſtalt eines Z eingelentt, und obwohl
im Falle der Watvögel, wie Stord), Reiher und
Kranich, das obere Glied des Schenkelknochens
weniger geneigt ift, als bei den Waldvögeln, fo
iſt es dod) niemals ganz gerade. Zur „Puppe“,
d. h. zum Ummwideln des ftarfen Mitteldrahts,
welcher die künſtliche Wirbeljäule des auszu—
ftopfenden Vogels bilden joll und der niemals
die volle Dide des Rumpfs des Kadavers er:
reihen darf, nimmt man Hede (bei großen
Vögeln auch Seegras), weldyes man leicht mit
Karbolfäure tränfen kann; zum Nachitopfen, um
dem Körper die nötige Plajticität der Musfeln
zu geben, bedient man fich der Baummolle, des
zerhadten Flachſes, der Hede und der zerzupf:
ten Schiffstaue. Diefes Nachftopfen muß immer
23
178 Die Kunft der Taridermie.
langfam und mit befonderem Bedacht geichehen; | fieder rundum mit Baummollgarn ummunden,
auch darf man beim Stopfen oder Zunähen die | wie bei der nachitehenden Abbildung der Harle:
Haut nicht jtreden, noch die Teile verdrehen. | finente (S. 181), damit die Federn in der Lage
Die Augenhöhlen werden mittels einer Zange | bleiben, bis der Balg volllommen troden ift.
mit gehadter Baummolle ausgeſteckt, um fie für Beim Abziehen eines Säugetiers legt man
die Aufnahme der Glasaugen vorzubereiten, | diefes auf den Rüden, die Bedenfeite gegen
welche mit einem Falfhaltigen Kitt an den Schä: | fich, den Kopf des Tiers von fi abgemandt,
del befejtigt werden. Sollte die Nidhaut her: | veritopft Nafenlöcher und Kehle mit Baummolle
vortreten, jo muß fie mit der Spitze der Yanzette | oder Werg, teilt das Haar in einer geraden
zurüdgedrüdt werden. Iſt dem Vogel die ent: | Linie zwijchen zwei Bunkten, deren einer zwifchen
ſprechende Stellung gegeben, jo wird das Ge: | den Vorderbeinen und der andere in der Nähe
r
— ar m J Lan
nn
Sr Ra, | J Y
Werkitätte eines Ausftopfers.
des Schwanzes liegt, und macht auf diefer Yinie
mit dem Sfalpell, Mefler oder der Schere
einen Einfchnitt. Man wendet dann den Kada—
ver mit feiner Seite gegen fih, hebt die Haut
an ber Bruft mit Zeigefinger und Daumen em:
por und trennt fie mittels der Finger, des Griffs
des Skalpells oder des obenerwähnten löffel-
artigen nftruments vom Körper, joweit man
reichen fann, gebraucht die Klinge des Meſſers
lauf vorwärts, durchſchneidet das erſte Gelenf,
welches in Sicht fommt, und läßt das Schenfel:
bein am Körper. Hat man dann dasjelbe aud
an der andern Seite gethan, fo ftreift man ben
hinteren Teil des Kadavers vollends ab und
ichneidet den Schwanz ab. Nun legt man den
Kadaver auf die Bruft, zieht ihn dem Nüden
entlang ab, trennt den Vorderlauf am unteren
Gelenk des Knochens, welcher mit jeinem oberen
nur, wo es abjolut nötig ift, und ftopft Baum: | Ende an den Unterteil des Schulterblatts an:
wolle oder Papier hinein, um die Haare rein zu | gewachſen ist, widelt den Rumpf in Papier, da:
erhalten. Man muß befondere Sorge tragen, | mit er den Operationstiſch nicht beſchmutzt, ſchiebt
nicht in die dünne Haut zu jchneiden, welche die die Haut ohne Zerren über Hals und Kopf her:
Eingemeide bededt. Dann drüdt man den Hinter: | unter und fchneidet ſehr behutiam die Ohren
Die Kunjt der Loridermie. 179
Fiſche jagen, das ein befonderer Zweig ber Tari:
dermie ijt und zwar von vielen geübt, aber
nur von wenigen zu einiger Vollendung
gebracht wird.
Wenn Fiſche aus dem Waſſer ge:
nommen werden, haben fie
noh einen befonderen
Glanz auf ihrer Haut,
welchen man dem
Reif oder Duft
auf einer
reifen
herunter und rund um bie
Augen herum. Der Hals wird
diht am Schädel abgeſchnit—
ten, die Augen entfernt und
das Hirn durd) das Loch des
Rückenmarks herausgezogen; dann
befeitigt man alle Musteln und ſchabt
die Knochen ganz rein. Die Vorderläufe
werden dann herausgejtülpt und bis zu den
Zehenwurzeln von allen Muskeln entblößt und
der Schwanz jo weit abgezogen, als dies mög:
lich ift. Hierauf wird die Haut von jeder Spur
von Fett und Muskeln gereinigt und die Schrot:
löcher zugenäht. Iſt dies gejchehen, jo iſt die
Haut zum Ausftopfen fertig; kann dies aber
nicht ſogleich vorgenommen werden, jo pinfelt
man die Knochen mit Sublimatlöfung, bejtreicht
fie und die ganze Fleifchjeite der Haut mit
Arfenikfeife und trodnet fie an einem luftigen
Drte im Schatten.
Für die Säugetiere wird von Traht und
bei größeren auch von Holz und Eiſen ein ähn:
liher künſtlicher Nüdgrat gemadt, in welchem Ehdemeritunilörd Keen.
die Drähte für die Beine und den Schwanz ein:
gelaflen werden, und darüber wird die jogen. | Zwetiche vergleichen möchte. Um diejen zu
„Puppe“ gejtopft. Da aber eine praltifhe | bewahren, muß der Fiſch unmittelbar nad)
Demo nftration hierüber unendlich lehrreiher und | feinem Fang abgezogen und ausgejtopft werden
und zwar hödjitens eine halbe Stunde jpäter
und von einer forgfältigen und erfahrenen
Hand; auch jollte, nad MWaterton, Goadby und
' anderen Autoritäten, der Fiſch, um feine Schup:
' pen und farben zu bewahren, vor dem Abziehen
der Haut mit Battijt oder Seidenpapier um:
| widelt und die abgezogene Haut in ein nafjes Tuch)
eingejchlagen werden, um fie geſchmeidig zu er:
halten. Wie ausgeitopfte Fiſche aufgeitellt wer:
den, ift aus dem voritehenden Holzichnitte zu
erjehen (S. 177).
Das jeither Geſagte betrifft den mechani—
ichen Teil des Ausftopfens, und nun beginnt ber
fünftleriiche, dem Tiere die Stellung, Tradıt,
Bewegung, Habitus, neben der plaſtiſchen Natur:
wahrheit aud) das Typiſch-Charalteriſtiſche, die
Individualität zugeben. Dies tft das Schwierigite
in der Taridermie, dies erhebt fie aus dem Hand:
werk zur Kunſt. Dazu gehört Naturbeobadhtung,
genaue Kenntnis des Charalters, der Lebensweiſe
des betreffenden Tieres und künſtleriſche Be—
gabung. Selbſt berühmte Ausſtopfer, Meiſter
häufig zu erlangen iſt, ſo nehmen wir von einer ihres Faches, welchen keine der obigen Eigen—
weitläufigen Beſchreibung Umgang und wollen ſchaften abging, waren nicht gleich glücklich im
noch einige Worte über das Ausſtopfen der Ausſtopfen von Vögeln und Säugetieren. Der
Oſenſchirm aus reinem Pfau.
180
verjtorbene Konſervator Hermann Ploucquet in
Stuttgart 3. B., welcher 1850 in Leipzig die
erjten charakteriftiihen und individualifierten
Tiergruppen ausftellte und in feinem Fade
förmlich bahnbrechend wirkte, ftopfte feine Säuge:
tiere lange nicht fo vollendet charakteriftifch und
lebensmahr aus, wie feine Vögel und nament:
lich feine Raubvögel und fein Federwild. Wie:
Die Kunft der Taridermie.
der andere, wie z. B. Herz aus Darmitadt,
nun in Stuttgart, haben ihre Force in Säuge:
tieren, namentlich in den großen Katzentieren.
Sind die obigen Eigenſchaften nit alle in
einem Taridermiften vereinigt, jo fommen auch
bei Meiftern Monftrofitäten vor, die das Nuge
des Kenners verlegen, fo 3. B. wenn ein Aus-
ſtopfer einen Adlerbalg mit hängenden Schwingen
Waldlauy mit Hort und Jungen-
und beinahe mit dent Boden parallelem Körper |
ausftopft und ihm dadurd das träge Ausfehen
eines Geiers gibt, während der Habitus des
Adlers Würde, Mut und Anmut ausdrüdt. Oder
wenn ein Nusftopfer einer Eliter, diefem In—
beariff von Schlauheit, Beweglichkeit und Bor:
ficht, eine ſchwerfällige trübfelige Stellung gibt;
oder wenn einer einem Fuchſe, der als ein Nacht—
tier, elliptiiche oder Natenaugen hat, runde
Hundsaugen einjeßt und dadurd das liſtige
lauernde Weſen Neinedes ganz verfehlt. Bei
dieſem legten Alte der Taridvermie muß auch auf
das Kleinjte forglich geachtet werden; es muß
das Verhältnis, welches jede Kurve oder An—
|
|
ihwellung, jede Spannung oder Zufammen:
ziehung eines einzelnen Teils zum Ganzen ein:
nimmt, genau ftudiert und wiedergegeben werben.
Vor allem aber ift alles Theatralifche, alles
Forcierte zu vermeiden, weil es naturmwidrig und
unwahr it; das Tier foll im Affekt dargejtellt
werden, aber nicht auf Koften der Wirklichkeit,
der anatomischen und phyfiologischen Geſetze.
Deshalb ift es jo ſchwer, einem ausgeitopften
Naubtiere, einem Löwen, Tiger, Panther,
Jaguar, Leoparden, einem Wolf den wahren
Charakter des Naubtieres aufzudrüden, ohne die
Natur zu überbieten, ihr Zwang anzuthun, thea:
tralifch zu werden, wie es oft von Beitellern ver:
Die Kunft der Taribderntic.
langt wird, welde nichts von Naturgeſchichte
verjtehen und nicht zwifchen dem Idealen und
dem Realen zu unterfheiden verjtehen.
Wie nun einerjeits Die Taridermie dem Laien
und Dilettanten eine Quelle des reinften Ver:
gnügens und dauernder Belehrung in der Natur:
geſchichte ift, jo bildet fie anderjeits aud) einen
erheblihen Zweig des Kunjtgewerbes. Es ift
in Amerifa und England Mode, den Meijter-
jtüden der Taridermie an Schmudvögeln und
Ihönen Säu:
getieren auch
einen Plaß.als
Zimmer:
Ihmud anzu:
mweijen, und
niemand wird
in Abrede zie:
hen können,
daf ein Ofen:
ihirm aus
einem ausge:
itopften Pfau
(5.179) min:
deitens ebenſo
ihön wie ein
geitidter oder
ſtramingenäh—
ter oder mit
japaneſiſchen
Zeichnungen
bedeckter iſt,
daß eine
Waldſchnepfe
mit Jungen
(S. 176), eine
kaliforniſche
Wachtel, ein
Felſenhuhn
u. dal. auf einer Konſole unter Glasglocke min: |
Darlelinente im Verband,
t
|
181
ichlecht bezahlt wird, als in England und Amerifa,
in jenen größeren Städte, wohin die Schäße ber
exotiſchen Faunen in Menge auf dem Handels:
wege zujammenfliegen. Gleich manchen anderen
Künften und nduftriezweigen fteht auch die
Taridermie in England und in den Vereinigten
Staaten auf einer entjchieden höheren Stufe als
bet ung und wird von einer Reihe von tüchtigen
Meijtern mit entichiedenem künſtleriſchem und
materiellem Erfolg ausgeübt. Dieſe Meifter
haben große
Lager von
Säugetieren
und Vogelbäl⸗
aen und ftop:
fen einzelne
Tiere und
Öruppen auf
den Verkauf
aus, und es
fehlt ihnen
nicht an Kun:
den in Geftalt
von Privaten,
Sportsmen
und zoologi—
ſchen Muſeen,
in deren Er—
richtung der—
malen die grö—
herenamerila-
nischen Städte
untereinander
mwetteifern.
Derartige
Meiſter find
Edwin Ward
in London,
welhem die
oftindischen Offiziere und Weidmänner immer die
deitens fo ornamental und jedenfalls anmutender ſchönſten EremplareihrerLeoparden, Tigeru. |. w.
und lehrreicher als eine Majolikavafe ift, und daß
eine Eulengruppe mit dem Horit (S. 180) in
einem hübjchen Glasjhrant an der Wand dem
Effelt eines gewöhnlichen Delgemäldes gleich):
fommt. Niemand wird daher der Taridermie die
Berechtigung wie die Befähigung bejtreiten fon:
nen, zum Schmucke unferer Wohnräume beizu:
tragen, und dieje Kunst hat deshalb, abgejehen
von ihren höheren wiſſenſchaftlichen Zielen, noch
eine große Zukunft — weniger vielleicht bei uns
in Deutſchland, wo fie noch verhältnismäßig
zufenden und die er auf Beitellung in jeder be:
liebigen Stellung und tadellofer Naturtreue
liefert und wobei er in jedem einzelnen Falle
erit Studien im Zoologiſchen Garten im Negents:
park macht und ſich feine Skizzen nad) der Natur
zeichnet; ferner der ſchon erwähnte Amerikaner
Henry A. Ward in Noceiter, N.Y., heutzutage
einer der größten Naturalienhändler, welcher
eigene Sammler und ‘Jäger nah Aſien und
Afrika ſchickt, und mittels feiner ungeheuren
Thatkraft und riefigen Sammlungen Außer:
182
ordentliches zu leiften imftande ift, wovon nad):
ftehend nur ein einziges Beiſpiel. Als die
Filchereiausftellung in Berlin vorbereitet ward,
die man am 18. April 1880 eröffnete, ſchrieb
im März der Präfident White, der damalige
nordamerifanifche Gefandte in Berlin, an Ward,
welder damals in Paris war, er möge doch die
Ausstellung mit den Fiſchen Amerikas beſchicken.
Zwei Tage nad) Eröffnung der Austellung langte
ERS <>
- _— —
Golbabler.
in Berlin eine beinahe vollftändige Sammlung
amerikanischer Filche an, bejtehend aus fünfzehn:
hundert auögeftopften Eremplaren, welche binnen
Monatäfriit aus dem amerikanischen Haupt:
quartier durchaus Haffifiziert, etifettiert, be:
namft und verpadt abaefandt worden waren.
In ähnlicher Weife hat der verjtorbene
Ploucquet in Stuttgart jchon vor Jahren mehrere
große Sammlungen von Säugetier: und Vogel:
aruppen teils zur Ausftellung teil zum Berfaufe
hergeitellt. Die erſte derjelben, zum Teil die
Gruppen enthaltend, welche Ploucquet 1851 auf
der Londoner Weltausſtellung gezeigt hatte,
ging durch Kauf an einen ſchweizeriſchen Forſt-
— —— ———— — — — — — — — — — — — — — — — —
J
Die Kunft der Taridermie.
mann, Chalande, über, der fie erft in allen
größeren Städten der Schweiz ausjtellte und
dann an das naturhiftoriihe Mufeum in Neuf:
chatel verfaufte, mo fie noch zu jehen ift; eine
zweite größere, welche Ploucquet felbjt in Etutt:
gart mehrere ‘Jahre und dann 1866 während des
Kriegs in Wien ausgeitellt hatte, ward nad)
London verfauft, wo fie num im Sydenham:
Kryftallpalaft aufgeftellt ift.
Unfere deutſchen Ausjtopfer, wie geſchickt
und verdient fie auch fein mögen, ſchlagen ſich
notdürftig dur; in Amerifa werden die ge:
ſchickteren unter ihnen reiche Zeute, aber auch die
minder gejchidten finden nod ihr gutes Aus:
jehen, denn die Taridermie fpielt dort im öffent:
lichen und gewerblichen Leben eine größere Nolle
als bei uns. Der Geflügelhändler will für fein
Schaufenfter ausgeftopfte Hühner, der Wildbret-
händler Hirfche, Truthühner, Faſanen, Wild:
enten, der Fleifcher Zämmer und Kälber, der
Blumenhändler Schwäne und Tauben, der Milch:
mann ruhende Kühe, der Kürfchner aufgerichtete
Bären, jchreitende Löwen und Tiger, und ber
Sportöman und der Neifende verzieren ihr Heim
mit der ausgeftopften Beute, welche fie mit:
brachten. Die Leitungen der Taridermie er:
icheinen im häuslichen und öffentlichen Leben der
Amerikaner unter hunderterlei Gejtalten.
Eine eigentümlihe Beihäftigung it ber
Taridermie drüben neuerdings zugefallen: es
find mehrere gefchichtlich berühmte Pferde ausge:
jtopft worden, jo General Sheridans Schladhtroß
„Rienzi“, welches ihn von Wincheſter zwanzig
Meilen weit trug, ift jegt auf Governors Island
zu fehen; Shermans berühmtes Pferd „Te:
cumſeh“, welches er „von Atlanta bis zum
Meere” ritt, ift inder Univerfität von Wisconfin
zu Madifon, und General Nobert E. Lees’
Kriegspferd „Traveller* in dem Mujeum der
Waſhington und Lee Univerfity in Virginien
aufgeftellt. So jchwierig auch die furzhaarigen
Tiere wie Pferd, Giraffe, Windhund u. a. aus:
zuftopfen find, fo hat man es doc) hierin neuer:
dings wunderbar weit gebracht, jo daß aud) der
Kenner von ausgeftopften Tieren nicht die leijejte
Schwellung oder Ausladung einer Ader, Schne
oder Musfel vermißt und der edle Habitus und
feurige Charakter des Tieres voll zur Geltung
fommt.
Das eben Gefagte mag beweiien, daß die
Taridermie, welche bei uns bisher eine fold
untergeordnete Nolle jpielte und faum beachtet
Die Kontagiofität der Cuberkuloſe.
ward, noch einer großartigen Entwidelung ala
Kunst, Kunftgewerbe und nützlicher Zeitvertreib
fähig ift. Sie einigermaßen mehr in den Brenn:
punkt der öffentlichen Aufmerkſamkeit zu rüden
und dem Intereſſe der Gebildeten näher zu
führen, ift die Abficht der vorliegenden Spalten.
Die Kontagiofität der Tuberkuloſe.
3. Affelmann.
—.
It fehr alt ift der Verdacht, daß die
Schwindſucht eine anjtedende Krankheit fei.
Durch eine Reihe von Schriften tüchtiger Nerzte
des fechzehnten und fiebzehnten Jahrhun—
derts zieht ſich ein foldher Glaube hin; ja, wir
finden ihn angedeutet bereits in noch früherer
Zeit. Die Erfahrung, die Beobachtung in der
Praris gab eben den Aerzten zahlreiche Indi—
zien dafür, daß die Uebertragung des Leidens
von dem Kranken auf einen bis dahin völlig ge:
funden Menſchen möglich fei. Sn dem näm-
lichen Verhältnis, wie die Zahl der Fälle wuchs,
in denen man eine folde Anſteckung vermuten
mußte, nahm auch der Glaube an die letere
zu, und jo jehen wir, daß derjelbe fich gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts, menigitens
bei jehr vielen Medizinern, zur völligen Ueber:
zeugung fteigerte. Die angejehenften Praftifer
traten für die Anfiht auf, daß die Schwindjucht
anſteckend fei; in einzelnen Yändern fam es fo:
gar dahin, daß auf Grund dieſer Anficht bejon-.
dere Geſetze zur Verhütung der genannten
Krankheit erlafien wurden. Am fchärfften ging
man in Neapel vor. Dort ordnete die Negie:
rung, auf ein Gutachten des oberjten Geſund—
heitärats ſich ſtützend, an, daß jeder Fall von
Schwindfuht der Behörde angezeigt werden
mußte, befahl ferner, daß ärmere Schwind:
füchtige jofort nach Bekanntwerden ihrer Krank—
heit in ein Spital zu überführen, daß die
Räume, in welchen jolde Patienten gelebt hat:
ten, zu desinfizieren, ihre Kleidungsjtüde zu
vernichten jeien und bedrohte jede Kontra:
venienz, insbejondere auch das Verkaufen, bezw.
Verſchenken der betreffenden Kleider mit den
183
rigoröfeften Strafen. In Florenz und Venedig
ichritt man zu ähnlihen Maßnahmen, und aud
Portugal erhielt ein Schutzgeſetz gegen die
Uebertragung der Schwindjudt. Dies war zu
Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahr:
hundert. Seit jener Zeit verlor die Anficht
der damaligen Nerzte allmählich wieder viele ihrer
Anhänger; der Verdacht, daß die Tuberfulofe
anjtedend fei, wurde minder oft ausgeſprochen,
die Ausführung der Schugmaßregeln filtiert,
wo fie angeordnet worden waren. ‘jet aber
jcheint fi) herauszuftellen, dab das, was vom
oberiten Gefundheitärat zu Neapel vor hundert
Jahren mit folcher Beftimmtheit als richtig hin-
gejtellt wurde, thatfächlich richtig ift. Die Ent:
deckung des Tuberfeljpaltpilzes, des Trägers
des Schwindjuchtgiftes, die Konjtatierung der
Thatjache, daß die Ueberimpfung diejes Pilzes
die gefürdhtete Krankheit hervorruft jelbjt bei
folhen Tieren, welche fonjt von ihr durchaus
verjchont bleiben, ſowie der Nachweis, daf der
Auswurf Schwindfüchtiger allemal den Träger
des Giftes beherbergt, daß er nad) erfolgter
Trodnung und Zerjtäubung Tiere, die ihn ein:
atmen, tuberfulös macht, haben gezeigt, daß das
Leiden eine fpecifiiche Urjache hat, daß es über:
tragbar ift und daf die Uebertragung auf Men—
chen, wenn nicht noch auf andere Weiſe, fo
wahrjcheinlich durch den Schleim gefchehen fann,
melden die Patienten aushuften und welcher
dann die Luft mit infektiöfen Keimen erfüllt.
Der Beweis, da dieje leßteren die wirkliche
Urjahe der böjen Krankheit find, daß ihre
Uebertragung das tuberfulöje Yeiden hervorruft,
wurde mit folder Bejtimmtheit erbracht, daß
ein Zweifel an der Nichtigfeit der foeben auf:
geftellten Sätze nicht mehr zuläffig ericheint.
Fortan haben aljo Aerzte und Hygieiniker mit
der Tuberkuloje als einer Infektionskrankheit
zu rechnen. Hielt man fie noch vor furgem für
die Folge der Vererbung, hygieiniſcher Uebel:
jtände und focialen Elends, jo muß man jebt,
ohne deshalb das Gewicht diefer faufalen Mo—
mente geringer zu fchäßen, immer daran denfen,
daß die eigentlihe und legte Urſache
doch ein jpecififcher Keim, ein patho:
gener, zu deutih franfmadender,
Pilz tit.
Die Feititellung der Thatjache, daß die
Schwindſucht eine Infektionskrankheit ift, be:
weiſt nun freilich für ſich noch keineswegs,
worauf ſo vieles ankommt, daß ſie anſteckend
184
it. Selbjt jenes Faktum, daß der zerjtäubte,
von Tieren eingeatmete Auswurf Schwind:
füchtiger bei jenen Tuberfulofe hervorruft, kann
für fich allein noch nicht zeigen, daß diefes Leiden
von einem Menfhen auf den anderen durch
die Luft übertragbar tft. Es bedarf einer Er:
gänzung durch die ärztliche Beobachtung, bedarf
der Konjtatierung von Fällen, in denen die An
ſteckung thatfählih ſtatthatte. Nah dieſer
Richtung hin iſt nun die Wiſſenſchaft in aller—
jüngſter Zeit ſehr thätig geweſen. Dasjenige,
was ſie ſammelnd und ſichtend zu Tage förderte,
im Detail zu ſchildern, iſt nicht hier der Ort.
Wohl aber ſcheint es mir am Platze zu ſein,
einzelne belangreiche Daten hier kurz zu re—
giſtrieren und zu beleuchten. Das Collection
Investigation Board in England, der leitende
Ausſchuß einer Geſellſchaft, die ſich zum Zwecke
gemeinſamer Erforſchung von Krankheiten und
Krankheitsurſachen gebildet hat, erhielt bis jetzt
1028 Antworten auf die Frage, welche be—
züglich der Kontagioſität der Schwindſucht an
die Mitglieder gerichtet worden war; von dieſen
Antworten lauteten im ganzen 262 rein be:
jahend und 673 rein verneinend. Unter den
Fällen, in welchen eine Anjtedung angenommen
war, befanden ſich 119, in denen der Ehemann
die Frau, und 69 andere, in denen die rau
den Mann mit der Tuberfulofe angejtedt haben
follte. In 130 diejer Fälle fonnte bejtimmt
fonjtatiert werden, daß das in zweiter Reihe er:
frankte Individuum vor der Ehe nicht an Tu:
berfulofe litt und ſogar auch frei von einer erb:
lichen Anlage diejes Leidens war. Eine jüngſt
veröffentlihte Schwindſuchtsſtatiſtik des Vereins
ichleswig:holfteinifcher Aerzte enthält die Notiz,
daß beim Tode von 938 an erworbener Tuber:
fulofe dahingerafften Eheleuten 101mal die
Tuberfulofe des anderen Ehegatten fich feſtſtellen
ließ, daß Ehefrauen häufiger von tuberfulöfen
Männern, als diefe von tuberfulöfen Frauen
angeftedt wurden, und daß die Hebertragung
auf dem Lande entſchieden häufiger vorfam als
in der Stadt. Mehrere Gefängnisärzte, ins:
befondere Dr. Baer zu Berlin, berichteten über
das außerordentlich häufige Norfommen der
Schwindjuht in den Gefangenanitalten und
bradıten dasjelbe in faufalen Zuſammenhang
damit, daf die Tuberkulöfen mit den Gefunden
vielfah gemeinfam arbeiten, vielfach in einem
I Nifelmann,
reichende Desinfektion neuanfommenden Sträf:
lingen überwiefen werde. Zahlreiche Aerzte end-
lid) veröffentlichten Yyälle der eigenen Praris, in
denen die Uebertragung der fraglichen Kranf:
heit auf einen bis dahin völlig gefunden Men:
ſchen als einzig mögliche oder doch höchſt wahr:
ſcheinliche Urfahe anzufhuldigen war. So er:
wähnt ein anderer Arzt der Thatfahe, da im
Militärinvalidenhaufe zu Berlin die Tuber:
fuloje bei den zufammenlebenden Inſaſſen dop-
pelt jo häufig ift wie bei den einzeln wohnenden.
Dod audiatur et altera pars! Es gibt
Aerzte, welche beftimmt erklären, es feien ihnen
in großer Praris feine Fälle vorgefommen, in
denen mit Sicherheit die Kontagiofität der
Schwindfuht von ihnen Fonftatiert werden
fonnte. Ja, was ungleid wichtiger ift, die fta:
tiftiihen Erhebungen in den Schwindfuchts-
ipitälern befonders Englands zeigen jehr deut:
ih, daß unter dem zahlreichen Warteperjonal,
welches dauernd in denjelben den Dienjt ver:
fieht, das Vorkommen von Tuberfulofe durch—
aus fein häufiges, vielmehr ein relativ feltenes
ift. Diefe Thatſache, denn als ſolche darf fie
getroft bezeichnet werden, wollen wir uns jorg:
ſam merfen; fie verdient vollauf die Beachtung
eines jeden, der fi mit dem Studium der Kon—
tagiofitätöfrage befaßt. Auch den vorhin er:
wähnten Mitteilungen der Gefängnisärzte ftehen
andere gegenüber, welche gar nicht für die Kon:
tagiofitätslehre jprechen. So liegt mir in diefem
Augenblide ein Bericht über die ſchwediſchen
' Gefangenanftalten vor; diefelben hatten wäh—
Saale ſchlafen, und daß die Hleidung der Tus
berfulöfen der Regel nad) ohne zuvorige aus—
rend des ganzen Jahres 1881 die erjtaunlich
niedrige Ziffer von nur 38 Schwindfuchtäfterbe:
fällen.
MWägen mir alles gegeneinander ab, jo
müffen wir fagen, daß ein enticheidendes Urteil
noch nicht aegeben werden fann. Doch dürfen
wir jedenfalls aus dem vorliegenden Material
fo viel ſchließen, daß die Gefahr der Ueber:
tragung von Tuberfuloje durch Anjtedung Feine
jo große ift, wie fie in jüngjter Zeit von ver:
ſchiedenen Seiten geichildert wurde. Es bedarf
ficherlih außer dem Vorhandenſein des fpeci:
fiichen Pilzes noch gewiſſer die Einniftung und
Wucherung desfelben begünftigender Momente,
welche entweder in dem Individuum ſelbſt oder
außerhalb desjelben liegen fünnen. Wäre dies
' nicht der Fall, fo müßte die Anftedung ungleich
häufiger beobachtet werden, als bisher möglich
war. Die Thatjache, daß bei gewiſſen Arbeitern,
Die Kontagiofität der Tuberkulofe.
welche infolge ihres Berufs ſehr leicht eine Ver:
legung der Schleimhaut ihrer Atmungsorgane
ſich zuziehen, Tuberkulofe ungemein oft vor:
fommt, gibt einen bedeutjamen Fingerzeig da:
für, daß Veränderungen der normalen Beſchaf—
fenheit der Atmungswege ein fehr wichtiges,
die Einwanderung des Pilzes beförderndes Mo-
ment abgeben. Es ift ferner befannt, daß alle
Infektionskranlkheiten mit Vorliebe geſchwächte
‚Individuen befallen; und auch dies Faktum
dürfte einen belangreihen Anhaltspunkt dafür
bieten, weshalb in einem Falle die Anſteckung
geſchah, in einem anderen aber unterblieb, ob:
ſchon in leßterem vielleicht die Gelegenheit zur
Uebertragung eine größere war als in erjterem.
Doch kann ich diefe disponierenden Momente
hier nur andeuten, nicht ausführlich befprechen.
Iſt aber auch die Gefahr der Anſteckung
feine fo überaus große wie bei manchen anderen
Infektionskrankheiten, 3. B. der Diphtheritis,
dem Scharlach, den Mafern, dem Keuchhuſten
u. ſ. w., fo ijt fie doch vorhanden. E3 würde
nicht richtig fein, die zahlreichen pofitiven Daten
gegenüber den negativen einfach) zu ignorieren.
Wenn aber jene Gefahr vorliegt, fo muß fie
auch bekämpft werden. Handelt es ſich doch um
den Schuß vor einem der böfeften Leiden, welche
den Menſchen befallen. Wie aber foll man dem
Feinde entgegentreten? Das ift eine der wid:
tigen Fragen, welche nad) Erkenntnis des wahren
Charakters der Tuberkulofe jet auf der Tages:
ordnung jtehen.
Gehen wir näher auf das foeben bezeichnete
Thema ein, fo ift das Geftänbnis vorauszuſchi—
den, daß eine definitive Löfung der Aufgabe
zur Zeit noch nicht gegeben werden, ja noch nicht
einmal verfucht werden fann. Wir fennen den
Feind, kennen fein Aeußeres, dad Gefährliche
jeines Wefens, auch die hauptſächlichſten Stätten,
an denen er vorlommt. Aber noch fragmentär
und unzureichend ift unfer Wiſſen bezüglich feiner
Lebensbedingungen, ich meine bezüglich der Mo:
mente, welche fein Wahötum, feine Wucherung
befördern oder aufhalten, feine Mebertragung
auf den Gefunden begünftigen oder verhindern.
Nach diefer Richtung hin Aufklärung zu ſchaffen,
jind viele Forfcher zur Zeit fleißig bemüht. Bei
dem großen Eifer, mit welchem fie zu Werfe
gehen, läßt ſich hoffen, daß das erftrebte Ziel
bald erreicht werde. Che dies aber nicht der
Fall ift, kann unmöglich eine rationelle Prophy—
lari3 nad) allen Seiten Platz greifen. Und doch
185
| läßt fih ſchon jett jehr vieles thun, um die
| Macht des Yeindes zu breden. Ja, es würde
ein großer Fehler fein, wenn man zu joldem
Zwede die neuerlangte Kenntnis, fo jehr fie
aud) noch der Ergänzung bedarf, nicht ausnutzen
wollte,
Auf dem jüngjten internationalen Kongrefie
für Hygieine, welcher im Jahre 1882 zu Genf
abgehalten wurde, und auf welchem der in der
Gelehrtenwelt rühmlichſt befannte Profeſſor
Dr. Alfonfo Corradi aus Pavia einen in:
terefjanten Vortrag über die Kontagiofität der
Tuberfulofe hielt, war es Leudet, welcher im
Anſchluß an die Worte Corradis folgende Säße
aufftellte, um die empfehlenswerten Maßnahmen
des Schutzes zu präcifieren:
1. dem Abſchluſſe der Ehe einer tuberfu-
löjen mit einer gefunden Berfonift zumiderraten;
2. die Iſolierung der Kinder einer tuber:
fulöfen Familie voneinander ijt vorteilhaft;
3. die Iſolierung der Tuberfulöfen tft zwar
wünfchenswert, in praxi aber meiftens nicht zu
realifieren, aud) nicht einmal in Spitälern.
Es iſt klar, daß Maßnahmen, wie die von
Leudet vorgeſchlagenen, zu wenig beſtimmt
und zu negativ ſind, als daß ſie viel nützen und
die Hygieine befriedigen könnten. Die letztere
verlangt mit vollem Recht ein entſchiedeneres
Vorgehen gegen die Krankheitsurſache ſelbſt.
Man ſoll den Feind aufſuchen und vernichten;
das iſt die Parole im Kriege eines Volkes gegen
das andere, aber fie iſt es auch im Kampfe gegen
die feindlichen Infektionsſtoffe, welche uns be—
drohen. Wir haben den Tuberkelpilz unſchädlich
zu machen, wo wir ihn nur faſſen können; auf
dieſer Baſis muß die Prophylare ſich aufbauen,
nachdem feitgejtellt wurde, daß er die Urſache
der Schwindfucht ift, daß dieje nicht ohne ihn
entjteht.
Als eine Hauptquelle dieſes Pilzes und als
ein Hauptherd feiner Ausbreitung muß der
Auswurf Shwindfüchtiger Individuen betrachtet
werden; ihn hat man deshalb in erſter Linie
unfhädlic zu machen. Das ift rationell, ver:
fpriht den größten Nugen und ift außerdem
praktisch leicht durchführbar. Es wird zu ſolchem
Zwede anzuordnen fein, daß der Tuberfulöfe
den auögehufteten Schleim allemal in einen Be:
hälter entleert, welder ein gemwijjes Duantum
einer deöinfizierenden Maſſe, 3. B. 5° Car:
bolfäure enthält, und daß diefer Behälter mehr:
‚ mals täglich gereinigt wird. Ferner ift jede
24
186
Verunreinigung des Zimmers mit dem Aus:
wurfe ftreng zu verbieten, meil fie ficher eine
Anfüllung der Luft mit dem Pilze zumege
bringen würde, ift aber, wenn fie trogdem ftatt:
hatte, fofort gründlich zu befeitigen ; und endlich
muß dafür geforgt werden, daß Tücher, die etwa
zur Aufnahme des Schleimes benugt wurden,
jedenfalls noch vor dem Trodenwerben des let:
teren aus dem Mohnraume entfernt und des-
infiziert werden. Solde Maßnahmen find ge:
eignet, die Gefunden zu fhügen und dem Kran:
fen dasjenige, was zur Heilung feines Leidens
in erjter Linie nötig ift, zu fichern, nämlich eine
vom Tuberfelpilz möglichjt freie Luft.
Bereits wurde in zahlreichen Spitälern diefe
Unfhädlihmahung des Auswurfs der Schwind:
füchtigen mit Ernft ins Werf gejet ; von vielen
Aerzten ift fie auch Schon in der privaten Praris
angeordnet worden, und zweifellos wird fie
binnen furzer Frift allgemein eingeführt fein.
Man könnte vielleicht den Einwurf erheben,
baf die Feftitellung der Natur des Leidens, von
welchem hier die Rebe ift, nicht immer, zumal
im Anfange, leicht fei, und daß es aus gemifjen
Rückſichten fich nicht empfehle, in noch zweifel-
haften Fällen Anordnungen zu treffen, welche
den Kranken und feine Angehörigen möglicher:
weife ängftigen Fönnten. Darauf ift zu er:
widern, daß die Natur des Leidens in der über:
wiegenden Mehrzahl aller Fälle thatſächlich ſehr
leicht feitgeftellt werben fann, wenn nur der
Auswurf von fundiger Seite unterfucht wird,
Jeder Arzt muß jest mit der Methode der Auf:
findung des Tuberfelpilzes befannt fein; das
darf von ihm gefordert werden. Wenn es aber
möglich ift, leicht Gewißheit zu erlangen, fo fann
es faum noch vorfommen, dag man Maßnahmen
der vorhin bezeichneten Art unnötigermeife
anorbnet.
Ein weiterer Shut liegt in der ausgiebigen
Ventilation aller Näume, in denen der Tuber:
kulöſe fih aufhält. Durch fie erzielen wir Fort:
führung der mit dem Krankheitsſtoffe erfüllten
und Zuführung reiner, quter Luft, in jedem
Falle alfo eine ſtarke Verminderung ber Zahl
der Pilze. Auch damit wird wiederum den Ge:
funden, wie den Kranken genüßt, und es ift
gleichfalls eine leicht zu Handhabende Mafregel,
gegen welche nur leider allzu oft jeitens der
Patienten Oppofition gemadt wird.
Wir müffen ferner ins Auge fallen, daß
aud die Aleidungsftüde und Betten des Tuber:
3. Uffelmann.
fulöjen den Krankheitsfeim beherbergen und jo-
mit anftedend wirfen fönnen. Gelegenheit zur
Aufnahme desfelben haben fie ja häufig genug,
vielleicht in jedem Augenblide, da die Luft in
den Wohn: und Schlafräumen der fraglichen
Kranfen, jelbit bei ausgiebiger Ventilation, nicht
frei von den betreffenden Pilzen if. Würde
man den Kleider: und Bettjtaub unterfuchen, jo
würde man biefelben zweifellos in großer Menge
vorfinden. Auch hier werden wir alfo den Feind
vernichten oder unfhädlih machen müſſen. Es
it jedenfalls angefichts der bejtehenden Gefahr
nicht zu geftatten, daß ein Gefunder die nicht
ausreichend desinfizierten Kleidungsftüde und
Betten eines Schwindfüchtigen benugt. Am
zwedmäßigiten wird immer fein, diejelben nad)
dem Tode des leßteren furzweg zu verbrennen ;
da man dieſes aber in den niederen Ständen
ſchwerlich wird erreichen fönnen, fo follte man
in ſolchem Falle eine Desinfektion durch heiße
Luft, bezw. fiedendes Waſſer anraten und an:
ordnen, daß alle Effekten, welche eine derartige
Behandlung nicht zulafjen, erſt nad) langer Lüf-
tung wieder benußt werben, wenn der Befiter
fih nicht entſchließen kann, fie zu vernichten.
Endlich ift es jetzt nach befierer Erforſchung
des Wefens der Tuberkuloſe unabmweislich, nicht
bloß in der Auswahl von Ammen, fondern auch
von Märterinnen für Kinder, überhaupt von
Dienftperjonal, größere Vorficht als bisher an:
zuwenden, damit einer Uebertragung der böfen
Krankheit von vornherein vorgebeugt werde,
Die Notwendigkeit einer derartigen Vorſicht
liegt fo jehr auf der Hand, daf eine nähere Be:
gründung nad) dem vorhin Gefagten überflüffig
erſcheint. Deffentlihe janitäre Schutzmaß—
nahmen, die einzelne jüngit verlangt haben,
fönnen zur Zeit fchmerlich bereits angeordnet
werden, weil es dazu noch an der nötigen Unter-
lage fehlt. Man wird fich nicht Schon dazu ent:
ſchließen, die Iſolierung der Schwindfüchtigen
zu fordern, wie damals in Neapel, wird nicht
die Ehe Tuberfulöfer mit Gefunden verbieten
wollen, fo jehr dies auch im Intereſſe des öffent:
lihen Wohles liegen würde. Am frühejten
könnte man nod) ein Vorgehen gegen das Ver:
faufen und Verfchenfen oder Weberlafjen der
Kleidungsftüde und fonftigen Effekten Tuber:
fulöfer erwarten. Aber es mangelt, wie eben
gejagt, noch allzufehr an der ficheren Unterlage,
als da man jhon eine geſetzliche Negelung der
Schutzmaßnahmen erhoffen dürfte. Um fo drin:
Dereinsleben in GOeſterrelch vor dem Jahre 1848.
gender ift es nötig, daß privatim für den ein-
zelnen Fall alles das angeordnet wird, was nur
prophylaftiich angeordnet werden kann. Nach
diefer Richtung hin dem Nichtarzte Belehrung
zu bringen, war der Zwed diejer meiner Dar:
jtellung, die übrigens, wie ih faum zu betonen
nötig habe, feineswegs das ganze Schußver:
fahren, fondern lediglich die Verhütung der von
dem tuberfulöfen Kranken felbft drohenden Ge:
fahren einer furzen Beiprehung unterziehen
wollte,
Dereinsleben in Deflerreid
vor dem Dahre 1848.
Don
Dohannes Nordmann.
——
& iſt nachgerade Brauch geworden, die politi—
ihe Zeitrehnnng in Defterreih vom März
des jahres 1848 zu datieren. Ein ſchweres
Unrecht aber wäre es, nicht mit der Kultur:
bewegung rechnen zu wollen, welche diefem
Sturmjahre vorangegangen und es vorbereitet;
wie ja auch, allerdings in größerem Stile, die
geiftige Arbeit der Encyklopädiſten die Mevo-
lution des vorigen Yahrhunderts in Frankreich
vorbereitet hat. Bon jenen Hebelfräften des
geiftigen Lebens in Wien, die für jene Kultur:
bewegung im Vormärz in Thätigfeit waren, will
ich ſprechen.
Ein Vereinsleben, wie wir es derzeit fennen,
fonnte ſich vor dem Jahre 1848 nicht entwideln;
der Horror der Negierenden gegen ein ſolches
war jo ftarf, daß man beifpieläweife dem Turner
Steffant gejtattete, nicht eine Turn-, fondern
nur eine gymnaſtiſche Schule zu begründen und
einzurichten, welche leßtere Bezeichnung fajt ben
Schluß erlaubte, ala hätte man ihm damit das
Recht, Kunftreiter und Cirkusſpringer, nicht aber
kräftige Männer für eine gelegentliche That heran:
zubilden, einräumen wollen. Ein wahres Wun—
der ijt e8 zu nennen, daß man damals jene,
denen „Geſang gegeben,“ fich unter dem Namen
„Männergejangsverein“ zuſammenſcharen ließ;
und einen eigentlichen Kampf erforderte es, den
Namen: „Juridiſch-politiſcher Leſeverein“ für
187
gleihgefinnte Männer, die fich finden und über
die Zeitereigniſſe ausſprechen werben, durch—
zuſetzen. Mit den beiden letztgenannten Gruppen
wardie Summe des Vereinslebens in feiner zahm—
jten Bedeutung erſchöpft. Was äuferlic und
offen al verpönt galt, mußte aljo auf geheimen
Wegen erreicht, das politifche Vereinsleben mußte
durch Fitterarifche und geiftige Berührungs: und
Bereinigungsgruppen angebahnt werden.
Wenn einer eine Reife thut, heit es in
einem alten und viel verbrauchten Sprichworte,
fo fann er was erzählen. Nun habe ich fchon
eine ziemlich lange Wegitrede des Lebens, immer
nur mit leichtem Gepäde, da3 gleich dem eines
fahrenden Schülers nur in Pennal und Tinten:
faß beftand, zurüdgelegt und habe mir alſo das
Recht ergangen, von meinen Erlebnifjen zu er:
zählen. Mein Streben war zeitlebens bei vielen
Quer: und rrgängen vorzugsmeife auf die Litte-
ratur gerichtet; diefe war mein Hauptzielpunft ;
was ich erreicht und errungen, ift gering und
wiegt feberleicht ; mas ich auf meinen litterarifchen
Manderungen erlebt, dürfte aber von einigem
Intereſſe fein. Sch rechne bei meinen Rüdbliden
mit den Alten und Jungen; mit den Alten, die
fich vielleicht nicht ungern manche Erinnerungen
aus halbvergangener Zeit auffrifchen laſſen; mit
den Jungen, die fich gleichfalls nicht jträuben
werden, zu erfahren, wie das politifche und litte:
rarifche Leben in Wien geartet war, bevor das
Sturm: und Gemwitterjahr 1848 die Luft in
Defterreih von vielen verderblichen Miasmen
gefäubert hatte.
Es war ein ſchlechter und wohlfeiler Brauch,
der vor jenem freimachenden Jahre „draußen im
Neiche” gang und gäbe war, und mit dem man
über die geiftigen Regungen und Strebungen in
Deiterreich den Stab brechen zu fünnen glaubte.
Durch zwei Dichter: durch SchillerundGrillparzer,
von denen der eine als unrichtiger Interpret von
dem „Lande der Phäaken“ und der andere von
Wien als von einem „Capua der Geiſter“ ſprach,
wurde man in dem abfälligen Urteile noch be—
ſtärkt. So ſchlimm ſtand es denn doch nicht in
unſerer damals viel verläſterten Heimat. Wenn
richtig iſt, daß Zahlen ſprechen, ſo wäre mit
dieſem Faktor der Beweis zu führen, daß die
Oeſterreicher ſich nicht in dem verſchrieenen Zu—
ſtande geiſtiger Verwahrloſung befanden. Es
iſt eine unbeſtrittene Thatſache, die auch heute
ihre Gültigkeit nicht eingebüßt hat, daß Oeſter—
reich und namentlich Wien der beſte Abſatzmarkt
188
für die Produktionen des deutfchen und fremden
Buchhandels war.
Nun kann nicht angenommen werben, daß
dieje Bildungsmittel, für welche die Defterreicher
mit dem Gelde nicht jparten und mit denen fie
fich reichlichit verforgten, pur: und wirkungslos
an ihnen vorübergegangen wären. Und fie
mußten fich diefe Bildungsmittel in den meiften
Fällen nicht ohne Mühe und Gefahr verſchaffen.
Die Mühe des ungefeglihen Schmuggelgeichäftes
hatte allerdings nur der hiefige Platzbuchhändler,
welcher die verlangte verbotene Ware feinen
Kunden beforgen wollte; vor der Gefahr einer
Hausdurhfuhung und fonftiger Drangfalierung
vonfeiten der Cenfur: und Rolizeibehörden hatten
wieder jene nicht zurüdzufchreden, die fich joge:
nannte „freifinnige Schriften“ einwirtſchaften
und nicht Die Bevormundung, deren Bedarf erga
Schedam decken zu bürfen, gefallen laſſen
wollten. Die luftigften Gejhichten wären dar:
über zu erzählen, wie die Sortimenter in Wien
folhe Bücher eingefhmuggelt hatten. Eine Un:
zahl von Eremplaren des „Leben Jeſu“ von
David Strauß ging unter den Titeldedblättern
der beftbeleumundeten Andachtsbücher nachOeſter⸗
reich, und ganze Ballen von Börne's „Parifer
Briefen” wanderten unter den Titelumfchlägen
Glauren’iher und anderer unverfänglider Ro:
mane aus dem Revifionsamte, wo allerdings
diefe geiftigen Schäße nicht immer von Argus:
augen gehütet wurden, fondern wo der eine und
andere freifinnige Beamte ganz gut jah, aber
nicht fehen wollte, wenn mit einem fchon revi—
dierten Balete mehrere Kolli, die einen weitaus
verbäcdhtigeren Inhalt vermuten ließen, verladen
wurden. Wäre eine Vigilanz par Ordre du
Mufti jtrenge geübt worden, jo würde nicht
möglich gewefen fein, daßdie „Spaziergänge eines
Miener Poeten“ von Anajtafius Grün und
Herwegh's „Lieber eines Lebendigen”, die mit
dem ſtrengſten Interdikte belegt waren, fait in
feinem gebildeten Haufe fehlten. Ich weiß aus
dem Munde des Verlegers, daß mehr als zwei
Dritteile aller Auflagen der „Lieder eines
Lebendigen” nach Defterreich gingen, und kann
noch als Kuriofum mitteilen, daß die aner:
fennendfte Kritik über diefe Lieder in dem von
einem öfterreichifchen Cenſor, nämlih von
dem Dramatifer Deinhardftein- redigierten und
in Wien erfchienenen „Jahrbuche“ veröffentlicht
wurde. Ein Erflärungägrund diefes Kurioſums
liegt freilich darin, daß das „Jahrbuch“ eine
Johannes Mordmann,
ſehr geringe Verbreitung hatte, aljo nahezu
wirkungslos bleiben mußte. Mit diefen furzen
Andeutungen follte nur bewiefen werden, daß
der Defterreiher von „Anno dazumal“ der litte:
rarifchen Bildung nicht aus dem Wege ging,
fondern daß er dafür mit allen erlaubten und
unerlaubten Mitteln feine Opfer fcheute.
Abgefehen von der komiſchen Seite dieſes
Schleihhandels, mit dem die Bildungämittel in
das Land gebracht werden mußten, war damit
ein ganz eflatanter Nachteil und Schaden vom
volkswirtſchaftlichen Standpunft aus verbunden,
da man das fertige Bud auch als Ware zu
betrachten hat. Der Import diefer Ware wurde
mit den angebeuteten Mitteln ſchwunghaft be-
trieben, mit dem Exporte aber jah eö verdammt
täglid aus. Es fehlte im Lande nicht an den
produzierenden Händen, das Imprimatur ber
Genfur aber, das ihren Werfen gleich einem
Brandmale aufgepreßt wurde, war fein Marken:
ſchutz, ſondern das Bud, das die Firma eines
öfterreichifchen Verlegers trug, war vorwegs ge:
richtet und fand weder in der fremde, nod in
der Heimat Käufer. Von diefem Fluche wurde
einzig und allein der Verlag medizinifcher Werke
nicht getroffen; für alle übrigen Hervorbringungen
war er eine auönahmälofe Regel. Die Folge
davon war, daß die beiten Produzenten ihre
Merfe von deutfchen WVerlegern aus der Taufe
der Druderichwärze heben liegen, und daß Leip—
zig, Stuttgart und Hamburg den öſterreichiſchen
Schriftftelleen die Wege der Anerkennung in
ihrer eigenen Heimat bereiten mußten. Das eigene
Fabrikat erhielt erft dann einen Verkaufswert,
wenn ed aus dem Auslande bezogen wurde.
Die notwendige Folge war wieder, daß nicht
allein das Produkt, fondern aud der Produzent
feine Heimat verließ, in der er feinen Schuß
und vielmehr Verfolgung für feine Geiftesarbeit
zu erwarten hatte. Der „fahrende Poet“, Carl
Bed, dem erft, nachdem er die längfte Zeit
verurteilt war, „die harten Treppen des Erils
auf: und niederzufteigen, “ in feinen alten Tagen
gegönnt war, fich in der Heimat aufdas Kranfen-
lager zu betten, hatte für eine ganze, kaum
poetifh flügge gewordene Echar das Beilpiel
gegeben, fich von ihrem Vaterlande loszureißen.
Mit der dürftigften Habe, deren problema—
tiſches Wertftüd ein Manuffript war, wanderten
fie aus. Was diefe modernen Argonauten er:
beuteten, war fein goldenes Vließ, und fie wirt:
ſchafteten ſich in den meiſten Fällen Kummer und
Dereinsleben in Oeflerreich vor dem Jahre 1848.
Elend ein. Das machte fie nicht mutlos, und
fiewaren ſchon überaus glüdlich, wenn fie draußen
einen Verleger fanden, der ihrem Manuffripte
Gevatter jtand, nicht etwa deshalb, weil ihn
dejjen Wertſchätzung beftimmt hätte, fondern aus
dem viel trivialeren Grunde, weil er damit, wenn
e3 mit dem non admittitur der Nichtzuläffigfeit,
oder gar mit einem damnatur der Berbammung
der öfterreichifchen Cenſurbehörde belegt wurde,
auf ein gutes Geſchäft rechnen konnte. Die
Buchhändlerſtadt Leipzig war zunädft der
Bielpunft diefer Zugvögel; es trieb fie dahin
vor allem die ſächſiſche Einundzwanzigbogen—
Freiheit für Bücher ; eine problematifche Wohl:
that, deren Wert heute nicht mehr erfannt wird,
während fie damals als das höchſte erreichbare
Gut betrachtet wurde. Nun war es aber feine
geringe Sorge für die freiwilligen Erulanten,
mit ihren [hmächtigen Liederheften dieſe zwanzig
Bogen und darüber zu füllen, und ich erinnere
mid) noch lebhaft, wie Morig Hartmann eines
Tages auf meine Stube in der „großen Feuer:
fugel* in Leipzig fam, in welchem Haufe die
aus „Dichtung und Wahrheit” befannte Scene
zwiſchen Goethe und Gottſched vorfiel, und mir
fein Leid klagte, daß der Drud feiner Gedichte
fchon beim fiebzehnten Bogen halte und er aud)
nicht einen Vers für den erforderlichen Reſt
habe. Da war guter Nat teuer, und er fühlte
fich gerettet, als ich ihm einriet, fein Buch durch
Ueberfetungs: Fragmente ausder „Königinhofer-
Handihrift” zu ergänzen.
Eine eigentlihe Kolonie von Poeten hatte
fi vor dem Jahre 1848 in Leipzig angefiebelt,
für die bald als Pendant zum außer Mode ge:
fommenen „jungen Deutfchland” der Schelmen-
namen „junges Defterreih“ gefunden war, um
fie für die ſcharfe Vigilanz der Polizei zu ftig:
matifieren. Die jungen Iuftigen Poeten aus
Deiterreich waren zum Verdruffe und Leibe einer
Anzahl von deutſchen Schriftftellern gerne ge:
fehene Gäfte in den beiten Kreifen der Leip—
ziger Gefellichaft; das machte fie ihrer Heimat
nicht fremd, an der fie troß alledem mit Leib und
Seele hingen.
Nachdem ich in allgemeinen Zügen eine ſchüch⸗
terne Verteidigung des vormärzlihen Defter:
reichers verfucht, und ihn gegen ben Verdacht
und Vorwurf, er hätte fi ald Genußmenſch
jeder geiftigen Strömung ferne gehalten, in Schuß
genommen habe, rüde ich meinem eigentlichen
Thema an den Leib: nämlich das litterarifche
189
und geiftige Leben in einer Zeit zu ſchildern, in
der das politifche Leben noch im langen Winter:
ichlafe lag, der erft durch die Frühlingjonne des
jahres 1848 gelöft wurde. Cine joldhe Schilde—
rung wäre unmöglih, wenn ich gleichjam von
Haus zu Haus ginge, um bie Durchſchnitts—
bildung des damaligen Wiens zu ermitteln; und
fie wird jedenfalls leichter gelingen, wenn ich die
feftgegliederten Gruppen fennzeichne, in denen
das litterarifche und geiftige Leben und Streben
pulfierte und zur Erſcheinung kam. Ich laſſe
dabei den „juridiſch-politiſchen Leſeverein“ abſeit
liegen, nicht etwa, weil ich deſſen ſtarke Bedeu—
tung für die freiheitliche Entwickelung in Dejter:
reich nicht erkennen und anerkennen würde, fon:
dern weil diefe Gruppe nicht in den Rahmen
meiner Schilderung paßt. Man weiß aus Er:
fahrung oder Tradition, daß aus diefer Gruppe
Männer hervorgegangen, die zum Segen und
auch zum Unheil in die politifhen Gefchide
Oeſterreichs eingegriffen. Dieſes Kapitel aus:
führlicher zu behandeln, bleibt ald Aufgabe einer
fundigern Hand vorbehalten, und ich deute nur
foviel an, daß der „juribifch-politifche Leſeverein“
das Treib: und Warmhaus für unfere volfstüm-
lihen Minifter nad; Metternich war.
Als Einleitung zur Oruppenfhilderung des
litterarifchen und geiftigen Lebens in Wien pro:
duziere ich ein Dokument, das wenigftens durch
fein äufßeres Anfehen den Schein einer hiftori-
hen Urkunde heuchelt. Diefe Urkunde ift „zur
ewiglichen Gebädhtnuß und frumben Erinnerung
der gemein Stabt Wien mit Vleiß zufamen:
getragen, auögefertigt, ingleichen mit Poeſie gut
verfehen von Pater Hanfen Krampelmayer,
Kuchelmeifter des P. B. Dominikaner Kloſters“,
und ift unter dem während ber Stabtermeiterung
und Verjüngung Wiens gleichfalls demolierten
„Savallir” in dem fteinernen Sarkophag diejes
Chroniften nad) dreihundert Jahren aufgefunden
worden. Darin ift die Rede von einer „Bruder:
ſchaft von Gelarten, Doktores, Authores, Muda—
thores, Geologen, Meteorologen, Vhilofophen,
Poeten und Bybliopolen“, die ſich wöchentlich an
einem Abend bei Speife und Trank zuſammen—
gefunden haben.
„Und wird unter fie fürnemblich ein ficherer
Casustelli als erſter Hauptnaturforfher und
animalium hominumque amicus feyn Tert
und moralifhe Sprüchlein dareingeben; item
Doctor Schmidelius, der waz ein gelart literä-
riſch Diariumebiret ;item Ludovicus Augustin
190
der Frankler, feynes Zeychens ein Voet; item
Carajanus, der waz ein wahrer Janus der deut:
ſchen Sprüche und Verälein; item Hanns Nord-
mann, der Yayerer zubenambit; item Lupus,
der Wolf, welcher ift ſtark und gewandt in der
hyspaniſchen und anderen Litteratur u. f. w.“
Diefe Bruderfchaft, wie fie der Chronift,
hinter deflen Pieudonym-Masfe fi) der in alten
Büchern überaus fundige Feil barg, benamite,
hieß eigentlich die Gefellichaft der „Namenlojen“,
und deren Mitglieder waren außer dem leichten
Federvölklein von Poeten und Litteraten in
der Majorität ernfte Gelehrte und Afademifer.
Ihr Beitand war nicht ein allzulanger, nicht
etwa aus dem Grunde einer geringen Teilnahme,
fondern weil fie durch die hereinbrechende Revo:
Iution aus den Fugen gebradht wurde.
Die Gefellihaft der „Namenlofen“ war ein
Ableger der „Concordia”, die nad) langer Fahrt
fhiffbrühig geworden war. Der Yournaliften:
und Schriftitellerverein „Concordia“ hat feiner:
lei Verwandtſchaft mit jener gleichfalls „Con:
cordia” getauften Gefellihaft. Von einem
Statut fonnte nicht die Rede fein, da nach dem
Regime jener Zeit jedes Vereinsweſen verpönt
war; man buldete aber, daß fie an einem Tage
in der Woche ihre gejelligen Zufammenfünfte
hielt, für die ein großer Saal und mehrere
Heinere Zofalitäten im Gajthofe zur „Kaiferin
von Dejterreih“ in der Weihburggaſſe ge:
mietet waren. Was zur Kunft und Litteratur
gehörte oder dazu zählen wollte, ferner Kunſt—
liebhaber und Litteraturfreunde ambitionierten,
als Mitglieder in jene „Concordia“ aufgenom:
men oder wenigitens als Gäjte zu ihren Sym:
pofien zugelafien zu werben. Das hielt aber
fchwerer, als es heute fällt, fich irgend einem
der hundert Vereine in Wien anzufchließen.
Es wurde für jene Geſellſchaft eine Ballotage
geübt, die zuweilen den drakoniſchen Charakter
annahm. So wurde beifpielsweife, als von
einem Mitgliede die Aufnahme Donizetti's ven:
tiliert war, von einem andern Mitgliede, das
fich als eingefleifchter Widerfacher der italienischen
Muſik gebärdete, Einſprache gegen diefen Kom:
pofiteur erhoben; doch brauche ich zur Ehre der
„Concordia“ nicht erjt zu erwähnen, daf diefe
Dppofition von der größten Majorität nieder:
geſtimmt wurde. Alle einigermaßen hervor:
ragenden Perjönlichfeiten Wiens waren in der
„Concordia“ vertreten, und alle Berühmtheiten,
die aus der Fremde nad Wien famen, mußten
Johannes Nordniann. Vereinsleben in Deflerreich vor dem Jahre 1848.
erſt in dieſer Geſellſchaft die Feuerprobe beftehen.
Im Winter verſtrich nicht ein einziger „Con—
cordia”:Abend, an dem nicht mehrere illuſtre
Gäſte zu begrüßen waren. Die beiten Bilder
ſtanden, bevor fie ihren Weg in die Kunſtaus—
ftellungen nahmen, früher dort auf der Staffelei.
Damals war noch das Virtuofentum in der
üppigiten Blüte; die Mitglieder der „Concordia“
hatten immer früher die Künftler gehört, bevor
fich dieſe im Konzertſaale produzierten. Dehlen-
ſchläger und Anderfen, Hektor Berlioz, Felicien
David und Liszt, von zahllofen anderen Gelebri-
täten, die in Wien ſich aufhielten, nicht zu fprechen,
hätten es als ein Vergehen angefehen, würben
fie nicht der „Concordia“ ihren erſten Beſuch
gemacht haben. Trotzdem diefe Gejellihaft vor:
zugsweiſe nur Unterhaltungszwede verfolgte und
fih auf die litterarifche und Fünftlerifche Pro:
duftion befchränfte, war fie der Polizeibehörde
und namentlicd dem Grafen Sedlnigfi ein Dorn
im Auge und es war die Gefahr vorhanden, daß
fie ftrenger überwacht oder gar verboten würde.
Diejer Gefahr vorzubeugen, wurde von einem
Mitgliede, das im Auswärtigen Amte arbeitete,
der Vorſchlag gemadt, dem Staatskanzler Fürften
Metternich das Proteftorat der „Concordia“ an—
zubieten, und e8 wurbe deſſen Annahme in fihere
Ausfiht geftellt. Dieſer Vorfchlag fand feinen
Enthufiasmus, und er wäre, hätte man ihn als
Antrag zur Abjtimmung gebracht, zuverläffig ge: _
fallen. Im Winter des Jahres 1846 tagte die
„Concordia“ zum legtenmal.
Eine andere Gejellichaft, die gleichfalls, aber
nur zum geringeren Teile litterariichen Zweden
gewidmet war, und in der notorische Lebemänner
tagten, deren Wit fozufagen die Kojten des
Humors für ganz Wien trug, war das „Soupi:
ridon“. Die Aufnahme in diefe Gejellichaft war
an ſeltſame Bedingungen gefnüpft; der Neophit
hatte ein Eramen zu bejtehen, aus dem er nur dann
\ mit Erfolg hervorzugehen hoffen fonnte, wenn
er eine Glocke zu läuten verjtand, die gewöhnlich
nicht zur Andacht gefhmungen wird. Der vor
furzem geitorbene Dichter Egon Ebert, der nad)
manden Stürmen ein ftiller und frommer Mann
geworden, war in dem Ehrenbuche des „Sou—
piridons“ als der beite Kandidat verzeichnet.
Der Ernft und befonders die Langeweile waren
aus dieſer Gefellihaft verbannt. Wer etwas
vorlefen wollte, mußte ſich gefaßt machen, mit
Spott und Schande abgeführt zu werden, wenn
| er nicht ſchon nad) der Lektüre der erften Blätter
Boenig. Die ruffifhe Weichſelſtellung
die Lacher auf feiner Seite hatte. Der aus
dem Jahre 1848 befannte Dr. Taufenau hatte
eines Abends die ganze Gejellichaft myftifiziert,
indem er ein humoriftifches Stüdlein von Jean
Paul vorlas, gegen das auch richtig mit einem
Höllen:Charivari Verwahrung eingelegt wurde.
Troß diefem Zwifchenfalle, der, als der Dolus
des Schelmes einbefannt war, nicht veritim:
mend wirkte, fonfumierte das „Soupiridon“
eine ftarfe Quantität ferngefunden Wites, und
es war der Ausgangsort von den meiften luftigen
Bonmots, mit denen ſich die Kaiſerſtadt über die
feineswegs erquidliche politifche Wirtfchaft hin-
weglachte. (Schluß folgt.)
Die ruffifhe Weichſelſtellung.
Bon
Hoenig.
eit Jahren wird ſchon das Geſpenſt eines
deutſch⸗ruſſiſchen oder gar eines deutfch-öfter:
reichiſch — ruſſiſch-franzöſiſchen Krieges an die
Wand gemalt, und wenn man nicht beſſer wüßte,
ſo müßte man glauben, daß wir mitten in einem
Kriege lebten. Neben den Gelegenheitsrüſtungen
franzöſiſcher und ruſſiſcher Generäle hat die Preſſe
ſich weidlich in die Zukunftskriege und Zukunfts—
ſchlachten ver — flacht, jo daß heute jeder ſeine
„fertige“ Anſicht darüber hat, wie die Dinge ver—
laufen werden. Wo ſoll das enden, wenn die
Kombinationsjagd ſo weiter geht? In den Krei—
fen, welche wirklich ein „Wörtchen“ mitſprechen
könnten, herrfcht tiefes Schweigen und im ftillen
mögen fie fich nicht felten ob der fonderbaren
veröffentlichten Bhantafiegebilde amüfieren. Ge:
gen die Zeitungsftrategen follte indefjen einmal
ernftlich Front gemacht werden, denn im Grunde
genommen richten fie mit ihrer Hypotheſenfech—
|
|
191
wort aus der Welt: „Er lügt wie gedrudt!“
Ein jeder follte befonders dahin wirken, daß eine
fo ernſte Sache wie der Krieg nicht leichtfertig
behandelt werde, daß man ſich nicht gewöhne, da-
von wie von einer Partie Pifett zu reden.
Da find wir aber bereits angelangt, und bie
Zeitungen maden den Eindrud, als ob fie ohne
Kriegsbilder nicht mehr beſtehen könnten. Oder
jollte das Publitum wirklich glauben, daß ſich
unter all den tagaus tagein redenden Zeitungs:
ftrategen einerbefände, welcherpolitifch autorifiert
und militärisch qualifiziert fei, die Anfichten ins
öffentliche Leben zu tragen, die bei der maß:
gebenden Stelle herrihen? Diejen Glauben muß
man ihm fategorifch nehmen ; wehe dem General:
jtabsoffizier, der das Geheimnis verlegte, welches
in diefer Behörde beitehen muß und welches in
Deutichland auch beiteht. Alle Auseinander:
ſetzungen können daher nichts anderes als perjön-
liche Anfchauungen fein, die aufmehr oder minder
ernten Privatunterfuhungen, Reifen und Stu:
dien beruhen. Wenn man die Sache fo auffaßt,
verlieren die Kombinationen mit einem Schlage
ein Weſentliches; jo muß fie aufgefaßt werden
und dieſes Schidfal teilen auch die nachfolgenden
furzen Darlegungen.
Der Koloß Rufland wird mehr gefürchtet,
alö er es verdient. Diefes riefige Reich ift, mit
den anderen großen Militärmächten verglichen,
infolge feiner verhältnismäßig auf großem Raum
jpärlihen Bevölkerung, feiner mangelhaften
Kommunikationen, feiner Finanzlage, feiner Aus:
breitung über zwei Weltteile, jeiner inneren und
äußeren politischen Verfaſſung — troß der abfolut
höheren Heeresziffer als die Deutſchlands — dod)
nur eine Militärmadht zweiten Ranges, und
ſchwerlich wird es ihr gelingen, eine dem deutſchen
Heere gewachſene Stärke ins Feld zu ſtellen.
Indem wir diefen Sat voranſchicken, müfjen wir
allerdings auf feine Beweisführung mit Zahlen
verzichten; dafür fehlt hier der Naum, jedoch
darf dieje Anſchauung hier hingeftellt werben,
' weil in ihralle Berechnungen eingemeihter Ktreife
teret eine heilloje Berwirrung an und fieerzeugen |
eine verberbliche Unruhe im Publikum, die wie |
ein Alp auf dem ganzen öffentlichen Leben laftet. |
\ fie fprehen doch wejentlich mit, und wenn wir
behaupten, daf das deutjche Heer für den fon:
Gott behüte, daß wir die Freiheit der Prefie an:
greifen wollten; nein, wir wollen an ihre hohe
Aufgabe erinnern, vor allen Dingen verftändig
zu fein. Was man nicht genau weiß, jollte man
nicht Jagen, viel weniger jchreiben ; vieleicht käme
dann auch das bisher nur allzuberedhtigte Sprich:
übereinftimmen. Die Zahl der Feldarmee, ihre
innere Organifation und taftifhe Tüchtigkeit
find im Kriege zwar nicht allein entjcheidend, aber
freten Fall eines Krieges zwifchen Rußland und
Deutſchland dem ruſſiſchen in dieſen drei Rich:
tungen entſchieden überlegen ift — troß dem
Vorjprung, den Rußland in einzelnen Beziehun-
192
gen hat —, fo überheben wir uns nicht; wir
fagen vielmehr die nüchterne, durch die Ge:
fhichte geheiligte Wahrheit.
Rußland ift Deutſchland gegenüber aber
außerdem in Bezug auf die allgemeine ftrategi-
ſche Lage unterlegen.
Schon allein der Umstand, daß die Baſis
feiner Kriegävorbereitungen ein Land ift, welches
in der Zeit der Nuhe gewiß 100 000 Mann ab:
forbiert, um niedergehalten zu werden (Polen),
ift für Rußland ein großer Hemmſchuh. Polen
zu allgemeiner Erhebung zu bringen, fo daß
die ruffischen Kriegävorbereitungen nod) wejent:
licher behindert würden, würde nicht ſchwer fallen.
Rußland hat dies erft in neuerer Zeit er:
kannt, wenigſtens fann man fidh jonft nicht er:
Hären, warum es dort die notwendigjten mili:
tärischen Maßnahmen bis dahin geradezu vernach⸗
läſſigt hat. Aber auch dies beruht auf politischen
Gründen. Bis in die neuefte Zeit erblidte Ruß—
land in Deutfchland (Preußen) feinen ſtillſchwei—
genden Verbündeten, jobald es ſich um polnische
Bewegungen handelte, und daß Preußen der
Verbündete war, hat die Geſchichte ja bewieſen.
Heute ftehen die Dinge umgekehrt. In jedem
Kriegsfalle zwifchen Rußland und Deutſchland
wird erjteres zunächſt innerhalb feiner eigenen
Grenzpfähle einen nicht zu unterfhägenden Geg—
ner — höchſt wahrjcheinlich einen Verbündeten
Deutſchlands — zu befämpfen haben, und zwar
unmittelbar auf der Ausgangsbafis für diefen
Krieg. Dies ift feine verlodende Kriegsausficht.
Im Jahre 1877 gedachte Rußland anfangs die
Türkei zum Teil dur die Inſurgierung Bul:
gariens zu Fallzu bringen. Es gründete hierauf
feinen Kriegsplan und es eröffnete infolgedeſ—
fen den Krieg mit gänzlich ungenügenden Mit:
teln. Einen ähnlichen Fehler wird Deutjchland
nicht machen, aber daß das große, hilfäquellen:
reihe Polen eine ganz andere Rolle ala das
arme und verfommene Bulgarien fpielen fann,
liegt auf der Hand. Damit nicht genug. Will
Rußland Deutihland niederwerfen, jo muß es
einen großen Offenfivfrieg führen, fein Heer muß
in Berlin einziehen. Doc) dafür liegen alle Be:
dingungen fehr ungünftig, troß der geographi:
ſchen Nähe Berlins von der ruffifch = polnischen
Grenze. Die Bolen flankierenden Provinzen Dft:
und Weftpreußen — an eine der ruffifchen über:
legene Kriegsflotte auf dem Meere gelehnt — ver:
hindern wegen ihrer geographiich militärifchen
Geftaltung fo zu fagen ein Eindringen der Rufjen
Koenig.
in die Flankenſtellung, von der aus Deutfchland
jederzeit in ber Lage ift, vom rechten Weichſel—
ufer aus — auf Thorn, Danzig und Königsberg
geftügt — die Dffenfive auf Warfchau zu er:
greifen; und gejeßt den Fall, daß Rufland ſich
gegen dieſe Flanke vollftändig fihern könnte, fo
müßte e3 gegen eine Front angehen, die ihm zu
bezwingen ebenſo bejchwerlih würde: einmal
wegen der Stärke berjelben mit ber Central:
ftellung Bofen, und dann, weil die ruſſiſchen Heere
von Schlefien aus wiederum in ihrer linken Flanke
bebroht find, allerdings nicht fo jehr als in der
rechten von Preußen aus.
Diefer Kriegslage gegenüber war die ruf-
ſiſche Weftfront jo unzulänglich wie möglich und
fie wird — aud) nach Vollendung aller im Bau
begriffenen Eifenbahnen und Feitungen — nichts
weiter als eine ftarfe Centraljtellung werden mit
durchaus defenfivem Charakter, wenigſtens fo
lange, als Rußland nur einen Weichfelübergang,
den bisherigen bei Warfchau, hat.
Thatfählih war Warſchau nicht im vertei:
digungsfähigen Zuftande; die dasjelbe ſchützen
follenden jechs Forts, welde auf 3—600 Meter
entfernt liegen, gewähren ihm heute feinen Schuß
mehr. Es ift aljo natürlich, da; man dem abzu-
helfen fuchte und daß man andere wichtige mili-
täriſche Punkte mitbedadhte. Die ruffische Weich:
feljtellung liegt an und hinter der Weichſel zwi:
ſchen den Zuflüffen der legteren, Bugqund Wieprz.
Ihren Gentralpunft bildet Warſchau mit einem
MWeichfelübergang, in dem alle aus dem Oſten
fommenden Bahnen über die Weichjel geführt
werden. Einen ftarfen Tagemarſch nördlich folgt
Nowo Georgiewsk am Bug, 3—4 Kilometer füd-
ih Iwangorod auf beiden Seiten des Wieprz.
Ungefähr 140— 150 Kilometer öftlich dieſer Linie
liegt die Feſtung Breſt-Litewsk.
Alle diefe Punkte haben eine gemifle ftrate-
giſche Bedeutung; folange aber bei Nowo Geor:
giewsk und Iwangorod feine ftehenden Brüden
über die Weichjel führen, ift dieſe eine Defenfive.
Daran ändern die Verftärfungen der Feitungen
an fich, ſowie ihre Schienenverbindungen unter
fih nichts. Was nun Wahres daran ift, daß die
genannten vier Feltungen zu den modernen An:
forderungen entjprechenden Waffenplätzen umge:
baut werden, ift bis heute nicht mit Bejtimmtheit
feftzuftellen. Thatfächlich wird feit Jahr und Tag
an allen gebaut. Handelte es ſich aber um größere
Bauten, jo würden diefe unbedingt mit aller Be:
ftimmtheit in ihrem ganzen Umfange befannt ge:
Die ruſſiſche Weichfelftellung.
worben jein; denn folhe Dinge find nicht geheim
zu halten, allein nicht wegen der vorausgehenden
Enteignungen von Grund und Boden u. ſ. w.
Nehmen wir an, jene Plätze würden Feltun:
gen erften Ranges, fo würde auch hierdurch nur |
die Defenfiofraft — nicht die Offenfivfraft —
ber einzelnen wie des ganzen Feſtungsſyſtems
gehoben.
Nach Norden ſchließen ſich an dasſelbe wei:
tere Befeſtigungen bei Bialyſtock, Grodno und
Kowno zum Schutze der Eiſenbahnverbindungen,
und zwar die Befeſtigungen von Bialyſtock und
Grodno für die Linie Warfhau-Wilna, die von
Kowno für die Bahn Königsberg Petersburg.
Die Werke von Bialyftod liegen um den Schnitt:
punft der Bahnen Warſchau⸗Wilna und Königs:
berg = Lößen: Breft:Litemsf, die von Grobno
und Kowno dienen dem Schuße der Eijenbahn:
übergänge über den Niemen.
Auf dem linten Weichjelufer find nur einzelne
Heinere felbftändige Werke zu nennen, welche
zum Schuße der Thorn-Warſchauer Bahn bei
Kutno und an der Warthe bei Sieradz und Kola
erbaut worden find. Diefe haben ebenfalls eine
rein defenfive Bedeutung, jedenfalls zwingt die
ganze Konfiguration Bolens dazu, gefamte Trup:
pentransporte bei Warſchau endigen zu laſſen, jo
daß der jtrategifche Aufmarjch innerhalb des oben
ſtizzierten Feſtungsſyſtems auf dem rechten Weich:
ſelufer erfolgen müßte. Ohne auf die Leiſtungs—
fähigkeit der ruſſiſchen Eiſenbahnen einzugehen
und einer vergleichenden Zeitberechnung für die
Transporte dies- und jenſeits abſichtlich aus:
weichend, kann mit Beſtimmtheit vorausgeſetzt
werben, daß, trotz der großen in Polen angehäuf:
ten Truppenmaſſen, Deutſchland weit ſchneller
zur Eröffnung eines Krieges bereit ſtände als
Rußland und daß es von vornherein numeriſch
weit jtärfer als jenes auftreten kann. Die ruf:
ſiſche Weichfelftellung hat für Deutichland feines:
wegs foviel Bedrohendes, daß an fie, wie eö ge:
fchehen, jo vielfahe uns beunruhigende und
die ruffifhen Heigfporne ermunternde
Kombinationen gefnüpft werden mußten.
Dies wird um fo Harer, wenn man die Di:
menftonen im ganzen überſieht. Dieje betragen
von Norden nad Süden ungefähr 110, von
Weſten nad Oſten ungefähr 150 Kilometer, ein
Raum, der auf längere Zeit einem Heere von
2—300 000 Mann faum die erforderliche Unter:
funft gewähren fann, wenigftens hier nicht ; die
Umgegend von Warſchau ift mit der von Paris
193
— oder aud nur Me — nicht zu vergleichen.
In einem Dffenfiofriege würde der Umſtand
weniger zur Sprache fommen ; einen ſolchen wird
Rußland ſchwerlich mit Ausficht auf Erfolg gegen
Deutfchland unternehmen fünnen. Wird Ruß—
land aber in die Verteidigung geworfen, dann
erft dürfte fich zeigen, daß die Weichjelitellung
auflängere Zeit ſolchen Maſſen feine Unterkunft
bieten fann, wie fie ſich hier gegenübertreten
würden.
Immerhin hat die ruſſiſche Weichjelftellung
feine geringe militärifche Bedeutung. Sie
det zunächſt jeden Aufmarſch gegen Weiten in
verhältnismäßiger Nähe der Weſtgrenze des gro:
ben Reichs, die bisher fo ziemlich ſchutzlos war;
fie ift ferner für die Niederhaltung Polens von
großem Wert und fie wird im Falle einer Nie:
derlage dem Bordringen des Gegners große Ver:
legenheiten bereiten, die allerdings Deutſchland
keineswegs die Möglichkeit nähmen, an ihr nörd:
lich vorbei zu gehen, fall das im Plane der
Heeresleitung liegen follte. Auch laſſe man fich
nicht durch die inneren ftrategiichen Linien blen:
den. Innere Linien haben ftrategiid
nur Sinn, wenn fie fofort ausgenußt
werden. Dies ift von der Weichſelſtel—
lung heraus fajt unausführlich, weil die
ganze Dffenfivarmee über mehrere
Brüden gehen müßte, von denen alle, mit
Ausnahme der ftehenden bei Warfchau, erſt wäh:
rend der Operationen geichlagen werden müßten,
und wie ſchwierig Uferwechjel find, hat neuer:
dings die eingefchlofjene Armee des Marjchalls
Bazaine gelehrt. Dadurch entitehen ſolche Ver:
zögerungen, daß der Zeitgewinn wegfällt; ge:
trennten Heeren gegenüber haben innere Linien
zudem nur dann Wert, wenn fie erlauben, den
einen Gegner zu Schlagen, bevor der andere heran:
fommen fann. Eine auf dem Schlachtfelde in
beiden Flanken angegriffene Armee befindet ſich
auch auf der inneren Linie, jedoch ift dann ber
ſtrategiſche Vorteil in den taftiichen Nachteil um:
geſchlagen und ähnlichem iſt ein auf Warſchau
bafiertes ruffisches Heer Deutſchland gegenüber
immer ausgeſetzt.
Diefe Darlegungen find nichts als per:
fönlihe Anſchauungen, jedoch hoffe ih, daß
fie dazu beitragen werben, jowohl in Rußland
als in Deutſchland die Dinge zu betrachten,
wie fie find! Dies ift der befte Meg, ſich von
großen und gefährlichen Abenteuern fern zu
‚ halten.
25
194 Gerhard von AUmpyntor.
Ber war's? Kine Parabel.
Bon
Gerhard von Umpntor.
— en u das Dunkel des abendlihen | blidenden Bupillen von einem magischen Glanze
1 Waldes jhimmerten die leuch— | erfüllt gewejen wären, ber jeden Beobachter
tenden Fenſter eines Schlofjes | überrafchen und feſſeln mußte. In allen diefen
hinaus, das in feinem inneren | Augen brannte es wie jtolzes, nimmer ruhendes
2. | merkwürdig genug eingerichtet | Begehren; wie flammende Fragezeichen bohrten
— —— war. Es mochten in dem Ge: | fie fih in die Dinge der Außenwelt und es
bäude für die untergeordneten Bewohner des- ſchien, als ob jeder Gegenftand, den dieſe Blide
felben wohl noch verjtedte Fleinere Näume vor: | trafen, verjengt fi Frümmen und in helle Zohe
handen fein; in der Hauptfache aber war das | auflodern müßte. Aengftlih wurde die hohe
Schloß nur in zwei rießengroße Säle geteilt, in | Thür zu dem Nebenfaale bewacht, daß feine
denen eine eigentümliche Gefellfhaft haufte. Der | frevelnde Hand fie auch nur ein Nitschen weit
eine Saal war troß des Spätjahres ungeheizt, | öffnete; man fcheute ſich vor der Atmofphäre,
und felbit die zahllofen Lichter, die in prächtigen | die nebenan herrichte.
Kryitalltronen brannten, verbreiteten einen eiö- Diefe Scheu ſchien allerdings nicht unge:
hauchenden Glanz; feines Blumengewirr, das | rechtfertigt, denn in dem anderen Saale war es
die großen Scheiben der hohen Fenſter von | erftidend heiß. Die Gefellihaft, die dort ver:
außen bededte, verriet, daß die Temperatur | Tehrte, war nur durch die Glut dreier Kamine
des Saales eine ungewöhnlich niedere und jehr beleuchtet. Die Kamineinfaffungen waren aus
weit unter den Nullpunkt gefunfene fein mußte, | foftbarem Stoffe und mit allegoriihen Orna—
denn im freien waren immerhin noch einige | menten verjehen. In dem roten Scheine, der
Grad Wärme dem langjam abjterbenden Walde | ab und zu von den Feuerftätten in den Saal
vergönnt. In der Mitte des Saales ftand auf | flammte, erſchien über dem einen Kamine ein
marmornem Sodel eine Statue, deren Haupt | freuzähnliher Schmud, über dem anderen ein
und Glieder dur ein faltiges, dichtgewebtes | goldener Anker, über dem dritten eine aus Edel:
Gewand verhüllt und nur in den allgemeinen | fteinen gebildete, herzförmige Figur. An den
Umrifjen erfennbar waren. Die Menſchen, die | Wänden entlang ftanden verhüllte Schränke ; fie
in diefem Saale verkehrten, befleigigten fih | mochten mit Büchern gefüllt fein; der Staub,
eines faſt trappiftifchen Schweigens; fie fchienen | der aber in den Falten der Verhüllung lagerte,
ein jeder nur mit fich ſelbſt befchäftigt; und nur | bewies, daß die Deffnung diefer Schränfe zu:
jelten redete einer den anderen an, um eine | fällig oder abfichtlich ſchon lange unterblieben
furze, exalte Antwort auf die ebenſo kurze, war. Auf den Schränken lagen umgemorfene
erafte Frage zu erhalten. Wenige Weiber | und bejhädigte Inſtrumente aller Art: Deftil:
waren fichtbar ; die überwiegende Mehrzahl der lierapparate, Aſtrolabien, Elektrifiermajchinen ;
Berfammlung beftand aus Jünglingen, Män— auch Globen und Atlanten; alles unbenugt, ver:
nern und Greifen. Betrachtete man die einzelnen | rottet und verfommen; gezähmte Eulen hodten
Berfonen genauer, jo mußte es einem auffallen, | zwifchen den Trümmern und gloßten mit großen,
daß fie fait alle übermäßig entwidelte Stimmen | leuchtenden Augen in das Helldunfel. Die Dede
und ihre Gefichter dadurd; etwas Abſtoßendes, des Saales war mit flimmernden Sternen be:
Koboldartiges hatten; ja, man würde diefe Men: | malt, und unheimlid hufcte dann und wann
ihen außerordentlich häflich gefunden haben, | eine Fledermaus dur den Raum und jtreifte
wenn nicht ihre großen, Eugen Augen mit den | mit flatterndem Flügel die Scildereien des
energifch zufammengezogenen, weit in die Ferne Plafonds.
Wer war's?
Die Menſchen in diefem Saale hatten fich |
in dichten Gruppen vor den Kaminen verfam: |
melt. Frauen und Jungfrauen bildeten den
Hauptbejtandteil der Gefellichaft ; nur vereinzelt
waren Männer und Jünglinge zu erbliden. Da
gab es in allen Farben fchillernde, ftolz auf: |
geblähte Toiletten, aber aud die einfacheren
Koftüme der Bürgerfrauen und Bäuerinnen, bi3
zu den fchlichten weißen Hauben und ſchwarzen
Kleidern der Nonnen und Ordensſchweſtern.
Man jhaute ſchwärmeriſch in die Gluten; man
warf jehnfüchtige Blide zu den gemalten Ster:
nen des Plafonds oder man harrte mit halb:
geſchloſſenen Augen in geheimem Zwiegeſpräche
mit den eigenen unklaren Gedanken. Nur wenn
einer der anwefenden Männer das Wort ergriff,
und Ermahnung oder Belehrung in fanftem,
wohllautendem Fluſſe von feinen Lippen ftrömte, |
erhoben ſich all die Schönen Augen zu dem Quell
der Beredfamfeit, und oft wäre es ſchwierig ge:
wejen, zu entjcheiden, ob das Verlangen und
ſchmachtende Hingeben, das fih in den Zügen |
der an den Feuern Sigenden malte, dem Ned: |
ner oder dem Inhalte feiner Rede galt. War |
eine diefer fürzeren Anjprachen beendet, dann |
intonierte wohl eine geübte Stimme ein feierlich |
getragenes Lied; die anderen Stimmen fielen |
unifono ein, und weithin tönte der mächtig anz
jchwellende Gefang, jo daß die Bewohner des
Nebenfaales feindlihe Blide nach der Verbin:
dungsthür warfen und, in ihren Meditationen
geftört, fich verbrieglich die Ohren zuhielten.
Draußen im Walde ſchritt ein Mann durch
die Dämmerung. Groß und von wunderbarem
Ebenmaße der Glieder, trug er nur ein leichtes,
malerifch drapiertes Gewand und an den bloßen
Füßen Sandalen. Sein goldlodiges Haar war
am Hinterhaupt aufgebunden; nur einzelne
Loden fielen auf die Schultern, und ein Teil |
bes Haares war über dem Scheitel in einen |
Knoten verfhlungen. Bon feinem Antlit jchien
ein Leuchten auszugehen, und deutlid war die
hehre Anmut und jugendlihe Schönheit diefes
Antlitzes zu erkennen. Er hielt in der Rechten
einen Bogen, und auf dem linken Unterarme
ruhte ihm ein Saiteninftrument an der Bruft.
Wie er die hellen Fenfter des Schlofies jah,
blieb er ftehen, und wehmütig zudte es um den
blühenden Mund.
„Die Thoren!“ rief er, mitleidig lächelnd,
noch immer die alte Feindfchaft! Während die
einen erfrieren, erftiden die anderen in ber
195
heißen, verborbenen Luft! Ich will mich ihrer
erbarmen.“
Er jchritt in das Schloß, blieb in dem
Korridor vor den beiden Sälen jtehen und griff
präludierend ein paarmal in die Saiten feines
Inſtrumentes. Silbernen Klanges tönten die
AUllorde durch die MWölbungen. Ueberraſcht
horchten die Leute in den Sälen auf. Doc) es
war feine freudige UWeberrafhung. Die Be:
wohner der Eisregion blidten finfter drein und
ſchienen unentſchloſſen, ob fie den Störenfried,
der feine Klimperet fo dreift zum beften gab,
nicht follten fortjagen lafjen. Die Schwärmer
und Träumer von den Kaminen des heißen
Saales wurden dur die Klänge noch unan-
genehmer berührt; nicht nur als Störung em:
pfanden fie diefelben; fie mwitterten in ihnen
auch etwas von fündhafter Weltlockung und
verberbenbringender Sinnlichkeit. Ein hagerer,
bleicher, aöfetifch vertrodneter Mann, der eben
die Reſte eines Aitrolabiums auf einem der
Schränke mit einem Stode vollends zu zertrüm:
mern fuchte, faltete die Stirnhaut zwischen den
Augenbrauen und rief in die Verfammlung :
„Sollen wir diefen tempeljchänderifchen
Klingllang nicht zum Schweigen bringen? Auf!
laßt uns ein Erempel ftatuieren an biefem
buhleriſchen Muſikanten!“
Wer weiß, zu welcher Gewaltthat die Ver—
ſammlung vielleicht fortgeſchritten wäre, wenn
der Leierſpieler draußen nicht von neuem ein—
geſetzt und die Empörung der Kaminhocker wie
durch Zauberkraft geſänftigt hätte. Widerwillig
lauſchte man in beiden Sälen den wunderbaren
Melodieen; die ſtarren Herzen wurden über—
wältigt; ein feuchter Schimmer verſchönte die
Augen der Hörer; die Galle wurde aus dem
Blute weggezehrt — befreit, erlöft gab man
fich jelig der Wirkung der Akkorde hin und hatte
nur den einen Wunfch, daß diefe Muſik nimmer
enden möchte.
„Die Katharjis beginnt!” fagte der Mufi:
fant befriedigt lächelnd zu fich felbit, „mag neue
Lebensluft die Genejenden ummehen!“
Kräftiger rührte er die Saiten. Da erbebte
das Schloß in feinen Grundfeften, und die
ängitlid gehütete Thür zwiſchen den beiden
Sälen jprang dröhnend auf. Scharf blies die
falte Luft in den dumpfen überhigten Saal,
deſſen Olutatmofphäre oben nad dem eifigen
Nahbarraum entwih. Die an ben Feuern
Hodenden ſchauerten erft empfindlich zufammen;
196
U. Roderich. Spruch.
bald aber atmeten ſie erleichtert auf, erhoben | ging, verneigte ſich dankbar vor ihm und küßte
fih und begannen auf: und abjchreitend bie
Muskeln zu fpannen. Auch die Gäfte im Eis-
zimmer fühlten ſich anfangs durd die zu:
ftrömende Wärme läftig berührt; es dauerte
aber nicht lange, und die frofterjtarrten Glie—
der löften fich behaglich in der lebenwedenden
Temperatur; man näherte fich der geöffneten
Thür und warf neugierige und fait wohl:
wollende Blide nad) den bisher ängjtlih ge:
miedenen Nachbarn.
Wenn fi) aud die Temperaturunterfchiebe
in den beiden Sälen ausgeglichen hatten, jo
fehlte der Luft immer noch das erfrifchende und
wahrhaft belebende Element. Der Mann mit
der Leier trat in den Raum, ſtellte ſich auf die
Schwelle der Verbindungsthür und ließ die |
fundigen Finger wieder durch die Saiten gleiten.
Sofort fprangen alle Fenfter auf, und der Odem
des Waldes flutete in breiten Wogen in die
Säle. Es war, als ob ein neues Leben über
die Verfammelten füme. Heiter ftrahlten alle
Mienen. Der Bann war gebrohen. Man ging
aus einem Saal in den anderen, und die vorher
getrennten Parteien verfchmolzen zu einer ein
zigen Gefellihaft. Die Friſche der einftrömen-
den Luft des Spätjahres wurde durd) die Ka:
minfeuer und die jet wärmejtrahlenden Kerzen
wohlthuend gemildert ; jeder fühlte ſich behaglich
und zufrieden. Die Rollen der Gäſte fchienen
ausgetaufcht. Der Astet, der vor kurzem nod)
gegen den Leierfpieler ein Attentat zetteln
wollte, ſtand wißbegierig vor der verhüllten
Statue der früheren Eisregion und fuchte mit
zager Hand einen Zipfel des Schleiers zu heben.
Ein einfamer Grübler, der bisher hartnädig
geſchwiegen hatte, war in den Nebenfaal ge-
gangen, hatte vor dem Kamine mit dem Freuz:
ähnlihen Shmude Platz genommen und ſprach
warm und beredt mit den Umftehenden über
das anthropologifhe Phänomen des Glaubens.
Frauen, welche fid) vor dem Feuer unter dem
Edeljteinherzen faft geröftet hatten, ſchleppten
das zertrümmerte Ajtrolabium herbei und baten
einen Gaft aus dem Nebenraum, das nitru:
ment wieder herzuftellen und ihnen zu erklären.
Der Aufgeforderte gehorchte gern; es bildete
fi) ein Kranz von Zuhörern um den Stern:
fundigen und er erläuterte den Zaufchenden bie
Kreife der Himmelskugel.
Der ſchöne Yüngling auf der Schwelle
lächelte befriedigt. Jeder, der bei ihm vorüber:
|
|
|
|
ihm ehrfurdhtsvoll den Saum der Gewandung ;
der Gehuldigte aber wies mit der Rechten nad)
oben, al3 wollte er jagen, daß auch er gott:
gejandt wäre, und daß der Dank einem Höheren
gebührte. Noch einmal lieh er die Saiten tönen,
und filberner Klang hallte wieder durch die
Säle; dann grüßte er königlich und verließ das
Schloß, um in der Tiefe des Waldes zu ver:
Ihmwinden. Ein Leuchten ging von feiner Fuß-
jpur aus, und ein magiſcher Schimmer deutete
die Richtung, in der er entſchwunden mar.
* =
*
Wer war der Jüngling? Der finnige Lejer
hat e3 längit erraten. Nur wer dies zauber:
gewaltige Wefen fennt, wer ihm dient oder be-
freundet iſt, nur der hat die Verfühnung der
Gegenfäße, die wie verberbenhungrige Klippen
auch unter der ſcheinbar glatteften Oberfläche
eines Menfchenlebens lauern. Nicht immer und
überall erlöft ihn der ſchöne Jüngling aus
Kampf und Konflikt; das Dafein ijt feines jener
Rechenerempel, die ohne Reft aufgehen; aber
wer mit den Augen diefes Jünglings in die
Melt blidt, dem verſchwindet thatfächlich jener
gorgonisch:rätfelhafte Zug in ihrem Antlitze, der
das Hirn wirbeln, das Mark erftarren mad,
und den gelähmten Menjchen in die Hölle der
Ertreme jchleudert.
Wer den Jüngling nicht fennt, wer nie
die Sonnenhöhen reiner Anſchauung erftiegen
bat, der ahnt wohl auch nichts von der Polari—
tät feiner eigenften, inneren Natur. Ein Solcher
mag fich in unduldfamer Abgefchiedenheit am
Kaminfeuer weiter röften oder in der erftarren:
den Temperatur des Saales mit dem verhüllten
Bilde nicht nur die Nafe, fondern aud das Herz
erfrieren; er wird nie zu einem erlöften und
erlöfenden reinen Menfhentum gelangen, und
für ihn find und bleiben diefe Zeilen unver:
ftändlih, und das fiebenfahe Siegel, das fie
verfchließt, wird er nimmer fprengen.
a3prud.
Da ſuchſt das Glack im Weltgebrande;
€s bleibt dir fern, fcheint es auch nah.
Du finden nicht, wär’ fie auch da,
Die Perle in dem Wäflenfande,
U. Roberid.
Martini, Die Mafla in Sizilien.
Die Mafta in Sizilien.
Von
Martini,
DD: Mafia? werden viele Leſer fragen. Was
ift da3? Eine Eigentümlichfeit Siziliens?
Und mander, der einſt diefe ſchöne Inſel befucht
bat, antwortet darauf vielleicht: „Achja, ich er:
innere mid), damals davon gehört zu haben ; Mafia
ift der fizilianifche Name für Verbreherbanden,
wie fie früher die Inſel heimjuchten.“ Dann
werben wohl noch ein paar berüchtigte Namen,
wie die der „leßten” Briganten, genannt und
eine Schauergeihichte zum bejten gegeben, womit
die Sache abgethan ift. — Nun, in Sizilien felbft
ift die Sache durdaus nicht abgethan; große
Landſtriche und volfreihe Städte werden durch
das Treiben der Mafia gejchredt und zu Zeiten
aus der dumpfen Zethargie aufgerüttelt, welche
die Sizilianer gebannt zu haben und von er:
folgreihem Vorwärtsſtreben abzuhalten ſcheint.
Sit doch die Induſtrie des gefegneten Landes
gänzlich unentwidelt, gleich Null geblieben; der
Aderbau ift arg vernachläſſigt, von der Vieh:
zucht gar nicht zu reden. Es jcheint unglaub:
lich, ift aber doch eine Thatjache, daß fortwäh—
rend die Dampfidiffe von Neapel Fleiſch und
Geflügel nad) der Hauptitadt Palermo über:
führen. Weit Schlimmer noch würde es um die |
Inſel jtehen, wenn nicht ihre natürlichen Hilfe:
quellen jo überaus reihe wären; Landespro—
dukte, wie Südfrüchte, Wein, Schwefel u. a.,
werben in bedeutender Menge ausgeführt und
bilden die beträchtlichite Einnahmequelle. Die
Hauptihuld an dem Nüdgang Siziliens trägt
die fittlihe Wermwilderung eines großen Teils
der Bevölkerung, ihre entſetzlich vernachläſſigte
Bildung und die lähmende Unficherheit, welcher
Perſon und Eigentum ausgeſetzt find. Die bei-
den erft angeführten Urſachen bedingen bieje
Unficherheit, indem fie Erjcheinungen, wie das
Brigantenwefen und die Mafia, entjtehen und
eritarfen lafjen. Jenes tft, wie wir unten jehen
werben, weit harmlofer als feine gefährliche
Schweiter, die Mafia; hier mag nur angeführt
werben, daß es nad) wie vor in Süditalien, be:
fonders Kalabrien, und in Sizilien fortbefteht,
und daß die fünigliche Regierung bisher nicht
imftande gemejen ift, ihre Verſprechungen bei
197
| Einigung der Monarchie, und die Hoffnungen,
welde man auf ihr Eingreifen in diefe traurigen
Zuftände gefeßt hat, zu erfüllen. Ohne weiteres
Eingehen hierauf follen nur einige Vorkomm—
nijfe der allerlegten Zeit obige Behauptung
unterftügen. So fand z. B. am 25. Auguft v. J.
bei San Giovanni Belfiore ein Zufammenftoß
der bewaffneten Macht mit der Bande des Bri-
ganten Ricca ftatt, ein lebhafter Kampf ent:
jpann fich, welcher erſt nad) anderthalb Stunden
abgebrochen wurde, indem fich beide Parteien
unter Mitnahme der Toten und Verwunbeten
zurüdjogen. Man hatte es mit mwohlorgani:
fierten und gut bewaffneten Banditen zu thun,
welche in der Folge noch mehrmals mit wed)-
jelndem Glüde befämpft werben mußten. —
Um diefelbe Zeit wurde dicht vor den Thoren
der Stadt Girgenti der Grundbefiter Santoro
bei der Rückkehr von feinen Feldern nach der
Stadt von Briganten „fequeitriert”, d. h. in
die Berge fortgeichleppt. Seine Freilaflung
erfolgte erjt nad) Erlegung eines beträchtlichen
Löfegeldes. — Weit größeres Aufjehen erregte
die Gefangennahme des Herzogs Francesco
Galvino. Derfelbe fehrte am Abend des 3. No—
vember v. %. wie gewöhnlich von feinem Land-
gute nad) Trapani, feinem MWohnorte, zurüd.
Als fein Wagen fi) der Stabt bis auf 2 km
genähert hatte, wurde er plößli von zwölf
vermummten Männern mit faljhen Bärten an:
gehalten; fie fchafften Wagen und Pferde in
einen nahen Hohlweg, wo diejelben vorläufig
nicht leicht entdedt werden fonnten, banden ben
Kutiher an einen Baum und lichen zu feiner
Bewahung einen Mann zurüd. Der Herzog
wurde fortgejchleppt und nad einigen Tagen
gegen ein Zöfegeld von 150000 Frank frei:
gegeben.
Derartige Begebenheiten find nicht vereinzelt
und es ijt verwerfensmwerte Schönrebnerei, wenn
man bei Erwähnung eines jeden ſolchen Vor:
fommnifjes immer wieder von neuem von der
„Nunmehrigen Vernichtung der leiten Refte des
Brigantentums“ fpriht. Die Zeitungen, welche
in diefer Weife handeln, find für folche berech—
net, welde die Verhältniffe nicht fennen, wäh:
rend fich in Sizilien niemand mehr durch ähn:
liche Berichte täufchen läßt. Und wahrlich, wer
fih auf fein qutes Recht und den Schuß des
Staates verlafjen wollte, wenn er einmal in
die Hände der Briganten geraten ift, wer ihnen
das Löjegeld verweigerte oder Verrat übte,
198
würbe fi gewiß recht fchlecht dabei befinden:
es thut das eben aud) niemand in ſolchem Falle,
fondern rechnet lieber mit den thatjächlichen
Umftänden, alſo mit der Macht der Banditen
und der Schwäche des ftaatlihen Schußes ihnen
gegenüber. Ein Hauptfaktor für die erftere ift
das Anfehen, in welchem die Räuber beim nie:
deren Volfe, welches nichts von ihnen zu fürch—
ten hat und meift ihre Partei ergreift, ſtehen.
Sie find daher beſſer bedient und mit Nachrichten
verfehen als die Gendarmerie. Diefe mächtige
Stüte wiſſen fie wohl zu ſchätzen und wählen
ihre Opfer ausfchlieglih aus den Kreifen der
reihen Grundbeſitzer und Bürger; den Bauern,
Pächtern und Hirten dagegen immer freundlich)
begegnend und oftmals ihre Dienjte entfprechend
belohnend.
Während die Briganten ausfchließlicd dem
Raube leben und gewiſſermaßen aus der menjd}:
lihen Geſellſchaft ausgeſchieden find, fteht es
mit der Mafia ganz anders, welche fid) feit ihrer
Blütezeit unter der bourbonifchen Regierung
nur wenig in der Art ihrer Organifation und
ihres Wirkens verändert hat. Die Mafia aljo
fällt juriftifch unter den Begriff der „Associa-
zione di malfattori“, eine „Bereinigung von
Verbrechern“, ähnlich der neapolitanifchen Ga:
morra. Sie eriftiert in Stadt und Land und
wo fich auch eine derartige Gefellichaft gebildet
hat — ihre Entſtehungsgeſchichte ift immer die
gleiche. Die Begründer einer Mafia find Leute,
welde mit Verfchlagenheit gemaltthätige Ge:
finnung und Berwegenheit verbinden; es darf
einem Capo mafioso nicht darauf anfommen,
den gefährlichen Feind, den Verräter oder den
widerfpenftigen Untergebenen nieberzuftechen;
hat er erit Proben rüdfichtölofer Gemaltthätig:
feit abgelegt, jo wächſt jchnell fein Ruf und
Ansehen. Unzufriedenheit mit feiner Lage und
der Trieb, eine geheimnisvolle Macht über feine
Mitbürger zu erlangen, find feine Beweggründe
zur Gründung der geheimen Gejellihaft; man
darf jedoch nicht glauben, da nur verlorene
Eriftenzen ihr angehören; nein, mwohlfituierte
Leute und angefehene Bürger ſchließen fich ihr
an oder find ſelbſt die Anftifter, und ihre Pro—
teftoren, welde fie zu Zeiten für ihre ſpeciellen
Zwecke benugen, findet fie in den höchiten Ge:
ſellſchaftsklaſſen. Natürlich fehlen in der Mafta
anderfeits nicht die niedrigiten Elemente, Aus:
geſtoßene, alte Verbrecher und Zuchthäusler,
welche fih gegen materiellen Gewinn gern als |
Martini,
ausführende Organe brauchen laſſen. Der Capo
fagt: morgen muß der und der jterben! Der
Mafioſo vollführt gehorfam den Befehl, ohne
auch nur nach der Urſache desfelben zu fragen.
Daß diefe Angaben nichts weniger als über:
trieben find, wird aus den am Schlufje mitge-
teilten Thatſachen neuejten Datums hervor:
gehen, welche der Balermitaner monftröfe Mafia:
prozeß im verflofjenen Herbſte mit erfchredender
Deutlichfeit aufgededt hat. Iſt die Mitglieder:
zahl der Mafia, welche manchmal in die Hun—
derte fteigt, genügend angewachſen, fo beginnt
ihre eigentliche Wirkſamkeit, welche ſich in großen
Städten meiſt über einen beftimmten Stadtteil,
in Hleineren Orten über beren ganzes Gebiet
und die benachbarte Landſchaft ausdehnt.
Mas nun die Zwecke der Mafia anlangt, fo
fann man diefelben kurz unter folgenden drei
Hauptpunften zufammenfafjen:
Erftens unbedingter Schuß jedes Mitgliebs,
fei es im Recht oder Unrecht, gegen die außerhalb
der Mafia ftehende Gefellichaft und gegen Juſtiz—
behörden und Staatögewalt; daneben Förde:
rung der Privatintereſſen der Mitglieder durd)
erlaubte und unerlaubte Mittel. Hat ein Mafiofo
ein offenfundiges Verbrechen begangen und ift
nicht mehr zu halten, jo wird ihm wenigſtens die
Flucht ermöglicht, auch im Auslande bleibt er
im Berbande, wirbt neue Genofjen und wartet
geduldig, bis er ohne Gefahr wieder zurüd:
fehren kann.
Zweitens Befriedigung der Privatradhe,
Unſchädlichmachung oder Befeitigung der Feinde
der Mitglieder des Geheimbundes, ihrer Kon:
furrenten im Gejchäftsverfehr, unbequemer Auf:
paffer und aller, die dem Ganzen gefährlich
werden könnten. Ohne Schonung und Erbarmen
entledigt fi die Mafia ihrer Widerſacher und
meijt ereilt ihre Nahe die Opfer, fei es früh
oder jpät.
Drittens endlih Beeinfluffung aller Tom:
munalen Angelegenheiten, der Bejetung der
Aemter, der gefamten allgemeinen Intereſſen
des Bezirks, gelegentlih auch der politischen
Wahlen; kurz, Terrorifierung der Mitbürger
durch Einfhüchterung,, durch Anwendung von
Lift und Gewalt und durch ebenfo prompte als
graufame Beitrafung des Ungehorjams.
Hierin, im Letztangeführten, liegt ber
Schwerpunft des Wirfens der Mafia; fie be:
einflußt die Thätigfeit aller Privaten und Be:
amten durch die Furcht, fie wird zu einer ver:
Die Mafia in Sizilien.
hängnisvollen Macht, deren verderbliches Trei:
ben auf Schritt und Tritt fühlbar ift. Während
der Brigantaggio ſich mit gemeinem Naube be:
gnügt, verfolgt die Mafia ferner liegende, in
ihrem Sinne „höhere“ Ziele, weshalb man an
ihrer größeren Gefährlichkeit für das Land nicht
zweifeln kann, da fie ſchließlich allmächtig wird
und in alle Berhältnifje eingreift. Freilich ver:
ichmäht auch fie nicht den Naub, um die Kaſſe
zu füllen, ſondern vollführt zu diefem Behufe
hin und wieder Schläge der fediten Art. So
glaubt man jet in Sizilien, die oben erwähnte
Gefangennahme des Herzogs Calvino auf das
Conto einer Mafia ſetzen zu müſſen. Solde
Ausnahmemaßregeln werden aber von den
Häuptern der Mafia womöglid vermieden, denn
fie haben fihere Mittel zur Förderung ihres
Unternehmens. Dieje Mittel bejtehen aus dem
den Mitbürgern auferlegten Tribute, wovon
wieder ein beträchtliher Teil regelmäßig in die
Taſche der Capi wandert; find diefe doch nie:
mand über die Verwendung der aufgebrachten
Gelder Rechenſchaft jhuldig und laſſen deshalb
feineswegs ihr Privatinterefje außer acht. Der
Tributzahlung an die Mafia werden nicht nur
die kleinen Gewerbtreibenden und die Kaufleute
ihres Bezirks unterworfen, fondern aud die
höchſtgeſtellten und einflußreichiten Perſönlich—
feiten müfjen diejelbe leiften, um ihr Eigentum
zu fihern oder wenigjtens vor den ſchwerſten
Brandihagungen zu ſchützen. Verſuche, ſich
jener Abgabe zu entziehen, nehmen meiſt ein
ſchlechtes Ende. So paſſierte letzten Herbſt in
Palermo folgender Vorfalle Ein reicher Ariſto—
frat engagierte einen neuen Wächter für feine
ausgedehnten Fruchtgärten, welche dicht an der
Vorſtadt gelegen find. Diefer Mächter, ein
reblicher und furdhtlojer Mann, trat vor feinen
Herrn und erjuchte ihn, in der Folge den bisher
üblihen Tribut an die herrichende Mafin Amo—
rofo (jo genannt und befannt nach dem Namen
der Häupter) nicht mehr zu entrichten: er wolle
Tag und Nacht eifrig über dem Beſitze feines
Brotheren wachen und jei von der Polizei durch
fojtenfreie Erteilung eines Waffenpafies für
das Tragen eines Gewehres unterftüst worden,
um fein Unternehmen wirffam durchführen zu
fönnen. In der That wurde die Abgabe an
die Mafia alsbald eingeftellt und als diefe durch
199
ihrem Vorhaben zu fehr geftört. Daraufhin er:
hielt der Eigentümer der Gärten den Beſuch
eines Abgefandten der Mafia, welcher ihm in
wenig Worten auftrug, den neuen Wächter binnen
furzer Frift zu entlaflen. Solcher Aufforderung
war in früheren Fällen regelmäßig entfprocdhen
worden; hier jedoch geihah es nicht, und nad)
wenigen Tagen fand man den treuen Hüter
hinterrüds erſchoſſen unter den üppigen Limo:
nen und Orangen. Seitdem ging der Tribut
wieder regelmäßig ein.
Es ift auch vorgefommen, daß ein fimpler
Krämer, welcher feinen Laden in eine belebte
Gaſſe verlegt hatte, wo er der Kontrolle der
Mafia entrüdt zu fein glaubte, die Zahlung der
ihm auferlegten Abgabe verweigerte. Ein jein
Leben gefährdender Dolchſtich war die Strafe.
Der Mann wurde im jtädtifchen Hofpital forg:
jam gepflegt und vom Tode gerettet. Als er
vernehmungsfähig war, fragte man ihn nad)
dem Vollführer der That. Er gab an, denfelben
wohl zu fennen, war aber nicht zu bewegen, ihn
den Gerichten namhaft zu machen. Allein das
geringe Vertrauen, welches er in den Schuß der:
jelben jegte und die eingewurzelte Furcht vor
der weitreihenden Macht der Mafia hielt ihn
von der Denunziation ab; zu feinem Gejchäfte
zurückgekehrt, beging er nie mehr die Velleität,
die Tributforderung abzufchlagen. — Ueber:
haupt läßt der Sizilianer die Behörden gern
außer Spiel; es ift für ihn eine größere Genug:
thuung, jelbit Nahe zu nehmen für erlittenes
Unredt, und häufig wiederholen fich die Fälle,
in welchen der Geſchädigte fich weigert, feinen
Feind den Gerichten anzugeben. Er zieht es
vor, ihn eigenhändig bei nächſter Gelegenheit
niederzuftoßen, ſelbſt wenn er dann lanajährige
Freiheitsſtrafe zu verbüßen fihere Ausficht hat.
Ganz diejelbe Erfcheinung findet fih auf Sar:
dinien und Horfifa wieder, und durch die gleichen
Urſachen erklärt fich die dort verbreitete Aus:
übung der Blutrache.
Ueber die innere Organifation der Mafia
läßt fih mit Beftimmtheit jagen, daß ihre Sta:
tuten von drafonifher Strenge find. Verrat
wird unbedingt mit dem Tode beftraft, und die
Furcht hält ſchwache und ſchwankende Mitglieder
in Bann. Ungehorfam gegen die Oberen unter:
liegt ebenfalls der härtejten Ahndung; mit allen
Beraubung und Verwüſtung der betreffenden | Mitteln wird der Beſitzſtand des ungehorfamen
Gärten Repreſſalien ausüben wollte, fand fie
ſich durch die Unerfchrodenheit des Mächters in
Mafioſo ruiniert, jeine Erwerböquelle veritopft,
jeine bürgerlihe Stellung zeritört. Wie der
200
Ungehorfam aud von Nicdhtmitgliedern bejtraft
wird, haben wir bereits an den erzählten Bei:
ipielen geſehen; die letzte Gemwaltmaßregel ift
immer der Mord, wenn anders Fügfamkeit nicht
zu erlangen iſt. Die Mafia hat ein anerkanntes
Oberhaupt, welches in allen Fragen endgültig
entjcheidet und die Blutbefehle erläßt; ihm fteht
ein Beirat von hervorragenden Mitgliedern der
Gejellichaft zur Seite, welche ebenfalls einen
gewiſſen Einfluß auf alle Entſchlüſſe ausüben,
aber doch nur beratende Stimme haben. Ein
Sekretär führt die Korrefpondenz mit den aus:
wärtigen Mitgliedern ; diejelbe wird möglichit
beihränft und nur unter den herfümmlichen fal:
chen Namen geführt, da fie am leichteften zum
Verräter werden Tann, wie es in der That jchon
geihehen ift (vergl. unten Prozeß Amorofo).
Die Kafjenverwaltung behält ſich in der Regel
der Capo jelbft vor; er beftimmt die Anteile an
der Beute für die einzelnen Mitglieder, erteilt
ihnen Unterftügungen und Belohnungen und
nimmt jedesmal den Löwenanteil für die Kafie
oder — für fich felbft vorweg. Unterſchlagun—
gen feitens der Mitglieder werden weit härter
beitraft als fonft im bürgerlichen Leben durch
die Gerihte. — Die Maftoft fennen fi nicht
einmal alle gegenfeitig, ein Grund mehr, nie:
mals vor etwaiger heimlicher Beobadhtung ficher
zu fein und eine wirkſame Waffe in der Hand
der Oberen. Dieje ſelbſt find als folche meiſt
aller Welt bekannt und ihr Name tft gefürchtet,
ihr Einfluß unbeftritten. Auch die Polizei fennt
fie und ihre Thaten, doch nicht in dem Maße
wie das Voll. Sie werden nad) befonders
frehen Handjtreihen und bei dringendem Ver:
dacht in Unterfuhungshaft genommen, ein Pro—
zeß gegen fie inftruiert. Dann verdoppelt ſich
die Thätigfeit der Mafia zum Schuge ihrer An:
gehörigen und verfhärft jich ihre Ueberwachung
der Mitwiſſer; die Einfhüchterung des Publi-
fums wird mit vergrößertem Eifer betrieben.
Denn über die Gefängnismauern hinaus reicht
die Macht des Mafiojo, und der Prozeß endigt
meift mit feiner Entlaffung aus Mangel an Be:
weiſen, da belaftende Zeugenausjagen jelten zu
befürchten find: die Furcht jchliegt den Mund
des Volkes, Um fo weniger ift den Häuptern
der Mafia anzuhaben, als fie fi) wohl hüten,
durch Unvorfichtigkeiten ihre eigene Perfon zu
fompromittieren, und troß polizeilicher Weber:
wachung, trot oft wiederholter Hausfuhungen
ftehen die Behörden ihnen ohnmächtig gegen:
— — — — — — — — —— nme rn = —
Martini.
über. Die Polizei von Palermo zum Beifpiel
unterhält jehr zahlreiche, bezahlte Spione, deren
Beihäftigung mit großen Gefahren verbunden
ift, aber felten Früchte trägt, da fie die ge:
ſchloſſenen Reihen der Mafia nicht zu durch—
brechen vermögen. In Stadt und Land entfaltet
die Polizei eine wahrhaft unermüdliche Thätig:
feit, und wird durch das ausgezeichnete und zu:
verläffige Gendarmeriecorps der Garabinieri mit
aller Anftrengung unterftügt. Auch Militär
wird noch heutzutage auf Sizilien in meitejter
Ausdehnung zu dem wenig anmutenden Shirren:
dienfte verwendet. Alle Hauptitraßen der Inſel
find durch maffive Wachthäuſer mit militärischer
Bejatung bejett und häufige Batrouillen werden
von diefen bei Tag und Nacht zu oft recht an:
ſtrengenden Nonden ausgefendet ; ja felbft ohne
ausgeſprochenen Wunsch erhalten NReifende Be:
dedung, wo es ratjam jcheint. Allein das mäch—
tigite Hindernis für die endliche Befeitigung der
Unficherheit liegt, wie gejagt, im ſizilianiſchen
Volke felbft, und die Bemühungen der italieni-
Ihen Regierung werden fo lange nur unge:
nügende Rejultate ergeben, als die Sizilianer
die von ihr gefchidten Beamten als hafjenswerte
Fremdlinge, die Polizei als eine Kafte zur
Unterbrüdung des Volkes betradhten. Wie tief
diefe Voreingenommenheit, fait könnte man
jagen dieſer Haß, eingewurzelt ift, zeigt der Un:
wille und die Widerjpenftigfeit, womit das
niebere Volk (welches überhaupt in diefer Be—
ziehung hauptjählih in Betracht kommt) den
ausführenden Organen der Staatögewalt be:
gegnet. Iſt es nicht Abſcheu erregend, daß Sa:
rabiniert bei ihren pflihtgemäßen Streifereien
binterrüds ermordet worden find, ohne daf per:
ſönliche Feindſchaft oder etwa Selbjtverteidigung
jeitens der Thäter das Motiv geweſen wäre?
Nein, die graufame Genugthuung, ungeſtraft
einen ber verhaften Wächter der öffentlichen
Sicherheit niederjtreden zu können, bildete allein
den Beweggrund. Faſt niemals wagen fi da-
her die Gendarmen einzeln hinaus.
Die Häupter der Mafia Amorofo in Pa:
lermo verurteilten einen Better gleihen Namens
zum Tode und ließen ihn in der That ermorden,
„weil er den Familiennamen durd) das Tragen
der italienischen Carabinieri-Uniform geſchändet
hatte“, obwohl jener brave Jüngling ſich von
ihrer verbrecherifchen Gemeinſchaft abjolut fern
gehalten hatte und daher nicht einmal imftande
gewejen wäre, ihr durch Verrat zu ſchaden.
Die Mafla in Sizilien,
201
Wenn die Mafiofi ſich bereits in den Hän- | welche von den fünf Brüdern Amoroſo, wohl:
den der Gerechtigkeit befinden, denkt ihrer das
leicht impreffionierte Volk eher mitleidig als der
armen Verfolgten, denn als der ftrafwürdigen
Verbrecher. Nur deshalb war es möglich, da
vor zwei jahren in Palermo Gefangene, welde
im Bolizeiwagen unter Eskorte vom Gefängnis
nadı dem Gerichtögebäude geführt wurden, der
Begleitmannjchaft auf offener Straße entrinnen
fonnten, nachdem fie den zu wenig ſolide ge:
bauten Wagen von innen auseinander gejprengt
hatten und hinausgefprungen waren, Das aus
|
I
|
|
Neugier in Majje verfammelte Volt bot ihnen |
bereitwillig Mithilfe zur Flucht, indem es ihnen |
eiligjt Platz machte, fi aber dann vor den Gen= |
darmen wieder wie eine undurdpdringliche Mauer |
zuſammenſchloß. Lesthin war das Tribunal bei |
Gelegenheit des großen Mafiaprozefies vor: |
jichtiger; nicht nur wurden zum Geleite der
Gefangenen Gendarmerie und Militär in über:
großer Stärke befohlen, und waren im Situngs: |
ſaale Boliziften und Soldaten in unverhältnis= |
mäßiger Anzahl aufgejtellt, während die Ange:
Hagten hinter einem jtarfen Gitter wie wilde
Beitien im Tierkäfig ſaßen; nein, ſelbſt alle |
Straßen, durch welche der Transport führte,
wurden für Fußgänger und Wagen zunädhjt wäh:
rend der ganzen Dauer der Situng, dann auf
lebhafte Reklamationen der KYadenbefiser hin für
die Dauer des Transports geſperrt. Man hatte
eben vor einem gewaltjamen Befreiungsver: |
juche Angſt.
|
|
Der erwähnte Prozeß, ſchon an und für jih
interefjant, rief in allen Schichten der Balermi:
taner Bevölkerung, in deren Mitte ſich die darin
verhandelten Vorgänge abgejpielt hatten, Auf:
regung und Spannung auf den Ausgang her:
vor; man ſprach von nichts anderem, als von |
der Mafia Amoroſo und debattierte lebhaft die |
Chancen der Angeklagten. Die Mannigfaltig:
teit der fih im Laufe der Verhandlungen auf: |
rollenden Bilder aus dem Verbrecherleben, die |
entſetzliche Grauſamkeit, womit die Maftofi
Ströme von Blut vergofjen hatten, die zur
Sprache fommenden Scenen der vollendetiten |
Näuberromantif alles vereinigte fih, um das
Publikum bis zum Schluß in atemlojer Span:
nung zu erhalten. Einige furze Notizen über |
dieſen Prozeß mögen ſchließlich zur Illuſtrierung
der vorangehenden Skizze über die Mafia dienen.
Angeklagt wahren 23 Bewohner von ‘Palermo,
wovon drei flühtfig, als Mitglieder der Mafia,
habenden Befisern, in der Vorjtadt Orto Bota-
nico vor länger als zehn Jahren gegründet
worden war und jeitdem jenes Stadtviertel
terrorifiert hatte. Die VBorunterfuhung hatte
mit unendlichen Schwierigkeiten zu kämpfen ;
freilich fprachen die Yeute auf der Strafe Davon,
daf; die Amoroſo diefen Mord und jenen Raub
vollführt hätten; allein jobald der Unterfuchungs-
richter nad) Beweifen für die Nichtigkeit feiner
und aller Meberzeugung forjchte, wurde jeder:
mann überaus zurüdhaltend und vorfichtig:
einer hatte es immer nur vom andern gehört!
Ein Ehepaar, defjen jugendliche Tochter. als
Aufmwärterin im Haufe der Amorofo beichäftigt,
den Lüften eines der Mafiofi zum Opfer ge:
fallen und darauf eines Tages auf Nimmer:
wiederjehen „verſchwunden“ war, fand erit nadı
Wochen den Mut, bei der Polizei die betreffende
Anzeige zu machen: jo jehr war man von der
Nuslofigkeit diefes Schrittes und von der Furcht
weiteren Unglüds überzeugt, falls man die
Mafia reize. Wie einem Verhängnis beugte
man fid ihr. — Der Staatsanwalt wünſchte
fih — nad) jeinem eigenen Ausdrud — Argus:
augen, um alle die unzähligen Verbrechen der
Mafia ergründen zu können. Endlich hatte er
genug Bemweismaterial gejammelt zur Weber:
führung der Mafiofi, feit dem Jahre 1874
neun Morde vollbracht, deren zwei verfucht zu
haben: dies genügte, ihnen den Hals zu brechen.
Die meiften waren teilweife wegen derjelben
Verbrechen, für welde jie nun zur Rechenſchaft
gezogen wurden, jchon früher wiederholt, dod)
immer rejultatlos, zur Unterfuhung gezogen
worden. „Mangel an Beweiſen“ hatte fie jedes:
mal der Freiheit und ihrer verbrecheriſchen
Thätigkeit zurüdgegeben. Unter anderem war
eine rivalifierende Geheimgejellihaft gleicher
Art von der Mafia Amorofo aufgerieben, ihre
Mitglieder faſt vertilgt worden, obwohl einſt
zwiichen beiden ein mit Blut unterjchriebener
Sriedensalt vollzogen war. — Die wertvolliten
Beweismittel über Organifation und Wirkſam—
feit der Mafia erhielt der Staatsanwalt durd
Ueberjendung einer Korreſpondenz feitens eines
Ziziltaners, welcher in New Orleans ein Haupt:
mitglied der Mafia, den berüchtigten Salvatore
Marino, kennen gelernt hatte. Auf dem Sterbe:
bette bat ihn dieſer, gewilje Briefe vor feinen
Augen ins Feuer zu werfen. Der Betreffende
rettete die Briefe, an ihrer Stelle wertloje Pa—
a,
202 C. Mehlis
piere den Flammen übergebend, und unterſtützte zeit zogen ſich die Geſchworenen in das Be—
durch ihre Ueberſendung aufs wirkſamſte die Be- ratungszimmer zurück; den Nachmittag und die
hörden bei der Inſtruktion des Mafiaprozeſſes. ganze Nacht hindurch waren fie mit der Beant—
Am 29. Auguft 1883 begannen die Ver: | wortung der ihnen vom Tribunal geftellten
handlungen vor den Geſchworenen. Jeden der | Fragen, an Zahl nicht weniger als 424 (!) be-
drei Transporte, in welchen die Angeklagten | jhäftigt, und erjt am nädjften Morgen um
zum Gerichtögebäude geführt wurden, begleite: | 7! Uhr fonnte das Reſultat derfelben ver:
ten mehr als 50 Polizisten und Soldaten, wäh: | fündigt werden. Die Vorlefung des Spruchs der
rend der betreffende Straßenzug, welcher paffiert | Geſchworenen nahm allein zwei Stunden in An:
wurde, fürs Publikum gefperrt war. Zur | fprud. Nun ftellte der Staatsanwalt feine An:
Dienftleiftung im Situngsfaale waren circa | träge und nachmittags um 4 Uhr wurde vom
150 Mann unter ihren Offizieren fommandiert. | Gerichtöhofe das Urteil gefprochen, welches über
Die langwierigen Situngen, in deren Verlaufe | zwölf der Angeklagten die Todesitrafe, über die
etiva 300 Zeugen vernommen wurden, fanden | anderen langdauernde Freiheitsftrafen (bis
nun täglich außer an den Sonntagen ftatt. Die | 25 Jahre Bagno) verhängte.
Verftodtheit der Angeklagten während der Ber: Alle Gutgefinnten begrüßten das ftrenge
handlungen war grenzenlos; ſchlechte Wite und | Urteil mit offenbarer und unverhehlter Genug:
Lachen war bei ihnen etwas Alltäglihes, und fie | thuung; der Staatsanwalt hatte richtig vorher:
machten den Eindrud von Zufchauern einer | gejagt: „Wenn auch die Füße der Gerechtigkeit
Theatervorftellung. — Erſt am 17. Dftober | von Blei find und fie nur langjam vorwärts
1883 fand die Schlußfigung in diefem für alle | fchreitet, endlich erreicht fie dennod die Schul:
Beteiligten in höchſtem Grade anftrengenden | digen und zertritt diefe zum Wohle der Menfch:
Prozefje ftatt. An diefem Tage um die Mittags: | heit!“
Siſenberg.
Fine römilde Induſtrieſtadt der Vergangenheit auf deuffdem Boden.
„Civis Romanus sum*. — „Ich bin rö- | Kultur, den fie jedem einzelnen der befiegten
mijcher Bürger“ , diefe Signatur galt ja lange | Völfer aufzudrüden verjtanden. Noch heute
Jahrhunderte nicht nur bei den wirklichen Wel: | zeugen ja die Arenen und Waflerleitungen, die
ichen fondern auch bei den echten Deutfchen als | Tempel und Kaftelle, die Münzen und Inſchrif—
hervorragender Chrentitel. ten, die wir im Bereiche des ganzen Imperium
Und wahrhaftig fein Volk der Vergangen: | Romanum auf und unter der Erdoberfläche
heit darf ſolche Bezeihnung des Bürgerrehtes | vorfinden, von der gewaltigen Kulturhand, die
mit größerem Stolze tragen als die Bezwinger | der bezwungenen Völker ganze Kraft zufammen:
des Erdfreifes — die Römer. faßte, um in römischen Formen den römischen
Nicht nur Punier und Griehen, Afiaten | Zweden zu dienen. Und ebenjofehr legt von
und Afrifaner, Gallier und Germanen über: | diefem durchdringenden Einfluffe der Tiber:
wand die kriegsgeübte Jugend Roms und | bewohner das innere Leben der romanifierten
Italiens, jondern jenen Völkern, welden fie | Nationen Zeugnis ab.
allen das bejte ihrer Einrichtungen, ihrer Kulte, Römiſche Sprade, römijches Net, rö—
ihrer Bildung entnommen hatte, brachten fie | mijche Sitte, römische Götter hielten ihren fieg:
im reichlichen Maßſtab das Entgelt für folde | reichen Einzug zu den niedergeworfenen Stäm:
Vergemaltigung in dem Stempel der römischen | men an dem Euphrat und ar, der Rhone, an
l
ı
k
|
|
j
B
der Themfe und am Rhein, und das einheimijche
Leben verfieloder wurde umgewandelt au Gunſten
des jtärferen Typus.
AL dies hat in den einzelnen Phaſen des
Sejamtprozejles von feiten der Archäologen
und Hiltorifer ſchon verdiente Beadhtung ge-
funden. Eins nur hat man biäher bei der Be:
trachtung diefer Rulturentwidelung weniger der
Beahtung unter:
zogen — den Ein:
fluß römiſcher Ted):
nif.
Menn aud) der
Nömer, bejonders
in dem eriten Jahr—
hunbertjeinerHerr:
ihaft am Nhein
und an der Donau,
als Krieger dem
Barbaren gegen:
übertrat, jo aing
doch jelbft in folcher
bewegten Zeit eine
Reihe von neuen
Bildungselemen:
ten in die benad):
barte Germanen
mwelt über, welche,
wie der Stein im
Waſſer, jenſeits des
Grenzgrabens ihre
Kreiſe zogen. Ge
rade aber in der
techniſchen Behand:
lung des Thones,
des Steines und
des Metalles hat:
ten die Römer als
Eijenberg
203
Technik und Kunſt im dichten Dunkel ihrer Wal:
dungen nicht über die Stufe erheben Fönnen,
welche die Wilden des heutigen Tages, Neufee:
länder und Congoneger, mit ihren einfachen Ge:
räten und Vorjtellungen zu erreichen wiljen.
Mit Mühe und Not verftand es der Ger:
mane, aus dem Sumpferz und dem Rafeneijen
jtein das nötigfte Material für den Pflug und
die Yanze zu ge:
winnen; mit ein
jahem Griffel zeich
nete er rohe Orna
mente in Die Schlecht
gebrannten Gefäße
ein, welche der
Nundungder Dreh:
icheibe entbehrten;
anftatt ehren Göt—
tertempeln und
Marmoritatuen
dienten feinem re:
ligiöſen Bedürfniſſe
unförmliche Klötze
oder phantaſtiſche
Bilder.
Aber mit dem
tampfbereitenYegi:
onär rüdte allac
mach der Handels
mann, der Hand:
werfer und Der
stünftler ein in das
Didicht des Hercy
niſchen Waldes,
und von den Mit
telpunkten aus,
welche der wieler
fahrene Welſche an
gelehrige Schüler
der Griechen und
Etruäfer, der Spanier und Punier Tüchtiges zu
leiften gelernt, und dieſe Fähigkeiten fetten all:
gemach in das Yand der barbariihen Nachbarn
an den Zandesarenzen über und aingen dafelbit
in das Fleisch und Blut der Halbwilden über.
War auh die Hausfunft der Germanen,
von weldhen wir im bejonderen reden, ſowohl
nad den Nachrichten der Autoren wie Tacitus
und Plinius, feine ganz niedere, und weiß erfte:
rer jelbit von dem Schmucke zu reden, mit dem
die Rheinanwohner des Aeußern ihre fonft pri
mitiven Blodhäuier bedachten, jo hatte ſich doch
den Hauptpunkten
tes Mheins und
der Donau gegründet hatte, Ttrahlte das Yıdıt
aus, weldes nach jähem Niederaange während
des Sturmes der Völferwanderung zwar erloſch,
aber in der Renaiſſance der Karolingerzeit feine
Leuchte wieder erhielt, um fortan ohne Störung
das Emporblüben des germaniſchen Kultur
baumes hell zu beitrahlen.
Molle der geneigte Leſer uns zu einem fol
chen Gentrum begleiten, während deſſen Blüte
periode der Nömer dem Germanen zum VBorbilde
die von Stalten mitgebrachten technischen Fertig
fetten verwandt hat, um mit einheimischen Ma
Bildnie des Malbgoites Eilvanus (©. zuı).
204 «
terial feiner Poſition neue Stützpunkte für Krieg |
und Frieden zu verjchaffen. —
Von der Saar führte über das niedrige |
Hartgebirge, welches längs der ganzen Linie |
vom Rheinkamm bei Bafelbis zur Rheinniederung
beiföln die bequemften Bafjagen von Weſt nad
Oft bot, ein uralter Straßen: und Handelszug |
längs den Mooren bei Landſtuhl und Kaiſers-
lautern und weiter zum Urſprung der Alfenz, |
über den Paß des Schorlenberges in das Eis: |
thal. Der Weg ftieg in diefes hinab und z0g |
an feinem rechten oder jüdlichen Hochufer durch |
den Wald hinaus in die Ebene bis nad) Worms,
dem altgalliihen Borbetomaqus. Die mittlere
Mofellandichaft mit dem in feinem Gentrum ge:
legenen Divodurum—Meb, dem Hauptorte der
galliihen Mediomatricer und das mittlereRhein:
land waren durd) diefen Straßenzug ſeit uralter
Zeit auf dem geradejten Wege miteinander in
Verbindung geſetzt. Die älteften Anſiedler,
welche fich noch des Steinbeiles bedienten, hatten
ſich ſchon längs dieſer Linie angefiedelt, und als
ihre Nachkommen vom Süden her mit der jchim:
mernden Bronze befannt wurden, errichteten fie
die hohen Grabhügel, ihre Totenmale, gleichfalls
längs diejes Volkerweges. Die Nömer, welche
jtetö die Errungenschaften ihrer Vorgänger ſich
zu eigen machten, benußten ebenfalls dieje di-
refte Straße, um fid von Auguſta Treverorum,
Trier, und Divodurum, Met, aus mit dem halb
aalliichen, halb germanischen Gebiete am unteren
Mittelrhein, deſſen Hauptjtadt Borbetomaqus,
Worms, war, in nächte Verbindung zu fegen.
Co wandeln wir, wenn wir die Quelle der
Aljenz bei Alfenborn verlaſſen und über den ein:
jamen waldigen Bergrüden des Schorlenberges
dem Rhein zu nach Oſten fürbaß ziehen auf altbe: |
tretenem Pfade. Mäßig führt die Straßebergan, |
um in fteileren Scjlangenlinien dem klaren
Waſſer eines Fleineren alpinenhaften Sees zu:
zuftreben,, in welchem der Bad), dem wir jetzt
zu folgen haben, die Eis, ihren Urjprung erhält.
Ningsum iſt der kryſtallhelle Eisweiher oder die
Eiswog von waldbededten Höhen eingeſchloſſen,
welche zum jogenannten Stumpfwalde gehören,
urkundlich „stamp* genannt. Der ganze weite
Forſt bildet den Tummelplat zahlreichen Wil:
des, vor allem der borftigen Wildfchmweine, und |
die Jäger der ganzen Vorderpfalz zieren ſich
gern mit den Hauern der erlegten Ungetüme. |
Das war ſchon zur Römerzeit jo, und des iſt
Zeuge das im Sandftein Funftreih gehauene |
Mehlis.
Bildnis des Waldgottes Silvanus, das hoch
| erhaben vormals auf dem Bergrücken zur Linken
ſtand und von Waldarbeitern voreinem Menſchen—
alter (anno 1843) in drei Stücke gebrochen dort
vorgefunden ward. Der Gott iſt faſt in Lebens—
größe mit dem kurzen Jagdgewande (S. 203)
dargejtellt, auf der Bruft hängt die Jagdtajche,
in der Rechten hält der bebartete Mann den
jtarfen Speer und zu feinen Füßen liegen links
und rechts zwei Nüden, welche den Hirfchen und
Sauen tüchtig nachjegen follen. Das Piedeftal
trägt eine Anschrift, nad) welcher ein Römer
| oder ein romanijiertereGallier Yucidus Cinonis
(Sohn des Gino?) zur Erfüllung eines Gelüb—
des dem Gotte Silvanus dies Denfmal weihte.
Vielleicht, dak dem Votanten vor Zeiten hier
ein Kernſchuß gelang, vielleicht daß ihn die Gott:
heit ausUnheilerrettete! Die Technik des Votiv-
fteines zeugt von recht gutem Verſtändnis; der
Gott und feine Begleiter find mit Sicherheit
und Verftändnis aus dem Material, dem Bunt:
jandftein des Hartgebirges, herausgearbeitet.
Wir verfolgen den Waldweg zur Rechten,
moofig und verlafjen, doch feit und wohlgefügt.
Es iſt die alte Nömerjtraße, welche oben auf dem
Bergrüden den nächſten Weg verfolgt, während
die moderne Straßenanlage dem Thale zu in
janften Windungen läuft. Bald fallen uns
mächtige Steinringe zur Nechten und Linken auf;
Hügel wohl 40—50 Schritte im Durchmefjer,
welche bald in gewiſſen Abjtänden, bald regellos
den Weg begleiten. Es find Grabmale vor-
römischer Volksſtämme, deren Tote hier mit
Schmud und Waffen aus Bronze, mit rohen
Ringen und perlengeftidten Zeibgürteln, ſowie
mit rohen Urnen unter primitiver Steinwöl-
bung im Schatten der mächtigen Buchen ſchlum—
mern. Aber daneben liegen andere, mehr ovale
und noch ausgedehntere Steinhaufen, welche
aus Eifenjchladen beftehen, weldye ſchwer wiegen
und eine hellgefhmolzene, mehr getropfte wie
geflofiene Mafje zeigen. Die letteren lehnen fich
zumeift an die Hänge von Hügeln an, und ihre
Unterfuhung hat gezeigt, daß es die Ueberrefte
alter Eifenjchmelzen find. Schon vor den Nömern
in den eriten Jahrhunderten vor Shriftus haben
die erfindungsreihen Urbewohner dieſer mit
Eifenftein aller Art reichgejegneien Gegend es
verstanden, in einfacher Weife durch ſtarken
Holztohlenbrand dem Eifenerz einen Teil feines
Gehaltes zu entnehmen. Nur die Hälfte oder
wenig mehr des Eifenftoffes ward flüfftg und war
Eifenberg.
zu Waffen und Werkzeug zu verfchmieden, das
andere Material blieb gefangen in der Schladen:
maſſe.
Noch legt manch verbogenes Eiſenſchwert,
manch ſtarker Eiſenring, der in den anſtoßenden
Grabhügeln ausgegraben ward, Zeugnis ab,
wie dieſe vorgeſchichtlichen Anſiedler das Eiſen
zu ihren Gewaffen umzuſchmieden verſtanden.
Aber weiter durch den dichten Forſt, in welchem
nur hie und da ein Gehöfte verſtreut liegt, hin—
aus in die Thalmulde! Pochen und Hämmern
tönt an unfer Ohr, wir fehen im Eisthale unten
gedehnte Fabrikhallen und ſtark qualmende Efjen
ſich erheben. Da wird geſchmolzen und gegojien,
gehämmert und geformt, daß weit und breit das
Thal von dem Lärme lebendig wird! Es ijt das
Eifenhüttenwerf der Gebrüder von Gienanth,
der pfälzifchen Krupp, das ſeit 120 Jahrhun—
derten die Eiſenerze der Umgegend verhüttet
hat und jet im Eifengufje Vortreffliches leiſtet.
Und weiter unterhalb der weitgedehnten Fabrik:
anlagen jhimmern glänzend rote Ziegel und
gelblihe Ornamentjtüde. Der feine Thon hierzu
205
Walzen und Mobiliargegenftände, alles aus dem
)
ſchweren Blute der Erde, dann wieder Waggons
voll blendender Erde und roten Dachziegeln gehen
mit Dampffraft gen Worms, dem Rheinthale
zu, um von dort in aller Völker Länder zu wan:
dern. Dort drüben am Hange einer bewaldeten
Kuppe, hinter Lehnen mit weißfchimmernden
Thonlagern, überragt von einemmittelalterlichen
Befeftigungsturme, den Meifter Klapperbein be:
wacht, liegt das induftriereiche, aber menfchen:
arme Eifenberg, bewohnt von etwa 1 taufend
Seelen,
Die ganze Umgegend des Ortes und diefer
ſelbſt, befonders aber die Südſeite des Thales,
‚ auf welcher die Bahngebäude und oberhalb des:
jelben der Friedhof liegt, bildet eine wahre
Fundgrube für römische Altertümer, Kein Tag
vergeht, ohne daß der fleißige Adersmann ein
„Heidenköpfchen”, wie hier die Nömermünzen
genannt werden, der ſchweren Scholle entnimmt.
Hunderte wertvoller Münzftüde und Medaillons
von allen Kaifern, in allen Größen, aus Gold
und Silber, aus Billon und aus Kupfer find
wird an den Hängen der weitgedehnten Thal: | dem Boden entnommen worden. Nicht nur Ge:
mulde gewonnen, welche das Eisthal von Eifen:
berg abwärts bildet, und der ſonſt feltene weiße
und blaue, der gelbe und braune Thon, der in
tiefgehenden Lagern rings gewonnen wird, geht
zu Fabrikationsſtellen, welche weit entfernt von
hier liegen. Die allgemein befannten Mettlacher
Plättchen, die Kölner Pfeifen, das frühere Fran:
Tenthaler Porzellan, die großen Terracottavajen,
die bauchigen Drainageröhren und hundert an:
dere Gegenftände der mafjenhaften Heritellung
beſſerer keramiſcher Gegenjtände werden aus
dem Material des Eisthales fabriziert. Und
Thon und Eifen hat vor Jahrhunderten bereits
der Gallier und der Römer hier aufgeipürt,
verarbeitet und exportiert — tout comme
chez nous!
Wir find längs dem ſüdlichen Hochufer der
Eis weitergewandelt und ftehen jet an dem
Bahngeleife, das uns in wenig Minuten zum
Bahnhofe von Eifenberg bringt. Das alte jan:
bere, das Schon im 20. Negierungsjahre Kaifer
Karl des Großen, aljo Ende des 8. Jahrhunderts
in Urkunden erfcheint , ift nach langem Schlafe,
während deſſen die Stätte wohl ausgeruht
hat, von dem bunten Leben zur Nömerzeit wie:
der aufgewacht und entrichtet dem Verkehre und
dem Merkur feinen leicht zu bezahlenden Tribut.
Eijenteile und Thonwaren, Säulen und Kefiel,
fäße, Heine Bronzen, Gläſer, Waffen, Inſtru—
mente, Eijenteile aller Art aus der Okkupa—
tionözeit vom 1.—5., Jahrhundert n. Chr. bil:
| ben die Gegenjtände der jeit Menjchengedenfen
|
andauernden Funde, auch wertvolleredegenftände
find darunter. Am rechten Ufer zog ſich inmit—
ten des heutigen Ortes eine römifche, mit Häu—
jern bejegte Straße. Hinter jedem Wohnplatz
befand fich ein tiefer, nad) unten ſpitz zulaufen:
der Ziehbrunnen. Am Boden eines derjelben
grub man aus dem Flötzſande eine Goldwage,
ein Ohrlöffelchen und Zängchen, alles aus Bronze,
dazu eine eiferne Fibel. Die vier Gegenjtände
lagen in einer kunſtreich abgedrehten Doppel:
fajferole mit Durchſchlag. Diejelbe hat einen
charafteriftiichen breiten Stil mit Abjägen, und
das Metall zeigt Spuren von Vergoldung. Das
Stüd gehört in deutfchen Mufeen zu den ſel—
tenjten Gegenitänden. Cine andere, öftlid des
Bahnhofes und längs der Bahnlinie laufende
Gebäudereihe lieferte neben zahlreihen Münzen
einen großen Keſſel, eine weitbauchige Flaſche,
beides aus Bronze, und neben Gefäßen der
mannigfaltigiten Art einen Metallgegenftand
von vorzüglicher Arbeit. Ein Bronzebefchlag,
(S. 206) diente ed, wie andere der Art, dod)
von roherer Form, nach Anficht des Altmeifters
der deutschen Altertumsfunde, des Direktors
206
€. Mehlis.
Eindenihmit zu Mainz als Deichſelbeſchlag. diefes Vicus an der Eis, dem Bade entlang
Dasjelbe tft funftreich hohl gegoffen und forg:
fältig ornamentiert. Das Schlußende läuft in
einen fein jtilifierten Adlerkopf aus, der eine
Erbje im Munde hält. Der unten angebradhte
Aufhälter hat die Geitalt eines Bafilisten, der
ſich dem Adler mit dem fanımgejhmüdten Haupte
zumendet. Leider find die meisten feltenen Fund:
jtüde nad) aller Herren Länder verjchleppt;
Eifenberger Münzen haben allerwärts quten
Nlang und das Ausland beſitzt deren mehr, oft
unter fremdem Namen, als die Heimat. Seit
neueſter Zeit find charakteriftische Funde im ger:
maniſchen Nationalmufeum zu Nürnberg und
im Provinzialmufeum zu Speyer aufbewahrt.
Bon der intenfiven Kolonifierung und dem
langandauernden Aufenthalt der Römer an
diefer günftigen Stelle, wo man den Verkehrs—
abern nahe war, ohne des Schutzes von Wald
und Berg zu entbehren, zeugt die Thatſache, daß
nicht weniger als drei Friedhöfe aus der Nömer:
zeit zu Eifenberg fonjtatiert wurden. Der eine
liegt drüben zu Ende der Brunnenftraße, mo
das Thal gen Worms zu zieht; hier war die |
Aſche in Urnen beigeſetzt, die einfach in den Erd:
boden geſtellt waren. Die als Obolus daneben
liegenden Münzen gehören dem 1. und 2. Jahr:
hundert n.Chr. an, Ein zweiter Begräbnisplat;
lag dem eriten gegenüber am rechten Ufer, eben:
falls außerhalb der Wohnpläge nad) Oſten. Ein
Hügel, Senderfopf genannt, defien Name wohl
von Welt nad) Dit zogen und zwar zu beiden
Seiten desjelben, lag das Centrum der hiefigen
merfantilen und militärifhen Nömermadt am
ſüdlichen Hocdufer der Eis, wo die Hauptver-
‚ fehrsader, die Straße nad Worms und Mes
zog. Etwas oberhalb des Bahnhofes liegt nad)
ı Norden, Weſten und Oſten von fhluchtenartig
von incendarium, Verbrennungsplaß, her: |
rühren mag, ſtreckt fich dort mit flachem Scheitel |
empor, Hier waren die Nichenurnen in ausge:
höhlten Steinfiften beigeſetzt oder zwifchen ge:
ipaltenen Steinplatten aufgejtellt. In jedem
Grabe lagen außer der Haupturne gehenfelte
Amphoren, Thränenfrüglein, Ihonlämpchen,
Glasbecher und Münzen. Lebtere weifen auf
die Benugungszeit des Friedhofes im 3. und
4. Jahrhundert n. Chr. hin. Einer noch fpäteren
Beriode, welche bereits in die Zeit des Chriften:
tums hineinreicht, gehört der dritte Yeichenhof
an. Er liegt etwas weitlid von der altroma:
nischen Kirche des Ortes. In wohlbearbeiteten,
eingerifjenen Verbindungsſtraßen umgeben ein
kleines Hochplatcau. Bon diefem aus hat man
Bronebeſchlag einer Teichſel S. 2051.
einen freien Blick auf die ganze, wohl zwei Stun—
den lange Thalmulde, die bei Aſſelheim, dem
Förderungsplatze eigenartiger Bauſteine, von
|
jteinernen Sarkophagen, die von Weſt nad Oſt
lagern, wie es der Chrijtenglaube verlangte,
waren hier die Leichen bejtattet. Daneben lag
manch geijhmadvoll und eigenartig verzierte
Urne, mander Reft von perlenverzierten Gürtel,
auch eine zu Stein gewordene Salbe u. a.
Während die Straßen des römischen Platzes,
ihrer Farbe „Kapuziner” genannt, mit einer
Thalenge abſchließt. Gen Dften bemerkt man
die Türme des Wormſer Domes und dahinter
des Odenwaldes fegelförmige Berahäupter, im
Norden lient die weite Hochfläche, wo der Naj:
fauer Adolf gegen den Habsburger anno 1295
Krone und Yeben verlor, im Mejten dreuen die
dunklen Waldhäupter des Stumpfwaldes und
Schorlenberges und im Süden bliden über die
Hochfläche einzelne Bergmaſſen, welche das Iſe—
nachthal begrenzen. Hier war im Eisthal für
Land und Leute, Gut und Geld am leichteften
Wacht zu halten; der Ort heißt bedeutungsvoll
„Hochſtatt“ und jeine Fläche und deren nächſte
Umgebung bildete, nad) den gefundenen Dent:
mälern und Baurejten zu ſchließen, den Mittel:
Eijenberg. 207
punkt und das Reduit der ganzen römischen An: | man denfelben in mit eingejchnittenen Mujtern
fiedlung. Das Ganze war nad) Art eines | bededte Schüffelformen und bejtrid) die Gefäße
Kaftelles von einer ſtarken, imBiered ziehenden | nad) ihrer Brennung mit einem rotglänzenden
Mauer umzogen. Im Inneren desfelben erhob | Firnis. So erhielt man die prädtigen Gefäße
fih auf 3m diden Mauern ein 25 m langes | aus fogenannter terra sigillata oder aus ja:
und 19 m breites Gebäude; dasjelbe enthielt | mijcher Erde, von denen man früher annahm, fie
ſechs Gelafje und hatte feinen Eingang nad | feien auf dem Boden Italiens oder gar in Sa:
Norden. Aſche und Kohlen, verbranntes und | mos hergejtellt worden. Allein hier und im
gejhmolzenes Metall, zerbrohenes und ge: | nahen Rheinzabern, vem Tabernae Rhenanae,
ſchwärztes Geſchirr, mafjenhafte Knochen von | war die Fabrifationsftelle für dies römiſche Bor:
Rind und Wildſchwein im wilden Durcheinander | zellan, das vom Mittelrhein nah allen Seiten
mit Ziegelftüden und Mauerbroden, was man als Handelsartifel verfandt wurde.
alles in den letten Jahren bei Nachgrabungen Gefäße gröberer Art von gelber, vötlicher,
vorfand,, vermelden von dem Greuel der Zer: | dunfelblauer, ſchwarzer Farbe wurden aus dem:
jtörung, mit dem hier, wie an allen Bunften | felben, hier gegrabenen Thone, den man jeft
diefer Römerfolonie, das blühende Leben zu | nod dazu verwendet, auf der Drehicheibe her:
(Srabe getragen ward. ' geftellt, mit einem Ueberzug von Graphit über:
Auf der Hochſtatt und nahe derjelben hat | zogen oder hell glafiert und dann in Mafje in
der Landmann ſchon manchen goldenen Schat | den Defen gebrannt. Kein Ort wohl am ganzen
gehoben und derAltertumäfreund Schon manden | Mittelrhein ift jo reih an römiſchem Geſchirr
jteinernen entdedt. Ein Altarjtein von hier | der verfchiedenften Art, von der groben Milch—
trägt auf vier Seiten die Bildnifje der Fortuna, | ſchüſſel und dem primitiven Vorratsgefäß bis
der Diana, des Merkur und der Minerva. Ein | zu den feinften und reid) ornamentierten Prunf:
anderer, tleinerer ift der nährenden Ceres ge: | vajen.
weiht. Hier gefundene Töpferjtempel erzählen So war wohl ein großer Teil der Koloniſten
von ihren Meiftern, welche fich Jcelius, Taiuba, | an diefer Stelle mit der Herftellung von Topf:
Alpinius nannten. Zwei Römer, Angehörige | waren bejdäftigt; jhon vor den Römern mögen
der Familie der Paternier, hatten hier dem. | zu folder Fabrifation die reihen und reinen
höchiten Gotte, Jupiter, zu Ehren einen Denk: | Thonlager angelodt haben. Allein erjt feit
itein errichtet. Dem Mars und der Viktoria, | Ende des erjten Jahrhunderts, als in den all:
den Siegesgöttern hatte ein anderer, wohl ein | mählich aufblühenden und an Bevölkerung zu:
Eingeborner, Giamonius Sina, der die Würde | nehmenden Rheinlanden der Bedarf an Thon:
I
einesOrtsbürgermeifters befleidete, und fich des: | geichirr befjerer Art ein größerer wurde, nahm
halb magister vicanorum nennt, ein funft: | hier dieje Induſtrie für den Erport einen
veich drapiertes Monument gejtiftet (S. 210). | größeren Aufſchwung.
Aber nicht nur von Kampf und Streit, von | Daß Thonwaren in diejer an Verfehrs:
Höttern und Göttinnen, von Töpfern und | mitteln nod armen Zeit auf weitere Ent:
Bürgermeijtern, von zu Grunde gegangenem | fernungen verjandt wurden, darf uns an Be:
Geld und Gut weiß die Hochftatt uns zu be- quemlichkeiten aller Art gewohnte Menſchen—
richten, fie war no) mehr damals, als der Les | kinder der Neuzeit nicht befremden. Berichtet
gionär auf hoher Mauer den Speer feithielt und | doch der griechifche Hiftorifer Strabo, daß bereits
der Landeseinwohner vor ihm den Naden beugte. | in ſehr früher Zeit Töpfergejhirre von dem
Hier war zugleich der Mittelpunkt für Maffen: Mittelmeere aus ſelbſt nad Britannien gelangten
induftrie, die hier zur Nömerzeit in Thon und | und zugleich mit Salz und eherner Ware die
Eifen betrieben wurde. hauptſächlichſten Taufchmittel gegen die Zinn:
Auf dem Plateau der Hochjtatt hat man | ausfuhr bildeten. Zeigen uns doch die Grab:
vor kurzem Brennöfen, aus der römischen Epoche | hügel Süddeutfchlands, jo die von Rodenbach
herrührend, ausgegraben, welche mit ganz und | in ber Pfalz, vom Kleinajpergle bei Ludwigs—
halb gebranntem Geſchirr gröberer und feinerer | burg, von Hallſtadt im Salzburgifhen, von
Art angefüllt waren. Man grub wie heute den | Tägersmweiler im Thurgau, von Uetliberg bei
geichmeidigen roten und weißen Thon in den | Zürich, daß Jahrhunderte vor der römischen
nahen, mächtigen Lagern. Ye nahBedarfdrüdte | Decupation fein bemalte etrurifche Thongefäße,
208
Becher und Schalen über die Alpen nad Süd: |
deutjchland gelangten. Wie jegt noch ambulante |
Töpfer mit ihren Karren und Geſchirren die
Melt durchziehen, wie es im Mittelalter die |
„Wattenheimer* vom Nachbarorte Eijenbergs |
thaten, jo mag es aud im Altertum gewefen fein, |
Wenn wir den Erdboden auf der Hoditatt |
in der weitgedehnten Flur, die ſich nach Nor:
den zur Eis abdachen, aufmerffam betrad):
ten, jo bemerfen wir, daß die Aderfrume mit
Hleineren und größeren ſchwarzen Steinen ver:
mengt ift. Bei näherer Betradhtung entpuppen
fich diejelben als gut gefloffene, reguläre Eifen:
ſchlacken. Wir überfchreiten unterhalb der Hoch—
jtatt die Bahnlinie und treffen ca. 100 Schritte
davon nad) Norden auf eine eben aufgededte
Stelle des Erdbodens. In Mannstiefe ftehen
bier innerhalb einer durch die Kultur verebneten
Scladenhalde drei zuderhutförmige, aus Thon
beftehende Dfenmäntel. Ihre Höhe variiert von
!s m—1"js2 m; der eine links hat mehr die
Geſtalt eines halben Eies, die anderen zwei zur
Rechten haben die Form eines veritablen, oben
etwas abgejtumpften Zuderhutes (S. 209).
Außerhalb der drei fonderbaren Brennöfen liegen
Maſſen von Schladen und Roteifenftein unter:
mijcht mit Reiten von Gefäßen und Ziegeln,
welde unverkennbar auf römiichen Urfprung
deuten. Bei näherer Befichtigung zeigt fi eine
durch den Mantel fichichtef hindurchziehende Röhre
aus Thon. Im Inneren, deſſen Lichtraum bei den
einzelnen Schmelzöfen — denn das find die
thönernen Bienenförbe — von 20—40 cm
wechjelt, liegen in der unteren Lage ſtark eifen-
haltige, dide Schladen, darüber einzelne Holz:
fohlen; letztere treffen wir aud an den mit
Klebfand, der fich gleichfalls zu Eijenberg vor-
findet, befchmierten Seitenwänden an. In diefen
Thonmänteln gewann man vor anderthalb Jahr:
taufenden aus dem gerinahaltigen Roteifenftein
der Umgegend mittels ftarker Holzfohlenfeue-
rung das dem Nömer wichtigſte Metall, das
Eifen. In Kleinen Klumpen wurde es als
Schmiedeeifen direft aus den Erzen reduziert,
nicht wie heutzutage als Roheifen in mächtigen |
Hochöfen aefhmolzen. Auf der Sohle der kleinen, |
mit Blajebälgen aus Tierhäuten verjehenen |
Rennöfen oder Wolfsöfen jammelte ih nad) |
längerer Feuerung der Eifenfuchen, der fofort
durch Klopfen von den Schladen befreit und
auf dem Amboß in die gebräuchliche Form ge: |
bracht wurde. Werfuche, welche Graf Wurm: |
€. Mehlis.
brand zu Hüttenberg in Steiermark mit foldyen
Defen angejtellt hat, beweifen, daß man in den:
felben nah 26ftündiger Arbeit einen Eifen:
fumpen von etwa 12 Pfund Gewicht erhielt.
Die SHerjtellungsmethode war berechnet für
billige Holzfohlen, und der Preis derjelben war
vor anderthalb Fahrtaufenden bei den minder:
wertigen Arbeitsfräften und dem in den nahen
Forſten aufgeitapelten Holzvorrat ein fehr
geringer. Schon früher hat man auf demfelben
Flecke zu Eifenberg, der den Namen „in den
Geldädern“ führt, ähnliche Defen aufgegraben;
doch erjt der Neuzeit war es vorbehalten, den
Zweck derjelben ins richtige Licht zu ftellen.
Mag fich der Lefer mit uns das Bild vor:
ftellen, wie hier der Römer zu feinem Schuß
und Truß lange Jahrhunderte das Erz gewann,
das ihm Angriffswaffen gegen die Rheinſtämme
lieferte und ihm den Stoff zu den Werkzeugen
bot, die das Land mit den Künften des Friedens
befannt machen jollten.
Auf weitem Plane leuchten nebeneinander
wohl zwanzig Defen, aus deren Deffnungen das
glühende Gas hoch herausfchlägt. Rußige,
nervige, fehnige, ſchlankgewachſene Gejtalten er:
ſcheinen im rotſchimmernden Lichte wie Dämonen
der Unterwelt. Die einen brechen die glühen—
den Erzflumpen aus den Defen, die anderen
löfchen deren Glut in nahen Wafjertümpeln ;
andere hinwiederum jchmieden auf den erklingen:
den Ambofjen den funfenfprühenden Erzkuchen
zu länglichen Eifenluppen. Und daneben ſteht
ipähend eine kleinere, hagere Geitalt, das breite
Schwert zur Linken und den Kommandojtab in
der Rechten führend. In fremdländifcher Zunge
erteilt er von Zeit zu Zeit laute Befehle, und
an jchwere Arbeit gewöhnt, gehorchen die gal:
lifchen Eifenarbeiter. Ihnen felbit gehörte vor:
mals das Land, jest müfjen fie für den fremden
Zwingherrn die Waffen fchmieden, womit der
Welſche fie züchtigt.
Die Eiſenluppen wie man die überſchmiede—
ten Barren nennt, haben längliche, in der Mitte
verdickte Geſtalt (vgl. S. 200). Der Durch—
ſchnitt der Luppe, die aus vortrefflichem Schmie—
deeiſen beſteht, hat viereckige Form. Die Länge
derſelben wechſelt von 48—55 cm, das Gewicht
von 4-6 K. Jede dieſer Luppen iſt als die
Ausbeute einer Tagesarbeit in einem Renn—
ofen anzuſehen; das hat Graf Wurmbrands
Verſuch bewieſen.
Ihre Form machte ſie ebenſo geeignet für den
Eifeuberg.
Innereh eined Schmelzofens (©, 208).
Transport, der mittels Maultieren bewerfitelligt
wurde, wie für den Käufer, der nur ein zugeſpitztes
Ende zur Probe in das Feuer zu fteden brauchte,
dies heiß ausjchmicdete, dann bog und brad).
Und diefe Eifenluppen finden ſich zum Be:
weife, daß fie wirflid von Eifenberg aus nad)
verschiedenen Nichtungen erpediert wurden, an
einer Neihe von nahegelegenen Punkten, deren
Verbindungslinie faft einen Kreis mit unferem
Plage als Mittelpunkt bildet. hr Befund
jteht bei den meiften mit Altſachen aus der
Nömerzeit in Verbindung.
Auf römischen Pflaſter fand ſich auf der
GEbernburg an der Nahe, im Norden unferer
Fabrifationsftelle ein folder Eifenbarren. Bon
Ramjtein im Wejten find deren zwei befannt.
Im Süden liefert Dürkheim zwei, Im Dften
fennt man von Studernheim einen. m Nord:
often hat das Mufeum zu Mainz zwei, und bei
Monzenheim in Nheinhefien fand man 1868
26 Stüd der gleihen Art. Nach diefen Fund—
ftellen ging der Haupterport in der Nichtung
des Rheinthales, der Hauptfeitung im römischen
Germanien zu, gen Mogontiacum, Mainz, dem
Schlüffel des Germanenlandes.
Die Umgebung von Mainz entbehrt des
Eifenerzes, und das Eiſenberger Nohmaterial
mußte herbei, um im Kaftell, wo taufende von
—
römischen Kriegern lagen, daraus Schwerter
und Speere, Beile und Hobel, Meſſer und
Scheren, Anfer und Ketten zu fchmieden. Ein
zweiter Zug der Ausfuhr fcheint nad) der zweiten
Nömerfeftung im Mittelrheinlande, nad Argen:
toratum, nad Straßburg, gegangen zu fein.
Den nahen und gefürchteten Barbaren gegen:
über am rechten Nheinufer wird der Nömer
hier, wie anderswo, mit wohlerwogener Vorficht
die Eifenbereitung ald Staatömonopol betrieben
haben. Daher rührt denn die Dürftigfeit der
meiften Gräber zu Eifenberg her; fie gehörten
zumeift den armen, leibeigenen Schmieden an,
die für färglihen Lohn im Schweihe des An:
gefichtes das Eiſen ausgruben und bearbeiteten.
Und foll eine. Stätte, jo wichtig für die
Behauptung des Nheinlandes, feit alters Si ge:
winnreicher Induſtrie, namenlos in alten Zeiten
gewefen fein? Eifenbergs Name felbft, im Mit:
telalter Iſanburec, finbure, rührt ohne Zweifel
vom deutjchen Worte für „Eifen“ her und er:
innert mit neuem lange an verfchwundenes
Leben. Much auf diefe Frage gibt die Forſchung
Antwort. Der Alerandriner Ptolemäus, der
im zweiten Jahrhundert n. Chr. eine geo:
araphiiche Beichreibung des den Alten befannten
Erdfreifes mit Angabe der Yängen: und Breiten-
grade verfahte, gibt für Übergermanien, oder
o”
27
210
Germania superior, wie der Römer das linfe
Rheinufer von Bajel bis Mainz nannte, eine
Reihe von Städten an.
In das Gebiet der Bangionen, welche ſüdlich
der Rheinbiegung zwiſchen Mainz und Bingen
zwiſchen dem Strome und dem Saargebiete
wohnen, verſetzt dieſer Autor Borbetomagus
und Rufiana. Jenes liegt etwas ſüdlicher, wie
das erſtere, und zwar etwas nordweſtlich von
Noviomagus im Gebiete der Nemeter, das ſich
mit Speyer deckt. Lange umſonſt ward dieſe
Stadt im Vangionengau, dem Wonnegau des
Mittelalters, von den Gelehrten geſucht. Die
einen ftellten Rufiana auf den Plat von Oppen—
heim zwiihen Mainz und Worms, die anderen
auf die Stätte von Nuffady im Oberelſaß. Mit
beiden Orten hat Nufiana nichts zu thun. Es
jtimmt jowohl die geographiiche Angabe des
Alerandriners, wie die Bedeutung unferes
Platzes, wenn wir Rufiana mit dem altrömischen
Eiſenberg gleichjegen. Hier hatten schon Gallier
gefiedelt, die der Stätte von dem roten Eijen:
erz den Namen „Rotjtadt“ (von der Wurzel
ruf glei „rot“ ) verliehen; die Gunft der Lage
und der Bodenſchätze erfannte auch der jenen
nachfolgende Römer an. Jahrhundertelang trieb
hier, in der Vangionenjtadt Ruftana der Süd—
länder Induſtrie auf Thon und Eifen; jahr:
hundertelang ward von hier aus das Mittel:
rheinland mit Thongejchirr und Eifenluppen ver:
forgt, bis die Barbaren von jenjeits des Rheines
in die Provinz einbrachen und mit Schwert und
Feuer die altangejejjene Kolonie vermwüjteten.
Der Gott, der Eifen wachſen lieh,
Der wollte feine Knechte.
Des Inhalts war der Racheruf, mit dem
Alemannen und Franken jahrhundertelang an-
gehäufte Schmach ſchrecklich rächten! Aber das
gefangene Rom hat den wilden Sieger doch an
jic) gefeffelt und mit Banden, feiter als Stahl,
an fi) gebunden!
Und in folhe Betrahtungen über ver:
gangene Zeiten verfunfen, deren Entwidelungs:
prozeß die Kunft und Technik der Römer, ihrer
Tracht und Sprade wieder aufleben lieh; in der
€. Mehlis.
l
|
Karolingerzeit, trifft uns der lebte fcheidende |
Strahl der Sonne. Er fommt vom Schorlen:
berge her, weit über das dunkle Gebirg und er
vergoldet mit ſeltſamem Lichte die alten Schladen
vor uns, daf fie alühend leuchten, wie das
Rheingold, des Alberih Schatz. ja, in ihnen,
Eijenbera.
ein wertvoller Schab, und das ſchwarze Erz und
die Kunft, es der Muttererde zu entnehmen, hat
mehr Segen dem Menſchen gebracht, als des
Goldes unheimlich Gefuntel.
Und horch! Von oben her ertönt noch ber
ſchweren Hämmer raſche Folge, hoch wirbeln im
Hüttenwerk Gienanths aus den ſchwarzen Eſſen
Ban 3 hat Ku —— — —
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4 u.
Ein römilder Grabſtein (©. 207).
die blinfenden Funken zum Abendhimmel empor!
Ya, dies Lodmittel, das die Natur hier in den
Boden gelegt hat, der gelbe Thon und das rote
Erz: fie haben den Menſchen nicht mehr von
hier losgelafjen. Dem Ureinwohner folgte in
deren Gewinnung der Gallier, der Römer dem
Gallier, dem Nömer der Franke, dem Mittel:
alter die Neuzeit, und fo hat ſich Generation
auf Generation abgelöft, vem Boden feine Schätze
abzugewinnen und den Erlös durd den Weg
im Eifen und feiner Gewinnung, ruht gleichfalls | des Handels nad) Kräften zu verwerten,
£udwig Ganghofer.
Der £ebte. 211
Der Seßte.
Fine Hohlandsgelhidte von Fudwig Ganghofer.
erirrt! Das iſt ein unbehag:
5 | liches Wort.
1 Man fteht zu herbſtlich däm⸗
"| mernder Zeit auf ödem Felde
| und fieht in der Runde, fo weit
— —A die Blide reichen, fein Dad),
feinen Kirchturm und feinen fteigenden Rauch
— man fteht im Walde, in dem die Vögel
ſchon zur Ruhe gegangen, und fieht feinen Weg,
nur finftere Bäume; und über den dunklen
Heften ſchimmert fein Stern, der zum Weifer
dienen möchte.
Da fteht man nun lange Minuten, blidt
ratlos und verlegen umher und rührt mit unbe:
haglichem Empfinden die Schultern unter der
Joppe.
Schließlich rückk man den Hut und wan—
dert zu und immer zu, im Dunkeln ſtolpernd und
ſtürzend über Steine, Wurzeln und Gräben —
man ärgert ſich, man brummt und flucht wohl
auch; aber man weiß, daß man am Ende doch
zu einem Wege, zu einem Hauſe und einem
Dorfe gelangen muß.
Schlimmer iſt das in den Bergen. Da hat
der heiße Jagdeifer bei Verfolgung eines wun—
den Wildes den Jäger in die Wände gelockt —
und da ſieht er ſich plötzlich an einer Stelle, an
welcher jeder weitere Schritt den gewiſſen Sturz
bedeutet.
Das heißt dann nicht mehr „verirrt“, das
heißt „verſtiegen“ — und dieſes letztere Wort
hat einen noch bei weitem unliebſameren Bei—
geſchmack als das erſtere. Davon weiß ich zu
erzählen. Doch will ich eine ſolche Geſchichte
nicht um ihrer ſelbſt willen berichten, ſondern
dem alten Manne zuliebe, den ich dabei kennen
lernte.
Es war ein Tag in der erſten Auguſtwoche.
Bei dämmerndem Morgen verließ ich die hoch—
gelegene Jagdhütte und folgte einem Pirſchpfade,
den ich des öfteren ſchon mit Waidmannsglück
begangen hatte. Er führte mich vorerjt durch
— — — — — — nn — — —— ——
ein ſchmales, grobſteiniges Felſenthal, das von
zahlreichen Murmeltieren bewohnt iſt, deren
ſchrille Pfiffe auch ab und zu die tiefe Morgen—
ſtille unterbrachen; dann ſenkte der Weg ſich
niederwärts über lärchenbeſtandene Hänge und
ſtieg wieder empor durch latſchenüberwucherte
Mulden und Rinnen, bis er ſchließlich in ziem—
lich gleichbleibendem Niveau die in weitem Bogen
gekrümmten Wände und Schroffen umkreiſte.
Langſamen Fußes ſchritt ich dahin, jedes Ge—
räuſch vermeidend, auf- und niederblickend mit
emſigen Augen. Mir zur Linken ſenkte ſich der
Grund dem Bergwald zu, und leiſe rauſchten
da drunten vor dem thalwärtsziehenden Winde
die zierlichen, lichtgrünen Wipfel der Lärchen.
Breite Lawinengaſſen hatten ſtellenweiſe den
Wald durchbrochen und Liegen den Blid hinunter:
gleiten in die graue Seetiefe, Darüber noch die
vielgeftaltigen Frühnebel wallten und mwogten.
Mir zur Rechten jtiegen die brüdigen Felfen
ihief auf zu einer Höhe von etwa hundert
Meter, in eine fchütter bewaldete Kuppe ſich
verlierend.
Wieder bog id um eine Ede — da rollten
und Flapperten mir zu Häupten die Steine, und
ich jah einen feiften Gemsbod in furzen Sätzen
den höher gelegenen Feljen entgegenflücten.
Nun galt e8, gut zu zielen, mein Schuf;
durfte nur ichwer verwunden, da ein tödlicher
Schuß das Wild in unmwegbare Tiefe gejtürzt
hätte. Jetzt krachte meine Büchſe — das Tier
wanfte, verhielt fi) wieder, z0g mit gefrümm-
tem Rüden über den rinnenden Sand und die
rolfenden Steine der Höhe zu und entſchwand
zwiſchen Hogigen Felſen meinen Bliden.
Lautlos verharrte ich eine geraume Weile;
dann fchritt id den Steig dahin bis zu einer
Stelle, von welder aus mein Auge einen Weg
hinter jene Felfen fand, und da fah ich aud)
auf einer leichtgeneigten Platte den Gemsbod
liegen, bereitö verendet.
Ohne langes Belinnen begann ich den Auf:
212
ſtieg. Anfangs machte fih die Sache ganz
paſſabel; je mehr ich aber zur Höhe Fam, defto
jteiler wurde der Grund und dejto brüdiaer
auch, fo daß ich bald für Hand und Bergitod
feinen fejten Halt mehr zu finden wußte und
nur dadurd vorwärts fam, daß ich mir für
jeden Schritt mit fcharrendem Schuh in das ver-
witterte Geſtein eine Stapfe ſchürfte. Minuten:
lang jtand ih oft an einer Stelle, um zu
raften und wieder ruhigen Atem zu befommen.
Ich dachte wohl an die Umfehr; dieſe wäre
jedoch bei weitem noch gefahrbringender geweſen
als der fernere Aufitieg, da ich in dem Stein:
grund, der einzig aus fhhiefliegenden Splittern
und Blättchen bejtand, wohl noch für den auf:
itrebenden, aber nicht mehr für den nieder:
greifenden Fuß einen halbwegs verläßlichen
Halt finden fonnte. So ftieg ich denn mühjelig
höher und höher, von dem erfihtlichen Trofte
gejtärft, daß von der Stelle an, an der die
maſſigeren Felfen begannen, der fernere Auf:
jtieg biS zur Kuppe zwar immer nod) eine Be:
ſchwerde aber feine Gefahr mehr zu nennen war.
Sp gelangte ich endlich in die Nähe des
erjten großen Felſens, den ich auf dem brüchigen
Gehänge noch umgehen mußte, da er zu hod)
und zu glatt war, um überklettert zu werben.
Wieder ſchürfte ich mir eine Stapfe, als plößlich
unter dem tiefer ftehenden Fuße der Grund zu
weichen begann. Zeit, um zu denfen, war da
nicht mehr — mit einem herzhaften Satze jprang
ich dem Felſen zu und faßte hier auch glüdlich
feften Fuß, während hinter mir das ftaubüber-
wirbelte Geröll zur Tiefe fuhr.
Da ſtand ih nun auf einem grafigen Flecke
von der Größe eines Stuhlbrettes; ein leichtes |
Zittern rührte meine übermüdeten Kniee; ich |
nahm meine Büchſe vom Nüden, lehnte fie mit
dem Bergitode in die Felsecke, fette mich nieder
und betrachtete meine Hände, die den Händen
eines Maurers glihen; das alles that ich völlig |
aedanfenlos — in den erſten Nugenbliden nad)
einer überitandenen Gefahr verfagt das Gehirn |
des Menjchen, und es überfommt ihn eine felt:
fame Art von Stumpffinn. Wird er dann wieder |
eines flaren Gedankens fähig, jo denft er vor:
erit nur das eine: wie es nun wohl um ihn
jtünde, wenn er die Gefahr nicht überjtanden
hätte,
Es waren recht unerquidliche Bilder, die
meine Bhantafie mir unter dem Zwange diejes
Gedankens zeigte.
£udwig Gunghofer,
Nad) kurzer Raſt erhob ich mid) wieder, um
vorerft meine Yage des Genaueren zu muftern.
Das Ergebnis war fein beruhigendes: vor mir
und mir zur Linken das unmegiame, jdiefe:
tige Gehänge, mir zur Nechten und hinter mir
der glattaufragende Fels, der von einer Höhe
war, daß ich Arme von doppelter Yänge hätte
haben müſſen, um feine Kante zu erreihen. So
etwa fünfzig Meter unter mir umzog der fichere
Steig die Wände — über ihm draußen aber lag
die gähnende Tiefe.
Da gab es nun für mid, um wieder vom
Flecke zu fommen, drei Möglichkeiten, die ic)
freilich mit gleihem Rechte auch Unmöglichkeiten
nennen durfte. Ich Fonnte verfuchen, im Sprunge
mit den Händen die Kante des Felſens zu er:
faflen und dann über den ſcharfen Nand mid)
emporzuziehen. Wenn ich aber zu furz fprang?
— Ich fonnte in fitender Stellung über das
Gehänge hinunterrutfchen, in der Hoffnung,
daß ich mich doch wohl troß des heftigen Auf:
pralls am Steige zu halten vermodte. Wenn
aber diefe Hoffnung trog? — Ich fonnte aber
auch den Verſuch machen, noch einmal den frühe:
ren Weg zu betreten, um auf dem brüdigen
Steingrunde den Fels zu umflettern.
Hierzu entihlo ih mid auch, ergriff den
Bergftod und begann mit feiner fcharfbefchlagenen
Spitze tiefe Stufen in das fteile Gefchiefer zu
bohren.
löslich hielt ich inne in dieſer ſchweiß—
dringenden Mühe und laufchte der Höhe zu.
Was ich gehört hatte, das war wie ber
Tritt eines menschlichen Fußes geweſen und wie
ein Räufpern oder Hujten.
„Hu—u—u—up!“ rief ich durd die ge:
höhlten Hände über das Gehäng empor.
„Hoho!“ Hang eineheiferfreifhende Männer:
ftimme zur Antwort.
„Wer is denn da droben?“
„Ich bin’s — der Weindler-Mickei!“
„So jo!" rief ich befriedigt entgegen, ob:
gleich ich jest genau fo viel wußte wie zuvor.
Hurtig ftülpte ich meinen Hut über das ftumpfe
Ende des Beraftodes und hob ihn über den
Hand des Felfens. „Siehſt mein’ Hut?“
„Ah ja!“
„Kannit "runter bis daher?“
Eine Weile war Stille. Der da oben be:
ihaute fi wohl den Weg, den er zu gehen
hatte — dann hörte ich ihm rufen: „Ah ja —
es acht ſchon!“
Dir £rgie.
„Zo komm!“
Ich hörte das Geräufch feiner niederwärts
fteigenden Tritte und hörte und ſah zu meiner
Yinfen und Rechten das Geröll in ftaubigen
Mafien zur Tiefe follern.
„seh — da liegt ja a Gamsbock — und
was für einer!”
„sch weiß Shen — komm nur!“
Näher und näher famen die ſchweren Tritte
— und über dem Rande des Feljens erjchien
nun ein altes Geficht, grau, wie aus Stein ge:
hauen. Ein weißer Itruppiger Bart verhüllte
den Hals und die Wangen; an den Schläfen
quollen lange weiße Haare unter einem Hute
hervor, welcher ringsum mit diden Büfcheln
frijh blühenden Edelweißes beitedt war, und
aus dem Schatten des vorderen Hutrandes blick—
ten, überdacht von buſchigen weißen Brauen,
zwei graufcillernde, blutunterlaufene Augen
auf mich hernieder.
„Ah jo — Sie find’s, Herr!“
„Kennt mich denn?“
„sa — wiſſen S' — ich hab! Ihnen halt
drunt’ im Ort jchon diemal g'ſehen — ja!
No — da haben S’ ihnen aber ſchön verftiegen! |
Kreuzfaren! Wann ich jett beim Edelweiß:
broden net grad im Zufall daherfomm', da
hätten S’ woltern adummsNausjteigen g'habt!“
213
gelblichſchwarzen Yodentudhes, das in feiner
Mitte durch einen freisrunden Ausfchnitt den
mweißhaarigen Kopf hervortreten lieh. Das
Linnenhemd, das er darunter trug, war arob
' und jchmußig; an den engen Aermeln qudten
durd) große franfige Löcher die beiden Ell—
bogen, die ſich anfahen, wie die graufnorpeligen
Gallen eines Pferdefuhes. Der Bergſtock, den
der Alte führte, war ein förmlicher Baum.
Als ich wenige Minuten fpäter auf den
Steinen fniete, um das erlegte Wild zu öffnen,
fehrte der Alte mit dem Fuße den Kopf des
toten Tieres hin und ber und befühlte mit
den Fingern das ſtarke ſchwarze Gehörn.
„Der hat a paar Kruden! Kreuzjaren!
Da zahlet ih doch gleich a Maß Bier dafür.“
Ich lachte. „Mein, Alter — die Kruden
wärn mir un a paar Eimer net feil. Aber den
Gamsbod felber, den wann d' magſt, den kannſt
als a ganzer haben, dal dod) weißt, um was
mich da 'rauf'zogen hat.“
Gin verlegenes, ungläubiges Yächeln um:
jpielte die Xippen des Alten, und mit blinzeln:
den Augen jah er mir ins Geſicht.
„Is ihon wahr! Er hört ſchon dein!”
‚ beteuerte ich. „Aber weißt, 'nuntertragen mußt
| ihn halt ins Ort, daß ihn der Förſtner z'erſt
Erft bot ich ihm meine Büchfe und den |
ſieht.“
„Ah ja! Ah ja!“ kicherte der Alte ver—
gnügt. „Ich traget ihn an ganzen Tag weit,
Bergſtock empor; dann reichte er mir die beiden
Arme hernieder, die ich knapp noch erfaſſen
konnte — ein Sprung — ein Nud -
jtand auf der ebenen Platte des Feljens.
Kräftigen Drudes jehüttelte ih dem Alten
unter danfenden Morten die dürren, aber eifen:
harten Hände.
„Nie zu danfen! Is gern g'ſchehen!“
brummte er und jchritt mir voran der Stelle
zu, an weldier meine Beute lag.
So hatte ich Gelegenheit, ihn zu betrachten.
Sein Gang war langjam; bei jedem Schritte
anf er in die Kniee, als trüg' er eine
ihwere Laſt am Nüden. Aus großen, knol—
ligen Edjuhen, an denen das Eiſenbeſchläg
wohl nad Pfunden wog, ranten zwei fteden-
Dürre, von grausrupfigen Strümpfen lotterig
umfclofjene Beine. Entgegen dem Tandes:
üblihen Gebrauhe trug der Alte eine bis
unter die Anice reichende Bundhoje aus ver:
wetztem, mit vielen Flicken überpflaftertem
Bodleder. Statt einer Joppe hing ihm über
Bruſt und Nüden nur ein vierediges Stüd
|
J
wann ich weiß, daß er nachher mein g'hört.
und ich No — und ich dank' halt recht ſchön — ja!
Und geben S' ihn nur gleich her — den Kerl!“
Bei dieſen Worten hob er das Tier an den
verſchränkten Läufen über den Rücken und ſtieg
dann mir voran den Reſt des Felſenhanges
empor.
Als wir die Kuppe des Berges erreicht
hatten, deutete der Alte aufſchnaufend mit dem
Bergſtocke nach einer Alm, die in kurzer Ent—
fernung vor uns in einer grasreichen Mulde
lag, und die ih vom Sehen wohl fannte.
iur S', Herr, in derer Hütten, da bin
-ja — id und mein Bua, der Seppei.”
„Wem g’hört denn die Alm?“
„Mir! Mir jelber!”
Ich überflog den Alten mit einem wägen:
den Blide — und er mußte aus der Art diefes
Blides wohl meine Gedanfen herausgefühlt
haben. Er fniff die Lippen ein, in feine roten
Lider fam ein fieberndes Juden, und während er
mit dem Kopfe langſam vor fi) hinnidte, fagte
214
£udiwig Ganghofer.
er: „Ja mein — wiſſen S’ — in frühere Jahr’, | Ueber einem hager aufgeſchoſſenen Leibe, deijen
da wär’ ich ſchon alles z' ftolz g'weſen, als daß
ich jelber an Senner g'macht hätt’. Aber jetzt
— du mein! Der Wind, warn er richtig blaſt,
nachher wirft er die didjten Baum’! Wifjen S’
— id hab’ halt viel Unglüd g'habt im Leben
— ja — viel Unglüd — viel! Da hätten
zehne dran g'nug g’habt! Mein — bei mir
hat's allweil 'was "geben, wo's Geld nur grad
jo g’flogen is. Und wie's halt nachher ſchon
is — da hab’ ich amal a klein's Kapital auf:
nehmen müflen. Und bei der G'ſchicht' bin ich
halt an’ Unrechten "fommen. Mein — der
Bauer iS halt in manche Sachen a dummer
Teufel — was verjteht denn der von fo "was!
Grab "zahlt und "zahlt hab’ ih — und doch is
dv’ Schuld allweil mehrer worden. Der Tropf,
der eisfalt’, der jpeggaliert halt auf mein Häusl.
No — wird auch nimmer lang dauern, nachher
g'hört's ihm —“
Da ſchlug dem Alten die Stimme um
und er mußte ſich mehrmals räuſpern, bevor
er weiter ſprechen konnte: „Ja — im letzten
Jahr’ ſchon hab’ ich die Zinſen nimmer z'ſamm'
bracht. Und heuer — du mein — da fehlt's
weit! Kaum daß man leben fann z' dritt. No
— wie foll’s ei'm denn da nachher noch a Sen:
nerin leiden? Mein’ Alte drunt’ fann fo "mas
nimmer dermahen — die hat all unfer Unglüd
noch ärger herg'rifjen als mih! Da bin ich halt
nachher jetzt felber heroben — id; und mein
Bua — der Seppei. No — gar arg aufg’richt'
bin ich freilich net mit ihm. Hüten fann er halt
— hüten — wiſſen S’ — font nir! Ja — in
meine Jahr', da fommt ei'm fo 'was hart an.
Aber mein — wird ſchon fo jein müfjen — das
— und alles andere. Ah ja!“
Mit einem puftenden Seufzer hob er den
für kurze Naft zur Erde gelegten Gemsbod
wieder auf die Schultern; mit nidendem Kopfe
und raunenden Lippen jchritt er dann dahin;
ich folgte ihm ſchweigend.
Als wir aus dem jtruppigen Grunde auf
das fteinüberfäte Weideland heraustraten, Jah
id) in geringer ferne inmitten der grajenden
Kühe auf einem verwitterten Yelsblode einen
Burfchen figen, welcher lange Schnüre zu einer
Zopfgeißel verflocht.
„Seppei!“ rief der Alte.
Da hob der Burfche fein Geficht, ließ ſich
vom Steine auf die Füße gleiten und Fam
uns fchwerfällig ſchwankenden Ganges entgegen.
j
1
070 nn mm — — — —
Arme bis nieder zu den Knieen reichten, ſaß
ein unförmlicher Kopf, an welchem die borſtigen
Haare faſt mit den Brauen verwachſen waren.
Die Ohren ſtanden weit ab; die Augen waren
kreisrund und aufgequollen; die naſſe Unter—
lippe hing bis über die Hälfte des Kinns. Der
Burſche war mit größerem Rechte nackt als be—
kleidet zu nennen; außer dem Hemde, das an
Hals und Bruſt weit offen ſtand und deſſen
Aermel bis zu den knochigen Schultern empor—
geſtülpt waren, trug er nur eine aus altem,
hellblauem Soldatentuche gefertigte Kniehoſe,
welche ſo kurz war, daß ſie ihm kaum mehr die
halben Schenkel bedeckte. An den von dicken,
riſſigen Schmutzkruſten bedeckten Füßen waren
die Zehen verkrüppelt und nach aufwärts ge—
bogen.
Sein Alter war nicht zu ſchätzen; er konnte
ebenſogut fünfzehn wie fünfundzwanzig Jahre
zählen.
Als er uns bis auf wenige Schritte nahe—
gekommen war, fing er, gegen ſeinen Vater ge—
wandt, mit beiden Armen zu geſtikulieren an;
dabei kamen aus ſeinem weitoffenen Munde, in
dem ſich die dicke Zunge ſchwer bewegte, wild—
kreiſchende Laute, die ſich etwa anhörten wie ein
immer wiederholtes: „Ai — laha —a—la— *
Aufmerkſam hörte ihm der Alte zu — er
mußte dieſe Sprache wohl verſtehen — dann
ſtrich er ihm mit zitternder Hand über die ſtrup—
pigen Haare und fagte: „So? So? Kreuzſaxen!
Das laßt dir net g’fallen! Ja — hau's nur recht
durch, wann's net parieren will! Ja!“
Der Mund des Burfchen verzerrte ſich zu
breitem Grinfen — und wieder begann er in
feiner Weife mit den Armen und mit ftammeln-
den Worten zu reden.
„So? Ya, ja — is ſchon recht!“ jagte der
Alte entgegen. „Aber gelt — Steiner därfit
mir fein feine net 'neinfledhten. Gelt — ver:
ſprichſt mir's. Ya — nachher Friegft morgen
'was 3’ eſſen — fo 'was Gut's haft ſchon lang
nimmer kriegt! Und jet geh’, Seppei. Geh’!
Geh’ zu! Sigft es — dahint' — 's braune Kalbl,
das will ſchon wieder weiß Gott wohin!“
Der Burſche folgte mit den Augen der an:
gedeuteten Richtung, fein Geficht färbte ſich
dunfelrot, ein zorniges Zittern befiel feinen
Kopf, und unter lauten, abgeriffenen Schreien
humpelte er zwiſchen den Steinen dahin, die
langen Arme drohend in die Höhe werfend.
Der Cetzte. 215
Schweigend jchritten wir weiter. Nach einer | „Kehren S’ net a bißl zu in meiner Hütten?“
Weile blieb der Alte plöglihd am Wege ftehen | fragte der Alte, als ich hier den Schritt verhielt.
und wandte fi zu mir: „Der Seppei — das | „isch hab’ an ganz an frifchen Buttern.“
iS der legte — ja. Wiſſen S’ — ſechſe hab’ | Ich fchüttelte nur den Kopf. Dann riß id)
ich g’habt im ganzen. Und,“ er fehrte fich wieder | aus meinem Tajchenbuche ein Blatt, jchrieb dar:
von mir und folgte langjamen Ganges dem wenig | auf einige Zeilen an den Förfter bezüglich der
betretenen Pfade — „g’wiß wahr — von die | Beitimmung meiner Jagbbeute und reichte das
andern fünfe war feiner jo — jo — fo — — | Blatt dem Alten.
Ja — da is einer fäuberer g'weſen wie der ander’ „So — das gibft nachher dem Förjtner.
— lauter ware, frijche Burfchen! Kreuzfaren — | Und jegt b’hüt did Gott, Midei! B’hüt dich
um meine Buaben war ja grad 's G'riß unter die | Gott!“ Als ich dem Alten bei diefen Worten
DeandIn. No — der erjte war bei der Mili- | die Hand zum Abfchied drüdte, ſchoß mir das
tari. Und da hat's ihm halt net "taugt. Ja — Waſſer in die Augen.
allweil iS er in der Straf g'weſen. Und amal „B’hüt Ihnen Gott, Herr! Und halt nod)
— da hat er Holz flieben müſſen — und da | amal an recht an ſchönen Danf —“
hat er fihan Finger abg'hadt. Da haben ſ' ihm „Nix zu danken! Is gern g'ſchehen!“
nachher 'naufdispadiert, er hätt's mit Fleiß Ganz unmwilltürlih waren mir des Alten
’than, damit da er frei werden thät! — no — | eigene Worte auf die Zunge getreten.
und da haben j’ ihn nachher eing’sperrt. Ja So trennten wir uns.
— und in der Feſtung is er verftorben — wiſ— ri 2
jen S' — in der Kränfung halt. Der zweite — *
no, das hat mehrer 'troffen — der is in Frank— Es war genau zwei Monate fpäter; in der
reich "blieben. Den dritten, den haben ſ' bei der | erjten Woche des Oktobers. Da ftieg ich wieder
Nauferei in’ Bauch 'neing'ſtochen — und da iS | zu Berge, um in der Nähe jener Gegend, in
er drauf'gangen. Der vierte liegt im See drun= | welcher mir die Hände des alten Mickei aus jo
ten — ja — und den fünften haben's mir beim | unangenehmer Lage geholfen hatten, auf Hirfche
Wildern derjchoffen. Mein, ich hab's ihm oft | zu jagen. ch hoffte mir guten Erfolg — es
g'nug g’jagt, aber er hat's halt net laſſen kön- war ja Brunftzeit.
nen. No — der Seppei — das is jebt der Der Tag war nicht allzuheiß — und dod)
legte — ja. Den hat man halt zu gar nir net | lag eine feltiame Schwüle in der Luft.
brauchen können — net zur Militari und net Ich brauchte mich nicht zu eilen; wenn ich
zur Zumperei — und drum is er mir ’blieben. | nur vor Einbruch der Dämmerung die Jagd:
No — es wird ſchon jo fein haben müffen! | hütte erreichte. Dazu hatt’ ih fünf Stunden
Wiſſen S', ich hab’ mich halt verfündigt gegen | vor mir, um einen Weg zu machen, den ic) ſonſt,
unjern Herrgott — ja. Wie's mit dem erjten | wenn es Eile galt, in der Hälfte dieſer Zeit
jo 'gangen is, da hab’ ich mir denkt, es wär’ zurücklegte.
mir lieber, wanın’s net der — fondern — wann So folgte ich gemachen Fußes dem beque:
— wann — — No — und jet — jest hab’ | men, ziemlich breiten Pfade.
ich dengerſt den Seppei lieber als wie alle die Im halben Wege ließ ich mich zu behag—
fünf andern. Mein — ich hab’ ja font fein’ | licher Naft unter einem weitäftigen Ahorn nieder
mehr — es is ja der legte!“ ins weiche trodene Moos.
Mir war es eisfalt am ganzen Leibe. Um Drunten in dem von fteil aufragenden Fel—
jo tiefer hatte mid) der Inhalt dDiefer Worte be: | fen umbordeten Thale lag jhon der Schatten.
troffen, als fie fo ruhig, gelafjen und gleich- | Hier oben aber ſchien noch die gelbe Nachmittags:
mütig geiprochen waren. fonne in das leife flüfternde Yaubwerf.
Nun aber verjtand ich diefe ſchneeweißen | Zu herbſtlicher Zeit ift der Bergwald am
Haare, diejes graue fteinerne Geficht und diefe | fchönften. Da gibt es in der Welt feine Farbe,
fümmerliche, gebrochene Geftalt. | die er nicht zeigt: jei eö an jeinen hundertfäl:
So etwas legt ſich freilich in die Kniee. | tigen Moofen und Flechten oder an feinen hun-
Da waren wir an der Stelle, an welcher | dertfarbigen Steinen, ſei ed an feinen welfenden
der nach dem Jagdhauſe führende Pfad ſich feit: | Blumen oder an feinen gereiften und reifenden
lid) abzweigte in das Weideland. Beeren, ſei es an den fnorrigen Ninden und
216
inmergrünen Nadeln jeiner Fichten und Föhren,
oder jei es an den weiß und grau erglänzenden
Stämmen und Aeſten feiner Buchen und Ahorne,
deren Blätterfarbe von dem lang bewahrten
Grün hinüberjpielt in brennendes Gelb und in
das tiefite Not. Und mit der einzigen Farbe,
die der Bergmwald jelbjt entbehrt, mit dem lich:
ten lachenden Blau überdacht der flare, wolfen:
reine Himmel das zahlloje Wolf feiner Bäume
und Steine.
Zange lag ich, die Arme unter dem Naden
gefreut, ſchaute träumerifchen Sinnes mit nim—
merfatten Augen in die Pracht, die mich umgab,
und achtete des mannigfachen Yebens, das am
Grunde und in den Yüften ſich reate.
Auf allen Aeſten huſchten, flatterten und
zwitfcherten die Vöglein durcheinander, die fich,
wohl bewußt der nun kommenden jchweren Zeit,
in doppelter Luft der letzten Schönen Tage freu:
ten; da ftrichen mit endlojem Gurren die wilden
Tauben, mit geſchwätzigem Kreifchen die Häher
von Stamm zu Stamm; da hadte und klopfte
der Specht, dafs jein roter Schopf im Eifer der
Arbeit nur fo zitterte; da jammelte und heimfte
das Eichhorn; da wimmelte alles Moos von
winzigem Getier — und die Fliegen und
Schnaken, denen ſchon die Flügel zu eritarren
begannen, wollten das Fliegen nicht laſſen und
flammerten fich deshalb mit allen Füßen an
die in den Lüften treibenden jilberglängenden
Marienfäden.
So lag id) und laufchte und jchaute, bis ic)
jählings aus meinen wohligen Träumen durch
ein Geräuſch erwedt wurde, welches all dieje
liebliche Harmonie recht ftörend unterbrad).
Es war das ein Schnauben und Puſten,
ein fchlurfendes Klappern langjam ſchwerer
Tritte, und das holpernde Rollen und quiel:
ſende Pfeifen eines ungeölten Nades.
Diejes Geräufh kam näher und näher am
höheren Steige; mid halb erhebend ſchaute
id) Laufchend den Hang empor, und jah um
die nächſte buſchbeſetzte Ede einen flachen nie:
dern Schubfarren biegen, welcher eine Laſt trug,
die einem Menschen nicht unähnlich war — num
erichten auch der Führer des Karrens: der alte
Mickei.
Ich konnte ihn nur aus der ganzen Geſtalt
erkennen; ſein Antlitz ſah ich nicht, denn das
hutbedeckte, bei jedem Schritte nickende Haupt
hing ihm tief auf die Bruſt hernieder.
Und der andere, der auf dem Karren ſaß,
£udwig Ganghofer.
mit rüdwärtö fallendem Kopfe, mit fteif über
die Lehne baumelnden Armen — das muste
Seppei jein.
War der Burfche krank? Hatte er fich bei
einem Sturze einen der Füße verletzt?
Näher und näher fam das ſeltſame Gefährt
— jet erfah mic) der Alte und nidte mir ftill-
ernten Grußes mit dem Kopf entgegen —
jest ſtand er vor mir und verhielt den Karren,
welder — nun fah ich's genau — eine Leiche
trug. Und welch eine Leiche! Es widerftrebt
all meinem Gefühl, dieſe Leiche zu ſchildern.
Ein graufiger Anblid!
„Mider, um Gotteswillen!“ fuhr mir's, in:
des ich von der Erde jprang, in jähem Schreden
über die Lippen.
„Um Gotteswillen ?* raunte der Alte,
die beiden eriten Silben dieſes Wortes fo eigen
betonend, mit einer Stimme, die halb. wie ſpot—
tendes Yachen, halb wie dumpfes Stöhnen Hang.
„Jetzt is alles ein Teufel!“ Und müde hob er
den Arm, um mit dem Nüden der Hand den
didaeperlten Schwei von feiner Stine zu
wiſchen. Dann nidte er mit dem Kinn gegen
den Toten, fehrte mir langſam die blutumrän—
derten Augen zu und jagte: „Da hauen S' her
— was fagen S' — han? Das war der lette
— jet is der auch hin!“ Er fuhr mit den
zitternden Händen unter den Xodenmantel und
rieb fich den gefrümmtenHüden. „D’Halsbräune
hat er kriegt — und wiſſen S' — bei jo 'mas
geht's halt g'ſchwind. Gejtern am Tag, da hat
er ſich g’leat und heut’ am Morgen, da war's
ihon gar mit ihm.“ Er fuhr mit den dürren
Fingern an die Yider und hielt fie eine Weile
zugedrüdt. Doc) jah ich feine Thräne auf feinen
Wangen — fie waren troden und welf. Seine
Züge zeigten nicht mehr jene jteinerne Härte;
fein Geficht fchien länger geworden, die Baden
waren hohl und jchlaff, die Schläfe gelb wie
verregnetes Heu, die Kiefer flafften, und Kleine
Schaumbläschen ftanden ihm in den Winfeln
des farblojen Mundes.
Ich wollte dem Alten ein Wort des Troſtes
fagen — und brachte feinen Yaut über die Yippen.
Da jtreifte jein blinzelnder Blid mein am
Ahornitamme Ichnendes Gewehr.
„Geht's wieder jaagern jebt? Ja, ja —
die Hirsch’ — fie fchreien woltern ſchon. Ja —
gleich Hinter meiner Hütten jchreit einer — a
rechter Teufel. Die halbete Nacıt lang hat ex
fein’ Ruh' net 'geben — grad g'ſchrieen hat er!
Der £epte.
Mein — ich hätt’ am liebſten felber g'ſchrieen!
Aber willen S’ —,“ wieder nidte er mit dem
Kinn gegen den Toten, „bald er g'merkt hat,
daß mid d' Ruh’ verlaft, da i8 er ganz
wild worden. Ja — er hat mid) gar arg gern |
a’habt. Warum auch net? Es hat ihn ja fonft
fein Menfch net mögen. Und — fo einer, der
braucht d' Lieb’ noch ehnder ald wie an anderer.
Ja — heut’ in der Naht, da hat er noch
g'ſagt: —“ Weit öffnete der Alte den Mund,
doch Schloß er ihn lautlos wieder und fchüttelte
den Kopf. „Mein — Sie fünnen’s ja net
wiſſen — ih aber — ich hab’ ihn ſchon ver:
ftanden — ich ſchon — ih ſchon — mein —
a Vater — und nachher — der legte —“
Kaum vermochte ich diefe Worte noch zu
verftehen; das war feine Stimme, fein Neben
mehr; es war wie das Gurgeln und Röcheln
eines Erftidenden. Ein falter Schauer rüttelte
meinen Naden. ch fühlte mich nicht mehr wohl
auf dem Boden, der mit mir zugleich fold einen
Jammer trug. Unmillfürlic griff ich mit beiden
Händen nad) Gewehr und Bergitod.
Der Alte nidte.
„sa, ja — derſchießen S’thn nur! Er fangt
ſchon zum fchreien an, lang vor’3 Nadjt wird.
A Mordsterl — a zwölfe muß er g'wiß haben!“
Nidend rüdte er den Hut und wandte ſich
von mir. „Komm, Seppei — fomm — jett
machen wir, daß wir heim kommen!“ Nunfpudte
er fauchend in die gehobenen Hände, rieb den
Speichel in die Schwielen und büdte ſich nad
den Stangen des Karrens. „Mein, Seppei —
was wird d’ Mutter jagen, warn ich dich bring’
— fo — bijt ja der letzte.“
Langſam ſchwankte er dahin — und in das
ſchlurfende Klappern feiner Tritte mifchte fich
das quiekſende Pfeifen des Karrenrades. —
Einmal noch hab’ ich den alten Midei ge:
jehen, doch nur von Ferne. Es war zehn Tage
fpäter. Ich ftieg nach erfolgreicher Jagd von den |
Bergen zu Thal. Am Abend zuvor war heftiges
Regenwetter eingetreten, und ic) mußte, da ich |
nun aus dem Walde auf die Wiejen trat, bis an |
die Knöchel im Moraft und im Sumpfe waten.
Da hörte id) von der Landſtraße her einen
heifer kreiſchenden Juhſchrei, an den fich mit
johlendem Gefange die Worte ſchloſſen:
Geh’, Weib, nimm a Au—a—ah, |
— —
Dem Schinder treib's zu—a—a,
Sonft kriegt unſer Bu—a—a
Zum Tanz feine Schuah!
217
Der jchwerfällige Jodler, der fi daran ſchloß,
endete in ein miauenbes Geheul.
Die Stimme war mir fremd und doch wie:
der nicht; in einzelnen Tönen klang fie mir fo
befannt.
Ich nahm meinen Felditecher aus dem Ruck—
ſack und juchte mit ihm die Straße ab.
Vier Menſchen fah ich gehen: zwiſchen zwei
Gendarmen einen alten hutlofen Mann, deſſen
Gewand und Haare von Schmuß und Waſſer
troffen; und Hinter den breien her wanfte ein
gebrechliches Weib, mit beiden Händen eine blaue
Schürze vor das geneigte Antlit prefjend.
Ich befchleunigte meine Schritte. Als ich
das Dorf erreichte, ſah ich vor dem Wirtöhaufe
die halbe Einwohnerfchaft des Ortes verfammelt.
Ich hielt einen des Weges Ffommenden
Bauern an: „Was hat’3 denn ’geben — han?“
„Mein — gar nir B’fonders — berftochen
i8 halt einer worden — a Güterhändler aus
Reichenhall. Den alten Weindler:Midei — gel:
tens, den haben ©’ ſchon 'kennt? Wiſſen S’ —
dem iS von dem Neichenhaller heut’ 's Häusl
verjteigert worden und 's ganze Vieh — ja —
und da find dem armen Teufel nachher grad
noch fiebundzwanz'g Mark blieben. Damit is
er ins Wirtshaus und hat fih an Schampani
geben laſſen — ja — und wie er 3' viel 'Friegt
hat, da hat er '3 Spedaggalieren ang’fangt. No
— beim Wirt haben ſ' ihn halt außag'ſchmiſſen,
daß er ſich nur fo fugelt hat in der Straßen.
Und wie's jett a dummer Zufall will, fommt
grad der Reichenhaller Häusljchnapper daher
— und da fpringt der Midei auf in der rauſchi—
gen Wut — und — no ja!”
Der Bauer machte mit der rechten Fauft
eine gar wohl verftändliche Bewegung.
„Wie's g'ſchehen war, da is er freilich völlig
dernüchtert — und wie d’ Leut' z'ſamm'g'rennt
find, da hat er grad allweil umeinander g'ſchaut
— wiſſen ©’, fo g'wiß wild — und g’rad in
ei'm Trumm allweil hat er g’jagt: ‚Wird ſchon
fo fein haben müfjen! Wird fchon jo fein haben
müfjen!‘ Erft, wie ihn d' Schandari padt haben,
| da is der Naufch wieder aufjabrodhen aus ihm
— und grad g'ſchrien und g’rebellt hat er! No
— jetzt haben ſ' ihn halt dahin! Ja — er dauert
‚ an jeden, der arme Kerl! Um denfelbigen —,“
er winkte mit dem Kopfe hinüber nad) dem
Wirtshauſe und näherte jeinen Mund meinen
Ohre, „no — ih will nie fagen — aber —
ſchauen Sie's nur an, wie j’ da bei'nander jtehn:
28
Därf.
218 Yleapolitanerin.
die Hälfte davon is ihm fhuldig g’wefen — | daß man dem Alten fein Weib jest von G'meinds
dem Leutſchinder! Das war einer — mein! Da | wegen verhalten muß. Jetzt ich ſag' allweil —“
jammert jett nachher freilicd feiner um ihn. „Hanſei!“ jcholl in diefem Augenblid von
G'rad der Bürgermeijter fhimpft — no —
wegen was iS er Bürgermeifter. Er denkt halt,
‚zu
MNeapolitanerin.
Bauer auf. „Das i8 fein fein’ gute! B'hüt
Ihnen Gott, Herr!” Er wandte fi von mir
und eilte mit langen Schritten feinem Hofe zu.
‘ch weiß nicht, wie es fam — ich mußte
ihm nachjehen, bis er verfchwunden war. Mid)
fröftelte. Das Wirtshaus in weitem Bogen um:
gehend, fuchte ich meine Wohnung auf. Dumpf
einem Haufe her eine fchrillende MWeiberftimme.
„Jeſſes! Mein’ Alte fchreit mir!” fuhr der
4
Bon Dürk.
und ſchwül fam mir die Stube vor. Ich öffnete
die Glasthüre und trat hinaus auf den Iuftigen
Balkon. Pochenden Herzens laufchte ih dem
feucht anziehenden Winde entgegen — und
meinte von einer fernen Höhe der Straße einher
die hohen, Ianggehaltenen Töne eines Jodlers
zu vernehmen. — Armer Midei!
— —
—— *
«3 Zur Seitgeſchichte. 20
Aus der Geſeſſſchaſt.
=D" GEntlarbung eines ſpiritiſtiſchen
Mediums durch feinen Geringeren
als den Aronprinzen und den Erbherzog
Johann von Defterreih hat in den weites
ften Streifen außergewöhnliches Aufſehen
erregt und den ſpiritiſtiſchen Schwindel
felbn bei feinen Anhängern arg diöfreditiert,
Wir benuben die Gelegenheit, auf ben
intereflanten Artifel Etindes über die Kunſt ·
Hüde der Spiritiiten zu verweilen, (®d, II
(1882), p. 102 d, 9.)
Paris iſt neben manden anderen
Standalen, in jüngfter Zeit aud der Schau
plag einer flandalöjen Spielgeſchichte
geworden. An dem eleganten Petitfiub,
der ſich aus der voruchmilen franzöfichen
Geſellſchaft zuſammenſeht und vom Prin«
en von Sagan · Talleyrand präfidiert wird,
t man entdedt, dab mit falichen Starten
gejpielt wurde. Bei einer Durchſuchung
der Alubbedienfteten fand man eine Menge
Gold und Wertpapiere und zugleib hun»
derte für Falichfpieler bergerichtete Karten«
fpiele. Die Hauptihuldigen find natürs
lich unter ben Mitgliedern des Alubs jelbit
wu ſuchen, ob man fie aber jemals heraus»
kommen wird, iſt noch jebr die Frage,
da der Diener wenigitens bis jehl jede
Austunft verweigerte.
Madame Maday, bie wie es ſcheint
ebenjo eitle als eryentriihe Gatlin des
amerifaniiben Stölus, bat den Sturm
der franzöfiichen Zeitungen gegen fi her»
aufbeihworen, weil fie ihr von Meiffonier
gemaltes Porträt vernichtet. Das Bild
foll wenig glüclich geweſen fein, und als
die Beitellerin fich weigerte, es anzuneh⸗
men, brobte ber Maler mit einer lage,
Frau Maday bezahlte darauf 70000 Frant
und verfuhr mit bein Opus wie angegeben.
Ausflelungen.
‚en Per if eine Ausflellung von Gr
CH jeugnifien der Goldſchmiedekunſt
eröffnet worden, in der fi unter anderen
bodintereffanten Etüden aud 7000 alt
ungarifhe goldene und ftlberne Kunft:
grgenftände befinden,
Die nãchſte alademiiche Ausftelung
von Werten lebender Künſtler des Ans
und Auslandes findet im Auguft und
September im Hauptgebäude ber Berliner
Spgieineausftelung ftatt.
Expeditionen.
=» Greely- Expedition, welche bes
fanntlih im Polarmeer verſchollen
ift, fon jeht aufgejucht werden, zu weldem
wede die amerilaniihe Regierung den
alfiihbampfer „Hope“ für 20000 Pd.
Sterl. erwarb. Bor zwei Jahren hat Eir
Alan Young das Schiff bereits zur Unter»
fügung der Norbpolarerpedition von Leigh
Smith benußt,
Fine Erpedition mit wiſſenſchaftlichen
und fommerziellen Zweden nah Ynner-
afrita wird von dem portugiefiichen
Marineminifterium vorbereitet.
Theater und Auſiſt.
9 aeniale Mlavierwirtuofe und Dirigent
Haus v. Billow hat jüngjtdurd einen
Ausfall aufdas Regime des Herrnv. Hilien,
Intendanten der fönigl. Bühnen in Berlin,
einen großen Sfandal hervorserufen. (fr
fongertierte im der deutſchen Neihshaupts
ftadt mit feinem Ordeiter und lich, nad»
dem er begeiiterten Beifall gefunden, ben
Marſch aus dem „Propheten“ fpielen, Als
aud mad diejer Leiftung nicht enden mol»
lender Jubel laut wurde, hielt er eine
Anipradie an das Publitum des Inhalts,
er hätte zeigen wollen, wie ber Marſch
arfpielt werben müffe, nachdem biejer jüngjt
im „Girkus Hilfen“ in jämmerlider Weiſe
„maflafriert* worden ſei. Diefe Art der
Kritil hat matürlih nicht verfchlt, Un«
millen bervorzurufen, jo ſehr aud alle
Ginfitigen von dem üblen Etand ber
Hofbühnen und dem fünftlerifchen Unver ·
mögen ihres Leiters überzeugt find. Fine
dfientlidhe Grllärung Hüllens, melde es
nicht verihmäht, Bulow kleinliche Motive
unterzufbieben, madt die Sade nidt
beiier, um jo weniger, ala Hülfen darin
erllärt, gegen Bülow in defien Stellung
als Hofjbeamter vorgehen zu wollen.
Dem Deutihen Theater in Berlin
fcheint nicht die glänzende Geſchichte feines
franzöfifhen Vorbildes beichieden zu fein,
Abgeiehen von mancherlei Miklungenem
im Repertoir, bat jeht eines ber zugfräf«
tigiten Mitglieder die Geſellſchaft verlaflen.
Fricdrich Haafe Faufte ſich durd Gr»
legung einer Summe von 17500 Marf
und die Verpflidtung, bis 1886 an feiner
anderen Berliner Bühne zu jpielen, von
feiner Mitwirlung am Deutihen Theater
frei. -- Die Peſſimiſten ſcheinen wieder
einmal Recht zu behalten.
Die diesjährigen BVorfiellungen von
Wagners „„Barfifal” in Bayreuth begin:
nen am 21. Nuli und dauern bis zum
8. NAuguft. Jeden zweiten Tag findet
eine Aufführung Statt. Der Umftand, dat
der Preis nur 20 Marl betränt, macht
aud weiteften Kreiſen den Beſuch möglich
und in der That liegen bereits jahlreidhe
Anmeldungen vor. Bon dem unverän«
derten, ja geiteigerten Imterefie an der
Wagnerſchen Kunit — die überall ftatt«
gejundenen Xrauerfeierlidfeiten am 13.
Februar — dem Fodestage Wagners —
berebies Zeugnis abgelegt.
Von Spielbagensneueflem Drama
„Berettet‘ jagen die „Hamburger Nach⸗
richten”: „Die eriten beiden Alte ſind vor:
treftlih, voll Schalt und Wirkung, ber
dritte und vierte Alt entſprechen jedoch
nicht denjelben und erregen eher unerquid»
liche peinigende Spannung. ald das Gefühl
der angenehmen, rubigen (Frwartung.*
Fine beihende Satyre auf die Eman ·
zipationdbeftrebungen der Frauenwelt
bildet ein in Bofton aufgeführtee Stüc—
„Der Geift des Jahres Bu oder die Frau
der Zufunft”. U. a. madt darin eine
Altertumsforiherin Die Entdedung. dab
Ehaleipeare ein Weib geweſen fei!
errigd „Nero“ — eine der vielen
Tragodien dieſes Namens — hat bei feiner
eriten Aufführung am Weimarifchen Haf«
theater einen Ihönen Erfolg davongetragen,
Der Dichter bat in dem Stüd mil grokem
Geſchid den Frägern einer verfaulten
Kultur die Träger der neuen fittliden
Weltordnung des ChHriflentume gegenüber«
220
geftelt. Das Publitum zeigte ſich durch
Diefe tiefergreifenden Gegenſätze mächtig
erichlittert
Don jonjtigen Novitäten find zu er»
wähnen: das vieraltige Luſiſpiel „Node ·
ri Heller‘ von * von Ehönthan,
welches im Berliner Schaufpielhaufe mit
Grfolg aufgeführt wurde, das Echaufpiel
„va banque* von Oslar Welten, eben»
fans mit Beifoll, und zwar in Königs-
berg aufgeführt, u. a. m.
&itteratur.
=D" Scriftftellerei übt wie es ſcheint
aud auf netrönte Häupter einen un«
widerftehlidhen Reis. Yu den manderlei
Schriften von irren önlidhkeiten,
welde uns die Ichten Jahre gebradit
baben, geiellte ſich ſoeben ein Bändchen
Gedichte „Poesias de Paz de Bour-
bon“, welche von feiner Geringeren als
der Pringejfin Ludwig Ferdinand von
Bayern berrühren.
Gegenüber dem berüchtigten Bude
8 reg — Ara‘ - yes
ellſchaft zeichnet as eben erſchie ·
nene des P. Didon über Deutic-
fand durd die chrlihe Abfiht aus, mit
der der Verfafier in unjere Verhältnifie
einzubringen beftrebt ift. Bor allem Tann
Didon nicht genug unjere Hingabe an bie
Größe der Nation und unfere Zucht und
Einheit rühmen.
Seitwiffenfdaft.
Sie Diphtheritis, namentlih für
3 Gliern ein Echredgeipenft der auf:
regendflen Art, bat in Berlin allein inner»
halb zweier Monate 1424 Perjonen er»
eriffen, von denen 562 flarben, Unter
die Mittel, die der heimtüdiſchen Arantheit
erfolgreidh enigegengeicht werden Fönnen,
rechnet ein engluͤcher Arzt die Einatmung
des Dampfes eines Gummibaumes. Die
Blätter der Eulalyptus werben ju dem
Zweck mit fiedendem Wa 323 der
dadurch entſſehende Dampf wird in feinen
Wirkungen noch unterftügt, dak man innen
den Hals des Patienten mit einer Löfung
aus Stahl und Glycerin pinfelt.
Gine wichtige Entdedung hat Bafteur
gemacht, dem es gelang, Hunde durch
Einimpfung anderer Mikroorganiemen
gegen Wutgift unempfindlich zu machen.
Entdedungen und Erfindungen.
Murſchwitz hat man am Fuße des
a) Berges Naal eine germanifce
Töpferwerkftätte entdedt. Die (Ent
dedung gewinnt dadurch an „Interefle,
dak man Scherben von einer Bildung
fand, wie fie bisher in feinem präbiftori:
ſchen Grabe gefunden wurden.
Die Außgrabungbarbeiten auf dem | |, ihrem „Geidäftsinterefie” bereifen. Audı
St. Georgöberg in Goslar ſchreiten
rüflig weiter. Nach dem bis jeht zutage
Geförberten darf man überzeugt fein, von
einem Bau Aenntnis zu erhalten, der das
früher entbedte Petersftift an Schönheit
nod übertrifft.
Argeblihb hat man bei Eonora in
Merito eine Pyramide von der doppelten
Höhe (4350 Fuß) der Gheopeppramide
entdedt, die aus Granititeinen gefügt if,
Eine Fahrftrage fol fi bis zum Gipfel
derielben binzichen.
Kapitän John Erichon hat nach lang-
jährigen Verfuchen endlich einen Sonnen-
motor erfunden, burd ben «5 mönlid
wird, die Eonnenwärme durch einen
Nefteltor zu fongentrieren und zur Er—
jeunung einer medaniihen Triebkraft
nubbar zu maden.
dur Zeitgeichichte,
zrilitärifdes.
& beutiche Heer bat jeit dem Kriege
1870/71 bedeutende TFortichritte gt
madt und eine heute eriolgende Mobil«
ar würde 300 000 Mann mehr auf
die Beine bringen fünnen, alö damals.
Außerdem könnte im Notfall nod eine
zweite Mejervearmee von 500 000 bis
600 000 Mann 2852* werden.
Die ruffif rmee wird in ber
lge bie Dienftzeit ihrer Freiwilligen
beutend verlängern, und zwar jo, daß
die biäher zu drei bis ſechs Monaten Ber:
—— nun zwölf Monate, die übrigen
fämtli 14, Jahr dienen müſſen.
In Spanien zählt die Infanterie
m Zeit 11 784 aktive Offiziere und 1427
Re Referve, die Eruppen befichen aus einem
en
aus einer
eer von 306327 Mann und
ejerve von 295 238 Mann.
Unglüdsfäle.
Dt Dynamit zeigt ſich als wahrer
Fluch, der auf unferer Generation
Taftet. u faum eine Woche, welche
nicht Kunde bringt von verheerenden Mir:
tungen, bie das furdtbare Eprengmittel
angerichtet bat. So berichtet man vom
Januar aus der apfolonie, daß in Tebeers
unmelt ſtimperley elf Magazine durd
33 Tonnen Dynamit, 7 Tonnen Schieß
pulver und 300—400 000 Patronen in
die Luft geiprengt wurden. Troßk biefer
enornen Maſſen von Sprengmaterial find
doch nur drei Menfchenleben zu beflagen.
Auf ein verbredheriiches Vorhaben iſt die
Donamiterplofion zurüdzuführen, welche
auf dem Biltoriabahnhofe zu London
—— Auch auf anderen Bahnhöfen
ndons wurden Palete mit Dynamit
gefunden, ebenſo ein joldhes dem Prinzen
von Paris zugefandt.
Eine Wajjerhoje bat in Lima große
Berwüflangen angerichtet, abgeſe von
Berluften an Menjhenleben wurden an
Saden für 500 000 Soles vernichtet.
Durd einen großen Brand, der auf
dem Moskauer Kaufhofe in Charlow
am 11. Februar ausbrah und zehn Mar
gazine in Aſche legle, find Werte von mebr
als einer Million Rubel vernichtet worbent.
Ein entiehlides Schidfal hat 150
Schiffer betroffen, die bei Aftradan auf
einer Gisiholle ins ſtaſpiſche Meer ges
trieben wurden.
Berdreden.
Berlin ift neulich ein Taſchendiebs
prozeh zur Verhandlung gefommen,
in dem die Hauptrolle eine Frau Pus⸗
mentierer ipielte, welche an der Spitze einer
nanzen Bande ftand und dieſe mit großem:
Geichid dirigierte. Sie verteilte die Rollen
unter die Mitglieder und lieh alle Mefien,
über die man genaues Berzeihnis Flibrte,
bejondere fehtlihe Anlaſſe wurden zur
Ausführung von Diebftählen wahrgenom«
men. Wie eb bei dielen Leuten moraliſch
ausjehen muß, beweiit die Stelle aus
dem Briefe eines Mitangellagten an
feine frau: „Die Geſchäſte gehen ſchlecht,
aber der liebe Gott wird ſchon
weiter helfen“!
Der in Wien jo viel Staub auf-
wirbelnde Projeh gargen den Profefior
— — — — —
— — —— — —— — — — —
—— —— —— —— —— —— — —— —
Dr. Neminar, der wegen betrügeriſchen
Handlungen und ſchuldbarem Banterott
vor den Schranken des Schwurgericdt®
ftand, hat damit geendet, dak N, mir
wegen ichuldbarer Grida zu ſechkmonat ·
lichem ſtrengem Arteſt verurteilt wurde,
Der Neuſtettiner Synagogenpro |
zeß, der bei den erſten Verhandlungen zu
einer Berurteilung der Angellagten führte,
iſt jeht zu Gunsten der lehteren entſchieden
worden. Sümtlidie Angeflagten wurden
en
frei .
tuttgart ift abermals der Schau ·
plah eines fredhen Raubattentates gewor-
den, bei dem leiber ber Angegriffene fein
Leben verlor. Am 23. Februar wurde
neun Uhr abends inmitten ber Altſtadt
der Pfandleiher Reinhardt erſchlagen, die
Ladentaſſe ausgeraubt. Der Ihäter iſt
noch nicht entbedt. — Noch graufiger ift der
Raubmord, der am 22. fyebruar in
Hermanuſtadt ausgeführt wurbe und
dem ein Regimentsarjt Friedenmanger,
nebft rau, Kind und Magd zum Opfer
fielen. — In Nöthen hat vier Tage vorher
der Rentier Dönide ih und feine ran
fin. — Ein € al, wie e& deren
hoffentlich wenige gibt, ift in der Perfon
eines verfrüppelten Bettlerd neulih in
Techau verhaftet worden. Der Strüpnel,
welcher fi) nur auf den Händen fortbe:
wegen fonnte, lohmte nad und nach jede
Mitleidige, die ihn auf feine Bitten ein
Stüd des Weges trugen, damit, daß er
ihnen den Hals durchſchnitt und fie beraubte,
Totenſchau.
hu Hutton Balfour, namhafter
F enalij Botaniker, Cuſtos des igl.
botaniſchen Gartens in Edinburg, ſtarb
bafelbit am 11. fyebruar.
Berghaus, der befannte Geograph,
farb im Februar zu Etettin.
Bernitein, Dr. 4., der 1812 in
Danzig geborene voltswirtihaftliheechrift«
fteller, farb im Februar zu Berlin, Der
Verftorbene ift befonders auch durch Be—
nründung der Berliner „Bollögeitung“
belannt geworben, die aus der ebenfalls
von ihm begründeten „Urmwählerzeitung“
hervorging.
Buͤchmann, Ph., bekannt ala Her
audgeber des in zwölf Auflagen erihiene-
nen Buches „Beflügelte Worte* jlarb am
4. Februar zu Berlin.
etewayo, der Fönig der Yulus
laffern, ift am 8. Februar in Ellowe
mit Tod abgegangen.
Ghenery, der Ghefredalteur der
„Zimee“, farb am 11. fFebruar in London,
riefen, v., jähfticher Staatöminifter
a. D., Harb am 25. fFebruar in Dresden.
Heyſe, Theod., verbienter Philologe,
flarb Ende Februar zu Florenz.
Kadri Palha, ehemaliger Brofr
vezier, farb als Gouverneur von Adrian»
opel am 11. Februar.
Arilan, par emer. in Neufladt
a. D., der Ichte Lühower, farb am 13,
Tebruar, 94 Jahre alt.
La Mode, auögejeicdneer Schau ⸗
fpieler und Iehter Schüler Goethes, ftarb
hochbetagt am 11. März in Wien.
Lüderit, Guſtav, ein mit Recht ge
feierter Aupferfteber, Profefior am der
Alademie der Hünite zu Berlin, ftarb da ·
ſelbſt 80 Yahre alt. x
Miültenhoff, Karl, auögezeichneter
Germanift, Profeſſor an der Uniderſität
Berlin, ftarb am 19. Februar dajelbit,
Motter, Friedrich, befanntals Schrift«
fieller, wie al& Weberjeher, ftarb am 15,
Februar im 83. Jahre zu Stuttgart.
Preöber, Herm., geibähter Novelliſt
und Augendfchrijtiteller, ftarb am 3. März
in Frantiurt a. M.
Die jranzöfiichen Generäle Ehramm
und Wimpfien, von denen der lebte 1870
bei Sedan eine grofe Rolle ſpielle, ſtarben
im ebruar.
ümpling, v., General der Sa»
vallerie, bis vor lurgem Kommandenr des
6. Armeelorps, farb am 13, Februat zu
Breslau, Geboren am 30. Dejbr. 1809,
Bollmar, Lud. Maler von Genres
bildern, jlarb am 1. März in München,
BAarT. 2 Urt EAnson. Ent
A|
ns
hen Kur, GE 5}
-
LP TH
— —
Unfer Hausgarten.
Ton 9. Kültig.
Die Sartennelhe.
eh der Rofe ift wohl die Nelle feit alten Zeiten die belieb ·
Steite Blume aller Aulturbölter, wwenigfiend Europas, geweien,
Wie Gartenbaudiretor H. Gaerdt in feinem ſchönen Buche „Die
Winterblume* nah Ovid erzählt, jol Diana einft in übelſter
Laune und unber
friedigt: von der
Jagd heimgelehri
fein, weil ein jun«
ger Edyäfer durch
die Tone der Schal ·
mei ihr das Wild
verjagt hatte; jorn«
enibrannt riß fie
ibm die Mugen
aus; aber bald
hatte die Reue fie
erfaßt, fie erinnert
fid, daß feine Aus
nen milb bittend
fie angeblidt, und
dieje will fie nun
veremwigen, fie wirft
fie auf ihren Ger
birgspfad. Saum
haben die Augen»
fterne den Boden
\ berührt, jo erheben
aus ihnen ſich duftende Blüten, das Mbbild des Auges mit
dunkler Iris (Megenbogen), An Frankrelch iſt Die Nelte feit
Sahrhunderten eine gebeilinte Blume, die —— von feinem
Kreuzzuge 1270 vom Morgenlande eingeführt haben fol. Epäter
nannte man fie die Blumedesgroken Gonde, dei Siegers
von Noccoy in den Ardennen (Louis IL le grand Conde,
aeb. 1621), der fie leidenjdhaftfid; liebte und für ihre Pflege be⸗
fondere Vorichriften herausgab; im feiner Fehde genen Mazarin
und Turenne madte er fie, bie hochrote Melle, unter jeinen
Soldaten belicht und zur Parteiblume und als foldye erblih in
dem Haufe Bourbon. Eelbit in der Echredenszeit der Revolution
von 1793 fpielte fie ihre Rolle: e8 wurde Eitle, daß die zum
Tode Derurteilten eine jolche beim Beſteigen des Bluigerüifles in
der Er trugen.
An England erjhien die Nele zuerft im 16. Jahrhundert.
Der Gärtner ber Königin Glifabeih (1558—1003) fol Die erjten
Ihönen Reiten aus Polen erhalten baben, und wurde bie Blume
der fofbarjte Ehmud der hohen Ariftofratie, man jagt, dak
für eine Nelle eine Guinee gezahlt worben fei, und ein Stranz
aus Nelken, den die Derjopin von Devonfbire bei einem fyeite
kun. 100 Guineen geloftet babe, — In Belgien iſt die Nelte
Noltsblume geworben, beſonders die der Arbeiter in den Stein«
tohlengruben, die ihre Lieblinge täglih mit dem Waſchwaffer
begießen, das fie wieder zu weißen Menjchen gemadt, nachdem
fie ihrer gefahrvollen Wrbeit
alüdlich entronnen find; fie ınei-
nen ihnen dadurch ein tippigeres
MWadhstum, ber Blume eine dunt«
lere Farbe verſchaffen zu könnten.
Die Arbeiterwitiwe aber erinnert
ſich bei ihrem Anblid wehmütig
ihtes Berluftes und dem jungen
Arbeiter ift fie Das Sinnbild des
bäuslihen Schmudes und der
Friedſertigleit. Auch in Atar
lien iſt Die Meife zur Dieb⸗
lingsblume de Molles gewor«
den; fie dient nicht nur der länd«
lichen ſchwarzhaarigen Schönbeit
als Schmud beim Weit, ſondern
iſt Überhaupt der Zalitman ber
Liebe. Eine gleiche Morliebe
für die Melle, aber nur für
die rote Blume, finden wir in
{ Spanien,
Auch im Deutfchland ift die Nelte, wenn auch nicht mit dem
Toltsleben verwadien wie in Belgien, Frankreſch und alien,
bei deu höheren Ständen beliebt und wegen ihre® Dufted ger
Ihäpt, und die Dichter erhoben fie zum Sinnbild der treuen
Freundſchaft, weil die Blumenblätter ihre Farbe nicht verändern;
Big ı1- Hilbedheimb Rirfen-KaiferKelke.
Big. 2, Strichnelle.
Lt — —
©. Hüttig. Unſet hausgarten.
221
aber als Erzieher und Pfleger haben ſich lange Zeit nur die
Geiftlihen auf dem Lande der e mit den jhönen Blumen
angenommen, und unter ihnen b Poete fi der Berein der Nellen»
liebhaber mit einem beionderen Wörterbuch für die Gigen«
ichaften ihrer Shühlinge und für die Zeihnung, Form und Farbe
ihrer Blume. Ihr
Dolinetiher war
Dr. Weißmantel,
der ſchon vor 100
Nahren dab von
Rudolfi, Hübner
u. a, fpäter er
vn Nellen-
pftem aufitellte,
Die beten Nelten-
züdjter aber finden
wir unter den
mbelägärtnern
iens unb ber
Stadle in Thürin-
gen, namentlich in
Grfurt tHaage &
Schmidt, Chr. Lo»
tveny u. a.).
Auch der Ders
fafjer dieſer Zeilen
liebt die Nelte fehr
und bat fid viele
Jahre bindurd mit
ihrer Anzucht und
Dilene beihhäftiat:
aber er gehört nicht
der Zunft ber Nels
tenliebhaber an; er macht deshalb auch nicht wie dieſe fo hohe An-
fprüde an bie Blume; wir lieben den Wohlgeruh und die Farbe
der Blume, aud; wenn fie die nicht ganz regelmäßigen Formen
der von Max Dergen jr. II.
in Köftrih angebotenen Riejen-
faifernelte (Fin. 1) eiat, die mit
ihrem leuchtend zinnobericar«
lachroten Farbenione das Auge
biendet und die auf der Garten«
bauausitelung in &iehing«
Wien 1880 ein Gertififat eriter
Alafie erhalten haben ſoll
Wir fragen bei einer jhönen
Nelte nicht mach der Klaſſiſita⸗
tion, wie fie die „Zunit der
Liebbaber* fordert, nit da⸗
nad), ob fie eine „Eaume* oder
„Deutibe" oder „Nömijche
Pilotieꝰ fei(Steichnielte, Frig, 2,
mit einer Zeihnungsfarbe auf
weißem ober gelbem Grunde)
oder eine „Pifott-Jrfotte* (mtit
wei Beihnungsiarben) oder
eine „Doubleite* (Bandblume,
Fig. 3, auf der die Zeichnung
durch das ganze Blumenblatt bis sum „Nagel“ läuft und breite
Banpditreifen bildet) oder eine „ Betufchte Blume“ (Faxe bejw. Feuer⸗
Fage von fax = Fadel mit der Zeichnungtfarbe in der Grund»
farbe verwaſchen; die Umterjeite
des Blattes ift immer weiß) oder
ein „Salamander“ mit der Zeich⸗
nungsfarbe als Bunfte über dem
ganzen Blumenblatt zerjireut;
wir gehen in der Slcherei jogar
fo weit, dak wie felbit die ein⸗
fache Nelte noch ſchön finden,
die wie feine der gefülten zum
elegant und leiht gewundenen
beuticden Blumenstrauß ſich ver⸗
wenden laäßt.
Und deshalb fünnen wir
auch der Anzjzucht junger Nelken
aus Samen bas Wort reben, der
nicht immer das erwartete Reſul ·
tat ergibt, aud wenn er von ber
dichtejt gefüllten Dlume gewon ·
nen wäre Dan ſchaffe fich quten
Samen von einem befannten
Neltenzüchter (5. B. einer der
oben genannte Firmen) und fäe ihn im Mai dünn in eine Mache
Scale, die man im Zimmer nod mit einer Glasjcheibe bedeck,
oder bie man in ein abgelragenes Miftbeet, auch wohl ins Ber
mebrungshaus ftellt; die jungen Plängden werden in andere
Schalen verftopft und dann ins Freie Yand des Gartens mit
dig. 4 Dianthur plumariun (fhotlifhe
gefüllte Federnelte, ©. 222..
Diantbus plumarlus
fi. pl. Achille (&. 22).
Bis. 5:
Ole. 8 Banbrelle (Zoubletien.
Dioitiz:
(OOgle
222
unter Erde verfeht, jo daß fie wenigftens 25 cm. Raum nad
allen Seiten erhalten, Weber Winter det man fie wenig mit
Laub, Eie blühen im nächſten Jahr, und kann man dann die
Pflanzen mit den jhönften Blumen in Zöpfe feen mit fräftiger
Erde, die aus altem ſtompoſt, alt verwittertem Kuhmiſt, Teich ⸗
—— mürbem Lehm, Sand und Meinen GHolztohlen beſtehen
ann.
Alte Stöde find nicht mehr ſchön, aber fie fünnen zum
Blüben im Winter gezwungen werden, wenn man fie im August
in Zöpfe jeht, bis zum Anwachſen feucht, dann trodner hält,
bei beginnenden Frojiwetter in einen fonnigen aber fühlen Raum,
aber vom De» Gartennels
jember ab in ten” (D. Ca-
einen fjonnie ryophyllius
gen warmen semper-
Raum, 3. ®. florens), die
an das Fen ⸗ man ebenfalls
ſter des Wohn⸗ aus Samen
jimmeräftellt, nr tann,
wo fie wieder I ft mit beir
mehr Wafier rer Ausficht
nötig baben Ku ein gutes
werben als in Resultat als
dem falten bei der erft«
Raume. beiprodhenen
Aber es gibt Gruppe. Will
eine Gruppe man aber eine
von Garien ⸗ ute Blume
nellen, deren halten, ſo
eigentlidye muß man bie
Blütezeit in Pflanze durd)
den Winter Stedlinge
fänt; dat find Gig. 6. Dianthus barbatus vermehren (Die
die „remon« oculatus marginatus, mübfame Ars
tierenden beit des „Ab»
entens“ fommt nur nod felten vor), was beinahe das ganze
abr hindurch geſchehen lann, am beiten aber im März oder
April, jedenfalls vor der Blüte, indem man furje fräftige
Seiten« oder Stodtriebe mit 2— 3 Blatipaaren mitten durch einen
Sinoten wagerecht abſchneidet, diefen bis 1-3 mm jpaltet,
ein Sandlorn in den Spalt ſchiebt, um ihm offen zu halten (alte
Nellenzücdhter nehmen hiezu ein Stüdchen Nellenblatt), dann die
Blätter zur Hälfte abſchneidet und die jo vorbereiteten Stedlinge
einzeln in 2, 3—4 cm weite Töpfe oder ju mehreren in arößere
Zöpfe, dicht am Nande, mit fandiger Heideerde fett, fie mit einer
Glasglode bededt und im Gewächthauſe oder Dimmer, gegen
die Mittagsionne geihüht, aufftellt. Beim Begiehen muß man
vorfichtin jein und die Glasglode nicht cher aufſehen, als bis
die Blätter (oder Dlattrefle) abgetrodnet find. Die Bewurzelung
beginnt nad 3 Wochen und feht man die Pflangen dann einzeln
in Zöpfchen, hält fie kurze Zeit in gefchlofiener Yuft und pflanzt
fie nach geſchehener Abhärtung ins freie Vand, wo man ihnen
35—40 cm nad als bis fie qut
allen Eeiten ausgebildete
Raum gibt, fie Blütenfnojpen
aber ſonſt wie jeigen.
die Sartennellen Gute Sorten
behandelt. Im von Remon«
Erptember tantnellen
pflanzt man fie find: Le Gre-
in 11-14 cm nadier, feuterrot,
weite Töpfe, bält President De-
e einige Leit graw, L’Her-
in geihlofiener mine und
Luft, beichattet Louise Zeller
fie, wenn nötig, rein weiß, Alc-
und ftellt ſie dann gatiöre jamt-
in einem fonnie
gen Raume mit
einer Temperns
tur von + 7 bis
100 ©. (6 bis 80
R.) auf, bringt
fie aber nicht eher
ins warme
Dig. 7. Dianthas Multiforus,
artig und dun;
felrot, F. Peter
weis mit firidh»
rot geitreift,
Christine Lo⸗
renz ift groß,
rojenfarbig und
dunkler geitreift,
Wohnzimmer, Kronprinzes-
sin Victoria ift arokblumig und rein weiß, Souvenir de la
Malmaison, zart Heiihtarbie, u, a. m.
Die fFedernelte (fFia.s, DianthusplumariusL.) bildet eine
weitere Öruppe von Gartennelfen, die befonders zu Ginfafjungen
von Vlumenbeeten, Wegen u. |. w. benüßt werben fünnen; fie
iind bedeutend härter als die andern Gruppen und nur bie feinften
Eorten, von deren die firma Haage & Schmidt in Erfurt uns
einige Abbildungen geliefert, dürften eine leichte Winterdede nötig
haben. Auch jie werden leicht durch Stedlinge vermehrt. Gute
Sorten find, außer der bier abgebildeten „Achille* (fig. 5):
Abbotsfordianus purpurroſa, Fimbriatus albus rein weil,
Ida Barber.
Nelly rofa, Virginal weiß und großblumig, Victoria ſchwarz -
purpur mit rein weißen Flecken, w. a. m.
Schlleßlich erwähnen wir nod einer Gruppe, der immer«
blühenden Hybridnelte (D. hybridus semperflorens
Hort.), vielleicht dasjelbe, was die Engländer die „Vielblumige*
nennen, twelde von September bis April ununterbroden ihre
ſchön gefüllten, würzig bujtenden Blumen entwidelt, jelbjt ohne
den von anderen Pflanzen geforderten Sonnenidhein. Die Blüte
iſt meiſt farminrot; doch vergeihnen H. Gannell & Sont
Swanley, Kent, England, von ihren D. multidorus (Fig. 7)
aud) folgende Sorten: Marie Part rein weiß, Striatus fleifch»
farbig mit weißen Strihen und Punften, Napoleon III. hoch-⸗
rot, Rose perpetual rofafarbig u. a. m,
Tradten der Beit.
Bon Pa Warber.
ennſchon dem Stalender nad der langerjehnte Frühling
* einen Einzug gebalten, verhindert die unbejtändige Witte»
rung unfere Modedamen body noch, die zu feinem Empfange an»
geihafften Neuheiten jpazieren zu führen,
Man trägt jet zumeiit noch farbige Euchfleider mit vollen.
dem Samtbejah, Belouröroben mit Marabouts garniert, einfache
Koftüme von grobem Linfey-Wolfey oder Anidersboder, nur mit
diden Seidentorbeln bejeht, Kaſchmirroben mit japanefiihen und
perfiihen Etidereien, und als Gleganteftes farbige Seiden- oder
Samtfleidber mit lebhaften Goldftidereien.
Die Mäntel find zumeift aus leichtem, gerauhtem Woll»
Hoff, aus Ottoman oder geblümten Samt gefertigt, eriterer mit
reichen Paflementericen, die Samt- und Seiden-flonfeltions vor»
waltend mit Federn oder
Stidereien beiegt. Breite
Ghenillefranfen, Pom-
pons, Spitzen oder Seiden-
Grelots umgeben den Rand
der in dieſem Jahre be«
fonderd reich garnierten
Umbänge Gin leichtes
farbige: Seidenfutter wird
am Rande mit fingerbrei«
ter Guipür beieht und
teitt, Scheinbar abiichtelos,
doch mehr als nötig herr
vor. Beliebt find nod
immer bie großen, fait
die ganze Figur dedenden
Redingotes.
Fin. 1 geint uns
einen ſolchen, ber aus
fanevasartigem marine»
blauen Stoff gefertigt und
mit breiten, gleichfarbi»
gen Samtftreifen beiekt
it. Mom Grunde bes
ftumpfen Etoffes heben
fih effeltvoll eine Art
Iheinbar im Zapifferie-
ftih ausneführter Blumen
ab, die den ganzen Dlan«
tel dbeden,
derartige ®ewebe „ Tapiſſe⸗
rieb*, findet fie momentan
Ihön, ohne ihnen, da fie —
ſeht auffallend find, eine m - -
längere Daurr voraube
fagen zu wollen. Der
Mantel iſt hinten reich
nefaltet, an der Achſel
auffallend Ihmal, mit Suwarow-flragen von Samt, bodr
ftehenden, halbweiten Aermeln, die inmendig mit Epiken reich
beieht find; vorn eine große Mantelichliefe von Sorallen, bie
mit der Farbe der Hutfeder und der des nur handbreit hervor«
fichenden roten Rodes übereinftimmt.
Den glüdlihen Beliterinnen echter Shawls aibt die dies ;
jährige Mode Gelegenheit, ihre Herrlichfeiten, die, ach! fo lange
undewundert unter Schloß und Riegel verwahrt blieben, in befter
Form zu zeigen. Die neue Fagon orientale wird aus indiſchen
yyau
Man nennt 2 Wer)
ii
—
die.
Trachten der Zeit, 223
ober türfilden Ehamwltühern derartig gefertigt, daß das Tuch
nicht zerichnitten zu werden braucht. Unſere Figur 2 zeigt den
binten in Puflen und fyalten brapiertn Shawl mit breiten,
feitwärts gerafiten Doppelärmeln und abidliehendem Eamtfragen
fo gut fikend, als ob das Ganze nady der Fiagur neichnitten
wäre; fogar die hochgeſtellten Achſeln, der geſchweiſte Rüden iſt
vollkommen jtilgerecht hergeſtellt, und dieſes ſcheinbare Wunder
dadurch ermöglicht, daß die Nähte jeſt unternäht, gebügelt und
an ev Eteden mit Samt: Pafiementerieen gededt find.
Ohne ſich aljo des Vandalismus jhuldig zu maden, wertvolle
Bi 1. la. 4. Big. 3.
Tücher ju zerſchneſden, werben unfere Modedamen jekt in der
Lage fein, ihre edlen Shawls wieder zu Ehren ju bringen.
Die neuen mit Gold durdftidten Roben find zwar für die
Straße eiwas u grell, als elenante Bejuchs» oder Geſellſchafit ·
toilette imdes ſeht beliebt. Fig. 3 ſiellt eine aus braunem
Surrahs gefertigte Robe mit polonäjeartinem Ueberwuri dar.
Der Rod ift bis hinauf mit ſchmalen, in Quetichialten gelegten
Volants gededt, der aus Ottoman gefertigte, durchweg in hand»
breite Falten gelegte Ueberwurf ift in der Mitte offen, fo daß
das Unterfleid zur Geltung fommt, vorn mit furzem goldgeitid«
tem Schutj, langen, nad unten ipik zulaufenden Goldbordüren
und einer Art Goldweite, deren Vorderteile ſaſt bis zur Dlitte
des Ueberwurfs binabreihen. Die Golditiderei iſt in Nrabeöten«
form mit feinftem Gold ⸗Soutache, der von braunem Seiden · Sou ·
tadye begrenzt ift, nefertiat.
Am Gegenfah zu diejer ettwas auffallenden Robe ftellt Fig. 4
eine einfache, doch ehr elegant ausjebende dar, Sie ijt aus
brofsierter Seide und paflendem Samt gnefertigt; unten ein Rod
mit drei Wolants von glattem Etoff, darüber ein Rod in band»
breiten Falten, Die unten augelpikt find und Samtſchlupfen
zwiidhen den Spitzen bervortreten lafien; nadı oben hin kurz
drapierte Tunique mit gleihartigen Eamtichlupfen begrenzt und
mit großer Samtrojette auf der Hüfte nerafft. Gleiche Nofette
auf der Achſel als Abſchluß des in der Art der Tunique travers
nefalteten Bruftteiles, das Samtmieder it tief ausgeidnitten,
ipik zn mit hohen Achſeln.
; ie für die Strahe beitimmten Koftüme werden mehr als
im — mit farbigen Etoffen garniert. Gin dunkles Blau ·
grün gilt als Modefarbe. Fig. 5 zeint uns eine ſolche aus
blaugrünem Kaſchmit gefertigte, mit perſiſchen Bordüren gar
nierte Nobe, deren Zaille mit Shawllragen und geitidten Latz
nearbeitet iſt. Der reich gefaltete Doppelrod ift oben rings
herum purfenartig gebaut, durch ein Band zufammengebalten,
das vorn in langen Schlupfen endigt. Der untere Rod beitcht
aus jivri breiten Pliſſees, die durch eine handbreite gejtidte Bor ⸗
düre voneinander getrennt find,
Man verſucht neuerdings — aud einmal die Probe von
dem Gegenteil — die vorm fradartig *2 Zaillen (Fig. 6)
in Aufnahme zu bringen. Namentlich für ſtarke Figuren if
diefe Zradıt ſehr kleidend umb dürfte wielleicht in Streifen der
Banting-Berehrerinnen Aufnahme finden. Unier Koſtüm (Fig. 6),
wie die zuvor ffigzierten dem Atelier der Dime, Haizinger (Wien)
entnommen, ift aus braunem Diagonal nefertint, der Mod bo
tronffiert, die Taille mit goldgelbem Paſſepoil umtandet, hinten
auf der Zournlire aufliegend, vorn in langen fradartigen Schößen
endinend.
Die neueften Frübjahröhüte zeigen einen Reichtum an echten
Epiken, Federn und Jalbperlen, daß man flaunt, wie all dieſe
Serrlidfeiten auf der winzigen ſtopfiläche Plag finden fünnen.
Die Gapottes find weniger Uein alö im Winter, hoch geſchweift,
innen vol garniert, mit breiten Spikenbarben abſchließend
Hite für junge Mädden werben entweder aus gejonenem Seiden-
ftoff, aus —— Tuüll oder durchſichtigen Chenilleborten in
möglihft freiftchenden, an einer Seite aufgefhlagenen Formen
efertigt. An Stelle der feinen Federtocques ſieht man lange,
ajt bis zur Hälfte des Riidens berabhängende farbige federn
tragen; auch Federrüſchen längs der engliſchen Baretts,
Wie ih draußen in ber Natur bie lieblichen Hinder Floras
nod nicht bervorwagen, fo treten fie aud nur vereinzelt an
Hutgarnituren auf. JR ihnen bie Quft noch zu raub? Wollen
fte erſt dann in voller Pradt erſcheinen, wenn aud ihre
Schweilern in Flur und Au ihr Wieberauferfiehungsfeit gefeiert
haben? Faſt ſcheint es jo; die ſchon jeht im einzelnen Typen
Dia. n. ie
borrätigen Eommerhite find fait mit Blumen überladen; man
fieht jogar Gapottes, die ganz aus Heinen Streublümden ju ⸗
fammengelceht find, andere, die Statt der Bänder Blumenguirs
landen baben, welch Ichtere man unter Dem Kinn Mnüpit und
dann als Tarllenfhmud herabfallen läßt. Doc, noch ift fie ja
nicht da, Die von Roqueties Didtermund jo ſchön befungene
noldene Roſenzeit, in der man dirfe Herrlichleiten tragen wird;
bleiben wir einfitweilen bei der Betraditung unierer nicht minder
elegant ftilifierten Tull ⸗· und Stoffhütden, an denen ich in diefer
Sarjon beionders die foitbaren Flach -und Blajcitidereien, die
reigeriden Perlennähereien hervorheben möchte, die den faum
bandgroken Hüten oft einen Lunfitleriihen Wert verleihen, Schr
in Aufnahme find aud die ans Goldſäden geflochtenen Hut:
formen, die man, um dem arellen Schein zu mildern, mit ſchwarzen
Marabouis garniert, deren einzelnen Fädchen ſchwarze Perlen ein«
nelnüpft find. Aeltere Damen fangen wieder Damit an, die chedem
beliebten weißen Hutruſchen zu tragen, Ob die Jugend folgen
wird? Man findet, daß die Michen olt maden; Grund
genug nerabe jeht, wo die Mode auſchließlich jugendliche Trach⸗
ten beglinftiot fonar feinen Anitand nimmt, die Matrone in
derfelben Tracht wie das eben erit in die Geſellſcheft eintretende
224
ſechehnjährige Tauſendſchönchen erſcheinen zu laſſen, daß bie in
Unrenung gebrachte Neuerung nicht durchdringen werde,
ung ſein! iſt die Parole; und wer es nichtmehr fein kann,
der verſuche es zu fcheinen!
So wenigſtens iſt das Streben jener nad Gunbertiaufenden
zählenden Frauen zu verflehen, die Zeit und Geld und Bequem«
lipleiten opfern, um tro& alledem und alledem — feſch aufzutreten.
Dafuranfalten in der Häuslichkeit.
Bon
Dr. Karl Auf. ')
5. Stubenvögel. (a. Der goldgelbe Sänger.)
Anjährliih finden in Deutſchland viele Hundert Bogelaus«
ftellungen flatt. Wir haben ja auf den Gebieten der Vogellunde
und »Liebhaberei, der Geflügelzucht und des Geflügeliports in
Deutihland, Oeſterreich- Ungarn und der Schweiz wohl gegen
fünfhundert Vereine vor und und alle wetteifern darin, in
immer größeren Streifen des Publifums Anhänger für ihre Bes
ftrebungen zu werben. Bei allen diefen Ausitellungen aber
werden Stanarienvögel als zahlreihe und nicht felten ſogar
als —*—— der Verloſungen verwendet, und in der That,
fie dürfen als ſolche leineswegs fehlen.
Wenn in ben Meinen und minder wohlhabenden Vereinen
auch immerhin geringwertige Ranarienvdgel mafienhaft als Ger
winne gegeben werben, To ſetzen die größeren und bebeutendberen
Bereine doch auch eine Ehre darein, flets einen ober mehrere der
toftbarften Harzer Kanarienvögel, im Wert von 75 Mark und
derüber als Hauptaewinn zu ſpenden.
Da tritt uns nun aber von vornherein eine trübjeline Er-
ſcheinuug * Troh des auferordentlihen Auffhwungs,
weldyen die Liebhaberel fir den Kanarienvogel im allgemeinen
allenthalben und vornehmlih in Deutihland in den lehten
Jahrzehnten gewonnen, gibt es boch nur verhältnismäßig wenige
begeifterte Berchrer und Kenner des Harzer Vogels, die zu
ermejjen willen, dab derjelbe zu den —E Sängern gehört,
welche wir unter den Stubenvögeln überhaupt vor uns haben,
alte übrigen jehen den Stanarienvogel eben als einen allbefannten
Gaft in der Häuslichleit an, dem gegemüber fie weder bejondere
Rücſichten zu nehmen, nod außergewöhnliche Vorſicht zu beachten
brauchen; und boch geht er, wenn ihm ſolche nicht zu teil wird,
nur zu leicht zu Grunde. Ueberaus einfach, mühe und koftenlos
int feine Verpflegung, trobdem vermag er fih nur dann feine
wertvollfte Figentümtlichleit, den abjonderlihen herrlichen Ger
fang, zu bewahren, wenn man ihm bie erſtere mit Kenntnis
und Verlländnis angedeihen läft.
Bedenken wir, welche ftaunenswerte Fülle von Sadıfenninis,
Ausdauer, Geld: und Zeitopfern dazu gehört, um einen ſolchen
vorzüglihen Sanger in feiner möglichiten Bollommenbeit aus»
jubilden, fo bedauern wir es einerjeitd von nanjem Herjen,
wenn berjelbe in der Hand des Unfundigen erbarmungslos ver
fommen muß, und wir mödten entſchiedene Berwahrung dagegen
einlegen, dab gerade er zum Anlodungsmittel bei einer Vogel«
Lotterie dienen foll; erwägen wir dann aber im Gegenſah Dazu,
daß die Gefahr für den Sänger unſchwer abzuwenden ift, wenn
wir nur guten Willen vorausiehen dürfen und zwar gleicher
weife bei den ey welche die Bogelauzftellungen veran-
ftalten, wie bei den Empfängern, welche die Bögel gewinnen, fo
fehen wir anderjeits mit Vergnügen ein, dab die Schwierig«
keiten fih wohl überwinden lafien und daß wir gerade den
noldgelben Hausfreund als einen der Vögel, welde am bejten
dazu geeignet find, die Liebhaberei für die gefiederte Welt in
den weiteiten Areifen zu verbreiten, anerlennen und mit Freuden
begrüßen dürfen.
Bor allem folten die Veranſtalter von Bogellotterieen es
ji immer angelenen fein laſſen, jeden Empfänger eines Harjer
Hanarienvogels über alle Figentümlidjkeiten besielben zu belehren
und Anleitung zur jahnemäken Verpflegung zu geben, nicht
minder aber jollte der glücliche Gewinner — wenn er es nicht
vorzieht, den wertvollen Vogel ſogleich zu verlaufen — ernſtlich
dahin ſtreben, die nötige Aenntnte ſich anzueignen.
Von diefem Gefihtapunft aus will id im nadjiehenden die
entſprechenden Anleitungen geben und zwar mit nachdrücklichem
1} Bal, Seit 6 dieſet Jahrzanges.
Dr. Karl Ruf,
—— darauf, daß ber —— dann, wenn man ſeine
jachen vedůrjniſſe fenmt und diefelben mit beftem Willen zu
edigen ftrebt, in fo vollem Grade wie nur wenige andere
u als wilfommener Gaft in der Häustichkeit fi zeigen
Wie bereits erwähnt, werden wohl jahlzeide Leſer meinen,
daß folde Auffaffung von vornherein nicht der Wirklichkeit Rech⸗
nung =. denn ben Stanarienvogel, der bereits ſeit 300 Jahren
bei uns in Deutſchland heimiſch und Gaft faft in jeder Däuß«
—— iſt, kennt ja u A wohl —— —— ke
leitung zu feiner Verpflegung jei daher wahrlidy ü üſſig.
Dies Py lea oder doch wenigſtens im allgemeinen ridtig,
nämlid dem gemeinen beatidex ftanarienvogel
—— In betreff feiner weiß man, daß er im erſten beiten
auer, oft agenug fogar im winzigften und unbequemften, bei
Wind und Wetter draußen auf dem Blumenbrett ober vor dem
‚Fenfter und felbft bei großer Kälte drinnen am fFenfter, im
dunftigen, ſchwülen, raudigen Stübchen, wie im zugigen Bor«
—— einfach mit Hanf und allenfalls ſogenanntein Hangrien ·
utter (Rüb», Sanarien- und gequetichter Hanffamen) gefüttert
und bin und wieder mit Zuder, Kuchen, Safjeejemmel, ar:
toffel und allen möglichen anderen Yedereien verjorgt, wohl
zwanzig Jahre und darliber gut ausdauert. Will man ihn
indejien nit bloß im einzelnen Ausnahmefall, fondern unter
allen Umftänden gefund und lebenskräftig erhalten, jo füttere
man ihn einfad bloß mit gequetichtem Hanf, Kangrien · und
Nübjamen zu gleihen Zeilen, nebft etwas gefpeljiem Hafer und
gebe ihm zur Grquidung hin und wieder ein Apfelſchnitichen,
etwas Salat oder Vogelmiere und als Leckerei ein Stüdchen
Yuder; alle übrigen unnatürlihen Nahrungsmittel halte man
ihm durchaus —— Die Hanflörner müſſen an jedem Tage
friſch, vermittelft eines Rollholzes oder einer Mörterteule auf
einem Hadbrett nur angelnicit, nicht aber zu Echrot zermalmt
werden. Alle diefe Sämereien müſſen im vorziiglichiten Yuftande,
nit aber in dem erwähnten Gemiſch wohl gar jhon alt und
ranzig geworben oder hart getrodnet fein. Ferner wolle man
bedenten, dab es geradezu eine Zierquälerei ifl, wenn man
den Stanarienvogel in einem ju engen Käfige hält. Man möge
micht eimwenden, daß er ja von Jugend auf daran gewöhnt ift,
im Heinften Raum zu fihen, fondern immer bebenten, daß er
bei ausreihender Bewegung ih nicht allein wohler fühlt, fon»
dern auch beſſer gedeiht. Der Käfig für dem einzelnen Hanarien«
— ſollte 30—50 cm hoch, 30—40 ein lang und 22—28 cm
ief fein,
Wollte man in ganz gleiher Weile den Harzer Kanar
rienvogel behandeln und verpflegen, jo müßte ſich daraus
ergeben — wie es ja in Wirklicjleit bei Unkundigen leider nur
zu oft geſchieht —, daß der Vogel, ſelbſt wenn er dabei nejund
und am Yeben bliebe, doch die Stimme und jomit den herrlichen
Gejang einbüßen würde, Wer, hingeriffen von dem Genuß an
der Löltlihen Yeiftung des Sängers einen jolden anſchaffen und
halten will, bezw. wen der Glüdsfall bei einer Yotterie ibn
zugeführt, foll vor allen Dingen dod prüfen, ob er auch twirf«
lich in der Nage kit, die immerhin geringen, aber um jo mehr
beveutungsvolen —— zu befriedigen, welche die Pflege
des Vogels an ihn ftellen wird. Zunächſt darf biejer geficderte
Gaſt, in Anbetracht defien, dab er im Harz ſowohl, als auch
in anderen Züchlereien leider durchgängig in einer hohen Tem—
peratur und zwar von 18—24 Grad R. gezüchtet wird, feinen«
falls von vornherein in einem tüblen oder gar nahfalten Raum
beherbergt werben. Man bat ihn vielmehr ſorgſam vor jeber
Ertältung dur plößlices Einfen der Temperatur zu bewahren.
Das Zimmer, in weldem er gehalten wird, muß eine möglichſt
hohe, vor allem aber gleichmähßige Stubenwärme haben, welche
auch zur Radıt nicht unter 16 Grab R. finten darf. Ganz
allmählih erft gewöhne man ihn dann an eine geringere bis zur
gewöhnlichen Etubenwärme von 15 Grad R. im Durchſchnitt, Die
aber nachts doch Feinesfalls unter 14 Grad R. ſtehen darf. So⸗
dann gewähre man ihm einen rubigen Stanbort, wo er vor
Schrect und Beängftigung, insbrfondere aber auch vor YJugluft
bewahrt ift.
Der Käfig für den Harzer Kanarienvogel (f. Abb.
S. 225) ſei von der vorhin angegebenen Größe, nad Geſchmad
und Belieben hübſch auögeftattet, immer aber einfach = elegant
und nicht mit unnötigem Prunk überlaben. Seine Geftalt jei,
wie die Abbildung zeigt, länglich vieredig, das Veitel laͤnn aus
edrechſelien und polierten bölgernen Säulen, auch aus cin»
achen SHolsfläben oder am allerbeiten von verzinntem Drabt
fein; im eriteren Fall ift das Gitter dann aud von Diefiinge
draht mit raſch und ungemein hart antrodnendem japanehiden
Ya geſtrichen, jo daß es jeder Feuchtigleit widerficht, feinen
Grüntpan anjeht und pradtin ausjicht; im lehteren Fall ift
es aus verzinntem Draht, Während der Sodel je nad der
Ausftatiung auß poliertem Holz oder Weißblech angefertint wor ⸗
den, muß die Schublade felbitveritändlid jedenfalls von Metall
fein. Als eine praltiſche und zugleih ſchöne Vorrichtung er»
ſcheinen die mit mattgeichlifienen Werzierungen auegeftatteten
E : u
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& ii R
= Hl Fr. i
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—IV
18
Der geftirnte Himmel im Monat Mai.
Glasſcheiben, welche die unteren Wände des Häfigs bilden; fie
verhindern, daf Sand, Hülfen u. a. verftreut und bie Stuben»
dielen verunreinigt werden. Die Anordnung der fyutter- und
Trinfgefäfle, deren erfleres eine ftappe von ze bat, damit
der —— die Körner nicht herauswerfen fann, ferner die der
Eprungbölger und der Schaufel (meld lehtere aud füglich fort«
bleiben darf) ergibt die Abbildung,
Auch die Yütterung des Kar
3 andere fein als die feines
uptſache nad in dem vorzüglicften Sommerrübjamen,, joviel
der Vogel eben freflen will, nebſt einer täglidhen Gabe von
trodenem Löffelbistuit vom Stonditor oder einen Meinen
Theelöffel vol von Böderjhem —— Diejes letztere beftcht
einfach in gleichen Zeilen von hart tem, auf einer fauberen
Neibe fein geriebenen Hühnerei (Gimweif und Eigelb zujammen)
und — enbrot —— Semmel oder Weden,
altbaden und *
oder auch im M *
ſtohen), beides ee
untereinander
daß es eine m
lodere Maſſe bildet. Wer
die Mühe der täglich fri«
ſchen — —*
ners ſcheut, kann, wie
Fu
erwähnt, den Köffelbisfuit
reihen, doch follte man
dann wenigftens alle drei
bis vier Tage mit einer
etwa bohnennroken Gabe
von blokem bartgelodten
Eigelb abwechſeln Wenn
der Harzer Kanarienvogel,
etwa durh übermäßi
Gejangbleiftung angegrife
cheint und bei vor«
r Unterfuhung
einen ſpihen Brufttnoden
zeigt, jo darf man ihm
aud, inöbefondere aber
im ES pätiommer vor der
—— tãglich einen hal ·
Theelöffel voll ger
—2 Hanflamen bie»
ten; jonft aber feinenfalls.
Um bie Darjer Hana»
rienvögel zum herrlichen,
leihmäßig ruhigen (bes
ns zu —— werden
" meiftens in verdedten,
und qut verbunfelten
rY gen gehalten, Wer
feine Slenntnis dieſer gan ·
kn. ‚Bogeljudt hat, eradı-
et das erwähnte Beriah«
= wohl für eine Tier
auälerei; eine ſolche iſt
es aber thatfählich nicht,
denn einerjeits fühlen fich
die Vögel dabei ja augen»
ſcheinlich wohl, denn fonit
würden fie doch wahrlid
ihren wundervollen Ges
fang nit mit foldem unendlichen Eiſer üben und amderjeits
liegt darin auch die einzige Möglichkeit, um fie zu folden
Gefangstünitlern zu erziehen; wenigftens in lehleres die weit»
verbreitete Meinung, welde freilich einige der hervorragendſten
Kenner nicht teilen. Gleichviel aber, wer audy recht habe — id
will das Syalten der Harjer Ranarien in verdunfelten Stäfigen
feineswegs empfehlen, nur den Rat muß ich bier anfügen, daß
man einen foldyen Gaſt, wenn er zu ſehr zu ſchreien anfängt,
mwenigftend mit einem leichten leinenen Tuch bedede und nur oben
am Gitter eine Oeffnung freilaffe. Dieſes Berfahren ſchadet
ihm nichts, Führt ihn aber dazu, daß er wieder rubiger, mit
mebr Sammlung und größerem Gifer feinen Gefangsitudien
obliene
Die Kanarienvögel von den Raffen, welche nicht als Sänger,
Sondern vorzugsweile oder hauptjädlid als Schmudvönel gehal ·
ten werben, wie es ja im weſentlichen auch mit dem Stanarien«
vogel von deme iner deutſcher Raſſe der Fall iſt, find im all«
gemeinen fo zu verpflegen, wie der lehtgenannte. Es find ber
Nanarienvonel von holländiiher Naife (Trompeter,
Pariier, Lord Mayor, Brabanter, Brüfleler) und die engliſchen
Kanarienvogeld muß eine
ertwandten. ie beſteht der
in IN! ii)
Vogelbauer für Kanarienvönel.
J
225
Farbenkanarien (Norwich-, Yorlſhire-, Londoner, jimt
braune, Lijards⸗· Lancaſhire ⸗ oder Riejenfanarienvogel) und
außerdem bie lefsteren in allen N ne dur Gayennes
pfefferfütterung orangerot gefärbt
Die Holländer werden einfadh mit Kanarienſamen nebft
ugabe von ein wenig Hanf und die leeren nur mit Stanarien«
amen gefüttert.
Den englijhen yarbenfanarien gibt man, falls fie durch
Sieteefätterung —5*— werden ſollen, vor und während der
Mauſer ein ichfuttergemilch, welches in folgender Weiſe zu»
bereitet wird: beften friichen roten Gayennep ‚ feinft gepulvert,
einen gehäuften Theelöffel vol, bringe man mit einem hart ·
gelochten, fein zerriebenen ühnerei und einer gleihen Menge
von üßem, ſchwach angefeuchtetem Bistuit zu einem frümeligen,
feinesfalls ſchmierigen Gemenge zujammen und davon befommt
jeder Vogel, joviel ald er eben verzehren will, während ihm
die Körnernabrung mog ·
lichſt oder gar ganz ent»
zogen wird.
Es ift felbitverftänd«-
lich, daß ich bier auf alle
Ginzelpeiten nicht naher
er eben und insbefondere
ih feine Anleitungen
—* die Züchtung aller
diefer Stanarienvogelrafien
geben lann; ich babe bier
nur die Befihtepunfte ins
Unge zu faflen, ‚von
denen aus man dem eine
rm ——— wie dem
rchen anarien als
Schmuckvögel ein behag ⸗
liches Dafein bieten fol,
jo daß aud) der anarien-
vogeltäfig in der Reihe
der Naturanftalten in ber
Hauslichteit voll und ganz
feinen Plak ausfülle,
für Die Liebhaber,
welde fih damit aber
nicht begnügen, fondern
auch Anleitungen dazu
aben wollen, wie
anarienheden einrichten,
wo jie die entiprechenden
Näfige, fFpttermittel u. a.
und namentlich die ver-
ſchiedenen Vögel jelber am
beiten beziehen können,
feien auf mein Bud „Der
Stanarienvogel® (4. Aufe
lage, Magdeburg 1884,
Preis 2 Mark) verwielen.
—
Der geſtitnle Simmel
im Monat Mai.')
In diefem Monat
find die Abende zur Der
obadıtung des geſtirnien Himmels nod durchweg günftig, obgleich
in der eriten Hälfte der Mondſchein jtören wird, da am 2. das
erjte Biertel, am 10. der Vollmond eintritt, während der
Neumond auf den 24., das lchte Viertel auf den 31. füllt.
Merkur iit während des Mai nicht zu jehen, denn am 17
fommt er in untere Honjunftion mit der Sonne.
Venus dagegen fommt erft 3 Stunden nad ber Sonne in
den Meridian und erreicht überhaupt als Abenditern ihre größte
öftlihe Ausweihung von der Sonne.
Jupiter gebt immer früber unter, man muß ibn baber
ipät abends in der Nähe des weltlichen Horizonts fudsen,; Saturn
endlich ift ganz unfidibar.
*; Auf viele Anfragen teilen wir hlerdurch mit, daß die Eiern.
farte, melde dem eriten Seite beigegeben war, audı für neueintretenbde
Abonnenten oder Solche, denen das Blatt abhanden gefommen ift,
gegen Giniendung von 30 Pfennig In Briefmarken durch die Derlagb:
handlung dieler Zeitſchriſt zu beziehen ift.
29
3 Bum Kopf⸗Zerbrechen. 2»
Rebus.
Fin Näffel Goethes.
Dem Buchhändler Conrad in Gotha danken wir die Mit-
teilung untenfichenden Rätjels. Er macht zu demjelben folgende
Bemerlung: Diejes Gedicht fand fi abſchriftlich in ben Papieren
des verjtorbenen Grafen Friedebald von Saliſch mit folgender
Notiz: „Ungedrudtes Gedicht von Goethe. Mitgeteilt von Fräu⸗
lein Sophie von Schlotheim. 18. Februar 1859. Ihr mitgeteilt
1828 von Mad. Biewweg geb. Campe. * ,
wei ftile Ece'n, der Himmels reinfte Spiegel
ohnt ein Geiſt, der Milo’ und Hoheit eint,
Nicht Bäume, Büſche, nicht begrünte Hügel,
Des Geiftes Bild iſt's was darin eriheint,
Und nahſt du dich mit ſtill beſcheidnem Blid,
Strahlt dir dein eigen Bild verſchönt zurüd.
Und Perlen wohnen in den tiefiten Gründen,
Due Fiſcher nur die wiſſen fie zu finden,
h! daß wir heut’ beglüdt den Einen fänden
Und ew'ge Feſſeln für den Anbern wänden,
Der Heimat Bild, des MWiederfeh'ns Entzüden
Und der Erinnerung namenloje Luſt
Sie fliegen dann aus froh bewegter Bruft,
Um uns aus jenen See'n zu beplüden
Und ewig wünfdgen wir hinein zu bliden.
Ob! gönnte doch Apoll die lehte Silbe mir,
Die beiden Erften wirdig zu befingen,
Und rubten fie, die Luft und Freude bringen,
Dod) freundlich heut’ auf unfer'm Spiele bier,
Räktſel.
Wer Freund der beiden Erſten it,
Vertrau' dich dem zu feiner Friſt!
Thuſt du das Letzte aus Herzenegrund,
Dann biſt du heimiſch im Erdenrund.
Das Ganze lobt nicht, was hoch iſt und hehr,
Für Hübſches, Schelmiſches taugt's umfomehr.
rs eine Knoſpe, mag fie dich erfreu'n!
Irs eine Wunde, gibt's erneuten Schmerz.
Ares ein Brief, ſchau, wer es darf, hinein!
Ars deine Safe, trifft ein Schred dein Herz.
Der, wer mid liebt und adıtet,
AR kaum ein Menſch zu nennen;
Wer mich zu gewinnen tradıtet,
Muf keinen Ehrgeiz kennen,
Frau’ dem, der mid verrät,
Nicht dem, der mid, veritcht.
Was dir auch beſchieden an Weh oder Seil,
Bon allem bleib’ ich doch das Gegenteil,
Das Erſte drüdt wohl mandın Mann,
Auch wenn er jelbit nicht Schul daran.
Das Zweite tragen Büffel durch die Sümpfe,
Das Ganze Hilft dem Griten auf die Strümpfe,
Derfekräffel.
Mit e am Fuße — bin ich aus der Dichtung
Des arofen Meifterd wohl auch euch befannt,
Gin Mädchen. das bei häuslicher Berrihtung
Gleich einer Böttin vor dem Jüngling ftand,
Sein 3 entflammt P ihwärmeriihem Lieben
Und abnungslos ihn in den Tod getrieben.
Mit o am gu — erfülle ih nicht minder
Mit jühen Bildern Phantafie und Herz;
Oft trieb auch ich bethörte Menſchentinder
Schon in den Tod — burd ber äuſchung Schmerz;
Und doch — ich winke, und es legen wieder
Viel Taufende ihr Scherflein vor mir nieder.
AXuflöfungen zu Heft 7, 9. 114.
Birdeutender Fund: Unbaltäpuntte zur Entzifferung
bieten die Anfannsbuchftaben des Namens des Berftorbenen mit
der Zahl der verlorenen Buchitaben und das Jahr. Das Jahr
iſt bezeichnet mit . .C..... V, aljo zwei Punkte, db. i. zwei
Buchſtaben vor C und fünf Buchſtaben nah C. Ein ‘Profelior,
dem der Fund vorgelegt wurde, madıte folgende Kombinationen
und verjuhsweile Jujammenitellungen: Nachdem die Zeitredyr
nung von der Erbauung der Stadt Rom mit 753 vor Ghrifti
Geburt beginnt, jo dürfte mit ziemlicher Wahrſcheinlichleit an«
genommen werden, dak die eriten zwei Budhitaben D und C,
d. i. mit Hinjurechnung des verbliebenen Buchftaben C 700 Jahre
nadı Grbauung der Stadt Nom find. Die nod folgenden vier
Buchſtaben dürften nad der nad) den Eindrüden zu entnehmen
den Form X fein. Wenn für diefe vier Punkte X angenommen
wird, jo ergibt fi 40, alſo zufammen 740; dann fommt noch
ein Punkt und hierauf V. Diefer Puntt kann nur I oder X
andeuten. Nach der aus den Etiften ꝛc. zurüdgelaflenen Gin«
drüden entnommenen form dürfte es I fein, daher I und V
das ift IV 4. Die Bejamtzahl beziffert fi jonad mit 744,
d. i. 9 Jahre vor Ehrifti Geburt. In diefem Jahre iſt Horaj
—— Die Punkte bei H gezählt geben 2 joviele Bud»
aben alö dad Wort Horatii erfordert. aber erieint ent»
äiffert: manibus Horatii, den Manen des Horaz. — Jetzt
ergänzen ſich die Buchſtaben leichter. In hac area anno
DUCXXXXIV caper nimis magnifieus com: (foll offenbar
eopfert oder verbrannt bedeuten, aljo combustus, was gleich ⸗
all& mit der Zahl der verlorenen Buchſtaben ftimmt. I dürfte
in und F..O fumo bedeuten, woraus erhellt, daß die Alten
einen großen Wert auf die Entwidelung des Rauchts, als gutes
Zeichen der Gefälligleit des Opfers, legten, Weiterhin fommt
der Name desjeninen, dem das Opfer galt, wie ſchon erwähnt
Horatii, dann eine befondere Spende in Geld, und zwar nases.
Nachdem dies eine Heine Münze ift, fo dürften die zwei Puntte
vor D entweder MM oder MD bebeuten; wahricheinlicher ift das
erste, weil ohnedies ein D folgt und man fonft ftatt zwei D ein
M angebradt hätte, Daher MMD - = 2500 assen. „IV... dürfte
dives bedeuten. . Dann folgt der Name des Dpferipenders
TUMELICUS CLITUS, befien Gigenihaft als callidus tenan
haralterifiert wurde: ein reicher, lluger, bedächtiger, In jeinen
Grundſähen feitee Mann, Daher das Ganze: In hac area
anno DUCKXXXXIV caper nimis magnificus combustus in
fumo. Immolavit manibus Horatii et donavit MMD asses
dives Tumeliens Clitus callidus tenan. Zu deutih: Auf
diefem Grunde wurde im Jahre 744 ein über Die Maßen präd«
tiger Bod verbrannt, und pwar in vollem Raudye, für die Manen
des Horaz. Geopfert und noch ein Geſchenk von 2500 Alles
negeben hat der reiche, kluge, daralterfeite Tumelicus Glitus,
Ein Schüler des Profeſſors las jedoch die übrig gebliebenen Budy«
ftaben im Zuſammenhange wie folgt: Ha! a Reh a no (aud
nob), su Capern is magnific, comifo (comme-il-faut).
I moan, man hät do das für unmögli calten (g’halten),
Quadraträtfel:
Aritbmetifde Aufgabe: 301 Gier,
Berfehaufgade: Durd Berjehen
der Budıftaben fann man aus den
vier Wörtern „Arbeit“, „Jo*, „Eva“,
„Ihilt“ die Namen „Elifabetb*, „Dies
toria*, und aus den vier Wörtern
„Bart“, „Salm“, „ohne“, „Seite“ die
Namen „Shaleipeare”, „Milton“ er⸗
halten,
Dediffrier- Aufgabe: Nicht an
die Hüter hänge dein Gert, — Die das
- Leben vergänglih zieren! — Wer
befikt, der Terme verlieren. — er im Glüd ift, der lerne den
Schmerz.
@3 Der luſtige Geſellſchafter. €»
(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtommen!)
Beim Hewehr-Xppell.
Lieutenant: „Mudletieer Malewöty, 'mal vor! Ihnen en
doch — der ganze Blodaberg in den Magen fahren; ba
Eie Sterl Ihre Flinte, Ihre Ehre, Ahr am Se und Gut fc
weit einroften laſſen, daß ſelbſt das jdärffle Falkenauge nicht
mal hindurchſehen kann. Feldwebel, notieren Sie ſich den Kerl,
aber machen Sie ein dides Kreuz dahinter, damit ihm das Stand-
gericht zum erflenmal klarmacht, was «6 heißt, feine Knarte ver«
roften lafjen.”
Treldwebel: „Der Musfetier Malewily hat vergefien, den
Mündungsdedel von feinem Gewehr zu nehmen.“
Lieutenant: „Dann mahen &’ nod ein Streu; dahinter,
damit ihm das Etandgericht zum zweiten Marmadıt, was cs
heißt, jeinen Herrn und Meifter ins offene Geſicht zu betrligen!*
F
Erkenntnis.
„Ih nehme mir die Freiheit“ — ſprach
Ach ſchüchtern zu Amanden,
Als ih ihr einjt mit O und Ad!
Hab' meine Lieb’ geftanden,
Nun ift in zwanzigiähr'ger Eh’
Grlenntnis mir gelommen;
Id hab’, als ich fie freite, weh’!
Die freiheit mir genommen.
2
Deuffidie 5prache.
Herr (järtlih): „DO mein fyräulein! Was gäbe id) dafür,
wenn id wüßte, woran Sie jeht denten!*
Dame: „Vielleiht genügt es Ihnen zu erfahren, woran id
nicht dente.*
er: „Und das wäre?*
ame: „Ih denfe nicht daran — bie Ihre zu werden.“
*
Gipfel-Firagen.
1. Bas ift der Gipfel des Aberglaubens?
Wenn man feinen Roman Freytags lieſt.
2. Was ift der Gipfel der Eigenheit?
Wenn man den Staub jogar von dem Flügel — bes
Schmetterlings wiſcht.
3. Was ift der Gipfel des Deipotismus?
Wenn man nit einmal feine Briefe freimacht.
>
Aus dem lateinifhen „Sxercitienheft des Duintaners
Frig Vfiffg.
(Fortiehung.)
Nil admirari — Das Nil-Wunber.
Post nubila Phoebus — Phoebus fährt mit der Wollenpoft.
Nemo fit casu beatus -- Dur einen Käſe wird feiner
olüdlih nemadıt.
Juste vivas — Jufte, du ſollſt leben!
*
Im Theater· Foyer.
Wiſſen Sie ſchon? Unſer Theater Hat jetzt eine Zugkraft
allererſten Ranges gewonnen.
Sie machen mich — Darf man den Namen erfahren ?*
„Der Name thut nichts zur Sache, die im Rede ftehende
Zugkraft it — ein drefjierter Odhle.*
Menſch und Bier.
Es ift zwei Uhr madhte. Draugen ſtürmt und regnet es.
Doltor M. ift eben von einem Strantenbefuhe nah Haufe zurüd»
nelehrt und im Begriff, ſich niederzulegen; da Mlingelt es von
neuem, Mikmutig öffnet er das Tyenfter: „Was nibt's?*
„Herr Dult'r komme Se ſchnell ze meiner Bäuer'n, fe is
wieder ſchwer frank!“
„Nun, Jochen, wo haft du das Geſchirr?“
„Do hab’ id) feens mit. Wos denke Sc denn, bei fu än’
Saumetter jieht mer dod kee Pfärd aus'm Stalle.*
“
WMylhologiſche Betrachtung.
Daß Venus aus dem Waſſerſchaum
Eimporitieg, ſcheint mir glaubhaft faum,
Ja, wärs Champagnerſchaum geweien —
Das ließe ih ſchon cher leſen.
»
Fatal.
Der Meine Fritz ift mit feiner Mutter im Geſellſchaft und
läßt ſich alles vortrefflich ſameden.
„Aber Frihchen,“ jagt die Mutter, als er das dritte Stüd Kuchen
verihlang, „du verlangit zu Haufe nie ein zweites Stüd Audyen ?*
„Weil ich doc keins befüme,*
„D,” fagte eine der Damen, „doh nur, wenn bu nidpt
artig warft 1“
„DO nein,* jagt Fritzchen raſch, „wir haben nie ein zweites. *
v
Probat.
Stubiojus Pfiff fteht vor dem Framen, fit deshalb oft zu
Haufe, um zu ochſen; zu feinem grökten Werger wird er aber
Dabei durch die Beſuche feiner Aommilitonen geitört. Um fie los
zu werden, ſchreibt er mit großen Yettern an jeine Thüre:
ICH OCHSE!
s
Auf einen V lagiator.
Die Stahblfeder gebraucht er fo foyal,
Daß alle Welt es wei: die Feder ftahl.
’
Mißwerſtanden.
Wie ut es Ihnen, Kerr Profefior, jeitdem Sie in Frant .
furt wohnen?”
„Id danke, ich habe Ausſicht auf ein ſehr gutes Geſchäft.“
„Sie und Geihäft?! Was joll das beihen?*
„Das ſoll heißen, dag — Rothſchild mir vis-A-vis wohnt.*
v
Fogik des Teichlſinns.
Zeit wäre Gelb? Verkehrtes Wort!
te bab’ ich Geld, Zeit immerfort.
»
Ruch eine Auſchauung.
X.: „Mt Ihr Arzt Homdopath oder Allopath?
D.: „Der is Allebad'; denn da mag een'm fehl'n, was will,
gebadet wärd'r.*
228
Schadaufgabe Ar. 4
von 9. von Düben in Zandbskrona,
$Föfungspreisaufgabe.
(Shwarz.)
(Weig.)
Weiß zieht an und feht in vier Yligen matt.
Diejenigen, welche die richtige Loſung diejeß Problems bis
zum 30, April an die Redaltion einjenden, erhalten in freier
Zuſendung je einen Band der „Collection Spemann“ nah Wahl.
Föfung von Ar. 2.
Die Unterfhrift diefer Aufgabe muß heißen: Weiß zieht an
und febt in Drei (midht in zwei) Zügen matt,
1. Ka7 — a6 eT— de:
2. Lea — d5 c6 — ds:
3. Dd2 — c3 matt,
Föfung von Ar. 3.
1. Tes — g6 Ket — f5: 1... ..... Ke4ı — ds
2. 817 — de matt. 2. Les — c6 matt.
Ke4 — f3
Fingelaufene Löfungen.
Nr. 1 wurde ferner gelöft von G. H. in A. Dr. O.M. int.
Ar. 3 wurde gelöft von I. Geer in Nördlingen, W. Licb-
mann in Leipjig, Schmaberer in Ingolflabt, Dr. G. Sohn in
Hamburg,
Briefwedfel.
Mi. H. in Hall. Unter Gambit verficht man das Preis»
geben eines Bauern (mitunter in Verbindung mit dem einer
Figur) zur Grlangung eines nachdrüclichen Angriffs vermöge
rapider fyiaurenentwidelung. Die Bezeichnung fommt von dare
jl gambetto (ital,): ein Bein ftellen.
D. 8. v. D. in Lüded.
wenbbar.
>. 6. in Mördfingen. Ebenſo
6.38. in £ Sie haben Recht. Die Bedingung der
Schachauſgabe Nr. 2 in Heft 6 muß heiten: „Weiß zieht an umd
ſeht in drei (nicht in zwei) Zügen matt“. — In Beile 10 unter
„Aus der Schachwelt“ lies: M. Bier (Matt Bör);, beim 11. Zug
der Schahpartie Ar. 1 (ftatt Lfi — b5) Ld3 — bB.
Milteilungen aus der 5chachwell.
Die Augen der gefamten Schachwelt find gegenwärtig auf
Norbamerifa gerichtet, weil die berühmten Matadore W. Steinik
und 4. H. Yulertort (abgefehen von dem amerifanifden Cheß
Ghampion Kapitän George H. Madenzie) ſich dafelbft aufhalten.
Beide geben Blindlinge» und Eimultanvoritelungen in ben
Schachtlubt, jo zu New Nork, Philadelphia, Chicago, Et. Youis,
Dabana, Yım Orleans, Zulertort pflegt bis zu 12 gleichzeitigen
Blindlingepartieen und bis zu 30 und mehr Simultanvartieen
(nleichzeitigen Partieen am Brett), Zteinig bis zu 8 und bey. 30,
schach. — £. von Pröpper. Zeitgemäßes aus Kühe und Baus.
Madenzie bis 30 und 2 ühren. Steini die
tr m!
w
bu mr zu Paris hat am 2 x er ein von
on! legrabh begon vier
geliebt von * — ug; Gelamteinjag 4000 dran;
feine Koften bat jeder Alub felbft zu tragen. —
Der „Deutihe Shahbund* umfaht 9 Schachvere ine
mit 2300 Mitgliedern. Der nädjite — im Jahre 1885
zu —— ftatt. Dem Bunde nicht angehören weitere circa
Aubeı m Juli D. 9. der beit Rongerh Des Cawrfbentigen
Ehaybundes flatt.
Zeifgemäßes aus Kühe und Haus.
Bon Ss. von Pröpper.
Rezepte für den Mai.
Einfache Jüsfuppe mit Cidottern Man fhneide
,k Nindfleiſch zu groben Würfeln und gebe es nebit dem
nötigen Salj in einen trodenen, ſehr erbikten eifernen Topf,
dede ihm feit zu und lafle das Fleiſch etwa jehn Minuten lang,
unter öfterem Umſchüneln dämpfen, wonah es in jeinem
Saft liegen wird und man ben Zopf nun offen läßt, damit der
Saft verdbampfe und fib am Boden eine braune Mafie bilde,
welde man, während diefes Abdampfens beftändig, aud etwa
' zehn Minuten fang, mit einem Löffel umrühren mu, daß fie
nicht anbrenne. At fie nun ſchön braun, fo gieke man 11, bis
2 Viter lochendes Waſſer daran, De Suppengrün hinzu und laſſe
es eine halbe Stunde foden, ziehe die Suppe mit einem Ektöffel
Kartofielmehl ab und gebe fie durd ein Sieb in die Terrine.
Iekt babe man rohe, recht friiche und wohl abgewaſchene
Gier, brede fie auf, giehe das Weihe ab und lafje nur das
Gelbe in einer halben Schale, flelle die Eier, um fie zu halten,
auf einen Zeller mit feinem Salz und ferviere fie jo zu der
Suppe, die aber jehr heiß fein muß, damit die Dotter darin
etwas fleif werden können, Um die Eier aufzubrechen, daß fie
einen glatten Rand belommen, bediene man fidh eine® ſcharfen
Meſſers oder noch beſſer einer Yaubfäge und ſchneide das Häut«
den dann mit einer Schere durch.
Ramenauins. Man rühre 105 g friſche Butter zu Saum,
dann fünf Eidotter, 45 geriebenen Parınefan« und 45 g Echweijer«
fäle und eine Meine Zafje ſüßen Rahm binein, . den
Schnee von acht Eiweiß, fülle die Maſſe in Papierfapfeln, bade fie
in frifcher Ofenbige und jerviere fofort über einer adıtedig
gefalteten Servictte. -
Rinderbraten auf franzdfiijhe Art (Boceuf à la
mode & la Jardiniere). Dan durdjiche etwa 3k Schwanz«
Süd eines jungen Ochſen mit fingerbiden und fingerlangen
Die Stellung ift nicht ver |
Speditreifen, melde in eine Miihung von Ealz, geſtohenem Ge
würj, Majoran und geriebenen Zwiebeln gemälst worden; lege
dann in eine Staflerole zuerft feine Epedicdeiben, darauf das
Fleiſch und über dieſes Salz, Gewürz, Yorbeerblätter, Citronen«
ſchale und einiges Wurzelwerk und gieße U, Liter weißen Wein und
N, Liter Fleiſchbrühe daran, thue einen recht feſt ſchließenden Dedel
auf die Taſſerole und lafie das Fleiſch fo langſam ſchön braun
dämpfen; richte es nun auf erwärmter länglier Schüſſel an
und umlene es mit, wie gewöhnlid abgelodhten und mit feinem
Bat zu Bündchen gebundenen, fchönen Spargeln, weldye man,
die Köpfchen nad oben, ſchräg an den Braten anlehnt und jedes
Bündden mit einer Ihönen, ebenfall& in gejalgenem Waller ab«
gelochten Blumentohlrofe trennt; die Sauce wird durch ein Sieb
gegoflen und in einer Sauciere zu dem Braten jerviert.
Spargelpüree mit TZaubenloteletten. Dan ſchneide
wie gewöhnlid gepugten, dünnen Spargel, fogenannten Brech⸗
ipargel, in 1c lange Stüde, ode fie in Wafler mit etwas Ealz
gehörig weich, lafje fie abtropfen und treibe fie durch ein Eieb;
vermiſche fie, wenn es ein Suppenteller voll ift, mit 60 g Butter
und dem Sajte einer halben Gitrone und rühre es über dem
feuer, bis es ſich mit der Vntter qut vermifcht ——
Außer zu feinem gebratenen Geſlügel gegeben, eignet ſich
dieſe Pürce auch zur ſelbſtändigen Schüſſel, wenn man fie mit
Giern und Groutons umlogt oder mit über den finger gerollten
| Scheiben von robem Schinken oder grräuderten Yads, und es
fönnen auch die Spiken von neihohenem Spargel, der aber
nod feine Eritenyweige haben darf und etwa dc lang ab«
neihnitten worden, jchr gut dazu benubt werben.
Weltpoſt. — Inferaten:Unhang zu
% Weltpoft.
Dad Breiörätfel in Heft 6 hat noch
die nachſtehend verzeichneten Loſer gefunden,
bei der Werlojung der nal bat fi fol-
gendes Refultat ergeben
Den 1,—6. Preis, beſtehend aus
je 5 Bänden der Collection Sp
mann erhielten:
U. Lehmann, Dresden,
ge Wegerftorfe, Wien,
— EHEIMERN, Schwenningen.
- Budde, Herf ford,
dei Gar, amburg.
— Uhlich, Ghemnik.
Den T.—12. Preis, eſtehende aus
ie 3 Bänden der Collection Ep
mann erbielten;
Jeannete Furoht,
Dr. Witt, Botba
Feldmann, Altona.
Paul Dietirih, Deutih Liſſa.
Wien.
4.6 ellmutb, Arnſtein.
Paul Mareſch, Wien.
E. F. in W., ©. in Nieder-W., R.
in &,WM.in®B,U.9inD, ©.
Sch in BB, HR in M. Dr... indQ.,
2.8.18, RX in Uh L. B. in Et,
8.8, HM in, © 2. in
D,I Eh. inR,O®.v2.inP,G
ed. in H., U. T. in 9,3. T. in®,
F. W. in Ei, 60. inte: in
St. G Frau Ed. in * B. in A
a.» in D. bei $., in F. 3.
S. in®. —BR— B in X,
ẽ cq ia a. F. 5 Es W. 5%. in
®. 9. ©. in B, ‚2m 2, 68.
in D, Brüder © jr 3:3 ME 8.
9.9 in P., ESt inch, A. M. in B.
Fortſegung ſiehe nächſte Seiten
Seidenltoffe
&Birert — hne Smilrhenhbündler).
i
arbi
Geflreif
Weihe Failles und Taffele .
Schwarze und farbige ganz fe
verfende in einzelnen Roben und ganzen Stüden porto: und
Failles und Taſſete
Pr
Mufter umgehend zu Dienften.
Zürich (Schweiz).
Band 60.
= | Mit dem jorben erſchlenenen achten Bande liegt vollftändig J
= vor die zweite, bis zur Gegenwart fortneführte Auflage von;
| Ill a
| uftrirte n
* | > ; —
— rg
it =
= unse
z Begrüindet von Held und Corvin, fortgeführt =
= von 2. F. Dieffenbadh, Prof. Dr. ®. Dieftel,. an
= Profeifor Dr. ©. Kämmel, Dr. €. Lammert,
| #® 3.8.Bogt, Gumn »Direftor Dr. B. Bol ıc, 8
dm: Mit über 2500 Abbild., Tontaieln, Karten x S
e: In vier Ausgaben beziebbar : 1) In 142 Ye =
m ferungen a 50 Pf 30 Ir. 2) In 24 Lie ı x
— ferungen a — Ufl. 80 tr. 3) In adi E
|. = Bänden, geheftet. 4) In adıt Bänden, in. *
» Halbfranz gebunden [1206] : *
— — Beflellungen nehmen ale Buhhandlungen enfgegen. = 7
warzj- und weiffeidene Atlafe
warzfeidene Failles und © i
warzfeid. fevantines, Safins-£urorn. Satin merveilfenx
te und carrirte Seidenfiofle
„Dom Fels zum Meer”, III. Jahrgang, Heft 8.
(ollechon Spemann
Preis des gebundenen Bandes M. 1., franlo per Poll M. 1. 25.
brachte inzwiſchen folgende neue Bände:
Briefe von Wilhelm von Humboldt an eine Freundin. Band 1,
Mit einer Einleitung von Ludwig Geiger.
. 61. Bergil’d Werte. Band 2. Aeneid. Mit Einleitung und Anmerkungen
bon Dr. Hand Dütfchte.
Dei Bejtelung genügt Angabe der Banbnummer.
N —— von M. 1.25 bis M. 13.50 pr, Meter
affete. . an: ©. | GE: ı ©: : Vo
DON ur BE
= ; 2 von M. 220... 860 5% u
>» © E80 2 Be
i u 05 a 660 ö
idene Damafle. R =» 28:85 „ 14.50
jollfrei in’s Haus,
Briefporto 20 Pi. nad der Schweiz.
G. Senneberg’s
Seidenftoff-Fabrif-Depöt.
Königl. Hoflieferant.
Inferaten:AUnhang zu „Vom $els zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 8.
Rusgabe 9)
niit ripiefung,
hervorragender Germaniften
herausgegeben von
Iofeph KRürſchner.
Verlag von
@. Spemaun, Berlin m. Stutigert.
——
Die neuelten Bände enthalten:
BP. 30 u, 31, see fämtliche Ge⸗
dichte. Mit Bi » &ronologi
Zabelle u, ſ. w. Oeb. * —
Inhalt ber Bände 1-27:
Glieder
objiade”., :
Öben, gereimte Fabeln etc.
ron ac.“ (Merle 2. Band.) 9. Grim⸗
mel&sbaujens „‚Simplicianifäe
Schriften“ Bd. 11. GBüntbers Ge
dichte. Bd
m R.
rud!)
.29. Abraham a S. Klara „Judas
der Erzichelm, * 6.0. Bobertag.
Die „Deutfche National-Ritteratur"
if die einzige nad einheitlihem Plane
angelegte wifienihaftlihe Ausgabe der
sılamten deutſchen Litteraturichähe von
ihren Anfängen bis zur Neuzeit.
Die „Dentfche Rational-Litteratur‘
we ſich dabei durd; mufterhafte Aus⸗
attung und eminent billigen Preis aus
(die Dfg. A 6—7 Bogen nur 50 Bf. !}
Die „Deutſche National-Litteratur'
ift ein nation Unternehmen don
rgenb eineß Grmelngi
gegenüber
der
Sch loß ·
ruine
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Em in’A., — Blutentmiſchung.
nB,®. in H.. eht die normale Verwandlung der Nähritoffe in Blut nit i öri
.6.5S.in vor fi, jo weicht die Jufammenfekung diefes ——— — che
a: lihen Zuſammenſetzung ab und Aranfheiten, wie Scropheln ode bercul
\ 3. Ein 2.0 find däufig die Folgen. den phe x Tuberculofe, Flechten etc.
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JA. in B.. 6. * Die Urſachen, welche vornehmlich dieſe Blutentmiſchung hervorrufen, find: end
R. B. in 8 B. J erbliche Anlage, indem der Nachtomme mit einer ſchlechien — nthatt fans
in B. W. d. in von Geburt an ausgeitattet ift oder zweitens, und diefe Urfache ift wohl die häuflafte,
‚GR. in 9., Dr. | wird die fehlerhafte Blutbildung durch eine unrichtige ober leichtſinn ige Lebene weiſe
‚ing, D. in®, erworben.
Dr. %. Sch in®., ®. So find aufer jenen, die ihre Gefundheit durch Selbſtverſchulden, Gebraud von
6, 3.2Bin 2,4. Jod und Duesfilber zc. untergraben haben, aud alle diejenigen, welche eine vorwienende
Sp., C. K. in®, figende Lebensweiſe führen (ſtaufleute, Beamte, Gelehrte zc,) und ſich nicht genilgend
9 C. ©. in Ö,, Dewequng in freier Duft machen, ferner Mädchen und Frauen, welde durd Nähen,
:@.W.in®B, R. B. Stricken, überhaupt Handarbeiten den Tag verbringen, ſeht leicht zur fchlerhaften Blut»
, D.R. in ©., Prof. bildung geneigt und fie ift bei Dielen thatfählih vorhanden, ohne daß den fie be
Kin D. AD. in®,, gleitenden Erſcheinungen bie nöthige Beachtung geſchentt wird
A. M. in 8 C. © i Da num ein fehlerhaft zujammengejehtes Blut ſchlecht⸗rdings nicht den normalen
& 2,90%. ink, F. Lebentzreij auf die Nerven ausüben fanır, jo muß die ganze Gejundheit darunter leiden
‚ind. M. A in Ch., und einem Heer von Srankheiten wird ein frudtbarer Boden vorbereitet.
H. B. in NR, M. M.i Der Bedeutung des Biutes nun bat der langjährige Chefhoſpitalarzt Dr, med.
Sch. H. nn ſt. R. R Liebaut feine bereits in 12. Auflage erſchienene Broſchllre „Die Regenerationstur* ges
ng,v6, in, 4. widnet, erhältlib A 50 Pf. in Stuttgart bei X. Ullrich's Buchhandlung, Eberhards-
Bine, Min D, ſſraße 55, und find wir überzeugt, daß Jeder, welder an Blutentmifhung leidet, diefe
‚in®., Frau ed. i äuferit Ichrreihe Broihüre mit höchſter Pefriedigung leſen und durch Befolgung der
,‚3.3.nR, 6. Sch. J darin gegebenen Racthſchläge ih auf einfahe und bewährte Weile wieder in den Moll»
nt, M. F. in St. F. bett feiner Gejundheit ſehen far. [1178]
Ed. in St., E. F. ın == — — —
‚Dr. 2. in H., 8%. in . on
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‚Yrau@ inN, M.
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eg (Biliner Verdauungszeltchen)
; = “s Amer bewähren sich als vorzügliches Mittel bei S0d-
.®.in®W., 6. PR brennen, Magenkatarrhen, bei Ver-
in $., rau @. in R., dauungsstörungen überhaupt, wirkenüber-
b nn ee raschend im kindlichen Organismus und
6.%.nB, 0. R sind bei Atonie des Magens und Darmcanals
5. 9.10%, ©. zufolge sitzender Lebensweise ganz besonders
- ni 's. — ®. 2 anzuempfehlen, (798)
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‚in 9., €. 2. in 9. Pulver, mit Waller iu einem Brei angerührt, wirft mild er.
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rau H. inh., U. Sch empfohlen wird. m
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.®. in &., 84 i Veloctp.-Roh- behör Neue
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Weltpoſt. — Inferaten-Unhang zu „Dom Sels zum Meer”. III. Jahrgang, Beft 8,
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| Die
Allgemeine Beifun
(mit wiſſenſchaſtlicher Beilage und Handelszeitung)
früher in Augsburg erfchienen
ift in Deutſchland und Oeſterreich durch die Poflanftalten für 9 Mart vierteljährlich (6 M. für
die 2 legten Monate, 3M. für den legten Monat des Quartals) zu beziehen. Preis bei
direeter Berjendung unter Streifband monatl. AI. (M. 5. 60 für die and. Länder d. Weltpoftv.)
Quartalpreis bei wöchentl. Verſendung im Weltpoftverein DIE. 14,40, außerhalb des. ML. 19,50.
Brobenummern neoft neueftem Quartal-Regifter gratis.
Zeitartitel, wiffenichaftliche und handelspoltitiſche Aufläge ze. ꝛc. in Nr. 316 bis 322.
Das Lorbmayor-Banfett. — Yur Orientirung im Dften. (LII.) — Die neuen Bezic-
—— Spaniens zu Deutſchland. — Das friebenägeläute. — Die Heere und die Schulden
uropa’s. — Die Heorganifation der bayerijden Staatsforftverwaltung.
Die jhönen Tage in Rheinsberg. Bon R. Waldmüller-Duboc. — Dr. Anton Mayers
Buchdrud ergeſchichne Wiens 1482— 1892, Bon Dr. ſt. v. Scherzer. — Cine Geſchichte der
directen Steuern in Bayern. — Engliſche Reden und Schriften zur Luther ⸗Feier. — Gin
Schweizer Etaatiinann als Prediger. Bon H. Blum. (111) — Giebener Studien über
Maria Etuart. Bon W. Onden. (V. Edlufartitel.) — Die Gemeindewirthſchaft und der
Bauer in Rußland. Bon Dr. E. Petri. — Briefe aus der Reihahauptitant. — Das
römiſche Pantheon. Bon A. Schöner. — Ein italieniiher Patriot, Bon G. Weber. (111).
— Zur hiſftoriſchen Erforſchung der deutſchen Sprache — Das Aftrophyfitaliihe Obier-
vatorium bei Potsdam im Jahre 1882, — Die LuthersfFeier in Genf.
Leitartitel, wiffenichaftliche und handelspolitiſche Auffäge c. 2c. in Wr. 323 bis 329.
Die Bistyumsangelegenbeit in der Schweiz. — Die Reiſe des Deutſchen Kronpringen nad
Spanien. (I.) — Der boeniſch · herjegowiniſche Bijchofitreit. -- Der Aufftend im Eudan. (IIL.)
— Die Probe auf die Goalition. — Wiederum die deutſche Artillerie frage! — Die mili»
tärijche Lage in Zongling. — Hafiandra-Rufe des Figaro“.
Das römijhe Pantheon. Bon R. Schöner. (II) — YXebenserinnerungen von Ludwig
bu dv. Anonau 1769— 1841. — Bom alten und vom neuen Wien. Bon. . (HIT V.)
— jrünfzig Jahre ruffiiher Verwaltung in dem baltiihen Provinzen. Amonio oſo
und Leonardo da Vinci. Bon E. Foörſter. — Die Aeſthenit ber — Die ie
Ziegelfabrifation und Arhiteltur in Norbbeutihland. Bon Dr. 5. B. Rorbhoff. — Die
iafienijchen Univerfitäten in der Vergangenheit und Gegenwart. — In der Jahret-
Dämmerung. Bon U. v. Schweiger ⸗Lerchenſeld. — Zur deutſchen Romanlitteratur. ¶ F. Dahns
„Bifjula*.) Bon U. Horawitz. — 9. v. Reumonis Lorenzo de’ Medici. Bon H. Hü
Der Entwurf eines Reichtgeſetzes Über Actlengeſellſchaften und Gommanbitgefellihaften auf
Uctien. Bon Frhr. von Bö borff.
ndelö, Bant- und Börjenzuftände in yranfreih. (Budgeldeficit. Steuerverfuge. Han ·
belsbilany und ——— —
Leitartikel, wiſſeuſchaftliche und handelspolitiſche Auffäge ꝛc. ıc, in Ar. 330 bis 336.
Zur Lage in Aeghpten. — Die Stataitrophe im Suban, — Die Reife des Deutihen
Kronprinzen nad) Spanien, (IIV.) — Allgemeiner Deutſcher Bauerntag. — Die hiſtoriſche
Linte in Italien. — Aus den Vereinigten Staaten von Nordamerifa. — Die deutſche Sprade
in der Öfterreihiihen Armee. — Die Ausſichten der preußiſchen Finanzpolitik.
Das romiſche Pantheon. Bon R. Echöner. (III.) — Zur Landioirtbfeaftligen ge. (I/II.)
— Bom alten und vom neuen Wien. Bon 2. Herbert. (V.) — Die Piyhologte im Dienfte
der ag — Erinnerungen an die Großherzogin Alice von Heſſen. — Yrany Xaver
Ritter v. Millofih. — „Unter drei Aönigen.“ Bon ©. Mylius, (TIL) — Dr. Säliemanns
„Zroja*. — Briefe aus der Reihähauptitabt. — Aquarelle von Ed. Hildebrandt. — Neue
photographiiche Publicationen von U. Braun, Bon W. Lübke.
Die Frage des Malzaufihlags in Bayern. Bon Profeffor Georg Schanz in Würzburg. —
Eind jiherungsgeielichaften auf Gegenfeitigteit oder Berfiherungs» Actiengeſell ſchaften
vorzuziehen ?
——— wiſſenſchaftliche und handelspolitiſche Aufſatze zc. ꝛc. in Nr. 337 bis 343.
Die Reife des Deutſchen Sronprinzen nah Spanien. (VIIX.) — Wird Bulgarien felb-
ſtändig werden? (1) — Die neue afrilaniihe Armee Franfreihs, — Die otihaft des
räfidenten Arthur. — Zur politifgen Situation der Philippinen. — Eocialisinus in
land und Defterreih. (1.) — Das öjterreichtihe Budget für 1884.
eran. Bon 2. Eteub. — Das römiſche Pantheon. Von R. Schöner. (IV. Schlußartitel.)
— Geoffrey Chaucer Werke. Von E. v. Dindlage. — Dr. Eteders Rüdkehr aus Wfrika.
— „Unter drei Aönigen*. Bon DO. Mylius. (III. Schlubartifel.) — Mündener Aunft.
. I Bon Fr. Pecht. — Bernhard fFrhr. v. Wilerbiorf-lirbair. (Netrolog.) Bon Dr. A. v. Scherger.
— Eine neue Rechtsphiloſophie. — Riehls „Land und Leute“, — Kutharina II. — Dich
‚ tungen in —* Mundart, — Vom alten und vom neuen Wien. Bon 2. Herbert.
(v1. Sclufartifel.)
Handeld«, Bant- und Börjenzuftände in Frankreich. (Die Verhandlungen über den Suez-
Ganal.) — Die Aſche der Millionen,
Keitartitel, wiffenidaftliche und handelspolitiſche Auffätre ꝛc. 2c. in Nr. 344 bis 350.
Wird Bulgarien jelbitändig werden? (II) — Gocialitmus in England und Oeſter ⸗
rei. (II) — Die nationale Strömung im deutf-böhmifchen Voltsflamme. (nu) — Die
Reife des Deutihen Aronprinzen nah Spanien. (XXIL.) — Auswanderung nad) Ghile.
Die fpanifche Kriegämarine.
Ein neues Völferreht von einem ruffiihen Rechtegelehrten. (111.) Bon Dr. 2, Geßner.
— Zwei öfterreibiihe Wolksditer. Bon B. Walden. — Beriht der deutſchen Gholera»
Gommiffion. — Uriprung und Finheit des Menſchengeſchlechts — Weihnachtegaben deuticher
Kunft. Bon Fr. Pecht. — Eine Zurgenjew- Studie. — Erinnerungen eines deutſchen
Dffiyierd. 1848-1871. Bon F. Biedermann. — Yu Dr. Schliemanns Entbedungen. —
Die päpftlicgien Archive — Carmen Sylva's neuefte Dichtungen — Naturhiſtoriſche Muſeen
in Nordamerika. Bon RE. A. Zittel. — Aunftlitteratur, Bon Fr. Pecht. (1228]
Handels · Banl- und Börjenzuftände in Frankreich. (Staatsfinangen, Börkendisponibilie
täten am Jabrebende. Börien-linfäle) — Ueber Bermnitunasfoiten deuticher Vebent-
verficherungsgefelidaften. — Der Malzaufichlag, die Hein n und großen Brauereien in Bahern
Aufträge für Streifbandfenbungen an die „Expedition in Münden’,
Weitpoft. — Inferaten-Unbang zu „Dom $els zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 9.
“ Weltpoft. 6
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Vereinigte Sanitätsapparaten-Fabriken
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— J ne ne es s Krankenpflege in anerfanntır Güte,
F 8: — — 3 —* F — Proſpette gratis.
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DBade- Apparaten- Fabrik,
Prämiirt 1876 — 1880 — 1881
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nent gebabet werd. fanın,
ohne das loſchen zu
müſſen. Regulirung des
Badewaſſers auf jeden
gewinidt. Wärmegrad,
Schnelle Heizung. Er-
plofton ausgejchlofien,
Babewannen im alleıt
Grögen, Façons und
Ausjtattungen. ut
badewannen, Geruchloſe
5 Bimmer-Giofets.
Garten- und Haus:
feneriprigen x.
finngetreu und formell bem Original nadı«
Aehend ind Deutſche zu überjeen. Unter
den zahlreichen Weberjeßern, die infolge»
Ss die Feder anfehten, fand fi auch
ürger,
Bellen Dant für bie gelungene Yöfung,
welche Sie und zugänglich machen:;
Wenn von Allen, die Dir einft ebenbürtig
im Siebreiz,
Keine die Deinige wird; — die Deinige
rd
wirb.
Vielleicht verſuchen aud nod andere
unferer Leſer die Aufgabe zu loſen
Bonnent A. in £. If uns leider
unmöglich zu beantworten. Weiß vielleicht
ein Zarofjpieler unter den Leſern wer ger
winnt, wenn bei einem Ginier-Spiele der
Spieler 35 und 1 Blatt, die beiden Partner
4 und 2 Dlatt haben?
A. ». in F Das gewiſſe W.r
Romane* find? Das wiffen wir auch nicht,
verfiehen überhaupt ihre Ftage abjolut nicht.
in
u. 5. A. „Yinb und Tieblid
feudtiet ber ig natürlich, nun firdmt
fie herein die wäflerige Flut der unfeligen
hlingälieder und Sie ſenden bie erfte
elle, noch dazu mit gereimter Empfehlung,
in der von den mandherlei Gaben, die wir
empfangen, verfiert wird:
Denn Verſe jhhmiedet jeht ein Jeder
Und leider ſind fie oft von Leder.
Das iſt nun nicht ganz richtig, denn wenn
auch mander Etiefel zufammengeichrieben
wird, braucht er doch darum noch nicht von
. Ihre Frrliplingklieder find
als altuell, denn heuer des
„Winterd Gram und Schmerzen“ zu ver-
geflen, war nicht ſchwer und der „flarre
troßige Geſell? hat uns doch wahrlich
nicht viel zu ſchaffen gemagt, Warum
alſo die Aufregung? Die ewige Phrafe
von ber „Trauer*, weldye der Winter mit
fi führe, war früher begründet, in unfrer
ohne Wwafle!
Eraft eingeihofien ine, /
——
olit Mehles, Baffen⸗Fabrit
erlin W. i Friedrichftr. 150.
% Weltpoft.
mobernen Welt hat fie feine Giltigleit
mehr, denn die vergnügungsiüicdhtige Menjdh»
heit hat allerlei Eurrogate der Freude ge«
funden, um ſich über die ben Tage
binwegzutäufchen.
€. P. in Mi. Als Sie Ihren „Abend-
gefang* anftimmten, muß es in Ihrem
verehrlihen Schädel auch bereit® bämmerig
neweien fein. Warum des „Ywielidts
Heiz” „Träume um ihr Gemüt wob“,
die jo füß waren, fo ſüß als od fie fhliefen,
ift uns jo wenig verfländlidh, als daß die
Träume im Schlaf immer ſuß fein u
Laſſen Sie ſich übrigens gefagt ſein, da N
Zeit wo die Blätter fallen, gewöhnlich
von Saat nicht mehr die Rede ift, alſo
ihre Beleuchtungseffefte, die Sie wie folgt
ausdrüden:
„Wenn Abendrot und Dämm’rung heil
Die weltei!) Saat erhellt“
fi) ein andres Objelt ausjuchen müſſen
5. 5. in B. Diefes „Berjehen“ ift
feine Fabel, alfo Vorſicht.
3. u. 1) Es ift ſelbſtverſtandlich
daß bei dem Yimmer-Treibhaus der Blech»
tajten,, in weldem das warme Waſſer
vorhanden ift in einem Solzlaflen oder
Holzneftell ſich befindet. 2) Ebenjo muß;
ter Blehlaften bob an der obern Geite
aefchloffen jein und die Holzſtäbchen innen
fi nidyt unmittelbar auf oder über dem
Waffer befinden. 3) Die Größenverbält-
niffe Können fie ja gan; nad Belieben
abändern; in unjrer Darflellung find fie
eben nur als Norm angegeben, 4) Je
röher Sie den Blechlaften, welder das
eihe Wafler enthält, einrichten können,
um fo befier ijt natürlih das Zimmer
treibhaus warm zu halten. (Dr. E.R.ı
. 8. in 8. Zäumen Sie den
Pegadus ab und freuen Sie ſich Fremder
Vorfie, da Sie über eigene nicht verfügen.
Ionen fehlt jhon das einfadhite Geidit
in Be Hung der Form, kommt Ihnen
das nicht au jo vor, wenn Sie folgende
Zeilen durchleſen:
Ad! Er mödt jo gern nod weilen
Bei uns, o armer Erdenſohn
Icho ſchlägt er auf bie Augen zc.
Warum auch noch die Selbilauälerei des
alten am Eterben liegenden Mannes, ſich
auf die Augen zu fchlagen?
„in K. Farbenblindheit ift feine»
wegs eine Strankheit, vielmehr eine phyſis ·
logische Eigenartigleit ded hromatiſchen
Drganed. Bon einer Heilung kann alſo
gar feine Rede jein. ne große Hülfe
lann ſich der Farbenblinde für die Unter-
ſcheidung der Farben durch die Benügung
gefärbter Brillen verihaffen. Die u
der Brillengläjer muß eigentlich für jeben
on von Farbenblindheit bejonders ber
timmt werben. Im allgemeinen fann
man aber fagen, dab für die Hot» und
Grün-Blindheit — und die meifien Farben ·
blinden find rot-grün-blind — ein rofes
Glas das geeinnetfte if. Hal aber bas
tote Glas nicht die gewünſchte Wirkung,
fo nehme man ein grünes Briflenglas. (M.)
. 8. in 8. An Gefhmadlofigkeit
läht Ihre Antwort nichts zu wünſchen
übrig. Wir würden von gefränfter Dicyter-
eitelfeit iprechen, wenn Ste nicht alles cher
als Dichter wären. Mit dem Ihig find Sie
an den Falſchen geraten.
®. St. in. Cine folde Anweiſung
täkt fi hier ſchwer geben. Bei der Billig«
feit diefer IAnitrumente ift übrigens auf
ratfamer als Selbftveriertinung, zu der fie
eben aud die Rohre, Bläfer zc, laufen
müfien und nicht einmal die Garantie des
Gelingens haben.
€. £. in €. Inierate werben nur
gegen Beyahlung aufgenommen,
en,
ur
Weltpojt. — Inferaten»Unhang zu „Vom Fels zum Meer‘. III. Jahrgang, Beft 8.
% Weltpoſt.
A. >. in 2a. Ihre nachtliche Bifion
„Am Eee* muß bie übelften Folgen bei
Ihnen gehabt haben, wie würben Sie ſonſt
ſchreiben können
„Ich ſinke in den Raſen, er ift fo wonnig-
ti
ich,
So einfam, fo verlaffen, für mid fo
ierlich.*
eierlich.
Gin feierliber Hafen! Da ift es ja wohl
erflärlich, daß es Sie „wie Bann dur ch
bringt“, nod erflärlicdher wäre freilich
ein gediegener Schnupfen, der ſich im der
Regel einzufinden pflegt, wenn man am
Seeufer bis in die fpäte Nadpt hinein fhläft.
BR. 5.2. al Sollten Sie bei dem
Sarg der MWafjergeifter nicht nadı be»
rühmten Muftern gearbeitet haben? Er
ift jedenfalls die befte unter ihren Ein
fenbungen.
3. 3. Ueber Anzucht ber Alazie
(Robinia Pseudo-Acacia L.), Anpflan«
jung. Pflege derjelben und zwedmäßige
erwendung bes Holzes gibt ein Fleines
Bud) von H. Yäner, „Die Nubholzpflan-
jungen und ihre Verwendung” Hannover
und Leipzig, Verlag von Philipp Cohen)
vorzünlidie und nach allen Richtungen bin
ausreichende Auskunft. Das Bildhlein
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F. A. in 38. Ihr „Abfchiebägruk”
ift uns Bir nabe gegangen ; wie fehr Sie es
verstehen, in poetiicher Weife ganz triviale
Dinge auszudrüden, jo daß man in leb+
bhaftefter Weile fi in die Situation ver»
Du at. beweifen wohl am beften die
erie:
„überall noch ſchläft der Alltagskummer,
feine Sorg' bie Herzen füllt.“
aber leider leider wacht biefer verbammte
Alltagskummer wieder auf und die Herzen
werben bi& oben wieder gefüllt. Im übri-
gen warnen wir Ihren Abſchied Nehmen ⸗
ben davor, daß er von
dichten Nebeln rings umbült“,
das ift nichts für Leute feiner Ronftitution,
welde
„Die Bruft beengt vor Schmerzen”
fühlen.
A. M. in A. Dffen find Sie, wenn
Sie jhreiben „mit der Ahnen jedenfalls
zur Genüge befannten Unverjchämtbeit der
Diätenden* zc,, und wenn Ihnen Rei>
mereien nicht jo herzlich unbedeutend wären,
wir drudten fie vielleicht zum Dant — —
doch nicht!
Ein großer Teil der Antworten
muhte —— ber ſich fo fehr häufen.
ben Nätjellöfungen auf bas nächte
Heft aufgeipart werben.
Fragen.
€. 8. wänjdt zu wifjen, wer geſlem ·
pelte Briefmarken kauft.
Adert Berlin möchte cin erprobtes
Dittel gegen Haarflechten angegeben haben.
ntworten.
A. £. in Die Anfrage in Heft 7
betr. die Bezeichnungen „in 8 Tagen“ und
„in 14 Tagen“ ift folgendermaßen zu bex
antworten: Der Deuiſche zählt bei Bes
jeihnung von nur einer Woche den Ans
fangs« und Endtag mit, nicht auch bei
„zwei Wochen“. Der Franzoſe thut dies
bei „einer Wode* fowohl, als auc bei
sei Moden. Gr fagt: d’aujourd'hut
en huit (jours) und d’auj. en quinze,
Barum? Das ift fo Spradgebraud.
(Siehe au: Brief 6 der franydf. Sprach»
briefe db. Methode Zouffaint-Langenjcheidt.
WE Lungenleidende u
madhe ich ri mie noch in vorgeicdhrit-
tenem Stabium zu fiherem Grfolg
führende Heilmethode aufmertſam.
Selbſt bruſttrank eig heile ich
jeist ey auf vieljährige Erfahrung
geitükt Blutfpuden, Aſthma, Bron-
hialcatarrhı und ſpeziell Tuberculoſe
Echwindſucht) jogar in verzweifelten
en und ſtehen mir Zeugniſſe von
erfonen aus allen, aud den hochſten
ur Seite, [1231]
uppert, Börlik, Schlefien.
Streifen
Baul
CAL.T mm.
N
1
f, vernickelt, sicher schlessend ü „44 8. —
Zimmerbüchsen 6 mm. fein mit Stecher,
333 Lauf „4 16. — ohne Stecher MIS. -
ſmmerplatolen a A G. 8., 11., 14. etc
Jagdilinten Cefeauch. mit Doppelfchlüffel
à Mao. - 34.—,40.—, 48, —, 60. etc.
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Stuttgart.
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Grntiuma acıulia
«2. 210.
Xlpenbiumen.
Ron
Hermann Müiller.
I es jemals vergönnt war, im Juli oder
Auguſt bei wolfenlofem Himmel auf einem
Hochkamme der Alpen zu verweilen und mit
offenem Zinn dem Genuß ihrer eigenartigen
Welt fih hinzugeben, der findet in dem Er:
innerungsbilde, das jene fonnigen Stunden ihm
hinterliegen, ganz gewiß auch und vielleicht
fogar als deſſen lieblichſten Beitandteil, die
Alpenblumen.
Zo überrafchend neu find die Cinprüde,
welche die Hochalpen uns aufdrängen, daß fir
noh nad) Jahren in faſt urfprünglicher Friſche
in uns fortleben, dabei jo untremmbar zu einem
harmonischen Ganzen unter ſich verbunden, daß
jeder einzelne derjelben den Verband aller übri—
gen wieder in uns wachruft.
Immer leichter aufatmend find wir in einem
Seitenthale, dem tofenden Wildbache entgegen,
in bie dünneren Luftichichten emporgeftiegen.
Mit fteigender Spannung haben wir das Land:
ſchaftsbild unferer Umgebung fich wandeln fehen.
Zpürliher und krüp—
pelbafter wurden Die
Nadelbäume Der an:
grenzenden Bergleh—
nen, häufiger traten
zwischen ihnen karg
begrafte Felsabhänge
hervor, mit Blumen
beiegt, von Faltern
umflattert. Gewalti—
ger hoben ſich über
then wildzerriſſene
Felslkoloſſe und ſchnee⸗
bedeckte Gipfel vom
blauen Himmel ab.
Immer freier wurde
die Ausſicht. An den allmählich erſterbenden
Nadelwald ſchloß ſich, erſt unter ihm angeſiedelt,
dann ihn erſetzend und die ganze Thalwand dicht
überkleidend, ein niederes Gebüſch von Rhodo—
dendron an. Seine brennend roten Blumen—
30
234
maſſen leuchteten uns von der gegenüberliegen-
den Thalwand als zufammenhängende Farben:
flähe entgegen. Hunderte Honig fuchender
Hummeln umfummten die uns benachbarten
Sträuce. Zwifchen ihnen ftiegen wir weit über
die Waldgrenze empor. Audy fie liegen jeßt tief
unter uns, und voll und ganz find wir nun der
ruhigen Betrachtung der uns umgebenden Ein: |
öde überlafjen.
So flar wie in diefen dünnen Luftjchichten
hat uns vorher noch nie die Sonne beftrahlt. |
So leicht und frei wie hier haben wir vorher
noch nie geatmet. Das bloße Einfaugen diefer
Licht: und Wärmeſtrahlen, das bloße Einatmen
diefer dünnen balfamifchen Yuft, die unfere
Lungen bis in ungewohnte Tiefen durchdringt und
erweitert, empfinden wir als einen Hochgenuß,
dem mir oft von neuem mit innigjter Erquidung
uns hingeben. Wie glänzend und brennend aber
auch Licht und Märme auf uns und unjere
ichattenlofe Umgebung herniederjtrahlen, wie
reihlid) auch der Schweiß aus unjeren Poren |
dringt, das Gefühl der Shwüle, das uns tief
unten im Thale jeßt beengen und erjchlaffen
würde, bleibt uns fern. Denn in gleichem Grabe
mit der Verdünnung und Durchſtrahlbarkeit
der Atmofphäre fteigert ſich auch die Leichtigleit
der Verdunftung, die uns abfühlt.
In erhabener Großartigfeit ftehen uns jetzt
die vorher nur halb erſchauten, halb geahnten
Bergeshäupter gegenüber. So ar erjcheinen
uns in dieſer durchfichtigen Luft ihre zadigen |
Umriſſe, ihre ſchneebedeckten Gipfel, Hochthäler
und Schluchten, ihre nackten, vom Wetter zer-
furchten Felswände, ihre von wüſten Schutt:
halden bedeckten Abhänge, als lägen ſie in un—
mittelbarſter Nähe vor und. Sie erfüllen uns
tief mit dem Cindrude, der durch ihre lautloje
Stille nur noch gejteigert wird, da wir hart an |
die Grenze des Lebens unferer Erde herange:
treten find, und daß die uns fo nachbarlich nahe
gerüdten Bergeshäupter noch weit über diejelbe
hinausragen. Um fo wärmer aber begrüßen
wir die Blumen, die uns, fo nahe der Schwelle
des ewigen Minters, als Boten des hier erft im
Hochſommer erwachten Frühlings ringsum ent:
gegenlachen.
In der That finden wir uns hier, zwiſchen
der oberen Grenze des Nhododendrongebüjches
und der untern des ewigen Schnees, in der
blumenreichiten Höhenzone unferes Erbballes.
Ueberall, wo nicht Schnee oder nadte Felsblöde |
Bermann Müller.
| den Boden überdeden, glänzen uns hier in leb:
|
haften Karben die mannigfachſten Blumen ent:
gegen. Die ganze Lebenäfraft der Pflanzen
ſcheint fih hier auf die Hervorbringung von
Blumenpracht fonzentriert zu haben. Dicht über
dem Boden ftredt der jtengellofe Enzian (S.233)
ſeine großetiefblaue Blumenglode der ftrahlenden
'
|
|
|
Sonne entgegen. Nicht minder gibt den zahl:
lojen Scharen der zierlicheren Alpenblumen die
Zwerghaftigfeit der Stengel und Blätter, die
Größe und Farbenpradt der Blumen ihr eigen:
tümliches alpines Gepräge. So dicht ftehen
überdies in der Regel diefe großblumigen Pflan:
zenzwerge aneinander gedrängt, daß fie weithin
den Boden, über den fie fih faum erheben, mit
einer zufammenhängenden Blütendede über:
Heiden.
Die Quelle, die zwischen fchwellenden Moos:
politern herabriefelt, ijt mit einem ununter:
brochenen breiten Saume goldgelber Blüten der
Saxifraga aizoides bejegt. Der vom Schnee:
waſſer durchtränkte, ſelbſt faum fchneefrei ge:
wordene Schuttabhang prangt in einem Purpur⸗
blumenteppid ber Saxifraga oppositifolia.
Aus dem Rande der Schneedede ſelbſt ſchauen
mit zierlich gefchnistem Saume die roten und
violetten Alpenglödchen hervor. An der faum
zugänglichen Kalkfelswand breitet das Edelweiß
feine graufilzigen Stengelblätter fternförmig in
eine Ebene auseinander und ergänzt jo feinen
ärmlihen Blütenfhmud. Noch hoch über der
Schneegrenze find die kleinen Nifchen und Klüfte
nadter Felsflippen mit dichten Nafen der An-
drosace helvetica ausgefüllt, die fich mit ver:
gigmeinnichtähnlichen weißen Blümchen über:
deden. Nach Hunderten zählen die Blumenarten,
die uns fo nahe der Grenze des Pflanzenlebens
durch den mafjenhaften Blütenfhmud über:
rafhen, unter welchem ihre dicht zufammenge:
drängten winzigen Stengel und Blätter fid) ver:
jteden. Manche von ihnen erfreuen uns über:
dies durd) ungemein würzigen Wohlgerud).
Die ganze Alpenmatte haudt ein Aroma aus,
das ſelbſt den blumenreichiten Wieſen des Tief:
landes fremd ilt.
Welchen Urſachen haben die Alpenblumen
diefe überrafchenden Eigentümlichkeiten zu ver:
danfen? Woher rührt das Zurüdtreten ihrer
Stengel und Blätter, das dichte Zufammenge:
drängtjein ihrer Blüten? Welhe Einwirkungen
haben deren Größe, Farbenpradht und lieblichen
Duft hervorgebradht ?
Alpenblumen.
Die Zeit ift noch neu, feit welcher die bota:
nische Forſchung überhaupt von der Beſchreibung
gegebener Formen zur Frage nad) ihrem Werden
fortgefchritten ift. Auch in Bezug auf die Alpen:
blumen werden unfere Kinder und Enfel dereinit
klarer durchſchauen, was für uns vielfach noch
mit geheimnisvollem Schleier umhüllt ift. Doc)
hat hingebende Einzelforfhung auf diefem Ge:
biete bereits fo viel mit Sicherheit zu Tage ge:
fördert, daß wir wenigftens im großen und ganzen
die wirfenden Urſachen zu erfennen vermögen.
Die unmittelbaren phyfitaliihen Einwir:
fungen, denen die Alpenblumen wenigjtens einen
großen Teil ihrer Eigentümlichkeiten verdanfen,
jind diefelben, denen aud) wir uns beim Betreten
der Hochalpen unterworfen fühlen, diefelben, die
unfer eigenes Atmen und Empfinden fo mädtig
beeinflufjen.
Diefelbe freie Ausftrahlung der Wärme in
den Weltenraum, durch welche die hervorra:
gendſten Gebirgsfämme jo ftarf abgekühlt wer:
den, daß fie fich mit ewigem Schnee bebeden,
beſchränkt in den nädjittiefergelegenen Zonen
die fchneefreie Zeit auf wenige Wochen oder
Monate und zwingt die fie bemohnenden Pflan—
zen, auch ihrerfeits die Entwidelung der Stengel
und Blätter auf das äußerſte zu bejchränfen
und die zur Fortpflanzung und dauernden Er:
haltung unerläßlihen Blüten jo raſch als mög:
lich zu entfalten. Diefe find an ſich im allge:
meinen feineswegs größer, als bei den nädhiten
Verwandten des Tieflandes. Aber die Stengel
und Blätter find zu um fo zwerghafteren Di:
menfionen zuſammengeſchrumpft, je höher und
ausgeſetzter ihr Standort. Nicht an ſich, jondern
nur im Verhältnis zur ganzen Pflanze find die
Blumen der Alpenpflanzen von auffallender
Größe. Dieſelbe Rauhigkeit des Klimas, welche
die Entwidelung hoher Stengel und großer
Blätter unmöglih macht, hat aud) die Zuſam—
mendrängung zahlreicher Blumen zu zufammen:
hängenden Flächen zur Folge. Falt alle ein:
und zweijährigen Pflanzen, die bisweilen jahre:
lang unter Schnee verjchüttet bleiben, find in die:
jen Gegenden, der Vernichtung anheimgefallen.
Es find faſt nur ausdauernde Pflanzen übrig
geblieben, deren niedrige Stengel meijt in ſehr
furzen Abſätzen fich verzweigen und Blüten her:
vorbringen, jo daß diefe num dicht gedrängt
nebeneinander zu fien fommen. Das Geflecht
der Weiden ift durd alle Zonen hindurch, von
der Ebene bis zum ewigen Schnee, in zahlreichen
235
Arten vertreten und daher befonders geeignet,
uns diefe Wirkung des Klimas zu veranfchau:
lihen. Ein Weidenbaum des Tieflandes, der
ſich unverjtümmelt hat entwideln fönnen, ragt
mit fchlanfen Aeſten und Zweigen hoch in die
Lüfte und treibt jährlich fußlange neue Schoffe.
Die zwerghafte Salix herbacea der hödjiten
Alpenrüden dagegen drüdt ſich dicht an den
Boden und verlängert ihre Hefte von Jahr zu
Jahr faum um eines Strohhalmes Breite. Aber
ein Gewirr diefer Pflänzchen, von denen die
Abbildung auf S. 240 nur ein einzelnes heraus:
gelöft daritellt, überzieht den Boden derart, daß
ihre Blätter und Blütenährchen denfelben dicht
überfleiden. Ebenfo find bei den Alpenpflanzen
mit größeren, lebhafter gefärbten Blüten diefe
durch die Verkümmerung und dichte Veräftelung
der Stengel eng aneinander und dicht an ben
Boden gerüdt, fo daß fie auf demfelben eine un—
unterbrodhene Blumendede bilden.
Diefelbe alpenaufmwärts jtetig zunehmende
Luftverdünnung, die uns leichter und tiefer auf:
atmen läßt und unfere Verdunftung und Abküh—
lung bejchleunigt, wenn wir bis über die Grenze
des Baummuchfes emporfteigen, macht die Atmo⸗
iphäre der Hochalpen leichter durchſtrahlbar,
rüdt uns dadurd die Bilder der vor uns liegen:
den Bergeshäupter in unmittelbare Nähe und
jest, wie uns ſelbſt, jo auch die Alpenblumen
intenfiver wirkenden Licht: und Wärmejtrahlen
aus. Daf eine Aenderung der Belichtung aud)
die Blumenwelt beeinflußt, iſt durch die 30jähri:
gen Unterfuchungen eines norwegischen Forſchers
außer Zweifel gejtellt. Profeſſor Schübeler in
Chriftiania hat den bejtimmten Nachweis gelie:
fert, daß das ununterbrodene Tageslicht des
ſkandinaviſchen Sommers den Farbenglanz der
Blumen und Früchte und das Aroma der leßte:
ren ſowie der ganzen Pflanzen jteigert. Die
Alpen haben nun zwar vor dem umgebenden
Tieflande feine längere Belichtungszeit voraus,
aber aud) die leichtere Durchſtrahlbarkeit ihrer
Atmofphäre muß die Wirkung der Lichtjtrahlen
jteigern und durchſchnittlich etwas glänzendere
Farben der Alpenblumen und jtärferes Aroma
der Alpenwiefen hervorrufen,
Mit diefen unmittelbaren Einflüffen des
Klimas auf die Alpenblumen kombinieren ſich
nicht minder mächtig wirfende mittelbare, die
uns nur durch nähere Betradhtung der innigen
Wechſelbeziehungen zwiſchen Blumen und Sn:
fetten verftändlich werden.
236
WAR
Erg Teer a
— a, \
Primmula
intrgrifolin
I<
A. Zufimureln
I. Meldhröbr
Dermann Müller,
Daß die Blüten der Fruchtbildung dienen, weiß
von alteräher jedermann, daß fie aber Fräftigere und
entwidelungsfähigere Samentörner liefen, wenn
fie nit mit ihrem eigenen Blütenftaube, jondern
mit demjenigen getrennter Stöde befruchtet werden,
ijt erjt in unferen Tagen erfannt und durch taufend-
fältige Verjuche feitgeftellt worden. Wir wiſſen
jeßt, daß alle Pflanzen einer derartigen Kreuzung
ausgeſetzt find, und daß bei den ſchmuckloſen Blüten
der Gräſer und Hafeljtauden der Wind die leicht:
ausftäubenden Befruchtungsförnden auf getrennte
Stöde überträgt, daß dagegen den buntgeſchmückten
Blüten, die wir Blumen nennen, Inſekten als
Vermittler der Kreuzung dienen. Die bunten War:
ben, die Düfte, die Honigabjonderung der Blumen
find uns als Anlodungsmittel der Inſekten ver:
jtändlic geworden. Auch die unendlih mannig:
faltigen Geftaltungen der Blumen haben wir als
Anpaffungen an die Kreuzungsvermittelung der
befuchenden Inſekten enträtjeln gelernt. Zahlreiche
Blumen haben in diefer Beziehung einen urjprüng:
licheren, mehr unbejtimmten und allgemeinen Cha:
rafter, eine offene, regelmäßige Form, einfache
weiße oder gelbe Farben und allgemein zugänglichen
Honig; fie werden von einem gemijchten Kreiſe
mannigfacher kurzrüſſeliger Inſekten befucht und
befruchtet, die auch ihrerſeits keine hochentwickelte
Ausrüftung für die Gewinnung der Blumennahrung
erkennen laſſen. So verhalten ſich die meiſten
Schirmpflanzen, Saxifragen, Ranunkeln und
Potentillen. Zahlreiche andere Blumen dagegen
umſchließen ihren Honig derart, daß er nur von
beſtimmten, blumeneifrigeren, vollkommener aus:
gerüſteten und zur Vermittelung der Kreuzung
tauglicheren Inſelten, namentlich Bienen, Hum—
meln oder Faltern, erlangt werden kann und zeigen
ſich der Körperform, Bewegungsweiſe und dem
Farben- und Geruchsſinne dieſer beſtimmten Kreu—
zungsvermittler aufs engſte angepaßt.
Wie der Gärtner von den Pflanzen, die er kultiviert,
nur immer diejenigen zur Vermehrung auswählt, die ihm
am beſten gefallen oder am nützlichſten ſind, und wie er
dadurd im Laufe der Jahre immer fhönere oder braud):
barere Blumen und Früchte ins Leben ruft, jo müfjen
unitreitig den Blumen gegenüber aucd die Inſekten als
Süchter, wenn auch natürlich als unbewußte, gewirkt haben.
Denn auch fie wählen nad) ihrer Ziebhaberei und ihrem Be—
dürfnis die Blüten, deren Honig fie genießen wollen, aus;
aud) fie führen die Pflanzen, deren Blüten fie freuzen, zur
Kortpflanzung und dauernden Erhaltung. Unbewußte
Züchtung blumenbefuchender Inſekten ift es, die allmählich
ihmudlofe Windblüten zu buntfarbigen honighaltigen Blu:
Alpenbiumen.
nn — j
— — —
Rinne rn
Viola calcarata (&. 2301.
men gejteigert und deren weitere Ausbildung zu
Bienen-, Hummel:, Falterblumen und anderen
Ipecialifierten Blumenformen herbeigeführt hat.
Von der vorhandenen Inſektenwelt ift daher das
Gepräge der Blumenwelt einer jeden Gegend in
hohem Grade abhängig. Auch das Klima der
Hodalpen hat nicht bloß unmittelbar, durch ge:
fteigerte Abkühlung und Luftverbünnung, fon:
dern auch mittelbar, durch Vernichtung gewiſſer
und Begünftigung anderer blumenbeſuchender
Inſekten, Farbe, Duft und Geftaltung der Blu:
men mächtig beeinflußt.
Auffallend ſpärlich find über der Baum:
grenze die einzeln lebenden Bienen vertreten.
In ihren flacheren Verſtecken fcheinen die meiften
derjelben den langen harten Winter diefer Gegen:
den nicht überbauern zu fönnen. Nur die fräf:
tigeren Hummeln, die fich in tiefer gegrabenen
Höhlen bergen, find bis zum ewigen Schnee
hinauf ebenjo häufig und als Blumenbefruchter
und = Züchter ebenjo hervorragend wichtig wie im
Tieflande. Noch überrafchender aber als die Ar:
mut an Bienen tritt uns bei der Betrachtung der
Alpenblumen die überſchwengliche Menge der fie
umflatternden alter entgegen, die darin ihren
Grund haben mag, dak die hauptjächlichiten
237
Feinde der Rau—
pen, die ing:
vögel, hier nicht die ihnen zu:
fagenden Yebensbedingungen
finden.
Der Bienenmangel macht ſich in dem Ge:
präge der Alpenflora weniger bemerkbar. Denn
zahlreihe Bienenblumen find trotzdem im ber
alpinen Region heimiſch; nur werden fie hier
hauptfählicd von Hummeln und Faltern, denen
ihr Honig ebenfalls zugänglich ift, ausgebeutet
und gefreuzt. Die zahllofen Falter der Alpen
dagegen beſuchen hier nicht bloß jehr gewöhnlich
ſolche Blumenformen, die ihnen nicht fpeciell anz
gepaßt find, und die man im Tieflande felten
oder niemals von ihnen befucht findet; ſondern
auch als jelbjtändige Blumenzüchter haben fie auf
den Alpen eine hervorragende, im Tieflande nur
eine ſehr untergeordnete Bedeutung. Die eigen:
tümliche Ausbildung des Saugrüfiels, des Far:
ben= und des Geruchsſinnes der Falter fpiegelt
ſich in vielen Alpenblumen wieder und verleiht
ihnen auch für uns einen hohen Reiz.
Der Rüſſel der Falter ift durch feine Dünn:
heit ausgezeichnet; die von ihnen gezüchteten
Blumen bergen ihren Honig in fo engen Röhren,
daß nur noch ihren dünnen Nüffeln Zugang zu
demfelben bleibt. Die Dämmerungsfalter oder
Schwärmer überragen überdies durch die Yänge
ihres Nüffels alle übrigen Blumengäfte; die
Schwärmerblumen haben vielfach jo lange Blu:
menröhren oder Eporne, daß fein anderer In—
jeftenrüfjel ausreicht, fie ihres Honigvorrats zu
entleeren. Der Farbenfinn der Falter fpricht ſich
in dem aus zierlihen Schuppen gebildeten Pub:
A. Tie Blüte,
B. Der donigführenbe
Eporn,
‚ Heide aus, das die auseinandergebreiteten Flügel
238
der Himmelsvöglein(Lycaena) mit glänzendem
Blau, der Feuerfalter mit brennendem Rot über:
zieht; auch die von den Tagfaltern gezüchteten
Blumen find vielfach mit lebhaften Blau oder
Not geſchmückt, während Nadtfalterblumen
natürlih nur durch helle Farben ſich bemerklich
machen fönnen. Der ausgebildete Geruchsſinn
der Falter tritt in den befonderen Duftvorrich:
tungen flar zu Tage, durch welche oft das eine
Geſchlecht das andere anlodt und die bisweilen
den lieb:
lichſten
Vanille:
duft aus:
hauden;
ein ähnli:
cher Wohl⸗
geruch ent:
ſtrömt
vielfach
den Fal—
terblumen.
An dem
Blumen:
ſchmucke
und würzi⸗
gen Dufte
der Alpen
nehmen,
von dem
erſten
Schwin⸗
den des
Schnees
tief unten
in der
Wald⸗
region an, die Falterblumen einen hervorragen:
den Anteil, gegen welchen ihre Nolle in der Ebene
und niederen Berggegend gänzlich zurüdtritt.
In vielen Fällen ſcheint dasjelbe Blumen:
geſchlecht im Tieflande von Bienen oder Hum—
meln, auf den Alpen von Faltern aus ur:
iprünglicheren zu fpecialifierteren Blumenformen
ausgebildet worden zu fein. Statt der gelben
Schlüfjelblume, die im erjten Frühjahre, von
Hummeln umſummt, unjere Wälder und Wiefen
beleben, begegnen wir auf den Alpen einer
größeren Zahl prächtig rotblumiger Primula:
arten, die ſich dur) die Engigkeit ihres Blüten:
einganges fofort als Yalterblumen verraten.
Die zierlihe Primula farinosa ift weithin,
Bermann Müller.
von der Schneegrenze bis zum Fuße der Alpen
hinab, über die Wiefen auögeftreut. Primula
integrifolia (S. 236) bekleidet mit großen pur:
purroten Blüten die feljigen Abhänge nahe der
Schneegrenze oder felbjtüber derjelben. Primula
villosa leuchtet inmitten der noch weithin mit
Schnee bededten Flächen der Hochrüden mit
großen, fattviolettroten Blüten aus den von
Schneewaſſer triefenden Felsklüften hervor.
Statt unferes bienenummworbenen Heide:
frautes,
das fich in
beicheide-
nes Roſa
tleidet,
finden wir
bier Die
falter-
blumige
Erica
carnea,
deren Far:
be fich zu
lebhaften
Karminrot
gejteigert
hat. Statt
der von
Hummeln
und Bie-
nen nur
fpärlich be:
fuchten
Orchis⸗
arten un—
ſerer Wie:
ſen (Or-
chis morio, mascula, maculata) blüht auf
den begraſten Abhängen der Hochalpen die von
Tagfaltern umflatterte O. globosa und in
etwas tieferer Region die ebenfalls falterblumige
O. ustulata. Statt des giftigen Kellerhaljes
unferer Wälder, aus dejjen fchlanfen Stengeln
noch vor dem Erjcheinen der Blätter rote Blüten:
gruppen hervorbredhen, die von altern, Bienen
und Fliegen befruchtet werden, verziert den
fargbegraften, feljigen Boden der Hochkämme
die niedergejtredte Däphne striata mit einem
Teppich rofenroter bis ſchneeweißer Blütenfträuße
vom fräftigiten Nellen- bis Vanilleduft. Sie
bildet wahre Tummelpläge mannigfadher Tag:
und Nachtfalter, die aus den langen engen
OLDANELLA .
/
Tas Ulpenplödgen.
Blumenröhren den würzigen Nektar faugen.
Die beiden nadhtfalterblumigen Silenearten des
Tieflandes (Silene acaulis uud inflata) be:
gleiten uns mit ihren fchlanfen Stengeln und
weißen, des Abends ſich entfaltenden Blüten bis
Alpenblumen,
239
bemerflih macht. Gleich vielen anderen falter:
blumigen Bewohnern der alpinen Region hat fie
im Tieflande feine näheren Verwandten.
In den erwähnten und zahlreichen anderen
Fällen geben ſich Alpenblumen, die wir von
hoch über die Baumgrenze hinaus, aber nur auf | Faltern reichlich umflattert jehen, durch Ge:
den Hodalpen treffen wir ihre zwerghafte
Schweſterart, Silene acaulis, an, deren fuß—
ftaltung, Duft und Farbe als reine Züchtungs—
produfte der Falter zu erfennen. Wir dürfen
große, dem Boden aufgedrüdte Najen bis zu den ) annehmen, daß diefe Blumen ſchon in einem
äußerjten Grenzen
des Blumenlebens
hinauf ſich mit
glühend karmin⸗
roten Blüten über:
beden und zahl:
reihe Tagfalter an:
loden.
Auch die lieb:
lich duftende fal:
terblumige Gym-
nadenia conop-
sea unferer Wieſen
jehen wir auf den
Alpenmatten ihre
rötlihen Blüten:
ähren emporitref:
len. Im Tieflande
haben wir fie ftun:
denlang überwacht,
ohne einen einzigen
ihrer buntbeſchupp⸗
ten Kreuzungäver:
mittler auf ber
That zu ertappen;
hier fehen wir fie
im warmen Son:
nenlicht jehr häufig
von altern be:
fruchtet, und be—
gleitet it fie hier von einer bleicheren, nod) |
kräftiger und gewürzhafter duftenden Schweiter,
Gymnadenia odoratissima, die durch Farbe
und Duft befonders nächtlihe Beſucher an
fi lockt.
Der Preis unter allen würzig duftenden
Falterblumen der Alpen gebührt indes dem
Schokoladeblümchen, Nigritella angustifolia,
einer Orchidee, deren ſchwärzliche Köpfchen nur
im Sonnenfhein mit prächtigem Purpurglanz in
die Augen fallen, die aber durch einen fräftigen,
ungemein lieblihen Vanilleduft allen altern
und Alpenwanderern auf das angenchmfte jich
Gentiana verna S. 2491, Sf Etaubfüben, st Narbe,
Die Pleite bedtuten die Richtung ber Entfaltung ber Petale.
urjprünglichen Zu:
ftande hauptſäch—
lid von altern
bejuht und ge:
freuzt wurden, und
daß eben dadurch
nur den Faltern
nützliche und ange—
nehme Eigentüm—
lichkeiten zur Aus—
prägung gelangt
ſind. In einigen
Füllen find aber
augenſcheinlich be:
reits völlig aus:
geprägte Bienen:
und SHummelblu:
men auf den Alpen
der überwiegenden
Kreuzjungsvermit:
telung von Faltern
anheingefallen und
haben ſich nachträg-
Lich Diefen angepaßt
oder find von Die:
fen nachträglich aus
Bienen: oder Hum—
melblumen zu Fal⸗
terblumen umge:
züchtet worden.
Die ſcharf ausgeprägte Blumenform unferes
Sttefmütterdhens, das von Bienen und Sum:
meln, nur ausnahmsweiſe aud) einmalvon einem
Falter oder einer langrüffeligen liege bejucht
oder befruchtet wird, hat auf den Alpen, unter
dem Ginflujje langrüffeligiter Kalter, ihren
honigführenden Sporn derart verlängert, daß
nur noch dieſen ihr Honig zugänglich bleibt. Sie
betleivet mun als Viola calcarata auf den
Hochrücken der Alpen ausgedehnte Streden mit
blauem Teppich (S. 237).
Die weiten Blumengloden der Gentianen,
| die, wie G. acaulıs, den Hummeln ſich öffnen
Sriedrih van KHoffs:
240
Salix herbacea (©. 235).
und von bdiefen die MWohlthat der Kreuzung
empfangen, haben bei einem befonderen, hoch—
alpinen Zweige diefer Familie (bei G. verna,
bavarica und Genofjen) fich derart verengt und
ihren Eingang durd die fcheibenförmig erwei-
terte Narbe derart verſchloſſen, daß nur nod) die
dünnen Nüffel der Falter in die Blume einzu:
dringen vermögen. Bei Gentiana bavarica
und verna (©. 239), deren Blumenmafjen noch
inmitten der Schneeregion als azurblaue Flecken
prangen, ift überdies die am Cingange gegen
alle Nadıtfalter abgeſperrte Blumenröhre von
folcher Yänge, daß auch von den altern nur die
allerlangrüfjeligjten den im Blütengrunde ge:
borgenen Honig zu erlangen vermögen.
Wer find diefe „langrüffeligen Falter”, die
als alpine Blumenzüdhter jo hervorragende Lei:
ftungen aufzumweifen haben? Es find diejelben
Schwärmer, die an lauen Sommerabenden mit
folibriartigem Fluge unfere duftenden Geißblatt—
lauben umjchwirren und, ohne fich zu ſetzen, die
langen Blumenröhren derjelben entleeren; es ift
vor allem der auch im Tieflande häufige Tauben:
fchwanz (Macroglossa stellatarum). Auf den
ſchattenloſen Gipfeln der Hochalpen betreibt er
bei hellem Tage feine Blumenarbeit, und gerade
in den brennenden Strahlen der Mittagsfonne
verrichtet er hier wahre Wunderdinge als Kreu—
zungsvermittler. Freiſchwebend, mit jo raſcher
Bewegung der Flügel, daß unfer Auge fie nicht
zu erfennen vermag, ftedt er mit vollendeter
.—
mit einem Edelweiß+Sträußchen.
Sicherheit das
Ende jeines lan
gen Rüſſels in die
engen Blumen=
eingänge ber langröhriajten Viola-, Primula-,
Gentiana-Xrten, iſt in faum 1—2 Selunden
mit dem Ausfaugen ihres Honigs fertig und
rüdt in rafhem Stoße zur nächſten Blume vor.
So entleert und freuzt er in wenigen Minuten
Hunderte von Blumen, andenen andere Blumen:
gäfte fi) lange und größtenteils fruchtlos ab:
mühen.
Mer ald Blumenzüdhter mit fo raftlofer
Energie arbeitet, dem kann fchließlich lohnender
Erfolg faum ausbleiben. Indem der Tauben:
ſchwanz die fonfurrenzfreiejten, langröhrigjten
Abänderungen feiner Lieblingsblumen, die ihm
die reichjte Honigernte darboten, ſtets bevorzugte
und fie am häufigiten und regelmäßigjten
freuzte, ficherte er ihnen die reichlichſte und
fräftigfte Nachkommenſchaft und brachte endlich
jo langröhrige Raſſen derfelben zur Ausprägung,
daß ihm allein der Genuß ihres Honigs vorbe:
halten bleibt.
Mit einem Edelweiß-Sträufchen.
Don
Sriedrib van Bofis.
Tab’ dem Gleiſcher blüht das Edelmeifi,
Aller Erdenblumen Kron’ und Preis.
Ueber Felſen Nomm id), hod hinaus,
Wand für dich, mein Eieb, den Edelftranf.
Zu den Sternen flög” ich gleich empor,
pPflädte dir der Grmimelsblumen $lor!
Unvergänglich ſchoͤn, find fie allein
Ein getreues Bild der £iebe mein.
_T-
Richard Voß. Vedi Napoli.
241
Vedi Mapoli.
Von
Richard Voß.
.
obert!“
„Lillian?“
1 „Zritther ans Fenſter. Sieh
nur, wie fhön es ift! Diefes
WW weite, weiße Blütenmeer. Cs
| durchflutet das ganze Thal und
ſchlägt über die grünen Ufer hinaus. Es über:
ſchwemmt die Welt. Ueberall Blüten, Blüten!
Iſt es nicht gerade, als fei die Erde im Braut:
Heide? Mir ift, als hörte ich fie atmen. Welch
ein Duft! Und diefe Werde-Seligkeit, die fie
durchdringt. Fühlſt du nicht, wie fie erfchauert ?
der Frühling fommt, fie lebt auf.”
Das ſchöne Mädchen ſchwieg gedanfenvoll.
Ein reizendes Lächeln fpielte um ihren Mund,
den ein Dichter mit einer Knoſpe hätte ver:
gleichen können; war fie doch felbit ein wahres
Frühlingsgedicht : ſo keuſch, jo lieblich und zart —
faft beängjtigend zart. Man mußte bei ihrem
Anblid an den Sturm denken, der fo leicht folche
Knoſpen bricht; an die Sonnenglut, in der fie
fo bald welfen. Es war ganz jeltfam, daß auch
dieſes anmutige Kind, welches vom Leben faum
etwas mußte, bei der Frühlingslandihaft
plöglih an Sterben und PVerderben denken
mußte. Das Köpfchen gefenft, da ihr die blon-
den Xoden in das fühe, blafje Geficht fielen,
ſchmiegte fiefih an die Bruft ihres Bräutigams,
der neben ihr am geöffneten Fenſter ftand, ein
Bild des Lebens und der Jugendkraft. Träu—
meriſch hinaus blidend in den Glanz und Duft,
fagte fie:
„Weißt du, Liebſter.“
„Was, liebe Schwärmerin ?*
„Die Blüte, die heute aufbricht, kann ſchon
morgen abfallen, vom Winde abgeweht werden.
Gewöhnlich bedauert man fie darum. Warum
wohl? Weil fie nicht zur Frucht reift? Das
mag für den Baum jchlimm fein, aber für die
Blüte —. Eie finft herab, jo leicht, fo leiſe!
Wie eine duftige Schneeflode gleitet fie im
Sonnenschein zur Erde nieder, den grünen Rajen .
überftreuend, die Veilhen und Brimeln: viel-
leicht fit einer gerade unter dem Baum und
wird nun jo lieblich befchneit. Dichte ein Yied
darüber, darin du ein junges Mädchen die junge
Blüte beneiden läßt, mie fie fo ſchön ftirbt: viel:
leicht an deinem pochenden Herzen.”
„Das Lied iſt bereits gedichtet,“ Tachte der
Jüngling fröhlich auf und küßte fie.
Sie lächelte ihn an. Ihren Liebiten will es
bedünfen, als jei ein Sonnenftrahl durch ihre
Seele geglitten; jo glanzvoll jehen ihn die blauen,
zärtlihen Augen an. Während er fie an jeiner
Bruft hält, jo rührend in ihrer kindlichen Schön:
heit, jo geheimnisvoll in ihrem bräutlichen Glüd,
durchzuckt ihn der Gedanke: Wie, wenn aud
feiner Blume, die ſich eben erſt an feiner Bruft
dem Licht und dem Leben erſchloß, ein fo „ſchö—
nes“ Sterben bevorftünde: abzufallen und zu
verwehen, noch ehe die Knofpe zur Blume ge:
worden. Man fennt das Schidjal, wie es in
fürdterliher Willkür gerade das vernichtet, was
es hätte erhalten und bewahren follen. Zu ver:
welfen und zu verborren ijt ja Blütenlos.
„Lillian, Zillian !*
„Was haft du, Beliebter?”
„Bleibe mir leben,” flehte Robert mit er:
jtidter Stimme und bededte ihre Stirn, ihre
Augen und bebenden Lippen mit Küfjen. Sie
begriff ihm nicht; aber feine Teidenjchaftliche
Bangigfeit ftedte fie an. Was fonnte fie fürch—
ten? Sie war an feinem Herzen fo geborgen, in
feinen Armen fo fiher vor jedem Schidjal be:
hütet, vor jedem Sturm gerettet. Welche Gewalt
fonnte fie jemals von ihm losreißen? !
Auch dieje beiden guten, jungen Liebenden
nannten ihr Glüd „ewig“.
„Zei nicht jo wild,“ bat fie den Unge—
ſtümen.
Robert ließ ſie los und beide waren geſchäf—
31
242
tig, ihre Beflommenheit von ihrem Liebeäge:
plauder einwiegen zu lafjen. Sie ſchwärmten
von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Alle Zeiten erfhienen ihnen als unendlicher
Frühling. Sie waren in diefem ewigen Lenze
zwei Kinder, die nicht genug Blumen pflüden
fonnten: jede Knoſpe eine Hoffnung.
Und wie zwei Kinder jchritten fie Hand in
Hand hinaus in den ftrahlenden Tag. Im
jungen Sonnenfchein mwandelten fie durch die
neugeborene Schöpfung und e3 wiederholte fi
ihnen der alte, ewige Traum, daf die Erbe ein
Paradies jei und fie die beiden erſten Menjchen
darin.
II.
„Ihre Braut iſt ſehr zart. Hüten Sie ſie;
reiſen Sie mit ihr nach dem Süden,“ riet der
Arzt, mit dem Robert über ſeine Verlobte ſprach.
„Aber Lillian iſt ja nicht krank; ihr fehlt
nichts. Zart ſoll fie ſchon als Kind geweſen
ſein,“ rief der Erſchrockene.
„Eben deswegen gehen Sie nach dem Sü—
den; und wenn ich Ihnen raten kann, ſo kom—
men Sie vor dem nächſten Frühjahr oder beſſer:
vor dem Sommer nicht wieder zurück.“
„Es iſt doch keine Gefahr?“ ſtammelte
Robert.
„Gewiß nicht. Wir thun nur gut, einer
möglichen Gefahr vorzubeugen. Der Süden
kann bei einer Natur, wie derjenigen Ihrer
Verlobten, geradezu Wunder bewirken. Sie
werden es hoffentlich ſelbſt erleben.“
Damit ging der Arzt und ließ Robert in
einem Zuſtande höchſter Erregung zurück. Es
war ſo plötzlich gekommen! Wohl zehnmal
wiederholte er ſich jedes Wort des Doktors, über
jedes Wort in tiefes Grübeln verfallend, und
alle nur möglichen Vermutungen anſtellend.
Zuletzt klammerte er ſich daran, daß von Gefahr
nicht die Rede ſei, daß man nur vorſichtig ſein
müſſe, daß der Süden Wunder bewirken werde.
Es war nichts; er hatte ſich von einigen hinge—
worfenen Worten tödlich erſchrecken laſſen. Man
kennt ja die Aerzte; ſie haben immer etwas zu
ſagen, immer etwas zu fürchten.
Lillians Mutter trat ein. Sollte Robert ihr
ſeine Unterredung mit dem Doktor mitteilen?
Es würde ihn beruhigen, aber ſie unruhig machen
— völlig nutzlos! Und die würdige Dame war
Richard Dof.
in dem Glüd ihrer Kinder fo glüdlih. Er be—
zwang ſich aljo und fragte nad) feinem Mädchen.
Die Mutter machte ein geheimnisvolles Geficht
und verhieß eine Ueberraſchung; doch müfle er
ji noch eine Heine Weile gedulden. Robert
fonnte es nicht unterlafjen, das Geſpräch auf die
Kindertage feiner Braut zu bringen und ſich
zum zwanzigſtenmale jedes bemerfenswerte Er—
eignis berichten zu laſſen.
„Es war ein feltfames Kind. Ich mußte
immer ftaunen. Sie weinte niemals, beflagte
fich niemals, war immer zufrieden und hatte eine
fonderbare Neigung, für alles zu danken. Cie
war jehr jchweigjan, namentlich über fi) jelbit.
Da war nichts aus ihr herauszubefommen. Be:
vor fie zugegeben, daß fie irgend welche Schmer:
zen fühle, wäre fie lieber gejtorben. Sie fpielte
auch nicht wie andere Kinder. Ihre Puppen be-
grub fie ſtets, aber nur unter Blumen. Fragte
man, woran fie geitorben feien, jo antwortete fie
jtets; das Herz that ihnen weh ; das närrifche,
fleine Ding! Des Sommers war ihre größte
Freude, ftundenlang in der Sonne zu Tauern;
je heißer, deſto beſſer! Nicht einmal einen Hut
wollte fie auf dem Köpfchen leiden ; behauptend,
fie friere dann aleih. Was das wohl für ein
Vergnügen fein konnte? Bei ſchlechtem Wetter
war fie immer wie franf, ganz müde und matt,
obgleic) fie eö nie zugeben wollte. Lieber Gott,
wo foll man bei uns immer Sonnenfcein her:
nehmen? E3 war auch alles nur Einbildung !
Solch dummes Gefhöpfhen! Und nun erjt im
Herbft und Winter; da hätten wir unfere liebe
Not mit ihr haben können, wäre fie zu gleicher
Zeit nicht wieder fo herzlich gut geweſen. Zu:
fällig hörte fie einmal von Italien reden, wie
das folch ein rechtes Sonnenland fei. Seitdem
wollte fie immer davon erzählt haben. Cie hat
uns oft recht geplagt. Wenn fie nur einmal nad
Italien fommen Fönnte.“
Nobert ſaß in tiefen Gedanken, bis er auf
einmal auffahrend fagte:
„Aber Sie, liebe Mutter, find dod) jo ge:
jund und der Vater auch.“
„Wie kommſt du darauf? Freilich find wir
beide aefund. Sieh uns doch an.“
„Woher hat Lillian nur diejes Fränkliche
Weſen?“
„In der Familie liegt es nicht,“ ſagte die
Mutter. „Ich habe wenigſtens von keinem ge—
hört, der lieber in Italien ſterben möchte, als bei
uns leben. Das muß etwas ganz Modernes ſein.“
Dedi Napoli.
„Ich hörte manchmal davon reden, daß
Lilian einer Großtante ſeltſam ähnlich jähe.
Sie heißt ja wohl auch nad} ihr? Was war das
mit diefer Verwandten? Es muß etwas Be:
jonderes fein, denn ihr ſchweigt zu auffällig
über fie.“
Die Mutter war unruhig geworben.
„Das iſt Schon wahr,” fagte fie nad) einer
Meile zaudernd. „Sie ijt ihrer Großtante wie
aus den Augen gefchnitten; mir ift e3 immer un:
heimlich geweſen. Ich will dir heute einmal ihr
Bild zeigen. Das iſt freilich eine traurige Ge:
ſchichte. Warum foll man darüber reden? (ob:
gleich es im Grunde genommen nichts Schlim:
mes ift.) Mir war es gleich nicht recht, daß
mein Mädchen nach ihr heißen follte, von quter
Vorbedeutung fonnte das unmöglich fein. Aber
es war poetifch und mein guter Mann ruhte nicht
eher, als bis er richtig auch eine Lillian hatte.“
„Was ift aus diefer erjten Lillian gewor—
den?“ forjchte Robert.
„Sie jtarb als ganz junges Ding. Sie hatte
wohl jchon als Kind die Schwindfucht. Als es
zu fpät geworden, ging ihr Vater mit ihr nad)
Neapel und begrub fie dort. Sie war verlobt —
mit einem Maler. Der fam auch hin und da iſt
denn wohl etwas vorgefallen. Lieber Gott, fie
war todkrank und er ein frifches junges Blut.
Wie ich gehört habe, follen dort die rauen ganz
gefährliche Geſchöpfe fein. — Warte. Da fällt
mir ein: ich habe fogar etwas Gejchriebenes über
fie. Wir beſaßen nämlich einmal einen fogenann:
ten Dichter in der Familie. Lillian kommt doch
nicht fo jchnell zurüd. Ich hole dir unterdeſſen
die Sachen!“
Sie ging eilig fort und fam bald darauf
mit einer bejtaubten Schachtel zurüd,, die fie vor
Nobert auf den Tifch ftellte und öffnete. Oben:
auf lagen verwelfte Roſen; darunter ein vers |
gilbtes Manufkript und ein blaſſes Paitellbild.
Haftig griff Nobert danach und hätte beinahe
einen Schrei ausgeſtoßen; er erblidte das Bild
jeiner Braut ; ebenjo jung, ebenfo zart; dasfelbe
blafje, ſüße Gefichtchen, von langen, lichten Locken
umflofjen; diejelben träumerifchen, wehmütigen
blauen Augen, die jehnfuchtsvoll weit, weit in
die Ferne zu bliden fchienen, vielleicht nach dem
treulofen Öeliebten ; derjelbe wehmütig lächelnde,
liebenswürdige feine Mund.
Während der Verlobte das Bild faſt mit
Entjegen betrachtete, wurde die gute Mutter
wieder redſelig.
243
„Nun, was habe ich dir gejagt? Hatte ich
nicht recht? Ganz unfere Lillian! Es foll ein jehr
wertvolles Bild fein. Behalte ed nur. Du be-
kommſt ja auch das Driginal. Wir armen Eltern
müjjen eben jehen, was uns übrig bleibt. Das
ift fo der Welt Lauf. Wenn du unfer Gold:
find nur glücklich machſt. — Was ich jagen
wollte: Denfe dir, diefes Bild hat der Maler
gemacht — du weißt ſchon welcher; der mit
daran ſchuld trägt, daß das arme, hübfche Kind
jo früh hat fterben müffen. a, die Männer!
Treu ift feiner. Freilich du — ich will nichts
gefagt haben. Du bijt aber auch eine Aus:
nahme. — — Nun, ich fehe, du willjt allein
fein und die alte Gejchichte lefen. Nimm es dir
nur nicht zu fehr zu Herzen. Unfere Yillian iſt
e3 ja nicht und du bit ja fein treulofer Maler.
— Gott jei gedankt! Gleich bringe ich fie dir
her!“
Als der Jüngling allein war, ftellte er das
Bild feiner Verlobten vor fi hin, 309 das ver:
gilbte Manuffript unter den verdorrten Roſen
hervor und las. — —
— — Mo bei Neapel der Feljenvorfprung
des Poſilippo mit flachen, fanften Ufern in das
Meer ausläuft, liegt mitten in weiten Gärten
ein freundliches Yandbhaus. Weit ab von der
tojenden Stadt und den jtolzen Villen auf der
Höhe, träumt das Häuschen unter Laub und
Blüten verftet von vergangenen Tagen, mo
vom Palaſte der üppigen Königin die Stimmen
eines bacchantifchen Lebens bis zu feiner Ein:
ſamkeit hinüberdrangen: verliebtes Lautenſpiel,
ſehnſüchtiger Gefang, fröhliches Lachen hold—
jeliger Frauen. Das war lange her. Yebt lag
e3 ringsum verlafjen, öde und lautlos da. Nur
das Nollen der anraufchenden Wogen wurde un:
aufhörlich vernommen und abends die Barfarolen
der Fiſcher.
Durch ein verfallenes Thor mit verroftetem
Gitter und verwittertem Wappenſchilde führt es
in den weiten, wüften Sruchtgarten, wo das
Blühen und Reifen das ganze Jahr hindurch
nicht abnimmt. Hier hängen neben den dunfel:
leuchtenden Orangen die goldgelben Gitronen;
neben den bläulichen Feigen die roten aufberjten:
den Granatäpfel; hier erntet der Gärtner von
Monat zu Monat Mandeln und japanefische
Mifpeln, Melonen und Trauben und die fühe
Stachelfrucht des Kaktus. Der Weg durd) dieje
üppige, halb wilde Fruchtbarkeit ift hoch mit
Gras bewadjen.
Fon
244
Endlich fteht man dit vor dem Haufe.
Der von Eäulenhallen umſchloſſene Hof ift ver:
fallen und gleicht einer Blumenwildnis. Mut:
willige Nofen find bis zum Dad) hinaufgeflettert,
Ihlingen um graue, pausbädige Liebesengel
blühende Ranfen, werfen Guirlanden von Säule
zu Säule, umwinden das ganze Haus mit im:
merblühenden Feſtons, wälzen ſich über die
Treppen, füllen die Terraffen. Sie werfen fi)
vom Haufe hinüber, hinein in die Gipfel der
Cypreſſen und Pinien, die fie in wahre Blüten:
pyramiden verwandeln, daß Die Zweige Mühe
haben, fich gewaltfam durchzubrechen, um ſich
nicht hilflos würgen zu laffen. Ueber einem
bunten Teppich von Veilchen und Heliotrop, in
den blaſſe Lilien und Narcifien hineingewirkt
find, fteigen dunfle Lorbeer: und Myrtenwände
empor, die fich zu Gängen wölben, wo es am hell:
ſten Tage dämmerig ift ; die Nachtigallen Schlagen
hier den ganzen Tag über. Auf hohen Sodeln
ftehen blafje Marmorbilder. Viele find bis zum
Leib unter Blüten begraben. Natürlich find
aud die Nofen wieder da! Sie Heiden die nad:
ten Zeiber in Gelb und Roſa, in dunkles Rot
und zartes Wei; fie frönen die Stirn mit
Blüten und Domen. Hier fchüttet eine Flora
aus ihrem Füllhorn lebende Blumen, dort
ſprießen aus dem Köder der Diana blutrote
Krofpen. In jener Myrtenlaube ſcheint eine
Venus einer Veilchenwoge zu entjteigen und
unter diefer Palme ift gar ein fchlafender En-
dymion von einem römischen Altar herunterge:
funfen, auf ein Bett von Tazetten und Krofus.
Alles ift Glanz, Glut, Schönheit, Duft, Poeſie.
Das Haus ift geöffnet. Eine hohe Halle
empfängt den Eintretenden, den die verblaßten
Gejtalten einer längjt gejtorbenen ſchönen Götter:
welt von den Deden und Wänden grüßen. —
Dieſe Dornenwildnis! Gott weiß, wie fie hinein:
gekommen, aber drinnen ift fie, und auf den
Ranken fiten die Vögel der ſchönſten Göttin.
Das Märchen ift fertig und dort ift auch die
Jungfrau aus dem Märchen: im lichten Kleid,
mit goldigem Haar. Sie fteht auf der Terrafie,
von der zu beiden Seiten leuchtende Mar:
mortreppen zum Meere hinabführen. Die un:
terſten Stufen werden von den Wellen bejpült.
Sie blidt hinaus in die flutende Unendlichkeit,
die an diefen glüdjeligen Geſtaden unendliche
Schönheit ift. — Auf der einen Seite der Golf
mit dem Veſuv und dem ſchönen Kranze des
Gebirges, fo weit das Auge reicht, von einem
Richard Dof.
ſchimmernden Saume von Städten eingefaft.
Auf der anderen Seite einfam, öde, verlaflen der
Golf von Bajä. Gerade gegenüber Capri, ſtrah—
lend den Wellen entjteigend, ſchön und geheim:
nispoll, eine wunderfame Meeresſphinx.
Der Jungfrau Augen leuchten, ihre blafjen
Wangen find gerötet; fie atmet tief und leicht.
Ihr Vater tritt zu ihr. Auch auf diejes ernite
Geſicht fällt ein Schein von Glüd: feine Toter
wird leben bleiben!
Der Vollmond fchien. Ueber Capri zog ein
ſchweres Gewitter herauf. Es war ein glühen=
der Tag gewejen und die Nacht hatte feine Küh—
lung gebradt. Die Natur lag da, wie mit ge—
lähmten Lebenägeiftern, wie gebannt von ihrer
eigenen ftrahlenden Schönheit. Ueber ihr wälzte
ji die Glut. Es war, als vermöchte felbit das
Meer fih faum zu regen.
Die Blumen hingen die Kelche, ala hätten
fie fih am Sonnenlichte beraufcht. Kein Tau
erfriichte fie. Auch die Nachtigallen ſchwiegen.
In Lillians Zimmer ftanden die Feniter
weit geöffnet; Glanz und Glut ließen fie nicht
einschlafen. Wenn fie aufblidte, ſah fie durch
einen Rahmen von Roſen auf das Meer hinaus
Das war die Welt nit mehr: Erde und
Himmel ſchienen in Licht und Schimmer zuſam—
menzuftrömen.
Schwerfällig wälzte fich die dunkle Wolken—
mafle nah und näher. Dem Mädchen ward
bang. Sie löfte die ſchweren Flechten, öff:
nete ihr leichtes Nachtkleid — wie ihr Herz
wieder ſchlägt! Nod eine Weile verſucht fie es
auszuhalten. Dann jteht fie auf und jchleicht
mit bloßen Füßchen über den fühlen Marmor:
boden aus ihrem Zimmer und zum Haufe hinaus.
Aber auch draußen Fann fie nicht aufatmen. Sie
geht die Treppe hinunter, bis fie das laue
Wafjer an ihren Füßen fühlt. Ohne das Kleid
abzumwerfen, ohne den jungen Leib den Mond:
jtrahlen zu enthüllen, gleitet fie hinab, tief und
tiefer taucht fie unter und wieder empor, ſich
die naflen Haare aus dem Gefiht ſchüttelnd.
Zu müde, um die Arme zum Schwimmen zu
bewegen, liegt fie regungslos auf dem Wafler
und läßt fich von den Wellen tragen. Die Hände
hat fie über der Brust gefaltet, die Augen hält
fie weit offen. Wieder fieht fie in den Glan;
hinein, wieder fühlt fie, als ſei fie won der Erde
verloren. Zuweilen riefelt die Flut über ihr
blafjes Gefiht. Ihr lofes, Lichtes Haar wird
Dedi Napoli.
aufgehoben und ummallt die zarte Gejtalt. |
Kaum, da fie atmet. Co gleitet fie dahin,
einer Toten gleich.
Plötzlich werden ihr die Glieder ſchwer, die
Augen fallen ihr zu; fie hätte einjchlafen
mögen. Schon fühlt fie wie fie ſinkt. Mit An:
jtrengung aller Kräfte bringt fie fich nad) dem
Landhaufe zurüd. Auf der erjten Stufe finft
fie nieder, mit dem halben Leibe nod) im Waſſer.
Jetzt folgt ein Löftliches Ausruhen, der Geift
ichweift frei dahin über Erde und Meer zu
Himmelshöhen hinauf.
Zugleich beginnt das düſtere Gewölk fid) in
wilden , lautlojem Wetterleuchten zu entladen.
Zange, farbige Blitze gleiten durch die Mond:
nacht in das ſchimmernde Meer. Wenn Lilltan
jet die Augen aufſchlägt, jo iſt's ihr, als fei
der Himmel in Flammen gefett, und Flammen
fpeien die Berge, Flammen zuden aus ben
Wellen empor. Blutrot rinnt es den filberhellen
Rücken des Vefuv hinunter. Wie in einer Bifion
jieht Lillian einen Nachen dem Garten fich nähern.
Zwei Öeftalten figen regungslos darin. Gewiß
ein Liebespaar, denkt Lillian. Ein Liebespaar
— fie finnt darüber nad. Was ijt es, wenn
zwei Menjchen fich lieben — was ift die Liebe?
Man faßt fi) bei der Hand, fieht ſich in die
Augen, lächelt fi an, jagt ein Wort oder auch
nichts und — ja, und man ift der Erde entrüdt,
in einen Himmel gehoben. Sie wußte das, ſeit—
dem einer, der ihr lieb war, hatte von ihr gehen
müſſen, ſeitdem wußte fie esan dem Schmerz, der
ihr Herz durchzudte und nie wieder ganz daraus
verſchwand. Sie wußte es an dem fie glühend
durchſchauernden Glück, als ihr gefagt wurde:
daß jie dem lieben Jüngling nachfolgen follte
in das Land der Liebe und des Lebens. Sie
hatte ihm nicht wiedergefehen, aber es konnte
jeden Tag geſchehen, jede Stunde und dann —
dann fam eben das Wunderfame: das Leben!
Unterdeſſen ift der Nahen ganz nahe ge:
fommen, Es ijt gewiß ein Traum, fie kann ſich
nicht regen. Alles ift hell und fie fieht alles.
Sie ficht ein ſchönes, Ihwarzlodiges Weib und
einen Jüngling, den kennt fie; fie möchte im
Traume ſogar jeinen Namen rufen, fie öffnet
ſchon die Lippen; aber was ſich dieſen entringt,
iſt nur ein tiefer, fchmerzlicher Seufzer. Dann
ijt fie wieder ganz ftill und träumt weiter mit
offenen Augen.
Auf der anderen Seite der Treppe landet
das Boot. Cie find jehr glüdlich, fie lachen und
|
245
flüftern. Lilian hört alles; aber regen kann
fie fih nicht, auch nicht feinen Namen rufen,
nicht einmal mehr feufzen, jelbjt nicht ein wenig
tiefer hinabgleiten, daf fie untertauchen und den
Traum auf dem Meeresgrunde austräumen
fönnte,
Die beiden haben fih auf dem Fühlen
Strande niedergelafjen. Die Negungsloje hört,
wie der Jüngling vom Geländer einen Nojen:
zweig abreißt und ihn im übermütigen Spiel
der jchönen Frau um die Haare fhlingt. Dann
werden die Worte leidenfchaftlicher, glühende
Küffe werden gegeben und empfangen, Liebes:
beteuerungen gewechſelt, bis die Laufchende
nichtö mehr vernimmt.
— — — — — — — — — — —
Am anderen Morgen fand der Vater ſein
Kind auf den Stufen liegen, den halben Leib
von der Flut beſpült, mit weit offenen, er—
loſchenen Augen, in den leuchtenden Himmel
hineinblickend. Zu ihren Füßen hatten die Wellen
einen Roſenzweig hingetrieben. Er war wohl
der ſüßen Entſchlafenen beim Entſchlummern
vom Kopfe geglitten. Der Vater legte ihn ihr
um die blaſſe Stirn: mit ihm geſchmückt ging
Lillian in die Ewigkeit ein.
„Am Herzſchlag iſt ſie geſtorben,“ ſagten
die Aerzte.
III.
Das Papier entfiel Roberts Händen; er
ſah unverwandt auf Lillians Bild, auf die ver—
welkten Roſen. Da öffnete ſich die Thür und
die Lebende trat ein: in ihrem Brautkleide, blaſſe
Blüten im Haar. Als ſähe er eine Erſcheinung
ſtarrte ihr Verlobter ſie an, bis ſie, von Rot
übergoſſen, in ſeine Arme flüchtete.
Als Robert ihr warmes Leben an ſeiner
Bruſt fühlte, überkam ihn die ganze Glüdjelig:
feit der Gewißheit.
„Du lebſt,“ jubelte er auf.
Lilian jah ihn gang erfhroden an, dann
flüfterte fie: „Sieh doch, wie ich mich für dic)
geihmüdt habe. Nur der Schleier fehlt noch
und der Kranz; damit muß ich warten, bis —
Er küßte ihr das Wort von den Lippen fort.
Er war wie beraufcht. Immer wieder fagte er
vor fih hin: „Sie lebt! Sie lebt!”
„Daß du mid) fo lich haft,“ jtammelte Lil:
246
lian. „D du, du — —“ Sie hob beide Hände
zu ihm empor. „Daß Menjchen fo glüdlich fein
fönnen!”
„Bu glüdlid) für diefes Leben,“ erwiderte
ihr Verlobter, faum wiſſend, was er fprad).
Wieder ſah Lillian ihn an, heftig erichredt.
„Was find das für verwelfte Blumen, was
für Briefe, was für ein Bild? Sie trat zum
Tiſche. |
„Es gehört deiner Mutter,“ verjehte No: |
bert, und ſchloß alles fehnell in die Schachtel |
|
|
hinein.
„Habt ihr beide Geheimnifje?” fcherzte
Lillian, zum Fenfter gehend. Nobert folgte ihr.
Seine Braut deutete hinaus.
„Sieh, wie alles verändert ift, feitdem du
mich hier zum erjtenmal geküßt. Es iſt Herbit
geworden. Wie fam das nur fo fchnell? Mir
|
|
it, als fei es geftern geweſen, daß ich hier nichts
als Blüten ſah. Diefer trübe Himmel, diefe
graue Welt! Könnten wir fort!”
„Wohin?“ mühte ſich Robert fcherzend zu
fragen.
„sh weiß ed nicht. Nur fort: Siehſt du,
ic) kann es dir nicht jagen. Es lajtet jo auf mir,
daf ic) Faum zu atmen vermag.“
„Sei doch ruhig, Liebhen! Komm, fee
dich zu mir. Lege deinen Kopf an meine Bruft
— fo. Aber diefe zudringlicde Locke jage ich
fort. ch muß in deine Augen ſehen fönnen.
Und nun la uns plaudern.“
„Ja, ja.“
Dennoch ſchwiegen beide.
„Wie dein Herz klopft,“ ſagte endlich der
Jüngling. „Dein liebes Herz!“
„Du liebſt es, weil es für dich ſchlägt.“
„Nein, ich bin glücklich, weil es überhaupt
ſchlägt: es iſt dein Leben!“
„sch fühle es erſt, ſeitdem es dich fo glüd:
lid macht.“
„Und früher?“
Sie ſchwieg, ſann nad).
„Früher,“ antwortete fie langfam, ftill vor
ſich hinblidend, als läſe fie es irgendwo ab.
„Was wußte ich früher von meinem Leben? So
wenig, daß ich jeßt gar nicht begreifen kann,
daß es überhaupt Leben war. Man jagt ja
auch von den Blumen, daß fie leben follen.
Aber alaubft du, dab ihnen etwas wohl oder
weh thut? Im Sonnenjchein blühen fie auf, im
Sonnenschein verblühen fie wieder. Sie willen
weder von dem einen noch von dem anderen. |
Richard Dof.
Das ift traurig! So fühllos, dumpf muß aud)
ich da gewefen fein: aber jetzt — wie joll ich es
nur nennen? Du famft, ſahſt mid an und
plötzlich erwachte ih; du fühteft mich und nun
lebte ih. Wie fann mir dies Leben je wieder
genommen werben, jo lange ich dich habe,
jo lange du mich liebjt?! Und der Menſch liebt
ja wohl endlos.”
„Endlos,* wiederholte Robert mechanisch
ihr letztes Wort.
„Es joll Männer geben, die ihre Frauen
nicht immer lieben. Sit das wohl möglih? Die
ihnen fogar untreu werden. Kannft du dir das
wohl denfen? Und wäre es nur ein treulofer
Blid, ich würde ficher daran ſterben.“
Sie war reizend, wie fie fo plauberte, fo
ſcheu und fhüchtern, nicht wagend, ihn dabei
anzufehen.
„Kannft du es dir denken?“ frug fie noch
einmal, ihn plößlich voll anblidend.
„Ich kann es mir nicht denken,“ verjegte
Robert, und lächelte dabei, wie ein Erwachſe—
ner lächelt über das Märchen, welches er Kin—
dern erzählt.
„Nicht wahr? Nun bin ich wieder ganz
froh!“
„Warſt du traurig ?*
„Mir war bang, du weißt ja, der Herbit ift
eben eine jo wehmütige Zeit.”
„Was meinft du, wenn wir dem Herbft
davonliefen, mitten in den Sommer hinein.“
„Wie?“
„Nun ja; wir müfjen doch) eine Hochzeits—
reife machen.“
„Ach Gott!”
Robert beugte ſich über fie und fpielte mit
ihrem weichen Haar. „Wohin gingft du wohl
am liebjten?“
„Mit bir!“
Sie zitterte fo heftig, daß er fie umfafjen
mußte.
„Freilich mit mir — Mann und Weib,“
fagte er ganz leife. „Haft du gar feinen Wunſch?
Nede doch.“
„Du bift fo gut! Wohin follte ich wollen,
wenn du bei mir biſt. Schön müßte es frei:
lich fein.“
„Was müßte ſchön fein?“
„Hort mit dir, aus dem trüben Tage mitten
hinein in den Sonnenjchein, wo alles leuchtet
und ftrahlt. Dort, wohin ich mit dir gehen
möchte, wachſen Palmen, von Nofen um:
Dedi Napoli.
ihlungen, die das ganze Jahr über blühen; ein
dunfelblaues Meer wogt und rauſcht, Fiſcher
fingen ſchwermütige Lieder, ſchöne Menſchen
wandeln unter Orangenbäumen, in weiten,
lichten Hallen ſtehen blaſſe Marmorbilder —
welch eine Luft, welch ein Duft! Man ſagt
freilich: Neapel ſehen und ſterben. Geh' mit
mir nach Neapel, Geliebter.“
Am Nachmittage ſaßen die beiden wieder
zuſammen und Robert las Lillian die Mignon—
Lieder vor. Sie hörte mit großen, erſtaunten
Augen zu und ſchien von der Schönheit der Ge—
dichte ganz überwältigt. Als Robert geendigt,
verharrte ſie lange ſtill und ſtumm. Endlich
ſagte ſie:
„Das iſt ſo ſchön, daß ich es nicht begreifen
kann; aber mir iſt's, als hätte ic) das alles auch
fagen fünnen, Wort für Wort” und fie flüfterte:
„Dahin, dahin, laß mich mit dir, mein Gatte,
zieh'n!“
IV.
Neapel ſehen und — leben.
Robert vermochte ſich nicht vorzuſtellen, wie
ein geliebtes Leben aus dieſem ſonnigen Tage
ins ewige Dunkel hinabtauchen konnte. Ihm
ſchien an dieſen glückſeligen Geſtaden die Welt
ſo ſchön, daß ihm die Menſchen unſäglich jam—
mervoll vorkamen, die in einem ſolchen Elyſium
Gräber ſchaufeln und Grüfte ausmauern mußten.
Die bachantifche Stimmung des Landes riß ihn
hin, er fühlte fi) oft wie beraufcht. In diefem
erhobenen Zuſtande bemerkte er an feinem
jungen Weibe nur, daß diefes mit ihm eine
Reihe von Feittagen verlebte.
Ein überaus günftiger Winter ließ die
Empfindung, daß auch hier rauhe, trübe Tage
fein fönnten, gar nicht aufflommen. Sie wohnten
nicht in Neapel jelbjt, fondern — doch damit
war es ihnen ſeltſam gegangen. Ganz betäubt
von dem Lärm jener bacchantiihen Stadt flüch—
teten fie gleih am erſten Morgen nad) ihrer
Ankunft auf das Meer hinaus. Sie fuhren von
Santa Lucia aus an der Chiana dahin, am
Johannapalaſt vorüber und um den Vorjprung
des Poſilippo. Wo das Felſenufer mit fanfter
Neigung ins Meer abfiel, ſahen fie von Citronen—
und Orangenbäumen ummaldet ein einfames
Landhaus. Je näher fie famen, dejto größer
wurde Lillians Entzüden. Hier zu wohnen, hier
glücklich zu fein!
— — —— ————— | |
247
Das Haus ſchien vollkommen unbewohnt;
alle Fenſterläden waren geſchloſſen, kein Menſch
zu erblicken. Eine große ſchöne Terraſſe lag
dicht über dem Meere, zu dem breite Doppel:
treppen hinabführten. Die unterjten Stufen
bejpülten die Wellen. Hohes Gras ſchoß aus
den Ritzen der Steine auf; überall ranften die
Nofen. Nobert glaubte das Haus zu erfennen.
Lillian bat, daß man an der Treppe an:
legen, ausfteigen und das märchenhafte, kleine
Schloß befehen möge. Nur ungern willfahrte er.
Glüdjelig eilte Lillian voraus, vor Luft in
die Hände fchlagend, laut jubelnd. Sie fanden
in der Vorhalle eine Thür offen, durch die fie
in einen Saal traten, von deſſen Wänden blaſſe
Göttergeftalten auf fie niederfchauten. Robert
ftand, die Gemälde betracdhtend, als er Lillian
freudig ausrufen hörte. Sie war aus dem Saal
in einen Hof gefommen und glaubte fic plöß:
lich in ein Märchen, und zwar in Dornröschen
verjeßt. Wohin fie jah: Nojen, nichts als
Roſen. Robert folgte und fah jtaunend auf eine
Geſtalt, die fih aus den leuchtenden Blüten
erhob. Es war ein Mädchen von ungewöhnlicher
Schönheit, hoch und ſchlank, mit der Haltung
einer Fürftin. Sie trug ein dunfles, falten-
reiches Kleid und eine Korallenfhnur um den
Hals. Ihren Kopf bededte ein weißes Schleier:
tuch, Darunter fich ſchwere, nachtſchwarze Flechten
hervordrängten. hr Gefiht war wie aus -
Bronze gegoffen, aud jo regungslos in dem
Ausdrud feiner ftolzen, ftrengen Züge. Sie
ſpann an der Spindel und fchien die Gegenwart
der Fremden gar nicht zu bemerken, obgleich fie
gerade nach der Stelle hinfah, wo Robert ſtand.
Auch Lillian hatte fie jet erblidt.
Robert ging zu dem Mädchen hin und ent:
fhuldigte ihr Eindringen: Fe hätten fragen
wollen, ob das Haus zu vermieten wäre, Dann
erfchrad er: das wollte er gar nicht jagen.
„Warum foll es nicht zu vermieten fein?
Es wohnt niemand darin,“ erwiderte das fchöne
Mädchen gleichailtig, ohne fih vom Fled zu
rühren, oder ihn nur anzubliden.
„Können wir es uns anſehen?“ frug Nobert
mechaniſch.
Statt aller Antwort ging ſie voraus, lang—
ſam, ohne umzuſchauen, ob ihr gefolgt würde.
„Was haſt du mit ihr geſprochen?“ fragte
Lillian, die jetzt erſt zu ihm trat.
„Ob wir hier wohnen könnten.“
„Robert!“
248 Richard Dof.
„sch dachte, du würdet dich freuen,“ fagte | zu dem Mädchen trat, lachte dieſes gerade laut
er, ohne fie anzufehen. Er mußte dem Mädchen | auf. Nach einer Weile fam er zu Lillian zurüd.
nachſchauen. „Spottbillig!“ rief er ihr ſchon von weitem
„Ja, ja; wie gut du bift! Hier zu woh: zu. „Ich hätte mich geſchämt, einen Soldo ab—
nen — es muß wunderbar ſein, ein Traum! zuhandeln. Das iſt köſtlich!“
Aber — —“ „Alſo — —"
„Das Mädchen wartet auf und. Komm.“ „Alſo nehmen wir das Haus. Natürlich!
„Wie Schön fie iſt,“ meinte Lillian leife, als | gemietet. Freuft du dich nicht?“
ob die Fremde fie verftehen könne. „Sehr, jehr, Es wird herrlich fein.“
„Findeſt du? Sie ift eine echte Neapoli: | „Und fo ruhig, jo einfam. Dieſes tolle
tanerin, Ein ganz unheimliches Geſicht.“ Neapel hätte uns beide franf gemadt. Hier
„Unheimlich?“ können wir leben, genießen, in Schönheit ſchwel—
„Kommt es dir nicht fo vor? Ich habe eine | gen. — Wie blaß du heute wieder einmal biſt.“
Antipathie gegen ſolche Geſichter. Sie find fo „Nicht doch; ich fühle mich ſehr wohl, ich
falt, jo jeelenlos — ich weiß nicht, wie ich mich | bin jehr glüdlich.“
ausdrüden foll: wie von einem ganz anderen Sp zogen fie denn in das verlafjene Haus
Menihengefchleht, mit dem wir nichts gemein | ein und verlebten hier in Wahrheit ein Mär:
haben, das ung ewig fremd bleibt. Diefes | den. Sie hatten für die Dauer ihres Aufent:
Mädchen fieht ganz ftatuenhaft aus. Ich bin | haltes das Boot gemietet. Der junge hübfche
überzeugt, daß fie leivenjchaftlich fein Fan, wie | Fiſcher — er hieß Gigi und war mit Leib und
ein Dämon. Nein, die Bewunderung für der: | Seele Neapolitaner — führte das ganze Haus:
gleihen Schönheiten überlafje ich gern Dichtern | wejen, machte in Neapel die Einfäufe, beforgte
und Künſtlern!“ jogar die Küche. Wenn er nichts zu thun hatte,
„Das tft ſehr feltfam,* entgegnete Lillian | lag er im Sonnenſchein und fang fchwermütige
in einer Weife, als dächte fie nur laut. Lieder. Im übrigen war er jo glücklich wie nie=
Robert lieh plöglid) ihren Arm los. mals in feinem Leben, da er niemals in feinem
Das Mädchen hatte in allen Zimmern die | Leben fo viel Maccaroni hatte efien können. Daß
Fenſterläden aufgejtoßen, den beiden die Be- | er nebenbei leidenschaftlich und dabei völlig hoff:
fichtigung der Näume völlig allein überlaffend. | nungslos in die fchöne Marietta verliebt war,
Das Haus hatte viele Gemächer, eines immer | that feiner Lebensluft feinen Abbruch).
öder und ſchwermütiger, wie das andere, über: Diefe jtolze Donna verhielt ſich nad wie
all Spuren einftmaliger Pracht. vor völlig — königlich gegen die beiden rem:
„Nun, wie gefällt es dir?” fragte Nobert, | den. Zu jeder Tagesftunde fonnte man fie
das lange, beflommene Schweigen unterbrechend. | im Freien treffen, entweder in dem Rojenhofe
„Wunderfhön! Nur die Luft macht mir | oder unter den Orangenbäumen. Man fah fie
bang.“ ſtets dieſelbe Arbeit verrichten, ftets dieſelbe un:
„Das fommt davon, weil das Haus lange | nahbare Miene machen. Nur dem armen Teufel
Zeit verfchlofjen ſtand,“ ward fie belehrt. von Gigi gönnte fie dann und wann ein Wort;
„sch kann mir noch gar nicht denken, daß | ja fie hatte fogar die Gnade, ihn über feine
wir wirklich hier wohnen dürfen.“ herzzerbrehenden Seufzer und glühenden Liebes:
„Es fommt nur darauf an, ob wir den | lieder auszulahen, was ihr ganz merfwürdig
Preis zahlen wollen oder nicht. itand. Man fah erſt dann, was für rote Lippen
„sch fürchte, es wird nicht möglich fein.“ jie hatte. Sie fing an, Lillian Furcht einzu—
„Ich kann ja fragen.“ flößen, Nobert vermied es, ihr zu begegnen.
Er verlieh fie jchnell, beinahe in Haft, das | Mufte er fie einmal anſprechen, fo erhielt er
Mädchen überall fuhend. Er fand fie vor dem | faum eine Antwort. Diefes unziemende Be:
Haufe auf der Terraffe, wo fie wieder fpinnend | nehmen verjegte ihn jedesmal in Aufregung.
am Geländer ftand und mit dem jungen Schiffer | Mit Lillian ſprach er nie mehr über fie.
redete. Der Burjche lag in feinem Boote lang Sein blafjes Weib flößte ihm übrigens dann
auögeftredt, ſich um nichts befümmernd, als fih | und wann ernjte Sorge ein. Nicht etwa, daß
von der Sonne befcheinen zu laffen. Als Robert | fie geklagt hätte, aber fie war zumweilen ſeltſam
Er reichte ihr feinen Arm. | Und zwar habe ich es für den ganzen Winter
— — — — — — — — — — en nn — — —
Dedi Napoli.
matt und müde. Wenn er fi darüber äng—
itigte, wußte fie ihm jedoch jedesmal zu über:
zeugen, daß es nur das Uebermaß der Schönheit
jei, das beim ftündlihen Genufje ihre Kräfte
erſchöpfte. Dabei erſchien ihrem beforgten
Freunde mit jedem Tage der Glanz ihrer Augen
jtrahlender, ihr Lächeln lieblicher, ihre Stimme
mehr voller Wohllaut. Sie war nie heiterer
gewefen, hatte nie lebhafter an die Vergangen—
heit gedacht, nie mit freudigerer Hoffnung von
der Zukunft geſprochen. So fam es, daß Nobert
troß geheimer Sorge immer wieder denken mußte:
„Neapel ſehen und leben!“
V.
Aus Roberts Geiſt war die Spukgeſtalt
der erſten Lillian gewichen. Zuerſt war es
nur ein blaſſer Schatten geweſen, der ihn er—
ſchreckte, als er an der Seite der Lebendigen
zum erſtenmal das Haus betrat, darin jene ge—
ſtorben. Er war nichts weniger, als nervös,
ſondern ſtrotzend von Geſundheit und Kraft, ſo
daß er ſich gar nicht das unheimliche Gefühl ge—
ſtattete, welches ihn im erſten Augenblick über—
fallen hatte, als er ſich mit Lillian ſo uner—
wartet in dem verlaſſenen Landhauſe wohnen
fand. Es war alles mit ſo natürlichen Dingen
zugegangen, daß er den Glauben an ein Ver—
hängnis bei ſich ſelbſt auf das heftigſte als Aber—
glauben ſchalt. Dann allerdings waren Tage
gekommen, wo der Geiſt der Geſtorbenen in
Lillians Geſtalt an ſeiner Seite lebte und ſich
nicht verſcheuchen ließ. Oft hatte er gedacht,
es nicht ertragen zu können und war im Begriff
geweſen, Lillian zuzurufen:
„Wir gehen fort; morgen, heute noch!“
Jedesmal hatte er aus Scham geſchwiegen
und die Schwäche tapfer niedergekämpft. Zu—
letzt gelang es ihm denn auch völlig, ſeiner
Phantaſie Herr zu werden. Er war zu dieſer
Zeit mit anderen, womöglich noch unheimlicheren
Gedanken beſchäftigt.
Lillian blieb von allem völlig ahnungslos;
ſie wußte kaum, daß vor ihr noch eine an—
dere ihres Namens dageweſen war. Uebrigens
hatte Robert das Manuſkript und Bild mitge—
nommen und bei fi in feinem Zimmer ver:
ſchloſſen. Zuweilen fühlte er fi gezwungen,
das Gemälde zu betradten und das kurze
Sclußfapitel des fleinen Dramas zu leſen.
|
)
249
Eines Tages beſuchte Robert in Neapel
das Statuenmufeum, Lillian befand fi in
ihrem Schlafzimmer. Wie gemöhnlih, wenn
fie allein war, ruhte fie aus. Aber nicht etwa,
daß ihre Ermattung ihr irgend welche Sorge
eingeflößt oder fie diefelbe vor Nobert angſtvoll
geheim gehalten hätte: fie war nur nicht ge: -
wöhnt, über ſich zu reden.
Mit geichlofjenen Augen auf dem Bette
liegend, doch nicht fchlafend, gedachte fie des
lieben Entfernten und wie er ihr jeßt fo ver:
wandelt vorfam: bald feltfam träumerifch, fait
tieflinnig, bald leidenſchaftlich auffahrend, bald
teilnahmlos, bald unverftändlich erregt. Dabei
zerjtreut bis zur Verwirrung, unruhig bis zum
Unftäten. Was mochte mit ihm fen? Was
in ihm vorgehen? Sal) fie ihn zumeilen zärtlich
an, jo wandte er feinen Blid von ihr ab; wagte
fie einmal einen Kuß oder eine ſchüchterne Lieb:
fofung, jo entzog er fich ihr, und das manchmal
fogar unfreundlich. Richtig — jetzt fieles ihr ein:
er küßte fie eigentlich nie mehr und that er's,
jo berührte er nur flüchtig ihre Stirn oder
Augen. Früher war das anders gewefen; über:
haupt früher — —
Dabei hatte er nie foldhe zärtliche Sorge
um fie getragen, folde unnötige, zärtlihe Sorge.
Er lebte dafür, fie vor jeder Zugluft zu ſchützen,
ihr jeden Stein aus dem Wege zu räumen; es
machte ihn glüclich, im Garten für fie die ſonnig—
ften Plätze auszufuchen, ihr die ſchönſten Blumen
zu bringen, oder fie weit ins Meer hinaus:
zurudern. Er war ihr für jedes Lächeln dank:
bar, er ihr, die nichts anderes thun mochte,
' als ihm ihren Dank zu ftammeln. Warum jah
‚ er fie zuweilen, wenn er fih unbeobadtet
|
|
glaubte, jo unendlich traurig an, fo unſäglich
mitleidig? Mitleidig, fie, die fie ihn liebte,
die fie von ihm geliebt wurde? Einmal —
fie würde es niemals vergefjen — hatte er jie
in heftiger Bewegung umfangen, war an ihrer
zitternden Geſtalt niedergeglitten, hatte fein Ge:
fiht an fie gebrüdt und war in ein lautlofes,
frampfhaftes Schluchzen ausgebrochen. So oft
fie daran dachte, fühlte fie fih von neuem ent:
ſetzt. Damald war Marietta in den Garten
gefommen; wie war er da aufgefahren! Mit
welchem Blide hatte er dem fremden Mädchen
nachgeſtarrt. Die that, als wenn fie nichts ge:
jehen hätte. Etwas wie Haß, wie tödliche
Feindſchaft hatte damals in diefem Blide ge:
legen.
2
=
o
Dr
250 Ridwrd Voß.
Marietta! Wie jtolz der Name klang, wie
ftolz und zugleich wie zärtlich.
Auf einmal hörte Lillian durch das offene
Fenſter Mariettas tiefe, ruhige Stimme. Sie
ftand auf der Terrafje und ſprach mit Gigi:
„Seine Frau? Er hat gar feine Frau.“
hörte Lillian fie in einem beinahe graufamen
Tone jagen. „Lang fann es auch nicht mehr
mit ihr dauern. Sieh’ fie dodh an. Und er
merft es nicht einmal. Nun, für ihn iſt's qut
und für fie noch beifer. Aber was fümmert’s
mich ?”
„Was es dih kümmert, du Schlange?
Als ob du ihm nicht nachſtellteſt, und ala ob er
nicht ſchon längſt gefangen wäre!“
„Du bift verrüdt.*
Sie late laut auf; das Lachen eines Di:
mons,
Darauf war e8 wieder ftill.
Lilian hatte alles gehört, aber nichts ver:
ftanden. Wie follte fie auch verjtehen? Es war
ja ein häßliher Traum. Unmöglid, daß es
nit Traum gewefen! Sie hatte gefchlafen —
ber heiße Schweiß ftand ihr auf der Stirne,
Jetzt war fie erwacht. Die Glieder waren ihr
noch ſchwer; fie fonnte fih faum regen. Eine
Weile lag fie jtill da, ohne denfen zu können;
auf ihrem Kopfe laſtete ein eigentümlicher
Drud, in ihrem Herzen fühlte fie einen eigen:
tümlihen Schmerz. Vielleiht war auch das nur
geträumt. Wer hat nicht von Alpdrüden gehört?
Plötzlich überfiel fie eine entjeliche Bangig—
feit. Die Angſt wälzte fich über ihren ganzen
Körper. Sie ftieß einen Schrei aus, fprang
auf — aus ihrem Munde ftürzte Blut.
Aber fie ward nicht bewußtlos. Robert
fonnte jeden Augenblid zurüdfommen. Er
durfte fie fo nicht finden. Sie mußte hinaus.
Ihr Geficht, ihre Hände, ihr Kleid waren
blutig. Haftig wuſch fie fih und zog fich um.
Dabei laufchte fie fortwährend angjtvoll hinaus,
ob er auch nicht ſchon fomme. Wollten ihre Kräfte
fie verlaffen, jo brauchte fie nur daran zu den:
fen. Jetzt war fie fertig, jetzt verlieh fie das
Zimmer, das fie hinter ſich zufchloß.
Sie ging ihm durch den Garten entgegen,
fih mit der größten Anftrengung aufrecht er:
haltend. Da hörte fie vor ſich Tamburingerafiel
und, hinter einem Myrtengebüſch vortretend, ſah
fie auf einer Wiefe, in deren Mitte eine Palme
ftand, Marietta und Gigi Tarantella tanzen.
Der bachantifhe Tanz hatte noch einen an:
deren Zujchauer, der auch nichts von der ſchlan—
fen Geftalt jah, welche die Myrtenzweige ver:
bargen; dabei ſtand er ihr fait gegenüber, jo
daß fie ihm ins Geficht jehen konnte. Viel:
leicht hätte fie vor ihm ftehen können, ohne von
ihm bemerkt zu werden: er hatte nur Augen für
die ſchöne Tänzerin.
Sie gli einer Mänade. Oberkörper und
Kopf weit zurüdgeworfen, die büjteren Haare
flatternd, hielt fie hoch über fi) das Tamburin,
es mit einer Hand jchwingend, mit der anderen
dagegen ſtoßend. Blitzſchnell glitten die gelben,
ihlanfen Finger über das Trommelfell. Sie
fümmerte fi) nicht viel um ihren Mittänzer,
ber fie wie ein Yaun umfprang. Ganz von
Leidenfchaft hingerifjen, tanzte fie beinahe für
fi allein. Welche Bewegung, welche Anmut,
welche Wildheit! Immer toller raſte das Tam—
burin, immer bacchantiſcher kreiſte ihr Körper.
— Lillian mußte ſich ſchaudernd abwenden nach
ihrem Manne hin. Da begegnete ihr Auge
einem Blicke ihres Gatten, den dieſer auf die
ſchöne Furie warf — da verlor ſie das Be—
wußtſein.
Sie lag eine ziemliche Weile hinter dem
Myrtengebüſch, bis man ſie fand.
trug ſie ins Haus, Gigi lief nach einem Arzt.
Marietta, die wieber i in eine vollfommene Statue
verwandelt war, bot mit einem falten Blid ihre
Hilfeleiftung an; Robert winkte ihr heftia
zu, das Zimmer zu verlafien, Sie jchritt ge:
meſſen hinaus.
Der Arzt fam und gab feine Hoffnung.
Robert glaubte feinen Verſtand zu verlieren.
Und in diefem Zuftande mußte er ruhig und
gelafien erjcheinen, da Lillian gerade wieder
zur Befinnung fam. hr erites Lebenszeichen,
welches fie noch halb bewußtlos gab, war, daß
fie nad) feiner Hand tajtete und ihn anlädelte,
bevor fie noch die Augen zu öffnen vermochte.
Erft jet trug man fie in ihr Schlafzimmer, wo
Nobert auf dem Boden das Blut jah. Bei
feinem Schrei ſchlug fie die Augen auf.
Als fie wieder zu ſprechen vermodte, ver:
fuchte fie den Geliebten zu beruhigen. Sie
ſchien jehr glüdlich zu fein, ala Robert ihr ver:
fiherte, daß er durchaus nichts befürchte. Sie
lag nun ftill da, fortwährend ihn anjehend und
fortwährend flüfternd:
„sch habe dich fehr Lich.“
Einmal aing Robert hinaus, warf fi in
jeinem Zimmer auf das Bett und vergrub feinen
Robert _
Dedi Napoli,
Kopf in die Kiffen, um fein lautes Schluchzen
zu erjtiden.
mürde.
Doch erholte fie fih noch einmal; ja,
fie wurde wieder fo fräftig, daß er fie
hinaus in den NRofenhof tragen fonnte. Sie
war von einer ftillen Heiterfeit, einem unbe:
ſchreiblichen Liebreiz, einer himmlifchen Güte.
Mit jedem Tage erjchien fie verflärter. Stets
trug fie ein weißes Kleid und liebte es auf ein:
mal, eine Blume ins Haar zu jteden.
Unterdeffen wurde es immer wunderbarer
um die beiden. Unter dem Schluchzen ganzer |
Chöre von Nadtigallen fam der neapolitanifche
Frühling. Welche unfterblihe Schönheit!
Er wußte, daß Lillian jterben |
Täglich mußte er fie auf einige Stunden |
verlafjen; fie trieb ihn dazu. Er jollte fort von
ihr, nad Neapel, auf das Meer, in das Ge-
birge. Willenlos gehordte er. Hätte fie ge:
ahnt, welde Stunden der Entfernte an wilden
Plätzen und in einfamen Meeresbuchten ver:
lebte, fie hätte ihn feinen Schritt von ihrer |
251
jedoch in tiefem Schlaf. Er ſaß am Tifche, mit
dem Kopfe darauf niedergefunfen. Neben ihm
ftand, faſt herabgebrannt, eine Kerze, neben ihm
lag aud ein Bild und ein vergilbtes Manu:
ffript. Lilian ſchlich ſich zu dem Schläfer,
beugte ſich herab — ihr Blick fiel auf ihr eige—
nes Bild. Seltſam! Sie hatte ſich doch niemals
malen laſſen. Dennoch war ſie es, ſogar trug
ſie im Haar, eine blaſſe Blüte. — — Was
bedeutete das? Da las ſie vor ſich eine Ueber—
ſchrift: „Lillians Tod“. Sie nahm das Papier
auf, ſank neben Robert auf einen Stuhl nieder
und las — ihre eigene Geſchichte.
Als Robert am nächſten Morgen zu ihr kam,
fand er ſie völlig angekleidet auf ihrem Bette
liegend, die Stirn ganz ſeltſam mit einem
Roſenzweige geſchmückt.
In ſeinen Armen ſchlief ſie ein.
Seite gelafien. Aber aud) fie bedurfte dieſer ' Bismard i in Frankfurt am Main
wenigen einfamen Stunden, um vieles zu durch⸗
fämpfen — auszufämpfen. Kamen fie dann
wieder zufammen, jo waren fie beide ruhig und
ermattet!
Ein wahres Wunder von Wandlung hatte |
Diefer hatte all ihr |
fie an Marietta vollbradit.
Trotz nichts geholfen: vor Lillians Lächeln,
Lillians fanften Worten und ftrahlendem Blick
vermochte die ftarre Seele fi) nicht zu ſchützen.
Alle zurüdgehaltene Leidenfchaft brad) aus dem |
wilden Gemüt hervor. Sie war in ihrer Be-
wunbderung, wie in ihrer Verzweiflung über die
Sterbende maßlos. Dagegen verhielt fie fi
gegen Robert, als ſei er ihr Todfeind. Aud) er |
begegnete ihr mit unverhohlener Abneigung.
Eines Nahts machte Lillian auf. Ma:
rietta ſaß an ihrem Bette, die brennenden
Augen auf das todblaſſe, füße Antlis geheftet.
Robert war nicht im Zimmer. Die Kranke
fühlte eine heftige Sehnfuht nad) dem Ab—
weſenden; aber fie wollte ihn nicht weden laſſen:
er hatte jo viele Nächte gewacht, der arme
Mann! Mit Mariettas Hilfe erhob fie ſich,
ließ fich ihr Nachtkleid überwerfen und ſchwankte,
ohne fich jtühen laffen zu wollen, aus dem Ge:
mad) in das Zimmer ihres Gatten. Nur ein:
mal anjehen wollte fie ihn und dann beruhigt
und beglüdt wieder forticjleichen.
Sie fand Nobert angekleidvet außer Bett,
(1851—1859).
Bon
Fedor von Köppen.
ie Stadt Frankfurt gehört zu denjenigen
deutfchen Städten, deren Namen uns fajt an
‚ jedem Wendepunfte der deutichen Geſchichte be-
gegnen. Welches reiche geichichtliche Leben fpielte
innerhalb ihrer Stabtmauern ſich ab von der Zeit
an, als Karl der Große hier mit feinen Franken
durd) die Furt des Mainz ging, um die jenfeits
desjelben lagernden Sachſen zu befämpfen, bis
fie dem legten Friedensſchluſſe zwischen Deutſch—
land und Frankreich (10. Mai 1871) den Namen
gab. Welche mächtige Vergangenheit Schaut von
den Wänden des alten Nömerjaals in dem hohen
dreigiebeligen Rathaufe droben, wo die Bilder
der deutfchen Kaifer, die hier gefürt und gefrönt
wurden, in den Nifchen hängen bis auf Franz II.,
‚ den letten deutjchen Kaijer, bei deſſen feſtlichem
‘ Krönungsmahlederjunge Goethe aufder Schwelle
neugierig durch eine geöffnete Seitenthür zu:
ihaute! — Seltjamerweife fügte es fi, daf
das lebte Kaiſerbild auch die legte Niſche füllte,
jo daß für das Bild des Erzherzog-Reichsver—
wejers Johann, jenes Kaiſerſchattens, den die
252
Frankfurter Nationalverfammlung (1848) für
furze Zeit ins Leben beſchworen, fein anderer
Mat blieb, als über einer verkleideten Seiten:
thüre.
Das Frankfurt, welches wir aus Goethes
Kindheit und früher Jugend kennen, war weit
verſchieden von der freien Neichs- und Bundes:
ftabt, in der Otto von Bismard, unjer gegen:
wärtiger Reichskanzler, feine ftaatsmännifche
Laufbahn begann, Die alte Neichöftadt hat mit
den Ningmauern und Türmen ihre finfter ehr:
bare Miene abgelegt und fchaut aus dem Kranze
blühender Gärten und Anlagen voll heiterer
Anmut und Lebensluft hervor. Ueberall Reg—
famfeit, Wohlleben und Reihtum! — Nur hie
und da erinnert noch ein verwittertes Gemäuer
an die mittelalterlihe Vergangenheit, jo der
epheuumfponnene Turm mit der neunfad) durch—
löcherten Wetterfahne, dem Wahrzeichen Frank:
furts, am Ausgange der Eſchenheimer Gaffe,
in welcher der ehemalige Palaſt des Reichspoſt—
meijters Fürften Thurn und Taxis — zu der
Zeit, von der wir reden, Sit der deutichen
Bundesverfammlung und Refidenz bes öjter:
reihischen Bundespräfidialgefandten Grafen
Thun — liegt.
Auch in gejelliger Beziehung hat Frankfurt
jeit Goethes Zeiten eine jehr veränderte Miene
angenommen. Noch bis zum Ende des vorigen
Jahrhunderts waren die Juden dort faftenhaft
für ſich abgeſchloſſen und auf eine zwifchen zwei
Mauern eingejchlofiene, mit drei Thoren ver:
wahrte enge Galle, deren ſchwarze Häufer Die
überhängenden Giebel gegeneinander fehrten,
beihränft und mußten das Nedht, an Sonn:
und Feittagen die Gaſſe verlaſſen und das Stadt:
thor paffieren zu dürfen, mit hohen Abgaben er:
faufen. Jetzt bildeten fie ein bedeutjames
Element in der Frankfurter Gejellfchaft, und
die Namen zweier mächtigen Potentaten, die
aus demfelben hervorgegangen, find in aller
Munde — die Namen Rothihild und Börne.
Die moderne Gefellihaft bewegte fih in
zwei Sphären: in der einen Wohlſtand und
Freiheit und der Wunſch, beide zu frohem Lebens:
genuß zu gebrauden, aber der Mangel an ge:
wiſſen wirklihen und eingebildeten Vorzügen,
die außer den Gütern des Lebens noch begehrens:
wert erſcheinen; — in der anderen vornehme
Namen und die Ehre des Amtes, verbunden mit
Rang, Titeln, Orden und der angenehmen ge:
jellfchaftlihen Gewohnheit, aber der Mangel an
nn — — —— — — — — — — — — — — — —
Fedor von Köppen.
Mitteln, um dieſe glänzenden Eigenſchaften zur
vollen Geltung bringen zu fönnen. Was Wunder,
daß beide Welten einander dur das Lorgnon
des Spottes betradhteten und doch — je länger,
je mehr — einander unentbehrlid wurden. Die
eine liebte eö, ihren Reichtum zur Schau zu
tragen, ihre glänzenden, offenen Equipagen um
die Mittagäzeit die Zeil entlang rollen zu laſſen,
oder abends in prachtvollen Toiletten in den
Salons zu erfcheinen; die andere entfaltete ihren
Glanz auf der Parade und an der grünen Tafel:
runde im Thurn und Tarisfhen Palais. Wenn
aber an ſchönen Sommernadhmittagendie Offiziere
in ſchimmernden Uniformen, die jungen Attachés
der Gejandtichaft mit Bändchen im Anopflod)
durch die breiten Baumgänge der vorftäbtischen
Anlagen auf edlen Rofjen dahertrabten, dann
ward in den Batricierlandhäufern zur Seite hin
und wieder eine Gardine gelüpft und von den
mit Blumen befegten Balkons leuchteten fern:
treffende Blide in das Dunkel der Baumgänge
hinab.
Beide Welten empfingen damals Licht und
Wärme von der Sonne Defterreih. Die öfter:
reichiſche Staatskunſt hatte nicht allein bei Olmütz
geſiegt, ihr Einfluß herrſchte auch an dem wieber-
hergeftellten Bundestage, in der Preſſe, in den
Kabinetts der Heinen Fürften, ja er drang bis
in die Bouboird der Schönen. Sie verjtand es
die Rollen jo zu verteilen, daß in den tonan—
gebenden Zirkeln Defterreich ſtets durch die an:
genehmiten Verfönlichkeiten vertreten war. Das
lebensluftige Frankfurt aber zollte Beifall und
Bewunderung dem öſterreichiſchen Feldmarſchall—
lieutenant, der mit feinen ungariſchen Judern
in offener Chaife, einen Mohren vorne auf dem
Bode, einen Groom hinten auf dem Bedienten:
brette, durch die Gafjen fuhr und zutrauliche
Grüße nah den Erferfenitern rechts und links
hinaufſandte; es ſah jedoch vornehm auf den
preußifchen General herab, der fein höheres
Intereſſe fannte, als den Dienft feines Königs
und Herrn, und nannte ihn achjelzudend einen
„ehrenwerten Mann“. Ganz Frankfurt war
ichwarzgelb, von dem Wappen über dem Bundes:
palais bis zu den Gotillonfchleifen der Damen.
In diefes Frankfurt trat (im Mai 1851)
Dtto von Bismard, zunächſt als Nat bei der
preußischen Bundestagsgefandtihaft, ein homo
novus ein und empfing oder vielmehr follte feine
nächſten Inftruftionen von dem bisherigen Ge:
fanbten, Generallieutenant von Rochow, em:
v
Ric
Bismard in franffurt am Main.
253
pfangen, aber fei es, daf diefer mit einem An: | Metternih auf Schloß Johannisberg. E3 war
fluge von Eiferfuht in dem ihm zugedadhten
Nachfolger das größere Licht ahnte, ſei es, daß
er ihm die Fähigkeit zuerfannte, mit eigenen
Augen Harer zu ſehen, kurz, die Inſtruktionen
fielen ziemlic, dürftig aus. Bismard benußte
indejien die erfte Zeit feines Aufenthalts in der
Mainftadt, um aus eigener Anfchauung den
Boden für feine fünftige Thätigkeit fennen zu
lernen. Er erforfchte die Preſſe, wohnte den
Vorträgen des Herrn von Rochow bei, machte
Befuche bei feinen diplomatiihen Kollegen in
Frankfurt und an den benachbarten Höfen zu
Darmftadt, Bieberich und Karlaruhe, er nahm
auch an diplomatischen Routs teil wie 3.B. an
dem Galadiner zum Geburtätage des Kaifers
von Dejterreich, wo „für 20000 Thaler Uni:
formen goldbeladen bei Tifch jagen“.
Mit einem „Gemisch von Wehmut und alt-
fluger Weisheit” ſah Bismard von Frankfurt
aus die Stätten wieder, wo er in den Tagen
ungebundener, gärender Jugendzeit gemeilt
hatte. „Möchte es doch Gott gefallen” , jchrieb
er (3. Juli 1851) an feine Gemahlin, „mit
Seinem flaren und ftarfen Beine dies Gefäß
zu füllen, in dem damals der Champagner
21jähriger Jugend nußlos verbraufte und fchale
Neigen zurüdlieg. Wo und wie mögen * und
Miß ** jett leben? Wie viele find begraben,
mit denen ich damals Liebelte, becherte und
würfelte; wie hat meine Weltanfchauung in den
Jahren ſeitdem doch fo viele Wandlungen dur:
gemacht, von denen id) immer die gerade gegen:
wärtige für die richtige Geftaltung hielt, und
wie vieles ijt mir jeßt flein, was damals groß
erfchien, wie vieles jet ehrwürdig, was ich da—
mals verjpottete! Wie manches Laub mag nod)
anunjereminneren Menfchenausgrünen, chatten,
raufchen und wertlos werden, bis wieder 14 Jahre
vorüber find, bis 1865, wenn wir's erleben!
Ich begreife nicht, wie ein Menſch, der über ſich
nachdenkt und doc von Gott nichts weiß oder
wifjen will, fein Leben vor Verachtung und
Langeweile tragen kann“ ...
Am 18. Auguft erhielt Bismard feine Be:
ftallung als Bundestagsgejandter an Rochows
Stelle. Sein Vorgänger ſchied, ohne ihm etwas
anderes zu hinterlaffen, ala eine leere Mappe
für die Brotofolle.
Einer der erjten Befuche des neuernannten
Bundestagsgejandten galt dem ehemaligen
leitenden Minifter Defterreihs, dem Fürjten
eine denfwürdige Begegnung, das Zujammen:
treffen diefer beiden Männer; dort der Altmeijter
einer hinfällig gemoordenen Staatskunſt, welcher
durch fein fünftliches Syitem länger als dreißig
Jahre hindurch einen Zuftand des Friedens und
der Duldung in den öfterreihifhen Staaten
erhalten und die Bewunderung der Zeitgenoffen
damit erregt hatte, bis es unter der allgemeinen
Erbitterung des Volkes plöglih zuſammen—
brah, — hier ein hoffnungsvoller Anfänger,
der, frei von aller ſyſtematiſchen Staatsweisheit,
fih nur auf feine eigenen Anjhauungen und
Erfahrungen ftüßte und die alleinige Richtſchnur
für fein Handeln aus feiner Vaterlandsliebe
entnahm; dort der Neſtor unter den europäiſchen
Staat3männern, bei defien Weisheit Fürſten
und Minifter zu Nate gingen, bis das Steuer:
ruber feiner matten Hand entfanf und fein ledes
Staatsſchiff aufden Sturmmellen der Revolution
ſchwankte, — hier der in der diplomatiſchen
Melt noch wenig bekannte jugendliche Gefandte,
der, ein fejtes Ziel — feines Baterlandes Ehre
und Größe — unverrüdbar im Auge behaltend,
mit hellem, gottvertrauenden Mute allen Ge:
fahren der Zukunft furchtlos entgegenging ; dort
der unter Jahren, Erfahrungen und Täufhungen
gebeugte Greis, — hier der rüftige märfijche
Mann vol Zuverfiht, Schöpfungsdrang und
Thatkraft. So ftanden ſich die beiden gegenüber,
wie Vergangenheit und Zufunft, und zwijchen
ihnen in hohen Nömern perlte der Wein, der
vor Jahren an diefen Berghängen gereift war,
flar wie der Nibelungen Gold, und die Erb:
feuergeifter, die im Bunde mit Nether und Sonne
den edlen Saft gebraut, horchten heimlich und
licherten leife, wenn die Gläfer zufammenklangen.
Noch eine Reihe von Jahren und welche Reden,
welche Trinkſprüche werden dann hier fchallen,
wenn der Mein, der jegt ah den Hügeln wächſt,
die Herzen labt! — —
Bei dem eriten Bejuhe brachte Bismarck
drei Tage auf Schloß Johannisberg zu. Einige
Zeit nachher fragte Graf Thun ihn: „Was
haben Sie mit dem alten Herrn angeftellt? er
ift ganz entzüdt von Syhnen.“ — Bismarck ant:
wortete: „Das Geheimnis ift jehr einfach; ic)
habe drei Tage lang mit dem Ausdrud der
Intelligenz zugehört,“ Fürft Metternich erzählte
nämlich ſehr gerne und fehr gut, am liebjten feine
Erinnerungen aus der Zeit der franzöftichen
Revolution, während welder er in Straßburg
254
ftudierte und feinen Hofmeijter dafelbjt zu den
Jakobinern übergehen jah.
Eine beiläufige Annehmlichfeit der ferneren
Bejuche auf dem Sohannisberge war es, da
Bismard das Herz des Kellermeijters gewann,
welcher ihm in Blechgefähen die Weine vorjegte,
die auf die Tafel des Fürften nur in Deffert:
gläschen famen.
Wenn Metternich, der bei aller Bevormun:
dung der öfterreichifchen Landeskinder Doch gegen
Preußen ſtets mit achtungsvoller Rüdficht auf:
getreten war, noch die öfterreihische Politik ge:
leitet hätte, jo wäre ein freundfchaftliches Zu:
jammengehen Preußens mit Dejterreih am
Bunde, wie Friedrih Wilhelm IV. es wünſchte
und wie es auch Bismards Neigungen entipradh,
wohl denkbar gewejen; der Mann aber, der jetzt
an der Spitze der öfterreichifchen Staatöregierung
Itand, Fürft Schwarzenberg, hatte e3 unver:
hohlen als das Programm feiner Politik aus:
geſprochen, Preußen erjt zu erniedrigen, dann
zu vernichten.
Den Regierungen der Heinen Staaten lebte
die Rolle, welche Preußen in den Bewegungs:
jahren zugedacht war, noch in friihem Gedächt—
nis. Sie betradhteten den Bund als eine Ver:
jiherungsanftalt für die Heinftaatlichen Hoheits:
rechte unter habsburgiſchem Schilde gegen die
Nevolution und gegen die revolutionären Ein-
heitöbeftrebungen Preußens. Allerdings hatte
der preußifche leitende Minifter von Manteuffel
offen verfündigt, daf feine Regierung mit der
Revolution brechen wolle, indeſſen man gedachte
aud) der bedeutungsvollen Worte des ehemaligen
Vertreterd der preußifchen Unionsidee, von
Radowitz, daß jede rüdläufige Bewegung in der
Geſchichte nur eine fcheinbare fei und ihre Bahn
aus der Sonnenferne immer wieder zurüdlenfen
müffe in die Sonnennähe. Daher das Gefühl
des Mißtrauens und ber ängftlihen Beforgnis,
mit dem die Vertreter der kleinen Staaten den
preußiichen Bundestagsgefandten betrachteten.
Bismard deuchte es nach den erften Eindrüden,
die erim Thurn und Tarisichen Palais empfing,
als ob er überall von einer geheimen Verſchwö—
rung umgeben fei, deren Fäden nirgend anderäwo
zufammenliefen, als in dem Bureau bes öfter:
reichiſchen Bundespräfidialgefandten, des Grafen
Thun:Hohenftein, aber er war mit fcharfem,
wachfamen Auge gelommen, um zu erkennen,
woher durd) offenes oder heimliches Uebelwollen
feiner Negierung und feinem Lande Gefahr
Fedor von Köppen.
drohe. Niemals duldete er eine Zurüdjegung,
am wenigſten da, wo er ala Vertreter feines
Staates auftrat.
Schon in den erjten Siyungen des Militär:
ausichuffes nahm Bismard Veranlafjung zu
zeigen, mie wenig er geneigt war, ſich eine —
wenn auch nur formelle — Zurüdjegung ge:
fallen zu laſſen. Dieſer Ausfhuß, der eigentliche
Träger der Gefchäfte, beitand aus den Geſandten
von Dejterreih, Preußen, den vier Königreichen
und Heſſen-Darmſtadt. Es war herkömmlich,
daß der Präfidialgefandte — damals Graf
Thun — in den Situngen raudte und mit
brennender Cigarre aus feiner Wohnung in das
Verfammlungszimmer herabkam, wogegen der
preußifche General von Rochow, obgleid) er ein
leidenſchaftlicher Raucher war, ſich dieſen Genuß
verſagte. Nachdem Herr von Bismarck dieſe
Erſcheinung mehrmals beobachtet und erkundet
hatte, daß ſie Gewohnheitsrechtens ſei, brachte
auch er eine Cigarre mit und es rauchten nun
die beiden Präſidialmächte. Sei es, daß er dieſe
Frage der Würde zum Gegenſtand eines Be—
richtes nach München gemacht, ſei es, daß er ſich
mit Graf Thun benommen hatte, — genug, der
bayeriſche Geſandte, der bekanntermaßen des
Rauchens unkundig war, zog in der nächſten
Sitzung eine ungewöhnlich blonde Cigarre her—
vor, ſchlug ſich klirrend Feuer und rauchte, jedoch
nur ſo lange, bis er gewiſſe üble Folgen dieſes
erſten Rauchverſuchs zu ſpüren ſchien und er—
bleichend die Cigarre weglegte. In der nächſten
Sitzung folgte Hannover ſeinem Beiſpiel, nach
und nach die anderen Königreiche, ſo daß zuletzt
der ganze Ausſchuß ſich der Havanna erfreute
mit Ausnahme des heſſiſchen Geſandten, der
entweder das Nikotin oder das Bewußtſein
ſeiner ſtaatlichen Inferiorität nicht überwinden
fonnte.
Unter den Kleinftaatsgrößen des Bundes:
tags übte man damals noch die treue Befolgung
des Talleyrandichen Ausſpruchs, daf die Sprache
den Diplomaten nur gegeben fei, um ihre Ge-
danken zu verbergen; es galt für die höchite
Staatsmeisheit, unklare Ziele in vieldeutige
Worte zu verhüllen oder mit vielen Worten nichts
zu fagen. Abweichend von diefer diplomatischen
Gepflogenheit, faßte Bismarck jtets feite Geſichts—
punfte ins Auge, er wußte für die rechte Sache
das rechte Wort in die Welt zu jchiden und be:
trachtete das Wort nur als den ſicheren Vor:
boten der energifchen That. „Ich habe nie daran
VBismard in Sranffurt am Main.
gezweifelt,“ ſchrieb Bismard, „daß fie alle mit
Waſſer fochen, aber eine ſolche nüchterne, ein:
fältige Waſſerſuppe, aufder auch nicht ein einziges
Fettauge zu ſpüren ift, überrafcht mid. Schickt
den Sculzen X oder Herrn von ?arsky aus dem
Chauſſeehauſe her; wenn fie gewaſchen und ge:
kämmt find, jo will ich in der Diplomatie Staat
mit ihnen machen.“
In der That wurden in den Situngen des
wiederhergejtellten Bundestages nur die breiten
Mafjerfuppen aus vormärzlicher Zeit aufge:
wärmt. Es handelte fih um eine Reaktion
gegen die Bejtrebungen der Volkspartei, um die
Befeitigung der legten Nefte der fogenannten
Märzerrungenfchaften, um Aufhebung der in der
Baulsfircheberatenen Grundrechte, Beichränfung
des Vereinsrehts und der Preſſe. Daneben
handelte es fih um die Erefution in Holftein,
die Auslieferung Holfteins an Dänemark, die
Schlichtung des heifiihen Verfaſſungsſtreites zu
Gunften des Kurfürften, die Verfteigerung der
Flotte unter dem Hammer Hannibal Fiſchers
und um andere ſchöne Sachen, wobei die größten
und wichtigjten Angelegenheiten der Nation zu
den Alten gelegt, alles Kleinliche dagegen mit
einer ungeheuren Wichtigkeit behandelt wurde.
„Es iſt,“ ſchrieb Bismard während einer jolchen
Sigung an feine Schweiter, Frau von Arnim,
„eine jehr achtungswerte, aber wenig unter:
haltende Tafelrunde, die mich hier an einem
grünbehangenen, etwa 20 Fuß im Durchmeffer
haltenden freisrunden Tifhe, im Parterre des
Tarisihen Palais, mit Ausficht auf Garten,
umgibt. Der durdfchnittlihe Schlag ift etwa
von * und ** in Berlin, die haben ganz bundes-
täglichen pli!* . . . und während er an diefer
Tafelrunde dem „ganz unglaublich langweiligen
Vortrage eines hochgeſchätzten Kollegen über die
anarchiſchen Zuftände von Ober-Lippe“ folgte,
ließ er feinem Humor auf dem Briefbogen freien
Zügel, bis der Nebner feinen Vortrag und Bis:
mard feinen Brief geendet hatte mit den Morten:
„Endlid hat Darmitabt zu lefen aufgehört und
ich ftürze gerührt in deine Arme und wünſche
dir ein frohes Felt." —
Während Bismard im Thurn und Taris-
ihen Palais die erften Scharmütel bejtand,
richtete feine Gemahlin ihm die eigene Häuslich—
feit jo friedlich und angenehm wie möglich ein.
Bismard hatte für diefen Zwed eine Roth:
ſchildſche Villa an der Bodenheimer Landſtraße,
etwa eine Vierteljtunde vor dem Thore der
255
inneren Stadt, gemietet, diejelbe, in welcher
vordem der Erzherzog Reichsverweſer refidiert
hatte. Ganz in der Umgebung blühender Gärten
gelegen, fchien diefes Tusculum mohlgeeignet,
ihn am häuslichen Herde die Dornen feines
Berufes vergefien zu machen. Hier empfing er
die Befuche feiner näheren Bekannten aus den
Kreifen der Geſandtſchaft oder der höheren Of:
fisiere der Frankfurter Garniſon. Zu feinem
vertrauten Umgange gehörte die Familie deö
Malers Jakob Beder aus Worms. In diefem
Kreife erichien er des Abends gerne und nahm
jeinen Pla am Theetifche oder am Kamin des
roten Kabinetts und erfreute ſich nach den Kleinen
Diffonanzen, die im Konzerte des Bundestags
hin und wieder hindurchklangen, an der Harmonie
der Töne, die feine Gemahlin und die anmutigen
Töchter des Bederfchen Hauſes hervorzuzaubern
wuhten. Gier entfaltete er jene Liebenswürdig—
feit des Gemüts, die zu den glänzenden Eigen:
ichaften des großen Mannes eine fo ſchöne Folie
bildet und deren Macht um fo unmwiderftehlicher
wirkte, ala fie nichts Angeeignetes oder Berech—
netes an fi) trug, fondern unter der unmittel:
baren Eingebung des Augenblids aus feiner
inneriten Natur floß.
Das Bismardide Haus galt für das galt:
freiefte in Frankfurt. Wie die Eleinen Familien:
abende ihren eigentümliden Reiz hatten, fo
wußte er auch in den größeren Gejellichaften
und Eoireen ein neues anregendes Clement
einzuführen und ließ Einladungen an Maler,
bildende Künftler und Schriftjteller ergehen, mit
denen er durch die Bederihe Yamilie in Be:
rührung gelommen war.
Die Lage von Frankfurt in der Nähe der
Bäder brachte es mit fih, daß Bismard viele
von den höchſten fürftlihen Herrichaften, wie
von den angejehenften Miniftern und Staats:
männernin feinem Haufe ſah. Zu den gefeierten
Gäſten desfelben gehörte der Prinz Georg von
Preußen, der mit feinem Kunftverjtändnis und
umfaſſenden gejchichtlihen Kenntniſſen Dichterifche
Begabung verbindet, ferner Die — am 23. Januar
1873 verjtorbene — Großfürſtin Helene von
Rußland, geborene Brinzeffin von Württemberg,
Witwe des Großfürften Michael Bawlomitich,
und viele andere Berjonen von Bedeutung, denen
Bismard fpäter unter veränderten Verhältniſſen
wieder begegnen jollte.
Wenn aber die Gäſte fein Haus verlaſſen
hatten, zog er ſich in fein Arbeitöfabinett zurück,
256
ftedte fich eine Cigarre an und biktierte nod)
ftundenlang Briefe und Berichte mit einer Sicher:
heit und Klarheit, ala ob er während des ganzen
Abends nichs anderes gethan, als ſich mit dem
Gegenftande derfelben befchäftigt hätte, fo daß
fie ſchon um 5 Uhr morgens fertig und ver:
ihloffen mit der Poft nad) Berlin abgehen
fonnten. Dft brad der Morgen über feinen
Arbeiten an, ohne daß erdas Lager gefucht hatte.
Halb angefleidet lehnte er in das Sofa zurüd,
holte mit wenig fräftigen Zügen den Schlaf für
die ganze Nacht nad), und wenn ihm am Morgen
die Glieder noch ſchwer waren, ließ er jatteln
und beftieg das Roß zu einem meilenweiten
Ritt oder holte feine Bekannten zu einer Jagd:
partie ab.
Die Vorgänge inden Salons des preußifchen
Bundestagsgefandten wurden in den Frankfurter
Zirkeln eifrig befprochen, und mandjes geflügelte
Wort von ihm machte die Runde. Wer zu den
preußischen Farben fich befannte, fühlte fich durch
das taftvolle und glänzende Auftreten des
preußifchen Vertreters gehoben. In den Salons
erfchien der blaue preußifche Nod wieder eben:
bürtig neben der weißen öfterreihifchen Uniform,
und in den Anlagen fah man an [hönen Sommer:
tagen die jüngeren Mitglieder der preußiſchen
Geſandtſchaft an der Seite fühner Reiterinnen
nad) dem Walde von Niederrad oder den Nofen:
gärten von Bornheim hinaustraben, als wollten
fie zeigen, daß auch unter dem zugefnöpften Rode
des preußifchen Diplomaten ein warmes Herz
ihlagen fönne für Nitterdienft und Minne.
Nenn nun gar die Gunft des Wetters und der
Schönen eine Landpartie nad) Homburg oder
nad dem Taunus in Ausficht ftellte, dann flogen
die Grooms und Kammerdiener mit Anfragen
und Aufträgen vom Klub nad) den Bouboirs,
von den Bouboirs nad dem Klub mit nicht ge:
ringerer Gefchäftigfeit, als vor gewiſſen Ab—
ftimmungen im Bundestage die Depeſchen auf
dem Telegraphenbrahte zwifchen dem Site des
Bundes und den Heinen Höfen.
Dft mochten auch die gepflogenen Verhand:
lungen in der Wichtigkeit ſich in beiden Fällen
ziemlich gleich bleiben, nur daß die Zandpartieen
furzweiliger waren, als die Bundestagsfigungen.
Dennod ftiegen über dem Thurn und Tarisjchen
Palais hin und wieder Wölkchen auf, die ihre
Schatten über die heitere, Tebensluftige Main:
ſtadt breiteten. Nicht alle: ſchwebenden Fragen
konnten mit ſolcher Leichtigkeit entſchieden werden,
Sedbor von Köppen. Bismard in Frankfurt am Main.
wie bie, ob bei einem ländlichen Feftedie preußifche
oder öfterreihifche Militärmuſik fpielen folle, oder
ob bei der Durchreife einer Hleinftaatlichen Hoheit
oder Durchlaucht großer oder Heiner Empfang
ftattzufinden habe, obgleich auch diefe ſchon heifler
Natur waren.
Schon das orientalifche Gewitter machte das
Parkett des Bundestagspalais erbeben. Troß
bes Schutz⸗ und Trugbündnifjes zwischen Preußen
und Oeſterreich trat doch eine fehr erhebliche Ver:
jhiedenheit in den Auffafiungen beider Mächte
von den deutjchen Intereſſen zu Tage, und die
Diplomaten der Mittel: und Kleinſtaaten, die
eine Konferenz in Bamberg beichidten, ftedten,
bedenklich flüfternd, die Köpfe zufammen, Die
Donner von Sebaftopol verrollten, aber der
feine Krieg am Bundestage zwiſchen Preußen
und Defterreih dauerte fort. Die Durchreife
des öfterreichifchen Minifters Grafen Buol durd)
Frankfurt zur Pariſer Friebensfonferenz bot den
Vertretern der Defterreih anhängenden Klein—
Itaaten Beranlafjung, dem Minifter ihre Ergeben=
heit für Defterreich zu bezeigen. So wurde der
öſterreichiſche Gefandte Graf Rechberg von vielen
Seiten mit Fragen angegangen, ob und wann
e3 feinem Chef genehm fein würde, die ihm zu—
gedachten Befuche zu empfangen. Graf Red
berg erfannte den Eifer feiner Kollegen an, er:
widerte ihnen jedoch, daß der Minijter von der
Reife wohl zu angegriffen fein würde, um of:
fizielle Befuche zu empfangen oder abzuftatten ;
dabei deutete er jedoch jedem einzeln im Ber:
trauen an, daß er den Grafen Buol zu einer
bejtimmten Stunde bei ſich im Haufe erwarte
und daß ſich hier die günftige Gelegenheit zu
einer „zufälligen Begegnung und vertraulichen
Aussprache“ mit den betreffenden Geſandten
bieten werde. Auch Herr von Bismard erhielt
ohne feine Anfrage eine Andeutung in diefer
Richtung; er erwiderte jedoch, daß er, weit ent:
fernt, den ermüdeten Neifenden ftören zu wollen,
vielmehr erwarte, daß diefer ihn felbft auffuchen
werde, falls er ihm etwas zu jagen haben follte.
So geftaltete ſich die „zufällige Begegnung“ im
Vorzimmer des Grafen Rechberg zu einer Art
Cour, bei welcher der öfterreichifche Miniſter—
präfident die ehrerbietig tiefen Berbeugungen ber
Bundestagsgejandten entgegennahm und allein
der preußiſche Gefandte durch feine Abweſenheit
glänzte. Dafür hatte diefer Die Genugthuung,
den Beſuch des Grafen Buol troß deſſen Er:
ı Schöpfung in feiner Wohnung zu empfangen.
Theodor Sondar.
Noch unfreundlicher gejtaltete ich das Ver-
hältnis zwifhen Preußen und Defterreih aus
Anlaf des Krieges in Jtalien 1859. Bismard
fonnte fich nicht zu der Anficht befennen, daß
Preußen für das öfterreihifche Intereſſe in den
Krieg eintreten folle, ohne irgend welche Ver:
bejierung feiner Stellung in Deutichland zu er:
reihen. Er hielt vielmehr den Augenblid für
günftig, um auf eine Aenderung der die Macht
Preußens lähmenden Bundeseinrihtungen zu
dringen, welde die preußifhe Regierung in
ruhigen Zeiten vergeblich angejtrebt hatte. Er
befannte fich zu dieſer Anficht ganz laut und
offen. Die preußische Regierung mochte beforgen,
daß diefe Haltung ihres Vertreters am Bundes:
tage den bevorjtehenden Berhandlungen mit
Defterreich und der von ihr beabfichtigten Vermit:
telung vorgreifen könne; anderſeits erſchien ihr
Herr von Bismard als das geeignetite Organ,
um ihre Anfichten bei dem Peteröburger Ka:
binette zu vertreten. So geſchah, was Bismard
Ihon im November vorausgejehen; er wurde
von feinem Poſten am Bundestage abberufen
und zum Gefandten am PBeteröburger Hofe er:
nannt (März 1859).
„Kalt geitellt!” fagte Bismard zu feinen
Freunden, als er ihnen die Nachricht von feiner
Emanuel Geibel.
257
Verſetzung nad) Peteräburg mitteilte. Er nahm
Abſchied von den Frankfurter Zirkeln, begab ſich
zur Meldung nad Berlin und von dort auf die
Reife nach den winterlihen Gefilden Rußlands.
Ein Zeitraum der Sammlung und Borbe-
reitung von hoher Wichtigkeit für die Folgezeit
lag abgejchlofjen hinter ihm. Neicher an Erfah:
rungen und mit erweitertem Gefichtäfreife ver:
ließ Bismard das Frankfurt, in deſſen Mauern
er acht Jahre hindurch lernend, wachſend, endlich
gewaltig werbend, geweilt hatte.
„Ich habe in Frankfurt im Amte erkannt,“
erflärte er nach abermals acht Fahren vor dem
fonftituierenden Reichſstage des Norddeutichen
Bundes, „da viele der Größen, mit denen meine
frühere Politif gerechnet, nicht erijtierten, daß
das Zufammengehen mit Dejterreich, wie es mir
aus den Erinnerungen an die Heilige Allianze
überfommen war, vorfchwebte, daß dieſes nicht
möglich war, weil das Defterreich, mit dem wir
rechneten — es war die Periode des Fürften
Schwarzenberg — eben nicht eriftierte.” —
Die Mainjtadt hatte den bedeutenditen Mann
verloren, der jemals an der grünen Tafelrunde
des Bundestagspalaftes einen Platz eingenom:
men; fie ahnten nicht, unter welchen veränderten
Verhältnifjen fie ihn, er fie wiederjehen würde.
9 Emanuel Geibel. ®&
Geb. ben 18. Ott, 1815. + ben 6. April 1894.)
Du bit nicht tot! Du bit uns nicht genommen !
Denn hoher Dichtung Meifler flerben nimmer!
Ihr Wort, ihr Klang, dem fchönften Herz entglonımen,
Sie bleiben, wie der goldne Sternenichimmter
Auf Dämmerungsflägeln nächtens if gefommen,
Dem Morgen weicht, dod; wiederfehrt uns immer.
Slieht auch den £ärm des Tags bie ernfte Mufe, —
Wenn er verraufcht, naht fie mit holdem Gruße.
Dein heiltg £ied, das feufch wie dein Gemüte
für Heldentum und edle Frauenſchöne
In hebrem Klang fo zaubervoll erblähte,
Dein Saitenfpiel, dem nur die reiniten Töne
Entitrömten, wenn dein Dichterherz erglühte,
Damit es freigemut die Wahrheit fröne,
Sie find mit leifem Hauche fanft verflungen, —
Du haft zu höh'ren Sphären dich geſchwungen.
Wir Magen nicht, weil wir dich felig preifen,
Denn dein Geſchick hat fich erfüllt im Blanze.
Dein Geilt, fo bligendhell wie fchneidig Eiſen,
Sah noch das letzte Blatt gefügt zum Kranze,
Den dir gereicht als Dichter und als Meifen
Begeiftrungsvoll das deutſche Dolf, — das ganze!
Mit heißen Chränen legen wir ihn nieder
Auf deine Gruft als Danf für deine Lieder,
Und nicht für diefe nur. Did; hat getragen
Der Mufe Götterflug zu höh'rem Ziele.
Du durfte fühn dich an das Größte wagen,
Das uns ergreift im ernten Bähnenfpiele.
Mit deinen Helden jubeln wir und Magen,
Stürmft durch die Brandung du mit feitem Kiele,
So ftehit du vor uns in der Dichter Reihe,
Geabdelt von des Genius’ ſtolzer Weihe.
Fahrwohl! Geiegnet fei für jene Gaben,
Die, wie dein Ruhm unfterblich, nie vergeben,
Und — bat ein neu’ Geſchlecht auch uns begraben —
Mit Slammenichrift verzeichnet werden fliehen
Auf jenen Blättern, die nicht Wandel haben
Und die fein Sturmmwind jemals wird verweben.
Du thront im Cicht, du bit uns nicht geflorben,
Denn Aller Herz haft ewig du erworben.
Iheodbor Soudhan.
33
—— — —
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* N i= a *
— — 7
«u — > Tin
—
*9
2 sl IR
Tie Flora in Charlottenburg S. 270).
Die Sandfhaftlihe Umgebung Berlins.
Tudwig Bietſch.
3) Hauptjtadt des preußiſchen Königreichs,
welche durch eine Folge vongemaltigen hifto:
riſchen Thaten und Gefchiden zur Würde und
Bedeutung der deutichen Kaiſerreſidenz und des
Sites des deutjchen Parlaments gelangt ift,
fonnte fih draußen im Neiche nie befonders
herzliher Sympathieen erfreuen. Eine unver:
hohlene Abneigung richtete ſich gegen die Be-
völferung, wie gegen den Ort. Berliner haben
freilich lange Zeit überall, wo fie außerhalb
ihrer Heimat auftraten, redlich dazu beigetragen,
diefe gegen fie und ihre Stadt herrfchende
Stimmung zu beftärfen und zu nähren. Daheim
befleiigten fie fih in Worten und Schriften
der fpöttelnden Gelbitironie, der öffentlichen
Hervorhebung und witzigen Geihelung aller
Schattenfeiten und Unvollkommenheiten Berlins.
Draußen aber mochten fie das Nenommieren
mit deſſen Worzügen, das übertriebene Lob der:
jelben, das Herabſetzen anderer Städte im
Die landſchaftliche Umgebung Berlins.
259
In Ireptiom IS, 201
Vergleich zu ihm nicht laſſen. Erſt feit der
Mitte des vorigen Jahrzehnts beginnt ſich ein
jehr bemerfbarer Umſchwung in den Anfichten
und Meinungen über Berlin zu vollziehen. Die
Berliner haben das Tadeln und Verhöhnen
ebenfo wie das Großfprehen mehr und mehr |
verlernt, feit die Stabt im ihrer inneren und
äußeren Entwidelung fo jtaunenswerte Fort:
ichritte gemacht und eine jo gründliche und glän-
zende Neform ihrer Zuftände fich vollzogen hat.
Das größte Lob, das man ihr fpenden fann, ijt
heute fein übertriebenes mehr. Und ander:
jeit3 zieht die Kaiſerſtadt heute die Bejucher
aus allen Teilen des großen Waterlandes in
J
Am Wüpgeller (6, 261
ganz anderer Menge zu ich
her, als es die frühere preußi—
iche Reſidenz vermochte. Diefe
Beſucher aber jehen fie, wie
jie wirklich iſt, lernen fie nad)
ihrer Größe und Schönheit
ſchätzen, und helfen die Vor:
urteile zeritören, die bie und
da noch immer gegen Berlin
bejtanden haben.
Eines der hartnädigiten
darunter betrifft Berlins land
ihaftlihe Umgebung. „Des
römiſchen Reichs Streujand:
büchſe“, dieſe alte Bezeichnung
der Mark Brandenburg iſt ge—
flügeltes Wort geblieben und
der Glaube an ſeine zutreffende
Richtigkeit ſcheint unaustilgbar.
Deſto überraſchender iſt der
Eindruck, den jeder in dieſem
Glauben erzogene fremde Be—
ſucher Berlins gerade von der
Umgebung der Stadt empfängt.
Er erkennt bald, daß in Bezug auf landichaft:
liche Reize der Lage Berlin bei dem Vergleiche
mit nur fehr wenigen Hauptitädten des Kon:
tinents verlieren würde.
Zwei befonders wichtige Vorzüge bejitt
diefe Umgebung: fie ift ungemein reih an
Maflerläufen und Seen, und viele ihrer ſchönſten
veizvolljten PBartieen liegen in unmittelbarer
Nähe der Stadt, dicht vor ihren Thoren, ja
mande Quartiere find in jene hineingebaut.
Ganz gleihmäßig rings um die Stadt find
diefe landſchaftlichen Reize hier freilich ebenfo-
wenig als um andere Städte verteilt. Der
Süden 3. B. ift viel weniger reih damit ge:
260
fegnet, als der Meften, der Norden und Dften.
Der Kiefernwald welcher aud jene fübliche,
von einer Sandhügelfette durchzogene Ebene
in alter Zeit bis dicht an Graben und Thore
der kurfürſtlichen Reſidenz bededt haben wird,
ift bis auf einen Reft verſchwunden, der öftlich
von dem weiten öden Tempelhofer Manöver:
felde, eine Bierteljtunde vom Hallefhen Thor,
fi gegen Rirborf hinzieht, die Hafenheide.
„Die darin etablierten Militärſchießſtände
—
⸗
vw
-
*
Um Tegler Set (6, 261),
£udwig Pietſch.
haben die Ummandlung des vernadhjläffigten
MWäldchens zu einem Park bisher nod immer
verhindert. An deſſen Norbrand aber reiht ſich
ein großes populäres Vergnügungsetablifjement
an das andere, die Schaupläße der meijt ziem—
lic lärmenden Sonntags: und Abendfreuden
des Berliner Volks- und Kleinbürgertums der
Südbezirfe, befonders aud der Herren Sol-
daten, welche für die unbewaffnete Hälfte
der dortigen männlichen Gejellichaft das Tanzen
und das Werben um
die Gunſt jener Schö-
nen, die Samftags
ihren Bejen führen,
zu einem feineswegs
gefahrlofen Vergnü:
gen machen.
Direkt in der ſüd⸗
lichen Fortſetzung des Berliner Meridians, der durd)
die große Friedrichſtraße geht, hebt ji der Boden zu
einer ſehr bejcheidenen Erhöhung: dem Kreuzberg
(I. nebenft.). Ehedem bevedte feine Dftjeite der große
Park des Etabliffements Tivoli. Im übrigen zeigte
er teil3 nur nadte Hänge, teils dürftige, von Akazien EN —
beſchattete Anlagen zur anderen Seite des Weges, —
welcher von der Berlin-Tempelhofer Chauſſee weſtlich — zei
abbiegend zu ſeinem Gipfel hinaufführte.
„Gipfel“ krönt das in Eiſen gegoſſene gotiſche
Monument zum Gedächtnis an die Befreiungs—
friege von 1813— 15. In der erſten Begeiſterung
jener Erlöfung vom franzöfifchen Joch war die
Errichtung einer großartigen Votivkirche be:
ichlofjen worden. Aber in den folgenden nüch—
ternen triften Jahren jchrumpfte diefer Plan fo
zuſammen, daß ſchließlich nichts als dieſe gotiſche
gußeiſerne Turmpyramide nach Schinkels Ent—
wurf in die Wirklichkeit trat. Symboliſche
Idealgeſtalten von Männern und Jünglingen,
an den Pfeilern des unteren Hauptkörpers, mit
Geſichtern, welche an die der Feldherren jener
Dieſen
Kriege und der daran beteiligt geweſenen preußi⸗
ſchen Prinzen erinnern, verfinnlichen die Haupt:
ihladhten und Ereignifje. Die Modelle diefer
unter lebensgroßen Statuen find von Rauch und
Tied modelliert. Bon den Granitjtufen des Mo-
numents aus zeigt ſich eine jtattliche Ausſicht über
Berlin in feiner Ausdehnung von Weſt nad)
Dft. Seit den erften Siebziger Jahren ift der
Kreuzberg zum großen Teil mit Villen und mit
großen Miethäufern bebaut. Wie gefagt: die
Schönheiten der landſchaftlichen Umgebung
Berlins haben wir nicht hier im Süden auf:
zufuchen. Wenden wir uns weiter nad Oſten
Die landſchaftliche Umgebung Berlins. 261
hin. Dort tritt die Spree bei der fogenannten | hen eingefaßte Landwege dahin. Am linfen
DOberbaumbrüde in die Stadt ein, da wo fi | Ufer durchſchnitt derfelbe ein Fümmerliches
ehemals in der vor etwa 12 Jahren abgebrocdhe: | Wäldchen, den jogenannten Schleſiſchen Buſch.
nen, Acciſe-Mauer“ das Schleſiſche Thoröffnete. Hie und da war eine Badeanſtalt mit ſehr primi-
Den oberen Lauf des Fluſſes verfolgend oder ven Einrichtungen etabliert. Fabriken am
ihn auf dem Dampfer oder Segelboot befahrend, Ufer, welche hier den Lauf des Fluſſes mit
gelangen wir zu den landfchaftlich anmutigften | ihren Abgängen verunreinigt und die Luft
Uferpartieen. Bor 30 Jahren begann hier un: | mit ihren Dämpfen verfinftert und verborben
mittelbar vor diefem Schlefifchen Thor auf dem | hätten, eriftierten noch nicht. Die Straße auf
linken Spreeufer, wie jenfeitö vor dem Stralauer | dem linken Ufer führte nad) dem, aus wenigen
Thor, das freie Ader: und MWiefenland. Längs | Häufern beftehenden Dertchen Treptow (S.
des Fluſſes zogen fih undauffierte, von Baum: | 259); die am rechten Ufer nah dem fleinen
2* ren na mes
Etralau.
Kirchdorf Stralau (ſ. obenft.). Heute find | Heinen Kirchhof hart am Fluß beichatten, der
jene Uferwege jhön gehaltene Alleen. Aber | Kirchturm von Stralau nahe der öftlichiten
fajt in ihrer ganzen Länge werben fie von Land: | Spite der Landzunge zwiſchen der Spree und
häufern und von Yabrifetabliffements flankiert. | jener breiten nördlichen Ausbuchtung derfelben,
Die beiden Orte indes haben noch nichts von | welde den Namen des Rummelsburger
ihrer freundlichen Anmut und Traulichkeit ver: | Sees führt. Das alles ift noch fo hübſch wie
loren. Treptow bat dur die Anlage eines | ehemals; aber die Stille und verhältnismäßige
großen jtädtifchen Parks auf feiner Südſeite Einfamkeit, deren man fi in meinen jungen
einen reihen Zumahs an Reizen gewonnen. | Tagen auf dem Fluffe und an diefen Ufern
Aber feine ftärkfte Anziehungskraft dankt er | wenigitens an folden Mochentagen erfreuen
immer nod jenen gaftlihen Vergnügungs: | konnte, an welchen in Treptow fein Feuerwerk
Etablijjements, welche die Front dem breiten | und Konzert ftattfand, ift für immer dahin. Die
Wafferjpiegel der Spree und der Heinen, von | feitdem eingerichteten regelmäßigen Dampfer:
üppiger Vegetation bededten Inſel in deren | Fahrten zwischen Berlin und beiden Orten führen
Mitte zufehren. Drüben ragt aus dem dichten | täglich eine große Menge von Befuchern hierher.
Grün der Kronen alter Eichen, welche den | Zahllofe Segel: und Ruderboote, welche in den
262 cudwig Pietic.
verichiedenen Gaftlofalen vermietet werden, oder
Eigentum der Negattavereine und Nuberflubs
find, beleben außer den Dampfern und den
großen langſam dahinfegelnden Laſtkähnen die
weite Waſſerfläche. Unerbittlich Elingt das Ge:
ichmetter der Blasinftrumente verfchiedener all-
täglich gleichzeitig konzertierender Orcheſter aus
den dicht gefüllten Biergärten Stralaus und
Treptoms, in denen ſich die Berliner an den
fommerlihen Lieblingsgerichten der Spree:
anmwohner, grünem Aal und Gurfenfalat, er:
gögen. Am 24. Auguft wird der Aufenthalt
N ne Be Ze = — Fr
auf und an diejen Gewäſſern fürdhterlih. Das
altgewohnte Volksfeſt des „Stralauer Fiſchzugs“
lodt dann das Wolf und befonders auch den
ſüßen Pöbel in Maſſe hierher, wo auf der Wieſe
hinter der Stralauer Kirche zwiſchen Spree und
Seebucht eine ganze Budenftadt erbaut ift, und
alle Freuden und Schreden der Vogelwieſen,
Schütenpläge, Kirmefjen, Foires zugleich ent:
feſſelt find.
Weiter ojtwärts ziehen die Dampfer immer
zwischen fchilfigen Ufern dahin, welche mit Wiefen,
GSetreidefeldern, Eichen: und Fichtenwäldchen
Gin Abend in Grünau (E. 269).
freundlich geihmüdt jind. Seit dem Ende der
Sechziger Jahre hat man aud) hier auf den früher
faft völlig unbemohnten Streden häufig elegante
Villen inmitten reizender Parks und Gärten
geſchaffen, Sommerfige reiher Kaufleute und
Fabrikanten, Fabrik: und Bergnügungsetablifie:
ments wechjeln mit denjelben ab auf der etwa
5—6 Kilometer weiten Strede zwiſchen Stralau—
Treptow und dem Städtchen Köpnid. Dicht
am rechten Ufer, welches durch eine lange Holz:
brücke mit dem jenfeitigen verbunden ift, erhebt
fih, nahe derjelben, das weiße Gebäude des
alten furfürftlihen Schloſſes, mit hohen Pap—
peln vor feiner Front und einem prächtigen Part |
an feiner Dftfeite. Eine trübe Erinnerung
fnüpft ſich an feine ziemlich kahl und nüchtern
dreinfhauenden Mauern: in der Zeit ber
Demagogenverfolgungen diente e3 eine Zeitlang
als Unterfuhungsgefängnis für viele der un-
glüdlihen, von der blindeften Verfolgungsmwut
zu Grunde gerichteten Jünglinge.
Der breitere Arm der Spree, auf welchem
die Fahrt fich fortjegt, nimmt hier den Namen
Dahme an. Die Ufer find mit LZaubgehölz aus
Erlen und Eichen bededt. Eine Viertelſtunde
oberhalb des Städtchens zeigen ſich am linken
Ufer zwijchen deren Grün die Häufer eines der
reizendften Orte der Oberjpree: des Dörfchens
Die landſchaftliche Umgebung Berlins
Un der Havel IG, 208).
Grünau (S. 262).
Wiefen unterbroden werden.
Unmittelbar an die Häufer des
jelben grenzen Eichen: und Kiefernwaldungen, deren
Didihte wieder hie und da von Getreidefeldern und
Eine furze Wanderung
durch die Föhrenheide bringt uns zur Station der
Börlig-Berliner Eifenbahn, welche den beliebten Ber
anügungsort zu Lande mit der Hauptitadt verbindet.
Die Spreeufer:Landichaft der Imgegend Berlins entfaltet
263
hier um Grünau in deſſen Nähe und Ferne ihre feinften ZT
Reize. Jener gemifchte Wald nahe am Stromufer, — ER
welchem auf dem jenfeitigen ein ihm jehr ähnlicher ent: NEE Ua
ſpricht; der fi bald zu weiten Seen, dem „Zangen:
Dumbolbt-Brab in Tegel (6, 2rsı,
fee” und dem „Seddiner“, ausdehnende Waſſer—
fpiegel, und drüben die aus der grünen, wald: |
feitlich geihmüdten Tribünen für die Zufchauer
reichen Ebene aufragenden und dadurch doppelt | des fejlelnden Schaufpiel® männlicher Jugend:
mächtig wirfenden, blaubunflen, großartig ge:
zeichneten, mit Föhrenwaldungen bededten
Müngelsberge, — fie geben ein Gejamt:
bild, das allein fchon genügte, um jene viel
verbreiteten faljchen geringſchätzenden Meinun:
gen von Berlins Umgebung gründlich zu zer
ftören. Grünau hat neuerdings eine früher
nie gefannte Bedeutung — außer durch feine
landichaftlihe Anmut, die Reinheit feines
Waſſers und feiner Luft — dadurch gewon
nen, daß es zum Standquartier der Ruder—
und Negattaflubs gewählt worden it, welche,
nad) engliſchem Beilpiel, dem edlen Ruderſport
eine ſtets wachſende Menge von Mdepten zu
erwerben und ein zunehmendes Intereſſe dafür
bei dem großen Publikum zu erweden jtreben.
In der Grünauer Dahmebucht liegt dieie
Auderflottille „vor Anker“. Auf diefem Ufer
erheben ji) an den großen „Races: Tagen“ die |
fraft, Zähigfeit und Gejchidlichkeit. Hier er:
ſchien im Borjahran einem diefer Tage derdeutfche
Kronprinz mit feiner Familie, der an ihn ge
richteten Einladung folgend, um die Ehrenpreije
an die Sieger im Ruderboot-Rennen zu ver:
teilen. — Auch als Ziel mancher Sommerfeft-
fahrten des Berliner Künftlervereins und als
Schauplatz diejer Feſte iſt Grünau wiederholt
erwählt worden. Wald und Waſſer dienen dann
zur Scene humoriſtiſcher Aufführungen, deren
Eindruckdurch dieſelbe weſentlich geſteigert wird,
Das größte und impoſanteſte Waſſerbecken
an der Oberſpree it der Müggelſee (S. 259).
Er liegt am Fuß jener ca. 110 m hohen bewalbde:
ten Müggelberge, von denen herab man überfeine
auägedehnte Maflerflähe und den Langenſee
zur Rechten die Schönste Ausficht genieht. Che:
mal3 lag er in tiefer Verlaffenheit da zwiſchen
den düftern Föhrenwäldern feiner beraigen Ufer,
264
welde der Landſchaft hier ein wilderes, aroß: |
artigeres Gepräge geben, als das der anderen |
Landjeen der Berliner Umgegend. Gegen:
wärtig ift aus der bejcheidenen alten „Müggel:
bude“ an feinem Ufer das ftattliche Reftaurations:
gebäude „Müggelſchloß“ geworden und bie
benachbarten Orte Rahnsdorf, Friedrihshagen,
die Rabenfteiner Mühle und eine große Zahl
von Villen an feinen Ufern werden nie leer von
Bejuhern und
bort eingemiete:
ten Sommer:
frifchlern, wie
feine Fläche im:
mer belebt wird
von Paſſagier—
dampfern, Segel:
undRuderbooten.
Der Müggelſee
nimmt, — mie
der Bodenfee den
jungen Rhein, —
die von Fürften:
walde her jlie:
bende Spreenahe
bei Rahnsdorf
auf, welde ihn
bei Friedrihshagen wieder verläßt, um weiter
nad Köpnid zu fließen und jo im Norden jene
Maldinfel zu umrahmen, die von Grünau durch
den füblihen Spreearm, die Dahme, getrennt
wird, Oder er ift vielmehr nur eine der größe:
ren feeartigen Ausbuchtungen des Spreebettes.
DerNordoften Berlins iſt weniger reich
an landfchaftlihen Reizen. Diefe beichränfen
fi auf den großen Park vor dem Landsberger
Thor, den Friedrihshain. Er aber ift eine
ſchön gebiehene fünftliche, landſchaftsgärtneriſche
Schöpfung, die zu Anfang der Vierziger Jahre
diefes Jahrhunderts dort ins Leben gerufen
wurde. — Mehr nörblih, etwa drei Viertel:
meilen vor dem Schönhaufer Thor erreichen wir
den alten prächtigen Shloßparf von Schön:
haufen, und den gegenwärtig in den Beſitz der
Berliner Schützengeſellſchaft übergegangenen
Bart von Schönholz. Von da ab beginnt
eine baumreiche Landſchaft, der es nidt an
mannigfahen Schönheiten, wohl aber an jenen
großen Mafferläufen und Seeipiegeln fehlt,
welche der Umgegend Berlins im Oſten, Weiten
und Nordweſten zum beiten Schmud gereichen,
Im Norden Berlins vor dem ehemaligen
cudwig Pietſch.
Oranienburger Thor am Nordende der großen
Friedrichſtraße dehnt fih eine halbe deutſche
Meile hin die fabrifreihe Vorftadt, in welcher
die großen Mafchinenwerfftätten Borjigs,
Egels, Wöhlers u. a. liegen. Erſt näher der
nördlichen Weichbildgrenze werden die hohen
Mietöfafernen mehr und mehr von Fleineren
ländlichen, gartenumgebenen einftödigen Häus:
den abgelöft. Dann beginnt, oder begann viel=
Pei Spandau IE. 266).
mehr bis vor etwa 6—8 Jahren, die einjame
Kiefernheide, durch welche ſich die chauſſierte
Vanditraße nah Tegel und Schulzendorf,
zweien der fhönften Punkte der Berliner Um:
gebung, hinzieht. Heut iſt diefer Wald vielfach
gelichtet und ausgerodet, um das Terrain für
Villenanlagen und halbländlihe MWohnhäufer
zu gewinnen. Die Bewohner derjelben müjlen
fih an den nie gänzlich ſchweigenden Donner
der ſchweren Geſchütze gewöhnen, welde auf
dem, in der Walbhälfte weſtlich von der
Chauſſee gelegenen, Artillerie: Schießplag ge:
prüft und nad der Scheibe abgefeuert werden.
Nach einftündiger Wanderung aus diejer Heide
heraustretend, jehen wir in geringer Entfernung
vor uns die Waldhügel und an deren Fuß zwi:
fhen dem üppigen Grün der Baumfronen die
Häufergruppen Tegels liegen, und zur Linfen
den bläulihen Spiegel des großen Sees (S.
260) ſchimmern, an deſſen fernftem weſtlichſtem
Uferrande die Kirch: und Yeltungstürme von
Spandau aufragen (ſ. oben).
Nicht jenes Kirchdorf, troß feiner reizenden
Lage am Djtufer dieſes Havelfees, ift es, welches
den Namen Tegel in aller Welt berühmt ge:
Die Iandfcdyaftliche Umgebung Berlins.
macht hat, fondern bas in deſſen Nachbarſchaft
inmitten eines weiten alten Parks gelegene,
fleine Schloß, das Beſitztum der von Hum:
boldtfhen Familie. Seine heutige Geſtalt hat
e3 durch Schinkel (1822) erhalten. Seine In-
nenräume bewahren reiche mannigfaltige Kunſt—
ihäge, Abgüffe von Antifen, einige ſchöne alte |
marmorne Originale und nicht wenige interej:
Tante Reliquien, Erinnerungsdenkmale an das
Leben der „Diosfuren”, der Brüder Alexan—
ber und Wilhelm von Humboldt. Befon:
ders Wilhelm hat das Schlößchen lange bewohnt.
Ihre legte Wohnſtätte aber haben beide Brüder |
zwiſchen den Gräbern der andern nächſten Fami—
lienmitglieder in dem Barfe jelbit gefunden. An
deſſen Nordfeite hebt fi) der Boden zu einem
langgejtredten Hügelrüden, auf deſſen Höhe die
Grenze zwiichen dem Parke und dem Forſte da:
— * * = =
en er ——
u 66
—— * Be,
Um Wonnie (E. 2081,
hingeht. Yon diefem Wege
herab geſehen zeigen ſich im
der Tiefe, wo der Sce zwiſchen
jeinen Waldufern, mit feinen
buſchigen Inſeln weit hinge:
jtreddt vor uns daliegt, märz
tliſche Landſchaftbilder von
hoher Anmut. Am weſtlichen
Ende des Parks ſenkt ſich dieſer
Weg wieder hinab und führt zu jenem Campo
santo der Familie Humboldt (S. 263). Dieſer
Ort, von welchem alle Symbole derchriſtlichen
Anſchauung vom Tode ausgeſchloſſen blieben, iſt
von einem wunderſamen Zauber weihevoller
Poeſie umwoben. Im weiten Halbkreiſe umgeben
ihn hohe ſchwarzgrüne Birken und zu beiden
Seiten Fichten- und Cypreſſenbäume, deren
Zweige ſich ſo dicht ineinander ſchieben, daß
eine lebendige dunkle Wand gebildet wird. Nur
nach dem Parke und dem Schlößchen hin an der
Oſtſeite bleibt die Ausficht frei. Eine bogen:
fürmige fteinerne Nuhebanf zieht fih im Nüden
um ben Plaß. Zwiſchen blühenden Beeten fieht
man die flachen epheubededten Gräber; zu
Häupten eines jeden von ihnen lieſt man auf
einer dort aufgepflanzten Tafel Namen, Ge:
burts: und Todesjahr deſſen, der darunter ruht.
34
Hinter diejer Gräberreihe
aber raat eine ſchlanke
hohe Säule aus geichliffe:
nem Granit auf ihrem
Poſtament empor, deren
Kapitäl Thorwaldfens
im feierlichen Stil der
hieratijchen antilen Hunt
weile gebildete Marmor
ftatue der Hoffnung, die
Lotoslnoſpe ın Der Ned):
ten, mit zierlich gefpigten
Fingern die alten des
Gewandes haltend, trägt. Alles atmet tiefe, |
heilige Ruhe und Stille, der Lärm der geichäf-
tigen Welt dringt nicht hierher. Aber fern ge:
halten von diefem geweihten Ort find auch
Schildhorn · Monument (6. 2691,
HALT ARTE Ip Age
5:3 Zn
—
Autfiät ten E&ildhorn
(@. 269.
Eichen umhegt, Wiejen
und Klornfelder unmittel:
bar herantreten, die Wan:
derung wohl noch eine
Meile weit gegen Span:
dau hin fortfeten, immer
im Genuß der lieblichiten
landichaftlihen Ecenerie.
Unſer Holzſchnittbild
auf Seite 263 gibt den
Charalter dieſer Havel—
ſeelandſchaft getreulich
wieder. Auch dieſe weite
Waſſerfläche wird erſt ſeit etwa 12 Jahren zwi—
ſchen Dorf Tegel und Spandau von Dampfern
durchſchnitten. Sie legen bei Saatwinkel —
einer Gruppe reizend am Waldufer placierter
alle jene finſtern traurigen Bilder und Symbole Gaſt- und Gartenlokale, — ebenſo bei der ganz
des Todes, welche den düftern Schmud unfrer
Kirchhöfe bilden. Es ift ein Friedhof, wie er
dem Sinn und Charalter der heiter refignierten
Weltweijen entipricht, deren irdifches Teil hier,
der Natur zurüdgegeben, unter der Epheudede
ruht.
Wenn man hier den Park verläßt, fo fann
man am nahen Secufer, an welches teils der
dichte Wald, teils von Gebüfchen und niedern
mit ſchmucken Billen und Gärten bededten Inſel
Valentinswerder an, während eine zweite große
Seeinfel, Scharfenort, durch deren Eigentümer
dem Beſuch verſchloſſen ift.
An der Feſtung Spandau (5. 264) flieht
die Havel in engerem, vielverzweigtem Bett vor:
über, die Stadt zerteilend, von Holzbrüden
überjpannt, welche für die Paſſage der großen
„Oderkähne“ mitihrem hohen Maft und dem ein=
Die fandihafılihe Umgebung Berlins.
Bei Pichelawerder IE. 209),
zigen großen Segelaufgezogen werden. Spandau
ipielt befanntlih als Feſtung in der preußiſch—
brandenburgifchen Geſchichte ſchon feit Jahrhun—
derten eine ſehr wichtige Rolle. Seine Türme
haben wiederholt nicht nur zur Abwehr kriege—
riſcher Feinde, ſondern auch als Kerker fürStaats:
verbrecher, als preußiſche Baſtille, gedient. Nie
aber haben dieſe Mauern einen höher geſchätzten
Gefangenen beherbergt, als ſeit der franzöſiſchen
Milliardenzahlung. Vierzig Millionen davon in
blankem Golde, in Kiſtchen verpackt, ſind in dem
Spandauer „Juliusturm“ eingeferfert. Dort
liegen fie in ftrenger Hut, bis ein neuer Krieg
auch fie mobil macht und ihr Gefängnis öffnet,
mwovor uns Gott bewahre. Sind fie doch einzig
dazu bejtimmt, dort zinslos deponiert, den
Etaat jeder Verlegenheit um die Dedung der
eriten Bebürfnifje mit barem Gelde beim Aus:
bruch eines Krieges zu entheben.
Meiter fchlängelt fih die aus Spandau her:
ausgetretene Havel in jüdlicher und ſüdweſtlicher
Nichtung durch die flache Landſchaft, um bald
füdlih der großen Verbindungsftraße mit dem
zwei Meilen weit davon entlegenen Berlin, in
den ausgedehnten Bezirk des Grunemwaldes
einzutreten. Das linfe waldige Ufer des Flufjes
\ bildet die Fortſetzung der höchſten Bodenerhebung
un nn
im Weften Berlins, des „Spandauer Jochs“.
Diejer Höhenzug begleitet die Havel auf ihrem
ganzen weiteren Laufe nah dem preußiſchen Ver:
jailles, der ſchönen Sommerrefidenz Potsdam
hin, in deren Lage und Umgebungen die mär:
kiſche Landſchaft all ihre liebenswürdigſten Reize
vereinigt und durch die höchite landjchaftsgärt:
nerifche Kunſt gefteigert zeigt.
Der Grunewald — ein weites fönigliches
Jagdrevier, heute wie vor Jahrhunderten der
Schauplatz der großen Sau: und Hirfchhet:
jagden während der Herbit: und Wintermonate,
— ſchließt in feinem Revier viel landichaftliche
Schönheit ein. Gemifchter Wald, in welchem
die Kiefern dominieren, Eichen, Erlen, Birken
und Buchen aber keineswegs gänzlich fehlen, und
von ihm rings umſchloſſen ftille Waldfeen mit
ſchilfigen Ufern reſp. ſeeähnliche Stromausbud):
tungen, — das ſind auch hier, wie drüben in der
Jungfernheide nordöſtlich von Spandau, die
Elemente, auf denen die eigentümliche Schön—
heit beruht. Zunächſt der öſtlichen Waldgrenze
nahe bei Charlottenburg liegt der „Halenjee” ;
tiefer im Walde der See „Hundekehle“, ber
„zeufelsjee”, der „Schladhtenfee” und der an
268 cudwig pPietich.
poetifhem Reiz reichite von allen, der See am | Nüdjeite des Schloffes gewährt einen Anblid und
Jagdſchloß Grunewald (S. 265). Lebteres, bildet einen Aufenthalt von völlig traumhafter
das auf unferem Bilde faft völlig in den Laub: | poetifcher Anmut,
maſſen der umgebenden Bäume verfchmwindet, Der von Berlin entlegenjte der Grunewald:
ift ein fehr interefjantes und maleriſches Bau- | jeen, der eigentlich fhon zur Umgebung von
werf, defjen Hof von alten Linden und Kaftanien Potsdam gehört, ijt der Wannjee (S. 265).
beichattet, von Mauern mit Thoren umſchloſſen | Er wird durd) eine weite Nusbuchtung der Havel
wird. In feinem Aeußern, befonders dem Turm gebildet und ift jomit nicht wie jene anderen, von
mit der Wendeltreppe in der Mitte feiner Hof: ' allen Seiten umſchloſſen. Bis zu Ende der
fagade, wie im Innern, in manden Details | Sechziger Jahre zeigten feine Waldufer nur jehr
feiner Architektur
und feines farbigen
Neliefihmuds, be:
wahrt eö noch un:
verwiiht Spuren
aus der Zeit von
1542, als Kurfürit
Joachim II. es
durch Kaſpar Theiß
dort zwiſchen Wald
und See erbauen
ließ, wie es die in
Stein gemeißelte
Inſchrift unter dem
Reliefbilde der bei—
den Hirſche mit eng
verſchlungenen Ge⸗
weihen über der
Eingangsthürever—
fündet. An den
Innenräumen fieht
man die großen
Bilder zahlreicher
Hirſche und Wild:
fauen, welche von
den früheren preu:
ßiſchen Fürſten auf
ihren Jagden erlegt
wurden. Nuch heute
bildet das Schlöß—
chen noch immer den
Nendezuousplat
der Hofkavaliere
und Jagdreiter bei
der großen Sau:
jagd am Hubertus:
tage. Der von
tief zum Seeſpiegel
ſich hinabjenfenden
Zweigen hoher al:
ter Buchen befchat:
tete Platz vor der Im Ehlohgarten zu Charlottenburg S, 270),
vereinzelte Spuren menſchlichen Dafeins. Eine
traurige Berühmtheit dankt er dem tragischen
Tode des großen, unglüdlichen deutichen Poeten
Die Tandfchaftlidıe Umgebung Berlins.
269
' dem Bären befiegt, foll dem Chrijtengotte ge:
Heinrich von Kleist, der fich im Gehölz des |
Ufers am fogenannten „Eleinen Wannfee“, einer
Nebenbucht des großen, mit feiner Freundin er:
ſchoß. Zwiſchen Eichen, Erlen: und Kiefern: |
gebüjch ſteht dort ein fteinernes, beſcheidenes Er-
innerungsdenfmal über dem mit einem Gitter
umgebenen Grabe, mit der Inſchrift unter dem
Namen, Geburts: und Todesdatum: „Er fuchte
bier den Tod und fand Unfterblichfeit.“ Mit
dem Beginn der Siebziger Jahre hat ji die
ganze Phyfiognomie diefer Wannfeeufer gründ-
lobt haben, ihn anzubeten, wenn er ihm hülfe,
mit feinem Roß die breite Havel durchſchwim—
mend glüdlich jene Landzunge zu erreichen; und
er habe fein Gelübde gehalten, als es ihm ge:
lang und zum Gedädtnis Schild und Horn
hier an einen Baum aufgehängt. Das Dentmal
bejteht in einer mit Zaden bejetten Steinfäule
mit einem an deren Mitte befeftigten Rundſchild
und mit einem rundbogigen Aufjag, in deijen
lich verändert. Bildhauer, Architekten und Maler
von hervorragender Stellung und andere reiche
Private haben jih auf diefem Seeufer ange: |
fiedelt. Der Wald ift dort einem ausgedehnten
Kompler von Gärten und Parks gewichen, aus
deren Grün reizende Villen, Schlößchen, Yand:
häufer, Rejtaurants hervorihimmern. Wohl:
gehaltene und beleuchtete Strafen, Vergnügungs:
Iofale, ein Klubhaus, alles, was zu einer
hübſchen Kolonie gehört, ift dort erftanden. Der
Seejpiegel wird von regelmäßig fommenden oder
gehenden Dampfern befahren, welche Berlin
mit Potsdam verbinden. Cine große Flo—
tille von Segelbooten belebt feine ſchimmernde
Fläche, Negatten werden veranftaltet, frohe Feſte
in den ftattlichen, funjtvoll ausgeführten höl:
zernen Hallen des Segelklubs gefeiert. Eine
Eifenbahnlinie vermittelt den raſchen direkten
Verfehr der Kolonie mit Berlin,
Unvergleichlich interefjanter freilich als die
Feld ein Kreuz gemeißelt ift (S. 266).
Am rehten Havelufer zeigen fih hier zu:
nädjt die Dörfer Gatow und Pichelsdorf. Ge:
rade Schildhorn gegenüber (S. 267), durd)
einen breiten Waſſerſpiegel von diejer Landzunge
getrennt, hebt fich eine ähnliche mit Föhrenwald
bededte Höhe aus der Havel. Es ift die Inſel
Pichelswerder, die fich inmitten des breiten
Stromes zwiichen dem flachen weltlichen Ufer
von Pichelsdorf und dem öjtlichen bergigen wal:
digen von Pichelsberg lang hindehnt. Sie
ebenfo wie letzteres Gegenüber und wie Schild:
horn ſelbſt, bildet einen der beliebteften und
populärjten Zielpunfte der Berliner „Yand:
partieen“, der fommerlihen Wanderungen und
Ausfahrten ganzer Sippen und vielföpfiger
Sefellihaften in den großen, „Kremſer“ ge:
nannten Stellwagen. Auf der Waldinjel wie
am Feitlandufer ift hier durch eine Menge von
Gaſtlokalen dafür geforat, daß die bürgerlichen
Schnelle Fahrt auf diefer Schienenftraße durd) |
ben Grunewald ijt die zu Magen oder die Wan:
derung zu Fuß von Wannjee wenigjtens bis |
Charlottenburg. Sie führt eine lange Strede
weit am Fuße der, mit alter prächtiger Föhren—
waldung bejtandenen, Höhen des linfen Havel:
ufers, teils über deren Nüden durch den Wald.
Sie trifft auf eine befonders malerische und
charakteriſtiſche Partie: die waldbededte weit in
die breite Havel vortretende Landſpitze, das
„Borgebirge“ von Schildhorn (S. 266).
Meithin fihtbar ragt aus dem Kieferngebüfche
auf der Höhe feines vorderiten Hanges das Denf:
mal, welches König Friedrich Milhelm IV. in |
den erjten Vierziger Jahren hier zur Erinnerung
an die jagenhafte Flucht und Belchrung des
Wendenfürften Jazko errichten ließ. Diefer, bei
Spandau in der Schlacht mit Markaraf Albrecht
Naturfreunde ſich über eine Schwierigfeit der
Befriedigung von Hunger und Durjt in feinem
Augenblid zu beklagen haben, auch wenn jie
nicht jo wohlausgerüftet mit gefüllten Körben,
Fäßchen und Flaſchen hier anlangen jollten, wie
es bei Berliner Landpartieen Sitte iſt.
Von diefen Waldorten an den Haveluferi,
aufder Berlin-Spandauer Chaufjee heimfehrend,
paſſieren wir die prächtig erblühte Villentolonie
Weſtend an dem dortigen chemals wüſten—
artigen Oftrande des Grunewalds und die gar:
tenreiche Vorſtadt Berlins, welche fich lang ge:
ftredt zu beiden Seiten des ſtattlichen königlichen
Luſtſchloſſes längs jener Landſtraße hindehnt.
Im 17. Jahrhundert lag bier ein Dorf Lützo w
an der Unterfpree. Der erjte König Preu—
ßens errichtete feiner Gemahlin Sophie Char:
lotte, der „philofophifchen Königin”, der Freun:
din von Leibnitz, das Schloß, welches er nad)
ihr Charlottenburg nanute; ein Name, der ſich
auf den ganzen Ort übertrug. Letzterer iſt zu
einer vorläufig noch jelbftändigen, nicht von
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270
Berlin verfchlungenen Stadt von 20000 Ein:
wohnern herangewachſen.
Das Schloß, deifen Baumeifter fein Ge:
ringerer als der große Andreas Schlüter ift,
bewahrt troß mancher mit ihm vorgenommener
Veränderungen noch immer viel von dem echt
fürftlihen Gepräge der Palaftbauten jener
Epoche. Sein weiter herrliher Park erſtreckt
fi an der Nüdfeite bis zur Spree (©. 268).
Seine landichaftlihe Schönheit, feine prächtigen
Drangerieen, jeine römischen Raiferbüften, feine
Die Lömenbrüde 16
nen Grabdenfmäler mit den, wie im Schlum:
mer hingejtredt ruhenden Statuen der Königin
Luiſe und ihres Gemahls Friedrich Wilhelm III.,
dieſe Meiſterwerke Chriſtian Rauchs, einſchließt.
cudwig Pletſch.
Kioske, Karpfenteiche, Alleen aber würden für
ſich allein den Beſucher nicht ſo zahlreich in ſei—
nen ſchattigen Bezirk locken, als es geſchieht. Sei—
nen ſtärkſten Magnet bildet das berühmte Mau—
foleum, dejjen edle Marmorhalle die marmor=
Dentmal ber
Rönigin Luife
(6, 279).
In der
erften Hälfte
des vorigen
Jahrzehnts
hat Charlot:
tenburg fei:
nen Beſitz an
Parks und
arten:
ſchönheit
durch ein
neugeſchaf⸗
fenes Ver—
m, gnügungs⸗
etabliſſement
bereichert geſehen, deſſengleichen Berlin und ſeine
Umgebungen nicht aufzuweiſen haben. Eine
Alktiengeſellſchaft gründete auf dem baumreichen —
Terrain eines Privatparfs die Flora (S. 258).
Die landichaftliche Umgebung Berlins.
271
arandiofen Glas- und eifernen Tonnen:
gewölbe vorzüglich gedeihen. Trotz fo
auferordentlicher anziehungsfräftiger
Vorzüge, welche dieje Flora in fich
vereinigt, troß ihrer herrlichen
Luft, ihrer landſchaftlichen
Schönheit, ihrer Blumen:
und Palmenfülle, ihrer Kon:
zerte, Sommer: und Win:
ternachtfefte, kann das
Anftitut nicht zu fröh—
lichem Gedeihen ge:
langen, ſondern lebt
im ewigen Kampf mit
bedrohenden, feind—
lihen Geſchicken.
Der größte Teil der
fat 7 km langen
Strede jener Strafe,
die vom Brandenbur:
ger Thor am Weſtende
der Yindenpromenade
aus nad) Charlotten-
burg führt, liegt inner:
halb des großen Parts,
welcher den jchönften
had LE BEL a
—
Elefantenbans ”
ı@. y121 :
Der Bart, in mel:
dem die Kunſt—
aärtneret, die
Blumenzucdt Be:
wundernswürdt:
ges gejchaffen hat,
erjtredt ſich an
der Nordieite der
Chauſſee, öſtlich
vom Schloß bis
zur Spree. Er
umgibt das groß—
artige, palaſt—
artige Gebäude,
an dejien riefigen Net: und Konzertſaal ſich ein | landſchaftlichen Schmuck der Umgebung Berlins,
gewaltiger Balmengarten anſchließt. Im größ— ein unſchätzbares, jegensvolles Gut für dejien Be-
titel
[7
Am Golbh
ten Stil angelegt, enthält er eine enorme Fülle
föftliher Warmhausgewächle der tropischen 30
nen, die unter feinem fühn avichwungenen
wohner bildet: des Tiergartens. Urjprüng-:
[ich ein fumpfiges baumreiches Wald: und Jagd—
revier, das ſich einjt bis zur heutigen Kurſtraße
At ogle
1 8 *
272
erjtredte, ijt es zu Anfang des Jahrhunderts auf
Befehl Friedrih Wilhelm des III. zu einem
öffentlichen, der Einwohnerſchaft gewidmeten,
Park verwandelt worden. in neuerer Zeit ift
unendlich viel zu feiner immer fortichreitenden
Verfchönerung gefchehen. Die ftagnierenden Ge—
wäſſer, die ihn durchziehen, zuweilen größere
Teihe und kleine Seen bildend, wie den von
reizenden Anlagen umrahmten Goldfiſchteich an
der Südſeite der Chaufjee (S. 271), dann |
wieder in jchmalerem Bette ſich zwijchen den
bujchigen Ufern dahinwindend und mit gewölb:
ten oder mit Hängebrüden, wie die „Löwen—
brüde* (S. 270) überjpannt, find nun durch
jtets friſchen Waſſerzufluß neu belebt. Wald:
artig wilde Partieen, verwachſene Didichte
wechſeln mit liebevoll gepflegten, mit vollende:
tem Kunftgefchmad behandelten Gartenanlagen.
Ueberall fejjeln edle Werfe der Skulptur, die ſich
leudtend von dem lebendigen Grün der Yaub:
majjen abheben, ven Blid der den Park Durch—
wandelnden und regen zur Freude am Kunft:
fhönen und zu finniger Betradhtung an.
So Fr. Schapers gepriefenes marmornes
Goethedenfmal an dem Dftrande nahe der
Königgräger Straße; fo nahe der „Luifeninfel“,
welche ſich alljährlih am Geburtstage der un:
vergeßlichen Königin den 10. März mit friſchem
Blumenflor bededt, das berühmte Denkmal des
Königs Friedrih Wilhelm III. von F. Drake,
dem gegenüber im fahr 1879 das von E. Ente
gemeihelte Monument Luifens ſelbſt (S. 270)
errichtet wurde; jedes von ihnen auf cylindri-
fhem Sodel, weldyer von einem breiten Frieſe
ſchöner NReliefdarftellungen idealen Genres um:
geben wird. — An feiner Südſeite wird der
Tiergarten von der Tiergarten: Strafe — der
eleganteften, von den Glüdlichen diefer Erde
gefuchteiten, Berlins, einer Reihe von prächtigen
Villen inmitten von Gärten — eingefaßt. Sie
haben die ehedem hier beitandenen einfachen,
halb Ländlichen Bergnügungsorte, Kaffee: und
Biergärten längjt völlig verdrängt.
Aud das ganze malerifhe Wieſen- und
Bujchterrain, welches fich noch bis vor 22 Jahren
zwiſchen dem weftlichiten Teil des Tiergartens,
dem „Seeparf“, nah Süden hin zur alten Wald:
wildnis der „Faſanerie“ eritredte (jeit 1845 iſt
leßtere in den „Zoologiſchen Garten” verwan:
delt), iſt längjt zu einem der luxuriöſeſten, an
Meifterwerfen der Billenbaufunft reichiten, vor:
nehmften Stadtquartiere geworden. Eben jo tief
Osfar Schwebel,
eingreifende Umgejtaltungen hat jener Zoolo:
giſche Garten jelbjt erfahren, feit im Jahre 1869
Dr. Bodinus aus Köln fein Direftorat über:
nahm. Ihm iſt e8 gelungen, das Jnftitut in
Bezug auf feine landſchaftlichen Reize wie auf
den Neihtum und das Gedeihen feines Tier:
bejtandes und den fünftlerifchen Charakter feiner
Baulichkeiten, Tierhäufer 2c. zum erjten ber:
artigen Garten Europas zu erheben und zu:
gleich zum beliebteften jommerlichen Rendezvous:
plat und Konzertgarten Berlins zu machen. Für
die originelle Art der Tierhäufer, welche die
Architekten Ende und Bödmann hier erbaut
haben, gibt das auf unferem Bilde dargeftellte
Didhäuterhaus mit feinen mitraförmigen Kup:
peln hinteyindifchen Stils, feinen Pfeilern mit
Elefantenfopffapitälen, — feine farbig ge-
mufterte Ziegel: und Kachelnbekleidung lie ſich
allerdings nicht wiedergeben, — ein charatteri:
jtiiches Beispiel (S. 271).
Hier aber ſchließe ich für diesmal die Man:
derung durd die landichaftlihen Umgebungen
der deutjchen Kaiferftadt. Die Leer, welche
meiner Führung bis hierher freundlich gefolgt
find, werden hoffentlich die Erkenntnis gewonnen
haben, daß auch in diefer Hinficht Berlin viel
beſſer jei als fein Ruf.
Die
Feſte der Pfingfizeit in Deutſchland.
on
Oskar Sdiwebel.
„Auf, der Mai fam in das Land,
Der da löft der Sorgen Band;
Kinder, Kinder, ſeid gemahnt,
Seine Pradıt zu Schauen! —
Auf der lichten Heide breit
Sind die Blumen ausgeftreut;
Wie ein Teppich, weit und breit
Schimmern Feld und Auen! —
Da hört man die Nadıtigall
Auf dem blütenfchweren Neife
Singen Lenzes Yob mit Schall;
Berg und Thal
Grünen ihm zum Preije!
Freut euch, ihr ungen,
Blumen find wieder entiprungen !
Nun fchlinget den Neihen
Und jauchzet dem prangenden Maien !”
Mit diefen jubelnden, jauchzenden Verfen
hat ein Dichter des 13. Jahrhunderts, der ſchwä—
Die fefle der Pfingſtzeit in Deutichland.
biihe Graf Konrad von Kirchberg, einſt feine
Zeitgenofjen aufgefordert, den Wiedereinzug der
wonniglihen Tage des Sommers zu feiern.
Faſt vermeinen wir bei den Worten des lieder:
frohen Ritters die Schellen an den Gürteln der
Tanzenden flingen zu hören und die luſtige
Char um den Stamm der ehrwürdigen Dorf:
linde wirbeln zu fehen, deren dichte Zweige das
erite faftige Grün fhmüdt! Wie ſchwer, wie
furdtbar Schwer war die lange Winterszeit ge:
wejen ; wie wenig hatte jelbjt dem ritterbürtigen
Manne oder der edlen Frau die düftere Burg
mit ihren engen, raudhigen Gemächern an Be:
haglichkeit gejpendet! Jetzt galt es, des Lebens
fonnige Tage, des Jahres fchönere Hälfte in
vollen Zügen zu genießen. „Kurz ift das Leben!
Die Blüten, die jegt aus dem braunen Raſen
der Heide hervorfpriegen, — fie welfen nur zu
ſchnell! Laſſet den Ernft des Lebens denen, die
hinter Klojtermauern gegen den Genuß und die
Enttäufhungen diefes Dafeins ſich abgeſchloſſen
haben!” Das waren die Gedanken, welche dem
Sünglinge, dem Manne, der Maid und der
Frau des deutichen Mittelalters famen, fobald
bie Kirche das „Veni creator spiritus*‘, —
„Komm, heil’ger Geift, Herre Gott!" — zu
fingen anfing.
Und fie, die einfichtsvolle Erzieherin der ger:
manifchen Völker, die Kirche, fie verſchmähte es
nicht, an ber allgemeinen Freude teilzunehmen,
welche die Pfingittage bei ihrem Einzuge bewill:
fommnete. Das Gotteshaus felbit warb mit
Maien feſtlich gefhmüdt; der Eſtrich wurde ſorg—
fältig gelehrt und jelbit die todesftarren, in den
Stein gefchnittenen Gejtalten der Biſchöfe oder
der Nitter mit Kalmus zierlich bejtreut. Durch die
Stille der Juninacht tönten, miteinander abwech—
jelnd, die helleren oder dumpferen Stimmen der
Glocken, mit dem lauen Wehen ihren Friedens—
und Freudensgruß tragend auch zu der ärmiten
Hütte. Eine Fülle von Luft durchwogte dieſe
ganze Frühlingszeit bis zur Sommertages: und
Nachtgleiche, dem hohen Feite, welches die Mif-
fionare der Chriftenheit dem heiligen Johannes
dem Täufer geweiht hatten, und in einer fajt
unüberfehbaren Menge treten Nefte der alten
Feſtesluſt noch heute uns entgegen, wenn mir
uns aud) nur ein wenig in das Studium deuticher
Eitte und deutſcher Volfsaltertümer vertiefen.
Um einen einigermaßen Haren Ueberblid
zu haben, unterfcheiden wir bei den Gebräuden
der Pfingitzeit folhe, welche uriprünglich mit
——— a — — — — — —
273
dem erſten Maientage verbunden waren, und
ſolche, welche ſich an die Tage des Pfingſtfeſtes
ſelbſt anlehnten. Wir bemerken jedoch, daß eine
ſcharfe Sonderung faſt unmöglich iſt. Die Feſtes—
freude dehnte ſich eben, wie wir bereits ange—
deutet haben, über einen längeren Zeitraum
aus; ja, ſie fand ihren Höhepunkt wie zu gleicher
Zeit ihren Abſchluß erſt in den hochfeierlichen
Ceremonien der Mittſommernacht, des 24. Juni
unſeres Kalenders. Demnach ergibt ſich für die
alten Feſte der fröhlichen Zeit des Pfingſteyklus
von ſelbſt die Dreiteilung: Maifeſte, Pfingſt—
gebräuche und Johannisfeier, und, an
ſie uns haltend, wollen wir's verſuchen, ein mög—
lichſt farbenfriſches Bild des fröhlichen Früh—
lingslebens unſerer Altvordern dem Leſer zu
entrollen.
Den Schlüſſel zu ſämtlichen Maigebräuchen
unſerer Vorfahren, welche, wie bereits ange—
deutet iſt, ſich zum Teile ſpäter an das Pfingſt—
feſt angeſchloſſen haben, wird uns der folgende
Gedanke geben: Am Oſterfeſte war der lichte
Gott des Sommers wieder in ſein Reich und
Erbe eingezogen; er hatte den Winter beſiegt
und die Erde von ihren Feſſeln befreit. Nach—
dem dies geſchehen iſt, wirbt der herrliche Held
um die Holde. Dankbaren Herzens gibt ſie ſich
am „Maientage“, dem erſten des Monats, ihm
zum Eigentume hin. Der erſte Mai iſt demnach
das Vermählungsfeſt von Himmel und Erde,
des Sonnengottes und der alleszeugenden Be—
herrſcherin des mütterlichen Bodens. Es klingt
dieſe hochpoetiſche Auffaſſung des Frühlings—
lebens und Frühlingswebens der Natur ſelbſt
noch bei einem Dichter des 17. Jahrhunderts
nach, denn Logau ſingt vom Mai:
„Diefer Monat iſt ein Kuß,
Den der Himmel gibt der Erde!" —
Eine Hochzeit aber muß zugerüftet werden; des—
halb fällt auch der Vorabend des Maifeites, der
Tag der heiligen Walpurgis, in den Cyflus der
Feier mit hinein. St. Walpurgis erfcheint felbjt
nur als die dhriftlihe Umbdeutung der uralten
Erdmutter und ijt, wie neuerdings nachgewieſen
worden, bei der Befehrung Deutichlands an die
Stelle einer Gaugöttin getreten, welche Wal:
fürennatur befaß und auf windſchnellem Roſſe
über die Lande hinfuhr. Aus der Mähne ihres
Tieres troff der Tau erfrifhend und belebend
auf die in fühem Bangen harrende Erde herab;
das heißt alfo: St. Walpurgis iſt die mittelalter:
liche kirchliche Perſonifikation der das Gefilde
35
274 Osfar Schwebel.
erquidenden Wolfe. An dem Vorabende des
erften Maientages, am fpäteren Walpurgistage,
begaben ſich ehedem die Priefterinnen Froumas,
der Erbmutter, zu ben geheiligten Stätten in
tiefer MWaldwildnis oder auf wolkengeküßter
Bergeshöhe, um hier ihre geheimnisvollen Opfer
zu vollziehen, weldhe der Ehe Wuotans und
Froumas Segen verbürgen follten. Jetzt ver:
ftehen wir’s, warum der Volksglaube noch heute
die Heren in der Walpurgisnacht zum Blodsberge
fahren läßt: der Aberglaube iſt auch hier das
finftere Zerrbild des herrlich fchönen Götter:
glaubens einer früheren Epoche des Volkslebens.
Diefer germanifche Glaube an die Vermäh—
(ung des Götterpaares flingt uns deutlich noch
aus Shafejpeares Mit summer-nights Dream
entgegen, hier find Oberon und Titania an die
Stelle von Wuotan und Frouwa getreten;
diefer Glaube beherricht und erklärt zugleich die
fämtlichen älteren und jüngeren Maigebräuche
Deutſchlands.
Wohl überall auf deutſchem Boden ward
einſt für die Feier des geſegneten Tages ein
Maigraf, ein Maikönig gewählt; in einzelnen
Teilen Deutſchlands und bei den engliſchen Vet—
tern jenſeits des Oceans hat ſich die ſchöne Sitte
noch erhalten, in dieſem irdiſchen Paare die heh—
ren, himmliſchen Vermählten abzubilden. So
im oldenburgiſchen Vaterlande. Auch die hier
heimiſchen Volkslieder der Pfingſtzeit gedenken
der Götterhochzeit, wenn ſie jubeln:
„Freude, Freude über Freude!
Hoͤrt, was ich euch künden will:
Sch hab gefunden meinen Schatz, —
Macht auf, macht auf den Gartenplag! *
Ueberall in Deutjchland ward ferner einft diefer
Maikönig feſtlich eingeholt und der erforenen
Jungfrau entgegengeführt. Bis zum Jahre
1782 3. B. hatte ſich der feierliche Braud) des
Mairitts zu Hildesheim erhalten. Am Pfingit:
abende zogen die Patrizierfühne dem vorher er:
wählten Maigrafen unter großem Jubel des
Volkes in den Uppener Wald entgegen, fie
braten den Fürſten des Lenzes unter den
Klängen raufchender Mufif und dem Dröhnen
der Böller zum Rathaufe, auf welchem dem mit
Maienfränzen gezierten Jünglinge der Ehren:
trunf gereicht wurde. In Erfurt hieß ein ähn—
licher feitliher Brauch einft der „Walperzug“,
und die Sage deutete den feftlihen Aufritt als
ein Ehrendenfmal der tapferen Vorfahren, die
einft auf dem Walperzuge die Burgen des feind-
lichen Adels gebrochen hätten, — grad’ fo, wie
der einziehende König Mai die Zwingfeften der
Winterriefen erftürmt. In dem heiligen Köln
fand am Donnerftage nach Pfingiten, dem fogen.
„Hölzgestage“, einft die „Holzfahrt“ ftatt. Die
Bürger wählten einen Anführer, den „Ritter“,
welcher ſchwergewaffnet mit ihnen in den nahen
Wald zog, in deffen fühlem Schatten man fich mit
mancherlei Spielen erluftigte. Das Kränzlein
diejes Ritters galt ehedem für ein Heiligtum der
hehren Colonia Agrippina und ward den Bür-
gern bei großen Kriegägefahren, warn das herr-
lihe Stadtbanner aufgeftedt wurde, gezeigt, um
ihren Mut anzufachen. Eine ftattlihe Kollation
beichloß die Feier der Einholung des Nitters.
Nun wußte zwar die Kölner Ortätradition zu
berichten, daß die Holzfahrt zum Andenken jenes
großen Sieges gejchehe, welden der Kölnische
Stadtpräfekt Marfilius unter Kaifer Veſpaſia—
nus gegen das die Stadt belagernde Heer eines
Gegenkaiſers erfochten hatte. Indeſſen ift Mar-
filius, welchen die Stadt fich fpäter mit Agrippa
zum Schildhalter ihres Wappens erfor, eine
durchaus mythiſche Perfönlichkeit, eine Verfinn-
bildlihung des Zufammenhanges der römifchen
Colonia mit der füdgalliihen Maſſilia und eine
Maske, unter welcher der altdeutjche Gott, der
fommerliche Befreier, der Graf des Maien, ſich
verbirgt. Das Kränzchen des Maigrafen lebt
übrigens, wie befannt, noch heute in unferer
Mutterfprade fort, denn nad) dem Schmude des
Maikönigs hiek an einzelnen Orten der ganze
Zug in den Wald zur Maienfeier und jchlielich
jede feitliche Verfammlung ein „Kränzchen“.
Natürlich fehlte der Feier des eriten Maien—
tages auc) der feitliche Tanz unter dem feierlich
aus dem Walde geholten und auf dem Dorf:
plate aufgerichteten Maibaume nicht. Der lau:
ten, oft ausgelaflenen Freude des Maientanzes
gelten unzählige Lieder unferer höfifchen Dichter
und die fröhlichiten Klänge unferes Volksgeſangs.
Eine höchſt eigentümliche Sitte des deutſchen
Mittelalters, welche ſich mit diefen Tänzen ver:
fnüpft, ift die des Mailehens. In vielen Ge:
marfungen Deutichlands wurden die Dorf:
mädchen an den Meiftbietenden verjteigert und
den um fie werbenden Burfchen zugeſchlagen.
Es hatte dann der Burfch feiner Erforenen das
Jahr über zu dienen und nur mit ihr, fofern fie
jelbft ihm nicht Erlaubnis und Freiheit erteilte,
zu tanzen. In Hefien findet dies Lehnausrufen
am MWalpurgisabende jtatt; in dem Drömling
Die $efte der Pfingftzeit in Deutfchland.
aber, der Heidegegend zwifchen Gardelegen und
Gifhorn, nennen die fleinen Hirtenjungen ſchon
14 Tage vor Dftern, am weißen Sonntage, den |
größeren ihre Braut; feiner indefjen darf bis |
zum Pfingitfefte das Geheimnis ausplaudern.
Unzmeifelhaft geht diefe Sitte, fowie der Name
des Lehens darauf zurüd, daß in ältefter Zeit
der Kaifer und wohl auch der Maigraf das Recht
beſaß, die Töchter feiner Unterthanen mit feinem
Hofgefinde zu verehelihen. Frankfurt a. M.
ſoll ji im Jahre 1232 die Befreiung von ſolchen
Zwangsheiraten erwirkt haben. Angeblic ver:
langte ein Minifterial Friedrichs II. die ſchöne
Tochter des reichen Patriziers Johann von Gold:
ftein zur Gemahlin; der hochangejehene Bater
wußte indes die unliebfame Heirat zu hinter:
treiben. Sonjt war’3 auch hier Sitte gewefen,
daß der Kaifer feinen Marſchall vor das Haus
der Bürgerstochter ſchickte und jie durch folgenden
Ausruf feinem Dienftmanne verloben ließ:
„Hört zu, ihr Männer allzumal,
Was gebeut der König und fein Marefchal,
Was er gebeut und was muß fein!
Hier ruf’ ih aus die Magd mit dem Mann;“
dann folgten die Namen, —
„Deut zum Lehen, morgen zur Ehen:
Ueber ein Jahr zu einem Baar!”
Noch im 18. Jahrhunderte fuhren in der Main:
ftadt die Kinder in maiengejhmüdten Wägelein
von Haus zu Haus und riefen mit hellen Stim—
men dieſe hochaltertümlichen Verſe aus.
Schon das Erwähnte wird gezeigt haben,
daß, wohin wir uns auch wenden auf deutjcher
Erde, allüberall die Luft der Maien uns in eigen:
tümliher Geftaltung entgegentritt. Im Würt:
tembergiichen hat faſt jedes Städtchen eine kleine
Stiftung zu einem jährlichen Fefte für die Jugend
welches im Mai gefeiert wird. In Nürtingen
3. B. zogen die Kinder in Prozeffion durd) die
Strafe. Merkwürdigerweiſe fangen fie bei die:
ſem Umzug mandjmal ein Totenlied. Wer ge:
denft dabei nicht jener beiden Kölnifchen Ritter,
welche beim Durchreiten der ſommerlichen Heide
plöglich jo gewaltig von dem Gedanken an die
Vergänglichkeit alles Irdiſchen ergriffen wurden,
daß fie an der nächſten Klojterthüre anpodten,
Lanze und Roß draußen liegen und als demütige
Konventualen in den Konvent eintraten? Dft
aber erflangen auf den Gaſſen Nürtingens auch
die einfahen, herzinnigen Verſe aus Paul Ger:
hards Sommerliede „Geh aus mein Herz und
fuche Freud’ !" — die fchlihten Worte:
f
|
275
„Die Bäume ftehen voller Yaub,
Das Erdreich dedet feinen Staub
Mit einem grünen Kleide.
Narcifjen und die Tulipan,
Die ziehen fich viel jchöner an
Als Salomonis Seide. —
Ich felber fann und mag nicht ruh'n;
Des großen Gottes großes Thun
Erwedt mir alle Sinnen,
Ich finge mit, weil alles fingt,
Und laffe, was dem Höchſien klingt,
Aus meinem Herzen rinnen!”
Theatralifhe Beluftigungen, hochkomiſche Dar:
ftellungen des Weißeſchen Luftipieles: „Gute
Kinder — der Eltern höchster Reichtum!“ oder
der „Erhebung Württembergs über alle Län:
der“, ſelbſt über China und Weftindien, bildeten
den Schluß des vielbefuchten Nürtinger Maien:
tages, der endlich auch der Hand der hohen, das
Volk väterlich bevormundenden Polizei erlag!
Natürlich knüpfte fih mannigfacher Aber:
glaube an den durch die Hochzeit des Götter:
paares geheiligten Maientag. Leicht verftehen
wird, warum man am Walpurgisabende die
Häufer, die Thore, die Thüren befreuzt: Die
häßlichen Heren, zu melden fid die heiligen
Jungfrauen des Waldes, die hehren Idiſinnen
und Priefterinnen, gewandelt haben, jollen nicht
eindringen. Bejondere Heilfräfte haften am
Maientage gewilfen Kräutern, andere nament:
lid) dem Wafler an. Maienwaſſer iſt heilfräftig
wie Ofterwafler; dasfelbe madıt „rote, — gelbe
— Haare” und rotes Haar war der königliche
Schmud unferer altheidnifchen Götter und Für:
ſten; darum iſt dasjelbe fpäter jo jehr in Ver:
ruf gefommen. Als die Ungarnkönigin Maria
von Dejterreih um ihres hingemordeten Ge:
mahls Albrecht willen die 63 Männer von Fahr:
wangen richten ließ, da fprad) fie das aus Schil:
[ers „Tell“ wohlbefannte Wort: „Nun bade ich
im Blute wie im Maientau!” denn den Maien:
bädern ward eine bejondere Heilkraft für Leib
und Seele zugeſchrieben.
Dod wie gern wir auch noch unter dem
ihmuden, mit wallenden, wehenden bunten
Bändern verzierten Matenbaume verweilen möch—
ten, um in die tiefe, herzliche Freude und Mit:
feier der Götterhochzeit einzudringen, wir müflen
uns jenen Gebräuchen zuwenden, welche fich dem
Pfingſtfeſte jelbit anichlofjen. Allezeit hat
das Wunder der Ergießung des flammenden
Geiſtes der Pfingften auf die Jünger dem Ber:
ftändniffe des Volkes und der gläubigen Aneig:
nung ferner gelegen als jene Heilsthaten, welche
276
Osfar Schwebel.
die Kirche zu Weihnacht oder zu Dftern verfünbete. | fo 3. B. in Sauerlad) in Oberbayern, wird ber
Und dennoch mußte dem Volke, wie die weifen
Biihöfe und Mönche wohl einfahen, auch zur
Pfingjtzeit etwas Anheimelndes, Feſſelndes ge:
boten werden. War nun nicht mit der Aus—
gießung des Geiftes gewiljermaßen der Früh—
ling der Kirche angebrohen? Da lag es alſo
nahe, altheidnijche Frühlings: und Maigebräuche
auf das Pfingſtfeſt zu verlegen. Das heidniſche
Volksleben bot eine Fülle folder an den Früh:
ling gemahnenden Spiele und Gewohnheiten
dar: wir widmen ihnen zunächit ein Wort der
Betrachtung.
Als einſt nach der Ausgießung des heiligen
Geiftes die Zeugen Chrifti zur Erfüllung ihrer
Apojtelpflicht ſich anfchidten, da waren fie des
Kampfes harrende Männer. Die ganze Ge:
ſchichte der Kirche tft ein Kampf; das Evange:
lium bat in Wahrheit das Schwert gebradt.
Diefe Gedanken wuhten unfere Altvordern ſehr
wohl aufzufaflen, wie fie denn mit Vorliebe den
Erlöſer als einen Heerfönig in der Mitte feiner
Degen ſich voritellten. Wir dürfen uns demnad)
nicht wundern, wenn die durchgehende dee der
Pfingftipiele die eines Kampfes iſt. Der Be:
fiegte verfiel dann dem Spotte, dem Gelächter;
— daher auch jo viel Scherz und Mummen:
ſchanz in der Feier des Pfingitfeftes! Cine Be:
trachtung der Pfingſtſpiele nach ihrer örtlichen
Verbreitung wird unfere Muffaflung und Deu: |
tung derjelben beitätigen.
In Bayern finden zur Zeit der Pfingiten an
vielen Orten Wettrennen jtatt, deren Zwed es
ift, zu enticheiden, wen bei dem Frühlingsfeite
die ehrenvolle Nolle des fiegreihen Sommers
und wen die harte Aufgabe zufallen foll, ſich
als Befiegter allen Schimpf und Schabernad
aefallen zu lafjen. Oft wird der Führer bes
Zuges der jungen Burfchen, welcher ala Sieger
aus diejen Wettfämpfen hervorgegangen ift, fo:
wie jein Pferd und feine Fahne mit Goldpapier
geſchmückt. Eine wie ärmliche Darftellung der
leuchtenden Hoheit des alten Sommergottes,
diefer Auspug mit Flittertand und farbigen
Bändern! Ananderen Orten wird der „Pfingit:
lümmel*, der „Pfingſtl“, der „Pfingſtquack“
mit Stroh umhüllt oder mit Wafferpflanzen um:
wunden. Zu Niederpöring führen ihn Gewaff:
nete wie einen Gefangenen in ihrer Mitte, Oft
wird ihm bei feinem Umzuge ein Hinterhalt ge:
legt; nedische Burſchen ſuchen ihm tüchtig mit
Waſſer zu übergiepen. In einzelnen Ortichaften,
Beſiegte ald Wafjervogel mit einem Schwanen-
halje geſchmückt. Diefe Hineinziehung des feuch—
ten Elementes läßt fi ungezwungen nur dahin
deuten, daß auch zu Pfingjten, ähnlich wie zu
Dftern, bei unferen Vorfahren entweder der Ne:
präfentant des Feindes der jommerlichen Gott-
heit, — vielleicht ald Puppe, — in den Strom
geworfen oder daß um dieſe Zeit wirklich ein
reichgeſchmücktes Opfer auch an die Beherricher
ber Fluten, die Elfen, tief unten im grünen
Rhein oder in der bläulihen Donau, dargebradht
worden ift. Tiefbedeutfam, Schön und wahrhaft
poetisch ijt der zu Münnerftadt in der Nhön
herrihende Brauch, nad weldhem zu Pfingiten
buntfarbig gefleidvete Buben mit dem Pfluge
oder einem geſchnitzten Modell desſelben die
Gemarkungen umziehen, und unmillfürlich wer:
den wir hier an Herders Wort erinnert :
„Die Pflugfchar war es, die die Welt bezwang!“
Auch hier aljo die eier des Sieges der Kultur
über die Wildnis, des Lichtes über die Finfternis!
Der „Waſſervogel“, die fomifche Figur bei
den bayrischen Pfingitipielen, iſt alfo die Ver:
jonififation des Feindes, der bejiegt fein muß,
ehe der fommerliche Gott feine Hochzeit begehen
fan, oder das Opfer, welches den waltenden
Mächten des Sommers fallen muß, che fie herr:
Ichen fünnen. Was muß fich der arme Burſch
gefallen lafjen, welchem dieſe Rolle zugewiejen
ift! Schon bei dem voraufgehenden Wettrennen
aeichlagen und feinesgrünen Schmudes teilweife
beraubt, wird er hier und danod im Waſſer
„gewargelt* und fommt endlich in deſolatem Zu:
itande im Wirtshaufe an. Jetzt aber iſt der
Becher des Leidens für ihn geleert, und wohl ver:
mag er's, ſich ſchadlos zu halten, denn er it
zechfrei überall!
Das Spiel des Waſſervogels und der Pfingit:
ritt finden fih auch auf ſchwäbiſchem Boden, ob:
wohl fie als eine Eigentümlichfeit des bayrischen
Stammes befonders hervortreten. In der Rott:
weiler Gegend erjcheinen bei dem zu Nofje ftatt:
findenden Umzuge eine Menge von Gejtalten,
aus denen ſich fait ein volfstümliches Myſterium
fonjtruieren ließe: neben dem Hauptmanne und
feinen Offizieren treten Goliath und David, die
deutlichen Nepräjentanten von Sommer und
Winter, Mohrenkönige, Maienführer und Hu:
jaren in buntem Gemische auf. Sie alle jprechen
bei dem Aufzuge langatmige, aber furzweilige
Neden in Kmüttelverfen. Und der Refrain all
Die Feſte der Pfingfizeit in Deutichland,
diefer Neime? Der Lefer wird ihn wohl ahnen: |
„Gebt uns Wein! Wir find gar weit gefahren!“
Der Hufar aber als Lion und Incroyable darf
ſich wohl auch ein Mörtlein erlauben, das an die |
derben Späße der Wachtſtube und des Feldlagers |
erinnert.
In all dem Vorftehenden findet ji der
Grundgedanke der Pfingftfeier vor, wenn auch
vielfach verdunfelt. Wieaberbie nedifche Pfingit- |
{uftbarfeit der Heilbronner zu deuten fei, das |
bat der Verfafler noch nicht zu enträtjeln ver:
mocht. Zu Heilbronn wurden nämlich nod) im |
Jahre 1806 die Kühe, welche der Hirt am Pfingſt-
montag austrieb, feftlih und zwar menſchlich
ausgejhmüdt. „Da fammelten fi,“ wie ein |
Bericht von jenem Jahre jagt, „die Kühe auf
der Straße, geziert mit noch gangbarem oder
bereits veraltetem Modeitaat des fchönen Ge: |
ſchlechtes. Eines der Tiere trug auf den Hör-
nern einen Strohhut, ein anderes eine Haube,
eine Perüde, einen Chignon, jenes ein modis
ſches Nes, einen Schleier, eine Schärpe, einen |
Cul de Paris, einen Blumenftrauß. An dra:
matifchem Leben fehlte es nicht. Hier jtieß die
eine, welche der Nachbarin in Freundſchaft fich nä⸗
hern wollte, der andern mit dem ungeheuerlichen
Hut ins Auge. Ergrimmt fuhr diefe auf; ein
rafchgeführter Hornſtoß vernichtete das elegante
Gebäude der Putzmacherin zu traurigen Trüm:
mern. Hier fraß die eine der anderen den Blu:
menftrauß von den Hörnern oder vom Schmanze,
dort trug die Blefje mit dumpfem Gebrülle den
Chignon ihrer Schweiter, der Schwarzen, im
Maule!“
Im engſten Zuſammenhange mit dem Grund:
gedanken der altdeutſchen Frühlingsfeier ſtehen
die Schützenfeſte, welche zu Pfingſten faſt in
allen Städten Deutſchlands ſtattfanden, ſowie
die Aufzüge einer durch das ganze Reich verbrei—
teten Fechtergeſellſchaft, der St. Marrbrüder: |
ichaft. Der bejte Schütz wird König, und wahr: |
ſcheinlich fiel in ältefter Zeit, wie Simrod ver: |
mutet, Schüben: und Maikönig zufammen. Bei
allen Schübenfejten finden wir den Maibaum
aufgerichtet. Dft, wie 3. B. zu Frankfurt a. M.,
wurden aud) die im Freien zum Pfingſtfeſte auf: |
geichlagenen Tanzhütten mit Maien geziert.
In diefer Stadt war das „Maienfteden“ bejon:
ders beliebt; bis zum Jahre 1496, fo jagen die
Stadbtchronifen, pflegten die jungen Männer faft
allgemein die Thür der Geliebten mit arünen
Zweigen zum Pfingitfeite zu jchmüden. Die |
277
Batrizier Frankfurts fügten ihrem Maien ge:
wöhnlich noch ein Bild und eine Devife hinzu.
So wählte ein Jüngling des Haufes Knoblauch
zum Bilde das Faß der Danaiden, offenbar eine
Anjpielung auf die Sprödigfeit der Geliebten,
mit der Umfchrift: „Ich thue, wie ih kann!“
ein anderer ließ eine Hand ein Gewicht in einen
Brunnen jenfen und feste den Spruch darum:
„Falſcher Grund
Iſt meinem Herzen unkund!“
Hier zu Frankfurt, wie im ganzen Franfenlande,
fteht jedoch im Vordergrunde des Feſtes der
Pfingſttanz, eine deutliche Erinnerung an die alte
Götterhochzeit. Gefondert wurde indefjen der
Reigen aufgeführt; das war jtets ratfam bei den
Zunftfeiten des Mittelalters; die Bäder tanzten
auf der Pfingſtwieſe, die Metzger auf dem Gut:
leuthofe, die Hirten, Flurſchützen und Viehmägde
auf der Weide am Nüfterfee. Bald wurden diefe
Pfingſttanzplätze der beliebte Ort der Glüds-
jpiele.
Es würde zu weit führen, hier näher auf
die Pfingfeite der Schützenbrüderſchaften einzu:
gehen, jo interefjant aud eine Darlegung der
alten Gebräuche derfelben fein würde. Wir
gehen zur Pfingftfeier im Sachſenlande über.
Auch hier, jo fehr freilich in letter Zeit die
Pfingſtfeſte an frifhem Leben eingebüßt haben,
bezeugt fich noch immer die alte Freude an dem
Hochzeitsfefte von Himmel und Erde. Die Häu—
jer werden innen und außen mit dem buftigen,
ſchimmernden Zaubederfrifchen Maiengeſchmückt,
die Dielen und die Wege werden mit Kalmus
beſtreut. Im ſächſiſchen und ſlaviſch-märkiſchen
Tieflande werden in den Häuſern Mai: und
Pfingſtkronen aufgehangen, und nicht felten
geht's auch den Erwachfenen mit dem welfen
Schmude des Pfingitfejtes jo, wie den Kindern
mit dem Weihnachtsbaume: man jcheut ſich, den
falben Schmud des Feites zu entfernen, und
thut's endlich) nur mit Bedauern. Der Kuh und
dem Pferde wird die bunte Taufchleife ange:
bunden; das Tier foll draußen auf der Weide
das heilfräftige Na fammeln und in Haus und
Hof heimbringen. Der „Pfingſtkerl“, wohl der
„Pfingſtrecke“, d. h. aljo der Maibräutigam,
der „füſt'ge Mai”, d. h. ein zu einem Mädchen
verfleideter und mit Blumen gefhmüdter Knabe,
die „bunte Kuh“, d. h. diejenige, welche zuleßt
ausgetrieben worden tft, ſowie ein prächtig ge:
ihmüdtes Roß, das heilige Tier des Sachſen—
Stammes, ziehen um. Mannigfahe Sprüde be:
278
gleiten die Feitlichkeiten; fie heben oft echt poe—
tiih und hoch altertümlich an, wie 3. B.:
„Buten, guten Tag ins Haus!
Unglüd fahre zum Giebel hinaus!”
Im Königslaufe, dem Mettlaufe nad dem
Pfingſtbaume, zeigt fich ferner noch ein deutlicher
Reſt der alten Frühlingsipiele. Nicht fehlen
enblih in dem an Roſſen fo reichen Lande die
Wettrennen ; esgilt, vom Sattel aus einen reich
mit Bändern gefjhmüdten Kranz von einer hori:
zontal ausgeftedten Stange herabzureigen; nicht
die fröhlichen Pfingſttänze! In der brandenbur:
giſchen Altmark wird am Abende des zweiten
Pfingittages jedes Mädchen mit Muſik nad
Haufe gebracht; am andern Morgen aber be:
ginnt der Tanz fofort wieder. Gegen Mittag
ziehen dann Tänzer und Tänzerinnen von Hof
zu Hof. Die jungen Burfchen haben fih für
diefen Umzug zum Teil mit Weiberfleidern ver:
mummt und einer von ihnen trägt einen großen,
gefüllten Bierfrug. Der letztere wird jedem
Hofwirte und defien Frau gereicht, Unter der
Leitung von Vortänzer und Vortänzerin beginnt
dann noch einmal der Tanz und erft um Mitter:
nacht dürfen die müden Spielleute zum „Sehr:
aus“ fich rüsten.
Ein Reit jehr altertümlicher und bedeutfamer
Eitte, welde einft an das Pfingftfeft fid an:
lehnte, hat ſich auch im deutjchen Norden auf
dem Boden der Mark Brandenburg erhalten.
Hier umziehen in einzelnen Dörfern Pfarrer,
Lehrer und Schüler zu Pfingjten die Saatfelder
und beten um reihen Erntefegen. Mag der
Umgang aud) eine Erinnerung an die alten fa-
tholischen Prozeffionen fein, jo ift Dodh immer
der Zeitpunkt bemerfenäwert, zu welchem er ge:
ſchah: die Himmlifchen, denen felbft die „hohe
Zeit* ihres Waltens und Dafeins gefommen
war, mußten der zu ihnen aufiteigenden Bitte
ja befonders gnädig fein! In Landen, melde
dem römischen Befenntniffe huldigen, finden da—
her auch heute noch zahlreiche Prozeffionen zur
Pfingitzeit ftatt.
Es fehlt aber auf deutfchem Boden aud) an
ſcherzhaften Piingitgebräuchen nicht. Merkwür-
digermeife find diefelben von der Luft des Feſtes
in dem ſonſt fo ernften Marfchenlande Olden:
burgs reich gezeitigt worden. Hier benußt man
die Nacht vor Pfingften zu allerlei Schabernad.
Mas außerhalb des Haufes los und ledig ift,
wird verfchleppt, Handwerkerſchilder werden ver:
taufcht, Bänke werben verſetzt, Wagen ausein:
Oskar Schwebel.
andergenommen und in ihren einzelnen Teilen
auf die Dächer geihafft. Dem Mädchen, welches
den Pfingitmorgen verjchlafen hat, wird ein
Strohmann ins Bett gelegt; die letzte, die zum
Melken fommt, muß die Nolle des vielgehänfel:
ten Pfingftfuchjes auf fich nehmen. Auch diefe
derbe Luft des Feſtes erklärt ſich leicht aus jenem
Hauche der Freude, welcher zu Pfingften durch
alle Zande weht.
Und diefe Freude ließ fich jo ſchnell nicht
ausfoften, oder vielmehr: Der Sterbliche fuchte
fie in der Mühſal feines Lebens fo lange aufzu-
halten wie möglich; er wünſchte, die bannenden
Kreife um ihren flüchtigen Fuß ziehen zu können.
Wir deuteten oben bereitö an, daß die Feierlich—
feiten des altdeutichen Pfingitfeftes und die
Frühlingsluft ihren Abſchluß erft inder Sommer:
jonnenwende, dem fpäteren Feſte des heiligen
Sohannes des Täufers, fanden. Ohne Zweifel
war deſſen Tag, der 24. Juni, bei den heibni:
ihen Deutfchen dem herrlihen Sonnengotte
Baldur geweiht, ihm, der alljährlich im Fluge
der Zeit dem heimtüdischen Gejchofje des
Gottes der Finfternis erliegen mußte. Welch
befjeres firchliches Gegenbild aber fonnte für den
ftrahlenden Jüngling des Göttermythus gefun:
den werben als jener Prediger in der Wüſte,
defien Auftreten der Morgenröte gleih das
Kommen des Erlöfers geweisfagt hatte, — der
frühe fchon, gleich dem nordifchen Götterfohne,
feines Lebens Ziel erfannt hatte, der das düſtere
Wort geiprochen hatte: „Ich muß abnehmen!“
und welchen ein gewaltfamer Tod mitten aus
dem Laufe abberufen hatte! Eo trat St. Johann
der Täufer an die Stelle des Sonnengottes; er
erfeßte den fommerlihen Wuotan. Hieraus er:
Härt fih, warum St. Johann der Täufer bei
den germanifchen Bölfern der Nepräfentant alles
Lichten, Edlen, Großen ward, und warum die
idealſte Verbrüberung des Mittelalterd, ber
ritterlihe Orden vom Epitale zu Serufalem,
fid) den Täufer zum Schußpatron erfor.
Am 24. Juni ſchien die Sonne unferen Alt:
vordern ben Höhepunkt ihrer fiegerfüllten Lauf:
bahn erreicht zu haben; von da ab ging es ab:
wärts. Mas Wunder, wenn nun zum Schluſſe
der feftlihen Zeit die Freude noch einmal hoch
aufloderte, dem Feuer gleih, das die legten
Gluten hochrot auffladern läßt und dann plöß:
lich in fich zufammenfinft! Die Siegeshöhe der
Sonne — das war natürlid — mußte Wunder
wirfen auch auf Erden: die Johanniszeit ift des:
Die Seite der Pfingſtzeit in Deutfchland.
halb fo reich an Gnade, fo erfüllt mit Segnungen |
des Himmels, daß fein Mund es ausſprechen
fann. Alle Geijter, die gebannt find, werben
zur Johannisnacht frei und rufen fehnlichjt nach
Erlöfung. Aus der Erde Schoße heben ſich die
verfunfenen Schätze und fonnen fih. Im leuch—
tenden Scheine des Mittags, auf der Heide, in
dem hohen Blütenkraute, um welches die Käfer
ſchwirren, die Bienen fummen, die Schmetter:
linge gaufeln, fowie im bleichen Lichte des Mon—
des, der durch die Zweige auf den Elfen im
Farrenfraute des Waldes herniederlächelt und
die Niren füht, wenn dieje, nach dem jchönen
Jünglinge ſich fehnend, aus der Tiefe des Wei:
hers auftauchen, erjcheinen die Schlüſſeljung—
frauen, die „weißen Frauen“ mit dem jonnen:
goldenen Haar! Der Sommer hat in diefer
hochheiligen Zeit feine höchſte Pracht entfaltet;
es blüht, wie Uhland fo jchön gejagt hat, das
fernfte, tieffte Thal: deshalb duften alle Pflan—
zen und entwideln ihre heilfamen Kräfte. Jetzt
it e3 Zeit, den Sonnenmwendgürtel, den Beifuß,
das Johanniskraut, das Fohannisblut und an:
dere Kräuter von hohen Gaben und Kräften zu
breden; jest muß die Wünfchelrute, der Sprof
vom Hafeljtrauche gejchnitten werden, welcher
den Zugang zu allen ſchlummernden Schätzen
ber Erdentiefe ermöglicht. Jetzt ijt das Waſſer
heiljamer denn zu irgend einer anderen Beit.
Deshalb zogen, wie PBetrarfa aus eigener An:
ihauung berichtet, die Frauen Kölns ftill und
aeheimnisvoll in der Johannisnacht nad) dem
Rheine, um fi Arme und Hände in dem jugend:
lihen Etrome zu baden und unter dem Abmur:
meln geheimnisvoller Morte, vielleicht altheid-
nifher Zauberformeln, mit duftenden Kräutern
die blühenden Glieder zu jhmüden. „Ein Bad
in der Johannisnacht“, fagt man nod) heute im
Württembergifchen, „nützt foviel als neun andere
ſonſt.“
Der Tau der Johamnisnacht ſchützt gegen
jede Krankheit; man fammelte ihn deshalb,
um von ihm zu trinfen oder mit ihm den Körper
zu neben. Grüne Kränze wurden um den Quell
im Walde und den gotifchen Brunnen auf dem
Marftplage gemwunden, dem heilkräftigen Naf
zu Ehren; auf allen Höhen aber flammten die
Sonnenwendfeuer auf. Jünglinge und Yung:
frauen entzünbeten diefelben, warfen vielerlei
genau beftimmte Kräuter in diefelben, umtanzten
fie und fprangen durch und über die Flammen.
279
Für immer ift die hohe Poeſie diefer Johannis:
nachtfeier verſchwunden, aber im Geijte ſchauen
wir wohl noch die linde, wonnigliche Nacht des
Jahres 1497, da zu Augsburg die ſchöne Pa-
triziertochter Sufanna Neithardt dem Kaifer Mar
das Johannisfeuer anzündete, und jehen nad)
Nitter Schweinichens Erzählung den Herzog von
Liegnit mit feinem ganzen Hofhalte in jauchzen:
der Fröhlichfeit um das lodernde Feuer im Burg:
hofe des Kynaſt verfammelt. Und wenn zwei
Herzen in alter Zeit fich entgegenfchlugen, welche
das Schickſal getrennt hatte und feindliche Mächte
voneinander fern hielten, fo erhob in der ſegens—
reichen Nacht der Jüngling den Becher und tranf
der Geliebten „St. Johannis Minne“ zu, Licht
und Eegen ihren Pfaden wünſchend und ein
frohes Wiederſehen ſich erhoffend.
Mit dem Glodentone, weldher den Anbruch
des neuen Tages nah Johannis verfündigte,
legten ſich die fhäumenden Wellen der Freude.
Jetzt war die frohe Zeit abgelaufen, des Jahres
ſchönſter Tag vorüber. Der volle Sieg des Lichtes
war erfämpft; nach dem gemeinfamen Schickſal
aller erfchaffenen Dinge fing nun der Erde Pracht
und Hoheit anzu welfen. Des Sommers Schwüle
und verfengende Hite lagerte fid) auf Wald und
Feld und Flur; — dahin waren die fchöneren,
janften Tage, und mır in Wehmut mochtejt du
denfen an die verlorene Maienfrifche des Lenzes,
an das junge Grün, an die fnojpende Blüte, an
das linde, leife Frühlingswehen, das eine Welt
von Eeligfeit verheigen hatte, die nun erfchienen
und ach! jo ſchnell vergangen war.
Solcher Stimmen der Wehmut über dahin:
geraufchte Pfingitesluft liegen fich viele ſammeln
aus unferer älteren Litteratur, aus dem Minne—
geſange und dem Volksliede. Die elegiſche Klage
um das fo früh eriterbende Schöne klingt aus
dem Munde aller Geſchlechter, und mit ihr eint
ſich die Sehnſucht nadı dem Bleibenden. Die hat
in feiner ſchlichten Art auch der Dichter unferer
Tage auszusprechen fich nicht geſchämt, welcher
nächſt Malter von der Wogelweide und Doktor
Martin Luther der männlichite feines Volles
gewefen ift, und mit Ernft Mori Arndts Wor:
ten aus einem „Pfinaftliede” fchliegen wir, —
fie atmen Pfingitgeift und Pfingitesfehnfudt :
„Gottes Liebe ziehe mich in dich hinein,
Daß ich hier Schon blühe wie ein Himmeläfchein,
Daß ich gleich der Lerche flieg’ ind Sternenhaus,
Ueber Thal und Berge und die Welt hinaus!”
280
Auguſt Beder.
Sleonore
Roman von Auguſt Beder.
(Fortfegung.)
[3 Herbig feine Verwunderung
Yr- ar hierüber ausſprach, hörte er von
Pi dem Kleinen Aufmwärter, daß es
Pr. \ & Familien aus der Stadt feien,
- die zumeift erft abends herauf:
— kämen, beſonders jetzt zur Zeit
der Hirſchbrunft, um — die Hirſche am Renn—
ſteig ſchreien zu hören.
Lachend bemerkte der Fremde, man laſſe
wohl irgendwen durch ein Rohr in einen vollen
Waſſerkübel brüllen und ſage, das ſeien die
Waldhirſche am Rennſteig.
„D nein!” erwiderte der Junge mit ernſter
Miene. „Erjt geitern abend bei hellem Mond:
ſchein horchten Herren und Damen dort auf der
Haustreppe oder hörten am offenen Feniter
itundenlang zu. Da, nad) der Weinftraße hin,
ſtand ein Hirſch, der ſchrie mächtig, daß einem
die Haare zu Berg ſtanden; und dahin, auf
dem Nennfteig gegen den hohen Saal, ftand
ein anderer, ber trieb es noch bunter. Und
heute morgen wurde ein großer Hirfch gleich
da drüben auf dem Waldanger tot aufgefunden,
der im Kampfe unterlegen iſt.“
Wenn es fi wirklich fo verhielt, jo fehlte
e3 nicht an Romantik oben am Nennfteig. In
der That beftätigte denn auch ein hingutretender
Erwachſener, der Oberfellner oder Pächter, daß
die Sache ihre volle Richtigkeit habe. Herbigs
Teilnahme war gewedt, und ba er fich bereits
in fein Geſchick einigermaßen gefunden, fam es
ihm nicht mehr darauf an, hier etwa von der
Nacht überrascht zu werden. Er hatte ſich ein
Abendbrot beitellt und lieh es fich fchmeden,
obwohl es ihn ärgerte, daß ihm wiederholt das
Mefler entglitt und zu Boden fiel. Indem er
fih büdte, es aufzuheben, bemerkte er, daß
unter einem der verjchobenen Tifchbeine ein
fleiner Bapierzettel oder vielmehr eine weiß:
glänzende, zierliche Karte eingeflemmt war. Beim
erften Male hatte es ihn nicht weiter gefümmert.
|
Dann aber jtellte fi die Erwägung ein, daß
es eine Vifitenfarte fein möchte, verloren an dem
Plage, wo die beiden Damen ihren Kaffee ge:
trunfen hatten!
Das Verlangen, fich hiervon zu überzeugen,
regte fih. Mit einem Anflug von Neugierde
hob er das fleine weiße Blatt auf.
In der That, es war ein fteifes, glänzen-
des, goldrandiges Kärtchen, jedoch ohne einge—
ftochenen Namen, fondern auf beiden Seiten
befchrieben von einer weichen ſympathiſchen
Frauenhand, der Tert in deutfchen Zügen, die
Unterſchrift — zum Teil unleſerlich, von feuchten
Sande beſchmutzt und gelöfht — in englifcher
Schrift und mit einem fchülerhaften Schnörfel,
wie fie nur noch von Frauen ala Namenszüge
angewandt werden. Der Inhalt mußte dem
Lefer gefallen, denn er überflog ihn zweimal
und lächelte jedesmal dazu. Er lautete —
wörtlich und nad) genauer Abfchrift alfo:
„2. ©. Ich habe dir etwas im Vertrauen
„mitzuteilen, denfe dir heute morgen als ich
„meinen Zopf anfteden will, ift feiner zu finden
„bitte ſuch doch mal, wo wir geſtern geweſen
„Sind; halt es aber geheim vor allen, Ich kann
„es faum vor Lachen aufs Papier bringen.
Jenny No — — — je.”
Mas hier im Namen durch Striche ange—
deutet wird, war im Original wegen eines
Schmutzfleckes oder Kledjes unleferlih. Sehr
ärgerlich. Gerade das Wichtigite, der Familien:
name blieb dem Finder damit verſchloſſen. Sonft
war das Papier troden, unverleßt, fein Buch:
ftabe verwifcht oder verblaft, ein Beweis, daß
das Kärtchen noch nicht lange hier lag, da die
Tinte außer jener Stelle weder durd Tau und
Nebel, noch durch das Sonnenlicht gelitten hatte.
Es fonnte nicht über Nacht hier am Boden ge:
legen fein, war jehr wahrſcheinlich erſt am Nach—
mittag verloren worden und zwar aller Ver:
mutung zufolge eben von den beiden Damen,
Eleonore.
die ihren Kaffee hier getrunfen und dem Finder
dann begegnet waren. Gerade aufden Familien:
namen — wie jhade! — modte ein Waſſer—
tropfen oder vielmehr ein Tropfen Milchrahms
durch irgend einen Zufall geraten und das
Kärtchen unbemerkt zu Boden gefallen und
unterm Tiſchbeine eingeflemmt worden fein,
wodurch es an der einen Stelle beſchmutzt
wurde.
Das drollige Billet war offenbar an eine
vertraute Perſon, an eine Freundin oder einen
Freund, vielleicht an den Gatten, möglicher:
weiſe an den Geliebten, im Grunde jedoch eher
— und aller Wahrſcheinlichkeit nach — an die
Schweſter gerichtet. 2. ©. hie wohl „Liebe
Guſte,“ „Gertrud“ oder „liebes Gretchen!“
Welche von beiden war nun die Abfenderin
Jenny, die launige Schreiberin des Billets?
Dasjelbe machte einen überaus anmutenden
Eindrud auf den Leer, deſſen Züge ſich freund:
lid aufgeklärt hatten, indem er fich immer wie:
der in die Betrachtung diefer weichen und dod)
ausdrudsvollen Mädchenfchrift verlor mit den
Hlaren Haar: und den deutlichen Grundftrichen,
den keineswegs langgeitredten Inappen Bud)
ftaben. Vor allem aber gefiel ihm ber Inhalt,
diefe naive, ſich ſelbſt belächelnde Gejchämigfeit,
welde die Bedeutung des Verluftes, aber aud)
den Humor der Sache nicht verfennt. Mochte
die Verfaſſerin fein, wer fie wollte, fie mußte
ihrer Handſchrift entjprechend ein gemüt: und
haraftervolles, anſpruchslos heiteres und lie:
benswürdiges Wefen fein.
Jenny war auch ein Name, der zum Ganzen
paßte. Aber wie lautete nun der Familienname
diejes Schalfhaften Mädchens? Daß auch gerade
auf ihn der verhüllende Fleck fallen mußte!
Herbig ſah nochmals das goldgeränderte
Kärtchen an, nachdem er fi bis zur merklichen
Dämmerung damit beichäftigt hatte, und ftedte
es nunmehr in die Eleine Mappe feines Notiz:
buches. Dann fragte er einen Vorüberkommen—
den, den er für den Wirt halten fonnte, ob die
Damen, welche nachmittags hier gefefien, aus
der Stadt und wirklich Schweitern feien.
Der Mann beitätigte es, — er wiſſe nicht
anders.
„Können Sie mir nicht den Namen fagen ?"
forſchte Herbig weiter.
Der Mann bejann fich; ex fiel ihm nicht bei.
Es fei eine Familie mit zwei Töchtern, foviel
er wilje, erjt vor einigen ‚jahren hergezogen
|
|
|
281
und habe ſich jetzt eine Villa gebaut; ob fie
jedoch diejelbe ſchon bewohne, wiſſe er nicht.
„Iſt eine der Töchter verheiratet?“ er:
fundigte ſich Herbig weiter.
Der Mann verneinte; er bezweifle dies und
wife nur von den beiden ledigen Töchtern.
„Die eine Dame hier,“ mifchte fich jest ein
Mann ins Geſpräch, der feither unbeachtet in
einer Zaube geſeſſen war, „die ſchöne, große,
vornehme, junge Frau war eine fremde, aus
Berlin oder eher noch aus dem Hannöverſchen.
Sie wird wohl in Marienthal logieren.“
Das Hang fehr beftimmt. Der Mann hatte
ficher feine Gründe zu diefer Behauptung und
war wohl ſchon unbemerkt in der Laube ge:
ſeſſen, als die beiden Damen nod am Tijche
weilten und ihre Ausfpradie, der Inhalt ihrer
Neden ihm Anhaltspunkte für feine Annahme
lieferten.
„Ich will es nicht beftreiten,“ meinte nun
auch der andere, während Herbig in den alten
Zwieſpalt zurückgeworfen war. Sein Herz ftimmte
dem in ber Laube zu. Doc richtete er feine
weitere Frage an ihn. Raſch entſchloſſen, be:
rihtigte er feine Zeche, brach auf, eilte die feier:
lihe Dämmerung einer herrlichen Buchenhalle
entlang, dann die Straße überjchreitend bald
durch dichten, bald durch hellen lichten Wald
allmählich zu Thal. Das Laub der diden Eiche
am Promenadenmweg zeichnete fich wie mit Tufche
ausgeführt an den lichtgrünen Himmel. — War
fie e8? Waren die Zeilen von ihr und — an
wen gerichtet ?
Sein Herz pochte ungeftüm, in qualvoller
Ungeduld. In allen Reftaurationen des Marien:
thals ſah er jich noch abends beim Worüberfommen
um. Da jagen Frauen genug, doc) feine wie fie.
2.
Anderen Tags war Herbig früh auf und ent:
ſchloſſen, ſich Gewißheit darüber zu verſchaffen,
ob er ſich geſtern getäuſcht oder ob das Weib,
deſſen erſter Anblick auf der fernen Küſte ihm
Herz und Sinne gefangen genommen, hier im
Thüringer Wald wieder zu finden ſei. Es war
ſeine beſtimmte Abſicht, nicht aus der Gegend zu
weichen, bevor er zu jener Ueberzeugung gelangt
war, und dann alles an ſeine Liebe zu ſetzen.
Allein mit dem feſten Entſchluß drängten
ſich ihm auch ſofort die Schwierigkeiten der Durch—
30
282
führung auf. Als Fremder, ohne ficheren An:
halt, ohne Anfnüpfungspunfte — wie jollte er
feinen Zwed erreihen? Durd Nachfrage in den
verjchiedenen Hotels? Viel zu umftändlich, ohne
Ausficht auf Erfolg, wie ihn die Erfahrung im
eigenen Gajthof lehrte, da er bei feinen gelegent:
lihen Erfundigungen nicht einmal den Namen
wußte. Allem Anſchein nach wohnte die jchöne
Unbefannte von der Dftjee, wenn fie überhaupt
hier weilte, in einem Privathaufe. Wie jollte
er nun zum Ziele fommen! Durch Nachfor:
ſchungen auf der Polizei? Auch wenn fie an:
gemeldet war, verbot ſich das von jelbit und zwar
nicht bloß deswegen, weil jeder Anhaltspuntt
fehlte. Eine Fremde, eine ſchöne, große, junge
Frau, die er liebte, — damit lieh ſich ohnehin
vor einer Behörde, die auf das Pofitive hält,
wenig anfangen. Oder war fein Vorſatz beſſer
durch eine Anzeige im Lofalblatt zu verwirklichen?
Nein! Diejes Mittel verwarf er fofort. Und
dennoch — das aufgefundene Billet, die be-
ichriebene Bifitenfarte bot einen paſſenden An:
laß, unter „Werlorenes“ oder vielmehr „Ge:
fundenes* mit leifer Andeutung anzufnüpfen!
Aber, vielleicht war der Verluft der Karte gar
nicht bemerft worden, oder dieſe ging ganz an:
dere Leute an, — und wenn eine der beiden
Damen, jo hinterließ ein folches Inſerat dod)
leicht den Eindrud arger Indiskretion; das Ver:
fahren erſchien als ein Zmangsmittel, dem man
fich erjt recht nicht beugte. Mit Verlegung des
Zartgefühls als ein Aufdringlicer ericheinen,
nein, dazu hatte er vorerft feine Luft, wenn auch
zu vielem anderen.
Ein Ausweg blieb ja immer noch, um eine
Begegnung herbeizuführen : in der jchönen Um:
gebung fich ergehen, was wohl aud ihr Zweck
bei einem Aufenthalt hier war. Was gejtern
geſchah, konnte ſich heute wiederholen. Freilich
waren der Spaziergänge fo viele, — wohin fid)
wenden? Er mußte fein gutes Glüd wohl oder
übel dem Zufall überlaffen und machte ſich alio
auf die Beine in die herbitliche Berglandichaft
hinaus, — ſchon vormittags, da er mußte,
daß Damen gerne des Morgens mandern,
wenn fie Muße haben und feine Langichläfe:
rinnen find.
Weiße Dämpfe ftiegen aus den Thälern
und zogen dann als lichte Wolfenballen am
blauen Himmel über das Gebirge. Mit ſcharfem
Ausblick verfolgte Herbig die ſchattigen Berg:
pfade um die Felſen, auf deren Folie jich die
Nuguft Beder,
| malerischen Baumfonturen jet deutlicher ab:
— — — — — — — —
hoben. Jeder helle Rockſaum in der Ferne be—
ſchäftigte ſeine Phantaſie, nährte und beflügelte
ſeine Einbildungskraft, bis nähere Betrachtung
die Enttäuſchung brachte. Im geſchloſſenen
Nadelwalde, unter den lichten Pyramiden der
Lärchen und den dunklen der Fichten; unter dem
braungewordenen Laubgezelt einzelner Eichen
und unter immergrünen Föhrenſchirmen am
ragenden Geſtein; wo die Hainbuchen den bunten
Blätterteppich über den Raſen am Waldſaum
breiten, die Birke zartes Laubgold auf den Berg—
anger ſtreut und der Ahorn als rieſiger Flammen—
buſch an blauer Felswand leuchtet; in dunklen
Buchengängen und herbſtlich gelichteten weiten
Hallen — überall ſuchte er nach ihr und fand
fie nicht.
Jedem Kleide, das von ferne durd den
Forſt Schimmerte, war er nachgelaufen, um
ihlieglid immer wieder feinen Irrtum zu ge:
wahren. Auch hatte er nicht verfäumt, in allen
am Wege liegenden Neftaurationen die weib—
lichen Gäfte zu muſtern; mit demfelben fchlechten
Erfolge. Nach vergeblihem Abhetzen kehrte er
müde zur Mittagätafel feines Hotels zurüd, be:
fand fich jedoch nachmittags ſchon wieder auf den
Beinen.
Jetzt galt es den Schloßberg ſelbſt zu beſteigen,
von deſſen Halden weiße Gewänder in die Ferne
blinkten. Rüſtig, die Mauern der erhabenen
Landgrafenpfalz ſtets im Auge, klomm er hinan.
Vor ihm trieb ein Schwarm von Engländern
durch den Felſenweg empor, indem ſie mit Hän—
den und Stöcken ihre ſchwanenhalſigen Ladies,
ſchlaffe Figuren mit verdroſſenen Mienen, vor
ſich her ſchoben und drückten. Nachdem Herbig
in alle Räume der Reſtauration oben geblickt
hatte, wählte er ſich ſeinen Platz in der Vor—
halle ſo, daß er Kommende und Gehende im
Auge behielt und zugleich des wunderbaren Aus—
blides an den hochragenden Gebäuden der Burg
vorüber auf den Bergwald genoß, der da feine
Mogen bis über den Rennſteig hinaus fchlug,
hinter deſſen geſchwungener Yinie die blauen
Kuppen der Rhön auftauchen.
Obwohl die Jahres- und Tageszeit ihre
ſchönſte Beleuchtung und den jelteniten Farben—
reiz über die Landſchaft ergoß, bemerkte Herbia
doch, daß die meiſten Befucher fofort zu den
bunten Fenitern im Hintergrunde eilten, um die
Gegend in Blutrot, Violett, Blau und Schwein:
furter Grün zu bewundern. Viele Damen fehr:
Eleonore.
ten ein, zumeift aus der Stadt felbit, in ganzen
Zügen. Sie, die er fuchte und erwartete, befand
fich nicht darunter. Nun erwog er doch ernitlich
bei ſich, ob er eö hier — aud) in diefer ſchönen
Umgebung — ohne pajienden Umgang lange
auszuhalten vermöchte!
Am nädhiten Tiſche ſaßen einige junge Leute
mit bunten Müten und lebhafter Unterhaltung
beim Bier. Einer erzählte den anderen von zwei
frommen und fleißigen Mitfhülern, die erft jest
auf Geheiß des Direktors deutſche Dichter zu
fejen begannen.
„Um nun ihren poetijchen Sinn zu befun-
den,“ lautete der Bericht weiter, „ſetzen ſich
die Kamele vorgeftern der Töchterpenfion im
Johannisthal gegenüber auf eine Steinplatte
und fingen, bis der Borfteher mit einem Knüppel
erjheint, ſchwärmeriſch hinüber: Wenn — id —
ein — Wöööglein wär!”
„Das iſt noch gar nichts, * meinte ein anderer,
„gegen die Unterhaltung, die Löwele bei dem
Balle geitern mit feiner Tänzerin geführt hat.
Fräulein,“ jagt er, ‚Sie trinfen gewiß gern Bier!‘
Blutrot fragt das arme Mädchen, warum er das
von ihr glaube. Er darauf: ‚Na, wie viel Glas
trinfen Sie denn des Tags?‘ Halbweinend Hagt
fie, wie er jo fragen könne. ‚Ei,‘ fagt er, ‚Sie
fehen ganz fo aus, als tränfen Sie gern und viel
Bier!‘ Nun aber reift fie aus und kommt
weinend zu ihrer Mutter, während Löweke ſteif
und feſt der Meinung bleibt, er habe ihr nur
Liebenswürdiges gefagt.”
Herbig hörte nichts mehr von der laut ge:
führten Unterhaltung, fondern verlor ſich auf
eine Meile wieder in den Anblid des Bergforjtes
und der benjelben überragenden Burg. Vom
Schauen müde, griff er nad einem Berliner
Zeitungsblatt, das vielleiht von einem Gaſte
zurüd gelaſſen auf dem Tiſche lag. Er begann
zu lejen, flüchtig, teilnahmelos bald da, bald
dort, überflog die Lokalnachrichten und war im
Begriff das Blatt wieder wegzulegen, als ihm
eine bis dahin überjehene furze Notiz in die
Augen fiel. Schon nad) der erften Zeile blieb
fein Blid feſt an der Stelle hängen. Sie lau:
tete troden und furz:
„Gejtern nachmittag wurde die Leiche eines
unbefannten, anjcheinend den bejjeren Ständen
angehörigen jungen Frauenzimmers aus dem
Engelbeden gezogen und ins Obduktionshaus
gebracht. *
Herbig ließ das Blatt finfen und ftarrte |
283
betroffen ins weite. Lebhaft drängte ſich ihm
die Erinnerung an das Mädchen aus der Fremde
in der Hauptitadt auf. Erſt jetzt jah er nad)
dem Datum. Die Zeitung war jchon einige
Tage alt; der traurige Vorfall mochte an dem:
jelben Nachmittag jtattgefunden haben, an dent
er ſelbſt abgereift war. Alfo Steubers verlaflene
Braut! Und dennoh, — was jollte fie zu jo
fürchterlihem Entjchluffe getrieben haben! Zwar
hatte fich die junge Dame in Haltung und Auf:
treten ernft, beftimmt, entſchloſſen gezeigt, jedoch
feineswegs den Eindrud eines verzweifelten Ge:
müts hinterlafien.
Die jungen Leute neben ihm fuhren in ihrer
Iuftigen Unterhaltung fort, welche fich jetzt zu:
meist um einen Dr. Binfe drehte, wie es fchien,
ein Mitalied des Yehrerperjonals, der aud) unter
der Bezeichnung „der Floh” vorfam und eben:
falls auf dem Ball gewejen war. Wäre dabei
nicht ein Frauenname genannt worden, ber
Herbigs Aufmerljamfeit erregte, fo würde er
jicherlich das ganze Geplauder überhört haben.
Nun aber gewann e3 für ihn ein ungewöhnliches
Intereſſe.
„Die Mazurka tanzte der Floh mit Fräulein
Nordhaſe,“ fuhr nämlich einer der jungen Leute
in ſeiner Mitteilung fort. — „In der Pauſe —
ich ſtand gerade hinter ihnen, fragte er, warum
denn ihre Schweſter Jenny nicht mitgekommen
ſei; er habe fie beim Vorüberkommen im Garten
ihres neuen Haufes ftehen fehen, aber faum er:
kannt; Fräulein Jenny habe ganz anders aus:
geſehen; mit veränderter Haarfrifur, ſcheine fie
auch ihren Sinn gewechjelt zu haben, denn fie
habe ſich bei feinem Gruß eiligft zurüdgezogen.
Warum fie denn nicht da jei? — ‚Vermiſſen
Sie denn Jenny fo jehr, Herr Doftor?‘, fragte
Fräulein Nordhafe. — ‚Ei ja,‘ fagte der Floh
das Bein hebend, ‚auch hretwegen.‘ — ‚Meinet:
wegen? Wie jo? — ‚Ei freilich!‘ fagte der
Floh, das andere Bein hebend; ‚in Leipzig fagt
man: nebeneinander jehen Schweitern nie übel
aus.‘ —
„Und was fagte denn Fräulein Norbhafe
darauf?“ wurde von einem der jungen Zeute am
Tifche gefragt, während Herbig bemüht war,
ih, ohne aufzufallen, Fein Wort entgehen zu
laſſen.
„Sie lachte,” war die Antwort. „Sie lachte
und meinte: Herr Doftor Bine verleugne doc)
niemals den bewährten Takt, was er aud) als
bare Münze einftedte. ‚ch ſchmeichle mir!‘ ver:
284 Auguft Beder,
jegte er mit feinem jelbitgefälligen Lächeln, in: | erit beim Eindringen ins Gehölz fand Herbig
dem er wieder ein Bein hob und fich hierauf in | wieder brennende Tinten hinter dunklen Buchen:
Poefie verlor. Denn, ihr wißt ja, der Floh | hängen an Heden und Bäumen, die gleich blühen:
dichtet. * ı dem Ginfter leucdhteten. Kein Parf war an:
Geräuſchvoll erhoben fich hierauf, nachdem | mutiger, als dies Berggehölz unmittelbar über
fie nod) ausgetrunfen hatten, die jungen Zeute | der Stadt. Bei einem Pavillon ſah er über
und zogen lachend weiter. Daß es die Namen | einen Teil derjelben in ein ſchön geſchloſſenes
Jenny‘ und ‚Norbhafe waren, die Herbigs | Thal mit fernem, halb vom Abendnebel ver:
Aufmerkſamkeit erregt hatten, begreift fich leicht. | hüllten Dorfe. Kartoffelfeuer rauchten auf dem
Ja — Jenny Nordhafe — das ftimmte. So | vorliegenden Hochfelde und drüben überall; hier
lautete die Unterfchrift des Billets, und er im Eſchenhain dedten große gefiederte Blätter
wunderte fih, daß er diefe Entzifferung nicht | — noch grün — den Pfad. Hundegefläff,
ſchon felbit gefunden, nachdem die Buchitaben | Kinderlärm unten in der Stadt, unmittelbar
unter dem troden gewordenen Klecks wieder | über ihr MWaldesdunfel, Bergeinfamteit.
etwa3 hervorgetreten waren. Alfo dennod Raſch wäre er in der Gafje unten gejtanden;
Schweſtern, und eine geftern nach dem Spazier: | das ſchöne Gehölz, eine Miſchung aller deutſchen
gang über die Berge noch auf dem Ball gewejen, | Baumarten, zog ihn jedoch wieder zurüd. Die
Jenny daheim geblieben! Was half ihm nun, | fein gezogenen Linien und Konturen, die reizen:
den Familiennamen zu willen! Immerhin fo | den Durcblide, der wehmütig fehnfuchtsvolle
viel, um fonftatieren zu fönnen, daß er in einer | Eindrud des ſchon merflichen weichen Dämmer:
Täufhung befangen gewejen war. lichtes verfehlten ihre Wirkung nicht. Dann die
Selbit dieſe Gewißheit erfchten ala Gewinn, | herbftlichen Zufttöne, der Laubabfall! — ‘Ya,
wenn auch als ein fehmerzlicher. Er wollte wieder | nochmals wollte er diefe Pfade wandeln. Die
zu der Zeitung greifen, um die Nachricht von | ganze Naturftimmung hier entfpradh zu fehr der
dem ertrunfenen Mädchen nochmals zu lefen. | eigenen Gemütsverfaflung.
Ein anderer hatte das Blatt weggenommen und Als er dann auf anderem Stege über das
las darin. Nun jah Herbig nad) der Uhr und | Hochfeld zur Stadt hinunter trebte, lauerte ſchon
brach auf, um nad) der Stadt zurüdzufehren | der graue Nachtnebel in den Heden, die den
und fofort an Dräfow eine Anfrage wegen des | Hohlweg jäumten. Auf deſſen hohem Rande folgte
Falls zu rihten. Er bedachte nicht, daß er dies | er einer Pfadfpur vor eine Gitterthür in dichten
auch von der Burg jelbit aus, wo fih ein Roft: | Zaun. Nur angelehnt, wich fie feinem Drud,
ſchalter befand, thun konnte, und begab ſich alfo | — und er trat hinein.
den Berg hinunter. Allein, jener Borfat kam Menn ihn nun auch das Gartenhäuschen auf
nie zur Ausführung und geriet in Vergeffenheit, | der Höhe zur Umfehr mahnen fonnte, um nicht
da Eindrüde und Erlebnifje dazwischen traten, | weiter auf Privateigentum vorzudringen, —
welche den Gedanken Herbigs einenanderen Gang | drüben im Gehölz war er übrigens auf ein ähn-
und den Angelegenheiten eine neue Wendung | liches geftopen, — jo war dod der zur Stadt
gaben. abfallende Nafenhang mit einem lichten Beſtand
Indes hatte ſich der Abend eingeftellt und | von Waldbäumen — Birken, Fichten, Aſpen —
das Wetter etwas geändert. Die Sonne war | befett, gleichfam nur eine Fortſetzung des Berg—
zwar noch nicht untergegangen, als Herbig die | forjtes, während allerdings weiter unten nad)
Hochterraſſe erreichte, ſtand jedoch hinter einer | der Stadtmauer hin Obitpflanzungen an die
ruhigen, nur hin und wieder gebrochenen Wolfen | Stelle traten. Er fand ſich alfo nicht bewogen,
ihicht, die den Himmel leicht, doc für den | umzufehren.
Sonnenblid undurhdringlic überzogen hatte. Da indes der eingefchlagene Pfad umführte,
Die Luft war ruhig, mild, weich. Ein bläulicher | folgte er ihm nicht weiter, ſondern jchritt kurz
Duft Tag über den Bergen und den Feldhöhen entſchloſſen in gerader Richtung über den Raſen
draußen, alle farben und Linien mildernd, in | hinunter auf ein Yaubgehen los, wo er einen
welchen das Gebirge hier malerifch zur Stadt ab: | Nuhefit vermutete, von welchem er in ftillem
fällt. Ueber den herauffteigenden Häufergruppen | Behagen noch des Ausblids in den Abendfrieden
lag ſchon ber Abendrauc, über dem Wald: genießen Fonnte.
folorit ein gleihmäßiger blaffer Farbenton, und | Er hatte ſich nicht geirrt. Hinter dem Ge—
Eleonore.
heg unter einer bereits gelichteten Linde jtand
eine Banf. Allein man war ihm zuvorgefommen.
Eine Dame ſaß da, wie es fchien, gedanfenvoll,
in tiefer Betrachtung. Sie hatte die nahenden
Schritte, welche allerdings von dem weichen
Raſen gebämpft, von dem heraufflingenden Lärm
der nahen Gafjen gevedt wurden, nicht wahr:
genommen und jah, den Kopf auf die Hand ge
jtügt, über den Rauchichleier der Stadt hinweg
nad den jenfeitigen Feldhöhen, von welchen hin
und wieder die Kartoffelfeuer bereits durch die
tiefere Dämmerung fchimmerten. Das Herz
begann ihm zu pochen. Sietrug das helle Herbft-
fleid, wie es die größere der beiden Spazier:
gängerinnen geftern oben auf der Höhe des Ge:
birgs getragen, und eine ftarf duftende Roſe am
Bujen.
Soviel hatte er bereitö bemerft, und aud)
die Figur entſprach feiner Vorftellung. Das un:
bededte, dunfelblonde üppige Haar in einen
Knoten geihlungen, der tief im Naden ſaß, wie
er ed an rauen liebte, weil es ihnen — wenig:
ftens in feinen Augen — etwas befonders An:
ziehendes verleiht.
Aber noch hatte er ihr Geficht nicht gefehen.
Unwillfürlih, mit angehaltenem Atem, fchritt
er behutfam etwas vor. Nicht zu frühe follte
ihre Aufmerkfamfeit erregt werden. Und jetzt
änderte fie ihre Haltung, indem fie die Hand
von der Stirne herabfinfen ließ und die Arme
unter ber ſchönen Büſte freuzte. Mit gefenkter,
von den üppigen Haarwellen befchatteter Stirne
faß fie da, fummervollen und verjtedten Blicks,
gleihjam unter den dichten Brauen hervor:
ſchauend wie ein junges, ſchüchtern ftolzes Mäd—
chen. Der Ausbrud ihrer Züge war voll ſchwer—
mütigen Ernſtes.
Herbig hatte an fein Herz gegriffen, das faft
hörbar an die Bruftwände podhte. Ya, das war
das edle Profil der hohen Frau vom Ditfeeftrand,
das ſchöne Dval ihres dunfelbleichen Antliges,
die weiche Wange mit dem kleinen liebreigenden
famtbraunen Muttermal überm Mundwinkel.
Allein, was nun? Unter feinen Umftänden
war es zu entjchuldigen, noch länger ein Meib
zu belaufchen, das fich einfam glaubte. Und doch
fonnte er nicht freiwillig ſich eines Anblids ent:
ſchlagen, nad welchem er ſich all diefe Tage her
glühend gefehnt hatte. Wie nun follte er feine
Anmejenheit zu erkennen geben?
Mährend er noch unentſchloſſen ftand, rafchelte
fein Fuß, den er leife zurüdzog, im welfen Laube.
|
285
Da fah fie langſam auf und richtete voll das
Antlit her.
Der Anblid Herbigs fchien fie erft zu be:
fremden, dann zu verblüffen. Zwar trat feine
Nöte in ihre Wangen, aber wie eine dunfle
Wolke ftieg es hinter ihrem Antlitz auf und
lagerte fich gewitterhaft in tiefen Schatten um
ihre Augen. Herbig vermochte fich die Bewegung
ihres Gemüts und den Ausdrud ihrer Züge
nicht zu deuten. Aber ihm wollte doch ſcheinen,
als ob fich durch Ueberrafchung, Berwunderung,
Schred und Nerger eine heimlihe Genugthuung
durchfämpfe.
Sie hatte fich indes von der Bank erhoben,
ala wolle fie den Platz, wo ihre Einfamfeit nicht
mehr aufrecht zu erhalten war, unverzüglich ver:
laſſen. Auch Herbig trat näher und ihr in den
Weg, wobei ihm wieder ein eigentümlich gewürz-
hafter Rofenduft entgegen mehte.
„Berzeihung, meine Gnädige,“ fprad er
fich verbeugend, „ihmwäre untröftlich, wenn meine
Gegenwart fo läftig fiele, Sie zum Aufgeben
Ihres Nuhefiges zu veranlaffen. Ich wollte
feineswegs jtören. “
Einige Augenblide verftrihen, bis fie ant:
wortete.
„Wenn Sie jemand von der Familie be-
fuchen wollen, mein Herr,“ ſprach fie dann mit
dem ihm bereitö befannten Wohlflang ihrer etwas
tief liegenden Stimme, — „die Herrihaften
befinden fich unten im Haufe.“ Und mit einer
leichten und anmutvollen Handbewegung wies
fie feitwärts den Gang hinunter, wohin der
| Pfad lief und das Schieferdach eines Sommer:
haufes mit Balkon und Beranda zwiſchen dem
Laubwerk fihtbar ward.
„Das liegt völlig außer meiner Abficht,* er:
wiberte Herbig. „Perfönlich bin ich hier gänz—
lich unbefannt, obwohl — —“ Er hielt inne,
als fühle er noch nicht an der Zeit, was er aus:
fprechen wollte, griff aber dabei nad) der Seiten:
tafche und enthob derjelben eine Feine ſchwarze
Mappe, die unverkennbar Bifitenfarten enthielt.
Als jedoch die Dame in nicht mißverftändlicher
Weiſe, wenn auch höflicher Form abwintte,
ftedte er einigermaßen verlegen das Täſchchen
wieder ein und fuhr mit fortdauerndem Erröten
fort: „daß ich Ihre Einfamkeit unterbrach), meine
Gnädige, geſchah wider meinen Willen und hat
jeinen Grumd in der Unbefanntichaft mit den
Einzelpfaden. Wenn ich aud) die Gegend von
früherem Beſuch etwas Fenne, ſelbſt anderen im
286
allgemeinen Auskunft zu geben imjtande bin”
— er glaubte dies bejonders hervorheben zu
müfjen, um ihrem Gedächtnis zu Hilfe zu kom—
men, — „jo fann ich doch im Einzelfall die
Nichtung verfehlen. Kurz, mein Eindringen hier
fommt daher, daf ich mich verirrt habe. Das iſt
mein ganzes Vergehen.“
„Nur ein Berjehen, * verſetzte fie, und Herbig
glaubte zu bemerken, daß ein leichtes Lächeln ihre
Mundwinkel hob, „ein Verjehen, das ſichunſchwer
wieder gut machen läßt, fein Vergehen, mein
Herr, wenn nicht im allerwörtlichiten Sinne.”
„Ih danke Ihnen, meine Gnädige, für dieſe
freundliche Anſchauung der Lage,“ fing Herbig
wieder an, der die leife Mahnung, welche in ihren
Worten gelegen fein fonnte, wieder dahin zu
gehen, woher er gefommen, nun einmal über:
hören wollte. „Sch bin fremd hier, das Ber: |
jehen fonnte ftattfinden, wenn mir auch die
gangbarjten Pfade im Waldgebirge felbit nicht
unbefannt find, 3. B. jener von der Weinftraße
und dem Dradenitein herunter in die Landgrafen:
ſchlucht, — den Sie doch gefunden haben, wenn
ich fragen darf?”
„Er war nad) Ihrer Beichreibung nicht wohl
zu fehlen, mein Herr.”
„Und — geftatten Sie die Frage — Sie
fanden ihn ſchön?“
„Wie alle diefe Maldpfade hier.“
„ch ja, ich entfinne mich,” fuhr Herbig fort
mit dem Bemühen, das Gefpräh in Schwung
zu bringen. „Ein wunderbarer Gang, diejes
ſtete Herunterjteigen in den Schönen Waldkeſſel
mit den fchroffen, bläulich angehauchten Fels:
wänden, dann die Windungen der von Buchen
herrlihüberwölbten Schlucht entlang, demrinnen-
den Waffer nach ins Marienthal — ſehr ſchön!“
„Alle diefe Waldpartieen haben ihren Reiz, *
erwiderte fie ruhig, faſt fühl, indem fie mit
ihrem geſchloſſenen blaufeidenen Sonnenſchirm
gleihfam in verhaltener Ungeduld die Tinte
Handflädhe flopfte. „Wenn Sie indes von Ihrer
erfahrt wieder auf den rechten Weg zur Stadt
gelangen wollen, jo müſſen Sie, wie ich zu wiſſen
alaube, oben durch die Gartenthüre zurüd und
|
den Hohlweg entlang gehen, der hier um den
| Stadt unterrichtet find, bitte ih, mir den mei—
Zaun hinunter führt.“
Dies fagte fie, jelbit im Begriff, dem Pfad |
innerhalb des Gartens nad) dem Haufe hinunter
Auguſt Becker.
„Und der Pfad, den Sie ſelbſt, meine Gnä-
dige, einjchlagen, ift wohl nur ein Privatweg?“
Ein Ya! folgte als Antwort.
Etwas ärgerlich und gereizt, daß fte ihn fo
furz hielt, war er entſchloſſen, fie feinesiwegs fo
leihten Kaufs wieder loszulaffen und die lang
erjehnte Gelegenheit möglichſt auszunügen. Ent:
jann fie fich feiner wirklih nur von der legten
Begegnung auf der Weinftraße her, oder wollte
fie fich gefliffentlich jener früheren nicht mehr
erinnern? So zurüdhaltend ihr Benehmen, jo
fühl ihre Haltung, lag dennoch etwas in ihrem
Weſen, — er wenigitens glaubte diefe Beobadı-
tung gemacht zu haben, — was ihn zuverficht-
lich eine befjere Verftändigung ſchließlich nod)
hoffen ließ.
„Welche Gegenſätze!“ begann er mit der
Hand hinauszeigend, als es draußen fchon mehr
und mehr düfterte. „Wie ganz anders wirken
diefe ſchön abfallenden Vorhöhen des mittel:
deutjchen Waldgebirges, als 3. B. die Küſte,
wenn Sie die Erinnerung nicht ſcheuen, meine
Gnädige, der Ditjeeitrand auf Wollin, Die Dünen
jenjeits Misdroy . . .“
„a, es findet einige Verſchiedenheit ftatt,*
lautete die Ermiderung.
„Hier,“ fuhr Herbig fort, „die wunderbare
Zuſammenwirkung von Forft und Fels... .“
„Und am Meere das Waſſer,“ fiel fie ein;
doc) jagte fie es in ernitem Ton.
„Sie haben jehr richtig bemerkt, meine Gnä—
dige,“ meinte Herbig mit geheuchelter Naivetät,
während er bei fih dachte: So entfommt fie mir
nicht! dann laut fortfahrend: „Aufein fo wunder:
bares Zufammentreffen hier im Thüringer Wald
war ich in der That nicht vorbereitet. Dies iſt
ja wohl derjelbe Schirm . . .“
„Ein blauer Sonnenſchirm.“
„Den ich unter der Düne vor der Meerflut
gerettet,“ fuhr Herbig fort, ohne die Unter:
bredung gelten zu lafjen. „Ich freue mich wahr:=
haftig, ihn jo unerwartet und wohlbehalten hier
im Binnenland mwiederzufinden.”
„Richt unmöglich,“ erwiderte fie, „daß der
Schirm fich ebenfalls freut. Indes, mein
Herr, nachdem Sie nun über den Weg nad) der
nigen frei zu geben,“
Einem fo beitimmt ausgefprochenen Wunfche
zu folgen. Allein Herbig fand es geraten, für | gegenüber, war nichts weiter zu thun. Herbig
jetzt noch von ihrem Vorhaben nichts zu merken. | wich raſch zur Seite und lief fie vorüber. Der
ı feine, nelfenduftige Nofengeruch, der ſich dabei
Ohne von der Stelle zu weichen, fragte er:
Eleonore.
wieder geltend machte, fiel nicht weiter auf, da |
Herbig bemerkte, daß noch mehrere Remontant:
jtöde im Garten Blüten trugen und die ſchöne
rau eine folhe am Bufen fteden hatte, wie
ihm denn aud) befannt war, daß es Varietäten
gab, denen diefe Beimifchung von Nelfengerud)
eigen war.
Und nun ſah er ihr mit etwas verlegten
Stolze, aber trunfenen Augen nad), wie fie in
anmutovoller Hoheit den abſchüſſigen Pfad und
dann die eingerammten Stufen zurüdlegte, bis
ihre ſtolze Erjcheinung unten am Haufe Hinter
dem Gebüſch verihwand, nachdem fie ſich nicht
einmal mehr umgejchaut hatte. Allerdings fühlte
er fich verlegt durch ihren fühlen Ernit, durch
ihre ablehnende Haltung. Es war wieder ein:
mal die alte Erfahrung, daß ein erträumtes
Glüd, fobald es eintritt, jelten die erwartete
hohe Befriedigung gewährt.
Allein, den Mut gab er feineswegs auf.
Das Wichtigſte war nun doch erreicht: die Ge:
wißheit, an demjelben Orte mit ihr zu weilen, die
er vom eriten Anblid an ſchon geliebt, wie vor
ihr feine. Und das follte fein vergeblicher Zu:
fall jein für jein Lebensalüd.
Er wußte allerdings nichts Weiteres von |
ihr, nicht einmal, wer fie war. Doch war das
Nebenjahe und nunmehr leicht zu erfragen.
Nachdem das meiste gewonnen, indem er wußte,
wo ſie weilte, fümmerte ihn weiteres vorerft nicht
mehr. Das andere wird fommen, meine Gnädige!
meinte er halblaut und zuverfichtlich, als er ſich
endlid) der oberen Gartenthüre wieder zuwandte,
um durch den Hohlweg und die Umzäunung ent:
lang nad) der Stadt zu gelangen.
Er eilte nicht zu jehr. Mehrmals wandelte
er nod den Pfad hin und her an der Aufenfeite
des Zauns, über melden man zur Terrafie des
Hauſes empor jah. Cs war jeßt Dunkler gewor:
den, die Lichter brannten jchon und verjchiedene
Fenſter des Haufes waren erleuchtet, als er zu
bemerfenglaubte, daß ein etwas unruhiger Schritt
ſich näherte und plötzlich ſtille hielt. So viel er
zu fehen vermochte, war es ein junger Mann
unter mittlerer Größe; eine Brille alänzte auf
der diden Nafe, — mehr war nicht zu unter:
ſcheiden, einiges jedoch zu hören.
„Ei ja!” ſeufzte der Menſch überlaut und
hob dabei das Bein. „Holde Jenny!“ Und
dann folgte wieder das feufzende „Ei ja!”
Der Name war deutlich ausgchaudt worden
und gab den Gedanken Herbigs eine neue Nic):
287
tung, während der Seufzende, da er bemerkte,
daß er nicht allein hinterm Zaune jtand, mehr:
mals mit mißtrauifchen Bliden an Herbig vor:
über ging.
„Bitte, mein Herr,“ fragte endlich diefer,
„wohnt hier Herr Nordhaſe?“
Der andere, über die plögliche Anfrage etiwas
beftürzt, zögerte eine Weile mit der Antwort,
indem er den Fremden ſchweigend muſterte.
„Natürlich,“ verjegte er dann, „wohnt er
hier, indefjen nur noch morgen oder übermorgen.
Wollen Sie etivas von ihm?“
„O, nicht das mindejte!” beteuerte Herbig
und begab ſich in die Stadt hinunter, indem er
ſich Betrachtungen über das Erlebte hingab.
Für eine verheiratete junge Frau hatte er
fie gehalten. Aelter als fünf oder jechsund:
zwanzig Jahre konnte fie denn aud) keineswegs
jein. Wenn noch ledig, um jo viel beſſer. Das
war eine unerwartete Gunſt des Schidjals. Und
jomit ein Fräulein Nordhafe, vielleicht Jenny
jelbft. Dem widerſprach nur, daf; fie nicht zopf—
(08 gewejen, fondern im Gegenteil einen ſchönen
itattlihen Haarknoten am Hinterhaupt trug.
Vielleicht verhielt es fic) aud) anders. Das
bewußte Billet fonnte aus früherer Zeit jtammen,
der Zopf unterdes nachgewachſen oder wieder ge:
funden und — die geliebte ſchöne Frau dennod)
eine andere fein. Gleichviel! Das lette Wort
war noch nicht mit ihr geiprochen.
3.
Wenn Herbig ſich die Züge der geliebten
rau an jenem Abend recht lebhaft in die Vor:
jtellung zurüdrief, mutete es ihn an, als fei
ihm dies Geficht Schon von einer viel früheren
Begegnung her vertraut. Er mußte fie jchon
als Kind gefannt haben, als wilde Hummel den
Gejpielinnen voran, Gärten und Gaſſen durd)-
tobend und den Knaben fiegreich die Spitze bie:
tend; dann umgewandelt, fittig, till, ſchüchtern,
icheu beifeite ftehend, die jchon in frühen Jahren
erhabene Gejtalt über einen Zaun oder eine
Barre gebeugt, hinter welcher froh gejpielt oder
getanzt wurde. So wie er fie heute getroffen,
mit gejenkter Stirne, unter den Brauen hervor:
blidend, mußte er fie Schon vor Jahren beobad):
tet haben, oder doch eine ihr ſehr ähnliche mädchen:
hafte Erjcheinung. Allein, wie und wo? Das
wollte ihm nicht einfallen. Die Erinnerung
verſagte.
Kolländifdes Mädden. Bon F. Bergen.
| 4 N
| | wur
RG Ik a
— —
Der Herr Burgemeiſtet. Yon F. Bergen.
290 R
Und nun war wieder fo ein jehnjuchtsvoller
Herbittag aufgegangen wie geitern, und wieder
beftieg er die Berge. Diefelbe Luft, dasfelbe
milde Wetter. Man fpürte, daß es allmählich
zu Ende ging, daß bald Nebel famen, Falter
Regen, falte Nächte und dann der Winter. Denn
das Laub der wilden Neben an Mauer und
Geländer iſt längſt ſchon dunfelrot, die Malve |
in den Gärten verblüht. Und doch noch fo viel
Schönheit in der Natur. Birfen und Lärden
färben fic wie im Frühling. Der Wald prangt
an vielen Stellen noch in jattem Grün, an an:
deren jedoch, wie Herbig meinte, als ob ein ganzes
Heer langhaariger Koloriſten über Nacht in den
Baumfronen geſeſſen wäre, um alles Laubwerk
in üppiger Künftlerlaune anzupinfeln.
Dort ftand alles in leuchtenden Tinten. Es
ſah aus, als brenne die Sonne die Blätter rot
und gelb; und doch jchien fie nicht, und das war
gut. — Die Beleuchtung wäre eine zu grelle
gemwejen.
Schon früh am Nachmittag fam Herbig aus
dem Bergforfte auf denjelben Stegen, mie
geftern, über das Hochfeld vor die bewußte Thür
im Gartenzaun. Er betrachtete fie und ihre Um-
gebung mit Aufmerkjamfeit, warf aud einen
Blid hinein, wo die Birken ihr Goldlaub auf
den Rafen ftreuten. Es war alles noch wie
geftern, feine bejonderen Aenderungen hatten
ftattgefunden. Nur war die Thür heute nicht
angelehnt, fondern lag im Schloß. Hob man fie
jedoch etwas, jo ging fie dennoch auf.
Und er hob jie, zögerte jedoch) einzutreten.
Weilte die fchöne Frau wieder in jenem Laub—
gehen, wie follte er fein nochmaliges Eindringen
erklären, begründen, entſchuldigen! Etwas Hein:
mütig zog er die Thür wieder zu und betrad):
tete jept von augen nachdenklich die Umzäunung.
Diefe lief nad) der einen Seite auf dem Hoch: |
vand des Hohlweges hin, nad) der andern über
einen kahlen ſchroffen Abhang hinunter in die
Mulde, durch welche die Stadt mit einzelnen
Häufergruppen in den Wald heraufitieg. Be:
tradhtfam jchritt er die Außenfeite des Zaunes
entlang.
Herbſt gelichtet und gefärbt, beſonders warm
die Ahornheden, deren großen gefledten Blät-
ter in weithin leuchtendem Pommeranzengelb
prangten,
Wie Fam er nun hinein? Die Thür zwar
bot fein Hindernis, und der Zaun wies Yüden
genug auf, Durch welche man den Kopf jteden,
Auch deſſen Yaubmwerk hatte der |
Auguſt Beder,
im Notfall wohl aud den Körper zwängen
fonnte. Und hinein mußte er, fam er auch, —
aber unter welchem Vorwand?! Gedanfenvoll,
im Grunde gedanfenlos, ri er Blätter vom
| Zaun, zerpflüdte fie und fah dabei etwas jelt:
ſames in der Hede baumeln. Zuerſt dachte er
an eine Schlange, die fich Durch die Verzweigung
emporwinde; doch war es feine Schlange. Es
ſah cher aus, wie das Neſt einer Beutelmeife.
Zwar war ihm ein folches Neft in der Wirklich:
feit noch nicht vorgefommen; doch ftellte er ſich
‚ vor, jo müſſe das Neft einer Beutelmeife aus-
fehen. Als er es näher betrachtete, war es je:
dod) zu feiner größten Ueberraihung ein Zopf.
' a, ein fchöner, ftattlicher, Dunfelblonder frauen:
zopf, — eine Täuſchung war nicht möglich.
Beinahe hätte er vor Vergnügen laut auf:
geichrieen, fo groß war feine Freude über die:
ſen wichtigen Fund. Jenny mochte gelegentlich
ihr Köpfchen durch die Zaunlüde hier gejtedt
haben, um zu guden, was draußen vorgehe, —
genug, in der Verzweigung des Heckenwerks
hing deutlich vor feinen Augen der Zopf. Da:
mit hatte die Not ein Ende. Der Anlaß eines
Eintrittö war gefunden. Zwar hätte er fi auch
als Finder und Zurüdbringer des Billets, das
die Zopfangelegenheit beſprach, vorjtellen kön—
nen; doch war fraglich, ob er bloß als Cinge:
weihter des Geheimniſſes willfommen geheißen
würde. Aber der Zopf ſelbſt! Das war der
‘ Talisman, der mit der Wirkung einer Spring:
wurzel Herzen und Thüren öffnete.
Nun ging er aud) jofort daran, ich in deijen
Befit zu ſetzen, löfte ihn vorfichtig aus der Ver:
ſtrickung, ftreichelte mit der Hand das weiche
Geflecht, das ſchon mehrere Nächte die Unbilden
‚ eines Obdachs im Freien erduldet hatte und
barg es dann an feiner Bruft. So ausgerüjftet
ſchritt er entſchloſſen auf die Gartenthüre los,
öffnete fie, trat hinein und — über den Rajen
eilend — zuverfichtlich zu der Linde, wo hinter
dem Laubgeheg der Ruheſitz fih befand. Und
‚ in der That, da ſaß fie wieder, die er fudhte, im
| vollen Reize weiblicher Wohlgeitalt.
Sie hatte ein Bud) in der Hand, über wel:
ches fie nun erftaunt aufblidte, indem fie den
Herrn von geitern wieder erfannte.
„Verzeihen Zie, meine Gnädige,“ begann
er, ſich verbeugend.
„Aber, mein Herr,“ unterbrad) fie ihm mit
großen Augen. „Haben Sie fi ſchon wieder
verirrt? In dieſem Falle möchte ich doch wün:
Eleonore.
ſchen, daß Ihre Verirrungen eine andere Nic):
tung einſchlügen.“
„Nein, feineswegs ift es eine Vertrrung, “
erwiderte Herbig mit voller Faffung. „Ich
fomme nur, wie Chidher, wieder desjelbigen
Wegs gefahren.“
„Dod nicht erſt nad) fünfhundert Jahren,
|
I
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|
|
|
aleich dem ewig Jungen, wie mir däucht,“ warf
fie ein. „Kaum ift ein Tag ſeitdem verflofjen.“
„sch fomme aber auch nicht mit leeren Hän—
den, meine Gnädige,” erwiderte Herbig, der ge:
willt war, ſich durch nichts aus Haltung und
Gleichgewicht bringen zu laſſen. „ch bringe |
etwas, das Sie vielleiht ſehr ſchmerzlich ver:
miſſen.“
„sh? Schmerzlich vermiſſe?“
„sa wohl. Aber geſtatten Sie mir eine
Vorfrage, ob nämlich Ihr Nufname, meine Gnä-
dige, nicht Jenny lautet?”
Wenn die Angejprochene die Wiederbegeg:
nung biäher mit einigem Humor aufgefaßt hatte,
fo legte fich jegt ein tiefer Schatten über ihr |
Gefiht. Mit der Unbefangenheit war es vor:
über, und ziemlich unmutig erwiberte fie:
„Nein, ich heiße nicht Jenny.“
J
Nur täuſchte fie ji über die Hartnädigfeit |
des Mannes, wenn fie etwa erwartete, damit
das Geſpräch abzujchneiden, indem fie fi) wie: |
der über ihr Buch neigte, als ob fie lefe.
„Vielleicht doch!” ſagte er gelaffen. „Ent:
Ihuldigen Sie meine dreifte Vermutung: Sie
wollen ſich augenblidlich nur nicht entfinnen, daß
Sie dennoch Jenny heißen.“
„Nun, das iſt doch gedenkwürdig!“ äußerte
die Schöne mit gerunzelten Brauen, indem ſie
einen ungewiſſen Blick auf den Frager warf.
„In der That mehr als drollig. Warum ſoll
ich nun mit Gewalt Jenny heißen?“
„Aber, wie denn ſonſt, meine Gnädige?“
meinte Herbig unerſchüttert und ließ eine Pauſe
eintreten, als erwarte er Antwort. Da aber
dieſe ſamt dem Aufſchluß ausblieb, fuhr er
ſelbſt wieder in ſeiner Ausführung fort: „Jeden—
falls bedingt die Natur meines Erſcheinens, daß
ich mich erſt vergewiſſere, mit wem ich die Ehre
habe. Das iſt meine Entſchuldigung. Ich fühle
ſelbſt recht wohl das Aufdringliche meiner
Fragen, das Wunderliche meines Benehmens;
allein die Wichtigkeit der Sache läßt jeden Ein—
wand, den die Schicklichkeit erheben könnte,
verſtummen.“
„Nun denn,“ entgegnete die Dame jetzt et:
|
291
was ungeduldig mit dem Fuße auf die Laubdecke
flappend, welche der Herbit vor der Bank unter
der Linde ausgebreitet hatte, — „wenn dem
Zwed Ihres Befuchs wirklich ſolche Bedeutjam:
keit beiwohnt, daß man notwendig Jenny heißen
muß, um über ihn aufgeklärt zu werden, jo bitte
ich, fich gütigft den Steg hier hinunter in die
Wohnung zu verfügen.”
Es iſt die Schweiter! dachte Herbig bei ſich.
Oder fie treibt die Berleugnung nur jo auf die
Spitze aus falſchem Schamgefühl über einen Ber:
luft, dem ſtets etwas Lächerlichkeit anklebt.
„Keineswegs heifcht die Bedeutung der Sache
ein Borübergehen bei ihnen, meine Gnädige!”
begann Herbig wieder, der es bis jet nicht über
ſich vermocht hatte, die Dame mit „Fräulein“ an:
zuſprechen. Troß ihrer Jugend machte fie doch
einen frauenhaften Eindrud, und ihm war, als
habe er ſchon gejtern an ihrer Rechten den golde:
nen Neif bemerkt, welcher die Berheirateten
ihmüdt. indem er wieder nad) dem Ehering
an ihrem Goldfinger, wenn auch vergeblich,
fuchte, da das Buch andauernd ihre Hand ver:
dedte, fuhr er fort: „Jedenfalls find Sie in das
Geheimnis eingeweiht und werden zugeben müj-
jen, daß es fi um etwas handelt und daß ich
etwas bringe, was eine Dame höchſt ungern ver:
liert und jtets fchmerzlich vermißt.“
Und damit holte er den Zopf hervor und
reichte ihn hin, bevor die Dame, welche die Linke
erhoben hatte, um ihn von feinem Vorſatze abzu:
bringen, dies zu verhindern vermocht hatte.
Beim Anblick des Zopfes Härte ſich das Antlit
der Schönen zu einem hellen Lächeln auf; ja,
fie lachte geradezu und zwar jehr lieblich, fo daß
e3 ihren Zügen einen ungemein holdfeligen Aus:
drud verlieh.
„Allerdings,“ jprad) fie dann, „iſt das ein
| wichtiger Fund und feine Webertreibung. Dieſe
Genugthuung muß ih Ihnen widerfahren laj-
jen. Sie haben fi damit um ein liebenswür:
diges Mädchen ein großes Verdienft erworben.
Jenny wird fich freuen, und ich ſelbſt fühle mich
alüdlich an ihrer Statt.”
„Ich, meine Gnädige,“ verfegte Herbig,
„würde mich glüdlicher fühlen, wenn es hr
Zopf wäre.”
„Und ich fühle mich zufrieden, dab er es
nicht ift,* jagte die Dame heiter. „Ich beicheide
mich noch immer, den eigenen Zopf zu tragen,
den man, weil er zufällig angewachſen iſt, nicht
verlieren fann, wenn er einem nicht unverjehens
292
abgefhnitten wird, — eine Eventualität, der
man vorbeugt.“
„Bitte, meine Gnädige,“ erwiderte Herbig,
das ſchöne Meib gleichfam mit den Mugen ver:
ihlingend, „daran zweifle ich nicht im min:
beiten. Und der Nugenfchein überzeugt in be:
rüdender Weiſe,“ fügte er hinzu, indem er die
Blicke auf dem reizenden, vollen Haarknoten
weilen ließ, der tief am Naden figend der gan:
zen Erſcheinung jett etwas hinreißend Ueppiges
oder — um feinem Mifverftändnis Nahrung zu
geben — etwas befonders Anziehendes ver:
lieh. „Nun aber,“ fuhr er mit einer verbind-
lihen Berbeugung fort, „darf ich mid) doch vor:
jtellen, — Privatdozent Dr. Herbig aus Königs:
berg, — nachdem ich Fräulein Jennys ſchöne
Schweſter — —“
Eine Bewegung der merklich in Unruhe
geratenen Dame ließ ihn mitten im Satze inne
halten. Doch raſch ihre Verwirrung bemeiſternd,
benützte ſie die Unterbrechung, um ihm zu er—
klären:
„Bitte, mein Herr, Sie ſind in einem Irr—
tum befangen. Ich bin nicht Jennys Schweſter,
keine Nordhaſe.“
„Vergeben Sie,“ bat jetzt Herbig, jedoch
keineswegs geſonnen, es dabei bewenden zu laſ—
ſen. Er hatte ſich vorgeſetzt, nun einmal zu er—
fahren, wer ſie war, und ließ ſich nicht ſo leicht
von dieſer ſelbſtgeſtellten Aufgabe zurückſchrecken.
Da die Gelegenheit gegeben war, ſollte ihre
Gunſt auch ausgebeutet werden. „Ich habe
zwar bereits einen Beweis erhalten,“ fuhr er
fort, „daß Sie ſich mit dem Namensaustauſch
wenig befreunden können. Da jedoch; mit diefem
liebenöwürdigen Zopf ein freundlicher Verkehr
eingeleitet worden ift und — wenigftens bie
Erinnerung ſich nicht vermeiden läßt, erfcheint
e3 notwendig, zu willen, wen ich in Ihnen ver:
ehre.“
„Sit das denn wirklich jo unumgänglich not:
wendig?”
Und fie ſchlug dabei die Augen groß und
in fo fragender Weife zu ihm auf, daß er fich
nahezu bewogen fand, die feinigen zu fenfen.
Er that es aber dennoch nicht, jondern hielt den
Nid aus und fagte:
„Mir fehlt feineswegs die Befähigung zu
dem Verftändnis, daß unter Umjtänden ein ro:
mantifches Inkognito angenehmer fein kann, als
der profaische Namensaustaufch. Allein — bitte,
meine Gnädige,“ unterbrad) er ſich jelbit in in:
Auguſt Beder.
nigerem, faft flehendem Tone, da fie bei feinen
Worten den jchönen Kopf noch höher aufrichtete,
— „mifverftehen Sie mich nicht! Ich wollte
nur meinen Schmerz über die Laune ausſprechen,
daß Sie mir nicht geftatten wollen, zu wiffen.....“
„Laune muß es nicht fein,“ unterbrach ſie
ihn, da er zögerte. „Wenigitens nicht Laune
von mir.” Und fie betonte das legte Wort. „Es
gibt Hundert VBeranlaffungen, die den Wunſch
rechtfertigen, einen kurzen Aufenthalt hier im
Walde zurüdgezogen, in Ruhe, mit Vermei—
dung aller Befanntihaften, wenn Sie mir das
Wort erlauben wollen, erfprießlich zu verbringen.
Indes, was wünſchen Sie denn fo angelegent:
lich zu wiſſen?“
Etwas verdußt bei diefer rafhen Wendung
äußerte Herbig, ob es denn ein frevelhafter
Wunſch fei, ob er denn niemals ihren eigent-
lihen Namen erfahren dürfe.
„Warum denn nicht!” verſetzte fie jet mit
forglofem Gleihmut. „Mein eigentlicher Name
ift: Nora Wantrup.“
„Nora, * wiederholte Herbig mit einem danf:
baren Blide, „it wohl die Abkürzung von Eleo:
nore. Der Name ift ſchön, ich liebe ihn bereits.
Und nun häufen Sie Güte auf Güte — wie
darf ih Sie anfprechen ?*
„Sie haben die Wahl, Herr Doktor!” jagte
fie mit liebenswürdigem Lächeln, das wohl feiner
umftändlichen Förmlichkeit galt. „Wenn Sie mir
übrigens den Titel einer Geheimrätin belafjen
wollen — und man geht jelten fehl, wenn man
jemand fo anſpricht, — fo bin ich ſchon zufrieden
für den Fall nämlich, als Sie ſich nunmehr ge:
nügen lajlen und alle weiteren Nachfragen in
diefer Richtung einftellen wollen.”
„Deflen mögen Sie verfihert fein, gnädige
Frau!“ antwortete Herbig mit männlichem Frei:
mut, der jeden Rüdhalt ausſchloß.
„But denn, fo wäre dies in Ordnung, “
fprad) fie fröhlich, indem fie, den Zopf in ihrer
Hand wiegend, von der Bank aufitand. „Wir
können mit dem gehobenen Schage nichts bei:
jeres anfangen, als daß wir ıhn unten ankün—
digen lafjen. Komm’ mal her Kind!“ rief fie
einem kleinen Jungen zu, der am Rafenhang
Neifig fammelte und dazwifchen hängen geblie:
bene Zwetjchgen vom Baume holte. „Lauf' mal
hinunter und fage Fräulein Jenny, der ſchmerz—
lich Vermißte habe ſich gefunden... . nicht doc),
halt!” verbefjerte fie fich, in einiger Verwirrung
über fich ſelbſt Lächelnd. „Fräulein Jenny darf
Eleonore,
nichts davon wifjen, hörft du, Kleiner. Wende
dic mit der Nachricht an Fräulein Gretchen,
und ob fie nicht gelegentlich heraufkommen fönne.
Sp, Herr Doktor, haben Sie nun die Güte,
Platz zu nehmen,” wandte fid) die ſchöne Frau
an Herbig, auf die Banf deutend, während der
fleine Junge wie ein Wieſel über den Raſen—
hang hinunter dem Haufe zu eilte. „Die Töchter
des Haufes* fuhr fie fort, „find ſtark in An:
ſpruch genommen, und ich bin ihnen, fürchte ich,
gerade jett etwas zur Laſt, wo der Umzug in
da3 eigene neue Haus vorbereitet und zum Teil
ſchon vorgenommen wird. Die Familie fteht
mit dem einen Fuß Hier, mit dem anderen jchon
im neuen Mohnfis, — ein unbequemer Zuftand.
Drum wird es noch geraume Meile dauern,
bis die jungen Damen erfcheinen können.“
„So fügen wir uns denn mit Ergebung
einftweilen in unfer Alleinfein,” meinte Herbig
heiter.
Und nun faßen fie nebeneinander, rüdwärts
von dem Gebüſch geſchützt, unter der Linde, die
Füße auf dem Laube am Boden, vor ſich zum
Teil noch vollhängende Apfelbäume, die alte
Stadtmauer, in jchönen Konturen abfallende
Baumgruppen, dahinter rauchende Schornfteine;
jenjeits Felohöhen, Haine und Heiden, ein an:
mutiger Thaleinfchnitt, Fable Berge und aus
grünen Waldhängen leuchtende Villen. Die Luft
war mild, und wenn aud die Sonne nicht ſchien,
und ein bläulicher Nebel alles leicht umflorte,
hatte die Landſchaft durd) die warmen Töne des
Herbftes dennoch ein fonniges Ausjehen.
„Und darf ich fragen,“ begann Herbig, nad):
dem der Charakter der Gegend beſprochen war,
„welchem glüdlichen Ungefähr ich es danke, Sie,
gnädige Frau, hier zu finden, während id Sie
noch an der Oſtſee wähnte?“ j
„Der Grund ift jehr einfach,“ erklärte fie.
„Nach den Seebädern war mir vom Arzte ein
ruhiger Gebirgäaufenthalt angeordnet. Cine
Berwandte, die hier den Sommer verbracht hat,
verriet mir die angenehme Gelegenheit hier im
Haufe, die ich um fo lieber ergriff, als mir die
Familie mit den liebenswürdigen Töchtern jchon
von meiner Heimat her befannt war.“
„Das traf fich allerdings qut. Aber Sie
werden doch die gewohnte Gejelligfeit am Babe:
ftrande vermifjen.“
„Keineswegs vermifle ich diejelbe,“ war
Eleonorens Antwort. „Gerade, was id) wollte,
habe ic) hier gefunden: unerfannt und in Ruhe
293
noch wenige Tage dem Naturgenuß leben. Mit
jedem Schritt aus dem Haufe kann ich das, mit
einem Schritt aus dem Garten bin ich auf den
Bergen. Und da der Vater meiner jungen
Freundinnen jetzt zur Jagdzeit felten daheim
bleibt, find wir Frauen zwar auf und angewieſen,
können uns aber auch vollfommen frei bewegen
— foweit es der bevorstehende Umzug geftattet.
Ich jelbit bin indes durch letzteren Umftand nicht
beläjtigt, noch beengt. Zumeift fie ich hier,
Ihaue hinaus und atme Luft, leider nur nod)
auf kurze Dauer.”
„Inwiefern, gnädige Frau?“
„Noch wenige Tage,“ antwortete fie jeuf:
zend, „und ber Naden liegt wieder unterm od)
jocialer Pflichten.”
Hierauf ließ Herbig die Bemerkung fallen,
daß aud) er nur noch wenige Tage zu freier Ber:
fügung habe. Dann fah er eine Weile in ihr
edles Geficht, das mit einem ernjten Ausdruck
hinaus gerichtet war.
„Und nun, gnädige Frau,” fing er endlich
an, „wollen Sie mir auf eine offene Frage eine
aufrichtige Antwort geben?”
Sie ftußte und fah flüchtig zu ihm herüber.
Er hatte doch foeben noch verfprochen, Feine
weiteren Nachforſchungen über ihre perfönlichen
Berhältnifie anzujtellen. Hinter ihrem Antlitz
jtteg wieder die dunfle Wolfe auf, während er
jelbft mit dem ſchwanken Rohr in feiner Hand
in dem welfen Zaube am Boden rafchelte.
„So aufrichtig will ich antworten, als die
Frage verdient,“ ſagte fie dann.
„Das ift eine verfängliche Klaufel, die mich
beflemmt. Indes, geitatten Sie die Frage, ob
Sie fi meiner noch von der Ditjee her erinner:
ten?“
„Das kann ic) ohne Nüdhalt bejahen,” ant:
wortete fie. „Es ift ja kaum eine Woche her.”
„Allein die Begegnung am Strande war
nur ein Moment.”
„Sie ftanden allein. Die fremde Erfchei-
nung am Schluß der Saifon mußte auffallen.
Oder wünfchten Sie, überfehen zu werben, Herr
Doftor? Auch retteten Sie mir hier meinen
treuen Begleiter,” fette fie hinzu, den blauen
Sonnenſchirm leicht ſchwenkend.
„Aber, ein anderer kam mir zuvor. Mich
ließ man im Sande ſitzen, ihn zog man him—
melan. Das ewig Weibliche verleugnete ſeine
ihm vom Dichter zugeſchriebene Aufgabe in Be—
zug auf mich.“
294 R Auguft Beder,
Die Erinnerung lodte wieder ein Lächeln auf | er indeffen fort, „ala Andenken, meinetwegen
ihr Geſicht. Vielmehr, fie lachte innerlich von | als Finderlohn für die Entdedung des Zopfes,
Herzen, da ſich ihr Bufen jet lebhafter hob und | behalten zu dürfen.”
ſenkte. „So wandre es in diskrete Hände zurück,“
„Die Goetheſche Reminiscenz iſt hier nicht bemerkte ſie, indem ſie ihm das Kärtchen wieder
angewandt,“ ſagte ſie. „Nur das männliche überlieferte und zugleich mit ihrem Kleide das
Element in unſerem Kreiſe zog am Tau, In- | andere ihm entfallene Blatt deckte. „Zurückgabe
des fonnte ih vom Dünengrat herunter Sie deut: | an die Verfafjerin oder Empfängerin hält ohne:
lich ſehen. Zudem,“ fegte fie ihre Erklärung fort, | hin fchwer. Die ganze Angelegenheit will mit
da ihre Heiterfeit wieder gelafjenem Wefen wich, Zartgefühl behandelt fein. Bedenken Sie, daß
„erichienen Sie mir beim erften Anblid ſchon | ich erft auf jenem Spaziergange unterm Sienel
befannt, Herr Doktor. Indes, man täufcht ſich | des Geheimnifjes eingeweiht wurde, ohne daß
zuweilen. Sie haben unterdes wohl mehr er: | dies jedoch Jenny ſelbſt wifjen darf. Sie läßt
lebt, um ſich joldyer flüchtigen Begegnungen an | fich jet vor mir nur felten und dann nur ſtets
fremdem Strande jederzeit zu entſinnen?“ | im Hute fehen, wobei ihr der Umstand zu Hilfe
„sh? — D, gnädige Frau! Ich dachte all | fommt, daf; fie bereits einige Nächte im neuen
die Zeit her an nichtö anderes,” ſprach er mit | Haufe ſchlief. Vor Gretchen, verftehen Sie,
fait traurigem Ausdrud, und fein Blid bejtä: | werde ich als Finderin des Zopfes erfcheinen
tigte ihr die Wahrhaftigkeit feiner Worte, trieb | müfjen, und Gretchen felbjt muß vor Jenny
ihr aber auch das dunkle Blut wieder bis unter | dafür gelten, da diefe nur die Schweſter ins
die Augen. Vertrauen gezogen hat.“
Aber fie bezwang fich jofort und machte die „Und ich?“ fragte Herbig jeßt, der jie
trodene Bemerkung, in die jedoch Fein Vorwurf nicht unterbrochen hatte. Er hörte fie fo gerne
gelegt wurde, daß er neulich auf der Weinjtraße | fprechen. Das deutliche, im Bruftton angenehm
nichts davon verfpüren ließ. Lebhaft gab er das fchnarrende NR Hang fo wohlthuend aus dem
zu, da er, von der Sonne geblendet, fie nicht fchöngebildeten vollen Halfe und gab ihrer Rede
jofort zu erkennen vermochte. Als fie darauf ; einen eigenen Weiz, wie er vorzugsweife den
äußerte, daß fie wenig Gewicht aufdiefen Umstand Schönen des Lüneburger Landes zufommen fol.
lege, wogegen ihr wichtig cricheine, wie er beim „Sie, Herr Doktor,” ſprach Eleonore, „müj:
Funde des Zopfes im Zaune jofort zu erraten | fen fich bejcheiden, auf die Xorbeeren des Ent:
vermochte, wem er zugehöre, da griff Herbig | deders in diefem Falle verzichten und ſich ge:
wieder eiligit nach feiner Brufttafche, in welcher | nügen lafjen, einzig mit mir das Geheimnis
er jein Notizbuch verwahrte. | Ihrer Mitwiſſenſchaft zu teilen.“
„Wie können Sie, Herr Doktor,“ fuhr fie | „Und das — ein Geheimnis mit Ihnen
fragend fort, „als Fremder, wie Sie ſich ſelbſt teilen zu dürfen — madıt mich überglüdlich!
bezeichnen, den Namen der jungen Dame wiſſen, | verjegte er.
welche den bedauernswerten Verluſt erlitten | „Gut denn,“ bemerkte fie. „Wenn Sie es
hat?“ wirklich jo hoch anfchlagen, jo möge Ihnen en:
„Das hängt,“ berichtete er, „mit einem nys Billet belafjen bleiben, obwohl Sie jelbit,“
jener Zufälle zufammen, durch welche uns das | fuhr fie mit befonderem Nachdruck fort, „der:
Schickſal zuweilen zu Hilfe fommt, mo wir jelbit | gleichen wohl faum in anderen Händen, etwa in
feinen Nat willen. An dem Tifche oben auf | den meinigen, willen möchten.“
dem Gebirgsfirſt, weldhen Sie mit ihrer Beglei: „sn den Ihrigen?“ rief er. „D, gnädige
terin furz vorher verlaſſen hatten, fand ich dies.“ Frau, mein Schidjal, mein ganzes Leben möchte
fügte er hinzu, indem er die bewußte Karte | ich Ihnen überlafjen, alle Schätze der Erde, wenn
feinem Notizbuch entnahm und ihr hinreichte, | Sie mein gehörten.“
ohne zu bemerken, daß noch ein zufammenge: „Das wäre zu viel,“ erwiderte fie. „Es
legtes Blatt herausfiel. „Bitte, gnädige Frau, | handelt fih um weniger, um einen papiernen
wollen Sie jelbit leſen.“ Schatz.“
Und ſie las mit leiſem Lachen, wobei ſich „Yon mir? In Ihren Händen?“
ihre Augen ſchalkhaft verfleinerten. „sa, Jedoch nicht Taufch gegen Taufch oder
„Und ich wünſche das reizende Billet,* fuhr | Wert gegen Wert. Hier haben Sie das Ihrige
a
m | 2
Eleonore.
ungelejen zurüd.“ Herbig nahm das Blatt ent: |
gegen und entfaltete es, indem er einen flüch⸗
tigen Blid hineimwarf.
„Sie beihämen mich in der That!” fprad) |
er. „Und dennoch, gnädige Frau, wäre mir er: |
wünjchter gemejen, Sie hätten mir weniger
Edelmut und mehr Neugier, damit mehr Teil:
nahme bewieſen. Mein Glück wäre es, von
Ihnen nicht mehr als völlig Fremder angejehen
zu werden, und ber Inhalt des Blattes fann |
al3 Beleg dienen, daß ih — —“
Eleonore ließ ihn nicht ausreden, fondern
jtand auf, um Gretchen entgegen zu gehen,
ihrer Begleiterin auf der Weinſtraße, die jet
in Haft, etwas erhigt, im ſchlichten Hausfleide
den Gartenjteg herauf fam. Nicht ohne Ver:
legenheit gewahrte fie den Fremden, der ihr
flüchtig als Berirrter vorgeftellt wurde, und nad)
einigen gewechjelten freundlichen Morten, gab
jie der Frau Geheimrätin dur Winke zu ver:
jtehen, was fie herauf geführt: Jennys Zopf.
Mit einer an den Doktor gerichteten Ent:
ihuldigung führte Gretchen die ſchöne Frau
bei Seite, um fi den Zopf zuiteden zu laſſen, |
al3 deſſen Finderin nur ſie felbjt vor der |
Schweiter gelten durfte. Als dies unter heim:
lihem Lachen und Flüjtern in Ordnung gebracht
war, ſprach Gretchen gegen den Herrn Doltor,
der ſich in der Rolle des Arg: und Ahnungslojen
gefiel, die Erwartung aus, feine Befanntjchaft
fortjegen zu können, entſchuldigte fich mit not-
wendigen Gejchäften und eilte wieder den Steg
hinunter, wobei fie nicht unterließ, mit gehobe:
nen Armen ihren eigenen Zopf wieder aufzu:
nejteln, als, er durch die heftige Bewegung in
lange Strähne aufgelöft, über den Naden der
ichlanfen Figur ſich entrollte. In ihrer Ver:
legenheit lachend ſah fie dabei zurüd, ob der
fremde Doftor nicht nachichaue. Wenn er den:
noch etwas gemerkt hatte und Verdacht ſchöpfte!
Nun, jo konnte er jet die Beobachtung machen, |
daß wenigitens fie ſelbſt feinen falfchen Zopf trug. |
Allein Herbig hatte nur Augen für das
ihöne Weib, das wieder Pla neben ihm ae:
nommen hatte, nun aber, in Betrachtungen ver:
loren, ihn völlig vergefien zu haben ſchien. Ihre
Haltung verriet, daß fie das Geſpräch nicht an:
zufnüpfen wünſchte. Exit alö Herbig fih un:
mittelbar an fie wandte, um Entſchuldigung bit:
tend, wenn er fie in jchönen Träumen unter:
breche, jagte fie mit einem Lächeln, das ihm wie
ein umflorter Sonnenblid ins Herz fiel:
295
„Vergeben Cie. Man vergißt fo leicht im
Anblid diefer Natur jich jelbit, Gegenwart und
Zukunft. Sie beflagen fi über Mangel an
Neugier,“ fuhr fie dann fort. „Wäre es ihnen
wirklich gleichgültig gewefen, wenn ich den Ver:
jud gemacht hätte, den Anhalt des Papier:
blattes fennen zu lernen?“
„Gleichgültig?” wiederholte Herbig. „Nein!
Erwünſcht, von Herzen erwünſcht, obgleich es
nur Verſe find.”
„Nur? Ich dächte doch,“ hielt fie entge—
gen, „Verſe fönnten unter Umjtänden wertvoll
genug fein.”
„Unferen rauen von heute gelten ſolche
Umftände nichts; die fagen: wir dichten ſelbſt!“
Hierüber fonnte Eleonore herzlich laden.
„Nun,“ ſprach fie, „damit Sie fehen, daß
es noch nicht die Negel ift, befenne ih, daß ich
gern Verſe lefe und feine dichte. Diejer Band
Soethe jei mein Beweis.“ Und fie legte ihre
Hand auf das Bud. „Halten Sie mid nad)
diefem Bekenntnis eines Blides in Ihren Schatz
für würdig? Darf ich die Verje leſen?“
„Sie befhämen mich in der That durch fo
viel Güte,“ war feine Antwort.
Aber mit Herzklopfen reichte er ihr das
Blatt hin. Und jie las:
„An der Dftiee Strand...“
„ch,“ unterbrach fie fih-nac der erften und
bei der zweiten Strophe, „das ift ja ganz ak:
tuelle Lyrik! Ich gebrauche gefliffentlich diefen
modiſchen Kunftausdrud, weil Sie mid) ver:
jtehen werden.“ Und nun las fie weiter, an:
fänglich halblaut, dann nur noch ftumm für fich,
blos mit den Augen.
Herbig beobachtete fie beflommenen Mutes.
Daß etwas in ihr vorging, konnte er wohl
wahrnehmen. Die innere Bewegung lieh fich
nicht verfennen. Der Ausdrud ihrer Züge ward
ernit, faſt trauervoll verflärt. Und plöglich hielt
fie inne und ließ das Blatt mit den Verjen in
ihren Schoß finfen. Er wagte nicht das Schwei—
gen zu unterbrechen. Dann hob fie das Blatt
nochmals, wiederholte für ſich einige Zeilen und
reichte es ihm mit abgewandtem Gefichte wieder
hin. Ihre Hand zitterte merklich hierbei. Als
er endlich fragte, welchen Eindrud das Lied auf
fie gemacht, wie ihr die Verſe gefallen haben,
antwortete fie gefammelt und aelafien, ohne
daß ihre Stimme befondere Erregung verriet:
„Es ift Stimmung und MWohllaut darin.
Wer ift der Verfaſſer?“
296
„Unbefannt.*
„Iſt es eine Abichrift oder das Driginal?“
„Original. *
„Es ijt viel Schwärmerei in dem Gedicht, *
begann fie wieder, nachdem fie eine Weile
vor ſich hingeſchaut hatte, in derjelben ruhigen
Weiſe.
„Das hätte ich Luſt zu beſtreiten,“ hielt er
entgegen, „und Sie würden wohl anders ur—
teilen, wüßten Sie, wen die Verſe beſingen.“
„sch bezweifle.“
„Mit einiger Gerechtigkeit gegen fich felbit,
dürfen Sie das nicht, gnädige Frau.”
Das ſchien fie überhört zu haben bei dem
Verſuch, das Gejpräd aus dem bejonderen Falle
zu allgemeinen Gefichtöpunften hinüber zu leiten.
Ihre Züge hatten wieder den erniten Ausdrud. |
„Die Zeit ift der Poeſie nicht günftig,“ |
äußerte fie, tief aufatmend, „und ich weiß nicht,
ob es zu beflagen.“
„Es ift zu beklagen!“ ſprach er mit Nach:
drud.
„Oft widerftrebt es auch mir,“ fuhr fie un: |
erichüttert Durch dieſen Widerſpruch fort, „dieſes
Spiel in Verſen mit Empfindungen und Ge-
fühlen, denen der Ernſt fehlt.“
„Wie? Ein Spiel? Dies?“
„Ich wollte nicht verlegen, Doftor,“ ver:
fiherte fie. „Allein, das Leben bietet jo tiefe
und ernfte Seiten, fo viele wirkliche Leiden, jo
viel geheimen Gram und verborgenen Kummer,
daß die eingebildeten und erfundenen kalt laſſen,
ja als Hohn erfcheinen.” Und fie wandte bei
den letzten Worten voll Unmuts das Antlit ab.
„Unter die eingebildeten und erfundenen
bitte ich nicht die hier ausgejprochenen zu be:
greifen,“ hielt er entgegen, ebenfalls ernjt ge:
worden. „sch gebe zu, daf; in einer Zeit nadter
Selbſtſucht, im ausgeſprochenen Kampfe ums
Dafein, der Poet wenig Naum mehr findet.
Auch ſoll er fich nicht aufdrängen. Wo fo viel
niebere Leidenſchaften erregt find, wer hört ihn!
Wer fragt nad) ihm, wo es nur darauf ankommt,
im Daſeinskampfe der rüſtigſte Streiter zu fein,
ein Hecht im Teich, der Hat im Ocean. Unfer
Kulturzug ift auf der fchiefen Ebene angelangt,
wie fchon einmal, da Walther von der Vogel: |
weide im Vorgefühl fang: ‚sich hört! ein Eleines
Vögelein dasſelbe Hagen, das veritedte fich und |
fprah: Ich finge nicht, erſt muß es tagen!‘
Wir mögen der Hoffnung leben, daß auch dieje |
Nera mit Dampf: und Telegraphenfchnelle da: |
Namensaustauſch mit Herbig.
\ herbeigetragen, und man nahm um den feinen
Auguſt Beder.
' hinfauft und daß es zum Ablauf einer roh ver:
nüchterten Welt nicht wieder der fünf Jahr—
hunderte bedarf. — Inzwiſchen mag ſich die
Idee in die Form fchmiegen, die eben ailt.
Unſer Wahlſpruch wird wohl fein müfjen: Mehr
Realismus in der Kunft, mehr Idealismus im
Leben! — Dem aber will id) entjchieden wider-
jprehen, daß Frauen den Glauben an die
Poeſie je verlieren, fie der Werlogenheit an—
Hagen dürfen. Auch diefe Verſe hier find dem
Drange entiprungen, wilder, gährender Yeiden-
ſchaft goldene Feileln anzulegen.“
Sie hatte wieder die Stine geſenlt und
ſah ihn unter den Brauen hervor etwas ver:
hohlen an, — wenn der Ausdrud im Gegen:
fa zu unverhohlen erlaubt ift, — während
Herbig mit Wärme und erregt fprad. Sie
jelbjt verhielt ſich ſchweigend, hatte auch zu einer
| Entgegnung um ſo weniger Luſt, und kaum
auch mehr die Zeit, als fie mit einigem Staunen
die Wahrnehmung machen fonnte, daß eben der
‘ Vater der beiden Schweitern, von zwei Herren
begleitet, den Pfad heraufitieg und daß der
Heinen Männergejellihaft auch die Töchter des
Haufes, Gretchen und Jenny, nad) einander mit
dem Dienftmädcen folgten, welches Geded und
Kaffeegefchirr herauftrug.
4.
Die beiden jungen Herren, welde mit dem
Hausvater daher kamen, ein jchnurrbärtiger
Neferendar und Doktor Binfe, ein etwas zappe-
liger Lehrer an einer höheren Bildungsanftalt,
waren der Frau Geheimrätin ſchon einmal vor:
gejtellt worden. Es galt aljo nur nod den
Stühle wurden
Tiſch Platz, auf weldem die Schweftern nun
geſchäftig für den Nachmittagäfaffee unter der
Linde dedten. Jenny war eben jo hübſch als
Gretchen; der wieder erlangte Zopf machte fie
glücklich, und ihre ſchalkhaft lächelnden Züge
paßten qut zum Inhalt jenes Billets. Mand):
‚ mal allerdings fam einige Befangenheit über
\ fie, und argwöhniſch ſah fie auf, wenn fie meinte,
die Blide des fremden Herrn ruhten mit be:
jonderem Ausdruck auf ihrer Goiffure. Doch
tröftete fie fih mit dem Bewußtfein, niemand
in das Geheimnis eingeweiht zu haben, als die
Schweſter, und jo bewahrte fie fich gleich dieſer
ihre wohlthuende Freundlichkeit.
Eleonore,
Man trank alfo Kaffee, und die Männer
rauchten, da der Vater mit der ihm eigenen frei:
mütigen Ungezwungenheit Gigarren umbherbot.
Eine Weile nedte er fid) dann mit Doktor Binfe,
ber’im artikulierten oberſächſiſchen Idiom merk:
würdige Ausjprühe mit großer Selbitgefällig:
feit hören ließ und dazwischen zuweilen ein „Ei
ja!“ herausfeufzte, daß, wie der Hausherr be-
merfte, die Cigarrenafche im Garten umherflog.
Es war ein jeltfam unfertiges und verbrehtes
Mannsbild, diefer Binfe. Das Antlit grüngelb,
von forbifhem Schnitt; die Haare furz und
mausfahl, weit abjtehende Ohren, eine Naje,
als wolle er mit ihr die Sterne am Himmel
löſchen, auf deren breitem Nüden eine filberne
Brille und unter ihr ein fhmwappeliger Mund,
dem das Stillitehen ſchwer ward. Plauderte er
nicht, fo lächelte er vergnügt über fich jelbit oder
die Zunge ledte die blauen Lippen. Mit dem
Referendar ſchien er auf dem Fuße miggünitiger
Bekanntſchaft zu jtehen, denn feiner von beiden
fonnte auch nur drei Worte ſprechen, ohne daß
der andere drein= und widerſprach.
Eleonore und Herbig nahmen wenig Teil
an der Unterhaltung, wechjelten jedoch gelegent:
lich unter fih Meinungen und Blide. Die An:
wejenheit fremder Berjonen förderte eine gewiſſe
Vertrautheit, wenn nicht Vertraulichkeit, zwiſchen
beiden in viel höherem Grade, als ſelbſt längeres
Beilammenfein unter vier Augen. Und wenn
Doktor Binje ſich etwa zu dem Ausſpruch ver:
jtieg: „Nur ein Herz und eine Hütte!“ und
Herr Nordhafe ergänzte: „nebſt Roſtbraten und
Bordeaur!” jo konnten fie ſich mit veritändnis-
innigem Lächeln anfehen, wo die Töchter ihrer
Heiterkeit feinen Zaum anlenten.
Der Vater brachte die Nede auf die Jagd—
zeit und ſprach in aller Harmlofigfeit eines
Jägers von der Brunft, den fchreienden Hirjchen
am Nennfteig und den nächtlichen Kämpfen, die
es jet im Beraforft abjete. Um dem Geſpräch
eine Wendung ins Allgemeine zu geben, begann
ber Referendar (der übrigens bald einer An:
ftellung entgegen jah), von der unverfänglicheren
Gefährlichkeit wilder Hirfche für einfame Wan-
derer zu fprechen. Er erzählte eine merfwürdige
Geſchichte von einem Freunde, der eines Tages
in der Uniform eines Neferveoffizierd an der
„wilden Sau“ vorüber dem Nennfteig entlang
zur „hohen Sonne” hinaufgeitiegen fei.
„Mein Freund,“ fuhr er feinen Schnurr:
bart jtreichelnd fort, „mein Freund acht alfo fo
297
dahin in fein Buch vertieft. Um nicht auf dem
Wege von der Langeweile geplagt zu werden
und feinen Offiziershorizont zu erweitern, hatte
er fich nämlich einen Band Militärlitteratur ein—
geftedt ...“
„Humoresfen von Lenz, Reklams Groſchen—
bibliothek,“ ſchaltete Binſe ein.
Mit einem zurechtweiſenden Blick fuhr in—
des der Referendar fort: „Wie er nun an die
erſte Eiche kommt, die dort als Richtbaum ſteht,
wendet er eben wieder, an weiter nichts denkend,
ein Blatt ...“
„Des Buchs,“ ergänzte Binſe.
„Natürlich des Buchs und nicht des Baums,“
erwiderte der Meferendar weiter erzählend.
„Er lieſt. Ihm iſt, als ob jemand des Wegs
fomme, aber er lieft. Nur zufällig ſieht er auf.
Und wer jteht da? Ein Zwölfender jteht da, ein
ftattlicher Hirich mit zum Stoß eingelegtem Ge:
weihe. Raſch zieht er —“
„Wer zieht?“ fiel Binfe ein.
„Mein Freund zieht, doch nicht der Hirfch !
Alfo raſch zieht er feinen Degen . . .“
„Aus der Scheide,“ ergänzte Binje wieder,
der feine Ruhe geben konnte.
„Das ift doch felbitverjtändlich, daß ein ge:
zogener Degen aus der Scheide fommt !* braufte
jett der Neferendar gereizt auf.
„Bitteredht jehr, ehr! durchaus nicht! Deut:
lichkeit, die jedes Mißverſtändnis ausſchließt, ift
das erjte Erfordernis eines guten Stils. Ei ja!“
„Gut denn,* verfette der Neferendar. „Er
zog jeinen Säbel nicht aus der Weſtentaſche oder
ſonſt woher, wie vielleicht jemand unter den
anmwejenden Herrſchaften vorausfeten möchte,
fondern aus der fchwarzledernen Patentſcheide
an feiner linfen Seite und fuchte fih damit —
nicht mit der Scheide, jondern mit dem Degen
— des wütenden Tieres zu erwehren, was ihm
jedoch faum gelungen wäre, wenn nicht Wald-
fuhrleute herbeigeeilt und mit ihren Hlatjchen-
den Peitichen dasjelbe in die Flucht getrieben
hätten.“
„Juſt feine Heldenthat,“ verficherte Binfe.
„sch war doch auch ſchon auf der Jagd. Eija!*
„Und da war unfer Doftor Binfe fo fühn,
einen Hafen in die Flucht zu treiben,“ fiel der
Hausherr ein. „Ja, er hätte ihn vielleicht ſogar
getötet... Aber, lieber Doktor, die Damen
warten jchon ungeduldig auf das jüngfte Kind
Ihrer Mufe. Heraus damit, wenn es nicht zu
lang ijt.“
38
298
Binfe zierte ſich ein wenig, griff in die Bruft= |
tajche und meinte, er habe es nicht bei fich. |
„Welches Unglüd!* dachte Herbig überlaut. |
„Doc, da jtedt’s!“
„Welches Glück!“ flüfterte Eleonore.
„Heiter ift meine Mufe nicht, das muß ich
vorausſchicken,“ begann der Dichter. „Wenn
ih auch meinen Quartanern humoriftische Poeſie
zur Zeftüre empfehle, 3. B. Neinete Fuchs, jo
iſt doc) der eigentliche Grundzug meines Wejens
ernit, ei ja! fogar tief melancholiſch. Alfo: die
Thräne.* Und das Taſchentuch eintedend las er:
„Schmerzensthräne, ftill entipriehe,
Trauerzähre rinne!
Leiſe meinem Blick entfliehe,
Aber — nicht zu dünne.
Wenn die Seele voller Demut,
Iſt's zu unferm Glüde,
Leer’ dein Yüllhorn, komm' o Wehmut,
Aber —“
„Richt zu dicke!“ ergänzte der Neferendar,
das Richtige treffend, obwohl alle auflachten.
„Ein hübſcher Gedanke,“ meinte Herbig,
„der auch in Thränen ein Mittelmaß empfiehlt,
— ganz moderner Anforderung entipredend.
Schade, daß der Neim nicht durchaus rein.“
Dies ließ jedoch Binfe nicht gelten und be:
hauptete widerborftia, man fpreche nicht ‚rünne*
und ‚düde‘, jondern jo wie er leje; und folde |
pointenreihe Sächelchen ſchüttle er nur fo aus
dem Aermel. Allein man wartete diefe Genia— |
lität nicht weiter ab und ging zu anderem über.
Da die nunmehr reif gewordenen Aepfel auf
den Bäumen die Aufmerkſamkeit auf fich zogen,
ſprach man davon, daß es Zeit fei, ſie abzu:
machen. Binfe, der nicht lange auf einem Site
bleiben fonnte, machte ſich daran, den höchſten
Npfelbaum zu erjteigen, um den Damen das
Obſt frijh vom Zweige zumerfen zu können,
wogegen Jenny die ernjthafte Mahnung richtete,
es fein zu lafien.
„Slauben Sie denn, Fräulein Jenny, daß
ich falle?” fragte er.
„Wenn Sie nicht in der Luft hängen bleiben,
gewiß.“
Aber nun folgte ein glorreicher Bericht voll-
bradter Heldenthaten in diefem Fache. Er jei
ihon ohne Schwindel rittlings auf der Firſt
eines Rirchendachs geſeſſen; er habe einmal einen
eingefeiften Maſtbaum bis zur Spitze erflettert,
und er habe eine morjche Nuinenmauer rüdlings
beftiegen und droben ein Nad geichlagen. a,
er mache ſich anheiſchig, minutenlang mit einem
August Beder. Eleonore.
Arm und einem Bein am Baumaft zu hängen
und dabei einen Choral zu fingen, ohne heifer
zu werden. Zuletzt bot er dem Neferendar
Wetten an, wer am längften eine Leiter frei
auf dem Kinn im Gleichgewicht halten oder mit
der Cigarre im Mund über Tiih und Stuhl
Ipringen könne, ohne fie auögehen oder fallen
zu laſſen. Der jedoch mwollte ſich mit einem
Univerfalgenie nicht darauf einlafien und feine
Ruhe haben. Die Sache wurde fad, und da
der Abend herangefommen war, brad) man auf.
„Herr Profeffor,“ wandte fi der Haus:
vater beim Abſchied treuherzig an Herbig, indem
er deſſen Hand drüdte, „beſuchen Sie uns wie:
der und nehmen Sie fi der armen jungen
rau einwenig an. Schade um das liebe Meib-
hen! Ich will nicht jagen, daß fie unglücklich
verheiratet fei; fie hätte es fchlimmer treffen
fönnen und darf ſich ja infoferne glüdlich ſchätzen,
als fie in guten Verhältnifien forgenlos der
Zufunft entgegenfieht und alle Mittel befitt,
ihr Herz einzufchläfern, wenn fie es nötig findet.
Ich fürchte nur, fie langweilt fi) auch bei uns.
Ich kann ihren Leiter und Begleiter nicht machen,
habe weder Zeit noch Talent dazu, und auch
meine Mädchen find durch den leidigen Umzug
abgehalten, ihr die nötige Unterhaltung zu
widmen. Mljo, fommen Sie Morgen wieder;
und Sie find willfommen, aud) wenn ich nicht
zu Haufe bin.“
Herbig hielt ſich nach der Verſicherung,
welche er Eleonoren gegeben, nicht für berechtigt,
bei diefer Gelegenheit weitere Nachfragen über
die Verhältniffe der ſchönen Frau anzuftellen.
In feiner Vorjtellung war der Gemahl der
jungen Strohmwitwe jener fleine, feingefleidete,
alattrafierte Glatzkopf, der allerdings eher einem
Kommerzienrat denn einem Geheimenrat ähn:
lich jah, unter welhem man fich zumeift einen
Herrn mit Gelehrtenanftrich vorzuitellen pflegt.
Eleonore ſelbſt verhielt ſich ſchweigend. Da:
gegen liegen es die Töchter ebenfomwenig als
der Vater an dringender Einladung fehlen.
Waren doc) auf den nächiten Nachmittag Freun:
dinnen zum leßtenmal in diefen Garten, ge:
wiſſermaßen zu einem Abjchiedsfeit, geladen,
und die gnädige Frau wäre fiherlich froh, je:
manden zu haben, mit dem fie in ihrer Weije
iprechen könne. Er werde zwar der einzige Herr
unter vielen Mädchen fein, doch dürfe ihn dies
nicht abhalten.
Und er lief fich denn auch in der That nicht
Hugo fittauer, Spruch.
abhalten, da er ſich zur bejtimmten Zeit richtig
einfand.
Die Sonne brach heute immer wieder durch
das leichte Gewölk, einen Schwarm hellgelleide:
ter Mädchen bejcheinend, die fich auf dem Raſen—
hang des Beragartens tummelten. Den ge:
lehrten Profefior aus Königäberg gingen die
hübſchen Kinder jedoch wenig an; der hielt jich,
wie man nicht anders vorausjeßte und erwartet
hatte, an die Schöne, vornehme rau, deren
Gegenwart nur geeignet war, die frohmütigen
Mädchen befangen und wortfarg zu machen.
Nachdem diefe fih gegenfeitig ihrer drückendſten
Mädchengeheimniffe entledigt hatten, rotteten
fie fich zufammen, um zu beratichlagen, was
vorzunehmen fei. Am liebjten hätten fie fi)
völlig und uneingeſchränkt der Freude überlafjen,
gefpielt und auf dem Bergrafen umbergetollt,
wie und wo es fih traf. Zum Glüd war der
Garten groß genug ; man fonnte fich ausweichen
und am einen Ende Schreien, rutjchen und rollen,
fingen und fpringen, ohne vom andern gejehen
oder gehört zu werden.
Und man überlief ſich der harmloſen Luft.
Möglich aber ftob der ganze Schwarm auf und
auseinander, wie ein Flug Tauben, unter welche
der Geier gefahren.
„Der Floh, der Floh !* jchrieen fie lachend
und flogen den Berg herunter, um fich hinter
deſſen Abhang, Heden und Bäumen zu dergen.
Eleonore und Herbig, welde in ruhigem
Geſpräch den Gartenweg auf und ab wandelten,
alaubten bei dem anhebenden Gejchrei an eine
unvorhergejehene Gefahr. In der That um:
freiste denn auch die Umzäunung außen — als
Molf im Schafspelje — des Doktor Binfe frag
würdige Erſcheinung. Jetzt ftand er oben auf
dem Bergwege überm Zaun und ſah ſchwärmeriſch
in ben Garten herein oder über ihn hinweg in
die Landſchaft; dann erſcholl an einer andern
Stelle des Zauns fein feufzendes „Ei ja!“, und
wieder grüfte er mit geſchwenktem Strohhute
über die Hede, wo fie am niederiten war und
niemand fich feiner verfehen hatte. Aber all fein
Mühen war vergebens; man lachte, ſchien ihn
nicht zu bemerfen, lud ihn noch weniger ein,
herein zu kommen, und kümmerte fi zuletzt
nit weiter um ihn.
Zumeilen trafen die Mädchen im Verlaufe
des Nadhmittags mit dem Herrn Profeflor und
der gnädigen Frau zuſammen; es wurden einige
freundlihe Worte gemwechlelt, dann ging man
299
wieder feines Wegs. „Gott, wie gar hübſch
diefe Herrichaften ihre Worte ſetzen Fönnen!
Jerum, was das niedlich ift, fo miteinander zu
plaudern!” Und dabei ftedten fie gar anmutig
die Köpfchen zufammen, redten die Hälschen und
gaderten allerliebit.
Inzwiſchen hatte ſich Jenny für eine Weile
zu Herbig und der jungen Frau gejellt und mit
derſelben Platz neben einer Birfe auf dem
trodenen, thymianduftigen Najen genommen.
Auch Herbig jtredte fich neben fie hin. Ningsum
war der Rajen wie mit Goldftüden beitreut, jo
leuchteten die abgefallenen Birfenblätter in der
Sonne. Nah dem Pfade hin war die Gruppe
teilweife durch einen Hafelbufh gededt. Zur
Seite hob im Sande ein fogenanntes Ruhrkraut
die gelben Blütenköpfchen, und wilder Quendel
von baljamijchem Geruch bildete das Thymian:
beet, in welchem die drei fich zufammengefunden
hatten.
Jenny hatte jett wohl eine Ahnung davon,
wer eigentlich ihren Zopf wieder gefunden, und
wußte dem fremden Herrn großen Danf für
feine diskrete Haltung.
„Sagen Sie mir doch einmal, Herr Doktor
Herbig,“ fing fie nach einem mit Eleonoren ge:
wechſelten Blid an, „jind Sie nie in die Gegend
von Gatlenburg gefommen? Es liegt feitwärts
an der Bahn von Nordheim nach Herzberg. “
„Doch!“ erwiederte er. „Einmal in meiner
Studentenzeit, da ich zwei Semejter in Göt:
tingen Geſchichte hörte. So viel ich mich ent:
finne, fuhren wir eines Sommertags hinaus
nad) Gatlenburg, das mit Mauern und Türmen
auf grüner Höhe liegt, und zogen von da auf
ein einfames Pfarrdorf, wo unter Eichen unfern
der Kirche ein Tanzboden aufgeichlagen war.
Ein fröhliher Tag!”
(Fortiegung folgt.)
% Sprud.
Don
Hugo Fillauer.
Gar oftmals bringt ein furjer Spruch
Wehr Nuten als ein dides Budı.
Könnt nur der IImfang Wert verleib'n;
mablſtein wär: mehr als Edelfiein.
Fe
mh”
ner
Aus dem
Hinimlifchen BARON der Mitte.
Dohn Satifaz.
— —
hina mit ſeiner vieltauſendjährigen eigen—
artigen Kultur iſt noch heute verhältnismäßig
wenig bekannt. Nur einzelnen Forſchern iſt es
gelungen, in das Innere des ausgedehnten
Reichs vorzudringen, das Land ſelbſt, wie Sitten
und Gebräuche ſeiner Bewohner, wirklich aus
eigener Anſchauung zu ſtudieren. Die Mehrzahl
der Europäer dagegen, welche das öftliche Afien
beſuchen, muß fi) mit der Kenntnis dejjen be:
gnügen, was in den jogenannten offenen Häfen,
den Seeplägen, wo dem fremden Handel wider:
willig eine Stätte eingeräumt wurde, vom eigent-
lichen chineſiſchen Leben noch übrig geblieben ift.
Seit Monaten find einmal wieder die Augen
ber gejamten civilifierten Melt mit verdoppelter
Aufmerkſamkeit auf das hinefifche Neid gerich:
tet, welches anfcheinend Miene machte, zum
Austrage politiicher Streitigkeiten einer europät:
ihen Großmacht mit bewaffneter Macht auf
blutigem Schladhtfelde entgegenzutreten. Wir
hoffen deshalb den Danf unferer freundlichen
Leer zu verdienen, wenn wir gerade dieſen
Augenblit wählen, um ihnen einige Mitte:
lungen über jenes merkwürdige Land zu bringen,
Mitteilungen, welche nicht den Anſpruch auf
eine alle Verhältnifje umfafjende, abgerundete
Darftellung erheben, die aber immerhin manches
Neue bieten dürften und die, den Reifebriefen
Ranalirhleufe (©. 100,
einer amerifanishen Dame entnommen, zugleich
ein intereflantes Schlaglicht auf den Unterneh:
mungsgeiſt unferer Yankeeſchweſtern zu werfen
geneigt find.
Von Shanghai aus, einem der größten
Vertragshäfen mit volljtändiger amerikanischer
und engliicher Kolonie, hat Miß B., unfere lie:
benswürdige Berichterftatterin, einen bequemen
amerikanischen Dampfer, welcher den chineſiſchen
Namen Kiang Teen führte, zur Weberfahrt nad)
dem weiter ſüdlich gelegenen Ningpo benußt.
Mit Tagesgrauen lief das Schiff in den Ning-
pofluß ein, deſſen Mündung durd) das auf klei—
nem Hügel maleriſch gelegene alte Schloß und
Fort Chinhai beherrſcht wird, und richtete zwi:
ſchen zahlreihen Dſchonken von allen Größen
und Formen hindurd feinen Kurs nad der
etwa 16 engl. Meilen ftromaufwärts gelegenen
großen und weitläuftigen Stadt Ningpo. Die
Gegend ift völlig flach, das Erdreich befteht aus
dem fo unendlich fruchtbaren Alluvialboden,
welcher jahraus jahrein die reichite Frucht trägt.
Zahlreiche Kanäle durchſchneiden und bewäfjern
das Land, welches mit dem faftig friſchen Grün
der Reispflanzen überdedt ift. Von diefer grünen
Einförmigfeit heben ſich zahlreiche Heine Hügel
dunfel gegen den Horizont ab, den Vorfahren
gejette Grabdenfmäler, welche in Gruppen von
Sohn Balifar. Aus dem himmlischen Reiche der Mitte.
verfchiedener Stärfe, im ganzen vielleicht in
der Zahl von zehntaufend die Gegend bedecken,
und hier nicht die im chineſiſchen Süden gebräud):
liche malerische Form des Hufeifens annehmen,
fondern lediglich aus aufgehäufter Erde beitehen.
Als das Schiff fich der Stadt mehr näherte,
fielen zuerft eine Anzahl Gebäude auf, welche
weit höher als die gewöhnlichen Wohnhäufer der
BOOT? ER
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ge: >
Pa)
4
301
Chinefen, mit bejonders hohem fpitgiebligen
Strohdadhe verjehen waren. Hier verwahrt der
vorfihtige chinefishe Händler das zum Einpö—
feln der Fiſche nötige Eis, welches zur Winters-
zeit forgjam zufammengetragen wird. Man
jammelt felbjt Eis von faum 5 cm Dide, zer:
itampft es, gießt Waſſer darüber und läßt es
dann im Eishaufe zu diden Mafjen gefrieren.
A
rt RR
Göhenbilder im Wubbhrtempel 1@. DOW.
In Ningpo gewährte das Haus des enali-
Ihen Biſchofs gaftlihe Aufnahme. Der ehr:
würdige Herr hat fi im Herzen der heidni-
ichen Stadt, welche noch vor wenig ‘jahren dem
Vorbringen des Chrijtentums den zäheften Wi:
derjtand entgegenfegte, ein angenehmes, von
grünenden Bäumen und blühenden Sträuchern
umgebenes Heim gründen fünnen. Zwar ijt die
chriſtliche Gemeinde im Vergleih zu der nad)
Hunderttaufenden zählenden Einwohnerſchaft
Ningpos noch immer klein genug, aber doch wird
außer in der dem Hauſe des Biſchofs gegen—
überliegenden hübſchen Kirche noch in drei oder
vier anderen Kapellen regelmäßiger engliſcher
Gottesdienſt abgehalten, bei dem häufig einge:
borene Konvertiten als Geistliche amtieren. Eine
Knabenſchule ſteht unter der Leitung eines analt:
fanifchen Geiſtlichen, während eine engliſche
Dame mit Unterjtügung eingeborener Hilfs:
Ichrerinnen bemüht ift, die Mädchen im Chriſten—
302
tum zu unterrihten und zu europäi:
ſcher Gefittung heranzubilden. Die
Kinder beiderlei Geſchlechts find durch—
weg in hohem Grade intelligent und
lernbegierig. Man gibt fich alle Mühe,
die Mädchen von der barbarijchen
Weife der Fußverftümmelung abzu:
bringen, aber in den meijten Fällen
vergebens. Würden ſelbſt die Eltern
von der durch taufendjährige Uebung
geheiligten Sitte abgehen wollen, jo
verlangen doch die Kinder ſelbſt troß
der mit der efelhafteften Prozedur
verbundenen Schmerzen dennod), daf
der Fuß durch fejte Ummidelung in
feiner Ausbildung zurüdgehalten wird,
da fie font fürchten, als großfüßige
Plebejer nicht zur Che begehrt zu
werden.
Zum Beſuche der Sehenswürdig—
feiten in der Stadt mieteten die bei:
den Damen Mi B. und die er:
wähnte englische Yehrerin leichte offene
Tragitühle aus Weidengeflecht, welche
vor den font gebräuchlichen Sänften
den Vorzug haben, daß der Inſaſſe
fich bejfer umfehen kann und ſich in
frifcherer Yuft befindet. Der Bifchof begleitete
fie auf feinem Pony.
Ehreupfotie für eine Witwe S. 208).
Ningpo ift namentlih dur feine Schnitz—
arbeiten aus hellem Holze berühmt. Die bejte, |
John Halifar.
a "
— —
Ebreubogen für eine Jungtrau S. 105),
ausgeſuchte Arbeit erzielt einen Preis, welcher
jelbit in Amerifa oder Europa hoch genannt
werden würde, die weniger Funftreihen Gegen—
ftände werden dagegen jpottbillig verkauft.
Bilderrahmen und Verzierungen am Hausgerät
find die Hauptartifel diefer Induſtrie, welche
troß ihrer eigenartigen Schönheit dod) gegen die
aus ſchwarzem Holze mit reicher Goldverzierung
in Canton gefertigten Zimmereinrichtungen zus
rüdtritt.
Die große Pagode befteht aus einem hohen,
weißen Turm, welder nadt und ſchmucklos in
bie Yuft hinausragt, da die umgebenden Holz:
galerieen durch eine Feuersbrunft verzehrt find.
Der Turm ift vierzehn Stodwerfe hod) und be:
fit fieben übereinanderliegende Neihen von
Fenftern. Von feiner Plattform genießt man
einen Meberblid über die Stadt und das umge:
bende, endlos flache, einförmige Land, von dem
aus am fernften Horizont fich flache Hügel:
reihen abheben. Die Gößenbilder beftehen hier,
wie in den meiſten militärischen Tempeln aus
mehreren überlebensarogen menschlichen Figuren,
welche den tatariihen Typus tragen und ſämt—
lich lange ſchwarze Schnurrbärte aufmweifen, In
Aus dem himmlifchen Reiche der Mitte.
allen findet man die gebräuchlihen Altäre mit
Bronzegefäßen zur Aufnahme von Blumen,
Weihraud und Kerzen, die fragenhaft geſchnitz—
ten mythologifchen Tierbilder und die Feuereſſe,
in welcher täglich die in allen Straßen aufgefam:
melten Bapierfegen verbrannt werden. Ueber
dem allem lagert die in den hinefiichen Tempeln
unvermeidlich dide Lage von Schmuß, melde
nur bei der großen Neinigung zur eier des
neuen „Jahres entfernt wird, und die doppelt
E&uboerfäufer.
unangenehm im Gegenfage zu der in den Tem:
peln Japans herrichenden Neinlichkeit auffällt.
Das Aufjammeln von jedem Stüd auf die
Straße geworfenen Papiers und das Einliefern
zum Verbrennen gilt als verdienftvolles Merk.
Deſſen Vernichtung durch Feuer beruht auf der
angeborenen und anerzogenen Verehrung des
chineſiſchen Volkes vor jeder Art von Gelehr:
famfeit und man will auf ſolche Weife verhin- |
dern, daf irgend ein gedrudtes oder geſchriebenes
Wort des Konfucius oder einer anderen Autorität
auf kirchlichem und geiftigem Gebiete unter die
Füße getreten wird.
Ein Marſch durd) die denkbar engiten, fort:
während mit einer Volfsmenge im bunteften
|
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303
Gemisch vollgepfropften Straßen bietet dem
forfhenden Auge troß der unvermeidlichen, man
möchte fagen unlöslichen Verbindung mit einem
efelhaften unbeſchreiblichen Schmutz, zahlloje
Gegenftände von höchſtem Intereſſe. Die zahl:
reihen, nad der Straße zu völlig offenen Ver:
faufsläden weifen ſelten eine breitere Straßen:
front auf als etwa 10 Fuß. Mächtige Firmen:
ſchilde in den originelliten Farben und Formen
hängen am Haufe oder find auf geſchnitzten Holz:
ftändern von 15—20 Fuß Höhe befetigt, und
im Laden felbjt, welcher zugleih ala Werlſtatt
dient, ift der geſchickte Handarbeiter mit der
Anfertigung feiner Ware beichäftigt, ohne ſich
durch die neugierigen Blide der VBorübergehenden
jtören zu lafjen. Da fann man feine Elfen:
beinfchnigereien bewundern ; die mandjerlei Mas:
fon und Garderobejtüde für Theater anjtaunen ;
‚ die Kunft der Juweliere verfolgen, - welche
das glänzende Gefieder einzelner Vögel als
Email verwenden und namentlich die koſtbaren
nephritartigen grünen Steine jo prächtig zu
faſſen verftehen, Fächer, künſtliche Blumen,
F Popierlaternen, und zahlreiche feine Lackwaren
\
im bunten Gemiſch aufgehäuft jehen.
Dicht daneben bedient ein Barbier auf
offener Straße jeine Kunden, und der
Fiſchhöcker preift die unappetitlichen Tin:
tenfiihe an. Dann geht es wieder an
Frucht: und Blumenläden vorbei, einem
Zargmagazin, in dem pflichttreue Kinder das
Geſchenk für die nod lebenden Eltern aus:
wählen, beim Schneider, Schuhverläufer und der
Wäſcherin vorbei zum Geldwechsler und dem
Handler mit nachgemachtem Gelde, weldes be-
ftimmt ift, zu Ehren eines verjtorbenen Ber:
wandten als Opfergabe verbrannt zu werden.
Zugleich fann man bei folder Wanderung einen
Blick in das häusliche Leben der Chinejen
werfen, und gewahrt in den inneren Näumlid)-
feiten vorzugsweiſe gewiſſe mächtige Bettitellen,
welche von Gardinen und VBorhängen umgeben,
| die nad dem Neichtum und der Stellung des
Beſitzers aus mehr oder weniger foftbarem Stoffe
gefertigt find, mit Schubladen und allen Vor:
richtungen zu einer vollitändigen Toilette ver-
ichen, ein ganzes Zimmer für fi zu bilden
ſcheinen.
Eine Promenade zur kühlen Abendſtunde
auf den alten, grauen Stadtmauern und Wällen
gewährt ſchon deshalb einen eigenen Genuß,
weil man entfernt vom angreifenden Straßen—
304
gewühl ficher ift, hier ganz allein zu fein, Der
Chinefe geht nicht fpazieren, er hält das für eine
Zeitverſchwendung, und fo trifft man auf dem
Stabtwalle nur die wachthabenden tatarischen
Soldaten.
Zahlreihe Gräber fefleln auch hier den
Blid. Ranfende Roſen und Geifblatt ver:
deden die jchmudlofen Hügel, dod wird an
einigen Stellen der föftliche Wohlgeruch, welchen
dieje Blumen verbreiten, gänzlich zurüdgedrängt
durch einen entjeglichen Geruch. Diefer rührt
John Halifar.
von den Kindertürmen her, vieredigen Gebäuden
mit fchmalen Fenfteröffnungen, in denen die
Leihen Kleiner Kinder Aufnahme finden, welche
noch) zu jung waren, um ſchon eine Seele zu be:
fiten und deshalb feines Sarges bedürfen.
Doppelt ſchaurig folhes Mafjengrab in einem
Sande, wo der Kindermord an der Tagesord:
nung tft!
In dem religiöfen Leben der Chinefen neh:
men die den verjtorbenen Vorfahren geweihten
Hallen einen hervorragenden Plag ein. Hier
Bettlerboote 15. 306).
werden die Opfer gebracht, welche den Geift des | Macht der letteren, jede Beleidigung oder Ver:
Dahingeſchiedenen befänftigen, hier wird Fleiſch
niedergelegt zu defien Ernährung, hier verbrennt
man Papierbilder von Pferden, Häufern, Klei—
dungöftüden und Geld, deren Rauch zum Him:
mel ſteigt, um in der unfichtbaren Welt fich wieder
zu „materialifieren“, wie ein fpiritiftifcher Aus:
drud lautet, und fo den Verjtorbenen mit allem
zum Leben Nötigen zu verforgen.
Diefe fonderbare Entwidelung, welde die
von Konfucius gepredigte Kindesliebegenonmmen,
hat durchaus feine Ehrfurcht, Achtung oder
Liebe des Sohnes für die lebenden Eltern zur
Folge, ſondern führt lediglich zu einer ſtlaviſchen
Furcht vor den Toten. Der Glaube an die
nachläſſigung zu rächen und zu bejtrafen, ift fo
tief in das Volksbewußtſein eingedrungen, daß
weder Mühe noch Koften geicheut werden, um
die Geiſter zu verföhnen. Diefe Art, bei allen
Gelegenheiten den Manen der Verftorbenen
Opfer darzubringen, durchdringt das ganze hi:
neſiſche Leben und macht die Lebenden vollftän:
dig zu Sklaven der Toten. Syn diefer Ueber:
zeugung von dem ftrafenden Arme der letzteren
liegt auch ein hauptjächliches Hindernis für die
‚ rafchere und weitere Verbreitung der riftlichen
Lehre.
An dem fogenannten Sce vorbei, einem un:
‚ bedeutenden Waſſerpfuhl innerhalb der Stadt:
Mus dem himmlifchen Reiche der Mitte. 305
Seidenwürmer mit friihen Maulbeerblättern
füttern.
Eine der auffallendften Eigentümlichkeiten
der Chinejen bejteht darin, daß fie weder ihre
Wohnhäufer noch die öffentlichen Gebäude durch
regelmäßige Ausbefjerungen imjtand halten.
große öffentliche Aufführungen belebt, an an: | Beim Bau eines neuen Tempels, wie bei der
deren Tagen iſt es ganz ſtill und der Befucher Aufführung des glänzenden Palaſtes eines
findet vielleicht nur einzelne Frauen, welche ihre | Mandarinen wird in der erften Austattung
mauern, führt der Weg zu zahlreichen Tempeln.
Manche derjelben find vergötterten Kriegähelden
geweiht, einer dem Gotte des Neichtums, welcher
jtets mit mwohlwollenden Gefichtszügen und
außerordentlich fett in jigender Stellung darge:
jtellt wird. Zumeilen werden die Tempel durch
nichts gefpart. Dann aber beginnt auch ſchon ſchmack, zum ehrenden Gedenken an ſolche Wit:
der Verfall, Schmutz und Staub häufen fih | wen geftiftet werden, welche ſchon in jungen
überall an, nad) verhältnismäßig kurzer Zeit ift | Jahren den Gatten verloren haben und ihm
das Gebäude eine halbe Ruine. Nun wird unter | dennoch treu geblieben find, oder an Bräute,
Aufwand von großen Mitteln das Ganze von | welche den Verluft des Verlobten ihr Tebenlang
Grund aus erneuert, und erfcheint bald im vollen | als Jungfrau betrauert haben (S 302).
Glanze neuer Schnigereien, reicher Vergoldung Geradezu zahllos find die Tempel Ningpos
und bunter Bemalung. und den Göttern wird ehrfurchtsvoll darin ge:
Außerhalb desweitlihen Thoresvon Ningpo | opfert. Dabei find die Chinefen aber felbft in
findet ſich längs des Flußufers eine Anzahl der | der Benugung diefer Gebäulichkeiten praftifche
in Form von Ehrenpforten oder Triumphbögen | Gejchäftsmänner. Wenn fremde Offiziere mit
aufgeführten Bauwerke, welche nur mit befon: | den von ihnen befehligten chineſiſchen Soldaten
derer faiferliher Erlaubnis und oft mit erheb: | gelegentlich einen Tempel in eine Kaferne ver:
lichen Koften und mit großem Aufwand von | wandeln, jo kann man das vielleicht als einen
Kunft und Gefhmad, natürlich hinefiihem Ge: | Akt der Gewalt anjehen, aber jedenfalls geſchah
39
306
es doch freiwillig, als dent englijchen Bijchof eine
Pagode als Wohnung mietweife überlafjen
wurde, oder wenn folche der göttlichen Vereh—
rung geweihte Räume gar an Theehändler ab:
getreten werden. Das geſchieht gar nicht felten
und man fann, während
die Götter und Götzen
von ihren Plägen genom:
men und ihre Augen mit
roten Bapierftreifen über:
Hebt werden, dort dann
Hunderte von Arbeitern
mit dem Trodnen und
Verpaden der gewürzigen
Blätter befchäftigt jehen,
zugleih aud die Bei:
miſchung von gepulvertem
Indigo und Gips wahr:
nehmen, ohne welden der
Thee in England und
Amerika nicht verfäuf:
lic) ist. — Zu einem Aus:
fluge nad dem etwa 20
Meilen von Ningpo entfernten großen Bud:
dhijtenklofter Tien Dong, d. i. der göttliche |
Knabe, vereinigte ſich Miß B. mit der oben
erwähnten englischen Lehrerin Mi 2%. Man
mietete ein gewöhnliches überdachtes Boot, ein
fogenanntesHausboot, welches neben dem Schlaf:
raume eine Heine Küche beſaß (S. 304). Zu: ı
nächſt ging es einige Zeit flußaufwärts, dann
wurde in einen der zahlreichen, das Yand durch: |
fchneidenden Kanäle eingebogen. Das Niveau |
der Kanäle liegt höher als der Waflerfpiegel des |
Fluffes und es find deshalb befondere Einrich— |
tungen zur Weberführung der Schiffe erforderlich.
Durch hohaufgemauerte Wände wird eine enge
|
|
Schleuſe (S. 300) hergeftellt, ein Tau am Spie:
gel des Schiffs durchgezogen und große, von
Menfchenhand bewegte Winden an beiden Zeiten
heben das Schiff in die Höhe. Die Grundfläche
der Schleufe befteht aus einer nad) beiden Seiten
geneigten Fläche und das Schiff gleitet langſam in
das andere Waſſer hinüber, fobald es den höchſten
Punkt diefes Winfels erreicht hat (3. 300),
Hunderte von Booten paſſieren oft täglich eine
ſolche Schleufe und da diefe nur Naum für die
gleichzeitige Beförderung eines Bootes bietet, fo
iſt mit dieſem Uebergang faft immer großer Zeit:
verluft verfnüpft und für die Mannschaft an den
Winden entjteht eine harte Arbeit. Langſam
ging die Taafahrt von ftatten, Abwechjelung ge:
Brüde von Thuechee, b
nn
John Balifar.
währten nur die zahlreichen über den Kanal ge=
Ipannten Brüden. Abends anferte das Schiff bei
Siao Bah, und am anderen Tage in der Frühe
bemächtigten ſich fräftige Träger der mitgebrady:
ten Meidenftühle, um ihre ſchöne Laſt auf
£ — u —
icht bei Rinnpo (E, 108).
langjam anfteigenden, gewundenem Pfade zu
dem noch etwa fünf Meilen entfernten Kloſter
zu befördern. Das anmutige Hügelland wurbe
belebt durd die in allen Farben jchillernden,
prächtigen Azaleen. Die gut gehaltene gepfla-
ſterte Runftitraße führte abwechjelnd durch grüne
Felder, mächtige Bambuspdidichte, oder war mit
einer Doppelreihe von Nadelbäumen bejäumt.
Als man ſich dem Kloſter näherte, zeigten fih an
der Wegſeite jeltfam geformte rote und graue
Steingefäße, welche bejtimmt find, die Aſche auf:
zunehmen, die von dem im Klofter verbrannten
Weihraud zurüdbleibt (S. 307), und jeder 29jte
Wegſtein war mit einer eingehauenen Lotosblume
geſchmückt. Hinter dem flaren Spiegel eines
Heinen Sees erhoben fich die Steinmafjen des
Klofters, das mit den urſprünglich roten, von der
Zeit zu einem matten Grau gebleichten Mauern
und dem hohen, ſchweren Strohdache einen an-
genehmen, harmonischen Eindrud macht.
Beim Eintritt in das Heiligtum, einer weis
ten, von mächtigen Pfeilern getragenen Halle,
findet man ſich drei gewaltigen vergoldeten plafti:
chen Bildern des Gottes Buddha gegenüber,
(5.301) welche von einem gleichfalls vergoldeten
Wolkenhimmel überragt werden. Die Figuren
find mindeſtens 40 Fuß hoch und befinden ſich auf
einem Untergeftell von vielleicht zehn Fuß Höhe.
Zwiſchen ihnen find zwei fleinere Bildwerte,
Aus dem bimmliichen Reiche der Mitte,
Schülerdarftellend, angebracht, und zwei andere,
welche die Königin des Himmels auf dem Lotos—
throne verjinnbildlichen. Der Ausdrud in den
Gefihtern der drei Buddhas ijt ruhig, wohl:
wollend, man möchte faft jagen verehrungswür—
dig. Alles ftroßt von Gold und kunſtreichem
Schnigwerfe. Zwiſchen den roten Pfeilern find
große gelbe Vorhänge, auf denen blaue Drachen—
geitalten fich befinden, aufgehängt, doch troß
diefer jchreienden Farbenkontraſte madt das
Ganze einen ftimmungsvollen Eindrud.
Das Klojter faßt etwa hundert Mönche.
307
Von ihnen macht eine Anzahl einen guten Ein:
drud. Andere wieder haben gewöhnliche, rohe
Züge und man erfennt unfchwer, da fie vor
dem Arme der jtrafenden Gerechtigfeit hierher
geflohen find. Denn der geichorene Kopf und
das gelbe Gewand ſchützen den Verbrecher vor
Strafe. Die Mönche brauchen nicht immer in
demfelben Kloſter zu bleiben, fondern fönnen von
einer ſolchen Stätte zur andern wandern, müfjen
aber mit einer Beicheinigung verjehen fein, welche
fie als wirflihe Prieſter legitimiert.
Während des Gottesdienftes tragen alle
Uſchentruge (6. 100.
Mönche zu ihren gelben oder grauen Gemwändern
einen jharlahfarbigen Mantel, der, um das Ge:
[übde der Armut zum äußerlihen Ausdrud zu
bringen, aus lauter Heinen Stüden zufammen:
geflidt fein muß.
Sind die Mönde arm, fo ift das Kloſter da:
für deſto reicher. Fortwährend nehmen hinefische
Familien feine Gaftfreundfhaft in Anſpruch,
um gegen ſchwere Bezahlung befondere Gebete
und Münfche für verftorbene Verwandte anzu:
bringen. In feinem Lande der Erde greift der
Tod eines Familiengliedes fo tief in alle häus—
lihen Verhältnifje ein, wie in China. Zuerſt
fommen die Ausgaben für das Begräbnis, Der
Leihnam muß in neue Gewänder gekleidet fein,
Teil der Gewandung des Toten und alles, was
dazu dienen kann, ihm das Leben im Himmel
angenehm zu machen, wird verbrannt. Später
fann man derartige Opfer durch Verbrennung
papierner Nahahmungen wiederholen, zur erften
Ausstattung des Verftorbenen aber find die wirk—
lien Gegenstände nötig. Ein gefhmüdter Sara
fojtet Geld, dann ift der Priefter zu bezahlen,
welcher den Totengottesdienft im Haufe hält,
ein zweiter, welcher den Tag für ein glüdliches
' Begräbnis beftimmt, ein Profeflor des Fung ſhui,
' der imjtande ift, den genauen Platz für das
ein zweiter Anzug, Stiefel, Schuhe, der größte |
Grab anzugeben, den lat, wo am ficherften die
aus dem falten Norden fommenden böfen Ein-
flüfje durch die guten Strömungen des Südens
paralyfiert werden. Vom 10. bis 17. Tage nad)
310
putiert hatte. Nun war Gajtelli der eigentliche
Matador der Ludlamshöhle; fich diefen harm:
loſen Dejterreiher, welder den bejchränften
Unterthanenverjtand für den Bedarf eines des:
f
potiſchen Negimes gehabt hätte, als Umſturz— |
mann zu denfen, fonnte nur in einem abnorm |
organifierten Kopfe als Unfraut wuchern. Ganz
Wien jchüttelte fih vor Lachen über diejen
Schwabenftreich der Polizei, welche die Schellen:
fappe der Yudlamiten mit einer unverdienten |
ı dauert, dankten dies einer hohen Begabung; daß
Gloreole umgeben hatte.
Nicht unerwähnt darf ich lajjen die Nitter
von „Karls Tafelrunde*. Diejen Namen, zu
dem fie auch nicht den geringiten Rechtstitel
hatte, führte eine litterariſch-künſtleriſche Gefell:
ichaft, die zu Anfang der vierziger Jahre all:
abendlih in einem Gafthaufe hinter dem unga—
riichen Garbegebäude Einkehr hielt. Dem Wirte,
der eine gute Hausmannsfoft beiftellte und un:
verfälfchten Wein fchenkte, wurde für die Atzung
die Ehre erwiejen, daß man die Tafelrunde nad)
jeinem Zunamen taufte. Mit der Tafelrunde
jelber hatte es wieder feine vier Eden, denn der
Tiſch, um den man ſaß, nahm die ganze Yänge
eines engen Ertrazimmers ein, das jeden Abend
für die Nitter rejerviert blieb, und in das fein
Nrofaner Zutritt hatte. Mit den Nittern war
es gleichfalls nicht haarfcharf genau zu nehmen,
denn es befand ſich nur ein einziger in dieſem
Konklave, der auf diefen Adelstitel Anſpruch
erheben fonnte, und der war der Ritter von
Levitichnigg, eine hochbegabte Poetennatur, die
aber jpäter auf Abwege geriet und jeßt für die
Litteratur verichollen und vergeflen iſt. Den
Vorfig an diefer Tafelrunde führte der Lieder:
und Balladendichter Johann Nepomuk Vogl,
nicht etwa, weil er ein Meifter der Rede und
ein virtuofer Ordner der Debatten geweſen wäre,
fondern, weil er diefen ftillen Winkel auf feinen
|
|
|
I
|
|
|
Iohannes Nordmann,
eingeheimft hatte und die nad) dejien Ableben
als Makulatur verjchleudert wurden, hätte ein
Dutzend Gelehrter fein Dafein friften können.
Manches Glied ijt feither aus diefer Kette, die
ſich nachgerade ſelbſt gelodert hatte, durch den
Tod geriffen worden, Es wäre vergebliche Mühe,
den einen und andern aus diefer Geſellſchaft
zu charafterifieren, da ja doch jchon alle Ver:
bindungsfäden zwiſchen damals und heute fehlen.
Die Namen, die ein ganzes Menfchenalter über:
aber das Gedächtnis des armen Sauter nicht
für eine fommende Zeit gerettet werden fonnte,
daran iſt eine unfundige Hand ſchuld, die feinen
litterariichen Nachlaß herausgegeben hatte. Es
Ipricht für den Wert diefes Poeten, daß ihn
Nikolaus Lenau, der fein Lobverſchwender war,
hochgehalten hatte; jelbjt ohne diefe Bürgſchaft
aber blieben Verſe, wie die folgenden, ftets im
Gedächtniſſe haften:
„Eines doch bedenfe jeder,
Was er immer thut und treibt,
Ob mit Hammer oder Feder
Brot er jchmiedet oder jchreibt,
Daß die Mühſal des Erwerbend
Uns das befte untergräbt,
Und am Tage unjres Sterbens
Niemand weiß, ob wir gelebt."
Solche Verſe haben den Goetheihen Wurf
und wiegen fchwerer ald manche langatmige
Produkte moderner Poeten, die mit vornehmer
Geringſchätzung auf den armen Sauter, lebte
er noch heute, herabjehen würden. Lenau, wie
ich erwähnt, hatte dies nicht gethan, und auch
Ludwig Uhland nicht, ein Meifter des Liedes,
wie feit feinem Ableben fein zweiter erjtanden
it. Es war ein großer Feitabend für „Karls
Tafelrunde*, alö der berühmte Schwabe bei
dem Sympoſion der Nitter erſchien. Das hatten
Entdedungsfahrten nach einem föftlichen Tropfen
ausgekundſchaftet hatte. Ich nenne außer den |
anderen, als den Dichter des „Wanderburjchen“
beiden Ermwähnten nur einige, und zwar die
Komponisten Conradin Kreuger, Adolf Müller
und Emil Titl; die Poeten Morit Hartmann,
Ferdinand Sauter, Alerander Julius Schindler,
Ludwig Koglar und Carl Rick; den Mufikfchrift-
jteller und Gründer des Wiener Männergefangs:
fie Johann Nepomuf Vogl zu danfen, der feine
Freunde der Ehre teilhaftig machen wollte, die
ihm von Uhland widerfahren war. Keinen
hatte er aufgefucht, und er that noch ein übriges
und opferte in liebenswürdiger Weife einen
' Abend für deſſen Genofjen. Bei Uhland waren
befanntlic die Worte teuer; ſchweigſam alfo,
aber mit fihtbar innigem Behagen ſaß er an
vereines Auguft Schmidt und Athanafius Groß; | der Tafelrunde, welche die richtige Parole hatte
den Bildhauer Hirſchhäuter und ein ganz felt:
james Menjcheneremplar, Menk von Melarski.
und einhielt, dem Gaſte nicht durch eitle und
überfchwengliche Xobreden zu hofieren. Uhland
Von den voluminöfen Kolleftaneen, welche diejer | war während feiner furzen Anweſenheit in Wien
emſige Sammler in Jahren aus allen Fächern |
auch zu Hof geladen, man fand ſich mit dem
Vereinsleben in Oeſterreich vor dem Jahre 1818.
ſchweigſamen Manne nicht zurecht und wußte
nicht den Henkel zu finden, um ihn anzufaljen
und zum Sprechen zu bringen. Schließlich for:
derte man ihn auf, eines feiner Gedichte zu
recitieren; und damals joll er in wahrhaft er:
greifender Weiſe „Des Sängers Fluch“ vorge:
tragen haben.
Am glücklichſten und förmlich aus dem Häus-
chen über den Bejucd bei den Nittern war der
arme Sauter, und er gönnte dem Wirte nicht
die Ehre, einen fo illuftren Gaft zu bedienen.
Nie er dies fertig bradhte, bei dem alles, was
er-anfaßte, in Scherben ging, und der Tijche
und Stühle umrannte, wenn ev in eiliger Be:
wegung war, ijt mir heute noch ein Rätfel.
Pudelnärriſch und immer in fieberhafter Auf:
regung, wie er war, hatten feine Freunde ſtets
zu beforgen, daß ihm ein Unfall widerfahren
fönnte. Das traf unglüdlicherweife wirklich ein:
bei einem Ausfluge im nächſten Sommer, nad)
feiner jeligen Begegnung mit Uhland, brach er
durch einen Sturz vom Felſen das Bein und
hatte von da an zeitlebens zu hinfen. Um eine
Blume zu pflüden, hatte er, nad) feiner Ausſage,
den Felſen erjtiegen ; das Unglüd widerfuhr ihm
aber bei einer weniger poetischen und ganz menfch:
lihen Berrihtung, für die er ſich in feiner Narr:
heit den erhabenen Standpunft ausgejucht hatte.
Nikolaus Yenau und die Sängerin Unger:Sa:
batier pflegten ihn während feiner Krankheit
in Iſchl; das Bein war ſchlecht eingerichtet wor:
den und er fam von dort zu feinen Freunden |
nach Wien als „hinfender Teufel“, der nun erft
recht nicht den Humor verloren und fein Unglüd
noch ſegnete, das ihm die treue Pflege jo herr:
licher Menſchen vermittelt hatte.
Es wäre nad) allem, was ich bisher von der
Tafelrunde erzählt, gewiß; der Einwand und
die Bemerkung jtatthaft, daß dieje eben nichts
anderes als eine gewöhnliche Wirtshausgejell:
fhaft von Stammgäſten war, die nur ab und
zu durch vornehme Bejuche ein gewiſſes Luſtre
erhielt. Sie war aber doch anders und beſſer
geartet. Anjtatt Schon vorwegs mit einem Pro:
gramm von bejtimmten Produktionen zu prun:
ten, wie dies heutzutage Brauch oder Mißbrauch
von zahllofen Kränzchen und Zingvereinen ift,
wurde dort fpontan und aus dem Stegreif pro:
duztert. War der Humor dazu vorhanden oder
das Loſungswort gefallen, dann hie; es eben:
Freiwillige heraus! und die ganze Gefellichaft
war fofort in voller Thätigfeit. Themata zu
311
einem Liede wurden in einem Hute gefammelt,
der bejte Titel daraus gewählt; die Poeten
hatten ſich jetzt zu rüften und firfingerig bei der
Arbeit zu fein, denn es war ihnen nur eine
Viertelftunde gegönnt; wen die Flingenditen
Verfe gelungen, der hatte die Ehre, von den
Komponiften in Mufif gebracht zu werden, denen
man wieder nur eine Galgenfrift für ihre Sat:
weife einräumte. Eine flüchtige Durchſicht des
Meiſters Conradin Kreußer genügte, um zu be:
jtimmen, wer es am beiten gemacht hatte, und
es fam nicht einmal, fondern wiederholt vor, daß
er, obgleich jelber Konkurrent, feinen mitbewer:
benden Kollegen den Vorrang gab. Ebenjo
ichnell wurde die Kompofition nah Stimmen
verteilt und notenfundigen Schreibern zur Ko:
ptatur zugewiefen. Nun famen die Sänger an
die Neihe, die frijch vom naſſen Blatte ein Lied
fangen, das vor einer Stunde noch in dem Embryo
eines dürftigen Titels gelegen war. Auf dieſem
Wege der kürzeſten Produktion mit vereinten
Kräften entjtanden die herrlichiten Lieder, die
noch heute allerorten gefungen werden. Das
alles war nicht mühfam ausgeflügelt, jondern
ſprang wie ein luftiger Bergquell aus den el:
jen. Der Greis Adolf Müller, der noch vor
furzem im Theater an der Wien dirigierte, war
jener Zeit feinen Kollegen um eine jtarfe Kopf:
länge voraus, und Johann Nepomuf Vogl hatte
die Werfe wie Perlen ſchon am Schnürchen ge:
reiht, während die andern fich die Fingerknöchel
wund jfandierten.
Dieſer Dichter ift noch lange nicht nad) feinem
Verdienſte gewürdigt; Oeſterreich hat nicht einen
einzigen von fo urjprünglicher Begabung auf:
zumeifen. Mit feiner Bildung hinkte es aller:
dings, und darin wurde er von den Talent:
loſeſten gemeiftert, die das Handwerk der Poeſie
aus dem Buche erlernt hatten. Der Gott aber
war in ihm, und wenn er feine Stunden ber
Begeifterung hatte, brachte er Verfe zuwege, wie
ſie in des „Knaben Wunderhorn“ nicht prächtiger
und wohlflingender zu finden find. Die Viel:
ichreiberei rächte fi an ihm in fo bedauerlicher
Weiſe, da fein Name, der die eingeborene
geniale Kraft hatte, ein Jahrhundert zu über:
' dauern, nur mehr von wenigen genannt wird.
Er jchrieb Taufende von Yiedern und Balladen,
von denen etwa ein Hundert einen bleibenden
fünftlerifchen Wert hat, und das fozufagen das
jpezififche Gewicht feiner voluminöfen Produktio—
nen bildet. Von ähnlichem Schlage, wenn aud)
312
nicht jo urſprünglich geartet, aber auf einer
höheren Bildungsftufe ftehend, war Johann
Gabriel Seidl, der menſchenſcheu nur felten an
der Tafelrunde erſchien. Letzterem ift in jüngfter
Zeit die Ehre widerfahren, da eine Gejamt:
ausgabe feiner Schriften gemacht wurde, wäh:
rend fich für Johann Nepomuk Vogl noch immer
nicht die pietätvolle Hand gefunden hat, die ein
inhaltſchweres Achrenbüfchel aus den reichen,
allerwärts verjtreuten Garben fammeln würbe.
Ein ſolches auserlejenes Buch hätte das volle
Anrecht, in der nächſten Nachbarſchaſt von Uhland
und von den beiten Dichtern zu ftehen.
Außer diefen geiftigen Gefellichaftsgruppen
waren gleichjam wilde litterarifche Vereinigungs:
punkte einige Gaſt- und Gafehäufer, in denen
zufammenfam, was jid gerne juchen und finden
wollte. DasNeunerjche oder „Silberne Cafehaus*
in ber Planfengafje war ein jolches Stelldichein ;
feine eigentlihe Anziehungskraft übte es da—
durch, daß dort fait tagtäglich Nikolaus Lenau
erſchien. Eine virtuofe Schilderung des litterari-
chen Lebens, welches darin herrichte, gab feiner
Zeit ein reichbegabter öfterreichifcher Schrifiteller,
Andreas Schumadıer, in einem Novellen: Alma:
nache. Verloren ift dieſe Charateriftif, und deren
Verfaſſer ift vergeſſen, trogdem er wahrlich ein
beſſeres Los verdient, doch fein Schickſal jelber
dadurch verſchuldet hatte, daß er ſein Talent
nicht nach Einem Zielpunkte lenkte, ſondern es
nad) den verjchiedenjten und heterogenften Nic:
tungen verzettelte. Die Litteratur war das
Aderfeld, das er zeitlebens hätte pflügen müſſen;
er traute fich im ‚jahre 1848 zu, noch Schieß—
baummolle fabrizieren zu fönnen. Daß er in
dem Laboratorium, in dem er die Leitung hatte
und mit brennender Cigarre promenierte, nicht
in die Luft flog, war jein Glück; fein Unglüd
aber war, daß man ihn nah dem Oftober ab:
faßte und zur Kerferhaft in Kufſtein verurteilte.
Bon dort fam er als phyſiſch und geiftig zer:
rütteter Mann zurüd und verlebte noch wenige
Jahre ſiech und elend in feiner Familie, bis ihn
der Tod erlöfte.
In der Singerftraße und zwar im Gafthaufe
„Zum Amor” famen gleichfalls Künſtler und
Schriftſteller allabendlich zufammen, und es ging
dort meistens fehr lebhaft her. Das belebende
Element war Dr. Julius Becher, Mufikus feines
Zeichens. Gefürchtet für feine beiten Freunde
war, was er in Noten produzierte ; doch galt in
mufifalifchen Dingen feine Kritik als unantajtbar.
Johannes Liordmann.
Haarjträubend war, was er ald Komponijt zu
leiften vermochte; und wir verlebten im Mufik:
vereinöfaale unter den Tuchlauben die wahre
Marterftunde eines Streichquartettes feiner
Faktur, für das wir jedody fpäter durch ein
Werft Beethovens fchadlos gehalten wurden.
Während diefes Konzertes fiel noch ein furzer
Dialog, von dem ich nebenher berichte, weil er
den genialen Dichter Friedrich Hebbel, defien
Selbftüberhebung eine maßlofe war, in feinem
ganzen Weſen fennzeihnet. Hinter dem Dichter
ber „Maria Magdalena“ ſaß Karl Bauernſchmid,
einer der liberalen Revifionsbeamten, von denen
eingangs gefprochen wurde, und nad) dem Jahre
1848 einer der beiten Publiziften, die Oeſterreich
aufzumeifen hatte. Diefer glaubte feinem be-
rühmten Vordermanne eine liebensmwürdige Auf-
merkſamkeit damit zu bezeigen, daß er die Be:
merfung fallen ließ: es müſſe für ihn ein ganz
befonderer geiftiger Genuß fein, das Werk eines
jo verwandten Genius anzuhören. Darauf er:
widerte der Angeredete: „Friedrich Hebbel hat
nicht Urfache, Beethoven aufzufuhen, er geht
ihm aber nicht aus dem Wege, wenn er ihn zu:
fällig begegnet.“
Der arme Mufifus Becher brachte mich auf
diefe flüchtige Neminiscenz, und er veranlaft
mich gleichzeitig, von einem anderen Manne zu
iprechen, der ebenfalls ein Stammgaſt im „Amor”
war und im DOftober 1848 eine hervorragende
Rolle geipielt hatte: der war der Oberlieutenant
des Negiments „Hod: und Deutfchmeifter“,
Wenzel Mefjenhaufer. Weniger lebhaft als
fein Wirtshausgenofie Julius Becher, mit dem er
das tragische Schidjal teilte, nad) dem Oftober
im Stadtgraben erichoflen zu werden, war er
doch allen eine fympathifche Perjönlichfeit. Ich
erfreute mich feiner ganz befonderen Zuneigung,
und er lieh ſich von mir gefallen, was fein anderer
Schriftiteller feinem Kollegen geftattet hätte,
Anders geartet als feine Kameraden im Regi—
mente hatte er den heftigen Drang zu ſchrift—
ftellern, und er entwidelte für diefes Streben
einen Eifer, den ich feither bei niemanden meines
Berufes angetroffen habe. Die Manuffripte,
die er leiftete, ſchwollen voluminös an; die un-
beitreitbare Begabung für die Schriftjtellerei war
bei ihm in vollem Maße vorhanden, fie wurde
aber durch eine ermüdende Weitwendigfeit ge:
ſchädigt. Da er mich zum Vertrauten feiner
Schaffensluft gemacht und mein ftrengjtes Urteil
über feine Produktionen herausgefordert hatte,
Dereinsleben in Defterreich vor dem Jahre 1848.
wirtichaftete ich in dieſen wahrhaft unbarmherzig.
So erinnere ich mich, daf ich einen dreibändigen
Roman mit dem Titel: „Moderne Argonauten“
durch feitene und fapitellange Striche auf ein
gutes Drittel reduziert und jo drudfähig gemacht
hatte. An einem anderen, weniger umfangreichen
Roman aber, der „Zwei Möwen“ betitelt war,
hatte ich faft gar nichts zu ändern. Dieſer Feine
Roman behandelte das tragiſche Schidjal der
Söhne Attilio und Emilio des öfterreichifchen
Kontreadmirals Bandiera, die, jeit 1842 im ge:
heimen Briefwechfel mit Mazzini, die Zeit für
eine gewaltfame Ummälzung in Italien reif
hielten und nad) mißglückten Nufftandsverfuchen
zwei Jahre fpäter in Coſenza erſchoſſen wurden.
Ich behaupte noch heute, daß diefer Roman, nicht
etwa jeines revolutionären Inhalts wegen,
fondern fraft feiner künſtleriſchen Anlage und
Durhführung zu den bejten litterarifchen Pro-
duftionen in Deutfchland zu zählen wäre. Ich
habe ihm troß wiederholter und eifriger Nach—
forfhungen nicht mehr auf die Spur fommen
fönnen, und jtehe nicht an, diefen Verluft als
einen beflagenöwerten Ausfall für die Litteratur
zu bezeichnen. Der Oberlommandant der Na:
tionalgarde im Dftober des Sturmjahres bleibt
für die Zeitgefhichte unverloren, mit jenem
Merfe wäre aber auch fein Schriftjtellername
gerettet geblieben.
Eine Karamanferei für litterarifhe Be: |
gegnungen war nod) das Cafe Adami mit dem |
Eingange im Durchhauſe des Negenaburger Hofes
und von der Langjeite der heutigen Sonnenfels—
gaſſe. Der Beſitzer diefes Cafés war ein felt:
ſamer Kauz, der nie das Deutjche erlernen fonnte
und fchließlich auch feine Mutter-, die italienische
Sprade verlernt hatte, jo daß er, namentlid)
im jahre 1848, in dem er gleichfalla gerne mit:
geiprochen hätte, förmlich hilflos war. Die Nähe
der „Aula“ bedingte, daf alles, was fich einiger:
maßen mit der Litteratur im Kauſalnexus glaubte,
dort zufammenftrömte. Selbjtverjtändlich wurden
fo die alten Hausfafjen in den Hintergrund ge:
drängt; fie wagten nicht, fich darüber verdrieß—
lich zu gebärben, wenn fie auch bedauern mußten,
daf die frühere gemütliche Ruhe bedenklich ge:
ftört war. Der geheime Aerger wurde aber
hinwieder durch mande luſtige Zwiſchenfälle
wett gemacht. Zu dieſen gehörte, daß eines
Tages ein junger Mann atemlos mit der
Meldung hereinkam: „Die eine Kammer haben
wir glücklich durchgeſetzt, wir laſſen aber nicht
313
nach, bis wir noch die zweite Kammer ‚heraus:
gekigelt‘ haben.“ Dieſe politiſche Unreife er:
innert an die Badenfer, die, nachdem in den
Jahren 1848 und 1849 alles in Deutjchland
auf und los war, durchaus „eine Republik mit
dem feligen Großherzog an der Spitze,“ oder
an die Leipziger, die, nachdem in Berlin und
Wien das Straßenpflafter loder geworben war,
ebenfalls eine „einzige und unteilbare Barrifade“
haben wollten.
So wäre id) denn bei meiner litterarifchen
Wanderung, die eigentlich zwiichen den Roſen—
«heden der Boefie und den Fruchtbäumen der Profa
führen follte, unmillfürlih auf die Wildbahn
des Jahres 1848 geraten, defjen Andenken die
Mitlebenden, obgleich fie von feinen Stürmen
durdhrüttelt wurden, und auch die Nachlebenden
zu jegnen haben, welche durch diefes Jahr frei
gemacht wurden. Dreifig Jahre und darüber
find bereits voll geworben, die jeit dem 13. März,
an welchem, wie ſich damals Dr. Mlerander Bad)
ausdrüdte: „Dem Weltgeifte die Thore angel:
meit geöffnet wurden,“ in das Land gegangen
find. Der fieberhaften Aufregung, die fi in
jenem Jahre von dem 13. März an aller Geifter
bemädhtigte, fonnten ſich nicht die Beſonnenſten
erwehren; wie ein eleftrifcher Schlag ging der
zündende Freiheitsfunfen weit über den Herb
' der Revolution hinaus an die äußerſten Grenz—
marfen des Reiches. Die zahmiten und frieb-
liebendjten Leute traten unter Waffen; deshalb
ſahen fie aber noch lange nicht martialiſch aus.
Haft rührend, wenngleich etwasdrollig, gebärdeten
ih Männer wie der Akademiker Karajan und
der gründliche Kenner der ſpaniſchen Litteratur,
Ferdinand Wolf, von denen ich ala von Bündnern
der Gejellfchaft der „Namenlofen” gefprochen,
und die fich gleichzeitig mit mir Durch einen „aus:
gedienten“ Korporal zum Kriegädienfte abrichten
ließen. Ein richtiger Oberft würde mich felber
mindeftens auf acht Tage zum Profoßen geſchickt
haben, hätte er anjehen und anhören müffen, wie
ich eines Mittags als Kommandant mit meiner
Truppe die Wache des Staatöfhuldenamtes in
der Singerftraße bezogen hatte. Fehlte auch die
Routine des Kriegshandwerkes, jo fehlte doch
nicht der Feuereifer. Unter meinen Garden be:
fand fi) damals ein Enfel Goethes, gleichfalls
Wolfgang wie fein Großvater genannt. Diefer
Jüngling war mit dem einmaligen Boftenjtehen
nicht zufrieden und bat mich während vierund:
‚ zwanzig Stunden wiederholt, ihn für einen
40
314
anderen, auch nächtlicherweile Wachedienft leiſten
zu laſſen.
Ich würde mich zu tief in das Dickicht meiner
Neminiscenzen verirren, wollte ih aus jenem
denfwürdigen Jahre Erlebtes erzählen. Das
lag nit in Plan und Abficht diefer Mitteilung,
mit der ich nur die Anfänge des Vereinslebens
in Defterreich vor dem Jahre 1848 fennzeichnen
wollte.
Der Gefang der Dögel. P
Sine ornithologifh-äfhetifhe Betradtung
von
Xdolf Müler.
ibt es wohl eine herrlichere, herzerhebendere
Naturpoefie, als der Gejang der Vögel!
In diefen Naturlauten fpricht der Weltgeift am
unmittelbarjten zu unferer Seele, hier entfaltet
er fih am ſchönſten. Wohl rauſcht er vorüber
in den wolfenjagenden Orfanen und braujt auf
in dem wogengepeitichten Meere; wohl dröhnt
er in den Gemwittern mit dem Niefenhall der
Donnerichläge und läht das Tiergeheul erſchal—
len durch die Einjamfeit der Wälder als eine
urfräftige ſymphoniſche Sprache: — aber die
eigentlichſte Seele der Natur bleibt das Lied
unferer befiederten Weſen.
Mie den merkwürdigen „Boten des Him—
mels“ ſchon ein Vorzug vor anderen Tieren in
ihrem leichtbeichwingten Kleide geworben, fo
empfingen diefe Kinder der Lüfte von der güti:
gen Mutter Natur weiter noch die lieblichite,
herrlichite Mitgift der lebenden Weſen der Erde,
die Babe des Geſanges. Selbit vor dem Men:
ihen haben fie dies Himmelsgeſchenk voraus,
der ſich erſt Fünftlich auf den Stufen des Kultur:
lebens das erwerben muß, was der Vogel von
vornherein ererbt hat.
Lebendig widerlegt das Lied des Vogels
das Beitreben der Zweckmäßigkeitslehre, welche
dem Tiere die Seele abſprechen will und feine
Lebensbethätigung mit dem leeren, begriffslofen
Worte „Inſtinkt“ bezeichnet. Geſang ift das
Produft des Gemütes, die vornehmite Thätig:
feit des Seelenlebens; er ift die wahre Urpoejie.
Wo aber Empfindung in einem fo hohen Grade
zum Ausdrud gelangt wie im Geſange ber
Adolf Mäller.
Vögel, da ift auch Seele, Bewußtjein, Geift.
Wenn die Tierfeele aber eriftiert und ſelbſt—
thätig auf die Bühne tritt, dann befeelt und
belebt ſich das ALL, dann ift die Natur mit ihren
Weſen feine tote Staffage mehr, fondern der
Menſch fteht mitten in ihr als ein Glied jener
unendlichen Kette der Individuen unter warmer
Beziehung und Wechſelwirkung.
Es ift gewiß von hohem Intereſſe, diefer
prächtigen Gabe des Vogels nachzuſinnen. Der
Naturforiher weiß, daß da, wo in lebenden
Wefen ein Trieb herrſcht, auch Mittel und Merk:
zeuge vorhanden find, diefen Trieb auszuführen
oder zu bethätigen. Wollen wir aljo die Grund:
lagen des Vogelgejanges erkennen, jo müflen
wir den Leib des Vogels unterſuchen, der die
Organe für jene hervorragende Leiſtungsfähig—
feit birgt.
Da die gemäßigten Zonen unferer Erde,
aljo auch unfer Vaterland, vor den falten und
heißen die gefieber-
\ ten Sänger befiten,
jo bieten uns bie
heimifchen Singvögel
das beite Material
zu unſerer Unter—
ſuchung.
Betrachten wir
die vorzüglicheren
unter dieſen, ſo fällt
uns ſchon im Aeuße—
ren ein geſtreckter,
geſchmeidiger Hals
und eine freie, räum:
lihe Bruſt auf. Die
Deffnung dieſer legt
uns über dem Bruftbeine zwei gabelförmige
Knochen bloß, das fogenannte „Gabelbein“, das
dem Schlüfjelbeine der Säugetiere entiprict.
Hinter diefem Gabelbeine zeigt ſich ein unge:
mein feinverzweigtes, fadartig gepaartes, trans:
parentes, blafenartiges Hautgewebe, das zur
Aufnahme von Luft jehr geeignet ift. In der
beigegebenen Zeichnung 1 einer fecierten Vogel:
bruft ift bei g—g das Gabelbein und bei z das
Zellengewebe zwiſchen den Aeſten des Gabel:
bein fichtbar. Entfernt man dieje Luftbehälter
vorfichtig, jo enthüllt fich ein merkwürdiges
Drgan in der tief: und weitgejpaltenen Bruft:
höhlung. Es ijt dies die in der Figur 2 dar:
geftellte fogenannte „Trommel“ (T) oder der
„untere Kehlkopf“ mit feiner Verzweigung in
Sie. 1. Pogelbruf.
Der Geſang der Dögel.
zwei Hefte, der Luftröhrengabel (g’—g‘), die
unterjeits in die Lungen einmünden. Ueber der
Trommel fett fich die Luftröhre (L) nach oben
fort, welche in der Zunge mit dem „oberen
Kehlkopfe“ oder der „Stimmrite” (St, Fig. 3
und 3b) zwischen den beiden Aeſten des Zungen
beine (b—b, Fig. 3b) endet. In der Zeich:
nung 3 ift die Zunge aus der Nachenhöhle und
von dem Unterkiefer abgelöft und herunterge:
ſchlagen; man muß
ſich diefelbe alfo beim
lebenden Vogel in die
entfprehende Lücke
darüber fo eingefügt
denfen, daß die
Stimmrige (St) dem
tiefen, vielfach mit
Warzenhärhen ver:
jehenen Einſchnitte
(w) in der Rachen—
höhle oder dem Gau:
men bes Oberkiefers
gerade gegenüber zu
ftehen fommt,
Bei näherer Unterfuhung zeigt ſich die
Stimmrige als eine lippenfürmige Oeffnung,
welche auf beiden Nandfeiten von ſehr elafti:
jhen, aus ringförmigen Gebilden bejtehenden
Bändern umgeben tft. Dieſe Bänder der Stimm:
rige fünnen durch entfprechende Zungenmusteln
quer zu ihrer Längenachſe geöffnet oder aber zu:
fammengezogen werden, wie wir nachher dar:
thun werden. An dem einen, der hinteren
Rachenhöhle und der Kehle zugefehrten Ende
it die Stimmrige bei vielen Sängern, wie z.B.
den Drofjeln und der Amſel, dem Stare, dem
Pirole u. a. m., mit einer Neihe Warzen ver:
jehen (h, Fig. 3), welche fich in hornige, haar:
förmige Gebilde zufpigen. Man bemerkt dieſe
Warzenhaare meiſt bei den infeftenfrefienden
Sängern, während bei einigen anderen, 3. B.
den Finken, ſowohl in dem Einſchnitte der Rachen—
höhle als auch an der Stimmritze die haarartigen
Spitzen fehlen. In der Mitte der Seitenbänder
der Stimmritze entdeckt ſich bei genauerer Be—
trachtung auch noch eine gelenkartige Erhöhung,
eine Art Gliederung, welche das Oeffnen der
Stimmritze fördert.
An die Stimmritze, welche bei allen Vögeln
bekanntlich des Kehldeckels entbehrt, reiht ſich
unmittelbar die Luftröhre (L, Fig. 2 u. 3).
Big. 2. Der untere Rebltopf.
315
auffallend geftredtes, bei den Singvögeln aber,
gegenüber den ungelenferen, härteren der Groß:
vögel, eine hohle Säule, deren faſt durchfichtige
Mandung aus einer Menge
zarter, weicher, auönehmend
gejchmeidiger Knorpelringe be:
jteht. Vor ihrer VBerzweigung
in die beiden Aeſte der Gabel
erweitert fi) die Luftröhre in
das ſchon berührte rundliche
Gebilde, die Trommel oder den
unteren Kehlkopf. Diejes letz—
tere Organ iſt im Querſchnitte
(Fig. 4) durch Abbildung
eines vergrößerten Kehlkopfes
von einer männlichen Schwarz:
amſel fenntlich gemadjt. Hier
tritt in der Trommel hin und wieder eine ſcheide—
wandartige Erhöhung (S) auf, welche über dem
Delta (d) der Luftröhrengabel-Verzweigung bei
verfchiedenen Eängern in den hohlen Naum der
Trommel mehr oder weniger merklich eintritt.
Die Trommel ift zwar bei allen Singvögeln
übereinftimmendb ein mehr oder minder fugelig
gejtalteter Körper, der ähnlich wie die Luftröhre
von dehnfamen Knorpelrin-
gen umgeben ift. Doch weicht
fie in ihren einzelnen Teilen
vielgeftaltig ab. In ber
Mitte zmifchen der Gabel:
verziweigung findet fich nad)
oben zu öfters ſchon mit
bloßem Auge fichtbar die
Trommel nad innen mit
einem Niefen verjehen, der
ſich nach der oberen Wöl—
bung der Trommel zuweilen
teilt, wie an dem betreffen:
den Organe der Singdroffel
in Fiqur 3b bemerkbar.
Ber der Schwarzdroſſel
u.a. m, erfcheint die Trom-
mel mehr als rundes Ge:
bilde (T, Fig. 2), an dem
Stare jeitlich plattgedrüdt,
eiförmig (Fig. 5). In der
Regel nimmt diefer Teil des
Zingapparates an der hinteren, dem Schlunde
Sch (Sig. 3b) zugefehrten Seite eine abge-
plattete Form an. Bei allen befjeren und viel:
jeitigen Sängern entdedt fi) außerdem um den
Bla. 3a,
Ropf einen Gdelfinten,
Dia 3 Eiimmrige.
Diefe bildet bei fämtlihen Vögeln ſchon ein fehr | unteren Kehlkopf eine bedeutende Anlagerung
316
von bandförmigen Muskeln. Ganz bejonders iſt
dies der Fall bei unferem Stare, worauf wir
nochmals zurüdfommen. Die Trommel des
Kududs zeigt jo: den Gabeläjten
gar eine delta: und eine auäneh-
artige Einftül: mend ftarfe Knor⸗
pung am unteren pelringbildung
Teile zwiſchen der Wandung,
ID,
N i Big 5. Trommel beim ⸗
— Star.
während diefes Gefüge an vielen Sängern nur
nad innen oder nad) vorfichtigem Abheben der
Bändermusfeln und Fafern fichtlich hervortritt.
Gerade bei den beiten Sängern, der Nachti—
gall, dem Sprofjer, den Grasmüden und anderen
Heinen Inſektenfreſſern, unſeren Lerchen, dem
Edelfinken, bei der Singdroſſel, dem Pirole
finden wir den unteren Kehlfopf ſichtlich vor—
tretend und ſehr ausgebildet, an dem Kudud
aber dermaßen durch die ſchon angedeutete merf:
mwürdige Formung und Gliederung der Luft:
röhrenringe um die Trommel eingerichtet, daß
daraus mit Recht geſchloſſen werden muß, dieje
Vorrichtung diene zur Verjtärfung, zur Reſonanz
der Töne.
Ebenfo wie in Form und Einrichtung variiert
dies Gebilde in der Größe. Die Trommel einer
männlichen Schwarzamfel zeigt fich 3. B. in der
® natürlichen Größe ihrer Ab:
— bildung (T, Fig. 2) =
‚ 5,1 mm, die einer Sing:
droffel mindejtens gleich
groß (T, Fig. 3b); die
Nachtigall und der Sproſſer
befigen verhältnismäßig
ſehr weite, bis über 4 mm
im Durchmefler haltende
Trommeln; die des Edel:
finfen ift kaum von gerin-
gerer Ausdehnung, weshalb aud fein Schlag
fo raumbeherrſchend. Graue Grasmüde, Mönd
und Baſtardnachtigall, ſowie unfere Feldlerche
weiſen Trommeln auf von ziemlich gleicher
Größe, wie der Edelfinke. Der Ruf des Kuckucks
— welchen Vogel wir hier nur wegen ſeiner
Fla.. Unterer Rebltopf
einer männliden Shwarj-
amlel im Querſchnitt.
Adolf Müller.
hervortretenden lauten und ſchönen Stimme
erwähnen — erhält feinen hallenden, hohlen,
myjteriöfen Schall eben wohl von der eigentüm:
lihen Bildung feines unteren Kehlkopfes.
Schon die Bildung des Schnabels, insbe:
fondere fein bei den meiften und beften Sängern
fo auögebildetes Deffnungsvermögen, die vor-
herrſchende Weichheit feiner Subjtanz, fowie
Big. 3b Cingbroffel.
die Dehnfamfeit der Verbindungshaut zwifchen
dem Ober: und Unterkiefer machen den Vogel
geſchickt zu feiner mufifalifchen Fertigkeit. Diefe
wird num noch ganz bejonders erhöht durch die
ungemeine Glätte und Schlüpfrigfeit der Mund:
höhle und des Zungenförpers, womit diefe Ge:
bilde die reichliche Abjonderung der Speichel:
drüfen durch ihre Flüffigfeit gerade in dem
Zeitraume des Singens, d. i. in der Periode
des Niftens, verforgt. Bei vielen Sängern,
namentlich den kerffreſſenden, zeigt fich die Ver:
bindungshaut zwiſchen Ober: und Unterſchnabel
mit ihrer Fortfegung ins innere des Mundes,
der Mundichleimhaut, ganz befonders dehnfam
und breit; an dem Kopfe des Kududs erweitert
Der Gefang der Dögel,
fie fi) dermaßen, daß die Spaltung des Schna:
bels fich in der Ruhe (bei zufammengelegtem
Schnabel) frümmt oder in einem Bogen nad)
unten faltet. Kraft ihrer Elafticität vermag
dieje Verbindungshaut beim Deffnen des Schna-
bels fich entfprehend auszudehnen. Die ferf:
frefienden Sänger und der Kudud vermögen, der
leßtere bei feiner Lachſtrophe, die anderen beim
Produzieren ihrer lauten Rufe, den Schnabel
über einen halben rechten Winfel aufzureigen.
Durch diefe hervorgehobenen Eigenfhaften des
Schnabelgebildes wird die einjeitige, bloß auf:
und niedergehende Scharnierbewegung der Kie—
fern bei allen Sängern von vielfeitiger mufifa:
licher Ausprägung modifiziert.
Gehen wir nun vom Inneren des Schna:
bels abwärts, der Singvorrihtung folgend, bis
zum Bruftforbe und in die Zungen, fo entdedt
fih unter Zuhilfenahme der bildlichen Darſtel—
lungen ftufenweife folgendes:
Die Zunge aller Singvögel hat einen außer:
ordentlic) beweglichen Jungenförper, deſſen Mo:
tion eine auögebildete Muskulatur bewirkt. Be:
tradhtet man vorerft den äußeren Teil des Zun:
genbeines an dem Kopfe eines vom Federbalge
entblößten Edelfinfen (Fig. 3a), jo gewahrt
man die beiden Zungenbeinhörner (aa—bb).
Dieſe verteilen fih von ihrem Urfprunge am
Zungenbeine (Z) aus beiderjeitö unter den Ge—
weben des Unterfieferö und ziehen fih von da
am Rande des Hinterfchäbels herum, um ſich
neben dem Genide rechts und links anzuſetzen.
Die Figur 3b zeigt und den ganzen Muskel—
apparat am Zungenförper um die Stimmrite
oder den oberen Kehlfopf. Wir finden bajelbjt
den Zungenbeinheber (h) während des Singens
thätig, indem er die Zunge lüftet; zugleich zieht
der mit dem außerordentlich gefhmeidigen Bel:
lengewebe verwachfene und mit dem Kopfe der
Zungenbeinhörner (bei k) verbundene Euvierfche
musculus ceratohyoideus (Musfel der Zun:
genbeinhörner) (b—b) die Zungenfpige (Z)
ein wenig abwärts und zugleich den mittleren
Bungenteil etwas zurüd‘, wodurch fich Die Stimm:
rige in dem Zungenförper etwas öffnet. Durch
ftärferes Heben der Zunge mittelft des ent-
jprechenden am Unterkiefer verzweigten Mus:
fel3 wird hingegen ein Vorfchieben der Zunge
und hierdurch ein Verengern der Stimmrige be:
wirft. Es entdedt fich hier dasſelbe Geſetz, wie
an den Einfchnitten der Orgelpfeifen. Je feiner
und enger die Einfchnitte an denfelben fon:
317
ftruiert find, deſto höher fteht der Ton derfelben.
An der Nachtigall und Singdrofjel find die
Musfelvorrihtungen zur Zufammenziehung oder
Verengerung der Stimmriße ſtark ausgeprägt.
In der That gewahren wir in dem „Ziehen“
der Nachtigall auch jene prägnante Höhe der
Töne, und der Drofjelfchlag zeichnet ſich aus
durch jilberhelle hohe Laute und Paffagen.
Bei diefen und anderen Hauptfängern fpielt
die ganze Muäfelvorrichtung der fein organi:
fierten Zunge alle Augenblide durch heftiges
Vihrieren, Heben, Vor: und Zurückſchieben diejes
beweglichen Organes. Aber an dasjelbe ſchließt
ſich ferner die Luftröhre mit der bejchriebenen
Trommel und der Gabelverzweigung ebenſowohl
dienftbar als jelbjtthätig und mufifalifch für:
bernd an. Um nun das Movens diejer Vor:
richtungen fennen zu lernen, müfjen wir vorerft
die Zeichnung Fig. 3b nochmals einer näheren
erflärenden Betrachtung unterziehen.
An den Bändermusfeln um den unteren
Kehlfopf oder der Trommel (T, Fig. 3b) be:
finden fich beiderfeits jehnenförmige Musfeln
(m— m), von welchen rechts und links je einige
am Brujtbeine anhaften und fich in jchmaleren
(b—b) verzweigen. Mittelft Zufammenziehens
diejer Muskeln vermag der Vogel die Luftröhre
zu verfürzen refp. abwärts zu ziehen und unter
Hilfe der bänderförmigen Muskeln unmittelbar
an ber Trommel diefe zufammenzubrüden.
Neben den befferen unferer Singvögel ift
diefe Muäfelvorrihtung ganz bejonders aus:
geprägt bei unferem Stare. In Figur 5 habe
ich diefe merfwürdige Vorrichtung in ihrer brei-
ten Muskulatur um den unteren Kehlfopf in
natürlicher Größe abgebildet. Hier fehen wir
die Kontraftionämusfeln eine Strede weit an
der Luftröhre hinauf angelegt und eine ebenfo
ftarfe Musfelvorrichtung wie bei der Singdroſſel
fi) einerjeits anfegen an diefe Bänder, ander:
feitö an dem Brujtbeine ſich verzweigen.
In diefer Vorrichtung erklärt ſich der eigen:
tümliche Gejang oder vielmehr das Balzen diejes
einheimifchen Vogels, ſowie — nebenbei be:
merkt — das Schwaben vom Häher (Corvus
glandarius). Wenn der Star feine abjonder-
lihen Balztouren mit dem Anarren, Anappen
und Kneifen, das Blaufehlden (Cyanecula
suecica) fein dudelfadartiges Schnurren, ſowie
der Häher die myjteriöfen Schwaßlaute anheben,
fo ziehen fi) die furzen jehnigen Muskeln an
der Trommel mit den ftarfen an den faden—
318
förmigen zufammen, verfürzen die Luftröhre,
verengern die Trommel und prejlen die Luft
aus der leßteren abwärts in die Zungen und in
die mit derſelben verbundenen Luftzellen der
Brufthöhlung zwiſchen dem Gabelbeine. Um:
gefehrt wird die jo zufammengepreßte Luft einer:
jeit3 durch Verlängern der Luftröhre während
des In⸗die-Ruhe⸗Kehrens oder der Ausdehnung
der Kontraftionsmusfeln, andernteils durch Zu:
fammenziehen der Bauchmusfeln teilweife wieder
in die Trommel und Luftröhre vorgetrieben.
Durch dies abwechjelnde Spiel des Muskel—
apparates entjteht das charakteriftifche myſtiſche
Geflüfter der genannten Vögel. Beim Stare
vornehmlich ift diefe Thätigkeit der Singmuskel⸗
vorrihtung auch äußerlich ſchon fichtbar. Co
lange fein heimliches, täufchend bauchredneriſches
Balzen währt, fit er mit gefrümmter, einge:
zogener Kehle und aufgeblajener Brufthöhlung,
erſchallt aber das ſtoßweiſe fräftigere Anappen,
Kneifen und Schnalzen oder die nahahmenden
vernehmlicheren Rufe und Strophen, jo biegt
er ben Hals vor unter Aufblähung der Kehle
und Einzwängen des Schwanzes und unter
gleichzeitigem Zufammenziehen der Bauchmus—
feln; wogegen er entjchiedener den Hals redt
und den Schnabel weit öffnet, ſobald die lauten
Töne, wie der Schäferpfiff oder die grellen Zanf:
ftrophen hörbar werben.
Diefer Vorgang des Zurüdprefiens und
Vordrängens der Luft in Zungen und der Kehl:
vorrihtung bringt uns zu einer anderen merf:
würdigen Eigentümlichteit des Bogelorganis-
mus, Nicht allein, daß fich in den kleinen, mit
der hinteren Bruftwand verwachſenen, ſtark- und
weitzelligen Lungen neben den vielfachen hohlen
Räumen, ſowie dem jadartig gebildeten Zellen:
gewebe des Bruftraumes wahre Luftrefervoire
bilden (die ja neben den teilmeife noch Luft:
führenden, markloſen Knochen den Vogel zu
einem wahren Tiere des leichten Elementes ge-
ftalten), fondern der Atmungsprozeß geht auch |
noch ohmedies in einer umgefehrten Weife von
ftatten, wie bei den Säugetieren. Indem der
Vogeldurd Kontraktion feiner Bauch: und Bruft:
musfeln ein Ausftoßen der Luft aus Lungen und
Luftzellen bewirkt, erfolgt das bei den Säugern
mit Anftrengung verbundene Einatmen im Vogel:
förper mühelos, indem die zufammengezogenen
Muskeln durch Ausdehnung wieder zur Ruhe
fchren. Unfer erftauntes Ohr hört aud) des-
wegen die Nachtigall das berühmte „Ziehen“
Adolf Müller.
und „Tiefen“ in ihrem Gejange oft mehr wie
ein dußendmal, die Himmels: und Waldlerche
ihre Konzerte bei halbjtündigem Schweben und
Kreifen in der Luft unermüdlich ausführen.
Wir können nad) diefen zergliedernden Vor:
unterfuhungen und erläuternden Erklärungen
jet übergehen zur Schilderung des Charakters
des Vogelgejanges.
Diefer prägt fih, da er nad der Ausein—
anderjegung eingangs unferer Betrachtung ein
Produkt feelifher Empfindung ift, je nad) der
Gemütsftimmung des Yndividuums ungemein
verjchieden, mannigfaltig aus. Im Hinblide
darauf läßt fih der mufifalifhe Vortrag der
Vögel der äußeren Form und dem inneren Cha=
rafter nad) verſchieden betrachten und benennen.
Man unterjcheidet demnach die Produktion diefer
Naturkinder muſikaliſch-begrifflich als Schlag,
Lied und Gezwitſcher.
Der Schlag iſt ein mufifalifcher Vortrag von
furzer, abgebrochener, merfbar gegliederter und
Iprechender Ausprägung auf der Grundlage einer
entſchiedenen Leidenjhaftlichkeit, eines lebhaften,
ftarfen Temperamentes. Die Nachtigall, der
Sproffer, unfere Drofieln, die Heide: oder
Waldlerche, der Pirol, der Edelfinfe, Hänfling
und Stieglig bejigen in diefem Sinne einen
Schlag. Dem Schlag zur Seite ſteht das Lied,
eine mehr zufammenhängende, fließende, fing:
bare Form, getragen von einer ruhigeren, janf:
teren Gemütsbewegung. Das Lied ijt vorherr:
ſchend Iyrifchen Charakters, während der Schlag
oder jchlagartige Gefangesftrophen ſich einer
dramatijhen Ausprägung nähern. Von min:
derer mufifalifcher Bedeutung ift das Gezwit:
ſcher. Es entbehrt einer merfbaren Gliederung,
nimmt alfo durch vielfach verworrenes nein:
andergreifen von Tönen eine unbejtimmte, ver:
ihwommene Form an, welche jih noch erhöht
durch den Vortrag leifer, gewöhnlich auch höherer
Laute. Kommt hier die Gemütsbewegung nur
ihwad und undeutlich zum Vorjchein, jo erhebt
fich Lied und Schlag auf den gefteigerten Wellen
der Eimpfindung zum deutlich mufifalifhen Aus:
drude, Entzüden verfündend und ein Gleiches
in unferer Seele erwedend.
Es ift dargethan, daß das Gefangsvermögen
des Vogels eine freie Mitgift der Natur fei,
ähnlich wie das Talent und Genie des Mu:
fifers und Dichters unter der Menfchheit ſich
offenbart. Nur erjcheint ‘die Himmelögabe ber
gefiederten Wefen noch mehr von dem Hauche
Der Gefang ber Dögel,
bes Unmittelbaren durchweht. Sie ift deshalb
auch unveränderlicher, ein reines, unberührtes
und unverfälichtes Etwas, das feine „Kultur
beledt”. Aus dem reinen Borne der Natur
geihöpft und fortwährend von ihm genährt und
erfrifcht, erbt fi die Begabung fort und fort
von der Art zur Familie, von diefer zu Ge:
ichlechtern und Generationen als ein einiger,
ewig ſich verfüngender Gejang, als ein unjterb:
liches Lied. Aber nicht etwa bloß vom Vater
erlernt der Sohn feine Weiſe; nein, diefe eben ift
das ewig Unveränderliche, Urfprüngliche, das in
und aus ſich felber jo wunderbar und erftaunlich
ſich in feiner Reinheit erhält. Doc nur in der
freien Natur beſteht diefe Gabe der Unmittel:
barfeit, nimmermehr in der Gefangenichaft. In
diefer jtirbt der Keim des Urfprünglichen. Kein
junger, dem Neft entnommener Vogel gelangt
je auch unter der forgfältigiten Pflege und Er:
ziehung nur annähernd zur Volllommenheit
feines charakteriftiihen Gejanges, defien Ele:
ment allein der Odem der Freiheit it. Der
Zögling der Stube und des Käfigs verfommt
und finft herab zum talentlofen Stümper.
Der Vergleich unferer Naturweſen mit
menſchlichen Geiftesgaben und Verhältniffen
rückt immer und immer wieber dem Forfchenden
nahe. Diejer erkennt, wie bei feinesgleichen,
fo auch bei jeinen Brüdern in der Natur die
Thatſache, daß der Zuſtand des beglüdenden
Behagens, das höhere Stadium der Angeregt:
heit Grundbedingung zur Ermwedung des Ge:
fanges ſei. Wie der begeifterte Mufifer oder
Dichter erhebt fich der Vogel auf den Wellen
leiblicher und ſeeliſcher Harmonie im Jubel jeiner
fingenden Kehle, ein gottbegabtes Wefen. Das
Bild der von der Erdſcholle aufjteigenden Lerche
gibt ihm beredt die Wahrheit fund: der Körper
folgt aufwärts dem Wonne: und Jubelgefühle
der Seele mitden himmelhellen Weifen zur Wol-
fenhöhe.
Wir jahen, wie der Charakter des Vogel:
gefanges nad) dem Grade der individuellen Ge:
mütsverfafjung, dem Temperamente, fi als
Schlag, Lied oder Gezwitſcher kennzeichnet.
Aber auch nah) dem Tempo, dem Rhythmus,
ber Beugung und Form des Vortrages charak—
terifiert fi der Vogelgefang, was nachher ein:
gehender erörtert werben mag.
Verfolgen wir die Ausprägung der Ge:
fänge bei den verfchiedenen Sängerarten, fo
treffen wir hier eben wohl wieder auf viel Ana—
319
loges mit menschlichen Kunftzuftänden. Wir
ftehen auf Grund diefer Wahrnehmungen des:
halb gar nit an, auc hier wieder in dem
Rahmen unferer Betrahtung Menjchliches mit
Thatfählihen im Tierreihe in lebendigen
Vergleich zu bringen.
Alle Muſiker der Natur lafjen fich in zwei
großen Gruppen vereinigen und betrachten.
Die eine repräfentiert Durch ihre ureigene Gabe
die Originale, und wir bezeichnen fie durch dieſe
ausgeprägte Gelbftändigfeit in ihren Kunſt—
leiftungen naturgemäß und folgerichtig als
Driginaljänger. In ihre Bruft ift der Götter:
funfen des Urgefegmäßigen gelegt, aus dem
heraus fich ber jeder Art das bejondere Eigen:
tümliche zur höchiten Vollfommenheit der Natur:
poefie entfaltet. Die Vertreter der anderen
Gruppe darafterifieren fich entjchieden in der
Fertigkeit, Fremdes entweder durch treue Nach—
ahmungsgabe oder vermittelit geihidter Ver:
ihmelzung und Verarbeitung fih anzueignen.
Gemahnt uns diefe Gabe nit an das Pot:
pourri in unferer menſchlichen muſikaliſchen
Sphäre? Gewiß, es find diefe Künftler den
Reproduzenten in den Reihen unferer Muſiker
vergleihbar. Sie find Virtuofen, geichidte
Verarbeiter des Eigentümlihen, das fie den
Driginalmufifern, diefen Götterbegünftigten,
abgelaufcht haben. Sie find gegenüber ihren
begabteren Brüdern, den Driginalgenies, bloßen
Talenten oder Routinier gleihzuachten. Man
könnte fie Potpourri = Sänger oder Mifcher
nennen. Das Wolf hat fie bereits mit dem
Namen Spötter oder Spottvögel getauft.
Aus den Reihen unferer befjeren heimifchen
Sänger treten in die Gruppe der Driginale die
Nachtigall, der Sprofier, die Sing:, Schwarz:
und Mifteldroffel, der Pirol, die Feld: und
Waldlerhe, einige Grasmücdenarten, das Not:
fehlchen, der Fitis oder große Zaubvogel (Sylvia
fitis, Bechit.), der Baumpieper (Anthus arbo-
reus), der Zaunfönig, der Edelfinfe, Stieglig
und Hänfling. In der Gruppe der Potpourri—
fänger find die hervorragenditen einige ein:
heimische Würger, befonders der rotrüdige oder
Dorndreher (Lanius spinitorquus v. col-
lurio), die Baftardnadhtigall (Sylvia hippo-
lais), der Sumpficilfiänger (Calamoherpe
palustris) und unfer Star.
Zwiſchen diefen beiden Abteilungen befinden
ſich wohl Uebergänge, Hinneigungen von dem
einen zum anderen Genre. So mengen die im
320
ganzen überwiegend eigentümlichen Sänger, die
Ihwarzföpfige und graue Grasmüde (Curruca
atricapilla et hortensis), in ihr Gezwitſcher
Gejangstouren und Rufe anderer Vönel, wie
von der Singdroſſel, der Schwarzamfel, des
Pirol u. a. m., während wiederum 3. B. dem
Stare bei ‘feiner vorherrichenden Neigung zur
Nahahmung das Balzen eigentümlich ift. Doc)
alles in der Hauptjache betrachtet, fondern ſich
die genannten Wogelarten in die geichilderten
Grenzen.
Verfuchen wir nun den Reichtum der Vogel:
gefänge nad) der charakteriftifchen Ausprägung,
den Tonbeugungen, den Schattierungen und
Nuancen nad Form und inhalt zu Fennzeichnen.
Jede Driginal:Sängerart hat ihre ureigene
Meife, ihre Liedesform. Meift und treffend
fpiegelt fih in der mufifaliihen Ausprägung
das Weſen des fingenden Vogels ab, und da
das Temperament hauptfächlich den Grundton für
den Geſang abgibt, fo fommt die vorherrfchende
Eigenheit des Weſens, das Gepräge des Ge—
mütes bei vielen Vertretern der Sippen, ja
ganzer Familien zum Ausdrud. Die rapiden,
feurigen Finfen fennzeichnet der Geſang als
Allegro: und Prefto-Sänger. Die bedädtige,
einfame Schwarzdrofjel wählt zu ihrem Liebe
mit wehmütigem Anhauche das Andante, die
gewichtige, ſchwerfällige Mijteldrofjel das Largo
oder Yarghetto, das zarte Notfehlchen hält feine
feierliche Weife ebenfalls in ruhigem Tempo
und Rhythmus, der fich in rührendem Tremulo
dem Charakter der Elegie nähert. Der fenti:
mentale Baumpieper und der liebliche, ſanfte
Fitis verfinfen in der Wonne ihres Frühlings—
liedes in ein hinfterbendes Diminuendo der Se:
ligfeit. Der Pirol und die Singdroffel rufen
ihre melodiſchen, echoweckenden Rufe recitati-
viſch in die Wälder, während die lehtere auch
wieder mit den Meifterfängern unferer heimi:
fhen Fluren und Wälder fi an gar fein be:
ftimmtes QTempo oder irgend einen gleihmäßt:
gen Rhythmus bindet, fondern ihre reihe muſi—
faliihe Empfindung in den abwechjelnditen,
überrafhenditen Formen und Schattierungen
entitrömen läßt. Co die Königin des Natur:
geſanges, die ſich in der Begeifterung durch den
Schwung der Ode bis zur dramatifchen Ent:
faltung erhebt; jo der Sprofjer, der in der |
iprechenden Weije feines Vortrages das gewich—
tige Pathos des Kothurns erflimmt; fo die
Singdrofjel, die fih aus dem Recitativ in das
Adolf Mäder,
Uebermaß der Dithyrambe verjteigen kann; fo
die herrliche Feldlerche, deren Gefang die Lieb-
lichfeit der Idylle wie den Strahlenglanz des
Hymnus beherriht. — Selbjt in den unteren
Stufen unferer Singuögel behaupten viele ty:
piſche Selbitändigfeit. Wir erwähnen hier nur
die braven, draftiihen Mufifanten, die Meifen,
mit deren bejtimmtem, heiterem Weſen Rufe
und fangartige Bartieen treffend übereinftimmen.
Ein bedeutender Abftand von den Meijter:
fängern der Natur bildet der Uebergang zu den
Vertretern des Potpourri. Hier begegnen mir
der Produktion zweiten Ranges oder vielmehr
der Neproduftion. Wir empfangen die Weijen
nicht aus der Urquelle, fondern ein Erborgtes,
und hierzu gejellt fich auch noch der regenbogen:
farbige Charakter des Potpourri, der Mifch:
maſch eines bunten Allerlei. Zwar ift die Nach—
bildung bei dem hervorragendften Vertreter des
natürlichen Rotpourri erftaunenswert treu. Der
rotrüdige Würger zaubert uns aufs täufchendite
aus feinem oft bedeutend reichhaltigen Repertoire
von entliehenen Liedern, Geſangsſtrophen, Yod:
tönen und Naturlauten ein wahres mufifalifches
Panorama vor die Seele: denn mit den Ein-
drüden, die das Gehör empfängt, verkörpern
fih auch unferem inneren Auge die Weſen,
deren Stimmen fo ſprechend ähnlih wieder:
gegeben werden. Nein und äußerſt wohlklingend
läßt aud der Sumpfichilffänger feine reichen
Neminiscenzen vor unferem Gehöre vorüber:
gehen; aber es ift dieſes Neproduzieren einem
Scattenfpiele vergleichbar, das Bild an Bild
in einer ununterbrodhenen Reihe ohne Raſt und
Ruhe flüchtig hinwirft, um es ſogleich durd an:
dereö zu verdrängen. Die Baſtardnachtigall
verdirbt nicht wenig durch das Störende ihrer
freifhenden Laute, die fie plößlih in den
Schmelz ihrer ſchönen, harmonischen Pafjagen
bajazzoartig hineinwirft. Der Star endlich iſt
ein bauchrednerifcher Künftler, ein Muſikant, der
den Eindrud geteilt hält zwiichen treuer Nach:
ahmung und dem beharrlichen Bejtreben, feinem
ſchwachen Organe über die Schwierigfeiten, die
ihm die Nachbildung fo mancher Tonweiſen be:
reitet, Hinauszuhelfen, wobei er durch die großen
Anftrengungen, die er aufwendet, durd Auf:
blafen der Kehle, Einfneifen des Schwanzes,
Schlagen der Flügel und in der Efitafe aud)
bisweilen durch einen Liebestanz, eine komiſche
Seite bietet.
Aus diefer Skizzierung ſchon läßt fi er:
Der Gefang der Dögel,
jehen, daß der Vortrag eines Potpourrifängers
|
|
wohl unfere Bewunderung und unfer Erjtaunen |
erregen fann; wie der Geſang eines Original:
jängers aber vermag er und nimmer zu rühren
und zu begeijtern.
uns jedoch immer nod durch das Intereſſe,
welches wir an den Weſen nehmen, deren Wei:
fen uns fo täufchend vorgetragen werden, um
fo regeres Intereſſe, weil die Vortragenden
eben wohl ſelbſt noch wahre Kinder der Natur
find. Darum berühren uns diefe Reproduk—
tionen aud unendlich viel angenehmer als 3.8.
die Künftelei eines menſchlichen Mundes, der
Strophen einer Nachtigall oder Singdroſſel,
wenn auch gut, nachzubilden verfteht.
Co außerordentlich mannigfaltig und ab:
wechſelnd in Melodie und Harmonie, in Tempo |
und Rhythmus, in individueller Nuancierung
und Tonfarbengebung der Gefang der Vögel
fich erweiſt, nichtödeftomeniger läßt fich doch ein
Uebereinftimmendes in allen diefen Gefängen |
darthun: die Thatjache nämlich, daß fich die:
jelben ftet3 in Quinten und Terzen bewegen,
weil fie eben aus den natürlichen Grundtönen
diefer Charakter in den einfacheren Liedesfigu—
ren, Säten und Rufen unferer gefiederten Mu-
fifer aus. Miele diefer Weifen find wegen
ihrertreffenden Eigenheit auch populär geworden.
Der Bollsmund hat fie überjegt, ihnen Worte
verliehen. Mer fennt nicht den Tert zu dem
einfachen Liedchen des Goldammers: „Weißt
nicht, wo mein Nejtchen fteht?* Wer hört
nicht aus dem Minnellang der Kohlmeife die
Worte heraus: „Spitz' die Schar?” Diefe
beiden Klangfiguren mögen beiſpielsweiſe ge:
nügen; aber beide geben deutlih und treffend
den Tonfall abwärts in die Terze an bei den
Worten „ſteht“ und „Schar“.
Obgleich bei einer und derfelben Vogelart
das individuelle in verfchiedener Beugunga, Ab—
wechslung und Tonfärbung, felbjt im Rhyth—
mus fi kennzeichnet, jo hört fich doch der
Grundcharakter der Meife deutlich heraus. Wir
bemerfen dieſen Grundtypus noch bei zufammen:
gehörigen Vogelarten, bei den Vertretern gan:
zer Bogelfippen und Familien, wohl ein Finger:
zeig, daß fich in großen Zeiträumen aus einer
primitiven mufifalifchen Anlage heraus allmäh—
lich die Mannigfaltigkeit gebildet und verzweigt
bat, welche uns jett innerhalb vieler Sippen
und Familien im Gefange zu Gehör dringt.
H
’
Die Nahahmung feijelt |
321
Denn der Vogel ift — wie wir willen — ein
Individuum, ein feelifches Wefen, und da jchon
die Leibnizihe Behauptung wahr ift, daß Fein
Blatt dem anderen gleich jei, wie viel weniger
gebunden an eine Schablone, eine jtarre Regel
erfcheint das freie organische Einzelwefen. In
der That variiert und moduliert der Geſang mehr
und weniger individuell bei jeder Sängerart.
ja, e8* gibt befonders bevorzugte Individuen,
die es in ihren Leitungen weit über das ge:
wöhnliche Niveau der Fertigkeit ihrer Artbrüder
bringen, die fraft ihrer größeren Begabung ſich
zur Höhe der Erfindung erheben und neue Bil-
dungen und Formen im Gefange erringen. Die
merfwürdigen „Doppelichläger” unter den
Edelfinfen find befannt, und ein bevorzugter
Urahne derjelben war gewiß Bildner diefer aus:
gezeichneten Form gemweien, ſowie wir felbjt
einftmal3 einen originellen Edelfinfen gehört
haben, der, ganz abweichend von dem oft be:
ſchriebenen gewöhnlichen Doppelichlage, einen
ganz eigentümlichen Schluß feinem Gejange ver:
lieh, indem er das fchöne, ſprechende, oft ab:
wechſelnde Ende feines Schlages drei⸗, aud) vier:
fih zufammenfegen. Am deutlichiten fpricht ſich
mal hintereinander in vollem Crescendo wieder:
holte. Hören wir doch den Kudud in feinem
erotischen Eifer fihmwahrhaft überjtürzen, jo daß
ſtatt des zweifilbigen „Kuckuck“ ein mehrfilbiges,
bald zufammenhängendes, bald abgebrochenes,
verſchieden betontes und gefärbtes „Kududud“
erſchallt. Welcher Kenner des Vogelgeſanges
hätte nicht ſchon eine überrafhend neue Wen—
dung oder Beugung, eine ganz neue, noch nie
gehörte Strophe, eine Paflage bei einer Meijter:
jängerin Nachtigall plötzlich entdedt? Das ift
das Produkt der Begeifterung, der Haud vom
Augenblid des freien Schaffens, der ſich auch in
das Eleine VBogelherz jenkt, um neue Blüten des
Geſanges zu weden. Gewiß, dem aufmerf:
ſamen Naturfundigen ift es zweifellos, daß der
Vogel in befonders erregten Momenten ſelbſt—
thätiger Produktivität fähig iſt.
Neben der natürlichen Begabung ift es aud)
die landfchaftlihe Umgebung, die Natur feiner
Heimat, die bildend und ummandelnd auf das
leicht empfängliche Weſen des Vogels wirft.
Und fo fommt ein Nehnliches in dem muſika—
lichen Vortrage des Vogels zum Borfcheine,
| wie bei der menschlichen Sprade: der Dialekt.
Der Vogel des Gebirges fingt thatſächlich oft
anders als fein Artbruder in der Ebene, Die
tiefe Einfamteit, die abgefchlofiene, reine Natur
41
322
der Gebirgägegenden find ein anderes Medium
al3 die unruhigen, lauten Strihe des Flach—
landes. Hier tritt die Wahrheit des Goethe:
ichen Spruches in Aktion: „E3 bildet ein Ta-
lent fi in der Stille“. Und in der That, die
Singbroffeln der Gebirgshöhen haben dies uns
deutlich bewiefen, und in herrlicher Weife ver:
volltommnet, tönte uns dafelbjt das Lieb der
Feldlerhe zu Gehör. j
Noch iſt fich über die Zeit der Höhe bes
Vogelfanges zu verbreiten,
Wir haben im allgemeinen behauptet, daß
zur Erwedung des Geſanges das höhere Sta:
dium der Anregung, der Begeifterung gehört.
Diefe Anregung kann aus verfhiedenen Ur:
fachen entfpringen. Es wird manderfeitö von
der Teleologie fogar behauptet, daß die Regung
des Geſchlechtstriebes einzig und allein die Ur:
ſache des Gefanges fei. Diefe materialiftifche
Anfiht par excellence widerlegt der Vogel
durch fein Mefen und feinen Wandel felbit.
Diefe beweglichen, hochlebigen Kinder des
Augenblids, diefe Tiere des Lichtes und ber
Wärme — fördert nicht ein milder Blid der
Sonne, das Behagen nah einer reichlichen
Mahlzeit ihren Gejang, mie gegenteilig ein
rauher oder trüber Regentag, Mangel an Nah:
rung das Lied verjtummen läßt? Singen nicht
unfere Zugvögel, alt wie jung, beim herbftlichen
Sceiden in die Fremde? Aber freilich anders
ift da das Vogellied gefärbt. Es find Grüße
des Abſchieds, ein leifer Hauch der Wehmut
ipielt durd die Saiten der Bruft, und die
Liedesmweifen ertönen leife, gedämpft und abge:
brochen gleihfam als Neminiscenzen an die ent:
ſchwundene ſchöne Sommerzeit; — ober e3
find Klänge der erwachenden Wanberluft, die
fihh in die Strophen des Abjchiedes von der
Heimat belebend mifhen. Doch gleichviel,
welche Empfindung die vorherrichende ſei, die
Urſache des Geſanges zur Herbitzeit Fann feine
gejchlechtlihe Erregung fein. Sagen's dod)
auch manche unferer Standvögel, wie der Stieg:
(ig und Hänfling, der Zaunfönig und ber
Waſſerſtar mit anderen, die mitten im Winter
bei freundlihen Sonnenbliden ihre lieben mun—
teren Stimmen erheben!
Gleichwohl — erllären wir nad dieſer
Miderlegung irrtümlicher extremer Behaup:
tungen auf Grund der fprechenden Thatſachen
— gleihwohl ift das allgewaltige Gefühl der
Liebe das Hauptmotiv des Vogelgefanges. Und
Heinrich Noõ.
was Wunder, wenn hier eine ſelige Empfindung
die andere weckt! Des Frühlings ſiegende
Macht führt den befiederten Wanderer aus der
Ferne in die ſehnſüchtig erwartete, lang ent—
behrte Heimat, die Liebe erwacht mit ihrem
überwältigenden Zauber, und diefe Gefühle ver:
einigen fi zu einer hohen Seligkeit — wie
natürlih, wenn diefe die Herrlichiten Blüten
des Gejanges erzeugt!
In lebendiger Erinnerung an dieſe zaube-
rifche Epoche der Natur wiederholen wir unfere
eigenen, ſchon früher ausgeſprochenen Worte
über diefen Gegenſtand: „Eine der herrlichſten
Entfaltungen des Naturlebens ift der Geſang
der Vögel. Oeden beleben fi durch feinen
Zauber, und oft ftrömt Trojt und Frieden in
die franfe Seele des Menfhen bei dem Klange
der Melodieen diefer Himmelskinder. In jedem
empfänglichen Gemüte flingen deshalb auch die
Saiten fympathetifcher Liebe auf für diefe herr:
lihen Geſchöpfe. Diefe Liebe, pflegen und
hegen wir fie fort und fort zur Erhebung und
Zäuterung unferer Seelen!”
„Und wie nad) hoffnungslofem Sehnen,
Nach langer Trennung bittrem Schmerz,
Ein Kind mit heißen Neuethränen
Sich ftürzt an feiner Mutter Herz;
So führt zu feiner Jugend Hütten,
Zu feiner Unfchuld reinem Glüd,
Bom fernen Ausland fremder Sitten
Den Flüchtling der Gefang zurüd,
In der Natur getreuen Armen
Bon kalten Regeln zu erwarmen.”
Im finflern Wald.
Bon
Seinrih Moe,
[8 dem Menſchen noch findliches Bewußtſein
innewohnte, lebten feine Götter nicht in
Häufern, die er ſelbſt gezimmert hatte. Er er:
blidte fie auf den Höhen der Berge, wo fie
dem Himmel nahe waren, von deſſen Erjchei:
nungen oft fein Wohl und Wehe abhing. Die
Wolfen der Gipfel dienten ihnen als Sig und
Vorhang. Oder fie wohnten in der Nacht der
Erde, in unnahbarem Dunkel der Höhlen, von '
wo fie wunderlihe Stimmen vernehmen ließen.
Im finſtern Wald.
323
Dft auch date er fi diefelben in der Däm: | ihre Gepflogenheit und Sinnesart mittlerweile
gänzlich umgeändert hat.
merung der Wälber.
Er fcheute, verehrte die Gewalten, die ihm
|
Götter waren, zu fehr, als daß er fie fi in |
der Beichränfung von vier Mauern und einem
darüber geſetzten Dache hätte vorjtellen können.
Ansbefondere mochte er das Anrühren des
Menſchen an die Behaufung freier und mäch—
tiger Weſen als Schändung betradhten. Das
Anfaſſen der Natur durch den Menjchen, wel:
her Zmwede der ihm vorſchwebenden Nütlichkeit
verfolgt, ift unreine Berührung. Ob dieje Be:
rührung notwendig ift oder nicht, wird nicht in
Berüdfihtigung gezogen. Noch heute regt ſich
ähnlihe Empfindung in jedem Menjchen, der
von der Bildung noch nicht um altes Erbe ge:
bracht ift. Eine Bergipise, auf welde noch
niemand feinen Fuß gejeßt, eine Höhle, deren
atlasjchillernde, blühweiße Stalaktiten nie der
Rauch der Fadel einhüllte, einen Wald, defien
Wachstum nie durd die Schärfe des Eijens
unterbrochen wurde, ſchaut er anders an, als
überlaufenen Boden.
Humboldt fhildert uns den Eindrud des |
Urwaldes der neuen Welt als einen mächtigen, |
weil ungezählte Meilen weit in der Runde ſich
fein Menſch befindet.
Es drängt fih in der
Unabfehbarfeit diefes grünen, wuchernden Lebens
dem Wanderer die Ahnung auf, als ob der
Mensch, der fi ala den Mittelpunkt der Welt
hinjtellt, nicht notwendig in deren Ordnung |
gehöre, oder, anders gejagt, daß ein end= und,
nad) unjerer Weiſe zu benfen, auch zwedlojes
Meben und Geſtalten fortgeht, ob es Leute
gibt oder nicht. Uebrigens lernen wir ja das
auch aus der Gejhichte der Erde, ſowohl der
Vergangenheit, als der vorausfichtlichen Zukunft,
daß die Erſcheinung des Menſchengeſchlechtes
auf derſelben nur als Epiſode, als ein Traum: |
umriß unter zahllofen anderen zu betrachten jei.
Wie im Angefichte des Urwaldes, fo aud)
in dem des Meeres zeigt es ſich, daß der
Eindrud auf der Herrlichkeit der Natur beiteht,
an welcher der Menſch nichts geändert hat.
Denn
.... ten thousand fleets sweep over thee in vain.
Darum ſpricht man von der heiligen Salz:
flut und darum auch vom heiligen Wald.
Es ift wunderlich zu jehen, wie nad) unbe-
ichreibli langen Zeitläufen die Menfchen in
alte Neigungen zurüdfallen, wenn gleich ſich
|
In uralten Zeiten pilgerten Andächtige
den Wohnungen der Götter, hohen Gipfeln,
entgegen. Von den „vier Wo“, den vier Bergen
in China an, auf welchen der Kaifer alljährlich
dem Schang Ti opfert, bis zum Tempel des
Pofeidon auf ſchwindelndem Borgebirge helle:
nifcher Küfte und den Klüften des hohen Büßer—
berges Montjerrat, gingen ungezählte Scharen
nad weihevollen Höhen, um dem Weberirdifchen
näher zu fein. Der moderne Menfh, folder
Empfindung ledig, hat das Erflimmen der
Höhen als Beluftigung wieder aufgenommen.
Er freut fich des weitern Blides und der vielen
Gipfel, des großen Stüdes von Erdenrund,
welches er überfchaut. Ihn bewegt der Gegen:
ja zwiſchen der alltäglichen Einfchränfung in
der Tiefe und dem großen Bild, das er leib-
haftig jchaut. Mag fich die Form des Denkens
verändert haben wie immer, Höhendienft it
auch dies, Der Unterfchied zwiſchen dem Tiroler
Bauern, der nad) dem herrlichen Weißenſtein
empor pilgert und dem Touriften, der irgendwo
auf einem Gipfel feine Landkarte entfaltet und
feinen Kompaß zurecht legt, um das „Panorama
feitzuftellen“, geht nicht bis in das innerite
Weſen der Sadıe.
So verhält es fi) auch mit der Verehrung
des Waldes. Nah einem Kreislaufe vieler
Jahrhunderte leben abermals für viele Men:
ihren, welche der gebildeten Melt angehören,
die Götter nicht in Kirchen, das heißt Häufern.
Viele Naturverehrer unferer Tage, welche ihre
freie Zeit auf Spaziergängen über Berge und
durch Mälder hinbringen, äußern fich oft dar:
über, nicht ohne eigenes Selbſtbewußtſein, das
an die superbia spiritualis des Betbruders
erinnert. In Aufjägen und Gedichten, in Ein:
tragungen in Fremdenbüchern beliebter Sommer:
frifchorte lieft man, daß die Verfafjer „ihren
Gott nit in finftern Kirchen ſuchen“. Auch
der „deutiche Gott” wohnt, wie wir von unferen
Lyrifern wifjen, „nicht in Tempeln dumpf
und tot“,
Kehren wir zur Betradhtung der Empfin:
dungsweiſe des einfachen, unverfünftelten Men-
ſchen zurüd.
Die ältejten Götter find elementare Ge-
walten. Wenn man fie verförpert, fo ziemt
ihnen der Aufenthalt im ungebändigten Raum,
die Freiheit.
324
Darum vernahm der Menſch ihre Gegen:
wart, ihren Atemzug im Raufhen der Blätter
des Waldes, welher vom Wind bewegt wird.
Sein Duntel war es bejonders aud, welches
zum Eindrud geheimnisvollen und unnahbaren
Maltens beitrug. Wir Europäer können uns
dasfelbe nicht ohne weiteres vorjtellen, weil
wir in unferen Ländern hinfichtlih des Wal:
des faft nur Beifpiele einer ausgebeuteten Natur
vor Augen haben. Um uns eines derjelben
vorzuhalten, fteht dort der Markt Landeck in
Tirol, wo vor fehähundert Jahren das Heilig:
tum von „Unjer Lieben Frau im finjteren
Wald“ im Dunfel der Aeſte von Fichten ge:
borgen war, deren Didiht Wölfen und Bären
ein Obdach bot.
So galt der
Wald als Stät⸗
te der Götter,
als dieſe noch
formloſe Ge—
walten, Weſen
ohne Umriſſe
waren. Aber
auch ſpäter,
nachdem ſie
ſchon beſtimmte
tier⸗ oder
menſchenähn⸗
liche Geſtaltung
angenommen
hatten, ließ man ſie noch immer ihre Lieblings—
wohnungen in Wäldern aufſchlagen.
Im hartnädigen Feithalten diefer Vorftel-
lung erfennt man gleichwohl ſchon den Weber:
gang vom Pantheismus zur Vielgötteret.
Der erjtere ijt in Erinnerungen noch feines:
wegs völlig verweht. Die Ueberlieferungen des:
felben find allerdings verfümmert und zufam:
mengeihrumpft, aber nicht vertilgt. Ja, als
die vielen Götter zu gunſten eines einzigen
verbannt worden waren, ift die Spur folcher
Vorftellung noch immer nicht verwifcht. In
Tirol und Bayern allein befindet fich noch heute
ein Dutzend chriftlicher Mallfahrtsftätten, die
vereinfamt mitten im Walde jtehen. Won jol:
hen feien erwähnt: St. Georgenberg, Maria
Tar (Fichte), Marta Yard (Lärche), Waldraft,
Weißenſtein, San Nomedio, Unfer liebe Frau
im Walde, Maria Eich bei München.
Noch in fpäteren Zeiten, als die einft un:
faßbaren Elementargötter fih insgeſamt ſchon
Geinrich Noẽ.
in eine oder mehrere ganz bejtinnmt umſchrie—
bene Perfönlichfeiten umgewandelt hatten, be:
gegnete man ihnen noch immer in Wäldern.
Vielleicht hält man das für zufällig. Daß
dem nicht fo fei, erfennt man aus dem Zorne
der Monotheiften über die Andachten im Walde,
Diefe fühlten, daß es fich hierbei um einen
Nachklang von etwas Heidniſchem, de3 Glaubens
an die Einheit von Welt und Gott, oder der
jpäterhin aus ihm hervorgegangenen Berförper:
lihung der Naturgewalten, alfo der heibnifchen
Vielgötterei, handle.
Wir finden in den heiligen Büchern der
Menſchheit manchen Beleg hierzu.
Der Prophet Hejekiel läßt Jehovah allen
denen ihr Ver:
derben anfünbi-
gen, welche
„unter grünen
Bäumen und
diden Eichen“
füge Rauch—
opfer darbrin-
gen. Dem Volke
Israel lieft Je:
remias den
Tert, weil es
„unter grünen
Bäumen“ der
Ausihweifung
nachgehe. Se:
ſaias fagt: „Die Sünder müfjen zu fchanden
werden an den Eichen, an denen fie Luft haben.“
Wir werden uns nicht täufchen, wenn wir
auch den Eifer mander Priefter bei uns, mit
welchem fie jonntäglihe Spaziergänger tadeln
und biejenigen für Sünder erklären, die ſich
in Feld und Wald ergehen, ftatt in der Kirche
zu fißen, für einen im Weſen verwandten Zug
halten. Diejes Eifern ftammt aus gleichartigen
Beweggründen.
Die Vorſtellung, welche das unüberſehbare
Leben eines unverſtümmelten Waldes mit der
Macht der Gottheit, der Weltſeele oder dämo—
niſcher Einzelweſen in Verbindung brachte, geht
ſicherlich aus einer Auffaſſung der Dinge her—
vor, welche eine urſprüngliche iſt und ſich einem
naiven Sinn unmittelbar aufdrängt. Es be—
greift ſich leicht, daß ein ſolcher die mächtigſten
Herren im undurchſchnittenen, ungebändigten,
vielſtimmigen Wald wohnen läßt.
Unter den europäiſchen Völkern hat ſich
Im finflern Wald
pantheijtiiches Fühlen am ftärkjten und längſten
in Germanen und Slawen und ben mit ihnen
verwandten Preußen und Litauern erhalten.
Unter diefen Völkern finden wir im Altertum
die meilten heiligen Wälder und in unferen
Tagen am ausgefprodenften die Feſtfreude am
Grünen. Als die Völker Italiens in Tempeln
opferten, fchritten diefe ins Dunfel ihrer Mäl:
der und wenn ber heutige Italiener, um fpa:
zieren zu gehen, feinen Weg nad dem Korfo
einfchlägt, ziehen die Nachkommen jener mit
Kind und Kegel in die Ueberrefte des Eichen:,
Buchen: oder Tannen-Standes, den der Fort:
ihritt bis heute noch mit feiner Art ver:
ſchont hat.
Dort, wo der Pegelfluß der Ditiee zu:
ftrömt, waren fhattendunfle Laubwälder. Als
über den Süden von Deutſchland ſchon bie
lateinische Kultur hereingebrocdhen war, ala am
Rhein ſchon Dome prangten und Kaifer in der
dämmerigen Glorie der Münfter vor byzan-
tinifhen Idolen Inieten, enthielt dort, dem
325
fämtlihe Heiligtümer.
— Zu Rıfaitaim Sam:
land war ein hochbe:
rühmter Götterwalb, ein
Didiht von Eichbäu—
men. Mitten unter
ihnen hauften die Göt—
ter. Einen Tempel barg
der Wald nicht und die
Scheu, die der Menſch
jenen entgegen bringen
foll, war dadurch ver:
finnbildliht, daß das
Betreten des Waldes
mit Tod bejtraft wurde.
Am langen Nite
einer Eiche hing das
Holzbildnis des Perku—
n08. Zwölf mit roter
Farbe gemalte Flammen
waren feine Krone. Den
roten Blitzſtrahl hielt er
in der Hand. Unter ihm
brannte unabläffig ein
Feuer, genährt mit Dem Holze von Eichen. hm
zugewendet trug ein anderer Aſt die freund:
lichere Geftalt des Potrimpos, dem Aehrenopfer
aefielen. Unter ihm nährten fie eine Schlange,
die mit Aehren bededt war. Am dritten Aſt
befeftigten fie das bleiche Geſicht des Pikullos.
Das Blut der geopferten Menfchen und
Tiere erhielt die Eiche grün. Wer nun aber
fah die Geheimnifje der Waldnacht? Weder
das Volf noch der Fürft. Nur der Priejter.
Als Opfer fiel, wer den Fuß über den Wald:
faum fegte. Nicht einmal die Guze, die wohl:
wollende Göttin, welche den Wanderer in den
Waldfchreden des finftern Preußenlands ge:
leitete, vermochte den Verwegenen zu retten.
In allen deutfchen Landen waren Götter:
wälder, wenn gleih, im Gegenfate zu denen
der Preußen, ohne Bilder, Wir erinnern uns
aus Tacitus der heiligen Haine, der Semnonen
und Nahenarvalen, In Ortsnamen hat fid
ihr Andenken bis auf den heutigen Tag er:
halten. Keine Art durfte fi ihren Stämmen
nahen. Die freiheit der Natur, die fich hier
in unabjehbarer Fülle gejtaltet, galt als heilig.
Dem Germanen bdeuteten Saftfülle und
Blättergemölbe und Dunfel das Leben und zu:
Georgenberg
gleich das Geheimnis an, in welchem es auf:
preußifch:litauifhen Stamm, der Wald nocd | feimt und vergeht.
326
Mer einen Gegenfat zwiſchen ben Vor:
ftellungen jener alten Völker und unferer Ge:
pflogenheit jehen will, ftellt fi) folgendes vor.
Auf einem Eiland der Dftfee tft der Boden
von dichten Mäldern bejchattet. Sie find ſchnee—
bedeckt. Durch die weißen, minterlihen Ge:
wölbe bringt Fadelglanz. Es fnarrt ein mäch—
tiger Wagen. Auf diefem ist, menichlichen
Bliden nit erkennbar, die den Abionen und
Angeln heilige Nerthus. Prieſter mit Lichtern
und Miftelzweigen begleiten die Herrlihe auf
ihrem Ausfluge zu den Menſchen. Auch hier
naht nur das Gemweihte dem Walde.
Zwanzig Yahrhunderte fpäter. Niemand
fcheut fih vor dem heiligen Walde der Ner:
thus, Tritt man ihm nahe, fo erblidt man
(vor 20 Jahren war es fo, vermutlih auch
noch heute) eine Tafel, auf welder folgende
„Warnung“ gefchrieben fteht:
„sn diefem Walde darf man nur in Be:
leitung eines Fürftlih Putbusichen Forſtauf—
fehers zu fünf Silbergrofchen die Stunde um—
hergeben.“
Als merkwürdig fann gelten, daß die Woh:
nungen, welche fpäterhin von Menfchenhänden
den Göttern errichtet wurden, nicht (mie es
fonft in Gejtalt, Nede und Handlungsmeife der
mächtige Anthropomorphismus that) nad) dem
Urbilde der Menſchen, die menfchlichen Woh—
nungen nachahmten, fondern die Höhle und
den Wald. Gin Ueberreit alter Anfchauung
hat hier, gewiß unbewußt wirfend, die Bau:
meijter geleitet.
Man hat es geleugnet, daß der gotische
Bauftil als Nahahmung des Waldes zu deuten
fei. Wie man aber bei den Bauten zu Ele:
fanta an die Höhle dachte, jo muß im Gehirn
defien, der für jenen erfann, ob er fich die
Empfindung far zurecht legte oder nicht, das
Bild des Waldes vor allem anderen deutlich
gewejen fein. Das ift augenſcheinlich. Wir
finden im Säulenwerk Schäfte, Baumftämme,
Blumen, Ranten. Oben jhliegen fie fih zum
Gewölbe des Urmwaldes zufammen, Zu den
Fenftern fommen Streifliter wie durch die
Zwiſchenräume hohen Geäftes in den Wipfeln
herab. Die wenigen Strahlen, die eindringen,
werden durch farbige Gläfer gedämpft. Die
Menſchen draußen, die fich mit der Welt ab-
mühen, haben das gewöhnliche Tageslicht, da-
mit fie ihre Arbeit verrichten können. Dieſes
ift aber nichts nütze zur Ergründung der tief:
Heinrich Noß.
ften Geheimnifje. Die Myftif, worunter man
einit das Erfaſſen verborgenfter Wahrheiten
und das Schauen in die Urquellen der Dinge
verftand, hat ihre Bezeichnung von einem Worte,
weldes an bie Hinmwegnahme des gemeinen
Tageslichtes erinnert, pöco, ich verſchließe Die
Augen.
Die Götter wohnen dort gern, wo es feine
Menſchen gibt. Wo fie fich niederlafien, gibt
es den Begriff des Nutzens nicht, der über den
Menfhen Gewalt hat. In ihren Wäldern
wird man deshalb weder Bauholz ſchlagen noch
Kohlen brennen fünnen.
Noch mehr. In jenen Ländern des Südens,
in denen es aus mancherlei Gründen mit dem
Waldwuchs nicht fo üppig beitellt war, wie im
quellenfriichen Norden, ſchuf man den Göttern
Haine, pflanzte Wälder um ihre Heiligtümer
herum. Asklepios und Demeter wohnten ſtets
unter Bäumen, ebenſo Artemis, die Furien, die
Eumeniden. Aber die Bäume diefer Haine
waren niemals fruchttragende, nutbringende.
Nur auf Schönheit und Schatten wurde gefehen.
Es ziemt dem Haufe eines Gottes nicht, daß
e3 Zinfen trägt.
Als fich die Kamönen auf der Erbe nieder:
ließen, wählten fie einen Wald beim Quell
Egeria, der nur aus Palmen und Lorbeer be:
ftand. Der Nuten blieb ftets von der Vor:
jtellung des Göttlihen getrennt, weil es der
Mensch ift, der ihm nachjagt.
So war es überall. Hingegen mußten bie
Perſer von einem ſehr nugbringenden Baum zu
erzählen. Derjelbe hieß Gogard. Aber er ver:
edelte die Menfchen nicht, wie der unfruchtbare
Lorbeer die Stirne, die er umſchlingt, zu den
Himmlifchen hinanhebt, ſondern befriedigte alle
Bedürfniffe und Wünfche feiner Befiger. Dieſe
aber wurden dadurch blöde und ftumpflinnig.
Wir fehen im Verlaufe der geichichtlichen
Entmidelung folgendes. Der Menſch „verfei:
nerte” ſich allgemah. Alsdann fuchte er die
Wohnungen feiner Götter nicht mehr in ben
Schauern unberührter Wälder. Er baute ihnen
Paläſte, ſchmückte fie mit Kojtbarfeiten und
ahmte den Wald in fteinernen Säulen nad).
Bon Prieftern wurde er gelehrt, Edeljteine und
Goldplatten zu verfchwenden. Man nimmt es
jedody wohl wahr, daß die alten Vorftellungen
auch dann nod nicht fi völlig verflüchtigt
hatten. In feinem Innerſten trennte der Menſch
noch immer nicht das Göttliche von der grünen
Im finftern Wald,
Welt, die bejtändig zu ſchlafen fcheint und doch
bejtändig blüht, zeugt, ftirbt und auffeimet.
Nachdem es in Indien ſchon jahrhunderte:
lang Tempel gegeben, die wir als Ueberein-
anderhäufungen von fteinernen Pilaſtern, Pyra—
miden, Elefanten, Lotosblumen, Niſchen, ſitzen—
den und ſtehenden Göttern kennen, ſuchte das
Volk ſeine heiligſten und weiſeſten Männer doch
nicht innerhalb ſolchen Gemäuers. Die Büßer
und Anachoreten, welche durch die Macht ihrer
Askeſe ſelbſt den Urbildern der ſteinernen Göt—
ter gefährlich werden, ſo daß dieſe ſich vor den
Büßern und ihrer Gewalt fürchten, halten ſich
in Wäldern auf,
Der weife Närada tft ein Waldheiliger und
Näma, die berühmtefte Verlörperung des Got:
tes Wiſchnu felbit, ging in den Wald. Sehr
verwandt damit find manche Vorjtellungen der
Einwohner unjerer Gebirge.
Hier und dort, beiſpielsweiſe auf Brettfall
im Zillerthal, in der Naifſchlucht bei Meran,
auf dem Monte Baldo, führen noch ehrwürdige
Waldbrüder ein paläontologifhes Dafein. Sie
ragen als verlorene Spätlinge aus einer ver:
gangenen Welt in dieſe unferige herein. Mit
dem Genuß des murmelnden Quells, dem La:
ger auf duftigem Moos, der Nahrung von
Wurzeln und Kräutern und dem Wohnen in
einer aus Baumrinden gebauten Hütte, welche
ihönen Sachen wir aus manchem Ritterroman
fennen, nehmen fie es freilich nicht allzu genau.
Gleichwohl haben fie Zulauf von Männern,
noch mehr aber von Weibern. Man übertreibt
nicht, wenn behauptet wird, daß wenig Prälaten
folde Ehren zu teil werden, wie diefen ver:
meintlichen Betern des Waldes.
Aber auch viele diefer Tempel felbit hat
man, wie oben angeführt, wieder in Wälder
und Haine geitellt. Insbeſondere gilt dies von
Asflepios, dem Gott der Gefundheit, der ſtets
außerhalb der Städte, in dichtes Laubwerk hin:
ein, angeſiedelt wurde. Dies ift ein Winf, der
in anderer Hinficht auch an uns nicht ganz ver:
loren fein ſollte.
In der fpäteren gefchichtlihen Zeit hatten
die Völfer nicht einmal vor Tempeln fo viel
Scheu, als in den älteren Tagen unjeres Ge:
ihlechtes vor den gottbewohnten Wäldern auch
der Barbaren.
Deutſche Landsknechte bejudelten die gold—
glänzenden Kirchen Roms. Franzoſen ſpielten
im ehrwürdigen deutſchen Dome mit den Köpfen
327
der Kaiſer Kegel und ſchleppten Dirnen in
Notredame als Göttinnen vor die verachteten
Altäre. Dem gegenüber ſoll daran erinnert
werden, wie die Römer vor geweihten Wäldern
barbariſcher Wölfer Furcht empfanden. Die
nämlichen Römer, welche die Tempel von Kar—
thago und Korinth niederbrannten und den der
Epheſiſchen Artemis plünderten, wagten es nicht,
die Art an Bäume zu legen, mit welchen eine
ihnen unverftändliche Gotteöverehrung verbun:
den war. Als Cäfar, der in der Nähe von
Maſſilia ftand, feinen Soldaten befahl, Brenn:
holz in einem Walde zu holen, welcher einer
der Gottheiten eines galliichen oder liguriſchen
Stammes geweiht war, verweigerten fie den
Gehorfam.
Schr merfwürdig muß es uns erfcheinen,
daß ſchon die Mythe der Alten den Fluch vor:
ausfah, welcher auf die Verwüſtung der Wälder
gejegt ift. Die Erzählung vom Schidjale des
Emfichthon ftellt uns diefen Fluch wie in einem
Gefichte vor Augen.
Erpfihthon will einen Hain der Demeter
zerftören. Schon hat er eine Eiche niederge-
jtredt und das Blut der Dryade fliegt. De:
meter, die Göttin der frudhtbaren Erde, des
Landbaues, ftraft ihn alsbald, indem fie den
Hunger aus feinen Schlüften im fahlen Ge:
birge herbeiruft. Diefer weht mit feinen fleder-
mausähnlichen Flügeln den Frevler an. Er tft
ihm verfallen. Derjenige, welder diefe Ge:
ichichte erfonnen hat, jhildert uns, gewiß; ohne
eine Ahnung von der fchredlichen Wahrheit ſei—
ner Fabel zu haben, das Scidjal jo vieler
Länder der alten Welt, das von Nord-Afrika,
von Sizilien, von Baläftina, von Spanien und
das Elend der Karftländer vom Laibacher Moor
bis nach Albanien hinab.
Dem Auge des Dichters gehören Klare Flut
und dichter Wald zuſammen. Aber nicht nur
für die Bifionen eines Schwärmers befteht diefes
Nebeneinander. Die beiden Erſcheinungen find
auch durch den gejegmäßigen Zufammenhang,
der zwiſchen Urfache und Wirkung befteht, mit:
einander verbunden.
Umftände, die auch von unferer Nusjtreb:
famfeit nicht aus dem Gefichte verloren werden
dürfen, bedingen diefelben wechjelfeitig. Sie ge:
hören zufammen wie Fichtendidicht und Maffer:
fälle in den Gemälden Alberts von Everdingen
oder Baummildnis und mondbeſchienene Bad):
wellen in den Schöpfungen des Ruysdael.
328 Beinrich No&,
Wenn wir in Bildern reden und die Natur | das Auge der Erde. Das eine ftirbt mit dem
als ein belebtes Weſen betrachten wollen, fo | anderen.
empfinden wir im Walde den Atem, im Maffer Faſt ein Gefühl der Schadenfreude mill
— Rn
Dalbeinlamteit.
uns amvandeln darüber, daß auch dem Künftler | zu Eismagazinen für Bierfabrifen und Berg:
mit feiner „Empfindfamfeit“ fein Recht wird. | feen zu Mafferrefervoirs für Spinnereien maden.
Das heutige Menſchengeſchlecht will die Gletfcher | Der Wald ift ihm ein Holznußgarten, defjen
Im finftern Wald,
jährliher Zuwachs an Kubifmetern fih auf Ta:
bellen überfehen läßt. Sehr viele Engbrüftige
(worunter nicht Ajthmatifer zu verjtehen find)
halten die ftädtifche Anlage für ſchöner. Der
Wald kommt in Bezug auf Holz- „Jnduftrie“ in
Betracht. Vielleicht auch noch, da die Menſchheit
immer mehr aus Kranken zu beftehen anfängt,
erjcheint er zur Fichtennadel-Inhalation tauglich).
Indeſſen hält man jeßt zur Heilung ber
Lungengewebe, welde durd die Mühen und
Thorheiten des Lebens in civilifierter Luft ver:
eitert find, den Nermiten als Surrogat der
MWaldluft „Konifereniprit” unter die Nafe.
Bald wird man den Atem des deutihen Wal:
des, dejien Stimmen, als denen der grünen
Wohnung der Götter unfere Ahnen ehrerbietig
laufhten, in der Weſtentaſche herumtragen.
Dann blidt man nicht mehr auf den rohen Bo:
den, den Blumen, Moos und Farnfräuter oder
die bunten Schwämme, die „Elfenjtühle“, be:
deden, jondern auf das aus dem Eſſenzen—
fläſchchen getränfte Taſchentuch. Der Wald
will dem Polizeimenſchen nicht mehr zu Gejicht
stehen, er ſchaut veraltet diefes Geſchlecht mit
feiner eingefhrumpften Einbildungsfraft an,
welches ihn für ein Weberbleibjel roher und
unbetriebjamer Zeitläufe halten möchte.
Mas gejchieht jedoch im Angeficht diejes
aufgeflärten Geſchlechtes?
Seine Gelehrten beginnen ihm vorzurechnen,
daß immer weniger und weniger Wafjer feinen
Rädern und Walzen zuläuft. An allen Flüffen
unferer Kulturländer wird die gleiche Erfah:
rung gemadt. Schwindendes Vermögen der
Rinnfale und plößliches Ueberftrömen derjelben,
magere Flüfje und mächtige Ueberſchwemmun—
gen: das ijt das Vermächtnis der verſcheuchten
Maldgeifter.
Die geduldige und mifhandelte Natur
hebt aus zum Schlag gegen die Kalkulatoren.
Wie aus den Göttern Helden, aus den
Helden, den Halbgöttern, Kriegsmänner und
Vorfämpfer geworden find, fo blieb, nachdem
das Göttliche des Waldes geſchwunden, ihm
ein ariſtokratiſcher Anhauch.
Bei jeder Umwälzung richtet ſich die Wut
der Zerſtörer gegen den Wald und ſeine In—
ſaſſen, das Wild. Oft hat man ausgerechnet,
wie viele Familien auf den Gründen Englands
leben fönnten, welche dermalen mit Eichen und
Buchen bededt find, von denen mander Wipfel
die Normannen Wilhelms des Eroberers be:
329
ſchattet hat. Sicherlich wird der Fortichritt die
Zeit herbeiführen, in welcher das alles zu
Gunften der Kartoffel parzelliert wird.
Das ift der Sieg der Aufllärung über die
Werthaltung des Waldes. Aber mit der Kar:
toffel und dem Branntwein bricht das Gefpenjt
des Eryſichthon aus dem entwaldeten Gebirge.
Gleichwohl dürfen wir nicht ableugnen, daß
fih hier und dort Spuren einer Empfindung
davon erhalten haben, wie mit dem Walde
Herrliches zu Grunde gehe. Allerdings vielmehr
unter dem Volfe, welches freies Land bewohnt,
weniger unter den Städtern. „Seit fo viele
ftudierte Leute zu uns fommen, wird das Holz
immer weniger und die Armut nimmt zu,“
hört man von den Leuten des Berges jagen.
Dft vernimmt man beim abendlichen Feuer Er:
zählungen, welche an die verfchollenen Wald:
jchmieden der deutjchen Sage erinnern, Man
glaubt Funken fprühen zu ſehen und den Badı
und Wald raufchen zu hören. Da Elingt es wie
Nahhall des Canges von Widlane, dem
Schmied, dem Treiben der Zwerge in der
Wildnis und dem Sturze der Waſſer, welde
den Riejenbalg in Bewegung ſetzen.
Gerne wenden fi) die Beitalten des Mär:
chens dem Walde zu. „In einem großen Walde
war's“ — fo beginnt die Erzählung. Wir
fühlen, daß, den Gemütern des Erzähler und
der Zuhörer unbewußt, Heimmweh die Worte
durchzittert.
Hier iſt ein entblößter Berghang, eine
fchattenlofe Dede. Wir fehen mitten auf einem
Felde, neben einem breiten, überftaubten Wege,
auf dem Menſchen und Tiere im Sonnenbrand
gehen, einen einzigen, mächtigen Baum, eine
Bude, eine Rottanne, eine Sommereihe. Es
ift der legte Ueberreſt eines vernichteten Mal:
des. Daß es ein folder ift, erfahren wir aus
alten Büchern, Land- und Flurkarten.
Das „ungebildete“ Volk hat aber ein an-
deres Anzeichen. Es bemerft irgend ein from:
mes Bild am Stamme. Unfere Liebe Frau zur
Buche, zur Lärche, zur Tanne (die „Hohe Lard)*
bei Pians am Arlberg) — das find Verquidun-
gen des unvertilgbaren Andadhtsbedürfnifjes mit
undeutlichen Erinnerungen, die fih im Sinne
der Menſchen erhalten haben.
Dft findet man ein ſolches Bild mit frifchen
Blumen des Feldes geihmüdt. Es ift dies
der letzte Tribut, den das fpäte Geſchlecht den
Mächten des Waldes bringt.
42
330
Kein Opferrauch erhebt ſich mehr gegen die
Mipfel, die in ihrer Bewegung höheren Willen
verfünden. Aus ftarren Schloten fällt der Ruf
herab auf die fchwer befteuerte Erde.
So ijt der Wandel der Dinge. Wer weiß
aber, ob nicht wieder auf jenem Ziegelwerk mit
feiner armfeligen, nadten, gemütlofen Außen:
fläche fi) Erde anfammeln und Wälder grünen
werden? Das Menfchengeihleht Hat derlei
gejehen.
Denn „bunt“, wie ein Spridwort des in
der Einfamfeit feiner Wälder, Seen und Granit:
berge verlorenen Finnenvolfes fagt, „erjcheint
der Specht im Walde, aber bunter noch das
Schidjal der Menſchen.“
Die Caldaria.
Von
Maurus doͤkai.
Ueberſetzt von Lud. Wechsler.
TR die Gemahlin Philipp des Schönen
von Spanien, war eine leidenfchaftliche
Malerin.
Man hatte von der armen Königin aus:
gejprengt, daß fie gehirnleidend fei, aus wel:
chem Grunde ihr die Malerei als Zerftreuung
empfohlen war, welche Kunft fie jpäter auf eine
ſehr hohe Stufe brachte. Sie vermochte jedwedes
Geficht, felbit nad) einmaligem Sehen, fo getreu
zu malen, daß es jedermann erfannte.
König Philipp gefiel es einft, Johannas
Album zu durhblättern, worin fid) bloß eigene
Handzeichnungen feiner Gattin befanden.
(Johanna hatte damald noch den Titel:
Majeftät, ihr Gatte, weil aus einer fremden
Herricherfamilie ftammend, befaß bloß den Titel:
Hoheit, und auf amtlihen Dokumenten ftand
zuerſt: Johannaregina,nadher: Philipprex.)
König Philipp fand nun in Johannas Album
wiederholt das Geficht eines Mannes, welches
in verfchiedenen Variationen wiederfehrte, bald
als fiegreicher Held, bald als betender Pilger,
bald als ein vor der Geliebten Inieender Ver:
ehrer. Das Gefiht mußte die Phantafie der
jungen Dame fehr beihäftigen, da fie es jo oft
und in jo vielen Veränderungen ſich ins Gedädht:
nis rief, und die zarte Malerei, die fünjtlerifche
Maurus Jofal,
Sorgfalt, die Andacht, womit jedes Bild, auch
wo die ganze Staffage hinmweggelaffen worden,
ausgeführt war, bewies, daß hier das Herz der
Hand geholfen hatte.
Diefes Bild ftellte nicht die Züge König
Philipps vor.
Vielleicht noch ein Traum aus der Jugend:
zeit, ein verliebter Troubadour, ein Turnier:
held, welchen die junge Königstochter mit Hopfen:
dem Herzen, mit den farben feiner Herrin am
Helme, kämpfen und fiegen fah, und welchem
fie nachher mit zitternder Hand das geftidte
Band um den Hals hing und nimmer wieder zu
vergeſſen vermochte? — oder vielleicht nicht ein:
mal fo viel. Vielleicht nur ein eingebildetes
Seal, welches junge Damen in ihren Träumen
zwiſchen Wolfen zu erbliden glauben ; ein Mann,
welden nod niemals jemand gejehen, der nie:
mals eriftierte. Auch das ift ja möglich.
Philipp der Schöne war von Geburt fein
Spanier; er beſaß jedoch edle Triebe, welche
ihn würdig machten, ein folcher zu fein.
Eine Frage an den Großinquifitor Deza,
wer in Spanien jener Ritter fei, welcher die:
fem Bilde ähnlich ehe? ein Winf an die hun:
dertäugigen Spione der heiligen Hermandab
und nad) zwei Wochen lief die Antwort ein. —
Jener Ritter mit dieſem länglichen braunen Ge—
fichte, mit diefen eigentümlich lächelnden Lippen,
mit diefen großen ſchwarzen Augen unter dich:
ten ſchwarzen Brauen, war niemand anderer
ala Don Jayme d'Avila — ein Marrano?
Zur Zeit der ruhmmürdigen Inquiſition
nannte man jene maurifchen RitterMarranos,
welche zum chriftlihen Glauben übergetreten
waren und welche man damit verdächtigte, daß
fie im geheimen die Geremonieen des Islams
beobachteten. Langſam aber ftetig wurden fie
ausgerottet, troßdem fie die Blüten ber anda—
luſiſchen Ritterichaft bildeten. Webrigens be:
deutet „Marrano“ in ſpaniſcher Sprade fo viel
als: Schwein.
Es fann ja wohl fein, da es nicht eben
Don Jayme d’Avila gewejen, welcher den Bil-
dern der Königin am meiften ähnlich fah; fo
viel ift jedoch gewiß, daß er der reichfte unter
den damaligen Adeligen war und das mifjen
wir ja, daß die waderen Richter der Inquiſition
das Vermögen des Berurteilten brüderlich unter
ſich teilten.
Damals lebte ein berühmter Maler in Kafti-
bien; nit eben davon berühmt, daß er eine
Die Caldarla.
neue Malerjhule gegründet oder großartige
Meifterwerfe hinterlaffen hätte, fondern eher
davon, da er ungemein rafcı zu zeichnen ver:
ftand, die lächerlichſten Karikaturen in einer
Sekunde aufzufaffen und binnen wenigen Augen:
bliden aufs Pergament zu bannen imjtande
war. Im übrigen hieß er Luis de Lucero, in
Nom hatte man ihn jedoch „Frapreſto“ (eile
dih!) genannt, weldher Name ihm aud ge:
blieben war.
Als König Philipp erfuhr, daß das Urbild
jenes rätjelhaften Gefichtes aufgefunden wor:
den, ließ er Zucero vor ſich rufen.
„Maeftro,“ fprad er zu ihm, „bu mußt
von einem lebenden Gefichte mehrere Abbildungen
hintereinander verfertigen, zwei Stunden wird
der Studienfopf dir zur Verfügung ftehen; was
alaubjt du, wie oft fünnteft du ihn während
diefem Zeitraume abzeichnen ?“
„So oft es Eure Majeftät befiehlt.*
„Schmeichle niht. Vor allem heiße ich nicht
Majeftät, zweitens fann niemand dem Künftler
befehlen. Aber was glaubjt du, fünnteft du ein
Geficht binnen zwei Stunden zehnmal zeichnen?
Für jedes Bild erhältt du taufend Realen.“
„Wenn Eure Majeftät mir für jedes Bild
zweitaufend Realen zugufichern geruhen, zeichne
ich wen immer binnen zwei Stunden fünfzehn:
mal.“
„But; du erhältft die verlangte Summe.
Wird es dich aber nicht verwirren, wenn das ab:
zuzeichnende Antlit fi von Zeit zu Zeit ver:
ändert, wenn die Züge beöfelben einen anderen
Ausdruf gewinnen? wenn du ftatt des gemöhn:
Iihen, alltäglihen Gefichtes ein außerordent:
liches, ungewohntes zu befämpfen haben wirft?“
„D Majejtät, das ungewöhnliche Antlitz ift
das Studium, ber Genuß des Künftlers! Wenn
ein folhes Vergnügen meiner harrt, zeichne ich
das Stüd für fünfzehnhundert Realen.*
„Laß das; im Eskurial feilfcht man nicht
mit Dienern. Jetzt begebe dich in den Saal der
Alquazilos, weldhe did nad einer Stunde zur
Stelle führen werden. Bis dahin wird man dic)
mit den nötigen Zeichnenrequifiten verfehen. *
Nah einer Stunde übergab man Lucero
feine Stifte und Pergamentblätter, dann ließ
man ihn eine verdedte Sänfte befteigen. Lange
Zeit wurde er durch wiederhallende Korridore,
Treppen auf und ab getragen; endlich hielten
die Träger in einem Raume, wo die Schritte
feinen Wiederhall erregten. Entweder war ber
331
Raum fehr niedrig, oder befanden ſich zahlreiche
Perſonen darin.
Hier öffnete man die Thüre der Sänfte und
hieß ihn ausjteigen.
Auf den erjten Blid gewahrte der Künftler,
wo er fi) befinde.
Die weite, in niedrigen Bogen zuſammen—
laufende Halle war ringsum mit ſchwarzem
Tuche überzogen. An den in den Säulen be:
fejtigten Ringen hingen Ketten und Stride,
welche alle jene eigentümliche Roftfärbung zeig:
ten, welche getrodnetes Blut hinterläßt. In den
Eden waren eiferne Zangen, ſonderbar geital:
tete Löffel und dreiedige Schrauben in ganzen
Haufen übereinander geworfen, während im
Hintergrunde auf einer Erhöhung in ſchwarze
Gewänder gehüllte Geftalten faßen. Ueber die
Köpfe hatten fie fpigige Kapuzen gezogen und
das Geſicht mit dichten Schleiern verdedt. Die
ganze Halle war von einer einzigen Lampe be:
leuchtet, welche von der Mitte der Dede herab:
hing. Das in diejelbe gefüllte Mohnöl warf
ein bleiches gelbes Licht auf jeden Gegenftand.
Dies war der Inquiſitions ſaal.
Nur der Großinquifitor hatte das Geſicht
unbebedt; er faß auf einem hohen Stuhle in:
mitten der übrigen Richter und fein ſchwarzes
Samtfleid ſtach feltfam von den einfachen Ge:
wänbern ber anderen ab.
An einer Seitenwand des Saales befand
fih ein Tifh, an welchem bereits zwei Männer
faßen. Der eine verfchleiert, während der an:
dere eine Samtmasfe vorgebunden hatte. Jener
war ber Notar der Inquiſition, welcher eben
feine Feder am Daumennagel probierte, der an:
dere winkte Lucero, am Tijche fich niederzu:
lafien.
Niemand ſprach ein Wort.
Set gab der Maskierte dem Inquifitor ein
Zeichen, worauf zwei Diener der Hermandad in
die Mitte der Halle jchritten und von dort ein
ſchwarzes Tuch emporhoben, unter welchem ſich
der Kopf befand, welchen der Künftler zeichnen
jollte.
‚ Kein abgefhnittener Kopf; — nein: ein
lebendes Haupt mit lebhaften, zornigem Blide,
mutiger Stine, Verachtung ausdrüdender Lippe
und mit bligenden, großen Augen, Der ſchönſte
Kopf, wovon jemals ein Weib geträumt, und
vor welchem jemals ein Mann gezittert.
Der mwadere Torquemada, von welchem
lobend erwähnt fei, daß er während elf Jahren
332
hunderttaufend Menfchen auf die Folterbank ge:
bracht, hatte unter anderen äußerſt zweckmäßi—
gen Inſtrumenten, mit welden die Geheim:
nijje der Menfchen zu erfahren find, auch die
Galdaria erfunden.
Die Operation befteht darin, daß ein gro:
ber, zehn Eimer fafjender Meffingeylinder mit
Del gefüllt und in dasfelbe der verftodte Sün-
der gejtellt wird, fo daf eben nur der Kopf
fihtbar ift. Dann wird diefer Kopf durch eine
gerade pafjende Deffnung in den Unterfuchungs:
ſaal emporgefhoben, der Cylinder jelbit bleibt
in der Dffizin, wo man ein langfames Feuer
darunter anzündbet und je nad dem Grabe der
Verjtocdtheit wird das Feuer gedämpft oder an:
gefacht, bis fich das Del langſam durchwärmt,
immer mehr, immer mehr, und das Opfer ent:
weder gejteht oder jtirbt.
Dies ift die Caldaria.
Der Studienfopf ftand aljo dort in ber
Mitte des Saales, in guter Beleuchtung, der
Lampe gerade gegenüber. — Lucero hätte ſich es
nicht befjer wünjchen können.
Stolz ließ der Kopf feine Augen über die
Bermummten hingleiten und bie gerungelten
Brauen drüdten unabänderlihen Troß aus.
Diejes Bild war gut als erites.
Jetzt ſprach der Großinquifitor den Ange:
klagten an.
„Don Jayme d'Avila, gejtehe deinen Rich—
tern, wann du mit Johanna — der Tochter
Hernandos, zum erſten- und lebtenmal ge:
jprochen?“
Das Haupt begann zu Sprechen.
„sch habe fie ſtets nur in der Ferne gefehen
und niemals mit ihr gefprochen. “
„Don Jayme d'Avila, du hattet ein uner:
laubtes Verhältnis mit Johanna ; geftehe, welche
Beweife ihrer fündhaften Liebe fich bei dir be-
finden ?“
Bei diefen Worten rötete fich das Antlit des
Helden vor Zorn, die Augen bligten den Frager
an. Er war überaus ſchön in diefem Augenblid.
„Deine Frage beleidigt jene, die zu ehren
deine Unterthanenpflicht ift. Ich wäre ein Maje:
jtätäbeleidiger vor mir felbft, wenn ich diefe
Frage einer Miderlegung wert achtete. Die Kö-
nigin ift rein und unſchuldig.“
Maurus Jöfai,
Die Caldaria,
Der Inquiſitor winfte zwei Häfchern, welche
fih entfernten; bald begann ſich der Studien:
fopf zu verändern, man hatte das Feuer unter
ihm entzündet.
„Jetzt fieh’ hin, Frapreſto!“
Anfänglich begannen die Augen zu funfeln,
die Stirnadern anzufchwellen; die Geſichtsmus—
feln zudten frampfhaft; die Verzagtheit des
eriten Entjetens verunftaltete das ſchöne Man-
nesantlit.
Dies war gut als zweites Bild.
„Wirſt du unfere Fragen beantworten, Don
Jayme d'Avila?“ ertünte neuerdings die trodene
dumpfe Stimme des Inquiſitors.
Bei diefen Morten wandte fih ihm das
Haupt zu und wie wenn feine heldenmütige
Entjchlofjenheit wiederfehrte, antwortete es
troßig :
„Berflucht ſei die Zunge, welche auf deine
Fragen nur ein Wort erwidern wird.“
Damit prefte der Kopf die Lippen zuſam—
men und blidte mit herauätretenden Augen vor
fich Hin, jeden Schmerzenslaut zurüddrängend.
Diefes Bild war qut als dritte Studie.
Das Feuer ward fortwährend angefadt.
Auf dem Gefichte ftehen große Schweiß—
perlen, der jchwere Kampf des förperlichen
Schmerzes mit dem Manneswillen fpiegelt fich
ab auf demfelben. löslich brüllte der Kopf
ſchmerzlich auf, die Augen ſchließen fich qualvoll
Zucero wollte auch diefes Geficht zeichnen; |
der neben ihm fißende Bermummte erfaßte feine
Hand und hielt fie feit.
„Lab das; dumirft gleich ein ſchöneres ſehen.“
| und das entitellte Geficht, defien Züge auf ein:
ı mal der hölliſche Schmerz ſich bemächtigt, em—
porhebend, ift er unfähig, feine Qualen länger
zu verbergen. Er brüllte wie die Verdammten
in der Hölle.
„seht, jet fieh' hin, Fraprefto!*
Jeder Zug verläßt feine urfprünglicde Ge:
' ftalt, die Seele ift nicht mehr Herr über fich,
die Augen rollen wild in ihren Höhlen, die Lippe
fhäumt und flucht Gott und den Menſchen!
Ah, Fraprefto, wenn dir dies gelingt, wie ſchön
wird die vierte Studie fein!
Unten facht man das feuer immer mehr an.
„Willſt du auf unfere Fragen antworten,
Don Jayme d'Avila?“
Der Kopf antwortet nicht mehr, ſchreit nicht
mehr, ſondern beginnt zu lächeln. Die Todes—
qualen zwingen ihn zum Lachen, er lacht laut
auf; und dieſes Lachen iſt das Entſetzlichſte, was
man jemals geſehen.
Lucero zeichnet eilig; dies iſt ſchon die fünfte
Studie.
U. Srer. Sommernadt,
Der Vermummte winkt, das Feuer abzu:
ſchwächen. Er fürchtet, d'Avila könnte früher
jterben, als es erwünſcht ift.
Das Geſicht verliert allmählich die qual:
volle Hitze, ftatt derſelben breitet ſich eine blaſſe,
matte Färbung über dasfelbe; die vom Lad:
frampf entjtellten Züge erhalten allgemach eine
geringe Spannung, trotzdem jcheinen fie ganz ge:
brochen, ruiniert. Luceros ſechſte Studie ift fertig.
Jetzt fragt der Inquiſitor wieder:
„Willſt du antworten, Don Jayme?“
Langſam hebt hierauf der Ritter den Kopf
empor, weit öffnen ſich feine Augen, daß das
Weihe fihtbar wird; das blafje, farblofe Antlig
verlängert ſich: es ift dies fein menjchliches Ge:
ficht mehr, ſondern das eines Gejpenjtes, wel:
ches fih aus dem Grabe erhebt und von dort zu
ſprechen beginnt, den verjtörten Bli auf den
Vermummten heftend. Dh, es ijt ein entſetz—
licher Anblid!
„Run, Frapreſto, weshalb zögert der Stift
in deiner Hand? dies tft die intereſſanteſte Stu:
die! — Sieh’ hin!“
Das geifterhafte Haupt beginnt zu fprechen
mit fchwerer, röchelnder Stimme:
„Philipp! — Nad fieben Tagen —
werde ih dir — antworten — vor
Gott.”
Damit verdrehen fi die Augen, die Lippen
bleiben offen jtehen, das Haupt neigt ſich zur
Seite und legt fid) matt auf den Boden; jeder
Zug ift ftarr geworden.
„Verlöſchet das Feuer!“ fchrie der Inqui—
fitor den Dienern zu.
„Iſt dies fein intereffanter Studienkopf?“
fragte der Bermummte den Maler; „du kannſt
ihn ruhig zeichnen, denn er ift ohnmächtig ge:
worden. Man wird ihn gleich erweden und dann
fönnen wir fortfahren.”
Der Bermummte täufchte ich indefien, denn
der Nitter war nicht ohnmächtig geworden; —
jondern war geftorben und lieferte feine Studien:
föpfe mehr für Lucero.
„Der Verfluchte!“ rief Lucero aus; „ſtirbt
beim achten Bild! und ftichlt mir wenigjtens
zehntaufend Realen aus der Taſche.“
„Fürchte nichts, duerhältjtdie ganze Summe
für die acht Bilder, da fie wohlgelungen find ;“
tröftete ihn der Vermummte; „jeht gehe heim
und arbeite fie gut und aufmerfjam aus.”
Nah vier Tagen waren die acht Studien:
föpfe fertig und mit entjeglicher Lebenstreue
333
ausgearbeitet. Philipp ſchenkte fie alle feiner
Gemahlin........
Am fünften Tage verbreitete fich die Nach—
richt im Lande, daß Königin Johanna den Ver:
ftand verloren habe.......
Am fechiten Tage ließ Philipp der Schöne
die Oranden von Kaftilien zufammenrufen und
unterbreitete ihnen die Nachricht des Unglüds-
falles, daß Johannas Gehirnfrankheit mit voller
Wut ausgebrochen fei.......
Am fiebenten Tage nannten die Granden
von Kaftilien Philipp den Schönen Majeftät
und fchrieben feinen Namen voran und nachher
den Johannas. .......
Am achten Tage lag Philipp der Schöne —
auf der Totenbahre. — Man fagte, daß er ver:
giftet worden fei.......
Gott fei jenen ein gnädiger Richter, die ge=
ftorben find.......
3 Sommernadt. >
A. Step.
Fängn war das Abendrot verblaßt,
Als ich gefucht des Lagers Raſt.
Erft lag ich da und mußte lauſchen
Des Blutes ungeflämem Rauſchen.
Aus dem des Tages Ruf und Sang
mit Rarfem Schall noch wiederflang.
Dann ftrebt’ id; in ein £ied zu bannen,
Was meine Geifter heimlich fannen,
Dod auf der Mittnachtgleifen Schatten
Entrannen metrifch mir die Weifen.
Drauf hat vom Schlaf mid; fern gehalten
Der Sterne flilles Thun und Walten,
Der Winde fachter Weg und Gang
Und Quellenruf vom Hügelhang.
Und heimlic; fiel mit Ullgewalten
Der £iebe fehnendes Geitalten
Die fchlanmerlofe Seele an:
Auf Geifterfäßen hört" ich nah'n
Das ferne Kind, das all fein Minnen
Auf mid gewandt in reinem Sinnen,
Den Utem fühlt" ich, feucht und warm,
Und um den Haden ihren Arm,
Ihe Släftern war's und war ihr Mund,
Er that mir all ihr Kleben fund,
Ihr icheues Hoffen und Derlangen,
So lag idy da mit heißen Wangen,
Und immerfort und immerfort
Quoll £iebeswort auf Liebeswort.
Es ſchwanden Sinn mir und Gedanfen
Und meine matten £leder fanfen:
Mir war, id; hörte Wellen geh'n
Und fern im Winde Wipfel weh'n — —
Die Stirn fanf ichwer ins Kiffen nieder
Und fühllos löften fich die Glieder.
*
C
\\ \ |
l.
Von G. Hal
Aachder Arbeit.
3 Bur Beitgefbichte.
Aus der Hefellfihaft.
TEIp)eZ0@ ter bed verftorbenen Rommergien>
> xats Ravené bat fid vor furzem
mit dem Eohne des befannten Profeſſors
Gcheimrat v. Esmarch verlobt, dem fie
‘a. 18 Millionen Mark bares Geld und
Kunftihäge im gleihen Werte zubradte.
Ob unjere deutſchen Tänzerinnen
und Tänzer von ber neuen aus Amerika
ſtammenden Sitte, die jeht in England
eingeführt wird, Gebtauch madın wollen,
mütlen wir ihnen felbjt Überlaffen, jeden»
falls wollen wir zu Nuß und Unnebms«
lichkeit unferer tanzbeinfhiwingenden Ju ·
gend davon Stenninis nehmen. Man
ftedt nämlih, nad dieler Eitte, jedem
Gintretenden ein Sträußchen an, toeldies
ibn für diefen Abend einer ein gleiches
Eträufchen tragenden Dame völlig zu eigen
macht. Selbfivertändiih muß man dabei
den „Zufall als oberften Gott walten laſſen.
Expeditionen.
25000 Dollars find von dem Senat
der Dereiniaten Staaten ausgeſchrieben
worden ald Belohnung für Auffindung
des Pieutenants Breely, Führers der ame»
rifanifhen meteorologiidhen Norbpolerpe-
bition.
Stantey tritt, nachdem er fünf Jahre
diefe Stellung eingenommen bat, von ber
Yeitung ber internationalen afrifanifchen
Grjellihaft zurüd.
Theater und Auſiſ.
zen Berlin ift am Hofoperntheater mit
CF außerordentlich glängendem Grfolg
Wagners Wallüre, die aufzuführen ſchon
lange Pfliht Des fgl. Anftituts geweſen
wäre, zur Darftellung nelommen. Beh,
Niemann, Frau Sachſe⸗ Hoffmelſier leifteten
Borzügliches, ebenſo das Orcheſter Auch
die iceniihen Schwierigleſten nerade dleſes
Teils der Nibelungentetralogie find mit
Glüd überwunden worden, Einen ähnlich
nlängenden (Friolg bat in Paris ber erite
Akt von „Iriitan und Ajolde* gehabt,
der in den berühmten Konzerten von Ya»
moureur vorgeführt wurde.
Das deutſche Theater in Berlin
verliert nun den zweiten Sefretär Ludwig
Barnay, der mit feinen Kollegen nicht
recht im Ginflang zu bleiben vermochte.
Ein neued Drama iſt von Wilden ⸗
bruch zu erwarten, der ſich offenbar nicht
genügen läht, auf feinen Yorbeeren aut»
zuruhen. Diefes Mal handelt es ih um
ein Trauerfpiel in Berjen, deſſen Held Ghri«
ftoph Marlow* fein wird. Auch Ehales
ipeare tritt in dem Stüd, und zwar als
Kival des Zitelbelden auf. — Aud von
Ibſen foll nächſtens ein neues Drama
erideinen, das fi gegen die moderne
Müäpdjenerziehung wenden wird.
Ueber bie große Oper „„Heliantus"
von Goldſchmidt, welde in Yeipzig aufr
geführt wurde, herrſchen ſehr verſchiedene
Etlmmen, im allgemeinen hört man aus
dem Durdeinander von lrteilen heraus,
da die Oper wohl in erfter Linie das
Werk eines begabten Dilettanten if.
Am 5. Upril wurde mehrerenorts ber
100jährige Geburtstag Ludwig Spohrs
feitlih begangen.
Der von Frau Lucca beionders prote-
nierte polnifhe Zenorift Mierzwindti
bat ſich im Wiener Opernhaus als Arnold
(Ze) in außergewöhnlicher Weife bewährt.
Infolge des im leiten Heft erwähnten
Standals Bälow-Hüljen bat ber erflere,
wie faum ander& ju erwarten war, einen
Verweis von feinem fürſtlichen Herrn er»
halten und intofgedefien feine Dimiſſſon
eingereicht. Aber Herr v. Hülfen fann
fich feines Sieges wenig freuen, da ihn
Bülow ingwilsgen fhrıftlid von neuem
angegriffen hat,
Aunfl.
m“ Original von Naffaels audgejeidh«
> netem Werl die „Madonna von
Loretto““, welches befanntlid bei ber
frangöfiichen Occupation von Yoretto Ans
fang dieles Jahrhunderts verſchwunden
ist, wurde im Muſeum zu Hyeres entdedt
|
Entdedungen und Erfindungen.
Sp Syrien {it der drei Meter lange
>) Darmorfarg einer phoniziſchen
Königin entvedt worden, ber auf der
Dede ein Bild der Slönigin, an den Seiten
Stlavinnen ertennen läßt. Die Ausführung
wird fehr nerühmt, — Cine andere Ent⸗
dedung meldet man auß flabul, wo ein
Stein gefunden wurde, deſſen Inſchrift
fih auf den Ariegszug Alexanders des
Großen bezieht.
Gine neuentbedte Abart des Brom-
beerſtrauches, bie man im jüdlichen Nor»
wegen fand, ift bei der lehten Eikung der
fol. wiſſenſchaftlichen Gefellfhaft zu Göte ⸗
borg vorgejeigt und Rubus Selmeri (nad
dem geftirzten Minifterpräfidenten) ges
tauft worden,
Wie das Perpetuum mobile wird be»
tannilich auch jaft alljährlich mit der Regel»
mäßigteit der ſiets wiederfehrenden Sre-
ſchlange die Duadratur des Kreiſes als
gelöft befannt gemadjt. Der jüngfte Löſer
diefes ſchwierigen Probiems ift der Geos
meter U, Lepiarz in Ratibor; der feltfame
Schwärmer bat fogar den Reihätag um
Grteilung eines Anerlennungsidreibens
für feine weltbewegende Grfindung erfucht
Die Gelchrten der Zeitichrift „Wom Trels
jum Meer* werben es ſich nidt nehmen
laffen, demnädft aud ibhrerfeits in der
Rubrit „Zum Hopfserbredien” den Verweis
von ber Yösbarkeit, allerdings nad) ihrer
Diethode, zu bringen
£itteratur.
Mionprinz Rudolf von Deflerreidh gibt
, cin großes beichreibendes Werk über
Triterreih, Ungarn und die Nebenländer,
und Bosnien, bie Herzegowing und das
Yımgebiet heraus ie vieljeitigite Be⸗
handlung des Stoffes ſowohl nad geo«
graphiicher wie ethnographiider und fultur-
geſchichtlicher Richtung iſt vorgeiehen, auch
ſol die gegenfeitige Wirlung der einzelnen
Teile der Monarchie aufeinander berid«
fidytigt werden
Unsere üͤbertheiniſchen Nechbarn wid⸗
men uns jur Yet ein ganz beſonderes
336
Antereſſe und erft jet wieder bereitet einer
der befannteften franzöſiſchen Geographen
D.A. Malte-Brun ein umfaffendes Wert
von vier Duartbänden zu je 800 Seiten
und 400 Holzihnitten vor, weldes ſich
„Allemagne illustree* betiteln und
Deutfihland nah allen Rihtungen hin
behandeln wird,
Das ſeht beftimmt aufgetretene Ge»
rücht: die Gräfin — fei Verfaſſerin
bes Pamphiets „In sociöte de Berlia
ift ernftlich widerlegt worden. Die Mgdeb.
Sta. weit aud auf folgenden Sah ber
Iandalöfen Schrift bin, der faum von der
Frau Gräfin niedergeichrieben worden fein
dürfte: Le comte d’Aubigny a pour
epouse une femme un peu originale
qui ne mangqne pas d’esprit, mais
qui, par crainte d’ötre banale, est
tombee dans la plus complöte im-
politesse.
Seilwiffenfdaft.
nfer Mitarbeiter Sanitätsrat Baer
t in einem Bortrage über die
Sterblichkeit der Gefangenen nachge ·
wiejen, daß die Wahriceinlichteit baldigen
Todes bei diefen Unglüdlihen 3—bmal
nrößer iſt, ala die ber fFreim. 1878-80
itarben faft 31 vom Zaufend und von ben
dem Tode Geweihten verfallen wieder die
meiften der Schwindſucht. Baer macht
dafür neben der unnatürlichen Lebensweiſe
vor allem phyfiiche Einftüfjeverantwortlid.
Militärifdes.
hp" franzöfiihen Militärverhält-
niffe gehen einer eigentümlidhen
Wendung der arg entgegen. Das |. 2.
von Deutihland übernommene Anititut
der Einjährig- Freiwillinen bat ſich in
Frankreich durchaus nidt bwährt, weil
ed unter ganz anderen Berhältnifien gu
Tage trat als bei und, Mer 1500 Fro.
zahlen fonnte, wurde zu dem Ginjährigen«
dienft zugelaflen, das Frame war eine
ormel ohne tiefere Bedeutung und fo
amen Leute in diefe bevorzugte Alafle,
welche in feiner Weiſe den gejtellten An⸗
forberungenentipradhen, Rad) dem neueſten
Programm joll nun die Dienstzeit wieder
für alle Dienenden gleidigemadt und auf
drei Jahre ftatt fünfreip. ein Jahr feitaejeht
werben, ine Ausnahme von diejer Regel
wird bie Kolonialarımee madyen, filr welche
die Hünfjährige Dienftzeit beibehalten bleibt.
Viel veripridt man — von der Erhebung
eines Wehrgeldes“ derjenigen Dienit
pflichtigen, die nicht einberufen werben,
das man zur Gewinnung von Fünfjährig ·
Trreiwilligen und eines Stammes von Inter»
offigieren verwenden will. Der eminente
Schaden, der allen denen aus ber drei»
jährigen Dienftjeit erwächſt, die dem Stu ·
dium, überhaupt den höheren Berujsarten
fi bingeben, ſcheint nicht voll gewürbigt
ju werden, um bie beabfichtigte Heeres-
organifation zu bintertreiben,
Der Drang der Japanefen, euros
väilche Kultur bei fi einzuführen, macht
ſich auch darin wieder geltend, daß eine
aus 20 Perjonen beftehende japanefiidhe
Nommilfton unter führung des Generals
Obyama eintreffen wird, um die mili«
därifhe Organifation der Großmädhte
genau fennen zu lernen. Gine andere
Kommtlifion will in den Haupiſtädten
$hemie und Medizin flubieren.
Die englifche Flotte zählt zur Zeit
534 Fahrzeuge, von denen 235 im Dienfle
find, Die gefamte Mannſchafisſtärte be«
!äuft ih auf 57250, von benen 16000
zum Dienft bei der Marine erzogen find
und zehn bis zmölf Jahre bei ihr gedient
baben. 833006 Perfonen find im aftiven
Dienft, davon 19371 in fremden Ges
Sur Zeitgeſchichte.
wäflern flationiert und zwar im Mittel
meer, Nord» und Südamerifa, Weftindien,
Kapitation, Großen Ocean und Ghina.
Marineoffiziere gibt es 4079,
Unglüdisfäle.
er Bauunt er Wehner in Elber-
feld ift jüngit in Barmen auf eine
ſchredliche Weife vewunglüdt,
einige Dynamitpatronen zu ſich, die in ber
Reitauration, wohin er fidh, um den Kaffee
E nehmen, nn hatte, erplobierten.
fi wurde budNäbtic in zwei Stüde jer«
riffen,
In der Scehafenſladt Bowen in
Queensland hat im Februar ein folder
Ortan geherrſcht, daß fein Haus der Etabt
unbejhädigt blieb und aud mehrere Men«
ſchen ihren Tod fanden. — Bei ber Ge
legenbeit mag erwähnt fein, dat jeht fefl«
geftelt wurde, daß bei dem Ausbrud des
Bultans Srafataua 40000 Menſchen auf
Java und Sumatra ihr Leben verloren.
— Aus ben Bereinigten Staaten wirb
ebenfalls von heftigen Stürmen gemeldet,
die namentlih in Norblarolina und Ohio
witeten und ſchwere Opfer an Menſchen
und Saden forderten.
Im Staate Virginia und zwar in
Pocabontas bei Lyndburg hat iin März
ein durch GErplofion ſchlagender Wetter
tgerufenes Örubenunglüd 150 Berg»
euten das Leben geloftet. Zu allem Uns
ng auch noch der Stohlenflöz Feuer,
o dak man fchliehlih den Schacht ver
mauern mußte, um den Brand zu bämpfen.
Bölherhunde.
ch einer amtlichen Statiftil betrug bie
“7% Sabl der in Ruſſiſch-Polen Ic»
benden Deutichen 1881: 199305, die ſich
feitden ſtetig vermehrt hat, ihr Grund«
eigentum 1695961 Morgen, zu dem
187415 Morgen Pahtgüter fommen,
Kandel und Verkehr.
ei dem Intereſſe, welches man gerabe
jeht amerifanifcher Aus- und Ein ·
fuhr entgegenbringt, wird es nit unin«
terefiant kin zu hören, daß im Ichten Jahr
von Deutichland nad den Vereinigten
Staaten für mehr als 228 Mu. DIE, Artikel
ervortiert wurden, darunter fir 8710077
Dollars Baummwollwaren, für 6497996
Dollars Wollwaren, für 4227106 Dollars
Seidentwaren, für 3158973 Dollars Eiſen ·
und Stablwaren, für 3114981 Dolars
Leder und Lederwaren, für 2332090 Doll.
Anbpfe und Anopfmaterial, für 2332634
Doll. Galanteriewaren.
Eine der wenigen eriftierenden elcl-
trifhen Eiſenbahnen wird ihren Betrieb
einjiellen. Es ift dies bie furze Strede
Groß Lichterfelbe-Hadettenhand, welche
wegen mangelnder Rentabilität aufgegeben
werden muß. Die eleltriſche Bahn Weftend»
Spandauer Bant ift ihr befanntlid ſchon
früher hierin vorausgegangen,
Berdreden.
Pe tr fcheinen in eine nicht enden wol«
a ende Periode graufiger Mordthaten
eingetreten zu jein, denn während faum
erit die Nadhricht von der Verurteilung
Schents und Genoſſen zum Zode eingetrofs
en ift, wird ſchon wieder von einem breis
achen Morb aus Berlin gemeldet. Dort
at der Arbeiter Grunad im Aifelt feine
rau, mit ber er im Infrieden lebte, ferner
eine Schweiter und den zu Hilfe herbei»
eilenden Vicewirt niedergeitohen. — Am
27. März wurde der berüdhtigte Bandit
Algeriend Ben Bahi wegen 3ofadem
Mord mittels der Guillotine hingerichtet.
Kurz bevor ihn der Todeßftreidh traf, ſagte
er: „Alle, welche mi achten, mögen für
mich beten, alle, welche mid; verachten,
möge Gott trafen an ihren Erftgeborenen. *
— Mette Berhältniffe mögen in Bercefli
herrichen, wo jüngft der Bürgermeifler
und zwei Gemeinderäte tuegen begangenem
Raubmord zum Tode verurteilt wurden.
Totenfhau.
rinz Leopold Georg Duncan Albert,
Herzog von Albany, Graf von Cla⸗
rence unb og von Sadjlen, der jüngfte
Sohn der Hönigin Piltoria von England,
der das lebhaftejte Interefje Für Kunft- und
Wiſſenſchaft hatte, farb am 28. März zu
Gannes, Der Herzog, geb. 7. April 1853,
gi 1882 Gatte der Prinzeifin e von
alded, hat durch eine Blutergiehung ins
Gehirn jein Leben verloren, deren Urjache in
einem Sturz beim Ereppenfteigen zu fuchen
iſt. Die Leiche des Herzogs wurde, begleitet
von einer Reihe fürſtlicher und jonft bad
geſtellter Perfönlichkeiten, über Paris in die
Heimat gebraht und mit feierlihem Ger
eine in Windſor beigefett.
ze, Adolphe, der bekannte franzöfifche
——— geb. 4, März 1823 zu
ris, ſtarb dafelbit im März. Gr war
ein Schüler Rob. Fleurys.
Behm, ee der Petermann»
hen Mittheil., ftarb im März zu Gotha,
Garlo Tocco, Fürft von Wontemis
Ietto, der Ichte Nachlomme der Etuarts,
ftarb 54 Jahre alt in Montemiletto,
Golban, Marie Soppie, belichte nor«
wegiihe Romanisrijtitelerin, Harb am
27. März zu Nom,
Deubler, Konrad, der intime Freund
ud. Treuerbadis, farb Ende Marz zu
Goiſern bei Iſchl.
Formes, Wilhelm, einſt gefelerter
—— ſlarb in New Yort, erſt 50
ahre alt.
Geibel, Emanuel, einer unſerer ge»
elertften Yyrifer, geb. 18. Oft. 1815 zu
über, farb dalelbit 6 April, An anderer
Stelle diefes Blattes ift dem unvergeglichen
Dichter, Defien Mitarbeiterihaft ſich auch
unfere Zeitſchrift rühmen durfte, ein pocti=
{cher Nachruf gewidmet. Geibel träntelte
ſchon lange und wurde bereits drei Wochen
vor jeinem Tode von einem Schlaganfall
etroffen, der fid) wenige Tage vor jeinem
Ende wiederholte und dieſes herbeiführte,
Nach diejem lehten Anfall gelangte er nicht
mehr zum Bewußtſein.
Jerrold, Blandard, Schriftiteller
und langjähriger Redakteur von „Loyds
Weekly Newspaper*, jtarb am 10. März
zu London.
v, Leutrum, Geh. Rat Graf Hugo,
einft Stantäanwalt in dem großen Hodı«
verrateprojeh Becher und Genofjen (1851),
ftarb im März zu Stuttgart.
Hidhter, Guflav, ausgejeichneter
Maler, namentlih auf bem Gebiete der
Porträts, geb. 1823 zu Berlin, ftarb ba»
ſelbſt am 3. April,
Sclla, italieniſcher Abgeordneter, vor«
züglicer yinanzmann, ftarb am 14. März.
Trübner, Nilolaus, verdienter Der«
feger, namentlih auf dein Gebiete ber
indiſch · orientaliſchen Literatur, Gründer
und Beſiher der Firma Trübner u, Go.
in London, ftarb dajelbft im März, Geb.
1817 zu Heidelberg.
»erfonalien.
angois Coppé und Ferd. Leffeps
3 find zu Dlitgliedern ber franzöftidhen
Alademie ernannt worden.
Wilhelm Scherer wurde zum Mitglied
der königlih preußiſchen Alademie in
Berlin ernannt.
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©. Hättig, Unſer Hausgarten.
Unfer Sausgarten.
Bon ©. Hüttig.
Der Weinſtock im Garten.
Wenn in Mitteldentihland die Weinftöde im März, in
Nord» und Ofideutichland im April von ihrer Winterdede befreit
werden (in Süddeutichland bleiben fie unbededt), dann jollte man
r jufammengebunden nod einige Zeit auf dem Erdboden liegen
affen und Dedmaterial bereit halten für den Fall, Pr. ein fü
wöhnlid nur furger Spätwinter oder einzelne Froſtnachte eine
leichte ung nötig * ſollten. Aber in dieſen erſten
Fruhlingsmonaten follten bei alten, feſteingewurzelten Weinſtöden
die oberſſen Wurzeln von Erde entbl ft und abgeichnitten werden,
damit die Pflanzen im ihrer Ernährung bauptjählih auf bie
unteren tiefgebenden Wurzeln angewiejen bleiben und baburd
dem Ginflue des Wechjeld der Yufttemperatur und der Nieder
ſchlage entzogen werden; bei jungen, erft furze Zeit auf ihrem
Plate ftehenden Meinftöden ift dies Berfahren aber nicht an»
wendbar. Yur Beſchleunigung des Wachttüms und der daraus
folgenden früheren Reife der Trauben wendet man bei dem in
den erflen Monaten notwendigen Begiehen ber Weinftöde bis
350 R. erwärmtes Waffer, auch Dungwafler an.
Big. 1. Echentel bei Weinitods in Fächerform. Links gefappte
„Buätrute* mit gelappten Ableilern, rechts Fruchtrebe mit ge
Lappten Frachtruten. Die Striche bezeichnen bie Stellen, wo im
Hrrbft geſchnitten wird,
Ueber das Wahstum des Weinftods und feiner einzelnen
Zeile haben wir ion im 1, (Oltober-) Hefte dleſes Jahres aus ·
führlich geiprodhen und bitten wir, heute darauf hinweiſen und
nod einmal in Grinnerung bringen zu dürfen, daß wir eine
ausführliche Anmweifung für die Pflege des Weinflods und für
die einzelnen Handgriffe beim Heften der Neben, beim Aus-
breden* der Ruten u. j. w. in der 16. vollftändig umgearbeiteten
Auflage von „Rechts praftiichem Weinbau” (Leipzig 1881. U. rer
nau) und in D. Hüttig „Wresows Gartenfreund* (Berlin 1881.
Siegir. Gronbadh. Preis 4 M.) gegeben und dabei bie neues
Erfahrungen in Wifienihaft und Praxis benüßt haben,
Die vorſtehende Abbildung iſt nadı dem eriigenannten Werlke
eftellt ; fie zeigt einen im Herbſt durch das Beidhneiden des
nitods in frächerform gewonnenen „Schentel*, deſſen ſämtliche
Augen gewadien find und junge Triebe, fog. Ruten 5—*—
gehn. von denen bie unterite zum Fruchttraägen im näditen
ahre guy ift und deshalb Zuchtrute“ genannt wird,
während die fieben über ihr ftehenden Triebe im laufenden
Jahre Früchte tragen und deshalb „yrucdhtruten” genannt iverben.
ee möchten wir heute den geneigten Leſer nur für bie
Etärfung jener Zuchtruie intereffieren, die im nächſten Jahre
337
nur dann unjere Hoffnungen auf zahlreihe Trauben erfüllen
wird, wenn ihr hauptlächlich der Saft und damit der dem Erb»
boden entnommene Nabhrungsitoff der ganzen Rebe zugeführt
wird; die Fruchtruten haben eine ſolche Stärfung nicht nötig,
denn bie im —— Jahre vorgebildeten Trauben werden durch
Bermittlung der Blätter genügend ernährt, ihre einzelnen Beeren
aber durd Anwendung einiger Hilfömittel bedeutend vergrößert,
von denen toir weiter unten ſprechen werden.
Die jun Blätter des MWeinftods ziehen vermöge ihrer
Ausatmung überflüffigen Waflers mit dem Sauerfloff u. ſ. w.
den von den Wurzeln aufgenommenen Nahrungsfaft hauptſächlich
nad oben und zwar zum Radjteil bejonders der unterften Augen ;
es find aber gerade die unteren (nicht unteriten) Augen, welde
allein imitande find, Fruchtrulen und mit ihnen Trauben zu
liefern. Bei den ſtarkwüchſigen Sorten hört die Fruchtbarlkeit
über dem fünfzebnten, bei den ſchwachwüchſigen über dem jwölften
Auge auf und find bei Iehteren die unteren — bis drei, bei
eriteren drei bis fünf Augen unfrudtbar. ird jenen zmwöl
bez. fünfzehn Augen nicht genügend ** zugeführt, wei
die Ruten zu ſtart nach oben wachſen, jo bleiben ſie jämtlich
Jh oder weniger unfruchtbar. Nur wenn der Yufluß ber
Nahrung auf dieſe zwölf bis fünfzehn Augen der Zuchtrute
fonzentriert wird, erfüllt
fie unfere Erwartungen,
an jeder der von der Na«
tur dazu beitimmten neun
Ruten zwei bis fünf (im
Durchſchnitt drei) Traus
ben vorzubilden. — Wir
bewerfitelligen dies, kurz
—ãA in folgender
e:
Wir entfpigen, „
pen” die Zuchtruten in
einer ihrer fünftigen Des
immung angemejjenen
änge, ben werdenden
Zapien an dem jechäten,
den künftigen Schenlel an
dem zehnten bis zwölften
und die mäditjährige
Fruchttehe an dem fünfzehnten bis achtzehnten Knoten, je nad
dem mehr oder weniger flarfen Wadstum der Sorte bejw,
des bet den Weinjtods. — Nad dem Kappen, das aus«
geführt wird, fobald die Nuten die nötige Länge erreicht haben,
bemerten wir zweierlei: das raſche Wachttum der „Wbleiter*
(vergl. Oftoberheft 1883, ©. 116) mit dem gleichzeitigen An«
ſchwellen der fchlafenden Augen oder, wie fie auch, nicht ganı
richtig, genannt werben: der Tragknoſpen (die Anofpen blühen
nicht und tragen nicht Früchte, jondern die aus ihnen ſich ent»
widelnden Ruten), und das Austreiben der oberften zwei,
felten drei Augen neben den MAbleitern; dieie Augen geben aljo
fürs nädite Jahr verloren und deshalb lichen wir bie Yudhte
ruten beim Stappen je drei Augen länger, als wir fie beim Be»
ſchnelden im Herbſt brauchen.
Es ift wohl wahr, - bei den Ruten, melde gelappt
wurden, bie Ableiter durch ihr kräftiges Wachttum bald uns»
bequem werben, dann aber fappt man aud dieſe über dem
dritten Anoten und jebe Verwirrung im Weinſtod ift vejeitint;
die drei Augen jeden Ableiters treiben nun allerdings ebenfalls
aus, aber dieje Triebe werden durch ihre niemals bedeutende
Länge nicht ftören; die fürs nädite Jahr nötigen Ya der
Zuctruten bleiben ſchlafend, aber die Anzahl ihrer Blätter
wurde dur das wiederholte Austreiben der Ableiter vermehrt,
und die Wurzeln gedeihen darnad) um fo beifer, weil, wie bier
mehrmals angedeutet wurde, die Blätter von größtem Einflu
find aud auf die Ausdehnung der Wurzeln und damit aud au
die Ernaͤhrung der ganzen Pflanze.
Die Fruchtruten haben nur den Zwech, Trauben zu
bilden, zu ernähren und zur Reife zu bringen; alle Ruten außer
der Zuchtrute, welde Trauben bis zum fünften ſtnoten nicht
eigen (höher hinauf it niemals die erjte Traube zu erwarten),
werden einfah autgebroden. An der Fruchtrute mit Trauben
geſchieht die Emährung dieſer wie des ganzen Weinftods durch
Vermittlung der Blätter; da nun erfahrungsmähig drei Blätter,
eins der Traube gegenüber, zwei über ihr, außer denen unter
ihr, zur Gmährung derjelben ‚genügen, fo fappt man un ucht ·
rute an dem dritten Anoten über der oberiten Traube. Gleich ⸗
zeitig drüdt man mit dem Fingernagel alle in den Blattwinfeln
vorhandenen Ableiter und ſchlafenden Augen aus, um auf dieje
Weile jedes weitere Wahstum an den Fruchtruten zu unter
drüden — immer zu Gunften der Zuchtruten, die aber, auch
wenn fie Trauben haben, was bei aut gepflegten Weinftöden
bäufig vorfommt, ihre Ableiter bis zur Reife behalten müfien. —
An den Fruchtruten bilden fi) nah dem KAappen und Aub-
bredhen bald neue Ableiter, neue Augen und dieſe find ftets, for
bald man fie bemerkt, immer wieder zu entfernen.
43
Die. 2. Pranfenihaler Traube.
338
Wir müfjen aber wiederholt auf die Bedrutung ber Blätter
überhaupt und der Ableiter an den Zuchtruten aufmerkfam machen
und vor ihrem Aubbrechen an unredter Stelle warnen. Das
dem Sonnenlicht ausgefehte Blatt bedingt das Wachttum des
Weintods (der Pflanze überhaupt), die Traube dagegen joll vor
dem direllen Sonnenlicht gejhüßt fein. Wenn man das ber
Traube gegenüber fihende Blatt twegbricht in der Meinung, da
man bei zweifelhaften oder fühlen Wetter die Beeren mit Silke
der Sonne ſchneller reif befommen könne, dann bleiben die
Beeren fauer, weil das Blatt jeblt zum Ausſcheiden des Eauer-
ftoffs und die Traube welt. Die Beeren bereiten oder fammeln
nur den Yuder aus der vom Blatt vorgebildeten organijden
Subftang; die dem Sonnenftrahl direkt ausgefehte Traube wird
kranl, fie befommt den „Sonnenftih*. Aber es ift beim Seiten
der Ruten darauf zu jehen, dak alle Blätter vom Sonnenlicht
— werden, aljo nicht übereinander zu liegen fommen,
enn die im Schatten fihenden Blätter entziehen, wie aud
Ba Milter- Thurgau in den „Ampelographiichen Berichten“
agt, durch ihre Atmung dem Stoch und damit der Traube
mehr Zuder, als fie an dieſe abgeben,
Die Ableiter an den Zudtruten — wir wieberholen
diefe Hauptregel für die Behandlung des Wein — bürfen
wohl verkürzt werden, wenn fie burd ihre Länge umbequem
werden, man entferne fie aber niemals eher, als bis die Ruten
braun, db. 6. a: geworden, was bei günfligem, warmem und
trodenem m Auguft, bei naflem oder jonit ungünfligem
Wetter aud erft im September der Fall fein wird. — Aus
führfiger haben wir bie Sommerbehandlung des Weinftodes,
auch der Düngung, in den oben angezogenen Werfen beſprochen,
die wir deshalb der Beachtung aller Beranhe des Gartenbaus
befiens empfehlen.
Schlicklid möchten wir bier auf ein Verfahren aufmerffam
madıen, woburd man ungewöhnlich großbeerige Trauben, wahr«
bafte Ausftellungstrauben, erzielen fann, In der Hauptſache
nad von Babo, des Önologiihen Inftituts in
Slofterneuburg bei Wien, beftcht bas Verfahren, ausführlicher
in der „Weinlaube* dargeftellt, 1) in der entfpredhenden Auſswahl
großbeeriger Sorten; 2) im Bejdneiden der Zrauben während
oder einentlich ſchon beim Beginn ihrer Entwidelung und 3) im
— woju noch bie Beigabe nötigen Düngers lommen
müßte,
—— Sorten find der fyranfenibaler, das
blaue Ochtenauge, der blaue Damascener, der frühe weiße
Damascener, die Kalebetraube, die große rote Dinfa von Ungarn,
Golden Champion von Thomfon, aud) wohl der weiße Gut«
edel u, a. m.
Das Beihneiden der Trauben geſchicht zur Zeit ber
erften Entwidelung, d. 5. wenn bie Beeren die Größe groben
Schrots erreicht haben, alfo jedenfalld viel früher, als obige
Figur ed andeutet, mit ber wir aud ein Bild der Sorte geben
wollten, die fih beiier als andere zum Zreiben u (Fig. 2).
Man Idhneidet die untere Hälfte der Traube einfad) ab, wonach der
Net ſich außerordentlih raſch entwideln wird — aber nur
während der eriten 14 Tage; nad; diefer Zeit und wiederholt
von 14 zu 14 Tagen werben von ben fichengebliebenen Beeren
einzelne, und immer bie fleinften, vermittelft einer flumpfen,
d. b. nicht fpiken Scheere berausgeiänitten, und erhält man
ſchließlich zwar wenige, aber unglaublich große Beeren; —5*
lache dabei ift das allmähliche Entfernen eines Ki der
einzelnen Beeren,
Das Ringeln verurfadt nit nur ein ſiarles Anfchwellen,
fondern aud ein frühes Reifen der Berren, darf aber nur bei
Trauben ep werden, welde an den eigentlichen Frucht ⸗
ruten, nicht bei folgen, welde an den Zudtruten ſihen. Vehtere,
von denen die meillen, wie oben auäge wurde, im näditen
Yabre Fruchtruten mit Trauben bringen jollen, würden dadurch
peiamänt und verborben ; erflere Dagegen, bie Fruchtruten, werden
m der Regel im Herbſt abgeinitten, brauden aljo Reſerveſtoffe
nit anzufammeln,
genannte Operation wirb ausgeführt, wenn bie
Beeren die Größe Meiner Erbien erreiht haben, und zwar an
der Rute unterbalb der Traube, indem man burd ein
ſcharfes Meffer (befier noch mit der fog. Wingeljange, die in
allen befieren — — vorrätig In wirb) einen höchſtens
15 mm breiten nn ber Rinde bis au
ernt.
da Barber.
Trachten der Beit.
Bon Ida DBarber.
Wohl in feiner Zeit bes Jahres ift das Interefie für neue
nah rege, ale 8 der ae Man he in ben —*—
—— —— 52 ge die Kaufenden, es
auföverbote er ober bie neu eingelroffenen
Modeartifel bald geräumt werben. ”
Der oft und nicht mit Unrecht beflagte ewige Wediel in ber
Mode fheint der Mehrzahl der Damen eine Art Naturgefch zu
fein. Da gegen Gejche pi auflehnen ftrafwürbig fein würde,
madıt man es ſich zur pri t, jährlih fo und fo oft und wohl
öfter, als ed einem nicht reich dotierten Budgel zuträgli if, den
Modediktaten Folge zu leiften. Daß viele in v re pfl dierfüls
—— weit gehen und gar oft als Modenärrinnen angejchen
werben, fol uns nicht hindern, au unfrerjeits den Nouneautes
Beachtung zu ſchenlen und fie einer geeigneten Prüfung zu unter»
siegen. Abſehend von vielem Unſchönen, das als neu empfohlen
wird, möchte ih die Aufmerkjamteit der gechrien Leferinnen auf
einige für bie diesjährige Sommermode beflimmende Modelle
lenfen, die in unferen Jluftrationen anfhauli dargeſtellt find.
Da ift 5. B. das gan) reigende Koftim Etephanie aus lidtem
Commerlodenftoff gefertigt,
Nod und Zaille vorn ge»
faltet, die Taille mit breis
tem Hüftgurt von Samt
abjhließend, der Rod vom
ädjerartig ausftrablend, die
Iten oben dicht zuſammen ·
geſchoben, nn Seite
wagerecht br ‚ binten
volle Stoffpuffen mit Samt»
maſchen. Derartige Roftüme
werben ftatt bes ts bi
5 Ueberdruß geſehenen
I 2 (Roftim Ghaumont)
ein ebenjo kleidſames, wie
ut ausgefübrtds Modell
nden. Die Zaille ift vorm
Ibawlartig drapiert, der Latz
jwilden den beiden Shaml«
enden gekrauſt, dem ent«
Iprechend eine gleichfalls reich
Braun. kurze Zunique,
ie in breiten, durd eine
——— gejogenen
Ehawls 78
deden drei
deren hohlſtehende
ein längs
gebradhtes farbiges Futter durchbliden l . Gleichfalls 10
has den Ice Mi Allen) Das
Big. 1. Rofüm Gtephante.
denten Grdug in
t auf —— von
Siaategeheimniſſen? zu verſtehen; wenige Tage, nad fe fih
teren lieh, waren
u Grunde liegende Idee ifl in
fig. 3 veranſchaulicht; die Taille ift mit zwei Ehamlenden dra-
piert, die an ber Schulter einer breiten Samtpafle angenäbt find;
ſelbe werden freugweis geiglungen, an der Xaille durch einen Gu
befeftigt und bilden unterhalb derjelben eine Art furzer, ebenfalls
freugmweis geſchlungener Zunique, die auf der Tournüre in einem
Anoten oder einer großen Maſche endigt; dazu ein durchweg ge=
Ridter Rod, oben mit leichtem Gazeſtoff brapiert, qeftidte durch ⸗
fihtige Aermel mit Samtmafden; recht betrachtet ift Die Shawi ·
taille eine Art Fichu, das zu jedem leide getranen werden kann;
für ſchlanle, —J Erſcheinungen wird es fi | it fehr
tleidend erwweifen, Obſchon man die Parole autgab, hinten
—
Trachten der Zeit. 339
teouffierte Röde nicht mehr modern feien, fieht man doch viele
der neueren Modelle in den Ginterbahnen jo reidy gefaltet, daß
etliche Meter Stoff gut fehlen könnten, ohne das Arrangement
faltenlos erſcheinen zu lafien. Fig. 4 ftellt ein derartiges aus
eerufarbigem ftanevasftoff
gefertigtes Koftüm dar:
der Rod, ganz glatt, ift
aus braunem Brodes ge⸗
riigt, darüber eine vorn
ur; geraffte lonaife,
deren reich gepuffte Hinter ·
Fr durch 8* -
toff gefertigte na
ogen find. Für Reife
Doppeltunique von zweier«
lei Stoffen, Taille und
ſtragen ebenfalls gemiſcht,
die Taille vorn mit einem
Jabot von Goldipiken,
oje ebfftlehen
aſche a end.
Unter den Mode»
Kin, die wir in dem
etö wohl afjortierten Las
ner ber Gebr. Pollitzer
(Wien) zu ſehen Gelegen ·
Big. 2. Arnim Ghaument. beit hatten, feinen die
neuen freppartigen Woll»
gewebe, „Barcival* ges
nannt, die in Art der Leinwand gewebten Wollſtoffe (Sommer-
toben), die halbjeidenen Bourrettei und Hein gemujterten Brodes
und etlidye andere, die wir nachſtehend fkizgieren, das Neueite des
Neuen. Die Sommerloden find ein echt or Gewebe von
gediegenem Wert und folidem Anſehen; fie dürften bald bie
taihmir- und fanevasar«
tigen Stoffe, die ſeit Jah»
ren ihren Plah in ber
Damentoilette behaupte
ten, verbrängen ; der Pat»
eival hat einen fast ſeiden ·
artigen Glanz, if in
braun, grau, olive bor»
deau und dem jeht mehr
als je beliebten deru vor»
rätig. Yu englifden os
ftümen gut verwendbar
find bie neuen Beiges
facda mit Quftreihuß und
meliertem Fond. Luisine
rayd nennt fih ein Sei-
denftoff mit wollartiger
Dede, der zu den elegans
teften Bejuchstoiletten ver ·
arbeitet und auf der neuen
Fähermaihine plifftert
wird. — Ein großer Kon ·
fumartifel dürften die jehr
praftiidhen, weil unfled«
baren nes mit chi ·
niertem Grund werben;
fie find mit Pelude-Ster-
nen oder Heinen Früchie ·⸗
muftern brofchiert, elegant,
leicht und, dem Gewebe
* & en Karen
nd zumelit aus
Wie. 3. Rchäm Willen. blauen, voten, grünen,
braunen Fäden gebildet,
der Schuß grau, jo dab das Ganze grau eriheint und das
unterliegenbe Ombre nur Ve inmert.
Die neuen Foulés, in Art der Longſhawls mit buntfarbigem
Muiter durhwebt, finden vielen Beifall; fie entipredhen mehr dem
lebhaften Gente; jolid in farbe und Kompofition ift Dagegen ein
wollreier, atlasarliger Stoff, der, dba er feinen Epedglany an«
N
Y
FREE
nimmt, den feither beliebten Kaſchmirs wirljame Ronfurtenz
m. x ihe der im Tapiſſeri fi
n e m ifferiegenre gewebten Stoffe, deren
Fond fanevasartig mit Blumen und Früchten gefült ift, nimmt
der neue Grenadine de
laine einen bervorragen-
den Rang ein. Er gehört
u jenen leichten, tleib«
amen Geweben, deren
Faltenwurf eleganter als
der ber teuerften Stoffe ift.
Im Seidenfah find
wenig nennenäwerte Neu ·
heiten. Die Carreaux
broch6s find in hübſchen
Farbftellungen vertreten
(Heine Rojenknojpen auf
fariertem Grunde), die
ftarf gerifften Ottomaned
mit Samtpleins, die tra»
versgeſtreiften Ripfe und
matt dhinierten Etofie
werden viel mit Samt,
Merino oder durchweg ge-
ftidten Stoffen verarbeitet.
Für den Hochſommer
empfiehlt man geftidte
Baitftoffe (Rohfeide), ge⸗
blümte Foulards und ab»
aepaßle Muſſelineroben,
die mit Irish Guipure
oder engliſcher Stiderei
garniert werden. —
In der Wahl der
Kindergarderobe find un ·
fere ſeht beforgten Mütter,
die fih auf ihr pädago-
giſches nis viel
zu gute thun, nicht im⸗
mer fonderlid vorfihtig., Bla. 4. Koſtam mit trouffiertem Rod.
Die Leinen Leutchen mer»
den in allerhand buntfar«
—** weißen Di und EStidereien bejehte Samtloftüme
aeitedt, deren Form fo kotelt und auffallend ift, dag man ihnen
dermaleinft, wenn Dämon (itelfeit fi im die jungen Seren
einniftet, feine Vorwürfe
wird maden fünnen. Gar
u viel der Falten und
btthen, au viel der
unten Bänder und eles
—— Aufpußftoffe! Die
leider der feinen Mäd«
hen find wie die der Das
men garniert, gerafft, ge=
pufit, die Anabenanzüge
gleihfalls mehr als ele⸗
ant — Im
4
n
ſtinderloſtüme ſehr em»
pfehlenswert. Fig 6 flellt
beiſpielzsweiſe einen aus
lichtgrauem Tuch gearbeis
teten Anabenanzug dar,
der ohne viel Beſah unds
Schnörlel trefflich Fleidet; -—
der Paletot ift unten durd
ein paflepoiliertes Ban ⸗
deau abgegrenzt, die Bein ·
tleider in gi ber Art ger
ſchloſſen, oben halboffener
ragen mit paſſendem
it
Paflepoil, Das Mädden«
foftüm (Pig. 7) if in
Paletotform gehalten,
vorn mit farbigem Fal ·
teneinjak, durd Mer
tallihleife überbrüdt ift,
hinten mit breitem Fal ·
tenftüd.
Das Monplusultra
des Einfachen find die von Magnet (Wien) eingeführten Trifot-
anzlige (Fig. 8), die in der Art wie die Nerjeytaillen feft ans
I&hließen und jede Hörperform plaſtiſch bervortreten Iaffen, Man
verfauft diefe Aoſtüme für Mädchen wie für Stnaben in Wolle
und Geide; allem Anſchein nad dürften fie ein bedeutender
KRonfumartilel werben,
Die. 5. Rom Eatanefla.
340 8. Dogt.
Di 8. und € ü db eift i
bunten Yan — * — ae Teac Staa "ih a
beliebt, aud die Tüll · und Ktrepp · Façcont werben mit Bunt ber
zogen, reich mit farbigen Schleifen, Blumen, Aehren, Gold«
nadeln x. garniert. Sieht man fold einen mit Nabeln gepukten
Hut, jo ſcheint es, als habe die Modiflin nur das Arrangement
entworfen, die Puffen und Schleifen geftedt und beabfidhtige,
Big. T. Big. 8, die: ©.
nachdem fie diefe genäht, Die Radeln herauszuzichen; in Wirk«
lichteit find aber diefe wohl 3 cm langen Goldnadeln der eigent«
lie Schmud vieler Hüte.
Die Gapotes haben vom auf der Pafie rings herum eine
faſt handbreite Blumenrüſche, oben hoben Touff von Schleifen
und Federn; jelten begnügt man fi, entweder nur — oder
nur Blumen zum Aufputz zu nehmen. fig. 9 ftellt einen ſolchen
aus jonnverbranntem Stroh gefertigten Hut bar, der vorn mit
dichtgeſetzten jamtartigen Achren gamiert iſt; den Kopf deden
Touffe gelber Etraußfedern, feitwärts breite Ottomanichlupfen.
Aunge Mädchen tragen vorwaltend die hohen in Fig. 10
und 11 flizgierten Gylinderformen ; Big. 10 ift jeitwärts aufge.
bogen, den Kopf umgibt ein handbreites flarf iger Band,
oben Mohnblumengarnitur mit Epiken, die längs des Ein
ſchnities im tiefe Tolfalten a Fig. 11 zeigt eine mehr
breite, dad cht beſchatt empe, vorn ein volles Aehren ·
Big. 9.
Big. 10.
Big. 11.
bouauet, rinneherum reich gefaltete Tülldraperie, die den Aopf
bis oben hinauf dedt.
Borgenannte Hutmodelle find dem Haufe Beutom & Grof
(Wien) entnommen,
Vefremdend iſt ed, dab die jhon im Vorjahre abgelehnten
roten Schirme wieder einmal in allen Modegeſchäften auflienen
und nod) befrembender, daß fie, obſchon Merzte und alle diejenigen,
die ih auf naturgemäke Behandlung der Augen verfichen, ſich
genen diefe auherdem auch unihönsauffallende Tracht ausipraden,
gefauft werden, Die von Aerzten jo viel empfohlenen Schirme
mit blauem und qrünem Futter find nie ein Mobeartikel ger
worden. AA es nicht bedauerlih, dak man fo wenig rationell
in der Wahl diefer und jener Zoilettenegenflände vorgeht und
dem Yufall oder irgend einer Modelaune überläkt, was im An+
terefje unjeres förperlihen und damit auch feelifhen Wohlbefin-
dens wohl erwogen werben jollte ?
—
Bicyeling.
Bicncling.
Bon
Hermann Vogt.
Die regelmäßige —— bes Velocipeds als Mittel zur
riberwegung, eine Funktion, für welde die praftiichen Gnglänper
bon längft den Namen Bicheling bezw. Tricheling erfunden
haben, während wir nod immer zwiſchen dem „Reiten“ und
„Fahren“ auf dem Belocipeb ſchwanken, diefe Benutung bat im
Yaufe der Ichten Jahre jo an Ausdehnung gewonnen, dak dem
Leſer diefer Zeitſchrift einige theotetiſche Winfe über deren prat ⸗
tifche Erlernung vieleiht nit unwilltommen find.
Um fein Pferd trihen zu fünnen, muß der angehende
Reiter zunãchſt lernen, fih auf dem Rüden besjelben fortwährend
im Gleichgewicht u erhalten. Diejelbe Anforderung bat der An«
fänger als erſte Worbedingung an ſich zu flellen, wenn er das
Velociped „reiten” will. Namentlich bei der gweiräbrigen Maſchine
fommen in dieſem letzteren Falle aber außerdem noch befondere
Schwierigfeiten in Betracht, denn der breitere Rüden des Pferdes
erleichtert die Haltung und der Reiter des Velocipeds, um biefen
Ausdrud der Einfachheit wegen hier —— bringt ſich bei vor
Trinbewegung zur Drehung der Kurbeln ſelbſt aus dem Gleich»
gewicht. Mit dem Heben und Senten bes Beins muß ber Reiter
alſo fiets eine Bewegung verbinden, um daß gejtörte Gleichgewicht
wieder uftellen. Dies geſchieht mitteld eines Drudes ber
Sand auf bie Lenkitange, welde nad derjenigen Richtung ner
dreht wird, wohin das Gleichgewicht verloren gebt. Umgelehrt
muß der Reiter, wenn er mit bem Belocipeb eine Wendung voll«
führen will, das Gewicht des Hörpers nad der entipredenden
Michtung legen und die Lenfitange ebendabin drehen, Diefer
yunbamentalfaß ift bei den erften Uebungen, welche lediglich den
wed verfolgen, Balance halten zu lernen, flets und unverrüdt
im Auge zu behalten, Die Lenkftange darf aber, und bies
bier vorweg bemerft werden, nie jo jdharf gedreht werden, da
vordered und hinteres Rad in einem rechten intel aegenein«
— ſtehen, weil ſonſt die Maſchine notgedrungenerweiſe ums
Eelbfiverftändlih fan man Velocipedreiten ebenfowenig in
einem Tage lernen, wie das Meiten eines Pferdes. Leicht und
aeihidt Balance zu halten, erfordert Uebung und die erforberlihen
engen der Hand auf die Lenkſtange müflen dazu völlig
abfihtelos und aleichſam inftinktio ausgeführt werden.
Zu ben erflen Reitverſuchen beſchafft man fi am beflen ein
Belocived, weldes nicht höber ift, als uın dem im Sattel fikenden
zu geitatten, nod gerade mit den berabhängenden Fußſpi
beiden Seiten den Erdboden zu berühren, Gine jolde Maſchine
ermöglicht leichteres Beſteigen und aeftattet au, in der erften
dat mit Hilfe der frühe das lmftürzen zu verhindern. Am
eiten wird damit begonnen, das Belociped führen zu Ternen,
indem der Anfänger mit der linlen Hand die Lenkſlange er»
greift, die Rechte ſchiebend in den Sattel legt und die Maſchine
durch geringes Herüberneigen zu fi davon abhält, das lleber-
gewicht nad der entgegenneichten Seite zu befommen. Darauf
wird das Belociped wie ein Reitpferb von der linlen Seite be»
fliegen. Der „Gyelift* ſchlägt daB rechte Bein über den Sattel,
umfaßt mit beiden Händen die Lenkſtange, Daumen nad unten,
und läßt vorläufig die Beine lang berunter hängen, ohne bie
Füße auf die Tritte der Kurbeln zu fehen.
Zwedmäßig ift es, wenn eine zweite Perfon bei diefen erften
Manipulationen das Belociped durch Feſihalten hinten an ber
Etanpe im Gleichgewicht hält, und diefelbe fann ſich auch dadurch
nüglih machen, dab fie nun die Maſchine durch Ecieben in
Gang fcht. Der Reiter läßt die Beine rubig ſeitwärts berab«
bängen und ift nur bemüht, bei der langfiamen Borwärtsbewegung
durch *1* auf die Lenkſtange und durch deren Drehung die
Balance zu halten. Diele Art der erſten Uebung kann auch ohne
anderweite Hilfe angeflellt werden, wenn der angehende Reiter
fein Gefährt eine ſanft geneigte Ebene von felbit berabrollen läßt.
Wahrſcheinlich wird er auf ſolche Weife Öfter zu Fall kommen,
aber jedenfalls auch von vornherein breifter werden und wie nad
dem alten favalleriftifhen Sprichwort niemand als u Reiter
ailt, bevor er nicht hundertmal vom Pierde gefallen ift, jo wird
aud der Belocipebift ſchwerlich feine Aunft erlemen, ohne an»
fängliche Miberfolge und einige blaue Fleden.
Rach den aud im Drude niedernelenten Erfahrungen eines
bewährten Anhänger des Velocipebreitend werben wenige Stunben
nenügen, um fid im Gebrauche der Lenlſtange zum Palancieren
fiber und damit gewiffermaken nun als über die Maſchine
' zu fühlen. Doch ift c8 qut, diefe eriten chungen trok der Iin-
Vequemtiätelt der berabhängenden Beine nicht zu früh abyus
breden. Die auf folde Weile —7 — verlorene w
reichlich eingeholt durch bie größere, dadurch erworbene Sicherheit
Dergleid; des jungfränlichen Ulters mit einigen Hirchenliedern. — Der geflirnte Himmel im Monat Juni.
Hatie man fi ha diefer zit — erwähnt, ger
—* die Beine unabhänig vom Oberförper und ganz ſelb ⸗
ftändig zu bewegen, fo ift die größte Schwierigkeit überwunden,
und der Reiter kann ſich der zweiten Yufgabe zuwenden, bem
* des Pedals, um das Velociped in Gang zu ſetzen und zu
alten,
Am beften beginnt man mit einem Fuße, deſſen vorberer
Sohlenteil mit gleihmäßigem Drude auf das Pedal geftellt wird.
Die Kurbel dreht ih, das Pedal geht in einer reisbewegung
nad unten, bis es den niedrigiten Buntt erreicht hat Kurz vor
diefem Moment gibt der Fuß einen elaftiichen Stoß, um die Auf«
wärtsbewegung des Pedal: zu beiverfitelligen, und muß ſich nad
oben natürlich heben, ohne doch die Fühlung mit dem Pedal zu ver
lieren. Nachdem das richtige Gefühl für eine gleihmähige Kurbel ·
drebung mit dem einen Fuße gewonrfen, ſucht der eifrige Schüler
dieſelbe Geſchidlichteit mit dem anderen Fuße zu erreihen, unb
geht dann dazır Über, beide Frühe abwechſelnd zu gebrauchen.
Oberlörper wird ruhig aufreht gehalten, bie Ellbogen
liegen leiht am Leibe, die Yenfitange dient als Etübe und übt
er den zur Aufrehterhaltung des Gleichgewichts nötigen
enbru:
Sobald im langfamen, methodiſchen Fortfchreiten ber werdende
Cyclift nad diefen allgemeinen Regeln einmal fo weit gelommen
if, um obne erhebfi, in · und Herſchwanken das Belocipeb
einlgermahen geradeaus reiten zu fönnen, fo darf er ſich getroſt
des bequemen Vehilels hr den Zweden des tägliden Lebens bes
dienen, Unausge ſetzte ebung befeftigt dann die Sicherheit fort
und fort. Dan t raſch die Lenkflange aud mit einer Hand
zu regieren, abwechſelud die Füße ausjuruben, indem man dieſe
über die zu beiden Geiten bes Pedals angebradten Unterftüjungen
Hlägt, oder gar nad Amazonenart im Sattel zu fiten, ohne
ie Balance zu verlieren. Ja, wer weiß, ob nit in verhältnis»
mäßig furger Zeit der Name des früher fo unfiheren und
etwas angſilichen Anfänger gar ald der des Siegers in einem
Belocipedrennen genannt wirb, oder die Sportblätter von einem
neuen Matadbor zu berichten wifjen, welcher in voller Beherrſchung
feines Inftruments die ſchwierigſſen und fünftlihften Wendungen
und Figuten mit vollendeter Eleganz und Eidyerheit auszuführen
€
u if dann übrigens eim anderes Belocipeb erforderlich,
welches höher, von neuerer Konftruftion, Überhaupt eleganter ift,
als das unideinbare Fuhrwerk, auf dem bie Etubien begonnen
haben. Als Anbaltspuntt bei einem etwa beabfidhtigten Kauf in
dieſer Richtung fünnen die Dimenfionen gelten, die das für die
meijten Perjonen brauchbare VBelociped nah den Angaben eines
Stenners etwa haben joll, wenn diejelben Js nad der körper
beſchaffenheit des Kaufenden auch vielfah ändern müffen:
Durch des vorderen Rated . -. . » . . 95 cm.
Durchmeſſer des hinteren Rabeb .». » . 2 ..085 „,
Länge der Aurbel . . . » 2 2 2 2 en. 165
be der Lenkſtange über der vorderen Adhie . . 75
änge der Venfitange .
ee re Satire MO
Direlte Entfernung der beiden Abin . - . . 96
Gröbte Entfernung der Pedale bis zur Sattelfpige 85
Zu diefen Maßen ift indes zu bemerken, daft die Hinterräder
bei den Fuhrwerlen neuerer Syſteme durchſchnittlich viel niedriger
im nn ju den ——— zu fein pflegen, als bier an»
eben.
— Eine beſondere Uebung if erforderlich, um bequem und ſicher
in den Sattel zu vn Wo an der Berbindungsitange hinter
dem Vorderrad ein Tritt angebracht ift, ergreift der Neiter die
Lentitange mit beiden Händen, flellt den linfen Fuß auf biefen
Tritt, jet fein Vehikel langſam in Bewegung, und durch den
Abſchwurng mit dem rechten Fuße gewinnt er von hinten feinen
Eik. Sonft ftellt er die beiden in einem ftumpfen Winkel
ander, faht die Lenkſtange nur mit der Linken, ſchlägt
das rechte Dein Über den Sattel, jeht mit dem rechten Fuß durd
Treten des Pedals das Belociped in Bewegung, und zieht dann
auch den anderen Fuß hinauf. Den Eindrud Ubertaſchender Kraft
und Gewandtheit macht es aber, wenn der Reiter die Maſchine
in raſche Bewegung Seht, fich mit der Linken auf bie Lentitange,
mit der KRechten auf den Sattel ftüht und dann mit einem
Eprunge in den Eih voltigiert. i
Wie der einzelne Reiter natürlih nad feiner Inbivibealität
und ber erlangten Sichetheit diefe Methoden zum Auffigen noch
durch die veriiedenften Feinheiten ausfhmüden kann, fo geſchieht
aud) dad durchaus nicht leichte Abfigen auf manderlei Art. Der
Reiter jest den linten Fuß auf den oben erwähnten Tritt, hebt
fh im Sattel und läkt im Rieberfehen bes rechten Fußes auf
den Boden die Maſchine unter fih durdlaufen; er ſchwingt,
wenn zu dem erfien Verfahren das hintere Rad zu hoch if, das
techte Bein rüdwärts oder vorwärts über den Gatiel und tritt
341
mit dem linfen Fuße ab, wenn bie Kurbel den niedrigfien Punkt
der Drehung erreidht bat, oder aber er t beide de auf
und ſchwingt ich nad Art der Uebung am Boltigierpferb gleich⸗
jeitig mit beiden Beinen nad rüdwärts ab.
Dielfady wird die Frage ventiliert, wie die Geihwindigfeit,
mit weldyer man auf dem Zrichele fortlommen Tann, fid etwa
zu den möglichen Leitungen des Bicycles verhält. Beftimmte,
duch ale feftgeftellte Leiſtungen beglaubigte Angaben
laſſen fi darüber ſchwer maden, da unferes Willens in einem
Rennen beide Arten von Belocipeds nod mit gegeneinander aus«
probiert worden find, Im allgemeinen muß man feithalten, daß
die Geſchwindigleit, die mit einem Häderfuhrwert E erreichen
ift, im demſelben Maße zunimmt, wie bie zu überwindende
Reibung gegen den Boden geringer wird. Wo es fid deshalb
um eine möglihft aroße Geſchwindigleit handelt, wählt man
uhrwerle mit wenigen und hoben Radern, welch Iehtere leichter
iber feine Unebenheiten der Grdoberfläde fortrollen. So find
bereits „Einräder* mit einem Durchmeſſer von 12 Fuß entitanden,
bei denen der Reiter hoch im der Luft thront, oder innerhalb deb
Rades feinen m. findet, Prattiſche Berwertung haben bieje
Konftruftionen wohl noch nicht gefunden, wenn aud die Erfinder
behaupten, mit ihnen die Schnelligleit eines gut gehenden es
erreichen zu können.
Für Rennzwede erjcheinen jedenfalls zweirädrige Belocipebs
als die beiten umd erfordern auch wohl den verhältnismäßig ge»
zingften Straftaufwand bei der Benukung. Die Tricheles da-
gegen gewähren einen bequemeren Sih und wenn man unter
ſonſt gleihen Vorbedingungen mit ihnen auch nidt eine bene
Strede in derfelben Schneligteit durcheilen fann, wie der Bicgelift,
o find fie auf ber anderen Seite leichter im Gleichgewicht zu
alten und eignen ſich deshalb beffer für Ältere und bequemere
Perjonen, wie denn zu gleicher Zeit verjdiedene, auf oder im
ihnen aud von Damen unternommene weite {Fahrten von wochen ⸗
langer Dauer den beften Beweis liefern, dak der notwendige
Kraftverbrauch durchaus nit vernünftige Grenzen überfteigt.
ed den tägliden Gebraud in der Stadt oder bei kurzen Touren
ber Land ag deshalb das dreirädrige Belociped zu.
Borteile, doch bleibt die Wahl zwiſchen Bichele und Zricy
immer Sade des Gejhmads, der Individualität Überhaupt.
Dergleid
des jungfräufiden Xlters mit einigen Kirchenliedern.
im 15. Jahr: Rom Himmel hoch da fomm ich ber :c,
1. „ Wie rn leuchtet der Dorgenftern ze,
& lich thut mich verlangen :c.
5 ift gewißlich an der Zeit zc.
Ad, wann wird e8 dahin Tommen zc.
err, wie bu willft xc.
ch hab’ mein Sach' Gott heimgeftelt ze.
Aus tiefer Not ſchrei id zu dir ıc,
—— iſt der Sonnenſchein x.
un ruhen alle Wälder x.
Nun laffet uns den Leib begraben ꝛc.
21.
25.
EZ BE SE Zu zu zu zZ zu:
vn —— —
—D
Der geſtirnte Himmel im Wonat Juni. *)
Die Pracht des Sternenhimmels ift in dieſem Monat durch
die Dämmerung, welde es fat zu feinem eigentlihen Racht.
dunkel fommen läßt, weientlid beeinträchtigt.
Aud von den Planeten ift wenig zu ſehen, bod erreicht
Benus zu Anfang des Juni ihren größten Glany als Abend«
ftern, fo daß ihr firablendes Licht unter günftigen Berhält-
niffen fogar ſchwache Schatten erzeugt.
Mars fanın man nur Ai weitlichen Sorigont fehen
und aud Jupiter geht gegen Mitternadht unter.
Saturn steht Hinter der Eonne, daher alſo unſichtbar.
Was den Mond anbelangt, fo trittam 8. Bollmond, am 16,
das letzte Viertel, am 23. Neumond und am 30. dab
erfte Viertel ein,
in T. fteht der Mond in ber Erdferne, am 28. in der
übe,
*) Auf viele Anfragen teilen wir bierburd mit, daß die Eiern
karte, melde dem erſten Hefte beigegeben war, aud für neueintretenbe
Übonnenten oder Golde, denen bad Blatt abhanden gelommen if,
gegen Ginfembung von 30 Piennig in Briefmarken dur die Verlagk
danblung diefer Zeitirift zu beziehen If.
342
Kopf und Fuß.
Mit fo d in befannter il .
ohne Stopf ne Fuf ——— —— A *
Mit Kopf und Fuß
eine Dichtung, ohne
Kopf und Fuß ein Fluß
in Italien.
Mit Kopf und Fuk
det Gründer eines gro«
fen Reiches, obne Hopf
und Fuß ein Schweizer
Kanton,
Hilbenräffel.
Aus folgenden 28
Silben find 13 Worte
u bilden, beren Ans
angs · und Endbuch ·
aben, ſowohl von un«
en nad) oben, als auch
von oben nad unten,
den Namen eines ardi»
tettoniſchen Gebildes geben: al co be be bi eb eleg e fall
fünf ge e ju le le ji Hi lipp mer ner ne phi rai roe staff
sche well.
1) Ein männlicher Vorname; 2) ein großer Fluß in Deutich⸗
land; 3) ein Zeiheninftrument; 4) der Name eines Monats;
5) eine Meereseriheinung; 6) eine Zahl; 7) ein männlicher Bor«
name; 8) ein berühmter Lump; 9) ein Yaubbaum; 10) der Er»
nder der Galvanoplaftit; 11) ein polnifder Didhter; 12) ein
[dgerät; 18) ein tapferes Volt
Chineſtſches Rälſel.
Uebderfept von C. Urenbs in
24 Peting.
Weißſchweſterchen heiß ich —
Bin ſchiant und zart, — Mein
Shidial if traurig — Mein
Shhidjal ift hart. — Allabend ·
lich iteh’ ich dem Süngling jur
——— Ds und
udiert um v ge ·
nug, — Dann hau’ 14 mit
ommendem Blid ihm ins
uch. — Bon den bleiden
Wangen ohn' Unterlei —
Ninnt nieder der quellenden
:hränen Rab, — Doc er merft
von nichts, fein Herz bleibt
talt, — Und bie Stunde ver«
rinnt, es it Mitternadt bald,
— Da erhebt er zu mir fchlaf«
trunten fein Aug! — Da ber
rührt mid fein Odem, jein
warmer Hauch, — Da durch ·
uert mid) Wonne, nachläßt
ie Blut — Und die Flamme
verliiht, — Weißſchweſterchen
ruht. — So geht es Tag für
Tag — Weißſchweſterchen ach!
QDD ——
gebildet werden, deren Summe bie Zahl 11 ergiebt.
ALELTETZETTTTTETTTITTETSETTEITESTEIZEITEISTEITEITETTTEIZEIITETTITTITETEIEITETSITETTEIITE
—
a3 Bum Kopf⸗Zerbrechen. 2»
Geographiſche Aufgabe.
Durch Verbindung verſchiedener Städte ſollen zwei Ziffern
Die Ber-
bindungspunkte bilden ;
Scherzfrage.
Welcher Unterſchied
iſt zwiſchen der Wahrheit
und einem Haſen, dem
das Fell abgezogen it?
Aätlel.
Wie viel wir find,
lannſt leicht du zählen, —
Wenn an der Hand nicht
nger fehlen. — Ber»
Hieden und bod gleich
enannt — Sind wir
als Brüder dir befannt. — Fehlt einer ober gar nod mehr, —
So dauert fold ein Menſch dich ſehr; — Dod wer uns
alle hat, — Der braucht nicht fremde Hilf’ und Rat; — Weiß
felbht, wenn ihn das Nöslein fit, — Ob gut eb ober gar nicht
riecht, — Ob Röschen weiß, ob gelb, ob rot, — Ob fauer ober
Ir ein Brot, — Vernimmt bes Glödleins hellen Stlang, — Ob
&ön, ob falich If dein Gens: — Unſichtbar find wir Brüder-
lein, — Doch müflen wir bei dir flets jein. — Willſt wiffen, wer
wir Brüder find, — Ertal' das Rätfel bir geihmwind.
Silbenräffel.
Die Erfte firebt auflangem
— fernen Ziel
madtoot Hi, — Die Gone
ge
dieh'n. — Sie lebt der Jugend
Kae Stunden — An meiner
en breiter Bruſt — DO!
wo wird wohl ein Paar ge
reg — Das fi vereint zu
older Luft, — Sıe beide find
dem Deutihen teuer, — Die
Enret, = Die Seite gibt dm
— Die te gibt
Mut und Feuer, — Das Ganıe
madıt hint ihn weit.
äffel.
Ber Lampen fennt, lennt
aud die erfin Zwei; — Die
Anderen holt ınan gern zum
Sieges feſt herbei. — Wer feine
Rettung weiß vor Zänferei und
Reifen, — Dem mag's geitattet
fein, das Ganze zu ergreifen.
DLETZEISEISETEENZEIT EI SET ZENETZTEIEESETZETITISEIEETETISITTITESTTTTTETTETIITITIETTITEITIIZE
EITITITELIELLELELILETTEITETISTTETETTTEITEITETITETSTITTEITETIETTETTTETTETTITTEITETSETTITTI
Bahfenräffel.
Stadt in Dalmatien.
Des Kindes Spielgeug.
Weibliher Zaufname,
Berlihmter Feldherr.
Eıne Zahl
eiftaat in Amerika.
il des menſchlichen Körpers.
Fine Rupferımünge.
Ein Gewürz.
Ein Geſaß.
Ein Ordenspriefter,
Seom=-udunacn
Sana nn wm
Sun - ⸗α
—o—— —
cee
>» *2*
a wm
Derfekräffel.
Durch Umftellung der Buchſtaben der beiden Wörter Erde
grob foll man eine Stadt in Schleſien erhalten.
Silbenrätfel.
Drau en folg le le ler mau ne o on sam so schil
tanz te ti um veits. Bon bieien 18 Silben find 7 Wörter au
bilden, deren Anfangs und Endbuchſtaben von oben nad unten
elefen den Namen einer jehr beliebten, erft jeit furper Zeit et ·
chienenen Zeitſchrift geben: 1) eine Krankheit; 2) Stadt in öfterr.
Shlefien; 3) ein Grabmal; 4) eine Einenidaft, die alle finder
baben jollen; 5) Schtwimmvogel; 6) weibliger Vorname; 7) großer
verftorbener Dichter.
Auflöſungen zu Heft 8, 9. 226.
Medus: Eigener Herd — Iſt Goldes wert — Jit er glei
arm — Halt er do warm. — Bätfel Bere Augenlid.
— Mätiel: Anerliedft; Aufaebroden; Nichte; Schuhhorn. —
Berfegrätfet: Lotte — Yotto,
Schad. — €. von Pröpper. Zeitgemäßes aus Küche und Haus,
Schachaufgabe Ur. 5
von 9. Barsdorf in Erefelb,
(Sähwarz.)
m» DD” © » a © «©
A B c D E 7F 6 HB
(Weiß.)
Weiß zicht an und feht in drei Zügen matt,
5chachaufgabe in Typen. 1.
Von A. Aondeltik in Paris.
Weiß. Kal. Dhl. Tb6, e4. Le3. Sf4, 08. Be6, h4, bb,
Schwarjz. Kf5. Ld5. Sc#, f8. Bc4, 06, g3, g4.
Weiß zieht an und jcht in zwei Zügen matt.
Singelaufene Föſungen.
Nr. 3 wurde gelöft von Frau J. O. in F., Alfred Zimmer
mann in Wien, H. Eahl in London, Fr. Eaufner in Nim-
. Bolke in Potsdam, Friedrich Pregler in Münden,
and in Gmunden, G. %. in fpranffurt a. M., T. Garbo
a. Codani in Mailand, G. von ber Often in Verden, W. Pravne
in Emidow, 8. Tr. in Bubweis, Ih. 2. in Hamburg, Karl
—— in Prag. Etrf, Mauch in St. Petereburg. 9. Bogt in
ubwigshafen, gran Schreiber in Horik, Adolf Fehrmann in
Höngen, Paul Renner in Leipzig.
Briefwedfel.
4. L. in 8. Dem Grfinder des Ehad werben verſchledene
Namen beigelegt, wie aud der Ort und das Land der Erfindung
nicht befannt find und bald in Perfien, bald in Indien geſucht
werben. Die Eagen darüber find derſchieden. Nah den einen
ieh der Grfinder Eifja, aud Nafftr genannt; nad andern
erzed. Cine mythiſche Schachgöttin heikt Gaiffa. Vergl. dar«
über Dr. v. d, indes Gedichte des Schahipiels oder Dr. M.
Langes Lehrbuch des Schachſpiels. Ihre zweite Frage zu beant«
worten, find wir nur infofern in der Tage, als auf matbemati«
Kon Wege in diefer Hinficht mehrfach Verſuche gemacht worden
nd, welche jedoch bei ber Mannigfaltigleit des Schach als
müßig betradgtet werben müſſen.
Beifgemäßes aus Kühe und Haus.
Von 8. von Vröpper.
Rezepte für den Juni.
f ummerfalat. Man nimmt dazu meiftens in Büchſen
einge _ — wo dann der amerilaniſche beſonders zu
empfeblen ift und fchneidet ihn in Stüdden, vermiſcht ihn mit
folgender Sauce und ferniert ihn in einer Schafe oder in Ra-
goutmufdeln (Goquillet), vor der Euppe.
343
Bur Sauce hade man ſechs ganz hart gelochte Eier, 60 g
Earbellen und eine Schalotte und menge es mit Oel und Eſſig an.
KRalbeleberjuppe. Dan bade eine Kalbsleber mit
60 g ungeräuderiem Eped und drei mittelgroßen Zwiebeln,
dämpfe dies nebſt einer handgroßen Brotrinde in 60 g Butter,
iebe Fleiſchbrühe oder fonft qute Brühe daran (hier J. B.
albölopfbrühe) und thue etwas geriebene Mustatnuß und ein
paar geſtohene Bewürzjnelfen dazu, und wenn dies alles juſam ·
men recht gelocht hat, jo treibe man es dur ein Sieb und lege
in Butter geröftete Weißbrotſchnitichen hinein, kann die Suppe
auch nod mit ein paar Eidottern abziehen und wenn man ihr,
nebft dem andern Gewürz, nod einige gequetihte Wacholder»
—— uſetzt, jo befommt fie den Geſchmack von rammett-
geliuppe.
Abgelohter Aal mit Kartoffeln. Man flede einem
ſchonen Aal den Schweif in den Raden, fo daß er einen Ring
bifdet, falze ihn etwas und foche ihn in_gefalgenem Waſſer ab;
richte ihn auf einer erwärmten runden Schüſſel an, gebe in die
Mitte ſchön rund geihälte Salzlartoffeln und übergiehe das
ganze mit feinnefhnittener, in heißer Butter eben aufgelodhter
Peterfilie. — Belonders gut mit neuen Kartoffeln.
Gurlengemüfe mit Kalbslopfluden. Man ſchneide
ſchöne gejhälte Salatgurfen der Länge nah in vier Zeile,
nehme die Krone heraus und teile jedes Viertel der Quere nad
in drei Stüde, ſchäle auch fo viele Heine Zwiebeln, ald man
Gurkenftüde hat und lege beides N Stunden lang in eine
Marinade aus halb Eſſig, halb Waſſer, Pfeffer und Calj;
Er dann die Marinade ab und fo viel Bouillon an die Etelle,
dat Gurfen und 8 bededt find und koche fie nun fo
lange, bis alle ®rübe verlocht ift, wonach man nod etwas
Bouillon, den Saft einer Eitrone und ein wenig Zuder daran
thut und damit auflochen x”
Kalbbtopftuchen. an koche einen abgezogenen Kalbe»
fopf, wie man ibn mit dem logenannten Falbegelünge be
tommt, in Wafler mit Salz, Orwilrz und Wurzelwert gar, lafie
ihn auf einem Sieb abtropfen, löfe fogleih alles Fleiih aus
und lege es, in hübſche Etüde zerteilt, noch warm dicht zuſam⸗-
men, auf einen groken flachen Fetter, daß eö wie ein Suchen ift,
der, erfaltet, auch wie ein Auchen zulammenbält. Man beftreidht
ihn dann mit verflopftem Ei, beitreut ihn mit neriebenem Weihe
brot und badt ihn, mit halb Butter, halb Schweinefett, wie
einen Pfannkuchen, auf beiden Seiten ſchön braun.
Die Brübe kann man zu Euppe, bier zur Halbeleber-
fuppe, benußen und ich te dabei aufmerfiam maden, wie
nüglih das jo mohlfeile Kalbagelünge (Kopf, Leber, Herz
und Yunge) für den Haushalt ift, da jedes, Im veridiedenfter
MWeife, vier fehr qute, ja ſelbſt feine Speiſen zu liefern vermag,
worauf wir jpäter nod einmal jurüdfommen werben.
Rebihlegel im Biute (frangdfiihe Kühe. Man
beftreicye den Schlegel von einem ſchönen jungen Web leicht mit
frifcher feiner Butter, flede ihn an den Epiek und wenn die
Butter zu dampfen beginnt, jo ſieche man mit einer filbernen
Gabel din und wieder in den Schlegel und qieke, wenn aub
diefen Stichen Blut tritt, reichlich Chablis darüber: dann folgt
wieder Builer · Ueberſtrich und wenn die Butter danady in roten
und rauchenden Tropfen berab fällt, abermals ein Ghablis-
Ueberguß und fo wird fortgefahren, bit das Blut häufiger und
dichter beraustritt und herabträufelt, der Schlegel nun fertig ift
und nad fünf Diinuten vom Spieß genommen, vorher aber
noch mit einem Glaſe Ghablis begoſſen wird.
n Frankreich aibt man dieſen eigentümliden Braten na«
türlih ohne weitere Autbat, ich babe aber, und mit Beifall,
NRartoffelfalat und Aohannisberrfompott dazu fervieren laflen.
Bertsjtel alat. Dean Ihäle die mit der Schale gefodh-
ten Kartoffeln, Schneide fie, nod; warm, zu Scheiben und über
giebe fie mit fettlofer, durch ein Tuch er kodhender Fleiſch ·
brübe (etwa 4, 1 für einen gehäuiten Suppenteller Kartoffeln),
ſchwenke fle einigemal in der Schüſſel um und lafle fie erfalten.
Dann bereite man aus zwei rohen Eidottern, 1, k Del, fünf
bis ſecht Löfieln Eifin, etwas falter FFleiihhrühe und tünf bis
ſechs Löffeln fühem oder faurem Rahm eine Mayonnaifefauce
und milde bie Hälfte davon unter die Kartofjeln, welde man
in Beraform anridhtet, mit dem Reſte der Sauce überftreidt und
mit Mireb Pidles verziert.
Yohannisbeerfompott. Man gebe 1, k abnebeerte
rote Johannisbeeren oder halb rote, halb weite, mit 180g
Be und vier Fflöffeln Wafler in die Romponſchale, ſchwinge
e fo lange, bis der Zuder ganz geihmolzen ift und laſſe fie ein
paar Stunden ftehen, worauf fi dann, wenn fie nehörig ge
ſchwungen worden, der Saft zur Gelee gebildet haben wirb.
Engaliſche Obftpaftete Fruit-Pie). Man bat dazu
in England eigene Schüfſeln (Pie-Dishes), die auch hierju⸗
lande wohl zu haben find, indeflen thut eine etwas tiefe Schüffel,
welche das er at, biefelben Dienfte, nur ift es ratlam,
fie auf ein Blech über Salz zu flellen.
Diefe Schüſſel nun fülle man gehäuft (fuppelförmig) mit
beliebigen, mit Zucker gut vermengten Objte, wo für dieſe Saifon
—
en a3 Zum Kopf⸗-Zerbreck
Kopf und Fuß. Geou
Mit Kopf und Fuß ein befannter franzöſiſcher Sorname, Dur Verbind
ohne Kopf und Fuß der Name eines allbefannten Schiffes gebildet —— J
Mit Kopf und Fuß
eine Didtung, * R e b u s.
Kopf und Fuß ein Fluß — —
in Italien. - m —
Mit Hopf und Fuß — —
der Orunder eines gro·
ben Reiches, ohne Hopf 2
und Fuß ein Schweizer FE —
Kanton, > *
— —
Silbenräffel. —
—
Aus folgenden 28 — —
Silben find 13 Worte —
In bilden, — Ans —
angs · und Endbuch; - —
ftaben, ſewohl von un« —— — —
tem nad oben, als auch —
von oben nach unten, —
den Namen eines ardi« — ——— —
ionen Gebildes geben: al co be be bi eb eleg e fall | als Sree —
fünf ge ja ju le le li 11 lipp mer ner ne phi ral roe staff So bauen! — ——
sche Fe " & alle bat — — —“ — —
1) Ein mannlicher Vorname; 2) ein großer Fluß in Deutjch⸗ Telbit, wm — —
land; 3) ein Zeipenintrument;, 4) der Name eines Monats; | rien, - u — —
5) eine Merresericheinung; 0) eine Zahl, 7) ein männlider Bor Ir ei En
name; 8) ein berühmter Yump; 9) ein faubbaum; 10) der Er Ön * —— ————
nder der Galvanoptaftif; 11) ein polnifcher Did — EEE:
tn; 19) ein | Ich,
wir U —
ldgerät; 13) ein tapferes Bolt.
J
|
E VV——
Chineſiſches Rälſel. m
= — ——
Ueberfeht von 6, Urenbs in 5 ZZ
Being. : —z
MWeikidweiterhen heiß ich ⸗ — -_
Bin idhlant und zart, — Mein = —— in.
Ehidjal ift traurig — Mein = — Zaren.
Sanaal ift hart. — Allabend» = | un
lich Steh’ —* ——32 sur rn
Erite, — Wenn er lit und 5 — —
ftudiert und fid plaget ge = 1
nug, — Dann ſchau' id) mit — — —
Hammendem Blid ihm ins —
Bud, — Bon den bleichen
Wangen ohn' Unterlab —
Ninnt nieder der quellenben =
Ihränen Naß, — Doc er merk
von nichts, fein Hen
talt, — Und bie Stum
rinnt, es ift Mi ')
— Da erhebt erzun
Irunfen jein Hug! >
rührt mid fein 4
warmer Saudı
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chauert mic U N *
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jeshalb, um diejen
en gehende, durch
, die nadı Belieben
ber anderen Deffnung
ee Heizung des anderen
der Erienplatte bewirkt
jertifc.
Beginnen ſich bereits eine
Ah zu einer Romfahrt
9 die beiden jtattlicdyen
Mbellos aedrudt, empfehlen,
wberjelben behandelt „Ober-
Bebampagnu”, beioen neue
ud Lieb neworbenen talien-
Bibliographiiche Inſtitut
le prattiich zu erfaſſen und
em bem Publifum zu bieten
fe Proben feines fönnent
Baelien Oruppierung des Stoffe
N das volle Beritändnis für
ts zu viel, nichts zu wenig
aber entbehren dieſe Büchtt
#, und wie „Oberitalien” neben
Panorama und 45 Anſichten
et, jo das in der Äufern Form
aebildete „Kom“ neben 4 Narten
& Kin weiteres Bud) gibt diejer
au den Weg in dem niedlichen in
Eieniihen Sprabjührer” von
FE jedem ermöglicht, fid in allen Füllen
T Den längft belichten Ehöptungen
dazu angethan ift, ohne geiitige
Bnehunbe hintwenzubelfen, Hadlauders
Bidatenleben*, hat ihr Verleger Garl
Meuen Heiz zu geben verſtanden durch
1 Srigineller Alluftrationen. Der junge
EBegleitet den Grzäbler auf Schritt und
und verficht es vortrefilib, Situationen
fE wenigen Striden zu firieren. Ganz
BE Bombardier Zipfel auf der Wade vor
Fööffigieren. Bei alledem kostet die Yieferung
5 dah fidh jeder mit wenigen Mitteln frobe
Bern kann. — Bon einem Mitarbelter, den bie
bebarwonnen haben, dem gemütvollen Schil⸗
Bande, Marimilian Schmidt, ericheinen
Eerte* bei Gb. D. W. Gallwan in Münden,
in Imudenm üukern Gewande uns joeben
hält zwei Erzählungen, die merſt in „Vom Fels
Feit erblidten, alfo wohl bei unfern Abonnenten
Ina mehr bedürfen: die anmutine Erzählung au
Bonerlande „Die Schhwanjunafrau* und das tiei»
Amitummerl*. Beigegeben it außer einer biogra»
ung ein vortrefflich gelungenes Holzſchnittbiſd des
wir ebenfo wie una tolinichen, jeine Geſam—
il noch redyt lange durch immer neue Schopfun⸗
et au feben
ab
lung
Ai *
Alhletiſcher Hporf.
ſche Stnabe übt und flählt den friſchen Mut und
Mbkichen Sträfte im fröblihen Zummeln mit feinen Allere-
Zumd eine ſyſtematiſche Ausbildung erfahren Muskeln
Be Hur auf dem Zurnplake. Die englische Augen da»
k bereits die Anfänge des Sports auf den Epielplab,
bie Spiele gewillen ganz beitimmten Hegeln und feat
ie uebildung des Aörpers zu diefen Uebungen, dem regel»
en fogenannten „training“, beionderen Wert, Naturgemäf;
„training* bei Stnaben von 12 bis 15 Jahren nidt
SRoniequenz durchgeführt, noch mit ſolchem alle anderen
abjorbierenden Ernite betrieben, wie bei den gewerbe—
Arhleten, welche durd öffentliche Schauſtellung ihrer
Bart und Beichidlichkeit das Leben friiien; immerhin finden ſich
adzlige joldyer ſyſtematiſchen Aräftinung des Körpers ın»
Son in der Art und Weife wicher, wie die Anaben ſich zu
Spielen vorbereiten, Nicht jeder Stnabe findet Gefallen
Br foldsen Leibesübungen und nicht jeder junge Mann feht den
fh fort, zu dem er in frübelter Jugend den Grund gnelent
+ bod, ift die Zahl derjenigen Beſucher enaliiher Hochſchulen,
"he ihre freie Zeit der jportlihen Ausbildung irgend einer
Aldien Uebung widmen, verhältmiemähig ſchr bedeutend
mn es auch in feiner Welle uniere Nuigabe an dieler Stell
in, eine Parallele wiſchen engliſchen und ameritaniſchen
ten und deutſchen Hochſchulen zu jichen, jo it dic Be—⸗
doch faum zu unterdrüden, daß es für das heranwach
fch. — Athletiſcher Sport. — Die Kunft im Baufe,
|
345
jende deutſche Geſchlecu gewiß nur von Vorteil fein Lönnte,
wenn ein größerer Progentiah der Jünglinge aller Stlafien, nament«
Lid aud) der jogenannten gebildeten Areije der Ausbildung des
Körpers größere und rationellere Pflege angedeihen liche.
Die Grundregeln jedes „trainingse* beruhen auf regel»
mäßiger, ſich ftetig fteigernber Arbeit En Stärfung der ganyen
Muskulatur und zur bejonderen Entwidelung derjenigen Muslel ·
particen, welche bei dem in Frage kommenden Sport beſonders
in Anſpruch genommen werden. Dieſe Arbeit zerfält in das
allen Eportziweigen gemeinſame Marſchieren, die „walking-exer-
cise*, und die Hebung in der Specialttät, Für welche ınan trainiert,
fei dies Laufen, Springen, Rubern ober was immer, Wus«
reihender Schlaf foll im mindeſtens neunftündiger Dauer die
abjorbierten Sräfte wieder erichen und wird darin burd eine
fräftige Diät unterftüht, welde reichliche (yleifchportionen und
den ausgiebigen Genuß leichter Gemuſe verorbnet, Gewürze twie
fette und überhaupt [were Speijen ganz verbannt und den Ge⸗
nuß von Spirituojen auf ein Minimum beihränft. Werbauungs
flörungen, die nicht gan zu vermeiden, werben durch beftimnte,
allgemein befannte Artana gehoben. An der Art der Anwendung
foldyer Regeln für das „training* findet dann allerdings ein
bedeutender Unterſchied ſtatt, je nachdem es ſich um einen Knaben,
einen „Amateur“ oder den „gewerbimäßigen*, „professional*
handelt. Yu dent allgemein üblidyen Anzuge, welder in einem
mwollenen Stamifol, Aniebojen, Die nicht zu eng fein bürfen, um
dem Sinie ungehinderte Bewegung zu geitatten und langen Strüms
pien beiteht umd in dieſer Gejamtbeit „jersey* genannt wird,
tritt für die Beit des „training* für den erwadjenen Dann
ein wollenes Gewebe, „guernsey* genannt, und eventuell noch
ein dider Ueberrod, welche in der Bewegung die nötige Tranfpie
ration hervorbringen.
Unter den athletiihen Sportübungen verficht man in Eng«
fand und Amerila das Wettgehen, Wettlaufen, das Hod- und
MWeitipringen mit Anlauf oder aus dem Stande, das Springen
mit der Springftange, das Heben ſchwerer Gewichte und das
Schleudern mit Stein oder Ball. Soweit es fih um Rennen
u Fuß handelt, wibme man der Plone des Fußes ganz bes
ondere Eorgfalt und richtet das Hauptaugenmert auf einen gut
und bequem fihenden, aber anſchheßenden und nicht dridenden
Schub mit breiter Sohle, ohne Abiah. Fünf furze, aber ſcharfe
Nagelipiten unter den Zehen verhindern das Ausgleiten auf
Ihlüpfrigem Boden, ohne doch die Schnefligleit des Laufenden
durch Feſthallen in der Erde zu beeinträchtigen, Beim Laufen
felbft follen nur die Ballen des Fußes den Boden berühren, die
ſtniee find gekrümmt, die Arme werben im rechten Winkel ge»
bogen an die Seite gebrüdt, die Hände zur Fauſt geballt und
durch das Vorlegen bed Oberförpers erhält die Borwärtsberwegung
den nötigen Schwung.
Das gebräuchlichſte Rennen dehnt ſich über eine engliſche
Meile (rund 1600 ın) aus, doch redhnet man Nennen auf größere
—— bis zu 100 Meilen noch zum athletiſchen Sport. Abs
arten diefer Nennen find Hürden ⸗· Rennen, Steepledhafes und Rennen
auf ganı furze Diftanz, 100— 220 yards (1 m = 1,0M yards),
Lehtere find namentlich in England jehr beliebt und der „trai-
ning*, der „sprinter* verlangt —* der gewöhnlichen Arbeit
nod) eine bejondere Uebung, um auf das gegebene Zeichen zum
Ablauf im Kennen ohne Zeitverluft die gröktmöglichite Schnellig-
feit entwideln zu fönnen, da bei der Kürze der zu durchmeſſenden
Diftanz der Bruchteil einer Sekunde über den Sieg enticheiden fann.
Unferes Wiſſen egiftiert in Deutihland lediglich der Ham ⸗
burger Sportllub, deilen 50 Mitglieder ſich feit einigen Jahren zu
athletiichen Uebungen und Öffentlichen Wettrennen verjammeln.
Der Alub hat zuerft unter dem allgemeinen Miktrauen febr zu
feiden gehabt, und wenn, wie eb ſcheint, feine Beftrebungen
jet mehr Anklang finden, fo hat er dies wohl vorzugtweiſe der
für alle Herteniporibeftrebungen nachahmungswerten Einrichtung
u verdbanfen, welde, einen Geldgewinn von vornherein aut«
chließend, den Sicgern in den ausgejdriebenen Stonkurrenzen
nur ehrende Andenten überreicht, 3%;
Die Aunf im Haufe.
Bon F. Tulthmer.
Der Bauer und das Kunſthandwerli.
. Bas uns die Dorigeichihten eines Jeremias Gotthelf, einct
Fritz Meuter jo Lieb und wert madt, was uns zur Föjtlichen
ienzeit hinaustreibt aus den Städten und uns mit Vorliebe
in den Heinen Berhältniffen des Schwarzwald» Dorfes, der Nordfer:
Fiſcherhünen wochenlang weilen läßt: esiftein und dasjelbe Gefuhl,
die Reaktion gegen unſere ſlädtiſche Ueberkultur. In uns allen
lebt die dunfle Rüderinnerung, daß unfer Geſchlecht von der
44
3 44 Aus der Technif,
ein Gemiſch zu gleichen Zeilen von Erdbeeren, Himbeeren,
Yohannisbeeren und ausgefernten Ktirſchen ſehr zu empfehlen
ift, habe dann N, k mürben Zeig, rolle ein Stüd davon zu
einem etwa 3 c breiten Streifen und lege ihm auf ben mit
Waſſer befeuchtelen Rand der Schüfjel; rolle ki den übrigen
Teig zu einer Platte von der Größe der Schüffel und lege fie
über den, ebenfalls mit Wafler befeuchteien Streifen, drüde bie
Nänder aneinander und ſchneide fie mit der Schüſſel glei, made
oben in der Mitte eine kleine Definung und beitreiche das ganze
mit @i, bade die Paftete eine Stunde lang in einem mäßig
heihen Ofen und jerviere warn oder falt.
Erbbeer-Bowle, nad Baron Brijfe, im Figaro,
Paris. Man vermiſche 1 k Erdbeeren mit 1 1 Quderjyrup,
zu dem man X Zuder in Waller kalt aufgelöft hat und
soei Flaſchen Chablis, ftelle e# auf Eis und gebe, eben vor dem
Servieren, einen, vorher ebenfalls falt geftellten trug Selteri+
wafjer hinzu. — Sehr erfriſchend.
Uns der Tednik.
Reueſte Patentanmeldungen.
1. Relieflarten für Sriegfpielgwede. Das in
Dffizierkreifen wohl afler europäifchen Armeen viel geübte ſtrieg ·
ſpiel leidet bis jet noch an einem Uebelftand, namlich, u
dasjelbe auf einer großen Planfarte ausgeführt werden mu
und daß eine nicht jedem Offizier genügend geläufine Wertigfeit
dazu gehört, ſolche Karten au leicht und zuverläjlig leien zu
fünnen. Der Bejeitigung diefes Uebelſtandes durch Anwendung
von Relieflarten fteht der Hohe Preis für folhe und der Umftand
entgeaen, dab man Striegipiele
auf häufig wechſelndem Zerrain
ausführen muß, was nur die
billigen Planfarten geftatten.
Der fünigl. ſchwediſche Garde»
Kapitän von Ridberftad hat
nun eine Melieflarte zur Paten»
tierung eingereicht, welde ſo⸗
wohl Far ebenjo billig hergeſtellt
werden kann, tie bie biöher
gebräudlichen Planfarten, als
aud zugleich einen mehr als aus ·
treibenden Wechſel der Zerrain«
formationen geftattet, Herr
v. R. hat dies in nadfolgender
Meife erreiht: Die Relieflarte
ei aus vier bi acht qua»
dratijchen Teilen u: 1,I-IV)
weldye jo eingerichtet find, daß
fie ſich in ganz beliebiger Weiſe
aneinander jehen lafien und doch
immer ein zujammenhängendes
Ganzes bilden (4.®. I an IV).
Es münden nämlih ale ylüffe, Wege, Sant a u. f. w. auf
jeder Kartenfeite genau auf demjelben Punkte aus, auf dem
dies auf jeber anderen Startenfeite geſchieht, und ift darum
der Leiter eined Ariegiviels imftande, durch Bariationen mit
vier Rartenfeiten mehr als 10000 verihiedene Terfainformatios
nen zur Darftelung zu bringen. Hert von Ridderſtad hat
die anfangs in Gips mobellierten arten in Papiermafie ver⸗
vielfältigen lafien, fo daß dieſelben jeht für den bedingten
billigen Preis erftanden werben fönnen. Die arten find in
einem Horigontalmaßftab von 1:2500 und im einem Wertifals«
mahftab von 1: 1000 hergeftellt worden. Leider ift es nicht
tbunlih, daß für Höhen und Grundrik berjelbe Maßſtab ans
newendet werden kann, da die dann entitchenden Höhendifferengen
dem Auge nit deutlich genug erfennbar jein würden; in diefem
Umftande wird nun von mander Seite ein großer Fehler diejer
Rarten gefunden: doch erſcheint es zweifellos, daß diefer fehler
geringer iſt, als das Erfordernis gehöriger Uebung im Startens
lejen, obne weldes ein Ariegipiel überhaupt nie möglid wird.
2. Gin Militärs Zornifter, Herr Franz Jaffer in
Düfjcldorf hat in richtiger Erfenntnis der mit dem biöher ne»
bräuchlichen Militärtornifter verbundenen Uebelftände nadfols
gende Beränderungen an denfelben in Vorſchlag gebracht: Das
nad wie vor aus Pelzwerk angefertigte Gchäufe erhält eine
Gkftalt, derqufolge fi die dem Rüden des Mannes jugekehrte
Fläche günstiger der Form besjelben anpaßt, und jodann wird
der obere Zell des Tornifters dachförmig zugeipiht. Diefe lehtere
Abänderung bewirkt einen leichteren Abfluß des Regenwailers,
und geflattet ferner auf der nad auswärts geneigten Dachfiäche
ein Anbringen bes Kochgeſchirrs, durch welches ber Dann weder
beim Schießen im Liegen, noch bei i
gehindert wird; — jämtlich Lebel
törender MWeife bemerkbar gemacht haben.
end welden Stopibeiwegungen
ch biöber in höchſt
3 widtigfte Ber-
befierung fol die Anbringung zweier ftählerner Xragebügel (T)
ober Tragefedern dienen.
den oberen Zeil Der
bisherigen Parade» und Zraneriemen, zeichnen ſich jedod vor
diefen dadurch aus, daß fie feit auf der Schulter ruhen, jo daß
erjtli die Laſt allein von biejer getragen wird, die Bruft, frei
von jedem Drud,
leichter atınet, und
daß ferner ſich der
Zornifter nidt
mehr allmählich
ienfen Tann, wor
durh bekanntlich
— der
verſchiedenſten Art
erjeugtwerben. Die
Iragebügel find
nach innen leicht
gefüttert und kön ·
nen für Parade
riemen (H) beflei»
det werden, Die
bisher üblichen Hei»
nen Zrageriemen
(x) werden, direft
an die Tragefedern
befeftigt, beibehal ·
ten, damit ein
Abgleiten dieſer
letteren beim Lau⸗
fen oder bei an—
deren lebhaften De=
wegungen verhütet
wird. Da ein Sich⸗
jwede nad außen
mit einem dem
übrigen Lederjeug
des Manned ent»
Iprehenden Haten« tel in Geftalt einer
einfachen, Leicht herſtellbaren Molle an bie unterfte Fläche des
Zornijlers geihnallt werden, woburh fi nod der Vorteil
ergibt, dak der Mann beim Ausruben mit umgebängtem Xor«
nifter eine weiche Unterlage findet. Die eben beſchriebenen Der-
änderungen lafjen ſich ohne erhebliche Mühe und often an dem
bisherigen Torniſter anbringen. Da die Vorzüge berjelben
jiemlid Klar in die Augen fallen, fo ift wohl anzunehmen, daß
die Militärverwaltung ſich der Sache annehmen und die praktiſche
Verwendbarkeit des neuen Modells au eingehend prüfen wird,
3, ZuTem ment senaret Kinderwagen. Raumerjpar«
nis iſt oft Zeit- und ſomit aud Gelderſparnis, befonders auf
Reifen und in engen Wohnungen, demzufolge verdient die Her»
ftellung von Gegenſtänden, weiche bei der Aufbewahrung einen
bedeutend geringeren Raum beanfprudien ala beim Gebrauch,
jederzeit Beachtung. Yu den neueften Erfindungen diefer Art
—— ber Stinderwagen von William Erichſon in Hamburg.
erjelbe beftcht aus drei Hauptieilen, nämlih: zwei eifernen
Rahmen als Radträger und dem Behälter zur Aufnahme des
Kindes. Die beiven Rahmen (R und r) find — um eine gemein«
ſame Achſe (x) drehbar — miteinander verbunden, fo daß ſich
diefelben Leicht zufammenllappen lafjen. Der Rahmen R hält
an einer Achſe die kleintren Border», der Rahmen r die Hintere
rüber. Die erfteren haben
eine geringere Spurmeite als
die lehteren, fo dak ſich die
vier Räder beim Qufammen-
flappen der Rahmen ztvi«
ſcheneinander ſchieben. Bei
An ” > Ft ——
ienen durch ſtarte Bolzen
verbunden. Der Rahmen R
ift über ben Bolzen hinaus
verlängert und bilbet dann
mit dem Bolzen b bie Ein«
rihtung zum Schieben des
Wagens, Damit die auße
einandergeflappten Rahmen
nicht freiwillig fid) wieder
ulammenllappen fönnen,
ndet ſich bei c ein Halen
und bei ’o eine paſſende Defe. Zwiſchen den beiden Enden der
Bolzen a und a find flarke Gurte (z) befeftigt, am welche mittels
Schnüren das eigentliche Lager nah Art einer Hängematte ein⸗
gehängt wird. Das Yager ift aus fiarfer Segelleinwand ge»
fertigt und enthält einen aus Leiften nebifbeten und fomit auf«
rollbaren Boden. Als Lihtihuh ift no an den Rahmen R ein
Berdet mit drei gebogenen Schienen (s s ‘s) beweglich an«
gebracht. Damit diefe beim Auseinanderflappen des Wapens ſich
ebenfalls Öffnen, neht von ‘a über s 's "s nad) a eine ziemlich
ftraff aegogene Schnur.
Win man den zum Gebraud fertinen Wagen zum Zrand»
port oder zur Aufbewahrung zufammenflappen, fo loͤſt man nur
den Hafen bei *c und brüdt die oberen Enden der Rahmen sufammen,
4. Einfaminofenzgum Helgen jweieraneinander
liegenden Zimmer von James Henry Burnam.
bisher in Gebraud befindlichen derartigen Stamindfen twaren
meiht im der Weile konjirwiert, daß eine in Angeln gehende
— die Feuerung nad) dem einen oder anderen Jimmer
in abſchloß, was häufig Einklemmen und Beihädigungen ber
ſenlen des Zors
Dom Büchertifch. — Arhletiicher Sport, — Die Kunft im Haufe.
— herbeiführte. Burnam wendet deshalb, um dieſen
ebelftand zu vermeiden, eine in einem Rahmen gehende, durch
dern feitgeitelte, gebogene Gijenplatte an, die nad Belieben
fo wie aud der Roſt von der einen oder anderen Oeffnung
des famins in diefen eingefeht wird, Die Hetzung bes anderen
Zimmers wird durd die erhite Rüdwand der Fifenplatte bewirtt.
Dom Wücherkiſch.
Die erſten Boten der Meifefaifon beginnen fich bereits ein«
zuftellen — die Reifehbandbüder. er ih zu einer Momfahrt
rüſtet, dem können wir nit warm genug bie beiden ftattlidhen
Pände, fauber in Leder gebunden, tadellos gebrudt, empfehlen,
die bier vor uns liegen. Der eine derjelben behandelt „Ober-
italien*, derandere .Rom und die Gampagna“, beides neue
Auflagen der uns Längft vertraut und lieb gewordenen Itallen ·
führer von Dr. Gjell-TFele. Das Bibliographiſche Inſtitut,
Eigenheit gerade darin beſteht, alles praktiſch zu erfaſſen und
ede Idee in der braucdhbarften ner dem Publilum zu bieten,
t in diejen beiden Bänden muiterbafte Proben feines Hünnens
abgelegt. Somohl in der litterariichen Gruppierung des Stoffe,
wie in der topograpbiichen zeigt fih das volle Verjtändnis für
die Bedürfniſſe der Heifenden, nichts zu viel, nichts zu wenig,
auf jede Frage eine Antwort. Dabei aber entbehren dieſe Bücher
aud nicht fünftleriihen Schmudes, und wie „Oberitalien“ neben |
6 Karten, 29 Plänen xc., einem Panorama und 45 Anfichten
in Holziänitt, 15 Stahlftiche bietet, jo das in der äußern Form
einer großen Brieftaſche madgebildete „Rom“ neben 4 Karten,
49 Plänen zc., 18 Stahlſtiche Gin weiteres Buch gibt diefer
Berlag den Neifenden mit auf den Weg in dem niebliden in
Duodez bergeftellten „Atalieniihen Spradfjührer” von
Dr. Nud Kleinpaul, der es jedem ermöglicht, ſich in allen Fällen
in Italien verftändlich zu machen. - Den längit belichten Ehöptungen
harmlofen Humors, der jo recht dazu angethan ift, ohne geiftige
Anftrengung über eine Mukeftunde binwengubelfen, 2 dländers
„Bilder aus dem Soldatenleben“, bat ihr Verleger Garl
Krabbe in Stuttgart einen neuen Neiz zu geben verftanden durch
Beiflügung höochſt gelungener origineller Aluflrationen. Der junge
Künſtler Emil Rumpf begleitet den Erzähler auf Schritt und
Tritt mit feinem Griffel und verfteht es vortrefilid, Situationen
und Perfönlichkeiten mit wenigen Strichen zu firieren. Ganz
toſtlich ig. DB. der Bombardier Zipfel auf der Wade vor
den ihn mufternden Offizieren. Bei alledem foitet die Lieferung
nur 40 Pfennige, jo daß ſich jeder mit wenigen Mitteln frobe
Stunden herbeijaubern fann. — Bon einem Mitarbeiter, den die
meiften unfrer Leſer liebgewonnen haben, dem gemütvollen Schil«
derer des Bayern ⸗· Landes, Marimilian Schmidt, erſcheinen
Inst „Belammelte Were” bei &. D. W. Gallway in München,
eren erfler Band in ihmuden äußern Gewande uns joeben
zugeht. Gr enthält zwei Erzählungen, die zuerit in „Bom Fels
um Meer“ das Licht erblidten, aljo wohl bei unfern Abonnenten
iner Empfehlung mehr bedürfen: die anmutige Erzählung aus
dem Berdtesgabnerlande „Die Ehwanjungfrau* und das tief
ergreifende „Almftummerl*. Beigegeben ift außer einer biogra-
phiſchen Finleitung ein vortrefflid, gelungenes Holzihnittbild des
Berfaflers, dem wir ebenfo wie uns wünſchen, jeine Geſam ⸗
melten Erzählungen“ noch redyt lange burd immer neue Schöpfun ⸗
gen vermehrt zu leben.
Athletiſcher Sport.
Der deutſche ſrnabe übt und ftählt den frifchen Mut und
die jugendlichen Sträfte im —*5* Tummeln mit jeinen Alters»
nenoflen, und eine ſyſtematiſche Ausbildung erfahren Muskeln
und Lunge nur auf dem Zurnplake. Die engliſche Jugend da»
gegen verlegt bereits die Anfänge des Sports auf den Epielplab,
unterwirft die Spiele gewifien ganz beitimmten Hegeln und legt
auf die Ausbildung des Nlörpers zu diejen Uebungen, dem regei
mäßigen fogenannten „training“, beionderen Wert. Naturgemäf
wird der „training“ bei Knaben von 12 bis 15 Aahren nicht
mit gleicher Koniequenz durchgeführt, noch mit foldyem alle anderen
AInterefien abforbierenden Ernfte betrieben, wie bei den gewerbs ⸗
mäßigen Athleten, welche durch öffentlihe Schauftellung ihrer
Arait und Geſchiclichteit das Leben friften; immerhin finden ſich
die Grundzüge folder iyftematiichen Kräftigung des Hörpers ins
des ſchon in der Art und Weiſe wieder, wie die Ainaben ſich zu
ihren Spielen vorbereiten. Nicht jeder Ainabe findet Gefallen
an fo Leibesübungen und nicht jeder junge Mann jeht den
Sport „ ‚u dem er im ur Jugend den Grund gelegt
bat; doch ift die ZJahl derjenigen Bejucdher engliſcher Hochſchulen,
weide i Zeit der fportlihen Ausbildung irgend einer
törperlichen erg widmen, verhältnismäßig ſehr bedeutend,
und wenn es aud im feiner Weiſe unjere Aufgabe an diejer Stelle
fein fann, eine Parallele zwiichen englifchen und amerifaniichen
Univerfitäten und deutichen Hochſchulen zu ziehen, fo ift die Br+
mertung doch faum zu unterbrüden, dab es für das heranmwadı-
|
J
345
ſende deutſche Geihleht gewiß nur von Vorteil fein könnte,
wenn ein größerer Prozentſatz der Jünglinge aller Klaſſen, nament«
lich aud ber jogenannten gebildeten Streije ber Ausbildung bes
Aörperb größere und rationellere Pflege angedeihen liehe.
Die Grundregeln jedes „traininge* beruhen auf regel
mäßiger, ſich fletig fteigernder Arbeit zur Stärkung der ganzen
Muskulatur und zur bejonderen Entwidelung derjenigen Muslel ·
port bejonders
vr. welde bei dem in Frage fommenden
n Anfprud genommen werden. Diefe Arbeit zerfällt in das
allen Sportzweigen gemeinfame Marſchieren, die „walking-exer-
cise*, und Die Hebung in der Speciafttät, für welche man trainiert,
fei dies Laufen, Springen, Rudern ober was immer. Wus«
teihender Schlaf foll in mindejiend neunftündiger Dauer die
abjorbierten Sträfte wieder eriehen und wird darin durch eine
kräftige Diät unterftügt, welche reichliche Fleiſchportionen und
den ausgiebigen Genuß leichter Gemiüfe verordnet, Gewürze wie
fette und überhaupt ſchwere Speijen ganz verbannt und den Ger
nuß von Epirituojen aufein Minimum beihränft. Berbauungs-
ftörungen, die nicht gany zu vermeiden, werben durch beftimmmte,
allgemein befannte Artana gehoben. In ber Art der Anwendung
ſolcher Regeln für das „training* findet dann allerdings ein
bedeutender Unterſchied ftatt, je nachdem es ſich um einen Stnaben,
einen „Amateur“ oder den „gewerbsmäßigen“, „professlonal*
handelt. Yu dem allgemein üblichen Anzuge, welder in einem
wollenen Kamiſol, Knichoſen, die nicht zu eng fein dürfen, um
dem Ainie ungehinderte Bewegung zu geftatten und langen Strüme«
pfen beitcht und in dieſer Geſamtheit „jersey* genannt wird,
tritt für die Zeit des „training* für den erwahienen Mann
ein wollenes Gewebe, „guernsey* genannt, und eventuell noch
ein bider Ueberrod, welche in der Bewegung die nötige Zranfpie
ration bervorbringen.
Unter den athletiihen Sportübungen verftcht man in Eng»
land und Amerila das Wettgehen, Wettlaufen, das Hod- und
Weitipringen mit Anlauf ober aus dem Stande, das Epringen
mit der Springftange, das Geben ſchwerer Gewichte und das
Schleudern mit Stein oder Ball. Soweit es fih um Rennen
zu Fuß handelt, wibme man der Pilege des Fußes ganz ber
fonbere Eorgfalt und richtet das Hauptaugenmerk auf einen gut
und bequem fihenden, aber anſchließenden und nicht brüdenden
Schub mit breiter Sohle, ohne Abjag. Fünf kurze, aber ſcharfe
Nagelipiken unter den Zehen verhindern das Ausgleiten auf
Ihlüpfrigem Boden, ohne dod die Echnelligteit des Laufenden
durd jFeitbalten in der Erde zu beeinträdtigen. Beim Yaufen
ſelbſt jollen nur die Ballen des Fuhes den Boden berühren, bie
Seniee find gefrümmt, die Arme werben im rechten Winkel ger
bogen an die Seite gedrüdt, die Hände zur Fauſft geballt und
durd das Worlegen bes Überlörpers erhält die Borwärtsbewegung
den nötigen Schwung.
Das gebräudlicfte Nennen dehnt ſich über eine engliidhe
Meile (rund 1600 ın) aus, dod rechnet man Rennen auf grökere
Diftanz bis zu 100 Meilen nod zum atbletiiden Sport. Ab»
arten biefer Nennen find Hürben-Nennen, Steeplechafes und Rennen
auf ganz furze Diftanz, 100— 220 yards (1 m = 1,094 yards),
Lehtere ind namentlid in England ſehr beliebt und der „trai-
ning*, der „sprinter* verlangt —* der gewöhnlichen Arbeit
nod) eine befondere Hebung, um auf das gegebene Heiden zum
Ablauf im Nennen ohne Zeitverluft die gröktmöglichite Schnellig-
teit entwideln zu fönnen, da bei der Hürze der ju durchmeſſenden
Diftanz der Bruchteil einer Schunde über den Sieg entſcheiden fan.
Unferes Wiſſen exiftiert in Deutſchland lediglich ber Ham ⸗
burger Sport!lub, deſſen 50 Mitglieder ſich feit einigen Jahren zu
athletiichen Uebungen und Öffentliden Wettrennen verjammeln.
Der Klub bat zuerft unter dem allgemeinen Miktrauen jehr zu
leiden gehabt, und wenn, wie es ſcheint, jeine Beftrebungen
jeht mehr Anklang finden, fo hat er dies wohl vorzunsweiie der
hür alle Serteniportbeftrebungen a eg eg Ginrichtung
u verbanfen, welche, einen Geldgewinn von vornherein aut ⸗
— den Eirgern in den ausgeichriebenen Konkurrenzen
nur ehrende Andenken überreicht. H. V.
Die kunf im Hauſe.
Bon 3. Tulhmer.
Der Bauer und das AunfiBandwerli.
Was uns die Dorfgeihichten eines Ieremias Gotthelf, eines
ih Reuter fo lieb und wert madt, was uns zur Föftlichen
tenzeit binaustreibt aus den Städten und und mit Vorliebe
in ben fleinen Berhältniflen des Ehwarjiwald»Porfeb, der Norbier-
irliherhütten wochenlang weilen läht: esifteln und basfelbe Gefuhl,
die Realtion gegen unfere ſtädtiſche Ueberkultut. In uns allen
tebt die bunfle Rüderinnerung, dab unfer Geſchlecht von der
44
F. £uthmer.
346
Verarbeitung des Bodens ausgegangen ift; und wir hoffen, wie
der Rice Antäus, unfere Kraft zu erneuern, wenn wir unferen
us aud nur für einen Moment wieder auf die urtümlidhe
dericholle jehen. Wir lieben es, den Menſchen, welche wir da
draußen finden, alle mögliden guten und ebdelsnaiven Gigen-
Belt anzudidhten; und wenn eimer, der mit ihnen lebt, ein
Geiftlicher, Amterichter oder Forſtwart, und an Beifpielen
bereit, daß e8 unter den barfüfinen Bauern ebenjoviel Wer«
bresen und Vergehen, Strebertum und raffinierte Gaumerei gibt,
wie bei den pflaftertretenben Stäbtern, jo werben wir gemeinig«
Lich jchr böfe. Wozu haben wir aud nötig, uns unfere jelbit-
geihaffenen Phantafiebilder ſtoren zu laffen, ift dod jo manches,
was uns wirflih bei den Bauern erfreuen, ja was uns Di
fehrung und Anregung gewähren fan, jumal auf dem Gebiet,
mit dem wir uns beihäjtigen. Betrachten wir uns aljo einmal
die ſtunſt im Bauernhauje Du lächelſt, verehrie Leſerin, wenn
du dies vielleiht in der Stube einer Schwarzwald»-Bauernhütte
lieſeſt und läßt dein
Auge einen Mos
ment auf dem ein«
jigen Yimmer«
Ihmud der ſchauer ⸗
lien loldrierten
Lithographie „des
Hirſches Begräb»
nis* oder auf den
gänziih ſchmnud ·
loſen Möbeln
ruhen; aber die
bäusfidye Stunft des
Bauern iſt that⸗
ſachlich ein wide
tiges Kapitel in
der Geſchichte der
modernen Stunits
inbuftriegewworben,
und die größten
Mußſeen legen ſich
Samınlungen ders
felben an. inter
den vielen guten
und ſchlechten
Gigenihaiten des
Bauern ijt nämlich
eine, die ihn bier
für uns beionders
wichtig madht: er
it enorm fonier-
vativ, Während
die ganze Welt mit
einer Ueberſtür⸗
jung, Die mit jedem
Tage wadıit, Neues
ſchafft und Das
Geitrige abitöft,
«he es nur halb
ausgereift ift, bat
fi im Bauern.
bauje Urväter-
bausrat und nidt
felten auch die alte
Geſchidlichteit im
der Seritellung deö«
felben erhalten, Und wie lange erhalten! Weil der Bauer ſich
in bewußte Oppofition zur Mode Stellt, weil er ferner das
meifte feines Bedarfs ſelbſt macht und ſich dazu ziemlich primitiven
SHandwerksjeuges bedient, fo neben nit nur Generationen, nein,
Jahrhunderte an dem Schmud und Gerät des Landvollkes ſpur⸗
los vorüber. Die filberne Nadel aus Holflein, welche wir noch
finden, entftammt vielleicht dem Anfang dieſes Jabrbunderts ; die
Fotm aber wird jeder Etiltundige ins frühe Mittelalter jehen.
(Fin anderes Beiipiel: in dem unteren Donauländern finden wir
robe Zönferarbeiten, Borrati» und Waſſerurnen, die auf dem
Dorfe jelbft gefertigt werden, in genau denſelben —— welche
die griechiſchen, über zwei Jahrtauſende alten Gräberfunde aufs
weiien.
An der ganzen Mord» und Dftjeeküfle Deutihlands wird
jur Verzierung von Holjmöbeln fogenanntes Kerbihnitt-Orma«
ment angewandt, defien Charakter durchaus romaniich ift, ebenjo
wie Bauernftühle aus Nordfriesland und aus Skandinavien
vollitändig die Formen des 13. Jahrhunderts tragen. ü
Aber auch wenn wir nicht fir diefe uralten Nefte und ihre
berbe eigentümliche Schönheit Interefie mitbringen, fo find es bie
Spuren einer jüngeren, und Seutigen bejonders naheliegenden
it, die wir bei den Bauern fiudieren fönnen, Die Renaifiance
at uns in den Bauernhäufern oft ſehr beherzigenäwerte Vor ·
Oberbayeriihes Bauernitüshen.
Die Kunft im Baufe.,
bilder zurüdgelafien. Es muß als ein entſchieden gejunder Zug
unferer ſchon jet jo oft angefeindeten und verlachten Renaifiance»
bewegung bezeichnet werden, daß fie auf die ländlich⸗einfachen
Reſte der Vergangenheit ihre Aufmerfjamfeit zu richten beginnt.
Das oberbayeriihe Bauernſtübchen der deutihen Ausftellung im
Ferner war im dieſer Beziehung ein äußerſt lehrreiches
eripiel,
. Mögen ſich auch die Bildungsgelche des Nenaifjanceitils in den
yürftenpaläften Italiens, in den Pruntituben nordiſcher Rat-
äufer am klarſten ausgeſprochen haben; fludieren mögen wir fie
dort; die direfte Nachahmung dieſer Deforationswunder, wie fie
Lange Zeit beliebt war, filbrt auf Abwege. Was vor brei Jahr
underten das Edelſte und Vornehmſte, für die Großen der Welt
ufgeiparte war, lann beute nicht Für Hinz und Kung verwendet
werben, wenn man nidt zu einem gany ſchnöden Eurrogaten«
frame feine Zuflucht nimmt. Für die beicheideneren Bebürfniffe
unferes foliden Bürgerhaufes gibt es auch folide und beſcheidene
Borbilder aus dem
16. Jahrhundert
in dem bürftigen
Bauernhaufe jener
eit, wie fie noch
n Titol, Vorari«
berg und fidher auch
nob in unjerem
deutſchen Bater»
land an mancher
Stelle zu finden
find,
Eind doch bie
Möbel, die in Tölz
in Oberbayern nadı
uralten Muſiern
angefertigt werden,
Längft beliebte Aus ·
—————— ge ·
worden. Un
rude dieſe Möbel
Öringen uns nod
ein andere zum
Bewußtjein, was
wir bei den Baus
ern lernen tönnen :
die Luft an der
Farbe. Blau und
arin mit ſchönen
Blumen ftreidt der
Bauer feine Trube,
fein Bett an, rot
färbt er feinen
Wagen, ja die
Ballen und Pio«
ften feines Hauſes.
Die Maler haben
längft gewußt,
welder Weg in
diejer Buntheit
liegt: fie wiſſen
ganz genau, war»
um fie ihre Mor»
befle jo gerne uns
ter den oberheifi«
ſchen Bauerndirnen
mit rotem HRod und rotem Stopftuch juchen, aber aud im großen
Publitum erwacht dad Berjtändnis; „bäuerlih* und „bunt*
find nicht bloß im ſchlechten Sinne fi dedende Begriffe.
Wir fönnen überhaupt aus verihiebenen Symptomen
erfennen, daß der Geihmad unierer gebildeten Mailen in der
oben angedeuteten Weile es nicht verihmäht, bei den Bauern
in die Schule zu geben.
Und diefe Grienntnis kommt zur redten Zeit. Denn
unfere raſchlebigen Gewohnheiten, die maflenhafte Berührung,
in welde unjere Verkehrsmittel den Bauern mit dem Städter
bringen, fie fangen an, viel von dem Eigentümlichkeiten des
Landvolls zu verwiſchen.
Manches mag denn unbeweint zum Orlus fahren; aber
für manche Aunſiübung, die ſich vom Urahn ber vererbt hat,
und die fih im Shmud der Frauen, ja im Gejdirr ber
Be und Stühe erhalten hat, wäre es zu bedauern, wenn fie
ausftürbe.
Und nichts lann dem jo kräftig enigegenwirten, als wenn
die Gebilveten unferes Volles dieſen vorhandenen Reften Bes
achtung ſchenlen.
Der Bauer wird ſie dann ſelbſt wieder achten lernen und
feine alten Kunſtübungen konſervleren, ob aus Spekulation oder
aus Mietät, ift ſchließlich einerlei.
Die Humboldt:Ruine bei Caräcas. — Der Geldwert der Nahrungsmittel,
Die Humboldf-Auine zu Garäcas.
Kaum ga der Morgen, ala wir Garäcas verliehen und
dein nahen Dorfe Sabana grande zumanderten; nad und nad)
begannen die Eierne — erbleihen und ein tropiſcher Sonnenauf ·
gang, jo ſchön, fo goldig, wie ihn kein Maler wiedergeben, jon«
dern nur beivunderndb ſchauen kann, kündete den Jahrestag bes
großen Erbbebens von 1812 an — Grlündonnerstag 1882,
Jene gab Kataftrophe wandelte aud das Wohnhaus ber
Hacienda Bello-Monte in Schutt und Ruinen, und vielleicht iſt
gerade diefer Umitand Beranlafiung geworden, daf die Tradition
den hieſigen Aufenthalt Humboldts eng mit Bello-Monte ver
Anüpft; zeigt fie uns doch, wie das unfterblidhe Verdienft des
Weiſen die vergänglichen Werke ſchwacher Menſchenhand über-
dauert, Gegenwart und Zukunft mit den ewigen Strahlen feines
Geiftes Füllend. umbofldt hat nie Bello-Monte bewohnt; «#
war nur dad Ziel häufiger Ausflüge und Schauplah liebentwür ·
diger Aufmerkjamleiten, die dein verehrten Gaſte von dem das
maligen @igentümer, Don Andris Abarra, eriwiejen wurden;
Großvater der Gattin des jehigen Präfidenten der Hepublif Bene:
uela, General Antonio Buzman- Blanco. Rechts von der Lande
raße, die hier von einer Neihe hodragender Cedern beſchattet
Die Humbolbt-Ruine zu Garicas,
wird, zweigt fi ein
führt, den die Ruine frönt, Umwuchert von einer erbrüdenden
Fülle Unfrauts, bridt bier die breitblätterige Ricinusitaude in
voller Ueppigtelt aus jenem Boden hervor, liber den vormals
der winzige atlasbeihubte Fuß treoliiher Schönheiten binweg-
alitt; dort, in jenem Seitenzimmer, wo einft wohl das ehrwürdige
Haupt der familie im künſtlich geflodtenen Ghindorro feine
MNittagerube bielt, —* ne alte Negerin; hner züdhtend
und den Bedarf des täglichen Lebens durch Bereitung von Maib»
brot innend, lebt fie dahin, gleich einer ſchwarjen Lilie auf
dem de; hr e Mauerlüden bat fie mit Schilf verdedt
und weiteren Ginftürzen fieht fie mit Gleichmut entgegen, das
find ihr „Cosas de Dios!* (Bottes Angelenenbeiten,. Die
Ueberrefle des Hauſes zeigen das Stilvolle der fpaniihen Bau-
mweife, während bei manden Bauten der romiſchen Anlage ber
Wohnhäufer eine geihmadiofe, mindeitens langweilige Fafſade
— wird. — Von den Stufen det Eingangs aus ent
widelt fi vor dem bewundernden Auge des Beſchauers eine
wahrhaft entzüdende Landſchaft, weldyer die hohe Fette des ve ⸗
negolanishen Küftengebirges mit dem wolfengefrönten Gipfel
der „Billa de Caräcas* zum grokartigen Hintergrund dient;
fendin, bis zum Fuße des Gebirges, erftredt fi eine fanft-
ng grüne Ebene; Felder, forglih mit Mais und Zuger .
rohr aut, flehen mit ihrem lichten Grün überraihend genen
die tiefbunfeln, us ing Sronen der Mangobäume ab,
die der zarten Kaffeeſtaude ihren ſchühenden Ecjatten fpenden ;
dazwilden die Bucares mit ihrem roten, die Guanabanas mit
sem Blütenihmud, und über alles dies ein Himmelsdom, fo
übermäßig blau, Mar und unergründlich wie die ſchöpferiſche
Kraft, die Hier ibr reiches
irite der Ruine bietet: fladhere — in breiter, wellen»
Ouaire, en zitternde Wallerflähe die Strahlen der Morgen«
fonne wideripiegelt. —
2 ab, der uns zum Fuß des Hügels |
347
Am beilinen Dreilönigdtage des Jahres 1800 veramitaltete
der gaftfreundlihe Beliker von Bello-Monte ein Gartenicht zu
Ghren Humboldis. In den glänzend erleuchteten Räumen
ihwebten die Paare anmutig langſam nach dem Zalte der einen»
tümlidyen und binreikenden venejolanif Tanzmelodieen, wah ⸗
rend die melancholiſchen Lieder des Landvolkes zum Klang
der Guitarre und Maraca durch die nationale Poeſie ihrer Im⸗
provifationen die Aufmerkſamkeit Humboſdts beionders erregt
haben ſollen. Eine Begabung für Poeſie und zumal Mufit ift
der venezolaniſchen Nation eigen; eine natiriihe Höflichkeit und
angeborenes Rednertalent find ihr nicht abzuipreden.
Alcrandervon Humboldt langteam 21. November 1790 in ara»
cas on, fand eine herzliche Aufnahme in den angejehenen Familien
der Haupfftadt, und warme Empfehlungen des ſpaniſchen Hofes
fiherten ihm aud das —— Entgegenlommen bes
Generaltapitäns Bastconcelos. Mit —— Kennmis der
Landes ſprache ausgerüſtet, um einer jelbſt lebhafteren Unterhal ⸗
tung folgen zu lönnen, ward es dem großen Reiſenden leicht,
fih eine Anzahl aufrichtiger Freunde zu erwerben, Verbindungen,
die feinen venezolanifchen Aufenthalt überdauerten, wie uns ein
Briefwechſel bezeugt, von dem mehrere, teils noch unbefannte
Originaldotumente ih im Beſite des zu Garäcas lebenden Dr.
Nojas befinden, der Aufenthalt und ihungen Humboldie in
Venezuela zum Gegenitand eines Specialwerts gemacht bat, von
dem einzelne ſchon erſchienene Abriffe weiteres intereffantes Mate»
rial erwarten laffen. Die in Venezuela verbradte Zeit ift Hum ⸗
boldt ftets eine Quelle freundlicher Erinnerungen geblieben, und
fein Andenken lebt in den gebildeten Streifen Venczuelas ununter
brocdhen fort, die fchr wohl die Bedeutung zu Ihähen willen,
welde feine wiſſenſchaftliche Tbätigteit für ihr ſchönes Vaterland
bat. Ienen aber, die mit Stolz zu feinen Landeleuten ſich zäblen,
werben Orte, an denen er glüdliche Augenblide verlebte und ſich
von den Mihfeligfeiten feines hohen Berufes erholte, zu Denk
mälern pietätvoller Verehrung, denn:
„Die Stätte, die ein guter Menſch betrat,
It eingeweiht, nad hundert Jahren Klingt
Sein Wert und feine That dem Enkel wieder.“
Dieje Worte Gorthes ertönten aud in unferer Seele, als wir
uns aufmadıten, die Ruine Bello» Monte zu befuchen, che ſolche
vieleicht gänzlih zujammenfinft, dem Zahn der Zeit, neuen
Grderjchütterungen oder Marken tropiidhen Regengüfien erliegend,
denen bereits in Ichter Zeit drei jäulengetragene Bögen der
Faſſade erlagen Yohn Henry Wyrell—
Der Geldwert der Nahrungsmitiel.
Mit dem Anwachſen der Bevölferung und der Eteigerung
aller Lebensbedurfniſſe wächſt auch die Sorge um ausreichende
Nahrungsmittel und die Frage, wie eine genügende, den Körper ·
beitand erbaltende und dabei möglihit billige Stoft zu beſchaffen
fei, tritt immer mehr in den Vordergrund. Bei ihrer Brants
wortung handelt e& ſich zunächſt um die Feſtſtellung des Nährs
eldwertes der menſchlichen Nahrungsmittel. Dabei fommen aber
o mannigfadhe ftoren , individuelle Eigentümlichkeiten, Die
ungleiche Berdaulichleit der Näbritoffe, der Einfluk der Gewürze
u, |. w. in Betracht, daß fid eine fihere Antwort nicht ohne
weitere geben läßt,
Im allgemeinen zerfallen die menſchlichen Nahrungsmittel
in drei Gruppen, im Eiteißftoffe oder Proteinförper, im fette
oder fettähnliche Nörper, und in fonenannte Kohlenhydrate oder
itidftofffreie Grtraftitoffe, wie Stärte, Gummi, Zuder u. deral
Jede diefer Gruppen jchlieht verihiedenartige Berbindungen ein,
die fi der Verdauung gegenüber ſehr ungleih verhalten und
folglid auch von ehr veridiedenem Wert find, Dazu formt
ihr ſchwanlender und ungleiher Marktpreis. Hinſichtlich des
Ichteren fanıı man fanen, daß die Nährftoffe in den pflanzlichen
Nahrungsmitteln, mit Ausnahme der jungen Gemüſe, billiner
find als in denen, die aus dem Tierreich ſammen; die Iehteren
toften ungefähr 4—5mal mehr als die erfleren. Ob ſich dieſe
Preisverihiedenheit aus einer 4—5mal größeren Ausnußung der
animaliſchen Stoffe begründet, if eine andere Trage.
Thatjſache aber ift es, daß Fleiſch, Tier, Milch und NHäile
bei allen bisher damit angejtellten Berſuchen feine weientlichen
eng ug Ihrer Verdaulichlelt gezeigt haben. Ebenſo
verhalten fih au die aus dem Wilanzenreid ftammenden Nähr-
ftofte der Aufnahme durch den Nörper gegenüber ziemlich über
einftimmend. Daher ift es auch geredhtfertigt, bei den Beftims
mungen bes Rährgelbiwertes von den Hohmaterialien ausjugehen,
und wegen der verichiedenen Tagespreiie zwiſchen den tieriichen
und pflanzlicen Nähritoffen einen Unterfchied zu machen. Dabei
ur die weſentlichſten Behtandteile der Rabrangbmiitict: Eis
weiß, Fen und ſtohlehydrate bejonders berüdfichtiat werden, und
jwar unter thunlichfter Abihäkung ihres gegenieitigen Wertver-
haltniſſes auf Grund der wirklich gezahlten Marktpreife
348
Unter Benukung der vorliegenden wiſſenſchaftlichen Unter
fuhungen, und jorgfältiger Erwägung aller belannten Verhält ⸗
nifje, ſt nun in den menſchlichen Nahrungsmitteln ein BVerhält
nis zwiſchen Kohlehydraten, Tretten und Eiweißlörpern wie 1:3:5
angenommen worden, und man fan mit Hilſe desjelben zu
einer nad unferem jehigen Ermeſſen genügenden Beantwortung
der Frage gelangen, welches Nahrungsmittel zur Yeit das
—— if. Wie Prof. König in feinem Wert: „Die
eınie der menichlihen Nahrungs» und Genußmittel“ näher
ae ift zu diefem Ywed der Behalt der Nahrungsmittel an
Eiweiß mit 5, dem an Fen mit 3 und bem an Kohlehydralen
mit 1 zu multiplizieren. Die zufammengezäblte Summe reprär
fentiert die Nährwerteinbeiten. Der Gehalt der Nahrungsmittel
an Giweiß, Fett und Kohlehydraten ift aus vorhandenen zabl
reihen und weitverbreiteten Tabellen leicht zu erjehen. Nah dieſen
Grundfägen hat König nachſtehende Zufammenftellung gegeben.
Animalijhe Nahrungsmittel:
Marktpreis 1000 Nähre Oder für
— Br igiloor. mperteine | UM- erhält
Nährwert- | 3
Durchſchnitt heiten toſten Mar Mähr ⸗
einheiten in Pro1878-80.
R werteittz
1 Rlloge. | Piennige Piennige heiten
Magermild . 216 9 41,7 2400
Magertäie . . 1014 82,7 43,2 2314
Rd -.-.. 320 15 46,8 2133
Eyd .-.. 2767 172 02,1 1608
Bunr —— 2315 161,7 09,4 1432
weinefleiſch 1856 131 z1,4 1401
EN 1970 141,7 71,9 1319
utler. . . . 2610 213,3 81,7 1223
Aalbfleiſch 1157 112 26,8 1033
Rinpfleiih . - 1168 | 128,3 109,8 91
Vegetabiliſche Nabrungsmittel:
Bohnen .. . 1755 225 ! 12,8 7800
Erbim, , . . 1713 25,9 16,8 5997
Linfen.. . . 1842 37 20,1 4979
Kartoffeln . . 304 #1 20,1 4982
Noggenmehl 1328 31,3 23,5 4243
Weizenmehl . 1323 23,7 29,1 3431
I 11: 1177 58 49,3 2029
Diele Zahlen bedürfen fauım einer Erflärung; fte laſſen
deutlich erfennen, welche Nahrungsmittel bei den während ber
Jahre 1878—80 herrfhenden Marktpreifen die preiswlirbigfien
waren und geflatten eine direfte Anwendung auf alle Berhält-
niffe. Dit der Summe der Nährterteinheiten braudt man nur
in den zur Seit herrſchenden wirklichen Marktpreis pro 1 Rilogr.
u dividieren, um den Preis für die Nähriverteinheit zu erhalten.
uß diefer fann man unmittelbar erjehen, welche Nahrungsmittel
am billigften find und fid) vorzugsweife zum Ankauf empfehlen.
GHehäkelter Stern.
Der nebenftehend abgebildete Stern eignet ih zu Schub.
und Tijſchdeachen u. dgl. Gr wird mit feinem Hälelgarn in
folgender Weije ausgeführt
1. Reihe: Man legt ſecht Luftmafhen an und verbindet
fie zur Runbung.
2. Reihe: Schs Luftmaſchen; * ein einfaches Stäbchen in
die näcdfte Majdhe, drei Luftmaihen; vom noch viermal wieder»
holen, fo daß ſechd Abteilungen entflchen. Die lekte der drei
zuleht gearbeiteten Luftmaſchen wird an die dritte der ſechs Luft ⸗
mafchen angejchlofjen, die zu Beginn der Reihe ausgeführt wurden,
wonadh die drei erften Luftmaſchen die Höhe eines Stäbchens
erhalten und aud als ſolches gelten.
3. Reihe: Elf Lufmaſchen; die Nadel aus der Schlinge
ausziehen, in die fiebente der eben gearbeiteten elf Luftmaſchen
been, die freigelaſſene Schlinge faſſen und durch bie Maſche
durchziehen. Dadurd enifteht ein nad abwärts gerichtetes Picot ;
drei Yuftmafden; * ein einfaches Stäbdhen über das nädite
Stäbhen, adt Luftmaſchen, aus ben fünf lehten berjelben ein
Picot bilden wie oben; drei Luftmajden, vom * no viermal
wiederholen. Die lehle Lufnnaſche der ſechſten Abteilung wird
an die dritte der erften Abteilung angeſchloſſen.
4. Reihe: Eine feite Maſche im die oberfte der drei Luft ·
maſchen, welche das erfie Stäbchen der vorhergehenden gen
bilden; * über jede der drei folgenden Luftmafchen je eine feite
Maſche; in das Picot ebenfalls eine fefte Maſche, neun Luft ·
maſchen, eine ſeſie Maſche in dasſelbe Picot, in jede der drei
| folgenden Lujtmaihen und in das nächſte Stäbchen
Gebüfclter Stern. — Eleftriicher Sidibus,
je eine fejie
Maſche; vom * nodı fünfmal wiederholen. Die Ickte lee Maice
wird an die erjte diefer Reihe angeichloffen,
5. Reihe: Eine feite Maſche tiber die erfte feite Maſche Der
unteren Reihe, * ein doppeltes Stäbchen im die erjte Luftmaſche
des nächſtliegenden Bogens, eine Fuftmafhe. Man arbeitet nun
weiter, indem ınan in jeder der folgenden Luftinaſchen ein Doppel«
fäbden ausführt und nach jedem derjelben eine Lufnmaſche häfelt;
in bie Mittelmajche des Bogens werden jedoch drei joldye, durch je eine
Luftmaſche getrennte Doppelftäbchen gearbeitet, die vier lehten
Maſchen des Bogens werden wie die vier erſten abgebäfelt, jo daß
‚ in dem ganzen Bogen elf je durch cine Luftmaſche getrennte
Doppeltäbgen fichen; drei Mafchen übergeben, eine fefte Maſche
in die nädjte Maſche; vom * no fünfmal twieberholen und das
lehzte Stäbhen am die erite fefte Maſche diefer Reihe anfhlichen.
6. Reihe: Man ſchleift Die Machen bis zu dem zweiten
Stäbchen des folgenden Bogens, macht ſechs Luftmaſchen und
häfelt in die erjie Derfelben eine feite Maſche, wodurch ein nad)
aufwärts gerichtetes Picot entitcht; eine feite Maſche in das nächite
Stäbhen. Es wird nun ſtels pwiſchen je zwei Stäbden ein Picot
nearbeitet, das mittlere Stäbchen ausgenommen, in welches pwei
fee Maſchen gearbeitet werden, damit Über dieſes Stäbchen ein
Picot zu fiehen kommt. Ueber die zweite Hälfte des Bogene
werben ebenfalls vier Picots ausgeführt, dann arbeitet man eine
Luftmaſche und eine feile Maſche in das zweite Stäbchen des
nädjftliegenden Bogens, umbäfelt alle folgenden Bogen in derſelben
MWeife wie den erfien und flieht den Stern ab, G Hillard.
Slektrifher Fidibus.
Das —— Wegwerfen glimmender Zündholzchen iſt nicht
—* die Urſache von Brandſchäden geweſen, und ſchon lange
at man danagch geſtrebt, Mittel zu finden, welche bei gänzlicher
GSefahrlofigkeit do das Anzinden auf leichte Weile fihern, Die
wenigiten der da ·
in zjielendben Vor⸗
Aläge erwieien ſich
„ aber audi nur an»
” nähernd pwedent ;
ſprechend, während
bei Anwendung
diefer Vorrichtung, welche feine freie Flamme an ſich trägt,
Feuertgefahr abjolut ausgeſchloſſen it. — In einem ca. 20 cm
fangen Hartgummirohr in ein fonftantes Element nad) Marie-
Davy und jugleich eine Inbultionsipirafe untergebradt. Das
Qarigummirobr endet in eim dünnes Metallropr, in deflen
Epige die Mole der eleftrifchen Leitung lanern und pwiſchen
welden, jobald auf einen am unteren Teile des Upparats befind ·
lichen Anopf nedrüdt wird, ein Meiner Funke überſpringt. der das
aus einem Gasbrenner ausfitrömende Yeuchtgad entzündet. Der
(patentierte) Apparat ift leicht zu handhaben und behält feine
Zündtraft für längere Zeit; erft nach ciwa 2500 Zündungen ift
es notwendig, das erjhöpfte Element abzufdprauben, um ed gegen
ein neues auezuwechſeln. M.
@3 Der luſtige Sefellfchafter. 28
(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtonmmen!)
Fin zärtliher Halte.
Der Holelbeſther H. in einem größeren Babeorte fieht ſich
mit feiner Frau die Tanj-Reunion im Kurjaale von der oberen
Galerie aus an, Die Frau biegt fi weit über die Prüftung,
um recht gut zu ſehen.
„Gib doch acht, daß du nicht hinunterfällſt,“ jagt der Gatte
ängſtlich zu ihr.
„Ad, es paffiert mir nichts,“ meint fie.
in iſt mir ja nicht um did, aber du fünnteft einen Kurgaſt
gen.“
3
Auf dem Schriftfielerball,
„Nun, mein Fräulein, wie gefiel Ihnen denn unfer berühm«
ter Uprifer Herr X, den ich Ihnen foeben vorgefiellt habe?“
„Dfien geftanden, ich hatte ihn mir ganz ander& vorgeftellt.*
*
Wünſchenswert.
Daß doch im Weligetriebe
— ftet3 aljo walte:
T — ihre alte Liebe,
Sie — feine liebe Alte.
»
Im Xielier.
Kommerzienrat: „Wenn ih Ahnen fie, werde ich natürlich
meine fämtlichen Orden anlegen, Here Profefior, *
Maler; „Dann mödjte ih Ahnen raten, fich doc lieber an
einen Delorationsmaler zu wenden.”
*
Was iſt ein Kellner?
rad tragendes
rinfgeld jagendes
Gäjte plagendes
Biel fragenbes
Doch nidtsjagendes
Individuum.
wi
Mufkalifhe Arankfeit?
aupfmann (zu dem rapportierenden jFelbivebel):
Spielleute fehlen?! Werhalb der Tambour?*
Daumen „Dem ift das Trommelfell geplaft.*
erſch
Zwei
auptmann: „Und was fehlt denn dem Sorniften?*
Udwebel: „Blajenfatarrh, “
3
AUebertrieben.
Emma erzählt ihrer Freundin Anna: „Denke dir, neulich
legte ih die Briefe meines Arthur in meine fchöne japanefische
Schatulle, und nah ein paar Tagen war der ganze Lad auf«
gezogen, fo glühend waren fie!"
v
Aus der Znuſtrußtionsſtunde.
Unteroffizier: „Artillerift Bombe, wenn bag Geſchoß auf
irgend einen Gegenftand ſſößt, was neichieht dann ?*
Artillerift Bombe; „Es platt.”
Unteroffizier: „Die Beeihnung if viel zu oberflächlich,
Sie follen für diefen Borgang einen guten deutſchen Ausdrud
nennen, worin alles, was bad Geſchoß macht, zuſammengefaßt
iſt! Wenn zum Beiſpiel ein Pferd in den ichien Zügen liegt,
was ſagt hierzu jeder gebildete Menich?*
Gefreiter Splitter: „Es ftirbt.*
Unteroffizier: „Nein, Sie Zölpel! Da ſagt man: GE
frepiert. — Na, wenn nun ein Geſchoß plakt, wie nennt ihr
das ald gebildete Menfchen ?*
Ale: „Es krepiert.“
Durch die Blume.
Profeffor: „Sie ſehen, mein lieber Senf, ich frage Sie mit
sroßer Geduld.“
Senf: „Berzeihen Sie, Herr Profefior, ich bin kein Meblfad,*
E
Verkehrte Reihenfolge.
Baptist, ein böfes Weib genommen habend,
Sat nad) der Hochzeit tänlich Volterabend.
s
Vrofl.
„Mit meiner Frau ift jeht gar fein Ausfommen mehr, fie
ift rein wie vom Zeufel befeilen.*
„Seien Sie unbeforgt! Das wirb bald dorübergehen, *
„Meinen Sie?"
Ach halte den Teufel für viel zu Aug, um fi mit ſolchem
Beſit lange aufzuhalſen.
Lehre.
Nicht zu jeder Stund'
I ein Schatz zu graben,
Nicht von jedem Mund
In ein Schmah zu haben,
5
Reues FSeiden.
„Nun, wie ift Ibnen der vierschntägige Aufenthalt in der
Hauptſtadt befommen, meine Gnädige?*
„Sehr ſchlecht: Ih bin jehfrant,"
*
Fin vorſichtiger Mann.
ga: „Wa Haft du da in dem Pärhen?*
ann: „Ftwas zum Rauden.*
—— „Und in dem anderen?“
ann: „Etwas zum Räudern.“
C 2
Revanche.
Dame: „Der Auf, den Sie mir ſoeben geraubt haben, ift
eine Beleidigung, mein Herr. *
Herr: „Beben Sie mir die Beleidigung zurüd, mein Fräulein. *
2
Dekonomifd).
Ueber dem Gingang zu einem Berliner Vorfladifeller be:
findet fid) eine Tafel mit der Infchrift: Gier find Aar- und
Pantoffeln zu haben,
Wißverfländnis.
(Rad) mündliher Mitteilung.)
Eifenbahnfhaffner (ie Waggonthür öffnend): „Prauft!
(Fifenbahnftation bei Danzig].
Polnifher Jude (der eben genieſt hat): „Ic; bante!*
5
Aus der faleinifhen Stunde,
(Na mündlicher Mitteilung.)
Lehrer: „Wie beifit der Genitiv von homo?"
Schüler ſchweigt.
Lehrer: „Was hat homo für ein Geiler?"
Schiller: „Neutrum.*
Lehrer: „Wiefo Neutrum?*
Ehüler: „Was man nicht deflinieren kann, das ficht mar
al& ein Nentrum an.”
Barum in VRoſemuckel die Jurmuhr nachgebt.
Im Kafıno. Vom Yumpen.
em übnrich, maden Sie einmal einen — te Stubiojus Bierfreund {feinen franfen freund beſuchend);
Fahnrich: tſchuldigen der Herr Lieutenant bin Thult mir unendlich leid, dich in ſolcher Verfaſſung zu finden!
Porteper-Fähnrid, aber u. Wite» ———— —ã— Ga une — muß ich dich bellagen, daß du nichts als
| er trin
Etubiofus Borgius: „Was bilft's, man muß ſich darein
Lieutenant 9.: „Run, Serr Kcmerab, werben Sie fih auch nen 65 wird mir dieß um fo leichter, nachdem ich bemerft,
am Prämien-Sbiehen Seteitigen ?* | das Mafler auf die Dauer einen ganz —— Be
Sckonde · Lieutenant B.: „Natürlih! Es iſt ja die einzige —— — und hierdurch vor allen anderen Geträn‘
Ausfiht, bei dielen Schledhten Zeiten überhaupt mod Prämie | — verdient: denn man befommt es gepumpt, u
Pieutenant (Premier-Lieutenant) zu werben.“ dab man 10 jemals Lu besablen braudt.“
Berantwortl. Herausgeber: wW. Spemann in Stuttgart, Redakteur: Joſ eph — chner ebenda.
Nahdrud, auch im Einzelnen, wird ſtrafrechtlich verfolgt. — Ueberſetzungsrecht vorbehalten,
Drud von Gebrüder Kröner in Etuttgart.
Weltpoit, — Inferoten»Unhang zu „Dom Fels zum Meer’.
(ollech
% Weltpoft. i&
WE Die Verteilung der Preiſe des
Freisrätfels ift entgültig bis zum
15. Mai verihoben worden und wer-
den alle bis dahin eingehenden Y-
fungen noch berüdfidytigt. Rachſtehend
eben wir wenigftens einen Zeil der bis
et eingelaufenen Loſungen, der Reit folgt
im nächſten Heft.
R. W. in, Eh in B. * ep.
in P. eg mW, rau Y. in Er,
4.9. in R,Dr©.8in®,%W.€d.
n6,$%%in®, Frau Et. inM.,
DM. mE, RD. mn 2,9. ©. in
R., Bankbirettor 9. in 3, P.H.in®,,
Direltor 9. in M,, M. PB. in 8. B.
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Frau 8. in €., Frau P. in G., ©. —*
in ©, C. G.in M., Regierungtrat ir.
Greellenz ». ». in St, 9. 79 in u.,
Anv Sin WM. Bin, B. in D,
9.2.2, in R,NR ©. in
8,0.2.6.ın WM. 3. nf,»
4... in W, FF P. in W. Fräu
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in W. S. P. in B. FR inWw, 6
S. nn, EM inB, B. ine
8. nB,)J Sch. in H., A in R
Fortſegung fiehe nädhite Seiten.
au
Band 61.
III. Jahrgang, Keft 9.
Spemann
Preis des gebundenen Bandes M. 1., franko per Yo MM. 1. 25.
122,
bradte inzwijchen folgende neue Bände:
Bor Hundert Jahren. Glife von ber Medes Reifen durch Deutichland
1784—86 nad dem Tagebuhe ihrer Begleiterin Sophie Beder. Hetaus ⸗
gegeben und eingeleitet von ie. Dr. G. Maro und Dr. M. Geyer.
Bergil’d Werte. Band 2. Heneid. Mit Einleitung und Anmerkungen
(Im vorigen Hefte ift diefer Band irmümlid)
Bei Beftelung genügt Angabe der Bandnummer. — Neuefle Verjeichniſſe find durch
alle Buchhandlungen zu beziehen.
Bad Reinerz. _
Klim.Geb.-Kurort, Brunnen-, Molken- u. Bade-Anstalt,inder
Grafsch Glatz, Pr.-Schl. Saisondauer: Anfang Mai— Ende Oktober.
Angezeigt gegen Katarrhe aller Schleimhäute, Krehlkopfleiden, chronische
Tuberkulose, Lungenemphysem, Bronchektasie, Krankheiten des Blutes: Blut-
mangel, Bleichsucht u, s. w, sowie der hysterischen und Frauenkrankheiten,
welche daraus entstehen, Folgezustände nach schweren und fleberhaften
Krankheiten und Wochenbetten, nervröse und allgemeine Schwäche, Neuralgien,
Skrophulose, „Rheumatismus, exsudative Gicht, konstitutionelle Syphilis.
Empfohlen für Rekonvaleszenten und schwächliche Personen, sowie als ange-
nchmer, durch seine reirenden Berglandschaften bekannterSommer-Aufenthalt.
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beſtehend aus Hautihud-Drudlettern nebit
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Aummer-Verzeigniffen empfichltvon 1OM.
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Nürnberg. [949]
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[780]
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Seidenftoff-Fabrif-Depöt.
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Injeraten:Unbang zu „Dom Fels zum Meer“,
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Ad PRESS) HERAREE
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· Biftorifd; kritiſche Ausgabe do
Unter Mitelttung
hervorragender Germanijten
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3. Spemann, Berlin u. Stuligart.
Die neueſten Bände enthalten:
Bd. 32. Goethes Gedichte. Bd. 2.
Hrögl. von Dr. 9. Dünpker.
Inhalt der Bände 1-31:
1u.6. Orimmelshaujens „Sim-
plicius Gimplicifjimus*. (fkerfe
1.u.2.8b.) 2. Goethes, Fauft*. (Werte
12. Br.) 3. Schillers „Räuber und
Tiesfo“. (Wertes, Bd.) 4. Kortums
„Jobfiade”. 5. Leflings „Yicber,
Oden, gereimie yabelnze,, Jugenddramen“.
(Berle 1. Bd) 7. Wielands „Ober
ron 2c.“ (Merle 2. Wand.) 9. Grims
melshbaujens „Simplicianifde
Echriften“. Bd. 11. Güntbers Ge
dichte. Bd. 8, 10 u. 12. Stürmer
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Bd. 17. Leifings Iugenddramen
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18. Schillers Kabale und Liebe”
und „Don Karlos” (in 3 Ausgaben‘,
(Der Werte 4. Bd.) 19. Simon Dad
und feine freunde, Job, Nöltng.
20. Goethes Bedihte. Bd. 1 (Der
Werke 1. ®d.) Bd. 21. Ziglers Aliar
tiiheBanife.(DerSctel. Shule2. Bo.)
Bo, 22, Hebels Alemaniihe Ge
dichte. Bd. 23. Hebels Schapfäftlein
deB — ER BEN STERRNDGD Bd.
24 u. 235. Leiſings dramat. Nachlaß
u. dramat, Meifterwerte. (Werte 2 Bo.)
Db. 26. Die Gegner der zweiten
ihlefiihen Schule 2 Bb. Bb. 77.
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Bd. 28. Albertinus Lucifers Nönig-
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db. 29. Ubrabam a&.Glara .Nubas
der Erzihelm*. Hröpb. v_Ty. Bobertag
Bd. 3081. Bürgers Gedichte. Hragb.
von Sauer.
Die „Dentiche Nationaf-Litteratur"
iſt die * nach einheitlichem Plane
angelegte miflenihaitlibe Ausgabe ber
————— deutſchen Yitteraturjchätje von
bren Anfängen bis zur Neuzeit.
Die „Deutſche National-Pitteratur*'
eichnet fi dabei durch muſterhafte Aub»
attung und eminent billigen Preis aus
Cie Sg. & 6—7 Bogen nur 50 PH.)
Die „Deutfche Nationat-Litteratur"
ift ein nationaled Unternehmen von
fo_hervorragender Bedeutung, Das
mehr als irgend eined Hemeingut der
wahrhaft Gebildeten werben follte,
III. Jabrgana, Beft 9.
BADEN-BADEN.
Längst bekannte alkalische Kochsalzthermen von 44-69
\ Chlorlithlum-Quelle von hervorragendem Gehalte.
Neue Grossherzogliche Badeanstalt „Friedrichsbad“
während des ganzen Jahres geöffnet.
Musteranstalt einzig in ihrer Art in Vollkommenheit und Eleganz.
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bädern. Trinkhalle für Mineralwasser aller bedeutenden Heilquellen. Pneu-
matische Anstalt mit 2 Kammern ä 4 Personen. — Molkenanstalt. Milchkur.
Versandt des an Lithium reichsten Wassers der Hauptstollenquelle durch die
Trinkhalle-Verwaltung. [1201)
Conversationshaus mit prachtvollen Concert-, Ball-, Lese-, Restauralions- und
Gesellschafts-Sälen während des ganzen Jahres geöffnet. — Ausgezeichnetes
Kur-Orchester. — Zahlreiche Kunstgenüsse jeder Art. — Jagd und Fischerei.
— Grosse Pferderennen. — Reizende $ ——— und Ausllüge. — Vorzüg-
liches Klima. — Herrliche Lage. — Mittlere Jahrestemperatur: 4 7,40 R.
- Bad Landee Schlesien.
Bahnstationen: Glatz, Camenz, Patschkau. Seit Jahrhunderten bewährte
Schwefel-Natriumthermen von 231," i., besonders angezeigt bei Frauen-
und Nervenkrankheiten, Trinkquellen, Wannen-, Bassin-, Moorbäder,
Innere, äussere Douchen, Appenzeller Molkerei, irisch-römische Bäder;
alle fremden Mineralwässer,. 1400° Seehöhe ; gegen Norden und Osten durch
Höhenzüge gerchützt. Klimatischer Kurort. Herrliche, ausgedehnte Wald-
promenaden dicht am Bade. — Besuch über 6001, t'oncert, Theater täg-
lich. Reunions wöchentlich. — Kurzeit: 1. Mat bis Oktober. [1256]
BAD WILDUNGEN.
Gegen Stein, Gries, Nieren und Blafenleiden, Bleihiucht, Blutarmuth,
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uche und Helenen»-Dnelle, Wafler derſelben wird in ftets friſcher Fülung ver-
jendet. — Anfragen über das Bad, Peitellungen von Wohnungen im Badelogir-
hanfe und Europäifchen Hofe ıc. erledigt: [1245]
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Grofh. Sell Radedireetion Pad Bauheim fort; Aurorcheſter, Theater, Rönnions
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[1210] . 0 Lanm
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II. Jahrgang, Heft 9,
Weltpofl, — Inferaten-Unbang zu „Dom $els zum Meer‘.
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Weltpoft. — Inferaten-Anhang zu „‚Dom Sels zum Meer’. III, Jabraang, Heft 9,
“ Weltpoft. dð Weißenburg.
890 Meter über dem Meere. Eifenbahnftation Thun.
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in 2, Din PR. 8 in m., 7. XIX. Jahrhunderts M, 2. — (Ein höchſt pitantes Sympofion!) 11258]
. . . #8 1 * * ”
m -Stottern! 0 | Das Placirungsinfitut
&, 9 M., in ®,R. in Ep, 9. ®. | wirdbriefl. geheilt. Anfe.m. Ret.-Martean | der Frau Henriette Nottmann,
in R., 8. v. 8 in W., C. D. in R., | Arthur Heimerbinger, Straßburg LE. Münden, Türkenftr. 80, 11
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.md,8. ». ın ,, Prof. D. ın : i ‚eis- Coura ranco.
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Sting, 3 Bin, Setiede W in AUnfere Zeit und ihr „Seid.
B,eRinR, 6 ft. in ® 3.8. Nicht alles, was uns die vorgejhrittene Eivilifation gebradyt hat, gereicht uns zum
in @,, 8 M. in &,, 3. St. in R. E. Voriheil, wie alles vielmehr in der Welt feine zwei Seiten bat, jo find aud mit der
D. in W., ur ® in®., Sch. | verbeflerten und verfeinerten Lebensweife mannigfadye Uebelftände bei uns eingezogen.
in 3. L. in B. ð ch. in P., R. 4 er wollte 3. ®. beſtreiten, daß unſere fehler, egen früher total veränderte
in B. J W. in B. J. 3 in W. &. I Lebensweife die Urſache jo vieler Aörperftörungen ift, die man früher wenig oder gar
J. in W., * in F., B. in B., P. nicht kannie, während fie beute Die weiteite Verbreitung gefunden haben. So find u. U.
2. ind9,6 ind, € D. m B., Bleichſucht und Blutarmuth und das —* der aus denſelben entſpringenden Leiden
Bankdireltor E. in H I B. in®.D,, aller Art in den allermeiſten Fällen auf die aus den mannigfachſten Urſachen bervor«
€. 8 in 8. B. Hinz, 6 in®, gerufene ſchlechte Blutbildung zurüdjuführen, Es gehört heute nit mehr zu ben
I 2. in&,D6inR, M. W. in | Settenhetten, blühende Mädchen und Frauen plöklicd dahin welfen zu jehen. Die
W. IR in 2, St. in Z., € v. B. | vordem rofigen Wangen bededt eine einenthümliche Bläffe, die Munterfeit verliert ſich
in D. M. Et. inW, A B. in!®,, | und macht einer nervöfen Gereiztheit Plak, die Verdauung ift geflört, was ſich durdı
A. B in W., PRnDO,JI.R i Aufſtoßen, Hartleibigleit, Blähungen, Athembeklemmungen ꝛc. ac. deutlich zu erlennen
U., D. L. R. in M. G. R. in Mi m. ibt. Man ſucht nur zu häufig derartige Erſcheinungen rajdem Wachtihum zujur
2. in M. P. P. in B. 6b. ©. in F., \örciben und erit wenn häufiger Farbenwechſel, allgemeine Ermattung, Etel und &r-
N. I. in R,%.6C.nB, IN i tehen, Ohnmachten, Herzklopfen und leichte Fieberanfälle zc. eintreten, ſchaut man
®., Bo 3.in EG, A. Sch. in R., fih nad Hilfe um.
EeRinP,e ©. in 5 pen v. Sch. Dies ift ein großer fehler und jollte man, wenn fi bie erften Anzeichen ein«
in B., 9). in P. WB. in S., € tretender Bleichſucht und Blutarmuth einstellen, unverzüglich geeinnete Maßregeln er⸗
8 in * Sch. in H., M. M. in W., reifen, weil das Uebel in ſeinem erſten Stadium viel leichter und raſcher zu beheben
.23.1n 94.6. Sqh. in ®B, J. R. in Mr als wenn es ſchon tiefere Wurzel geſchlagen hat. Die von Dr. Yiebaut, dem
H., H. 3. in W., ſt. D. in V., K. W. berühmten Ghefhoipitafarzt, verfahte Broſchüre, welche, in gemeinverſtändlich er Sprache
in P. * u. A. in B., Leſeverein d. ©, geſchrieben, Jedermann zugänglich iſt und deren Durchleſen nur angelegentlich empfohlen
in M. OD, g W. in B, up A. werden fann, nibt übrigens alle wünſchenswerthe Ausfunft, wie man fid in Fällen,
in ®., Dr. &t. in ®., 6. in M., wie die vorerwähnten, zu verhalten hat, um auf natu äkem Wege in verhältnik»
F. A. in WB, Frlin. v. Bin, A. mäßig furzer Zeit eine vollſtändige Beſeitigung des Yeidens herbeizuführen. Die
M.in2,y.R in M., H. St inM., Broͤſchüre Dr. Viebaut's Reneneration ift & 50 Pf. in Stuttgart bei 3. Ullrich's
W. 8 in M., 6. Sch. in A. G. F. in | Buchhandlung, Eberharbäftraße 55, zu haben. [1179]
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Weltpoit. — Inſeraten ⸗· Anhang zu Vom Sels zum Meer’‘,
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©. 166 möglich ft. unmöglich und Lyrit ft.
Logik heißen. .
. 64. Gejammelte Gedichte von
MWönig find bicher nur 1871 u. d. T.
„seiderofen* erfchienen. Bon diefer Hebel ·
ausgabe if In Por BBeihrit N
. 38. in Ober-Weifrib. un
—8 auch nicht befannt, Wir
werden uns erkundigen.
. in Eh. Ad notam genommen!
Selena Abonnent. Wir
fönnen viel gegenteilige Meinungen ans
führen, hoffen auch mit der Zeit auf
Verbeſſerung.
— Au BON MARCHE.
m Firma: Aristide Bonclcant, Zun U rote Bedienung
ift der beftändige Gtundſatz
Fimiges Haus, wel d
Titel Au Bon Marche wen
der Billigfeit u. ftreng joliden
Qualität jeiner Waare mit
Net zuerlannt wird.
NOUVEAUTES.
®PARIS. ®# wu non marcat.
Das Haus Au Bon March& kennzeicdinet ſich als das größte und befleingerichtete
III. Jabrgang. Heft 9.
der Firma
Waarenlager und als eine von allen Fremden beſuchte Schenswürbigfeit.
Wir beehren uns, die geichä
unjeres illuftrirten Preiöcourants
auf Berlangen Kedermann portofrei
Ebenſo verihiden wir auf Wunj
te Damenmwelt zu benadbricdtigen, daß bie Autgabe
ür die Sommerjaifon erſchienen ift und wird derjelbe
ugejanbt werben. [1253}
gratis und portofrei jegliche Proben unjerer
neueften Seiden- und Wollen-Modeftoffe, bebrudten Stoffe u. f. w., fowie auch
die Albums, Beichreibungen und Wbbildungen der von unjerer firma geſchaffenen
oben und Ktoftüme, Mäntel und Neberwürfe, Damen
neuen Toiletten, fertinen
hüte, Nöde, Unterröde und Morgenröde, Anzüge für Anaben und Mädchen,
fertige Weißwaaren und Leibwäſche, Sonnenfhirme, Haudſchuhe, Kravatien,
Blumen, Federn, Damenſchuhe u. .w. u. |. w.
Wir bringen in Grinnerung, daß die Errichtung unſeres Spebitionshaufes in
Köln a. Ah. uns geftattet, alle Veltellungen von 25 Francs aufwärts, mit Ausnahme
der Möbel und Bettneräthe, nad ganz Deutichland portofrei bis zum Beitimmungs-
ort * liefern. Nur der eigentliche
a
SD
ngangsgol ift vom Empfänger zu tragen.
& Haus Au Bon Marche bat für den Verlauf keine Filialen, Reifende, Agenten
oder fonftige Vertreter. Bor jedem Angebot behufs Vermittlung wird ernſtlich gewarnt.
Aepfelwein
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kanten und Kalserl. Königl. Hoflieferanten EB‘, V, Grünfeld,
Landeshut in Schlesien vorzumerken, um bei Bedarf in weissen
| DE geehrien Leser dieser Anzeige belieben sich die Firma des Fabri-
wie bunten Leinen- und Baumwollen-Waaren, Tisch-Gedecken, Hand-
[1221]
Wornifer Brauer: Akademie.
Programm und Auskunft für den nächften — — erhallen durch die
ftion Dr. Schneider.
An neuerer Zeit wurden von unſeren Koryphäen der medicinischen
Wissenschaft die Rich. Brandt'igen Schweizerpillen einer Prüfung
unterworfen und biefelben für ebenfo ficher wirtend, wie angenehm zu gebrauden,
und durchaus unſchãdlich erflärt.
GegenUongestionen,
Schwindelanfälle,
Unreines Blut,
Appetitlosickeit,
'erstopfung,
Blähungen, Leber-
& Gallenleiden,
Hämorrhoiden,
überhaupt gegen Wer»
dauunge · unb Untere
leibsftörungen haben
ſich die Rich. Brandt-
ſchen Schweizer-
pillen in unzähligen
Fällen bewährt und als
dasjenige Mittel er
wieſen, welches Die vor»
yüglichften Figenidaften
in ſich vereinigt. Dies
find denn aud die
Gründe, auf welden
der Weltruf der Rich,
Brandi'idhen Schweizer»
villen fib bafirt. er
billige Preis von M. 1
pro Dofe maden die⸗
felben Jedermann zur
aänglid, doch achte man
daranf, die ächten Rich.
Prandtihen Schweizer ⸗
piflen zu erhalten, welche auf ber Dofe ein Etiquett, wie obige Abbildung zeigt,
tragen. Zu haben in den meisten Apotheken des In- und Auslandes,
u. 9: Berlin: Straufapothele, Finhomapotbefe; Breslau: Apotheker Dr.
Weißſtein; Cöln: Ginhomapotbele; Dresden: Mohrenapotbele; Frankfurt
a. M.: Adleropotbefe; Hamburg: Apotheler U, Aob; Hannover: Löwen»
apothefe; München : Rojemapothete;, Strassburgi.E.: Meifenapothete; Stutt-
gart: Apotheter Reihlen u. Scholl, Oefterreih: Wien: Apothelet B. Groß,
Hoher Markt 12. Schweiz: Genf: Apotbeler A. Sauter. [866]
— — —
Weltpoſt. — Inferaten.Unbang zu „Dom Fels zum Meer’ III. Jahrgang, Heft 9.
% Weltpoft. ¶
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Brief einfad) an die hiefige Loge zu richten
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tieber men«n deflinieren zu lernen, als . ee 10, — bis nit ® Flaschen
foldy elende Reimereien in bie Welt zur jeken
BD. A. in G Bielen Dank für den
originellen, allerdings nicht gan faubern
Win
herb und süss.
Franco nach allen
deutschen u, Örterr.-
ungar. Poststatiunen
gegen Einsendung
von
Atufte, Gataloge gra-
tis und Franco durd Die)
Staflettenfabril von
Gnit. Binthum im Hei—⸗
delberq
Finnaea
Naturhiftorifhes Infitut
(Fisheimeritr. 7, Frankfurt a. M.
Großes Lager naturhiſtoriſcher
Begenftände, befonders in Con»
dmlien, Bogelbalgen und Bogel- —
eiern. [1236]
3.4 in 50. Das iit ganz torrelt,
die Strafe, welche die einzelnen Verbrecher
trifft, wird dem Strafgeſehhuch entſprechend
auegeſorochen, einerlei ob die Durdführung
praftiich moglich it
€. 3. ın W. Entjinnen ung Abrer
Gedichte nicht mehr, was bei ber Fülle
der Einfendungen aud faum zu verlangen
ift. 66 wird alles Einlaufende beantivortet,
freilich bedingt mandımal die Menge des
vorliegenden Stoffe Heine Berautiinungen,
MD in Mumänien. Mit ihren
„...Joidören verfühbrerihen Augen“
verführen Zie zu keinem Abdrucd Ihrer
wertloien Gedichte
a. in St. inter dem Pleubonmm
Gregor Samerow verbirgt fi Nen.Mat.
Ost. Meding (Echt. Wohldenberg b. Derne ·
burg). Der Schriftſteller Mar Schlefinger
wohnt Wien IV, Hotel goldenes Lamm
” Auskunft auf alle derartigen Fragen aibt
Aurſchnetrs Deutich, Yitt.»Stalenber,
ds. £& in Aber Wunſch ſoll in
Erwägung gezogen werden. Die Gedichte
gefallen uns wenig
Amerif. £efer. Unſere Seitichriit
wird nie bie diriftliche Gefinnung Ihrer
Leſer verlieben,
$. 6. in a. Zind reihlid ver
ſchen, mufien alio danfen
Ss. A. in ®P. Bielen Danf für Ibre
freundl, Zellen und den Beitrag jur Er⸗
lästterung des Zimptigtifimus. Veider lient
es nicht in meiner Madıt, Ihnen die Signale
feparat zugehen zu laſſen. Der von vielen
Selten ausneiprodene Wunſch last ſich
leider nicht realifieren.
„F. Menzer, =
Ritter 4. K. Orlech, Eılöserordens,
Neckargemünd,
#
Kataloge franco und gratis.
mache ıch auf meine, no ın bors
geſchritte nem Stadium au ſichere m
Frfolg fuhrende Heilmerhode auf⸗
mettſam. Selbſt bruſttrank ger
weſen, heile ich jeht brieti,,aufbiels
Gefichtshunne Mo SE
Anfernt nach einmaligem Gebrauch und
* ſpucken, Afıbma,Brondiallatarr
lic empfohtene Mittel Pr 3 WR. 2 Bene Zuberfuleje ecwınd.
Gmiliäer Beautactung "1197] fucht) foaar in verzweifelt. Fällen, u. fteh. mir
> — "N gengeine v.Perjon. aus allen, auch den höchſt.
F. Marcalouse, Prag⸗Smichow. | #reij.;. Seite. Paul Ruppert, Görlite I. Schl.
Heinr, Kleyer, Frankfurt a. M.
Fubrikant der General - Agent
„Herold“, der (900)
Frankfurt „Coventry Club“,
2 und Srädr Bicherheits- u
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und Triercle,
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theile.
Weltpoſt. — Inferatensiinhang zu „Dom Sels zum Meer‘. III. Jahrgang, Heft 9.
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A. 7 in Auhrort. Einige gute
Gartenzenſchriften (deutiche) find; für
fämtlihe Qweige des Gartenbaus vor allen
andern „Wiener iluftrierte Gartenzeitung“,
(Preis M. 16, — fl. 8. jährlich) erſcheint
monatlih bei Wilhelm frrid in Wien,
dann auch „Deutjche Gärtner Zeitung”
(Preis M. 7. jerisı), erſcheint dreimal
jeden Monat in Kommilfion bei Hugo
Boigt in Leipzig; ift Organ des beutichen
Gärtner-Berbandes mit dem Sik des gt»
fhäftsführenden Ausihufles in Erfurt.
Gine ſchöne Zeitichrift ift auch Rheiniſches
Jahrbuch für Gartenlunde und Votanit*,
das jeden Monat für eine Marf bei Emil
Etrauk in Bonn erſcheint. Für Obftban:
Pomologiſche Monatshefte‘, die monat«
ih bei Eugen Ulmer in Stuttgart er
ſcheinen (Preis M. 9. für den Jahrgang).
„Deflerreih-ungarifcher Obftgarten” (jähr»
li ft. 4. — M. 8.) eriheint monatlid)
weimal in der Erpedition Wien VI, Molr
Iorsgafle 41; behandelt auch Germifebau
u. a. hauptſfächlich Blumenzudt, aber auf
andere Zweige des Gartenbaus behandelt die
außgejeichnete Monatsjhrift. „ Die Garten ⸗
flora“ von @. Regel, erjcheint monatlich
bei F. Enfe in Stuttgart, Preis M. 15.
jährlid. Eclichlih die „Warten« Zeitung“
von Dr. &. Witimad, erſcheint wöchent ·
lid) bei P. Parey in Berlin, Preis M. 16,
lich Do.
jährlich. BD.
. 3. in A. Ihre Frage nach ber
„dapiernen Arone* im „Tyirseo“ (IL, 17)
hätten Sie in der Schiller Ausgabe in
Kürſchners „ Deuticher Rational-Litteratur*
(Schiller III, ©. 275) beantwortet finden
tönnen. Es ift die Papiermanicette, die
anbrennt, wenn das Licht berabgebrannt
ift. Romano will jagen: Die Menichen
jeien mit Zeitungsruhm (der „vapiernen
Strone“) freinebiger als mit Geld.
I. in B. Sie können fi das
Yimmer-Treibbäuschen ie ganz nad) Ihrem
mejien heritellen lafien und ein nur
einigermahen geſchidter Handwerker wird
es Ihnen nach der Beidreibung ficherlich
in beiter Weije anfertigen Auf die Gtößen ·
verhältnifie nach Strid und Linien kommt
es ja in der That gar nicht beionders an.
Der Blechlaſten hat ledialih den Zwech
das heiße Wafier aufzunehmen; die Aſche
fol dazu dienen, einerjeits die Wärme
länger zu erhalten und anbrerfeits ju ver
hindern, daß dielelbe unmittelbar auf die
Pflanzen ald Hihe einwirle Die Größen:
verhältmifie im übrigen find von unter
georbnieter Bedeutung. Dr. A. RR.)
. zu. in AHandelt ſich doch
natürlib nur um eine jcherzhafte Yöjung.
2. $: . in Wenden Sie ſich
an bie Berlagshandlung von Waldow in
Yeipzig.
A. ®e. in 8. Sie haben vermutlich
exit neuerdings ein Abonnement genommen
und find fo in den Befik meugebrudter
Hefte nelommen, denen die Beilanen fehlen.
&. ” in ®. Naten zu dem Bulls
dongrevolver für 12 M.
I. D. in 4. An verfpäteter Liefe⸗
rung der Heſte find flets nur bie betr.
Vuchhandlungen zc. ſchuld, da der Berlan
tegelinäßig und plnttlih exbediert.
A: 3. in P. Wollen jeben, ob ſich
das thun läht,
- 8. inP?. 1) Sanders Sprach ·
briefe waren empfohlen. 3 Toufjaint
Yangenideidt geben wir den Worzun.
3) Ob arof ob Mein, hängt von den Ber
durfnifien ab. Jedes bat feine fpeziellen
“orjüge. 4) Das genannte Werk über
Mnemonit if uns nicht befannt. 5) We
lung der Preisaufgabe fönnen wir vorher
nicht geben.
Iof. Dank, Heidelberg,
Bnde-Apparaten-Fabrik,
Brämtirt 1876 — 1880 —
sau als Eperialität das Bau und
—— chſte in Patent» Zimmer · Douche ⸗
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ift foeben in IL. Auflage erſchienen
Görbersdorf
mit 26 Slluſtralionen und I Karte.
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Vorfichende Schrift ift für alle Yungen-
kranken ungemein widtig. Denn von
Görbersporf (durh Dr. Vrehmer) iſt die
Vehre ausgegangen: die Lungenichwind-
fucht ift heilbar. 1227]
Schlagfluß.
Wer ihn fürchtet, oder bereit# davon
betroffen wurde, besiche die Broſchüre:
„Ueber Schlagfluß, Vorbeugung und Heir
lung‘, von Rom, Weißmann fen., ches
maliger Bataillonsarzt, Vilshofen, Bayern.
(Kostenfrei. ) [1255]
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C. Magnet) (1186]
Sseidelderg, erfin C.,
Haupiſtr 25. rüberftr. 13.
% Weltpoft. &
A. MB. in$. Sie feinen ein wuns«
derlider Heiliger. Wie eb Ihnen möglich
war, aus dem Preisrätjel folgende Lölung
berauszulefen, ift uns ganz unbegreiflid:
„Yu dem neuen Jabrgange laden wir
unfere gulen Freunde auf bas hoflichſte
ein! Kommt, kommt ihr alle, die ihr
ſchon im vergangenen Jahre treue gem
unferes Blattes geweien feid!* as iſt
geraten, aber nicht gelöſt. Zum Geheim ·
doliziſten fehlt Ihnen nicht mehr als alles
— übrigns aud als Nätielaufgeber,
was Sie als Antwort auf die Einjendung
bettachten 25 A. Bietid
FI. 2A. in GM. Vielleicht wen
Sie fih an bie Stuttgarter Velocipedfabrit
von Alb, —— 170.
n
Eine Abonnentin aus Berlin.
Derebimpanielommtmwieder Tibego
gt im ganzen äquatorialen Afrifa vor.
don der holländiſche Arzt Nilolaus
Zulp erwähnt feiner in feinen „medizini«
ſchen Beobadıtungen“ (1641), Edward
Tyion gibt die erfte Anatomie desſelben.
Bor beiden, 1689, bradjte der Engländer
Andreas Bartel, in Gongo in Ge
fangenfchaft geweſen, —* Nadır
richten über den Schimpanſe. Bor etwa
200 Jahren dürfte der erite lebende Schim ·
panfe nad Europa gelommen fein. In
Arifa heikt er: „Baam*, „Infieno”,
„Eoto”, „Nidiego*, „Iniholo*, „Bar
ris*; doch dürfte auch unjer „Schimpanie”
auf eine vaterlãändiſche Benennung zurüd«
juführen fein. Die Framjoſen Ichreiben
„Chimpanse*, wir ſchrieben „Ticdhim«
panie“, n —— —*
A. 3. in mM. ertwin: Krane
age der Hunde und ihre Heilung (Ber
in 1858).
A. in A, Der Antiauar Scheible
bier wird Ihnen gewiß das Gewünſchte
zu ermäßigten Preifen verichaffen.
23.9. Dant für Mitteilung. Wunſch
foll erfüllt werden,
Veritas. Nicht poetiſche Licenz, ſon ⸗
dern Drudfehler.
Biofa. Noch nicht reif, aber verfuchen
Sie ed beim „Didterheim* und haben
Sie Dant für Ihre freundliche Gefinnung.
4 in A. Bielen Dank für Ihre
interefjanten Mitteilungen. Der beir, Atr ·
tifel wird für uns nicht ganz geeignet fein,
ebenfo find im betr. S. 3. offengeftanden
total anderer Meinung als Sie.
4. B m A. Ihr Brief war für uns
eine rechte Serzenserfriichung. Möochten
nur Alle jo denfen, wie Sie. Wir ver
raten Ihnen übrigens, daß von Bor ein
neuer Roman in unfern Händen ill.
4. MM. in ®. Bielen Dont für die
Mitteilung, was darin Wünfde betraf,
font nicht vergefien werden. Der Zeichner
it allerdings Ecdyufler.
WBienerin. Verbindlichen Dank für
Ihre freundliche Sendung, die leider ange
unterwegs war und durd den Transport
nelitten hatte, Zrokdem munbete und das
u Fragmenten geworbene Badwerl nod
ehr aut, ebenjo der Anhalt der vericie
denen Büchſen und Flaſchen, die ganz ge
blieben find. Das find annehmbarere
Gaben als Gedichte. .
Abonnent Eger. Ihre Frage ift
uns ganz unflar. Auf dem uns vor
liegenden Exemplar ſteht far und deutlich:
„Um 3 Ubr nahmittane am 25. Mai
beginnen die Gloden der Kirche zu läuten“,
mM. A. 23. in Wir find auf
diefem Gebiete mehr ale reichlich verichen,
%. R. in A. Bellen Dank für Ihre
freunde. Geſinnung. Ihre Wünſche werden
erfüllt werden,
Inferaten-Unhbang zu
Hlustrirtes Preisverzeichniss s
Es enthält:
zinntem Draht gebunden (nächst dem Eisen das danerhafteste Material) als:
häuser, Lauben, Parillons, Einfriedigungen (ihrer Soliılität und Billigkeit wegen bei
den meisten deutschen Bahnverwaltungen eingeführt), Wand- und freistehende Spa-
liere, Verandas, Laub» und Bogengänge eto. Ferner:
Naturholz, neuester Klappstuhl eto. Gartenwalzen, Garten- und Treibhausspritzen,
Gras-Mäher, Springbrunnen, Vasen u. Hängevasen, Voliören, Schirmlauben, Zelte,
Baumschutzkörbe, Blumenbänke, Statuen aus Terracotta, Gartenfiguren aus Thon,
„Dom Fels zum Meer’,
Für Garten- und Villenbesitzer etc.
II. Jabrgang, Heft 9,
Carl Schliessmann,
Hoflief., Garten- Ausstattungsgeschüft, Fabrik für Gartenartikel,
Spalier- Bauwerke uw. -Arbeiten, Zug-Jalousien, Rollläden ete.
in Castel- Mainz.
Export nach — England, Finnland, Holland, Itallen, Oesterreich, Ost-
Indien, Russland h Schweden, Schweiz, Ungarn etc.
eht auf Verlangen franco und gratis zu Diensten.
Spalier-Bauwerke und »Arbeiten aus gerissenem Eichenholz mit ver-
darten-
Gartenmöbel, eiserne und von
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Friedrichs ha
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Ierfandt unt. Garantie geg Nachnahme,
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7
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Dr. Kles’ Diätelifche Heilanftalt Cotillon- und Ball-Ar tikel
h in großartinftier Auswahl und billi i
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Siebenſchläfer.
Novelle von Otto Roquekte.
3 gibt poetiſch angeregte Na:
turen, welche jedem Cindrud
mit gleiher Empfänglichkeit
offen ſtehen, wie der Dichter
jelbjt, ohne den Drang zu
h fühlen, ji mit ihrem Empfin:
— den nad außen hin zu bethäti-
ee Iſt es ihnen aber gegeben, fich fogar in
Verfen auszusprechen, melde nit für die
Deffentlichlett, nur für die Gelegenheit und
den engiten Kreis bejtimmt find, jo gehören
ſolche Yeute zu den bealüdtejten Sterblichen.
Denn fie verftehen ihr Dafein poetifch auszu—
ihmüden, und haben nichts von den Wider:
wärtigfeiten zu befahren, welche dem fünft:
leriſchen Gejtaltungstrieb von außen her ent:
aegentreten. Sie werden gewöhnlidy mit dem
Namen Dilettanten bezeichnet. Ich nenne fie
lieber: Die Stillen im Lande der Dichtung.
Denn die große Welt der Kunft mit ihren Ge:
fahren wollen fie nicht betreten, nur aus ihrer
ichönen Innerlichkeit einen poetiſchen Licht—
ſchimmer über die eigne kleine Welt‘ verbreiten.
Zu diefen Stillen im Lande der Dichtung
gehörte der alte Konreftor Volmar. Dögleich
er nur noch wenige Stufen bis zu feinem
jiebzigften Lebensjahre zurüdzulegen hatte, ſtan—
den ihm er oe Ausdruck und Reime noch
ausgiebig zu Gebote, um alle feitlihen Tage
der Familie, die Erfahrungen des Jahres—
wecjels, Freuden und Kümmerniſſe des Yebens,
dazu die kleinen Ereigniſſe des Haufes, ja des
Gartens und der Studierftube zu feiern, und
zwar in wohlgeformten, empfindungsreichen,
zuweilen humorijtiihen, und meift gar nicht
furzen Gedichten. Sie waren fo ganz für den
gegebenen Fall berechnet, daß ihnen oft nur
das Verjtändnis der Familie entgegenftommen
fonnte, daher denn, wie er nur feinen Heinen
Kreis im Auge gehabt hatte, an eine Verbrei:
tung über diefen hinaus nicht gedacht werden
fonnte. Seine Töchter aber jammelten dieſe
Dichtungen forafältig, und nannten die ſchon
ſtark angewachſenen Hefte „des Vaters ſämt—
liche Werke“. Waren ſie auch gebildet genug,
dieſen kleinen Familienſchatz nicht zu überſchätzen,
ſo hingen fie doch mit herzlichem Anteil daran,
denn jte wußten, daß jedes Blatt aus einem
glüdlihen Gemüt entfprofien war und eine
freudige Stunde des Empfangens bereitet hatte.
Nun begab es fich, daß nad; warmen Juni—
tagen ein beftiges Gewitter durch die Nacht
fam und ſich ftundenlang über dem Städtchen
austobte. Schon abends um adt Uhr hatte
es die Luft verfinftert, Regengüſſe über die
Dächer herabfluten lafien, und mit gewaltigen
Donnerihlägen den Widerhall der rings um:
gebenden Berge geweckt. Nod um Mitternacht
Dlitste und krachte es durch den dunklen Luft:
raum, ja die jtrömenden Wafjermafjen ſchienen
fich erft recht auägeben zu wollen. Dann aber
zog es raſch vorüber, und nad) einer ——
Stunde glänzten die Sterne durch die köſtlich
erfriſchte Sommernacht. Der Konrektor Volmar
öffnete das Fenſter und atmete die erquickende
Luft ein, um dann ſeinen Töchtern gute Nacht
zu jagen; denn man hatte ſich während des
Gewitters nicht zur Nuhe begeben, und mandes
noch erhellte enter, welches jonft um dieje
Stunde dunkel zu fein pflegte, zeigte, daß auch
hr Nachbarſchaft fich ſorglich wach erhalten
atte.
Aber der Konreltor war das Frühaufitehen
doc) zu fehr gewohnt, als daß er, aud nad)
zur Kälfte durchwachter Nacht, nicht um fünf
Uhr schon wieder friſch auf den Beinen hätte
fein jollen. Es trieb ihn in den Garten, um
zu unterfuchen, wie es mit feinen Roſen und
anderen Sommerblumen nad) dem ftarfen Negen
ausjähe. Er fand den Schaden nicht groß, band
dies und jenes auf, und machte vorläufige Ord—
nung, um fi zu einem Spaziergange durd) den
Wald zu rüften. Denn es ging ihm allerlei
durch Kopf und Herz, was er zu einer bevor:
ftehenden feftlichen Gelegenheit in Neimen aus-
ſprechen wollte, die in den legten ſchwülen
Tagen ſich gar nicht gefügig aezeigt hatten.
Heute aber in der erquidenden Morgenfühle
hoffte er die flüchtigen einzufangen. Hinter
einem Fenftervorhang grüßte ihn das rofige
Mädchengefiht feiner jüngsten Tochter. Er
nidte ihr einen Gegengruß zu, verlieh das
45
352
Haus und bald die noch ftillen Straßen, um
dem Walde entgegenzufchreiten.
Trotz feiner hohen Jahre war Herr Volmar
noch ein rüftiger Fußgänger, der auch jtärfer
anfteigende Wege nicht ſcheute. Und man mußte
wohl fteigen fönnen, wenn man in der Gegend
jpazieren gehen wollte, denn das Städtchen lag
tief in das Gebirgsthal eingebettet. Bald war
der Wald erreiht, der noch träumeriic im
Schatten lag, nur auf den höchſten Wipfeln
vom Frühlichte vergoldet. Denn die Sonne
mußte fi hoch über den Bergrüden heben,
um ihre ‚vollen Strahlen durd) das Buchen:
grün zu ergießen. Aber fie fam hell und glor—
rei nn es zudte, alänzte, funfelte in den
noch feuchten Zweigen, und wenn ein Lüftchen
durch das Laub fpielte, tröpfelte es wie ein
Stemenregen über die Farnkräuter des Wald:
bodens.
Der Konrektor kannte diefe Gegend feit
Lebenszeit und feit mehr als vierzig Jahren
hatte er fie genau ftubiert. Bei jeiner Vorliebe
für die Naturwifjenihaft war er mit den Ge:
fteinsarten der Felſen, mit der geſamten Pflan—
zenwelt, den Käfern, Schmetterlingen, Vögeln,
furz mit der ganzen Fauna volltommen ver:
traut, und hatte Sammlungen von allem an:
gelegt. In den lebten Jahren, da er ſich aus
feiner amtlichen Lehrthätigfeit zurückgezogen,
hämmerte und flopfte er nicht mehr fo viel an
den Steinen, ließ was da fleucht und freucht
zwar nicht umbeachtet, aber doch unbehelligt,
und wenn er in der Pflanzenwelt noch jam:
melte, jo geſchah es nur, um einen jchönen
Strauß von Feld: und Waldblumen mit nad)
Haufe zu bringen. Bei einer folchen finnigen
GSejchäftigleit empfand er dann wohl diejelbe
Genugthuung, als ob er feine Gedanken in
ein Gedicht zufammengebunden hätte.
Heute aber berührte er feine Pflanze, be:
merkte er nur flüchtig, was, durch den Negen
der Nacht belebt, ſich Fräftiger erhob und aus:
dehnte, denn auch in feinen Gedanken belebte
es fich‘, dehnte es ſich aus und reihte es ſich
aneinander, Verfe und Neime fügten ſich leicht,
jein Gedicht arbeitete fi) ihm im Kopfe aleich:
ſam felbjt aus und wurde immer befriedigender
und länger. Co war er rüſtig fortgeichritten,
bis der jteiler auffteigende Weg ihn ermahnte,
feinen Gang gemächlicher fortzujegen. Er wollte
no, an einer Felſenſchlucht vorüber, eine An:
höhe erfteigen, wo fich zur Fernſicht eine Ruhe:
banf befand, um dort Fin Gedicht als Ganzes
— noch einmal an ſich vorübergehen zu
laſſen.
Dieſe Felſenſchlucht wurde gebildet durch
zwei mächtige gegeneinander geſchobene Felſen—
wände, welche kaum zwei Perſonen auf einmal
Otto Roquette.
einen Eingang gewährten. Das Licht fiel von
oben in den gekrümmten engen Pfad und ließ
in der Dämmerung die Wände grün von feuchtem
Mooſe erkennen, in den Spalten von Farn—
kraut beſetzt, von welchem die ſickernden Tropfen
niederfielen. Nach etwa hundert Schritten er—
weiterte ſich die Schlucht zu einer großen, völlig
gedeckten Höhle, in welche das Tageslicht nur
durch eine Seitenipalte den Weg er ohne
doch mehr als ein Drittel der Höhle zu er:
hellen. Herr Volmar hatte fie feit langer Zeit
nicht betreten, und, obgleid er des botaniſch
und mineralogiih nterefjanten genug darin
wußte, wollte er auch heute vorübergehen. Und
doch mußte er plößlich ftehen bleiben, über:
raſcht und jtugend über den Anblid, der fich
ihm darbot.
Im Eingang der Schlucht, und von dem
Hintergrunde fich hell abhebend, zeiate ſich eine
Geſtalt, halb Jüngling, halb noch Knabe, in
einer, wie es dem Konrektor vorfam, hier zu
Lande ganz fremden Tracht. Ein mantelartiges
geitreiftes Gewand fiel von der Schulter in
‚alten und wurde von der in die Hüfte ge:
itemmten linfen Hand feitgchalten. Auf dem
blonden Kraushaar des Kopfes ſaß ein weit
in den Naden zurüdgeichobener Strohhut. Die
jpielenden Schatten des Laubes fielen auf die
untere Hälfte der Geftalt, während die Morgen:
jonne das jugendliche Geficht hell beleuchtete
und die Zoden über der Stirn wie einen gol:
denen Kranz erjcheinen ließ. So ftand die fremd:
artige Erfcheinung, mit der rechten Schulter
an die Felswand Br und jchien das Heran-
fommen des alten Herrn beobadhtend zu er:
warten.
Diefer blieb wirklich ftehen und betrachtete
fein fremdartiges Gegenüber einige Augenblide
mit Verwunderung. Gndlid begann er die
Nede: „Ei, auten Morgen, junger Freund!
Schon fo früh unterwegs?”
„Nur eben erwacht von zweihundertjährigem
Schlafe!“ entgegnete der Sngling mit wohl:
Hingender Stimme, ohne feine Stellung zu
verändern. „Ach, der jüngſte von meiner Schar,
wahe am frühejten zum Tage. Wir find die
Siebenichläfer. Die andern ſechs find nod)
drinnen in der Höhle. Es ift der Tag, da
wir nach zweihundert Jahren einmal wieder
erwachen müſſen.“
Dem guten Konrektor zudte die Ueber—
rafhung verwirrend durch die Gedanfen. Er
erinnerte ſich, daß heute wirklich der 27. Juni
war, der Tag, der im Kalender mit dem Namen
Siebenfchläfer bezeichnet ftand. Nun war der
alte Herr zwar von lebhafter Phantafie und
durd etwas Romantiſches leicht innerlich erregt,
aber doch zu wohldenfend und erfahren, um
Siebenſchlaͤfer.
an die Erneuerung des Wunders einer alten
Legende zu glauben. Aber mit der Spannung
feiner Aufmerkſamkeit auf die ſonderbare Er:
fcheinung zerftoben plößlich feine aufgereihten
Verſe und Reime mie cine jerl ene Perlen:
fchnur, deren Teile nah allen Seiten fort:
rollen und für verloren gegeben werden müſſen.
„Hm! Hm!” begann er mit ruhigerer Beobad):
tung. „Sie befennen mir recht Merkwürdiges,
mein verehrter Herr Siebenjchläfer! Aber fo
weit mir Ihre Legende befannt iſt, müjjen Sie
länger als nur zweihundert Jahre in Ihrer
Höhle geichlafen haben?"
„Anderthalb Jahrtaufende und länger!” ent:
gegnete der Jüngling unbewegt und in dem:
jelben gelaffenen Tone.
„Das dürfte ftimmen!” fagte der Konrektor,
den das Geſpräch zu beluftigen anfing. „Aber,
mein Bejter, über die Yolalfrage müfjen Sie
mich noch aufklären! Es war ja doch in Aſien,
wo Sie Ihr Martyrium erlitten —“
„sn Ephejus war's!” fiel der Yüngling
unerfchüttert ein. „Zur Zeit, da Decius im
römischen Neiche regierte, begab e3 fih, daß
diefer Katjer die heidniſchen Gößenbilder allein |
geehrt wiljen wollte, und die Chriften, deren |
idyon viel waren, follten fie anbeten. Und da
fie fi) dejjen weigerten, fam er zornig von
Byzanz nad) Ephejus, zu verfolgen, zu martern
und zu töten, wer nicht die Aniee beugte vor
den Götzen. Da liefen ihrer viele ihr Blut
für den Glauben, andere aber juchten fih durch
die Flucht zu retten. Wir waren aber zu Ephefus
fieben Jünglinge von edler Natur, fo den Chrijten:
glauben von ihren Vätern überfommen hatten
und davon nicht laſſen wollten. Da hielten
wir unter uns einen Rat und beſchloſſen, dem
Tyrannen feine Macht über uns zu geben, fon:
dern uns zu bergen in einer 4 daß er uns
nicht fände. Denn er hatte Befehl gegeben,
uns und alle Chriſten am nächſten Tage des
Todes ſterben zu laſſen. Und wir entflohen
zur Nachtzeit und fanden eine tiefe Höhle an dem
Berge Anchilos, darin wir uns ſicher glaubten.
Aber da die Schergen des Kaiſers uns aus—
geſpäht, wollte er, daß wir auch da nicht am
Leben blieben, und ließ den Eingang der Höhle
umauern für alle Zeiten, daß wir darin lebend
egraben ſein ſollten. Als er aber fortgegangen
von Epheſus, ließen die Gläubigen, ſo nach
der Stadt heimgekehrt, eine Tafel gießen von
Blei, darauf die Namen der ſieben Jünglinge
zu lejen waren, und daß fie in der Höhle den
Märtyvertod geftorben. Als nun auch Decius der
Heide mit Tode abgegangen, folgten ihm andere
Kaifer, die das Heidentum abjchafften und fi)
zum chriſtlichen Glauben bekannten, und es ver:
gingen fait zweihundert Jahre, da war das
|
353
Kreuz überall zu jehen und Kaifer Conftantius
auf dem Throne.”
„Bitte um Entjduldigung!” warf der Kon—
reltor ein. „Nicht Conitantius, fondern Theo:
dofius, und zwar der Zweite diefes Namens,
muß es gewejen fein, jonjt fommen die zwei:
hundert Jahre nicht heraus! Der kleine Jrrtum
ift verzeihlich bei Ahrem hohen Alter, mein
lieber Herr Siebenſchläfer!“
„Alſo Theodofius der Zweite mochte es fein!”
fuhr der Jüngling mit Ruhe fort. „Der Berg
aber und die Höhle, darinnen wir eingemauert
lagen, war an einen begüterten Mann ge:
fommen, Namens Adolius. Der wollte ein
Gebäude errichten und befahl jeinen Knechten
und Arbeitern, Steine zu breden. Und fie
braden und wälzten die Steine weg und fanden
den Eingang zu der Höhle, erblidten aber uns
nicht, und als eö Abend ward, gingen fie fort,
von ihrer Arbeit zu Ha Da es aber Morgen
wurde, erwachten wir fieben und begrüßten ein:
ander gewohntermafen und vermeinten nur eine
Nacht geichlafen zu haben. Aber wir waren
noch in Sorge, daß Decius uns juchte und uns
Böſes im Sinne trüge. Da wir nun der Speile
bedurften, um zu leben, hielten wir Nat mit:
einander und es ward beichlofien, einer von uns
follte auf Kundichaft gehen und verfuchen von
Ephejus Brot für alle mitzubringen und was
wir brauchten. Des guten Geldes aber hatten
wir genug bei uns. Und die Wahl fiel auf
Diomedes, den jüngiten, der zugleich der Ge:
wandtefte und Klügſte von allen war, und id)
bin Diomedes, den fie wählten.”
„Ei ſieh da!“ rief Herr Volmar dazwiſchen.
Diomedes aber fuhr fort; „Und den Weg
nad Ephejus fand ich wohl, da ich aber zur
. Stadt fam, war alles anders geworden. Das
war gar nicht mehr Epheſus und war doc) feine
andere Stadt. Ueber allen Thoren glänzte das
Kreuz, die Yeute in den Strafen gingen ruhig
ihres Wegs, als wühten fie nichts von fchred:
licher elahr. aber ich fannte ihrer niemand.
Ich ſah die Häufer meiner Genoſſen, und das
meines Waters, aber es aingen fremde Men:
ſchen aus und ein, jo mid) nicht fannten und
beifeite ftießen. Da ging id voll Scred
und Wirrnis weiter, um das Brot für uns zu
faufen. Als ich aber das Geldſtück hinleate,
nahm der Bäder es in die Hand und wunderte
fih, denn ob er es zwar für autes Gold hielt,
wollte er dejjen niemals in der Stadt gejehen
haben. Und es famen andre dazu, und be:
tradhteten es und fragten, wo ich die Münze
gefunden hätte? Da fagte ich ihnen, daß ic)
ſie nicht gefunden, ſondern daß fe nod) gejtern
in der Stadt gegolten und daß ich dergleichen
wohl nod mehr hätte. Er hat einen Schaß ge:
354
funden, riefen fie, er muß uns den Drt jagen,
auf daß mir aud graben. Aber ich leugnete
und fagte, die Prägung zeige das Bild des
Kaifers Decius, der doch noch gejtern feine Be:
fehle in der Stadt gegeben. Da ladten fie
und nannten mich einen Tollen, und es war
viel Auflaufens in den Straßen um meinet:
willen. Da fam es bis vor den Biſchof und
den Statthalter und ich mußte vor ihnen er:
fcheinen. Und war viel Fragens und Wunderns,
denn Kaifer Decius war nicht mehr und dar:
über zweihundert jahre vergangen. Da faßte
ih mir einen Mut und erzählte ihnen alles,
daß wir unfer fieben vor ihm in die Höhle
geflohen und heute morgen erwacht waren. Da
erftaunten fie, aber fie zweifelten und nannten
mic Lügner. Ich aber beteuerte, was ich wußte,
und es famen die Schriftaelehrten, und hörten,
und forſchten und fanden vieles richtig, wie
ich fagte, daß es gejtern geweſen, und fie er:
fannten, das fei zweihundert Jahre her. Aber
während man mid viele Stunden hinhielt,
waren andere voll Neugier hinausgegangen nad)
der Höhle, denn ich — von meinen Genoſſen
geſprochen und ihre Namen genannt. Da kamen
die Leute mit Verwunderung zurück und brachten
vor den Biſchof die bleierne Tafel, darauf
ſtand, daß Kaiſer Decius uns hatte vermauern
laſſen, weil wir Chriſtum bekannten. Alſo
mußten wir zweihundert Jahre geſchlafen haben.
Da beugte ſich vor mir der Biſchof und verlün—
dete, daß Gott ein großes Wunder gethan. Und
er führte mich mit vielen Tauſenden und großem
Gepränge in die Höhle, daß wir meine Ge—
noſſen von dort abholten. Und wir fanden
ie —
„Alles ſehr ſchön!“ unterbrach ihn der Kon—
reltor. „Sie haben Ihre Legende geſchickt zu—
ſammengefaßt. Daß ſie nach verſchiedenen Ueber—
lieferungen verſchiedenartig erzählt wird, thut
nichts zur Sache. Kurz, fie wurden alle ſieben
als Märtyrer heilig geſprochen, jtarben aber
nod) desjelbigen Tages, um als heilige Sieben:
ichläfer begraben zu werden. Wie aber fommt
ed dann, daß, da Sie doch begraben worden,
Sie ganz leibhaftig wieder aufgelebt find?“
Der Siebenfchläfer befann ſich einen Augen—
blid, dann ſagte er: „Wir müffen alle zwei:
hundert Jahre wiederfommen, um immer das:
jelbe zu erleben.
Ö weh!” rief der Konreftor. „Das ift
ja für ſchuldloſe Märtyrer eine recht harte Ge:
ipenfterwanderung und eine Erweiterung Ihrer
Yegende, von der ich noch nichts gewußt habe!
Aber da Sie der gewandteite und klügſte von
den fieben find, müſſen Sie das bejjer willen.
Ein dunkler Punkt bleibt für mic zwar immer
no, daß Sie diesmal nicht im Berge Andjilos,
Otto Roquette.
ſondern bei uns, in einer deutſchen Gebirgs:
höhle erwacht find — aber ich will auch nicht
gar zu neugierig fein! Geftatten Sie mir, daß
ich dafür eine andre Frage ins Auge fafje!
Sie werden ſicherlich auch heute in die Stadt
ehen, um Speife zu holen? Ich bin fehr be:
annt in unfrem Städtchen, und würde gern
behilflich fein.“
„Das ift überaus freundlich!” entgegnete
der Siebenichläfer. „Und ich wünfchte, es wäre
nicht zu weit, denn — wir haben geftern fein
Abendeſſen gehabt.“
„Und da wird ein Frühftüd jehr willfommen
fein! Ich kann es mir denken, Herr Studioſus!“
Dem Konreltor war die letzte Bezeihnung über
die Zunge geraten, er wufte nicht wie, wäh:
rend der Jüngere die Lippen zufammenfni
als wolle er das Lachen unterdrüden.
„Nenn man übrigens,“ fuhr der Alte fort,
„ven Hunger jummiert, der nach anderthalb:
taufend nicht gehaltenen Mahlzeiten beredhtigt
wäre, jo möchte unfer Städtchen freilih ın
Verlegenheit geraten, den Appetit feiner Gäſte
zu befriedigen — —“
„Thaſſilo! Wo ftedjt du denn? Thaffilo!”
Co ericholl ein Ruf aus der Höhle, vor dem
der Konrektor feine Rede unterbrah. Der junge
Fremde bewies, daß der Ruf ihm gegolten,
denn er wendete fih und trat zurüd.,
„ha!“ dachte der alte Herr! „Jetzt fommen
die übrigen ſechs, Jünglinge von edler Natur‘!
Aber er fühlte ſich doch überrafcht, als er nun
einen nad dem anderen aus den Felſen hervor:
fchreiten ſah. Denn er hatte fie jich anders
gedacht.
Zuerft fam ein — dicker Menſch, mit
aufgedunſenem Geſicht, einem Schnurrbart darin
und verſchlafenen Augen. Er irug ein Wander:
bündel über der Schulter, unter dem Arm aber
einen grünen Sad, aus dem das Mundjtüd
eines Waldhorns hervorfah. Der zweite über:
ragte ihn um Haupteslänge; ein jtarkichultriger
Gefell, welcher eine mächtige Poſaune trug, die
fi auch unter der arünen Verhüllung fennt:
lid) machte. Dann folgte wieder der Träger
eines Waldhorns, von welchem nichts weiter zu
fagen ift, als daß er ftarf gähnte, da er das
Tageslicht erblidte. Der vierte dagegen erjchien
als ein leichtfüßiges Weſen, Fleiner als die
übrigen, mit ſchmunzelndem Geficht, von unter:
nehmendem Ausdrud und einer Klarinette in
der Hand. Ihm folgte, ebenfalls mit einer
Klarinette, der fünfte, welcher jehr unbefriediat
ausſah und etwas hinfte. Diefe fünf ſchienen
zufanmengehörtg, denn fie trugen araue Röde
von gleihem Schnitt mit arünen Aufſchlägen
und ſpitze Schwarze Hüte. Sie ließen ſich auf
Geſpräche jetzt nicht ein, jondern fchritten, ein:
’
Siebenfchläfer.
gedenk des verlorenen Abendefjens und des noch
mangelnden Frühftüds raſch ihres Weges, auf
welden der letzte der nächtlichen Höhlengäfte
fie hinwies.
Diefer, der fiebente des ganzen Zuges, ein
ihlanfer junger Mann mit leihtem Vollbart,
wendete fi zu dem jüngften und reichte ihm
grüßend die Hand mit den Worten: „Guten
Morgen, Thaffilo! du jcheinit als erfter er:
wacht Ir jein? aber du fiehft blaß aus — haft
du ſchlecht geſchlafen?“
Währenddem hatte ſich der alte Herr mit
gefpannter Beobadhtung genähert, und jetzt
machte er eine Bewegung, welde die Aufmerk—
famfeit des jungen Mannes auf ihn lenkte,
Nur einen Moment blidten beide einander
fragend an. „Hanno Bertung!” rief der Alte
freudig.
Roter Volmar! mein alter Vormund!“ ju:
belte der Jüngere und eilte mit ausgebreiteten
Armen auf den Konreltor zu. „Hier im Walde
ſchon foll ich dich begrüßen! Willfommen !“
„Ja, Willtommen, mein lieber guter Sohn!“
entgeanete der Alte. „Willkommen hier draußen,
und Willlommen in meinem Haufe! du er:
fcheinft früher, als wir did) erwarteten? D, du
weift wohl, daß wir jtetS auf dich gerüftet, und
glüdlich find, dich einmal wieder zu haben!“
Mährend fo der Freude des Wiederſehens
mit noch manchem herzlichen Worte Ausdrud
gegeben wurde, jtand Thaffilo, jtusend über das
nerwartete, und in einiger Verlegenheit bei:
feite. Denn, daß er feine Eulenfpiegelei gegen
eine Nefpeftöperion ausgeübt, fiel ihm auf
das Gewilfen. Die beiden anderen erinnerten
ſich feiner doch bald wieder, und jchnell fuchte
er einzulenten. „Hanno! begann er: „Jetzt
hilf mir aus der Patſche! ich habe diefem
würdigen Herm aufbinden wollen, wir wären
die alten und echten Siebenfchläfer, und ich der
flügjte von ihnen. ch vermute, es war das
Dümmfte, was ich thun konnte!“
„Nun, nun!” entgegnete Herr VBolmar: „Es
war nod) luftig genug! Auch Ihre Tracht fommt
mir nicht mehr jo afiatifch vor, denn ic) ſehe,
es iſt nur das wollene Neifeplaid, welches Sie
wegen der Morgenfühle etwas maleriſch um:
geichlungen hatten. Auch Fam Ahnen die Beleuch—
.. zu ftatten. Ihre Rolle fpielten Sie nicht
übel, bis auf den einen Yapfus in betreff des
Kaiſers Theodofius. Und der Alte erzählte
dem jüngeren Freunde mit Behagen von ber
Unterredung, die er mit dem jüngjten Märtyrer
geführt hatte.
„Ich habe nur mein Penſum von geftern
abend refapituliert und aufgeſagt!“ vervoll:
ftändigte Thafjilo.
Hanno ftimmte ladjend in die Heiterkeit des
355
Konrektorö ein, und ftellte ihm feinen jungen
Reifegefährten unter dem Namen Thaffilo von
Ellerjtedt vor. Dann erzählte er, wie fie gejtern
abend vor dem auäbrechenden ſchweren Gewitter
und dem ftrömenden Regen in die F bekannte
Höhle geflüchtet, und fünf reiſende Muſikanten,
welche fe angetroffen, in das Aſyl mitgenommen
hätten. „Die Nacht fam heran,” fuhr Hanno
fort, „und da das Wetter ſich nur heftiger ent—
lud, zogen wir vor, die Stunden bis zum
Morgen unter dem Schuße der Höhle zu bleiben.
Um meine Gefährten zu unterhalten, erzählte
ic ihnen die Legende von den Siebenfhläfern.
Denn wir waren zufällig die gleiche Zahl, und
ich erinnerte mich, daf wir dem fo bezeichneten
Kalendertage entgegenichlafen follten. Ich
glaube, es ift uns recht wohl ———
„Das kann ich von mir nicht —
entgegnete Thaſſilo. Mir ging die Geſchichte
im Kopf herum, und wenn ich mir etwas
Schlummer erhoffte, riſſen mich der Horniſt und
der Poſaunenbläſer mit ihrem Schnarchen wieder
ins Wachen zurück, ſo daß ich eigentlich gar
nicht zu den — gehört habe. Aufgeregt
und ärgerlich über euren geſunden Schlaf, ver—
ließ ich endlich die Höhle, um den Morgen
draußen zu erwarten. Und als er anbrach,
beichloß ich, gelangweilt, mit dem erjten, der
mir in die Quere fäme, anzubinden. Daß id
an den Unrechten gefommen, habe ich zu be:
Hagen —“
„Gar nicht nötig, junger Herr!” rief der
Konrektor abwehrend. „Nun aber wollen wir
den Meg zur Stadt doch beichleunigen, denn
ſelbſt ich freue mid) auf das Frühjtüd, der id)
doch geitern mein geregeltes Nachtmahl gehabt,
und nicht in einer Höhle geſchlafen habe!“
Unter Gefprähen zwijhen Hanno Bertung
und feinem einjtigen Vormunde wurde der Weg
nad der Stadt bald zurüdgelegt. Thafjilo
glaubte ſich von den beiden anderen trennen zu
müfjen, da er zwar den gleihen Weg, aber
nicht das gleiche Ziel hatte. Er reijte zu Ver:
wandten, welche über die Stadt hinaus auf
einem Gute wohnten, daher er feinen Koffer
auf der Bolt in Empfang nehmen, jowie einen
Magen in der Stadt —5— wollte. Allein
Herr Volmar war der Anſicht, daß das nicht
ſolche Eile habe, zumal er erfuhr, daß Thaſſilo
ſeine Ankunft nicht auf die Stunde gemeldet
hatte, er alſo heute nicht beſtimmt erwartet
wurde. Es fojtete nicht große Weberredung,
den Yüngling zu einem Frühſtück im Haufe
des Konreftors zu gewinnen.
Hannos Empfang war berzlih, als gelte
ed dem Sohne des Haufes und dem Bruder.
Zuerit fam den Männern die jünajte Tochter
des Konreftors entgegen, Gudula, ein fchlantes,
356
anmutiges Mädchen, mit geiftvoll jprechenden
Augen, und reichte dem Gafte freudig die Hand.
Lebhafter aber eilte die ältefte herbei, Frau
Theodore, die als Witwe in dem Haufe des
Vaters lebte. In ihrem faft mütterlichen Ver:
— zu Hanno flog ſie ohne Umſtände in
eine Arme und gab ihm einen herzhaften Kuß.
Auch Thaſſilo wurde, als Reifegefährte Hannos,
freumdlichjt aufgenommen. Und als rau Theo:
dore von dem Höhlenſchlaf der Nacht und den
Nahrungsmängeln der Abenteurer erfuhr, ſetzte
fie den jüngſten Siebenjchläfer jofort an ihre
Seite, und wußte ihn durch ſchnell herbeigeholte
Schätze der Speifelammer reichlich zu entſchä—
digen. Sie war eine angenehme Frau, und
hatte eine muntere Art, das Geſpräch zu führen:
„Was ift diefe Weberrafhung aber für ein
Querſtrich für den guten Vater!“ rief fie plötz—
lih. „Die fejtlihe Empfangshymne lag ihm
nur erft im Herzen — ich hab's wohl gemerkt,
daß im ftillen jo etwas arbeitete — und nun
fommt der Gefeierte, bevor der poetiiche Gruß
vollendet iſt!“
Laß nur!” entgegnete der Water. „Offen
geitanden, ich bin heute früh hinausgegangen,
um den poetifhen Gruß abzufaſſen, ftatt feiner
aber bringe ich den zu Begrüßenden ſelbſt nad
Haufe. Das ift noch beſſer. Sollte es am Ende
no etwas Gereimtes geben, nun dann —“
„E83 wird nachgeliefert, und der jechite
Band der fämtlichen Werke damit würdig ein:
geleitet““ rief Theodore. Und zu Hanno ge:
wendet fuhr fie fort: „Aber quter Junge, dies:
mal dürfen wir uns nicht fchmeicheln, der An:
ziehungspunft für dich gewefen zu fein, ſondern
der leidige Mammon war es, die fchnöde Geld:
gier, die dich in unfer Städtchen gelodt hat!“
Hanno mußte lachen, und Gudula, ſowie
der Vater, jtimmten beluftigt ein. „Nun ja!“
entgegnete er: „Ich habe eine Erbichaft gemacht,
und das Gericht verlangt, daß ich mich per:
fönlich einftelle, um fie endlih in Empfang zu
nehmen.‘
„Neugierig wär’ J fuhr Theodore fort,
„was dein gelehrter Kopf nun erſinnen wird,
das ungeheure Vermögen unterzubringen. Ganze
taufend Mark! Es iſt, um einen Schwindel zu
friegen! Standen fie nicht zu erwarten, jo war's
immer brav von der alten Großtante, dich da:
mit in ihr Teftament zu ſetzen.“
„Und fie kommen mir recht gelegen!” fagte
Hanno. „Denn ich habe vor, noch auf ein paar
Monate nad) Italien zu reifen, um einige or:
ichungen zu machen.‘
„Nah Italien? Noh einmal?“ rief die
aanze Familie. „Am Ende gibt es neue Aus:
grabungen!” fügte TIheodore hinzu. „Denn
ohne Ausgrabungen im Schilde zu führen,
Otto Roguette,
geht dech kein junger Gelehrter mehr nach
üden!“
„Es iſt beinahe ſo!“ beſtätigte Hanno lä—
chelnd. „Alten Inſchriften auf Steinen will
ih nachſpüren, und habe eine Witterung, wo
dergleichen noch zu finden wären.‘
„Bott im Himmel!“ rief Theodore. „Man
läßt den alten Römern auch gar feine Ruhe!
Und wenn fie ihre Heimlichfeiten noch fo forg:
fältig verftedten, die deutfchen Gelehrten Tom:
men ihnen doc auf die Spur!“
In diefem Augenblide brad eine Mufif
lo8, vor weldem das Geſpräch unwillkürlich
verftummte. Zwei Hörner ergingen fi in
halb melandholifchen halb weltverhöhnenden Be—
fenntniffen, eine Stlarinette fuchte fie durch
Frechheit iu überbieten, während die zweite
aud in Klängen herzbrechend nachhinkte. Nur
die Poſaune hielt, geringe Ausweichungen ab:
gerechnet, ihre Grundtöne charaftervoll feit.
„Theodore jah durd das Fenſter. „Sind
das die übrigen fünf Siebenfchläfer? fragte fie.
Thaffilo, der ihr gefolgt war, bejtätigte es.
„Als eure Leidensgefährten,“ fuhr Theodore
fort, „ſollen fie beſſer belohnt werden, als ihr
fünftlerifches Vorhaben verdient. Sie find nod)
am Ende der Straße. Hätten wir fie nur erjt
am Haufe vorüber!“
Die Geſpräche waren nun doch einmal ab:
gebrochen, und fo verabſchiedete ſich Hannos
Reifegefährte, obaleich ehr ungern. Denn er
ſah ſich in einer Familie, die ihn gemütlich
anregte, da er ſelbſt doch nicht eben verlodenden
Familienbeziehungen entgegenging. Während
ihn fein Freund und der Konreftor begleiteten,
um ıhm für die MWeiterreife behilflich zu fein,
mag einiges für den Verlauf diefer Geſchichte
Erforderliche nachgeholt werden.
Hanno Bertung war der Sohn des einftigen
Stadtpfarrers. Früh elternlos, fam er ſchon
als Knabe in das Haus feines Vormundes,
des Konrektors Volmar, welches er wie jein
väterliches betrachtete, um auch fpäter immer
gern dahin zurüdzufehren. Er hatte es einjt
belebter gefannt, ala es ſich jet darjtellte. Da
waren nod) zwei Töchter, jet verheiratet und
in der Entfernung lebend, und zwei Söhne,
durch Beruf und Stellung ebenfalls an andere
Gegenden gebunden. Dann fehrte Frau Theo:
dore, nachdem fie früh Witwe geworben, zu
ihrem Vater zurüd. Sie teilte ſich mit der
jüngjten Schwefter in die Gefchäfte der Wirt:
ſchaft, deren größten Teil fie doch allein führte.
Denn Gudulas Hilfe wurde durch den Water
reihlid in Anſpruch genommen. Sie hatte die
ramilienforrefpondenz zu führen, und mancherlei
Schreibereien für den alten Herrn, der alles,
was er dichteriſch oder wiljenjchaftlih trieb,
Siebenichläfer.
gern fauber gebucht und geordnet um fich fehen
wollte. Eine behaglidhe Ordnung zeigte das
ganze Haus von außen und innen. Nur ein:
ftödig, aber tief und langgeftredt, gewährte
e3 doch Naum für viele, und der große,
bis zu den Stadtwiefen hin ausgedehnte Garten
mit Obft: und Wirtfhaftspflanzungen, ftellte
ein ganz ftattliches bürgerliches Beſitztum dar.
er Gajt des Haufes bezog feine Giebel:
zimmer, die er bereits in feiner Schulzeit be:
wohnt hatte. Es gereichte der Familie zur
freude, daß er feinen Aufenthalt auf einige
Wochen bemeflen, und Arbeit mitgebracht, —J—
ihm manche Tagesſtunden ausfüllen ſollte. Galt
es doch noch mancherlei Zurüſtung für den
alademiſchen Lehrſtuhl, zu welchem er berufen
war, um ſeine neue Thätigkeit im nächſten
Winter zu beginnen.
Als abends die Familie unter dem Nuß—
baum ſaß, der die ag des Hauſes be:
ichattete, begann Frau Theodore zu Hanno
ewendet: „Da die Stiefmutter des jungen
llerſtedt, die ſchöne LYeontine, auf dem Gute
bei Hobergs zum Beſuch ift, wirft du dich wohl
aud einmal dort vorjtellen? Sie iſt ja doch
eine alte Bekanntſchaft von dir.“
„Ich glaube nicht, daß ich es thun werde,‘
—— Hanno.
‚Nun, fie ift immer noch die fchöne Leon:
tine,“ fuhr Theodore fort, „und frage nur den
Vater, der — ganz begeiſtert nach Hauſe
kam, da er ihr begegnet war, als Amazone
hoch zu Roſſe! Aber du haſt uns noch nicht
erklärt, wie du zu der Freundſchaft mit dem
jungen Ellerſtedt gekommen bift.‘
„Unjere Bekannſchaft begann mit dem Tage,
da ih meine Schulmeifterlaufbahn antrat,”
erzählte Hanno, „und wir blieben zufammen
bis zum Schluffe des letzten Semefters, wo wir
beide die Anjtalt und zwar beide,
um die Univerfität zu beziehen, ich als Pro:
feffor, er ala Student, Und fo aud finden
wir beide uns diefen Sommer noch in einem
Interimszuftande. Ich fand bei meinem Ein:
tritt in die Anftalt den Knaben im Haufe des
Direktors ſchon vor, wo er auch blieb, als fein
Bater ſich wieder verheiratete. Der verftorbene
Präfident von Ellerftedt war befreundet mit dem
Direftor, und ernannte ihn auf dem Todeäbette
zum Bormund feines ——
„Er wird gewußt haben, warum!“ warf
Theodore dazwiſchen.
„War der Knabe in ſeinen Umgebungen
auch gut —— fuhr Hanno erg „jo
übte doch der Mangel einer eigenen Familie
einigen Einfluß auf ihn. Mehr als auf mid),
der ich in meiner Jugend in wg Lage
war, aber freilih unter fo viel günftigeren
357
Verhältniffen bei euch lebte. Bei ihm machte
fih das Gefühl der Vereinſamung geltend,
welches ihn auch äußerlich zur Abfonderung
führte. Gleihwohl war bei ihm zu beobadten,
was bei verjchlofjenen, in fich gefehrten Naturen
nicht felten vorfommt, nämlid) das Hervorbrechen
von unerwartetem Uebermut und phantajtiichen
Streihen, wie wir es erft heute früh erlebt
haben. An mich hatte er ſich immer befonders
angeſchloſſen. Der Knabe war geijtig frühreif,
auf Koſten feiner körperlichen Entmwidelung.
Er mußte mit 17 Jahren von der Schule ent:
laffen werden. Allein fein Webereifer des
Arbeitens rächte ſich, er verfiel in ein Nerven:
fieber, welches ihn —— die Univerſität
ſchon zu beziehen. Als er geneſen war, kam
die Einladung zu ſeinen Verwandten. Ihn
einige Zeit die Landluft genießen zu laſſen,
war erwünſcht, und da ich mich zur Reiſe
rüſtete, fonnte er ſich mir anſchließen.“
„Der arme Junge!‘ rief Theodore. „Denkt
euch, als ich ihn fragte, ob er feine Stiefmutter
lange nicht gejehen habe, entgegnete er: Noch
niemals! Sofort fiel mir auch ein, was die
fchöne Zeontine fich bei ihrer Berheiratung aus:
bedungen hatte, nämlich), daß fie ſich um den
Knaben aus der eriten Ehe ihres Gatten in
feiner Weife zu befümmern habe! Darum
mußte das Kind unter fremden Menfchen auf:
wacjen. Herr von Ellerftedt zeigte von An:
fang an eine unerhörte Schwäche gegen fie,
und fie wußte fie auszunugen. Wenn ich mir
denke, in welden bejcheidenen Berhältniffen
diefes Mädchen einft lebte, ald Tochter eines
penjionierten alten Sauptmanns! Freilich, ihre
Schönheit! Noch ganz deutlich erinnere ich
mic) eines Balles, wo fie in ziemlih un:
ſcheinbaren Fähnchen erſchien, und doch als die
gefeiertſte Tänzerin alle Mädchen ausſtach. Es
war damals, ala Herr von Ellerſtedt zum
erftenmal in Gejchäften hergefommen — Gu:
dula und Hanno, ihr müßt euch des Balles
ja noch erinnern!‘ i
„Ich nur vom Hörenfagen! entgegnete Gu:
dula. Denn ic) war damals noch lange nicht
reif für Tanzkleider.“
„Run jo tanzte doch Hanno auf jenem
Balle mit ihr. Jh fehe den Studenten mit
ihr noch vorüberfliegen. Und das Paar war
des Anjehens wert.“
Auch Hanno erinnerte fich jenes Balles nur
zu genau, und eö war ihm lieb, daß das Abend-
dunfel fein Geficht befchattete.
„en jenem Abend war es auch,” fuhr Theo:
dore fort, „wo Leontine die erfte Maiche aus:
warf, den nicht mehr jugendlichen, dafür aber
jehr reihen Mann ganz zu fejleln. Nun, es
wurde ihr nicht fchwer, und fie machte ein für
358
ihre Verhältnifje unerhörtes Glüd. Daß ihr
Stiefjohn der Haupterbe feines väterlichen Ver:
mögens werden jollte, fonnte fie nicht ver:
hindern, aber fie hat fich doch, und zwar jchon
vor der Verheiratung, dermaßen auöftatten und
Kae, lafien, daß fie nad) Herzensluft leben
ann.
„ber, liebes Kind,” wendete der Konreftor
ein, „du fprichit, als wärft du dabei gemwejen,
und haft doch alles nur vom Hörenfagen —“
„Bäterchen!” unterbrach ihn Theodore: „Ich
rede diesmal, was ich weiß! Ich fenne ſogar
die Urſache, um derentwillen fie ſich zu einem
Beſuche bei Hobergs entſchloſſen hat, die nur
entfernt mit ıhr verwandt find und bei denen
jie fich jehr zu langweilen pflegt. Frau von
Hoberg iſt es jedenfalls auch geweſen, welche
die Einladung Thaſſilos durchgeſetzt hat, der
ſchönen Leontine wäre dergleichen nicht in den
Sinn gekommen.“
„Du thuſt ihr gewiß unrecht!“ warf der
alte Herr nochmals ein.
„Ich glaube nicht, lieber Vater! 30 be:
fenne, bat id) dieſer Zeontine gegenüber ein
Intereſſe, wie für ein rätjelhaftes Problem
fühle. So etwas von inmerlicher Kalte, ja
—— bei ſoviel Reiz und Schönheit,
ſoviel Anziehungskraft, iſt mir unbegreiflich.
Und überdies — fie muß noch etwas cuf dem
Gewiſſen haben! Ein Verhältnis vor ihrer
— welches ſchroff abgebrochen wurde.
Man weiß keinen Namen, aber es hat Zeugen
ihrer — Zufammenfünfte gegeben.“
Hanno Bertung erſchrack bis ins Innerſte,
und die Ueberraſchung trieb ihm das Blut ins
Geſicht. Was er durchgerungen und nach Jahren
in ſich abgethan hatte, mußte er plötzlich ausge:
iprochen hören, und zwar im Kreiſe feiner
Familie, welcher feine Erfahrung ein Geheimnis
hatte bleiben follen. Durfte er gleich annehmen,
daß Frau Theodore wirklih nit mehr zu
verraten hatte, als fie ausgefprochen, jo ge:
nügte das nur halb Enthüllte ihm doch, um
einen neuen Drud auf ihn auszuüben und ihn
verftummen zu machen.
Der alte Herr gab der Unterhaltung eine
andere Wendung, da er nicht liebte, daß über
andere ungünftig geiprochen wurde. „Du wirft
in der (Gegend einige Veränderungen finden!“
begann er zu Km gewendet. Beſonders in
der Nähe des Hobergichen Gutes, Der Beliger
hat große Mühlenwerfe angelegt, ungeheure
Gebäude, und entfaltet eine umfangreiche In—
duſtrie.“
„Schade um das ſchöne alte Mühlenthal!“
jagte Hanno, um doch nicht ganz ftumm zu
bleiben.
„Seht ihr?” rief Gudula freudig. „Sch
Oro Koquette,
wußte es voraus: Cr denft wie wir, wenn er
gleich) aus der weiten Welt fommt. Die große
nduftrie wird ja wohl ihre Berechtigung haben.
Wir aber, die wir, in unfer Thal eingejchlofien,
nichts damit zu thun haben, und zufehen müfjen,
wie man es für das, was die Leute Kultur
nennen, verunjtaltet, wir dürfen wohl jagen:
Schade darum! Wer mag fi) jegt noc dahin
wagen, wo es von Fabrifarbeitern wimmelt ?
Glüdlicherweife hat man uns die Berge und
den Wald auf der anderen Seite der Stadt
nod) nicht genommen. Und ich habe zu meiner
Beruhigung gehört, daß die Schludyt da viel
du eng und zu tief ift, um etwas Induſtrielles
hinein zu bauen.”
Das Geipräh war damit in eine harmlofe
Bahn gelenkt und lodte Gudula_mehr zur Be:
teiligung an. Sie zeigte viel Teilnahme für
Hannos Studien und feine bevorjtehende Neife
und wußte ihn ausgiebig in der Unterhaltung
zu machen. Es war sehn Uhr, als der alte
Herr —5— begann: „Nun, wir haben heute
Siebenſchlä * gehabt, nach deſſen Wetter
ſich, dem Volksglauben gemäß, die ſieben nächſten
age zu richten pfegen. Wir fehen alfo für
eine Woche lang Ichöne und freundliche Tage
voraus, In diefer Zuverficht wollen wir uns
heute gute Nacht jagen!”
Hanno betrat jein altes Giebelzimmer, fühlte
aber noch fein Bedürfnis, fi) zur Nuhe zu
begeben. Er lehnte ſich in das Fenſter, zu
welchem die legten Zweige des Nußbaumes
reichten, darin die Nachtluft leife ſpielte. Hell
alänzten die Sterne, und tiefe Stille Tag über
Härten und Stadt. In berubigter, ja gehobener
Stimmung hatte er den Kreis lieber Menjchen
verlaffen, die er die Seinen nannte, jegt in
der Einſamkeit traten ihm Erinnerungen, bitter
und demiütigend, noch einmal vor die Seele.
Neun Jahre find für die Jugend eine lange
Zeit, und doc) nicht ausreichend, um einen Rip,
der einmal in das Dafein gefommen, völlig
wieder auszugleichen. Aus feinem täglichen
Denken zwar hatte er eine alte Erfahrung
längjt verbannt, und er jchalt ſich, daß eine
Erwähnung derjelben ihn noch einmal aufregen
wollte. Nicht mehr zu fchmerzlichen Empfin:
dungen des Verluftes, gewiß nicht; aber doch
zu Aufwallungen eines zornigen Mipmutes,
en er längſt überwunden geglaubt hatte. Allein
er wollte auch diefe los jein, und es gelang
ihm bald genug, feinen Gedanken eine andere
Nichtung zu geben. Sie beichäftigten fid) mit
feiner Bf egeſchweſter Gudula, deren Anmut
und rein entwickeltes weibliches Weſen ihm
leich in der erſten Stunde ſeiner Rückkehr im
— —— überrafhend nahe getreten waren.
Er hatte im Laufe des Tages faum zehn Worte
Siebenichläfer.
allein mit ihr geiprodyen, und dod) fam es ihm
vor, als habe er ſich fortwährend mit ihr unter:
halten. Das war früher nicht jo geweien. An
Jahren verſchieden, aber als Geſchwiſter mit:
einander verfehrend, hatte es nie an Vertrau:
lichkeit unter ihnen gefehlt. Nur daß er er:
waächſen war, da Gudula noch für ein Kind
galt. Jetzt hatte fie ihr zwanzigjtes Lebens:
jahr erreicht, und er erjtaunte über ihre Ent:
widelung. Er erinnerte ſich plöglid), daß fie
vor zwei Jahren, da er fie zulegt gejehen, aud)
nicht mehr ein Kind geweſen. Aber fie war
eben die jüngfte der Familie, und wenn fie
ſelbſt fich nicht mehr Kind gefühlt, jo hielten
die anderen die Kinderrolle für ſie doch länger
feit, bis man dann erfannte, daß fie völlig aus
derſelben herausgewachſen war. Dieje Erkennt:
nis wurde aud) ihm heute deutlich, und zwar
mit einem jo wohlthuenden Gefühl, daß fein
Herz ſich fait Schon mit Hoffnungen und Win:
ſchen erfüllte. Er begriff nicht, daß dergleichen
ihn heute erjt überfam. Die Zukunft jtand
plöglic nicht mehr als Inbegriff von gelehrter
Arbeit vor feiner Seele. Die Stellung, zu
welcher er berufen worden, erlaubte immerhin
die Begründung eines kleinen Hausjtandes. Er
erjchrat vor Freude. Aber auch zweifelvolle
Gedanken durchkreuzten die wachlende Erregung.
Ob Gudulas Herz ganz frei wäre? Ob fie
feinen Empfindungen entgegenfommen würde?
Ob ihr ein mehr als Ichweiterliches Verhältnis
zu ihm wünfchenswert fein fonne? Ob fte den
Vater, mit dem fie innerlich fo jehr zufammen:
hing, der ihrer Hilfe bedurfte, verlaſſen würde?
— Mitternacht war längjt vorüber, als er, jolche
Gedanken Hin und her wägend, noch immer
in die jternenfunfelnde Stille hinausblidte,
Irogdem ließ er morgens nicht auf fi
warten, und als er im Garten Gudula erblidte,
war er mit jehr jugendlihen Sprüngen unten,
um fie zu begrüßen. Es folgte ein Tag voll
Glück und Sonnenfchein für alle, denn Hanno
zeigte ih von der beiten Yaune, und fo mit:
teilfam, als man ihn nur irgend haben wollte.
Er fand aud) reichlich Gelegenheit, mit Gudula
allein zu jprechen, und fand fie jo einfad) herz:
lich, fo teilnehmend, dabei jo klug und anmutig,
daß ihm, was in feinem Herzen vorging, be:
reitS auf die Lippen treten wollte. Aber ge:
rade, was jeinen Verkehr mit ihr begünftigte,
die natürliche gewohnte Vertraulichkeit, ſchien
eine Schranfe für ihn werden zu wollen. Gr
hatte Augenblide, in welchen er ſich verlegen
fühlte, er jchien übermütig, und war doch im
Innern beängftigt, erichredt über irgend ein
unbedeutendes Wort Gudulas, ungehalten über
ein eigenes, da es anders lautete, als er gewollt
hatte. Gudula ſelbſt blieb fich immer glei) in
359
der freundlichen Offenheit ihres Weſens; fie
freute jich feiner Unterhaltung und war ebenjo
erfreut, daß er anfing ſich feiner Arbeit zu
widmen, von der fie ſich Großes verſprach. So
vergingen ein paar Tage in jo ſchönem Glüd
für alle, daß fie das Beifammenjein innerlid)
nicht genug preifen konnten.
Eines Morgens fam Thaſſilo nad) der Stadt
geritten und bekannte offen gegen Gudula und
Theodore, daß er es faum ausgehalten habe,
jie jo lange nicht zu jehen. Dann fprang er
hinauf zu Hanno, um diefem allerlei Mit:
teilungen zu machen. Auch brachte er ihm eine
Einladung von feinen Verwandten. „Von wen
geh die Einladung aus?“ fragte Hanno, „Nun,
urjprünglic von Frau von Hoberg,” entgegnete
er. „Die übrigen waren einverftanden. Frau
von Ellerjtedt fügte hinzu, daß es fie freuen
würde, did) fennen zu lernen.“ Hanno zögerte,
eine bejtimmte Zufage zu geben. Thaſſilo aber
fuhr fort: „Es iſt eigentlich ziemlich langweilig
bei den Yeuten da, und hätte ich nicht zu jeder
Stunde des Tages ein Neitpferd und eine
Büchſe, um mich im Walde zu üben, fo wühte
ich nicht, was idy anfangen follte. Sie find
mir alle ganz fremd und eigentlich gar nicht
meine Verwandten. rau von Ellerſtedt iſt
freilich die zweite Frau meines verjtorbenen
Vaters, das fann mir aber nichts bedeuten, da
fie ji niemals um mid gefümmert hat. Und
fo, da fie ſich auch jetzt nicht viel mit mir ein:
läßt, kommen wir auf feinen grünen Zweig
miteinander. Sie iſt ſtillſchweigend einver:
itanden, daß ich fie Frau Baronin oder gnädige
Frau anrede. Die Hobergs find nur mit ihr,
und zwar entfernt, nicht aber mit mir verwandt.
Der Gutsherr treibt fid) den ganzen Tag in
Geſchäften umher, wir jehen uns nur wenig.
Die bejte im Haufe ift Frau von Hoberg, mit
der ich auch ganz qut ftehe, leider aber wird
fie durch Kränklichkeit jo geplagt, daß fie nicht
jeden Tag zum Vorſchein fommen kann. Sie
will demnädjt in ein Bad reifen. Es ift aud)
noc eine gewiſſe Tante Adelgunde im Haufe,
des Gutsherrn Schweiter, welche der Wirtichaft
eigentlid; vorfteht. Cine lange dürre Perſon,
jehr felbjtändig, ihr drittes Wort iſt eine
Grobheit.“
Hanno fing an zu lachen, obgleich ernſte
Erwägungen ihn beſchäftigten. Er nahm ſeinen
jungen Freund mit zur Familie hinunter, wo
Thaffilo ſich ein kleines Frühſtück gern gefallen
ließ. „Ja, wenn ich jo bei Ihnen im Haufe
zu Beſuch ſein könnte!“ ſagte er. „Hier ift
alles bejier! Bücher die Fülle! Draußen bei
Hobergs iſt im ganzen Haufe Fein Buch zu
finden, und in mander Stunde des Tages
fürchte ich, mich tot zu langweilen.“
46
Ba.
360
Man ftellte ihm gerne zur Verfügung, was
er aus der Hausbibliothek a wollte, und
er ſäumte nicht, zu wählen und in die Taſchen
u paden, jo viel fie tragen fonnten. Frau
heodore wußte ihm über einiges reden zu
maden, was fie befonders erfundigen zu wollen
ſchien. „Haben Sie aud) in der Umgegend ſchon
Belanntichaften gemacht?" fragte fie.
„Nur eine, die des nächjten Nachbars, eines
Herrn von Falkenberg. Herr von Hoberg ritt
mit mir nad feinem Gute,”
„Er ſoll jehr begütert fein,” fuhr Theodore
fort. „Hat Ihnen der Mann ſonſt gefallen?“
„Nein!“ entgegnete Ihaffilo.
Frau Theodore late. „Das heit rund
heraus! fagte fie, ließ aber die weitere For—
——
haſſilo wiederholte bei ſeinem Abſchiede
die Einladung des Hauſes — für Herrn
Bertung und bat um die Erlaubnis, bald wie—
derkommen zu dürfen. — „Der arme Junge!“
begann Frau Theodore, nachdem ſie dem Fort—
reitenden noch einen Gruß zugewinkt hatte:
„Er wäre bei uns beijer aufgehoben, als da
draußen!‘
Mehrere Tage ließ Hanno vergehen, zwar
nicht ohne an die Einladung zu denken, aber
doch ohne den Entichluß zu finden, ihr zu fol:
gen. Das Zureden der Familie, die es am:
ſtändig fand, ſich denn doc einmal zu zeigen,
machte ihn nur befangener, denn was ihn inner:
(ic) zurüdhielt, fogar warnte, mochte und fonnte
er niemand mitteilen. Endlich war er in einer
Nahmittagsftunde entichloffen, fi) auf den Weg
zu machen, und zwar zu Fuß, denn das Gut
war feine Stunde von der Stadt entfernt.
Langſam jchritt er auf der Fahrſtraße hin
und einem Wiederfehen entgegen, weldes er
nicht mehr erwartet hatte. Was ihm dadurd)
bevorjtehen mochte, er wollte den Greignifjen
jet gefaßt begegnen, zumal er bei den über:
wundenen Erfahrungen feine Ehre unbeein:
trächtigt wußte. Neun Jahre waren darüber
vergangen, feit Frau von Ellerſtedt, damals
Leontine Haufchild, und Herr Bertung heim:
lich miteinander verlobt geweſen. Bon gleihem
Alter, ftanden fie beide damals in ihrem zwan:
zigften Yebensjahre. Er war Student, in den
Ferien bei feiner Familie zum Beſuch, Yeontine,
in dürftigen Verhältniffen erwachſen, die Tod):
ter eines penfionierten Hauptmanns. Daß eine
folhe Verlobung vor der Welt etwas Bedenf:
liches fei, fühlten fie beide. Darum hüllten fie
diejelbe in Geheimnis. Der Hauptmann würde
ein jo weit in die Zufunft deutendes Verhält:
nis vermutlich nicht zugegeben, der Vormund
jedenfalls dreingeiprochen Aber Leontine
gefiel einmal der ſchlanke, lebensvolle Student,
Otto Roquette.
der überdies der beite Tänzer war, vor allen,
fie zeichnete ihn aus, und während fie in ihren
Jahren die reifere Natur hätte fein follen, war
ihr Yeichtfinn der größere, und fie fonnte noch
von Glüd jagen, daß der Charakter des jungen
Mannes fie vor dem Verderben Schütte. Gefiel
er ihr ganz ausnehmend, fo jpielte doch das
Geheimnisvolle, ein lebhafter Drang zur In—
trigue nicht wenig mit, dazu auch eine gewiſſe
Ausfichtslofigkeit auf etwas Befferes. Wentajtens
für den Augenblid. Denn, hieß fie gleich die
„Ihöne Leontine“, jo konnte fie in ihrer Lage
damals auf ein befonders günftiges Geſchick
faum hoffen. Zwar hatte ſich ihr ſchon mancher
mit etwas deutlicheren Abjichten genähert, aber
die Männer, gegen welche ihr Vater nichts ein:
zuwenden gehabt hätte, waren fleine Beamte,
Kaufleute ohne fonderlichen Beſitz, vor allem
perfönlich unjcheinbar und durd ihre Stellung
dauernd an die fleine Stadt und an enge Ber:
hältniffe gefeſſelt. Sie aber ftrebte hinaus aus
der Enge, wollte weniajtens die Ausficht dazu
haben, fie wollte das Befondere, Ungewöhn:
liche, und vielleicht glaubte fie auch, Hanno
wirklich zu lieben. Er aber, ganz erfüllt von
Liebe für das jchöne Mädchen, nahm das Ver:
[öbnis demgemäß ganz ernft und pflichtvoll,
dachte fich mit Entzüden für alle Zufunft mit
ihr vereinigt und unterfchätte in jugendlicher
Erfahrungslofigfeit die Macht der Lebensverhält:
niffe und der gedehnten Jahre. Ein geheimer
Briefwechſel in nur den Liebenden verjtänd:
lihen Ziffern wurde mit großer Umjtändlichfeit
geplant, alö er zu feinen Studien zurüdfehrte
und ein halbes Jahr lang jehr ausgiebig und
regelmäßig geführt. Da mußte er in einem
Briefe feiner jchweiterlihen Freundin, Frau
Theodorens, folgende Stelle lejen: „Noch habe
ich dir ala Neueftes aus dem Städtchen mit:
zuteilen, daß deine Tänzerin vom vorigen Jahre,
die Schöne Leontine Haujchild, ſich le ver:
lobt hat. Sie macht eine jehr glänzende Partie.
Ahr Bräutigam, ein Herr von Ellerſtedt, iſt
Witwer und nicht mehr fo jung, dafür aber
fehr reih. Der alte Hauptmann ftrahlt, er iſt
en eine gefeierte Perfon und trinkt jeden
Abend eine Flaſche ertra, jo daf; er vom Kaſino
nad) Haufe geführt werden muß. Die Hochzeit
ſoll ſchon in vier Wochen fein. Du kannſt dir
vorftellen, welchen Numor die Geſchichte im
Städten macht!“ — Nod größer war der
Numor und Sturm, den diefe Nachricht in dem
Gemüte des jungen Mannes hervorrief. Es
braucht nicht erzählt zu werden, was er an:
ftellte, um fich von ihr felbft volle Gewißheit
u verschaffen; genug, daß auf feine Briefe an
I die Antwort ausblieb, dafür aber Frau
heodore ihm nad einiger Zeit mitteilte, daß
Siebenfcläfer.
die Hochzeit ftattgefunden und die Vermählten
abgereijt wären. Ueber die Empfindungen des
Schmerzes, der innerften Empörung, der De:
mütigung, der Verachtung, der Selbitanflage
waren die Jahre hinweggegangen. Er empfand
er mehr für die Treulofe als Widermillen,
dabei aber doch eine gewiſſe Unruhe gegenüber
der Möglichkeit, daß das, was die Zeit mit
Geheimnis umhüllt hatte, nachträglich doch noch
entdedt werden fönnte, um feine Demütigung
zu erneuern. Aber nachdem das Wiberftreben,
ihr nochmals zu begegnen, überwunden war,
und er fich unterwegs befand, überfam ihn
doch eine gewiſſe Neugier, wie fie pH Betragen
x en ihn einrichten werde? Hatte fie doch nad)
Daffılos Mitteilung den Ausſpruch gethan:
daß fie ji) freuen werde, „ihn kennen zu lernen“!
Soviel jtand bei ihm feit, daß, ob fie ihn nun
alö alten Belannten oder als Fremden em:
pfangen mochte, er ihr nur mit der ftolzejten
Gleichgültigkeit begegnen werde.
So erreichte er das Gartenthor, durch wel:
ches er das Wohnhaus des Hobergihen Gutes
erblidte. Er z0g die Schelle, der Diener öff:
nete und meldete ihn bei den Damen. Ste
faßen auf einer breiten, befchatteten Rampe,
nad) der Gartenfeite zu. Die Hausfrau, eine
nod) jugendliche, aber blaß und leidend aus:
fehende Dame, mit janften Gefichtszügen, er:
hob ſich nicht aus ihrem Lehnftuhl, reichte *
aber lächelnd die Hand entgegen und begrüßte
ihn mit freundlichen Worten. Neben ihr ſtand
Fräulein Adelgunde, von knochiger Figur und
in beträchtlicher Länge. Trotz des ſtreng ver—
weiſenden Ausdruckes in ihren Mienen, ſchob
ſie ihm doch einen Seſſel herbei mit den Worten:
„Es iſt ſchön, daß Sie einmal kommen!“
Des jungen Mannes Augen aber waren
auf Frau von Ellerſtedt gerichtet, deren Er—
ſcheinung ihn im erſten Augenblick faſt ſprach—
los machte. Eine vollendete Schönheit ſtand
vor ihm, gehoben car eine weiße Sommer:
fleidung, mit Spigen bededt; in dem reichen
braunen Haar eine friſche gelbrötliche Thee—
rofe, eine andere, ſtatt jonjtigen Schmudes vor
der Bruft. Yeontine war etwas voller, frauen:
hafter geworden, ihr Ausfehen noch blühender,
ja noch jchöner als in ihrer Mädchenzeit. Sie
empfing den Gaft als einen Unbefannten, aber
mit der angenehmen Form einer erfahrenen
Weltdame. Sie mifchte fih anfangs nicht fehr
in das Geſpräch, jondern überliei die Führung
desjelben der Hausfrau. Aber als dieſe einen
Dank ausſprach für fo mande freundichaftliche
Hilfe, die er ihrem jungen Wetter geleiftet,
fagte Yeontine: „Der junge Mann hat von
Glück zu jagen, immer in den beten Händen
gewefen zu fein!“
361
Hanno erkannte, daß Thaffilo bereits einiges
über ihn mitgeteilt hatte, fo über die gemein:
fame Siebenſchläfernacht in der Höhle, ſowie
über feine bevorjtehende Studienreife nad) Sta:
lien. Bei dieſem Thema blieb die Unterhaltung
uvörderſt ftehen. Die Gutsherrin ſprach ihr
Bedauern aus, daß fie durch ihre körperlichen Zu:
ſtände gehindert ſei, ſich den ſehnlichen Wunſch
einer ſolchen Reiſe zu erfüllen; Frau von Eller—
ſtedt aber belebte ſich plötzlich, da ſie mit ihrem
verſtorbenen Gatten die Hauptſtädte Italiens
beſucht hatte. Und da nun deutſche Italien—
fahrer in der Heimat, wie in einer Art von
Freimaurertum, gleich Fühlung zu einander ge—
winnen, und das Geſpraͤch (ehhaft unter dh
zu führen pflegen, ohne viel Nüdjicht auf die
umgebende Gejellihaft, jo jah fid) Hanno plötz—
lich fortgeriffen und fam nicht gleich zu den
Bemwußtjein, daß er mehr aus ſich ——
gegangen, als er beabſichtigte. Frau von Hoberg
und Fräulein Adelgunde ſaßen unbeteiligt an
der Unterhaltung, die erſtere in lächelndem
Zuhören, die andere mit ſtreng beurteilendem
Ausdruck. Als Hannos Augen auf ihre Mienen
trafen, kam er ſchnell zur Beſinnung und war
zugleich gefaßt, jetzt eine von den Öroßheiten
zu vernehmen, deren fie fich, nad der Mit:
teilung feines jungen Freundes, befleigigen follte.
Dergleihen blieb zwar aus, dafür aber machte
ſich etwas andres vernehmlich, was die Unter:
haltung plöglich aufhob.
Es erjcholl nämlich nicht unweit eine Mufik,
deren gewaltige Klangfarbe Hanno fofort als
etwas Bekanntes zum Gehör drang. Zugleich
vernahm man draußen ein Sagen und viel:
jtimmiges Rufen, ran auf irgend ein Unheil
deutete. Die Mufif brach mit einem fürchter:
Fi Mißklang ab, der Lärm aber fteigerte
ih. Frau von Hoberg zudte in nervöſem
Schred zufammen, lehnte ſich im Seffel zurüd
und bevedte das Geficht mit den Händen, wäh:
rend Fräulein Adelgunde die Stufen der Rampe
hinabeilte. Schon fam der Diener gelaufen
mit der Nachricht, der Stier fei ſcheu geworden
und tobe wütend im Hofe umher, man fei be:
müht ihn zu bändigen. Adelgunde befahl, die
Gartenthür zu fließen und rief nad) den Kin—
dern, die * mit ihrer Wärterin in der
Nähe des Hauſes waren. Gleich darauf er—
ſchien der Gutsherr, warf einen Blick auf ſeine
Gattin und rief: „Nur ruhig! Es iſt ja nichts.
Das Muſikantenpack hat mir mit ſeiner ver—
wünjchten — meinen Bullen ſcheu gemacht,
daß er vor Wut ausgebrochen iſt. Ich kann
es dem Vieh nicht verdenken. Er iſt ſchon
wieder eingefangen, und auch die Künſtler haben
das Weite geſucht.“ Herr von Hoberg bemühte
ſich mit Sorge um feine Gattin, dod war es
362
augenfällig, daß bei feinem ſtets fehr lauten
und derben Weſen eine jo nervöfe Dame nicht
zum beiten bewahrt fein fonnte.
Zeontine, welche dem ganzen Vorgange ruhig
zugefehen hatte, wendete ſich jest mit reizend
boshaftem Lächeln an Hanno: „Waren die
Künſtler vielleicht Ihre Genofjen aus der Sieben:
ſchläferhöhle?“ Er vermutete es beftätigen zu
müffen, der Gutsherr aber, der jegt erit dazu
gelangte, ihn förmlich zu begrüßen, fchnitt ihm
die Gegenrede ab, indem er ihn mit fräftigem
Handichlag willkommen hieß.
Da Frau von Hoberg ſich genötigt fühlte,
die Geſellſchaft zu derlaſſen, und ſich an Adel:
qundens Arm in ihr Zimmer zurüdzog, hielt
es Hanno für angemefjen, ſich ebenfnlls zu
verabjchieden. „Bleiben Sie noch!” rief Leon:
tine. „Here von Hoberg hat, wie ich weiß,
mit feinen Leuten im Arbeitözimmmer zu thun,
ih führe Sie nod ein wenig im Garten um:
her!“ Der Gutsherr fonnte nicht leugnen, daß
er mitten aus Verhandlungen gekommen ſei,
entſchuldigte ſich und nahm dem Gaſt das Ver—
ſprechen ab, recht bald wiederzukommen.
Nun waren Leontine und Hanno Bertung
allein, und ſchritten nebeneinander im Schatten
der Platanen und Ulmen dahin, und zwar im
Geſpräch über — altrömiſche Inſchriften in
Sicilien! Er hätte noch geſtern eine ſolche
Stunde, eine ſolche Lage und eine ſolche Faſ—
fung dabei für etwas Unerhörtes, Undenkbares
gehalten! Gr war mit ir allein, mit ihr, die
ihn einft fo bitter gefränft, ihm fo hartes Weh
bereitet, gegen die fein beleidigter Stolz fig)
fogar mit rächeriſcher Glut aufgebäumt hatte
— jetzt war er allein mit ihr, und wenn er
feinem Groll in ftrafender Nede freien Lauf
geben wollte, fo war die Gelegenheit günſtig
dafür. Aber anjtatt des Willens, den bered):
tigten Vorwurf laut werden zu lafjen, hatte
er nur das Gefühl, auf feiner Hut fein zu
müfjen. Denn die formgewandte Ueberlegen:
heit, die fertige, nie verlegene Kunft, das Ge:
ſpräch reizend und zwingend weiter zu fpinnen,
dazu der verführerische Faber diefes Schlangen:
glatten ſchönen Weibes, ließen feine Gedanten
an nichts anderem haften, ald an dem, was
fie im Gefpräcd verlangte. Allein er behielt
dod) die Faffung, ſich jelbft zu mahnen, aus
feinem Rückhalt nicht zu weit heraus zu gehen,
und über dem verwirrenden Mugenblid die
Vergangenheit nicht zu vergeſſen. Er befchloß,
ee ein Ende zu machen, und ſich zu verab:
ſchieden. Sie hielt ihm nicht länger, aber in
ihren Augen funfelte es, in ihrem beftridenden
Lächeln lauerte eö, wie das Bewußtſein eines
Triumphes. Sie reichte ihm zum Abſchied die
Hand, von deren vielverfprechendem Drud er
Otto Roquette.
ſich durchriefelt fühlte, und ihr melodifches „Auf
— Hang ihm wie Sirenenton.
Mit folder Haft fchritt er auf der Straße
fort, da er faſt atemlos Halt machen mußte.
Er erihrad über ſich felbit. Wollte der alte
Zauber ſich noch einmal über ihn geltend machen?
Nein! Es follte nicht fein! Er ſchalt fich inner:
lich aus, er vergegenmwärtigte ſich die frühere
Demütigung; ihre Verftellungsfunft und herz:
loſe Berechnung famen ihm ftärker zum Be:
wußtjein. Aber er fonnte doch nicht aufhören,
an das neujte Erlebnis zu denken. Daß er fie
fortan öfter werde jehen müffen, war unver:
meidlich, nad) der angefnüpften Beziehung zum
Hobergſchen Haufe, % fagte er ſich, und es
tauchte plöglicd ein Gedante in ihm auf. Er
wollte jheinbar auf ihr Entgegenfommen ein:
gehen, fie ficher machen, um feiner Bergeltungs:
uſt endlid doch noch einen Moment (harter
Abrehnung aufzufparen. Es war für einen
jungen Mann, von noch wenig Welterfahrung
und mit feineswegs ausreichenden Waffen, einer
fo überlegenen Macht gegenüber, ein bedentlicher,
ja ein gefährlicher Plan. Uebrigens gelangte
er in feiner Erregung auch noch nicht zu be:
ftimmten VBorfägen, ja er fonnte fich nad
einigen Minuten fogar des Wunſches nicht
entichlagen, alles abgethan fein zu lafjen, und
Leontine nicht mwiederzufehen. Und je mehr
er fi) der Stadt näherte, defto mehr überfam
ihn eine tiefe Beihämung. Er dadte an
Gudula, und fein Gewiſſen flagte ihn bitter
an, aber er atmete zugleich auf, wie im Gefühl
der Befreiung, als er zu Haufe anlangte. Gleich-
wohl war es ihm recht, niemand auf der
Schwelle zu begegnen, und unbeobadhtet fein
Zimmer zu erreihen. Gr hatte das Gefühl,
als ob er mit dem Staube, den er vom Wege
heimbrachte, auch innerlih etwas von fich ab:
ſchütteln müſſe.
Da vernahm er aus dem Garten eine be—
kannte Stimme. Er trat ans Fenſter, und
ſah ſeinen jungen Freund mit Gudula in heitrem
eplauder durch den Garten ſchreiten. Thaſ—
ſilo trug einen Korb mit Erbſenſchoten, die fie
emeinfam gepflüdt hatten, und weigerte fich
—— ihn ſeiner Begleiterin zu überlaſſen.
Der Anblick dieſes harmloſen Gartenidylls
weckte noch einmal alle Selbſtvorwürfe in ſeiner
Bruſt auf. Er hatte den Jüngling im Laufe
der Stunden gar nicht vermißt, im Hobergſchen
Haufe nicht einmal nach ihm gefragt. Schon
aber wurde Hanno von Gudula erblidt. „Da
ift er ja!” rief fie freudig hinauf. „Komm,
fomm! Wir warten ſchon auf dich!”
Er ging hinunter, fand den Abendtifch unter
dem Nußbaum aededt, und bald die ganze
Familie beifammen. „Ich hab's jedenfalls beſſer
Siebenfcläfer.
etroffen, als du!” rief Thaffilo, ihm entgegen:
pringend. „Ich fam, dich zu beſuchen, konnte
dir aber unterwegs nicht begegnen, da id) den
Meg durd das Mühlenthal genommen hatte.
Einmal hier, dachte ich nicht mehr daran, zurüd-
zugehen. Schade, daß du nicht bei uns wart!“
In den Bliden der Familie entdedte Hanno
nun aber die Aufforderung, von feinem Beſuche
zu erzählen, und ein entſchiedenes „Nun?“
von den Lippen Theodorens machte ein Aus:
weichen unmöglid. Es traf ſich günftig für
ihn, daß er die Geſchichte von den durch feine
muſikaliſchen Genofjen wild gewordenen Stier,
von dem Schred der Gutsherrin, und von der
Verwirrung im Hofe zum beiten geben fonnte.
„Die arme kranke Frau!” rief Gudula, fonnte
aber doc) nicht umhin, in das Gelächter der
übrigen einzuftimmen. Damit war Hanno
über den erften Schritt hinweg, und man be:
gnügte fich mit dem, was er ſonſt nod) fpar:
jam mitteilte. Thaſſilo blieb bis jpät abends,
da er ſich vor der jpäten Heimmanderung nicht
icheute, und feine Gegenwart trug dazu bei,
die Beobachtung der übrigen von Hanno ab:
zulenfen.
Für einen Mann, der noch kürzlich den
furdtbaren Plan eines vergeltenden Strafge:
rihts in feinem Innern gewälzt hatte, ging
Hanno in den nächſten Tagen doch in etwas
traumhaften Zuftande einher. Der ‘Plan fehrte
wieder, wurde auch wohl eingehender erwogen,
aber eine lachende Sirenenjtimme ſcheuchte ihn
immer wieder hinweg. Er fette fih dagegen
zur Mehr, er wollte ernſtlich mit fich zurecht
fommen. Cine gewiſſe Zerjtreutheit entging
den Seinigen dod nicht. Der Konreftor ſchob
ie auf die gelehrte Arbeit Hannos, da diefer
ich mehr in feinem Zimmer hielt, als bisher,
und wollte die Stimmung des jungen Mannes
von der Familie befonders berüdjichtigt wifien.
Da fam eine Einladung, von Herrn von
Hoberg jelbjt gefchrieben, zu einer Mittags:
aefellihaft auf dem Gute. Die Stunde war
auf fünf Uhr angefeßt, ein Wagen werde den
Herrn Profeſſor abholen. Das war, ohne
Befremden zu erregen, nicht abzufchlagen, und
Hanno nahm es an.
Die Aufregung, mit der er ſich für die
Geſellſchaft rüjtete, war ihm felbjt auffallend,
und er hatte quten Willen genug, ſich darüber
zur Drdnung fü rufen. Der Wagen ſtand vor
der Thüre und Hanno verabjchiedete ſich von
der Familie. Frau Theodore, ihn von oben
bis unten mufternd, fand feinen Anzug, feine
ganze Erideinung tadellos, und Gudula
wünſchte ihm „gute Unterhaltung‘.
Er fand im Empfangöfaale etwa ein Dutzend
Gäſte bereits verfammelt, Damen und Herren,
|
|
363
lauter Gutsnachbarn, die fih, vorwiegend die
Herren, etwas ländlicher — im geſelligen
Verkehr bedienten. An Stelle der Hausfrau,
welche ihre Badereiſe bereits angetreten hatte,
wirkte Fräulein Adelgunde, die eigentliche
Vertretung des Hauſes aber übernahm Frau von
Ellerſtedt, wie ſie denn auch den Mittelpunkt
der Geſellſchaft bildete. Ihr ſommerliches Ge—
ſellſchaftsgewand war klug gewählt, um ſie noch
in Jugendlichkeit erſcheinen zu laſſen, ohne
Schmuck von Gold und Steinen, den die
übrigen Damen fo reihlih an fich gewendet
hatten ; ihr Wefen war jo ftrahlend, daß jelbjt
die Augen der frauen bewundernd an ihr haf:
teten. Als Hanno eintrat, ging fie ihm durd)
den ganzen Saal entgegen, reichte ihm die
Hand, und ftellte ihn der Gefellichaft vor als
„unfern jehr lieben Freund, den Herm Pro:
fefjor Bertung.“ Es war eine Bevorzugung,
die der Gejellichaft nicht entgehen fonnte, da
der junge Mann dadurch gleichſam in den
Mittelpunkt des Kreifes gezogen wurde. Ein
Saft fehlte noch. Der Da fing an un:
geduldig zu werden, und fchalt, daß der „ver:
mwünfchte Kerl wieder auf fi) warten laſſe.
Allein er erſchien bald darauf. Herr von
Falkenberg, wie der Erwartete hieß, ging
geradeswegs auf Leontine zu, küßte ihr die
Hand, und wurde von ihr zwar mit einen
Lächeln, aber doch mit einiger Zurüdhaltung
empfangen.
Herr von Falkenberg war ein hochaewad):
fener, breitichultriger Mann, über die erite
Jugend hinaus, aber noch, was man eine ele:
gante Erjcheinung nennt, Er war viel in der
Melt umber geweien, und hatte, wie fein Ge:
fit verriet, Das Yeben genofjen. Ein mäch—
tiger Schwarzer Badenbart, der bis an das alatt
rafierte Kinn reichte, umrahmte die etwas ver:
witterten Züge, aus welden unter jtarfen
Braunen ein paar jchwarze Augen funfelten.
War der Ausdrud des Gejichts auch nicht eben
angenehm, jo gehörte eö doch zu denjenigen,
welche für viele Frauen etwas Befonders An:
ziehendes haben. Er pflegte nur furze Zeit
im Jahre auf feinen Gütern zu leben, da ihm
die arofen Hauptftädte Curopas abwechſelnd
mehr Anregung boten.
Da die Geſellſchaft vollzählig war, ging
man zu Tifche. Herr von Falkenberg wollte
Leontine den Arm reichen, diefe aber wendete
ſich mit einer anmutigen Verbeuaung an den
Profefior und jchritt an feinem Arme in den
Speijefaal. Dafür trat Fräulein Adelgunde
zu dem fichtlich Weberrafchten, um von ihm
geführt zu werden, und als fie mit ihm dahin
jchritt, fchienen ihre Mienen zu fagen: „Da
hajt du's! ch gönne dir's nicht beſſer!“
364 Mm. Calm. Albumbfatt,
Allein Herr von Faltenberg follte doc die
(Senugthuung haben, an der Seite der Schön:
iten zu fiten, da fie ihren Platz zwiſchen ihm
und dem Profefior Bertung gewählt hatte,
Die Gefellihaft war lebhaft, und nad dem
Norgang des Hausherren, ungezwungen (wenn
man fich auch nicht immer feiner kräftigen Aus:
drudsformen bediente), die Speilen vortrefflich,
der Mein ausgezeichnet, wie die Kenner ver:
fiherten, und jo wurde es bald auch wohl
etwas geräufchvoller um die Tafel.
Leontine teilte die Unterhaltung unter ihre
Nachbarn, aber feineswegs gleihmäßig. Ohne
Herrn von Falkenberg gerade zu vernadhläffigen,
verfehrte fie mit ihm in der gemefienften Weife,
fein und mit Verftändnis, und beide unter:
hielten fich wie zwei Leute, die viel in der
Melt gelebt haben, und wijjen, worauf es da:
rin eigentlich anfommt. Für den anderen Nach—
bar aber hatte fie eine ganz andere Unterhal:
tung. Da bligte es in ihren Augen, und es
ichien, als ob fie mit einer gewiflen Haft immer
wieder zu ihm zurüdfehrte. Sie lachte viel,
fie hatte für ihn eine gewiſſe Vertraulichkeit,
ja fie flüfterte ihm fogar dies und jenes zu,
ohne daß es von Belang geweien wäre. Sie
nannte ihn fcherzweife, wie aus Verfehen, Pro:
feſſor Siebenfdhläfer, und verbeflerte ſich lachend.
Sie warf das ganze Net ihrer bejtridenden
Nünfte über ihn aus, und hatte ihn bald aus
jedem Nüdhalt jo weit hervor gelodt, daß er
alles vergeflen zu haben (Bien, um jich jubelnd
ihrer Macht auszuliefern. Auch er fherzte,
lachte, war geiftvoll im Geſpräch, und fie ſchien
von der reicheren Entwidelung jeines Mejens
überrafcht, und unter Scherzen lebhafter fort:
gezogen.
Herr von Falkenberg mußte die arößere
Bevorzugung des andern Nachbars denn doch
merfen (und vielleiht follte er es auch) und
beuate ſich öfters herum, mit funfelnden Mugen
forichend und prüfend. Fräulein Adelgunde
aber, welche nichts zu beobachten jchien, und
alles beobadtete, erwog im ftillen die Frage:
„Welcher ijt num der Gefoppte? Soll einer nur
durch den anderen gefödert werden? Der
Schwarze wird's doch wohl noch!“
Wenn aber Hanno Zeit behielt, na ab und
zu in der Nachbarſchaft zu unterhalten, jo trafen
feine Augen auch wohl auf Fräulein Adelaunde,
und verfolgte er dann ihre herrſchenden Blide,
mit welchen fie der Dienerfchaft ſchweigend ge:
bot, oder etwas verwies, oder auch wohl den
Scherz eines Gajtes zu verurteilen dien, fo
war er gefaßt, einmal eine von jenen Grob:
heiten zu vernehmen, auf welde Thaffilo feine
Erwartung gefpannt hatte. Da er aber nichts
dergleichen hörte, fam er zu der Annahme, daß
fein junger Freund nicht ganz ohne Schuld
—— ſein könne, wenn ihm durch Fräulein
delgunde etwa Erfahrungen bereitet worden
waren.
Nach Tiſche verteilte ſich die Geſellſchaft
im Garten, und Leontine konnte ſich ihren
Tiſchnachbarn nicht mehr ſo ausſchließlich wid—
men. Es waren da noch ein paar Herren, ein
braver dicker Gutsbeſitzer und ein Herr Land—
rat, die der ſchönen Frau endlich auch den Hof
machen wollten, und es jetzt in der Weinlaune
nicht daran fehlen liefen. Die Gattin des
Yandrates ärgerte fich darüber, die des Guts:
beſitzers wollte fich über ihren Mann totladhen.
Während man nun umberjpazierte, rief
Leontine plößlid in eine Gruppe hinein, in
welcher Hanno mit einigen jungen Mädchen
itand: „Herr Profeſſor Siebenichläfer — ah!
Verzeihung! — Bertung wollte 4 ſagen! Sie
haben ja, wie ich höre, eine große Vibliothet
zu Haufe, verichaffen Sie mir doch etwas zum
Leſen!“ Er fragte, was fie fo ungefähr wünſche?
„O!“ entgegnete fie: „Wählen —* nur ſelbſt!
Sie kennen ja meinen Geſchmack. Etwas Be—
lehrendes!“ Hanno erklärte ſich gerne bereit,
ihr etwas zu ſchicken. „Nein! Nicht ſchicken!“
rief ſie. „Sie müſſen es mir ſelbſt bringen,
mir eine Art von Gebrauchsanweiſung dazu
eben. Sie bringen mir die Bücher ſelbſt, und
chon morgen, nicht wahr?“
Herr von Falkenberg ſtand in der Nähe,
hörte alles, betrachtete den Bevorzugten mit
einem Erſtaunen, und der Ausdruck eines ge—
wiſſen ernſten Nachdenkens ging durch ſeine
Züge. (Schluß folgt.)
» Albumblatt 9
Don
M. Ealm.
Mein Kind, ſprich, was heißt leben?
Genichen heißt es nicht.
Es heißt: ſtets weiter fireben
Und treu fein feiner Pflicht.
Mein Kind, und was heißt lieben?
richt iſt's „ein füher Wahn“,
Es heißt: im Dienſt fi üben,
Meht geben, als empfahn.
Mein Kind, und was heißt Rerben?
richt heißt es untergebn.
Es heißt: den Simmel erben,
Es heißer: Miederichn !
Er
*
——
Ser Ronierwater.
Mancherlei Widerwärtigfeiten bejtürmten ihn;
das Docententum in Jena war ihm umjomehr
zur Laſt, als er mit den dort tonangebenden
Größen in direftem Miderfpruche hinfichtlich der
Anwendung der Darwinihen Theorie ftand.
„Hinaus aus diefen gebahnten Wegen der Yauf:
bahn auf Univerfitäten, fort davon, fo weit als
möglich,“ rief es in feinem Innern. „Aber
wohin? Die Welt fteht zwar offen, aber mit
dem Hinausftürmen allein ift es nicht gethan.
Die Zoologiſche Station
in Üleapel.
Ton
Karl Dogt.
Hr maq es wohl gelom—
men ſein?
Im Nachwinter 1870 ſaß
in dem Omnibus zwiſchen
Apolda und Jena ein junger
Mann, Vrivatdocent in Jena,
ein energiſcher Feuerkopf, der
in ſeinem kleinen Finger mehr
originelle Gedanken umtrieb,
als mancher Profeſſor in
ſeinem ganzen Gehirne.
Was kannſt du unternehmen, um die Wiſſen—
ſchaft zu fördern, der du dein Leben ge—
weiht haſt?“
Wie ein Blitz fuhr es ihm durch den Kopf:
„Studien an Seetieren ſind jetzt ein unabweis—
liches Bedürfnis. Die Forſcher, die ſich bis jetzt
zu dieſem Zwecke an das Meer begaben, hatten
mit den mannigfaltigiten Hinderniffen zufämpfen.
Man hat jchon vielfach verfuht, Stationen zu
gründen, wo der Forſcher allen Vorſchub findet,
366
den ein
Zabora:
torium
leiten
fann.
Es iſt
noch feinem ge:
lungen. Wie
wäre es, wenn
ih eine ſolche
Station in Ne
apel gründen
würde?”
Der Gedanke ließ ihn nicht ruhig im Wagen
figen. Er jprang hinaus und rannte zu Fuß
über Stod und Stein nad Jena, feine Pläne
im Kopfe herummälzend. Vielleicht mögen ſekun—
däre, teilmeife aber auf fehr praftifche Be:
trachtungen geftüßte Gründe auf die Wahl des
Ortes mit eingewirft haben. Das fümmert uns
wenig; die Wahl fonnte nicht befjer getroffen
werben.
In fieberischer Haft wurden die letten Vor:
bereitungen getroffen, nur ein einziger Freund
in die Pläne eingeweiht. Erſt als in Neapel
die Verhandlungen im vollen Zuge waren,
jchrieb er an feine Eltern. „Der Junge ift ver:
rüdt geworden,“ fagte der Vater zur Mutter,
als er ihr den Brief mitteilte.
Aber Dr. Anton Dohrn war nicht verrüdt.
Er entfaltete eine riefige Thätigfeit bei Be:
hörden, bei hervorragenden Größen der Wifjen:
ſchaft, um deren Zuftimmung, um Beichaffung
der Geldmittel. Er fand vielen Beifall, wenig
effeltive Unterftübung, manchen Widerftand.
Nach zweijähriger, durch den Krieg unterbroche:
—
Cviello, eriler Matrofe
Der Daporetto
ner Hetzjagd durch
Italien, Deutſchland
und England war
ihm von der Stadt⸗
behörde der Bauplat
in der damaligen
Villa reale, jetzt
Villa nazionale zu:
aejagt, jo daß der
Grundjtein gelegt
werden fonnte; nad)
weiteren 2 Jahren,
1874, fonnte in dent
noch unfertigen Ge:
bäude mit den eriten
Arbeiten begonnen
werden. Auch dieſe zwei „jahre verflojfen unter
„Johannes Mäller* S. 76),
unſäglichen Anftrenaungen, für die nur wenige
ein Verftändnis hatten. Sagte ja doch ein
deuticher Profeſſor in jeiner Begutachtung eines
Geſuches um Unterftügung, er könne die Vor:
lage nicht befürworten, da Dr. Dohrn feit vier
Jahren nichts publiziert habe!
Die Hinderniffe wurden befeitigt und jet
erhebt jih in der Billa ein ftolzer Bau, ein
internationales Inſtitut, in welchem ein reges,
wilienichaftliches Yeben und Streben die ſchön—
jten Blüten entfaltet, die edeljten Früchte ge—
zeitigt hat.
So mag es denn gejtattet fein, hier einen
Blid auf diefe Mufteranftalt, ihr inneres Trei—
ben und ihre Organifation zu werfen.
Das Gebäude.
Aus mehrfachen Gründen mußte ein Plag
in der Villa oder deren unmittelbarer Nähe ge:
wählt werden. Da mit der wiflenschaftlichen
Anftalt zugleich große, dem Beſuche des Publi—
fums geöffnete Aquarien hergeitellt werden
follten, deren Ertrag als eine wejentlihe Ein:
nahmequelle angejehen wurde, fo fonnte man
ſich nicht weit von der Stadt und namentlid)
von dem Fremdenquartier entfernen. Die
Aquarien bedurften beitändiger Speifung mit:
telö eines Stromes reinen und ſtets erneuten
Meerwaſſers, das durdy eine Dampfmaſchine
aus der Tiefe heraufgepumpt werden follte.
Längs der Stadt aber, von der Chiaja an bis
Santa Lucia und weit über die Marina hinaus
it das Meerwaſſer längs der Küfte verunreinigt,
ja vergiftet, durch die Kloafen, die dort ein:
münden. Die Villa lag zur Zeit der Gründung
unmittelbar an dem fiefigen Strande, auf dem
ein reiches und bewegtes Volks: und Fiſcher—
leben ſich entfaltete. Dort wurden die Nete ge:
trodnet, die großen Zugnetze
an das Land geichleppt; man
fonnte dort unmittelbar eine
Menge von Gegenitänden
erhalten, welde für die
Fifcher wertlos, für die Na:
turforfher aber erwünſcht
waren. Die Lage, wie un:
fere Abbildung auf S. 365
fie darftellt, konnte nicht
jhöner und zugleih zweck—
mäßiger gewählt werden.
Als Dr. Dohrn mit ei:
nem Anfinnen um Weber:
lafiung eines Bauplates in
der Villa an die Stadtbehörde
gelangte, jhüttelten alle die
I
Ed
Die Zoologifche Station in Neapel.
er — [un m
dr
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9
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Bahr usunn nuenı-
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King,
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Gin Arbeitstith Im voller Musrüflung (8. arı),
reinem Intereſſe für die Wiffenfchaft fein Geld
an eine Unternehmung zu wagen, die feinen
pefuniären Erfolg verjprechen konnte.
witterte eine unerhörte Schlauheit hinter dem
Man
Projekte; jeder war überzeugt, daf das Aqua:
überzeugen,
Garıbaldis zu gewinnen und fo den
lan im Princip zur Annahme zu
bringen. Aber nun wurde die Be-
dingung geitellt, daß ein der Villa,
dem Sammelplage der eleganten Welt und der
Fremden entiprechendes, aud architektonisch
würdiges Gebäude, ein Palazzo, aufgeführt
werde. Diefer Bedingung mußte man ſich fügen.
Das Gebäude ftellt ein Tängliches, aus
47
367
Köpfe. Kein Neapolitaner konnte auch nur im
entfernteften daran glauben, daß einer aus
| fremden Landen dahergelaufen fomme, um aus
Wrbeitötilhe and Mauarien bed oberen
Etodwerteh im groben Eaale !6 ırı),
rium nur ein Aushängeſchild
für ein Cafe, eine Spielhöhle,
ja vielleicht noch viel Schlim—
meres fei. Es gelang indes,
einige einfichtige Männer zu
fogar die Fürſprache
(5008 *
368
hellen Quadern aufgeführtes Viereck dar mit
plattem Dache, einem niederen Erdgeſchoſſe
und einem hohen Stodwerfe mit großen Rund:
fenftern, die auf der Nord: und Weſtſeite ge:
ſchloſſen, auf der Dit: und Südfeite dagegen
als Loggien offen gelaffen find. Bier folide
Edpavillons verbinden das Ganze. Unter dem
Erdgeſchoſſe befindet ſich ein weiter Keller, der
Mafchinenraum mit den Dampfmafchinen, der
Schmiede und einem großen Sammelbeden.
Das Hauptjtodwerk iſt jo hoch, daß es innen
großenteils in zwei Stodwerfe abgeteilt werden
fonnte. An der nad Oſten, alſo der Stadt zu:
gewendeten Schmalfronte befindet fich ber Haupt:
eingang und die große, nad) oben führende
Treppe; die ſüdliche Längsfront mit der Loggia,
Rellergeihob der Zoologiſchen Etation.
1, 2, u. 3, Ziefreiervoird; 4. u. 5. Vorratöbalfin; 6) Röhren-
teitung, burd melde biefe Relervoird und Balfıns mit dem
T. Bumpenrefervoir verbunden find; #. Pumpen: v. Mafhinen;
10, Reffel; 12. Kohlentaum; 13. Wbyugsfandle; 14. Rüde,
die einen freien Blid über das Meer, nad) Kapri
und Sorrento hin gewährt, wird von dem mit
Fresken gefhmüdten Bibliotheffaale, die nörd-
liche LZängsfeite von dem großen Arbeitäjaale
eingenommen, während an der weitlichen Schmal:
fronte eine Hinterthüre den Fiſchern den Zu:
gang zu dem gejchlofjenen Naume gewährt, in
weldhem der täglihe Fang entgegengenommen
und fortiert wird. Die Edpavillons enthalten
Zimmer für die Beamten und bevorzugten Gäfte,
ältere Herren und Profefioren, die auf der Sta-
tion arbeiten. Ein fchmaler Lichthof, der die
mittleren Aquarien des Erdgeſchoſſes erleuchtet
und mit einem, aus Eijenbahnjchienen gefügten
Stege überbrüdt ijt, zieht fi) im Innern des
Gebäudes hin und trennt den großen Arbeits-
faal von der Bibliothef. Unter dem Dache tft,
nebjt verichiedenen fleineren Näumen für mecha—
nijche Arbeiten, das große Sammeltejervoir an:
Karl Dogt.
gebracht, in welches die Dampfmaſchine das
Seewafler pumpt, das von dort aus, nad) vor:
13
2745078 9Wmder
— — —
Erdgeihoh
1. Gingang; ?. Kafle; 3. Raum für bie Beſchauer; 4. Fana-
riem; 5 w. 6. Baflage und Treppe zur Bedienung ber Baffins;
T. Treppen yu dem Laboratorium; 8. Dauptizeppe in bie obere
Etage; 9. Ceparat-Eingang in bad Hauarium IV. Treppen zu
ben Abtritten; 11. Treppen u ben Tiefrefereoirs und sum
Maldinenraum; 12, Se tentbüren für Algen und > irmft-
perional; 13. Aleines a 14. Arbeitdaquarium in
bemfelben.
gängiger Filtration, die Aquarien des oberen
und unteren Stodes fpeift.
Das ganze Erdgeſchoß ift von dem großen,
dem Publifum gegen Eintrittögeld offenftehen-
den Aquarium eingenommen. Auf beiden Yang-
feiten, wie an der wejtlihen Schmaljeite ziehen
Grftes Stedwert.
1. Daupttreppe; 27 Oft-Loggia; 3. Elid-Bopgia (beide offen);
[3
4. Logaia (verihloflen durch Fenfter; 5. Grohes Pabora-
torium; 6. Mrbeitdaauarlum; 7. Grohe Schränke; 8. Gilerne
Treppen, welde auf die von ben 9. Bußeilernen @änlen grira. ene
10, Plattform führen, bie in halber Höbe bes Laboratoriums
befindtih iſt und durch bie 11. Treppen auf bie 12. Galerie
führt; 13-18. Rimmer, bie au Laboratorien eingeritet find;
19. 20. u. 21. Zimmer ber Beamten; 22. @rofer Saal für die
Biblliothet; 23. Lihrhof; 24. Längk-, 25. Ouerpaflage durch
benfelbn; 26. Vorgimmer: 25. Zrevpe bom Wauar um;
29. Iteppe yur oberften u A Edlot ber Dampftefle;
31, Ballon.
ſich Reihen von Baſſins hin, welche in der Weife
bejegt find, daß die darin befindlichen Tiere
Die Zoologifche Station in Neapel.
nicht auf offenem Kriegsfuße miteinander ftehen.
Eine Doppelreihe ähnlicher Beden ift in der
Mitte des weiten Saales aufgeftellt. Es find
nur Tiere des Mittelmeeres und fpeciell des
Golfes von Neapel, welche hier gehalten, ja ge:
ö
Sri a
Länzsburdiänitt auf der Linie C-D,
1. m 2. Tiefreferwoird; 9. Sellergemätbe; 4.
Matsinen-,
5. Roblenraum; . waflenyimmer; 7. Glaöfheiben der Aaua-
rium-Ballind; 8. Grobes Hauarium-Balfın; ©. Ventilationd.
Öffnungen, mit roten Genftern verſalofſen; 10, Oft; 11. Welt
Zogaia; 12, m. 14. Zaboratorium-Raume; 13. Großer Saal
für die Bibliotbet; 15. Thüren zur Eüd-Roggia; 16. Fenſter
zur Eüb-Pogata; 17. Tachſtuden IS Rornbor; 19. u
zugdNaum zwiſchen bem beiben Schichten des fladen Dadıes,
züchtet werben, denn die meiften befinden fich bei |
reihlicher Nahrung und ſtets zuftrömenden luft:
haltigem Waſſer wenigitens fo wohl, wenn nicht
bejier, als in ihren urfprünglihen Mohnorten.
Jeder Schmud ift vermieden; Tropfiteine,
Stalaftiten und ähnlicher Shmud, womit man
mande binnenländifche Aquarien verfchönern zu
müſſen glaubte, haben mit den Meertieren nichts
zu thun. Was diefem Aquarium den größten
Neiz für den Naturforfcher verleiht, iſt einer:
feit3 der Reichtum, faſt möchte ich jagen, die
Vollftändigkeit, mit welcher die verfchiedenen
Typen des Mittelmeeres, von der Lederſchild—
fröte bis zu den niederiten Pflanzentieren re:
präfentiert find, anderſeits die Gelegenheit,
die Sitten und Gewohnheiten diefer Tiere zu
beobachten. Der von Schmiedlein verfaßte Leit:
faden zum Aquarium gibt hierüber mande An-
deutung und Dr. Eijig, Prof. Kollmann und
andere haben wertvolle Beobachtungen in ver:
ſchiedenen Journalen veröffentliht. Im all:
gemeinen kann man ſagen, daß kriechende und
feftfigende Tiere der Züchtung weit geringere
Schwierigkeiten entgegenfeten, ala ſchwimmende
und befonders Hochjeetiere. Die zarten Nippen-
quallen, Medufen, Salpen, Schwimmpolypen,
die oft in fo wunderbar durchfichtigen Farben
prangen, halten ji nur wenige Tage, werden
aber unermüdlich durch neue, im Meere gefifchte
Eremplare erjegt. Ein fchlagendes Beifpiel
diefer Verfchiedenheit bieten einige Kopffüßler
369
(Cephalopoden). jahre hindurd dauern die
Pulpen und Krafen, die meiſt an den Felfen
jich umhertreiben und deren farben fo täufchend
anzunehmen willen, daß man fie faum unter:
ſcheiden kann; es leben Veteranen derjelben im
Aquarium feit mehreren Jahren; die Tinten:
fiihe (Sepien), die fid) im Sand eingraben
und nur fchlecht ſchwimmen, halten nicht minder
lange aus; aber ihre nächſten Verwandten, die
faſt durchſichtigen Kalmare, deren Arme na-
mentlich die Neapolitaner gebaden als Leder:
biffen verzehren und die pfeilichnelle Hochſee—
ihwimmer find, laſſen fich troß reichlicher Nah—
rung nur wenige Wochen am Leben erhalten.
Die Laien werden bejonders dur die
Farbenpracht jo vieler mariner Geſchöpfe wahr:
haft geblendet und in Erftaunen geſetzt. Das
hätten fie ſich nicht träumen lafjen, daß in der
Tiefe des gleichförmig blauen Meeres folche
Verſchiedenheit von Farbentönen fi entfalten
fünne. Und in der That kann fein orientalifcher
Teppich hinfichtlich der Mannigfaltigkeit, Nein:
heit und finnigen Anordnung der Farben mit
Br — — —
ulbLreLeeegeeer
Querburdiämitt auf ber Linie A-B.
1. u. 2, Tiefrefervoirs; 3 m. 4. Borrat:Balfins; 5. Gentraler
Rellerraum unterhalb des Lihtbofes ; 6. Mauerpfeiler; 7. war
rium-Balfins; ®. Slasiheiben des großen Hauarlum Balfins;
9. Ventilatiomnsdfnungen; 10. Thüren x ben Sintertreppen;
11. Groß 8 Laboratorium; 12. Arbeitö-Mguarium; 18, Broher
Glasisranf, meicher bie 14. Galerie trägt; 15. Plattform;
16. Treppe jur Walerie; 17, Treppe zur Plattform; 1%. Buß
ellerne Eäuln; ı9. Grofer Saal für bie Bisliothet —
20, Sud craala; 21. Lihtbof; 2. Vaſſage darin; 73. ZFenſter
ber Tatyimmer; 24. Durdiugdraum zur Luft zwilsen beiben
Cchiten bed Dadıres; 25. Wlatbad über dem Lichthoſe.
einem, von Korallen oder Seeanemonen befeßten
Beden, fein Neltenbeet in Feinheit und Zier:
lichkeit der reizendjten Blumen mit den Kiemen—
büjcheln wetteifern, welche die Röhrenwürmer,
die einem Miniaturpalmenwalde ähnlich zu:
fammenjtehen, abwechjelnd ausbreiten und zu:
fammenziehen. Hier ziehen die unzähligen
370 Karl Vogt.
Bernharbsfrebfe an, welche mit ihren Muſchel—
gehäujen auf dem Nüden, unruhig hin und
herlaufen, oft noch auf ihrem Gehäufe befreun:
deten Seenejjeln eine Stätte gewähren und mit
Begier von Languften und Hummern, von
Pulpen und manden Fiichen verzehrt werben,
troß der verzweifelten Gegenwehr, die fie mit
der einen
großen j —
Schere, wel: EN
die fie be:
fißen, ihnen
entgegen:
fegen. Dort,
in einem
flahen Be:
hälter, liegt
platt auf
dem Boden
ein unge:
ftalter Bit:
terrochen —
was ihn be:
rührt, erhält
einen celef:
triſchen
Schlag, wie
von einer
Leydener
Flaſche. In
dem größten
Becken
ſchwimmen
ellenlange
Haififche
und abge:
plattete
Rochen um:
ber, begierig
nad) fleinen
Fiſchen
ſchnappend,
die man
ihnen zum
Fraße vor:
wirft. In
einem klei—
Zauber in Elaphonber-Rüflung S. 975).
neren Beden liegen baudige TIhonfrüge mit |
engen Deffnungen — Meeraale und gefledte
Muränen, die von den Nömern fo geichäbt
waren, daf fie diejelben mit Sklaven mäfteten,
wiſſen fich geſchickt mit dem Leibe darin zu ver:
friehen, daß nur bie Köpfe hervorfehen, die fich
auf den ſchlangenartigen, ſchlanken Halfe wie:
gen. Einige Beden ſcheinen nur Sand zu ent:
halten; Plattfiſche, Seezungen, Sternguder,
PVetermännden mit ihren giftigen Rückenſtacheln
haben fih in den Sand eingeſcharrt und nur
das Auge des Kenners entdedt auf der Ober:
flähe die
runden, vor⸗
Br een ftehenden
Augen, die
wie kleine
Kiefel fich
abheben. In
diefem
Beden auch
Sand, in
welchem
Tintenfische
eingegraben
find — wenn
der Märter
fie aufftört,
Tas Tauderboot IS. 975).
hullen fie ſich, wie die griehifhen Götter, in
eine ſchwarze Wolfe, die von der ausgefprig:
ten Tinte gebildet wird und fie den Bliden
| entzieht. Dort Scejterne und Seeigel, die mit
ihren taufend, auf Fontraftile Stielchen ge:
ftellten Saugfüßchen fih langſam fortbewegen
und fogar an den Glaswänden des Bedens
hinauftlettern. In anderen Beden ſchwimmen,
leichtbefchwingten, weißen, mit rötlihen Tupfen
aezierten Nögeln gleich, Scharen von Kalmaren
mit eingezogenen Armen, bie fie bligfhnell
herausmerfen, fobald fie eine Beute gewahren.
In großen mit Felsblöcken und Steinen be=
ſäten Becken haben fih die Pulpen mahre
Feſtungen gebaut, in welchen nur das unab:
| läffige Puſten des Atemtrichters ihre Anweſen—
| heit verrät.
|
| einen Faden gebundene Krabbe hinab, die wie
Läßt aber der Wärter eine an
eine Spinne mit den langen Beinen umber:
fuchtelt, fo belebt fich plötzlich das ganze Baffın ;
| lange, mit Saugnäpfen bejegte Arme werden
ausgeworfen, aus dem Hintergrunde ſchwimmen
die gierigen Gefellen mit rafchen Stößen herbei ;
bald ift die Krabbe gepadt, umjchlungen und
man hört ihren Panzer zwiſchen den mächtigen
Kiefern des Näubers frahen. Fiſche der ver:
ſchiedenſten Arten ſchwimmen ſcharenweiſe in
anderen Becken; dort liegen ungeſtalte, wurſt⸗
| fürmige Tiere, Seegurken oder Holothurien,
Die Zoologifcde Station in Neapel.
träge am Boden und zuweilen fieht man, daß
aus ber runden Afteröffnung ber einen oder
anderen ein niebliches Fifchföpfchen mit großen
hellbraun glänzenden Augen gemütlich hervor:
fhaut. Das Fiſchchen, Fierasfer genannt, ge:
wöhnt durch tagelang fortgefegte Manöver die
Holothurie, welche es fih zum Wohnſitz aus:
erforen, ihre Aftermündung, die zugleich Atem:
loch ijt, bei Berührung offen zu halten und
ſchlüpft dann, mit dem fpigen Schwanze voran,
in den Darm hinein, in weldhem es ſich ganz
trefflich zu befinden und die Holothurie nicht
weiter zu beläftigen fcheint.
So fann man lange Stunden in dem Raume
zubringen, welchen die darin gezüchteten Orga—
nismen befjer jhmüden als Tropfiteine und
fünftlihe Grotten, und wird ſtets neue und
intereffante Formen entdeden und mit Beobad):
tungen bereichert denjelben befriedigt und be:
lehrt verlaffen.
Wir fteigen über die Marmortreppe hinauf
zur Oftloggia. Rechts ein Pförtnerftübchen
neben der nad) oben führenden Dienfttreppe,
linf3 ein großes Zimmer, das für zwei Arbeiter
Raum hat. Daneben ein anderes, ähnlichen
Zweden dienendes Zimmer, gegenüber ein Ge—
mad, das durch eine Nebenthür in den großen
Arbeitsfaal führt und einem Be:
amten des wifjenfchaftlichen Gene:
talitabes der Station angemwiefen
it. In diefen Zimmern, wie in
dem großen Arbeitsfaale, diefelbe
Ausrüftung: ein rechtwinklig aus:
gejchnittener Arbeitstifch, der dem
Fenſter zugefehrt ift und mit allen
nur erdenklichen Geräten, Reagen:
tien, Färbemitteln u. f. mw. aus:
geftattet ift, deren die heute fo
hoch ausgebildete Technik bedarf;
im Rüden Eleinere befondere Aqua⸗
rien, in welchen der Forſcher die
Tiere halten fann, die er fpeciell
beobachten will. Wer zur Arbeit
an der Station zugelafien ift, hat
weiter nichts mitzubringen, als
fein Mifroffop und fein anato:
mifches Beſteck — alles andere,
Material wie Hilfsmittel, liefert
ihm die Anstalt. Feder Arbeits:
tijch hat das volle Licht eines
Fenſters.
Bei dem Zudrange der Ar—
371
beiter mußte das große Laboratorium durch ein
Hängewerk in zwei Etagen (S. 367) abgeteilt
und ſo Raum für weitere Arbeitstiſche gewonnen
werden. Bei der bedeutenden Höhe der Fenſter
haben dieſe Plätze nicht minder gutes Licht, als
die unteren, und auch an Aquarien fehlt es ihnen
nicht. Eine ſchmale und ſteile eiſerne Treppe führt
in einige in dem Eckpavillon aufgeſparte Hoch—
zimmer, die ebenfalls einem Beamten des Gene—
ralſtabes zugewieſen ſind, welcher zugleich die
Muſterſammlung der wiſſenſchaftlich beſtimmten
Arten beſorgt, die dort aufgeſtellt iſt. — Jeder
Arbeitstiſch in dem großen Laboratorium iſt zu:
gleich durch ein, mit Gefachen verjehenes Repofi-
torium von dem nächften Tifche getrennt (S.367),
jo daf die Nachbarn einander nicht ihre etwaigen
Geheim:
nijje ab:
lauschen
fünnen.
Doch find
ſolche miß—
trauiſche
Naturen,
die bei dem
Nahen
eines ans
Quigino und Antonio,
Gehilien bes Konferbatord Ealvatore,
Giovanni,
erfler Nepfilder.
372
deren ihre Zeichnungen umdrehen oder ihre
Präparate deden, nur jelten; meijt herrſcht ein
vertrauliches Zufammenleben; man bejpricht die
erlangten Nefultate, die angewendeten Metho-
ben, belehrt ſich wechſelſeitig und fördert fich
durch Austaufh. Einige Beamte, die feine ge:
fonderten Räume mehr erhalten konnten, ar:
beiten ebenfall3 in dem großen Laboratorium,
ftetö bereit, dem
weniger Geübten
mit Rat und That
an die Hand zu
gehen. Es iſt eine
Freude, den Saal
zu durchſchreiten
und die Emſigkeit
zu ſehen, mit
welcher die mei:
ften ihren Stu:
dien obliegen; der
finnt, in das
Blaue ftarrend,
übereinProblem,
jener beſchäftigt
fih mit Dauer:
präparaten, ein
dritter jeciert un:
ter der Xupe,
während ein vier:
ter mit dem Auge
auf dem Mikro:
ſtop Liegt, als
müſſe er jet den 4
Stein dber®eifen x ur
darin fehen. Oft 8
laute Diskuſſion
über theoretiſche
Anſichten; die
Geiſter platzen
aufeinander, und
manchmal wird die ganze Geſellſchaft in das
Gefecht gezogen.
Dem großen Laboratorium gegenüber iſt die
Bibliothek, die, wie ich ſchon öfter hervorgehoben
habe, der Anſtalt allein den Vorrang vor allen
anderen Inſtituten ähnlicher Art ſichern würde.
Prof. Dohrn hat keine Koſten und feine Mühe |
geipart, um fie jo volljtändig als möglich zu |
machen; viele naturwiſſenſchaftliche Verleger
ſchicken ihren Verlag, die Verfaſſer ihre Arbeiten,
um fie fiher in dem von der Station heraus:
gegebenen Jahresberichte beſprochen zu fehen;
Giro und Gircillo, Oberläbenfiier.
Karl Dogt.
durch Taufch gegen die Publifationen der Sta—
tion wird vieles hereingebradt. Während man
an den meilten anderen Stationen nur wenige
Bücher und Zeitjchriften zur Hand hat, die nur
notdürftige und ungenügende Auskunft geben,
und oft wiederholt von der Küfte in die Haupt
ftadt und von diefer wieder an die Küfte rennen
muß, um eine Arbeit zu vervollitändigen, hat
man bier alle
Quellenſchriften,
alle litterariſchen
Hilfsmittel un—
mittelbar zur
Hand und kann
die eigenen Be—
obachtungen mit
denjenigen der
Vorgänger ver—
— gleichen. Es iſt
> dies ein unſchätz⸗
barer Vorteil und
es kommt nicht
ſelten vor, daß
Forſcher, die an—
dermwärts eine Ar:
beit gemacht ha-
ben, nach Neapel
fommen, um fie
hier zu Eontrollie:
ren und die un:
entbehrlichen lit—
terarifhen Nach—
weile zu vervoll-
jtändigen. Zahl:
reihe Arbeits⸗
tijche find in der
von einem Be:
amten der Sta:
tion überwachten
Bibliothek aufge:
ſtellt, deren Beforgung bei den zahlreichen
Eingängen feine geringe Arbeit madt. Mittels
eines einfahen Mechanismus ift es möglich ge:
macht, daß jeder Forſcher neben feinem Arbeits:
tische die nötigften Quellen in jedem Augenblid
zur Hand haben kann. (Vgl. u. Abb. auf S.367.)
In der gefchlofjenen Yoggia der Weftfront
herricht zu gewiſſen Stunden das regte Xeben.
Gegen zehn Uhr morgens bringen die Fiſcher,
die meiſt Schon vor Anbruch des Tages aus:
gelaufen find, in Kübeln und Gläfern ihren
ang, der hier in feichten Bottichen fortiert wird.
Die Zoologifche Station in Neapel,
„Auftrieb“ ſchallt es ur
beſonders bei Siroffo —
durch das Haus, denn
dieſer Wind bringt
die ſchwimmenden
Hochſeetiere, das
mikroſkopiſche Klein:
zeug, welches mit
feinen Netzen auf der
Oberfläche gefiſcht
wird, in den Golf
herein. Viele kom—
men und ſuchen, mit
der Lupe bewaffnet,
in den Bottichen und
Gläſern die Tiere
zuſammen, die ihnen
zum Studium zugeteilt ſind. Der Chef des
wiſſenſchaftlichen Generalſtabes, dem jeder an—
zugeben hat, welche Tiere er zum Studium
ſich ausgewählt hat, läßt den übrigen das ihnen
gehörende Material bringen. Der Konſervator
ſucht die ihm genehmen Leiter aus. Der Leiter
des großen Aquariums bemächtigt ſich der
Organismen, die dort gezüchtet werden ſollen.
Nach geichehener Sortierung wird der Neft ent:
weder in Reſerve-Aquarien, die an der Nüd:
wand der Zoggia angebradt find, untergebracht
oder an das große Aquarium abgeliefert, wo er
zur Fütterung dient. In dieſe Loggia münden
auf der Nordfeite das Zimmer des Chefs des
Generalitabes, auf der Südſeite das Arbeits
zimmer des Direktors Dohrn und dasjenige des
Konjervators, der die Sendungen vortrefflid)
erhaltener Seetiere an Mujeen und Private zu
bejorgen hat, welche einen nicht unbedeutenden
Zweig des Betriebes der Station bilden.
Von der Weſtloggia führt eine Treppe in
die Hochzimmer, in welchen der ingenieur der
Station fein Kabinett und feine Werkitätten für
feinere Gegenftände eingerichtet hat. Schmiede
und Ateliers für gröbere Objekte find, wie ſchon
erwähnt, in dem unterirdiichen Mafchinenraume
angebracht; der Schmied arbeitet aber nidht
felten unter freiem Himmel vor feiner Wert
jtätte. Neben dem kleinen Eingange der Weit:
front, den die Fischer benußen, find die gewöhn-
lichen Fiſchereiwerkzeuge untergebracht.
ab Tampfboot „Frant
Balfour* tS. 315».
Plane im inneren eingerichtet, jeder Nam
winfel forgfältig ausgenutzt und man alaubte,
damit für lange jahre ausreichen zu können.
373
Boot zur Neyfiderei,
Aber in dem Augenblide, wo ich diejes jchreibe,
erweift fich das Gebäude, genenüber dem An:
drange von Forichern und der Notwendigfeit,
neue Näume für phyſiologiſche und biologische
Studien zu Schaffen, als durchaus ungenügend.
Die Verhandlungen über einen Anbau, der mit
dem Hauptgebäude durch Brüden jo verbunden
werden foll, daß er diefem fein Licht zu rauben
vermag, Find im Zuge. Möchten fie zu dem
gewünschten Nefultate führen!
Die Betriebsmittel.
Es ıjt Har, daß etwa dreißig Forſcher, jo:
wohl Tifchinhaber als Beamte des wilienjchaft:
lihen Generaljtabes einer Menge lebenden, uns
mittelbar aus dem Meere gefifchten Materiales
| zu ihren Unterfuchungen bedürfen, Um viele
diefer Tiere zu finden, it die genaue Kenntnis
des zugängliden Meeresgrundes, ſowie der
Strömungen unerläßlid.
So ift das Haus nad) wohlüberdachtem |
Manche Arten find
jelten oder in jehr engen Wohnungsgrenzen ein:
geichränkt. Ich hatte vor einigen Jahren einen
Wurm erhalten, den man fpäter zurüd erbat,
weil er das einzige bis jetzt gefundene Eremplar
374
fei und man vergebens nad einem zweiten ge:
fucht habe. Jetzt kann man den Wurm haben,
fo viel man nur will; die Fiſcher haben endlich
feine Wohnftätte gefunden, die faum einige
Morgen Landes bededen würde. Will man
alfo, was bei einer folhen Anftalt durchaus
nötig ift, die möglichfte Gewißheit haben, ſtets
das Gemwünfchte liefern zu können, fo müfjen
eigens brefjierte Fifher und bejonders aus-
gerüftete Boote vorhanden fein, die nur für bie
Zwede der Station arbeiten. Der Fiicher, der
nur bei Gelegenheit dem Naturforfcher fih zu
Dienften ftellt, muß erft angelernt werden; er
hat von jeher nur das Eßbare und Verfäufliche
im Auge gehabt und wird ſtets das Zeug, das
den Naturforfcher intereffiert, als Nebenfache
behandeln.
Die Station befitt mehrere Nuder: und
Segelboote, die regelmäßig auf den Fang gehen
und deren Bemannung die Lofalitäten genau
fennt, auf welchen die verfchiedenen Tiere vor:
fommen. Das eine diefer Boote ift für die
Oberflähenfifcherei, für die Beſchaffung des
„Auftriebes“ auägerüftet. Man fucht die viel:
fach wechjelnden Strömungen: die „Corrente*
auf und während der Ruderer langjam das
Boot vorwärts gleiten läht, hält der andere
Fiſcher ein aus feinfter Müllergaze gefertigtes
Handnet dem Strome entgegen, in weldyem fich
die mifroffopiichen Tierchen, Kleine Kreböchen,
Medufen, Pfeilwürmer, Nadiolarien, Larven
aller Art fangen. Von Zeit zu Zeit wird der
Beutel in einem weiten Glasgefäße umgedreht
und ausgejpült, oder auch ein ſolches in das
Neb eingebunden, und jo der Auftrieb in dem:
jelben gefammelt. Aber in diefen Strömungen
reiben aud) eine Menge größerer Tiere, Ruder:
Ichneden, Medufen, Rippenquallen, lange Ketten
von Salpen, Shwimmpolypen und andere Tiere,
faft alle durchfichtig und nur ſchwer in dem
Waſſer unterfcheidbar. Ein geübtes und fcharfes
Auge ift hier unfhägbar. Die einen fünnen
unbedenklich mit einem langjtieligen Nee ein:
gefangen werden, andere aber find fo zart, daf |
fie bei der geringften Berührung zerfliehen oder
wejentliche Teile abſtoßen. Man fucht dieſe Tiere
durch Bewegungen mittels des Handnetzes an
die Oberfläche zu bringen und dann in ein vor:
gehaltenes Glasgefäß hineingleiten zu loöſſen.
|
|
|
|
|
1
Ein anderes Boot betreibt die gewöhnliche
Nebfifcherei, ein drittes ift mit Schleppnegen
ausgerüftet, welche mit einer ſcharfen Klinge
|
Karl Dogt.
den Grund auffragen und die feftfigenden, in
Schlamm oder Sand vergrabenen Tiere los—
löfen und aufnehmen. Aber dieje Fifcherei, fo
ergiebig fie auch an gewifjen Stellen fein mag,
fann doch nur in fehr geringe Tiefen hinab—
gehen; fie wird namentlich auf den Bänfen be:
trieben, welche den Fifhern unter dem Namen
Seccas befannt find. Für größere Tiefen reicht
Menſchenkraft nicht aus.
Wenn fo dad meilte Material von den
Fiſchern der Station beſchafft wird, fo ſchließt
dies nicht aus, daß vieles auf dem Fiſchmarkte
und anderes von nichtangeftellten Fildern ge:
fauft wird, die fehr wohl wiflen, daß feltene
und ſonſt unverfäufliche Tiere hier Abnahme
finden.
Aber die Fifcherei mit Ruder: und Segel:
booten, die allzufehr von Wind und Wetter ab:
hängen und nur geringe Tiefen beherrichen,
fann den Zwecken der Station nicht genügen.
Man muß zur Beihaffung mancher Tiere weiter
gelegene Fiſchgründe aufjuchen, in größere Tie—
fen hinabjteigen, man will fchlieglich den ganzen
Golf und deſſen Umgebung in grünblichfter
Meife durchforſchen, um endlich einmal fichere
Grundlagen für die Beurteilung der Wande—
rungender Geetiere, ber Verteilung derjelben auf
dem Meereögrunde, ihrer Eriftenzbedingungen,
Fortpflanzungszeiten u. ſ. w. zu gewinnen.
Die Notwendigkeit eines Dampfers war
von Anfang an erfannt. Aber die Mittel waren
gering und mandherlei Gelärm erhob jih. Was?
Ein Dampfer? Zum Spazierenfahren? Man
ſetzte der Anfhaffung etiwa ähnliche Gründe ent-
gegen, wie mir, als ich im jahre 1869 die
Gründung einer zoologifhen Station in Trieft
beantragte und ein befannter Zoologe, der fpäter
wohleingerichtete Stationen fehr zu würdigen
wußte, öffentlich entgegnete: Was es da weiter
brauche? Ein Zimmer, einige Gefäße und täg-
[ich einige Kübel frifchen Seewaſſers!
Das Dampferlein, das man allgemein den
„Vaporetto“ nannte, das aber dem großen Phy—
fiologen Johannes Müller geweiht ift (S. 366),
wurde bejonders unter lebhafter Fürſprache
| du Bois-Reymonds, des Nachfolgers Müllers,
durch die Berliner Akademie großenteils befchafft.
Es hat eine enge und niedere Hajüte, in der zwei
Mann ganz gut, vier nur mit Schwierigfeit fich
unterbringen können. Die Machine wurde jo
eingerichtet, daß fie das Schleppnet heben und
jenen konnte. Die italienische Marine Tieh
Die Zoologiſche Station in Yleapel.
einen Sfaphander zum Tauchen und Unter: |
fuchen des Grundes. Man behalf fih in der
Nußſchale fo gut man konnte und wagte fogar,
bis nah Gaöta und den Ponza-Inſeln zu
dampfen, wo reihe Fifchgründe mit im übrigen
Golfe nicht vorfommenden Tieren ſich finden.
Ich habe zur Zeit lehrreihe und fröhliche
Erfurfionen mit diefem Vaporetto gemacht.
Das Tauchen mit dem Sfaphander, das anfangs
vom Vaporetto aus betrieben, jet aber durch
ein eigenes Boot beforgt wird (S. 370), wurde
bald eine Lieblingsbefhäftigung einiger Beamten
und Gäfte, namentlih des ngenieurs von
Peterſen. Der Taucher, ganz in Kautſchuk ein:
gehüllt, mit ſchweren Bleifandalen an den
Füßen, mit dem großen gefenfterten Metall:
helme auf dem Kopfe, in welchen beftändig
Luft eingepumpt werden muß, wird in die Tiefe
hinabgelafjen. Durch einen Strid, den er in
der Hand hält, gibt er verabredete Zeichen. Die
aufbrodelnden Luftblafen bezeichnen feinen Weg,
wenn man ihn nicht mehr jehen follte. Er ift
mit Schaufel, Hammer, Krageifen, einem Sade,
worin einige gläferne Gefäße, verfehen, in
welche er feine Beute fammelt. Cinmal im
Waſſer untergetaucht, bewegt er fich mit großer
Leichtigkeit, in freier Luft geftattet ihm die
ſchwere Rüftung faum eine Bewegung. Seine
Hauptaufgabe ift, die Vergefellihaftungen der
auf dem Grunde haufenden Tiere zu erforschen.
Er fieht hinlänglih, um felbjt mit der Lupe
unterfuhen zu fönnen. Man folgt in einem
bejonderen Fleinen Boote aufmerkfam feinen Be:
mwegungen, um ihn bei dem leijejten Zeichen fo
ſchnell als möglich heraufwinden zu fönnen. Die
beiden Matrofen, welche die Luftpumpe hand:
haben, müflen forgfältig einererziert fein, damit
feine Unterbrehung in der Zufuhr eintrete.
Aber länger als zwei Stunden hält es wohl
feiner aus und tiefer als dreißig Meter höchſtens
fann man nicht hinab, denn in dieſer Tiefe wird
bänder, welche die Aermel und Hofen ſchließen,
ſchneiden dann tief in die Gelenke ein. Man
windet den Mann herauf und faum, daß der
Helm über dem Waſſer ift, beeilt man ſich,
ihn abzunehmen. Die Löfung der Toilette ift
ſchwieriger, als der Anzug, aber endlich ift fie
geihehen und ein Schlud guten Weines hilft
dem erjchöpften Manne wieder auf die Beine,
der dann meijt einen bedeutenden Appetit ſpürt.
Bei den vielfahen Fahrten fonnte es nicht
375
vermieden werden, daß die Eifenwänbe bes
Vaporetto vielfach durch Abpusen der daran
haftenden Seetiere und durch den Einfluß des
Meerwaſſers litten, jo daß fie an vielen Orten
nur anderthalb Millimeter Dicke beſaßen. Man
fütterte fie zwar mit Holz aus, aber immerhin
läßt das fonft trefflihe Schiff einige Alters:
ſchwäche verjpüren.
Vor zwei Jahren fchaffte die Station aus
eigenen Mitteln ein zweites Fleines Dampferlein
an, welches den Namen des befannten, in den Al—
pen verunglüdten Embryologen Frank Balfour
führt (S.373). Absit omen! Das Scifflein
hat etwa die Größe und den Bau eines mit
ſechs Ruderern zu bemannenden Rettungsbootes,
iſt vollfommen ungebedt und nur zum Fiſchen
mit dem feinen Nete an der Oberfläche bejtimmt.
Maſchine, Kohlen, alles Zubehör liegen frei im
Naume des Boote, allem Wind und Wetter
auägefegt; nur einige wenige Perfonen haben
Plat darauf. Aber das Schifflein ift durchaus
feetüchtig, läuft fchnell und fanft und liegt flach
auf dem Wafler, jo daß die Handnetze ebenfo
leicht benußt werden fünnen wie von einem
Nuderboote aus. Die Oberflächenfifcherei, welche
die ſchwimmenden Hochjeetiere liefert, hat im
Golfe von Neapel ihre bejondern Schwierig:
feiten. Die Strömungen halten nicht eng zu:
fammen wie in der Straße von Meffina oder
in der Bucht von Billafranca bei Nizza; fie ver:
teilen fi über weite Räume und bringen nur
bei Siroffo reihe Beute. Da alle diefe Tiere
äußerft zart und furzlebig find, mußte auf Mittel
gefonnen werben, fie ſchnell nad) dem Fange zur
Station zu bringen, um die fonft ſehr ergiebige
Jagd felbit über größere Streden ausdehnen zu
fönnen. Diefen Zweden entjpricht der Balfour
vortrefflich.
Aber die beiden Schiffe genügen nicht, um
die Schleppfiſcherei in großen Meerestiefen, die
ſo außerordentlich wichtige Reſultate geliefert
der Druck bald unerträglich, die Kautichuf: |
| in Tiefen über taufend Meter arbeiten follen,
hat, zu betreiben. Das Gewicht der Nete, die
ift zu bedeutend, ala daß diejelben mit jo ge:
ringen Kräften gehoben werden fünnten. Der
Raum der Schiffe würde nicht hinreichen, die
großen Trommeln zu beherbergen, auf welchen
die ftarfen, mehrere Kilometer langen Taue auf:
gerollt werben müjjen. Die Tiefgründe find der
| Station einftweilen vollftändig verfchloflen. Zu:
| dem gewährt Feines dieſer Schiffe den nötigen
, Raum, um den Fang ſogleich bearbeiten zu
43
376
können. Gar viele Tiefentiere aber fommen,
wie begreiflic, in durchaus erjchöpftem Zuftande
auf der Oberfläche an, und wenn fie endlich aus
den Gentnern von Sand, Schlamm und Ge:
fteinsbroden, melde das Scleppneß herauf:
bringt, ausgeleſen find, bleiben vor ihrer Zer—
jegung faum einige Stunden zu eingehender
Beobadhtung. Dieje ift nur auf der Station,
nicht auf dem Schiffe möglid, und wenn man
auf der Station anlangt nad) den Mühen des
Tages, findet man einen Haufen in Zerſetzung
befindlicher Gallerte ftatt lebender Wejen.
Der Golf fol und muß eben in allen feinen
Tiefen erforscht werden und die Unterfuchungen
müſſen fich weiterhin in das Meer und über die
Küften erftreden, denn dorthin bringen die
Strömungen aud) Tiefjeetiere. So ift denn jetzt
der Bau eines dritten, größeren, durchaus fee:
tüchtigen Dampfers im Plane, der wochen: und
monatelang auf dem Meere bleiben und den
auf ihm eingefchifften Forſchern in einem fleinen
Laboratorium Gelegenheit zur unmittelbaren
Unterfuhung des Fanges geben fol. Solde
Tieffee-Forfhungen, wie fie der „Challenger“,
der „Talisman”, der „Wafhington* im Auf:
trage der englischen, franzöfifchen und italieni-
jchen Regierungen vorgenommen haben, würden
freilich mit diefem Schiffe nicht unternommen
werden Fünnen; derartige Unterfuhungen er:
fordern Geldmittel, wie fie der Station nicht
zu Gebote jtehen. Webrigens ftehen dieſe Tief:
ſee-Forſchungen, jo großes biologifches Intereſſe
in theoretifcher Hinficht fie auch beanfpruchen
mögen, doc faum in direkter Beziehung zu den
mehr praftifchen Zweden, melde die Station
im Auge hat.
Ob es freilich Herrn Dohrn gelingen wird,
das für ein ſolches größeres Schiff nötige Kapital
zu beſchaffen, ift eine andere Frage. Wenn es
fi) darum handelt, für eine Sternwarte einen
Niefenrefraftor oder ein ähnliches Inſtrument
zu beichaffen, findet ſich das Geld leicht, fei es
bei Regierungen, Inſtituten oder einzelnen opfer:
willigen Privaten; aber die Ueberzeugung, daß
auch die biologiſchen Forſchungen koſtſpieliger
Apparate bedürfen, iſt noch nicht weit genug
eingedrungen, um zu Opfern dafür anzuſpornen.
Und doch leuchtet nicht nur der ungemeine Wert
ſolcher Unterſuchungen für die Wiſſenſchaft, fon:
dern auch ihre praftifche Anwendung ein. Wir
haben jeit Einführung der fünftlihen Fifchzucht
manche Kenntnis über das Leben und Treiben,
Karl Vogt.
die Eriftenzbedingungen und die Feinde der nuß-
baren, im Süßwaſſer lebenden Gefhöpfe, wie
Fiſche und Krebfe, gewonnen — aber wie un-
endlich weit ſteht der Wert diefer Produfte hinter
denjenigen des Meeres zurüd, die Millionen
von Menſchen andauernde Beichäftigung, reich:
lihe Nahrung und lohnenden Gewinjt ver:
ſchaffen! Die Gefege und Reglemente der Süß—
waflerfifcherei find, zum guten Teile wenigitens,
auf beobachtete Thatfachen, diejenigen der Meer:
fiicherei auf willfürlihe Annahmen und aus den
Verhältniffen des fühen Waſſers abgeleitete
Schlüffe gegründet. Man verbietet oder bes
Ihränft 3. B. die Fiſcherei mit großen, von
zwei Schiffen gezogenen Schleppnegen, weil
man annimmt, daß dieſes Auffragen des
Grundes die Brutjtätten der nutzbaren Fiſche
und ber ihnen zur Nahrung dienenden Tiere
zerftört, daß der Laich und die Brut ihr zum
Opfer fallen, allein fein Gelehrter und fein
Praftifer kann behaupten, daß diefe Annahme
auf beobachtete Thatjachen gegründet fei, ja
man weiß von den meijten Meerfifchen nicht,
was fie freien, wann und wo fie laihen, wo
ihre Eier abgefebt werden, wo ihre ungen ſich
aufhalten. Das find weitſchichtige Fragen, die
nur durch längere Zeit hindurch fortgeſetzte Beob-
achtungen fich löſen laffen, deren Beantwor:
tung aber von der höchſten MWichtigfeit für das
Wohl und Wehe ganzer Nationen iſt. Es wäre
demnad) jehr zu wünſchen, daf die Station von
Neapel, die ja fonjt jchon fo viele Vorkenntnis
der Sache hat, durd die Anfchaffung eines
größeren Dampfers in den Stand geſetzt würde,
diefe Fragen ernftlich in die Hand zu nehmen
und ihrer Löſung entgegen zu führen, und es
ift zu hoffen, daß durch die Bildung von Komitees
die finanziellen Mittel bejchafft werden, welche
nötig find. Deutjchland nimmt, fo behauptet
man, täglid an Reichtum und finanzieller Wucht
zu, und da mit diefen Fortſchritten der weitere,
in die Zufunft gerichtete Blick ſich ſchärft, die
Geneigtheit und die Möglichteit, Opfer zu
bringen, bei den einzelnen wächſt, fo ift zu hoffen,
da der Auf des Direktors der Station nicht
ungehört verhallen werde.
Der Charalter der Station.
Man kann es nicht genug wiederholen, denn
manche jchiefe Anfichten find durch die Verfen-
nung der wirklichen Verhältnifje hervorgerufen
und unterhalten worden: Die zoologiſche
Die Zoologiihe Station In Neapel.
Station in Neapel ift eine, durd die
Energie eines einzigen Mannes ge:
gründete und von ihm allein geleitete
internationale Privatanftalt. Regie:
rungen, wifjenfchaftliche Inſtitute, einzelne Pri—
vate haben durch Unterjtüßungen, Beiträge oder
Darleihen diefer Gründung unter die Arme ge:
griffen, ihre gebeihliche Entwidelung gefördert,
ihren jetzigen Betrieb erleichtert, aber da man
allfeitig anerfannte, daß hier der rehte Mann
am rechten Plate fei, jo hat man fid) auch ge:
hütet, in dieſes Verhältnis irgendwie einzu:
greifen. Dohrn leitet den ganzen inneren Be:
trieb der Anftalt in unumfchränfter Weiſe und
unter feiner alleinigen Verantwortlichfeit; er
allein ftellt die Beamten an und verftändigt ſich
mit ihnen über ihren fpeciellen Wirkungsfreis
und ihre Befoldung; er beichafft die nötigen
Geldmittel und beftimmt deren Verwendung,
infomeit diefelbe nicht mit den Gebern und Dar:
leihern durch vorgängige Webereinfunft be:
ſtimmt ift.
Aus diejem Gefihtspunfte muß man bie
Thatfache beurteilen, daß diefe Privatanftalt
außer der wiflenfchaftlichen auch ihre fommer:
jielle Seite hat, daß fie Mittel und Mege fuchen
muß, ihre Einnahmen zu vergrößern. Sein
Menſch findet etwas dagegen zu erinnern, wenn
ein zoologischer Garten für fein Aquarium noch
bejondere Eintrittspreife verlangt, aber gar
mander hat ſchon in der irrigen Meinung, daß
die Station eine Staatsanftalt fei, fi) darüber
entrüftet, daß hier Eintrittspreife für das Aqua-
rium von den Bejuchern gefordert werden. In
allen civilifierten Ländern beftehen Naturalien:
handlungen, die lebende, fonfervierte Tiere oder
Bräparate zu fejtgejegten Preifen liefern; nie:
mand findet etwas dagegen zu erinnern; aber
daß die Station in Neapel herrlich fonfervierte
Geetiere, mikrojfopifche Präparate verfauft und
damit einen fogar ftetS zunehmenden Handel
treibt, haben gar viele nicht verwinden fönnen.
Man fragt nicht, wovon denn die Station [eben
jolle, wenn fie diefe Einnahmequellen nicht hätte,
man nimmt ben Mantel der Würde der Wiffen:
Ihaft um und fpricht mit fittliher Entrüftung
von Entweihung derjelben. Aber von der Luft
fann auch die reinjte Wiſſenſchaft nicht leben.
Wenn die internationale Stellung der An:
ftalt durch die mannigfaltigen Verhandlungen
mit Regierungen und Inſtituten dem Direktor
eine unfägliche Zaft von Arbeit und Korreipon:
377
denzen aufbürbet, ja ihn zu häufigen und foft:
jpieligen Neifen zwingt, wenn die Alleinherr:
Ichaft gar manche Unannehmlichkeiten im Gefolge
hat, jo gewährt diefe Stellung anderſeits die
größten Vorteile. Es fann hier von feiner ein:
jeitigen Richtung der Studien, von feiner offi—
ctellen Bevormundung derfelben die Nede fein,
wie fie fi in ſolchen Stationen, die ftaatliche
Beziehungen und vom Staate befoldete Pro:
fejloren zu Direktoren haben, nur zu leicht aus:
bildet. Die Zulaffung zur Station hängt nicht
von dem guten Willen oder der Laune bes
Direftors ab; wer nad) Neapel fommt, um bort
zu arbeiten, ift von irgend einer Behörde ge:
ſchickt, welche das Sendungsrecht mit Flingender
Münze bezahlt. Jeder Arbeiter ift volllommen
frei in der Wahl der Objekte feiner Forſchung,
wie in derjenigen der Methoden ; wenn ihm feine
Arbeit vielleicht durch ihre Publikation indiref:
ten Nugen für feine weitere Laufbahn bringen
fann, jo hängt es doch nicht von dem Einflufie
des Chefs ab, der anderwärts oft nur die:
jenigen, welche fih unbedingt feinem Willen
fügen, unterftügt, den Unabhängigen aber hin:
dernd in den Weg tritt. Eine einfeitige Rich:
tung der Studien kann nicht Pla greifen. Die
ftete Berührung zwifhen Mitarbeitern, die in
ganz verſchiedenen Schulen ausgebildet find,
verſchiedenen Richtungen angehören, verſchiedene
Unterfuhungsmethoden fich angeeignet haben,
ichleift die Gegenſätze ab und läßt eigene Mängel
und fremde Vorteile erfennen. Durd) die be:
ftändigen Wechjelbeziehungen mit den Mitarbei—
tern einerjeitö, den Beamten der Station ander:
feit3, welche nur in der Mominiftration ihre
Kompetenz haben, in wiſſenſchaftlicher Beziehung
aber auf Erteilung guten Rates und Beihilfe
beichränft find, wird ein gewiſſes ideales Streben
gefördert, das allen zu gute kommt. Bet den
Beamten felbit hat ſich eine Fülle von Kennt:
niffen und Erfahrungen angehäuft, die gewiſſer—
maßen den geiftigen Vorrat der Station bildet,
und um jo mehr durch lebendige Tradition fort:
gepflanzt wird, als Profeſſor Dohrn es ſich zur
unverbrüchlihen Regel gemacht hat, nur Solche
anzuftellen, welche vorher als gefendete Arbeiter
in der Station ihre Eigenfhaften und Fähig—
feiten befundet haben. E3 mwimmelt jegt in
Deutſchland namentlich von Aſſiſtenten an den
verfchiedenen Univerfitätslaboratorien, melde
oft ſehr anerfennenswerte Arbeiten geliefert
haben, und gar manche haben, von gewichtigen
er.
378 Ernft Koppel,
Empfehlungen gejtügt, in Neapel angefragt, | befangen, befannt ift. Gegen eine derartige
ob fie dort ein oder mehrere Jahre in Funktion | Umgebung mußte fih ein tiefes Gemüt ſelbſt—
treten könnten — ohne Erfolg, denn da Dohrn | verjtändlih früh auflehnen; es blieb ihm bald
allein die Verantwortlichfeit trägt, jo will er | nur die Wahl zwischen haltlofer Sentimentalität
vorher durch eigenes Einſehen fich überzeugt | oder fraftvollem Humor, um die tiefe Kluft aus:
haben, daß die Bewerber auch den fpeciellen | zufüllen, die ihn von feiner Umgebung trennte.
Forderungen entſprechen, welche die Station an | Seine männlide Natur neigte ſich leßterem zu;
fie ftellt. (Schluß folgt.) gewiß aber ift ein Hang zum Ercentrifchen und
Baroden, das auch dem vollentwidelten Künſt—
— — ler anhaftet, dem Zwieſpalt, den er früh in ſich
empfunden, zuzuſchreiben.
öcklin. Trotzdem ſeine Familie mehrere künſtleriſch
> Arnold Boclin begabte Mitglieder aufwies, hatte er feinem
Fine Studie von Ernfl Koppel. Vater gegenüber doch ftarfe Vorurteile zu be:
fämpfen, ehe es ihm vergönnt war, im Jahre
1846 Düfjeldorf zum Zwecke feiner malerifhen
D* Name Arnold Bödlin hat einen vollwich- Ausbildung als Aufenthaltsort zu wählen.
tigen Klang in der neuen deutſchen Kunſt— Seine frühefte fünftlerifhe Neigung war,
geihichte, das Schaffen des Künftlers aber und | wohl durch die ſchöne Natur feiner Heimat be:
infolgedeffen feine Eigenart ift den meijten | fördert, auf die Landfchaft gerichtet und hierfür
gänzlich unbekannt. Der Grund diefer Erjchei: | fand er in Düfjeldorf unter Schirmer Leitung
nung ift unſchwer zu finden, denn Bödlin ift | reichliche Nahrung; aber wie fein ganzes Wefen
einerfeitö eine fünftlerifche Perfönlichkeit, die | nad Univerfalität ftrebte, fo fuchte er fi) auch
aus den widerfprechenditen Eigenſchaften zu: | früh gleihmäßig nach verjchiedenen Geiten hin
ſammengeſetzt ift, anderjeits aber ift die Fülle | auszubilden und begab ſich daher nah Brüſſel,
feiner Natur jo groß, daß eine Kenntnis feines | wo gerade die Figurenmalerei blühte. Von dort
Wefens nur nad) längerer Beihäftigung mit ihm, | wandte er fi nad) Paris, wo er die Revolution
nad) liebevollem Verſenken in feine Eigentüm: | von 1848 miterlebte, deren Eindrüde in feinem
lichkeit möglih ift. Wahrheit und Dichtung | empfänglichen Gemüt haften blieben und hierin
durchdringen fi) bei ihm wie bei faum einem | mag die Hinneigung zum Schauerlichen und
anderen zeitgenöſſiſchen Meiiter; er ift ein Dichter | Gemaltthätigen begründet fein, die nicht felten
in Farben, der fih die Natur auf feine eigene | wie ein greller Mißklang in feinem Schaffen
Weife zuredhtlegt, ohne fie jedoch je zu verleug: | hewortritt. Bon Paris wandte fi) der Ruhe:
nen oder fie vielmehr mit feinen eigenen Augen loſe nach Bafel zurüd und von dort nad) Nom.
fieht und demgemäß darftellt. Die tieffte Em: | Alle diefe Etappen feiner Künftlerlaufbahn wur:
pfindung paart fich bei ihm mit dämoniſchem | den mit mehr oder weniger großen Entbehrungen
Humor, eine grenzenlos reiche, nicht jelten aus: | zurüdgelegt. Das hinderte ihn aber nicht, ſich
ichweifende Phantaſie mit fchärffter Beobach- | mit einer jungen Römerin, die ihm als einzige
tungsgabe und fein technisches Können dedt fih Mitgift ihre Schönheit zubrachte, zu verehlichen
ftet3 mit der zu bewältigenden Aufgabe. So | und in diefer Ehe ein dauerndes Glüd zu finden.
weit umfaſſend das Stoffgebiet ift, das den | Aufträge, die nur an Ort und Stelle auszu—
Künftler beherrfcht, jo verleugnet fich doch nies | führen waren, führten ihn wieder nach Deutſch—
mals feine Perfönlichfeit und troß der unerbitt: | land zurüd und endlid auch nah München, wo
lihen Strenge, mit der er ftetö neue hohe An: | ein Mäcen in des Wortes edelſter Bedeutung,
forderungen an fich ſelbſt ftellt, tritt fein Wefen | Graf A. F. v. Schad auf den genialen Künſtler
voll daraus zu Tage. aufmerffam wurde. Durch diefen feinfinnigen
Arnold Bödlin ift im Jahre 1827 als Sohn | Dichter und Gelehrten wurde dem Künftler zum
eines Kaufmanns in Bafel geboren. Es it eine | erftenmal Gelegenheit geboten, fein Können
Ironie des Schidfals, die diefen modernen No: | frei zu entfalten. Eine lange Neihe von Ge:
mantifer in der vollen Bedeutung des Wortes , mälden in der befannten Schackſchen Galerie
in einer Stadt aufwachſen ließ, die als durchaus | legen von der Förderung Zeugnis ab, die dem
nüchtern und nur in rein praktiſchen Intereſſen Künftler von feiten des Beſitzers derfelben zu
Arnold Bödlin.
Teil wurde, wie anderfeit3 die Schöpfungen
bes Künftlers zu den foftbarften Beftandteilen
der reihen Sammlung zählen. Aus der Fülle
der dort befindlichen Bödlinfhen Gemälde fei
an diejer Stelle nur einzelner gedacht. So ver:
dient vor allem die „Villa am Meer”, die in
zweimaliger Ausführung vorhanden ift, Erwäh—
nung. Diefe Schöpfung atmet eine Melandolie,
die den Beichauer fofort in Mitleidenfchaft zieht
und ift fie ein vollmichtiger Beweis für bie
Fähigkeit des Künftlers, mit den einfachiten
Mitteln die tieffte Wirkung, die nachhaltigſte
Stimmung zu erzeugen. it diefes Werk fait
nur in ſchwärzlichen und grauen Tönen ge:
halten, jo ift ein anderes in derfelben Galerie
befindliches Gemälde des Künftlers geradezu ein
glänzendes Foloriftifches Meifterwerf. Es iſt
dies ein auf einer Klippe liegendes und mit
einer ungeheuren Seejchlange fpielendes Meer:
weib, an deren Seite ein Triton in eine große
Mufcel ſtößt. Ein Hauch wilder Poefte, ver:
mifcht mit derbem Humor, ift über diefem Bilde
ausgebreitet, welches jomit die beiden entgegen:
gefegten harakterijtiihen Eigenſchaften Bödlin:
ſcher Kunft klar veranjchaulicht. Die Vereinigung
diefer beiden Momente aber ift es vor allem,
die ihn zum Nomantifer ftempelt, wie feinen
anderen zeitgenöfftichen Künftler. Wie in dem
eben erwähnten Gemälde die Fiquren fat in
Lebensgröße erfcheinen, ift die fabelhafte See:
ihlange doch fogar mit fichtbarem Behagen in
ausgiebigitem Format dargeftellt, fo auch in
demjenigen Werfe, welches eine Jlluftration der
dritten Idylle des Theofrit bildet, die von
Daphnis und Amaryllis handelt und hier tritt
die Liebe Bödlins zu den alten Klaffifern, die
ihn durch fein ganzes Leben begleitet, fichtbar
hervor. Aus ihnen ſog feine Shönheitsdurftige,
dem modernen Treiben abgemendete Seele fort
und fort Nahrung. Eine fonnige Heiterkeit ift
über dieje Idylle in Farben ausgegofjen. Im
Vordergrunde fteht an einen Felſen gelehnt der
junge Hirt und haucht feine Liebesflagen in die
ftille Luft, während Amaryllis, die Najade, im
Hintergrunde, im Dämmerlicht einer Grotte,
den Tönen lauſcht, die ihr, nach Geſichtsaus—
drud und Haltung zu fchliegen, durchaus will:
fommen find. Man erficht deutlih, daß die
fehnfüchtigen Klagen bald verftummen werden,
denn die Erfüllung der Liebeswünfche des Hirten
jcheint nicht fern. Der Körper desjelben zeigt
den Uebergang vom Knaben: zum ünglings:
379
alter und ift ungemein reizvoll behandelt; die
ftrenge Schönheit der Antike ift darin mit mo:
derner Empfindung verſchmolzen. Die Land:
ſchaft, in der dieſes Liebesidyll fich abfpielt, iſt
wie in Duft und Glanz getaucht; es ift ein lieb:
licher Frühling des Herzens wie der Natur,
der auf die Leinwand gezaubert ift. Wenige
Schöpfungen des phantaftifchen Künſtlers atmen
eine fo reine Grundftimmung; es iſt offenbar
in einer fonnigen Periode feines Lebens und
Schaffens entjtanden. Bon feinen zahlreichen
fonjtigen in der Schadjchen Galerie befindlichen
Arbeiten feien noch erwähnt: „Wald mit Nym—
phe”, eine feiner früheiten Arbeiten, eines
Pouſſin in jeder Weife würdig und in der mar:
tigen Binfelführung wie in der Kraft des Kolo:
rit3 von feinem feiner fpäteren Bilder über:
troffen; ferner: „Herbitlandichaft, durch die der
Tod reitet”, ein Bild von jchauerlichpadender
Wirkung, voll phantaftifhen Schwunges, dann:
„Landſchaft“ mit dem Gang nad) Emaus als
Staffage und manche andere. Die eben er:
wähnte, wie jo manche andere Landſchaft des
Meiſters zeigt deutlich den italienischen Charafter,
denn aus der dortigen Natur hat er fort und
fort die reichjte Anregung gefchöpft, obgleich er
verhältnismäßig nur geringe Studien nad) ihr
gemadt hat. Es genügt ihm, die Natur mit
dem jcharfen Auge des Malers zu betrachten und
fie dann mit Hilfe eines ftaunenswert ftarfen
Gedächtniſſes auf der Leinwand zu reproduzieren,
was der fünftlerifchen Wahrheit feiner Schöpfun:
gen nie fchadet, ſondern diefelbe womöglich erhöht.
Jedenfalls ift feine großartig dichteriiche Auf:
faſſung der Natur, der nichts Kleinliches und
Zufälliges anhaftet, hauptſächlich diefer Eigen:
tümlichfeit feines Schaffens zuzuschreiben.
Im Jahre 1858 wurde er im Verein mit
Reinhold Begas, Lenbah und Namberg nad
Meimar an die vom Großherzog neu errichtete
Kunftihule berufen. Dort entjtand unter an:
derm fein Gemälde: „Schloß am Meer”, eine
feiner bedeutendften Schöpfungen. Es ijt eine
Dichtung in Farben und mutet wie eine herr:
liche Ballade an. Das Schloß iſt von See:
räubern am frühen Morgen überfallen und an:
gezündet, der Befiter getötet worden, die Weiber
und Kostbarkeiten aber werden von den Räubern
fortgefchleppt. Es ift ebenfalls in zweimaliger
Ausführung, einmal mit dem Schloßbrand und
einmal ohne denfelben dargeftellt. Ferner ent:
ftand in Weimar fein dem Umfang nad) bedeu—
380 Ernft Koppel.
tendſtes Werk: „Jagd der Diana”, auf welchem
die Natur des italienischen Südens, von herr:
lichen Frauengeftalten belebt, abermals zu be:
raufchendem Ausdrud gebracht iſt.
Lange aber duldete es den Naftlofen nicht
in dem troß feiner glorreichen Vergangenheit
einfam gewordenen lmathen und im Jahre
1861 fiedelte er abermals nad) Nom über. Hier
auf dem Boden, dem fie entjprofien, erfaßte ihn
der Zauber, den feine jchöne Gattin ſtets auf
ihn ausübte, jo mächtig, daß er fie ala Mufe in
einem wundervoll idealifierten Porträtgemälde
verewigte. Die reinfte und mächtigite Liebe hat
bei diefer Geftalt Zug für Zug den Pinjel ge:
führt und das ift wohl das Geheimnis der zün:
denden Wirkung, die es auf der Ausstellung in
Münden im Fahre 1863 ausübte. Allein troß
diefer und mancher anderen vielbewunderten
Schöpfung, troß ununterbrocdhenen Strebens
nad) ſtets vollendeter Technik in Zeichnung und
Kolorit blieb die äußere Lage des weltfremden
Mannes eine unfihere. Das große Publitum
fonnte fein Vertrauen zu einem Künftler fajlen,
der nicht felten mit Produkten voll wunderlichiter
Laune, greller Unnatur und gemwaltjamften Far:
benerperimenten hervortrat, die jelbit feine Be:
wunderer zeitweilig an ihm irre machten. Es find
wunderbare Gegenſätze in dieſer dämonifchen
Künftlernatur vorhanden, die ſich zum Teil aus
dem Zwang und dem Zwieſpalt, in dem ſich
feine Jugend bewegte, erklären, aber auch wohl
nur zum Teil; das Unerflärliche daran wurzelt
in den tiefen Geheimniffen, die mehr oder
weniger jede Menjchennatur in fi fchließt.
Am Ende war es doc) die Vaterftadt, die
fich fo lange nit um ihn gefümmert hatte, die
fich feiner erinnerte. Schon die „Jagd der Diana”
war für das Mufeum zu Baſel erworben wor-
den und hatte allgemeine Bewunderung erregt,
daher man denn auch nicht zögerte, dem Künſt—
ler die maleriſche Ausfhmüdung des Mufeums
zu übertragen. Die dort befindlichen Fresken
von feiner Hand vermodten jedod nicht, ein
Band zwiihen ihm und der Vaterjtabt zu
Inüpfen, denn der grenzenlofe Reichtum feiner
Natur offenbart fich in ihnen in einer Fülle und
Vielfeitigfeit, die wohl geeignet find, den nüch—
ternen Sinn zu bedrüden und zu ängftigen. Sie
itellen den aus dem Wafjer geborenen Geilt der
Natur, Flora mit ihren Kindern und Apollo mit
dem Viergejpann dar und ift antiker und mo:
derner Geift auch in diefen Arbeiten zu herr:
Urnold Bocklin.
licher Wirkung verbunden, die freilich nicht fofort
auf den eriten Blid in die Augen fpringt. Die
übrigen, damals in der Vaterjtadt entftandenen
Arbeiten befunden einen Hang zum Unflaren
und Traumhaften, der Künftler fcheint fich der
unliebfamen Wirklichkeit gegenüber troßig in das
Reich der Phantafie geflüchtet zu haben, das
ihm jederzeit willig ihre Pforten erſchloß, eine
Einfeitigfeit, der fich fein ſchöpferiſches Können
ungeichädigt hinzugeben vermag.
Noch einmal im Jahre 1871 wandte er fi
nad) München, wo fein Selbjtporträt, der „Gen:
taurenfampf“, „Ceres und Bachus“ und andere
entjtanden. Seit einer Neihe von Jahren in
Florenz weilend, ſchien er dort endlich eine
bleibende Stätte gefunden zu haben, allein die
Sehnfucht nah der Heimat reifte den Ent:
ſchluß, fih in Zürich niederzulaffen. Seine
Schöpfungen find heute wie ftet3 völlig un:
gleichwertig, aber feine ſchöpferiſche Kraft jtrömt
fo voll und reich, wie in den Tagen feiner Ju—
gend. Namentlih, was das Kolorit anlangt, ift
ein eigentümliches Schwanfen bei ihm wahrzu—
nehmen. Oft find feine Farben von einer Glanz:
und Leuchtkraft, als feien fie von einem inneren
Feuer erhellt, oft aber von einer Härte und
Trodenheit, die abjtoßend wirkt. Nach wie vor
ftrebt der Künftler unermüdet nad) technifcher
Vervolltommnung, nad) wie vor fchlägt er ſich
mit ftet3 neuen Problemen herum, die ihn zu
abjonderlihen Erperimenten verführen. Aber
jelbft unter der mandmal abjtogenden Hülle
tritt fein geniales Können dem fchärferen Blid
fiegreich zu Tage.
Der Künftler wird nie im eigentlihen Sinne
populär werden, denn einerfeitö ift die poetifche
Idee, die er faſt allen feinen Schöpfungen zu
Grunde legt, eher ein Hindernis als eine För—
derung für allgemeine Würdigung, da die Menge
von einem Gemälde vor allem Farbenpradt,
möglichite Naturtreue und finnlichen Neiz ver:
langt, anderfeits aber iſt es die fehlende Lo—
falfarbe, die ihm die Wirkung erſchwert. Er
gehört zu jenen Künftlern, die ftets und überall
das allgemein Menschliche betonen und darüber
das Bejondere oder Zufällige vernachläſſigen.
Sind dergleichen Erfheinungen aber wahrhaft
ſchöpferiſche Jndividualitäten, fo find fie berufen,
auch außerhalb ihrer Zeit, in der fie von den
Wirkungen äußerlich glängender Erſcheinungen
überholt werden, ihren Zauber noch auf kom—
mende Geſchlechter fort und fort auszuüben.
Auguft Beder.
381
Sleonore.
Roman von Auguſt Beker.
(Fortjegung.)
un ja,“ fuhr Jenny fort,
„laſſen Sie mid) einmal wei:
ter erzählen. Wie war es
doh?! Nichtig. An der Um:
hegung unter den Zuſchauern
ſtanden auch zwei Mädchen, die
— noch erhitzt und faſt atemlos, vom Spielplatz
kamen und nun auch ſehen wollten, was da
vorgehe, — die eine erſt zehnjährig, und nod)
Hein, die andere nur ein paar ‘jahre älter, aber
in die Höhe geſchoſſen und ſchon jtattlid wie
eine Große. Es war ein wildes Ding, ver:
fihere id Sie, dem fedjten Jungen gewadjen.
Um jo mehr fonnte man fich verwundern, daf
fie jest jo merkwürdig ftill und fittig daftand,
ala könne fie nicht drei zählen, und nur immer
nad) einem der Studenten fah, der mit Paſtors
Luiſe, der Tochter ihres Oheims, tanzte. Fragte
ih: ‚Nora, was gudjte?‘ jo ſchob fie mich mit
ihrer Schulter weg oder ftieß mir den Ellen:
bogen in die Seite, daf ich ſchweigen folle, oder
fagte auch nur: ‚laß mich in Ruhe, Käfer!‘ und
fah wieder hin. Es mußte wohl aud ihm auf:
gefallen fein, denn auf einmal fam er zu uns
her, madte fein Kompliment und fragte, ob fie
nicht mit ihm tanzen wolle. Sie hätte es wohl
gern gethan; fie holte tief Atem, und ich meinte
ſchon, es käme ein ‚Ach ja!‘ heraus.” — Und
„Jenny, die Erzählerin, feufjte ſelbſt hierbei fo
tief auf, daß Herbig nicht umhin fonnte, ein
furzes Lachen hören zu laſſen, während Eleonore
ebenfalls lächelnd das Geſicht abwandte. Sn:
des fuhr Jenny mit derfelben Anfchaulichkeit in
ihrem Bericht alfo fort: „Allein, alle Zujt half
ihr nichts und fie fagte nur, beflommen, wie ich
fte noch nie gefehen hatte: Ich darf noch nicht
tanzen!‘ — ‚Warum denn nicht, mein Fräulein?
— Ich bin noch nicht fonfirmiert.‘ — ‚Wie alt
find Sie denn, mein ſchönes Kind?* und dabei
legte er ihr die Hand unters Kinn. — ‚Drei:
zehn Jahre,“ brachte fie eben nod heraus. —
Ich hätte dic) für älter gehalten,‘ jagt er jeßt
und legt ihr die Hand auf den blonden Kopf
und fpridt: ‚du bift wie eine Blume!‘ Sie
fennen ja das ſchöne Lied. Das jagt er bis zum
Schluß ber, und fie zittert nur jo dabei. Und,
denken Sie, das große Mädchen ſchämte ſich
nicht zu weinen, fo oft ich jie daran erinnerte.“
„Bei Gott!“ rief hier Herbig. „Es fommt
mir jet wieder alles in lebhafte Erinnerung.
Sie ftand jo unbeweglich da, jah nur immer
fcheu und ſtolz unter den Brauen hervor zu
uns her, und ich hatte fie doc) furz zuvor noch
beim Paſtorhauſe in wilden Umbertollen ge:
fehen. Aber die Krafe war hübſch, ſehr hübſch.“
Die Krafe?! Betroffen ſah Jenny ihre
Nachbarin an; als fie diefelbe jedoch verjtedt
lachen fah, kicherte fie ſelbſt hell hinaus. Hier:
über drehte ſich Herbig furz nad beiden um.
Indem fein Auge auf Eleonorens Zügen weilte,
glaubte er fich darüber flar zu werden, woran
ihn ihre Erfcheinung ſchon erinnert hatte, ob:
wohl Jenny verficherte, es fei ein fremdes Mäd—
hen, eine Nichte des Paftors Wantrup geweſen,
die damald im Pfarrhaufe weilte. Man lieh
es um jo eher dabei bewenden, als man jet
Jennys Schweiter mit einer jungen Freundin,
die fich etwas fpät einftellte, den Pfad herauf:
fommen hörte.
„Iſt er nett?“ fragte ein Silberjtimmchen.
„Hm! Nett! das iſt zu wenig. Er ift vor:
nehm.“
„Darf man fi nicht in ihn verlieben ?“
„Nur zu,ic gebe dirdie Erlaubnis, Nöschen;
du wirft aber aud) hierbei zu fpät kommen.“
Man glaubte jet das Nümpfen eines Näs:
chens zu bemerken, und in der That tauchte ein
ſolches nebſt Grethen ganz nahe der Gruppe
auf, — ein ziemlich regelmäßiges, rofiges Ge:
fihtchen, das indes in Burpurlohe jtand, als es
die Heine Gejellihaft hinter der Hafelhede ent:
dedte.
—
382
„Ah du lieber Gott!“ rief das Mädchen
mit der Hand zum Herzen fahrend, hatte aber
doc) bald wieder alle Verwirrung überwunden
und plauberte, wie ihm das Schnäbelchen ge:
mwachjen war. „Denke dir nur, Jenny,“ rief
fie, dabei Herbig anjehend, „Borns Klärchen
kann's noch nicht verwinden, daß der junge
Löweke beim letzten Ball ihr fagte, fie fähe aus
wie eine Biertrinkerin.”
„Run, Fräulein,“ mifchte ſich Herbig ins
Geſpräch, da fie ihn fo fragend anfah, „würden
Sie ſich dadurch nicht verlegt fühlen ?“
„Bott nein! Man darf doch gern Bier
trinfen und danach ausfehen, — es ift ja ge:
fund.”
„Sa, gefund iſt's!“ beftätigte Herbig troden,
indem er fih an Eleonoren wandte. „Sie
fpradhen vorhin davon, gnädige Frau, es fei
eine Mißachtung ihrer felbjt, wenn die Novel:
liftif fo oft ihre Figuren aus den fogenannten
hohen Kreifen wähle. Iſt das wirklich Ihre
Ueberzeugung ?*
„Gib acht, Nöschen,“ ſagte inzwiſchen
Jenny zu dem jungen Mädchen, „das Thema
wird intereſſant.“
Aber dieſe fand es durchaus unintereſſant,
nahm zuerſt Gretchen und dann auch Jenny in
den Arm und tänzelte ſo über den Raſen hin
den anderen entgegen.
„Es iſt meine Ueberzeugung,“ verſetzte
Eleonore auf Herbigs Frage. „Müſſen es denn
immer Prinzeſſen, Grafen, mindeſtens Barone
fein? Das find meiſtens gar unintereſſante
Menſchen, nehmen e3 aber nachgerade als jelbit:
verftändlih Hin. Und wie danken fie e8 der
Litteratur! Aber, mein Herr,“ lenkte fie plöß-
lih ab, „Sie follten fi) doch nunmehr um die
jungen Damen fümmern. Das hier war ein
gar friiches, rofiges Weſen!“
„Rofenblühfame Wängelein find feit Fiſch—
art mein Geihmad nicht mehr,“ verjeßte er
troden. „Nicht etwa, daß ich der Jugend ab:
hold wäre. ch liebe es, wo fie noch halb in
den Kinderſchuhen ftedt, den Glauben an das
Chriftfind und den Oſterhas hegt, furz noch im
Paradiefe weilt, nicht aber, wenn fie mit dem
Beſen der Civilifation herausgefehrt ift und mit
offenem Munde vor der Erkenntnis ſteht.“
„Aber jo verlegen Sie die artigen Kinder
doc nicht mit Ihren Sarkasmen.“
„IH? Nein, gnädige Frau. Das hieße
Bomben nad) Schwalbenneftern werfen.“
Auguſt Beder,
„Sie follten aber freundlicher gegen fie fein, *
wiederholte Eleonore etwas fcharf und unmutig,
vielleicht nur, weil fie fühlte, daß fie jelbit es
ala eine Genugthuung empfand, wenn er nicht
nad) der blühenden Jugend fah. „Sie find un-
galant.“
„Und Sie, meine Verehrte, ein Zankeiſen,
wie ic) ſehe,“ ermwiderte er in einem Tone, daß
es wieder ihre unmillfürliche Heiterfeit erregte.
„Ich foll wohl die Püppchen noch anregend, be:
zaubernd finden. Wirklich? Gerade fo gut fönnen
Sie verlangen, daß ich Runkelrüben befinge oder
Beterfilie andichte. Es gibt in diefen fchönen
Tagen doc) anderes zu träumen! Wie die Sonne
durh die Wolfen bligt, die Sommerfäden
wehen! Wie es flimmert, wie es fummt! die
Luft jo ambroſiſch, die Welt fo farbig! Und ‚diefe
Färbung ift was fie vorgibt!‘ .. Ach diefe ſon—
nigen Herbittage! Nun ift gefommen meine
goldene Zeit . . . Und meine Liebe?
‚Sie fitt in Thymiane,
Sie figt in lauter Duft.‘
Sagen Sie mir doch, gnädige Frau,“ unter:
brad er ſich ſelbſt, — „dieſes eigentümliche
nelkenduftige Roſenaroma, das Sie wie ein
ſüßes Geheimnis umweht — iſt es bloß eine
Sinnestäuſchung ſeit ich gelegentlich eine Roſe
in der Hauptſtadt pflückte, bie ebenſo gewürz—
haft duftete? Aber, ich ſehe,“ fügte er hinzu,
ohne ihre Antwort abzuwarten, als er eine
merkbare Unruhe und Verwirrung in Ihrem
Weſen wahrnahm, — „Sie wollen das Ge:
heimnis Ihres Balſams nicht verraten willen;
das Myſterium diefes Weihrauchs bleibe Ihnen
aljo. Und nun, da wir fo verftohlen beifammen
figen, foll ich Ihnen nit sub rosa meine An-
gebetete ſchildern?“
„Ich fehe, daß Sie Luft dazu haben,“ vers
fette fie, fich zufammen nehmend. „Beginnen
Sie, aber machen Sie es furz.“
„Im Lapidarftil. Sie ift groß, ftattlich,
ihön von Geftalt und Antlig, in aller Hold»
feligfeit ernft, ſcheu, und ftolz wie eine Göttin.
Oder glauben Sie mir etwa nicht ?”
„Ih will an alle diefe Wunder glauben,
Doktor, bin aber entichloflen, nicht mehr zu
thun.“
„Wenn ſie lacht,“ fuhr er fort, „hat ſie ein
reizendes kleines, zartes, weiches Doppelkinn,
gerade wie Sie, dazu in der Wange ein Grüb—
chen und daneben ſo ein kleines, nettes, liebes,
holdes, ſamtweiches Fleckchen, fo ein ſüßes, be—
Demaskierf. Bon X. Keller.
384
rüdendes, zaubervofles winziges Mal, genau
wie das Ihrige. Kurz, fie ijt ein begehrens-
wertes, blühendes Weib. Aber, — aber fie hat
einen großen Fehler.“
„Und welchen ?*
„Ihr Herz ift kalt.“
„Das ift vielleicht das bejte an ihr,” ſagte
Eleonore troden. „Sie haben fih wohl von
deſſen Temperatur ſchon überzeugt?“
„Stebenundzwanzig unter Null. ch weiß
es gewiß. Denn es iſt das Ihrige.“ —
„Mit diefer genauen Kenntnis des Wärme:
grads,“ begann Eleonore nad einer fleinen
Pauſe, die auf Herbigs Erflärung eingetreten
war, „müßten Sie vermeiden, überhaupt davon
zu ſprechen und ſich in galanten Redensarten
zu gefallen. Bedenken Sie, und vergeflen Sie
nicht, daß ich eine verheiratete rau bin.“
„Darf ich deshalb nicht wünſchen, daß Sie
es nicht wären?”
„Es iſt nicht gut, mich das hören zu laſſen.“
„An fich ift nichts weder qut noch böſe;
das Denken macht es erjt dazu.”
„Sie entwideln jhöne Grundſätze!“
„sh eigne mir fie nur an; Hamlet jpricht
es aus.”
„Doch nur, wo er für verrüdt gelten will.”
„Kinder und Narren jagen die Wahrheit,
und da er Narrheit fimuliert, fühlt er fich ge:
nötigt, Wahrheit zu äußern,“ bemerkte Herbig.
„Ahnungsvoll Inapp fpricht er modernite Welt:
anſchauung aus, Die fennt bloß mehr oder
minder rüjtige und glüdlihe Kämpfer ums Da-
fein. Der Poet allein weiß nod von Gemifjen, |
Eduld und Sühne. Jedes Straudeln und
Fehlen, das im Leben felbjt wenig bedeutet,
wiegt ſchwer in der Dichtung. Sie übt uner:
bittlih Gerechtigkeit, läßt nichts ungefühnt.
Kein Wunder, daß fie einem Zeitgefjhmad nicht
mehr entipricht,, auf den nur noch Gewalt und
Lift wirken, der nur die Macht und den Mam:
mon achtet und nach Opportunität richtet.“
Eleonore ſah gerade vor fih hin und hatte
nichts darauf zu entgegnen. Ein welfes rotes
Blatt war von einem der nahen Bäume her:
geweht und blieb in ihrem Schoße liegen. Sie
merkte es nicht, aber er. Es übte eine unmwider:
ftehliche, beitridende Anziehungskraft auf ihn
aus. Gern hätte er fi in feinen Befit geſetzt,
ohne es zu wagen. Indes pflüdte er die be-
iheidene Pflanzenblüte zu feiner Seite und
reichte fie ihr jchweigend dar. Gern nahn fie
J
Auguſt Beder,
die ſchlichte gelbe Blume an, während er ſelbſt
das welke Blatt aus ihrem Schoße nahm, als
ſie es eben erſt bemerkte.
Raſch erhob ſie ſich hierüber von dem Boden.
Jene dunkle Wolke war wieder einmal über ihre
Züge geflogen und lag gewitterhaft um ihre
Augen, auf ihrer Stirne. Auch er war vom
Boden aufgeſprungen.
„Verzeihung, gnädige Frau, einem Unſin—
nigen,“ bat er.
Sie kehrte für eine Weile ihr Geſicht ab.
Als fie es wieder herwendete, war es toten:
blaß. Seine abbittende Haltung bemerfend,
winkte fie jedoch mit einer fprechenden Gebärbe ab.
„Nichts mehr davon. Indes, Herr Doltor
Herbig,“ fuhr fie mit äußerer Yaflung und
Sammlung gelafien fort, „Ihre Gabe — es
ift eine Immortelle — nehme ich als Erinne:
rung an diejes unfer letztes Zufammenjein. ”
„Wie jo!“ rief er erfchroden aus. „Sie
reifen doch nicht morgen ſchon?“
„Vielleicht, vielleicht auch nit — einerlei.
Sie dürfen nicht mehr fommen.“
„Nicht? Wer will es mir wehren?”
„Meine Bitte, mein Wunſch. Wenn Sie
wollen, mein Befehl. it der Ihnen nichts?“
„Für diefen Fall — nicht. Jennys Vater
hat es mir ans Herz gelegt, mich Ihnen zu
widmen, gnädige Frau.“
„Ob ich diefer Widmung bedarf, ob id) fie
annehmen will, darüber habe doch wohl ich zu
bejtimmen. Sie werden nicht mehr fommen,
Herr Doktor!“ fette fie janft hinzu.
„Ich werde mich nicht abhalten laſſen,“
verſicherte er ruhig.
„Muß ich etwa,” fragte fie mit einem ver:
ſteckten Lächeln, „die Eingänge durch handfejte
Dienftmänner bejegen lafjen ?”
„sh werde fie beftechen; und zuleßt, meine
Verehrte, wenn auch das nicht Hilft, greift man
zur Argumentation des heiligen Eyrillus. Nur
noch wenige Tage find mir diesjeitö der Alpen
gegönnt, der Herbjt jo wunderbar. Wie der
Wald brennt in bunter Glut! est kommt
meine goldene Zeit oder fie ift vielmehr da.
Und wenn mich der Weg in all diejer Pracht da=
herführt, foll ich feinen Blick hereinwerfen,
nicht vor Ihr Antlig treten dürfen, dejien Anz
blick mir mehr ift, als alles das!“
„Sagen Sie mir doc beiläufig,” fiel fie
hier ein, „welches war die Argumentation des
heiligen Cyrillus?“
Eleonore.
„Waren Sie ſchon in Nom, gnädige Frau?“
„Borigen Winter.“
„Dann fennen Sie auch die vatikaniſche
Bibliothek und haben ſich die Fresfogemälde
dort angeſehen?“
„Allerdings, wenn auch ohne bejonderes
Intereſſe.“
„So mag Ihnen, meine Ungnädige, das
Bild entgangen ſein, wie der heilige Cyrillus
einen Philoſophen widerlegt. Er hat ihn näm—
lich bereits niedergeſtreckt und fährt fort, mit
ſeinem ſchweren Biſchofsſtab auf ihn hineinzu—
ſchlagen.“
„Und zu dieſen Beweisgründen zu greifen
wären Sie ſelbſt fähig?“ ſagte ſie und lachte
|
!
wieder in ihrer holdfeligen Weife, die ftetö be: |
mit dankbarem Blick ſich verabſchiedend, ſprach
rückend, ſinnverwirrend auf ihn zu wirken pflegte.
„Nein, dem wollen wir niemand ausſetzen.
Allein, es iſt mein feſter Wille und Entſchluß,
dieſe Begegnung unſere letzte ſein zu laſſen,“
fuhr ſie fort, indem ſie wieder in den Ernſt zu—
rückfiel. Ja, ihre Stimme verriet eine tiefe
innere Bewegung, und ihre Hand zitterte, als
ſie, dieſelbe ihm reichend, hinzufügte: „Es muß
ſein, lieber Doktor. Fügen Sie ſich in das Un—
abänderliche und — leben Sie wohl!“
Nur für einen Augenblick überließ ſie ihm
die Hand, die er innig an ſeine Lippen drückte;
dann entzog ſie ihm dieſelbe, wandte ſich merk—
lich erſchüttert ab und raſch den Raſenhang
hinunter, während Herbig beſtürzt und mit
ſchmerzlichem Blick ihr nachſah.
Und ſo ſollte er mit einemmal aus ſein,
der ſchöne beglückende Traum! Faſſungslos
ſtand er und ſah immer noch nach der Stelle,
wo ſie hinter dem das Haus umgebenden Ge—
büſch verſchwunden war.
Ihm war es weh ums Herz, während fröh—
liches Gelächter von der Höhe des Berggartens
erſcholl und die ausgelafienen Mädchen über die
fteilften Böſchungen des Nafenhangs Tiefen.
Herbig wandte jih um und ſah Jenny allein den
Pfad herunterfommen. Sie nahm mur mäßigen
Anteil an der tollen Luſt der anderen und langte
bei jeder etwas lebhafteren Bewegung bejorgt
385
er betrübt. „Die gnädige Frau hat mir das
MWiederfommen verboten.“
Jenny machte hierüber zuerft große Augen.
Dann aber brach eine jchalfhaft heitere Miene
über fein gedrücktes Ausfehen und die Nieder:
geichlagenheit durch, die zu Herbigs Erfcheinung
und fonftigem Wejen wenig pafjen wollte,
„Seien Sie getroft, Herr Doktor,“ fagte
fie. „Es wird wohl nicht fo fchlimm gemeint
' fein. Hat fie Ihnen das Wiederfommen ver:
boten, jo dod) nicht das Miederfehen. Morgen
abend um fünf Uhr wandern wir zur Burg:
reftauration hinauf. Es ift jedermann erlaubt,
fih von oben den Sonnenuntergang und den
Mondaufgang anzufehen. Dder nicht?“
„Gewiß, liebes Fräulein!“ entgegnete er,
noch eine Weile mit Gretchen, empfahl ſich allen
hübſchen Kindern im Garten und machte hierauf
einen Spaziergang in die Wälder.
Erjt bei Mondſchein fehrte er von da wie:
der zurüd und ummandelte, bevor er fic voll:
ends in die Stadt begab, nochmals die Umzäu—
nung des weiten Berggartens, in weldem er
beraufcht in ein freudejtrahlendes Augenpaar ge:
ichaut hatte, bis es fich ihm fummervoll verſchloß.
Um diejelbe Zeit, wo dies Nugenpaar von
einem Fenſter des Haufes aus nad) dem magi:
ſchen Glanze gerichtet war, den der Mond zwi:
schen verfilberten Wolkenſäumen hindurch über
die Baumgruppe des Hügels beim Pavillon
oben ergo, jtieß Herbig auf dem jchmalen, den
Zaun entlang laufenden Pfad auf einen Men:
chen, welcher ihm geflifjentlich den Weg vertrat.
Er bat ihn, etwas beifeite zu treten, damit er
vorüber fünne. Denn auf der einen Seite be-
fand fi der Zaun, auf der anderen eine hohe,
fteil nach dem Fahrweg abfallende Böſchung.
„Bitte recht jehr, mein Herr,“ verjegte je:
doch gereizt der Gegner, „recht jehr — Sie
‚ werden mir Rede ftehen, warum Sie, ein völlig
nad) ihrem Zopfe, den fie nicht wieder verlieren |
wollte.
jet kam fie dem jungen Gelehrten ent:
gegen. ihre Augen fuchten nad Eleonoren,
und betroffen über den Ausdrud jeiner Züge
fragte fie, was denn geichehen ſei.
„sch bin verbannt, Fräulein Jenny,“ ſprach
Fremder, fih da herumtreiben, umherſtreichen
und fich jogar einfchleichen, wo Freunden der
' Familie der Eintritt verfagt bleibt. Was hatten
Sie heute im Garten zu thun?“
„Das geht Sie nichts an,“ verjeßte Herbig
ruhig.
„Ich, mein Herr,“ fuhr der andere mit Ver:
venfungen des Oberförpers fort, die wohl jeinem
| Auftreten den gehörigen Nahdrud verleihen
ſollten, „ich habe redlihe Abfichten auf Fräu—
lein Jenny. Ei ja!”
386
„Das geht mich nichts an. Haben Sie mir
etwas Befonderes mitzuteilen — Sie willen
meinen Namen und wo ich zu finden bin. —
Und nun beifeite, Herr Doktor Floh oder Binfe,
ſonſt — fnide ih Sie.”
Mit diefen Worten und einem Nud des
Armes, da der andere nicht gewillt war, den
Weg freizugeben, ftreifte ihn Herbig über den
Nand des Wegrains, daß er fich zweimal über:
ſchlug, bis er unten anfam.
„Wenn Sie fid etwas gebrochen haben foll:
ten,“ rief ihm Herbig nach, „jo biete ich Ihnen
meinen Beiftand an.”
Allein, der Unterlegene ftand bereits auf
ben Beinen, hob einen Stein auf, den er jedoch
wieber fallen ließ, indem er mit der leeren Fauft
heraufdrohte.
„Realinjurie! Wir treffen uns vor dem
Richter. *
„Gut denn, auf freundliches Wiederſehen!“
fagte Herbig und ging feines Wegs.
5.
Nieder einen Tag in Zumarten verleben,
den vollen lieben langen Tag bis abends! Her:
big befand fich nicht in befter Zaune. Und wenn
er fie dann wirklich traf an öffentlihem Drt
unter fo und fo viel neugierigen Augen, ver:
lohnte es fich faum, war es ihm mehr zur Dual
als ein Genuß. Dafiten, mitplaudern in nichts:
fagender Weife von nichtöfagenden Dingen und
das geliebte ftolze Weib nur ftumm anſchmäch—
teln wie ein Tiebefiecher Knabe — nein! Er
fonnte fih in diefe Vorftellung wenig finden.
Er fühlte, daß fein Lebensglüd in der That
von diefer Frau abhing. Seine Leidenschaft
war eine fo tiefe alö ernjte. Er mußte ihr das
jagen, fie davon überzeugen fönnen, daß feine
Liebe fühn genug beflügelt fei, um ſich über alle
hemmenden Schranken hinauszufchwingen, ftarf
genug, alle Hinderniffe hinwegzuräumen, heiß
genug, die Siegel zu löfen, durch welche fie
an einen anderen gebunden, und das Eis zu
ichmelzen, in welches fie ihr Herz zu legen be-
flifien war.
Die Teilnahme, welde er ihr einflößte,
fonnte ihm nicht verborgen bleiben. a, wenn
er einer bejtimmten Vorausſetzung nachhängen
durfte, hatte Schon das junge Mädchen ihm,
dem Unbelannten, die erften Empfindungen auf:
|
Auguſt Beier.
feimender Neigung gewidmet. Und was war
ihre jegige Zurüdhaltung anders als Angft,
Furcht vor dem Hervorbruch heimlich gehegter
Gefühle, till genährter Flammen! Die Ein:
fchläferung ihres Herzens war nicht fo jtarf,
daß es nicht, durch einen Hauch angefacht, unver:
jehens auflodern fonnte zu einer Zohe, die Bande
und Fefieln zu Aſche verzehrte — im Nu.
Der wohlgenährte, glattrafierte, rotwangige
Glatzkopf vom Oſtſeeſtrand — ihn hielt er,
ahnungslos und vom wirflihen Sadverhalt
weit entfernt, nad) allem, was er gejehen und
gehört, für den Gemahl Eleonorens — pah!
Diefe feifte und gehäbige Figur durfte wohl eine
Meile zwifchen einer Trüffelpaftete und einer
Flaſche Cliquot über den Verluft des fchönen
Meibes jammern. Bald aß und tranf ſich
derjelbe Troft wie Fett an und blieb fo fugel:
rund und fatt, als einer diefer biederen Che:
helden, die fich auf das Dukatenſcheffel ftellen,
um der jungen frau den Morgenkuß zu geben.
In diefer Hinfiht regte fih Herbigs Gewiſſen
nicht.
Ob aber Eleonorens Liebe ftarf genug war,
das weiche Samtpoliter des Reichtums auf:
zugeben und ſich ein wenig härter und unbe:
quemer zu beiten! Das Glück, mweldes der
Mammon bietet, ift ein ausgezeichneter Balſam
für fleine Herzenswunden junger Frauen; die
vernarben fchnell unter der Wunderfur, die der
Reichtum gewährt, und es ift eine fühe Tändelei,
fie manchmal zu betaften und zu befühlen, wenn
man feine anderen Sorgen hat. Und was fonnte
er ihr hiergegen bieten, der Gelehrte ohne Pro:
feffur? Wenig mehr als ein fehr befcheidenes
Auskommen für ein genügjames Baar; aljo
feinen durchaus zureihenden Erſatz, das ver:
hehlte er fih nicht. Er ftellte fich jelbit fehr
lebhaft die Frage, ob feine Selbitjucht rückſichts—
los die ftolze Pflanze dem wohlgepflegten Parke
entreigen dürfe, um fie auf das Fenſterbrett
feiner Studierſtube zu ſtellen; ob er fich ſelbſt
die eingefchlagene Lebensbahn mit fo weittragen:
den, alle Verhältnifje erfchütternden Entwürfen
verlegen dürfe, die feinem Schidfal notwendig
eine andere und vielleicht verhängnisvolle Wen:
dung geben mußten; und ob er nicht dennod)
beſſer that, Eleonorens überlegten und mwohler:
wogenen Nat zu befolgen, ihre Ruhe nicht weiter
zu ftören, fein Wiederjehen mehr herbeizuführen
und noch heute die Meiterreife anzutreten, um
in neuer Beichäftigung und frifchen Eindrüden
Eleonore,
der Lebenserſcheinungen feine Leidenſchaft ſich
abdämpfen und verkühlen zu laſſen.
Doch hat es der Leidenſchaft nie an Luſt
und Mitteln gefehlt, alle Erwägungen des Ver:
ftandes, alle Bedenken des fittlihen Bewußt—
feins, alle Negungen des Gewiſſens zu beſchwich—
tigen und zurüdzubrängen.
Herbig folgte ſchon vor der bejtimmten
Stunde den Wandelitegen des ſchönen Gehölzes
am Nordhang des Mäbdelfteins, um die nad) der
Burg führenden Pfade im Auge zu behalten.
Als er wieder langjam zu dem reizenden Durd):
bli bei den Edeltannen zurüdfehrte und in den
Buchengang einbog, der als glatter Wandelpfad
unter buntem, bereit3 etwas gelichtetem Laub—
gewölbe eben an der Halde hinzog, fam eine
einzelne Dame des Pfads, in der er jofort die
erfannte, melde er jo angelegentlih fuchte.
Alles Blut ſchoß ihm aus dem Herzen ins Ge:
ſicht und floß wieder zurüd. Sm erften Moment
der Verwirrung zog er ſich etwas zurüd, was
bei den dort ſich kreuzenden Wegen nicht ſchwer
auszuführen war.
„jet trat fie mit dem ihr eigenen reizenden
Gange und der anmutsvoll ftattlichen Haltung
aus der Buchenwölbung heraus, Er fonnte be:
merken, daß fie die von ihm gepflüdten Jmmor:
tellen am Bufen trug, und ein füher Schauer
riefelte ihm durch das Gemüt. Eben als fie die
Edeltannen erreichte und er fich ihr zugejellen
wollte, wurde fie von einem nad) dürrem Neifig:
holz juchenden alten Weibe um ein Almofen
angeſprochen.
Die Börſe ziehend gab Eleonore der Wald—
hexe eine Kleinigkeit, und auch Herbig folgte,
indem er herbeieilte, ihrem Beiſpiel. So hatte
die Begegnung den Anſchein der Zufälligkeit
und man war der Verlegenheit enthoben, ein
ſo unvermutetes Zuſammentreffen zu begrün—
den, zu rechtfertigen oder zu entſchuldigen.
Eleonore war behufs eines Spaziergangs
auf die Burghöhe einſtweilen vorausgegangen,
die Echweitern wollten erjt nachkommen. Indes
blieb die Alte noch immer an der Stelle, die
Hand zudringlich Hinhaltend. Während Herbig,
ärgerlid) über die Störerin, weiter drängte und
auf den Pfad rechts eingelenft war, glaubte
Eleonore, daß einige Feine Münzen ihrer Börſe
entfallen ſeien, die fie noch immer offen in der
Hand hielt.
Sie begann auch fofort nad) denfelben
eifrig zu ſuchen. Eine Weile fah er ihr zu,
387
die Schöne Geftalt mit den Augen verſchlin—
gend, die auch bei gebüdter Haltung fo viel
berüdenden Reiz auf ihn ausübte. Dann half
er ihr fo eifrig mitfuchen, daß fie ihn bitten
mußte, fich nicht weiter zu bemühen, während fie
jelbjt von ihm beobachtet ihre Nachforſchungen
fortjeßte. Endlich hob fie frohlodend ein Kleines
Geldſtück, das halb unter einem Waldkirſchen—
blatt verftedt lag, vom Boden auf.
„Ufo gefunden, “ ftimmte er mit ein. „Neh—
men wir es als glüdliches Omen.“
„Wofür?” fagte fie, die Heine Münze mit
fihtlicher Genugthuung in die Börfe legend.
„Für einen genußvollen Abend, Wieviel
hatten Sie denn verloren?”
„Diefen Grofchen und vielleicht noch zwei
Pfennigftüde.“ Und dabei fah fie fih im Wei:
terichreiten nochmals um, fing fogar wieder zu
juchen an, gab es jebod) fofort auf, als er aber:
mals eifrig dabei half.
„Mit welchen mißtrauishen Mugen Sie mich
anſehen!“ fprah er im Weitergehen. „Ich
alaube, Sie find ein Eleiner Geizkragen, gnädige
Frau.“
Sie lachte in ihrer holden Weiſe vor fi
hin und meinte, daß fie ſich allerdings aud) über
Heine Verluſte betrüben könne. Uebrigens habe
fie ſchon eine ganz hübſche Sammlung liebens:
würdiger Beinamen aus feinem Munde: Geiz:
fragen, Zankeiſen, Eis: oder Steinherz und
weitere mehr. Sie fei ihm ſehr verbunden, daß
er jo viel treffliche Eigenſchaften an ihr entdede.
Kurz, man befand fih in der Yaune glüd:
licher Unbefangenheit, als man an die Bergede
gelangte, wo die Romantik beginnt, wie Eleonore
meinte, und ber jchroffe Fels, um den der Pfad
fich in die Fichten windet, ſcharf und ruinenhaft
vorfpringt. Die tiefjtehende Sonne drang hier
warm und in braungoldenen Tinten herein, und
Herbig ſchlug vor, den bevorſtehenden Sonnen:
untergang von oben anzufehen. Man dürfe
ohnehin den Beſuch des Mäbeliteins und
feines Naturſpiels „Mönd und Nonne“ nicht
verfäumen. Auf fhmalem Waldfteg gelangte
man auch noch auf den Berggipfel, der in fait
aleiher Höhe mit der benachbarten Wartburg
einige Spuren alter Befeftigung aufweist und
über die Baumgruppen hin das anmutigite
Belvedere abaibt.
„Die Sonne fintt und Luna fteigt empor!‘
So oft es ſich wiederholt,“ bemerkte Herbig,
indem er feinen Blick von Wejten nah Diten
388
ſchweifen ließ, „es bleibt die ſchönſte Natur:
Augujt Beder,
„Die gebildete Jugend, im Nivellierungs:
eriheinung, und Lord Byron hat recht, ihrer | drang unferer Zeit, hat ihnen die Feljenköpfe
gleihfam nur zu erwähnen, fie in eine einzige
Jambenzeile zu faſſen. Er hätte fich jelbjt dem
auffteigenden Mond vergleichen können zur Zeit,
da Goethe alterte. Können Sie fi denken,
welche jtolze Genugthuung die Anerkennung
durd) unjeren Goethe dem durch die britifche Bru:
talität verwundbeten Gemüt des Lords verichaffte?
Bedenken Sie, daß er einmal zu Kapitän Med:
wyn äußerte, er gebe eine Welt darum, den Fauſt
im Original lefen zu fönnen.”
„Ich habe des Kapitäns Unterredungen mit
Byron durhblättert,* fagte Eleonore, „und es |
war mir merfwürdig, da beiden die Stelle des |
Fauſt zu Schaffen machte, mo vonder im Sphären:
flang tönenden untergehenden Sonne die Nede
iſt: ‚Und ihre vorgefchriebne Reife vollendet fie |
mit Donnergang.‘ Sit das Bild nicht etwa zu |
fühn, wenn man an ein Abendgemwitter nicht |
ſtand das Paar auf einer freien, felfigen, ma-
denfen will?”
„Es entipricht uralter Anſchauung,“ erwi:
derte Herbig, das verflärte Antlit aleich ihr in |
den goldenen Glanz gerichtet. „Mit Sonnen:
auf: und Untergang verbindet fi, wie die Alten
meinten, ein erfchütternder Klang. Und Tacitus
in feiner Germania gedenkt in diefem Sinne der
Mitternachtfonne im hohen Norden — man
höre den Sonnengott herauffahren und fehe fein
Strahlenhaupt; als ob der Römer vom Nord:
licht Kunde habe. Auch Strabo erwähnt aus
älteren Schriftjtellern das Naufchen derim Ocean
untergehenden Sonne. Hörten Sie nichts, gnä-
dige Frau?“
„Nur fernes Wagenraffeln und einen dum:
heruntergeworfen,“ berichtete Herbig. „Nun
fann der arme Mönd mit Filchart fagen: ‚Was
hilft’3 nach dem Hütlein greifen, wo das Häupt-
lein mangelt.‘ Treten Sie näher, gnädige Frau,
fehen Sie fid) die Gruppe genauer an. Stüßen
Sie fih nur fed auf mid — es thut nichts.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit,
Herr Doktor, allein ich verzichte auf weiteren
Genuß diejer Felſenplaſtik,“ ſagte Eleonore,
von dem faft ungangbaren Stege nicht entzüdt.
Sie fehnte ſich nach gebahnten Pfaden, und beim
Abitieg ging es denn aud in der That nicht
ohne Stütze; einmal mußte jie fi geradezu heben
lafjen, was zwar ihren Begleiter nit, wohl
aber fie ſelbſt zu beläftigen fchien.
Sie mochte froh fein, alö man jich wieder
wohlbehalten unten auf dem Promenadeweg in
den Fichten befand. Aus deren Dunfel tretend
lerifch mit Legföhren bewachſenen Halde, vor
ihnen tiefer Waldgrund, jenfeits auf ſchroffer
Höhe die Wartburg — alles im herbſtlichen Glanz
und Duft: einer der ſchönſten und fejlelnditen
‚ Bunfte der reichen Zandjchaft. Unten im Wald-
und Rafengrund fang ein unfichtbarer Wanderer,
zu Thal fchreitend, ein Lied von Lieb’ und Leid
und Scheiden, während die beiden oben ftill an
pfen Knall aus den Steinbrüchen,“ erwiderte '
Eleonore, die Augen voll Abendfonnenglanz.
„Bon einer anderen Wirkung des Sonnen:
ſtrahls berichtet die Ortsſage,“ fuhr Herbig in:
des fort. „Kommen Sie, fommen Sie, gnädige
Frau, Sie follen mit eigenen Augen jehen.
Reichen Sie mir die Hand, der Pfad ift fhmal |
und felfig. Gerade hier hat ſich einft der Kloſter—
bruder mit der Kloſterſchweſter insgeheim ge: |
troffen. Beide fühten fich, als der erſte Sonnen:
jtrahl fie traf und —
verjteinert dorten: Mönch und Nonne, wie Sie
jehen.“
„Es hat mehr Aehnlichkeit mit einem Bären:
paar,” bemerkte Eleonore fühl, nach der ſelt-
ſamen Gruppe im Gebüfch blidend.
den bemoojten, von Farnfräutern überwucher:
ten Felsjpalten hinwandelten, auf einem bie
tiefte Kluft überfpringenden Brüdenfteg und
durch einen Hain von Fichten und Lärchen hinaus
zu der Stelle, wo ſich alle Wege unter der Burg
treffen und fcheiden.
Herbig zog feine Uhr, äufernd, daß die
Schweſtern nicht wohl jhon oben fein mögen,
da die Lichter der Reftauration noch nicht ange:
zündet feien. Statt des fteilen Anftiegs wähle
ı man befjer einen angenehmen Umweg, der all-
mählich hinaufführe. Auf feine Verfiherung,
fie verfteinerte. Denfen
Sie fih! Wie hart! Und fo ftehen fie noch heute |
daf die Pfade durch den Wald ungefährlich und
bequem jeien, folgte ihm Eleonore auch nad)
furzem Zaubern. Denn fie fühlte jet jo wenig
Neigung als er jelbit für größere Gefellichaft,
die ihr im Grunde nichts bot und wenig zufagte.
Sie ſchlugen einen trodenen Waldweg ein,
‚ der bei der Wendung der Burgitraße in der jeit-
herigen Richtung weiter über den nächſten Felſen—
budel in den Schoß des Waldes führte. Sie
ichritten langfam dahin, wenig darauf achtend,
daß die Abendichatten ſich tiefer auf die Falten
Eleonore.
des Gebirgs legten. Erſt als der Weg unter bie
Wölbung des Hochwalds führte, wodurd der dun:
felnde Abend plößlich zur Nacht ward, zauderte
Eleonore vor der hereinbredhenden Finſternis.
„Fürchten Sie nichts, gnädige Frau,” be-
Ihwichtigte er. „Haben Sie feine Angjt. Bin
nicht ich bei Ihnen? Und nun haben Sie die
Güte, mir Ihren Arm zu reihen, Eleonore.
Vertrauen Sie mir, ich geleite Sie ſicher. Nir:
gends joll Ihr Fuß jtraucheln.”
„Beller, Sie ließen mid) nod) jet zurück—
gehen,“ jagte fie bänglih, „oder wir wären jo:
fort hinangeftiegen,* fügte fie hinzu, wobei fie
jedoch feinen Arm nahm. „Die Nacht wird un:
heimlich hier.“
„Ach nein! Bald wird der Wald fid) lichten,
der Mond über die Höhe jteigen,“ tröjtete er.
„Sehen Site, ſchon verjilbert er die Baummipfel,
blaß zwar nod), bald jedoch heller. Doch hier die
Heine Pfütze — jo!“ Er hatte fie leicht hin:
übergehoben. „Es iſt wohl unfer letztes Bei:
fammenfein, gnädige Frau. Warum mollten
Sie mir dieſe furze Frift von Glüd nicht gön—
nen, che wir jcheiden ?“
Sie erwiderte nichts, ließ ſich jedoch völlig
von ihın leiten, wenn fie aud) jeder feiner Hilfe:
leiftungen auswich, wo der Weg fräftigeren
Beiſtand nicht forderte. Indes wurde die Finiter:
nis im Walde immer größer. Nur da und dort
funfelte es fo jeltfam und fielen jo unheimliche
Lichtitreifen herein, daß fie jich bänglicher ihm |
anfchmiegte. So ſchritt man dahin in beklomme—
nem Schweigen, bis ein leifes Rafcheln oder |
ein unerflärliher Yaut fie wieder erbeben
und fchredhaft auffeufzen machte, Allein fie
fühlte doc allmählich eine gewiſſe Sicherheit in
jeinem Schuß. In ihre Beflommenheit miſchten
jich andere wohlthuendere Gefühle, und aud) der
Schauer gewann phantaftiichen Neiz, wo fid)
zum Herzpochen das Vertrauen gejellte.
Eine Weile war alles till und regungslos
im Walde, nur ihre Pulſe fhlugen, nur ihre
eigenen Schritte hörten fie. Aber nun zudte die
ihöne rau wieder ängftlih und nahm feinen
Arm feiter, indem fie ſcheu ins Didicht fah.
„Sprad da jemand?” fragte fie mit ge:
dämpfter Stimme.
„Ach nein, anädige Frau, der Nachtwind
iptelt wohl in den Baummipfeln.“
„ber, horch!“ fagte fie wieder nad) einigen
Schritten und blieb einen Augenblid ftehen.
„Nas denn, Eleonore?” .
|
389
„Das anhaltende Geräuſch — bald leife,
bald ſtärker!“
„Ein Wagen fährt noch fern die Waldſtraße
entlang über das Gebirge; vom Wind getragen
ſchwillt fein Raſſeln bald an, bald verweht es.
Das ift alles, Eleonore,“
Und eine Weile lag wieder tiefe Nuhe im
Fort, und ſchweigend hing fte an feinem Arm.
Aber nicht lange und es durchſchauerte fie wie:
der. Und in einem Ton, als fürchte fie ſelbſt die
vorwaltende Stille zu ftören, fragte jie: „Was
regte fi) da? Was flüftert jo heimlich? Hören
Sie nicht?“
„Ein Zweig fiel in die dürre Laubdecke, und
hier rinnt die Duelle des Silbergrabens, Stützen
Sie fi auf mih, Eleonore. — So, wir find
hinüber. Nun geht es eben fort. Ningsum fo
traut, fo ftille nah und fern, und wir allein,
Eleonore.”
„Um Gott, wer lacht?“
„Sie hörten lachen, Eleonore? Hier lacht
niemand,“ tröftete er.
Aber vernehmlich wiederholte ſich ein jelt:
ſam unheimliher Ruf, ein heulendes, hohles
Gelächter, daß fie ſich Ängftliher an ihn an—
ichmiegte.
„Bejorgen Sie nichts, Eleonore. Der große
Maldfauz heult in den Klüften oben,” beſchwich—
tigte er. „Man hört den Nuf allabendlich im
Bergforit, meine Liebe. Das bedeutet weiter
nichts.“
„Aber — da kommt jemand!“ flüſterte fie.
„Niemand, Eleonore. Es it alles einfam,
ſtill.“
„sc hörte doch leiſe Tritte.“
„Ein Böglein rührte fi oder am Ende war
e3 eine Waldmaus. Seien Sie unbeforgt,
Eleonore.”
„Und dort — der bleihe Schimmer. Iſt's
Leuchtholz oder — ein Elfchen?“
„Der Mondichein fällt durd) die Wipfel auf
einen jungen Buchenſtamm — fonjt iſt's nichts.”
„Ich meine das unheimlich funkelnde Augen—
paar hier!“
„Ad, Eleonore, harmlofe Leuchtwürnichen
figen im Moos.”
„Wir haben doch nicht Johannisabend,“
fagte fie leife mit ihrer fanften einſchmeicheln—
den Stimme,
„Es find Weibchen oder auch nur Larven,
die leuchten immer,“ antwortete er ebenfalls im
ı Flüfterton. „Die Männchen allerdings ſchwär—
a
390
men nur in Mittfommernädhten gleich Elfen um:
her mit ihren Lämpchen. Wir glaubten jtets,
der milde grünlihe Schein fei ihre Hochzeits:
fadel. Dod nein! Die moderne Wifjenfchaft
weiß es bejjer. Sie tragen ihr Licht nicht zur
eigenen Freude, zum eigenen Schmude, zum Er:
adgen der Menſchen, ſondern — wie die alten
Weiber Heiner Städte ihre Laternen — zur Ab:
mahnung; nämlich damit fie nicht von Fleder-
mäufen und anderen Inſektenfreſſern unvor:
' ten. „Eine förmlide Paketpoſt aus Emigfeits:
jihtig weggejchnappt und verzehrt werden.“
„Wie fönnen Sie jet herzen!“
„Ich ſcherze nicht. Es iſt eine der neueften
wiſſenſchaftlichen Beobachtungen, daß die Leucht⸗
käfer mit ihrem Lichte andeuten wollen: Fleder—
maus friß mich nicht, ich rieche nach Knoblauch!“
„Ach, das erfinden Sie!“
„Keineswegs, Eleonore. Ich will Ihnen
morgen die Stelle in einer ernſthaft gemeinten
naturwiſſenſchaftlichen Arbeit zeigen. Leugnen
läßt ſich nicht, Johanniswürmchen haben jenen
Geruch, der Fledermäuſen nicht bekommen mag.
Aber laſſen wir das Gewürm am Boden und
ſehen Sie auf, meine Teure, da leuchten die
Sterne herein! Wir ſind am Ende des Hoch—
waldes.“
Eleonore atmete tief auf und blidte zum
Himmel. Denn in der That führte jet der Weg
aus dem Walde heraus und etwas anfteigend
auf eine freie Bergede. In der Mondnadt |
l
|
traten zwar die Sterne am Firmament nur
‚ Höhe in den nächtlichen Bergforft herein. Da:
' neben glühten die roten Lichter der Burgſchenke
ſeltſam in die lichtgrünen Lufttöne der Mond:
ſchwach hervor, doc waren fie zu ihrem Trofte
immerhin da.
„Ach,“ ſagte Eleonore, „wie freundlich mu:
tet ihr Licht uns an und dennoh — wie fern
find fie — andere Welten, ohne Beziehung
zu ung.”
„Voller Beziehungen,“ behauptete Herbig
‚ Sie von den Meteoren jagen, Eleonore ?“
ſich Shon genug? Wir meffen ihre Ferne, ihre |
Bahn, ihren Raum, ja, wir unterſcheiden ihre |
fanft. „Wir fehen fie doch. Wäre das nit an
Beitandteile durch die Speftralanalyje, und fo
find Beziehungen und Verbindungen mit ihnen
Auguſt Beder.
hierüber verjtändigen zu fönnen, iſt nod) nicht
gelegt.“
„sa! Eine Weltpoft in dieſem Sinne fehlt, *
bemerkte fie lächelnd, indem fie wieder die Augen
zum Firmament aufidhlug, als eben eine Stern:
ſchnuppe hinterm Waldgebirge niederzog.
Auch Herbig hatte das Phänomen bemerkt.
„Und find Meteorite nichts, Eleonore?“
fragte er, gemeinfam mit ihr der Erſcheinung nach-
blidend, während fie den Waldweg hinanſchrit—
fernen. Wenn folde Splitter einer zertrümmer—
ten Welt, ſolche Bruchftüde überirdiicher Materie
zu uns gelangen, Eleonore, wer will dem ahnen:
den Menjchengeift den Glauben verargen, daß
ihm der Weg hinüber in eine andere, beijere
Welt nicht allzeit verfchlofien bleibe! Da irgend:
wo eine Melt voll Harmonie da fei, wo die
Nätjel des Erbenlebens ſich löfen, Herzen voll
Liebe, die hier getrennt, fi) zufammenfinden!“
„Es iſt ein Glaube voll Trojt, den man der
Menschheit laſſen follte,“ bemerkte Eleonore, „da
niemand den Beweis zu liefern vermag, daf es
ein falfcher ift. Was die Meteore betrifft... Um
Gott”, fuhr fie auf, da fie einen Blid feitwärts
warf, „da ſcheint uns ja die Wartburg im Rüden
zu jtehen, und wir gehen noch immer in entgegen
geſetzter Richtung !*
Inder That ſah die Burg — ein ganz anderes,
romantisches Bild, ihre Türme und Finnen
vom Monde angejtrahlt — phantaftifch von ihrer
nacht über dem Gebirge.
„Keine Sorge, Eleonore, * beruhigte Herbig ;
„bereits hat der Weg ſich gewendet und wird
oben völlig umkehren, meine Liebe. Was wollten
„Man möchte vermuten, die heiligen Steine
vieler Völfer, auch der Kiefel, in welchem ur:
ſprünglich Jupiter von den Nömern verehrt
hergeftellt, die uns oft mit dem Nächitliegenden |
fehlen.“
„Glauben Sie,“ fragte Eleonore, die feinen
Verſuch mehr machte, feinen Arm zu laffen, und
fi) vertrauensvoll von ihm bergan führen lieh,
„meinen Sie, daß man droben wohl ebenfo:
viel von unferer Erde weiß?“
„Bielleicht noch mehr, vielleicht nichts, mein
Kind!” antwortete er. „Ein Telephon, um fich
worden iſt, feien folche im Lichtglanz vom Himmel
gefahrene Meteore.”
„Das leuchtet mir ſehr ein!“ erwiderte
Herbig und fah fte innig mit funfelnden Augen
an. „Indes, Cleonore, wird es uns faum be:
ſchieden fein, in der kurzen Zeit, die uns noch ver:
gönnt iſt, das große Yebensrätjel zu löfen, um das
ſich die Schöpfungsurfunden aller Völker, aud)
der Maori aufNeufeeland, dreht. Denken wir an
unfer eigenes heiliges Geheimnis, mein Rind.
Eleonore.
Soll uns diefe Stunde, wo wir ungejehen von
den Menfchen in Berges Schoß miteinander
gehen, foll fie uns nichts fein, als fünftig eine
wehmütige Erinnerung? Wie lange werden wir
no jo jelig dahinwandeln, uns fehen und
iprehen? Sobald wir unter Menjchen treten,
iſt dies Glüd zu Ende. Morgen vielleicht ruft
mid meine Aufgabe fhon ab von hier nad
Eden, Sie nad) Norden. Nun hören Sie mich,
Eleonore, was id Ihnen fage — an Worten
wenig, an Anhalt viel. Die Augenblide find
fojtbar. Wie ih nur eine liebe, nur eine
lieben kann und alles an diefe Liebe zu ſetzen
bereit bin — Eie wiſſen es. Oder — Eleo:
nore!“ fragte er zärtlich, „haft du es noch nicht
erraten?“
„Ob ich es erraten darf! Db id es hören
darf, Bruno?” entgegnete fie mit Dem gebämpf:
ten Wohlklang ihrer Stimme, dem Herzenslaut,
der ihm ſtets fo jchmeichelnd in die Seele flang.
„Bergefien Sie nicht, daß mir heilige Pflichten
auferlegt find.“
„Pflichten!“ wiederholte er erregt, faſt hef:
tig, in bebendem Ton. „Und die Liebe? die
allmächtige Liebe? Gilt fie Ihnen nichts?”
Eleonore beugte das Haupt, bevor fie be:
ganıı: „Wenn Siewühten, o, wenn Sie wühten,
Bruno, an wen ich dachte mein junges Leben
hindurch, an weſſen Erinnerung meine Seele
hing; wenn Sie wüßten, daf ich feinen anderen
Mann mehr jehen, feinen anderen lieben mochte;
wenn Sie wühten, wie id) Das Geheimnis diefer
thörihten Liebe in mir getragen als mein
einziges Glüd, meinen Schmerz, meine Selig:
feit: Sie würden mid) nicht fo fragen, würden
mich nicht anflagen. Was mein findifcher Un:
veritand in jenem Augenblid geträumt, da Sie
unter den Eichen bei Gatlenburg vor mir ftanden
— id) habe es als meine eigene, reihe Welt in
mir verjchlofien. Ich habe geharrt und gehofft
lange Jahre hindurd, dann ftill verzichtet — und
die Hand des edeln Mannes genommen, den man
mir gegeben, den ich ehren, wenn aud) nicht lieben
fonnte. Ich habe bei mir geichworen, treu bei
ihm auszuharren. Ich hatte ja gelernt zu ent:
jagen, zu vergefjen. Und nun, wo der Kampf
durchgekämpft, das Leid durchgelitten, das Herz
eingefchläfert war und die Nuhe des Gemüts
wiederfehren wollte — da tratjt du wieder
vor mid) hin.“
„Und du liebteſt mich, Eleonore, und liebſt
mid) noch? * Fam es jauchzend aus feinem Herzen,
— — — — — —— — — — — — — — —
391
Ob ſie auch keine Antwort vernehmen ließ —
es bedurfte ihrer nicht. „O, dieſe Fülle von
Glück — — und Leid!“ ſetzte er erſchüttert
hinzu. „Es iſt ein herbes Geſchick, daß wir uns
ſeit jenem Tanz unter den Eichen nicht wieder
getroffen. Es hätte ſich alles zum beſten ge—
wendet. Nun biſt du in Feſſeln geſchlagen,
Eleonore, und ich ſoll fort. Doch — ich muß ja
nicht fort! ohne dich nicht! Und deine Feſſeln
laſſen ſich löſen. An dir iſt es, mir zu helfen,
dich zu befreien.”
Eleonore wandte mit von Schmerz zerriſſener
Miene das Antlit ab.
„Nie!“ ſprach fie dann.
„Nie? Eleonore, du liebjt mi und jagit
nie?“
„Es kann nicht ſein!“
„Was man will, kann ſein!“ verſetzte er mit
Nachdruck. „Ich verſchiebe meine Romfahrt, bis
ſie eine Hochzeitsreiſe wird.“
„Sprich nicht ſo viel Glück aus, Bruno,“
ſprach ſie mit ſanftem Flehen, „es geht nicht.“
„Warum nicht? Die Liebe vermag alles,
Eleonore.“
„Nein,“ ſprach ſie, in innerem Kampfe mit
ſich ringend, indem ſie ſich ſeinem Arm entwand
und etwas ſeitwärts trat, „es darf nicht fein.
Meinen Mann darf ich nicht verraten.“
Unmerflid, obwohl der Anjtieg nicht allzu
janft, waren fie hinangelangt auf die Höhe, die
dort ein erhabenes Felsplateau mit fchroffen
Mänden bildet, Seitwärts, nod) etwas höher,
thronte die Burg in romantischer Pracht. Ueber
den tiefen Waldgründen lag ein vom Mondjchein
grünlich angehauchter Duft.
In ihrer Erregung war Eleonore von ber
feitherigen MWegrichtung ab auf einen breiten
Steg getreten, der fcheinbar ungefährlich über
eine niedere Felsbarre und dann weiter gerad:
linig dur einen Fichtenwald führt. Herbig
ſchritt in finfterem Schweigen faft neben ihr da:
hin auf die Platte, wo einzelne Föhren und
Eichen eine lichte malerifche Gruppe über dem
Abgrund bilden, der unbemerkt von jener Weg:
jtelle in die Tiefe einer ſchattigen Felsjchlucht
abjtürzt. Ueber den Nand der Platte hin öffnet
ſich ein reizender Blid in die Waldestiefe, auf
Gehügel und Schludten bis zu den grünen
Kuppen des Nennftiegs, Die an jenem Abend
halb verfchleiert da drüben in der Mondnacht
aufitiegen.
Dort, am Rande der Platte, hielt mın Eleo:
392
nore, da fie merkte, daß fie einen falfhen Weg ge: |
gangen ; hinter ihr, am entgegengefeßten Meg: |
rand jtand Herbig. hr Angefiht war von ihm
abgefehrt, hinaus in den weiten Waldkeſſel ge:
richtet ; ihre Augen hingen ftarr draußen; und |
doc ward fie nichtö inne von dem Zauber der
Mondnacht, denn ihre Blide ſahen nur nach innen.
„Das fagten Sie etwas ſpät!“ begann jetzt
Herbig, das beflemmende Schweigen unterbre- |
hend, mit Bezug auf ihr letztes Wort. „Jetzt, wo
Sie wiſſen, daß ich außer ihnen fein Glüd kenne,
ohne Sie nicht leben mag noch kann, fchneiden
Sie jede Hoffnung ab. Es ift hart! Indes,
Eleonore, wagen Sie ſich nicht zu weit vor,
treten Eie einen Schritt zurüd, Sie ftehen da
an einem Abgrund.”
Sie hätte ihm vielleicht erwidern mögen,
daf es nicht der ſchlimmſte ſei, den fie zu fürchten
habe. Aber — ihr Herz ſprach berebt für ihn.
Sie fühlte ſich von feinem Vorwurf betroffen,
und ihre Liebe war nicht erlofhen. Sie über:
legte, was fie ihm zum Troft jagen, zu feiner |
Genugthuung thun und ihn verjöhnen fönne, |
ohne ihrer Pflicht untreu zu werden. Allein, |
jo viel fie erwog, nichts wollte ihr in diefer |
inneren Bedrängnis, in dieſer Seelennot hilfreih |
ericheinen. So fehrte fie ſich denn in ihrer Rat:
lofigfeit ihm wieder zu.
„Seien Sie gut, Bruno!” bat fie bewegt
und reichte ihre Hand hin. „Seien Sie mir
nicht mehr böfe! Sie wiſſen nicht, wie Sie mid)
quälen, wie ich leide, wenn Sie mir fo unfreund:
lich gegenüberſtehen.“
„Und mein Yeid, meine Qual — ift fie
nichts?" jagte er, fie ungeftüm an ſich ziehend
und ihre Hand mit Küſſen bevedend.
Allein wieder wußte fie jich feinem Arm zu
entwinden und ftand an der früheren Stelle, die
Ihwimmenden Augen hinaus in die Mondnacht
überm Bergwald gerichtet. Sie wußte nicht
mehr, was thun. Sie hielt fih von ihm ab
und wäre ihm doch gern, wenn aud nur auf
einen feligen Augenblid, am Herzen gelegen.
So till war es da draußen, fein Laut, nichts
regte fih. Der letzte Bauernmwagen hatte das
Gebirge überfchritten und fein Rafjeln war in der
Ferne verhallt, Nur ihr Herz pochte faſt hörbar, |
und das feine, — nur ihr Bufen wogte und ihr
Atem ging ſchwer und beflommen,
Da zudte fie jäh zufammen und ftand wie
betäubt, ein Bild des Schreckens. Ein mächtiger
Yaut, ein furchtbarer Schrei unterbrad) die Stille
Auguſt Beder.
der Nacht und des Waldes. Nochmals! Grauen
voll, haarjträubend flang es herauf. Und von
Entjegen übermannt, flüchtete Eleonore vom
Rand der Hochplatte zurüd in Herbigs Arme.
Sie barg das Gefiht an feiner Schulter und
Bruſt. Innig umjchlang er das geliebte ſtolze
Weib, das nur der Schred bezwungen hatte,
flüfterte ihr fanfte, fühe beruhigende Worte zu,
während ber gefrönte König des Waldes unten
von moofigem Felſenthron feinen Brautgejang,
noch immer fchauervoll majeftätifh über den
Bergwald hinrollen ließ. Weit, weit drüben an
der duftig verjchleierten Berghalde antwortete
ein anderer Hirih dem nächtlichen Nufer mit
gedämpftem Gebrüll, gleicd dem Echo. —
Und vom Mondlicht umflofien, innig um—
ſchlungen, alles vergeflend, jtand auf der ein=
jamen Höhe ein ſchönes Menfchenpaar.
6.
Die jungen Buchen jchlagen ihre Aeſte über
dem jhmalen Pfad zufammen, der zur Burg
zurüdführt. Das Mondlicht dringt nicht Durch,
und ein Paar, das da wandelt, muß ſich eng
zufammenhalten. Endlih, draußen auf dem
Felfengrat, welcher ein jchmales Berajodh bildet,
wird es licht. Der harte Steinweg iſt nur nod)
von furzem Gejtrüpp umſäumt; eine einzelne
Föhre breitet ihren Schirm aus, ein paar wetter:
gewohnter Eichen halten noch aus, und oben, in
unerwarteter Nähe, glänzen die Burgfeniter im
Mondlicht.
„Nun halte dich feit an mich, mein Herz,*
fagte er, fie nochmals forgfältig in ihr Tuch
hüllend. Und um die Scharfe Ede ging es wieder
im MWalddunfel auf einem aus dem Feld ge—
hauenen Steg unmittelbar unter der Burg jteil
hinan, unter der Thorbrüde hinweg, auf den
fauber geplatteten Hof vor der Burgfchente.
Sie hatte wenig mehr geſprochen ſeit dem
Schred am Felsabiturz und das wenige in be-
drüdtem Ton. Jetzt wollte fie nicht mit hinein
in das Neftaurationslofal, bevor fie wiffe, wen
fie innen treffe. Sie bat ihn, fich umzufehen,
ob die Schweitern Nordhaje da feien, und fie
jelbjt fette fich auf eine Banf im freien neben
der niederen Umfaſſungsmauer, über deren
Scharten und Zinnen hinaus fie in die wun—
dervolle Mondnacht überm Maldgebirge unver:
| wandt fchaute.
Eleonore.
393
Der Naturreiz mag fie faum fo gefeilelt | heulte über die fahlen Felder und zerftörend
haben, daß fie wie verjteinert hinausblidte.
Eher wählte fie diejen Ausblid, weil von diefer
Seite niemand in ihr blajjes Antlig und in ihre
thränenvollen Augen jehen fonnte als der alte
verſchwiegene Vertraute fummervoller Liebe, der
Mond.
Als Herbig wieder herausfam, teilte er
mit, daß feine befannte Seele mehr innen weile.
Ein Kellner war ihm gefolgt, um nod) zu be:
rihten, daß nur ein Fräulein Nordhaſe abends
heraufgefommen fei, um fich nad) einer fremden
Dame, die bei ihnen zu Beſuch fei, umzujehen;
daß fie von einer angelangten Depeſche geſpro—
chen und in der Borausfegung, die Dame möge
unterdes heimgefehrt fein, fofort fich wieder den
Berg hinuntergewandt habe.
Eleonore fuhr auf diefe Mitteilungen hin
von ihrem Site auf und machte ſich fo haftig
auf den Heimmeg, daß Herbig Mühe hatte, ihr
zu folgen und ihre übel angebrachte Eile in eine
vorjichtigere, ruhigere Gangart hinüberzulenten.
Auf dem teilen felfigen Burgwege und noch wei:
ter hinunter war jedes Straudeln des Fußes
gefährlih. Es galt, die Geliebte zu ſtützen und
zu leiten. Mit jtarfem Arm fie ftügend, führte
er fie vorfichtig bergab, ihr liebevolle Worte
zuflüfternd, auf welche jie jelten und dann nur
einfilbig und leife antwortete. Aber fie lie
ſich willenlos von ihm leiten und entzog ihm
ihre Hand nicht.
Schon auf der Hodterrajie traten fie in den
Nachtnebel ein, welder den Fuß des Schloß—
bergs bis zu feiner halben Höhe umlagerte und
allem ein ſeltſam ungemwohntes Anjehen gab.
Gebäude, Bäume, Weg und Steg jahen fremd:
artig aus, und jie erkannten faum mehr Haus
und Garten noch deren Umgebung, jo jehr
veränderte der weißgraue Flor aud das Ver:
traute. OD
Endlich war der Eingang gefunden und fie
reichte ihm die Hand zum Abſchied.
„Meine Eleonore,” fagte er, „meine ein:
zige Liebe, mein Glüd, meine Welt, warum fo
ſtill? Biſt du mir böfe?“ Und er wollte fie
nicht laſſen, mochte ſich nicht von ihr trennen.
Ste war ihm nicht böje. Einmal drüdte fie
ihre Lippen auf die feinigen — dann entzog
jte ſich ihm, ftieg zum Haufe hinan, und er jtand
allein.
Anderen Tags lag dider Herbitnebel auf
Berg und Thal. Es war falt, der Nordwind
durch die bunte Waldpracht, daß ganze Molfen
von Laub vorüberftoben, Wie ein Heer von
winzigen Zeuten mwimmelten die gelben Blätter
auf den Pfaden vor dem Wanderer her. Als
er über das Kochfeld nad) der bewußten Garten:
thür auf der Höhe des Berggartens fam, fand
er fie verſchloſſen — all fein Rütteln half nichts.
Der Garten war leer, wie auögeftorben, der
Wind ri am Blattwerf der Bäume, und nur
an gefhüsten Stellen lag noch das gelbe Laub
der Birken und Linden wie von den Bäumen
gefallener goldener Sonnenschein. Sonſt dedte
auch hier der Nebel alles; man ſah nicht ein:
mal bis zum Wohnhaus hinunter.
Auf vertrautem Wege umging er die Um:
zäunung, bis er in der Nähe des Haufes be:
merkte, daß man in vollem Auszug begriffen
war. Fremde Leute gingen aus und ein, ſchlepp—
ten Hausgerät heraus. Endlich ſah er Fräulein
Jenny im einfachen Hausfleid hinterm Zaune,
wie fie einem der Dienjtleute zurief. Als fie
ihn gewahrte, griff fie in ihr Haar, ob der Zopf
feftfige, 309 ihr Halstuch enger am Hals zu:
jammen und trat mit freundlichem Gruße, doch
etwas fummervoller Miene näher.
„Ad, Herr Doktor Herbig, Eleonore tt
fort!” berichtete fie in Elagendem Ton, während
Totenbläfje über fein Geficht ging. „Schon mit
dem Frühzug reifte fie weg. Der alte Ge:
heimrat hat geitern telegraphiert, daf er fie auf
dem Bahnhof erwarte, und fuhr mit ihr richtig
davon.“
Herbig vermochte fih kaum aufrecht zu er:
halten. Seine Hände griffen mechaniſch in das
Zaunmerf, und jtatt daß Worte über feine
Lippen famen, ſchluchzte jein Herz Frampfhaft.
Einer guten Weile bedurfte es, bis er feine
Fafjungslofigfeit jo weit überwunden hatte, daß
er wieder geordnete Laute hervorbringen konnte.
Und nun fragte er: „Hat — fie nichts — ge:
jagt, feinen Gruß — hinterlafien?“
„Nichts, nichts, Herr Doktor, gar nichts!“
verſetzte Jenny, felbit etwas aufgeregt. „Sie
war zu verjtört. Uebrigens weiß; id ja jchon
lange, wen fie lieb hatte, die Arme!“ fuhr Jenny
fort, während ihre Augen fortwährend zu den
Arbeitern hinüberichweiften, deren Beſchäfti—
gung zu überwachen fie im Garten jtand. „Da
ich num aus ficherer Quelle weiß, wer ber eigent:
liche Wiederfinder meines Zopfes ift,* und Jenny
mußte bei der Erinnerung laden, mochte jie
394
wollen oder nicht, „kann mir es nur lieb
jein, daß mein Geheimnis — jede hat das
ihrige, Herr Doktor — in fo disfreter Hand
liegt. Ich danke Ihnen, lieber Doktor!” Und
fie reichte ihm die Nechte über den Zaun.
Mit freundfchaftlihem Drude hielt er die
Hand und ſprach: „Leben Sie wohl, Fräulein
Jenny, grüßen Sie den Vater und die Schwe-
jter. Ich werde der hier verbrachten Stunden
nicht wieder vergeffen, und wenn ich je dazu
beitragen fann, Ihnen das Leben jo freundlich
zu geftalten, als Sie es verdienen, verfügen Sie
über meine herzliche Bereitwilligfeit. Leider,
fürchte ih, es mit Herm Doftor Binfe für alle
Zufunft verdorben zu haben.”
„Den Floh meinen Sie? Lieber einen
ganz alten!“ rief fie lebhaft und mit Laune.
„Eher will ich meinen Zopf wieder verlieren
und mein lebenlang feinen mehr tragen. Achten
muß man doch wenigiteng feinen Mann fönnen.
Aber — ich rede mit Ihnen da wie mit einer
Vertrauten, und die Zeute rufen nad) mir. Leben
Sie wohl!”
Mit zerrijjenem Gemüt fehrte Herbig in
jeinen Gaſthof zurüd. Nachdem er an Schupp
in Halle wegen Nachjendung der Koffer — Genf
ward als große Haltjtation beftimmt — tele:
graphiert hatte, ſetzte er fich noch nachmittags
in den nad) Frankfurt a. M. abgehenden Bahn:
zug. Nochmals ſah er durd) das Waggonfenfter,
ließ das Geſchaute und Erlebte letter Tage wie
Nebelbilder an ſich vorüberziehen. Dann legte
er fih ans Polſter zurüd und verhüllte fein
Antlitz.
Drittles Buch. Immorlellen.
J.
Es ſchneite.
Das iſt nichts Ungewöhnliches bei uns, ſelbſt
wenn der Kalender den Frühling anfündigt;
dennod) ein Phänomen, das unfere Sinne be:
ihäftigt, unjere Stimmung beeinflußt und auch
in großen Städten mit Behagen wahrgenommen
wird, zumal vom warmen Zimmer aus beim
Kaffee und einer Cigarre zwifchen den Lippen.
Ein präcdtiger Schneefall draußen! Und die be:
ihauliche Augenweide der beruhigenden Natur:
erſcheinung wird betrachtſam genoſſen.
An jenem Märztage ſtöberte es jedoch in
Auguit Beder,
Getriebe des Schneeflaums, das Sinfen und
Steigen, Drehen und Wirbeln der Millionen
weißer Flocken hatte etwas Verwirrendes. So
vertieft war jedoch der Bewohner einer geräu-
migen Studierftube in der Nähe der Irvingianer—
fiche, fo verjunfen in feine Beichäftigung am
Schreibtifch, der zwifchen den beiden Zimmer:
fenjtern ftand, daß er von der Unbill des Wet:
ters und allem, was fonft draußen vorging,
nichtö inne ward. Die Temperatur der mit
Vorfentern verfehenen Stube war durd) einen
Thermometer geregelt, die dide Wand mit Bü—
chern bejtellt. Selbſt über dem mit grünem
Wollendamaft überzogenen Sofa hing ein Ge:
jtell, das die zahlreihen Bände eines größeren
Sammelwerfs umfaßte, darüber ein Frauen:
porträt, eine große Photographie, mit einem
Immortellenkranz.
Es konnte noch nicht ſpät am Nachmittag
ſein, und bereits ſo dunkel! So dunkel, daß
der Bewohner des Zimmers Mühe hatte, ſeine
eigene Schrift zu leſen, während er folgendes
niederſchrieb:
„Mio carissimo! Daß Du, umſchwebt von
den Geiſtern des heuchleriſchen Virgil, des
langnaſig üppigen Ovid und des Schmeichlers
Horaz, nicht treue Anhänglichkeit gänzlich ver—
gäßeſt und bei einer Flaſche Falerner Deine
Gedanken einmal zurücklenken würdeſt zu Dei—
nem Freunde an der Spree, glaubte ich vor—
ausſetzen zu dürfen. Allein ich irrte. Mir geht
es mit Dir wie Mohammed mit dem Berge.
Da Du mir nicht fchreibft, ſchreibe ih Dir. Ich
fann nur hoffen, daß Dich die Epiftel jo wohl
antreffe, als fie mich verläßt. Weilft Du noch
bis zum Herbſt in der Stadt, die ſeit der
Wölfin des Nomulus fo viele Ungeheuer ge:
jäugt hat, fo fomme ic) bejtimmt nad) — wäre
e3 nur wegen meines Buchs vom Zufammen:
bang der Künfte mit — — ja, womit? Das
jolljt du eben erraten,
Ich glaube, Du weißt noch gar nit, daß
ih mir bderlei Projekte nunmehr erlauben
darf, da ich unterdes ein wohlhabender Mann
geworden bin. Reife deine Augen jo weit auf
als Du willft vor Verwunderung, e8 ift den:
noch) jo. Nicht mehr muß ich mit heißem Kopf
und forgenvollem Gemüt geiftiger Thätigfeit
obliegen, um die dumme Maffe, den Leib, zu
‚ erhalten, der nun einmal unferer Seele zum
Gehäufe dient; jondern ich kann mir zuweilen
den Strafen der Hauptjtadt etwas bunt. Das | auch einige Erholung und Nuhe gönnen, in
Eleonore.
oder jonft jemand. Du fragft wohl: warum |
einem anftändigen Nejtaurant fpeifen, zumeilen
eine ordentliche Cigarre rauchen, die notwen:
digen Bücher faufen und wohne nit mehr
im fünften Stodwerf draußen bei den Kirch—
höfen, fondern recht angenehm in einer nicht
allzu entlegenen Straße des hiefigen Quartier
latin. Wie mir zu Mute war, als fich die
Umſtände jo plöglih zu meinen Gunften ge:
ändert, läßt fich faum ſchildern. Manchmal
hatte ih in ähnlicher Weife geträumt und es
fam mir auch jettt wieder wie ein Traum vor.
Aber ich ſah mih um in meinem bürftigen
Stübhen. Dort ftand nod) das gejprungene
Mafchbeden, der wadelige Stuhl, die ange:
jtrichene Lade ohne Schlüfjel, und zur Thür:
ſpalte gute meine Wirtin mit der altmodifchen
Epitenhaube herein, fragend, was ich treibe. —
Sclafe ih, Madam, oder bin ich verrüdt?
Und liegen da vor mir wirflih Briefe und
Tofumente? — Sie ſchlafen nit, Herr Dot:
tor, und Schreibebriefe liegen gerade genug
auf dem Tifche! war die Antwort. Kurz, es
war alles Wirklichkeit, in die ich mich anfangs
nicht zu finden mußte. Allmählich gewöhnt
man ſich daran, und ich könnte völlig zufrieden
fein, wenn nun einmal die Ernennung zum
Auperordentlihen erfolgte und mir jemand
bejonders nahe ftände, um meinen Haushalt
zu bejorgen, eine Mutter, Schmeiter, Tante
feine Gattin? Carissimo, dem miderjtreben
verjchiedene Gründe und es gibt dabei viel
zu bebenfen und zu erwägen: a) woher neh:
men? b) ob fie mid) lieben könnte! Du weißt
nicht, wie ſchwer mir fällt, daran zu glauben;
c) ob ich fie lieben fönnte! Heute, wo die
Praxis an Stelle der Theorie tritt, denke ich
an fein italifches Meib, fondern an ein braves
deutjches Mädchen; und endlich d) ob es ſich
ihidt, mit einer Frau glücklich in dem Nefte
zu fiten, das mir eine andere bereitet hat, um
mir den härteften, mühſeligſten, drückendſten
Kampf ums Dafein zu eriparen. Erinnerft
du Di noch an die hier erlebten Stunden bei
deiner Durchreiſe? Meines Lebens goldener
Baum ift eine Trauerweide, mein Wohlergehen
blüht auf dem Grabhügel des edeln, unglüd:
fihen Weſens, das..."
Hier brad der Briefichreiber ab, teils weil
er die Buchjtaben nicht mehr ſah, welche er auf
das Papier niederzeichnete, teils um nad) dem
Frauenporträt mit dem Immortellenkranz auf: |
395
zubliden, ohne daß er jedoch die Züge des Bild:
niſſes zu unterfcheiden vermochte. Denn die
Dunfelheit im Zimmer verhüllte alles wie bei
vorrüdender Nacht. War es denn fchon fo fpät?
Er fuchte nach feiner Taſchenuhr, hob dabei die
mit einer grünlichen Brille bewaffneten Augen
zum Fenſter und ſah, daß es fchneite, und wie
ſchneite! In ſchraubenförmigem Wirbel, da:
hinten an der Wand des gegenüberliegenden
Rohziegelbaues in reißendem, ſchrägem Schuß
ſtob und ſchnob der Flockenſturm, während es
zunächſt vor dem Fenſter hüpfte und tanzte wie
in willfürlicher Bewegung, ſich nähernd, aus:
weichend, aufs und niederfchwebend in reizen:
dem Spiel: alles in raftlofer, wenn auch ftum:
mer Rührigfeit.
Denn lautlos legten fich die weißen Flocken
auf Dad und Fach. Man hörte nur aus eini-
ger Ferne eine Turmuhr ſchlagen; und indem
er die halbverwehten, jchläfrig aufeinander fol-
genden Glodenfchläge zählte, warf er aud auf
feine Taſchenuhr einen vergleichenden Blid. In
der That erft drei Uhr nachmittags, und jchon
fo dunfel!
„Me Hercle!” fprach er zu ſich ſelbſt, mit
offenem Munde nunmehr in das mwunderliche
Getriebe vor dem Fenſter blidend, wo ber
Schnee wie Millionen Eisjpeere jegt wagrecht
vorüberfchoß, während es auf der anderen Stra:
ßenſeite ausjah, ala ſchöſſen die Söhne der Erde
mit Silberpfeilen gen Himmel, da die Floden
von unten jchräg nad) oben trieben. Im nächiten
Augenblid fiel dann der Schnee wieder ſenkrecht
und jo dicht herunter, als ergöſſe fich alles
Gewölk, in Floden aufgelöft, vom Himmel zur
Erde, — ein förmlicher Schneewolfenbrud).
„Da träume ich mich halb und halb unter ita-
lichen Himmel, und draußen geht es zu wie im
Fimbulwinter, der die Götterdämmerung und
den Weltuntergang einleitet.*
Seht tönte die Hauäglode. Und da nie:
mand dem Zeichen Beachtung zu ſchenken jchien,
wollte bereits der Gelehrte fich zum Deffnen er:
heben, als ihm noch die Wirtin zuvorfam. Man
vernahm einiges Stampfen und Puſten; einige
Morte wurden gewechielt, dann näherten ſich
fefte Schritte der Thüre des Studierzimmers.
Man pochte, und auf ein lautes „Herein!* trat
der Poſtbote in die Stube.
„Zwei Pakete, Herr Doftor, zum Ein:
ſchreiben.“
Der Gelehrte unterſchrieb und fragte:
396
„Nicht wahr, fürchterliches Wetter draußen,
Briefträger ?"
„Es ſchneit!“ jagte der Mann ruhig und
jtedte Zettel und Beitellgeld ein, indem er ſich
empfahl.
Mit prüfendem Blid fah der Zimmerbe:
wohner die Poſtſendungen an. Das eine Paket
ſchien ein zurüdgejandtes Manuffript zu fein.
Mit einem zwar leifen doch ingrimmigem „Don:
nermwetter!” jchob es der Gelehrte beifeite, in:
bem er bei ſich ſchwor, feinem dieſer urteilslojen
Buchhändler je wieder unverlangt ein Geiſtes—
produft vorzulegen. Das andere Paket fam
weiter her, von jenfeits der Alpen. Der Poſt—
ftempel zeigte den Namen der alten Roma jelbit.
Bei der Löfung des Siegels fielen mehrere
Photographieen römischer Nuinen, Statuen,
Büften und Veduten heraus, ſowie einige natür-
liche Gedenfblätter, Laub vom Lorbeer und Del:
baum, nebjt anderen Blättern von Pflanzen
eines milderen Klimas. Den wichtigſten Teil
des Inhalts bildete jedoch ein Brief.
Vor Aufregung und Spannung förmlich |
zitternd, entfaltete der Gelehrte den Papier: |
bogen, legte ihn jedod ungelefen auf den |
Schreibtiſch, holte fich feine beſte Cigarre her: |
vor, entſpitzte fie ſorgſamſt, zündete fie bedacht
und behutjam an, rüdte den Lehnſtuhl dicht
ans Fenſter, nahm Plab und den Brief vor,
um fich mit dejien Inhalt vertraut zu machen. |
Das Schreiben lautete aljo:
„Lieber Dräfovius! Ich könnte Dir eine
ungewöhnlich geiftreiche Epiftel ſchreiben, wenn
ich aufgelegt dazu wäre. Doc bin ich das nie,
am wenigjten hier in der Haffischen Langeweile. |
Rom iſt jehr ennuyant, oder bin ich’8 und meine |
Geſellſchaft, ein paar ftorchbeinige Engländer,
mit denen ich gaffend und gähnend umher jtol: |
pere, bis auch mich der britiiche Spleen über: |
fommt. Mich totzufchiepen bin ich zu faul und |
macht zu viel Spektakel. Man kann ftill und
ohne Auffehen aus der Welt gehen. Doc thäte
mir meine Wirtin leid — eine jo rüftige Traste-
verinerin, als je eine am Fuße des Janiculus
gehauft hat, wenn es hieke, ihr Mieter habe
ſich die Hirnfchale eingerannt. Und fo fite ich
da und denke über Wanauga, das große Lebens: |
rätjel der fannibaliichen Maori nad, welches Du
Dir von Profeſſor Baftian definieren laſſen magit.
„Grund und Urſach' von all dem it, daß
bloß mein Yeib hier weilt, mein Herz, meine
Seele abweſend jind, im Waterlande. Der
—
Auguft Beder.
Regen, der himmeljchreiende Schmutz macht
mich hypochondrifch. Doc habe ich aud „die
Sonne nicht zu lieb“, fondern bin ihrer und
aller diejer „Kinder der Sonne“ mit ihren ölt:
gen Gefichtern herzlich überbrüfftg. Wie gerne
gönnte ich Dir alles, was Nom bietet, — und
es iſt im Grunde nicht wenig, — ganz abge:
jehen von den bewußten Flaumlippen, Büjten,
Naden, die nach Deiner Anfhauung hier aus
dunfelm Laub wie Goldorangen glühen. Wie
ſehne ich mic) nad) einem vielbefpöttelten Thee
an der Spree, zu dem man fi durch einen
abendlihen Schneefall begibt! ch jterbe vor
Luft zu plaudern und dabei in ein holdes Augen:
paar zu fchauen, wie es diesfeits der Alpen
feines gibt. Und ah, Schnee! Schnee! Einmal
in diefem Winter liegen ſich zwei Flocken fehen,
und ich langte danach, wie das Kätschen von
Brieg.“ —
„Seltfame Gelüfte hat der Menfch!“ bes
merkte hier der Empfänger des Briefs und fah
in den Schneeiturm hinaus, bevor er weiter las:
„Seit ich Abfchied von Dir genommen, Drä—
fovius, it mir Abjonderliches begegnet. Ich
habe ein Glüd genofjen, das Sterbliche zu Göt-
tern erhebt, und ein Leid erfahren, das Titanen
beugt. Daher nehme ich feine weitere Notiz
hiervon, fondern nur von Bagatellen. Ich lege
einige Gedenfblätter bei und was ich ſonſt vom
Ihüringer Wald bis in den Apennin gefunden,
auch ein Delblatt aus der Villa des Mäcen in
Tibur. Den Lorbeerzweig pflüdte ih am Pa:
laft des Hadrian und hätte auch eine Eidechje
mit grünem Frack beigelegt, eine falonfähige,
doppelgefhmänzte Lacerta, der wir dem Waſſer—
jturz gegenüber nadjtellten, — im Yandhaufe
des Varus nämlich, unferes alten Befannten,
welcher fi von den Weitfälingern in den Moor:
wäldern des Döning vor etlihen Jahren hat
unbedacht totichlagen laflen; allein, während
wir die eleganten Bewegungen der Lacerta
viridis verfolgten und einer vor den Kaskaden
aufgeführten prachtvollen Symphonie laufchten,
wurden wir jehr unliebiam unterbrochen. Ein
Schwarm junger Teutonen zog nämlich durch Die
Schlucht heran, brüllend: „Als die Römer frech
geworden!‘ Gräflih! So unverjehens über:
fallen! Mit zugehaltenen Ohren flohen wir.
Eichendorff hat umjonft gelebt. Wo tft die Zeit
hingefommen, wo
„Sie fangen von Marmorbildern,
Ron Gärten, die überm Geftein
Eleonore,
In dämmernden Lauben verwildern,
Paläften im Mondenicein,
Wo die Mädchen am Fenſter Taufchen,
Wenn der Lautenllang erwacht
Und die Brunnen verſchlafen raufchen
In der prädtigen Sommernadt. —“
Zu Tibur, in ihrem legten Aſyl, gedachte ich
aud der hehren Imperatrix des Orients, —
Zenobia von Palmyra, Königin der Wüfte, einst
meine jchwärmerifche yugendliebe. Warum
wohnt fie nicht mehr hier und heit Eleonore? |
Sc bliebe für immer da!
„Lieber Kunfthijtorifer, erfundige Dich doch,
ob nicht ein Geheimerat Wantrup in der Reichs—
hauptjtadt oder im preußiihen Staatshand-
buch zu finden ift, — ein kleiner, feifter, rot:
mwangiger Glatfopf, dem ich alles Gute gönne,
alten Lehrer, den greifen Geheimerat Betting,
achte und am wärmiten verehre. ch fehne mich
397
niederdeutich die Mare — hat fie — die Haube
nämlich — verkehrt auf und heit deshalb im
untern Elſaß und in der Pfalz Letzkäppel, Let:
bäßel, auch bloß Letzel.“ Dies zur Erflärung,
wenn ich Dir verfichere, daß auf allen meinen
Pilgerfahrten die Erinnerung an meinem Lebens:
blute zehrt, mir faugend am Herzen ſitzt, wie
eine Mare. Aber, wie gern gäbe ich meine bejte
Kraft hin, wenn ih, aus dem fortwährenden
Traum erwacend, fie an meiner Bruft fände,
deren Bild mich nimmer verläßt. — Im Nord:
weiten Deutjchlands heifen die Truden Wal:
rideröfen und fommen zu Pferd heran. Ein
hübſcher Anklang an die hohen Walküren.
Brunhild und Chriemhild, diemännermordenden,
‚ waren ſolche, und ihr Gedächtnis lodte mich auf
— nur eines nit. Grüße mir auch meinen
der Herfahrt faft nach Morms hinüber, wo:
‚ gegen ich fühl an der ‚Totenitadt des Neichs!
es iſt der Mann, den ich unter allen am meiften |
danach, das ehrwürdige Antlit nochmals zu |
fhauen. Die welfen Blätter einer in feinem
Hausgarten gepflüdten Roſe fallen mir in die
Hand, und jeltfam, fie atmen den Duft, der
den jeligiten Moment meines Lebens wie Weib:
rauch ummwehte. Einen Augenblid ftand id) be-
rauscht, nun wieder heimat: und freudelos.
„sh kam vom alten Leman — bitte an
feinen Yehmann zu denken — das Wallis herauf,
um über den Simplon nad) Hesperien herunter
zu fteigen. In Brieg, während der Vorſpann
genommen ward, fing es an zu fchneien. Sacht
legten fich die Floden auf den Zilberglanz der
vorüberfuhr, jo jehr ich den Kaiſerdom liebe.
Ihn ummimmelt ein Heer jener ‚Näte‘, denen
Leute von einigem Geift — dort jchägt man
‚ nur den Weingeift — gerne ausweichen. Dffe:
Dächer aus Glimmerſchiefer. Drüben, auf der
Galerie eines Haufes, fanden einige Kinder
und fahen lachend dem Käschen zu, das vom
Gefims aus aufmerffam dem Fluge der Floden
folgte und nad) jeder nahefommenden zierlic)
mit den Pfoten langte. Warum mir das auf:
fiel? Ich möchte Kinder haben, die ſich ſolchen
Anblids freuen fönnen, wie die Wallifer Mäd:
en und Bübchen.
„Geſtern war ih in den Albaner Bergen,
auf der weitausſchauenden Terraffe von Aricia, |
merkwürdig wegen des Orejtes:Bildwerfs, auf
welchem Klytämneſtra und Elektra Hauben der:
jelben Form tragen, wie die überrheinifchen
Dbftweiber auf dem Karlsruher Markt, —
nämlid) fogenannte ‚Bätzen‘, die auch den
poefievollen (Dichtern moderner Studenten:
lieder zu empfehlenden) Namen ‚Saumagen‘
führen. Die Trude — hoddeutih der Alp,
nen Mundes jtehen fie noch immer vor dem ver:
meintlihen Mpthrasbild im Dom, das ein
Mythenkundiger auf den erſten Bli zu deuten
weiß. Ich hatte Feine Luſt, den Hugen Pfäl—
zern das Nätfel zu löfen und ſah von ferne
nad) den überrheiniichen Bergen.
„Am Rheine, von fchwellendem Hügel,
Am Abend nac eiliger Fahrt,
Hebt wiederum Sehnſucht die Flügel,
Erblid’ ich die blauende Daardt.
Da drüben, da drüben verglimmen
Die Lichter im dämmernden Raum,
Und Heimat und Jugend verſchwimmen
In einen wehmiütigen Traum,
Zu Bergen voll Wäldern und Matten
dinführt ein verftohlener Wen,
Nußbäume die Strafe beichatten
Und Mandeln den Himmenden Steg;
In Lauben von Neben umiponnen,
In Trümmern Faftanienumraufcht
Da hab’ ih manch' Märchen erfonnen
Und Sagen des Waldes erlauſcht.
Der Zauber ift lange zerronnen,
Das Feuer verlöfcht und verfohlt,
Geleert und vertrodnet der Bronnen,
Daraus id mir Freuden geholt;
! Der Brieffchreiber vergift zu bemerfen, daß
„letz“ eben verkehrt heißt, ſchon bei Filcharts „Ye:
topf“ vorlommt, und daß auch die gräco-italiichen
BVölfer ihre Empufa und ihre blutfaugenden Lamien
hatten, 2.8
Die Kleine Blumenfuderin.
Von M. Kaltenmofer,
Eleonore,
Nicht ahnt’ ich, wie rafch er verfiege,
Der Leben und Labung mir aab.
Heut’ fänd' ich die heimifche Wiege,
Doc Vater und Mutter im Grab.”
Und fo weiter, Was waren mir einft jene
Berge, und was find fie mir jegt? — Ein
ſchnöder Zufall hat mich in diefen böotifchen
Gefilden das Licht der Welt erbliden laſſen.
Banaufifh waren die Bewohner von je, und
feit e8 fait alle Welt ift, find fie e8 par ex-
cellence. Vorüber!
„sn Schwetzingen war ih von einem Zug
zum anderen ausgeftiegen, um mir wieder ben
berühmten Garten anzufehen. Es war ein
milder Dftoberabend, als ich durd) das Städt:
hen zum Bahnhof zurüdtehrte und dabei in
einen Kramladen trat, um eine Kleinigkeit —
ich weiß nicht mehr was — zu faufen. Die
Krämerin war eben im Begriff, ihr kleines
Mädchen einzufchläfern. Und da dasjelbe die
Gewohnheit zu haben ſcheint, denen, die es
liebt, Beinamen von gutjchmedenden Dingen
zu geben, nahm es in folgender allerliebiter
Weife Abſchied für den Tag von feinen Lieben:
„Oute Nacht, Gutedel-Vater, ſchlaf wohl! Gute
Naht, Zudertorte-Mutter, ſchlaf wohl! Gute
Naht, Apfelträpfchen-Hannele, ſchlaf wohl!“
Ich konnte die Heine Idylle lange nicht aus
dem Sinne bringen. Ach! welche Seligleit ent:
behren wir, die wir feine Familie haben! Wenn
ic) ſolcher Scenen gedente, drängt es mich über
die Alpen zurüd. Ich muß wieder deutfche Kin:
ber jehen, in die Augen meiner Eleonore bliden,
ihre Wangen füffen, und niemand, niemand foll
mir's wehren! Ich werde fie gewinnen und
aller Feſſeln entledigen — feiner foll fie mir
ftreitig machen. Und dann will ich arbeiten,
wirfen, fchaffen mit aller Luft und Kraft. Und
meine Kinder follen glüdliche Menjchen werden,
meinetwegen Hoteliers, Zuderrübenbauern,
Couponfchneider, Jünger Rothihilds, Geheime
Regierungsräte, Kaufleute, Fabrilanten, Loh—
gerber, Advofaten oder fonjt Leute, die andere
für ſich arbeiten laſſen können — nur feine Ge:
lehrten oder Dichter, die alles ſelbſt ſchaffen
müfjen; es müßte denn fein, fie verraten fchon
frühzeitig das Zeug zu Märtyrern der dee.
„Steuber war hier in Rom mit feiner
jungen Frau. Ich traf ihn bei feinem Paten
dem Apoll von Belvedere, heiter, zuverfichtlich,
weltmänniſch ftrebend — fie ein Bläßhuhn.
Ein Bläßhuhn fag’ ich Dir, und weiter nichts,
399
„Schon ftrömt hier viel fremdes Volk zu:
ſammen, um fi für die Ofterfeierlichleiten ein=
zurichten, kurznaſig fteife Briten und andere
müßige Leute, deutfche Banquieröfrauen, Stroh:
witwen, problematifche ruſſiſche Fürftinnen. Ob
ich felbft über Oſtern hier. bleibe? Nur der
Wunſch könnte mich hierzu bewegen, die nad)
Nom pilgernden Frauen aus den Sabiner Ber:
gen, von der Hite des Weges erſchöpft, auf den
breiten Kirchentreppen lagern zu jehen, wie fie
in frommem Gebet auf das frivole Gebahren
der Barbaren in der ewigen Stadt bliden — —
noch) diefelben Sabinerinnen, die vor drei Jahr:
taufenden durch die Bande des Romulus etwas
gewaltjam zu Müttern der fpäteren Welt:
beherrfcher gemadht wurden. — Wären fo die
flachs- und rothaarigen Töchter der Cimbern
und Teutonen gefreit worden, hätte es an zer:
kratzten Gefihtern und eingefchlagenen Römer—
ihädeln faum gefehlt.
„Weberdies habe ich auch Eleonoren — in
der Erjcheinung wenigſtens — hier nod) auf:
gefunden. Alle Tage wandere id) hinaus zum
Monte Pincio in die Villa Ludovici; dort jteht
meine Königin des Himmels, meine Hera und
lächelt mich fo hold, mit fo anmutvoller Hoheit
an, daß ich in Verfuchung gerate, meinen Arm
um den edlen Hals, den ſtolzen Naden zu
ichlingen, mein Gefiht an die weißen falten
Wangen zu legen und voll Inbrunſt die gött—
lihen Lippen zu küſſen. Ad, daß es nur eine
Büfte ift — mein Teuerftes in Nom!
„Und dennoch, Freund, ijt es nicht ein
träges, thatenlofes, eines Mannes unmürdiges
Leben, diejes Dahinfiehen! Darf mir der Mar:
mor genügen? — ‚Aftion, Aktion, Aktion!‘
ſchrie Demofthenes in der Not des Staates.
Und — ‚endlid einmal ein Stürmle!‘ ſprach
mein Freund Streichele aus Tübingen, als ihm
jüngft bei einer Tour durch die Campagna ein
Unwetter das Dad) feines Aſyls auf den Schä—
del ichleuderte.
„Bielleicht, vielleiht fomme ich bald, ehe
man ſich's verjieht. Vielleicht bevor der deutjche
Winter völlig zu Ende und aller Schnee ge:
fallen und gejchmolzen ift. Denn die Schidjals:
tragödie meines Herzens drängt zur Peripetie,
ber Knoten muß gelöft, meinetwegen durchhauen
werden. Es ſpitzt fih in mir alles zur Ent:
jheidung zu. Gut denn, fo führe ich) es zur
Kataſtrophe, jo oder jo. Ich muß fie wieber:
finden, die mir alles ift. Sie muß losgelöft
51
400
werden aus dem unmürbigen Bann und Bund,
und übelgefügtem Zufammenhang. Sie muß
mein werden, wenn ic) leben und gedeihen foll,
mein, ganz mein! Es ift eine abfolute Not:
wenbigfeit, wie die Blüte dem Baum, von dem
man Früchte erwartet.
„Und wenn mir diefer Mai nicht blüht —
und eine böſe Ahnung flüftert mir als Furie
ins Ohr, daß mir mein einziges Glück, welches
ih nunmehr erjtrebe, vorenthalten bleibe —
dann mag der Uelle, der Kubanda, Schari oder
fonft ein noch unbekannter Riefenftrom im Innern
des ſchwarzen Erbteils als mein Styr meinen
Lebensnachen ins Unbeftimmte treiben oder zer:
ichellen, wo und wie es ihm beliebt.
„Mio, empfehle mich vor allem meinem
hochverehrten Lehrer, Geheimerat Betting, zu
deſſen Füßen ich einſt als begeijterter Hörer ge:
feflen, und fage ihm, da vielleicht bald dem
ehrwürdigen Manne fich perfönlich wieder vor:
jtellen wird Dein treuer Freund
Bruno Herbig.“
2.
Draußen fchneite es noch immer fort. Nad):
dem er die ſeltſame Zufchrift gelefen hatte,
ſaß Dräſow wie faljungslos da und ftarrte in
den ununterbrochenen Schneefall, ohne auch nur
eine Flocke zu gewahren. Wirrer als der weiße
Flaum draußen, trieben durch fein Gehirn ſich
Worte und Begriffe umher, die ihm vom Lejen
zurüdgeblieben waren. Cine bejtimmte Vor:
ftellung jedoch hatte der Brief nicht hinterlaſſen,
der in feiner Hand auf die Kniee niedergejunfen
war. Bläßhuhn, Kätchen von Brieg, elle,
Balmyra, Schwetzingen, Aricia, Couponfchnei:
der, Barus, Banquter, Eidechſe im rad,
Stürmle, Glatzkopf, Brunhilde, Apollo, Sau:
magen, Letzbätzel — ein Wirrwarr von Namen
durchwirbelte ihm den Kopf, ſchlimmer noch als
das Flockengewimmel den Luftfreis draußen —
alles ging funterbunt durcheinander, bis er fi
entſchloß, das leidenfchaftlihe Schreiben, das
wenigjtens von der Unruhe und Gährung in
der Seele des Verfafjers unverkennbar Zeugnis
ablegte, nochmals und zwar auf feinen Zwed
hin zu überfliegen. Doch vermochte er erit all:
maählich zu einem Schluß zu gelangen.
„Da made fih nun einer einen Vers
darauf,“ jagte Dräſow fopfichüttelnd zu fich
felbjt, die Augen auf die flüchtig hingeworfenen
Anguft Beder.
Säte geheftet. „Meines Erachtens verfucht
man es nicht. Indes, unternehm’ ich es einmal,
diefe Auslafjungen des Freundes mir far zu
machen, fo liebt er eine Zenobia Lehmann, —
ei — nicht doh! Der vertradte Menſch ftedt
mich mit feiner Konfufion felbft no an. Die
Hera Qubovici hält er für feine Marmorbraut
und will feine Kinder Lohgerber und Compag:
nons von Nothichild werden laſſen. Toller
Einfall! Oder vielmehr — allmählih fommt
man doc dahinter, daß einiger Sinn in dem
Briefe ftedt — feine Liebe heit Eleonore; der
Geheimerat Betting — Wantrup wollte ic)
fagen — ift ihr Vater oder am Ende gar ihr
Gemahl. Wahrhaftig! Der Gegenftand diejer
Leidenſchaft fheint in der That eine verhei:
ratete Frau zu fein. Merkwürdiger Menſch!
Sind noch fo viele ledig und er verliebt fich in
eine verehelichte! Und ich foll, wie es fcheint,
herauäfriegen, mo fie zu finden. Meines Er:
mefjens läßt man feine Hände davon! Wenn
eine jo friedfame Natur, wie die meinige, ſich
in den Tumult einer Seele miſcht, die von fol-
chen Leidenſchaften gährt, wie die einige, gerät
fie leicht in den Strudel und wird mit fort:
gerifien, verfhlungen, ohne helfen zu können.
Sehen wir zu, was fid) fonft für ihn thun läßt.
— a, ja, er meint, er dürfe nur fommen und
zugreifen. Diefer Herbig, den man feiner vor:
trefflihen Eigenfchaften halber lieb haben muß,
ift doch einer jener Menjchen, die alles befigen,
was glüdlih machen fann, und alles thun, fich
unglüdlih zu fühlen. Nichts genügt ihnen,
wenn es im einzelnen nicht geht, wie fie wün—
iden. Stets haben fie nur fih und ihr Glüd
im Auge, oder doch das, was fie dafür halten,
und ſetzen alles daran, ſich unglüdlih zu
machen! — Wunderlich ift es doch, daß er gar
nicht danach fragt, wie mir's geht, was aus
Pauline Brodholt, Steubers verlafjener Braut,
geworden iſt.“ Und hier hob Drafow wieder
die Augen nad) dem Frauenporträt mit dem
Immortellenkranz überm Sofa und feufzte. —
„Wantrup! Wantrup!* fuhr er dann nad:
denfend und überlegend fort. „Der Name iſt
mir nicht unbelannt, ein Geheimerat Wantrup iſt
mir jedoch noch nicht vorgefommen, gibt's wohl
auch nicht. Aber von einem Profeſſor Wantrup
muß ich ſchon gehört haben. Halt! Heißt nicht
fo jenes gelehrte Original — der Schwieger:
vater des Geheimerats Betting?“
Dräſow ftarrte nachſinnend vor ſich hin,
Eleonore,
vermochte jedoch zu einer Klarheit nicht zu
fommen und hob nun eine der dem Briefe bei:
gelegenen Vhotographieen nad) der anderen auf,
um fie zu betrachten. Zuerſt feſſelte ihn dabei
der Kopf der Hera Ludovici. Göttliche Züge
voll anmutvoller Hoheit. Und ihr follte Her:
bigs Geliebte ähnlich ſehen? Cinem Weibe mit
diefem olympifchen Haupte glaubte er felbjt
ſchon im Leben begegnet zu fein, und zwar vor
nicht allzulanger Zeit hier in der Reichshaupt—
ſtadt. Die hohe Frau war ihm ſelbſt aufge:
fallen; wer fie jedoch war, davon hatte er Feine
Ahnung.
Allmählich verlor er ſich in den Anblid der
anderen Photographieen und fand zwifchen den:
jelben auf dem Tiſche eine bereits jtarf abge:
griffene Vifitenfarte von fehr fleinem Format.
Er wollte fie hinwegſchieben, da er fie für eine
ältere, bei ihm abgegebene hielt, bemerkte je:
doch, daß fie befchrieben war und hob fie halb
abſichtslos, gleihfam nur mechanisch vor die
Brille, Flüchtig überlas er die Zeilen, anfäng-
lich ohne Anteil an dem Inhalt, dann von dem:
jelben nicht weniger gefefjelt, als von der hüb:
ihen weichen Schrift. Und mit wachſendem
Staunen las er:
„Ich habe Dir etwas im Vertrauen mit:
zuteilen, denfe Dir heute morgen als ich meinen
Zopf anjteden will, ift feiner zu finden bitte
jud dod mal, wo wir gejtern geweſen find;
halt eö aber geheim vor allen. Ich kann es
faum vor Lachen aufs Papier bringen.
Jenny Nordhaſe.“
„Was iſt denn nun das?“ ſprach Dräſow
zu ſich ſelbſt, nochmals das zierliche Billet
wendend, prüfend, von allen Seiten betrach—
tend. Wie war denn dies ‚niedliche Zeug‘ zu
ihm gelangt? Unter den ihm befannten weib:
lichen Weſen gab es feine Jenny Nordhafe,
feine, die bei mangelhafter Interpunktion fo ge:
füllige, anziehende Billets fchreiben konnte.
Aber, gehörte auch diejes Kärtchen zu den von
Herbig beigelegten Gedenkblättern?
Die Annahme that ihm weh, er wußte
jelbft nicht warum, indem er Gedanken über den
Zufammenhang der Dinge nahhing. Es war
jo viel keuſche, mädchenhafte Schalthaftigfeit in
den wenigen Beilen. Sie hatte ihren Zopf ver:
loren — wie drollig! Ber ihm? So fehr ihn
diefe Vorausfegung fchmerzte, mußte er ſich
doch — alles in Betracht ziehend — geftehen,
daß das Billet, aller Wahrjcheinlichleit gemäß,
401
dem Lorbeerzweig, Dlivenblatt und den Photo:
graphieen beigelegen war. Allein Herbig hatte
doc im ganzen Briefe nichts von einer Jenny
Nordhaje erwähnt; die Zeilen waren wohl aud)
nicht an Herbig gerichtet; ein Mädchen bittet
doch faum den geliebten Mann, nad) ihrem ver:
lorenen Zopf zu fuhen. Nein, nein! Das ganze
Schreiben ſo — fo natürlih, jo ſittſam, fo
geihämig, fo voll untrüglicher Unſchuld!
Se länger ſich Dräfow mit dem Kärtchen
beſchäftigte, deſto angenehmer fühlte er fich von
deſſen Inhalt angemutet. Allmählich fo jehr,
daß er alles andere darüber vergaß. Ein fürm:
liher Zauber wirkte aus diefen weichen Schrift:
zügen, bis er nachgerade nicht mehr daran dachte,
dab fie feineswegs an ihm gerichtet waren.
Obwohl die Zeilen an und für fich feinen An:
haltspunft dafür boten, daß der Zopf nidht von
einem alten Kopf mit runzeligem Antlit ge:
fallen war, bezweifelte er feinen Augenblid,
daß die Schreiberin anders als jung fein könne.
Diefe Jenny Norbhafe mußte ein noch ſehr
jugendliches, ein fehr gutes, ein fehr liebens:
würdiges, ein fehr hübſches, ein ſehr heiteres
und nettes Frauenzimmerchen fein. Je länger
er aljo das Billet anfah, deſto beijer gefiel es
ihm famt der unbekannten Verfafjerin. Die
Sehnſucht nah einem friedlihen Haushalte
drängte ſich plößlic Tebhaft vor. — Und
wie? Wenn Jenny jest mit leifem, ſchweben—
dem Tritt und lächelndem Gefiht im Haus:
häubchen hereinträte! Wenn fie hier am Ofen
ihm gegenüberjäße!
Immer gemütlicher malte er ſich das aus.
Nochmals feine Cigarre anzündend, fand es
Dräſow nicht überflüffig, ſich recht bequem auf
dem Sofa in der Nähe des Ofens niederzu:
lafjen und, während des Schneefalles draußen,
im behaglichen Zimmer angenehmen Träumen
und Vorftellungen von einem lieblihen Weib:
chen nachzuhängen, indem er andauernd Schrift
und Anhalt betrachtete.
Dieje Jenny Nordhafe muß noch jung fein,
folgerte er hierbei, da fie ji die Naivetät jener
Blütezeit gewahrt hat, wo es nod) drüdende
Mädchengeheimniffe gibt, deren man ſich nicht
rafch genug entledigen kann. Cie hat ein hei:
teres, unbefangenes Gemüt, da fie über ihren
Verluſt fo jehr lachen fann. Sie ift häuslich,
weil fie es nicht peinlich empfindet, wegen des
verlorenen Zopfes ans Haus gebannt zu fein;
verſchämt, weil fie nicht wünſcht, daß andere
402
hinter das Geheimnis fommen; aufrichtig, weil
fie den Verluft überhaupt einer Menjchenfeele
eingefteht; bejcheiden, da fie nur verlangt, nad):
zufuhen, wo man tags vorher geweſen; ord—
nungsliebend und ſcharfſichtig, weil fie ſofort
beim Aufftehen in der Frühe den Zopf vermißit;
voll Sanftmut, da fie ihren Berluft fo ruhig
und gelafjen erträgt; ohne Eitelkeit, da fie nicht
lieber den Zopf verliert, als deſſen Verluft ein:
zugeftehen; hübſch, weil fie weiß, daß ein voller
Zopf hübſche Mädchen gut kleidet; voll liebens:
würdigen Humors, da fie über ihr eigenes
Malheur fo neckiſch ſcherzen kann; fparjam,
weil fie den verlorenen Zopf überhaupt wieder
haben will, ftatt fofort an den Kauf eines neuen
zu denken ...
Kurz, Gotthold Daniel Dräſow, Doktor
der Weltweisheit und Docent an der erſten
Hochſchule des Reichs, ſchloß aus den wenigen
Zeilen auf ſo viele Tugenden, verlor ſich ſo
ganz in Erwägungen und Betrachtungen, wie
ſchön es ſich mit ſolchem Weibchen leben ließe,
daß er völlig überſah und überhörte, wie nun—
mehr draußen das Wetter umgeſchlagen war.
Der Lenzſturm ſchleuderte jetzt große kalte Re—
gentropfen an die Fenſter und zwiſchen den
ſchmelzenden Schnee, tobte heulend um die
Hausgiebel und fauchte wie ein gefangenes Un—
tier im Schornſtein. Kaum gewahr wurde deſſen
der Stubengelehrte. Ebenjowenig entjann er
fih noch) der Vorgänge des Tages und hatte
gänzlich vergejjen, fi far zu machen, auf
welde Weiſe das Billet in feine Wohnung ge:
langt fein mochte. So tief war er in feinen
Folgerungen aus deſſen Inhalt verloren, fo ſehr
in Betrachtungen feines häuslichen Glüdes mit
Jenny Nordhaſe verfunfen, daß er nicht einmal
inne ward, wie jett jählings die Klingel feiner
Wohnung gellte, jemand eingelafjen, an feine
Thüre gewiejen wurde, ungeftüm anpochte und,
diejelbe aufreigend, hajftig eintrat. —
Es war ein hoher, ſtattlicher, tief in einen
Reiſepelz gehüllter Mann, der bereits in der
Stube jtand, während der Bewohner berfelben,
noch förmlich verzaubert von dem Zopfbillet,
ſich nicht enthalten fonnte, es mit einer zärt:
lihen Anwandlung an feine Lippen zu brüden
und auf den Namen der unbefannten Geliebten
einen keuſchen Kup zu prejien. Indes ſpritzte
der Fremde nochmals unwillfürlih den von
Schnee und Negen völlig durchweichten Hut ab,
daf es nur jo ſauſte und Flocken und Tropfen im
Auguſt Beder. Eleonore.
Zimmer umherfprühten, wobei aud) der Träumer
auf dem Sofa, von einigen falten Wafjerperlen
getroffen, verwundert emporjchredte.
„Du jchliefft wohl, Doktor!” fing jetzt der
Eingetretene an, „und ich habe dich aus ſüßem
Traum geweckt.“
Dräſow fprang vom Sofa auf und fah
den anderen beftürzt, ja entjegt an.
„Engel und Boten Gottes, was willjt du?
Wie fommft du hierher?“
Der Angerufene trat einen Schritt näher,
langte nad) des Stubengelehrten Hand und
jchüttelte fe Fräftig.
„Richt fein Geift,* fprach der Fremde, „es
ift der unfelige und wie ich ſehe, unwillkommene
Menſch ſelbſt.“
„Iſt es denn möglich? — Eben erſt erhielt
ich aus Rom dieſe Epiſtel!“
„Kann ein Menſch nicht jo raſch kommen,
als ein Brief?” fragte der Ankömmling den
verblüfften Bewohner der Stube, der fein
Staunen und feine Beſtürzung nod nicht über:
wunden hatte. „Leider Friehen unfere Bahn:
züge noch jfchnedenartig von Land zu Land. Co
lange die Weltpoft unferen Leib nicht mit Tele:
graphenfchnelle dahin befördert, wohin die
Seele vorausfliegt, rede man mir nicht von
Fortſchritt. Ich ſchrieb dir doch, daß ich es nicht
länger über den Bergen aushalte! Frage aljo
jet nicht weiter. Sei indes fo gut, wenn du
dich vom Schred über mein Erjcheinen ermannen
fannft, und hilf mir den Pelz vom Leibe ziehen.
Er ift Schwer von Näffe. Habt ihr doc ein
Metter wie die Samojeden.”
„Du wollteft ja Schnee!” erwiderte Dräſow,
der fich noch immer nicht in die Lage zu finden
wußte, halb vorwurfsvoll jammernd, in Ela:
aendem Ton, indem er ſich bemühte, dem Gaſte
den fchweren Mantel abzunehmen. „Du woll:
teft ja Schnee!”
„Ganz recht,“ verjette Herbig. „So will
ich's, fo will ich's. Es geht doch etwas vor. Ich
mache mir wenigjtens nichts aus dem Unwetter,
in welchem ich wieder hier in meinem Gafthof
anlangte, und fahre ſchon feit drei Vierteljtun-
den umber, um nach dir zu fahnden. In deiner
früheren Wohnung wies man mich hierher.”
Und Herbig jah ich in der Stube um. „Dir
geht es pafjabel, wie mir fcheint.“
Dräſow nidte beftätigend und drängte den
Freund, Platz zu nehmen. Der aber zog vor,
auf und niederfchreitend die Dielen zu meſſen.
U. Kleinfhmit, Aus dem Bienenleben.
„Nun, freut mich. Du zweifelteft immer
an deinem Stern. Du haft dich gut verhei-
ratet? — Er fchüttelt mit dem Kopfe und
Scheint mich zu verftehen, wie der Governore im
Don Juan. — Alfo ſchlecht gefahren? — Auch
nicht. So bift du noch ledig und haft nad):
einander dreißig Auflagen erlebt?"
„Kommt nicht vor. D nein!“ feufzte Drä:
ſow, dem es ſchwer fiel, den Eindrud der plöß:
lichen Erfcheinung des Freundes zu verwinden.
„So haft du die Lotterie gewonnen? —
Ebenfalls nicht. — Eine gefegnete Tante be:
erbt ?”
„Geerbt ja, aber feine Tante,“ Tautete
Dräſows wehmütige Beftätigung.
„Alſo Mutter, Schwefter, Bruder, Onfel?
Niht? Wen denn?”
„Ein edles, verfanntes Weſen, dem ich
ewig Dank und Treue ſchulde.“
„So jteht es. ch weiß deinen Schmerz zu
ehren,” ſprach Herbig, noch immer haftig hin
und herichreitend. „Allein, als ich eintrat,
alaubte ich dich in Glüd verloren, jo inbrünftig
drüdteft du ein Billet oder ein Bild deiner
Geliebten oder abweſenden Gattin an bie Lip:
pen. So haft du did) alfo getröftet.”
(Fortſetzung folgt.)
Aus dem Bienenleben.
Don
X. Kleinſchmit.
RK; Wiſſenſchaft bietet ein fo unendlich
reiches, mannigfaltiges und wichtiges Feld
für unfere Wifbegierde, für Studien und Er-
fahrungen, als die Naturwiſſenſchaften. Im
großen ſowohl wie im fleinen treten immer
wieder neue Erfcheinungen, neue Kombinatio:
nen zu den alten befannten und bereichern die
Summe des allgemeinen Mifjens täglich mehr
und mehr. Kein Studium ift aud) wohl jo inter:
eſſant als das der Natur; je weiter der gebildete
Menſch in ihre Geheimniffe einbringt, um fo
mehr wird feine lebendige Teilnahme von allen
den bunten Wundern gefefjelt, denen fein Auge
begegnet.
403
Nur wenigen ift es vergönnt, fich Durch den
Augenschein, 3. B. von dem Haushalte und dem
Leben der Bienen ein klares Bild zu vergegen-
wärtigen. Es wird daher dem Leer eine Furze
Darftellung vielleicht nicht ganz unintereffant
fein, felbjt wenn er, wie ich wohl vorausſetzen
darf, hie und da bereits einiges darüber gelefen
oder gehört haben follte.
Wie die Wefpen, Hummeln ꝛc. gehört die
Diene zu den Hautflüglern. Trotzdem unter:
ſcheidet fie fich, abgefehen von ihrer äußeren Er:
ſcheinung, von diefen ſehr wejentlih. Während
die erfteren einzeln leben, einzeln ihren familien:
ſtand begründen, auch in einen volljtändigen
Minterfchlaf verfallen, fo tft das bei dem In—
jefte, von dem ich einzelnes zu erzählen im Be:
griffe ftehe, nicht der Fall. Die Biene ift nicht
imftande, ſich einzeln, ſelbſt im Sommer, längere
Zeit am Leben zu erhalten; fie wird faum vier:
undzwanzig Stunden überleben, auch dann,
wenn fie mit Honig verjorgt fein follte, weil
e3 ihr als einzelnem Individuum einerjeits
gar nicht möglich ift, während der kühleren
Nächte denjenigen Wärmegrad zu erzeugen, in
welhem fie dauernd leben muß, fie würde er:
ftarren und jterben; anderjeits müßte fie, ein:
geiperrt, ſich ſo abarbeiten, daß fie aus Er:
ihöpfung binnen furzem zu Grunde gehen würde.
Ihr ganzes Leben, ihr Wirken und Wohl—
behagen fommt erſt im engen Zufammenleben
mit einem Vienenvolfe zum Ausdrude. Nur
ein foldhes von Taujenden einzelner Individuen
it in der Lage, zufammenlebend in einer ent:
Iprechenden Wohnung, die nötige Wärme zu
produzieren und diejenigen Bedingungen herzu—
itellen, welche zur Erhaltung auch des einzelnen
Inſektes unerläßlich find.
Auch das Bienenvolf verfällt nit, wie
einzeln lebende andere Inſekten, in einen foge:
nannten Winterfchlaf. Dicht zufammengedrängt
und aufeinander fitt es im Winter auf den
Honig und Wachstafeln, feine gefamte Lebens:
thätigfeit allerdings auf ein geringes Minimum
reduziert, aber doch der ununterbrochenen Er:
nährung bedürfend, von den Vorräten, diefen
langjam nachrückend, zehrend und ala Produkt
ihrer Verdauung die zum Leben nötige Menge
Wärme produzierend. Jede Biene, welche fi)
in diefer Winterperiode von dem dichten Haufen
trennt, erftarrt fofort und muß ihr Wagnis mit
dem Leben bezahlen.
So hat man ſich daran gewöhnt, ein ganzes
404
Bienenvolf ala Einheit aufzufaſſen, indem es
nur als jolches Lebensfähigkeit befitt, welche dem
einzelnen Gliede einer ſolchen Familie vollfom:
men abgeht. Alle find, ſoweit fie zu einem felb:
ftändigen Ganzen gehören, der Negel nad) Ge:
Ihwifter, Kinder eines Vaters und einer Mut-
A. Kleinfchmit.
fie umgebenden Kinder den Rüſſel, das Befte
bietend, was der Haushalt gewährt. Es ift
als wenn fie das Bewußtſein hätten, daß von
diefer ihrer Mutter der gedeihliche Fortbejtand
des gejamten Heinen Neiches abhängig ſei, daß
fie eö allein fei, welche für zufünftige Generatio—
ter, wenn die nen ſorgt.
letztere nicht Schlank
eine künſtlich und um die
zugeſetzte Hälfte grö:
— we nemöhntiche
ewöhnliche
eine von den o Arbeits-
Bienennad): biene, iſt
De An femnbar für
2 ennbar für
gin, die Bie: das geübte:
— Ay
uge. Die
genannt, Quantität
iſt * ei ber Eierlage
ge durchaus einer Kö:
volltommen nigin richtet
gg * * der
eibchen, reszeit
und die aus⸗ und dem
Gierlgern —
St er T=
im Gtode. fe des Vol:
—— kes und der
alt be: Ergiebigkeit
fit nur eine der Honig:
einzige, frei quellen.
im Gtode Im Winter,
fi be- ü zur Zeit, wo
wegende Kö: das Volk—
nigin; eine chen nur noch
zweite wür: ein vegeta⸗
de nicht ge: tives Dajein
— ſie ap ' >
würde un ie Lebens:
fehlbar getö: Big. 1. Pimeniäwarın S. 406. bedingun⸗
tet, erſtochen gen auf das
werden. Von dieſer einen Mutter ſtammen
mit wenigen Ausnahmen ſämtliche Familien—
mitglieder ab, und es iſt rührend, zu ſehen,
mit welcher Liebe, Auszeichnung und Auf—
merkſamkeit fie von ihrem Volke behandelt und
bedient wird. Von einem förmlichen Hofftaate
umgeben, bewegt fie fi inmitten des Volfes,
ihrem Lebenöberufe folgend, von Zelle zu Zelle,
von Tafel zu Tafel. Willig reichen ihr die
äußerte Minimum herabgeitimmt find, legt bie
Königin gar feine Eier. Wie im Herbfte mit
dem Aufhören der honiahaltenden Blüten in der
Natur und dem Beginne der fühleren Jahres—
zeit die Cierlage aufhört, jo beginnt fie nad)
dem Frühjahre hin, felbit zu einer Zeit, wo die
Bienen noch in dihtem Zufammengedrängtfein
fich nicht vom großen Haufen ohne Lebensgefahr
zu trennen vermögen, oft ſchon im Monat
Aus der Bienenwelt.
Januar, allmählich wieder und fteigert fich mit
der zunehmenden Märme der Luft, mit dem
wachſenden VBolfreihtume und der beginnenden
Blütenentwidelung mehr und mehr, bis fie im
Mai und Juni ihren Höhepunkt erreiht. Eine
junge, fräftige, fruchtbare Königin eines gut
überwinterten zahlreichen Volkes von vielleicht
hunderttaufend Bienen ift zur Zeit der üppigjten
Blütenpradt imftande, in vierundzwanzig Stun:
den über dreitaufend Eier zu legen. Wenn
man bedenkt, daß dreitaufend Eier, in Form
einer Bohne und der Größe eines fehr Heinen
Stednadelfnopfes, dicht zufammen und auf:
einanderliegend, ein größeres Volumen reprä:
fentieren als die Cierlegerin felbit, jo kann
man fich einen ungefähren Begriff von der Lei:
jtungsfähigfeit einer Königin überhaupt und
von der auferordentlichen Schnelligkeit machen,
mit welcher die Eier fich entwideln müfjen, mit
welcher erftaunlihen Rapidität der Stoffmechfel
vor fid) geht.
Die natürliche Lebensdauer einer Bienen:
fönigin beträgt in der Regel fünf bis ſechs Jahre
und ihre Fruchtbarkeit nimmt mit dem zunehmen:
den Alter ab; in ihrem ganzen Leben tjt fie wohl
fähig, eine Million Eier zu legen. Außer in
ihrer Jugend, dann nod) in dem alle, wo fie
mit einem Schwarme die alte Häuslichfeit ver:
läßt, begibt jic) die Königin niemals außerhalb
des Stodes.
Die Eierlage ift infofern eine durchaus will:
fürliche, als es die Königin volllommen in ihrer
Gewalt hat, je nad) den Umftänden Eier zu
legen, aus denen fi) männlide, oder joldhe,
aus denen ſich weibliche Bienen entwideln; und
zwar werben in die größeren Drohnenzellen aus:
nahmslos Drohneneier gelegt, aus denen männ:
lie, in die kleineren Arbeitsbienenzellen nur
folhe, aus denen weibliche Bienen entjtehen.
Das Königsmeibchen weiß daher jehr wohl zu
unterfcheiden und gibt da, wo Drohnen: und
Arbeiterwachs aneinanderjtogen, ohne längere
Erwägung oder Unterbrehung nur die ent:
jprechenden Eier von fih. Seine fehr natürliche
Erklärung findet diefer Umftand in der That:
ſache, daß die Königin jedes von ihr abzugebende
Ei ſelbſt befruchtet oder nicht befruchtet. Im
eriten Falle wird das Ei zu einem weiblichen,
. im leßteren zu einem männlichen gejtempelt.
In früheren Jahren, folange noch entgegengefeßte
Erfahrungen nicht vorlagen, ftellte man kühn
die von feiner Seite widerlegte Behauptung
405
des Gegenteil auf. Wie wenig bie Unrich—
tigfeit dieſes Satzes im größeren Publikum nod)
befannt ift, zeigte mir beifpielsweife vor mehre:
ven Jahren ein jüngerer Arzt in Pyrmont,
welcher durd feine Renitenz eine Wette ver:
lor. Erſt in neuerer Zeit hat man die ſoge—
nannte Barthenogenefis fejtgeftellt, und ift die
Biene gerade das vermittelnde Medium bei
diefer Entdedung gewefen. Das Verdienft diefer
neuen Erfahrung gebührt dem um die Bienen:
zucht jo außerordentlich verdienten katholiſchen
Pfarrer Dierzon in Karlsmarkt (Schlefien),
fowie den Naturforfchern von Siebold und Hof:
meister, welche die erſt ſchüchtern auftretende
und heftig befämpfte Theorie zur unumftöß:
lihen, auch in wiſſenſchaftlichen Kreifen all:
mählich anerfannten Thatjache befeftigten. Wie
ich ſchon vorhin erwähnte, verläßt die jungfräu:
liche Königin nur einmal den Etod. In
denfelben zurüdgefehrt, beginnt in der Negel
nad) vierundzwanzig Stunden das Geſchäft des
Eierlegens.
Der evidente Beweis für diefe höchſt inter:
efjante Erſcheinung wurde durd) die Einführung
der italienischen Bienen vermittelt, einer Bienen:
art, welche ſich von unferer einheimischen ſchwar—
zen durch fhöne gelbe Ringe am Hinterleibe
auszeichnet und dadurch eine gewiſſe Aehnlich—
feit mit einer Mefpe erhält, im übrigen jedoch
wenig oder gar nicht in ihrer Größe, ihren
Eigentümlichkeiten und Gewohnheiten von der
unferigen differierend. Diefer Unterjchied in der
äußeren Farbenzeihnung ift nicht zu verfennen
und auch dem Laien bei einem oberflächlichen
Vergleihe ſchon fofort erſichtlich. Eine Kreu—
zung unferer einheimischen Bienen mit den ta:
lienern hat nun in eflatantefter Weiſe gezeigt,
daß die Vererbungsfähigfeit der Rafjeneigentüm:
lichkeit feitens des Vaters fi) nur auf die weib:
liche Descendenz erjtredt, während die männ:
lichen Nachkommen unzweifelhaft die reine Raſſe
der Mutter beibehalten, der Einfluß des Vaters
alfo total ausgeſchloſſen bleibt. Cine rein ita—
lienifche Mutter und ein deutjcher Vater werden
nur weiblichen Baftarden halb deutjch, halb ita-
lieniih das Leben geben, die aus diefer Che
entjprofjenen Drohnen oder Männchen bleiben
unverfennbarrafjereine Staliener, undumgefehtrt.
Man hat diefe Verſuche taufendmal und in allen
möglihen Variationen angejtellt, im Prinzipe
aber immer dasjelbe Rejultat gewonnen.
Die Nichtigkeit diejer Theorie geht aud)
406
aus einer anderen Erfcheinung unleugbar hervor.
Hat ein Bienenvolf feine Königin durch irgend
einen Umſtand verloren und befitt auch nicht
die Mittel, fih) eine andere Nachfolgerin aus
eigener junger Brut nachzuerziehen, jo ijt es im
wahrften Sinne des Wortes weifellos und als
felbjtändige Familie ohne künſtliche Abhilfe un:
rettbar dem Untergange geweiht. Es ift dem:
felben diefe prefäre Lage auch nicht unbekannt,
und e8 fommt unter
folden Berhältnifjen
nicht gerade ſelten
vor, daß in dem in:
ftinftiven Gefühle
desBedürfnifjesnad)
einem die Meiter:
entwidelung bedin⸗
genden Erſatze, eine
gewöhnliche Arbeits:
biene (zwar aud) ein
unzmeifelhaftes
Weibchen, aber mit
derart verfrüppelten,
in der Entwidelung
bedeutend zurück—
gebliebenen Drgas
nen, die eine Wirf-
famfeit wie die der
Königin abjolut un:
möglih madt) an:
fängt, in Heine Ar:
beiterzellen Eier zu
legen, aus denen fi
U. Kleinfchmit.
während dem Wachstum der Arbeiterinnen in
ihrer Jugend durch die näher aneinander liegen=
den Bellenwände die engjten Grenzen geſetzt
find. Auch die Ernährung der Königin aus:
hlieglih mittels eines Ertraftes aus den ge:
wöhnlichen Yuttermitteln ift eine intenfivere
und reichlichere, und mag nicht wenig zu ber
größeren Ausbildung ihrer förperlichen Verhält-
nifje beitragen. Es aeht aus dem Gejagten
ihon zur Genüge
hervor, daß jede of:
fene, d. h. unver:
puppte Bienenmade,
aber aud) nur wäh—
rend dieſes erjten
Lebensſtadiums,
fähig war, durch Er:
weiterung ihrer Kin:
derftube, durch beſ—
fere und reichlichere
Ernährung mit ut:
terertraft, zu einem
vollfommen ausge—
bildeten Weibchen,
einer Königin, erzo—
gen zu werden. Daß
diejes auch ſehr häu—
fig in Wirklichkeit
geichieht in der prak—
tiſchen Bienenzucht,
erfährt man leicht,
wenn man einem
Bienenvolfe, das na—
in gewifjer Zeit aller: ie 3: Mebraßät mit Rönteinelle türlich mit Eiern oder
dings auch lebendige (oben weht. unverpuppten Ma:
Weſen, aber aus: den verjehen fein
nahmslos nur Droh⸗ —
nen entwickeln. Auch
hieraus iſt ganz derſelbe Schluß zu ziehen.
Die Arbeitsbienen, ſo genannt, weil ſie
ſämtlichen eigentlichen Geſchäften innerhalb und
außerhalb der Wohnung, des Stockes, ob—
liegen, ſind im Vergleich zu der Königin ver—
kümmerte Weibchen, und zwar verkümmert
infolge ihrer eigentümlichen Erziehung als
Made und Puppe in kleinerer Zelle und
durch rohere Futterſtoffe. Eine zur Erziehung
einer Königin dienende Zelle, nur für das ſpe—
cielle einzelne Bedürfnis erbaut und nach er—
fülltem Zwecke wieder abgebrochen, iſt bedeutend
größer, länger als die Bienenzelle, der kräftig—
ften Entwidelung hinlänglihen Raum bietend,
ftanımte lenitime
Mutter wegnimmt. Flugs wird das Bienen:
volf, nahdem es feinen Verluft erfannt und
durch unruhiges Umherlaufen und Suchen dieſe
Erkenntnis zum Ausdrud gebradit hat, vor:
ſorglich aleih mehrere Zellen mit offenen
Maden, befonders an den Kanten der Brut-
waben, zu Königinnenzellen (Fig. 2) erweitern,
umbauen. Gewöhnlich den 14. bis 15. Tag nad)
diefer Manipulation’jchneidet die reifite der ver:
puppten Königinnen den Dedel ihrer Zelle bis
auf ein ſchmales Scharnier von innen ab und gibt
ihr Dafein durch einen hellen Ton: „tüt, tüt“
zu erlennen und fpaziert, wenn fie feine Ant:
wort empfängt, mutig aus ihrem engen Gefäng-
nifje heraus, wo jie
dann von ihren Unter:
thanen bie ihr entgegen
gebrahteHuldigung ent:
gegennimmt. Ihre Ma:
jeftät wird beledt, ge:
pußt, reftauriert aus den
Mägen ihres Hofjtaates
und in ihren Gemächern
umhergeführtt. Kaum
wird fte jedod) der noch
weiter vorhandenen Kö:
niginnenzellen anfichtig,
als fie auch jofort in der
Anmwandlung einer hef:
tigen Eiferſucht dieſe
ihre Nebenbuhlerinnen
zu vernichten ſtrebt. Iſt
das Volk nicht über—
mäßig kräftig, zahlreich,
oder hat es in feiner
Wohnung mehr als
hinlängliden Raum,
Uus dem Bienenleben.
Big. 4. Bienentetie (&. 410).
407
fallen ſofort beide über:
einander her und ber
mwütendfte Zweilampf
findet nicht früher fein
Ende, ald nicht minde:
ftend eine der beiden
Kämpferinnen unter:
legen iſt. Tritt, ehe ein
foldies Wolf mit jung:
fräuliher Königin ben
beabfichtigten Schwarm
abgeftogen hat, Negen:
wetter ein und damit
die Unmöglichkeit des
Auszuges, habeninfolge:
deſſen mehrere Königin:
nen Zeit gehabt, zum
Ausihlüpfen aus ber
Zelle reif zu werben,
dann fann man an ruht:
gen Abenden, wenn man
das Ohr an den Stod
legt oder auch nur in der
dann erfennt e3 in der Negel jeine Königin | Nähe des Stodes ſich befindet, ein fürmlidhes
dadurch förmlich an, daß es ihr diefe Arbeit | Tüt:Konzert in demfelben hören, welches einer:
abnimmt, die übrigen Meifelzellen zeritört, die
mehr oder weniger reifen Königinnen
ohne weitere Umſtände herauszieht,
tötet oder sans fagon zum Gtode
hinaus fpediert. Die ermählte Königin
it nun allein Herrin ihres Neiches,
hält in den nächiten Tagen ihren
Hochzeitäausflug und beginnt ihr
Eierlegen. Fühlt dagegen ein Volt
den VBollbefig feiner Kraft und iſt
die bisher innegehabte Wohnung zu
enge, dann zieht es teilmeife mit der
jungfräulichen Königin ala Schwarm
aus und die nädjitreife Mutter entfchlüpft im
Big. 5. Bienentopl
iwergrößerti,
jeits von den noch inhaftierten Königinnen etwas
dumpfer Elingend, herrührt, ander:
jeitö jedesmal von der frei ſich be:
wegenden Königin, als Kundgebung,
daß der Thron von ihr bejegt ift, heil
beantwortet wird.
Jedem Kinde iſt es befannt, daß
die Biene die Sammlerin und Liefe—
rantin des Honigs iſt. Zu Taufenden
fieht man fie im Frühjahr auf einem
reihen Blütenfelde umherſchwirren,
mit dem Rüſſel in das Innere jeder
Blüte dringend aus ihr den ſüß duf—
tigen Saft aufſaugen, um im nächſten Momente
alten Stocke unter denſelben Erſcheinungen der | zu einer anderen Blüte zu eilen, ohne Unter:
hat. | brechung, die ſüße
Puppe. Wohl:
räumt
weislich bleibt Sollte e8 der | ohne ſich Bürde in
fie aber im Be: Zufall bei | Nuhe zu eine Belle
wußtjein ihrer einer folhen | gönnen, bis ablädt, um
größeren Gi: Gelegenheit | ihre Honig: auf neue
cherheit jo lan- einmal fügen, blaſe gefüllt Ernte aus:
ge in ihrer | was aller: iſt und fie zufliegen.
Zelle, Bis ihre ash ginn dings wohl ſchwerbe— — Reiche Ho—
Vorgängerin (wergrößern), höchſt ſelten laden nad wergrößert, ©. #12), nigweidege:
das Feld ge: vorfommt, Haufe eilt, währen u.a.
daß eine zweite Königin ihre Zelle verläßt,
während bie erfte noch im Stode weilt, dann |
namentlich die Objtbaumblüte, der Naps, Som:
merfamen, Cjparfette, Zuzerne, Weißklee, die
ro
os
itized |
408
Linden: und bie Heibelblüte. Nicht alle Blumen
aber enthalten Honig und nicht zu jeder Zeit,
auch ift der Honig nicht aus allen Blüten erreich-
bar. Es ijt merfwürdig, welden Einfluß die
Elektricität auf die Blüten hat; nad einem
itarfen Gewitter mit heftigem Bliten find die
ergiebigjten Honigquellen plößlich total verfiegt
und die Pflanze muß erft wieder neue Blüten
treiben, um den Bienen Weide zu bieten. Die
Kinder, na: tenföpfe des Not:
mentlih auf fees an ſüßem Safte
dem Lande, find, denn fie rup—
wilfen, wie fen die Kelche ab
reich die Blü- und faugen fie aus.
I Den Bienen ift diefe
5 sehr reihe Quelle
gänzlichverjagt, weil
die Blütenfelche zu
tief find und der
Bienenrüffel zu kurz,
um auf den Boden
berjelben gelangen
zu können. Man fieht daher feine einzige Biene
ein blühendes Notkleefeld befuchen. Wunderbar
ift e8, wie rafch die Bienen, felbjt auf weite Ent:
fernungen, alle Süßigkeiten wittern; hat exit
eine Biene genafcht, ſo finden fie fich jehr bald
icharenweife ein, um an dem lederen Mahle teil:
zunehmen. Ebenfo willen fie jofort, wenn die
eine oder andere Quelle ihres Labſals verfiegt
iſt. Es ift unzweifelhaft zu erfennen, daß die
Vienen ein natürlihes Mitteilungsvermögen
untereinander befigen müfjen, auch andere Er:
ſcheinungen weifen auf das Vorhandenfein eines
ſolchen evident hin.
Obgleich bei fehr ergiebiger Weide der Honig
von den Bienen in der Eile häufig in dem un-
teren Teile der Waben interimiftiich abgeladen
wird, fo wird er doch fpäter möglichjt nach oben
translociert und dort in den Zellen, immer von
oben nad) unten bebedelt, d. h. mit einem dün—
nen Wachsblättchen luftdicht verſchloſſen. Es
würden ja ſonſt die flüſſigen Beſtandteile zu
raſch verdunſten, der Honig zu ſehr verdichtet
werden und ſchließlich kryſtalliſieren, ſo daß die
Bienen im Winter, trotz ihrer Vorräte und auf
ihnen ſitzend, verhungern könnten. Dergeſtalt
kryſtalliſierter Honig iſt für die Bienen ungenieß—
bar, weil ſie ihn ohne Waſſer nicht auflöſen
können, Waſſer aber niemals für den Winter
aufgeſpeichert wird. Daher findet man nach
recht langen Wintern und namentlich, wenn eine
Vio. 8.
Dinterbein einer Arbeilsbiene.
U. Kleinfchmit,
Herbitweibe gefehlt hat, der Honig alfo fehr alt
ift, auf dem Boden des Stodes häufig eine
Maſſe Kryftalllörner, die zur Flugzeit, wenn die
Bienen Wafjer einholen fönnen, von diefen forg:
fältig wieder aufgelefen, aufgelöft und verwertet
werden. Will man fi feinen Bienen nun gern
gefällig erweifen, fo ſetzt man ihnen ſchon aleich
in den eriten Flugtagen vielleicht etwas verfüh:
tes Waſſer in einer flahen Schüffel mit Spänen
belegt, um fie vor dem Ertrinfen zu ſchützen, in
die Nähe des Standes, und man wird fehen, wie
wohl die Bienen die Aufmerffamfeit, die ihnen
vielleicht mande weitere Wege erfpart und fie
vor manchen Gefahren bewahrt, aufnehmen.
Warum jpeihern denn die Bienen ihre
Wintervorräte immer oben im Stode, jede Zelle
damit füllend, die von junger Brut frei wird,
und nicht unten, etwa in der Nähe des Flug:
loches, auf? Ganz abgefehen davon, daß er dort
vor Näubern ficherer iſt, fo ift die Zweckmäßig—
feit auch fchon aus dem Grunde fehr plaufibel,
weil nad einem alten Grundfage die Wärme
ftetS nad) oben zieht. Würde der Honig im
Parterre aufbewahrt werden, jo müßten aud) die
Bienen da ſitzen und natürlich ſchmählich frieren,
während die obere Etage wohlgeheizt und be:
haglidy warm wäre, Ya, noch mehr wird ber
Lefer ftaunen über die auferordentlihe Klug:
heit der Bienen und die trefflihe Einrihtung
ihres fünftlihen Hausftandes, wenn er hört, daß
fie alle Risen ihres Wohnhaufes bis auf das
Flugloch mit Harz dicht verkitten, welches ihnen
meiſt die Nadelhölzer liefern, damit ja feine
Wärme entweicht. Man wird fi diefe und ähn:
lihe Eymp:
tome eines
vernünftigen
Nachdenkens 4)
damiterflären &: .
fönnen, daß
man ſagt, es Gie9. «Gi, d Made, c Puppe (E. 400.
find das Ge—
wohnheiten und Eigentümlichkeiten, die immer
wieder von Generation zu Generation weiter:
vererbt, Ächlielich fonftant in der Nafje werden
mußten. Aber aud in improvifierten Aus:
nahmefällen wiſſen fi die Bienen fehr praf:
tiich zu helfen. 3.8. man legt ihnen eine
tote Maus auf den Boden des Stodes. Voll
Furcht oder Abſcheu biegen fie ihr anfäng:
lich vielleicht aus, gehen ihr aus dem Mege;
damit wird aber das immer unangenehmer wer:
Aus dem Bienenleben.
dende Objekt nicht bejeitigt; fie bejehen fich den
Fall näher, zerren, rupfen am Felle an den
Haaren herum. Vergebens! Was gejchieht?
Das was in diefer prefären Situation das einzig
Vernünftige ift: fie überziehen den ganzen ver:
wejenden Kadaver mit Harz und machen ihn ba:
mit für ihre Häuslichkeit vollfommen unſchädlich.
Und nun fage noch einmal einer, die Bienen
hätten feinen Verſtand!
Nächſt dem Honig ift das Blumenmehl ein
notwendiges Erhaltungsmittel für den Bienen:
haushalt; es wird daher in der Imkerſprache
auch Bienenbrot genannt. Gleichwie der Honig
wird auch diejes von den Blüten gefammelt, in-
dem das fleine Inſekt, um die Staubfäden der
nämlihen Blüten ſchwirrend, den Blütenftaub
abjtreift, mit Honig anfeuchtet und in Form
und Größe Heiner Linjen an den äußeren Knie:
gelenfen der beiden Hinterfühe nad) Haufe trägt.
Es fieht allerliebft aus, wenn eine fleißige Ar:
beiterin nad) der anderen, zwei weiße, graue,
rote, gelbe, grüne Bällchen, auf jeder Seite eines
tragend, ermübet von der Laſt ſchwer auf das
Flugbrett fällt und eilig in die Wohnung
ſchlüpft, um ihr Gewonnenes in eine Zelle ab:
zuftreifen und daſelbſt feſt einzuftampfen. —
Durd) das Schwirren um die Blüten trägt die
Biene unmillfürlih nebenbei nicht wenig zur
Verteilung des Blütenjtaubes, alfo zur Be:
frudhtung der Blüten bei und ift alfo aud) nad)
diefer Hinficht von unverfennbarem Nuten. Che
im Frühjahr noch die erften blumenmehlipen-
denden Blüten, namentlid Salmweide und Haſel—
nuß, aufbrechen, nehmen die Bienen als Erfat
auc gern Weizenmehl, welches man, in eine
leere Tafel getrichen, in der Nähe des Standes
aufitellt. Sie laſſen diefes jedoch fofort ftehen,
fobald die Natur felbit erjt genügend davon
liefert (S. 411).
Um auch unferen Hausfrauen einen Winf
zu geben, ſei noch bezüglich des Honigs bemerkt,
daß der aus ben Frühjahrs: und Sommerblüten
eingefammelte der aromatifhte und wohl:
fchmedendite, aljo der beite ift. Ganz irriger:
weiſe wird vielfach behauptet, der Heidehonig
fei der befte. Er iſt der fchlechtefte, ſcharf und
kratzig von Geſchmack. Will die Leferin Schei—
benhonig, jo kaufe fie nur hell goldgelb durch—
fihtigen in weißem Wachfe, alle dunflern, brau:
nen oder ſchwarzen Waben haben fhon mehr
oder weniger, wie ich noch zeigen werbe, der
Bruterziehung gedient.
409
Eine der vornehmften Thätigfeiten ber Bie-
nen innerhalb ihrer Behaufung ift die Fütterung
und Erziehung der Nachkommenſchaft. Die
Königin befet, nachdem von der Bedienung die
Zellen einer aufmerffamen, gründlichen Neini:
gung unterzogen worden find, in zufammen:
hängender Reihenfolge Zelle für Zelle mit einem
Ei, und dicht belagert das Volk diefelben, fie
durd; Erzeugung eines höheren Wärmegrades
bebrütend. Nach drei Tagen Schon läuft aus
dem Ei die winzig feine Made aus. Sofort
verjorgen die belagernden Bienen jede derſelben
mit einem Eleinen Tropfen Futterbrei, einem
aus Honig und Blumenmehl herftammenden
Produkte des Bienenleibes, aus welchem alle
zur Enährung nicht tauglichen Stoffe Durch den
Verdauungsapparat bereits ausgeſchieden find,
aljo der Duinteffenz der gewöhnlichen Nahrungs:
mittel, dem reinen Magenfafte oder Chylus.
Es dient derfelbe auch in den folgenden ſechs
Tagen der Made als ausjchlieglihes Nahrungs:
mittel, bis diefelbe, anfänglich in dem Futterbrei
ſchwimmend, allmählich wachſend, ſich ſchließlich
am neunten Tage, vom Legen des Eies an ge—
rechnet, in der Zelle aufrichtet und, nachdem ſie
von ihren älteren Geſchwiſtern mit genügendem
rohem Honig und Blumenmehl verſorgt wurde,
einzuſpinnen, zu verpuppen beginnt und nach
ferneren etwa zwölf Tagen als fertige Biene aus—
läuft (Fig. 9. Die ganze Entwickelungsperiode
nimmt alſo durchſchnittlich einen Zeitraum von
20 bis 21 Tagen in Anſpruch. Zwar iſt dann
die junge Weltbürgerin noch fehr zart und leicht
zu erkennen an ihrer helleren Farbe; gepflegt,
gepußt, gefüttert und erwärmt durch ihre fie
umgebenden nunmehrigen Kolleginnen, fonfo:
lidiert fie in den nächften Tagen, während wel:
chen fie den Stod zwar nod) nicht verläßt, aber
doc allmählich an den Arbeiten innerhalb des-
jelben teilnimmt, ihre Kräfte. Nachdem fliegt
auch fie aus, zuerft nur ſchüchtern in orientieren:
dem Vorfpiele unmittelbar vor dem Stode; fie
beficht fich die Wohnung von aufen, ihre Um:
gebung, merkt fid) die ganze äußere Konftellation,
um ihren Stod und die richtige Hausthür nicht
zu verfehlen, und wagt fi dann nad) und nad)
weiter, nimmt immer mehr die regelmäßigen
Arbeiten auf und ift fo fleißig wie jede andere.
Die Hülle, das Gefpinft, in welchem fie ver:
puppt war, bleibt in der Geburtözelle, deren
Mände damit gewiſſermaßen austapeziert find,
zurüd. Sie tft ein jo feines, dünnes Häutchen,
410
daß eine ganze Reihe von Generationen ihren
jugendlihen Entwidelungsgang in derfelben
Zelle durchmachen können, ohne daß fie weſent—
lich verengt wird.
Bezieht im Frühjahre ein Bienenſchwarm
eine neue, natürlich leere Wohnung, dann ift
feine erſte Sorge, diefelbe zunächit einer gründ—
lihen Reinigung zu unterziehen, fofern dieſes
nicht bereits früher vom Mutterjtode aus ge:
ſchehen ift, alle Niten zu verkitten, fie mit den
nötigen Möbeln auszuftaffieren und überhaupt
in bemohnbaren Zuftand zu verjegen, Viele von
meinen Lefern glauben wohl, daß aud das
Wachs aus der Natur fir und fertig zum Ge:
brauche nur jo herbeigeholt werden könne, oder
find ſich mwenigitens nicht Far darüber, woher
es eigentlich fommt. Wie der Sped, das Fleisch,
die Milch 2c. ein Produkt des tierischen Orga:
nismus, fo iſt auch das Wachs ein ſolches Ver:
wandlungsproduft des Bienenleibes, hergeſtellt
aus Honig und Blumenmehl. Der Schwarm
hatte fich vor feinem Auszuge aus dem Mutter:
ftode mit den natürlichen Nahrungsmitteln ver:
jehen, fo viel er nur tragen fonnte. In feinem
frifch bezogenen leeren Haufe fett er ſich jofort
an der oberen Dede an und hänat in Gejtalt
einer Traube, fettenförmig die eine Biene an und
unter der anderen, in großem lofem Klumpen
nad) unten (S.407, Fig. 4). Während nun gleich—
zeitig ein Teil der Bienen fchon die Weide befucht,
um Erſatz zu jchaffen, bleibt das Gros in der be:
Schriebenen Situation hängen und wartet in
ſcheinbar phlegmatifcher Ruhe der Verdauung.
Gleichwohl iſt diefe ſcheinbare Unthätigfeit nicht
Trägheit, fondern notwendige Bedingung für
die im Bienenförper fi entwidelnde Metamor:
phoje. Sehr bald tritt nämlich das reinfte
Wachs in Form von gang fleinen eirunden
weißen Plättchen, durchfichtig wie Marienglas,
zwijchen den Segmenten an den Hinterleibern
der Bienen hervor, wird hier von den unter:
hängenden Bienen mit den Zangen erfaßt, nad)
oben weitergegeben und an der Bauſtelle von
den dabei befchäftigten Arbeiterinnen zum Auf:
bau der Zellen verarbeitet. Schon jett tft die
Königin zur Eicherung der jelbftändigen Eri:
Er
jtenzfähigfeit der Kolonie beftrebt, jede einiger: |
ſchafft. Eine Entleerung der Bienen innerhalb
maßen vorgejchrittene, wenn auch noch nicht in
ihrer normalen Größe fertiggeftellte Zelle mit
einem Ei zu beſetzen. Betrachtet man eine leere
über die außerordentliche Negelmäßigkeit und
I
|
A. Kleinfchmit.
die peinlichite Genauigfeit in der Größe der
gleichartigen Zellen wundern; jede einzelne
Bienen: oder Drohnenzelle bildet in feiner Pe:
tipherie ein regelrechtes Sechseck, eine wie die
andere wie am Lineale hergezogen. Nach dem
peripherifchen Durchmefjer gehen ungefähr fünf
Arbeiterzellen auf einen Zoll, während von den
etwas größeren Drohnenzellen nur vier dieſes
Maß haben. Die Tiefe der Brutzellen beträgt
ungefähr einen halben Zoll. Jede Wachstafel
enthält auf beiden Seiten Zellen, jo zwar, daß
die Böden derfelben, die jogenannte Mittel:
wand, gemeinschaftlich find. Sämtliche Zellen
find etwas nad) oben gerichtet und werden,
wenn fie zur Auffpeicherung von Honig dienen
follen, namentlich im oberiten Teile des Stodes,
gern etwas verlängert, jo daß der regelmäßige
Zwiſchenraum zwijchen den nebeneinanderhäns
genden Maben,, welcher durchſchnittlich einen
halben Zoll beträgt, bis faſt um die Hälfte ver-
engert erfcheint. Nur in den Eden und an den
Verbindungsftellen zweier aneinandergebauten
Waben kommen unregelmäßige Zellen vor.
Ueber die urfprüngliche Anlage von Weifelzellen
gebe ich fpäter nodh eine Andeutung. Die
Wachsproduktion Eoftet den Bienen ſtets bedeu—
tend mehr, als wir im Handel dafür zu bezahlen
pflegen. Stellt man 3. B. den ein Bienenvolf
enthaltenden leeren Stod an einem fühlen Orte,
etwa im Keller, in totaler Finfternis auf, jo
daß an eine Entfernung vom Stode, ein Ab:
fliegen von demfelben nicht zu denken ift, und
füttert man nun flüffigen Honig, fo gebraucht
eine ſolche Kolonie zur Produktion eines Pfun—
des Wachs ungefähr 20 Pfund Honig. Steht
ihm Blumenmehl, welches freilich auch durch
den größeren, auf das Sammeln desfelben zu
verwendenden Zeitaufwand nicht unweſentlich
teurer zu ftehen fommt als Honig, in genügen:
der Menge zu Gebote, fo it doch immer noch
ein Quantum von circa zehn Pfund Honig not=
wendig.
Der Sinn für die peinlichjte Ordnung und
Neinlichkeit ift den Bienen angeboren; alles im
Stode Ungehörige, als tote Bienen oder Ma:
den 2c., werden fofort in der geeignetiten Weife
bejeitigt, unſchädlich gemacht, nah außen ge:
ihrer Häuslichfeit findet, wenn es irgend möglich
iſt, niemals jtatt. Im Winter, wo fie nur ver:
Wachstafel näher, jo wird man ſich zunächſt hältnismäßig wenig zu ihrer Ernährung be:
)
dürfen, da fie ftille figen und eine weitere Pros
Aus dem Bienenleben.
duftion als die eben nötige Wärme nicht ftatt:
findet, behalten fie die Exkremente bei fich bis
zum erften fchönen Tage, der neben Sonnen:
dein mindejtens 8° R. Wärme im Schatten
bringt und ihnen erlaubt, in einem allgemeinen
Ausfluge vor dem Stande die fo nötige Neint:
gung vorzunehmen.
Sogenannte Raub: oder wilde, anders ge:
artete Bienen, wie die Mythe bejagt, gibt es
nicht. Jede Biene nimmt den Honig oder an:
dere ſüße Flüffigkeiten, wo fie ſolche nur be:
fommen fann. Iſt es ihr möglich, in einem
fremden, mit einem ſchwächlichen Volke beſetzten
Stod einzubringen ohne Gefahr, jo verfäumt
fie e8 gewiß nicht, fidh über die fremden Vor:
räte herzumaden und fo viel davon heimzu:
ichleppen, als fie nur in fich aufzunehmen ver:
mag. Freilich fett fie bei jedem derartigen
Verfuhe der Aneignung fremden Eigentums
jedesmal ihr Leben ein, denn wird fie erwifcht,
fo ift fie des Todes, ohne viel Federlejens wird
fie gelyncht, erftohen. Es unterhält jedes nor:
male, gejunde, fräftige Volk eine Wade von
mehr oder weniger einzelnen Bienen vor feiner
Hausthüre, die auf alles vigilieren, was fi
dem Flugloche Verdächtiges nähert, namentlich
aber auf najhjüchtige, diebiſche Kolleginnen aus
anderen Stöden. Kommt eine ſolche vor eine
bewachte Thür und macht fie fich nicht ſchleunigſt
wieder ausdem Staube, joijtes ohne Gnade um
fie geſchehen. Oft findet man ein ganzes Anäuel
Bienen, die über eine Diebin hergefallen find
und wütend auf fie losftechen. Iſt es zufällig
einmal einer Biene gelungen, ſich in einem
fremden Stode vollzufaugen und fommt fie
ungerupft davon, dann kann man ficher fein,
daf fie jehr bald mit einer ganzen Partie Ge:
hilfinnen wieder erfcheint, um das Manöver zu
wiederholen. In der Negel werden die Näuber
aber jett gefaßt, und es fommt vor, daß aus
ſolchem Anlaſſe ſich eine förmlihe Schlacht ent:
fpinnt und geichlagen wird, jo daß die Verwun—
deten und Toten zu Hunderten an dem Stande
umberliegen. Iſt der angegriffene Stod kräftig,
volkreich, dann jchlägt er wie gefagt leicht einen
ſolchergeſtalt intendierten Naubanfall fiegreich
ab, ein Schwächling aber wird häufig die Beute
der Eindringlinge, die dann den Honig, wenn
noch welcher vorhanden war, bis auf den legten
Tropfen ausrauben.
Der Lefer fieht, dab die Bienen mit der
ihr von der Natur veslichenen Waffe, dem
411
| Stachel, fehr wohl umzugehen verftehen, fie
machen davon ohne Bedenken Gebraudh, fobald
fie irgend Gefahr im Verzuge wähnen. Unge:
reizt fticht die Biene felten, fern von der Heimat
auf der Weide nie, dort ift fie zu ängjtlich be:
jorgt und geht jedem ihr entgegentretenden
Hinderniffe aus dem Wege; namentlich ift fie
I punkt —___ —
Big. 10. Mrbeitäbienen, Blumenmeßl fammelnd (&, 409).
im Frühjahre und während des Schwarmaktes
fromm, während fie im Hochſommer bei recht
üppiger Tracht oder im Herbjte im Gefühle
ihrer Vollkraft und ihres Beſitzes fchon weſent—
lich reizbarer fih zeigt, obwohl fie jehr wohl
weiß, daß jeder Stich ihr unfehlbar das Leben
foftet, indem der Stachel mit der Spitze des
Hinterleibes abreißt und der eritere in der
Wunde fteden bleibt. Der inhalt des an der
Wurzel des Stachels befindlichen Giftbläschens
ergieht fih an diefem entlang in die Wunde
und verurfacht bei Menfchen und Tieren eine
mehr oder weniger ſtarke und ſchmerzhafte Ge:
ihwuljt (S. 406, Fig. 3).
412 X. Kleinfchmit.
Bejonders gereizt wirb die Biene, wenn
man fi in unmittelbarer Nähe des Stodes in
die Fluglinie ftellt, durch raſche heftige Be:
wegungen die Aufmerfjamfeit der abfliegenden
Bienen und damit ihren Zom erregt, durch
ftarfe tierische Ausdünftung und Schweiße, durch
rauhe wollige Gegenftände 2c.
Der gewöhnliche Flugfreis der Bienen bei
ihren Sammelausflügen beträgt ungefähr eine
halbe Stunde im Umfreife ihres Standes, doch
fommt es ausnahmsweiſe aud) vor, daß fie eine
Stunde Weges und mehr zurüdlegen, wenn ein
befonders ergiebiges Blütenfeld fie lodt und in
der Nähe nichts Nennenswertes zu holen ift. Ihr
Lebensalter ijt ein fehr verfchiedenes; das Alter
einer Königin erreichen fie niemals. Die im
Herbſte geborenen Bienen leben bis tief in das
folgende Frühjahr, können alſo circa acht bis
neun Monate alt werden; dagegen ift denen,
welche erjt zur Zeit der beiten Tradhtverhältnifje
das Licht der Welt erbliden, nur eine verhält:
nismäßig furze, durch die aufreibende ununter:
brochene Thätigkeit und die mancherlei drohenden
Gefahren beſchränkte Lebenszeit befchieden.
Setzt man einem entweifelten deutſchen Volke
bei Beginn der Volltracht eine italienifche Köni—
gin zu, jo wird man finden, daß nad) einem
Zeitraume von ſechs bis acht Wochen fich fait
alle deutjchen Bienen allmählich verloren und
durch italienifche erjett haben, alfo ein voll:
jtändiger Generationswechſel ftattgefunden hat.
Bei dem immenjen Quantum Eier, welches eine
gute Königin zu legen imjtande ift, müßte ja
andernfalls eine jehr raſche Uebervölferung
ftattfinden.
Wie ſchon aus den früheren Ausführungen
erfihtlich, find die Drohnen (S. 403, Fig. 7,
und ©. 413, Fig. 9) die Männchen unter
den Bienen. Es würde nad) dem Gejagten
die oft übermäßige Produktion von Drohnen
durch ein einzelnes Wolf gar feinen Sinn
haben, wenn man bdiefem billigerweije eine
Kenntnis deffen zumuten fönnte, was außer:
halb feines begrenzten Wirkungskreiſes in frem—
den Stöden vorgeht, namentlich da fie die Er:
füllung ihrer einzigen Lebensaufgabe fofort mit
dem Leben bezahlen müſſen. Im übrigen find fie
die vornehmen Schlemmer, die, ohne je ſelbſt
zu arbeiten oder etwas für das allgemeine
Wohl beizutragen, fih nur von dem Schweiße
anderer mäften, faule Freſſer, welche bei ſchönem,
fonnigem Wetter fpazieren fliegen und fich von
— — ——— —— — — — —
Arbeit
Aus dem Bienenleben.
dem Beſten ernähren, was der Haushalt zu
bieten imftande ift. Sie find größer, nament-
lich dider und plumper als die Arbeitäbienen
und von diefenfchon im Fluge durch den rauheren
Flügelbau leicht zu unterfcheiden. Einen Sta:
chel wie die weiblichen Bienen befigen fie nicht.
Sie werden im Frühjahre für die Zeit des vor:
ausfichtlihen Bedürfniffes erzeugt und im Herbite,
nad) beendigter Campagne in der fogenannten
Drohnenſchlacht von den Bienen mafjafriert und
aus dem Stode geworfen, fo da oft vor einem
Bienenftande um dieje Zeit der Boden förmlich
mit ihnen befät ift.
Es bleibt mir nur nod) übrig, den Schwarm-
akt jelbit und einiges damit zufammenhängende
zu befchreiben.
Ein fih im Frühjahre ſtark vermehrendes,
fräftiges Volk fühlt, namentlih wenn feine
Wohnung nicht bejonders groß und geräumig
it, jehr bald das Bedürfnis der Teilung. Im
Vorgefühle ſchon der demnächitigen Notwendig
feit diefes Altes hat die Königin bereits ange=
fangen, die vorhandenen Drohnenzellen mit
entjprechenden unbefruchteten Eiern zu befegen.
Es läuft täglich eine Maſſe junger Bienen aus
und der Stod faßt bald nicht mehr alle feine
Angehörigen. Schon vorher waren viele ein-
zelne Bienen, denen man deshalb auch ven Namen
„Spurbienen” beigelegt hat, auägeflogen, um
auf Entdedung einer neuen Wohnung auszu—
gehen. Zu Hunderten ficht man fie dann alle
Maueripalten, hohle Bäume und fonftige Höh—
lungen, auch namentlih leere Bienenwoh—
nungen befliegen, ſie reinigen und zur even—
tuellen Aufnahme der Kolonie in geeigneten
Stand ſetzen.
Iſt ſo nun alles in Bereitſchaft gehalten,
dann zieht eines ſchönen Mittags ein Teil des
Volfes und namentlich die älteren Flugbienen,
foweit fie nicht auf der Weide fich befinden, in
Zeit von einigen Minuten und in Begleitung
der alten Königin aus, ſchwirrt in wirrem Durd)=
einander in der Luft herum und ſammelt ſich
ſchließlich, indem es fih, feine Königin in der
Mitte, an irgend einen Baumaft (5.404), einen
Strauch, Stafet oder Hede anfeht und von dort
dann nach kurzer Zeit direft in feine neue Woh-
nung zieht, um fich ein neues Heim zu begründen
in der Reife, wie ich Schon befchrieben habe. Dem
Mutterftode bleiben neben der Maſſe Brut und
junger Bienen die nun noch allmählich von der
zurüdfehrenden und während bes
U. Lammers. Knabenhorte, 413
Schwarmaftes abwejend geweſenen Bienen. | Vegetation mandes Fledens Erbe bereichern,
Ungefähr vierzehn Tage vor dem Schwärmen | fo dient die heutige Freizügigkeit und civilifierte
hatten die Bienen hier ſchon, namentlich an den | individuelle Nomadenjhaft zur Ausbreitung ge:
Wabenrändern Heine runde Näpfchen zerftreut | meinnüßiger nftitutionen. In der bayerifchen
im Stode angelegt, welche die Königin mit | Hauptftadt erhielt das ftille Darmftädter Kind
Bieneneiern, aus denen die zukünftige Herr: | jedoch aud einen handlihen Namen und eine
fcherin erzogen wird, nad und nad) bejette. | Gelegenheit fich immer wieder der Welt zu zeigen.
Diefe Näpfchen werden erft allmählich) mit dem | Aus der unförmlihen, langatmigen Benen:
zunehmenden Wahötum der aus dem Ei aus: | nung Knabenbefhäftigungsanftalt wurde ber
geihlüpften Made vergrößert, bis fi) die Made | zwar minder deutliche, aber bequeme, kurze und
verpuppt und circa fieben bis at Tage nach | poetiih anklingende Namen Anabenhort; ein
dem Schwarmauszuge die am reifften gewordene | gleichnamiges Blättchen trägt periodiſch Nach—
Königin zu „tüten“ beginnt. — richten von Anabenhorten und ähnlichen Unter:
Später werde ich vielleicht einiges über | nehmungen hinaus zu allen, die fi dafür
Bienenzudt und den Einfluß fchreiben, welhen | intereffieren. Sogar der preufifhe Minifter
die genaue Kenntnis des Lebens und der Ge: | des Innern ift von München aus bewogen wor:
wohnheiten der Bienen auf die praftifche ratio: | den, feinen größeren Städten die Einführung
nelle Bienenwirtichaft ausübt. ſolcher Anftalten zu empfehlen.
Ein Hort aljo für Knaben! Das heißt eine
Stätte, die ſich ihnen außerhalb der Schulzeit
aufthut, wenn weder Eltern noch Pflegeeltern
da find fie zu behüten. Es gibt ja Fälle genug
im fogenannten Arbeiterftande, in denen nicht
bloß der Vater, fondern auch die Mutter den
Bis. 11. Zroßne (6. 01m. ganzen Tag über außerm Haufe ihrem Ermwerbe
nachgehen muß. Man braucht dabei nicht bloß
an Fabrikarbeit zu denken. Auch Wäfcherinnen,
Suabenhorte Plätterinnen und Reinmacherinnen, Höfer:
frauen und Fifchweiber verrichten ihr Geſchäft
entweder in fremden Häufern, oder fei es figend,
&. Sammers. fei e8 herummandernd auf der Strafe. Da
befommen ihre Kinder häufig nicht einmal
PER eigentliches Mittagbrot, gejchweige denn daf fie
m: bie Serienfolonieen, jo machen jet die | beauffichtigt und zu Fleiß, Ordnung und guten
Knabenhorte ihren Weg durch Deutih: | Sitten angehalten würden, Wenn fie morgens
land. Aber jie find viel älteren Urfprungs. | zur Schule gehen, nehmen fie gleich für den
Schon im Jahre 1828 wurde zu Darmftadt eine | ganzen Tag ihre Butterbrote mit, die dann aber
Knabenbejhäftigungsanftalt gegründet, welche | gewöhnlich ſchon vor Mittag verzehrt find;
die deutſchen Armenpfleger, als ſie im Herbſt nachmittags treiben ſie ſich herum, wo nicht
1882 zu ihrer Jahresverſammlung dort waren, in hungrig, ſo doch voll gierigen Neides auf ihre
augenſcheinlicher Blüte antrafen. Auch in Heil— | Schulkameraden, für die fi) mittags allemal
bronn und Weimar gab es ſchon länger der= | pünktlich das Tifchlein dedt, und obendrein allen
artige Stätten, auf denen man fi) bemühte | Verfuchungen ftädtifchen Lebens unbehütet aus:
aus Straßenjungen, oder doch aus folden die | gefeßt. Erft am fpäten Abend fehen fie ihre
Etrafenjungen werben Fönnten, durch Aufficht | Eltern wieder, — Eltern wie Kinder zu müde,
und geeignete Beihäftigung in gefdloffenem | um einander noch viel zu fein. So vernad;
Raume wie im Freien gute und brauchbare | Täffigte Anaben geben die Nefruten des Vaga—
Menſchen zu machen. Allgemein befannt wurde | bunden und Verbrehertums ab. Ihre Schwe:
die Idee durch ihre Berpflanzung nah München, | ftern find nur dann beſſer daran, wenn fie
melde ein ‚geborner Darmftädter bewirkte, der | Heinere Gejchwifter warten müfjen oder unter
Feuerwehrinſpeltor Jung. Wie Wandervögel | die Obhut einer Nachbarin gejtellt werden, was
Pflanzenjamen verfchleppen und dadurd die | aber dod der Negel nah) auch der Fall fein
Von
414
mag. Der Knaben muß die Allgemeinheit ſich
annehmen, ſchon zu ihrer eigenen Sicherung
gegen den Zuwachs des gejellichaftöfeindlichen
auffäßigen Heeres der Verbrecher und Strolche.
Nun haben indefjen dieſe Verhältniffe doch
auch ihre Abſtufung. Man charakterifiert fie
wohl zufammenfafiend nad gewiſſen Haupt:
merfmalen, aber die Mirklichfeit iſt unendlich
mannigfach gemifcht, und auf mehr als einem
einzigen Wege läßt ſich verfuchen ihr beizu:
fommen, daß man die jungen noch unentſchie—
denen Seelen der auf fie lauernden Gefahr
entreiße. Nicht alles, was Knabenhort heift,
realifiert genau diefelbe dee; nicht jeder gleicht
jedem anderen in dem Umfang und der Art
feiner Einwirkung auf die jugendlichen Gäſte.
Eine Auseinanderjegung verſchiedener An:
fihten und Behandlungsweiſen hat fic) kürzlich
in ebenfo lehrreicher als interefjanter Weife
zwijchen den Städten Bremen und Hannover
ergeben. In Hannover hat Herr Profefjor
Julius Poſt, Chemiker von Fach, aber ſchöpfe—
riſcher Socialpolitiker nach ſeinem Kopfe und
Herzen, einen Knabenhort ins Leben gerufen; in
Bremen ein ebenfalls ſchon vielbewährter ſocial—
politiſcher Praktiker, Herr Realſchullehrer H. O.
Redderſen, mit leichter Umtaufung des Gattungs—
namens ein Knabenheim. Allein Prof. Poſt faßt
den Knabenhort auch eben ganz eigentümlich
auf, und findet die Bremer Benennung pafjender
für die Menge der gewöhnlichen Knabenhorte
oder Knabenbefhäftigungsanftalten. In jenen
Knabenheimen fieht er eine Fortfegung der be:
fannten Krippen, Kinderbewahranftalten und
Warteſchulen. Der Knabenhort in feinem Sinne
foll die Jungen durch Lehrwerfftätte und Schul:
garten führen, damit fie fih an „Hausfleiß“
über die Schularbeiten hinaus gewöhnen, eine
Liebhaberei neben ihrem Erwerbäberuf gewinnen,
wie etwa Höhergebildete noch irgend eine Kunſt
betreiben, und auf einem Stedenpferde in die
Mühfale und Sorgen unbemittelten Dafeins
foviel fröhlicher hineinreiten.
Der hannoverfhe Anabenhort will alſo vor
allem den Kindern Anleitung geben, wie fie ihre
Mußezeit in einer ihnen zufagenden aber zu:
gleich auch wohlthätig anregenden und fürder:
lihen Weiſe ausfüllen fönnen. Dazu find Be:
Ihäftigungen erfehen, die dem jungen Burfchen,
ja jpäter jelbft dem reifen Manne während der
Erholungsitunden des Tags und der Woche
eine erfriihende Abwechslung zu bieten ver:
U. fammers.
mögen. Beim Austritt aus der Anjtalt, der
meiftens mit der Konfirmation zufammenfallen
wird, braucht daher nur eine äufere, feine
innere Zoslöjung von dem leitenden Gedanken
jtattzufinden. Neben gemeinfhaftlihen Spiel
und Gejang werden Handarbeiten betrieben,
insbejondere Holzfchnigerei, Papp- und Stroh:
arbeit in der Werkſtatt, Gemüfe:, Obſt- und
Blumenzucht im Garten der Anftalt. Die Unter:
weiſung in diefen Fächern findet in fechs
Wochenſtunden ftatt, einen um den anderen Tag
je zwei Stunden. jedem Knaben wird das
Arbeitägerät, der Nohjtoff und das Gartenland
leihweiſe von der Anjtalt geliefert, auch für den
Unterricht Feine Vergütung erhoben. Dagegen
gehen die geernteten Gemüfe, Früchte und
Blumen entweder unmittelbar in feinen Beſitz
über oder werden zu feinem Vorteil veräußert,
in welchem Falle der Betrag in ein gefperrtes,
d. h. erſt an einem gewiſſen fpäteren Zeitpunkt
auszahlbares Sparbud; übertragen wird.
Dadurch, daß auf diefe Art nicht einmal die
Hälfte der jchulfreien Zeit von der Anftalt be-
legt wird, hofft man die Möglichkeit offen zu
halten, daß ſchon während der Ausbildungszeit
wirklicher Hausfleiß fi anbahne. Es hat fich
gezeigt, daß die Knaben die größte Luft hegen,
aud außerhalb der Unterrichtäftunden daheim
fich mit den Dingen zu befchäftigen, die fie nun
treiben gelernt haben. Kaum etwas anderes
regt den jugendlihen Schaffensdrang fo an,
wie bie einfachen, verhältnismäßig leichten und
zu allgemeinbrauchbaren Gegenftänden führenden
Beichäftigungen des fogenannten Handfertig:
feitSunterrichtö, die deshalb ein ganz vortreff-
liches Mittel find, um den verwerflichen Er-
holungsarten das Feld abzugewinnen. Aehnlich
ſteht es mit Blumenzucdht und Gemüfebau. Die
Knaben bearbeiten ihre Beete, deren jeder zwei
biö drei zugemwiefen erhält, ala ob fie nad)
Schätzen grüben. In Darmftadt bietet der
Öartenbauverein in jedem Frühjahr gegen ganz
niedriges Entgelt junge Pflänzlinge an Kinder
aus und veranjtaltet im Herbjt eine Ausftellung
der gezogenen Blumen mit Preisverteilungen,
was ſich — holländiſchem Vorbilde nachge—
ahmt — als äußerſt erſprießlich erwieſen hat.
Fürchtet man Vernachläſſigung der Schul—
pflichten infolge ſolcher Allotria? Profeſſor Poſt
rät derſelben vorzubeugen durch beſtändige nahe
Fühlung mit den Lehrern der Knaben, damit
nötigenfalls von beiden Seiten her eingegriffen
Ynabenhorte
415
werben fünne. In Hannover find übrigens bis: | noch vorhanden ift, wern auch nur in kümmer—
her Teine Klagen über Beeinträchtigung der
Schule lautgeworden, wohl aber Zeugnifje über
Fortſchritte in der Eauberfeit u. dergl.
Gegen die Anabenheime aehalten ift diefe
Form von Snabenhorten begreiflicherweiſe
viel wohlfeiler. Die durch fie erwiefene Wohl: |
that kann ſich folglich auf mehr Kinder eritreden.
Darin fieht aber der Schöpfer des hannover:
ſchen Knabenhorts noch nicht den Hauptnutzen.
Dieſen findet er vielmehr in dem günſtigen
lichen Reſten. Aber wo ein Knabe lediglich auf
ſich allein angewieſen iſt, da wird eben die Be—
wahrung zur Hauptſache, da fehlt es der Mög—
lichkeit, den Hausfleiß durch Unterricht anzu—
regen, an der unentbehrlichen Grundlage, d. h.
dem belebten Hauſe. Für dieſe Fälle, die das
hochentwickelte Verkehrsleben der Gegenwart in
allen größeren Städten und induſtriellen Land—
ftrichen häufig genug gemadt hat, iſt Anaben:
hort oder Anabenheim deſto willfommener, je
Einfluß auf das Familienleben, — daf die |
ohnehin oft ſchon zu lofen Bande der Bluts-
verwandtichaft nicht noch mehr gelodert werden
und daf; fein eigentliches Almofen gereicht wird.
„Zum eritenmal in diefem Jahre,“ jagt er,
„fonnten unjere Knaben ihren Eltern und Ge:
ichwiltern ein jelbjtgefertigtes nügliches Ge:
ſchenk unter den Weihnachtsbaum legen. Die
Eltern haben ihrer Anerkennung vielfach da:
durch Ausdrud gegeben, daß fie zu der Erhal—
tung der Anjtalt beifteuerten, wenn auch natür:
lich oft nur winzige Gaben. Es ift aber aud)
ſchon vorgekommen, daß — wie bei dem Hand:
arbeitsunterricht den Knaben in nordifchen Län—
dern — der Sohn unbewußt zum Lehrer des
Vaters wird, indem er durd fein Beifpiel in
diefem die Luft zu praftiichem Schaffen medt
und nährt. Dies wird in demſelben Mafe
häufiger werden, wie es gelingt, Mufter und
Verfahren zur Herftellung von Gegenitänden
des täglihen Bedarfs für den fleinen Mann
zu finden, Auf diejem Gebiete wird nun gegen:
wärtig auf jo vielen Punkten von ſo geſchickten
Händen gearbeitet, daß die Fühnften Hoffnungen
fi) hervorwagen dürfen. Wenn es gelingt, dem
Arbeiter zu zeigen, wie er in feiner Feierzeit fich
dadurch wirklich erholen und zugleich erheben
fann, daß er Gegenjtände, deren er bedarf, auch
ſelbſt anfertigt, aber bejfer und vor allen Dingen
ihöner als er fie mit feinen beſcheidenen Mit:
das ſicherſte Mittel ihn vom Wirtshaufe fern:
zuhalten und daheim bei den Teinigen zu
fejieln, jondern man bringt ihn auf einen Weg,
der zu dauernder und gewiſſer Berbefjerung
feiner Lage führt: Erhöhung feiner Lebens:
haltung.“
Die Hnabenheime, wie Profeſſor Poſt fie
von feinem, dem eigentlichen Knabenhort unter:
ſchieden wiſſen will, gefährden aljo das Fa:
milienleben? Doch hodhitens da, wo ein foldyes
völliger es ſich des thatſächlich verwaiſten
Jungen in der Zeit annimmt, welche die Schule
übrigläßt. Seine Eltern hat er dann ja doch
im weſentlichen bloß während der Nacht.
Poſts Knabenhort und Redderſens Knaben—
heim ſchließen einander alſo nicht aus, ſondern
ergänzen ſich. In Hannover hat man das Mo—
dell aufgeſtellt für die Behandlung ſolcher
Knaben, die der Ueberwachung ihrer Eltern
noch nicht ganz entbehren, ohne genug davon zu
empfangen, bei denen es vorzugsweiſe auf An:
regung zu guten häuslichen Beihäftigungen an:
kommt; Bremen fließt ſich den älteren Knaben:
beihäftigungsanftalten an, deren gemeinfames
Augenmerk darauf gerichtet ift, die fehlende
Elternfürforge an den Nachmittagen thunlichit
zu erſetzen, die Ausführung der Schularbeiten
‚ zu beauffichtigen und die freibleibende Zeit der
Muße angenehm, gut und nütlich auszufüllen.
Eine große Stadt braucht offenbar beides;
aber es ijt fein Grund erfichtlich, weshalb nicht
eine und diejelbe Unternehmung das eine wie
das andere leiten jollte.
Machen wir zum Schluffe unter Herrn
Redderſens fundiger Führung dem Bremer
Knabenheim einen Befuh, der uns das Yeben
in diefen jungen focialen Anftalten vergegen:
wärtige!
Unterwegs erzählt Herr Redderfen uns, dat
' freigebige Bürger ihm mehr als 6000 Mark zu
teln kaufen könnte, jo befigt man nicht allein
' Hand maden,
diefem Zwede anvertraut haben, nachdem er
durch Die wohlgelungene Begründung der Ferien:
folonieen ſich das öffentliche Vertrauen erworben,
daß er aber nun den Anfang getroft auf eigene
fpäter das über die eriten
CS chwierigfeiten hinausgeförderte Werk einem
Komitee oder Verein überantworten will. Die:
fer Zeitpunft wird eintreten, wenn zu der eriten
Anftalt in der weltlichen Vorftadt der außer:
gewöhnlich werterftredten Stadt Bremen eine
zweite und dritte in ber öftlichen und der ſüd—
53
416
lichen Vorftadt hinzutreten. Die erjte hat un= |
entgeltlih Platz gefunden in dem früheren
Diakoniffenhauje an der Fichtenſtraße. Gefang |
empfängt uns beim Eintreten: damit fchließt
jeder im Knabenheim zugebracdte Nachmittag.
Er beginnt mit der Herftellung der aufgegebenen
Schularbeiten, und da dieje bei dem einen Ana:
ben mehr, bei dem anderen weniger Zeit er:
fordert, jo ift für Lektüre geforgt, mit welcher
der rajcher fertig gewordene ſich unterhält, bis
auch der letzte fertig ift. Der Volksbildungs—
verein und der Bibliothefsausihuß des Vereins
für innere Miffton haben geeignete Jugend: |
ſchriften geliefert. Am Mittwoch und am Sonn:
abend Nachmittag, wo die Knaben jchon um
zwei Uhr fommen, wird ihnen um vier Uhr ein
Butterbrot mit einem Glaje Milch verabreicht.
Die Koften dedt ungefähr der elterliche Beitrag,
der auf 50 Pfennig in der Woche angejegt iſt.
Ohne Entgelt empfangen fie alfo nur die Auf:
fiht des leitenden und überwacenden Lehrers,
jowie den Gebraud der Werkzeuge, mit denen
fie pappen und tifchlern lernen. Denn nun, nad)
dem Veſperbrot beginnt das Neue, Den Rapp:
arbeiten, als dem Leichteren und CEinfacheren,
fteht der beauffichtigende Yehrer vor; es iſt die
Beihäftigung der fleineren und ſchwächeren
Knaben. Für die Holzarbeit hat man einen
Vehrer gewonnen, der eine außerordentliche Bor:
bildung dafür mitbringt und leicht auch den
beiten Handmwerfsmeijter übertrifft. Er hat das
Tiſchlerhandwerk als Lehrling und Gefelle ge:
lernt; dann ift er Volksſchullehrer gemorden.
Als der Begründer und der Vorfteher des
berühmten Elöjd:Seminars zu Nääs bei Go:
thenburg in Schweden, die Herren Auguft Abra:
hamfon und Otto Salomon, mir im Sommer
1882 eine Freiftelle für einen deutfchen Lehrer
anboten, benugte D. Biemann diefe günftige
Gelegenheit ſich noch weiter zu vervollfommnen,
und überträgt fein Können nun auf die älteren
Zöglinge des Knabenheim. Hobelbänfe und
anderes Gerät hat dazu der Bolfsbildungs:
verein aus feiner Werkjtatt geliefert, Die. ein:
gerichtet wurde, nahdem Herr A. von Claufon:
Kaas auf Veranlaffung des Vereins im Herbſt
1879 den nordweitdeutichen Bildungsvereinätag
zu Harburg mit däniſchem SHandfertigfeits-
betriebe befanntgemadt und danach im Herbſt
1880 zu Emden einen jehswöcigen Lehrer:
ausbildungsfurs gehalten hatte, an welchem
auch mehrere Bremer Lehrer teilnahmen, teils |
— — — — —e zT — ——
Hhugo Krebs. Bleib’ wie du biſt!
auf Staatöfoften, teils auf Rechnung des Volle:
bildungsvereins. Cine nüslichere Verwendung
als im Knabenheim fann diefer neue Unter:
richtözweig nicht finden. Den Söhnen mohl:
habenderer Familien, die auf höhere Schulen
gehen, gibt es eine Fertigkeit gewiljermaßen im
Vorrat, anzumenden, wenn es einmal eines
Gegengewichtes für einfeitige Kopfanjtrengung
bedarf. Für die Volksſchulen im allgemeinen iſt
es ſchon von unbedingterem Werte, wenn fie die
Hände fchaffend gebrauchen lernen und bei
Zeiten Luft zu praftiicher Arbeit fajjen.. Aber
wem fönnte diefe frühe Ausbildung zum Er:
werb nütlicher und notwendiger fein als dem
‘armen Schelm, der zu Haufe nicht genügend zu
allem VBernünftigen und Guten angehalten wird,
der folglic in beitändiger Gefahr ift, daß jeine
Sinne fih nad) einem Lebenswandel ftreden,
welcher ihn auf Schritt und Tritt in einen vor
allem für ihn ſelbſt verderblichen Gegenjag zu
den Ordnungen des Staates bringt? Neigung
und Fähigkeit zu geldwerter Arbeit ift für ihn
die ſchlechthin ficherfte Bewahrung vor dem
Verfommen. Daher find Lehrwerkitatt und
Sculgarten allerdings der wejentlichite Beſtand—
teil eines Anabenheims oder Anabenhorts, mag
er feine Aufgabe fonjt fo weit jteden wie er will,
Bleib’ wie du bift!
Don
Dugo Krebs.
Blieib' wie du bil, fo lieblich und fo gut,
Bleib’ das Entzüden derer, die dich lieben!
Dann nehmen Engel did in ihre but
Und nimmer wird dein Mares Aug’ fich trüben!
Wesbalb bezaubert deine Gegenwart
Jedwedes Herz mit ihren nulden Strahlen?
Wo £iebreiz5 mit Beſcheidenheit ſich paart,
Da fprudelr heil der Born des Jdeaten |
Da wird's in der umflorten Seele Kicht,
Und die dein Bild wmflatteın, die Gedanfen,
Sie werden unwillkätlich zum Grdicht,
Wie Blumen um ein Heil’genbild ſich ranfen !
Wo Unichuld noch damit im Bunde ifl
And ungefänftelt edle Kerzensuäre,
Da thront die Bottbeit! — Bleibe wie du bil!
O, daf dein Genius dich fo behüte!
zen
u en pa
[u en 7
Haberfüde iS. 439)
Die
ſächſiſche Schweiz;
Von
I. &. Weſſely.
IM: den fchnellen Beförderungsmit:
teln unserer Zeit hat das Reiſen
zum Vergnügen einen hoben Aufſchwung
genommen. Eine Vergnügungsreije ge:
hört heutzutage zu den notwendigen
Lurusartifeln, die ſich faſt jeder gönnen
fann, denn man hat eine reihe Auswahl:
von einer Tour, die in einem Tage abgethan
werden fann, bis zu den Ausflügen nad den
Südländern oder einem Seebade. Selbjt Aegyp—
ten iſt feine unerreichbare Station mehr. Freilich
hat nicht jeder Neifeluftige und Reiſebedürftige
auch die Zeit und das Geld, um fo weit auszu:
fliegen. Wie es aber ariftofratiiche Neifen gibt,
d.h. ſolche, die der Neiche zu unternehmen Zeit
und Mittel befitst, jo findet nun aud) der Bürger
und Beamte unjerer großen Städte Gelegenheit,
irgend einen Schönen Punkt feines lieben Vater:
landes zu befuchen, um da neben fonftigen Ge:
nüffen auch ein urfräftiges Ozon zu finden für
feine Lunge und um in Gottes freier Natur fich
zu erheitern und zu ſtärken.
Vor einem Jahre brachten diefe Hefte einen
Ausflug nad dem Harz. Wir wollen diesmal
den freundlichen Leſer nad der ſächſiſchen
Sohenftein 18. 429,
Schweiz führen. Vielen Bewohnern Dresdens
und auch Berlind werden wir nichts Neues mit:
teilen, da fie auf diefem ſchönen Flecke unferer
deutfchen Erde fehr wohl befannt find. Mögen
auch die entfernteren Kinder Deutſchlands auf
diefen reizenden Punkt aufmerkſam gemacht
werben.
Der ganze Bezirf mit feinen Felfen und
Schluchten, der heute die „ſächſiſche Schweiz“
genannt wird, hieß früher das Meißner Hod):
land, das fich auf beiden Seiten der Elbe von
Tetichen bis Pirna erftredt. Da das Gebirge
auf feine Grenzicheide Nüdficht nimmt und zur
Hälfte in Sachſen und zur anderen in Böhmen
liegt, jo wird von einer ſächſiſchen und böhmi—
ichen Schweiz geiprochen; der Charakter beider
ift derfelbe. Das Gebirge beiteht aus Sanditein:
felfen, die ebenjo wunderbare, charakteriitische
Normen annehmen, daß fie wie verwunjcene,
418
verfteinerte Berggeiſter den Touriften jo freund:
lid) anloden und fo liebreich an ſich feſſeln, daß
man ſich aus ihren Umarmungen faum heraus:
reißen fann,
Es iſt faum glaublid, aber wahr, daß die
wilden, reizenden Bartieen diefes Gebirgslandes
nod) vor hundert Jahren der großen Welt völlig
unbefannt waren. Das ift leicht erflärlich ; ein:
mal fehlte ein leichter Zugang zu ihnen, dann ijt
es nicht jedermanns Sache, den Pfadfinder in
einer wilden Gebirgsgegend zu machen. Wer
dachte auch vor hundert Jahren im Volfe an
J. €. Weffelr.
Vergnügungsreifen! Zwei Paſtoren der Gegend
(Göginger in Neuftadt und Nicolai in Lohmen )
verrieten die Schönheiten des Landes der großen
Welt, indem erjterer 1786, letzterer 1803 ein
Büchlein oder Wegweifer durch die ſächſiſche
Schweiz herausgab. Erſterer hatte auch die
Taufe des Gebirges unternommen; von ihm
ftammt der Name: Sächſiſche Schweiz. Wie er
auf diefen Namen verfiel, erzählt er aljo: „Alle
Schweizer, welche die hiefige Gegend beſucht
haben, verfichern, daß fie mit den fchweizertichen
Gegenden fehr viel Aehnlichfeit habe.“ Was
Wehlergrund (©. 422).
das für Schweizer gewejen fein mögen! Cs
mag diefes Kompliment der Touriften die
Schuld tragen, daß man feitdem überall, wo
ſich einige Hügel und Berge Nendezvous geben,
von einer Schweiz ſpricht. Weber maht darum
die Bemerkung, es werde neben dem Namen
Gottes feiner fo oft eitel genannt, wie der
Name der Schweiz.
Die Sandfteinfelfen, die uns hier in den
verschiedensten Formationen entgegentreten, oft
jo kühn in die Höhe ragen, befiten noch beſon—
dere Merkmale, aus denen der Geologe ihre
Geſchichte herablieit. Koloſſale Duadern find
übereinander geſchichtet, als ob fie ein Rieſen—
maurer aufgetürmt hätte; oft iſt aber die Yage
jo loder, oder erjcheint wenigſtens dem Auge
jo, daß man ſich wundert, wie fie allen Stürmen
der Jahrtauſende ftandhalten konnten. Oft it
die Sejtalt abgerundet, alö ob ein Drechsler ſich
an ihnen verfucht hätte, bald auch ausgezadt.
Wagrechte Einfchnitte ziehen fih übereinander
auf denjelben dahin, als ob fie wie beim Quer:
Ichnitt des Baumftammes die Linien die Jahre
ihres Alters angeben wollten. Offenbar find
diefe durch Waſſerwogen gebildet worden. Denn
einft ging das Meer bis hierher; da war Nord:
deutjchland unter feinen Fluten begraben; ein
ſchmaler Kanal drang bis nad) Böhmen hinein,
das in derfelben Zeit ein Binnenfee war. Da:
für haben wir Zeugen, wenn aud) Damals nod)
Die ſachſiſche Schweiz.
419
Eteinerner Saal (©. 129.
fein Tourist fich hier herumſchlug; es find Ab:
drüde von Mujcheln, Seeigeln und anderen
Tieren, die wir jett noch im Meere antreffen;
auch Seegewächſe, Algen und Schwämme treten
als Zeugen für die Behauptung der Natur:
forfcher auf. Es muß freilich jchon lange her
jein, als die Meereswogen diefe Felfen um:
armten und füßten und fchlieglich fo deutliche
Spuren ihrer Küſſe hinterliegen. Als fich das
Meer zurüdzog, entleerte ſich auch das böhmifche
Binnenmeer dur den jchmalen Kanal, der zu:
gleich den inhalt der Flüſſe Später auf der:
jelben Strafe, der jegigen Elbe, dem Meere
zuführte,
Die Entleerung eines jo mächtigen Binnen:
meeres mag auch nicht ganz friedlich vor fich ge:
gangen fein und jo manches Denkzeichen diefer
wild dahin braufenden Fluten zwiſchen den
420 j 3. €. Weffelr.
Felfenmänden mag diefen zum ewigen Andenfen
eingegraben worden jein.
Belanntlid hat ſich Shafefpeare Böhmen |
Felſent hal im Utlewaldergrund tE. 122),
ala eine vom Meer umgebene Inſel vorgeitellt.
Alſo das Gegenteil zum Ergebnis der Erdkunde;
oder follte hier nur der erite Teil der Forſchung,
daß Das Meer bis zur Grenze Böhmens reichte,
einen leifen Wiederhall gefunden haben?
Noch einer Eigentümlichkeit begegnen wir
an dieſen Felfen; fie find oft von zahllofen
fleinen Löchern bejät, daß fie zuweilen wie
poröfe Schwämme erſcheinen. Das hat die Ver:
mitterung gethan, die Näffe und
der Winterfroft. „Gutta cavat
lapidem“, der Tropfen höhlt den
Etein aus, jagt der Lateiner; frei-
lich ein Tropfen, der in Jahrhun-
derten, ja Jahrtauſenden fich ftets
wiederholt. Man findet Felfen, die
jo zerflüftet find, daß man ftaunt,
wie fie fih nodh auf den Füßen
halten können; oft erfcheinen die
Sprünge jo drohend, daß man ent:
jeßt zurüdfährt und mit klopfender
Bruft unter ihnen fchnell dahineilt.
Es fommen in der That Fels—
ftürze auch vor. Daß fie in grauer
Vorzeit ftattgefunden haben, erſieht
man an unzähligen Stellen , riefen:
hafte abgerifjene Felfenblöde riſſen
fid) los und ſtürzten in die Tiefe
oder lagerten fich, von anderen Fel-
jen im Fall aufgefangen, zuweilen
in bizarren Wendungen über dieſe.
Selbft in diefem Jahrhundert find
jolhe Stürze vorgefommen; im
Jahre 1838 löſte ſich eine ganze
Wand de3 Pfaffenfteins los und
fiel nieder und vor zwei Jahren
jtürzte ein Felfen bei Schandau ein
und mächtige Blöde wälzten fich bis
in die Mitte der Elbe und fperrten
jede Schiffahrt.
Ein Dampfſchiff fam eben auf:
wärts und durch Gejchrei vom Ufer
auf den nahen Sturz, auf die Ge:
fahr aufmerkſam gemacht, entging
es, volle Dampfkraft einjegend, mit
Inapper Not dem Untergange.
Die ſächſiſche Schweiz erhält
einen bejfonderen Reiz dur den
Elbftrom, in dem fie fich fpiegelt.
Felſen- und Berglandicaften gibt
es auch anderswo, vielleicht noch
intereflantere, wie 3. B. die Aders—
bacher Felfen in Böhmen; hier aber bringt
der Fluß Bewegung in die Landſchaft. Da
lommen Dampfboote, Kettendampfer, die oft
12— 20 große Boote bergmwärts [chleppen, große
Prahmen, welde Bauholz nad dem „Reiche“
aus Böhmen bringen, mächtige Zillen mit aller:
Die fächfiche Schweiz. 421
let Waren und Produften, fo nament:
lid zum Herbſt mit böhmiſchem Obite,
das in Dresden bleibt, oder nach Magde:
burg, Hamburg und durd den Kanal
bis in die Mitte Berlins gebracht wird.
So findet der Freund von Natur:
fhönheiten vielfache Anregung. Nur
auf eine Art Induſtrie it er nicht gut
zu ſprechen. Der Sandſtein iſt nümlich
ein vorzüglicher Bauſtein und wird
fleißig gebrochen und weit verführt.
Es wäre ein wunderbares Schauſpiel,
wenn alle Steine an Häufern und Pa—
läften Dresdens, die hier gebrochen
wurden, Yeben erhielten, aus den Fugen
aingen und ihr altes Yager aufſuchten.
Man briht den Stein natürlidh gem
nahe dem Elbufer, um ihm leicht ver:
laden zu fünnen. Die alatten, hellen
Mände des frischen Bruches marfieren
ſich jtarf gegen die verwitterten grauen
Felfen und den Baumwuchs, der jie
frönt. Das macht ſich nicht Schön und
man hört darum oft die Klage, daß
die Induſtrie bald alles Schöne in der
Natur zerftört haben wird. Der Berg:
geift der ſächſiſchen Schweiz rächt ſich
aber aud; araujam für diefe Werun:
alimpfung jeines herrlichen Gewandes: alle Steinbrecher *
ſterben an Schwindſucht.
Der Leſer wird uns verzeihen, daß wir uns etwas
lange mit dem Allgemeinen beſchäftigt und die ſchöne
Orrfulesläuten ı@ 494),
Gebirgsgegend gleichſam aus der Vogelperſpeltive be:
tradhtet haben; eine Gegend gewinnt gewiß an
Neiz, wenn man ihre Bedeutung fennt,
Und fo machen wir ung auf den Weg, am
beiten mit dem jtudentifchen Motto:
„nederleicht iſt mein Gepäde,
denn ſchwere Belaſtung des Körpers hemmt
auch den Flug des Geiſtes. Wir können zu
Waſſer und zu Land uns den erſehnten Par—
tieen nähern, wir wählen aber mit Bedacht den
letzteren Weg (angenommen, daß wir aus Dres—
den unſeren Ausflug unternehmen) und fahren
mit der Bahn bis Pötſcha. Es ift ganz aut,
wenn wir nicht einjam pilgern, denn geteilte
Freude iſt doppelt Freude. Dagegen huten
wir uns an einem Sonntag oder in Feiertagen
auszufliegen, denn an foldhen Tagen tummeln
ſich Taufende hier herum und der Berggeiſt mit
feiner Poeſie und feinem Gemüte läht fi da
nicht Schauen,
Wir haben mit der Bahn Pirna berührt,
ein freundliches Städtchen, das fid an das
Schloß Sonnenſtein in der Höhe anſchließt,
wie ein Küchlein fih unter die Flügel der
Henne verbirgt. Ein Mahrzeichen der Stadt ift
das berühmte Buchjtabiererempel, Das uns be:
lehrt, wie aus dem geſchriebenen Pirna das
ausgeiprochene Verne geworden it: Bir ‘Per
nane, Berne.
In Pötſcha Schiffen wir mit dem Kahn über
die Elbe ans jenfeitige Ufer, wo uns Wehlen
begrüßt. Wir befinden uns am Cingange des
eigentlihen Nusfluges. Wer an feiner Nuine
vorübergehen kann, ohne fie zu befichtigen, und
wäre auch nur ein Häufchen Steine übrig:
geblieben, der kann ſich aleich hier in das vo:
mantiſch-elegiſche Gefühl in der Nuine Wehlen
einmweihen laſſen. Die Burg gehört zu den
ültejten an der Elbe. Kein Feind, feine Er:
422 3. €, Weffelr.
ftürmung hat fie zur Ruine gemacht, fondern
der Marasmus, die Altersſchwäche — freilic)
aud) ein Feind, dem die feitefte Mauer erliegt.
Und nun in den Wehlergrund (S. 418)
hinein; ein jhöner Sommermorgen hüllt die
Höhen in freundliches Licht ein, das durch blauen
Himmel noch bef:
ſer zur Geltung
tommt; wir ſelbſt
wandeln im küh—
len Schatten des
Thales, ein Bädh:
lein, das uns über
Steingeröllehüp:
fend entgegen:
fommt, Scheint
uns mit feinem
Gemurmel von
den Schönheiten
des Örundes, aus
dem es hervor:
lommt, erzählen
zu wollen, aber
wir empfinden fie
bereits und jehen
fie. Da erbliden
wir die hohen
Felſenwände,
deren Formen—
charalter wir be—
reits oben be—
ſchrieben haben
und wir müſſen
ein ſcharfes Auge
haben, daß hier
keine Burg, kein
Werk von Men—
ſchenhänden zu
ſehen ſei, ſondern
daß Naturkräfte
ſchengeſtalt, hier ein Hund oder ein anderes
Tier. Der nächſte Gedanke iſt der, daß lebende
Weſen vorausgeſetzt werden, die durch irgend
ein grauſames Geſchick zu Stein geworben find.
So hat ſich durd Atavismus der Glaube der
alten Griechen, die fich die gefamte Natur be-
lebt, anthropo-
morphiftiich be:
lebt dachten, bis
in die Neuzeit
vererbt. Wir wer⸗
den auf unſerer
Wanderung ſol—
chen Verſteinerun⸗
gen aus der Sa—
genwelt noch oft
begegnen.
Das Wandern
in dem Felſen—
thal iſt ſo reizend,
daß man, wie
von Geiſterhand
getrieben, immer
weiter ſchreitet
und jeder Schritt
Neues bringt.
So fommen mir
am fteinernen
Haus und Saal
(S.419), an der
Teufelsfüche vor:
über und ſehen
uns fchließlich
von Riejenfeljen
jo eng eingeſchloſ⸗
jen, daß wirernit=
lih meinen, hier
iſt des Grundes
Ende. Näher
tretend, gewah—
im Yaufe von Narl Maria von Weber Wohnbaud in Hoferwit 15. 425). ren wir aber den
Jahrtauſenden Durchgang in dem
ee
diefe autochtho: engen Paſſe. Einſt
nen Felſenrieſen gebildet haben. — Wir
gehen nicht weit vorwärts und der Grund
hat ſeinen Namen geändert; er heißt jetzt
Uttewaldergrund. Wo die Natur irgend ein
beſonderes auffallendes Denkzeichen ihren Ge—
bilden eingeprägt hat, gleich iſt der Menſch
dabei, dieſen Wahrzeichen einen Namen zu
geben. Und was erblicdt der Menſch hier nicht
alles! Da ift ein Kopf, dort eine ganze Men:
|
ſtürzten mächtige Felſenblöcke von der Höhe in
die Tiefe — wer fann melden, wann dies
geichehen? — und, aufgehalten durd den Eng:
paß, klemmten fie fich ein, ohne den Boden zu be:
rühren. Eo entitand das Felſenthor (S.420),
eins der am meiſten malerischen Objekte diejes
Weges. Es hat für den Menfchen inner etwas
Reängftigendes, wenn er zwiſchen den Felſen—
riſſen wandelt und diefe oft in ihrer bizarren
Ehloh Pillniy IS. 425).
Die ſachſiſche Schweiz.
423
Gejtaltung jeden Augenblid mit dem Einfturz | mit Teufel und Hölle. Es ift befannt, welche
drohen. Wenn aber ein
mächtiges Gewitter diefe
engen Gründe des Ge:
birges durchbrauft, wenn
die Erde erbebt und jedes
Zuden des Blitzes eine
Felſenrevolution anzufün-
digen jcheint, dann mag
aud der verwegenite Ne:
nommijt erfahren und
fühlen, was Angjt iſt.
Wir gehen nun eine
Weile zurüd, bis fich zur
linfen Hand ein abge:
zweigter Grund uns öff-
net, in den wir eintreten
und aufiteigend die Höhe
des Berges erreichen. Der
Grund heift der Zicherre:
grund. An der höchit fall:
ſüchtig ausfehenden, origt:
nell geformten Höllen:
wand (die man auch die
Schiefertafel nennt ſiehe
nebenftehend) vorbei kom—
men wir in den wilden
Höllengrund. — Wie die
Alten den Eingang zum
finftern Orcus in die wil:
deite, troftlofefte Dede verfehten, jo brachten aud)
unjere Ahnen wilde, felfige Orte in Verbindung
Höllenwand,
ih
* 4
J
— tyrzr
Fr
nt”
2
+
Nolle der Teufel im Mit:
telalter in der Sage wie
beim Bolfe fpielte.
Da der Böje befannt:
lih den frommen Ein:
fiedlern in ihrer Einöde
gerne feine Beſuche ab:
ftattete, um fie zu ängfti:
gen oder zu verfuchen, fo
fand es die Volfsphan:
tafie ganz angemefjen, die
Ichauriajten Orte als einen
Lieblingsaufenthalt des
Teufels zu betrachten.
Mit Felfen, Höhlen,
Brüden wurde fein Name
verbunden und jedes Ge:
birgsland weih etwas da—
von zu erzählen. Wir
ſcheinen uns hier in einem
rechten Höllenreviere zu
befinden. Links vom
Wehlergrund ift der Teu:
felsarund, jetzt famen wir
an der Höllenwand vorbei
in den Höllengrund. Ich
vermute, dab auch der
Name des Zicherregrunds
derjelben infernalen Geo:
graphie angehört und aus dem böhmifchen cert
(ipr. Tichert) d. h. Teufel abzuleiten ift. Wir
54
424
müflen uns erinnern, daß im zwölften Jahr:
hundert jelbit Pirna böhmiſch war und daß die
ſächſiſche und böhmiſche Schweiz noch mehrere
Anklänge an den böhmiſchen Namen des Teufels
befigt. Diefe Betrachtung paßt ganz wohl auf
unjerem Wege zur Höhe. Geſpenſtiſch ragt auch
eine Gruppe von Felſenſäulen in die Höhe und
man ftaunt, wie die loje übereinander aufgeftell:
ten Feljenftüde fo ruhig im Sturme der Ele:
mente balancieren fünnen, ohne auseinander zu
fallen. Hier verjtieg fi) die Phantafie jogar in
J. €. Weflely.
die antife Mythe und nennt die Gruppe Her:
fulesfäulen (©. 421).
Auf der Höhe angefommen, weicht alle Be:
‚ Hommenheit, frei atmet die Bruft die würzige
|
|
Luft des Gebirges, defjen Abgründe tief unter
uns zurüdgeblieben find. Post nubila Phoe-
bus, nad) der Beichränfung auf engem Pfade
Sonnenlicht und weite Fernficht.
Ein Teil unferer Gejellihaft hatte fih in
Dresden von uns getrennt, da fie einen größe—
ren Ummeg machen und Bartieen bejuchen wollte,
EERT Dr
J
Ruine Pillnig IE, 4201.
die und anderen bereit3 von früher her befannt
waren. Auf der Baitei follten wir zufammen:
treffen. Sie zogen am rechten Elbufer von
Dresden über das reizend gelegene Wald:
fhlößchen, am Fuße des mit Wein und an:
deren Gärten bededten Höhenzuges in die frifche
Morgenlandihaft aus. Ein ſolch ſchönes Fleck—
chen Erde in der Nähe einer Hauptitadt ift für
Villeggiaturen wie gemacht und wer ſich dieſen
Luxus erlauben darf, den findet man ficher im
Eommer hier und nicht in Dresden, An ſchönen
Eonntagen aber bringen Dampfſchiffe Taufende
hinaus, die wenigitens einen Tag der Woche fid)
in der herrlichen Natur erfrifhen fünnen, Aber
auch an Wocentagen ift es belebt, wozu die
Elbe mit dem regen Verkehr auf ihr nicht wenig
beiträgt. Es gibt foldye Partieen, die in uns
immer an ſchönen Tagen das Gefühl fonntäg:
licher Freude erweden.
Nun follten auch poetifhe Neminiscenzen
ſich an den Spaziergang fnüpfen; bald ift Loſch—
wit erreicht und Schillers jugendliche Geſtalt
jcheint jeden Augenblid uns entgegentreten zu
müffen. Hier hatte der Dichter im Haufe
Kömers, dem Vaterhaufe Theodors, längere
Zeit gaftlihe Aufnahme gefunden, hier auch
jeinen „Don Garlos“ gedichtet — troß ber
Störung, die ihm die nachbarliche Waſchküche
bereitete, weshalb er als „miedergejchlagener
Trauerfpieldichter“ ein poetifches „unterthänig:
ſtes Promemoria an die Konfiitorialrat Körne—
riſche weibliche Waſchdeputation in Loſchwih“
Die fächfifche Schweiz.
abzufenden fid) gezwungen ſah, das mit dem
Seufzer endete:
„Der Teufel ſoll die Dichterei
Beim Hemdenwaſchen holen! !
Menn wir unfere Blide von hier zum an:
deren Ufer der Elbe ſchweifen laffen, erbliden
wir Blafewiß und eine zweite Erinnerung an
Schiller taudt auf, denn hier lebte ala
Schenkmädchen die Perfönlichkeit, die der
Dichter in Wallenfteins Lager als Guftel
von Blafewis unjterblich gemacht hat. Die:
felbe diente fpäter im Haufe Körners.
Häufer und Dertlichfeiten, welche große
Männer, deren Name einer ganzen Nation
gehört, durch ihre Gegenwart geweiht haben,
an die fich ein Stüd ihrer Thätigfeit knüpft,
befigen einen eigenen Reiz; man glaubt in
der Yandichaft, auf der ihr Blick geruht, in
der Umgebung, in der fie ſich bewegten, die
acheimen Fäden zu entdeden, die uns ein
tieferes Eindringen in ihre geiftige Thätig—
feit ermöglicht. Auch in der Gegenwart
führt uns Loſchwitz einen Manı vor, deifen
Kunftichaffen einen reihen Schag feinem
Wolfe, bejonders der Familie und der Kin:
derwelt zugeführt hat; es ift Ludwig Nichter,
der Künftler-Neftor, deſſen SOjähriges Wie:
genfeft wir im verflojjenen Jahre gefeiert
haben und der hier im beſcheidenen Häuschen,
aber von herrliher Natur umgeben, fein
„otium cum honore* genießt.
Auf der Strafe vorwärts fchreitend er:
reiht man bald Hofterwig und aud hier
zwingt ung eine pietätvolle Erinnerung einen
Augenblid vor einem einfachen Haufe, das
‚ fich hinter Bäumen verbirgt, ftille zu ftehen
(S. 422). Hat in Loſchwitz uns ein Dichter
und ein Künftler beglüdt, dann ift es hier
die Tonfunft, welde in dem befcheidenen
Haufe zwei ihrer Meifterwerfe entjtehen jah.
Hier wohnte Karl Maria von Weber, hier
dichtete er den Freiihüg und den Oberon.
Wer diefe romantischen Opern fennt — und wer
fennt fie nicht — wird faum glauben, daß dieje
riefenhaften Kompofitionen in der Stille diefer
bejchränften Räume ſich bilden konnten und daß
vielleicht ein ärmliches Spinett zum Geburtähel:
fer diente. Da fehen wir tar, daß geiltiges
Schaffen von Zeit und Naum nicht eingejchränft
’ ©. Kunft und Leben. Aus Friedrich Förfters
Nachlaß, herausg. von 9. Kletle. S. 75.
425
werben kann. Wie flein ift der Naum des
Schädels und die Maſſe des Gehirns und dod)
werden hier Gedanken geboren, die Neiche zer:
itören und Reiche gründen fönnen. — Ein
Viertelſtündchen weiter brachte die Gefellichaft
nad) Pillnig, das ſächſiſche Verfailles (5.423).
Das königliche Luftichloß hat aber vor dem fran-
U ———
—8
*
X 3 zu
Rt r
nn a FE"
Liebethal. Aufſtieg zum Torf (6. 126),
zöfifchen den Vorzug, daß es fich in einem Strome
ipiegelt und daß Berge ihm zur reizenden Folie
dienen. Man fann fich das Innere des Schloffes,
wenn die fönigliche Familie nicht anweſend ift,
zeigen laſſen und die resfen Vogels im Speife:
faal und in der Kapelle bewundern, auch die Ge—
wädhshäufer und den Garten zeigt der Hof:
gärtner; wer aber bei feinem Ausfluge nur der
Natur feinen Beſuch zugedacht hat, eilt weiter.
Allenfalls, um fich im Bergiteigen ein wenig zu
426
Elch Lohnen ©. 4271,
üben, bejucht man die Nuine (S. 425), die in
mäßiger Anhöhe angeleat, eine Ausficht auf die
|
Elbe und die jenfeitige Ebene zwijchen Dresden
und Pirna gewährt. Wir jagen mit Borbedadht
„angelegt“, denn die Ruine tft bereits als ſolche
geboren, fünftlich als Ruine erbaut, zur Ver:
fchönerung der Gegend. Diefe Bauthätigfeit
ſteht nicht ifoliert da; Fürſt Liechtenftein hat bei
Mödling mehrere folder Nuinen aufführen laſſen
und die füdwärts reifenden Fremden bewundern
fie aus ihren Bahncoupes und träumen von
Nitterzeiten und romantifchen Affairen. Fürſt
Torlonia in Nom hat in feiner Billa vor Porta
Pia auch Nuinen von Aquädukten erbauen laſſen.
Das heift doch Eulen nach Athen tragen!
Und nun heit es, in die Berge hinauf, in
die ſächſiſche Schweiz. Ueber Boyris, am hohen
Pohrsberg vorbei, gelangt man nad) dem Dorfe
Yiebethal(S.425), das uns einen Vorgeſchmack
von hohen Felsmaſſen und tiefen Abgründen
gewährt. Es iſt zum Staunen, mit welcher Mühe
ſich Menjchen oft den Zugang zu ihren Hütten |
der wilden Natur abzutrogen verftehen. Der
Aufitieg zum Dorfe ift in den Felfen gehauen
und nur ſchwindelfreien Perſonen zu erflettern
möglich. Die Einwohner tragen auch noch zum
Ueberfluß Laſten hinauf. Ueber dieje halsbreche:
riichen Stufen muß der Tourift zum Abgrund
hinab, wenn er den Liebethaler Grund bejuchen
will. Taufende und Taufende find da herab:
gejtiegen, darum Mut gefaßt, wer weiß, welche
Ueberrafchung die Tiefe dem Wanderer bringt.
Wir gelangen auf diefe Art in den Liebethaler
Grund, der diefelbe Landichaftliche Poeſie beſitzt,
wie die anderen Gründe, nur mit dem Unter:
ſchiede, daß die wilden Felfenmafjen in der
Mitte des Grundes einer lieblichen Foylle Raum
gewähren. Schon von der Ferne begrüßt den
Kommenden das Naufchen des Baches und das
Klappern einer Mühle. Es ift die Lochmühle
(3.427). deren Wehr einen Heinen Waſſerfall
bildet. Ein lieblihes Plägchen zum Musruhen,
um fo erwünfchter, als die Mühle auch eine Feine
Erfriichung bietet und man ausruhend den Nei;
Die fächfifche Schweiz
der Landſchaft auf fih wirken laffen fann. —
Hat man den Liebethaler Grund in feiner |
Länge pajftert, jo erreiht man Lohmen, ein
Städten, das vermittelft der Bahn mit Pirna
verbunden iſt. Wir find hier bereits im Bereich
der ſächſiſchen Schweiz. Lohmen ift eine fehr alte
Anfiedelung und verdanft ſlaviſchen Bewohnern
feiner Urfpruna, denn Lom heit im Böhmiſchen
der Steinbruch und in der Umgebung find die
größten Steinbrüdje, die im Yaufe von 400 Jah:
ren ſchon manches fonft enge Thal geweitet
427
die mehrere Klippen vereint und die mit ihrer Jin:
feneinfafjung von der Kerne einer Baſtei nicht
unähnlich it. Früher beitand fie aus einer hölzer:
nen Brüde (feit 1826 ), die fteinerne datiert erft
jeit 1851. Schon für den Neifenden, der von ſei—
nem Coupe aus hinaufblidt, ericheint die Felſen—
gruppe mit der fie verbindenden Brüde, die fie:
ben Bögen bildet, höchft romantisch. Hoch oben
aber genießt man eine Romantif, von der man
unten in der Tiefe fich feinen Begriff machen
fann. Die Fernficht it ſehr umfaſſend, wie eine
haben. Der vlaftische
Ort beſaß Landkarte
bereits 1291 liegt ein
eine Kirche; Stück ſchö—
das alte ner Erde vor
Schloß iſt uns ausge—
zum Wirt: breitet. Was
ſchafts⸗ und wie weit
gebäude de: man fehen
grabdiert ; fann, will
nah einer ich nicht ja:
Inſchrift auf gen; wären
der Mauer es doch nur
fiel ein Worte, nur
Knecht, der die Beſchrei—
auf derſel— bung eines
ben einge— Konzertes.
ſchlafen — Weite Aus—
war, herab — — fichten fin:
und brach Lohmähe im Llebethalergrunde (8. dıCı. den wir auf
beide Beine. unferem
Aljo ein Anflug zu einer Sage, deren Pointe
leider ſehr proſaiſch iſt.
Der Anblick des Ortes von unten iſt recht
pittoresf und höchſt maleriſch gruppiert; es er:
ſcheint als vollendetes Yandichaftsbild, das allen
Negeln der Kunſt entipricht (S. 426).
Von Lohmen nahmen dann unfere Freunde
ihren Weg auf entgegengefehter Zeite nad) Utte:
walde und dem Uttewaldergrund, auf dem:
Ausfluge noch oft, was aber fonit fehlt und hier
den Hauptreiz bildet, ift der Blick in die Tiefe,
wo die Elbe das Thal ausfüllt und gerade unter
uns einen Bogen bildet. Wie oft beneidet man
jelben Wege, den wir genommen haben, uns fol:
gend, bis fie uns, weil fchnellfühiger als wir,
hier auf der Höhe ereilten. Gemeinfam erreichen
wir den Glanzpunkt der ſächſiſchen Schweiz, die
Baſtei (S. 429). Das Gaſthaus erjcheint uns
wie eine freundliche Daſe in der Wüſte; in feiner
ſtadtiſchen Erfcheinung nimmt es fich auch fremd:
artig genug in der FFelfeneinöde aus. Nicht lange
verweilen wir bei der leider notwendigen Erfri—
hung, uns zieht es mit magiicher Gewalt zur |
Baftei jelbit hin, Diefe ift eigentlich eine Brüde,
den Vogel, der fih in die Yüfte erheben und
weite Auen überbliden fan; hier können wir
begreifen, welche Luft der beficderte Scaler der
Lüfte empfinden Fönnte, wenn er wie der Menſch
Verftändnis dafür hätte. Mich wundert es, daß
man, wie cö an anderen Orten fchon aefchehen
it, Die dritte Verfuchung des Herrn nicht hier:
her verlegte, it doc des Verfuchers Nevier in
unmitelbarer Nähe!
Ron der Baſtei nah Nathen an der Elbe
wäre nun nicht weit und von hier die Rückkehr
nah Dresden leicht möglich. Aber jo jchnell
geben wir uns nicht zufrieden; mie der Yöwe, der
Blut aelojtet, noch nach mehr lechzt, fo wir, Die
wir erjt einen Heinen Teil des Gebirges durd):
: flogen, nad) einer Fortſetzung des Genuſſes uns
u 3 ine
Umfelfau und Amfelgrund.
fehnen. Unjere Pedale find einmal eingeübt und
darum hinab von der Baftei in die Tiefe und
links hinein in den Amfelgrund (f.o.). Ein
ihön gepflegter Promenadenweg erleichtert uns
den Naturgenuß, der Grünbach, der uns von der
Höhe entgegenrauſcht, erſetzt uns den Führer,
Die phantaftiichen Felfenbildungen, die indeſſen
den Charakter aller Felfen diefer Gegend tragen,
ericheinen wie Coulifjen eines Riejentheaters;
beim Weitergehen verſchieben fie fich jede Weile
und zeigen neue Gruppierungen. Den ſchönſten
Punkt der Partie erreichen wir bein Amſelloch,
wo ſich die Felſen grotesf zufanımendrängen.
Das Amſelloch ift eine Höhle, über welche der
Grünbach ſich ergießt und einen ſchönen Wafler:
fall bilden — würde, wenn der Bach immer
Waſſer genug zu dieſem Pläſir beſaäße. In
heißen Sommertagen
geht ihm aber der
Atem d.h. das Waſſer
aus und dieſes wird
künſtlich gefammelt,
um gegen Bezahlung
ſich einige Minuten vor
den Touriften zu prä:
jentieren. Das Bäch—
lein kann ſich tröjten ;
es find ſonſt in der
Melt, 3. B. auf ber
Wilhelmshöhe bei Kaſ⸗
ſel koſtſpielige Waſſer—
fälle hergeſtelltworden,
denen auch das Waſſer
fehlt, ſo daß ſie ſich
nur an Feſttagen pro⸗
duzieren dürfen.
Mutig aufwärts
ſteigend, berühren wir
das Dorf Rathewalde
underreichendie Chauſ⸗
ſee, die uns rechts
am Hochſtein vorbei
nach Hohnſtein bringt.
Der Hockſtein (S.
431) iſt ein Zwillings⸗
paar von Felfen, die
durch eine Brüde ver:
bunden find. Bon der:
felben hat man einen
Einblidin das Polenz:
thal, in das die Felſen
jäh abjtürgen. Ein
tiefer Abgrund gähnt uns an und wohl mit
Necht führt die 1821 erbaute Brüde den Na:
men Teufelsbrüde. Aber diefes Prädikat wird
ihr in neuefter Zeit ftreitig gemadt, nachdem
man eine von Waldftreu und SHeidelbeeren
überwudherte natürliche Steinbrüde entdedt hat.
Es ift nicht ausgemacht, ob dieſe Höhe einſt eine
Burg trug. Alte Spuren von Löchern, Stufen, |
Gifternen deuten aber dahin, daß fi hier Men:
ichen wenigitens vorübergehend aufgehalten ha=
ben, die etwa in Kriegszeiten hier eine Zufluchts⸗
jtätte fuchten.
Bon Hodjtein erblidt man, durch die Wolfs—
ichlucht, getrennt, Schloß und Städtchen Hohn:
ftein (S. 417). Da haben wir aljo endlich
ein Stück vom romantischen Mittelalter. Das
Schloß dominiert auf dem höchſten Punkte
Die fächftfche Schweiz. 429
des Felſens, der nad) dem Polenzthal fteil ab: | das Schloß iſt jeht eine Korrektionsanftalt. Das
fällt. Der Weg von Hodjtein durd) die Wolfs- ift das Los des Schönen in der Welt! Dod
ſchlucht ift zwar jehr interefjant, aber, da allerlei | kann man nod), wer Freude an folden Dingen
Hindernifje überwunden werden müfjen, nicht | hat, das Burgverließ, die Marterfammern und
eben leicht, weshalb Frauen und beleibte Männer | alte Gefängniffe in Augenſchein nehmen, aud)
einen bequemeren Weg einjhlagen. Hat man | von einem Altan herab in den Bärenzwinger
das freundliche Städtchen erreicht, fo verliert fih | einen Blid werfen. Da hauften einft ganz un:
leider alle Illuſion, die in uns die pittoresfe | heimliche Gefellen, die auch zuweilen ausbradyen
Anficht des Schloffes in der Ferne gewedt hatte: | und in den Waldungen viel Schaden anrichteten.
Bolteibräde (8. 427).
Als einmal Meifter Peg, Frömmigkeit fimulies | rung beforgt. Es ift der Gebirgsverein, der in
rend, plötzlich in die Kirche während des Gottes: | Pirna feinen Gentralfit hat, aber in der ganzen
dienftes geriet und hier namenlofe Angit und | fähfiich böhmischen Schweiz in 25 Sektionen
Verwirrung erregte, lich Auguft III. das ge: | fi teilt. Wie er jo mande neue Partie im
fährliche Wildbret erſchießen und den Bären: | Gebirge der reifenden Menſchheit eröffnet und
jwinger ausleeren. zugänglich gemacht hat, fo macht er durd) die
Das Polenzthal, deſſen poetiihem Zauber | überall angebrachten Wegweiſer ſich um die
wir ung mit Freuden hingeben, führt uns der | Sicherheit des Neifens verdient.
Elbegegend zu. In der ganzen ſächſiſchen Schweiz Eo ladet uns auch im Polenzthal ein folder
gewahren wir auf Schritt und Tritt die Thätig: | MWegweijer ein, dem Brand einen Befuch abzu—
feit einer Geſellſchaft, die feit 1877 die Touriften: | ftatten; jo heißt eine teile vorfpringende Felſen—
wege imjtande erhält und ihre genaue Markie | fläche, von der man eine der ſchönſten Ausſichten
430
über das umliegende Gebirge genießt. Auffallen
muß in der Richtung nad Oſten die Formation
einer Gruppe nebeneinander ftehender, fait ab:
gerundeter Felskegel, die die Volksphantaſie
„Haberfäde” (©. 417) getauft hat. Sie
fönnten mit gleihem Rechte auch Roggen: oder
Meizenfäde heigen, denn wer hat ihren inhalt
unterfucht? Und doch ift der Haber hier begründet,
denn die fpärlichen Meder des Gebirges bringen
eben nur höchſtens Haber hervor.
Ueber jteinerne Stufen gelangt man auf die
Straße, die uns bald nad Schandau bringt.
Aus der wohlthuenden Ruhe des Gebirges, wo |
uns höchſtens zuweilen ein Echo freundlich ant:
wortet, befinden wir uns plößlich im Trubel eines
Prebiihtbor S. a2),
3. €. Weilely.
großftädtiich fich gebarenden Städtchens, Denn
Schandau ift ein Mode:Badeort, in das Die
Großftädter ihre heimischen Gewohnheiten mit—
bringen. So jtark beeinflußt uns die Kultur,
daß wir fie ſelbſt in der Villeggiatur nicht ablegen
fönnen, um im intimften Verkehr mit der Natur
fih nur als Menſch zu fühlen.
Geftärkt unternehmen wir unfere weitere
Wanderung durd das Gebirge. Wir halten
uns in der Nähe des Kirnitſchflüßchens und
fommen an mehreren Mühlen vorbei zum Lich—
tenhainer Waflerfall, der aber aud nur, wie
der Amfelfall, gegen Entgelt auf einige Minus
ten thätig it. Das Gebirge iſt nämlich wafjer-
arm; im Frühjahr, wenn der Schnee im Gebirge
ſchmilzt oder bei jtarfen Regen—
güffen jchwellen freilich die klein—
ſten Büchlein an und werben zu
reigenden Gebirgsbädhen, wäh:
rend fie im heißen Sommer oft
ganz austrodnen.
Vom Wafjerfall erreiht man
auf fteilem Fußwege, den uns
ein MWegweifer zeigt, in einer
halben Stunde den Kuhſtall.
Es ift dies ein natürliches Felſen⸗
gewölbe, durch welches man auf
den Habichtsgrund hindurchſieht.
Die ganze Umgebung ift fehr
wild und erfcheint wie ein Felſen⸗
labyrinth. Den jehr profaifchen
Namen „Kuhſtall“ mag das Ge:
wölbe befommen haben, weil die
in Kriegszeiten ſich hierher flüch:
tenden Menſchen ihr Vieh in dem
Gewölbe geborgen haben. So
aller Poeſie hohnfprechend, hat
doc der Kuhjtall, wie im Frem—
denbuche zu lefen, einen Natur:
dichter zu folgender Dithyrambe
begeiftern können:
„Ich bin geweien, ich bin aewefen,
Ih bin im herrlichen Kubjtall ge:
weſen.“
Darunter hat das Echo des
Gebirges durch einen Vertreter
eintragen laſſen:
„Es iſt geweſen, es iſt geweſen,
Es iſt ein Ochſe im Kuhſtall ge—
weſen.“
Von hier geht unſere Wan—
derung zunächſt nach dem kleinen
Die fächfifche Schweiz.
Winterberg. Wir paffieren einen Felfengang,
„die frumme Karoline“ genannt, das Schneider:
und das Pfaffenloh. Das Genie, das diefe
Gegend poetifch bearbeiten wollte, müßte bei
folhen Namen in eine gelinde Berzweiflung
geraten.
Der fleine Winterberg hat nur eine be:
ſchränkte Ausfiht und wir ſuchen darum ben
431
Und nun friſch auf zur legten Station, die
bereit3 über der deutichen Grenze, in der böh—
miſchen Schweiz liegt. Es ift das Prebifhthor
(©. 430), wohl das großartigfte Naturfpiel, das
ſich in längſt vergungenen Tagen in und durch
die Revolution der Elemente gebildet hat. Eine
riefige Felfenplatte ruht auf zwei Felſenpfeilern
und bildet einen ungeheueren Thorbogen, den
— * —* * ſig *
großen Win— rücke
terberg zu er⸗ denken kann,
reichen, wo da man über
* ein recht ei ——
equemes und ein gün—
Gaſthaus mit ſtiges „Lug
gutem öſter— ins Land“ ge:
reichiſchen winnen kann.
Mein, treff— Früher be—
er — fand ” Br
und annehm: eine jehr
baren Preijen malerifch jich
aufnimmt. präfentieren:
Wir hatten de Nejtaura:
bisher ein tion, die ſich
herrliches wie ein
Wetter ge: Schwalben:
habt, die Luft neft an die
war heiß, aber Felfenwand
far und wir lehnte. In
brachten man: neueſter Zeit
chen Schweiß: entſtand ein
tropfen als neues maſſi—
Dpfer dem ves Gebäude,
a. * - treffliche
enn es wahr ewirtung
iſt, wie Heſiod bietet. Wenn
ſagt: man meint,
Ueber die heutzutage
Tugend ſetzten könne fein
den Schweiß die neuer Bauſtil
unfter blichen Blid auf ben großen Hodflein (S. 428). mehr e tun:
Götter“, den werden,
dann fann unfere Tugend nicht bezweifelt werden.
Wir haben uns bereden lafjen, am Winter:
berge zu übernadhten, um den Sonnenaufgang
zu ſehen. Diefen zu bewundern, waren wir frei:
lich nicht für würdig befunden; dichter Nebel
lagerte um uns her. Dennoch bedauerten wir
nicht, hier geblieben zu fein, denn der Nebel ver:
ſchwand und wir genofjen eine Ausficht, Die ſich
nicht bejchreiben läßt. Mird doch der Durchmeſſer
des Geſichtskreiſes mit 22 Meilen berechnet.
dann fehe man fi den Unterbau des Gebäudes
an. Da hat der Baumeifter in den mächtigen
Quaderfäulen etwas ganz Neues erfunden. Aber
ſchön ijt es nicht!
Auf fehr bequemem Wege erreicht man das
anmutige Thal des Bielagrundes und tritt
ſchließlich in Herrnöfretichen zum Elbeufer. Im
freundlichen Gärtchen des Gafthaufes (früheren
Herrenhaufes) uns erfrifchend, warten wir das
Dampfidiff ab oder lafjen uns über die Elbe
55
432
ſetzen, um mit der Bahn unferen Rückweg an:
zutreten. Ber ſchönem Wetter ift_das Dampf:
Ichiff vorzuziehen, da die Fahrt thalwärts ſchnell
geht und wir vom Verdeck aus ebenfalls beſſer
beide Ufer überblicken können.
Beſonders großartig erſcheint am linken
Elbufer die Feſtung Königſtein (ſ. u.). Sie
ſoll den Schluß unſerer Exkurſion bilden. Sonſt
bieten zwar Feſtungen der Neu: oder Wißbegier
wenig oder gar nichts Intereſſantes dar; hier
aber ift eö der Berg, auf dem die Feftung liegt
und der eine weite Ausficht verfpricht, der uns
zum Befteigen desfelben reizt. Urfprünglic war
der Königftein eine böhmifche Grenzfefte. Spä-
ter im Befig Wilhelms I. von Meißen wurde
die Feftung durd die Huffiten (1425) zerftört,
zu Ende des 16. Jahrhunderts durch Kurfürft
Auguft wieder befeftigt. An fie knüpfen fi)
fonjt nur wenige hijtorifche Erinnerungen; Bött:
her, der Erfinder des Porzellans, wurde hier
1704— 1707 vor den Schweden in Gewahrfam
gehalten, damit er von diefen nicht gezwungen
werde, fein Geheimnis zu verraten. In neuerer
Zeit war Bakunin als wirfliher Gefangener
hier gehalten. Er war 1848 ein rechter Sturm:
vogel; wo er erſchien, da entitand Revolution,
jo in Prag, darauf 1849 in Dresden. Er wurde
an Rußland ausgeliefert, nach Sibirien ver:
J. €. Weſſely. Die fähnfche Schweiz.
bannt, von da entfloh er über Japan nad Ame-
rifa. Es wäre noch Kyau zu nennen, der lujtige
Patron, der hier 1715— 1733 Kommandant war.
Er nannte die Feftung feine fteinerne Braut.
Einen Anlauf zum Romantifchen nimmt das
fogenannte Pagenbett. Es ift dieſes ein fchma-
ler Felsvorſprung, auf dem bei einem Feſte
Johann Georg II. (1665) ein betrunfener
Page, Heinrich von Grünau, einfhlief. Der
Kurfürft ließ ihn behutjam mit Striden binden
und dann mit Trompetenfchall aufweden.
Da man am Rande des Felſens rings um
die Feitung gehen fan, fo genießt man bie
reihe Umficht nach allen Weltgegenden; fie be:
lohnt reichlich den fteilen Weg zur Höhe. Allen:
fall3 fönnen wir nod) dem Brunnen unfere Auf:
merkjamfeit ſchenken, dejlen Bohrung (1553
angefangen) eine vierzigjährige Arbeit bean-
ſpruchte. Die Tiefe beträgt 186 m.
Es wären auf diefer Seite der Elbe aud
fo manche jhöne Ausflüge möglid (mie aud
unfere befchriebene Tour am rechten Elbufer
noch viele Seitenabfteher zuläßt). Aber für
diesmal haben wir genug genofjen. Wir haben
übervoll zu thun, um die gewonnenen Eindrüde
im Gehirnfaften zu ordnen, damit die Erinne-
rung diefelben vorfommenden Fall ſchnell und
richtig finden und verwenden fann.
Könlaftein ıf. 0.)
> Des Selehrten Frühling —
(Stoffe.)
Wie gern erforſchte ich im Süden
Den Mumtenfchrein im flillen Dom
Der rätjelhaften Pyramiden!
Ich flieg in Gräfte, brach den Frieden
Der Katafombenfladt in Rom.
Dod;, wenn ich von der Wand'rung lahm,
Heimfehrend Finkenſchlag vernahm,
Derichloß ich meine Schreibtifchfächer.
Froh rief ich dann beim vollen Becher:
Sahr' aus, du Staub, der in mich fam!
Wo in der Denkerſtirne Salten,
Wo unter längft ergrautem Haar
Die Ehrfurdht vor dem Geift der Alten
Und £iebe zu den Mufen walten —
Da ift der Wiſſenſchaft Altar.
Dod;, wenn nach winterlichem Bram
In Ailler jungfräulicher Scham
Die Deildyen meine Gunft gewannen,
Könnt ibr mich nicht mehr an euch bannen,
Schulweisbeit du und Büdherfram.
Bahr‘ aus bu Staub, ber in mid kam,
Shulweisbeit bu und Büderfram,
In alle Winde fliche,
Daß bie Natur einziehe! ziet
mid nahm ein Eid in feine Haft.
Auf meinem Sig von £eder
Schwur Treue ich der Wiffenichaft.
Dod; müde wird die Feder
Und träge meine Kebensfraft
Schon in des Tages Frühe.
un’ der papier'nen Mühe,
Die mid; geplagt beim Campenſchein,
Sag’ ich: du follft des Teufels fein,
In alle Winde fliche!
Blick' auf ins dunfle Sirmament!
£ies der Geflirne Bibeln!
Sort Mifroffop und Inftrument!
Derlern’ es, nadızugrübeln,
Ob dir dein Schidfal noch vergönnt
Daf Srohfinn in dir blähe,
Dergif dein £eid! Denn fiehe!
Dich füht der Roſe holder Duft.
Thu’ auf dein Herz, daß Frahlingsluft,
Daf die Natur einziehe!
Sranz von Bolbendorfl.
Herr Floxin.
Ssine Geſtalft aus den Bergen.
Bon
Hans Malfer.
DAN, in verfehltes Leben! Er hätte
’ Künftler werden fünnen, er
hätte Profefior werden können,
er hätte Bürgermeifter werden
fünnen — Landtagsabgeordne—
ter, Herrenhausmitglied — dann Baron oder
Präfident, jo oder jo. Baron, wenn der Staat
eine Monarchie verblieben, Präfident, wenn er
eine Republit geworden. — Und ijt nichts,
als ein windiger Rafierer.
Ein Barticherer, ein SHaarkräusler und
Geckenaufputzer, ein Berüdenflehter und Haar:
zopfiträhner. Man verlangt, dab er Spähe
made, und da er fie nicht macht, jo macht man
jih melde mit ihm. Man nennt ihn Doltor,
er protejtiert nicht dagegen, der Titel gebührt
ihm, er ift belefen, er nennt alle hohen Berge
|
|
der Welt beim Namen, und weiß, wie hod) fie
find, weiß e3 in Fuß und Metern, kennt die
Tiefen des Meeres und berechnet nad einem
alten Atlas, wo die größten Untiefen find. Er
gibt dem Landmann, während er ihm den Bart
abſchabt, Fingerzeige über die Witterung der
nächften Monate, belehrt ihn, wie er den Dung
ftreuen, woher er den Samen beziehen müfle.
Er hat Agentihaften, und zwar deren fo viele,
daß er vor lauter Schildertafeln die Tünche
feines Häuschens erjpart. Er verfihert dem
Bauern das Haus, das Vieh, die Feldfrüchte,
das Leben. — Wenn mir diefer Lebenöver:
fiherer, denkt fi der Bauer, nur jetzt die Gur—
gel nicht abjchneidet! anftellt er fich g’rad fo.
Kragen thut der Sagara ſchon, daß man die
Engel fingen hört! Schneidet denn das Meſſer
434
nicht? — Allerdings, das Meſſer roſtet ſchon,
denn Herr Florin hängt das Geſchäft an den
Nagel und rafiert den Mann nur aus Gefällig:
feit. Er will ihm aus Gefälligfeit auch den
Prozeß führen helfen, den der Bauer mit einem
Nachbar hat. Meifter Florin weiß gut aus im
Gefegbud) und wird dem findigften Doktor zu
geicheit. Er führt verfchiedenerlei Schreiber: '
geichäfte, hat hier einen Strauß mit dem Steuer:
amt, dort einen Handel mit dem Bezirkögericht,
da ein Rencontre mit dem Notar, oder mit |
einem Gläubiger, mit dem oder jenem — und |
gewinnt, gewinnt alles,
Daher will er das Nafiergefchäft aufgeben,
es find fchlechte Zeiten. Ja früher, in feines
feligen Vaters Jahren, wo jeder brave Staats:
bürger fortweg fein glattes Geſicht haben mußte,
da war's leicht Rafierer zu fein. Aber jetzt, wo
die Leute ihren Patriotismus und ihre Meis-
heit und ihr politifches Bekenntnis in den Bart:
haaren herauswachſen laſſen, jet wird der Ra:
fierer — und er mag der klügſte und fleißigſte
Mann fein — ein Bettler.
Ueberhaupt — und das Wörtlein hat Mei:
fter Florin immer auf der Zunge — überhaupt,
das fliegt fo über alles hin, da ſteckt alles drin,
was der Sprecher meint, aber nicht weiß, ober
wenn er gar nichtö meint und nichts weiß, als
nur, daß hier eine Phrafe gut ftehe, jo jagt er:
überhaupt, und hat damit fehr viel und jehr |
vernünftig geſprochen. Alfo — „überhaupt,“ |
jagt der Meifter Florin, „es tft nicht mehr fo |
wie früher, die Welt ift ganz anderö geworden,
heute fiegt nur das Geld und der Protze, ber
Brutale, der Aufdringliche, überhaupt der Wind:
beutel. Ich könnte heut auch anders daſtehen,
aber id) bin immer zu ehrlich und beſcheiden ge:
weſen. Den erften Prügel hat mir mein Vater
unter die Füße geworfen, weil er mid nicht
ftubieren ließ, fondern mich zu feinem Hand:
werk zwang, zu dem ich niemals Luft und Schid
gehabt habe. Ich bitt' euch, ein ſtrebſamer,
intelligenter, für alles Schöne begeifterter junger |
Mann Frifeur! Aber ih habe mid heraus:
gearbeitet. Wenn ich heute das Geld hätte,
das mir die Kerzen gefoftet haben, bei denen
ich die ganzen Nächte hindurch ftudiert habe!
In den einundzwanzig Jahrgängen der Theater:
zeitung und in den Jahrbüchern des Gothaer:
Almanach und im Selbftabvofat gibt's fein
Blatt, das ich nicht in mic) aufgenommen hätte. |
Ich habe meine Freude dran gehabt, überhaupt,
Sans Maljer,
ich habe immer Sinn für was Beſſeres gehabt.
Und ich hab's mitgemacht, wie wir die Eiſen—
bahn befommen haben und den Telegraph. Bei
meinem Aufwachſen hat nod Feiner in unferer
Gegend eine Baummolljoppe getragen, und das
Einjährigfreiwilligen-Inſtitut jetzt, die Hinter-
lader, überhaupt das ganze Kriegsweſen! Das
ift ein Fortfchritt! ch bin fortweg bei den
Fortſchrittsmännern und Aufgeflärten geftanden
und überhaupt, früher ift die Welt in zweihun-
dert jahren nicht um das weiter gefommen, als
wie zu meiner Zeit. Es iſt beſſer geworden und
es wäre ganz gut geworben, wenn nicht Die
Anmaßung das große Wort führte. Der ehr:
liche Mann verarmt. E3 ift ja zum Raſend—
werden, wenn man bedenkt, wer heute das
Heftinder Hand hat.” So feine Betrachtungen.
Er war im Stabtfchulrat, aber fie haben
ihn nicht zum Obmann gemadt; er ift in ben
Gemeinderat gewählt mworben, aber bei der
Bürgermeifterwahl —! Er hätte mwenigjtens
zwei Drittel der Stimmen gehabt, aber die
Kabale! Die Kabale, ihr Herren! — Sie haben
es ganz gut gewußt, was fie thun, denn, wenn
er, der Meifter Florin, obenauf gefommen wäre,
da hätt's anders gehen müſſen. Er wüßte ſchon,
was zu machen wäre! Cine Muftergemeinde
hätte er geſchaffen, an welcher fich felbft der
Staat ein Mufter genommen haben würde.
Man hätte „oben“ gefragt: wer ift der treff-
lihe Mann? Gehörte er nicht vielmehr hier:
her ans Ruder, als daß er feine Kraft in dem
engen Wirfungsfreife vergeude?
Bor einer ſolchen Perjpeftive wird jeder
Geſchäftsmann — er braudt nicht erſt Frifeur
zu fein — die Luft an feinem Berufe verlieren.
Meifter Florin macht befannt: er raftert nicht
mehr.
Jetzt kommen Fremde ins Städtchen, Tou—
riften, fie juchen einen Friſeur. Iſt feiner da.
Sie ſuchen aud einen Führer. Aljogleich tritt
Meifter Florin hervor und macht feine höfliche
Aufwartung, er fennt die Gegend, wie fonft
gar feiner mehr, er ift gerne bereit. — Schön,
was er begehre? — Bitte, es macht ihm ein
Vergnügen, er ift mit von der Partie. Sie
fuchen einen Führer und finden einen Kavalier.
Um fo bejjer. Den Träger für Mäntel und
Mundvorrat beftellt der Herr Florin; fie laden
ihn ein aus ihrem Vorrate mitzueljen, mitzu—
trinfen; er will nicht ablehnen, er thut den
| Schinken und Flaſchen ſehr viel Ehre an; er
Herr Slorin.
ift ſtets delifat, aber das ift zufällig feine Leib—
fpeife, fein Tropfen — hoch follen fie leben!
Er weiß unterwegs ftets zu erzählen und
fpricht ganz im Geifte der Zeit, heißt das, wenn
er merkt, daß die Fremden feinen haben. Er
erzählt gerne von fich und was ihm ebenfo am
geläufigiten ift; die Fremden heucheln Intereſſe,
jo lange ſie's vermögen, endlich aber danken fie
für feine freundliche Begleitung und gehen ihrer
Wege.
Trogdem oder — überhaupt, die Fremden:
führerfhaft trägt mehr, als das Friſeur- und
Nafiergefchäft, es trägt wenigftens die Koft und
man ijt in der frifchen Luft und Naturfreund
it man auch. Iſt's und wird's von Tour zu
Tour mehr, denn überall erinnert man fi), was
einen früheren Tourijten entzüdt hat, und das
entzüdt einen num auch und fo bringt man im
Laufe der Jahre eine Unzahl von „romantischen“
Wegen, Punkten und Ausfihten zufammen.
Endlid nimmt er wahr, daß er ein fo ge:
waltiger Naturfreund und Touriſt geworden
it, daß er davon leben kann. Er läßt ſich als
Führer immer noch nicht lohnen, aber die Prä—
fente, die der Kavalier dem Kavalier verehrt,
die darf er nicht abweifen. Er hat deren fchon
eine rejpeftable Sammlung, er verkauft fie nicht,
es find werte Andenken von hohen Bekannt:
ſchaften und lieben Freunden — und verſetzen,
nur wenn's fein muß. Auch die Tourijtenver:
eine find ihm erfenntlich, und wie die Affe:
furanzen, die er längft vernachläſſigt und ver:
loren hat — einst das Neußere feines Haufes
mit Agenturtafeln dekoriert haben, fo dekorieren
die Touriftenvereine dasjelbe von innen mit
Diplomen, Gebirgäfarten und Edelweißorden.
Gr übt wieder Gegenerfenntlichkeiten und wirbt
Mitglieder für die Vereine. So wird er be:
fannt und gefucht und jeder Fremde, der am
Bahnhofe dem Zug entiteigt, fragt ala fein
erſtes nach dem Herin Florin. Der fteht fchon
da, ſtets nett beifammen, in Nationaltradht,
ftets höflich, Tüftet feinen Touriftenhut, ift dem
Herrn zuvorfommend zur Hand beim Ausfteigen,
beim Gepädtragen, bei der Suche nach einem
Hotel und dem Fremden bleibt nichts anderes
übrig, als fi gefangen zu geben.
Der Gajthofbefiger weiß einen Florin wohl
zu würdigen, und wenn letzterer für genoffene
Speis und Trank um die Rechnung erfucht, fo
vertröftet ihn der Wirt von Tag zu Tag, bis
Herr Florin endlich nicht mehr erfucht und fich
435
die Gafthausfoft von Tag zu Tag fo trefflich
munben läßt, als ob's auf der weiten Welt fein
einzig Stüdlein Kreide gäbe. Es geht. Sehr
gut geht's, und Meifter Florin fagt es jelber:
e3 ginge ihm fehr gut, und er muß es am beiten
wiſſen. Daß er einmal Nafierer gewefen, hört
er nicht gern, es war auch nur ein Spaß von
ihm gemefen, ein ſchlechter Spaß. Er wohnt
auch gar nicht mehr im Frifeurhäuschen, das ijt
der Habgier eines Gläubigers zum Opfer ge:
fallen, gegen den der Meifter den langjährig
geführten Prozek ganz unftreitig gewonnen
hätte, wenn nicht Beftehung und Hinterlift
von feiten des Gläubigers ftattgefunden hätte.
Ueberhaupt find die Leute heutzutage von einem
greulichen Eigennuß befeffen, nur der Wirt
nicht, nein, der ift ein braver Mann. Sept
wohnt er auch bei ihm.
So verkehrt Meifter — was Meifter! —
Herr v. Florin nur mehr mit feineren, vor:
nehmeren Leuten, und wenn man bem Geſpräche
zuhört, das er und eim zugereijter Univerfitäts:
Profeſſor führen, fo iſt fein Zweifel, wer der
Geſcheitere iſt — nämlich der Herr v. Florin.
Man kann aber ordentlih erſchrecken, wenn
Florin plößlich behauptet, das deutjche Kaifer:
reich tauge nichts und er mit wenigen bifta:
torischen Ausſprüchen mir nichts dir nichts die
Nepublif einführt und der Fürft Bismard wie
ein armer Schluder dajteht, noch um ein paar
Stünblein Leben bittend. Der Profeſſor ift gar
nicht imjtande, der Tragweite dieſer unerhör:
ten Reformen zu folgen, daher fchweigt er und
dad imponiert den umjigenden Zuhörern —
„sa, wie Meifter Florin geſprochen, da hat der
gelehrte Herr nachgerade fein Wörtlein mehr zu
fagen gewußt, ift ftill gewejen wie ein Baum:
ſtock.“
Wie ſteht er jetzt da, der Herr v. Florin!
Von alters her — und zwar ſeit etlichen vier—
zig Jahren — heißt er Franz Viktor Florin;
jetzt, der Name iſt ihm zu lang, er iſt ſelber
nicht über 5 Schuh lang, er braucht keinen ſo
langen Namen, er kürzt ihn, ſetzt anſtatt dem
Worte Viktor nur ein kleines v, und jetzt lautet
die Viſitkarte: Franz v. Florin. Das ſteht!
ſehr gut ſteht's, und ſomit wäre er nun eigent—
lich oben.
Aber da ſehe man den Neid des Schickſals!
Ueberhaupt, wer zum Unglück geboren iſt u.f.w.
Auf einmal legt jih der Wirt hin und ftirbt
und macht den Herrn v. Florin brotlos und
_ A
Sans Malier.
436
fagt: Florin folle arbeiten, er jei noch ftarf ge:
nug dazu. — So! Alſo das ijt der Lohn, daf
er die Fremden herbeigezogen und die Gegend
befannt gemacht hat! Das ijt der Lohn für die
Dienfte, die er dem Haufe und der Gemeinde
und jedermann geleijtet hat! Die Kinder werden
einft als alte Leute erzählen von Herrn v. Flo:
rin, wie fchliht er war und jovial und welche
Neden er der Jugend oft gehalten hat und wie
er für den Fortfchritt gewejen und was ihm
das Städtchen verdanft. Mande alte Schrift
von feiner Hand wird verblaft und vergilbt
noch Zeugnis ablegen von dem ftrebfamen, viel:
feitigen Mann, der feiner Zeit voraus war.
Aber heute! heute läßt man ihn darben. Zwar
findet er immer noch gute Seelen, die feinen
Nahrungsbedürfnifien Rechnung tragen, mein
Gott, er ift ja leicht zufrieden! aber der Rod
will verblafjen und die fremden Herren, wenn
fie fommen, wollen mit dem fadenfcheinigen
Rod nicht gerne an einem Tifch fiten. Er iſt
immer noch geiftesfrisch, ja luftiger als früher
und weiß allerlei Schnurren, auch fingt er und
macht Mufif dazu auf der Zither oder der Gui—
tarre. Er weiß poffterliche Lieder, Sprüche und
ichalfhafte Anekdoten. Man lacht darüber, man
wartet ihm eine Cigarre auf oder läßt ihm
ein Glas Mein vorfegen und fo ift es immer
recht unterhaltfam. Es gibt Leute, die fagen
ihm, er folle ſich nicht jo an die Ferfen der
Fremden heften und ſich nicht zum Spaßmacher
hergeben; er folle lieber wieder feinen Raſier—
laden aufmachen. Das find die Kurzfichtigen.
Eie wifjen nicht, was er will und worauf er es
abgeſehen hat. Er wird noch eine einflußreiche
Stellung gewinnen und dann jeine weltbeglüden-
den Pläne durchführen.
Einftweilen verfommt er immer mehr.
Mancher Fremde, der im Städtchen abjteigt, er
mag Tourift fein, oder Agent, oder Vereins:
meier, nüßt ihn aus, fo viel noch auszunügen
it. Andere fragen gar nicht mehr nach ihm,
aber er ift eine allbefannte Figur und viel arm:
feligere und niedriger denfende Subjelte als er
iſt, machen ihn zur Zieljcheibe ihres Spottes.
Endlich glaubt er’s, daß er nichts erreichen |
wird; er klagt über ein verfehltes Leben, fett |
die Hoffnung aber auf feine Kinder. |
Er hat einen Sohn; der ift geiftig jehr be: |
gabt, hat ganz den Kopf von feinem Vater. |
Der foll ftudieren. Es iſt fein Geld da, es ijt
dachlos. Denn der junge Wirt ift ein Zopf und
Herr Slorin,
feine Proteftion da, oder hat ein oder der an—
dere jeiner guten Bekannten doch etwas zuge-
fagt? Gewerbsmeiſter des Städthens wollen
den aufgewedten ungen ins Geſchäft nehmen,
ihn ein Handwerk lernen. Ha, das wäre wieder
die alte Leier; diefes floriniſche Blut ift für was
Beſſeres rot geworden; der Burſche muß in die
Hauptftadt. Er foll fich dort felber fortbringen,
Freunde fuchen und ſich aus eigener Kraft auf:
Ihmwingen. Das macht den Mann. Der Vater
hält ihm noch eine ſchwunghafte Standrede, wie
fie wortprädhtiger in feinem Nomane zu finden
it, und der Junge geht in die Stadt. Er
jchreibt verzagte Epifteln heim, der Vater ſchickt
ihm Briefe voll begeifternder Phrafen, aber
fonft ohne Inhalt. Da fchreibt der Sohn in
immer längeren Zwifchenräumen immer fürzere
Briefe, endlich bleiben die Briefe ganz aus, und
das ift dem Herrn Florin ein Zeichen, daß die
Taube ein Gejtade gefunden hat.
Nun Hat Herr Florin — fein Weib ift ganz
Nebenjache, das ift da oder es iſt nicht da, einer=
lei; iſt es da, fo wird es wohl irgendwo eine
Dachkammer haben , wo e3 ſich mit Nähen oder
Striden fortbringt — trogdem hat Herr Florin
eine Tochter. Mit der läßt er fich nicht ungern
auf der Gaſſe bliden, denn fie ift ſchon bald
fein Kind mehr und wächjt fich recht fauber aus.
Es als Küchenmädchen zum Wirt geben, oder
gar zu einem Bauern in die Arbeit? nein. Das
Mädchen hat beſſere Ausfichten. Cin Baron
war da, ein Tourift, der ſagte dem Florin, das
Kind müſſe in die Stadt, dort fünne es fein
Glück mahen. Da erinnert ſich der umfihtige
Vater fofort an gelefene oder gehörte Fälle, wo
arme aber hübjche Mädchen auch in der Stadt
ihr Glüd — bisweilen fogar ein unglaublich
großes Glüd gemacht haben. Der Herr Baron
erklärt fich bereit, für das Kind eine Stelle aus-
findig zu machen, einjtweilen könne es in feinem
eigenen Haufe wohnen. — Alfo do überall
gute Yeute, und Herr Florin jagt, Glück habe
er niemalen viel gehabt, aber gute Menfchen
habe er immer gefunden, überhaupt habe es
den Anfchein, daß jich fein Glüd erft bei feinen
Kindern einstellen werde.
Er läßt das Mädchen fort und nun — find
die Kinder verforgt. Sie ſind's zwar nicht, aber
Florin ift gewohnt, alles fo auszulegen, wie es
am fchönften klingt. Sein Stolz ift, wenn er
erzählen fann: der Sohn ftudiert auf einen
Doktor, die Tochter ift beim Herrn Baron,
Julius Klaiber.
Florin beginnt zu altern, aber er hat nod)
einen Plan, das ift der einzige, den er in feinem
Leben durchgeführt hätte, wenn er ihn durch—
geführt hätte. Er konnte fingen, verjtand ſich
auf Saitenjpiel, hat die Gabe zu unterhalten;
er will fahrender Mufifer werden. Das ift gar
nicht dumm, das ijt der erjte Schritt zum Mit:
gliede eines größeren Kunftinititutes, eines
Theaters. Das Mißgeſchick lie es aber nicht
dazu kommen. Ueberhaupt, das Mißgeſchick!
Nun fit er viel in den Schenken herum und
jeßt fi) zu dem, der juft da iſt und hebt einen
flotten Diskurs an und läßt Poſſen los und
will fortgehen. Die Leute find warm. Da darf
der Herr v. Florin nicht fortgehen, fie laſſen
ihm Mein bringen. Das Wajjer, das er zum
Wein gießt, hält ihn noch aufrecht. Aber beim
Branntwein, da gießt man nichts dazu, da iſt
das Wafler ſchon dabei.
Der Branntwein aber thut das Seine und
e3 gibt einflugreihe Leute in der Gemeinde, die
behaupten, für den alten Florin wäre es am
beiten, wenn man ihn ins Armenhaus thäte,
Der alte Florin!
Ja, es ijt wahr, er ift grau, er fieht ver:
fallen aus. Wenn er ſich nur öfters ein faftiges
Stüd Fleisch gönnen könnte! Warum follen
denn feine Kinder, denen es in der Stadt jo qut
geht, nichts für den Vater thun? Keines läßt
was von fich hören.
Nun wird in die Stadt gejchrieben. Es
fommt eine Antwort; fie ift von fremder Hand
und berichtet, daf der Sohn vor längerer Zeit
wegen Bauernfängerei eingezogen, jpäter wie:
der freigelaffen und feitdem verichollen fei.
Der Florin erfhridt zuerft, dann aber lächelt
er, denn er glaubt es nicht.
Aufgefordert ſchreibt aud die Tochter, fie
jei nicht mehr beim Herrn Baron, aber fie wolle
ihren Eltern nicht mehr unter die Augen treten.
Der Florin fchüttelt den Kopf — er ver:
ſteht es nicht.
Und fo rinnt die Zeit hin, von Tag zu Tag
mit jteigender Geſchwindigkeit — mie es im
Alter Schon geht. Der Florin fit auf der Gar:
tenbanf des Armenhaufes und Schaut den Bienen
zu. Einer der vorbei geht, denkt fih: Ja, alter
Schiller auf der Solitüde.
437
und verleugnet. Haft hingeflunfert, haſt her—
geflunfert, dein fpitfindiges Spintifieren und
deine hohle Schlauheit Hat dich auf die Holz:
banf vor dem Armenhaus gebradht, und wenn
jet einer von den fremden Herren, denen du
gefällig warft, von den hodhgeitellten Freunden,
die dir gejchmeichelt haben, hier vorbeigeht, fo
wird er dich nicht fennen, und fennt er dich,
vielleicht fein Haupt wegwenden und in ſich
hineinmurmeln: Ei, das ift ja dieſer Idealiſt,
dieſer er, diefer — er hat allerlei Namen zur
Auswahl. Er ift bald vorüber. Ich aber bin der,
welcher dir einjt den Nat gegeben hat: bleibe
deinem Gewerbe treu und arbeite! ich gehe nicht
an dir vorbei, id) frage dich: „Wie geht es dir,
alter Florin?“
Er ſchrickt auf. „Danfe, danke,“ jagt er,
„ſoweit gut, recht qut. Dank der Nachfrage!”
Eine ſolche Zufriedenheit auf diejer Bank
verdient doch einen Zehner. „Da, Alter, günne
dir ein Glas auf mein Wohl!”
Oh, im Glaſe, das er nun trinkt, ijt mehr
drin, als der Spender ahnt, der Florin — der
Herr Franz v. Florin ift Bürgermeijter, Tou:
riftenvater, Abgeordneter, Negierungsrat —
Schöpfer und Ordner aller politifchen, wirt:
ſchaftlichen und geſellſchaftlichen Verhältniſſe
des Landes.
Um einen Silberzehner! In der That,
billiger fann man das Glück nicht haben.
Schiller auf der SHolitüde.
(1773—1775).
Bon
Dulius Klaiber.
E hat einen wunderbaren Reiz, dem inneren
Werden bedeutender Naturen nachzugehen,
in jenen geheimnisvollen Grund hinabzudringen,
wo ein großer Menſchengeiſt, bevor er an die
Oeffentlichkeit tritt, die ſtill empfangenen Waſſer
ſammelt und klärt, mit deren Fülle er hernach
Florin, du hätteſt den Bienen früher zuſchauen die Welt durchdringt. Bei Schiller iſt dies in
ſollen und dir an ihnen ein Beiſpiel nehmen, erhöhtem Maße der Fall. Seine Kindheit ver—
wie man durch Arbeit und Fleiß ſich eine ge: | läuft einfach und harmlos, niemand ahnt feine
ſicherte Eriftenz ſchafft. Du haft dich deines | fünftige Größe. Jene hübſchen Züge alle, welche
ehrlichen Gewerbes geſchämt, haft es verlafien | uns der Vater, die Schweſter, die Ältersgenoſſen
.-
438
aus feinen Knabenjahren erzählen, gehen nicht
über das hinaus, was fi unter verwandten
Umftänden unzähligemale wiederholt. Noch im
vierzehnten Jahr fchlummert die innere Trieb:
kraft: fein Hauptlehrer bezeichnet ihn ala mittel:
mäßiges Talent. Wo liegt der Punkt des Er-
wachens? Dem geijtigen Ort nad) fiher im Ge:
biete des Willens. Denn fein jpäteres Leben
und Mefen ift durchaus ftrebende Kraft; wohl
it feine Begabung groß und tief, aber der Wille
bat fie verdoppelt und vervielfaht. Der Zeit
nad) ebenfo ficher in den acht Jahren, die er bei
Julius Klaiber.
Solitüde dagegen finden ſich meift nur kurz be-
ſprochen, weil für diefe Zeit die Quellen in viel
geringerem Maße zugänglich find. Nun find
freilich auch die fpäteren Jahre des reifenden
Bewußtſeins dur die großartig entſchiedene
Entfaltung der merfwürdigen Schillernatur von
großer Bedeutung; aber für die pfychologifche
Betrachtung find doch jene früheren noch wich:
tiger: denn dort eben liegen bie ftillen Keime,
deren erftem Erwachen und Regen nachzugehen
ein ganz bejonderes Intereſſe gewährt. Für
| diefe Zeit auf der Solitüde nun hoffe ih durch
Herzog eine zu
Karl in anderem
der foge: Zwecke
nannten unternom⸗
Militär: mene
akademie Durch⸗
verbracht forſchung
hat: ein 2 des riefi-
Knabe wie 3 gen Aften-
andere, — —
ſchüchtern der Karls⸗
und fried: m ıl ang Ik ſchule in
(ich, tritt le 3 den Stand
er mit F er aa tllB. > gejegt zu
dreizehn fein, zwar
Jahren in nicht neue
die Anftalt Ent:
ein, und Sqloh Solitäde bei Stuttgart. deckungen
wie er ſie von her:
mit 21 Jahren verläßt, das Manuffript der
Räuber in der Tafche, ift er ein Jüngling von
einer Willenskraft, von einem geiftigen Herrſcher—
bewußtfein, von einer zwingenden Gewalt über
die Herzen einer Nation, wie wir von ſolchem
Alter Fein zweites Beifpiel in unferer Gefchichte
haben. Wie ift er das geworden, zumal da er
geraume Zeit nicht unter den Fleißigen ber
Afademie glänzt? Iſt er es durd) die Anftalt,
ift er es troß der Anftalt geworden? oder ift
am Ende beides zufammen anzunehmen? Das
find Fragen, welche immer wieder zu ihrer
Löfung reizen werden. Ein Feiner Beitrag
dazu, wenigjtens für einen Teil der Aufgabe,
will auch das Folgende fein. Wenn man von
Schiller in der Karläfchule fpriht — ein Name
freilich, den die Anftalt erft nah Schillers Ab:
gang erhalten hat —, denkt man gewöhnlid an
die fünf Jahre, welche Schiller in der Akademie
in Stuttgart verlebt hat, wohin die Schule 1775
verlegt wurde; feine drei eriten Jahre auf der
vorragender Wichtigkeit, immerhin aber eine
auf genauer Kenntnis der merkwürdigen Anftalt
‚ beruhende und da und bort durch einen neuen
' Zug aus den Quellen bereicherte Schilderung
bieten zu fönnen.
Nicht zwei Stunden von Stuttgart, aber
mehr denn fiebenhundert Fuß höher, auf einer
weiten bewaldeten Fläche liegt der Ort, den fich
ı Herzog Karl im Jahre 1763 für eines feiner
vielen Luftichlöffer erfehen hatte. Die Wahl
macht ihm Ehre: fräftige Lüfte mehen dort oben
und fchranfenlos ſchweift der Blick über ein
ſchönes Land. Aber fon hier zeigt fich der felt:
ſame Widerſpruch feiner Natur: er nannte den
Drt Solitüde; er hoffte dort, wie er ſelbſt fagte,
füße Stunden einfamer Muße zu verleben, um
ſich von der Welt mit ihrem Getümmel und
ihren Täufchungen zu erholen. Aber einmal im
Zuge, vuhte er nicht, bis er alles, was man da:
mals unter „Melt“ verftand, mit ihrem Ge-
‚ tümmel und ihren Täufchungen in die ftille Ein:
Schiller auf der Solitäde,
famteit getragen hatte. Achthundert Morgen
Waldes werden gelichtet; um das Schloß mit
feiner weittragenden Kuppel her eritehen Plätze
und Straßen; Theater, Kirhen, Maritälle,
Mohnhäufer aller Art, bis zu den petites mai-
sons jener Tage, die fih in den Bäumen des
Maldes verlieren, beleben den weiten Plan;
großartige Gärten, ſtattliche Alleen ſchließen ſich
an und eine
ſchnurgerade
Straße, drei
Stunden über
Berg und Thal
dahinziehend,
verbindet die
neue Schöpfung
mit der Reſi—
denz in Lud—
wigsburg.
Heute iſt
von jener Herr:
lichfeit, mit
Ausnahme des
Sclofies nicht
mehr viel vor-
handen; aber
dieſes felbft, ein
Kleinod in jei-
ner Art, im
Grundriß einer
ovalen Taba—
tiere aus jener
Zeit zu ver:
gleichen, verſetzt
und mit einem:
male in bie
wunderſame
Periode des Ro—
fofo zurück, die
den Stein wie
Papierſchnitzel Fräufelt und zur Dekoration des
Innern am Lliebiten Spiegel verwendet. Un:
willfürlih, wenn man in diefem goldprunfen:
den Lorbeerſaale, der einst den Seiten und Kon:
zerten diente, auf einem der alten Lehnſtühle
ſich niederläßt oder zwiſchen den fchweren Vor:
hängen durch auf die fchnörfelreihe Terraſſe
blidt, treten dem Auge die Bilder von damals
entgegen: Dan jieht, von Läufern umfchwärmt,
die ſchweren Karoſſen anfahren, man fieht die
Damen in Neifrod und Schleppe den feidenen
Stöckelſchuh zierlih aufs Pflafter ſetzen, man
Zer runde Eaal in ber Eolitäbe.
439
fieht die Kavaliere mit graziöfem Lächeln zum
Handkuß herbeieilen und die Schönen an den
Fingerjpigen die gemundene Freitreppe hinauf:
geleiten; man fieht den lichterjtrahlenden Saal
mit dem bunten Gewoge diejer fapriziös fofetten
Geſtalten fich füllen, über deren Häupter ber
Puder und die Schminke den gleihen Schimmer
greifenhafter Jugendlichkeit verbreitet; man fieht
mit einemmale
diefe Häupter
alle ſich zur Erde
neigen; denn
raſchen Schrit—
tes tritt er her:
ein, der Gott
diejes Geſchlech—
tes, defien Wort
diefe ganze
Welt aus dem
Nichts hervor:
aerufen hat, um
den alles in feſt
beitimmten
Bahnen kreiſt:
eine feſſelnde
Erſcheinung,
voll Geiſt und
Leben, mit
einem wunder—
baren Augen—
paar über der
kühn gebogenen
Naſe. Wie
ſprüht es aus
dieſem Blick von
Siegen und
Triumphen!
Ein echter Fürſt
aus der Zeit der
Selbſtherrlich—
keit. Man ſieht es ihm an, ſein Wille kennt
keine Schranke, ein unwiderſtehlicher Lebens—
durſt reißt ihn von Schöpfung zu Schöpfung,
mag auch was will darüber zu Grunde gehen.
In dieſe Umgebung, zu dieſem Fürſten kam
zu Anfang 1773 aus der ſtrengen Zucht eines
ihlihten Bürgerhauſes der dreizehnjährige
Friedrich Schiller. Ein großer Teil ſeiner
Jugendentwickelung verläuft unter dem Einfluß
dieſes gewaltigen Gegenſatzes; an dem Ber:
hältnis zu Herzog Karl iſt ſein inneres Weſen
erſtarkt und ſelbſtändig geworden.
56
440
Die jüngfte Schöpfung der fürjtlichen Herr:
ſcherlaune war eine Erziehungsanftalt. Kaum
zwei ‘jahre zuvor war fie aus befcheidenen An:
fängen erwachſen, zuerjt für arme Soldaten:
waifen bejtimmt, die für den Dienft der herzog:
lihen Gärten und Balaftbauten herangebildet
werden follten. Aber der Fürſt fand Vergnügen
an der neuen Beichäftigung: er hatte Rouffeaus
Emil gelejen und die ganze Zeit war ja voll von
Erziehungsverfuden. In raſch fich folgenden
Stadien wächſt die Anstalt im Sonnenschein der
fürftlichen Gnade, und plötzlich ergreift den geift:
reichen Monarchen der Gedanfe, feine Staats:
diener alle unter feinen Mugen und nad) feinen
Ideen felbft zu erziehen. Man begreift, welchen
Reiz diefer Gedanfe für ihn haben mußte; er
war fo ganz im Geiſt jenes „aufgeflärten De:
ſpotismus“, der alles von oben her reformieren
wollte und in einer „väterlichen“ Erziehung der
Unterthanen den höchſten Fürftenberuf zu finden
meinte, In der That gewann der jonjt fo
wechſelvolle Herzog in der Berührung mit der
ihn felbit erhebenden Aufgabe eine Ausdauer,
die man noch nie an ihm bemerkt hatte: bis zu
jeinem Lebensende, mehr denn zwanzig Jahre
lang, blieb jein Intereſſe ungeſchwächt, und es
mag billig bezweifelt werden, ob je ein Schul:
vorjtand mit ſolcher bis ins einzelnfte gehenden
Liebe über feiner Anftalt gemacht hat, wie Karl
Eugen über diefem teuerjten Herzensfinde. Sein
Ehrgeiz war, eine Anjtalt zu jchaffen, die weit
und breit nicht ihresgleichen haben jollte. Und
ein Unifum in der Gefchichte der Erziehungs:
funft ift die Akademie jedenfalls, ſchon nad) der
|
|
Univerjalität ihrer Anlage: Gymnafium und |
Hochſchule zugleih und alle Altersftufen vom |
achten bis zum zweiundzwanzigiten Yebensjahr
umfafjend, diente fie den manniafaltigiten Be:
dürfniffen des Hof: und Staatsdienftes, und
bereitete daneben für Malerei, Plaftit, Kupfer:
jtecherfunft, Mufif, Theater und Ballett vor.
Dabei find ihre Refultate wirklich ftaunenswert, |
‘ freien Blid des Fürften ein chrendes Zeugnis ift.
zumal bei der furzen Zeit ihres Beitandes, wo:
von im Grunde nur zwanzig Jahre in Betracht
kommen. Es find nicht bloß jene Sterne erjter
Größe, welche meist zu ihrem Ruhme hervor:
gehoben werden: neben Schiller Danneder,
neben Kielmeyer, dem genialen Begründer einer
neuen Naturbetradhtung, der große Cuvier, den
fein Zeitalter dem „Napoleon der Intelligenz“
nannte. Es iſt auch nicht bloß die große Zahl
der berühmten Künftler, die aus ihr hervor:
—
|
|
|
Julius Klaiber,
gegangen: merfwürdiger noch) ift Die Menge der
bedeutenden Perfönlichkeiten in Staat und Heer
und Wiffenfhaft, nicht blog in Württemberg,
fondern in vielen deutfchen und mehreren außer:
deutſchen Staaten, wie denn neben zahllojen
Univerfitätsprofefjoren nicht weniger als fieb-
zehn Minifter und dreiunddreißig Generale in
der Lifte der ehemaligen Karlsſchüler ericheinen,
und das Bezeichnendjte dabei ijt die Thatjache,
daß, wer einmal feine Bildung in der Akademie
erhalten hatte, fein lebenlang ein „Karlsſchüler“
blieb, ein Ehrenname, mit dem fich im Bewuft-
jein des nadhfolgenden Geſchlechts die Vorftel-
lung von einer vielfeitigeren Bildung, von einem
offenen Verſtändnis für geiftige Intereſſen aller
Art und nicht zum wenigjten von einer befondern
Brauchbarfeit im Leben und im geſellſchaftlichen
Verkehr zu verbinden pflegte.
Diefen Ruhm werdankte die Afademie in
eriter Linie ihrem Unterricht. Er war für jene
Zeit in der That vortrefflich, nicht von Anfang
an allerdings, aber feit dem Zeitpunfte, da die
eriten Experimente vorüber und der tüchtige
‚ Kern der meift jungen und mit Glüd gewählten
Lehrer zur vollen Geltung gelangt war. In
ſchroffem Gegenfaß zu der einfeitigen und aus-
ſchließlich grammatischen Betreibung der alten
Spraden in der Praxis der älteren Schule ging
der Unterricht in der Karlsſchule nicht ſowohl
auf Gründlichkeit, er that vielmehr in dieſer
Hinficht entfchieden zu wenig: aber er war viel-
feitig, anregend, Geift bildend, er nahm das
Denfen in Anſpruch und erzog zur Selbjtändig-
feit; Kraft weden! war der oberfte Grundjag
des Herzogs. Dabei folgt die Karlsſchule ftets
der fortichreitenden Wiſſenſchaft, fie ſoll von
Anfang an ein Gefäß für den neuen Geift fein
und fie nimmt in der That von den Anſchau—
ungen und geijtigen Errungenschaften jener Zeit,
in der das deutjche Geiftesleben mit ftaunens:
werter Rajchheit den gemwaltigften Umſchwung
erfährt, eine Fülle in fih auf, melde für den
Aber leider, wie ſich in feiner eigenen Natur
die wunderlichjten Widerfprühe beifammen
finden, fo fteht diefem freien und in einem
weiten und hohen Geiſte geübten Lehrſyſtem eine
bedenkliche Kehrfeite gegenüber. Schon die map:
lofe Steigerung des Chrtriebs war pädagogisch
verwerflich, viel verwerflicher aber noch die Dis:
eiplin, nicht wegen ihres militärifchen, fondern
wegen ihres polizeilichen Charakters, nicht um
Schiller auf der Solitüde.
ihrer Strenge, fondern um ihrer inneren Un-
wahrheit willen: kleinlich, pedantisch, mißtrauiſch,
beruhte fie auf den dürftigiten Anjchauungen
von der jugendlichen Natur: fie fannte für den
zweiundzwanzigjährigen Jüngling nur diefelben
Satzungen wie für den achtjährigen Knaben und
hatte von den großen und edlen Aufgaben der
Erziehung und Charakfterbildung nicht die ent:
ferntefte Ahnung Hier liegt der Grund jener
merfwürdigen Berfchiedenheit der Anfichten über
die Karlöfchule in alter und in neuer Zeit: von
den einen als Pflanzſchule der größten Talente
gepriefen, wurde und wird fie von anderen als
„Stlavenplantage*, wie fih Schubart aus:
drüdt, in den Staub gezogen; hier liegt aber
zugleich auch der Grund, warum tiefer angelegte
Naturen, je mehr fie durch den Unterricht ge-
fräftigt und im freiere Geiftesregionen erhoben
wurden, um jo entichiedener Gefahr liefen, mit
|
441
fein Verlangen in einer Weiſe, daß dem armen
Hauptmann in feiner Stellung nichts übrig
bleibt, als betrübt den Sohn dahinzugeben und
dem „großen Karl“ unterthänigft für feine
Gnade zu danken.
So legt jhon der Eintritt in die Akademie
bei Schiller den Keim zu der inneren Auflehnung.
Der Herzog meinte es ja gewiß qut in feiner
Art, jedenfalls hatte er feinen Begriff von der
Verwirrung, die er in einem braven Bürger:
haufe und in einem tiefempfindenden Knaben—
herzen angerichtet hatte. Aber was in diefem
Herzen fochte, war das Bewußtfein einer un-
würdigen Abhängigkeit, das unheimliche Gefühl
einer von feinem Geſetze wirkſam befchränften
und oft genug nicht von den Forderungen des
Nehts und der Billigleit geleiteten Gewalt.
Denn, fo verlegen der Dreizehnjährige vor den
prüfenden Bliden der Aufſeher daſtehen mochte
dem fittlichen Geift der Anftalt in Widerſpruch und fo fanft der Aufichlag feiner guten Augen
zu geraten.
Wir haben es jet zunächſt mit den älteren
Zuftänden der Anjtalt zu thun. Sie war nod)
ziemlich unfertig, ala am 17. Yanuar 1773 ein
neuer Eleve eintrat, über welchen wir in dem
von dem befannten Nies geführten Tagesrap—
port wörtlich folgenden Eintrag finden: „Zu:
wach bey der 1jten Glaffe: Johann Chriftoph
Friedrich Schiller von Marppah, à 5 Fuß,
13 Jahr alt, ev., confirm., deſſen Batter Haupt:
mann beim General v. Stein’fchen InfRgmt.“
Der die Nies fonnte natürlich nicht ahnen,
mit welcher Teilnahme wir heute diejen feinen
Eintrag lefen. Iſt uns doch, als jehen wir ihn
in feiner beleibten Lieutenantöwürde — er war
eigentlih Schneider, wurde aber wegen feiner
Polizeitalente zum DOberaufjeher erhoben —,
wie er den ſchüchtern vor ihm ftehenden Neuling
mit den rötlihen Haaren und den entzündeten
Augenlidern muftert und über feine Perfonalien
und fein Vorleben verhört.
Der Knabe war freilich nicht gerne ge:
fommen und mit ſchwerem Herzen mochte er jet
dem Geftrengen in den ungeheuren Schlaffaal
folgen, in dem er mit neunundvierzig Genofien
nun wohnen follte. Er hatte im Einverftändnis
mit Vater und Mutter Theologe werden wollen,
aber der Wille des Herzogs, dem es um tüchtige
Böglinge für feine Lieblingsfhöpfung zu thun
war, hatte ihn für die Anftalt gefordert. Wohl
hatte der wadere Vater eine freimütige Vor:
jtellung gewagt, allein der Herzog wiederholt
war, in feiner Bruft lag jchon damals etwas,
was ſich troßig aufbäumte gegen widerrechtlichen
Zwang. Und er felbit machte fich darüber ge:
wiß feine Vorwürfe: war dod) dieſes unbezwing-
liche Freiheitsgefühl das edelfte Stüd der Aus-
ftattung, die er von der Natur empfangen, der
Duellpunft feiner einftigen Größe, und für jett
die einzige Waffe des Armen und Schwachen im
Kampf mit der harten Wirklichkeit.
Wie ihm wohl zu Mute gewejen jein mag,
als ihm beim Abſchied, wie er felbft berichtet,
der Vater zu Gemüt führte, daß er alles thun
müſſe, um durch unbedingten Gehorfam diejem
Herzog zu gefallen, weil von ihm nicht bloß die
eigene Zukunft, fondern auch — die Exiſtenz
jeiner Eltern und Geſchwiſter abhänge. Kein
Zweifel, daß den Knaben ſchon damals etwas
von dem Gefühl ftreifte, das hernad) der Nerv
feiner gewaltigften Dichtungen werden follte.
Aber der Herzog jelbjt verlangte noch viel mehr
als bloßen Gehorſam, er verlangte Xiebe, frei:
gewährte Liebe: er wollte ja der Water „feiner
teuren Söhne“ fein, wie er fie täglich und ge-
wiß in vollem Ernfte nannte, und feine Pflicht
wurde in der Nfademie jo ftreng und unabläſſig
eingeichärft, wie die eine, dem Herzog, dem er:
habenen Wohlthäter, die jchranfenlofeite Dan:
barkeit zu beweifen und ihn weit höher als Vater
und Mutter zu fchägen.
Bliden wir hier ſchon in einen Zwiejpalt
hinein, der jich dem armen Jungen zwiſchen dem
natürlihen Gefühl und den Forderungen der
Zu —“
442
Anftalt ergeben mußte, jo war auch fonft fo
manches da, was dem jo überaus zartfühlenden
Knaben in der Seele weh thun mußte. Jener
Schmerz zunächſt, der jo manchem feines Alters
das Herz ſchwer gemacht hat, wenn er fi vom
Elternhaufe, von der Mutterforge weg in eine
fremde Umgebung verjett jah, das herbe Leid
des Heimwehs; es blieb natürlich auch ihm nicht
erjpart, und er jpricht aus eigener Erfahrung,
wenn er feinen Karl Moor in glühenden Worten
feine Sehnſucht nad den Elyfiumsfcenen ber
Kindheit äußern läßt. Hier lag nun überdies
ein bedenklicher Mangel der Anjtalt: für alle die
Heinen Anliegen und Bedürfniſſe, die ein junges
Herz hat, waren die Zöglinge wenigftens in
jenen ersten, noch unvollfommenen Jahren einzig
an die Auffeher gewieſen, Unteroffiziere, ohne
Bildung, zum Teil von roher Gefinnung, die
[eider am wenigiten unter dem Gefichtöpunft
ausgewählt waren, den Knaben forgend an die
Hand zu gehen, jondern ihre Aufgabe, wenn es
aut ging, in ftrengfter Ueberwachung fanden,
oft genug aber auch durch Hinterlift und fpio:
nierende Schleichwege ſich die Gunft ihrer Vor:
aefegten zu gewinnen meinten,
Und welche Fülle von Anläffen bot einer
folhen Gefinnung die ftreng militärische Dis:
ciplin und Hausordnung, deren wachſame Hüter
eben jene Unteroffiziere waren! Es ijt zwar
durchaus unrichtig, wenn man fi Schiller faft
in täglihem offenem Konflikt mit der Hausord-
nung vorftellt: aus den Akten ergibt ſich, daß
er in den acht Jahren feines Afademielebens
nur ſechs jener „Billets“ befommen hat, denen
eine Beitrafung von feiten des Herzogs zu
folgen pflegte, und ftrafen durfte niemand als
der Herzog. Aber eben der Umstand, daß diefe
Billets alle fih auf die kurze Zeit von Dftober
1773 bis Februar des folgenden Jahrs zufam:
menbrängen, zeigt, wie jchwer es ihm wurbe,
fich in die Disciplin zu finden. In jener erjten
Zeit iſt es befonders das Schredensmwort Pro:
prete! das der Intendant, Oberſt v. Seeger,
bejtändig im Munde führte, was nad) Ausweis
der Tagesrapporte ihm am meijten zu fchaffen
madte: die Hälfte jener Billets bezieht ſich auf
die Proprete, Betrachten wir uns die verjchie:
denen Anläfle.
Da ift zunächſt der Schlafjaal mit feinen
jtrengen Satungen, ein riefiger Naum mit den
fünfzig Betten der erjten Abteilung. In der
Mitte läuft ein breiter freier Gang zwiſchen
— — — — — — — — —
en —
Julius Klaiber.
zwei Säulenreihen durch; rechts und links von
den Säulen zur Wand hinüber ſtehen die Bet—
ten in regelmäßigen Abſtänden. Da hat nun
jeder Eleve eine Art von Stübchen für ſich, für
deſſen Sauberkeit er verantwortlich iſt, nach
links durch das eigene, nach rechts durch des
Nachbars Bett begrenzt und von dem gemein—
ſamen Mittelgang durch ein niederes ſchwarzes
Gitter getrennt, zu dem er den Schlüſſel in der
Taſche trägt. Ein Bücherbrett über der perl—
grauen Bettlade, eine blau angeſtrichene Kom—
mode, zugleich als Arbeitstiſch dienend, am
Feuſter ein hölzerner Stuhl bilden die ganze
Einrihtung. Hier ift alles Negel, Ordnung,
peinlichfte Pünktlichkeit. Wie bei Naht an
jedem der fünfzig Betten die langen Strümpfe
vorſchriftsmäßig rechts und links über die Bett:
enden herabhängen müfjen, fo hat jeder am
Morgen vorfchriftsmäßig fein Bett fo zu machen,
daß alle die blauen, votgeblümten Bettdeden
genau zu berfelben Höhe emporfteigen, und
ebenfo muß fich genau in derfelben Linie der
Rüden des Stuhls über ihnen erheben; denn
jeder hat ihn, wenn das Kommando aus dem
Saal abruft, pünktlich in die Mitte des Betts
zu ftellen und mwehe ihm, wenn das fpähende
Auge des Aufjehers noch ein Buch entdedt, das
er in der Eile auf das Bücherbrett zu ftellen
vergeflen, oder gar einen Strumpf, einen Pan—
toffel! Und da denke man ſich nun den glühen—
den Schiller: wenn ihn eben „bis an des
Aethers bleichjte Sterne erhoben der Entwürfe
Flug“, foll er nod an Strumpf und Pantoffel
denfen! Aber auch die Bücher ſelbſt werden zu—
zeiten Gegenftand einer plößlihen Razzia,
welde fich auf verbotene Litteraturprodufte be=
zieht, und verboten ift ja, wenigitens in den
eriten Jahren, alles, was zur deutichen Poefie
gehört. Da muß denn wohl der Strohfad die
teuren und unendlich verehrten Männer bergen,
den edlen Haller, den gefühlvollen Kleift, den
herrlichen Klopftod. Und auch der Strohfad ift
nicht immer vor den gewandten Griffen ber
Aufſeher ficher.
Eine zweite Quelle des unglüdlichen Billets
bildet die Uniform mit den verzweiflungsvoll
hellen Beinkleidern, den vielen Anöpfen und
Schnallen, die ſtets im hellften Glanz er:
ftrahlen müfjen, und die Friſur! Jeder Eleve
hat eine Stunde im Tage, um die Schuhe zu
putzen, bie Kleider zu reinigen, die Knöpfe blank
zu machen und die ſchwere Arbeit der Frijur zu
Schiller auf ber Solitüde.
vollenden. Denn wir find noch in der Zeit des
Puders — im Finanzetat der Anftalt finden
wir ald Yahreserigenz 461 fl. 36 fr. für vierzig
Gentner Puder —, und auch der Karlsſchüler
hat feinen Zopf zu tragen und zwar von fo
genau gegebener Länge, je nad) dem „Monats:
maß” feines Trägers, daß, wenn der Herzog
im Rangierſaal an der aufgejtellten Linie hinten
vorübergeht, die Zopfenden eine fchnurgerade
Linie bilden. Daher eben der Name „Zopfzeit” !
In diefem Bunfte hat fid) nun offenbar die
eigenartige Natur Schillers am hartnädigiten
und widermwilligiten bewiefen, denn ihm mochte
jene Stunde zu edleren Zweden dienlich ſchei—
nen. Die Hälfte der Billet3 bezieht ſich auf die
Propretd und es iſt ja befannt, daß der Lieu:
tenant Nies mit feiner Stentorftimme ihn mehr:
mals einen „Schweinpelz” gefcholten hat. Auch
des geiftvollen Urteil jenes Zöglings wird
man fid immer wieder mit Vergnügen erinnern,
der in einem Aufſatz für den Herzog Schiller
mit den Worten fchildert: „Scheint ein guter
Chrift, ift aber nicht jehr reinlich.“
Menn man fi) die Mühe nicht verbrießen
läßt, die unendliche Reihe der Niesſchen Tages:
rapporte zu durchlaufen, jo ſtößt man denn
doc) auf mandjes, was auf dieſe frühjte Zeit
von Schillers Nfademieleben ein Licht wirft.
Schon im eriten Jahr erjcheint er fiebenmal als
„marode”, und im nächiten Jahr finden wir ihn
einmal fünf Wochen lang auf der Kranfenlifte.
Und dabei ift noch etwas, was unſer Gefühl in
Anſpruch nimmt. Es mag klein erfcheinen, aber
ach! für ein Knabengemüt ift es nicht flein: die
Koft, die Nahrung.
Während in Stuttgart fpäter die Speifung
von der eigens gebauten Anjtaltsfüche beforgt
wurde, war fie auf der Solitüde nod) ver:
pachtet. Der Koftreicher hatte nach feinem Ver:
trag die „orbinäre Koſt“, Frühſtück, Mittagefien
und Abendbrot „bei einem Kavaliersjohn, Ele:
ven und Famulo je einer in den anderen ge:
rechnet um täglid 5 fr. 3 Heller und jährlich
33 fl. 27 fx. 3 Heller” zu liefern, gewiß ein
beſcheidener Betrag ſelbſt für den Geldwert von
damals! Wir wiſſen auch durch übereinjtim-
mende Berichte, daß das Eſſen, das in Stutt
gart ſpäter als reichlich und meiſt gut gerühmt
wird, auf der Solitüde zu vielen Beſchwerden
Anlaß gab, und der Herzog ſelbſt macht unter
den Gründen der Verlegung nach Stuttgart be—
ſonders die Rückſicht auf leichtere Verköſtigung
443
geltend. Ein Herr v. Scheeler, der mit Schiller
auf der Solitüde war, erzählt: „Das Frühſtück
war höchſt frugal, es beſtand bloß aus einer
geſchmälzten Waſſerſuppe, wozu das Brot von
den Weibern im Spital in Stuttgart geſchnitten
und dann in Haberſäcken nad) der Solitüde ge:
führt wurde; es ging dabei nicht am reinlichiten
zu, denn die Brotjchnitten hatten nicht jelten
reihliche Zugaben von Staub, Mäufefot und
wohl aud Mäuſen.“ Und aud) das Mittageifen
fonnte nad) demfelben Zeugen jchon deshalb
nicht gut und reinlich gekocht fein, weil es in
großen Wafchkefjeln bereitet wurde, wozu auf
der freien Erde Löcher zum Feuer gegraben
waren.
Unter ſolchen Umjtänden war natürlich die
Verjuhung für die Knaben groß, fi) ander:
wärts Erfa zu verfhaffen. Ob die Zöglinge
damals jhon das Recht hatten, ſich für ihr Geld
fleinere Bedürfnifje dur die Bedienten tom:
men zu lafien, ift zweifelhaft. Jedenfalls mochte
der gute Schiller auch in diefer Hinficht übel
daran fein. Es wird uns immer rührend fein,
wenn wir von der Ausjtattung lejen, die er in
die Afademie mitgebradt hat: „ein blaues Nöd:
lein, ein Ramifol ohne Aermel, fünfzehn Stüd
unterfchieblihe lateinische Bücher und 43 fr.
Geld,“ — fo trat er in die Afademie ein. Wie
bald mochte die Heine Barfchaft verbraucht fein,
und wie ungenügend mußte die Anftaltsfoft für
den raſch aufgefchofienen Knaben fein, der, wie
noch aus den Protofollen über die meiſt von
dem Herzog jelbjt vorgenommenen Mefjungen
zu erfehen ift, gerade Damals im vollen Wachſen
begriffen war!
Mir wenigſtens ift e8 ergreifend gemwefen,
in den Tagesrapporten auf zwei Notizen zu
ſtoßen, die bisher nicht befannt waren. Am
21. November 1773 fteht mit entfeglicher Kürze
verzeichnet: „Eleve Schiller mit 12 Meyden:
ftodjtreichen, weil er vor 6 fr. Weden auf Borg
genommen.” Noch heute bebt uns das Herz über
eine fo empörende Strafe; wie muß die Bruft
des Vierzehnjährigen gepocht haben vor Grimm
über die unwürdige Erefution, welche nad) dem
ftändigen Gebraud; ohne Zweifel bei Tiſch vor
den Augen der ganzen Anftalt und feiner drei:
hundertundfünfztg Genoſſen vollzogen wurde!
Erareifend in ihrer Art iſt auch die andere
Notiz. Am 24. Dezember 1773 lautet der Ein
trag: „Eleve Groß jun. (ein Billet), weil er
ſich dur die Neinigungsmagd Coffe machen
_ A
Be
444
laſſen, und der ein Hemd davor gegeben; Eleve |
Schiller und Baz, weil fie in der Gefellichaft |
des Eleven Groß jun. Coffe bey bejagter Cam:
mermagd getrunken.“ Die Strafe ift hier nicht
angegeben. Es ijt der 24. Dezember, der erſte
heilige Abend, den Schiller fern vom Eltern:
haus verlebt — Ferien gab es in der Afabemie
überhaupt nit —; da hat er fich eine wahr:
haft bejcheidene Freude gönnen wollen, und
indes er mit jener wollüftigen Furcht, die dem
Knaben verbotene Genüfje würzt, feinen Kaffee
trinkt, muß er von einem fpähenden Auffeher
entdedt werden, um nun vermutlich einer bit:
teren Chriftbeicherung entgegenzugehen.
Diefe Züge verdienen nicht bloß deshalb
aufgeführt zu werden, weil uns aus dem Leben
des teuren Mannes jede Eleinfte Bereicherung
unferer Kenntnis wichtig ift; fie find in Wahr:
heit wichtig: fie lafjen uns ahnen, wie es ge:
fommen ift, daß der Knabe, der im Baterhaufe
jih fo weich und fanft von Gemüt gezeigt hat,
an dem feine Schweiter Chriftophine das zarte
Gefühl für alles Edle und Schöne ald Grund:
zug hervorhebt, daß diefer herzensgute Knabe
nad wenigen Jahren in einer Entfchloffenheit, |
einer Willenäfraft, einem Selbitgefühl vor uns
dafteht, für die wir notwendig den Grund in
tieforingenden Erfahrungen fuchen müſſen. Diefe
Erfahrungen find die Konflifte mit der Dis-
ciplin, wovon wir in jenen Beifpielen fo be:
zeichnende Fälle haben. Schiller hat im Eltern:
haus eine harte und ftrenge Zucht gehabt und
den Stod feines Waters mohl mehr ala das
eine Mal, von dem die Schmweiter erzählt, auf
dem Nüden gefühlt. Aber diefe Zucht ging auf
Mahrheit, auf Redtichaffenheit, auf fittlichen
Gehorfam. Hier aber fand er eine Disciplin,
die faft nur das äuferliche Verhalten zum Map:
ſtabe machte und nach der innern Befchaffenheit
der Handlung nicht fragte, die ganz nur von
dem Mißtrauen diftiert war und eine leichte
Verfehlung wie ein moralifches Verbrechen be:
handelte. Da regt fich fein fittliches Gefühl, fein
Urteil erjtarkt, und indem er feinen Schuß gegen
ungerechte Behandlung in der Selbſtachtung, in
dem Zeugnis eines ehrlichen Knabenherzens
findet, emancipiert er fich innerlich von dem
Geiſte der Anftalt, um fortan mit fteigender
Kraft und Selbftändigfeit feinen eigenen Weg
zu gehen. Mit der Disciplin felbft findet er fi)
fernerhin in feiner Weife ab, vielleicht daß er,
durd Schaden gewitzigt, fich nur beſſer vor Ent:
Julius Klaiber,
dedung zu hüten weiß. Bon Mitte 1774 an
lautet fein Zeugnis in der Konduite durchaus
und immer auf „recht gut“, während es zuvor
„mittelmäßig“ und „jehr mittelmäßig“ gelautet
hat. Es wäre ein fchwerer Irrtum, dieſe merf:
würdige Veränderung der Zeugnifje auf einen
gewaltigen Umfchlag feines innern Menfchen zu
beziehen: dafür hatte die Akademie fein Auge
und fein Verjtändnis; fie wollte nur Gehorfam
und äußerliche Ordnung. Denn hier lag ja, wie
nunmehr klar fein wird, der jhlimmfte Schaden
der in anderer Hinficht jo vortrefflichen Anftalt ;
hier lag aber auch die Schule, in der ſich bei
unjerem Schiller im bewußten Gegenfaß zu ber
Anftalt durch mannigfahe Irrungen hindurch
die großartige Selbftändigfeit, die herrliche
Wahrheit des Charakters entfaltet hat. Der
Ihönfte Reiz feines Lebens, das wohl noch
ſchöner ift als feine herrliditen Werke, beruht
auf jener wunderbaren Läuterung und Klärung
des Willens aus trüber Jugendgärung; aber
die erjten Schritte auf diefer Bahn hat er ſchon
in jener Zeit gemacht, da er ſchnöde gezüchtigt
ward, weil er für ein paar Kreuzer Weden auf
Borg genommen,
Mar der Geift ihrer Disciplin die bevenf-
lichſte Schwäche der Akademie, fo war dafür
der Geift ihres Unterrichts ihr höchfter und un:
beftrittener Ruhm. Hier find nun für Schiller
die Zeiten ftreng zu unterfcheiden: fo voll und
glänzend in den fpäteren Jahren die Wirkungen
des Unterrichts ihm zu gute famen, jo mangel:
haft waren fie im allgemeinen in der Zeit, welche
uns hier befchäftigt, auf der Solitüde. Eine
unglüdliche Verfettung der Umftände madte,
daß der Knabe von dem, was den bejonderen
Vorzug der Afademie ausmadte, jo wenig als
möglich zu genieen befam. Die Vortrefflichfeit
des Unterrichts beruhte wejentlicd auf den jun-
gen Lehrern, die der Herzog mit genialem Blick
aus den Stipendiaten des Tübinger Stifts zu
wählen wußte und die, von Herderſchen Ideen
ergriffen, die neue Gedanfenwelt in die junge
Anstalt mitbradten. Aber die jungen Lehrer
famen zunähft an die jungen Klaſſen, und
Schiller, der älteften angehörig, behielt zwei
Jahre lang feinen alten Jahn, den er ſchon in
Ludwigsburg gehabt, als Hauptlehrer, einen
braven Mann, aber ganz vom alten Schlag,
\ der ein guter Präceptor aber ein ſchlechter Pro:
fejlor war, und fich ſelbſt am wohlſten fühlte,
als ihn der Herzog zu Ende 1774 wieder
Schiller auf der Solitüde,
nach Ludwigsburg an feine lateinische Schule
entließ.
Auch mi’ den Fächern traf es Schiller wenig
günftig. Es war die erjte Zeit der erweiterten
Anftalt, die Zeit der Erperimente. Der unge:
duldige Fürft, der immer gleich Früchte fehen
wollte, meinte anfangs, nicht früh genug mit
der Vorbereitung für die befondern Berufs:
wiſſenſchaften beginnen zu fönnen. Co fommt
e3, daß Schiller, der damals unter den Juriſten
figurierte, fhon von Beginn des Jahres 1774
an die Elemente der Jurisprudenz befam, eine
Einrihtung, welche jchon bei den folgenden
Jahrgängen als Mifgriff erfannt wurde. Und
wenn auch die juriftifchen Fächer fich auf drei
Stunden Naturreht, drei Stunden Reichs:
hiftorie und zwei Stunden römiſche Altertümer
befchränften, wozu im Jahr 1775 noch Ge:
{dichte des Rechis fam, fo wurde damit doch
für geeignetere Fächer die Zeit mweggenommen ;
es wurde Schiller insbefondere um die höheren
Klaſſiker verkürzt, ein Mangel, den er fpäter mit
jo ſchwerem Vorwurf gegen die Akademie em:
pfand und ber ihm erfpart geblieben wäre, wenn
er einem ber fpäter folgenden Jahrgänge an:
gehört hätte: Das Fach der Philofophie d. h.
deſſen, was jene Zeit unter Philofophie ver:
itand, das in ber Folge nad) einer höchſt be:
adhtenswerten und für die großen Erfolge der
Akademie vielleicht entſcheidenden Methode den
Mittelpunkt des Unterrichts auf der Stufe
des Obergymnafiums bildete, war im Jahr
1774 für Schiller in Jahns Hand gegeben, dem
hierfür offenbar alle Begabung abging, und aud)
der Tübinger Profejlor Bök, der eigens hierfür
im Jahr 1775 an die Afademie berufen wurde,
erſchien dem Herzog felbft jo troden und un-
lebendig, daß er Schiller nicht bieten fonnte,
was er braudte. Da nun überdies die beiden
juriſtiſchen Profefforen von damals ihre Wiffen-
ichaft in dem herfümmlichen formaliftifchen Ge:
leife hielten und nad) des Herzogs Zeugnis „zu
wenig euer zeigten“, fo entbehrte Schiller in
jenen jahren ganz jenes Element des geiftvoll
belebten, das eigene Denken und Intereſſe
des Schülers anregenden Unterrichts, welches
jpäter unter der fortgefegten Einwirkung des
merhvürdigen Fürften das charafteriftiiche Merk:
mal des Unterrichts in der Karläfchule ge:
worden ift.
Es ift im allgemeinen befannt, daß Schiller
in den drei Jahren 1773— 75 wenig Fleiß und
445
Cifer gezeigt hat. Aber man wird troßdem
überrafcht fein, wenn id) in der Lage bin, das
Genauere aus feinen Monatszeugnijjen beizu:
bringen, welche wenigjtens für die Jahre 1774
und 1775 einen ſichern Einblid gejtatten. Seine
ftarfen Fächer find die alten Sprachen, die aber
leider damals, von der vorzeitigen Jurisprudenz
beeinträchtigt, eine magere Rolle im Lehrplan
ipielen. Im Griechiſchen hat er, wie man weiß,
im Jahr 1773 fogar einen Preis davongetragen,
und nod) durch das ganze Jahr 1774 prangt es
mit feinem „recht gut“ in einfamer Olorie.
Denn fonft ift in dieſen Beugniffen durchgängig
eine traurige Dede: nicht nur, daß er in den
juriftifchen Fächern mit überrafchender Konſe—
quenz von einem Monat zum anderen an „mittel:
mäßig“ feithält, das nur dann und wann ſich
zu einem direkten „ſchlecht“ verdichtet, felbit
jene Disciplinen, in denen er bereinft feine
Lorbeeren ernten follte, Geſchichte und Philo—
fophie, weiſen basfelbe einförmige „mittel:
mäßig“ auf, das aud Geographie, Statiftif,
Franzöſiſch faft durchaus beherricht und nur in
der Mathematik fich zeitweife zu „ziemlich gut“
oder „gut” erhebt. Wöllig Fonfequent aber
bleibt fih ein Zeugnis, das Tanzen: auch ſpä—
ter, wenn die anderen Rubriken fich mehr und
mehr mit vorzüglihen und zum Teil geradezu
glänzenden Prädifaten füllen, noch bei dem
Zwanzigjährigen fteht unter „Menuett“ noch
immer „jehr mittelmäßig“ oder „Schlecht“, und
man meint noch heute aus diefer Rubrik die
verzweiflungsvolle Miene des eleganten Ballett:
meiſters über einen fo troftlofen Eleven heraus:
bliden zu ſehen.
Sollte man aber denken, daß jene böſen Num:
mern in den Hauptfähern vielleicht die Folge
eines beſonders ftrengen Maßſtabs jeien, fo find
die Ergebniffe der Lofation geeignet, jeden
Zweifel zu benehmen, wenn fie auch für jene
Jahre nur lüdenhaft erhalten find. Dabei muß
man willen, welcher Wert in der Akademie auf
die Lokation gelegt ward: je am 12. eines Mo:
nats hat jeder Lehrer in jedem Fach nad) vor-
angegangener Prüfung feine Abteilung zu locie—
ren und die betreffende Lifte an die Kanzlei des
Intendanten zu übergeben; hier wird aus diefen
Einzelliften nach dem normierten Wert der ver:
ſchiedenen Fächer die Hauptlofation fämtlicher
Abteilungen angefertigt und zu der General:
lite zufammengeftellt, welche nun in die Drude:
rei der Anftalt wandert. So fommt der’ 15.
446
heran, der Tag der allgemeinen Spannung : im
Speifejaale beim Mittagefjen nimmt der Herzog
das erſte gedruckte Exemplar entgegen und läßt
feinen Inhalt durch einen Offizier den lautlos
Harrenden verkünden, wofern er ihn nicht ſelbſt
verliejt und alsbald fein Zob und feinen Tadel
daran fnüpft. Nach Tifch befommt dann einer
um den anderen fein Eremplar, um ſich von
jedem einzelnen überzeugen zu fünnen, welchen
Platz er in feiner Klaſſe einnimmt, wie er felbit
es weiß, daß alle die 3—400 neben ihm von
Monat zu Monat erfahren, ob er inzwiſchen
fortgefchritten oder zurüdgefommen ift. Nun
höre man, was damals über unfern Schiller
verlefen ward: anfangs 1774 iſt er noch der
7. unter 11, fpäter jchon der 16. unter 18, und
durch das ganze Jahr 1775 hindurch bezeichnet
die Nummer feiner Zofation ſtets zugleich die
Gefamtzahl der Schüler feiner Klaſſe.
Schiller — der Letzte! — vielleicht ein Troft
für manches gebeugte Mutterherz. Aber nicht
jeder Letzte ijt ein künftiger Schiller. Denn für
den Tieferblidenden liegt in diefer merfiwürdigen
Thatjache der Beweis, daf er auch in geiftiger
|
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I
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Beziehung bereits die Bahn der Selbitändigfeit |
betreten hat, die ihn allein zu feinen Triumphen
führen konnte. Abgeſtoßen von der geijtlojen
Manier, unter der gerade er zu leiden hatte,
während ſchon für feine nächitjüngern Genofien
hat es mit Necht bedeutfam gefunden, daß er
' zum Gegenjtand feines jugendlichen Epos ſich
ı Mofes erforen hat, den Mann der That, des
die Verhältnifje jo viel günftiger lagen, ange:
widert von den ungeitigen Unterrichtäerperimen-
ten, deren Gegenftand gerade feine Abteilung
I
war, zieht er fich auf jich ſelbſt zurüd und faſt
möchte man benfen, daß es feinem ftolzen Her:
zen eine Befriedigung tft, jo dazuftehen: aut
Jullus Xlaiber.
dazu bereitet fchien, jenen Hohen in ſich aufzu-
nehmen: er entjprach dem heroifchen wie dem
zarten Element feines Mejens, er hob ihn em-
por zu flammender Begeifterung für Religion,
Vaterland, Menſchenwürde und er lodte ihm
zugleich die feligen Thränen ber ebelften Em:
pfindung ins Auge. Ya, wer hineinbliden könnte
in die Stunden, da vor dem trunfenen Auge des
zum Jüngling reifenden Sinaben die Welt der
Ideale emporftieg, vom Zauberſchimmer über-
finnliher Schönheit umfloffen und von einem
Wonnebeben begleitet, dejjen unnennbare Selig-
feit ihn alle Not des Dafeins, alle Bein der
Knechtſchaft vergeſſen lie! Hier war fein Para—
dies, hier war die Heimat feines Geiftes, hier
war das Heiligtum feiner innerften Natur, das
zu hegen und unentweiht zu bewahren alle
Kräfte feines Geiftes, alle Nerven und Sehnen
feines Weſens fich fpannten.
Denn für Schiller gab es fein thatlofes Ge—
nießen, und Glüd empfand er nur im Streben
und Ringen. So jtrebt und ringt er denn ſo—
fort dem Hohen nad), der feine Seele erfüllte;
mit ungenügender Kraft zunächſt. Denn aud)
die Dichtung hatte ihm die Natur nicht als reife
goldene Frucht verliehen, die leife berührt dem
Beglüdten in die Hände finkt, fondern nur wie
ein fernes und erſt durch rajtlofes Streben zu
erreichendes Ziel vor das Auge geſtellt. Man
handelnden Lebens, den Helden und Gejeßgeber
feines Volkes. Und nicht minder bezeichnend
für die Richtung feines Geiftes ift, daß neben
Caesar aut nihil! Er jelbit hat längft für |
ſich eine andere Quelle gefunden, um den Durft
feiner Seele zu ftillen, die Dichter und Meiſter
der eben erblühenden vaterländifchen Litteratur.
Wieder genießt er mit verftohlener Freude, was
fein Auffeher wiſſen darf: neben Kirſchs latei-
niſchem Lexikon, jeden Augenblid bereit, von
ihm fchüßend überdedt zu werden, liegt einer
feiner Lieblinge aufgejchlagen. Und der zumeift |
auf ihm wirkt, ift jener Hohe und Gemwaltige,
jener ſchmelzend Zarte und Thränenfelige, jener
majeftätifh Erhabene und hinreifend Innige,
der Dichter des Meſſias, der Sänger der Oden,
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Klopftod damals fein Lieblingsbuh Luthers
Bibel war: hier hat er neben der Kräftigung
jeines natürlich frommen Gefühls gleihjam in-
ftinktiv die Seele feines Volkes geſucht und ge-
funden; aus der Kraft und Fülle diefer herr:
lihen Sprade lang ihm der deutfche Geijt in
feiner Urfprünglichfeit , in feiner Idealität und
Gefühlsinnigfeit vertraut entgegen.
Jenes Epos ift verloren gegangen und auch
von einigen Verfuchen in der Tragödie, die er
gewagt, nahdem durch Gerſtenbergs Ugolino
‚ der dramatiiche Nerv feines Geiſtes geweckt
‚ worden, find ihm jelbjt fpäter nur dunfle Er:
Klopitod. Wer will e3 ermefjen, welche Schauer
des Entzüdens, welche Stürme von erhabener
Empfindung durch dieſes herrlich geartete Jüng—
lingsherz gezogen find, das fo ganz wie eigens
innerungen geblieben. Erhalten aber ift aus
jener erſten Periode feiner Karlsſchulzeit noch
ein Aufſatz in Brofa, der uns den interejjan-
‚ teten Einbli in fein damaliges Können und
Schiller auf der Solitüde,
Wollen, fein Denken und Fühlen gewährt. —
Belanntlih hat der Herzog den Böglingen
der eriten Echlafabteilung — wohl zu untere.
ſcheiden von Unterrichtäabteilung — 47 an ber
Zahl, im Jahr 1774 die Aufgabe geftellt, von
ſich felbft und von jedem der 46 Schlafſaal—
genoſſen eine Charakterfchilderung zu geben,
welche fih auf zehn Punkte zu erftreden hatte:
Verhalten gegen Gott, gegen den Herzog, gegen
“ die Vorgejegten, gegen die Kameraden, Zufrie—
denheit mit fich felbft und feinem Schidfal d. h.
mit der Harläfchule, Naturanlagen, Anwendung
derfelben und Fleiß, Reinlichfeit, Haupteigen:
Ichaften und Hauptneigung. Die Aufgabe ift
fo unpäbagogiih als möglich, ja fie kann vom
Standpunft des Erziehers faum zu jtarf ver:
urteilt werden. Sie mußte auf eine minder
befeftigte Natur wie eine direfte Einladung zu
Schmeidelei, zu Heuchelei und Angeberei wir:
fen, und ber einzige Gefichtöpunft, unter dem
fich die Wahl des Themas allenfalls erklären
läßt, ift eben der, daß der Herzog in der That
einmal die Geifter nad) diefer Richtung prüfen
wollte. Aber auch abaejehen von diefen Be:
denken war die Ausführung ftiliftifch im höchſten
Grade ſchwierig: man denke nur, daf 47 mal
diefelben zehn Kategorien durchzunehmen waren;
wie follte dabei ein „Aufſatz“ möglich fein?
Man wird die Echilleriche Arbeit nur dann
nah ihrem wahren Gehalte würdigen, wenn
man andere erhaltene Löſungen mit ihr ver:
gleicht: wie fteif, wie hölzern bewegen fich felbft
die Erjten ihrer Klaſſen in dem Gitterwerf jener
Kategorien! Hier hat der Letzte unzweifelhaft
die Palme davon getragen. Es ift wohl wahr,
der Ausdrud ijt da und dort noch ungelent,
aber er läßt in jeder Zeile den fünftigen Meifter
der Nede erraten. Und nun, welde Herrfchaft
über den Stoff, welche jpielende Grazie in der
wechjelreihen Berwendung jener Gefichtspunfte!
wie fein und glüdlich ordnet er die vielen Ge:
ftalten in Gruppen nad) Aehnlichkeit und Gegen:
fat, wie überraſchend weiß er meiſt das Charaf:
teriftifche, den Quellpunft der Andividualität
herauszufinden und in ben Mittelpunkt zu
jtellen! Es find geihaute Bilder, es find zum
Teil Porträts von Künſtlerhand. Ex ungue
leonem: in diefer fühnen Freiheit, welche ord—
nend und geitaltend über dem Gegenjtand
schwebt und wie in lichter Höhe fich wiegend auf
ihn niederichaut, erfennen wir bereits das Ge:
präge des fünftigen Schillergeiſtes und aud) das
447
ift Schon echt Schilleriſch, wie er, ein Kind des
Kampfes, gerade der Schwierigkeit der Aufgabe
fich freut, weil fie feiner überlegenen Kraft der
Anftoß zu höherem Triumphe wird. Fürmwahr,
ein Fünfzehnjähriger, der eine ſolche Aufgabe
jo zu löfen vermochte, war fein „mittelmäßiges
Talent“, wie um diefelbe Zeit der alte Jahn
von ihm ausfagt, und wir begreifen es wohl,
wie der Herzog den juriftifchen Lehrern, welche
ſchwere Klage über feinen Unfleiß führen, nad
Hovend Zeugnis zur Antwort gab: „Laßt mir
diefen nur gewähren, aus dem wird nod
etwas. *
Aber fat noch intereffanter ift die Arbeit
in fittliher Beziehung. Der jugendliche Ver:
faſſer empfindet deutlih das Bedenkliche und
Fragmwürdige der geftellten Aufgabe. Wenn es
nicht der ausdrüdliche Befehl feines Fürften
wäre, fönnte er fich nicht entichliegen, etwas zu
thun, wovon Glück und Unglüd feiner Genofjen
abhängen fann. Aber auch jo muß er einige
Punkte des Befehls verwerfen, indem er zu:
gleih über feine Schwachheit feufzt: über das
Verhalten feiner Genofien zu Gott zu urteilen,
vermag er nicht, das fteht nur dem Allwifjen:
den zu. Und indem er num ausführt, wie mit
dem Verhältnis zu Gott die anderen innern
Cigenfchaften des Menſchen zufammenhängen,
lehnt er im Grund die Verantwortlichkeit für
die ihm abgenötigten Urteile über das Innere
feiner Mitihüler von fih ab. In diefen Ur:
teilen jelbjt nun verrät fich ebenfo deutlich fein
autes Herz wie anderjeits feine Geradheit und
die unverworrene Klarheit feiner ſittlichen An—
ihauung: wo er unedle Gefinnung, lieblofes
Herz, Falſchheit gegen Freunde bemerkt, iſt
feine Sprache jcharf, am ſchärfſten aber bei
Heuchelei und kriechender Demut, die er gerade:
zu als Niederträchtigfeit bezeichnet. „Unſere
Pflichten,” jagt er einmal, „find zwar aud) auf
die Demut bejchworen worden, aber nieder:
trächtige Demut iſt ebenfo ſchändlich als Etolz
und Hochmut.“ Das ift wiederum fchon der
echte Schiller, und diefer ftolze Freimut geht
durch das Ganze. Sehr bezeichnend ift aud)
jein Verhältnis zu der Afademie: er idealifiert
fie, um fie loben zu Tönnen.
Unficher und ſchwankend wird fein Urteil
nur da, wo feine Beziehung zum Herzog in
Frage fommt. Er erjhöpft fih in Ausdrüden
der Bewunderung und Dantbarfeit, und der
fonft meiſt gefällige Stil erhebt fih an ſolchen
57
448
Stellen zu üppigem Prunk und oratorischem
Pathos. Aber gerade die ſtärkſten Sätze ver:
raten den fchärferen Blid, die innere Unflarheit,
den ihm felbit nicht bewußten Zwieſpalt des
Gefühle. „Diefer Fürſt,“ verfichert er z. B.
an einer Stelle, welche man empörend gefunden
hat, „diefer Fürft, welcher meine Eltern in den
Stand gejett hat, mir Gutes zu thun, diefer
Fürſt, durch welchen Gott feine Abfichten mit
mir erreichen wird, diefer Vater, welcher mic)
glücklich machen wird, ift und muß mir viel
ſchätzbarer als die Eltern fein, welche unmittel:
bar von feiner Gnade abhängen.“ Hier verrät
gerade dieje ſeltſame logijche Begründung, dieſe
epigrammatifche Epibe, in deren Widerfinn bie
Tirade ausläuft, daß das ganze Urteil ein Pro:
duft des Verjtandes ift und nicht vom Herzen
fommt. Aber an bewußte und berechnete Un:
wahrheit darf man bei folden Ausdrüden nicht
denten, zumal bei einem fo jungen Menſchen,
von dem niemand die fonfequente Klarheit des
Sereiften verlangen fann. Es ift nicht einmal
nötig, das Uebermaß der Verehrung aus dem
ſchlechten Gewifjen des Verfaſſers herzuleiten,
der fih am Schluß in Iebhaften Wendungen
des Unfleißes anklagt und reumütig Beſſerung
verspricht. Denn einmal ift jene fuperlativifche
Nedemweife die übliche Sprache der Zeit im Ber:
fehr mit Fürften, und wir jehen fie dem „großen
Karl“ gegenüber nicht minder ftarf von Män:
nern gehandhabt, die über jeden Verdacht der
Schmeichelei erhaben find. Es hing dies mit
dem eigentümlichen Verehrungs: und Bewun:
derungsbedürfnis der Zeit zufammen, das da:
mals für ein Merkmal edlerer Empfindung galt.
Und unzweifelhaft hat Schiller zuzeiten eine
aufrichtige und begeifterte Bewunderung für
den geiftvollen Fürften gehegt, der, wenn er
wollte, eine unmiderftehliche Ziebenswürdigfeit |
entfalten fonnte und niemals fo munter, fo
wißig und anzichend war, wie unter feinen
lieben Söhnen in der Akademie. Er hat ſich ja
auch Schillers bei jenem Anlaß gegen feine
Lehrer angenommen und die Art, wie er bei
feinen täglichen Beſuchen ſich mit der Geſamt—
heit und den einzelnen bejchäftigte, für ihr
Mohljein forgte, das Heinfte Detail im Auge
behielt, die große Yiberalität, mit der er die
Freiheit des Unterrichts und die Würde der
Yehrer wahrte, die Achtung vor der Wiſſenſchaft,
und dazu feine fürftliche Erfcheinung, fein emi—
nenter Verftand, fein wunderbarer Ccharfblid, |
Julius Klaiber.
jeine unermübliche Thätigfeit, feine rückſichtsloſe
Energie, feine ftaunenswerten Erfolge — das
alles mußte ihn einer Natur wie Schiller zu
einer bedeutenden Erſcheinung maden und es
ihm erleichtern, den geforderten Zoll der Be:
mwunderung in jenen Ausdrüden darzubrinaen,
welche ihm feine rhetoriſche Fertigkeit fo willig
darbot.
In der That war diejer Herzog eine höchjt
merkwürdige Eriheinung. Er hatte Elemente
der Größe in fih, deren Zauber man fi nicht
leicht entziehen fonnte. Kein Fürſt hat jeinen
Unterthanen fo weh gethan und doch war nicht
leicht ein Fürft volfäbeliebter als er. Noch heute
gehen hundert Anefvoten von „dem Karlherzog“
im Lande um, und in manchem Bauernhaufe in
der Nähe von Hohenheim oder der Eolitüde
findet man fein Bild in der Stube hängen.
Man rühmte feine Arbeitskraft, feinen praf:
tiihen Verftand, die fchlagende Kraft feiner
raſchen Rede, vor allem feine Einfachheit: er
war ein hoher Herr und umgab ſich als Fürſt
mit einem Pomp, der nicht im Verhältnis zur
Größe des Landes ftand; aber perjönlich lebte
er im faft bürgerlicher Schlidtheit. Er baute
Schlöſſer und Paläſte aber er ſelbſt wohnte am
liebjten in einer Manſardenſtube. Er drüdte
das Volk mit rüdjichtslofer Härte, aber niemand
verjtand jo qut mit „dem gemeinen Mann“ zu
verfehren. Wenn irgendwo im Land ein ſchwe—
red Schadenfeuer war, wußte jedermann, dafı
der Herzog, wie entfernt er fein mochte, zur
Stelle fam, und wenn er dann auf feinem wohl-
befannten Nenner heraniprengte und im Bogen
den Brandplat umritt, nidten fi die Leute
verftändnisvoll zu; denn nun war die Gefahr
gebannt. Auch für unheilbare Leiden war das
Volk geneigt, ihm wunderbare Kräfte zuzu—
ichreiben.
In der Karlsſchule ging die Verehrung für
ihn bei manchen bis zur Schwärmerei. Im
Jahr 1828, bei der Feier feines hundertjährigen
Geburtötages, waren 250 ehemalige Zöglinge
um den Neft ihrer Yehrer verſammelt und aus
ihren Neden und Trinkſprüchen tönte der reine
Klang bewundernder Dankbarkeit hervor. Kör—
ner felbft, der um Schillers willen dem Herzog
feind war, fchreibt dieſem einmal verwundert,
der junge Pfaff von Stuttgart, der bei ihm ge:
wejen, habe ihm mit jo viel Wärme von der
Akademie und befonders von dem Herzog ge:
iprochen, daß er am Ende noch gar ſich für diefen
Schiller auf der Solitäde.
interefieren lerne, wie er nimmermehr gedacht
hätte. Und wenn man ſehen will, wie liberal
und liebenswürdig diefer Herzog mit jungen
Leuten umzugehen wußte, jo nehme man das
Leben eben diejes Pfaff zur Hand — es tft
Johann Friedrich, der große Helmftädter Mathe:
matifer — und leje die Briefe, die er, aus der
Akademie entlaffen, auf feiner Bildungsreife
mit dem Herzog gewechfelt hat.
Für Schiller jedenfalls war Herzog Karl
die erite bedeutende Erſcheinung, die ihm im
Leben entgegentrat, und das Verhältnis zu ihm
it es im mwejentlichen, woran fich fat während
eines Jahrzehnts fein Charakter entwidelt hat.
Er, der für alles Ungemeine einen fo wachen
Inſtinkt hatte, mußte damals diefe Natur als
eine imponierend überlegene empfinden, und fie,
wie er es allen Ueberlegenen gegenüber that,
zunächſt mit den Armen bingebender Liebe zu
wnjchlingen jtreben. Aber je weiter er auf jener
Bahn der Selbitändigfeit vordrang, auf welche
ihn die ſinnwidrige Disciplin der Anftalt, das
Werk desjelben Herzogs, verwieſen hatte, um
fo entjchiedener mußte er fid) des ungeheuren
Gegenſatzes ihrer Naturen bewußt werben.
Auch in Schillers Bruft pochte von jeher etwas
von Herricherbemugtfein: „ſein Sana auf der
Straße,“ jagt Goethe zu Eckermann, „jede feiner
Bewegungen war jtolz und arofartig, aber feine
Augen waren janft.“ Allein bei ihm ruhte
dieſer Stolz einzig auf dem Bewußtſein feines
idealen Berufes: in der reinen Hingebuna, in
der völligen Zelbjtentäußerung an das Ideal
fand er, je weiter er fortjchritt, feinen höchſten
Adel, feine Seligfeit, und dieſe ideale Welt war
für jenen fürjtlihen Gönner ein bloßer Schall,
ein leerer Name. Was dem Knaben, dem Jüng—
Ing Schiller jhaudernd vor Entzüden das Herz
hob, der Gedanke an das Vaterland, die vater:
laͤndiſche Dichtuna und Seiftesbildung, die Dam:
mernde Aussicht auf menschlichere Zuitände, Das
mußte er im tiefiten Buſen verfchliegen, weil es
in der Akademie verpönt und vogelfrei erklärt
war. Wohl hatte der geiftreiche Fürſt die Ideen
der Zeit in feiner Art fih zu einen gemacht und
der wijlenichaftlihen Forſchung gegenüber it
vielleicht Fein Regent jener Tage fo großartig
liberal geweien, wie er, der niemals dem Unter:
richt Beichränfungen auferlegt und allem Neuen
ı lungen von 1779 und 1780 bemerfen,
Die Pforten der Alademie aeöffnet hat. Aber |
in jenem Geſchmack und Empfinden war er
durchaus ein Kind des Rokoko, deilen frivole
449
Nichtigkeit und innere Erlogenheit Schiller em:
pörte, und mas dem Herzog am meilten am
Herzen lag, der Glanz feiner Hofhaltung und
jene prunfvollen Feſte, bei denen er den Reich—
tum feines erfinderifchen Geiftes zu zeigen liebte,
fonnte bei Schiller nur das Gefühl heraus:
fordern, mie völlig fremd dies alles feinem
Weſen war.
Kir haben vom Lorbeerfaal geſprochen.
Welche Feſte wurden hier gegeben, mit welchem
Nufwand der berühmteften Kräfte des Aus—
lands, welchem Prunf des Hofitaats! Stets
war die Akademie dazu berufen, und der Ser:
zog Jah einen wefentlichen Teil feiner Erziehung
darin, die jungen Yeute früh mit der „Welt“
in Berührung zu bringen. Schiller wird ji)
dadurch nur der überichwenalichen Herrlichkeit
jeiner inneren Welt bewußt: „Teil! Welten
unter fie — nur, Water, mir Geſänge!“ jo fleht
er mit hinreißender Innigkeit in feinem eriten
Gedichte. Und mit trunfener Beaeifterung
ſchwelgt er diefer Hohlheit einer innerlich eritor:
benen Kultur gegenüber in den jugendfrifchen
Gemälden Noufleaus von einem edleren und
wahrhaft menfchenwürdigen Dafein,
Wir find zu Ende, Hätten wir Schiller
nod; nad) Stuttgart zu begleiten, wo ihm in
den folgenden fünf Sjahren die größere Hälfte
jeines Akademielebens verfließt, jo würden wir
chen, wie die Anftalt, die ihm auf der Solitüde
von Jih aus jo wenig acboten, nun auch in
pofitiver Weife für feine Ausbildung wichtig
und fördernd wird, wie bei dem neuen medi—
ziniſchen Ztudtum jofort fein Intereſſe ſich be:
lebt, wie die Zeugniſſe beſſer und bejier, zum
Teil fogar glänzend werden, wie namentlich dei
Philoſophie unter Abels, des „engelgleichen
Mannes”, Führung eine neue Welt vor feinem
Geiſte erſchließt und eine unermeßliche Gärung
der Begriffe in ihm erzeugt, wie durch das
glückliche Zuſammenwirken vortrefflicher Lehrer
und eines meiſterhaft gegliederten Unterrichts—
organismus geiſtige Kräfte in ſtaunenswerter
Fülle und Stärle in ihm geweckt und durch die
Berührung mit den bewegenden Gedanken und
Inſtinlten der Zeit in jene elektriſche Spannung
verſetzt werden, deren wunderbare Zeugniſſe
wir in dem mediziniſch-philoſophiſchen Abhand—
Wir
würden aber auch erkennen, wie eben die geiſtige
Höhe und Freiheit, auf welcher der Unterricht
in der Akademie ſtand, ihm die ſittliche Unvoll—
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450
fommenheit der noch immer andauernden und
für den Zwanzigjährigen doppelt unerträglichen
Disciplin ihm noch fühlbarer macht, und wie
dieſer Widerftreit es ift, der in feiner tief ange:
legten Natur jene mächtige Reaktion des fitt-
lihen Bewußtfeins, jene gewaltige Erſchütte—
rung des ganzen Innern hervorgerufen hat,
deren vulfanischen Ausbruch wir in den „Räu—
bern“ vor uns haben. Denn indem er, was in
acht ‚jahren von Groll und Grimm über Drud
und unwürdige Anechtichaft durch fein bebendes
Herz gegangen, zu den Gefühlen und Stim:
mungen eines zertretenen Volfes erweitert, in
hellem Brande auflodern läßt, fchafft er jenes
Merk, deſſen ungeheure Mängel fein gereifteres
Kunftgefühl nach kurzem verurteilt, das aber
mit der unmibderftehlichen Gewalt einer hin:
reigenden Empfindung durd die Herzen feiner
Nation ging.
Man hat e3 neuerdings wieder einmal be:
dauert, dat Schiller der Weg durd) die Karls:
ſchule aufgenötigt worden fei: im theologifchen
Seminar und im Tübinger Stift, meinte man,
wäre fein Entmwidelungsgang leichter und har:
monifcher geworden. Es ift immer mißlich, fich
mit ſolchen nicht eingetretenen Möglichkeiten
auseinanderzufegen. Man wird gewiß zugeben,
dab Schiller auf diefem Weg mit geringerer
Mühe zu einer viel forafältiger und tiefer be:
gründeten, wenn auch viel einjeitigeren Bildung
gelangt wäre; er hätte zum mindejten nicht
nötig gehabt, in feinen Mannesjahren noch das
griechifche Altertum aus mangelhaften Ueber:
fegungen zu ftudieren. Aber nicht um das Map
bes Wiſſens, nicht einmal um die Art der Bil:
dung handelt es fich hier, jondern um bie Ge:
ftaltung des Charakters, des innerften Kerns
der Perſönlichkeit. Unſer Schiller wäre er
wohl nicht geworden. In der Harlöfchule trat
ihm der Dejpotismus als militärifch:politifcher
Zwang entgegen, dort wäre es der pedantiſch
aelehrte geweſen. Diefer ift feiner Natur nad)
bemmend und lähmend, jener mußte den inner:
jten Nero feiner Natur, den Durjt nach Frei:
heit, erregen und fein Weſen bis in die unterften
Tiefen erfhüttern. In jenen Hlöfterlich abge:
ſchloſſenen Anftalten, in deren dbumpfe Mauern
erſt die Zeit der franzöfifchen Nevolution eine
Berührung mit der Gegenwart brachte, wäre
jein Geift einzig auf die Wiffenfchaft hinge:
wiejen worden; die Karlsfhule, die Schöpfung
der Gegenwart, das echte Kind einer gärenden |
Anna £öhn-Siegel,
und in fi zwiefpältigen Zeit, verwies ihn von
allem Anfang an, wollend oder nit, auf das
Leben, auf die Kämpfe der Zeit und eben damit
auf feinen großen und ewigen Beruf. Sie ift
in Wahrheit die Schule, die ebenfofehr durch
die neuen großartigen Bildungselemente, die
fie feinem Geifte bot, wie durch den trogigen
Widerſpruch, zu dem fie feine ftolze Seele durch
ihre niedern und jämmerlichen Ordnungen reizte,
unfern Schiller zu dem gemacht hat, was er und
ift, zu dem Dichter, der aus den tiefften Er-
ſchütterungen innerer Kämpfe feiner Nation Die
unvergängliden Güter der Schönheit und fitt-
lichen Freiheit erobert hat.
Fin alter Theaterdirektor.
Bon
Anna Löhn-Hiegel.
DD" alte Theaterdireftor Karl Gottlieb Wurm
wurde unter feinen Schaufpielern „das
Wurmel“ oder „das unmaßgebliche Karlchen“
genannt. Wie er zu dieſen Titulaturen gekom—
men, habe ich nicht erfahren. Er war in der
That ein wunderlicher Kauz, eine Specialität,
wie ſie in der Gegenwart kaum noch exiſtieren
dürfte. Ich lernte ihn vor etwa dreißig Jahren
fennen, als ich noch nicht lange am Dresdener
Hoftheater engagiert war. Wurm reifte mit
feiner Heinen Truppe an der böhmiſch-ſächſiſchen
Grenze umher und verirrte fi jezumweilen auch
in ein ſächſiſches Fabrikſtädtchen.
Als es feinen Schaufpielern, die ſich „Die
Spielwürmer“ zu nennen pflegten, unter Wurms
Führung einmal recht herzlich ſchlecht ging,
fchrieb der Direftor vom Städten N. aus an
mich und bat, ich möchte bei ihm gaftieren. Der
Brief lautete fonderbar genug, man hätte ihn
unter Glas und Nahmen einer Rubrik „zum
Totlachen“ einverleiben fünnen. Hier tft er.
„Wohlgeborenfte, ehrenwürdigfte Dame!
Meine Schaufpieler lafjen mir nid) Ruh', ich
muß Ihnen einladen zum Gaftipiel, obwohl
ich nid) finden kann, daß es ſo ſchlecht geht, in:
dem ich gejtern auf den ‚großen Schinderhanns
mit lebenden Bildern‘ 20 Thaler 7 Grofchen
Ein alter Theaterdireftor.
6 Pf. eingenommen habe und unter ihnen zu
verteilen nich feinen Anjtand nahm. Wenn
ein Direktor noch ehrlich teilt, is es noch nid
ichlimm und noch nich aufs höchſte geitiegen
mit die Hungersnot. Aber ich thue Sie denn
doch, wohlgeborenjte Dame, einladen, indem ber
Bürgermeifter mir geſtern flüfterte, daß gemifje
unumftößliche Koſtenpunkte zu gejtatten wären,
um weiter zu fpielen, obwohl die vorhandenen
Dekorationen und das andere Gerümpel ber
Stadt N. Lappen find, mit die zu fpielen fein
Ehr' ift. Nun gut, ich bin Wurm und frümme
mich, wenn ich getreten werde. So frümme mich
unter3 Gaſtſpiel, indem Sie gewiß viel verlangen
werden, ehrenmwürdige Dame, und ich feinen
Nuten nid von das Gaftfpiel zu erhafchen mich
wagen darf. Doc ed mag fein, denn der Bürger:
meijter war oft ins Hoftheater, is ein Verehrer
von Sie und wünſcht. Geben Sie gefälligft
Ihre Koften an und die Nollen, indem ich nic)
weiß, ob Sie alt oder jung find, welches legte
mir aber wahrfcheinlicher dünfen muß, wo der
Bürgermeifter verehrt. Wohlgeborenſte, ehren:
würdige Dame, machen Sie Ihre Koften und
orderungsanteil nich zu hoch, denn das Haus
is Hein und felber wenn ich Dobbelpreife mache,
wird nich viel 'rauszufchinden fein. Indem ich
mich, wohlgeborenfte Dame, Ihrer milden An:
jicht zu empfehlen geneigt bin, nenne ich mich,
was ich zu fein unterthänigft die Ehre habe,
Wurm.“
Ich war etwas verblüfft, glaubte mich ge—
äfft und citierte Richard Wanderers Worte im
gleichnamigen Stück:
„Was will der Regenwurm? Kann ſich's begeben,
Daß folh Gewürm darf mimen, gaufeln, leben?”
Zum Glüd ſchrieb zu gleicher Zeit ein Schau?
jpieler der Wurmſchen Truppe (alfo ein Spiel:
wurm) an mich und lichtete das Dunfel.
„Hochgeehrtes Fräulein! Ich muß an:
nehmen, daß Sie unferes Direktors, des un:
maßgeblichen Karlchens, Deutſch nicht verftehn
oder von feiner Ausdrudsmeife unangenehm be:
rührt werden. Seine Einladung zum Gaftjpiel
dürfte in einer Weife und Form vorgebradht
werden, die Sie zu einer Abjage beſtimmt.
Deshalb erfühne ih mih, Ahnen im Namen
meiner Kollegen und Kolleginnen zuzurufen:
Retten Sie das Wurmſche Theaterſchiff vom
Untergange! Der Winter ift falt und es fehlt
den Familien oft am Nötigften. Wohl teilt
das qute Wurml chrlich, aber diefe Teilungen
— — — — — — —
451
decken nicht die fontrahierten Gagen. Rückſtände,
allüberall Rückſtände. Aus dieſen Rückſtänden
ſollen Sie ihn, hochgeehrtes und gewiß mit—
fühlendes Fräulein, endlich einmal heraus—
reißen. Wurm empfindet keinen Mangel, er iſt
einer von den Käuzen, die Goethe nicht geahnt
hat, als er das berühmte Wort ſchrieb. Ein
alter abgehärteter Komödiant ohne Frau und
Familie, zufrieden wenn er Mittags einen
Häring hinter den zugluftigen Couliſſen, auf
einem Verſetzſtück reitend, mit Stumpf und
Stiel verzehren kann, und imſtande, ſich die
Kartoffeln mit ſtarker Phantaſie hinzuzudenken.
Der Bürgermeiſter und die Honoratioren der
Stadt freuen ſich außerordentlich auf Ihr Gaſt—
ſpiel, denn ich habe bereits, in der Hoffnung
auf Ihre Herzensgüte, darauf hingewieſen.
Haben Sie die Gewogenheit, nur an den Direktor
Wurm zu ſchreiben, nicht an mich. Ich darf nur
hinter den Couliſſen in dieſer Sache mitwirken.
Hochachtungsvollſt und ergebenſt zeichnet
ein trauernder Familienvater
und komiſcher Chargenſpieler B.“
Ich hatte zu Anfang meiner Theaterlauf—
bahn in Schleſiens Gefilden die kalten Stuben
und karg beſetzten Mittagstiſche kennen gelernt
und war bereit, den armen Schauſpielern nach
Kräften zu helfen, wenn mir die Intendanz Ur—
laub zu einem Gaſtſpiel gewähren würde.
Ich ſchrieb, nachdem ich den Urlaub nicht
ohne Mühe erhalten hatte, an Wurm, ich würde
' fommen, und meine erſte Nuftrittsrolle folle die
Yuife in „Kabale und Liebe“ fein.
Wurm antwortete wieder befremdlich: „Um
Gottes willen nih! ch habe Feine Milford.
Spielen Sie doch die, denn eine Luiſe is da,
obwohl ſchon vor langen Jahren ‚16 gewejen‘
(was Schiller aud hätte weglafjen können),
aber qut, indem fie die Rolle aufs Und aus:
wendig weiß. Präſident Walter bin ich, und
jehr gut, obwohl von Natur eigentlih Wurm.
Alte Millerin iS meine Haushälterin, eigentlich
nich fürs Theater gebildet, aber eine Perfon,
die alles fann. Nimmt die Röcke zufammen
und fährt von der Bühne gleich wieder hinunter
‚in den Kaſten und fouffliert. Wenn fie oben zu
thun hat ‚millre‘, d. h. fouffliere ich jelber, und
ſehr gut. Der Bürgermeifter is entzüdt. Die
ganze Umgegend, Spielwaarenfabrif, Berg:
werfe und Nittergüter, wird fommen. Ich
möchte raten, das Stüd zu teilen. Zwei Abende.
An einem drei Akte und am andern zwei Alte,
452
Jedesmal anderes Publikum, oder auch das:
felbe, aber zweifahe Zahlung. Auf einmal
geht jo wenig Menſchheit in den Mufenftall.
Eo friegt ein Teil die Kabale, der andere
die Liebe.“
Sollte das Ernft oder Scherz fein? Ich
lachte und ärgerte mic, zugleich.
„Diefer Wurm ift verrüdt!” rief ih aus.
Hätte ich nicht den Urlaub gehabt und hätte
mich nicht des komiſchen Chargenipielerd und
trauernden Familienvater Hilferuf mitleidig
gejtimmt, ich würde fofort abgefchrieben haben.
Ein Zufall hatte mic) gerade zu jener Zeit
mit einem alten Souffleur außer Dienften be:
fannt gemacht, der von einem meiner ehemaligen
fchlefiihen Kollegen an meine „Mildthätigkeit“
und „Herzensgüte” — die befannten Schlag:
wörter der Kolleftenmadher im Scaufpieler:
ftande — empfohlen worden war. Derjelbe
hatte fi), als wir von Kleinen Wandertruppen
ſprachen, ein Lexikon aller Miniaturdireftionen
genannt, von den „borftigjten Meerſchweinchen
bis zu den ehrbedürftigiten Schmieren”. Ich
ließ den Alten fommen und fragte ihn nad) dem
abfonderlichiten aller Würmer, welcher meiner
Anficht nad) verdiente, in Spiritus geſetzt und
als Merkwürdigfeit aufbewahrt zu werben.
Bei einem Glafe Wein erſchloß fich das
Gedächtnis des Netters aus Gedächtnisverlegen:
heiten. Der wadere Leimhardt rief:
„Den fenn’ ih! Ob ich ihn fenne! War
auch bei ihm vor langen Jahren Blafebalg. Er
hat mir einjt in einer falten Winternacht, ala
ich ihm auf der Bühne half bunte Bapierlaternen
für ein Zauberftüd fabrizieren, das am nächſten
Abende gegeben werden follte, feine Lebens:
geichichte erzählt. Kurz, aber wenig erbaulich.“
„Laſſen Sie hören, laſſen Sie hören!“
rief ich.
„Wurm war einjt Zögling oder vielleicht
Seminarift in einem geiftlichen Stift zu Neiße
in Sclefien. Aber die Wiflenfchaft und das
geiftlihe Wefen zogen ihn nicht an. Er ftieg
des Abends aus, um die Schaufpielvorftellungen
der reifenden Truppen zu fehen, welche Neiße
zuweilen befuchten, er laufchte an den Fenſtern
der Gafthöfe, Hinter welchen Muſik gemadt
wurde, ja, jeder Xeierfajten verjegte ihn in
Aufregung. Als einjt eine ungewohnt brave
Truppe die Neißer zu entzüden fam, geriet
Wurm außer fi und bejchloß, allabendlich auf
dem ‚Silbergrofchentopf* (die letzte Galerie) die
Unna föhn.Siegel.
Wonnen der darftellenden Kunft zu fchlürfen.
Allein um dies unbemerkt bewerfitelligen zu
fönnen, war eine Verkleidung nötig. Auf andere
Art wären die Inſtitutswächter nicht zu täufchen
gewefen. Aber wie follte der geiftlihe Zögling
die Mittel zu einer ſolchen Masferade erlangen?
„Nur die Befanntfchaft mit Theatermrit=
gliedern fonnte hier helfen. Er wählte die
ſchwärmeriſch verehrte Luife aus ‚Kabale und
Liebe‘ ala Mittelsperfon, fie, die es verftanden
hatte, nach wenigen Kunftleiftungen ‚jein ganzes
Herz in die Tafche zu fteden‘. So wenigjtens
drüdte Wurm in jener Nacht jih aus, ala er
buntes Papier mit Del tränfte, welches ih, fein
Souffleur, auf runde Drahtgejtelle jpannte.
Die Sache verhielt fih übrigens wohl umge—
fehrt. Die fühe Luife, die erite Liebhaberin
der Truppe, war der Magnet, der Wurm all:
mächtig ins Theater trieb.
„Zuife verfchaffte dem glühenden Verehrer
und Kunjtenthufiaften einen nobel gewejenen
betreften Bebientenfrad aus der Theatergarde=
robe, welcher gerade ledig war, weil der für das
höhere Bedientenfah engagierte Schaufpieler
fich fürzlich unfichtbar gemacht hatte. Man ftrich
vorläufig derartige Rollen in den Stüden, Die
in vornehmen Häufern fpielten, oder verwandelte
die vorgefchriebenen Bedienten in Kammerzofen,
wodurd) zuweilen ſehr wunderlihe Situationen
zuftande famen. Wurm ftreifte feine Zöglings—
Inerxpreſſibles bis zur Kniehöhe auf, befleidete
fich mit einem Paar weißer Strümpfe, ein Ge:
jhenf der Angebeteten, und wußte bei einem
Gedränge in den Theaterräumen einen alten
Cylinder zu erwifchen, der einem um fich ſtoßen⸗
den Grobian vom Kopfe gejchlagen worden war,
und den der verfleidvete Bediente mit einer gol-
denen Gürtelfhnur der Geliebten noch lakaien—
hafter machte.
„Bis hierher ging alles gut. Aber nicht
lange währte der holde Traum. Wurms nächt—
liche Umtriebe wurden entdedt. Der Schlafjaal:
infpeftor war einmal fehr übler Laune und von
einer unerbittlichen Unterfuhungsihärfe. In
diefer Stimmung hielt er eine von Wurm halb:
umgeftülpte Pelzmütze, die unter der Bettdede
ſchwach hervorragte, nicht für einen Zöglings:
fopf mit Schwarzer Haarwolle, riß die Dede
weg — wehe! Der mweltlih aefinnte Wurm
fehlte! Wo mar er! Ausgeftiegen! Im Theater!
„Ein entfeglihes Donnermwetter folgte.
Wurm wurde verurteilt und aus dem Stift feier:
Ein alter Cheaterdireftor,
lichſt ausgeſtoßen. Wer war froher ala er! — |
Aber wie lange? Vater: und mutterlos, wie er |
war, blieb ihm nichts als die Kunft. Wovon follt!
er fonft leben? Er floh über die Grenze nad)
Böhmen, die Geliebte folgte in treuer Anhänglich:
feit. Um ihretwillen war Wurm ja ein Aus:
geftoßener. Beide fanden Engagement bei einem
zigeunerhaften Schmierchen, das den Aufenthalt
alle acht oder vierzehn Tage wechjelte, und dejien
fämtliches Theaterperfonal und -Inventar auf
einem einzigen, von zwei abgemagerten Kraden
gezogenen Frachtwagen transportiert werden
fonnte. Troß dieſer miferabeln Verhältnifie,
die nur herabdrüdend auf das Ffunftbegeifterte
Paar wirken fonnten, dachte der Zögling des
geiftlichen Stifts aber doch groß von der Würde
des Ehebundes und jtrebte eifrig danach, fich
mit der Geliebten trauen zu laffen. Allein die
Priefter, die er um ihren firhlihen Segen an:
flehte, verlangten Papiere über Heimatsange:
hörigfeit und ähnliches, und Wurm hatte das
Vaterland ohne jeden Nachweis über feine un:
mündige Perſon verlafjen. Was beginnen? Die
Lage war verzweifelt. Aber das romantische
und ehrenwerte Baar erfand einen finnigen und
wahrhaft rührenden Ausweg aus dem Dilemma.
„Die Truppe fpielte gerade in der Scheune
eines großen böhmischen Kirchborfes Komödie.
Wurm und feine Geliebte wohnten in der Nähe
der Kirche bei einem Kleinbauern, und zwar in
Ermangelung anderer Räumlichleiten und um
der Billigfeit willen zwifchen dem Stroh und
Heu unter dem Dache, poetiſch umflattert von
den Tauben bes Beſitzers.
„Eines Tages ertönt wieder einmal Gefang |
aus der Kirche zu den Liebenden herüber, ein |
Hochzeitäzug naht fih dem Gotteshaufe, die |
glüditrahlende Braut an der Hand des Bräutiz |
gams entlodt der armen Schauſpielerin oben
am Dachfenſter bes Heubodens Thränen. Wurm
fühlt au, daß feine Augen brennen. Schnell
erfaßt er den Arm der Weinenden und führt fie |
zur Kirche. Das Gebäude war groß, weitläufig
und teilweise dunkel.
„Während der Geremonie vorn am ferzen:
erhellten blumengefchmüdten Altare fnieet das
betrübte Paar mit feiner ehrlichen Liebe im
Herzen ftill und geräufchlos im düfterften Winkel |
der Kirche nieder, feterlich fügen beide die Hände |
ineinander, zugleih mit den Brautleuten am
Altare wechjeln fie zwei fupfergoldene Ringe |
aus dem Numpellorbe des Theaterrequifiteurs, |
453
welche von der letzten Bühnenhochzeit her in
ihrer Verwahrung geblieben find, und beziehen
tief gerührt und weinend den Segen des Prie:
ſters, der zu den Glüdlichen redet, die dicht vor
ihm knieen, mit auf fich felber im fernen Winkel
des Gotteshaufes. Wurm jhloß feinen Bericht
mit bebender Stimme, * fo erzählte der Souffleur,
„und fprad) die Ueberzeugung gegen mid) aus,
daß Gottes Segen überall hindringe, wenn die
Menschen ſich feiner nur würdig zu machen
jtrebten. Und fo war es hier. Man hatte das
fnieende Paar dennoch beobachtet und dem Prie—
fter erzählt, zwei Schaufpieler, die beim nädhiten
Kleinbauern oben unter dem Dache wohnten,
hätten die heilige Handlung nahgeahmt. Der
Geiftliche, ein alter hochangeſehener Herr, for:
derte Wurm und feine Geliebte vor. Wurm
zögerte auf das Befragen des Priefters nicht,
die volle Wahrheit zu geftehen. Und fiehe, die
Sehnfucht des liebenden Paares nad) dem Segen
der Kirche rührte den Mann Gottes fo tief, daß
er ſprach: Ich will es verantworten, ich fopu=
liere euch ohne die Legitimationspapiere, ihr
verdient es.‘ — So geſchah es. Als ih Wurm
fennen lernte,” ſchloß der Souffleur feine Er:
zählung, „war er ſchon Witwer. Er hatte ſich
nicht wieder verheiraten mögen. Noch immer
liebte er feine Zuife. Später habe ich nichts
wieder von ihm gehört.“
Huch ich fühlte mich durd die Geſchichte im
Innerſten bewegt. Im Zigeunertum der Kleinen
fahrenden Schaufpieler eine jo ehrenwerte, reli:
giös-ſtaatsbürgerliche Geſinnung! Das hatte
ih nun und nimmermehr erwartet. Es wider:
ſprach auch allen meinen bisherigen Erfahrungen.
Ich war nun äußerft geipannt, den getreuen
Edehart der ſchwärmeriſchen Luiſe, die ſchon
längft im fühlen Erdenſchoße ruhte, perjönlic)
fennen zu lernen. Um ihm gefällig zu fein,
ftudierte ich die Milford, obaleich ich mich ſelbſt
damals noch nicht für fie geeignet fand, und be:
gab mich zum anberaumten Gaftfpieltage nah N.
Wurm empfing mich auf der Eifenbahn:
Station.
Mein Gott! Das war ja der alte treffliche
Hofichaufpieler Koch, mein Dresdener Kollege,
wie er leibte und lebte, wenn er den Schaufpiel-
direltor in Richards Wanderleben darftellte,
denfelben, der von feinem „Souffl:, Frief: und
Regiſſeur“ ftets mit „herziger Alter“ angeredet
wird!
Diefe hagere Geftalt, etwas vorgebeugt, die
454
eingefallenen Wangen, das dürftige Haar, mit
ein wenig Schminffett an die Schläfe geleimt,
die große gebudelte Nafe, der mehr grinfende
als lächelnde Mund, der den Ohren zuftrebte,
das fcharfblidende blaßblaue Auge von diden
grauen Augenbrauen wie von ftruppigem Ge:
ſträuch überbufcht!
Auch die Kleidung jtimmte. Ein Hut mit
Knidungen, die eine Höhenfarte darzuftellen
ichienen, aber von Wurm gleichwohl immer zärt:
li mit dem Nodärmel gejtreichelt, jobald er
ihn in der Hand hielt. Der Nod jelbit abgetra:
gen und die Gejtalt umfchlotternd, die Nähte
fihtbar.
Aber Wurm war vergnügt, und nachdem er
meine Perſon jcharf infpiziert hatte, fagte er in
launiger Meife:
„Alles ausverfauft. Auch für morgen.
Troß Dobbelpreifen. Leopoldine im ‚Beten
Ton‘ von Töpfer kenne zwar nich, muß aber
gut fein, weil ſchon ausverkauft. Oder Sie
find der Magnet und der Töpfer is Nebenfache.
Alfo Schiller oder Töpfer, alles ausverkauft.“
Zu dem fomifchen Chargenfpieler und jetzt
nicht mehr trauernden, fondern luftigen Familien—
vater B. gewendet, welcher fich ebenfalls zum
Empfang eingefunden hatte, fagte Wurm fo
laut, daß ich es hören konnte: „Schöne Dame
und fehr jung. Dachte mir's ſchon von wegen
des Bürgermeifters. Hat Geſchmack.“
Dann fchnalzte er mit der Zunge und bot
mir den Arm nicht ohne eine gewiſſe Gravität.
Wir begaben uns jofort zur Probe ins
Schaufpielhaus, einft eine geräumige Waren:
niederlage. Bühne und Zufchauerraum waren
nicht fo Hein, als ich mir beides vorgejtellt hatte,
aber die Garderoben erregten mein größtes Miß—
fallen. Sie lagen halb unter der Erde und
waren dumpfig wie Kellerlöcher. Ein roher
Bretterverfchlag trennte die Damen von den
Herren. Das oberite Brett fehlte. Man fonnte
dort die frifierten und unfrijierten Köpfe der
Künſtler in der Luftauf und nieder fchweben jehen.
Ich bat für den Abend um ein Brett mehr.
Ich könne mid) nit angefichts der Schaufpieler
anfleiden.
„Meine Schauspieler fehen nich zu den |
Damens hinüber,“ entgegnete Wurm tröftend.
„sh garantiere. Mas wäre denn da auch wei:
ter zu jehn,“ fette er wenig galant hinzu.
Ich bejtand aber auf dem Brett. Da rief
Wurm ganz im Stile feiner Korrefpondenz mit
Anna Löhn:Siegel.
mir: „Die Nägel zum VBernageln will ich geben,
aber das Holz nich, das muß die Stadt liefern,
die ohnehin gar nichts fürs Theater thut, und
der Stall gehört ihr doch. Das Brett geht mir
gar nichts an, wohlgeborenfte Dame. Die Stadt
hat viel Wald, die könnte ihre fchlechtgepflafter:
ten Straßen bebielen, is meine Anſicht.“
Aber im Verlauf der Probe, ala id) mich,
indigniert über feinen Geiz und feine Unhöflich—
feit, von ihm fern hielt, kam er mir nachgetrippelt,
jtrich den mangelhaften Eylinder mit dem Nod:
ärmel und jagte begütigend:
„Ein Brett nid — das fann ih den Schau:
jptelern nich vor den Kopp nageln, aber zwei
Bund Stroh will ich dDranwenden. Die ftoppen
wir hin, wo das Brett fehlt. Thut diejelben
Dienite. Vernichtet die Ausficht auf die Weiber
und ihre Reize. Feuersgefahr iS freilich vor:
handen durch die Lichter, die auf den Tiſchen
drunter jtehen.. . .“
Ironiſch gejtimmt, wie ich es war, fiel ich
ein: „Sie brauchen uns nur die Lichter zu ent:
ziehen und uns im Finſtern zu laffen, Herr Di:
reftor, dann bedürfen wir weder des Strohs
noch des Holzes.“
„Thät's gern, thät's gern, * lachte Wurm, un:
empfindlich gegen den Spott, den ic) ausdrüden
wollte, „die Lichter fojten viel, das verfl....
— Bardon — Talgzeug! Ziehe mid oft im
Finſtern an, wohlgeborenfte Dame, und höchſt
anſtändig und accurat, ih, der Direktor. Aber
die Bande, befonders die Weiber — das is jo
pußjüchtig — muß immer in den Spiegel gaffen,
hundertmal — hinten und vorne.“ —
Am Abend ſpießten die Halme der in den
weiten Spalt gejtopften Strohbunde uns faft
ins Gefiht. Daß feine Feuersbrunft entjtand,
war ein Wunder, denn die Männer drüben
machten es fi zum Spaß, einzelne, wie fie
jagten, „vorwitige und kitzlige Halme“ anzu:
brennen. Da man hinter unferem Verſchlag
alles hörte, was jenfeits vorging, vernahm man
auch das Kniſtern der brennenden Halme. Es
war eine höchſt unbehaglihe Situation, über
welche auch das kniſternde Sprühfeuer manches
guten Couliſſenwitzes nicht hinweghalf.
Die Komödie ging für die Verhältniffe leid:
lich gut, d. h. über meine Erwartungen, die ich)
allerdings ſchon im voraus auf Null geſetzt hatte.
Luiſe Millerin war alt, jo alt, wie ich mir
nie eine Geliebte Ferdinands hatte denken fönnen.
Die berühmte „Sechzehn“ konnte beinahe drei:
Ein alter Iheaterdireftor,
455
mal ihren Scheitel berührt haben und ftellte fich | „Ha,“ vief er jet im höchſten Zorne aus, „fo
eigentlich in einer erwachſenen Tochter, die meine
Kammerfrau Sophie jpielte, richtiger dar. Luife
deflamierte falfh und hohl und nahm es mit
Schillers blühender Diktion nicht genau. Aber
fie brachte mir doch jedes Stichwort, und das
war alles, was ich verlangen fonnte.
Das reife Kind Sophie (Luife redete die
Stattliche immer „Kind“ an, um ſelbſt jugend:
licher zu erfcheinen) war troß all der von mir
angewendeten vornehmen Zurüdhaltung entjeb:
lich familiär und fiel mir bei jedem Wort der
Teilnahme wuchtig um den Hals.
Der Direktor fpielte außer dem Präfidenten
auch den alten Kammerdiener: „Legt's zu dem
übrigen!“ Seine auögemergelte Erſcheinung
paßte vortrefflich zu der Nolle. Aber der einftige
Neißer Stiftszögling ftand, wie ich bereits aus
feinen Briefen wußte, mit der Grammatif auf
dem Kriegsfuße, und jagte zur Lady mit groß:
artig theatralifcher Gebärde und Betonung:
„Legt's zu den übrigen!”
Sicherlich dachte er ſich im ftillen Thaler
und Grofchen hinzu, phantaftifch angeregt durch
die große Einnahme, die ihn aus dem über:
füllten Haufe anlächelte.
Als ih nach meiner erften Scene in die
Garderobe hinabgellettert war, die man auf
einer Art Hühnerftiege erreichte, hörte ich hinter
Stroh und Bretterverfhlag ein furdtbares
Donnerwettern. Zum Glüd fehlte der zündende
Blitz.
Wurm war es. Er verfluchte feierlich ſeine
Haushälterin, die — alte Millerin und Souf—
fleuſe in einer Perſon — vergeſſen hatte, die
Praſidenten-Inexpreſſibles in die Garderobe zu
jenden.
Für die erfte Scene des Präfidenten hatte
diefer ſich mit dem in der Verlegenheit geborgten
langen Ueberrode eines anderen Schauspielers
geholfen, durch welches Gewand die grauen
Beinkleider des Bedienten verdedt wurden. Sn:
zwifchen follten die rechten präfidentlichen Un:
ausiprechlichen gebracht werden.
Allzufühne Hoffnung. Ste waren noch immer
nicht da und der Schaujpieler mit dem langen
Ueberrod war fort. In der durch die unfrei-
willige moderne Masferade erzeugten Mißſtim—
mung hatte Direftor Wurm im erften Alte jchon
den arofen Schiller verbefiert und anftatt: „Ein
ernithaftes Attachement? Mein Sohn?“ aefagt:
„Ein ernithaftes Attaquement? Mem Sohn?“
J
muß ich die Präſidenten-Canaille doch noch in
den grauen Hammerdienerhofen jpielen? Da
ſoll doch gleich der Teufel — — den Frad her
mit Stern — — die wohlgeborenite Hofſchau—
jpielerin, der ich jo viel Stroh habe opfern
müſſen, wird ſich weiblich mofieren. Perüde
her mit Zopf — Ordensband — ha! das fieht
auch aus wie ein altes Strumpfband . . .“
In dem Tone ging's weiter und eine Flut
nicht mwiederzugebender Kraftausdrüde jtrömte
auf die im Kaſten befchäftigte, vielfeitige Haus:
hälterin herab. Die Perüde ſchief auf dem
Haupte und mit unwirſchem Gefichtsausdrude
erſchien Präfident Wurm hinter den Coulifjen.
Aber der dienftwillige Theater: Rurm, fein Se:
fretär im Stüd, feste ihm den Kopf fanft zu:
recht, worauf er als Yohn das Zorneswort ver-
nahm: „Was zerren Sie mich an der Perüde?
Soll ich vollends zum Skandal draußen jtehen?
Lejen Sie die Theatergejege. Auf Verhöhnung
des Oberhauptes fteht Gagenabzug.“
„Den hab’ ih auch ohne Verhöhnung,“
entgegnete der Theater- Wurm. „Ich habe meine
Gage noch niemals vollitändig erhalten, weil
nicht genug Geld in der Kaſſe war.“
Nah diefem Intermezzo begab ſich das
würdige Paar ins Feuer, d. h. auf die Scene.
Aber das ureigentlichjte Trauerjpiel ver:
förperte fi in dem romantishen Ferdinand.
Er war, obgleich ein hübjcher junger Mann und
eine impojante Eriheinung, das Schredlichite
der Schreden in dem Wahn, die Nolle gelernt
zu haben. Ferdinand achörte zu den Schau:
jpielern, die alles aus dem Kajten holen, d. h.
jedes Wort, jeden Ausruf, und die fogar die
Direftive für den Abgang von einem Wink aus
der Unterwelt erwarten.
„Der Sakrementer hat wieder nicht ge:
lernt,“ murmelte der Direktor zwijchen den
Zähnen, als er, hinter den Couliſſen jtehend,
meinen Ferdinand mit der bilderreichen Sprache
des großen Dichters ringen und fie bis zum Un:
| finn verunftalten hörte.
Wohl rannte der Major nah Schillerfcher
Vorschrift „in der heftiajten Unruhe durd den
Saal“, der feiner war, und dieſes Nennen ge:
lang ihm noch am beften, allein er ſagte mir kein
Sterbenswörtchen, oder er ſagte etwas Albernes,
das gar nicht in feiner Nolle jtand, einen totalen
Blödfinn, auf den ich nicht antworten fonnte.
Endlich, um den Jammer voll zu machen, trat
58
456
er, weil er die „bewunderungswürdige Britin”
in feinem Schlußſatze ganz vergeffen hatte, mit
geballten Fäuften vor die Lady hin, fuchte
frampfhaft nach dem rechten Worte, das die
Souffleufe doch ſchon dreimal an unfere Gehör:
organe hatte fchallen laſſen, und brach in der
äußerften Verwirrung in die mir unvergehliche,
mit Wut gejtotterte Nede aus:
„D— du — du — Mylady — ſiehſt du
— wunbdere did) nicht — (das galt für die halb:
verftandene ‚Bewunderungswürdige‘) — nein,
wundere did nicht — Sünderin — (das galt
für die ‚Britin‘) — nur fort — fort mit dir!“
Um meine große Schlußrede an den Major
halten zu fönnen, mußte ich ihn ſelbſt halten,
feft an beiden Händen fallen, denn ſonſt wäre
er mir entichlüpft. Als ich ihm am Ende zu:
rufen wollte:
„Ich laſſe alle Minen fpringen!” entiprang
er mir mit einem Freudenruf, daß die Scene
vorüber war, durch die Hinterthür, und ich mußte
mid mit meinen fpringenden Minen an das ae:
ehrte Bubliftum wenden, das jo gütig war, mid)
dafür mit Beifall zu überfchütten.
Es iſt faum glaublich, aber, o Wunder! das
feibhaftige Traueripiel mußte auf allgemeines
Verlangen am nächſten Abende wiederholt wer:
den, und der „Beite Ton”, der hier wohl leicht
zum ſchlechteſten geworden fein würde, fiel aus.
Ich ließ ihn mit taufend Freuden fallen. Welch
eine Höllenqual wäre es geweſen, diefen Major
von Walter als Major von Warren liebens:
würdig fofett umgaufeln zu müfjen!
r
£. Meggendorfer.
|
|
|
|
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Fin Fiſcheridyſſ. Von S. Weggendorſer.
Ein Fiſcheridyll.
Nein, der war nicht für die Majore der
Bühne geſchaffen, trotz feiner kriegeriſchen Er—
ſcheinung. Aber die „Sünderin“ an Stelle
der „Britin“ verbat ich mir denn doch für die
Wiederholung, auch die Bedrohung durch die
geballten Fäuſte, die in die Millerſche Bürger—
ſtube, aber nicht in den Palaſt der Lady gehörte,
ſo durchaus nicht palaſtmäßig meine Einrichtung
war. Direktor Wurm begleitete mich beim Ab—
ſchied vergnügt zum Bahnhofe und bat um bal—
dige Wiederkehr, die ich jedoch aus begreiflichen
Gründen verſagte. Er trug mir die Bouquets,
durch die mir das überaus dankbare Publikum
die Pein mit meinem ſtotternden Ferdinand ver—
ſüßt hatte. Auch der Bürgermeiſter kam und
dankte mir im Namen der Kunſtfreunde, während
Wurm extatiſch auärief: „Ja, Sie waren eine
jo beiwunderungswürdige Britin, daß ich gleich
nod) einmal zwei Bund Stroh an Ste wenden
würde!“
Der Bürgermeijter bat um Erläuterung des
fomischen Nätfelhvortes, und ich bat, nachdem
ich fie gegeben, um ein Brett mehr zur Ver:
vollfommnung des Garderobeverjchlags und zur
Nettung des Anftandes. Lachend gewährte der
Bürgermeiſter „das Stüd Holz”, ja, er verſprach
jogar eine Beſſerung der unterirdiihen Garde—
robezuitände und hat Wort gehalten. Wer
war glüdlicher als das unmapßgeblide Karl:
hen! Als ich nach der Abfahrt noch einmal zu:
rüdblidte, jtand der alte Wurm noch immer vor
dem gnädigen Stadtoberhaupte und frümmte
fi) dankbar,
ee ee > — ‘up
a3 Bur Beifgefdichte. &»
Aus der Gefelfidaft.
‚er Skandal, welder, wie gemeldet,
in einem Parifer Klub durh Bes
trügerei im Epiel veranlakt wurde, bat
feine Endſchaft dur die Auflöfung diefer
Gejelliaft nefunden. Allerdings wurde
fofort zur Gründung einer neuen Geſell ⸗
ſchaft geſchrinen, aber es wurden babei
alle verdädtigen Elemente ausgeſchloſſen.
Mofail.
DB einer ſeltſamen Manle berichten
neuerdings die Blätter, Selbige
beiteht darin, Nähnadeln zu ſchlucken, was
in vielen Fällen feine Beſchwerden ver»
urfacht. Die Nabel geht mit großer
Leichtigkeit durd; das Gewebe des Hörpers
und lommt dann an irgend einer Gtelle
sum Durchbruch. Cine ranzöfin fol
es als bejonderes Amuſement betrachten,
den Augenblid abzupafien, in dem die
Nadel nach ihrerWanderung wieder erſcheint.
Man ſieht immer wieder wie erfinderiſch
die menſchliche Dummheit ift und nie ver»
legen, in neuer Weife fi zu äußern.
Ein myſteriöſes Geichent bat bie
Stadt Wien erhalten, beitehend in
100 000 fl. Goldrente, Die ein Unbelannter
beim Bürgermeifter Uhl abgab. Der bei«
gefügte Brief befagte, daß diefe Summe
u einer etiftung für die Stadt beftimmt
kei, welche der Bürgermeifter für gut ber
finde, Gin beigenebenes zweites Schreiben
darf erit 1890 eröffnet werden, es müßle
denn jemand erideinen, der eine ab«
gerifjene Kartenhälfte vorweilt, die genau
zu der an dem verichlojlenen Brief an«
effebten pakt. Da fage man nod, unfere
Zeit babe feine Romantik!
Wir haben in einem frliheren Heft
von einem Sammler von „Hommune-
fenern* erzählt, heute erfahren wir aus
Moslau von einer neuen Sammleripecies,
die Ah damit beihäftigt, alte Kirchen ⸗
aloden zu fammeln. Nun, fo fonderbar
ift das nody nicht, kennen wir doch einen,
der fih den Lugus feiftet, Burgen zu
ammeln, aber freilid nicht in der Lage
ft, fie nad) Grdfe, Alter ıc. aufzuflellen.
‚ Gegen den abſcheulichen Hutihmud,
twie ihn die Damen der Mode lieben, iſt
auch an dieſer Stelle mehrfah Einwand
erhoben worden. Dod gegen die Thor:
heiten der Mode Hilft fein Ginwand und
vermutlich müjlen wir auch bei uns ſehen,
was jeht in Paris als Neueftes gilt:
Artifhoden und Fröſche auf den Hüten.
Vielleicht überraſcht uns das nächſte Früh ·
jahr mit einem Aufputz von Epargel und
Echweinsfoteletten.
Expeditionen.
HD dänijde Expedition zur Er-
jorlaung der Weittüfte Grön-
lands ift nad Holftenborg in Grönland
—5— Die von dem Marine ⸗Pre⸗
mierlieutenant Jenſen geleitete Expedilion
wird von sHolftenborg ſüdwäris nad
Sulfertoppen gehen und bier Zeile be+
ſuchen, die noch niemals von Furopäern
betreten wurden. für den Oftober glaubt
man bie Rüdfehr erwarten zu bürfen.
An Stelle Stanleyd wird der enq
liſche Oberft Francis von Winter die Leir
tung der internationalen ajrifanijden
Geſellſchaft übernehmen, .
Es ift nunmehr befannt geworden,
daf der Afrikareifende Dr. Bonge, nadı»
dem er alle Gefahren und Beihwerden
des mehrjährigen innerafrilanifhen Aufs
enthaltes überitanden hatte, furz vor dem
Antritt der Seereife in die Heimat am
16. März vom Tode dahingerafit wurde.
Gr war ber erile, der troh des Wider
ftrebens der Portugiefen und der einge
borenen NAüftenbevölterung den Auango
überfhritt und auf dem lege von Weiten
nah Often in das Innere des dunklen
Kontinents eindrang.
Theater.
ud. Barnay hat fi mit feinen Hol«
>>) Iegen vom Deutſchen Theater in
Berlin wieder vertragen und bleibt Eo»
cietär. Das jünofte Greignis, weldes ſich
auf dieſer 2** vollzog, if eine aut ⸗
gejeichnete Aufführung der „Räuber“, bie
deforativ im Stile der Meininger ger
halten war,
Daß bei uns die Aunft auch in
töniglichen Theatern Banterott werben
fan, bat uns Seren v. Hülfens Regime
zum Öfteren betwiejen, aber bis zum $ton«
furs eines fgl. Theaters jelbft haben wir
ed doch nicht gebradt, das blieb Etod-
holm vorbehalten, wo über dem fgl. Theater
jüngft der Stonfurs verhängt wurde,
Aunfl.
Si Ihon lange geplante Sammlung
ber Werle Adolf Menzeld wird von
der Direftion der Berliner Nationalgalerie
bejorgt werden. Geheimerat Dr. Jordan
wird den Tert dazu jdpreiben.
In Bremen geht man mit der Ab»
fiht um, für Geibel ein Denkmal zu
errihten. Auch ſonſt find verihiedenen
Orts Dentmalprojelte laut geworben ; jo
follen die Gebr. Grimm in Kaſſel und
Hanau, Goethe ein Denkmal in Etutt-
gart erhalten.
Zur Zeit befhäftigt man fi in den
ſtereiſen von Nünftlern und Sunftfreunden
lebhaft mit der Frage, ob eine Bemalung
bon Statuen juläſſig fei, und ift viel
fach geneigt, diefe Frage bejahend zu ber
antworten.
Das neue Gemälde Munkacſys „Es
ift vollbradt“, ein Pendant zu des ünfilers
„Ehriftus vor Pilatus“, joll, nad dem
Urteil der Parifer Kritit, in der Größe
der Konception dieſes weit übertreffen.
Entdeddungen und Erfindungen.
SD nröfte Blume iſt angeblich jüngft
in Nicaragua entdedt worben. Sie
führt den Namen Loodwinia gigas und
iſt 60 cm lang und ihrer 50 breit. Aber
jo wenig die längflen Menſchen immer
die größten find, fo wenig if dieſe größte
Blume die wohlriehendite, im Gegenteil,
fie verbreitet einen gerabeju unerträglidhen
Verweſungtgeruch
Im Kaugcohathal bei Charleſton
bat der amerif, Ethnologe, Prof. Norris,
die Trümmer einer alten Stadt entdedt
458
56 Hügel > von ihm geöffnet und 4000
Gegenſtände gefunden worden, die er im
Rationalmufeum zu Wafhington autzu⸗
ftellen beabſichtigt. Bejonders reih find
die Funde an Waffen, Hausgerätſchaften,
Werkzeugen und Shmudgenenftänben.
Aud viele menſchliche Skelette fanden ſich
vor, u.a. eines von 7 Fuß 6 Zoll Länge,
ferner eigentümfiche Begräbnispläßeu. a.m.
Schliemann meldet aus Tiryas von
der Auffindung eines großen Palafted mit
unzähligen Säulen in gut erhaltmem
Zuftand.
Die Tage des ſchwarzen Eichich-
pulvers ſcheinen gezählt, leider mod
immer nicht die des Schießpulvers über»
baupt, wie im Tier» und Menſchengeſchlecht
die Dafen feufzen werben. Das neue
Pulver, feiner Farbe nach „braune: Schieß ·
Pulver” genannt, feht fich, wenn aud in
anderen Miibungsverhältniffen, aus den-
ſtlben Beflandteilen zufammen, wie das
ſchwarze, hat aber vor dieſem den Vorzug
voraus, bei gleichem Gasbrud im Geſchut ·
roht, größere Anfangegeſchwindigkeit des
Geſchoffes zu erzielen, und nur in jenge-
dtoffenem Naume zu erplodieren. r⸗
unden wurde dad neue Sprengmittel in
der Aruppſchen Bußitahlfabrif.
KLitteratur.
IE dem Andenlen Geibeld gewibmetes
=) Gedmtbudh beabfidhtigt Bud»
händler Parifius in Berlin herauszugeben.
Freunde der plattdeutihen Litteratur
haben nächftens einen gut eingeführten
Roman: „Harten-Leina' von Heinrich
VBurmefter zu erwarten.
Welch auferordentlihe Macht bie
Breffe repräfentiert, fann man fdhon
daraus erjehen, dat 4. B. Großbritan ·
nien 3. 3. 2015, bie inigten Staaten
und Kanada 13 402 Zeitungen und Zeit-
ſchriften befien.
wmwiritärifdes.
ie nach den Beſchlüſſen der englifchen
Uniformierungdtommilfion feſt⸗
nejehte Gampagne-Unifornt für die englifche
Infanterie Deftebt aus einem jadettartigen
Nod von lihtbraunem Wollenftoff mit
niedrigem Steblragen, einer Knopfreihe
und mehreren Taſchen. Dazu weite Beins
Heider, an die ſich bis übers Knie reichende
Gamaſchen anſchließen und eine als Unter»
tleid zu tragende Aermelweſte.
Zu den befannteften Truppenteilen
der rujfifcgen Armee gehören die Koſaken,
die unfere Väter während der Beireiungss
friege in Deutſchland in aller Nähe ber
tradhten konnten. Nach den neueiten Mit
teilungen einer ruſſiſchen Militärzeitung
beträgt die Briedenspräfenzftärte dee Kos
jafen 46391, die Striegepräfenzitärfe
159 000. Im Striepsfall find zu ftellen:
136 Negimenter, 33 einzelne Eotnien, 7
einzelne Gölabronen, 1 Balbregiment,
13 Pataillone, 404g reitende Batterien,
27 Gstabronen Miligen und 19 Kom ⸗
mandos, von denen zur fyriedenäzeit ftehen:
»95 Gefadronen, reip. Sotnien, 50 Fuß»
fompagnieen und Kommandos, 120 Ges
ihühe. Die Kofalenterritorien haben eine
Gelamtibenölterung von 3 122 146 Seelen,
wobei Oftfibirien und das Amurland ein»
begriffen find.
Anglüdsfäle.
u ift von einem ftarfen Erb»
I) beben heimgejudt worden, Man
beziffert den dadurch entſtandenen fehr be»
deutenden Schaden j. ®. in der Stadt Gol«
Sur Zeitgeichichte,
cheſtet auf 10 000 Pfund, in dem Fiſcher⸗
dorf Wyvenhoe, wo kein Stein auf dem
andern blieb, auf 4000 Pfund sc. 5 bie 20
Sekunden währte der Etof, der gegen
Diten zunahm, dabei in der Nähe der See ⸗
füften am beftigften fühlbar war und von
einem ftarfen unterirdiichen Rollen bes
gleitet war.
In Bort Said hat eine mächtige
Feuertbrunſt die Hälfte des von Arabern
bewohnten Biertels zerftört, jo daß gegen
4000 Araber obdadlos find.
Der größte Reisſtapelplatz der Erbe,
Nangoon, ift von einer furdtbaren
Feuersbrunſt heimgeſucht worben, bie
einen Schaden von eiwa 24 Millionen
Mark anrichtete, j
Neuerdings wird wieder von drei
großen Unglüdsfällen auf der See berid-
tet. Der eine diefer Unglüdsfäfle betraf
eine Fifcherflotille, die zwiſchen Kirkwall
und North Fatde von einem Gturme
überfallen wurde und 16 Menſchen das
Leben loſſele. Noch größer bürfte ver Wer»
luſt an Menſchenleben fein, wenn ſich bie
Nachricht voll beftätigt, daß der Dampfer
„State of Florida’ mit 85 Perfonen
untergegangen iſt. Endlich ift noch ber
Verluft des Dampfers „Daniel Stein-
mann‘ der White-Erols-Linie zu beklagen.
Berdreden.
=» einzelnen Dmamitattentate,
welche faft wöchentlich aus ben ver«
ſchiedenſten Zeilen der Welt gemeldet
werden, fünnen unmöglid bier alle notiert
werden, aber nicht übergehen darf ber
Ghronift den Verſuch zu einem ſcheußlichen
derartigen Verbrechen, welcdes, wie jeht
befannt geworden, bei der Enthüllung des
Nationaldentmals auf dem Nieberivalde
geplant worden war. Einige Angrchiſten
atten dort in eine Drainröhre eine ſtarte
!adung Dynamit eingeführt, um mit ihr
die verjammelten hohen Periönlicpkeiten in
die Luft zu fprengen; nur das Feucht ⸗
werden der Zündſchnur verhinderte das
furdtbare Vorhaben.
Als ein trauriged Zeichen der Zeit
darf die Zunahme jugendlicher Selbit-
mörber beiradptet werden. So erhäugs ·
ten ſich jüngft wieder auf den Gute Dos
row und in dem Doric Waldenburg zwei
Anaben von 13 Jahren aus ganz gering»
fügigen Urfaden. !
In Rom hat ein Soldat Infolge eines
unbedeutenden Streites neun feiner tame ·
raden durch Gewehrſchüſſe teils verwun ·
det, teils getötet.
Totenfhan.
qpllinger, Johann, der manchen von
unſern Leſern als Darfteller des
Barnabas bei dem Obrrammerganer Baj-
lionsfpiele befannt ſein dürfte, ſtarb am
Oftermontag, 71 Jahre alt,
Aſcher, Anton, einer der vorttefflic-
ften omifer der neueren Wiener Bühne,
der aber wegen ränflichkeit ſchen längere
Zeit von der Vühne ferne Ichte, flarb am
21. April in Meran.
Biderfteth, Dr. Nob., Bijchof von
Nipon, einer der beliebleſten Kanzelredner
Gnglands, ftarb im Alter von 67 Jahren
im April zu London
Brüning, Dr. Wolf v., Grofinbns«
ftriefler, Veſiher des Franljutter Journals,
jtarb im April.
De Leuven, franz. Dramatifer, ftarb
im April zu Paris.
Dumas, Jean Paptifte, beriinnter
franz. Ghemifer, Mitglied der Alademie,
farb im April zu Gannes.
Zupont, Leonce, vortrefflicder franz.
Journaliſt, der Berf. des Eittenromans
„Madame Desprieug* farb im April in
Paris
tie.
Börner, C. A., Shaufpieler und
Dramatifer, jtarb am 9, April gu Ham
burg, wo er als Oberregifieur des Thalia»
theaters feit langen Jahren thätin war.
G. bat wohl an 150 VBühnenftüde geſchrie ·
ben, von denen fi namentlich die drama⸗
— Märchen großer Beliebltheit er»
reuten.
Graab, Karl, tgl. Hofmaler, Prof,,
Mitglied der Alademie der Künfte zu Berlin,
jtarb daſelbſt am 8. April.
Günther, Otto, der als Geſchichts ⸗
maler befannte Profefior in Weimar, ftarb
am 20, April dajelbft,
Kramer-Hlett, Freihert v., der be»
fannte bayriiche Großinduftrielle, jtarb in
ünden. Der Berjtorbene war in der
beneidenswerten Lage, ein Vermögen von
ca, 70 Millionen au binterlafjen.
Kuranda, Aanay, der Begrlinder der
„Brenzjboten“, feit 1861 Mitglied des öjter-
reichiſchen Reichstags, ftarb zu Wien.
Dieifter, Nifolaus, Landjhaftsmaler,
der mit feinem Bruder, dem Schlachten -
maler M., zuerft die Panoramen einführte,
ftarb im Ecebade Newport.
Dttendorfer, Frau, Miteigentümer
der „New Norker Staatäzeitung“, belannt
durch ihre Wohlthätigfeit, ftarb am 1. April
in New Tor.
Meadbe, Charles, beliebter engliſcher
Nomancier und Dramatiker, ftarb im April
ju London.
Salamone, Federico, ein Mitfämpfer
Garibaldis, farb am 13. Aprit zu Neapel.
Scorlemer.Behr, Wilh. Rud. Frhr.
v., deutjcher Neicdy-tansabgeordneter und
als joldyer dem Gentrum angehörend, ftarb
am 19. Aprit auf dem Schloſſe Behr bei
Qualenbrüd.
Schweiger, Dr., Henri, der um
die Moliöre-jForihung verdiente Heraus-
neber des „Moliere-Mufeums“, ftarb im
Alter von 76 Jahren zu Wiesbaden.
Schwerin, v., General der Infan«
terie, Gouverneur von Meb, ftarb daſelbſt
am 1. Diterfeiertage.
Taglioni, Marie, einft zu den ger
feiertften Tänzerinnen gehörend, farb 80
Fahre alt im April zu Marfeille. Sie war
eine Schwefter des ebenfalls berühmten, vor
turzem in Berlin verjiorbenen Ghoreo»
raphen Paul Zaglioni und die geſchle dene
ttin des Grafen Voiſins.
Tauchnitz, Karl Chrift. Philipp, ver⸗
dienter Verlagobuchhändler, der ſich beſon ·
ders durch den Verlag der alten Klaſſiler
verdient gemacht bat, ſtarb am 16. April
zu Leipzig. Er bat dieſer Stadt fein gan«
jes, mehrere Millionen Mark betranendes
Vermögen vermadt.
Barifi, Georgiod, ein weithin br
rübmter Philantrop, ftarb am 8. Upril
zu Stonitantinopel, 40 000 Menſchen aa«
ben ihm des Geleite zur Ichten Rubeftätte,
darumter viele von hödjter Stellung. 3.
half überall, es mochte ſich um die Unter ⸗
Auhung einzelner, oder um Beihülfe zur
Errichtung von Schulen xc. handeln.
»erfonalien.
Sr Prof. Frerichs Hat im April
SE das 2sjährige Jubiläum als Leiter
der Berliner Univerfitätsflinif_ gefeiert.
Die Edinburger Univerfität hat anı
fählich ihres jüngft begangenen 300jährigen
Aubiläums eine große Anzahl deutſcher
Gelehrter zu Ghrendoftoren ernannt u. a,
W. dv. Bunfen, 8. Elje, I. E. Grpmann,
7.8, Fleiſcher, G. Goldſchmidt, Gh. Haller,
3. Houle, I. Hyrtl, M. v. Pettenfoffer,
vv. Rante, DO. Schmiedberg, R. Birdow .
und E. Zeller.
— —
Ten — —
Die Ktanzlerſche Ede Unter den Cinden.
Aranıler-Gde.
Die Kranzlerſche She Unter den Linden.
Im „neuen Berlin“, wo während des fehten Jahrzehnte die
monuntentalen Pradıtbauten mit ihren himmelhoben Renalffance
niebeln die befcheidenen ein» und ziweiftädinen Fafſaden fo enernifc
verdrängt haben, ift «3 in vielen Gegenden Ihmwer, eine Etätte
zu finden, Die wenigftens noch vom vormärzliden Berlin zu
erzählen meik,
Nach dem deutfh-franzöftichen Kriege, in den dem Frieden
folgenden hochgehenden Wogen der Gründerzeit, in deren Aute
läufern bis zum heutigen Tage, find in den mächtigen Vracht
bauten, vor allem in der Friedrichsſtadt, eine fo große Anzahl
von Gafes und Konditoreien „pearündet” worden, daß den vor-
mals für das Perliner Leben fo bebeutunnsvollen Nanıen der
Stehelgfchen, der Joſtyſchen, der Gourtinichen, der Spargnapanl-
fhen, ja ſelbſt der Sranzlerihen Stonditorei heute der Weis
geſchmad des Altmodifchen, wen nicht des Nergefienen, anhaftet.
Und do baten biefe altmodifchen Konditoreien vor flnfzin
Nahren ihre Geihichte, und, was fi von den modernen nicht
immer behaupten läßt, ihren eigemartigen Typus, eine jede ihre
Sonderphipfiognemie gebabt. Yu Etehely ging der Litterat, der
Profeſſor, der Schauspieler, um feinen Saffee zu trinfen, der
fir dort einer beiondern Berühmtheit erfreute, fein Blatt oder
Blättihen zu leſen und eim wenig in Politif gu maden, denn
das Cofal hatte einen gelinden politiichen Veigeihmat. Während
in der eigentlien Aombitoret — eine übrigens noch heute zu
beobadtende Eigentumlichteit der Nerliner Honditsrein — fait
andachtige Stille herrichte, und jrder Beſuchet mit den damals
noch vereinzelten Tagesblättern oder den belletriſtiſchen Jour⸗
nalen aus Fernbachs Leihbibliothet beihättigt war, fland das,
der vorigen Generation wohl befannte „rote immer” nebenan,
in welchen laute Unterhaltung gepflogen wurde, ich alaube mit
nur geringem Recht, im Mufe der Mühlere, Bei Spargnapani
verfehrten vomehmlid Ausländer und die junge und jüngite
Berliner Pitteratur, Gourtin verfammtelte Spefulanten und
Kaufleute in feinen Mäumen; Joſty. wegen feiner Rafteten bes
rübmt, bezog fein Publifum aus dem höheren Benınterte und
Cifiziersitande, und Hranjler endlich, die vornehmſte und die
Mode am meiften überfebende Aonditorei, warb wegen feiner
Eiſes und feiner vornehmen Page von der höchſten Ariftofratie
und namentlih von den Offizieren etfrig beſucht
Die Aranzleriche Slonditorei follte von allen auch politiſch
und Social das rigenartigite Schidſal haben, Wie vom Erhabe-
nen zum Lächerlichen, fo gab es eine Seit, da bei Aranzler von
varfümierten Banifler@Fis und der zarten Zimiftanae, zu Anob
laudıswurjt und Zwiebel nur ein Schritt war, Der vornehme
Lieblingeaufentbalt der Berliner Ariftofraten und Feinfchmeder
war in den Fagen der Märzrevolution zu einem Beriammiungd«
ort geworden, am dem Felbit die Eonnenbrüder nicht Fehlten
Ter „Yindenflub“ hatte fih in dem Sranzlerichen Lokale fon«
ftittiert, die wichtigite, am zahlreichiten freauentierte jener vielen
Zolfsverfjommlungen, die die Märztage arjeltigt: in der That
ein Herd Der Bewegung, der die verichiedenften Stände, felbil«
verständlich mit Ausnahme des Adels, in feine bewerten Kreiſe
son. bis ee der Polizei gelang, den „Lindenfiub" energiſch zu
fprengen und bie alles nivellierende Zeit das Stranzleriche Lokai
wieder in feine beſſeren Rechte einfekte.
Seit jenen Tagen bat die Kranzlerſche Fde zu ihrem Heit
feeilih feine derartinen inneren Wandblungen mehr erlebt. Nach⸗
dem Berlins qute Geleltihart aufs neue ihre Näume bejoarn,
um aufs neue ihren Hafiee, ihr Gefrorente und ihre Schokolade
dert zu Ichlürfen, iſt fie ihe auch treu acblichen, wenn auch, wie
jhon betont, Aranzler in unferen Tagen viel von feinem alten
Nimbus einaebüßt hat,
459
Was ihr im Innern am wechſelndem und pulfierenbem
Leben fehlt, Haben die ſchönen und aroßartigen Bilder, die die
—ãA von außen am ſich vorüberfluten jah, im reichem
abe ,
Die Eiegeseinzüge von 1866 und 1871 hat fie im Schmud
der Fahnen und grünen Sränze mitgefeiert, Preußens Siege,
Deutihlands sung und Giniaung! ie
er Könine und Haijer im feftlihen Heerzug, fie
at die Vrautfahrten zweier Ihronfolger auf
deutſchem —— an ſich vorüberziehen jchen,
aber aud) eines greijen, gebeug ·
ten Heldenhauptes, eines blut«
überftrömten Slaijermantels ift
fie Zeuge gewejen !
Sn eute an einem ber
letzten jhönen Gerbittage auf
dem ſchmalen, altmodiicden.
erhöhten Borplak vor Aranz«
lers Konditorei fit, und zu feiner Rechten
durch flimmernde, jonnendurdhträntte Herbit«
nebel den Turm des roten Haufes jhimmern
fiebt, um den jüngft fo heitze Wahlfämpie
netoft, der Iräumt ſich wohl auf
Augenblide zurüd in diefe verganger
nen Tage, und all die Phajen, die
Berlin, Preußen, Deutichland jeit SS
enen Märztagen bis zu dieſem jüng» —
en Wahlfampfe durchgemacht, und =. .—
vergegenwärtigt fi, tweld; ein treues
Spiegelbild all dieſer Phasen das Leben
an der Siranzlerede ſtets geweſen fit.
Aber zum Träumen ift am Bdieler
Stelle, zu diefer Etunde nicht lange Zeit! — Es ijt wiſchen
wei und drei Uhr mittags, und die Linden bieten bier, wo
eine der Hauptverfehrtapern der Weltitabt, die friebrichitrafte,
fie durdichneidet, ein buntes, lärmendes Bild. Vom Branden»
burger Thor ber Lommen in ftattlichen Zügen die Spazier-
nänger, täglid dieſelben Phyfiognomieen zur felben Stunde,
die im Tiergarten ihre alltäglide Promenade vor dem Diner
gemacht, dazwiſchen elegante, meint redht geſchmadlos in manie»
rierter Rate Öreenaway Manier gefleidete Kinder an der Hand
des weltbefannten Berliner „rräuleins“, Fremde, Durch Bäpeder,
Meyers Reilehandbud oder mindeftens dürch auffällig aujmert-
ames Umberbiiden nelennzeichnet, fuchen nad einer der viel»
berühmten Reitaurationen von Hiller, Julitz oder Poppenberg,
Profeijoren und Studenten eilen aus der alma mater, und nidt
„Mo it ber Eünbrer!*
JInneres der Konbltoret.
ſelten trifft man um dieſe Neit gerade an der Aratjlerede auf
die Blüte unserer Gelchrienwelt: Selmbolk. Freitichte, Mommijen
oder Tubois. Won der neuen ftattlichen Sriegdalademie in der
Dorotbeenitrahe kommt der Offizier; er lann der Verfuhung
nicht toideriichen, um birie Diittansftunde einmal wenigitens die
Linden zu ſameiden, wenn auch nicht Die elegant gelleideten
jungen Damen, denen er gerade bier, wo der Uebergang über
die Friedrichſtraße unter Umftänden fait Icbentaefährtic it, ar
troit feinen ritterliben Schub bieten darf, ihn anzögen. Die
Herren und Damen der Bühne fommen langlamen Edhrittes
aus der Probe, um ſich mit Muße im der neueften Garderobe
berwundern au laßen, und baten den Triumph, daß mander
neugierige Bagſchblick, wie auch manch jugendlich begeiftertes
Siudentenauge bealüdt auf ihnen mweitt: von der Börfe fehren
u
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460
die erften eifrigen Gruppen zurüd, die lehten Schlagworte br&
Tages auf den Lippen; beim Gafe Bauer firömt es von Be
juchern ab und zu. Dazwilden rufen Blumenverfäuferinnen
ihre frifcheften Vellchen, Beitungshändler ihre neueften Nummern
aus, neidifchen Blides den ſchmucen italieniihen Figurenttäger
mit dem ſchwarzen Strausfopf muſternd, ber
ſich mit feiner weißen Gipsware in den brau ·
nen Händen zwiſchen ihnen Platz macht.
Durch die Friedrichſtraße fommen und gehen
vom Gentralbahnhofe her Droſchken mit
Koffern und Reiſenden belaftet, eilen geſchäf ·
tige Fußgänger, die durch den Buminel»
ſchrin des Lindenpublifums fich beim Ueber
aang Über die Linden unangenehm gehemmt
fühlen. Bom Schloſſe ber, vom Parifer
Pat zurld fliegen die hübſch gebauten Ges
führte der Erſienklaſſe ⸗Droſchlen über das
glatte Asphaltpflafter, wiſchen ihnen eles
aante eigene Gquipagen, bodräderige Til»
burys von jungen Elegants geführt, Leichte
storbimagen mit Iuftigem Ponygelpann, Hof ⸗
equipagen, und mitten binburd,
> von weitem fchon durch den wehen ·
den Federbuſch des Jägers ange-
fündigt, von feiner alltäglichen |
Mittansipazierfahrt beimfehrend, |
des Haijers ehriwürbige Gejtalt, in |
feinen grauen Mantel gehüllt, nad) |
allen Seiten freundlich grüßend.
Wohl an feiner Stelle Berlins
freuzt fih in gleihem Maße, wie
arrade an der Kranzlerede das geſchäftige Treiben des inbur
ftrieflen mit dem flanierenden Behagen des eleganten Berlins; |
wohl an feiner Stelle bildet ſich ein Verfehrätonflur, der für den
aufmerfiamen Beobachter in gleihem Make ein vollbeſchriebenes
Blatt aus Berlins Tagesgeſchichte ift. |
Eine wiederum neue Variante in dem belebten Bilde ber
oberen Linden pwiſchen Friedrichſtrahße und Schloßbrüde wird ee |
geben, wenn, was nur noch eine Frage der Zeit, dad intelligent |
„Ridts leichter ala das!“
|
Zerrafle por der Kombitorei Unter den Linden. |
außgebreitete Pierdebahnneh eine feiner Tehten Hauptlüden Füllen |
und die jo notwendige Berbindung zwiſchen Nord und Süd,
zwoiichen dem Oranienburger und Haͤlleſchen Thor heritellen wird;
wenn das Ihtwanfende Gefährt des Omnibus, das jeht ala ein«
zines Bindeglied zwiſchen der Chauffteſtraße und dem Halleſchen
Thor fi wie ein fAnverfälig fortwälzgendes Ungetüm zwifchen
den eleganten Vehilels der Linden durchwindet, einer neuen
Schienenſtraße Plak gemacht haben wird.
Zur Geſchichte der Taubenpoſt.
Der ältere Plinius berichtet (Hist. nat. X 37), daß Decius |
Brutus, als Antonius ihn in Modena eingeſchloſſen hatte, feine
Depeichen durd Tauben, denen fie an die ruhe nebunden waren, |
in das Lager der Konſuln befördern lieh, wo fie richtig anlamen,
Desielben Mittels bedienten fih im niederländijchen Striege 1573
die belanerten Harlemer und 1574 die Leydener mit ficherem Er⸗
folge. Der Schotte Lithgows erzäblt in feiner Reifebeichreibung
durch Afien (5. 114), er habe eö felbft geſehen, wie in Aleppo
Fauben mit Brieffhaften, die ihnen an den Hals befeftint ge |
‘ Temperatur
Zur Geichichte der Tanbenpofl.
weien, anfamen, naddem fie 48 Etunden zuvor in Babylon,
mithin in einer Entfernung von 30 Zagerafen, ausacfogen
waren. — Ausführliche Nachrichten von der Abrihtung der Tau»
ben zum Briefpoftdienft nibt ſchon ber berühmte alte Philologe
Auftus Lipfius (Epist. p. 274) vor zweihundert Nahren und
* — in ſeiner Dissert. de jure columbarum (cap. 2,
‘Ch. 5. R. F.
2nfer Sausgarten.
Von ©. Küttig.
Die Rnranasgewädfe.
Unſere heutige Plauderei, mit jenem Wort an der Spike,
ſoll ſich nicht mit der Kultur der Frucht beihäftigen, die recht
jehr an die Kiefernzapfen unferer nordbeutihen Wälder erinnert,
aber trokdem auf den Tafeln der Reichen die feinfie Lederei dar ·
stellt und der Bowle den herrlichſten Wohlgeruch verleiht, der
und aber jofort vergeben würde, wollten wir von den Beitand-
teilen deö Bodens erzählen, in dem die Pflanze am üppigſten
wuchſt und die jhöniten Früchte erzeugt. Wohl find diefe Früchte
die in Europa Dr. Kaltihmidt in Breslau 1703 zum erjienmal
nezogen und an den kaijerlihen Hof in Wien geididt hatte,
beute überall befannt und beliebt, nachdem man in Indien fdron
lange vorher Ananaspunid und Ananaswein bereitet und ge
trunfen hatte, aber der Liebhaber, mehr noch die aufmerkfame
Yiebhaberin, die allein wir um ihre Aufmerkſamkeit bitten mödten,
wollten wir beute von jenen tropiſchen Pflanzen unterhalten,
deren Schaft ſich mit farbenprädtigen Blüten bededt, wie faum
ein anderer, deren Blätter dem Auge oft die prächtigſten Zeich-
nungen bieten und die au am fyenfier des einfaden warmen
Wohnzimmers jehr gut Damen.
Die Ananasgewädje (Bromeliacese Juss.) bilden eine
beinahe ausſchließlich dem tropiichen Amerifa anpehörende Familie
mit rojettenförmig geftellten Wlättern ohne fidytbaren Stamm,
die aber gewöhnlich jo dicht beifammen ftehen, daß fie gleichſam
als eine Wale erſcheinen, in der das Waſſer fi fammeln fann
ohne Gelegenheit zum Nbfliehen, Die Heinen Blüten mit ihren
Dedblättern bilden an dem mitten aus jener Vaſe entfteinenden
Schaft eine Aehre, die ſich in ihrer fyarbenpradt oft mehrere Monate
hält und der Pflanze ein herrliches Anfchen verleiht. Sie wachſen
in den Zroven an und unter den Bäumen, find in _erflerem
Falle alfo Schmaroher, die guch in unferen warmen Gewächt-
bäufern, hängend und an zn befeftigt, Kultiviert werben
müßten, bie man aber auch, wie mande Orchideen, in vielfad
durdlödherte Am⸗
veln oder Körbihen
pflanzen fünnte, in
denen ihre Wurzeln
einiah mit Moos
und mootartiger
Haideerde umgeben
werden. ie for-
dern in foldem
Zuflande warme
und befonders
feuchte Luft, im
Winter aber mehr
oder beinabe voll»
ftändige Troden«
beit, jedenfalls eine
von
+ 10—-150R., im
Sommer + 15 bis
ss’. Im fon.
Wintergarten, der
aber immerhin nur
für Warmhaus · Gig. 1. Billbergis Chantini,
pflanzen eingerich ·
tet fein mußle,
albfträuder aut
tönnen diefe jhmarokenden Eträuder oder
Manyung von
zur Verzierung von Baumflämmen und zur
fünftlichen Felſen verwendet werben.
Ginfacdher ift die Nultur diefer Pflanzen, auch der von
epiphptiicher Natur, in Zöpfen, wo fie in eine nabrhafte und
torere, falerige und fandige Heiderrde mit Torf und Solzloblen»
jtücten gejeht werden. Wenn man Gelegenheit Dazu hat, pilanzt
man fie während des Sommers frei in ein warmes Driftbeet mit
eben empfohlener Erbe; im Sherbit jet man fie wieder in Töpfe
Ida Barber.
und blühen viele von ihnen dann mitten im Winter.
des Wacht tums jollte man ihren zuweilen einen Guß von Dung-
wafjer reihen. Auf eins ijt aber bei der Hultur befonders zu
achten: das Wahstum der Pfanje jchlieht mit der Blüte ab
und es bilden fid unten am Stamme oft, oder vom Wurjelhals
aus, zahlreiche Seiteniprofien; man thut daher amt beiten, dis
alte Blatirojette eıniacd abzuſchneiden und wegzuwerſen; die
Scitentriebe nimmt man bis auf einen ab und ftedt fie in
jandıge Haideerde, in der fie bald Wurzeln bilden und jo ſih
zu eigenen Pitanzen geftalten; der eine beibehaltene Trieb jeht
die alte Pflanze fort und wird vorausfihtlid eher zur Blüte
tommen, al& bie jungen Stedlingspflanzen.
In diejer Familie gibt es außer der Ananas (Bromella
Ananas L.) nicht viele Nunpflanjen; auf eine möchten wir aber
aufınerffam machen, auf dm Greiienbart (Tillandsia us-
noldes L. = bartflehtenähnlide Tilandfia*). Die filberweihen
fadenförmigen Stengel diejer Eimaroperpftange, die auch ameri«
taniſches Moos genannt werben, hängen im tropijchen Amerika
mächtig fang von Nadelbolgbäumen herab und dienen zum Ver
voden don allerhand Waren, zum Ausjtopfen von Betten,
Matratzen u. f. w., und madın
die Vögel aus ihnen fih ihre
Sängenefter. Bei der ſchlauch⸗
artigen Zillandjia (Til-
landsia utrienlata L.) bilden
die * als einen Meter langen
und zehn Centimeter breiten ju⸗
ſammengefalteten Blätter einen
Schlauch in welchem ſich Regen«
waſſer ſammelt, welches den
Reiſenden in Weſtindien nicht
felten zur Stillung des Durſtes
gedient haben foll wie das in den
oben erwähnten Blätter
vajen anderer Arten.
Für den Zimmergar-
ten und den Blumenflor
der warmen Gewächthäuſer find
folgende Gattungen von großer
Bedeutung: Aechmea, Billber-
gila, Caraguata, Guzmannia,
Nidularium, Tillandsia, Vrie-
sia u. a., bon denen wir dem
geneigten beſer folgende bejonders
eınpfehlen möchten
Aechmea Veitchli, von
Kolumbia durch das Import-
aeihäft von William Bull in
Furopa eingeführt, entwidelt
Bluͤten, die in einer dichten länglihen Aehre zufammenftchen;
jebe einzelne von ihnen ift mit einem bornigen, gezähnten Ded⸗
blatt verfehen, defien leuchtend harladrote Farbe der Pflanze
zur herrlichſten Zierde gereicht; die Plütenhulsblätter an dem
unteren Zeile der Traube find ebenfalls ſchatlachrot, die oberen
weih, Die meiften Aechmeen können als Epiphyten auf mit Moos
veriehenen Holzftüden, auf Felſen u. dgl, im Warmbauje kultis
viert werden. Für allgemeine Detorationsjivede und für bie
Kultur im immer ift der Topf vorzuziehen und verlangt fie
dann guten Abzug (Zopfiderben o. dal.) und eine Erdmiſchung
von grober Haideerde, Sumpfmoos, Goljtoblen, kleinen Zopfr
ſcherben und Sand, und während der Zeit des Wachttums reidy«
lich Waſſer — wie andere Bromeliacen auch. Das im Ser
der Pflanze vom Epriten und Giehen fi ſammelnde Wafler ift
der Pitanze fehr zuträglic. i
Aehnlih ift die Aultur der angenebmen Billbergia
(Bilibergia amoena Lindl.) von Weitindien, wo fie auf faulen
Baumftämmen wählt. Die graugrünliden Blätter find linear
fangettiörmig und leicht dornartig gezähnt. Der Schaft wird
30—60 em hoch und endet in einer loderen Traube. Die Blüten
find mit lanzgettförmigen, purpurrofenroten Dedblättern verſchen,
die eigentlichen Blumen find unten blaßaelb und oben himmel»
blau. Diele Art blüht nern im Winter, ebenlo ihre Verwondten
Billbergia iridifolla Lindl., bie jmwertblätterige, Liboniana
de Jonghe, Libons Moreliana Brongn., Morels nutans
H. Wendl. die überhängende, splandida Lem. bie glänzende
Billbergia u, a. m.
Au Billbergia Chantini Carr. (Fin. 1) IM jehrgu empfehlen,
Die Blätter zeichnen ſich durd eine eigentümliche bunte Färbung
aus: fie find am Grunde filberweiß, dann dunkelgrün, beftäubt
und grauartig ober weiß geilzeift ; im übrigen find fie gezähnt, an
ber Epite kurz zufammengejonen, breit und nrazids überhängend.
Kine Jiemlich neue Vromeliacee ift die jäulenartige Nehmen
*, Tillandsia nah bem ſchwebiſchen Prolrfor Gliaa Tilanbfius,
2. 3. Linnes 1707 - 1774 Profeflor der Medizin in Mbo, der auf
feiner Weile von Etofbolm nah Finnland To Immer feefrant murbe,
daß er mie wieder auf ein Shi ging und beu Ramen Tilklande,
b b. zu Lande, annahm.
Bin. 2. Acchmes columnaris,
Trachten der Zeit.
MWührend '
461
{Aechmea columnaris Ed. Andre, Fig. 2), deren Autor fie im
Anfang des Jahres 1879 in ftolumbia (Neu-Oranada) entdeitte
und an N. Linden (jet Compagnie continentale d’Hortieu)-
ture) ‚in Gent, Belgien, einfandte, Cie erreiht eine enorme
Größe, denn die Plätter werden 1,5 m bis 2 m lang und
10—12 cm breit; fie find blutrot abwechſelnd mit grün und
violettrot; der Bliitenfchaft wird bi 2,5 m hoch und bildet eine
buramibenförmige Aehre mit zahlreichen Blüten,
deren blafgraue Kronenblätter mit farbenprädtie
gen Dedblättern verfehen find.
Bute Winterblüher find auch Guzmannia
tricolor Rz. et Parv,, die dreifar⸗
bige Guymannia, eine faum 30 em
hohe Pflanze mit zahlreichen hell ·
grünen unbewahrten Blättern, die
ziemlich aufrecht jiehen, die Blüten
zeigen verfchiedene Farben.
Nidularium fulgens Hort., das
leudtende Blütenneit, deſſen
elegant gebogenen beilgrünen Blätter eine
regelmäßige Mofette bilden und mit dunklen
‚reden geziert find; im Innern der neitartig
geformten —5* leuchten die Blätter ſchar⸗
tahrot. Dir Blütenſchaft ragt wenig über
die Blätter hinaus und zeigt bläus
lidhe Blumen mit feuriglarminroten —
Deckblãtiern. — Vriesia brachy-
stachys Rgl., die furzährige .
Brielia. wird nur 10—15 cm ”
body, blüht aber im November
bis Januar mit zweizeiligen Blüs
ten und gelb und roten Dedblät-
tern, die mit dem furzen
Schaft eine Aehre bilden, aber fid) jehr Tanne farbig erhalten.
Für die Aultur der Ananasgewädle ift ſchließlich noch
_ zu bemerfen, daß man biefe Schatienpflanzen vor brennenden
Sonnenstrahlen ſchühen muß, daf Heine Töpfe befler find als große
und dab das Verpflanzen nicht jährlich ftattzufinden braucht;
dagegen follte man ihnen, wir wiederholen das, während ber
Zeit des Wachstums jede Woche einen ſchwachen Dungguk neben.
Wenn infolge anhaltend trodener Luft und Mangel an Feudhtig-
feit an den Wurzeln ſich Schildläuſe, die role Epinne und
anderes Ungeziefer fich einitellen, fo taude man, wenn möglich,
die Pflanze zweimal in 400 R. warmes Waller. — Pflanzen,
die allyulange auf die Bildung des Blütenihaftes warten lafien,
leiden gewöhnlih an anhaltend ftarfer Feuchtigleit — man bat
ihnen die nötige Ruhezeit nicht gegönnt. Diefe lafle man einige
Zelt troden fiehen, bis der Blutenſchaft ſich erhebt, und dann
gs man wieder reidhlid, aber immer mit bis 200 R. warınem
Waſſer.
„Werden wir gleich hab'u.“
Trachten der Beit.
Bon Ida Barber.
Frühlinge und Sommermoden pflegen flet# unmerklich in«
einander Überzugehen; erftere tauden auf, lange ehe die erſten
Maitüfterl wehen, Iehtere werden wie burd; Yauberruf von den
eriten warmen Sonnenftrablen bervorgelodt, — Prangt die Natur
draußen in reichem Wiüten und Farbenſchmuge, fo wollen
unfere Schönen auch nicht zurüdftchen und, als gelte c#, mit ber
blumengeihmüdten Erde einen Wettlampf aufzunehmen, erſcheinen
fie in farbenreihen, duftigen Gewändern, von deren lichten Unter»
— ſich Roſen, Beilchen, Narciſſen und Wieſenblumen ab»
eben.
Die Hüte find oft nur eine Yufammenfehung aus fauter
Heinen Kndſochen, die aus einem leichten & Jonr Geflecht hervor-
lugen; die Echirme dedt man mit Blumen-Arabeiten, wohl audı
ganz mit Heinen Streublüten, jo daß von dem eigentlichen Stoffe
faum etwas zu fehen übrig bleibt; Handſchuhe, namentlich die
fonenannten Jardinlören, beftchen aus lauter Meinen Gpiken-
deſins, Deren einzelne Blumen in farbiger Eeide autgenäht
| find; die Salörüfchen fertigt man aus blumendurdwirften Dialine
|
|
J
Tüll. Blumen, wohin das Auge ſchaut.
Eine einfarbige Toilette ift heute faſt unmodern gu nennen;
tert man fie nit mit farbigen Stoffen, fo doch mindeitens mit
arbigen Etidereien. — Man fieht auf Tüll und leichteren
Gazeſtoff fo naturwahr ausgenähte Blumen, dak man jugreiien
mödte, fie zu pflüden. — Viel trägt man Beilhen-Girlanden
3 —— Taffet oder leichte Voile
vjen mit Kornblumen durdfäc. NRobfeibe
mit bunten Blumen-Arabesten liefert nanz
reizende Koſtüme, die ihrer, Dauerbaftigteit
wegen wohl den Vorzug vor vielen buftigen
Beige» und Grenadim-Roben beanſpruchen
Der oitindifche Bat, befannilih ein
Sommerftoff, der feit Dreennien jtets Mode»
ortifel geweſen und geblieben, wird in Dies
ſem Jahr gern in Derbindung mit Samt
verwendet,
Sig. 1 zeigt uns beifpielsmeife ein aus
— g durchſtidtem Baſt gefertigtes Kor
üm mit duntler, dem Jägchen unterichter
Samtmveite, breiter, aufen offener Samtftulpe
und hohem Samtiragen. Der Nod ift unten
durch vier handbreite in Seide aublanguel«
tierte Volantö garniert, darüber ein puffe
— =
„Ta fell dad...“
da Barber,
artig arrangierter Doppelrod, der feitwärts durch Samtroietien
erafft it. Das Yädhen hat einen überaus originellen, kleid»
janen Schnitt; die BVorderteile find bis zum dritten ſtnopf ge-
chloſſen, unterhalb desjelben durch angejchnittene Etoffbänder
die zu einer Echleife geſchlungen werden, derart brapiert, da
die Front mit wagerehten alten nededt ift; hinten Poftillone
ihoß mit Samtmaſchen. Die Aermel, oben raus einge
bilden bis zum Ellbogen bin eine Puffe und werden burd e
hanbbreit nejogenes Anſatzteil und Sami-Manidietie abgejdlofien.
Trefflich Meidend und für heikere Gommertage ſehr jmwedente
prechend. ift das in Fig. 2 |kigzierte, aus lidtgelbem olieder
geiertigte Koftim, Der u, weich, anſchmiegend, ficht fait
wie Puhleder aus und ift dod fo leicht, er fauın mehr als
durchſichtiger Bareqe aufträgt. .
Die lichte, fait firohnelbe Farbe würbe wenig leiden, hätte
man den Stoff nicht mit braunem Samt gemiſcht; aus Ickterem
ift der ſeitwärte geſchlihte Doppelrod gefertigt, der fächetartig
breite Stoffjalten hervortreten läßt; Taille und Tunigue find
Big. 2.
Reue Koſtame für Famen.
Big. 3. Fi. 1.
aus Mollleder hergeſlellt, eritere mit breiten Samtrevers, unter | und Seibeniloff gefertigten, durchweg nefaltefen leider (Fia. 4)
denen die Borderteile zuritdgcihlagen find; ein aus Ficelleſpihen
nebilveter Pat; dedt die Vordertaille und läßt fie fait wie ans
aefdinitten ericheinen. — Obſchon zeitber das engliſche „bis oben
hinauf zugenöpft* vielen Anklang gefunden, bilrfte dieſer für
die Eommertoiflete ſehr praftiiche Tailtenausihnitt einer nod
freunblicheren Aufnahme gewärtig fein. Uniere Damen find gar
nicht fo zugeknöpft“, wie fie zeifber ſchienen, weit lieber zeigen
sie fi — und wohlgeneigt, dem ſchön aewölbten, vollen
Hals bie — gebührende Bewunderung zu gönnen.
Sur menadentoifelle werden wohl nad mie vor die
oben gneiählofjenen Kleider gewählt; um fie nicht au ſchwer zu
geſtalien, verzichtet man auf da& zeither beliebte Faltengemiſch,
das nicht felten 10—12 Dieter Eich beaniprudite und jomit der
Trägerin bie Laſt auferlegte, auf Irit und Schritt genannte
Stoffntenge mit ih herum zu filhren.
hir den leichteften, well möglichft fallenloſen Aoſtümen ger
hört das im Fig. 3 gezeichnete; der fradartig geichmittene Heber«
wur bat vorn einen glalten aufgelnüpften Shurg, der das
farbige Unterkleid zur Geltung kommen läht; die ganz glatte
Taille ift feitwärts gelnöpft, wenig gepuht, das Ganze eine für
jugendliche Ericheinungen überans einfahe und praftiiche Tracht.
Mehr das elenantere Genre reprälentierend und jur feinen
Beſucht wie Geſellſchafteſolletſe geeignet, find die aus Einſah
zu denen man gern Taille und Zunique aus brodteriem Zi
oder ehemaligen Spitentüdern trägt. Der Rod befteht aus je
einem Ginfak-, einem Stoffitreifen (wagerecht), flieht unten
mit breitem Epikenplifid ab, ift à Ja paysanne gefaltet, bie
Pliffes inten auf Gummiſchnur unfihtbar aufgenäbt, fo daß
fie beim Ausſchreifen nachgeben. Derartige, aus lauter Etrelien
jufammengejchte leider geben praftiichen Damen die Mögtichteit
aus 3 oder 4 unmodernen ſtleidern eins nach ber neueſten Mode
herzuftellen, ein helleres wird zum Unterfleid verwende, ein
dunflere zu Streifen gerjhnitten, von einem dritten nimmt man
Spiken und Entredeur, zu Taille und Zuninue fann viefeicht
gar ein wertvoller Spihenſhawl Verwendung finden. — Unſet
Modell zeigt eine mit Spitzen ⸗Coquille narnierte kurze, feitwärts
nerafite Polonnaiſe mit ausgeihnittener Taille und ben jeht ſehr
beliebten halblangen, mit ESpiten-Aabot abichliekenden Wermeln
(Fig. 1-4 dem Atelier Mostowig Wien entnommen).
Mie zu Stleidern ſucht man auch zu Schirmen auffallend
viel Eriken in Verwendung. Die eleganten Puhiirme find
auf franzöftihen Goldgeſtellen aufgeleat, zum Ablndpfen ein»
gerichtel, jo dak man je zu dem betreffenden ſtleide den paſſenden
Bezug auflegen fann, der dann, wenn in lichter Farbe gehalten,
| zumeiſt nod mit einem Epihenichirm überdedt wird.
Eine Kollektion reizender Schirme, die als Typen des Neueflen
—s
in dieſem Genre gelten können, ſah man dieſer Tage bei
S. Wendum (Wien) ausgeftelt. Die Stdde, teild aus mwohl-
riechendem, cxotiſchem Veſichenholz, Bambusrohr oder Weichſel ·
Alabertoſtamt.
boly gefertigt, zeigten fein eifelierte Armringe, jo daß der Schirm
angehängt, nicht gehalten zu werden braudpt,
Die Bezüge, entweder aus ſchwerſtem Brofat, blumigem
Damafle, Satin double oder oitindiihen Baft
fertigt, reich mit Ghenillefranfen, eingeftreuten
Bougueis oder abgepaften Borbüren garniert, find
ſehr weit von jenen Duhenbformen verfdieden, bie
man gewöhnlid mit dem lanbläufigen Begriff
Schirm bezeichnet. Day. DB. Fla 5 ein großer aus
Satin double gefertigter Entoutcas, [diwarj und rot
ſchillernd, mit hohem, aebogenem Stod, der bei Berg:
dartieen gleidhyeitin als Etübe dienen fann, Fig 6
ein eleganter Loivenibirm, 16 teilig auf Goldgeſtell
mit fein ausgelegtem Goldftod, Fin. 7 ein vpraltiſcher,
zu jedem Kleide pafjender Alltag»
Ihirm, oben ſchwarz mit Uchtem
Khinefutter, der Eiod in Hufeiſen ·
form enbigend, Trie. 8 Schirm von
blumigem Damajt mit einfarbigem
Futler, das eine in Flachftich ge»
ftidte Bordbüre umgibt, ig. 9
Schirm aus Peluche -Gaze mit
eingeftidten Blumen, Fig. 10 flart
grwölbter Brofatigirm mit an«
nereigten Epiken — Molant, das
ın der Marbe bed Schirme mit
Blumen durchſtidt iſt.
Elegante Damen wiſſen, wie
iche ein Schirm die Toilelte zu
heben imftande ift und up bei
der Wahl desjelben faft jo ziem«
dh gewiffenhaft, wie bei der
cines Hules, einer Goiffure, einer
Friſur oder dergleidhen.
Wenn fhon man aus päda:
nogiihen Gründen der Anficht iſt,
daß für Kinder eigentlich keine
Mode exiftieren folte und dad ein ·
fadhite Foſtum jederzeit für fie das
Big.’ Edirm. ppedentjpredgendite wäre, laflen es
ſich unfere auf die mätterlihe Eitel ·
feit ſpekullerenden Selberkünftier
dod nicht nehmen, uns von Eailon
zu Sarfon mit neuen Modellen für unfere hoffnungsvollen Spröß»
linge zu Überrajden,
Finden wir aud eine neue Anſchaffung zroedios, jo laſſen wir
Tracıten der Zeit,
463
uns body gern zu berjelben liberreden, denn Mag und Mori
und wie die böfen und guten Buben heihen, wiflen gar fo b
7 ſchmeicheln und — jeder befferen Ueberzeugung zum Zrok —
bt fih aus dem innerfien Winkel des mütterlichen Herjens
eine Etimme vernehmen, bie da frägt: „Was wird c& denn
viel ſchaden, wern du dein Kind fein, nett und zierlid Heiden?“
Fur alle diejenigen, die diefer Stimme
gern und willig Gehör jchenten, einige
kurze Stinjen.
Die neue Mode winidt alio, dab
wir unfere Herren Söhne in lichte, blaite,
belgraue oder chamoie Hoftüme Heiden, die
Paletots Fig. 11) müffen pflichticyuldigft
vorn eine mit großen Amöpfen gejierte
Doppelfalte zeigen, zu jeder Seite drei
Falichen, oben breiten Samtfragen, ſeit ⸗
wärts mit Samt garnierie Taſchen; der
Baletot möglihh fury, faum bis zum
ſtnie reichend, läßt die aus gleichem Stofj
nefertigten —* Tuchgamaſchen bervor«
treten, die jeitwärts mit circa 15 Samt ⸗
Inöpfen geſchloſſen find.
Fia. 12 zeigt einen jungen Kar
rigen Deren in feinem neuen tegeithoff«
blauen Koftüm, vorn ganz gentie-
manlife gefnöpft mit weißer Weite,
rin. 13 den jüngeren Bruber in ber
jeht jeher beliebten Stittelform, einem
ick nearbeiteten fyaltenrod, der, dem
furjen vieredigen Adhfelftüd angeiebt,
unten durd einen Samtgurt gchal-
ten iſt
Die firma W. Deutid (Wien),
der wir biele drei Sindermodelle entnehmen, bat mit benfelben
in Wien Schule gemacht. x
Die Heinen Leuten glauben, nicht ftandesgemäß auftreten
zu können, wenn fie nicht das vorjchriftämäßige Koftilm haben. —
Ob es wohl rechi ift, Ainder ſchon mit Mobebegriffen befannt
zu maden?
Befler wäre ihnen vieleicht, fie ſtudlerten flatt berfelben
die felbit Erwachſenen jet unentwirrbaren Dehnungs ⸗ und
Schärfungszeiben oder ſonſſige Probleme, indes Müttere
meint, fie wolle auch eine Augenweide haben und ihre zmwrifele
Berfluchte Brihichtel*
Big. 0-10. Euirme
| 1os bildfhönen Kinder — und ſchon find fie ja alle, wenn man
| fie mit Dutterauam anficht — gepuht ſehen; gönnen wir ihr
b
ab findhiche Vergnügen !
(500 ıle .
464
Buchſtabenverſetzung.
Aus dem Namen eines deutſchen Königreiches follen durch
Budftabenverfehung elf Worte gebildet werden, und jwar:
1, eine Nation, 2. eine Frucht, 3. die dritte Macht im Stante,
4. eine Bezeich ⸗
nung für „rein“,
5. ein landwirt«
—— In ⸗
trument, 6. eine
Art Samin,
T. ein Ftauen ⸗
name, 8, ein Ge⸗
fäß, 9. ber Gr
genfahvon,alt*
10, ein Fluß im
zu findenden Kö.
nigreiche, 11. ein
arofer Indu⸗
ftrieort ebenda
„Sonberbar — Höäft fonberbar!*
Bas mag es fein?
Wie die Henne überm Cie,
Eikt fo mancher unermüdet
Ueber mir — jedod der Hermfte
Hat mid nimmer auögebrütet ;
Epäter erft ein Wort ihm zeigt, |
Wie ih auszjubrüten Leicht,
Kapfelräffel.
Es gilt, bad Ende von bem einen,
Den Anfang von bem nädften Wort
t um neuen Wort vereinen,
Und was man ſucht, bat man ſefort.
1. birgt eine Göttin der Griechen; 2. einen Fluß; 3, einen
Namen, befannt aus der griechifchen Miythologie; 4. einen weib ·
lichen Bornamen; 5. einen Körperteil; 6. einen Bierfüßler.
1. „Sag’ an! wer iſt denn ihr Truchſeß ?
3 an! wer iſt ihr Schent?*
„„Meine rechte Hand ift ihr Truchieh,
Meine linke tft ihr Schent.**
2. „Sag’ an! wer find die Wächter treu ?*
„„Meine Augen blau allftund,**
„Sag’ an? wer ift ihr Sänger frei?*
„„Der iſt mein roter Mund. **
3. „Eo eble Dame darf nidt fern
Bon meinem Hofe fein,
Wohlauf, drei Damen! auf, drei Herrn!
Führt fie zu mir herein!*
4. Der König ruft mit einem Mal:
N Himmel! ſeh' ich recht?
Ah hab’ verjpottet im off'nen Saal
Dein eigenes Geſchlecht.
Bon Edenhall der junge Lorb
Laßt fchmettern —8 frompetenſchall;
Gr hebt ſich an bes Tiſches Bord
Und ruft in trunf'ner Gäfte Shwall:
„Nun her mit dem Glüd von Edenhall.*
6. Tom Ehwerte fällt der junge Lord,
= in der Hand nod den Kryflall
as zeriprungene Glüd von Ebenhall.
Am Morgen irrt der Schenk allein,
Der Greis In der zjerflörten Hal’,
*
Hilbenräffel.
au, cht, di, d, e, e,e,e,e, en, en, en, en,
e, eb, eb, fr, fl, hr, h, i, im, ir, isch, isch, I, ml,
08, T, si, U, W.
Aus den obigen Buchſtaben und Buchſtabenzuſammenſiellun ·
laſſen ſich 12 Wörter bilden, welche eine befannte Stelle auß
Ehiner ergeben,
en, et,
nd, ns,
Rebus.
a3 Zum Kopf⸗Zerbrechen. 2»
Sſataufgabe.
Dei einem Touren ⸗Skat muß Vorhand mit den [genden
Karten Grand ſpielen. Pigue-Bube, Treff⸗ gehn. Sina und
König, Coeur · A, Garrenu«flönig, Dame, Reun, Ast und Sieben,
Die Karten find fo verteilt,
daß die Gegner nicht aus bem
Ehneider fommen örnen,
Was liegt im Stat und wie
ift der Gang des Epiela?
Aälfel,
Mich [hmiüdt des Künftlers Hand,
und doch zugfei
Umfang’ id} innig deine Gileber.
Ic heile Wunden, und im kuft'gen
—r
a /
—
ei
Auf weitem Meere wall id auf
und nieber,
Nimm mir den Kopf, — und
wenn ber beine fidh
Nicht fremder Weisheit blindlings
wi ergeben,
Dann, ob du aud kein Rechts⸗
j gelebrier eben,
Mit Fug und Recht dann, Freund,
erhebit du mid.
Und haft du mun verändert mir
ein Zeichen,
Werd ih zur Schale: ſuch dem
Kern darin,
Doch laß mich fleh'n, wern ich Im
Schmuck dem reihen,
Wie oftmals — von der Frucht
das beite bin.
Buchſtabenrebus.
et
äffel: Die 5 Sinne.
Edineffhes
——
erirage: ahr⸗
eit ie seifellos
afe ein Fell los.
Bablenräffel: Java,
Puppe, Anna, Zrinn,
neun, Peru, Sinn,
Streuger, rita.
Urne, Kapuſner.
Berfegrätfel: Oder:
Sildenrätfek: Rainer,
Elbe, Lineal, Juli,
Gbbe, Fünf, Philipp, .
—— „Eſche, Jacobi, Lelewel, Ggae, Romer — Reliefpfeiler,
Silsenräffel: Rheinwein. — Sildenräffel: Veitstanz, Odrau,
Maufoleum, Folgſam, Ente, Leontine, Shiller: Vom Fels
Dteer. [) Biel be find bes en Zod,
Eee Tiefe —— E Fe ie Alte
Geographiſche Aufgabe: Weiſe ſa ·
gen aus
nönsoaÄrz
—
Bram
Taıcet
[n
tatreuac
nur ——
Beide n, — Daß fie fingen an zu wandern, —
Und we un ri gm am Ende ridtig an.
MW EEE
u du ⏑
Schadhaufgabe Ar. 6
von 3. Hinhpeter in Siegen.
(Schwar;.)
ii AB cCcDE
Ei
———— — *,
Weiß.)
Weiß zieht an und feht in drei Zligen matt,
Föfung von Ar. 4
(Löfungspreisaufgabe.)
1. Dab — 42 Sal — c}:
2. Dd? — h? Bc?2 — e3:
3. 865 — 46 + Ke4 — ff), di
4. Lc4 — e?2, Dh2 — b2 malt.
Ket — f5:
. Dd2?2—12+(h2) Ris — g4, 85
‚, Df2!—fı+ Ky4 — h5:, h3
. Le& — fT7, f1 matt.
.oraars4ae
— 7
Kran, de. La? — b#
2. Dd2 — h2 Lbs — e5:
3, Dh2 — hi + Beliebig.
4.03 — ed, 5c2 — el, Dhi4 — f#: malt.
; Ke4i—r3
2, Dd? — ı2 Beliebig,
3. Dh2 — g3, f4+ Belicbip,
4. Dg3 — fi, Lot — fl, 17 matt.
Muf andere Züge entfeidel die Drohung 2. DLd2 — b2 ıc.
Föfung von ir. 5.
1, Tb6 — bR Re7? — do:
2. Tb8 — ds + K beliebig,
3, Lel — a5, h4 matt.
a er Kceti— b8:
746 - dB + K beliebig
. Lei — 12, h4 matt.
Auf andere Züge entideidel 2. Tds6 — dB ze,
un.
Fingelaufene Löfungen.
Nr wurde ferner geldft von A.O.H. in P,R, Eimsie
In Eybifubnen, €. Auhl in Gotha, &. Roſch in Fürth,
Die Yöfungspreisaufgabe (Schadaufgabe Nr, 4)
wurde richtig nelöit von: Fr. Dubbe in Noitod, v. Walter in
Wien, ©. Ejabö in Agranı, I. D. reis in Münden, ®. Aron
in Beed, Karl Tratler in Dudmweis, F. Paufner in Nürnberg,
R. Eizel in Bupweis, P. Etold in Paum i, ®., GE, Pindes
wald in Marburg in Seien, 3. ©, Botruba in Wien, iyrik
Hofmann in Münden, Dr. G. Graf Sarntheim in Innsbrud,
Schach. — Zeitgemäßes aus Küche und Hans,
Martha Sienik in Leipgig, I. Zednit in chatißg, I. Michel
in Neufladtl, 6. v. Klend in —8 —S—— in Ya
Franz Dberhaufer in Ingolftadt, Fman. ESpiref in aa >
birfen, Dr. Hermann Mets ben
per in Plön, N. Spenger
in Münden, 2. Lindner in
Leipzig, Wolfe. Scheu in
Dlmüb, F. Bergen in Stets
fin, Georg Schorn in Zaljı
burg, Gezja Vanſo in Dorn«
birn, Pehrer Winfaner in
Dornbirn, Anna Gapella in
Wien, Louis Hausvorff in
Yeipgig. (Die fe wurden
bereits den Loſern zugefandt.)
Briefwechfel.
. 9, in Fürth, Ein
Dort chrint madt ih war
N den uns neuerdings ein«
Aefandten Verſuchen bemerk:
bar, doch find diejelben für
die Oeffentlichteit nod nicht
recht geeignet.
A. in Gotha. Dan ‚ti
Dreifige mit DL edgen. "FR lomat nur daranf an, wie mon
ir«
Beifgemäßes aus Kühe und Haus.
Ton F. von Pröpper.
Vom Ginmaden.
1. Rojen-Konfitüre Dan pflüde bei trodenem, fonnie
gem Wetter, am beften wenn es tags vorher geregnet hat, von
cchten, in vollſter Blüte ftehenden Gentifolien-.Rojen, die Blumen-
blätter ab, ſchneide an jedem WBlätthen das tweißliche, bidere
ende wen und lege fie ganz loſe übereinander in ein vorher ge»
wogenes Tuch, wiege in demielben bie Blätter und nehme auf
Na kg davon I kg Zuder, ben man mit Waffer anfeu und
fangiam in einer neuen irdenen Kaſſerolle fo lange kocht. bis fi
ein Tropfen, den man milhen Daumen unb Zeigefinger ge»
nommen, beim Wuseinamderihun ber Finger, in fteife Fäden
sicht. Nun ftreue man, unter langfamem Rühren des Zuders,
die Rofenblätter hinein, ziehe es dann raid vom Feuer und
dede ch zu, loche es nad) 24 Stunden wieder auf (ed bleibt in
der Rafjerolle) umd laſſe es chenfolange wieder zugededt ſichen,
wonad der Yuderfaft dann recht flar und wie ein leichtes Gelee
fein muß, wo nidt, fo müßle c& noch einmal gekocht werden,
welches jedod; möglidft zu vermeiden ift, weil die Konfitüre,
eine der föflichiten, die es gibt, dadurch leicht ihre ſchöne Farbe
verliert. Uebung und Grfahrung müflen da eben aud das
beite thunt.
Man gibt diefe Konftlüre unter dem Namen Scherbet
gern in nur halb damit gefüllien Gefrorenen · Bechern. mit Loffel⸗
den und einem Glas Giswahler dabei, von dem man, nad) Bes
lieben, zu der Konfitüre nieht, die ſchon zu den Welten des per»
filchen Dichters Saabi, + 1291 zu Salras, befannt gewelen fein ſoll.
2. Stadelbeeren. Man nehme völlig ausgeiwadiene
aber noch ganı harte Stachelbeeren von einer großen Sorte, wiege
fie, fhneide Stiele und Blüten ab und mache mit einem recht
Steinen ſcharfen Meher, von der Blüte nad dem Stiel zu, einen
lachen Einſchnint, hole die Kerne mit einer ſpihig gu nittenen
Feder heraus, und thue jede Prere gleich in friiches Waller und
hernach zum Ablaufen auf ein Sieb; laſſe fie dann in lochenden⸗
dem Waller fo lange ziehen, bis man mit einem Slecnadelknopf
hineindrüden kann, hebe fie mit dem Schaumföffel heraus in
taltes Waſſer, gebe fie, wenn ſie darin erfaltet find, wieder auf
das Sich und danach im eine Terrine, Nun koche man auf je
I; ka Beeren 15 ke Yuder zur Perle, gleße die Hälfte davon
in ein Oefäf, lege ein Papier barauf, bis c# erfaltet ift, dede
es dann feſt zu und flelle ed beifeite: die andere Hälfte verbünne
man mit 14 1 Wajler, gebe fir ganz erfaltet über die Weeren
und bede fie zu, Am anderen Tage laffe man fie wieder auf dem
Siebe ablaufen und thue fie wieder in die Xerrine, vermilde den
abgelaufenen Saft mit dem vierten Zeil bes zurllageſtellien Yuders
und dem Safte einer halben Gitrone, laſſe «6 —— ſchaume
ed, giehe es lauwarm Über die Beeren und verfahre jo noch drei
* Digitized —
466
Zage lang, nur dak man am zweiten Tage den Eaft warn,
den britten heiß und den vierten lochend darüber giekt; am fünften
Zage endlich doche man den Saft zum Faden, gebe die Beeren
inein, laſſe fie auftodyen und gieße fie wieder in die Terrine,
18 fie ganz falt find, wo man ſie bann in die Gläſer fünt. —
Eimasmüb- 3. Johanniäbeer«-
fam, aber Gelee Man nehme drei
aud üg- | Zeile ſchöne rote und einen
lich, bejon« i Teil weihe Johannisbeeren,
ders zu fei» — — ſtreife die Beeren mit einer
nen Braten. | -—. 7 - filbernen Gabel ab, bringe fie
j ”- mit etwas Waſſer zu Feuer
und laſſe fie einigemal aufs
lochen, bis fie for ei.
find, giche fie dann auf ein
Eieb und wenn der Saft
durchgelaufen ift, wobei man
die Beeren nicht drüden darf,
fo giefe man ihn nodmals
it damit er recht Mar
wird; fode nun auf Lu kg
Saft 1, kg Zuder zu kurzem
- Faden, gebe den Eaft dazu
und lafle e# etwa eine Viertel»
ftunde lang bei fleäkigen Ub«
Ihäumen toden, worauf e&
dann Gelee fein wird, das kr
ä gut und auch deshalb zu empfe
fen ift, weil man dabei des fo läftigen Ausprefient überhoben wird.
4. Schwarze Aohannitbeer-Gelce (Gafjit-Gelece).
Wie das Iohannisbeer-Gelee, jedoch mur von ſchwarzen
Beeren und nur fünf Minuten lang gelodt. Man braudt fie
in der ſtüche meiftene nur zum Berzieren von Torten u. dergl.,
aber es ift ein ganz anuögegeichnetes Heilmittel bei Halsleiden.
Man verrübrt dazu einen Eblöffel voll von der Gelee mit I, 1
fohendem Wafier und trinkt davon den Zag über, ftet$ warın,
im ganzen etwa N, 1 für den Tag.
5. Brombeeren. Man ſuche ſchöne große, völlig ſchwarze,
—* nicht überreiſe Brombeeren aus, läutere zu jedem 1 ke
.r -
—
Berſechen wir «8 — fo...
rüdhte 3, kg Quder zu kurzem Faden, gebe die Brombeeren
nein und loche fie zuerfi langfam, wobei immer der Schaum
abgenommen werben muß, aber ja nicht darin gerührt werben
darf; hernach laſſe man fie etwas flärter kochen und wenn fie
anfangen zu finten und fein Schaum mehr vorhanden ift, fo
fie utfam außgegofien und abgelüblt in die Gläſer
gefünt. Es ift dies ein ſeht gutes Gingemadtes, welches von
manden den Himbeeren wpraasom wird unb man zieht bie
22 Sorten (J. B. Dorcefler, Wilſon's Garly, diele
chon anfangs Auguſt reifend) und mehrere andere jeht auch
häufig in den Gärten.
6. Birnen. Man Ihäle gute, mittelgroße, nicht zu reife
Birnen, ſchneide fie in ſecht Zeile und nehme auf I, kg Birnen
%5 kg geſtohenen Zuder, gebe etwas von diejem in die Einmach ·
Kafierolle, dann von den Birnen darüber, wieder Zuder, wieder
Birnen und fo fort, bis alles eingelegt iſt, worauf man es fo
—— bis drei Stunden ziehen läßt und nun auf ein juerſt ner
indes Feuer bringt, welches man aber verftärkt, ſowie der
Quder geſchmolzen it. Man füge jeht für 50 Birnen nod die
Ekale einer Gitrone, in feine, 11, cm lange Streifchen ge
fähnitten hinzu, Tode die Birnen eine halbe Stunde lang und
prefie zufeht auch den Saft der Gitrone hinein.
7. Ganze Weintrauben einzumahben. Dan nehme
volllommen reife, doch nicht überreife, ausgejuchte und ganz un«
verfehrte Trauben, binde bei jeber an das Stielchen der oberften
Beere einen Faden und hänge fie bamit, den Stiel nady unten,
in ein paflendes —— (immer nur eine Traube in ein
Glat); an den Faden mwirb ein ziveiter Faden gebunden und
diefer quer über das Glas geihlungen, jo daß die Traube frei
hängt,
Nun bereitet man den nötigen Quderfirup, auf 4 1 Wafier
immer Yy kg Qudır, den man in Meine Stüde ſchlägt und raſch
yum Rode bringt und wenn er anfängt zu fpimmen, fo gibt
man den Edynee von zwei Eiweiß hinein, wodurd jede Unreinig«
feit des Yuders in die Höhe kommt, ſchäumt jorgfältig ab und
läßt den Juder dann nochmals auffodyen und hernach falt werben,
Bon biefem Sirup nun fült man die Gläfer mit den
Srauben vol, bindet fie mit Echweinsblafe vorfihtig zu und
fiellt fie zwiichen Seu in eine Saflerolle, gießt lauwarmes Wafler
daran, läht fie fünf Minuten fang lochen und in der Hafierolle
erlalten.
Ginige folder Trauben, blaue und weiße, mit etwas von
ihrem Safte, in eine Aryftallichale gelent, neben eine hübſche und
gute Defiertihüfiel, ohne viele Mühe oder Unkoften zu verurſachen.
8. Obft obne Quder einzumachen. Man nehme dazu
reiht ſchönes, vollitändig reifes, aber doch noch feites Eteinobft,
entferne Stiele und Steine, lege es in Ginmadgläfer und floße
diefe beim Einfüllen mehrmals auf ein zufammengelegtes Tuch,
Einmachen. — Praftiiche Küchengeräte.
damit die Früchte ſich ſegen und wenn bie Gläfer ganz von find,
fo binde man fie zuerft mit Leinwand feft zu umd darüber nod
mit Ehweinäblaje und ftelle fie gl in einen Steffel, der
etwas höher als die Gläſer iſt; Fülle den Raum pwiſchen und
um bielelben mit — und gieße kaltes Waſſer bis zur halben
Höhe der Gläfer ein; bringe den Keſſel num auf ftarkes Feuer,
Dede * zu und laſſe ihn, wenn das =. * zu lochen beginnt,
ges nod 25 Minuten auf dem Feuer fichen. Eobald beim
Kochen ber Dampf zu ftart wird, entferne man den Dedel, thue
ihn beim Abſehen des Keſſels aber wieder darauf und lafje die
Gläfer im Waffer erfalten, wonach man fie herausnimmt, ab»
trodnet und an einem trodenen, kühlen, froitfreien Orte auf«
bewahrt. Sie halten fi vortrefflih und find zu Suchen und
Kompotten jchr gut. Zu letzteren giekt man den Gait ab, ver«
miſcht ihm mit dem nötigen Zuder und etwas Wafler, läßt ihn
heiß werden und gibt ihm über die Früchte, welche jelbit nicht
clocht werden bürfen; zu Kuchen gebraudt man fie gerade wie
ſche Früchte. Kirſchen und alle Sorten von Pflaumen fünnen
nad Belieben aud mit den Gteinen eingelegt werben,
. 9. Apritofen in Büchſen einzumaden. Man bal«
biere und entferne die Aprifofen, ſchäle fie aber nicht und lene
fie in die Büchſen; koche dann für jebe 1 1 haltende Büchſe
12 kg Zuder in 3 AI Wafier nur fo lange, bis ce abgejhäumt
ift und füle demit die Büdien bis einen flarfen Etroß«
balm breit vom Rande, laſſe fie zulöten und in einen Keſſel
mit fodiendem Waſſer, weldeb über die Büchſen geben muß, ge
ftellt, 15 Minuten lang kochen und im Waſſer erfalten.
Diefes ganz ausgezeichnete Eingemachte wirb meifiens als
Kompott —— lann aber auch zu Torten und Suchen gerade
wie frifde FFrüdpte gebraudpt werben und ift ganz befonders flir
Kranfe eine —— heilſame Erquidung. Es hält ſich
jahrelang, jedoch ſowie die Büchſe geöffnet worden, nicht länger
als jedes andere Slompott.
10. GetrodnetegwetihneninGognaleinzumaden.,
Man lege jehr gute getrodnete Zwetſchgen, am beiten Katharing ·
pflaumen, einen bis zwei Tage lang in gewöhnlichen weißen Wein
biß fie ganz aufgequollen find und lafie fie dann auf einem
Selher ablaufen; thue ſie nun mit Fimtitiidchen und
einigen Gewürgnelten bazwiihen, in ein Ginmacglab, niehe jo
viel feinften Cognaf darüber, daß die Früchte bebedi find, binde
das Glas zu und ſielle e& an die Senne.
. 11. Bierfrüdte-Saft. Man nehmebrei Teile Himberren,
einen Zeil recht reife Weichſellirſchen, einen Teil vote Johannis»
beeren und einen Zeil Walverbbeeren und gerbrüde fie; reibe fie
mit ber Hand durd ein feines Eieb und ftelle dieſen Saft in
einem Porzellangefäß 24 Stunden lang auf Eis oder bod an
einen falten Ort, wonach er geronnen fein wird. Nun fpanne
man eim jehr reines, geruchfreies, in kaltem Wafler ausgewaſche ·
nes und wieder gut autgeivundene® Tuch pwiſchen den Beinen
eines umgewendeten Etubles aus, ftelle ein Porzellangefäk dar«
unter und lafie den Saft durdtropfen, wonad er in halbe Flaſchen
gefüllt, aut zugepfropft und mit Bindfaden und Blaſe mod feft
zugebunden wird. Dann nehme man ein beliebiges Gefäß, thue
= den Boden derſelben drei Querfinger hoch Heu, ftelle bie
Flaſchen, nicht zu nahe zufammen, hinein und fülle die Zwiſchen ⸗
räume aud mit Deu nut aus; giehe vier Querfinger body Waſſer
binein, bringe das Gefäh aufs Feuer und lafie das Waſſer drei
Minuten lang kochen: fee c# jeht ab, dede es zu und nehme
ie Bahn nicht cher heraus, als bis das Waſſer ganz er
altet ift.
Diefer Saft wird meiften® zu Gelee (Eulg) benukt, welches
man gerade wie Rheinwein⸗Gelee bereitet, nur daß man halb
Rheinwein und halb_Dierfrüdte-Eaft dazu nimmt, welches Gelee
dab befte ift, was man in dieſer Art hat. Das Yurüdbleibende
von dem Eafte gibt, mit Zuder aufgelocht, eine pifante Marmelade.
12. Gitronen»-Girup. Dan preile aus recht fafligen,
dünnfhaligen Gitronen den Eajt und entferne forgfältig bie
Sterne; “en dann auf I, kg Eait 3, kg Auder und koche
es in einer irdenen Aaſſerolle zu einer rötlich · braunen, firupartigen
Maſſe, laſſe es erfalten, fülle e& in einen irdenen Topf und dede
es zu, wo eb ſich dann fange hält. Beim Gebrauce nimmt man
mit einem Solzlöffel, fo viel wie ein bis zwei (hlöffel in ein
Wafierglas, rühre es mit ein wenig friſchem Waſſer an, bis es
fs auflöft und fülle das Glas dann vollends mit Wafler. Es
ft ein überaus belichtes, erfrifchendes und gejundes Getränf.
Praktifhe Küchengeräte.
Patentierter Dodtabjhneider mit Reinigungs
bürfte. Gin Meiner nutlicher Haushaltungtapparat, der jur
Anftandbhaltung und Reinigung der Petroleumlampen dient und
für Rundbrenner in jeder Größe vaht. Derielbe befteht aus
einer runden Bürfte, welde oben mit 2 Heinen flählernen Mefier-
ſcheiben verjehen ift; bei der Benukung ftedt man bie Bürfte bis
an die Scheiben in das Dodtrohr hinein, und dreht nun mit
Ein Sträusschen für Pippo.
WALZER
Th. Gouvy.
Im Walzer-Tempo.
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18
ed by GOOgIG
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Fortjchung fiche III. Jahrgang Heft 11
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Don unferem Büchertifch. — Der gefiirnte Simmel im Monat Juli. 467
dem Handgriff gleichzeitig Bürfte und Nam. In folder Weile
wird ebenjo dad Dochtrohr gereinigt, wie der verfohlte Dodht
fauber abgefähnitten, und da die Dodtiuppen nicht in das Rohr
meinfallen önmen, fo wird aud) die font beim Auslöjden von
leumlampen vorhandene Erpfofionsgefahr hierdurch befeitigt.
Außerdem brennt aber die mit diefem Inſtru ·
ment forgfältig geputzie Lampe mit gleich
mäßig abgeihnittenem Docht bejonders bel
und jdön. Der Meine Apparat wird vom
— des Stönigl. Hoflieferanten E. Kohn
in Berlin SW., Leipzigeritrahe 88, zum Preije
von 50 Pf., nebft 25 Pig. Porto» und Ber-
dadungstoften, alfo zujammen 75 Pig., in
Schachtelchen verpadt, innerhalb des Deutſch ⸗
Defterreihiihen Poftverbandes portofrei ver ⸗
andt und empfiehlt es ſich zur Koflenerjparung,
iefen Betrag bei der Beitellung in deutſchen
Poitmarten beizufügen.
Vorkauer für Zahnloſe. Ein ebenio
nnreich Tonftruierter, wie in der Praris treif«
ih bewährter — im Deutihen Reiche paten ·
tierter — Apparat, bildet dieſe Maſchine that-
ſächlich einen Borfauer für Zahnlofe, indem
fie die Speiſen in ganz ſchmale Streifen zer
Patentierter Heinert, ihnen aber dennoch bie äußere form
Docht abſqneider. (üpt, jo dak fie für den Genuß appetitlich
bleiben. Die Vortaumajhbine zerfleinert auf
diefe Weile 3. B. ein belegtes Butterbrot, das auf die Platte
der Maſchint gelegt und —— wird. Man befeftint den
Apparat am Tiſche; beim Drehen der Kurbel Schneiden die Meſſer
das Butterbrot in ganz dünne Etreifen und ftreifen ſich ab,
indem fie durd die eiferne Platte hindurchgehen. Iſt die eine
Hälfte des Yutterbrots num zerfleinert, jo wird befien andere
Seite unter die Meſſer gelegt und ebenfo verfahren, jo dab bie
beiden gerfleinerten Hälften nur noch durd einen Mittelftreifen
ufammengebalten werben. In folder Weile bleibt das Butter
bes ein zufammenbängendes Ganzes und behält vollſtändig jein
äufßeres Anfehen. Die Maſchine jerſchneidet aud alle anderen
Nahrungsmittel, deögleihen Bohnen, Rüben u. ſ. w. für Hüden«
wede. Zur Grläuterung der Tonftruftiven Eintichtung diene
olgendes: An einer vierlantigen, jpiralfürmig gewundenen
Welle fihen eine größere Anzahl guter Stahlmeſſer feit und be»
tonmımen dadurd ebenfalls eine Ipiralförmige Anorbnung. Diefe
Meſſerwelle it in poei Armen des Geſtells gelagert, welches
lehtere unten mit der Borridtung zum Anſchrauben an bie
Zifchplatte veriehen ift; oben ift das Geftell plattenförmig, und
in biefe Platte find, ben Stellungen der Mefier entſprechend,
Schlitze eingefügt, fo daß die Meſſer durd den Echlik hindurch ⸗
chen fönnen und aud burdgeführt werden, ba bie Mefler
fs von unten an der Welle, nad der Spike zu einführen,
Dieler finnreih tonftruierte Apparat ift zum Preiſe von
25 Marf im Magazin des Königl, Hoflieferanten E. Cohn in
Berlin, SW. Leipzigeritraße 88, vorrätig.
Don unferem Wüchertiſch.
Kurt Mündel, ein rühriger und verftänbnisvoller Sammler
auf dem Gebiete des deutichen Vollsliedes bietet in feinen „Elſäſſi ⸗
ſchen Boltdliedern‘ (Straßburg, I. Trübner) eine wertvolle
Gabe, die zweifelsohne dazu beitragen wird, das geiftige Band
zwiichen dem Mutter und wiedergeruonnenen Tochterlande fefler
au Mmüpfen. Die Sammlung ift gewiſſermaßen ein Dofument ber
———— und des unverwüflbaren Deutſchtums und
als ſolches auch politiihe Bedeutung. — Ein „Neues Novellen»
buch für deutiche Hamilienkreife” nennt Qudwig Biemifen
feine joeben erihienene dreibändige ————— um
Tagesihluk” (Berlin, L. Simion), und wir fönnen dem then
Wamilientreife* diefelbe nit warın genug empfehlen. Belonders
die Frauenwelt wird fi von der liebenswiürdigen Ergählungsweife
und dem fittlicdhen Ernſte — den Hauptvorzüigen Biemffens — an
gezogen fühlen. — Neue deutſche Heldenbücer (Leipzig, Buch ⸗
bandlung des Bereinshaufes). Der Verjafler der „Pretenbibel*
Paftor F. Ehneider, ein Amerifaner, wibmet dem beutichen,
re dem preußiſchen Bolle einen prädtigen Aranz patriotijcher
elänge, weldye die vier großen triege feit 1740, in welchen ber
preußiſche Mar jein Reich geſchaffen und gefeftigt bat, feiern. Ele
führen uns mitten in bie Reihen der Aümpfer von Roßbach und
Olmüt, unter die Fahnen eines Blücher und Tork, auf die Wal-
flatt von Abniggrätz und in die blutigen Hämpfe bei Epihern
und Öravelotte. — Zu der immenien, jährlid wachſenden Lite
ratur Über Italien wieder ein neues Buch! Italieniſche Stizzen
von Dr. R. Shramm (Grfurt, Pr. Bartholomäus). le
unſerer gnejchägten Leſer werben nad Lefung bes Titels unver |
zöglih zur Tagesordnung übergeben, baran ift fein Zweifel,
doch verdient unſeres Erachtens
obiges Bud) einige Berudſich⸗
tigung. Verf. kennt Italien,
Sand und Leute, gründlich,
er befikt eine ſcharfe Beobach⸗
tung&gabe und vermeidet, ber
reits Geſfagtes zu wiederholen ;
8* die ohne Zweifel dem
Buche Leſer, dem Verleger
Käufer verſchaffen werben, —
Eſalas Teguérs Werte.
Ueberſehzt von G. von Leim
burg. (Leipzig,
einer). Wenn eine
Ueberfehung, wie die
der Friſhjofs · Sage, ber
reits 13 Auflagen binter
fi) bat, bedarf jelbige
an biefer Stelle fein
Wort des Lobes mehr, =
wir beichränfen uns
darauf, die fleineren
epiihen Dichtungen, en
weiche den zweiten Zeil w. «. Ober aus einem anberen Befitöpunfte.”
der MWerfe bilden und
sum Zeil zum erftenmal in beutfchem Gewande vor den Leier treten,
anerfennend zu erwähnen. „Arel“ und die „Abendmahlstinder“
aehören zu den frübften, aber aud zu ben beflen Ehöpfungen
T.s und werden fid wie bei den Landeleuten des Dichters auch
bei uns immer mehr einbürgern. Die Uebertragung Ift als völlig
nelungen zu bezeichnen, die Erläuterungen find eine ſehr danfens-
werte Belgabe. — Das „fingende Deutihland* mödten wir auf
bie von @, Erl ——— „Deutſche Liedertafel‘‘ VBerlin
Th. Chr, Fr. Enslin) hinweiſen. Die —— zwei Hefte
enthalten eine gute Auswahl von Geſängen für Männerſtimmen
erniten und heitern Gharalters. Die Volfölieder find ihrer Natur
5* einfach harmonifiert; die den Slaffitern (Haydn, Mozart,
eeihoven) entnommenen Nompofitionen find fo gewählt, dal fie
auch von Vereinen, die über geringe Stimmmittel 3. gi aud«
geführt werben fünmen. — „Gedichte“ von F. Mrittica.
Uriprünglid für einen engen Trreundentreis beftiimmt, haben bie
Meinen anſprechenden Liebchen doch den Meg in die Ochfent«
lichleit gebahnt, Den Etoff zu dem meiften berjelben gab dem
Verfafier ein ſehr inniges, zartes Verhältnis zu feiner früh ver«
ſchiedenen Gattin. Tiefes Naturempfinden und ein echt findlicher
Gotteöglaube bilden den Grundzug der Poecfieen. — Prätentidfer
auftretend, aber durdhaus wertlofer find die Wahrheit und
Dihtung‘ betitelten Gedichte von Jul. Bräfe. (Leipzig,
MR. Yinde). Daß uniere fonenannten „jungen Talente“ es nidt
lafien fönnen, uns ihre „Grftlinge” in abioluter Bolftänpigkelt
vorzuführen! Wer wird fid die übe neben, aus einem Scheffel
Spreu einzelne Abrner herautzuſuchen! — Schon in weiter
Auflage erihien dos lchte Werk des populärften Echillerbios
graphen Emil Palleste „Die Hunft des Bortragd‘ (Stutt-
nart, G, Krabbe), ein Bud, das nicht allein für Solche von
Wert if, die an eine berufsmäßige Ausbildun * Stimme
denlen müflen, ſondern jedem in wärmſter Weile empfohlen
werden kann, der nur eiwas Gewicht auf richtiges Epredhen Int.
Zudem find diefe geiftvollen Auseinanderfefungen eine wirklich
anzichende Lektüre, die ber denlende Leſer mit Befriedigung aus
der Hand legt.
Der geflirnfe Himmel im Monat Duli.*)
Aud der Monat Auli ift für die Beobadıtung bes Sternen»
immels fein günfliger Dlonat, teil wegen der furgen und
eflen Nädyte, teils weil überhaupt in diefem Monat die inter
effanteften Sternbilder nicht in bequemen Abenditunden ſichtbat
find. Mertenswert if, da in den Morgenflunden des 1. Ault
die Erbe ihre größte Entfernung von der Eonne erreidht, 151 Mil«
tionen Kilometer, genen 146 zu Anfang bes Januar. Bon ben
Planeten ift im gegenwärtigen Juli ſeht wenig zu jeben: Mer-
fur, Benus und Aupiter find ganz unſichbar Mars fanı
vielleiht noch nah Eonnenuntergang am Abenbhimmel wahr ·
enommen werden, doch ift dies wegen ber abnehmenden Hellig ⸗
heit diejeß Planeten und der Dämmerung fehr er Saturn
fommt morgens über ben öftlihen Sorizont herauf, Am 8. ift
Rollmond, am 15. lehted Viertel, am 22. Neumond
und am 29. erftes Biertel. In der Erdferne Steht der
Mond am 4,, in ber Erdnähe am 20,
*) Uuf viele Anfragen teilen wir bierburd mit. daß bie Etern
Tarte, weſche dem erſten Selt beigegehen war, aud für meuelntreiendr
Übonnenten ober Eolde, denen das Blatt abhanden gefommen if
egen Ginfendung don 20 Plennig im Briefmarten durch bie Derlags-
nblung biefer Zeitſchrift au begiehen ift.
„Dilft alles niäta!*
@3 Dex Luftige Geſellſchafter. 28
(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willfommen!)
Finen Vrumpf ausgefpielt.
In der fräntifhen Stadt €. wirkte am Gerichte ein Afjefjor
Namens Degen, der wegen feiner Grobheit nicht ſonderlich beliebt
war, Zum größten Werger ber Einwohner wurde derjelbe bei
der Organifation in demſelben Städichen zum Oberamtsrichter
befördert. Natürlid wurde von den Gonoratioren
wegen biefer Beförderung ein Kränzchen veranftaltet.
Nahdem verihiedene Reden dem neuen Oberamtd+
richter zu Ehren gehalten waren, klopfie auch ſchlleß ·
lich noch der Pfarrer an jein Glas,
um einige Worte zu ſprechen, und
— fhloß folgendermaßen: „Meine
| erren, wir fiehen jekt unter ber
| hut eineb Degen; möge er jedoch
— ungezogen bleiben wie biäher!*
v
Figenfümlihe Zumutung.
— Der Here Pfarrer tritt zum
Ulter und bat in der Eile den
7 Kragen verlehrt an, d. h. die untere
a Seite ift mad oben gefehrt. Der
Bürgermeifter, der im Rateherrn ⸗
ſtuhle nächſt dem Altare kniet, Acht
dies, winft unter heftigen Geſliku⸗
Iationen dem Meßner und bedeutet
ihm mit halblauter Stimme, doch
fo, dab es ein großer Zeil der
Andädhtigen hört: „Herr Meiner, drehen Sie dod dem Herrn
Pfarrer den tragen um.“
Bildung.
Auf dem Dorfballe: Ride: „He, Roſe, was macht'n ihre nu
eegentlih in der Stadt uff dr Bangzjohn, da lernt’ wohl näh'n
un ftrid'n un fulde Sad'n ?*
Rofe: „I du Rindvich, Bildung lern’ m’r.*
>
Xus der 5chule.
Lehrer (um Schüler): Krauſe, welches man wohl ber
Meinfte Wald in Deutjhland fein?" — Sraufe: „Der Obens
wald?* — Lehrer: „Was fält dir ein? weshalb juft der
Odenwald?" — Araufe: „Aber, Herr Lehrer, wir fingen doch
immer: Es ftand ein Baum im Odenwald!”
=
KAindermund,
Das etwa 4jährige Eöhnlein kommt eines Abends mit
feinen neuen, recht beſchmuhten Höshen nad Haufe. Da fagt
der erzliente Vater: Komm' ber, ich will dir deine Hofen aus
Hopfen!" Der Stleine erwidert aber ruhig: „Uber gelt, Bater,
ich will's zuerft abziehen?“
Kinder und Narren —.
Das Meine Brüderden war troh bes Peiflandes mehrerer
Herzte geftorben. Ganz betrübt ſagte die Meine Anna: „Nicht
wahr, liebe Mama, wenn der liebe Gott im Himmel oben
einen Heinen Engel haben will, dann ſchreibt er's dem Seren
Doltor ?*
»
Du der Malhemaliſiſtunde.
Lehrer: „Was ift ein Puntt ?*
Schüler: „Ein Punkt iſt ein Winkel, dem die Schenkel auß«
gerifien find, * S
AUeberrafdiung.
Lieutenant: „Nein, meine Meine Ehwägerin, danke, id efle
feine ſchwarzen Beeren, fie machen garflige Zähne, *
Kleine: Thun Sie dieje nur Becher heraud, wie Ihre Emilie!*
Foriſchritt.
Emma: „Geht ed denn mit dem Cyankali ſchneller in den
Tod, wie mit Blaufäure, Papa?*
wiß —— „Du Schulfratz, zu was brauchſt du denn das zu
en “
Emma: „Nun? Sann id nit au einmal zu einer uns
glüdlicden Liebe tommen?*
Mein Aneipbruder.
Ih hab’ 'nen Rneiplumpanen,
Der treu mir zugetban,
Will ich gu meipen enden,
Gleich fängt er wieder an,
ührt meine Hand zum Glafe,
Subn meine 8 jum ſterug
28 mein Herr tamerade!*
Der Kerl kriegt nie genug.
So trinken wir früh am Morgen,
So trinfen wir abends ſpat,
Denn nie verläßt mich der Wad're:
Der Durft, mein Ramerad!
2
Wahre Klage.
* Mann: „Ad, mein Schwiegervater — ad, mein Schwieger-
er “
Nachbar: „Was jammern Sie denn fo? Der ift ja nit
geftorben, fonbern Ihre Frau,*
Mann: „Das ift's ja eben — von wen lebe idy denn jet?“
v
Gut gemeint.
Magd: „Warum bohnſt denn gar fo fein und ſpiegelblant,
früher war der Parkettboden doch auch redht.*
Diener: „Ih mödht', dab die Gnadige den Fuß bridt, dann
kann j’ mir nimmer überall nachgehen.“
5
Das Sheparlament.
Die Ehe ift ein Parlament,
Wo heiker Wortftreit oft entbrennt.
eg Bären treten in Erſcheinung.
häufig ganz verſchiedner Meinung;
Des Streits Ergebnis pflegt zu fein:
ter Nein! dort Jal — Hier Ja! dort Nein!...
is enblih „Schluß“!
Perlangt ein Huf.
Beim Finfeifen.
Barbier: „Zi denn wirklich die Lage jo kritiſch, Uenz?*
Beh Fon Eie 7 Rdn allge
Barbier: „Wie das Grab, Excellenz, das liegt in unferem
Beruf. O, ih lann ſchweigen!“
Diplomat: „Id auch!*
v
Aeber das Gedankenerraten.
mit Recht Hat fich die allgemeine Aufmerffamkeit auf jenen
Engländer Gumberland gerichtet, dem es fheinbar gelungen, un«
mittelbar in die Seele eines anderen ſich zu verſehen.
Der Schreiber diefes, der auf genannten Felde eine lange
jährige Praris hinter ſich bat, kann fih rühmen, imitande zu
fein, jedes einzelnen Gedanken 5. B. beim Leſen diefer wenigen
Zeilen zu erraten.
Es ift wohl nidt wahriheinlih, überhaupt faum plaubli,
daß irgend jemand einem Menſchen auf den Grund feiner Seele
ſchauen fönnte, ohne ihn je geliehen oder geſprochen zu haben. Wenn
man aber bebenft, dak im Grunde genommen alle menſchlichen
Seelen harmonieren, jo wird Feiner der geehrten Leſer wohl leug ·
i
Smei Udreffen. — Salon-Magie,
Jeht haben Sie gedacht, es geht weiter. Nicht wahr?
wei Adreſſen.
Die Untenntnis fremder Sprachen hat ſchon zu manchen Miß ·
verftändniffen geführt, Ergößlicye Proben davon finden fi auch in
den nadhftehenden Abbildungen ziveier Adreflen. Der Schreiber der
einem bat das „Erjuht Sie ergebenfl” eines Memorandums
als Titel oder Zeil des Namens Parey angefeben, während ber
englilhe Korreipondent offenbar das „Datum des Rojte
ftempels* für eine Straße in Berlin hielt,
Salon: Magie.
Von Hlexander,
Drei Scherge. Ein Spafvogel behauptete eine Brille zu
befiten,, deren Glaͤſer ſelbſt bei Pamıpenficht die Wirkung eines
Brennglafes bervorbrädten. Dies zu beweifen, nahm er ein
Zeitungsblatt in die finfe Hand, in die redte die Prille, ließ
burd eines der Gläſer das Lampenlicht auf dem Papiere reflel-
tieren, glei wie man den Fokus eines Prennglafes fucht, und
fiehe, nad einigen Aırgenbliden geriet die Zeitung in Brand.
Dat Geheimnis beftand darin, dak der Selm eine Giparre
tauchte, bie er mit dem brennenden Ende unbemerkt und ge
Ihidt hinter die Zeitung su Halten verftand und diefe damit
entzündete,
Der zweite Scherz. Derfelbe Ken behauptete feinen Gut
vom Kopfe blafen zu fönnen. Gr ehte benfelben auf, doch jo,
dab er etwas nad Hinten neihoben war, machte verſchiedene
Blasanfirengungen, big eudlich in ber hat der Hut ſich empor«
hob und vom Fopfe fiel.
Auflöfung: Bei den verſchiedenen Kopfbewegungen, bie er
marhte, ſchob er die Srempe feines Hutes elwas hinler den
Rodfragen, bewegte den Kopf Ianglam riücwärts und vrranlaßte
daburd, daß der Hut ſich emporhob.
Im Degriff ſich zu entfernen, fchrte er, denn Kopf mit denn
gu bebedi zurüd und flellte nod) einen dritter Scherz in Aus⸗
&t, indem er erflärte, den Rauch einer Gigarre herunterſchluden
und benfelben durch den Fopf wieder ausftrömen laſſen zu wollen.
Er blies nun beim Rauchen die Paden auf, als ob er den
anzen Mund mit Raud gefüllt babe, ſchludte denſelben ans
fheinend herunter, blies aledanı bei geſchloſſenem Munde einige»
male durch die Nafe, bob den Hut einbor md Jeigte eine Dienge
vorhandenen Rauches in demielben.
* Dal. p. 119 bed I. Banbıs dieſth Jahrgangs.
OLE DE LÄ
ae 5 Rue Jacob; 26, à Paris‘
MAISON RUST
469
Auflöfung: Nach Beendigung des vorhergehenden eg
hatte er beim Umdrehen geichidt eiıten Augenblid benupt, eine
Menge Rauch in den Hut zu blafen,
ehe er denjelben Nieder auffekte,
Nahahmung einch Gewit—
terd, An dem einen Ende einer fünf
bis fchs Fuß langen, etwas rauhen
Hanfſchnur oder Bindfaden, bringe eine
Schlinge am und lege biefe jo um ben
Kopf eines vor dir Sikenden, daß befjen
beide Ohren in der Mitte von der Schnur
berührt werden, worauf er diefelben mit
den flachen Händen bededen muß. Ald«
dann trete vor ihn bin, erareife mit
der Iinfen Hand die herabhängende
Schnur, ziehe diefelbe leiſe eiwas jtraff
an und fahre nun mit dem Zeigefinger
und Daumen der rechten Hand — zu
dir gewandt —, anfangs langlam und
feije, dann etwas heftiger über bie
Schnur bin. Der Betreffende
wird jofort ein Geräufd, wie
von einem in der Ferne rollen«
den Donner wahrnehmen, ber
nun durch rajcheres und rud« |
weljes Weitergehen, — wobei jufekt auch Die
Nägel der Finger, die Über die Schnur kratzend himwegges
führt werden, eine
befondere Rolle
fpielen, — in fold
bedeutendem Maße
verftärkt wird,
det a on En
n aller igfeit
fi ——
Gewitter glauben
folte, An äbn-
licher Meile fügt
fid)
Ein Gloden-
seläutenahah-
men, wenn man
von vorm um bie
Spiten der beiden
Zeigefinger bie En»
den einer jwei bis
drei Fuß langen
Schnut windet, an
biefe in der Mitte
ein Steheifen, eiſer ·
ne Kohlenſchaufel
oder deral. hängt,
die beiden Finger
mil der Ehnur in
die Ohren drüdt,
ſich vornüber beugt
und den metallenen
Gegenſtand an
% einen Stuhl ſchla⸗
gen Läkt. Je nad) Art des angehängten Geaenflandes wird man
altdann ein nicht unangenehmer, Icheinbares Glodengeläute wahr»
nehmen, Gine andere Gehörtäufhung ift
Die Rachahmung einet Sturmmwindes, Rimm ein
Kartenblatt, begib did mit demfelben in bie Mähe eines yenfters,
etwas abgefondert von der übrigen Befellihaft, welde erfucht
wird, fi möglichft fin und ruhig zu verhalten. Swedmähig
ift e&, zur Seit das Zimmer in Halbdunfel zu verfehen, Führe
nun die fharfe Kante des Startenblattes genen den Mund und
beginne zuerft langſam und feife auf basfelbe zu blafen, al«
mahlich verſchärfe in pfeifenber Meife den Ton, ab und zu
nadlafjend, dann wieber beitiner, gleichwie zur Zeit eines
—— ſich das eigentuͤmliche, nicht weiter au beichreibende
eränfcd im einer freiligenden Wohnung unierem Gehöre ber
merlbar macht. Imrdmäßig wird e3 fein, ſich die Sacht vorher
etwas einzuiben Mit der gehörigen Modulation außdgeführt,
bringt biefer Meine Scherz eine effeftreiche Wirkung hervor.
Bei dieſer Gelegenheit wollen wir nod einer akuſtiſchen
Spielerei gedenken, die jwar nich neu, aber intereffant genug
ift, bier noch Grwähnung zu finden, und welde vielleicht auch
manchen Leſer nicht befannt jein möchte. Ge i
Das Telephon im feiner urfprüngliden Form,
welches, trohz feiner erreichten Vervollommnung durch die An
wendung der Gleftricität, — weburd es fozufagen abgethan
it, — Immerhin nod für den eine Bedeutung bat, der «8
richtig zu verwenden verfieht, zumal die Herfiellung eine
außerft einfadhe iR, — Man verfertigt fi atwei cylinderartige
„Edön 'raus!“
Na EEE
470 | Salon-Magie.
Näfiden, aus möglihit hartem, „=
ſeſten Narton oder ‘Pappe, Er,
cirea drei Zoll body und
zwei Zoll im Ducdhimeiler, '
deren Boden entweder...‘ *
aus gleichen Mas,”
terial oder aus „7
EA Zu
einem dbün, .-,". . RN,
nen Pat. % 532*
2 * —
ſelben, den Meinen Zeiger, — der in der Regel unter dem großen Liegt, —
abzunehmen und ftatt feiner einen anderen, g aufzu»
ſehen, der jedoch von dem abgenommenen Heinen Zeiger baburd
unterjcheidet, daß die Oefinung, mit welcher er auf den 5*— des
Zeigers aufgeleht wird, jo groß ift, daß er ſich frei und um
> feine Achſe bewegt und fo, daß, wenn du bie Uhr vertifal
> der Zeiger immer abwärts hängt. Bewahre den alten Beiger
"at. auf, damit der Uhrmacher dir denfelben zu jeber Zeit dem
#*, anderen vertaufchen kann, woburd die Uhr wiederum voll
EN dienfttauglic wird. Nachdem alfo die obi
o — —* De — * *3 Uebung, —
— ohne dak du auf die Uhr ſiehſt, — den augen
N Id pfitih auf jede Stunde zeigen zu laffen, «6 nur
X darauf an, daß du die Ühr verittal richtig Hältft, wobei
natürlich das Zilferblatt dir einftweilen 5
muß. Wünſcht h B. jemand, daß der Usr
x\ anzeige, jo baft du die Uhr fo zu halten, daß ber
t- Knopf derielben im rechten Winlel mit der 6
N Steht. Soll der Zeiger 9 Uhr angeben, jo du
Die Uhr im der entgegengejekten Rich
6 Uhr gewünſcht, jo hältit du den der
Uhr gerade aufrecht und rt, wenn
12 Uhr verlangt wird. Der Zeiger wird
oljo, da er loder auf der hängt,
jedesmal nah unten fallen, woburd
bei Beachtung des Vorſtehenden der er⸗
, wlnfdte Ywed erreiht wird. Nur bie
3 zwijcden Den obigen —— Yablen
m madıen etwas Schwierigfeit, es
einige Uebung erfordert, die Uhr
i entiprehend richtig zu halten. Da
za, muß man ſich jebod dadurch zu
hen Er | 5—
—* er \ I —
Mitte die
- “+ helfen wifien, daß man, fo
ſer Böden X P® N. Pin a eine dieſer Stunden ver
werden bie EN 7 wird, ſich mit einem Bid auf
Enden eimet N. NN > ⸗ die Uhr überzeugt, ob ber
Zeiger die richtige Lage an»
genommen bat, wo nicht
jo wird man leicht nod)
die Uhr, che man fie
eigt, fopiel weiter jur
N, Exite neigen füne
NE nen, daß der Beie
AN = \ ger den erwünjde
Ne NA ten Pletz em
20-40 Fuß lang
befeltint. Sind
nun, 3. B. in jwei
negenüberliegenden
Hauſern, in der ent»
ſprechenden Entfernung,
die beiden am Ende
der Schnur beſindlichen
innen Schnur 4 sun nn < Ki
Käfdhen vorbanden, To ‚ hält, Der größe
fann man mittels derjelben in te Gffeft wird
aller Bequemlichkeit eine Unter · “ NX dedoch dann
haltung führen, indem, wäh · = N erft hervor⸗
rend der eine in den Gylinder
ſpricht, der andere denfelben an
fein Obr hält. Immerhin iſt es
eine ae rn die im 8 fr {
nejeligen Streife, 3. B. bei einem \
Frage und Antwortipiel manderlei - 2,2
Sioff zur be) N
gebracht,
‚wenn
Unterbals u N
iR tung geben \” 2.5
Rn tann eo 72 a *
FineUhr, EZ aa N‘ * —50
die auf —— \ PETE Ne N. —* 5—. ah
Wunfd jede j *
beliebige \. a 7,
. Stunde zeiat. N .% \ RT en N
Es gibt derartige Uhren, deren . ' AR ze pie wer 8
Zeiger ſich vermittelft eines beionderen - ; . TEA ST
Mehanismus, der mit dem Anopf der
Uhr in Verbindung fcht, durd einen
Trud mit dem Finger auf jede beliebige
Stunde bewegen lafjen, 5V — ————— ———
Solche Uhren find aber 1 R u ER? ..."
teuer und nicht überall zu nn O u ‚Ale ur
haben. Dahingenen kann mn Wie N RER Geſel ·
FIR
#+
mit geringem Koitenaufiwande Mn P N * . ſchaft eine,
ſich Leicht jede Taſchenuhr jo N.bar * 2 * dem Aeuße ⸗
en. einrichten laſſen, daß man bamit a ; —2 mm nach äbn-
— ee diefelbe Wirkung bervorbringen ze. — liche Uhr beſitzt, mit
in fanı, ohne daß die Uhr dadurdı TORE: ==: Der man behauptet, das
= bejdyadigt oder zu jpäteren Gebrauch Tu = a” erwähnte Nunjtjtiid ausführen
„Zatitdeerarme Bänder - om erfien umauglıh wird. Wan wende ſich Nee ju wollen, diele aber mit der
Yreis faun #8 gar nidt Fehlen.” on einen Uhrmaächet und erſuche den a VEN. eigenen vorher geſchidt verwechſelt.
Verantwortl. Herauögeber:: m. | Spemann in Stuttgart. Redakteur: Joſeph Kürſchner ebenda.
Nahdrud, auch im Einzelnen, wird ftrafrehtlid verfolgt. — Ueberſchungerecht vorbehalten.
Drud von Gebrüder Kröner in Stuttgart.
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Weltpofl. — Inferaten:Unhang zu ‚Dom Fels zum Meer’, III. Jahrgang, Heft 10,
“ Weltpoft. &
WE Die Auflölungen zubem Preis
rätiel find fo zahlreih eingegangen,
daß trogdem ein die angefehten Gren⸗
en der Weltpoft weitüberichreitenber
aum zu ihrer Aufnahme verwendet
wurde, boc nicht fämtliche unterge-
bradt werden konnten, Wir müflen
Daher die frudl. Löfer fowohl wie
eier um Entſchuldigung bitten und
auf das nächſte Heft vertröften, wo
nicht nur ber Neft der Namen —
Abdruck gebracht, ſondern auch Ant-
worten auf eingegangene Fragen er.
fedigt unb mit der tit fog. Di»
tungen fortgefahren werben foll. Für
die Getse werden wir auf eine an.
dere Art bie Auflöfungen zu notieren,
bedacht fein.
Die Nebaltion.
Die Verloofung der Preile unter den
Ginfendern eingegangener Loſungen des
Preisrätfels „Wo iſt der Sünder“ hat
folgendes Refultat gehabt:
1, Preis: Falke, „Hellas und Rom,*
Si Karle, Frankfurt a M.,
eutiche Bereinäbant.
2. Preis: Hellwald, „Die Erde und ihre
Dölter,” A. Schmidt, Baden-Baden,
Sopbienftrafe 16.
8. Preis: Mein und Thomé, „Die Erde
und ihr organifches Leben.“ H. Bech ⸗
ler, Erfurt.
4. Preis: Falle, Illuſtrierte oflüme
geihidhte der Aulturvöller.“ Frau
Ida lee, Bern,
5. Preis: Zöler, „Die Deutfhen? im
brafifianiihhen Urwald.“ Rothſtein,
Danzig, Hundegafie 54.
Fortſetzung fiebe nädflte Seiten.
«
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Weltpoft. — Inferaten:Unbang zu „Vom Fels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10.
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Mayer, Etultgart, Gaisftrafe 3.
13. Preis: Waleörode, „Stord von Nors
denthal.* Affiitent Yüpke in Epringe,
14. Preis: Deegleichen. Heinrich Jüns
nert, Narlsrube, Spitalftrahe 50,
15. Preis: Desgleihen, Stödel in No
veant:Gorny.
16. Preis: Desgleichen G. Hillgen
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Erichen, Wien, Steplerplak 8, elle und Helenen- Quelle, Wafler derielben wird im ſiets friiher Yüllung ver»
19. Preis: Aaden, „Riviera* in Pfan, fendet. — Unfragen über das Bad, Beitellungen von Wohnungen im "Badelogir-
Anfpeltor Redioft, Zeipzig, Gifte
ſtraße 20b
20. Preis: A. v. d. Linde, „Butenberg*
hanfe und Furopäifchen Bere zc. erledigt: zen
Die „Die Inspeetion der „Wildunzer Mineralquellen-Actiengesellscha
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bei Ofbrit. ; bädern. Trinkhalle für Mineralwasser aller bedeutenden Heilquellen. Pneu-
26. Preis: Drögleihen. Meta Mar matische Anstalt mit 2 Kammern ä 4 Personen. — Molkenanstait, Milchkur.
auardien, Yunden. Versandt des an Lithium reichsten Wassers der Hauptstollenquelle durch die
97. Yreis: „Raflaels Madonna de la Trinkhalle-Verwaltung. (1201)
belle Jardinitre,* %. Aahn, Ber
lin, Ierufalemerfirahe 47.
28, Preis: Deegleichen. Muſeumsgeſell ·
ſchait in Jenh
Desgleichen. Mag ſtrug.
Ihum,
Conversalionshaus mit prachtvollen Concert-, Ball-, Lese-, Restaurations- und
Gesellschafts-Sälen während des ganzen Jahres geöffnet. — Ausgezeichnetes
Kur-Orchester. — Zahlreiche Kunst enüsse jeder Art. — Jagd und Fischerel.
— Grosse Plerderennen. — Reizende * Mir Jahr und Ausflüge. — Vorzüg-
"liches Klum, — Herrliche Lage, — Mittlere Jahrestemperatur: + 7,,° R.
Weltpoft. — Inferaten-Unhang zu „Vom Sels zum Meer’, III, Jahrgang, Heft 10.
“ Weltpoft. t&
30. Preis: Bautier, „Brigitte. Radies
rung. Johann Riäter in Deutlich»
Beneichau.
31. Preis: Detgleihen. H. Barber
ding, Steinhude.
32. Preis: Debgleihen. U. Schütrte,
Braunfhmwein, Peterfilienitrahe 6.
33. Preis: Beyihlag, „Eine deutihe Braut
im 16. Nabrbundert.* Falfimilenad:
bilbung des Originale, Karl Ben
der, Mannheim litt.: 2.0.1, Nr. 8.
84. Preis: Detgleiben, Paula Schell⸗
mann, Stattowik, Grunbmanniftr. 32.
35. Preis: Desgleihen, Otto Brandt
in Alsdorf bei Nahen.
36. Preis: Desgleihen. Karl Bud,
Lubed.
37, Preis: Deeglelchen. JT. Ruthen⸗
berg, Berlin, Spandauerſtraße 59.
38. Preis: A. v. Werner, „Die Slatjer
frönung in Berjailles.* Nadbildung
* — Mar Settetorn
ey
39, Tr Deigleihen. Aarl Rihnow,
elmenborft.
40, Preis: Deegleichen. Eiſenbahn · Bau⸗
iuſpellor Müller, Magdeburg,
Bahnbofsfirake 58.
Fortſegung der Aufldfungen des Preit-
rai els „Wo ift ber Sünder?
u. ®. in M. I. G. in G. D. St. in
S., R. D. in Sch, F. M. in Ih, F.
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N. in rel 6. M. in ©, R. in
EI © nn 2,39 nA, 9 M
in 9,9. U. In ©. i
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Rehm DB, ge. End. D 6
SPFROBTAR
5 -
*
2
3
s
»
ey
Bad Landeck
Schlesien.
Bahnstationen: Glatz, Camenz, Patschkau. Seit Jahrhunderten bewährte
Schwefel-Natrinunithermen von 23150 R,, besonders angezeigt bei Frauen-
und Nervenkrankheiten, Trinkquellen, Wannen-, Bassin-, Moorbäder,
innere, äussere Douchen, Appenzeller Molkerei, Irisch-römische Bäder;
allo fremden Mineralwässer. 1400’ Seehöhe; gegen Norden und Osten durch
Höhenzüge geschützt. Klimatischer Kurort. Herrliche, ausgedehnte Wald-
promenaden dicht am Bade. — Besuch über 6000. Concert, Theater tag ·
lich, Reunions wöchentlich. — Kurzeit: 1. Mai bis Oktober. 11256)
>urhötel u. Pension Schloss Langenau.
Inschöner freierLage m gross. schattig.
Garten u. dem Cur-Park verbunden.
Curhötel und Pension Villa Bella Riva.
Von Park u. Wald umgeb. m. berrliche
Aussicht ins Gebirge und Lahntbal.
Schloss Balmoral und Villa Diana,
Elegantes Curhatis, Privat- u. Familien-
— oO hötel I.Rang. m. grossartig, Terrassen u.
Parkanlagen. Nahe d.Quellenn. Bädern.
Die genannten Etablissements empfehlen sich als vorzügl. Curauf-
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Etation der Dain-Wefer-Bahn. 46-480 G. — 20 Bade⸗Hotels mit
Haturwarme, hobfenfäurereide und | P50 Bäder, aud für Winterfuren vor»
ewöhnlide Soofbäder, falinifde trefflich eingerichtet. — Indizirt bei Gicht,
44 uellen und atkafisde Säuer- Rheumatisınus, Lähmung, Schwäche der
linge, Inbafations-Salon, ojonhaltige Verbauungsorgane, Hämorrhoiden, Res
Grapirtuft, Biegenmolke. Sommer- | onvalescen, ferualen Srantheiten. —
faifon vom 1, Biai bis 30, Septeinber, | Reigende und geſchützte Gebirgelage. Nor
boabe von Bädern aud vor beuiw, n züglie Zwildenitation für Sommerfriid-
diefer Seit. a e Ahr, ler, — EA Seren ideen Goms
fort; R ter, Theater, Reuni
Grofh. Kiel. Badedirection Bad Aanheim —— SS aaa 333
Däger. Sradtiſche Aurhaus-Gommifjton.
Bad Reinerz.
Klim.Geb.-Kurort, Brunnen-, Molken- u. Bade-Anstalt,inder
Grafsch Glatz, Pr.-Schl. Saisondauer: Anfang Mai-Ende Oktober.
Angezeigt gegen Katarrhe aller Schleimhäute, Kehlkopfleiden, chronische
Tuberkulose, Lungenemphysem, Bronchektasie, Krankheiten des Blutes: Blut-
mangel, Bleichaucht u,8.w, sowie der hysterischen und Frauenkrankheiten,
welcho daraus entstehen, Folgezustände” nach schweren und fisberhaften
Krankheiten and Wochenbetten, nerröse und allgemeine Schwäche, Neuralgien,
Skrophulose, »Kheumatismus, exsudative Gicht, konstitutionelle Syphilis.
Empfohlen für Rekonvaleszenten und sachwächliche Personen, sowie ala ange»
nehmer, durch seine reizeuden Berglandschaften bekannterSummer-Aufentkalt,
Der Schlendrian
welder oft J5 Schnupfen, Heilerfeit, Aatarth zc. die Urfadhe zu den erniteften,
fangwierigiten Orfrantungen sit, mag als Warnung bienen, bei berartigen ſich ein⸗
ftellenden Webeln ohne Zelwerluſt die Apothefer W. Bohichen Aatarrbpillen zu ger
brauchen, welche wie fin anberes Mittel den Ehnupfen alsbald befestigen und bie
wernen Katarthe binnen Aurzem im die mildeſie Form überführen, Vorräthig à
Schachtel ME. 1 in Machen: Yöwenapotbefe, Berlin: Strauß- und Finhorn-Apothefe,
Bredlau: Apotheler Dr. MWeihften, Göln: Ginbornapotbefe, Dresden: Mobren»
Apothele, Hamburg: Pbarmacie Internationale, Neuer Wal, Hannover: Yöwen»
Apotbefe, Leipzig: Engelapothefe, Münden: Roienapotbefe, oſen: NRadlauer's
Apotbelfe, Strahburg: Meilenapothefe, Etuttgart: Apotheter Reihlen & Echol,
Bien: Neuftein’s Apotbele, entf: Sauter's Apotbefe
Nur dann ächt, wenn fich auf jeder Schachtel der Namenkzug des prach, Arztes
Dr. med, Dr. med, Witilinger befindet. [1184]
Dee praktilche Gegenſtände.
Patent Rollſchußgewande weſentlich beſſer ala fogenannte
Epan, Wände Patent⸗Schieberwaage: bie einzig exiftirenbe
Waage, die ohne Gewichte von I Mramm bis 10 Nilo genau
wiegt, was bei Federwaugen unmöglih. Nafenmähmaidi-
nen mit 4 Obermefler, wodurch ftreifige® Schneiden une
möglid wird. Weurfte Betrolenmlocdherdbe, 30 Gröhen
Br von me, 5. — an, durch Warerbalfin gerudy- und gefahrlos.
" — Proſpecte gratid, —
Cheodor Stüdfer, Frankfurt a. M.
u. Erſtes Spectalgefchäft amerlkanifcher Defen. ug (1100)
Bäder von Baden
Weltpofl. — Inſeraten ⸗· Anhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10.
% Weltpoft. ¶
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iNußeietes Wisbflatt, illuftrirtes belletriftifches Eonntagsblatt,
„Mittheilungen über Pandwirthfchaft, Gartenbau u. Hauswirthfcaft“
und „Inöuftrieller Wegweifer“
wurde in Anerkennung der Reihhaltigkeit, Bielfeitigfeit und Gediegenbeit jeined Inhalts
die gelesenste nnd verbreitetste Zeitung Dentschlands.
Die Borzüige des „Berliner Tageblatt‘ beſtehen vornehmlich in Folgenden:
„zäglih zweimaliges Erfheinen alö Abend» und Morgenblatt. —
Gänzlih unabhängige, freifinnige, politifheHaltung. — Spezial»
Korrejpondenten an allen widtigen Plähen und daher rafcheite und zu»
verläffige Nachrichten ; bei bedeutenden Greianifien umfaflende Spezial-Telegramme.
— Ausführlide Aammerberihte des Ubgeordneten- und Herrenhaufes
fowie des Neihstags. — Umfafiende Handeldzeitung und Gourszettel
der Berliner Börje. — Vollſtändige Ziebungstliften der Preußiſchen und
Sächſiſchen Lotterie, fowie Ausloofungen der widhtigften Loospapiere., —
Graphiſche Wetterfarte nad telegraphiihen Mittheilungen der Deutſchen
Seewarte — Militäriſche und Sport-Nadridten. — PBerional-Ber
änderungen der Civil» und Militär-Beamten, — Ordens» Berleihbungen. —
Neihhaltige und wohlgefidhtete Taged- Neuigkeiten aus der Neichö-
bauptftabt und den Provinzen. — Anterefjante Gerichtsverhandlungen. — Theater,
Litteratur, Kunſt und Wiſſenſchaft werben im Feuilleton des „B. T.* in
ausgedehniem Mafe gepflegt, aukerdem eriheinen in demjelben
Bomane und Novellen unferer erſten Autoren.
Im dritten Quartal eriheint ein höchſt ſpannender Noman aus ber Gegen»
wart von Friedrich Friedrich unter dem Zitel: m rei’; ferner eine
reigende Novelle von H. Ehrlich unter dem Titel: er Tanymuflkant‘.
Zrob der Fülle antegenden und unterbaltenden Leleftoffes, wie folder that-
fädli von keiner anderen täglichen Zeitung Deutihlands geboten wird, beträgt
der Abonnementöpreis auf das „Perliner Tageblatt*
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ih zum Preiſe von 5 ME. 25 Pf.; für den II. und III. Monat eines Quartals
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Fülle geiſſwvoll geſchriebener Artitel, die ein treues Spiegelbild ber politiidyen, lit
terariihen und fünjtleriihen Strebungen unferer Tage darftellen. Jede neu aufs
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Tage, dem Dlontage, ericheint, verbindet die Vorzüge einer unterhaltenden und an»
tegenden Wochenſchrift mit denen einer woblinformirten, reih mit Nachrichten
aus erfter Quelle ausgeftatteten Zeitung, und fo entipriht das „Deutſche Mon-
tage-Blatt* im feiner Doppel» Natur einem entichiedenen Bedürfinih des ge-
bildeten Leſepublikums, wofür die große Verbreitung den beiten Beweis lichert.
Alle Heidspoftanftalten und Buchhandlungen nehmen Abonnements zum
Preiie von 2M. 50 Bf. pro Quartal entgegen. Brobenummern veriendet gratis
und Franco bie Erpedition des „Deutſchen Montagäblatt‘, Berlin SW.
Berliner <&>; Tageblatt
73 Tausend Abonnenten SS ' 73 Tausend Abonnenten
L * feinen 4 ET eutfehe £ efehalle“
Inferaten-Untang zu „Dom $els zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10.
“ Weltpoft. ¶
Immanuel Peutlid. Da Sie Ihrem
Namen Ehre zu machen tebt find, er ⸗
lauben Sie uns gleich deutlich zu jein und
Sie in eine Parallele mit einen gewiſſen
Inftrument zum Dreſchen zu ſehen. Wir
beantworten jede Frage wie verjproden,
einen Termin fünnen wir uns aber bei
der Anzahl der Anfragen nicht vor
f&rciben lafjen, ebenjomwenig jeder einzelnen
uns entfinten, daher auch nicht entſcheiden,
cb Ahre Alage überhaupt begründet ijt.
.$. ın B. Das ift ſchwer, es
allen redjt zu machen. Die einen wollen
die Weltpoft mitbinden lafjen, die anderen
nicht, da ift Die weit eingerichtete Einband ⸗
dede immter nod die befle, Wie Fetit ⸗
— aus weißem Papier zu entfernen
nd, wiſſen wir nicht. Stann uns einer
der freundl, Leſer eine Auslunft geben ?
m. 8 in®. Dfiengeftanden glauben
wir, daß die befle Methode, ein gutes
Gedächtnis zu erhalten, jortgeiehte Uebung
ift. Das Rungeſche Wert ift uns unbelannt,
.P. in}. Wir beantworten alles,
nur ſcheinen die Dichterlinge männlichen
und weiblichen Geſchlechiss der Rubrilk
„Unverwendbare Einfendungen” nie eine
Slides ju würdigen und body ift im jenem
GAdyen ihnen der Tiſch am eheiten gededt.
Ihre Gedichte find Meiſterwerle eines uns
reifen Dilettantisınus, feine Empfindung,
fein Gefühl für Rhythmus und Eprade —
Unfinn, nidts als Unfinn. Wenn dieſes
die DA il ang Augen“ zumege
gebraht, dann follen fie und gewogen
bleiben, Und warum mit roter Zinte?
Diefes alfo vergofiene Blut ſchreit zum
Simmel,
A. 5ch. in. Wir find doch nicht
dazu da, ben postillon d’amour zu
maden. Dab „fie* (o diefe fiest!) es
fieyt, darum jollen wir ihr Gedicht aufs
nehmen? Wenten Sie fih an die Grpe
dition, ihrem poctiihen Beilchen gebührt
tieffte Derborgenheit zwifchen all den ſchönen
Sadıen, bie in den Injeraten angeboten
werden. Was die unglüdlid Yiebenden
doch für anmahende Menſchen find:
Blümfein, ihr blüht und buitet
Vergebens,
Ich beachte ch nicht u. S. j.
Aber andere Yeute! Der Frühling fommt
rt alle Menden — warum joll er
Bernünftigen unter ihnen verfümmert
werden ?
=. in &. NAunftfaden Tann man
nit auf Entfernung faufen, am menigften
Celbilder ohne Angabe des Meilters.
Wenden Cie fid wegen des Kupferſtichs
an die Aunſthandlung von Schröder in
Berlin, wegen der Delbilder an Hoftunfts
händler Sachſe ebenda.
Bon. Prag-Eldogen. Leber die
Reiultate von Ochiheim bei Peine find
wir leider nicht unterrichtet, Vielleicht
dürfte einer unferer Abonnenten Auskunft
geben — — —
. St. in MM. bindlichen Dan
für ale, Mitteilung. An Schwe·
rem bat’s eigentlich nie gefehlt. Die Rätjel
haben wir mit beiten Dank acceptiert.
i F Geibel hat den alten Tert
benußt; feine Arben findet ſich Reue Gr»
Em Zierter repidierter Abdrud 1858
19;
I). P. in 2.
In ciner Apotbefe,
. A. in 3. Unfere Hefte ctſcheinen
ftets ſeht frübgertig, um überall hin recht⸗
zeitig zu gelangen. Das „Qufrüberideis
nen” iſt doch eine Unregelmäßigleit, die
man fi gefallen laſſen fann,
2. A. in Berjeibung flir den
Irrtum in der Schachaufgabe.
Verlangen Eie Pillen
Hötel Weimar,
us? Marienbad.
Bad Brunnthal
bei Münden, [1264]
Tiätetiiche und Wafferbeilanftalt.
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Herzil, Dirigent Dr. med. Lob.
Dr. Brehmer's Heilanltalt
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gearündet 1854, ift das ganze Jahr hin ·
durch gneöffne. Auf Wunih Proipecte
aratie umd franco. 11226]
Wei
Auf friedlichen Wege.
“ Ein Vorschlag zur I.ösung
L der socialen Frage
A von Michael Flürscheim
Bu Verl,v. Oscar Sommermeyer
Baden, 25 Bog, Preis; 2 M,,
Ei Volksausgabo M, I,
Dieses 4ul Selten starke Werk eines
bekannten Grossindustriellen beban-
delt in erschöpfender Weise die Frage
der Absatzkriseen und der Noth
des arbeitenden Volkes unter beson-
derer Beleuchtung der Judenfrage,
des Kultnrkampfs, des Soeialisten-
gesetzes etc.
jenBurg.
SI Mieter über dem Meere. Eijenbahnftation Thun. Schweiz.
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Dieruhmte Thermez windgeichühte, bodhromantiiche Page.
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Weltpoſt. — Inferaten:Unhang zu „Dom Fels zum Meer”. III. Jahrgang, Beft 10,
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sowie einer Borte, geeignet durch Aufglessen von Wasser und Wein zur
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sowohl im Sommer als im Winter, ganz besonders auf Reisen, Landpartien,
Jagden, Manövern, sowie Bällen, Concerten, Theater etc. zu empfehlen. Auf
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Weltpofl. — Inferaten: Anhang zu „Dom Sels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 10.
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[1261]
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naien, Aatadus, Eittide, Iharladırotb«
und graue Starbinäfe, Prachtfinken, Sper
bertäubchen, Cochin· China · ital, Lamotte;
und Hudan ⸗Huhner, Goldfiſche, Schlld
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Weltpoft. vð
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Mädchen und Knaben, wie für das zartere
ebenio die Leib⸗
waſche für Herren und die Bett» und Tiſch ·
wälde zc., wie die Handarbeiten in ihrem
[1237]
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Dr. Lindenmeyer, Stuttgart.
Jahrgang, Beft 10,
“ Weltpoft. ¶
zii. Sch. inE. Wir wollen fernen
Hr bei den Terminen für Einſendung ber
Öfungen mehr berüdfihtigen, wie weit
unjere Zeitſchrift in die Welt en
. BB. in ®. Mit Bezug auf die
Angabe ©. 117 ift zu adreifieren an den
Juwelier Ernft Ritter in Gotha.
A. in € Betreffs der Frage nah
einer Regel des Tarolſpiels erhalten wir
von verſchiedenen Seiten Antwort, Die
biemit danfend auittiert wird. Demnach
werben im Tarokſpiel immer nur drei Star»
ten gezählt. Wer, ob Spieler oder Part»
ner, nun eine Karte übrig behält, bat
diefe wegzugeben. In dem angeacbenen
Fall hätte Partner wie Spieler je 35, das
nennt man Gonfolation — und es verliert
immer der — —5 Spiel
F. W. Gez. Eleltrotechniſche Hoch ⸗
ſchulen exiſtieren unſeres Wiſſens —2**
noch nicht.
F. 5. in A. Schriften, welche von
Taubſtummen handeln, Lönnten wirAbnen
nennen, Zeitungen find uns dagegen nicht
belannt.
. Berliner Abonnent. Es iſt nidt
Sitte, einem Yutor von der Bedeutung des
Genannten redaltionellerjeits Vorſchriften
zu madhen, Wir vermeiden allerdings alle
politiihen Bemerkungen nad Siräften,
fönnen jie aber nit unterbrüden, wo es
der Stoff fordert.
I. in £. wünſcht die Größenmahe des
deutichen Stailers und Aronpringen zu ere
fahren. Kann jemand darüber Auskunft
erteilen ?
Unverwendbare Einfendungen
—— * 4. 3. (Nur feine Fruhlings ·
ieder mehr), M. M. ꝛ»xx. in 8.
(Ohne Gharalter ind we i du den =
gebotenen Aufjak haben wir feine Ber-
wendung, beiten foldhen fchon), B. DB.
in 3. (Ridt originell genug), &. &.:
».$.3.in®. (Die Shlange, die Sie
befingen, bat mit Ihrem Gedichte gemein,
dag ſie fih nidt aus dem Staube des
Bodens zu erheben vermag.) * =». in
. Eines der vielen ſchlechten Frühlings ·
lieder, mit denen alle Redaktionen gequält
werden:
rühling ift auf Thälern, Bergen,
onit jagt man in Thälern. Und welch
Kliches Bild:
Aus den dunklen finftern Eärgen
Blüh'n die Blümlein tet hervor.
„ins.
8. Dan os Sie wünjden,
. m den Aufſähen bes Prof,
in 4. „Nur immer langtam
voran“, alles fommt daran, aud das von
Ahnen jo geliebte Stüdchen Erbe Im
übrigen beiten Dank für die freundlide
Meinung, die Sie von uns b .
3. Ss. in &. Ihre Bitte joll gewiß
beridfichtigt werden, nur müfjen wir dar»
auf denfen, es allen Abonnenten recht zu
maden und für jeden etwas zu bringen,
Fin Kommentar zu Immermann wird in
ſtürjchners Deut. Nat.-Vitteratur erjchei»
nen. Aneldoten nicht verwendbar.
a. * in 6. in folder Artitel ift
längft in Vorbereitung. Auch Ihren an⸗
deren Wunſch werden wir zu erfüllen
ſuchen, helfen Sie uns aber auch den gemein
famen, daß wir 100009 Abonnenten ge»
winnen jollten, indie Wirklichleit überſehen.
@. * in Interlaken. Wenden Sie
&, bitte, an Stapellmeifter Reinede in
ipgig. Herzlichen Dant für die drei durch
Sie gewonnenen Abonnenten. Dem Bud
binder ift das Nötige mitgeteilt, aber Ihr
Wunſch, die Hefte gleih gebunden zu
geben, läht ſich leider nicht erfüllen.
Weltpoft. — InferatensUnhang zu „Dom Sels zum Meer”, III, Jahrgang, Beft 10.
% Weltpoft. (&
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Stuttgart, den 1. Mai 1482 ers) FA brftüßle,
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Sommerkuft rings auf grüner Welt
Schwingt am Tage den Reigen;
Ihr zu Häupten ein blaues Felt,
Unten ein Schmuck von Zweigen;
Unten die Blüten taufendfach,
Duden und flettern und hangen.
£üftchen Präufeln dem Tanze nad,
Streifen uns Haar und Wangen.
Din und her das rührt fich jo froh,
Kennt nicht Sterben noch Alter.
Frage Eibellen: warum? und: wo?
Frage: wohin? die Falter —
Fühlen ift alles im Bad des Glüds,
Plätichern und Tropfenjprüten
Und die Süße des Augenblicds
Ohne Bedeutung Nützen.
Sommerluft.
Wiegteft du je in feftliherm Saal,
Kiebfte, die fchlanfen Glieder ?
Sonne mit blendendem Flammenſtrahl
Scheint ftatt Kronen hernieder ;
Sehnſucht, in offnen Kelhen wad,
Würzet die Luft fo trübe,
Und der Dogel vorm Brautgemad;
Spielt in Klängen der £iebe.
Manchmal ruht fih das Dölfchen gut
Unter dem Regenbogen:
himmliſche Schleier mildern die Glut,
Dämpfen des Staubes Wogen.
Kommt der Abend mit fühlem Wehn, —
So; nun Schlafen fie gerne.
Still, ein Nachtlicht beim andren, ftehn
Traulicy drüber die Sterne.
Aus den Büfchen ein Nachtlied Plingt —
Liebe, die will nicht raften —
Durh das Dunkel ein Traum fich fchwingt,
In den Herzen zu gajten.
Komm zum Weiher, es winfet der Kahn —
Kiebjte, was willft du fäumen?
Sanft hingleitend die Sternenbahn
aß uns mit fingen und träumen.
Victor Blüthgen.
EB Zug
Die deuffhe Frau und die Wenſchenliebe.
Engelzungen redete und hätte
der Liebe nicht, fo wäre ich ein
| tönendes Erz oder eine klin—
gende Schelle." Wie mande
— — hjolderglühende Braut mag ſchon
dieſe erſte Strophe des Pauliniſchen hohen
Liedes, auf die Liebe ſinnend, im Herzen be—
wegt und ſich dabei in dem ſeligen Bewußt—
ſein gewiegt haben, daß es ihr gelungen ſei,
eine der wichtigſten und am lauteſten betonten
Forderungen des wahren Chriſtentums zu er—
füllen; und dennoch mag die alſo Getäuſchte
noch unendlich fern von derjenigen Liebe ge—
weſen ſein, die der Apoſtel bei der Niederſchrift
ſeines Briefes an die Korinther im Auge hatte.
Die Frau, deren Lebensaufgabe hauptſäch—
lich in der Bethätigung der Liebe beſteht, iſt
vielfach geneigt, immer, wenn von Liebe die
Rede iſt, an das Myſterium jenes ſinnlich-geiſti—
gen Gefühlsſturmes zu denken, der aus Mann
und Weib ein glückliches Paar macht, und unſere
deutſche Sprache, welche hei allem Reichtum an
Formen doch für die verſchiedenen Arten von
Liebe keine beſonderen Stammworte beſitzt, iſt
nur allzuſehr geeignet, ſie in dieſem Mißver—
ſtändnis zu beſtärken. Die Liebe, von der im
oben angeführten Verſe die Rede, iſt jene,
ohne Rückſicht auf das Geſchlecht, den Menſchen
mit dem Menſchen verbindende Agape, die
wir im Deutſchen noch am treffendſten mit dem
Worte „Nächſtenliebe“ bezeichnen. Unſer Näch—
ſter iſt jedermann, aber doch nur in dem Falle,
daß er im Sinne der Parabel vom barmherzigen
Samariter unferer Teilnahme, unferer thätigen
Hilfe bedarf. Von diefer Nächſtenliebe foll hier
nicht gehandelt werden; wir wollen vielmehr
eine dritte Seite des vieldeutigen Wortes „Liebe“
in Betracht ziehen und von jener freundlichen
Zuneigung reden, die der Menſch dem Mit:
menfhen immer und überall gewähren foll,
aleichviel ob diefer Mitmenfc der Hilfe und des
Beiftandes anderer bedarf oder nicht. Es fehlt
enn ich mit Menfchen: und mit |
uns zur Bezeichnung diefer Art von Liebe an
einem den Begriff erfhöpfenden Stammmorte,
und wir helfen uns mit einer Wortverbindung,
indem wir „Menfchenliebe” jagen. Die alten
Sprachen unterfhieden hierin ftrenger und
ihlofien eine Verwechjelung von Eros und
Agape völlig aus; dem Begriffe der Menſchen—
liebe würde caritas oder humanitas nod am
beiten entſprechen; wählten wir das griechiiche
Wort Whilanthropie, fo hätten wir nur eine
Ueberjegung von Menfchenliebe, ohne damit ein
eigenes Stammwort zu geben. Es iſt vielleicht
providentiell, daß dem Deutſchen für alle diefe
verſchiedenen Arten von Liebe nur ein einziger
Ausdruck zu Gebote jteht; vielleicht zwingt ge:
rabe dieſe Eigenart des deutihen Sprachgenius
unfere Frauen, wenn fie der Liebe ihr Herz
öffnen, gleichzeitig allen Arten von Liebe den
Einzug zu geftatten und nun nicht bloß dem
Eros, fondern auch der Agape und carita® zu
opfern, Jedenfalls ift die Hebung der praftifchen
Menjchenliebe ganz beſonders die Mufgabe der
Frauen. Die Eveljten des menjchlichen Ge:
ichledhtes werden zwar ebenfalls ſtets von Men:
ichenliebe erfüllt fein; aber der Beruf des Mannes
ift der Kampf, und diefer Kampf, der vielleicht
gerade theoretifch für eine Forderung der Men:
jchenliebe geführt wird, gejtattet oft nicht die
praftiiche Bethätigung gegen jedermann, ja, er
fann den Kämpfer fogar zwingen, hier oder da
einmal jcheinbar gegen die Menfchenliebe zu
freveln,. Für die Frau hingegen bejteht die
Verpflichtung, Menfchenliebe praktiſch zu üben,
in jo hohem Grade, daß ſich ſchon dadurch alle
jene Emancipationsbeftrebungen, welche die Frau
auf den lauten Marft des Lebens hinaus und
an die Wahlurnen hinan führen wollen, als
hinfällig und verdammenswert erweiſen. Nicht,
daß die Frau indifferent den brennendften Fra—
gen unferer Tage gegenüber jtehen foll; nein,
in ihrem Herzen joll jie, wenn fie anders eine
edle und bedeutende rau iſt, entichteden Partei
ergreifen und für den Sieg der von ihr als qut
60
472
erfannten Sache thätig mitwirken; diefe Mit:
wirkung fann aber immer nur in der Ermunte:
rung und Stärkung des fämpfenden Gatten, in
der moraliſchen Beeinfluffung des Hausgefindes,
in der Erziehung und Zeitung des heranwachſen⸗
den Geſchlechtes beſtehen; das iſt das Schladt:
feld, auf dem die Frau ihre Siege gegen bie
Feinde des Wahren, Guten und Schönen er:
fämpfen foll; verläßt fie dies Gebiet, betritt fie
gerüjtet und ftreitfüchtig die Berfammlungsfäle
und die Nednertribünen, mifcht fie fich aktiv und
unmittelbar in die Kämpfe der Männer, dann
überschreitet fie ihre Kompetenz, dann jtreift fie
— troß aller dialektiſchen Künfte und rhetori:
ſchen Phrafen eines Dumas fils, der in feinem
„Les femmes qui tuent et les femmes qui
votent* die gejunde Vernunft aufs Glatteis
führt — den Farbenſchmelz des MWeiblichen von
den Flügeln ihrer Seele — fie entabelt fi
felbft, und aus der bezaubernden Frau wird ein
abichredendes Mannmweib. Gerade die Nicht:
beteiligung am Streite der Männer und bie
alleinige Barteinahme in der Stille und Tiefe
des Herzens macht es der rau möglich, auch
über das Haupt des Gegners voll und ganz ben
Zauber echter, wahrer Menfchenliebe auszugießen
und aud) ihrerfeits jenes unvergängliche Dichter:
wort zu erfüllen:
3—
Aber mit ſanft überredender Bitte
Führen die Frauen den Scepter der Sitte
Löſchen die Zwietracht, die tobend entglüht,
Lehren die Kräfte, die feindlich ſich haſſen,
Sich in der lieblichen Form zu umfaſſen,
Und vereinen, was ewig ſich flieht.
Schon der Blick einer von Menſchenliebe
beſeelten Frau bezaubert. Dieſer Blick trifft,
wie Gottes Sonne, gleichmäßig die Gerechten
und Ungerechten. Das Auge einer menſchen—
freundlichen Frau oder Jungfrau wirft überall
Wunder: es befänftigt die wildeſten Leiden:
ſchaften, es wedt und fördert die Keime des
Guten, es kann den Verbrecher von feinen ge:
planten ſchwarzen Thaten abwenden und auf
die Mege des Heils leiten. Das Auge einer
Menſchenfreundin ijt ein Gottesfegen.
Wer hat den Handdrud eines ſolchen Weſens
gefühlt und ift nicht in den tiefjten Wurzeln
feiner phyſiſchen und fittlichen Eriftenz geheim:
nisvoll und wunderbar erfchüttert worden? Nicht
jene prüden Salonpuppen, die dem Grüßenden
nur die Fingerjpigen einer apathifchen, musfel:
ichlaffen Hand gewähren, nähren die Opfer:
Die deutfche Frau und die Menfchenliebe.
flamme der Menjchenliebe im Herzen; das Weib,
deſſen Stirn von der caritas gefüßt wurde, fo
daß fie wie von einem Heiligenfcheine umgeben
leuchtet, bietet dir in einem ftummen Händedrud
ihr ganzes, voll pulfierendes Herz; wer nur
darauf merfen will, der wird bald aus der Art
und Weife, wie ihm eine Frau den Drud ber
grüßenden Hand erwidert, erfennen, wes Geiſtes
Kind fie ift!
Das Wort der menfchenfreundlichen Frau
fchmeichelt fich wie Mufif in unfere Ohren; es
ift ein Balfam, der fchmerzitillend jede Munde
ſchließt; es bringt wie eine frohe Botfchaft des
Friedens jeden Zwiefpalt und jeden Kampf zum
Schweigen; felbjt da, wo eine foldhe Frau in
gebotener Auflehnung gegen die Lüge, mutig
und rüdhaltlos für die Wahrheit einzutreten
gezwungen ift, wird ihr Wort nicht wie ein
Schwert, fondern wie ein Mutterfegen wirken.
Ein kämpfendes Weib iſt für und Deutſche eine
eontradictio in adjecto, ein durch das Eigen:
ſchaftswort gejetter Widerſpruch. Wohl be:
wundern wir das altgermanifche Weib, das dem
Manne in die männermorbdende Schlacht folgte
und fich gelegentlih vom Wagen herab an der
Abwehr des in die Magenburg einbrechenden
Feindes beteiligte; wohl fühlen wir ung ergriffen,
wenn wir der fpanifchen Weiber gedenken, die
bei der heldenmütigen Verteidigung Saragofjas
gegen die belagernden Franzoſen mit auf den
Wällen ftanden und durd) ihr Beifpiel die Gatten
und Söhne entflammten; aber am überzeugtejten
und mit volljter Hingabe unferes beiftimmenden
Herzens preifen wir doch das deutſche Weib, das
für die Befreiung des Vaterlandes den einzigen
Sohn, den e3 unter dem Herzen getragen, dahin:
gibt und zu diefer Gabe den leßten irdijchen
Befit, den Trauring und das blonde Haupthaar,
fügt. Und will das deutfche Weib ſich ſonſt noch
aktiv, außer durch Gebete und Segenswünjde,
am Schute des häuslichen Herdes beteiligen, jo
wird fie die Kranken und Verwundeten pflegen
helfen, aber fie wird dies nicht im Sinne der
Altgermanin oder der Spanterin thun, die dabei
dem blutenden Feinde vollends den Garaus
machte, fondern fie wird am Lager des Freundes
und Feindes in gleiher Menjchenliebe falten
und allen Stehen ohne Unterſchied die linde
Hand auf die Wunde legen. Daher will es und
bedünken, als ob ein edles Weib, das einer
Männer:Berfammlung zu politiihen Zwecken
beiwohnt, ſchon nicht mehr am rechten Plate
Die deutſche frau und die Menfchenliebe.
fei; jeder Vortrag, der im Intereſſe einer poli-
tiſchen Frage gehalten wird, ift ein Kampf, oft
ein blutigerer Kampf, als der mit dem Schwerte;
gilt e doch oft, die bewußte Züge, die unver:
ſchämteſte Heuchelei, die Albernheit und Ber:
leumdung zu entlarven und zu züchtigen; das
ift aber Männerwerf, und wenn es aud) ber ge:
ſchickteſte und zungenfertigſte Redner verrichtet,
nicht ziemt es der menſchenliebenden Frau, zu
ſeinen Füßen unter den Hörern zu ſitzen, denn
die echte Frau ſoll nicht richten und nicht ver—
dammen. In der Stille ihres Kämmerleins mag
ſie für den Sieg der von ihr als recht erkannten
Sache beten; aber draußen auf dem Markte ſoll
die Majeſtät der Frau wie jede Majeſtät über
den Parteien ſtehen, und auch die Feinde lieben.
Wenn je ein gerade für Frauen beherzigens—
wertes Wort geſagt worden iſt, ſo iſt es der
Ausſpruch des Menſchenſohnes: „Liebet eure
Feinde, ſo wird euer Lohn groß ſein, und ihr
werdet Kinder des Allerhöchſten ſein. Seid
barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig iſt.
Richtet nicht, ſo werdet auch ihr nicht gerichtet.
Verdammet nicht, ſo werdet auch ihr nicht ver—
dammet. Vergebet, ſo wird euch vergeben. Ein
voll gedrückt, gerüttelt und überflüſſig Maß
wird man in euren Schoß geben; denn eben mit
dem Maße, da ihr mit meſſet, wird man euch
wieder meſſen.“
Wahrhaft ſchön iſt nur die menſchenfreund—
liche Frau. Sie iſt im höchſten Sinne das irdiſche
Ebenbild Gottes; ſchon durch ihre bloße Erſchei—
nung, aber mehr noch durch Wort und Weſen
mahnt ſie an des Schöpfers Größe, Güte und
Erbarmung. Es gibt vortreffliche Frauen; aber
ein Zug richtender Strenge, die der Menſchen—
liebe feindlich iſt, läßt fie nicht zur vollen Ent:
faltung weiblider Schönheit gelangen. Cine
treu ſchaltende Frau, die ihren Gatten und ihre
Kinder herzlich liebt, die auch für ihre Armen
jederzeit ein paar Brofamen vom Tiſche fallen
läßt, aber dem vorübergehenden Fremden nur
einen falten, ſtolzen Blid gönnt, hat ihre Liebes:
miffton nicht begriffen und ift weit entfernt
von der Kindjchaft Gottes. Die Liebe, welche
alle Geſchöpfe mit gleicher Wärme umfaßt, führt
auf ihrer höchſten Stufe zur gänzlichen Selbit:
entäußerung, zur vollen Hingabe des Ichs an die
Menfchheit und dadurch zur einzigmöglichen,
irdiichen GSeligfeit. Und in den gefegneten
Stunden, wo ein Meib ihr Sonderweſen im
Liebesdienite der Menfchheit aufgibt, wo fie ala
473
Individuum fih verliert in der Allgemeinheit
ihrer Mitgefchöpfe, wird ihr ein Wunder mwiber:
fahren, das fie überfchwenglich entfchädigen wird
für die fleinen Opfer und Mühen, denen fie
fich als Priefterin der Menfchenliebe unterziehen
mußte.
Mit diefem Wunder hat es folgende Be:
wandtnis. Bekanntlich hat noch fein Menfchen:
auge Gott erjchaut, und der fpefulierenden Ver:
nunft ift es noch nie gelungen, Gott zu erfennen
und zu definieren ; nur im Wege des Glaubens
fönnen wir uns Gott nähern, und nur dem
Glauben entnehmen wir die Beweisgründe für
Gottes Dafein und Wirken; man hat daher Gott
eine dem Denken abgewandte Seite genannt,
im Hinblid aufden Mond, deſſen eine Seite wir
nie zu fehen befommen, von deren Eriftenz wir
gleichwohl feft überzeugt find. Diefes Gleich:
nis hinkt wie alle Gleichniffe; ja, es hinkt fogar
auf beiden Füßen; wollen wir es aber einmal
gelten lafjen, fo mag es hier durch einen neuen
Hehnlichkeitspunft geftügt werden, den ich aus
meinem Eigenen hinzufüge. Die äußerften Teile
derunsabgewandten Mondfeite unterliegen, wie
uns der Ajtronom lehrt und der Augenſchein be:
fundet, einem periodischen Sichtbarwerden und
Miederverfhwinden, und diefe Eigentümlichkeit
des Mondes wird feine Libration genannt.
Nun bietet auch jene dem Denken abgewandte
Seite, die wir Gott nennen, das wunderbare
Phänomen der Libration, indem Gott für
das innere Auge des Jüngers der Menfchenliebe
zeitweife den Schleier der Verborgenheit Tüftet
und wenigjtens den Saum feines ftrahlenden
Gewandes fihhtbar werben läßt. Nur ber all:
gemeinen Menjchenliebe geht in ſchönen, feligen
Stunden die unumftößlihe Gewißheit von der
Eriftenz eines lebendigen, allmächtig waltenden
Gottes auf, eine Gewißheit, die feines logischen,
dem Arfenale der fpefulierenden Vernunft ent:
nommenen Bemweijes mehr bedarf, fondern ſich
gewiſſermaßen anſchaulich dem geiftigen Auge
offenbart. Nur für den an Menfchenliebe Reichen
vollzieht fich diefes Wunder ; nur ihm ſchwinden
alle Zweifel, die ein fubtiler Bantheismus und
Atheismus zu erregen weiß, wie Nebel vor dem
Kuſſe der Sonne; nur er kann jubelnd und er:
löſt wiſſen und befennen: ja, es lebt ein Gott,
und ich fühle feinen wunderbaren und befeligen-
den Atem!
So führt die wahre allgemeine Menſchen—
liebe allein zur Gottesliebe und fo zur völligen
474
Erfüllung der höchſten Neligiontgebote. Mit
Recht fragt die Schrift: Wer die Menjchen nicht
liebt, die er doch fieht, wie kann er Gott lieben,
ben er nicht ficht? Für die Frau, welche meint,
durch Gatten: und Kinderliebe den höchſten An:
forderungen gerecht zu werden, gilt das andere
Wort der Schrift: „So ihr liebet, die euch
lieben, was Dankes habt ihr davon? Denn die
Sünder lieben auch ihre Liebhaber.“ Wenn alle
Wege nad) Rom führen, fo führt doc nur ein
einziger Weg zu Gott: die Menſchenliebe; und
dieſe Menfchenliebe in des Mortes erfchöpfender
Bedeutung, die uns das Nichten und Verdam:
men verwehrt, madjt uns aud) das Unmögliche
möglich: das Lieben des Feindes. Diefe fchein-
bare Paradorie ijt ein Stein des Anftoßes für
jeden, der nicht in die Tiefen des chriftlichen
Grundgedankens zu bliden vermochte. Auerbad)
hat 3. B. in einer feiner legten und ebeljten
Gaben diefe Forderung als unausführbar be:
mängelt und die Anficht ausgeſprochen, daß fie
wahrſcheinlich auf der Verftümmelung und Ent:
ftellung eines anderen Ausſpruches aus dem
Munde des Gottmenfhen beruhe, denn man
fönne wohl feinen Feinden vergeben, fie aber
nimmermehr lieben. Ich muß gejtehen, daß
mich diefe Auffafiung eines fo feinen, ſpinoziſtiſch
geihulten Kopfes wahrhaft überraſcht hat, da
gerade die Liebe zu den Feinden, welche die
fromme Kindereinfalt vielleicht aus fich felbit zu
üben vermag, für eine weiter vorgefchrittene Er-
fenntnis nur mit Hilfe einer gewiſſen Philofophie
zu gewinnen fein dürfte. Deshalb wollen die
liebenswürdigen Leſerinnen Nachſicht üben, wenn
ich ihnen den Weg, der auch zur Liebe des Fein:
des führt, mit einigen Strihen andeute, die das
Gebiet der Philojophie nicht ganz vermeiden.
So lange wir einen Feind nur ala das Ein:
zelweſen, als die fcharf beftimmte Perfönlichkeit
betrachten, die uns moralifh beraubt oder ver:
wundet hat, wird ſich der natürliche Menſch in
uns gegen diejen Feind empören, und es wird
ſchon einer bedeutenden Willenskraft unfererjeits
bedürfen, um die zur Rache bereite Hand zu
zügeln und das widerſpenſtige Herz zur Ver:
Die deutfche frau und die Menfchenliebe.
durch diefe Betrachtungsart mit der Seligfeit
des willen: und begierbelofen Anſchauens erfüllt.
Ein Denker, deſſen Schriften wir fonft nicht ge:
rabe in den Händen der Frauen jehen möchten,
wenngleich intelleftuell ftarfe Frauen auch aus
ihm vorzügliche Anregung und dauernde Förde—
rung gewinnen würben, fagt in diefer Hinſicht ):
„Zur Auffaffung einer Idee, zum Eintritt der:
jelben in unfer Bewußtſein kommt e8 nur mittels
einer Veränderung in uns, die man auch als
einen Akt der Selbjtverleugnung betrachten
fönnte ; jofern fie darin befteht, daß die Erfennt-
nis ſich einmal vom eigenen Willen gänzlich ab-
wendet und die Dinge fo betrachtet, als ob fie
den Willen nie etwas angehen fönnten. Denn
hierdurch allein wird die Erfenntnis zum reinen
Spiegel des objektiven Mefens der Dinge.“
Und weiter jagt er: „Nur dann faßt man die
Melt rein objektiv auf, wenn man nicht mehr
weiß, daß man bazu gehört; und alle Dinge
ſtellen ſich um fo ſchöner dar, je mehr man ſich
bloß ihrer und je weniger man fich feiner felbft
bewußt ift. Da nun alles Leiden aus dem
Willen, der das eigentliche Selbft ausmacht, her-
vorgeht, jo ift mit dem Zurüdtreten diefer Seite
des Bewußtfeins zugleich alle Möglichkeit bes
Leidens aufgehoben, wodurch der Zustand der
reinen Objektivität der Anfhauung ein durchaus
beglüdender wird.“ Ich weiß nicht, ob jede der
freundlichen Zeferinnen ganz in diefen Gedanken:
gang einzubringen Neigung hat; nur fo viel
möchte ich erfannt und zugegeben wifjen, daß
auch der Feind bei einer fo objektiven Betrad):
tungsartan Schönheit und Liebenswürdigkeit ge=
winnt, und daß es auch einer energifchen weib-
lihen Natur auf diefe Weife erleichtert wird, im
Feinde nur den Menfchen zu fehen, dem wir ein
Herz voll Liebe fhuldig find. Ein etwaiges
Vorurteil tiefreligiöfer Frauen gegen alle Philo—
fophie, wie ich es öfter® alaube gefunden zu
haben, möchte ich durch die Bemerkung zerjtören,
dak, wie Schlaf und Tod Brüder find, fo aud)
Philofophie und Religion Schweitern. Der Tod
ift nur der allertiefite Schlaf, in dem auch die
legten körperlichen Yunktionen (die vegetativen)
gebung zu zwingen. Wenn wir aber im Feinde | zur Ruhe kommen; die Religion tft nur die aller—
nicht mehr das Individuum, fondern gewiſſer—
tiefjte Vhilofophie, in der aud) die letzten Funk—
maßen bie platonifche dee der Menjchheit fehen, | tionen des Zweifels, die Qualen der endlojen
| dialektiichen Selbftentzweiung des Gedankens
dann ſchwindet alles Hafjenswerte, dann jtellt
ſich auch der Feind als eine Erjcheinungsform
der Gottheit bar, die wir affeftfrei mit dem Auge
des Künftlerd betrachten, und die uns gerade
) Schopenhauer: „Welt als Wille und Bor:
ftellung.“ II. pag. 419, 420 u. ff.
Milhelm Kunze. Worauf es anfonmt.
friedlich eingefargt werden, um nie mehr zu er:
wachen. Schlaf und Tod find nicht zu trennen ;
alles was fchlafend atmet, wird einſt ausgeatmet
haben; ebenfo untrennbar find wahre Philo:
fophie und wahre Religion; alles, was denfend
ringe, wird einft ausgedacht und ausgerungen
haben und in reiner Anſchauung befeligt fein.
Uebrigens bedarf es diefer philofophtichen
Betrahtungsart nicht immer, um das Gebot der
Feindesliebe zu befolgen, denn in die Bruft jedes
Menſchen, wenn er nit auf der niedrigiten,
tierischen Entwidelungsitufe ftehengeblieben ift
und einer Art von moraliſchem Kannibalismus
huldigt, ift die allgemeine Menjchenliebe einge:
boren, und diefe allgemeine Liebe umfaßt auch
die Feinde. Ein Schwimmer, der feinen Yeind
in den Wellen mit dem Tode ringen ſieht, wird
in fo aufregendem Momente jeden Gedanfen an
Feindfchaft vergeffen und ohne Zögern in die
Flut jpringen, um das gefährdete Dienfchenleben
zu retten. Cine Mutter, die das Kind ihrer
Feindin durch die heranrollenden Näder eines
Gefährtes bedroht fieht, wird befinnungslos hin:
zuftürzen und mit Gefahr ihres eigenen Lebens
das Kind dem Verderben zu entreigen fuchen.
Ein höheres Liebesopfer als das Leben wird
aber faum der Menſch dem Menschen bringen
können. Man ficht hieraus, wie der mit Bil:
dung des Herzens begabte Menſch gewiſſermaßen
ihon unbewußt und rein inftinktiv auch den |
‚Feind liebt und wie erft eine bewußte, durd)
Trugſchlüſſe geftügte Abirrung von der wahren
Logik imjtande iſt, diefen Inſtinkt in Haß zu
verwandeln, Und wenn der Haß die Erſchei—
nung des zum Kampfe geborenen Mannes nicht
gerade anjprechender madıt, fo ift er für weib—
liche Echönheit geradezu das entjtellendite Stig:
ma. Die Frau, deren Lebensaufgabe in der
Liebe befteht, darf in ihrem Herzen aud dem
475
Feinde gegenüber feinen Raum für den Haß
laflen ; ein Engel des Friedens, der Huld und
der Verſöhnung foll fie durch das Leben jchreiten
und in der allgemeinen Menfchenliebe jedem den
Meg weifen, der zu Gott führt. Die Gattin
eines Emporfömmlings, die mit einer fojtbaren
und überladenen Toilette ihr Pfauenrad im
offenen Wagen Schlägt und hochmütig-geldprotzig
den vorübergehenden bejcheidenen Leuten ins
Angefiht grinft ; die geſchminkte und halb ent:
Heidete Ballfönigin, die jedem Ged ihre Neize
zur Schau ftellt und den guten Ruf anderer
Frauen mit der Dolchſpitze ihres giftigen
Züngleins meudjelt ; die fogenannte Gebildete,
die emotionsmwütig die Vereinsfäle politijieren:
der Männer ftürmt, um fid an den Schlag:
worten des Tages und wüſtem Kampfgeſchrei
zu beraufchen; fie alle find Karifaturen auf die
Ihöne und wahre Weiblichfeit, die in jeden
Streit das „Friede ſei mit euch!“ hineinruft,
die für jedes menfchlihe Leiden ein teil:
nehmendes Herz und für jedes Menfchenauge
das freundlich:huldvolle Lächeln der caritas hat.
Der deutihen Frau iſt wie feiner anderen auf
der Welt fo viel Innerlichkeit bei fiherem Taft:
gefühl, fo viel echte Neligiofität bei aufrichtiger
Duldſamkeit, jo viel Herzenswärme bei kritiſcher
Kühle des Kopfes angeboren, daß fie ganz be:
jonders vom Geſchicke beſtimmt und auserlefen
ericheint, die praftiiche Bethätigung der allge:
meinen Menfchenliebe als köſtlichſte und edeljte
Blüte des Menfchentums darzuftellen; die Frau
oder Jungfrau, welcheder allgemeinen Menjchen:
liebe ermangelt, verfündigt ſich daher nicht nur
am eigenen Gejchledhte, fondern auch an Gott,
deſſen beglüdenden und bejeligenden Welten:
plänen fie vergeblih ihr ungehorfames und
troßiges Herz entgegenzuftellen verfudht.
Gerhard von Amyntor.
Worauf es ankommt.
„Das Leben if ein trüben,
Langmweil’ges Einerlei““ —
KNuft peſſimiſtiſch Zener
Und geht am Glück vorbei,
„Wie if das Leben wonnig,
Ein fonnig-grüner Mail" —
So ſpricht ein Ciebespärchen
Und herzt und küft dabei.
Das alles hört ein Dritter,
in vielerfahr'ner Mann,
Der denkt: Es kommt im Leben
Stets auf den Standponkt an.
Bildelm Runge.
Das Zufammentreiben ber Etrauße,
n
Die künſtliche Straußenzucht in Südafrika.
Otfried Mplius.
D* Mensch ift ein geborener Verwüſter und
Zerftörer der organischen Natur; er ver:
heert, um feine Bebürfniffe zu befriedigen, un:
erbittlih die organischen Weſen beinahe bis zu
ihrer Ausrottung, und lernt ihren Wert erjt
ſchätzen, wenn er fie entbehren ſoll. So geht
es ja mit allen Dingen im Leben. Und nicht
der wilde Menſch allein handelt nach diefen bru—
talen Inſtinkten, fondern auch der halbwilde
und der fogenannte civilifierte. Die vielen Mil:
lionen Bifons oder amerifanifhen Auerochſen,
welche vordem die Prairieen, die Millionen
Biber, welche die waldigen Ufer der norbameri:
fanifchen Ströme, die Hunderttaufende zahllojer
Herden der verſchiedenſten Antilopenarten, welche
einft die Müften des heifen Afrifa belebten,
find durch die gedanfenlofe Mordluft wilder
Stämme und die planmäßige Vertilgungsmut
müßiger Weißen um eines geringen Geminnes
willen beinahe ausgerottet worden. Die nüß:
Iihen Cindoneenbäume der füdamerifanifchen
Bergwälder, welche die mediziniſch fo wichtige
Chinarinde liefern, find von den habgierigen
und gedanfenlofen Cascarilleros oder Rinden-
fammlern, meift Indianern, beinahe vertilgt
worden, jo daß man, um fich die fernere Ge-
winnung der foftbaren Rinde zu fihern, genötigt
worden ift, nun in Süd- und Mittelamerila, in
Indien, auf Ceylon und Java großartige Cin-
choneenpflanzungen fünftli anzulegen. Ganz
ebenfo ging es aud mit dem größten unferer
Vögel, dem afrifanifhen Strauß, welder dem
menschlichen Haushalt nicht den mindeften Scha-
den zufügt, da er von Natur aus nur in
den heifen fahlen Wüften lebt und die Nähe
des Menſchen meidet, wenn er nicht jung ge:
fangen feine natürliche Scheu vor dem Menſchen
verliert und ſich an dejjen Nähe gewöhnt. Der
Strauß liefert dem Jäger nicht nur ein gutes
Wildbret, das namentli bei jungen Vögeln
vortrefflich ift, jondern aud feine wertvollen
Eier, welche eine gute und nahrhafte Speife
geben, obwohl fie, ihres urinöfen Gefhmades
wegen, dem gebildeten Gaumen nicht behagen,
und die Schalen diefer Eier liefern dem Wilden
fogar Waffergefäße von ziemlihem Inhalt;
Otfried Mplius. Die fünftliche Straußenzucht in Südafrifa.
außerdem aber hat der Strauß eine Anzahl
ihöner, leichter, krauſer Schmudfedern von
weißer, ſchwarzer, grauer und bräunlicher Farbe,
mit welchen ſich der Jäger felbft pußt, die ſchon
feit ferner Vorzeit ein gefuchter Handelsartifel
find und feit einigen Jahrzehnten ihrer fteigen:
den Seltenheit und Nachfrage wegen in hohem
Marktwerte ftehen.
Mir dürfen vorausfegen, da die meijten
unferer Leſer mit der Naturgefchichte des Strau—
bes befannt find. Mir fönnen es uns daher er:
ſparen, bier ſchon
Bekanntes über ihn
zu wiederholen, und
wollen nur darauf
hinweiſen, daß ein
ſolches Straußenei,
welches beinahe ein
Liter Flüſſigkeit ent—
hält und durchfchnitt-
lid 1440 Gramm
wiegt, eine beträcht:
lihe Menge Nah:
rungsftoff und einen
ſehr ſtickſtoffreichen
Dotter enthält und
daher für einen ar—
men Wilden beinahe
eine Familienmahl—
zeit abgibt. Unſer
nebenftehender
Holzichnitt veran—
ihauliht das Grö—
benverhältnis zwi:
ihen einem gewöhn—
lihen Hühner: und
einem Gtraußenei,
und vermag zu erklären, warum die Wilden
Afrikas die Straußeneier jo eifrig aufjuchen.
Wenn wir dann ferner noch der Thatjache ge:
denken, daß ſchon der Händler eine ſchöne große
weiße Schmudfeber aus der Schwinge eines
Straußenmänndens einzeln mit einem Werte
von 12—18 Mark an Drt und Stelle bezahlt, fo
wird man auch begreifen, warum diefer Vogel in
feiner Heimat fo fchonungslos gejagt wird, daß
er in vielen Gegenden, 3. B. in Algerien, im
Korbofan, im Kaplande u. ſ. w., wo er früher
in Scharen vorfam, nachgerade felten geworden
ift. Ya im Kapland und dem ganzen britischen
und freien Südafrika ift der Strauß ſchon 1870
fo jelten geworben, daß die Kolonialregierung
Hübnerei und Giraußenel.
477
fih gezwungen fah, feine Jagd gefehlih und
mit Einführung von Schonzeiten zu regeln, um
feiner gänzlihen Ausrottung vorzubeugen. Die
Beeinträchtigung der Fortpflanzung des Strau:
bes durch die Jagd auf die Eier war ſchon
groß genug, denn da die Straußenhenne ihr
Gelege von 12—18 Eiern fo jorgfältig im
Sande verfharrt, daß oft das geübtefte Men:
fchenauge dasfelbe nicht zu finden vermag; ba
fie ferner ihr Gelege verläßt, wenn fie durch
Menſchen von demjelben verſcheucht worden ift:
und da es noch zwei-
felhaft ift, ob fie
im wilden Zujtande
ein zweites Gelege
macht, wenn fie das
erste aufgegeben hat,
jo kann man fi) ver:
gegenwärtigen, wie
ungemein die Ber:
mehrung des Vogels
darunter leiden muß.
Allein auch die Aus:
beute an Schmud:
federn durch die Jagd
wird durch mandherlei
Zufälligkeiten beein:
trächtigt. Die Federn
vom wilden Vogel
ſind nicht immer und
nicht alle gleich ſchön;
ſie ſind zum Teil zer—
ſchliſſen, beſchmutzt
und abgeſtoßen, ſo
daß man ſelten einen
Edlim oder männ—
lichen erwachſenen
Strauß erlegt, welcher alle ſeine Schmuckfedern
(gegen 20 an jeder Schwinge) vollzählig und
tadellos ſchön aufweiſt. Vielmehr find 14—16
ſchöne weiße Flügelfedern, die gefuchteften und
wertvollſten feines Gefieders, durchfchnittlich das
Marimum, was man von einem wilden männ—
lihen Bogel erzielt. Ein tadellofer Straußen:
balg mit allen Federn und in gutem Zuftande
wird noch heute mit einem Preife bis zu 400 Mark,
ein Kilogramm tadellofer weißer Flügelfedern
wird ſchon in Afrika mit 1000— 1200 Marf be:
zahlt und ift ungemein ſchwer zufammenzubrin:
gen, da die einzelnen wilden Jäger faum eine
genügend ſichere Art der Aufbewahrung und des
| Transports der Federn haben. Die gewöhn:
rg
“
478
lichjte Art, die wertvollen Federn des erlegten
Vogels zu verwahren, beſteht darin, da der
Jäger ein Stüd diden Nohrs fchneidet, in deſſen
Höhlung die Federn einfchiebt und fo mit ſich
trägt, wodurch jie zwar vor Beihädigungen
durch Reiben und Abftopen, dagegen nicht vor
Inſekten und Motten gefichert find. Auch die
Aufbewahrung des ganzen Balges hat ihre
Schwierigkeiten, felbjt wenn man den Balg auf
der Innenfläche mit
Arfenifjeife oder
Sublimatlöjung
tränfen würde. Die
dide Epidermis des
Straußes iſt ziemlic)
fett und eine Lieb:
lingsbrutſtätte vieler
jener ſchädlichen In—
ſekten, woran ja die
Tropenländer fo
reich find, und fie
beherbergt oft Eier
und Larven von
Federmotten und an:
deren Schädlingen,
deren man fich faum
zu erwehren vermag,
jo daß ſelbſt dem
Händler noch man:
cher Schaden erwad):
fen fann. Früher
behauptete man, die
Federn von zahmen
Straußen (und jolde
gab es Schon ſeit
Jahrtaufenden in
Afrika und Weſtaſien
unter den dortigen
Wüſtenbewohnern) ſeien nicht ſo ſchön und groß
als die Federn von wilden Vögeln; aber Zeit
und Beobachtung haben dieſes Vorurteil längſt
entkräftet und widerlegt.
In Sudan, in Kordofan, in Sennaar und
ſelbſt auf dem Kaplande war es ſchon längſt
üblich, junge Strauße, die man nicht verſpeiſen
wollte, großzuziehen und zu domeſtizieren, was
ganz leicht war, denn unter guter Behandlung
und bei genügender Fütterung wird der Strauß
leicht ein Hausgenoſſe des Menſchen. Dies
wußten nicht nur die Afrikareiſenden und die
Händler an der Berber-, Mogador-, Senegal:
füfte, in Maroffo, Aegypten, Südafrika und
I3
Re
be
=
—
=
—
u.
Der erwachfene männlide Straub.
Otfrieb Mplius.
Arabien, fondern man hat fchon vor etwa
40 Jahren auch in europäiſchen zoologiſchen
Gärten (San Donato bei Florenz, Marjeille,
Ham, Algier und Spanien) mit Erfolg ver:
fucht, Strauße nachzuzüchten. Als Daher in den
fünfziger Jahren, wo die wilden Strauße im
allgemeinen felten geworden und Die Straußen:
federn fehr im Preiſe geftiegen waren, die
Frage ventiliert wurde, ob man Die Strauße
niht domeſtizieren
und fünftlich züchten
fönne, widmeten ſich
mehrere franzöſiſche
Anſiedler in Algerien
derartigen Verſu—
chen, und namentlich
ein Herr Hardy er—
zielte ganz befriedi—
gende Erfolge, die
jedoch nicht in größe:
rem Maßſtabe aus—
gebeutet worden zu
ſein ſcheinen.
Etwa um das
Jahr 1857 kam ein
Engländer, Namens
Kinnear, welcher zu
Beaufortweſt in der
Kapkolonie ein aus—
gedehntes, vorherr:
ſchend zur Viehzucht
beſtimmtes Grund:
eigentum beſaß, auf
den Einfall, einen
Verſuch mit dem
Aufziehen von Jun:
gen wilder Strauße
zu machen, um zu
erproben, ob man mittels diejes Induſtrie—
zweiges nicht ſchöne Straußenfedern für den
Handel erzielen könne. Beaufortwejt Tiegt in:
mitten einer Gegend, wo es früher viele
wilde Strauße gegeben hatte und wo fie auch
damals noch nicht felten waren. Es gelang
ihn bald, fich von einem Anfiedler einige junge
Vögel zu verichaffen, welche, erft wenige Tage
alt, gefangen worden waren. Dieſe bradte
er in ein Gehege, wo fie ſorgſam gefüttert und
verpflegt wurden. Als fie einige Monate alt
waren, lief man fie frei auf den Luzernefeldern
um das Häuschen herumlaufen. Sie waren
ganz zahm, liefen nicht davon, jondern Fehrten
-
Die fünflliche Straufenzucht In Sübdafrifa,
immer wieder zum Haufe zurüd und gediehen
fo gut, daß fie aud fanguinifchen Hoff:
nungen entipradhen, Als fie etwa 18 Monate
alt waren, lieferten fie die erjte Ernte an
Schmudfedern, die allerdings nod) etwas Hein,
aber ſehr ſchön, rein und vollfommen waren.
Herr Kinnear ftudierte die Lebensweife feiner
Vögel genau und faufte noch mehr Junge von
verſchiedenem Alter auf, welche ſich den andern
anjchlofjen und fich ganz miteinander vertrugen.
Im Alter von 3—4 Jahren paarten fich die
Vögel, die Hennen legten Eier, durchſchnittlich
15—16 per Kopf und brüteten fie aus, durch:
Schnittlih 12—14 vom Gelege. Binnen weni:
ger Jahre hatte Herr Kinnear eine Herde von
mehr als 100 Stüden, und hatte die Möglich):
feit und den praftifchen Wert einer derartigen
Züchtung glänzend dargethan. Obwohl er feine
Erfolge nicht geheim hielt, jo fand anfangs doch
diejer neue Zweig der Landwirtſchaft jo wenig
Anklang, daß fein Beiſpiel faum Nachahmung
erfuhr und man 1865 außer feiner Herde nur ca.
80 zahme Strauße in der ganzen Kolonie fand.
|
|
|
Allein von diefer Zeit an nahm die Straus |
benzucht plößlich einen bedeutenden Aufſchwung
und wurde in den Mittelpunkt der öffentlichen
Aufmerkſamkeit gerüdt. Wiederholte trodene
Jahre hatten den Koloniften die Unficherheit
des Ertrags ihrer Schafzucht gezeigt, welche
damals eine hauptſächliche Subftftenzquelle der
Kolonie war. Der Wunſch, ein weiteres land:
wirtjchaftlihes Gewerbe zu betreiben, veran:
laßte viele von den Grundbeſitzern, es mit der
Straußenzucht zu verſuchen, welche Herrn Kin:
near fo gute Ergebnifje geliefert hatte. Es ent:
ſtand eine allgemeine Nachfrage nach jungen
Vögeln, deren Preis raſch von wenigen Schil:
lingen auf 10 und fogar 15 Pfd. Sterl. per Stüd
jtteg, denn jeder wollte fein Heil damit ver:
ſuchen. Die Sade ſchlug ein und ward mit
folder Energie in die Hand genommen, daß
die Aufnahme für den Steuerja des Jahres
1875 ſchon eine Anzahl von 28000 zahmen
Straußen in der Kolonie auswies, welche ſich
heutzutage auf etwa 70— 80000 Stüd erhöht
haben mag. Die ganze Ausfuhr von Federn
von diefen zahmen Straufen und von den wil:
den, welde jenſeit der Grenze der Kolonie er:
beutet worden waren, belief fi, nach den amt:
lichen ſtatiſtiſchen Tabellen fchon im Jahr 1877
auf einen Wert von nahezu einer halben Mil:
lion Pfd. Sterl. Da jedoch die Nachfrage nad)
479
Straußenfedern geitiegen ift, fo fcheint auch
fünftighin der Abjat für den ganzen Ertrag an
Federn gefihert, um jo mehr als notoriſch die
jogenannten „zahmen” Federn, weil zur rechten
Zeit und in volllommenem Zuftande ausgerupft,
im Handel bereits den „wilden“ Federn vorge:
zogen werden.
Im Anfang wurden die Jungen der wilden
Strauße, melde man domeftizieren wollte, bei:
nahe unmittelbar nah dem Ausfchlüpfen vom
Nefte weggenommen, indem man das Eltern:
paar aus einiger Entfernung beobachtete, bis
die Brut vorüber war, Die gefangenen Jungen
wurden bann jchnellitens nad) irgend einer Be:
haufung gebracht, in einer mit Wolldeden aus:
geſchlagenen Holztifte warm gehalten und mit
jehr klein gehadtem Eiweiß, frijchem Klee und
anderem Grünzeug gefüttert und forgfältig auf:
gezogen. Sp erlangte man den erjten Straußen:
ftand, und diefe Art des Fangs und der Zucht
it in den entfernten Teilen der Kolonie nod)
üblih, wo die wilden Straufe auf den unge:
heuren Karrufeldern noch immer herumjchweifen
und brüten. Allein außerdem werden dermalen
alljährlich noch viele Taufende von ungen aus
zahmen Hennen gewonnen und werfen ihren
Züchtern einen namhaften Gewinn ab. Ein
Straug von 4—6 Monaten wird gegenwärtig
im Durchſchnitt etwa mit 15 Pd. Sterl., ein
Baar ſchöner brutfähiger Straufe mit 100 bis
zu 300 Pfd. Sterl. bezahlt. Deshalb legen ſich
jeßt große und fleine Grundbefiter auf die
Straußenzucht, — die eriteren, welche die Jun:
gen in einem Alter von 4 bis zu 12 Monaten
von den Züchtern faufen, halten diefelben um
ihrer Federn willen, und verfaufen jie dann
als Brutvögel, wenn fie das erforderliche Alter
erreicht und ſich gepaart haben; die kleineren
Grundbefiser halten ihre Strauße nur der Brut
wegen, um die jungen zu verkaufen, wenn fie
diejelben bis zu dem für den Verkauf tauglichen
Alter herangezogen haben.
Wenn der Strauß jährig ift, jo wird er
zum eritenmal gerupft. Die dabei gewonnenen
fog. „Küchleins- oder Jugendfedern“ haben fei:
nen großen Wert, denn der Ertrag eines einzel:
nen Vogels iftnur etwa 30 Marf. Nach weiteren
8 Monaten fann dann der junge Vogel zum
zweitenmal gerupft werden und gibt je nach der
Dualität und dem Geſchlecht des Vogels ſchon
einen Ertrag von 5 bis zu 12 Pfd. Sterl. Die:
ſes Rupfen fann dann etwa alle 8—9 Monate
61
480
wiederholt werden, denn fo lange brauchen die
auögerupften Federn, um wieder nachzuwachſen
und fich zu voller Größe zu entwideln. Nur
wenn die Vögel fi paaren und zu brüten
Miene machen, darf man fie nicht rupfen, weil
fie ihrer Federn bedürfen, um die Eier im Nefte
zu bededen und die Wärme während des Brut: |
prozejies zu regeln. Die Federn, welde man
ihnen nad) dem Brüten ausrauft, find, auch von
geringerem Werte als fonft, weil fie gewöhnlich
ſchmutzig, abgeſtoßen und zerfetzt find.
Mit dem Paaren der Strauße iſt es eine
eigene Sache, denn wenn man ein Männchen
und ein Weibchen zuſammenbringt, iſt es noch
keineswegs ſicher, daß ſie ſich paaren; vielmehr
iſt es Erfahrungsſache, daß die Strauße hierin
ſehr wähleriſch find, eine förmliche Zuchtwahl
treiben und einander ohne Neigung nicht an—
nehmen. Man kann ſie oft monate-, ja ſogar
jahrelang zuſammenſperren, ohne daß ſie ſich
paaren. Sobald ſie ſich aber gepaart haben,
bringt man Männchen und Weibchen zuſammen
in ein Gehege, das je größer deſto beſſer iſt,
und gibt ihnen, außer dem Futter, das ſie ſelbſt
hier finden, noch weiteres Futter wie Luzerne,
Mangoldwurzel, gehacktes Fleiſch und auch
Knochen, ohne welch letztere ſie beide nicht ge—
deihen. Während der Legezeit iſt das Männchen
ſehr wild und eiferſüchtig und greift furchtlos
jeden Menſchen und jedes Tier an, welche in
ſeine Nähe kommen, und ein Schlag von ſeinem
muskelkräftigen Bein vermag unter Umſtänden
einen Menſchen zu töten. Die Henne legt jeden
zweiten Tag ein Ei, bis deren 15—18 im
Nefte liegen, das nur ein in den fandigen
Boden gefcharrtes, napfförmiges, feichtes Grüb-
hen ift. Das Ausbrüten dauert in der Negel
6 Wochen, und Männchen und Meibchen
ſitzen umſchichtig auf den Eiern, und zwar das
Weibchen bei Tage, das Männchen bei Nadıt.
Diefe Vögel zeigen einen wunderbaren, an
Sntelligenz grenzenden Grad von Inſtinkt in
der Negelung der zum Ausbrüten der Eier er:
forderlihen Wärmemenge. Während der Nacht,
am frühen Morgen und am Abend ruht der
ganze Körper auf dem Gelege, und die aufen-
liegenden Eier werden mit den auägebreiteten
Flügelfedern bevedt. Wenn aber die Tageshite
zunimmt, erhebt der Strauß feinen Körper all:
mählih mehr und mehr und fit dann nur
fauernd über denjelben. In den Mittags:
jtunden, wenn die Hite am größten ift, verläßt |
Otfried Mprlius,
die Henne das Neft und äft fich einige Stunden
in befjen nächfter Umgebung , bis die Sonnen:
hitze nachläßt, worauf fie fich wieder auf die
Eier jegt, und nah Sonnenuntergang das
Männden fie ablöft.
Da aber niemals das ganze Gelege ausge:
brütet wird, fondern immer einige der aufen-
liegenden Eier verloren gehen und weil der
Eigentümer meift aud) die ſchönen Federn des
Brutpaares nicht einbüßen will, ſo bedient man
fih auf größeren Straußenfarmen aud) eines
Brutfaftens zu künſtlicher Ausbrütung, von
Gin Brutlaften.
welhem wir obenjtehend eine Anficht geben.
Derfelbe enthält in drei Neihen 6 Schub:
laden, deren jede 10—12 Eier aufnehmen
kann, welde in Wolle eingebettet liegen. Die
Heizung gefhieht durd Röhren mit erwärm:
tem Waffer, welche zwiſchen den Schubladen
in der Längenachſe des Kaſtens angebradt
find und eine fonftante Wärme von etwa
40—42° C. erhalten. Der Brutfaften brütet
allerdings alle Eier fiherer aus als die Mutter,
aber man hat doch manche Bedenken dagegen,
und viele Züchter behaupten, es fei befier, die
Vögel ihre Gelege ſelbſt ausbrüten zu laſſen.
Wenn man nämlich die gepaarten Strauße fo:
wohl auf dem Nefte ala während des Brütens
aut füttere, jo beginne die Henne etwa vier Wo:
hen nah dem Ausfchlüpfen der erften Brut
wieder zu legen und bringe auf diefe Weife
meift drei, aber auch fogar vier Bruten nad):
einander im Jahre zu Stande, und die natürlid)
ausgebrüteten Jungen feien fräftiger als die—
jenigen aus dem Brutfaften. Nehme man aber
einem Paare das erjte Gelege hinweg, fo wet:
gere fih die Henne oft, zum zweitenmal zu
Die fünflliche Straußenzucht in Südafrifa.
legen, und dies fei dann ein Verluft für den
Züchter. Thatjache ift, daß das brütende Paar
die Eier eines Geleges jeden Tag einmal um:
wendet, damit ihnen eine gleiche Wärme zu
teil werde.
Die Straußenfüchlein, gleihviel ob natür:
lich oder fünftlic ausgebrütet, find fehr zart,
und bedürfen vom Anfang ihres Lebens an
ftet3 der aufmerkſamſten Pflege. Man bringt
fie daher in befondere Gehege, wo fie jehr gut
gefüttert und forglid vor Kälte und Näfie be:
mwahrt werden, die ihnen ſehr ſchädlich find.
Man gibt ihnen gelegentlich gehadtes Fleisch,
Kaldaunen ꝛc. und namentlich gehadte ſalz—
haltige Pflanzen, wie fie an vielen Stellen der
Wüſte häufig vorfommen, und reicht ihnen von
Zeit zu Zeit eine Abkochung von Granatwurzel
gegen die Eingeweidewürmer, von benen fie
ſehr heimgeſucht werben, glei den jungen
Truthühnern. Die Entwidelung der Jungen
ift eine außerordentlich rafche, und bei genügen:
dem Futter erreihen fie binnen Monatöfrift
ihon die Größe einer Trappe und binnen 16
bis 18 Monaten ihre volle Größe. Man hält
die jungen Strauße für ſich in gefonderten Ge-
hegen in der Nähe eines Haufes und unter
jteter Aufficht und reihliher Fütterung mit ge:
mifchter Nahrung, denn man hat beobachtet,
daß der Strauß zwar fein gefräßiger Vogel ift,
obwohl er alles verfchlingt, was er findet:
Steine, metallene Gegenftände, Holz, Leder:
zeug, Werg und namentlich gern Knochen; daß
er aber auch MWüftenratten, junge Vögel, Frö—
fche, Eidechſen und andere Tiere aller Art ver:
ſchlingt, wenn er ihrer habhaft werben kann.
Die jungen Strauße werden gewöhnlid) der
Auffiht eines Weißen übergeben, weil ein
Hottentotte, Kaffer oder Gricqua ihnen nicht
die notwendige Sorgfalt fchenfen würde, und
find außerordentlich zahm und zuthunlid; fie
folgen dem Rufe ihres Wärters und halten fi)
gern in der Nähe des Haufes auf, gewöhnen
ſich aber fpäter, wenn fie zu den großen Herden
verjeßt werben, bald auch an die alten Vögel,
von welchen fie gern geduldet werben.
Man findet dermalen im Kaplande viele
Straußenfarmen, auf welchen Herden von je
200—300 Straußen weiden, die einen be:
deutenden Wert repräfentieren und einen fehr
fhönen und verlodenden Ertrag liefern. Die
einzelnen Vögel find allerdings an Ertrags—
fähigfeit oder Ergiebigkeit bezüglich der Federn
481
äußerjt verjchieden, denn von ben einen ge:
winnt man bei jedem Rupfen (clipping)
nur Federn im Werte von 3, bei anderen aber
bis zu 15 Pfd. Sterl. Diefe Ergiebigteit hängt
wejentlih von der Beichaffenheit der Vögel
während der Zeit ab, in der ſich die Federn
bilden; gut genährte Vögel liefern die ſchönſten
Federn. Früher raufte man ihnen alle Federn
zu gleicher Zeit aus und damit auch viele,
welche noch nicht vollftändig ausgewachſen waren,
was dann ben Vögeln große Schmerzen und
Ein Zmrifampf.
fogar heftige Blutungen verurfadhte und bie
federerzeugenden Eigenschaften der Schwingen
fehr beeinträchtigte. Jetzt verfährt man ratio:
neller und ſchneidet die vollflommen ausge:
bildeten Flügel: und Schwanzfedern mit einer
ſcharfen Scheere tief am Kiel ab, wodurch der
Vogel mehr geichont wird und die abgejchnittene
Feder fchneller und fchöner wieder nachwächſt.
Man kann zwar in allen Teilen der Kap:
folonie Strauße züchten, vielleiht mit Aus-
nahme der höheren, falten, gebirgigen Tafel:
länder, allein fie gedeihen am beiten auf den
ausgedehnten Karru:-Ebenen, welde ihre natür:
lihe Heimat find. Man kann fagen, daf alle
Dertlichkeiten, auf welchen Merinofhafe ge:
deihen, auch den Straußen am beten zufagen.
Sie können jedod das Waſſer nicht ganz ent:
482
behren, denn der Strauß iſt einer der wenigen
Vögel, welche harnen, und fie faufen reichlich,
wenn fie an Quellen und fliegendes Waſſer ge:
langen. Ebenſo lieben fie auch beſonders wür:
zige Bilanzen, fowie jene falz: und fodahaltigen
Gewächſe wie Mefembryanthemum, Salsola
sala, Chenopodiaceen 2c., die in der Nähe der
Meeresküſte wachjen, und deshalb werden aud)
die an der Küſte gezüchteten Jungen die ſchön—
ften und Fräftigiten.
Wenn man eine Straußenfarm anlegen
will, jo muß man auf diefe genannten Erforber:
niffe im voraus bedacht nehmen und auf jeden
Vogel, mit welchem die Farm bejegt werben
foll, mindeftens 1 Heltar Flächenraum red):
nen. Die Umzäunung einer folden Area von
200— 300 Heltar in einem verhältnismäßig
holzarmen Lande erheifcht daher von vornherein
ein großes Anlagelapital, die Beſchaffenheit
der Vögel ſelbſt Fein kleineres; aber der Ertrag
ift troßdem ein höchft lohnender, jo daß viele
Kolonisten die wegen der auftralifhen Kon:
furrenz immer weniger lohnende Schafzucht auf:
gegeben, andere jogar ausgedehnte Getreide:
ländereien in Straufengehege verwandelt und
fi ganz auf Straußenzucht verlegt haben, viel:
leicht zum Nachteil der übrigen Landwirtfchaft
der Kolonie, und nocd immer werben große
Kapitalien im Kapland in der Straußenzucht
angelegt, welche verhältnismäßig nicht fchwierig
ift. Dan muß nur alle Jahre gewiſſe Streden
des run oder freien Laufs im Gehege mit Lu:
zerne und anderen Yutterpflanzen anbauen und
diefe Felder umzäunen und die Vögel davon
abhalten, bis die Saat genügend herangewachfen
it, um den Straußen zum Abmweiden überlafjen
zu werden, denn wenn biejelben über die junge
Saat fümen, würden fie diefe mit der Wurzel
herausreigen. Die Strauße find jedoch überaus
zahm, mit Ausnahme der Brutzeit, und laſſen
ſich leicht treiben. Ein paar Männer mit langen
dornigen Afazienzweigen find imftande, die
ganze Herde von einem Ende des run zum an:
dern zu treiben, ohne daß die Vögel wider:
ipenftig werden. Im Gehege felbit find die
Strauße jo zahm und vertraulich, daß fie den
Fremden ganz dicht heranfommen laſſen, ohne
fih zu fürdten, dah fie ihm aus der Hand
freſſen und ihm fogar die Knöpfe vom Nod ab:
beißen. Sie verfchlingen Gegenftände von der
Größe einer Drange mit Leichtigfeit und ohne
zu fauen, und man fan, ba die Speijeröhre
Otfried Mylius,
jpiralförmig um den langen Hals des Straufes
herumläuft, ganz leiht den Weg verfolgen,
welchen der verihludte Gegenjtand nimmt.
Mimofen: und Afazienbäume werben oft von
ihnen gefhält; haut man ihnen die Blätter der
wild wachjenden Kaktus und Aloen ab, was
man aus diätetiſchen Nüdfichten oft thut,
jo frejlen fie diefelben gierig, d. h. fie ver:
ihlingen diefelben wie auch die jungen Triebe
und Samen ihrer Lieblingsgemächfe, ohne fie zu
fauen, und überlaſſen es ihrem fprichwörtlid
gewordenen guten Magen, die rohe Mafje zu
verbauen,
Bösartige oder tüdiishe Vögel find unter
ihnen felten, denn ungereizt ift der Strauß ein
harmlojes Gefhöpf, außer zur Paarungözeit
und zur Brutzeit. Aber einer Henne das Ge:
lege wegzunehmen, ift immer mit einiger Gefahr
verbunden, Wenn es nicht gelingt, das Paar
von dem Nejte hinweg und aus dem fpeciellen
Gehege hinauszuloden, 3. B. durch Futter, fo
müfjen einige Leute die beiden Vögel beichär:
tigen und vom Nefte hinweg loden, mährend
einige andere die Cier aus dem Nefte nehmen.
Die beiden erjteren haben dann immer eine Art
Zweifampf mit den Straußen zu beftehen, ber
nicht ohne Gefahr für den Menfchen iſt. Der
Wärter (meift ein Hottentotte oder Gricqua)
muß fich feiner einzigen Waffe, einer langen
dornigen Afazien: oder Mimofengerte, geſchickt
bedienen, um den nadten Hals des Straußes,
feine empfindlichite Stelle, zu bedrohen und ſich
den Vogel damit fo weit vom Leibe zu halten,
daß derjelbe ihn nicht durch Ausfchlagen des
Beines treffen kann, wodurd) er ihm leicht einen
Arm oder ein Bein zerfchmettern würde.
Belanntlic haben feit einigen Jahren unter:
nehmende Engländer den eigentlichen afrifani:
ſchen und weitafiatiihen Strauß auch nad) Süd:
amerifa verpflanzt und in den Pampas am La
Plata und in Patagonien zu acclimatifieren ver:
ſucht, wo ja auch der etwas Fleinere amerikaniſche
Strauß oder Nandu (Struthio Rhea, Rhea
americana) heimiſch ift, deſſen Gefieder feine
Schmudfedern liefert. Dieſe Verſuche, den
echten Strauß dort in Maffe zu züchten, follen
Erfolg verſprechen, allein bis zu welchem Um:
fang diefelben gediehen find, darüber mangeln
uns noch authentische Berichte.
Zum Schluffe nod einige Worte über die
Straußenfedern felbjt, auf deren Gewinnung
die ganze Zucht abzielt. Die prächtigen weihen
Die fünftliche Straußenzucht in Südafrifa.
Schmudfedern, nad welchen die Damen in ber
ganzen Welt jo lüftern find, wachſen nur an
den Enden der furzen Schwingen der männ—
lichen Bögel. Ein ausgewachſener und wohl:
bejchaffener Vogel liefert alle acht bis neun Mo:
nate 20—40 derjelben und einige jchwarze
Federn ebenfalls von den Schwingen. Die
Schwanzfedern find nicht fo ſchön und darum
auch nicht fo wertvoll. Auch die Henne hat an
den Flügeljpigen fhöne Federn, allein niemals
von ganz reiner Farbe, fondern meiſt gräulic)
oder mit Grau gefledt und geiprenfelt, und
diejenigen Schwingenfebern, welche beim Männ—
chen ſchwarz find, find bei der Henne grau. Die
„Hennenfedern“ werben minder teuer bezahlt.
Von den langen Schmudfedern gehen 120 bis
130 Stüd auf ein Pfund; fie werben immer
nad) dem Gewicht verfauft und auf ben eng-
liſchen Markt geſchickt, welcher die übrige Welt
damit verforgt. Die Verſendung gejchieht mit-
tels forgfältiger Verpadung in Kijten, worin
die Federn glatt übereinander gelegt find, mit
dazwischen geftreutem Pfeffer: oder Tabaljtaub,
um die Motten abzuhalten. Jede Kijte ift ſorg—
fältig in Sadleinwand eingenäht und auf meh:
reren Säumen und Nähten verfiegelt, um Be:
trügereien vorzubeugen. Das Sortieren ber
483
Federn nah dem Rupfen oder Abjchneiden ift
ein Gejchäft, welches bedeutende Sorgfalt und
Uebung erfordert, damit die Federn den ent:
Iprechenden Erlös erzielen. Wie groß aber aud)
ſchon jegt die Produktion an Straußenfedern in
der Kapfolonie ift, jo find die Preiſe doch nod)
nicht zurüdgegangen und der Abfag ein ganz
leichter.
Es gibt in allen Teilen der Kolonie
Händler, weldhe die Straußenfedern jederzeit
auffaufen, und in allen größeren Städten der
Kolonie werden regelmäßige Markttage abge:
halten, an denen die Federn öffentlich verjteigert
werben. Hier erjtehen die Großhändler ihren
Bedarf und ſchicken denfelben gerade fo, wie die
Federn vom Vogel fommen und ohne alle Zu:
richtung, nad) England, wo dieſelben nad ihrer
Ankunft in die Hände derer wandern, welche fie
herrichten, reinigen, fräufeln, nad) dem Tages:
geihmad färben u. dergl., woraus ein ganz
intereffanter Jnduftriezweig geworden, wenn er
vielleicht auch nicht fo lohnend iſt wie die neu
aufgefommene fünftlihe Zucht der Strauße mit
Abficht auf die Gewinnung der Federn, welde
wir als ein Kuriofum von neuer praftifcher
Ausbeutung der Naturfunde unjeren Lejern
ſchildern wollten.
Eine Herde junger Straube.
484
u, Gobin.
Die Madonna mit den Jilien.
Erzählung von X. Godin.
un muß ich zur Bahn,“ jagte ein
fleiner, behender Mann zu einem
zweiten, der ihn um eine halbe
Kopfeslänge überragte.
„Schon?“ entgegnete dieſer
und zog die Uhr: „Wir haben Zeit vollauf, ich
begleite dich.“
Er nahm gleichfalls feinen Hut zur Hand
und die jungen Männer wanderten plaudernd,
gemächlich durch die ſommerlich belaubten An:
lagen.
: „Schade daß du nicht bleiben kannſt,“ ſagte
der Hochgewachſene. „Mir gefällt es hier, doch
weiß ich im voraus, daß ich während dieſer
müßigen Wochen viele Grillen fangen werde.
Etlihe taufende davon hätteft du mir ver:
ſcheucht.“
„Du? Grillen? Warum nicht gar! Du biſt
dein Lebtag ein Glückspilz geweſen, mit dem
ich jeden Augenblick tauſchen möchte.“
„Auch jetzt?“
„Gerade jetzt! Mein Gott, du biſt ja nicht
krank, Robert, nur müde, ein bißchen aufgebraucht
durch zu viel Leben. Und welches Leben! wenn
ich dich für beneidenswert erkläre, ſo hege ich ja
deshalb nicht ſchnöden Neid, wir gönnen dir alle,
was dir geworden, es iſt an den rechten Mann
gekommen. Glück war aber auch dabei! Auf
dem angenehmen Ummege eines Stipendiums
für Jtalien in gelehrte Hände zu fallen und den
interefjanteften Sommer in Griechenland er:
leben zu dürfen, ift ein Glüd!“
„Das ich mit meiner Geſundheit bezahle.“
„2a, la! jo ſchlimm iſt es nicht. Du haft
dich überarbeitet, zu anhaltend gezeichnet, die
Hitze dazu — das hat dein Nervenfyitem momen:
tan beunruhigt, jehs Wochen Seebäder und
alles fommt in Ordnung. Du biſt höheren
Drtes famos angejchrieben, zum Winter wird
man eine fchöne Baumeifterjtelle für dich parat
halten, es fehlt dir ja nicht an Gönnern und
Freunden. Ganz gewiß wirft du in W. placiert |
und befommft eine interefjante Aufgabe nach ber
anderen. Und dein gegenmwärtiges Schickſal iſt
auch nicht zu verfchmähen. Hier lebt ſich's köſt—
lich — welche Luft! und wie viele hübſche Ge:
fihter find ung feit gejtern fchon begegnet. Mit
ſolchem Material wüßt' ich ſechs müßige Wochen
vortrefflich auszufüllen, und nun fol ein bild:
ſchöner Kerl wie du !*
Er hob feinen buſchigen Kopf mit Der ge:
heiten Maufe:Phyfiognomie und mujterte den
Freund diesmal wirklich mit etwas neidifchem
Blick von oben bis unten. „Von alters ber
find dir überall die Mädels nachgelaufen!“
Nobert zudte die Achſeln. „Unfinn! den
Hall aber angenommen, hätteft du, werter Hans,
irgend ein Vergnügen an Mädels, die mit ihrem
Herzhen auf dem Präfentierteller dir nad)
jpazierten?“
„D ja!” fagte Hans innig. „Großes Ver:
gnügen; leider thun ſie's nur nicht. Du bift ein
falter Fiſch, aber gib acht, dein Stündlein wird
auch noch jchlagen.“
Der Schöne gab feine Antwort; feine Augen
folgten einer Geſtalt, dDieeben, aus dem Wäldchen
fommend, deſſen Fortſetzung die Anlagen bil:
deten, quer über den Weg gefchritten war und
die Richtung nad dem Strande einhielt. Eine
hohe Figur, die durch einen weiten, dunkel—
blauen Radmantel verhüllt war. Ein weißes,
leiht über den Kopf gemworfenes Spitentuch,
dejjen Enden ſich unter dem Kinn verknüpften,
verbarg das Haar beinahe volljtändig. Nur das
ichmale Geficht blieb frei. Die ſchlanke, unbeklei—
dete Hand umſchloß zwei hohe Lilienftengel, die
fie in derfelben unverrüdt aufrechten Linie er:
hielt, welche auch die langjam jchreitende Ge:
jtalt zeichnete. Als fie bereits verfhmwunden war,
erfüllte der feine Blumenodem nod) die Luft.
„Du bift zerjtreut, Robert,“ fagte der Kleine,
welcher ununterbrochen weitergeſchwatzt hatte,
‚ während die Gefährten den Hügel erftiegen, der
zum Bahnhofe führte, „woran denfit du?“
Die Madonna mit den Kilien,
„Diefe Frau hat mich ganz merfwürbig an
eine Madonna aus meiner Kinderzeit erinnert — “
„Eine fhwarze Madonna!“ lachte Hans,
„Du haft doc) fonft fharfe Augen im Kopfe;
wenn du die Blaue meinft, welche vorhin mie
ein umgefehrtes Ausrufungszeihen an uns vor:
beiftelste, fo made ich deiner Phantafie mein
Kompliment. Die — eine Madonna !mir ift fie
auch aufgefallen, durch ihren Mulattenteint und
ihre Häßlichkeit.“
„Es ift doch nicht anders,“ fagte Robert
heiter, „Daheim in meinem Geburtsörtchen
fteht eine Kleine Kirche auf dem fogenannten
Berg — ein Maulwurfshügel natürlih. Die
Mutter ging gern dorthin beten, und es war
mein Höchites, mitgenommen zu werden. Da
gab es Gold und Farben vollauf, und der Zopf—
ftil mit den bemalten Engelsföpfen, die aller:
wärts zwifchen vergoldeten Flügeln herunter:
ſchauten, war mir damals gerade recht. Ueber
dem Altar hing ein Muttergottesbild, vor dem
immer zwei Kerzen brannten. Ich ſeh' es och,
und eben jah id) es wieder. Das trug Lilien
gerade fo vor fich her, im blauen Mantel, mit
dem Schleiertuch auf dem Kopf.“
„Hm!“ madte Hans, „über Gefhmad
follten Architekt und Maler eigentlih nicht
ftreiten! meine Augen proteftieren aber gegen
deine Heilige. Zum Glüd ift fie reichlichmajorenn,
und jo hat es wenigitens feine Gefahr. Ade
nun, alter Freund, werde friſch und laſſe bald
von dir hören!”
Nobert Haag fchlenderte ruhig dem Kur:
haufe zu, deſſen Mittagsjtunde nahe war, und
wohin er nach Tiſch aus dem Gajthofe, der die
Reifegefährten für eine Nacht aufgenommen,
für die Dauer feiner Kurzeit überfiedelte. Die
wenigen geräumigen Gelaſſe des Haufes waren
bereits vergeben, der junge Baumeijter hatte
deshalb zwei der nah dem Balkon mündenden
Bimmerden in Beichlag genommen, wozu der
Schöne Ausblid nad der Dftjee ihn verführte.
Als er fih aber nun wirklich in den winzigen,
fajütenartigen Räumen einrichtete, überfam ihn
Neue, nicht lieber eine Privatwohnung bezogen
zu haben. Freilich bedurfte er des Raumes
einzig für feine Perjon; Bücher und Zeichnungs:
mappen, von denen er fich fonft auch auf Reifen
nie gänzlich trennte, ftanden diesmal auf dem
Inder des Arztes,
Etwas ermüdet von dem Surren vieler
Stimmen am Mittagstifche, die ihm an das Ohr
485
gedrungen waren, ohne daß ihn auch nur eine
der dazu gehörigen Phyſiognomieen interejitert
hätte — etwas gelangweilt, ftredte er ſich auf
das harte Sofa feines ſechs Duadratlängen
und vier Quabdratbreiten meſſenden „Salons“, er:
gab ſich einem tröftlihen Mittagsfchläfchen,
träumte von Rom, und rettete ſich jpäter vor
dem im Kurgarten fchmetternden Konzert durd)
eine Nefognoscierung der Landſchaft. Ziemlich
ipät, jchlafmüde, und mit der Abficht, Feinesfalls
länger im Haufe zu bleiben ala während der
bereits abgeſchloſſenen Mietszeit, kehrt er in feine
Kabine zurüd.
Als er am nächſten Morgen ausgeſchlafen
hatte, jtand der Barometer feiner Yaune be:
deutend höher und zeigte ebenfo gutes Metter
als die Sonne, welche die Melt heute überbligte.
Raſch begab er fi nad) dem Strande, nahm in
der funfelnden, himmelblauen See fein erjtes
Bad und fehrte erfrifcht, zugleid) hungrig zurüd,
um von einer aus feiner Klaufe wirbelnden
Staubwolfe begrüßt zu werden. Himmel! hier
fehrte man jchon bei grauendem Morgen. Eben
war er im Begriff, ſich hinab in den Speijefaal
oder auf die Veranda zu flüchten, als der die—
nende Geift ihn frug, ob er den Kaffee auf dem
Balkon ferviert wünfhe? Er warf einen flüch—
tigen Blick durch die weitgeöffnete Glasthür,
ſah nur fehr wenige der Fleinen Tiſche draußen
befeßt und ftimmte zu. Während er auf fein
Frühſtück wartete und dann und wann einen
Bli in die mitgebradhte Zeitfchrift warf, über:
fchaute er den, um die ganze erfte Etage des
Haufes laufenden Balkon. Nor jedem der, nad)
Anzahl der Thüren zu fchliegen, zahlreichen
Zimmer ftand ein rundes Tiihchen, mit der
uniformroten Frühftüdsdede verfehen. Die Glas:
thüren, welche zu diefem gemeinſchaftlichen Bal:
fon führten, waren weniger uniform; auf den
erſten Blick ließ fich erfennen, hinter welchen der:
felben eine Dame noch ihr jchlummermüdes
Haupt barg; nicht die gewöhnlichen Gafthof:
verräter, zierlihe Stiefelhen, fondern nod) viel
Bierliheres gab das Erfennungszeichen : vor den
betreffenden Fenſtern ftanden nämlich in mehr
oder minder primitiven Gefäßen friſche Blumen,
welche für die Nacht aus den Schlafzimmern ver:
bannt worden.
Während Robert Haag diefe Beobadhtung
machte, wehte ihm der Frühwind mit einemmal
würzigen Duft zu. Er wandte den Kopf und
jah etwas hinter fih, vor dem zweitnächſten
Fr
486
Fenſter, ein paar hohe Liltenftengel in einem
henfellojen Bunzlauer Kaffeetopfe ftehen. Neu:
gierig behielt er nun diefe Thür im Auge; um:
fonft, fie that fich nicht auf und bald zog Robert
vor, fid) dem leuchtenden Bilde zuzuwenden, das
Meer und Strand boten. Fern ragte der Leucht—
turm, wie mit feinem Pinfel gezeichnet, in die
blaue Luft. Segelſchiffe ſchwammen wie goldene
Bunfte auf dem windſtillen Waffer, drunten im
grünüberfchatteten Garten tauchten cinzelne Ge:
jtalten auf und verſchwanden wieder. Ein leifes
Klirren genügte jedoh, dem Kopf des Bau:
meiſters eine andere Richtung zugeben. Erraten!
an dem Tiſchchen dort, auf welches die Auf:
wärterin eben ihr Theebrett niederjtellte, ſaß
die von Lilien unzertrennliche Geftalt, heute wie
gejtern vom blauen Mantel umhüllt, mit dem
weißen Schleiertuch über dem Kopf.
Der junge Mann veränderte unmerklich feine
Stellung ein wenig, nahm fein Journal als
Schild vor das Gefiht, und blinzelte darüber
hinweg. Ganz unnötige Vorfiht; die Dame
nahm jo wenig Notiz von ihm, als von den üb-
rigen Perfonen, die nad) und nad einzeln hier
oben auftauchten. Auch fie las, während fie
langfam ihr Frühftüd genoß; da fie aber fein
großes Blatt, fondern nur ein kleines Buch in
den Händen hielt, fonnte Robert fie ungehindert
betrachten.
Hans hatte recht; dieje Frau war weder
jung nod) jchön, fie fonnte ſogar auf das gegen:
teilige Prädikat Anspruch machen, um jo mehr,
als ihre Bewegungen auch nicht eine Spur von
Anmut verrieten. Troßdem betrachtete Nobert
fie mit unvermindertem Intereſſe; auch ohne
Lilien in den Händen gli fie dem jchlichten,
dunfeln Bildwerfe, das er jo getreulih im Sinn
behalten hatte. Die außerordentliche Ruhe ihrer
Haltung erhöhte ihm die Illuſion. Alte Zeiten,
längſt übermalt von farbenbunteren Gebilden,
ftiegen in feiner Erinnerung auf. Die Mutter,
das heimatliche Landſtädtchen, die fröhliche
Kindes: und Knabenzeit! ein Hang ergriff ihn,
dort wieder einmal hinzufommen, eine jonder:
bare Sehnſucht, die er im nächſten Moment felbjt
belächelte. Faft im gleihen Augenblid hob fid)
auch feine Illuſion auf. Die Dame jtreifte mit
einer ihrer gelafjenen Bewegungen das Tuch
vom Kopfe, der ihm nun, von diefer Umrahmung
frei, ganz fremd und wenig anziehend erichten.
Die Züge des länglicen Gefichtes waren nicht
unregelmäßig, aber reizlos, und bie einzige
OO
U, Gobin.
Schönheit, welche diefem Kopfe eigen: reiches
braunes Haar, war fo unvorteilhaft ala möglich
verwertet; mit puritanifcher Schlichtheit feſt um
das Haupt gelegt, trug e3 nichts dazu bei, Die
allzu hohe Stirne zu beſchatten.
Enttäufcht wandte fich Robert zu feiner Zef- i
türe zurüd, beendete den begonnenen Artifel,
trat dann einen Moment in fein Zimmer, fich
Cigarren zu holen, und fam, als er jeinen Platz
wieder einnehmen wollte, eben recht, um feine
Zeitichrift auf Flügeln des Windes der blauen
Dame zuflattern zu fehen.
Sie hatte ſich danad) gebüdt, ehe er heran
war, hielt die Brofchüre in der Hand und warf
einen Blid darauf. Als er mit leichter Ver—
beugung vor ihr jtand, fah fie auf und fagte
etwas zögernd, mit wohlflingender, entfhieden
norddeutſch accentuierter Stimme:
„Wenn e3 nicht allzu unbefcheiden erfcheint,
möchte id} bitten, dies journal einen Augenblick
zurüdbehalten zu dürfen.“
„Mit Vergnügen, gnädige Frau. Nur ift
e3 leider eine alte Nummer. ch erwarte erft
Nachſendung.“
„Wie ich eben bemerkte, enthält dieſe Num—
mer einen Artikel, auf den ich brieflich aufmerk—
fam gemacht wurde, und der mich interejfiert, “
jagte fie. „Das Blatt ift hier nicht zugänglich. *
Robert zog fid nad) ein paar zuftimmenden
Worten an feinen Tiſch zurüd. Nun hatte er
das Bild ganz in der Nähe geſehen; es war in
der That häßlich. Und doch gab es etwas in
diefem Gejicht, was bei ihm zurüdblieb. Nie zu:
vor war ihm bei einer Frau ein Blid fo voll
Nuhe und Verjtand begegnet. Die Haren, nuß—
braunen Augen wedten den Wunfch nad Be:
fanntjchaft mit dem Geifte, der daraus hervor:
blidte. Robert beſchloß, den Zufall diefer An:
fnüpfung nicht unbenußt zu lafjen und ſich ge:
legentlich zu überzeugen, ob die Nede dem gar
Hugen Blid entiprechen würde. Daß die Fremde
auf den Artifel gefpannt war, deſſen fie gedacht,
verdarb nichts an den wenigen Worten, die er
von ihr gehört; der Aufſatz, deſſen Ueberjchrift
ihr Blick gejtreift, während ſie ſprach, war von
feiner eigenen Feder, eine gedrängte Darftellung
der in Athen verlebten Zeit, die er im Anſchluß
an einen von der Negierung zum Zwed arhäo: .
logiſcher Unterfuhungen entjendeten Gelehrten
reich ausgenutzt hatte. 9
Die Dame verſchwand bald Hinter ihrer \
Glasthüre und fam nicht mehr zum Vorfchein. 1
Die Madonna mit den £ilien.
Nach einer halben Stunde etwa überbradhte ihm
die Aufwärterin fein Journal mit der Aus:
rihtung: „Fräulein Böhm ließe danken.” Er
wunderte fih; anmutlos wie die Erjdeinung
war, trug fie doch nichts Altjüngferliches an ſich.
Meder bei Tiſch noch gegen Abend am Strande
ober auf dem Stege, mo die Kurgäſte des fleinen
Badeortes faft unvermeidlich einander jtreiften,
war eine Spur bes blauen Mantel3 zu jehen.
Am folgenden Morgen ſaß aber das Fräulein
zeitig am Frühſtückstiſch, heute ohne Hülle, in
einfahem grauem Kleide, deſſen Schnitt zwar
der herrjchenden fnappen Mode nicht entſprach,
ihrer etwas hageren, doch gutgebildeten Gejtalt
aber zum Vorteil gereichte. Robert grüßte und
erhielt eine leichte Kopfbewegung zum Dank.
Er hätte die Nachbarin gerne angeſprochen, doch
fehlte e8 dazu an Gelegenheit. Wäre der Ar:
tifel, den fie gelefen, nicht von ihm jelbjt ge:
wejen, fo hätte ſich fragen laffen, wie derfelbe
ihr gefallen. Sein Name ftand feit gejtern
Abend im Fremdenbuch, fonnte ihr möglicher:
weiſe befannt geworden fein, da erfchten es ihm
nicht am Plate, ohne weiteres an die vom Winde
eingeleitete Blätterbefanntjchaft anzufnüpfen.
Ueberdies ſchien das Fräulein ganz in ihr kleines
Buch vertieft. Im Laufe des Tages traf der
junge Mann Bekannte, ließ fih zum Ausfluge
nad) einer ſchönen fürftbifchöflichen Parkanlage
und zum gemeinjchaftlichen Abendeffen im Kur:
garten bereden, wovon er angeregt heimfehrte,
durch eine fchlaflofe Naht und große Abſpan—
nung des nächſten Morgens aber fühlbar an das
ärztliche Gebot erinnert wurde, ſich ganz ftille
zu verhalten. Die Melancholie, welche den erjten
Eindrüden des Ortswechſels, der friſchen See:
luft momentan gewichen war, bemächtigte ſich
plöglid; wieder jeiner Stimmung. Das thätige,
lebhafte, an jtete Regſamkeit gewöhnte Naturell
empfand den Kontraft zwifchen einer, noch ganz
nahe liegenden, mit Arbeit und Intereſſe aller
Art überfüllten Vergangenheit und der gebun-
denen Gegenwart fo ſcharf, daß er, wie ſchon in
mancher ähnlichen fchweren Stunde, an Her:
jtellung feiner erjchütterten Kräfte nicht zu
glauben vermochte, noch weniger fich zur Refig:
nation hinauf: oder hinabzuftimmen geneigt war.
Es gibt nichts Bedrüdenderes, als fich zugleich
in zu ſtarken und zu Schwachen Kräften zu fühlen
— neben vielem, was da ift, alles zu erkennen,
was fehlt, um den ganzen, vollen Menjchen in
fein Gleichgewicht, fein unentbehrliches Lebens
487
bemwußtjein zu verfegen. Diefe Schwere laftete
jet um fo drüdender auf Robert Haag, als ihm
bisher nur Erwünſchtes zuteil geworden mar.
Eine glüdlicher beanlagte Natur fonnte es nicht
geben. Dffenen, empfänglichen Geiftes, Fünft:
lerifch in allem, was den Gefchmad, im höchſten
Sinne, anging, dabei von gemäßigtem Tempera—
mente, befriedigte ihn das Leben wie fein Beruf,
Als ihm unverhoffte Gelegenheit ward, Rom
und Athen zu fehen, fühlte er fich hoch beglüdt.
Mo blieb nun aber dieje leuchtende Sonne
Italiens und Griechenlands, in deren Glanz
alle Künfte ihn begrüßt hatten? Die Mäßigung,
womit er jonjt alles Genießen ergriff, war ihm
dort abhanden gekommen; ein folder Taumel
der Schönheit hatte ihn ergriffen, daß er die
Kunft nicht mehr als ein für die Welt Geſchaf—
fenes, jondern Welt und Menfchen als für die
Kunft geichaffen betrachtete und ſich felbit mit
all feinem Leben in diefe Liebe zu den Künften
hineinftürzte. Die lang ausgedehnten Tage, ein
guter Teil feiner Nächte füllten fich mit unab:
läffiger Arbeit, oder ebenfo unabläffigem Schauen
und Genießen.
Die Reaktion blieb nicht aus. Es dauerte
geraume Beit, bis feine jugend fi und anderen
zugab, daß ihm plötzlich die Herrichaft über feine
Leiltungsfräfte abhanden gefommen war, und
der Körper fich nicht mehr durch den Willen be:
zwingen ließ. Er wehrte fich davor, ſolchen
Bankerott überhaupt nur zu begreifen — in
Stunden, gleich den heutigen gab er fich nicht
nur das zu, jondern gab fogar feine Zukunft auf.
Der Abend diefes ſchwermütigen Tages
brachte ihm mit anderem Pofteingang ein neues
Heft der Zeitjchrift, deren Mitarbeiter er war —
gewejen war, jagte er fich heute. Er dachte einen
Moment daran, es feiner Zimmernachbarin
hinüber zu ſchicken, unterlieh das, fchalt ſich aber
jelbjt unfreundlich, als er die Einfame am nächſten
Morgen fiten jah, und näherte ſich ihr, nachdem
beiderjeits das Frühſtücksgeſchäft abgethan war,
mit dem journal in der Hand. Sie dankte ein:
fah, erwähnte, daß man ihr inzwischen feinen
Namen genannt und frug, ob fie wirklich den
Verfaſſer jenes Aufſatzes vor fih fehe. Ein
treffendes Wort über diefe Arbeit, welches fie
feiner zuftimmenden Verbeugung folgen lieh,
regte ihn zur Ermiderung an, er bat um Er:
laubnis, fih einen Augenblid bei ihr niederlajjen
zu dürfen, und nad) wenigen Minuten war ein
ihn ſehr intereffierendes Gejpräd im Gange.
62
488
Als er fich nad) einer Stunde empfahl, ſagte
er fich mit einer gewiſſen Befriedigung, daß der
erite Eindrud, welcher diefe Perjönlichkeit für
ihn aus der Mafje der Erſcheinungen heraus:
gehoben, ihm doch nicht getäufcht habe, und
nahm ſich vor, eine Bekanntſchaft zu pflegen,
welde ihm gerade das verſprach, deſſen er jetzt
bedurfte: finniges Gefpräh. Fräulein Böhm
fam dieſer Abficht zwar nicht entgegen, erfchwerte
jte aber auch nicht. Jeder Morgen fand das
äußerlich jo ungleiche, geiftig vielfach verwandte
Paar in regem Austaufch der Meinungen, wo—
bei fo ziemlich alle Fragen der Menfchheit zur
Sprache famen, und Robert ftaunte immer von
neuem über die Natur des Geistes, den er all:
mählich näher fennen lernte. Ohne damit einer
Abſicht zu folgen, hatte er bisherim Geſpräch mit
Frauen meijt nur mittelmäßige Gedanfen aus:
gegeben, und fich die ausgejuchteren für den
Verkehr mit Männern oder für feinen Schreib:
tiſch aufgeſpart. Dies gefchah durchaus nicht
aus Geringihägung, nur hatte ihn feine Er:
fahrung gelehrt, daß die Frauen durchſchnittlich
mehr von dem jprechen, was vorgeht, als von
dem, was wirklich ift. Mit der Freude, welche
jeder unverhoffte geijtige Gewinn wedt, fand er
bei der neuen Bekannten die Möglichkeit, fi
über alles Angeregte frei äußern zu fönnen,
was nur da thunlich it, wo man hoffen fann,
verjtanden zu werden. Sie mußte eine gründ:
liche, ungewöhnlich umfajjende Bildung genofjen
haben, jagte aber nie, was fie wußte, fondern
immer nur das, was fie Dachte, und fefjelte feinen
Geiſt namentlich dadurch, daß fie ihr eigentüm:
liches Naturell unverjehrt von alledem zu be:
wahren gewußt, was weiblihen Begriffen fo
vielfach verkehrt eingeimpft zu werden pflegt.
Keine Spur dabei von irgend einer nicht weib-
lihen Verſtandesoberherrlichkeit. Es Fonnte
feine einfachere Art geben fich zu äußern, während
fie mit einer Aufmerkjamfeit zu hören verjtand,
welche die Gedanken des anderen blühen und
reifen ließ.
Diefer Verkehr ward rafch zur Gewohnheit
und bejchränkte fich nicht bloß auf die frühen
Morgenftunden, fondern führte die neuen Be:
fannten mit oder ohne Verabredung zu mancher
Strand: oder Waldpromenade zufammen, wobei
denn auch im Laufe der Tage Berfönliches zur
Sprade fam. Franzisfa Böhm stand allein und
verſchwieg nicht, daß fie zumeilen ſchwer an
diefem Zujtande trage. Sie hatte eine Neihe
A. Godln.
von Jahren hindurch in tiefer Zurückgezogenheit
mit ihrem Vater verlebt, der, ein Gelehrter und
Sonderling, von Welt- und Menſchenverkehr
nichts wiſſen mochte, philoſophiſche Schriften
verfaßte, welche er nie dem Druck übergab und
die Tochter zur Gefährtin ſeiner Studien und
feiner Einſamkeit heranzog. Es war ihm ac:
lungen, ſie in ſeiner geiſtigen Region heimiſch
zu machen, während ſie ſich doch ſeiner etwas
Timoniſchen Lebensauffaſſung nicht anſchloß.
Der Einfluß einer milden, liebensmwürdigen |
Mutter, welche das Mädchen nach ihrer Weife
bildete, wirkte nad, obgleih Franziska dieſe
Mutter bereits in ihrem jechzehnten Jahre ver:
loren hatte. Durch die Grillen des Vaters jpäter
von Frauenumgang fait gänzlich geſchieden, hatte
fich feine Form weibliher Anmut, Die zumeilen
Naturgabe, jehr oft aber aud Gewöhnung iſt,
bei ihr entwidelt — ein Mangel, deſſen fie ſich
faum je bewußt ward, fo lange der Vater, der
ihrem Geift und Herzen volle Nahrung gab, an
ihrer Seite blieb. Seit fein Tod fie allein ge:
lafjen, empfand fie erit, daß fie nach Art und
Weſen von anderen ihres Gefchlehts fehr ver:
ſchieden war. Die namenloje Verödung des
Lebens, welche in diefem Maße, diefer Art nur
das Meib empfindet, dem mit Aufhören einer
Hingabe und Fürforge an die Nächſten zugleid
der feſte Kern aus dem Leben geihält wird,
hatten Franzisfa einige Zeit nad) dem vor etwa
zwei Jahren erlebten Verluft dazu bewogen, jid
Verwandten anzufchließen, in deren Haufe fie
hoffte nüßen zu können. Sie war in Führung
häuslicher Gejchäfte geübt und wohlerfahren, da
ihres Vaters PVhilofophie durchaus feine Die:
genes: Färbung hatte, er im Gegenteil gewiſſe
Komfort:Anfprüche machte, welche bei ziemlich
beichränften Mitteln zu befriedigen, für Frau
und Tochter ein Studium und aufmerfjame
Praris erforderte. Troß diefer Eigenſchaft, trotz
einer perfönlichen Anfpruchslofigkeit, die ſich nie
verleugnete, wußten aber die Menfchen, in deren
Kreis fie trat, nichts mit ihr anzufangen. Der
ihr anhaftende Ruf einer „gelehrten Frau,” eine
gewiſſe Weltunläufigfeit, ihr ſchlichter Stolz,
der jich gern freiwillig unterwarf, aber feinem
Drud fügte, ſchufen zwiihen ihr und den Haus:
genofjen eine Kluft, welche fich ſchwer über:
brüden ließ. Franziska löfte endlich die Ver:
bindung und befchloß, ihre Selbſtändigkeit nicht
mehr aufzugeben. Noch etwas unfhlüffig, in
welcher Weife fie ihre geiftigen und materiellen
Die Madonna mit den £ilien.
Mittel verwenden wolle, da nur ein geringes
Kapital ihr zur Verfügung ftand, fie alfo auf
Erweiterung ihrer Eriftenzmittel bedadht fein |
mußte, war fie zunächit für einige Wochen in
das Seebad gegangen, wo fie vor Jahren mit
den Eltern einen unvergefjenen Sommer ver:
Iebt hatte, und ſich nun, nad) mandjerlei Uner:
freulihem, erſt in volles Stimmungsgleichge—
wicht verſetzen wollte, ehe fie ihrer Zukunft feite
Form gab.
Nicht in folhem Zufammenhange, dennoch |
überfichtlic genug, ward Nobert nad) und nad
mit diefem Lebensbilde der Freundin befannt,
Die ihn mit der ihr eigenen Ruhe nad) feiner An:
fiht über die Weitergejtaltung ihrer Zukunft
befrug. Er riet von jeder Lehrthätigfeit ab und
fchlug ihr vor, ihre Kenntnis fremder Spraden
zur Ueberſetzung wiſſenſchaftlicher Arbeiten zu
verwerten, für welche nicht, wie bei der Belle:
teiftif, fo viele unfähige Kräfte Verwendung |
fünden, und erbot fih, ihr dafür die Wege zu
ebnen — ein Vorfchlag, auf welchen fie um fo
lieber einging, als er ihr möglich machte, in der
Zurüdgezogenheit zu leben, welche ihr zur zweiten
Natur geworden.
Die Zeit, welche Franziska hier zubringen
wollte, lief früher ab, als Roberts Kurzeit, und
er ſah die Gefährtin ſo vieler inhaltsreicher
Stunden mit lebhaftem Bedauern ſcheiden. Die
getroffene Verabredung ſtellte ſelbſtverſtändlich
eine Korreſpondenz in Ausſicht; Franziska,
welche nach ihrem früheren Wohnorte zurück—
kehrte, wo fie den Hausrat des Vaters unter:
gebradt, da ihr felbft der unternommene An:
Ihluß an jene Familie als Verſuch, nicht ala
Lebensentſchluß gegolten, verſprach gern, Nach—
richt von ſich zu geben. Mit herzlichem Hönde—
druck ſchieden beide als Freunde.
* *
*
Der Herbſt rückte vor; ſchon herrſchte die
Lampe über den Abend. Da heute ein Regen—
tag doppelt frühe Dämmerung gebracht, hatte
Franziska die Rouleaus ihres Wohnzimmers
ſchon zeitig niedergelaſſen. Das weiße Licht der
Hängelampe fiel auf den runden Tiſch und be—
leuchtete die lachenden Geſichter zweier hübſchen
Mädchen, welche bei „Fräulein Fränzchen“ zum
Thee geladen waren. Trotz aller Abwehr be—
ſtanden die jungen Töchter ihrer Hauswirtin
darauf, Franziska dieſen Schmeichelnamen zu
geben, der ihr nach ihrer eigenen Anſicht ſo gar
489
nicht zu Geſichte ſtand. Und doch ſah dies Ge—
ſicht gerade jetzt wirklich um vieles heller, alſo
in gewiſſem Sinne jugendlicher aus, als an dem
Tage, wo es Lilien vor ſich hertrug. Aeußerlich
war an der ſchlichten Erſcheinung durchaus nichts
verändert; puritaniſch einfach, mit derſelben un—
kleidſamen Haartracht ſaß ſie der fröhlichen
Jugend gegenüber, die eben einen Feldzug ge—
rade gegen dieſe Anordnung des Haares er—
öffnet hatte.
„Fräulein Fränzchen, ih muß Sie einmal
frifieren dürfen! Seit id Sie neulich mit offenem
Haar überrumpelte, läßt eö mir feine Ruhe mehr!
es ift eine Sünde, wie Sie diefe Pracht zu:
jammendrehen!” fagte die Blonde.
„Pracht ift gut — auf eine fo prächtige Per:
fon angewendet,“ nidte Franzisfa.
„Emmy hat aber recht!” verficherte die
zweite Haustochter. „Sie find ja immer fo lieb
und gut mit uns, Fräulein Fränzchen, thun Sie
' uns den Willen, ja? lafjen Sie ſich heute abend
gleich einmal von Emmy frifieren, die verfteht'3,
und Sie follen fchon fehen, wie vorteilhaft fie
das ordnet.”
„Dann, wenn fie fertig fein wird, fete ich
mir zur Zierde die ſchwarze Hauskatze auf den
Kopf! Ihr feid nicht bei Troft, Kinder! Erzählt
mir lieber von eurer geftrigen Zandpartie und
bejchreibt mir alle Abenteuer, die das Donner:
wetter im Walde zur Folge gehabt haben muß.“
Doch, Franziska war verändert! Wie Streif:
lichter der Sonne eine farblofe Landſchaft be:
' leuchten, waren ihrem Leben feit furzem neue
‚ Freuden und Intereſſen aufgegangen, die Licht
in ihre nur an Ernſt gewöhnte Seele warfen
und ihr die Welt durch ein Prisma zeigten, das
fie nie gefannt. Ihr liebreiches, anſchlußbedürf—
tiges Naturell, das fie ihrem Vater gegenüber
jtets im Ausdruck hatte beherrfchen müſſen, ihre
angeborene Menfchenfreundlichkeit durften zu
' Worte fommen, jeit fie zum erjtenmal in eigener
Häuslichfeit frei ftand. Während die Tangge:
wohnte Zurücdgezogenheit fie von jeder Initia—
|
tive auch jett noch abhielt, erfaßte jie doch be:
reitwillig und mit Wärme alles, was an fie
herantrat. Daß friſche Jugend fi ihr anzu:
' Schließen begehrte, erſchien ihr wie eine befondere
Schickſalsgunſt; des ftillen Reizes, der von ihrer
‚ harmonischen Häuslichkeit, ihrem Talent ausging,
' jeden in feiner eigenjten Sprache zu Worte fommen
| zu lafjen, war fie fich nicht bewußt. Während die
| jungen Mädchen inftinktiv empfanden, daß fie
490 u. Gobdin,
niht nur für alle ihre Angelegenheiten und | liche galt ihr diefer rege, geijtige Werfehr; ein
Anliegen bei Fräulein Fränzhen eine Heimat | Genügen, eine Befriedigung am Dafein erfüllte
fanden, fondern aud) ftet3 in irgend einer Weife | fie ganz. Kein Wunſch blieb übrig.
bereichert von ihr gingen, war es diefer, die nie | Während die jugendlihen Gäfte Franziska
an ſich oder anderen fo recht erfahren hatte, mas | all ihre Lebensluft vorzwitfherten, trat das
Jugend fei, als käme fie erft auf die Welt, diefen | Dienftmädchen mit einem Briefe ein, den das
offenen, jo köſtlich unwiſſenden Kindern gegen: | Fräulein nach flüchtigem Blid darauf uneröffnet
über. Beſchäftigung, welche fie interefjierte, füllte | in ihren Nähforb legte. Er fam von Robert,
ihre Zeit anregenb aus und verjchaffte ihr zu: | war erwartet und follte fpäter in Ruhe ge:
gleich eine, für ihre geringen Bebürfniffe fait | Iefen werben. Erſt als fi die Mädchen, nad
Wohlftand zu nennende Sorgenfreiheit der äuße: | einer Stunde etwa, entfernt hatten, der Tiſch
ren Eriftenz. Robert Haag hatte Wort gehalten; | abgeräumt und feinerlei Störung mehr zu er:
feinen Verbindungen gelang e3 unjchwer, zu er: | warten war, 30g Franzisfa ihren Schaß hervor,
reihen, was er für die Freundin im Sinne trug, | im ftillen vorausgefpannt darauf, was ihr
und da fie Ausgezeichnetes leiftete, folgten dem | heute gezeigt, wodurch fie erfreut und gefeſſelt
erſten Auftrage, der ihr geworden, fofort neue | werden würde. Etwas enttäufcht fah fie nur
Anerbietungen. hr, bisher meift auf abftrafte
Fragen gerichteter Geiſt empfing durch interef:
ſante Werke, deren Uebertragung ihr anvertraut
wurde, friihe Nahrung, während die Korrefpon:
denz mit Robert fie in die ſchöne, heitere Welt
der Künfte bliden ließ. Diefer Briefwechſel
hatte fih rafch zu einem regelmäßigen ausge:
bildet. Jede Woche brachte einen der geiſt- und
lebensvollen Briefe des Architekten und regte zu
unmittelbaren Antworten an, welche ebenfojchr
zum Inhalt des gegenwärtigen Lebens Franzis:
fas gehörten, als der Empfang feiner Mit:
teilungen.
Während der Monate, die zwifchen jet und
dem perfönlihen Zufammentreffen mit Robert
lagen, hatte fich für diefen vieles verändert und
günftig geftaltet. Sein herrlicher Organismus
erholte fich rajcher, als jelbft der Arzt gehofft,
von der erlittenen Erfchütterung ; im Befit feiner
alten Elafticität hatte er den Kurort verlaflen
und fih nah W. begeben, um fich dort um eine |
Stellung zu bewerben, die ihm um fo ficherer
in günstiger Ausficht ftand, als fein glänzend
beſtandenes Baumeiftereramen bereits hinter
ihm lag, ehe er für jene Expedition herange:
zogen worden war.
nur um die Frage, ob ſich ihm ein Wirkungs—
freis in der Refidenz oder in einer der Provinzial:
Hauptitädte bieten würde. Jeder feiner Briefe
trug neue Bilder und Geftalten in Franzisfas
Belle. Der geiftige Horizont, welcher ſich ihr
aufthat, fchien fich ihr ins Unermeßliche zu er:
weiter. Zugleich erkannte ihre eigenfte, ihre
weibliche Seele, wie förderlich es innerem Ge:
deihen fer, von den Tagen etwas Köftliches er:
warten und erhoffen zu dürfen. Als dies Köjt:
Es handelte ſich zunächſt
|
|
|
eine Seite beſchrieben. Sie las, und Die Hand,
welche das Blatt hielt, ſank an ihrnieder. Diele
wenigen Zeilen umfchlofjen nie geahnten Inhalt.
Liebe Freundin!
Geftern Fam mir auf Privatwege Die heute
ſchon offiziell beftätigte Nachricht zu, daß ich hier
zum Baumeifter ernannt bin, eine Entfcheidung,
die fehr mit meinen Wünſchen übereinftimmt.
Ob ich meiner Zufunft aber wirklich froh werben
foll, hängt von Ahnen ab. Wollen Sie mein
Los teilen, liebe Franzisfa? Sie find unter allen
Frauen, die mir begegneten, die einzige, mit
der ich mein Leben zubringen möchte. Unſer
Verkehr war von der Art, daß Sie mich hin:
reichend fennen gelernt; laſſen Sie mid) hoffen,
daß ich Ihr Vertrauen gewonnen habe, und Sie
ſich mir nicht verfagen!
Robert Haag.
Franzisfa ſaß unbeweglih, das Blatt auf
den Ainieen. Endlich erhob fie es, durchlas es
von neuem, und dann noch einmal. Mit tiefem
Seufzer fuhr fie fich über die Augen. Es war
ja doch nicht möglich, daß diefe Worte ihr galten!
So vertraut die Schriftzüge, jo unvertraut der
Anhalt. Sie, um die fih niemals ein Mann
anders befümmert hatte, als wie etwa um einen
guten Kameraden, die felbft nie auf den Ges
danfen gefommen war, für einen Mann das
Weib zu fein — und diefer! Roberts Erſchei—
nung trat vor fie hin, der edel getragene Kopf
mit den männlich fchönen, rein gejchnittenen
Zügen, die jchlanfe, anmutige Geftalt. Es hatte
ihr jo fern gelegen, fich ihm gegenüber als Weib
zu empfinden, daß fie fich feiner harmonischen
Bildung erfreut hatte, wie der Sonne, wie eines
Har leuchtenden Tages. Und während fie ihn
Die Nladonna mit den £illen.
ſowohl geiftig, als in allem, was das Leben be:
Deutet, ſich überlegen gefühlt, war er ihr doch
ſtets als der weit jüngere von ihnen beiden er:
Schienen, troßdem fie in demfelben Jahre mit
ihm geboren war. Diefer begehrte fie zum Weibe !
Cie, die ohne Jugend, ohne Schönheit, arm und
allein in der Welt war.
Sie ſchloß die Augen, es war ihr in dieſem
Moment, als wolle das Herz ihr ftille ftehen.
Mitten durch das traumhafte Hindämmern, in
Das jie verjant, lief es plötzlich über fie hin wie
Erſchütterung ihres ganzen Seins. Ein nie ge:
fannter, jüßer Tumult ri die ftille Seele aus
ihrem lebenslangen Nuhezuftande in fremden
Sturm. Die Gewalt war fo übermädtig, daß
ihr war, als müſſe ſie daran fterben, und doch
war, was jie niederwarf, einzig das Xeben! Un:
willkürlich ftand fie auf, fie mußte fich regen und
bewegen, ihr Fuß trug jie hin und wieder, fie
merkte es nicht, tief atmend ging ſie endlich in
ihr anſtoßendes Schlafzimmer, wo die Fenjter
offen jtanden, und blidte in das Dunfel hinaus.
Es hatte aufgehört zu regnen, zwifchen dem
ziehenden Gewölf funfelten vereinzelte Sterne.
Verwandelt erfchien ihr Himmel und Erde! Wie
491
Unter allem Hausrat, den Franziska beſaß,
hatte feiner je weniger Geltung gehabt, als der
Spiegel. Als Dekorationsftüd der Wand, als
Kontrolle der Ordnung an der perfönlichen Er:
ſcheinung ward ihm fein Hausrecht vergönnt;
Zeit und Berüdfichtigung, wie fie diefem Frauen:
diener font gewidmet wird, fam hier nicht auf
fein Teil. Seit dem Abend, welcher Franzisfa
vor eine Lebensentſcheidung gejtellt, fand der
gering geſchätzte Zimmergenofje ihr Bild aber
täglich, und nicht im Fluge, in feinem Rahmen.
Es war nicht das erhellte, verjüngte Bild,
welches am Theetiihe die harmloje Freude
findlihen Geplauders geteilt hatte — im
Gegenteil! Kämpfe, welchen diejen Zügen das
Wohlthuendjte nahmen, das ihnen eigen war —
den Ausdrud der Nuhe, hatten während der
folgenden Woche dort ihre ſcharfe Spur einge:
graben. Und doc ſchien das Auge, welches
jein eigenes Bild fuchte, daran eine gewiſſe
Befriedigung zu finden. Der verftörte, gram:
oft hatte fie hier geftanden und in hellfunfelnde |
Nächte hinausgeblidt, finnend, befriedigt, ohne
andere Empfindung ihres Alleinfeins als die,
dab Einſamkeit heiligiter Weltodem fei. Jetzt
empfand fie plößlich, wie tief vereinfamt fie doch |
hingelebt jeit langer Zeit, feinem eigen und not:
wendig, immer nur mit Dingen bejchäftigt, die
ebenjogut hätten ungethan bleiben können.
Schaffen, lieben, jorgen dürfen über fich hinaus
— ja das allein heißt leben!
Als Franzisfa nach einer Zeit, für die es
fein Map gab, in ihr hell beleuchtetes Mohn:
zimmer zurüdging, fiel ihr Blid ganz zufällig im
Vorüberfommen auf den Spiegel. Sie fuhr
zuſammen und jtand plößlich wie angemurzelt.
Ihre Augen hatten nur einen Moment auf dem
eigenen Bilde gehaftet, dann blieben fie gefentt, fo
unverrüdt an den Teppich gebannt, als könnten
fie nie wieder von deſſen Arabeske losfommen. |
Eine Handbewegung, wie zur Abwehr, unter: |
brach allein die völlige Negungslofiafeit Fran:
zisfas. Dann erhob fie mit einemmal den Kopf
undrichtete einen feiten Blid auf ihr Spiegelbild.
Es war fpät in der Nacht, als fie ihr Lager
aufjuchte. Auf ihrem Schreibtiich lag ein bereits
im Couvert verjchlofjener und geſiegelter Brief.
* *
*
voll bittere Zug, womit Franziska ſich be—
trachtete, wich faſt jedesmal ſtillem Ausdruck
der Feſtigkeit.
Ihre Tage ſpannen ſich in gewohnter Weiſe
hin; ſie arbeitete und ihr lang geſchulter Geiſt
zwang ſich die pflichtmäßige Konzentration ab,
melde, fobald man wirklich ernjthaft arbeitet,
jede andere Fähigkeit diefer einen dienftbar
macht. Dies konnte aber nicht verhindern, daß
fi troß der redlichiten Mühen, troß unabläj-
figer Beichäftigung eine Seelen:Zangemeile ihrer
bemädtigte, die ihr eine vollfommen fremde
Erfahrung und deshalb doppelt deprimierend
für fie war. Was fie auch vornehmen mochte,
ajchgraue Dämmerung lag darauf. In den
furzen Nuhepaufen aber erariff fie eine wilde
Sehnfuht nah Glück — ebenſo neu umd
nicht weniger quälend. Dann trat fie vor den
Spiegel.
Es war etwa acht Tage nah Empfang von
Roberts Werbung und Abjendung ihrer Ant:
‚ wort, an einem hellen Oftobermorgen, als fie
eben wieder vor diefem jeltjamen Tröfter ihrer
Schmerzen ftand und ihr Bild mit einer Auf:
merffamfeit betrachtete, als wolle fie es für eine
Zeichnung firieren. Da Hopfte ein Finger an
ihre Thüre, und als fie ih ummandte, trat auf
ihr „Herein!“ Robert Haag in das Zimmer.
Franziska erichraf jo heftig, daß ihr die
Stimme zur Begrühung verfagte. Nobert kam
aber mit ausgejtredter Hand ganz unbefangen
492
A. GBodin.
auf fie zu, lächelte, warf einen Blid durd) das | rau, mit der ich mein Leben zubringen möchte.
Zimmer und fagte in feiner angenehmen Weiſe:
„Wo ſetzen fich hier die Fremden?“
Mehanifh, noch immer fprahlos , ging
Franzisfa zum Sofa hin, fette fi willenlos
nieder und fah ihren Gaft an, wie aus bem
Traum heraus,
Eein heiterer Blid wurde ernft, als er vor
ibr Platz genommen und fein Gefiht ihr ganz
nahe war.
„Sie haben mich ausgefchlagen, Franziska,
unter dem Vorwande, ich hätte aus einer Illuſion
heraus um Sie geworben, könnte mic) nicht
mehr jo auf Sie befinnen, wie Sie in Wirklich—
feit wären — nicht wahr, fo lautete der Sat
ungefähr ?*
Sie hatte ſich gefammelt.
„Weshalb find Sie gekommen?“ frug fie
mit ftillen Augen.
„Es war nahe daran, daß ich nicht Fam,“
fagte Robert und faltete die Stirne. „Ihre
Annahme, daß ich nad) drei Monaten Zwifchen:
raum nicht mehr willen follte, wen ich mein
Leben anbot, war nicht jchmeichelhaft. Ich hatte
auf Ihr „Ja“ gehofft, aber nicht gerechnet. Da
bin ich nun doch! Wenn Sie mir jagen, daß
Sie Ihre Freiheit nicht aufgeben wollen, fo
habe ich nichts beizufügen — hr energijches
„Nein“ hätte überhaupt ein für allemal genügt,
wären nur Ihre Gründe etwas beſſer geweſen.“
Sie blidte ihn feit an.
„sch bin dreißig Jahre alt, unweltläufig,
nicht geichaffen, einem anderen das Leben zu ver:
ſchönern.“
„Es kommt hier nicht darauf an, was Sie
ſind oder wofür Sie ſich halten, Franziska —
worauf es ankommt, iſt einzig nur, ob Sie mich
an Ihrer Seite denken können, wie ich Sie an
der meinen. Sie ſind dreißig Jahre alt, ſagen
Sie; dies ehrwürdige Alter habe ich auch.“
Franziska machte eine Handbewegung.
„Zugegeben,“ fuhr er fort, „der Mann iſt
in folhem Falle jünger. Mid) hat aber von je
weibliche Jugend nicht anders angezogen, wie
alles, was dem Auge aefällt; mit den joge:
nannten unbejchriebenen Blättern weiß ich nichts
anzufangen. Die Zahl junger Mädchen, welche
Wir gehören zu einander.”
Franzisfa jah ihn unverwandt an. Wortlos
erhob fie jih, nahm Robert bei der Hand und
führte ihn fo zum Pfeiler, vor den jtrengen
Freund und Berater ihrer legten Tage. Die
breite Spiegelflähe gab das Bild des Paares
in voller Beleuchtung zurüd.
„Run?“ fagte Robert und ſah das lebende
Bild an feiner Seite aufmerkſam an.
„Behaupten Sie noch, wir gehörten zu ein:
ander?” entgegnete fie mit gewaltfamer Ruhe.
„Sie fürdhten fi vor der Welt?“ frug er
ernithaft.
„Die Welt hat mid in diefem Sinne nie
etwas angegangen," fagte Franzisfa einfach.
„Ich fürchte nichts als Ihre eigenen Augen.
Der Tag muß fommen, wo Sie Diefelbe Un:
möglichkeit fehen, die jeder Blid auf Sie mir
zeigt.“
„Meine Augen werden immer jehen, mas
mir an ben Ihrigen fo zugehörig erjcheint:
Geift und Nuhe. Ueberdies wiljen Sie ja,
Franzisfa, daß ich ſchon von Kind auf dieſen
— bornierten Geſchmack gezeigt. Oder haben
Sie vergeffen, was ich Jhnen von meiner Ma:
donna mit den Lilien erzählte? Kommen
Sie, wir fpielen doc) gar zu wunderlich, wenn
wir hier in Betrachtungen vor Ihrem Spiegel
ftehen bleiben.“ Er faßte ihre Hand und führte
fie in ganz gleiher Weife an den vorigen
Mat zurüd, wie ihm von ihr gefhehen war.
„Die Summe Ihrer Weigerungsgründe iſt
nun wohl aufgezählt,” ſagte er in ruhiger Heiter:
feit, „und da zum Glück für mich hierbei von
lauter Unwejentlihem die Nede tft, gönnen Sie
mir wohl, Ihnen meine Gedanken über die Ehe
zu fagen. Wir haben von vielen Dingen mit:
einander geiprochen ; dies Thema fam, fo viel
mir erinnerlich, nie zwijchen uns zur Erörterung.
Sie ſcheinen der Anficht zu fein, daß Aeußerlich—
feiten hierbei tief in das Gewicht fallen. Dieje
Ansicht iſt nicht die meinige. Alles hängt davon
ab, ob man innerlic zu einander gehört. Ich
habe in jo mande Ehe meiner Freunde einge:
blidt und beobachtet, daf die meisten Paare mit
dem beiten Willen, einander zu verjtehen, ganz
verschieden fehen und fühlen. Das gibt allen:
TEE
ich kennen lernte, ift nicht gering, ich habe aber
ſtets dieſelbe Erfahrung gemacht: entweder
wuhten fie zu viel oder zu wenig, um mic)
dauernd zu intereffieren. Muß ich Ihnen wieder:
holen, was ich jhon ſchrieb? Sie find die einzige
falls jogenannte gute Chen, weil die Menſchen
fi) ineinander fchiden, aber jeder einzelne bleibt
dabei arm und allein. Anfangs jucht einer dem
anderen fein Eigenes zu geben, nad) einiger Zeit
|
Die Madonna mit den £ilien.
wird erkannt, daß man nichts vertaufchen kann.
Dann ergeben fi die Geifter darein, das Un:
genügende willig hinzunehmen und die Armut
des Gebenden zu fhonen. Solden Zuftand an:
zunehmen, wäre mir unmöglich, möchte ih nun
der Entbehrende oder der Ungenügende fein.
Auch Ihnen unmöglich, Franzisfa! Verdiene
ich fein Vertrauen?“
Vor feinem ehrlichen, tief überzeugten Wort |
493
nachher die lette feiner freien Wochen zu be-
nußen, fih mit Franziskas Beiftand in W.
häuslih einzurichten — ein Programm, das
' genau eingehalten wurde. Wenn die Gewißheit,
ſofort bei Antritt feiner Stellung durch Arbeit
außerordentlih in Anſpruch genommen zu wer:
den, Robert den baldigen Befiß einer er:
wünſchten Häuslichkeit fehr erfreulih machte,
wich plötzlich alles, was Franziska in ſchweren
Tagen und Nächten zwifchen ſich und ihm auf:
getürmt hatte, wie Schatten vor dem Haren
Tage. Sie erhob die Augen und legte ihre
Hand in feine nad) ihr auögejtredte rechte.
„Ich danke dir!” jagte Robert warm und
ſchloß Franzisfa einen Moment feit an ſich.
Wieder empfand fie die nur einmal in ihrem
Leben erfahrene mächtige Erjhütterung ; das
Glück, weldes wie eine Flut über fie herein:
itrömte, that ihr faſt jo weh mie jonjt der
Schmerz. Sie lehnte den Kopf an des Mannes
Schulter und weinte ihre eriten Freudenthränen.
* *
*
Robert war mit Abſichten gekommen, welche
ſeine Braut, als er ſie zuerſt mitteilte, über—
raſchten, aber bald ihre Zuſtimmung gewannen.
Er hatte vor Antritt der Stellung, wozu er
ernannt worden, einige freie Wochen und
wünſchte fih im Laufe derjelben mit Franziska
zu verbinden, um zugleid) mit der Berufsthätig-
feit feine Häuslichfeit zu gründen. Die Zeit
war ausreichend, um die nötigen Formalitäten
in das reine zu bringen, Franziskas ſelbſtän-
dige Lage ließ jeden ihrer Entſchlüſſe frei, und
als die erſte Ueberraſchung beſtanden war, ſchloß
ſie ſich in ihrer einfachen Art ſeiner Meinung
an, daß es in jeder Weiſe zweckmäßig ſei, ſo
zu handeln. Ein kurzer Gaſthofaufenthalt in
W. genügte ja, um dort eine Wohnung zu
wählen und die beſcheidene, aber nicht un—
moderne, recht komfortable Hauseinrichtung
Franziskas dorthin zu befördern und zu ver—
vollſtändigen.
Robert wollte die Zwiſchenzeit bis zum
Eintreffen der für die Trauung nötigen Papiere
und zur Beendigung von Franziskas häuslichen
Auflöſungsgeſchäften zu einem Beſuch bei ſeinen
am Rhein lebenden Eltern benutzen, dieſen ſeine
Abſicht mitteilen und fie auf ſpätere Belannt—
ichaft der neuen Tochter vertröften, dann zurüd:
fchren und fich in aller Stille trauen laffen, um
|
fo entiprad folder Ausfhluß alles Deffent:
lihen und Geräufhvollen noch mehr Franzisfas
Neigung. Bon dem Augenblid an, wo fie ent-
ſchieden fühlte, daß fie Roberts im höchſten Sinne
fiher fein durfte, war die alte jhöne Ruhe
' wieder bei ihr eingefehrt. Sie empfand ihr
Glück nun gelaſſen als ihr Recht, und es war
weder Berehnung noch auch weiblicher Inſtinkt,
was fie lehrte, daß nichts fie in ihres Fünftigen
Gatten Auge befjer Heiden fonnte, als Unver:
änderlichfeit.
Die Tage, melde ihrem ftillen Hochzeits—
tage unmittelbar vorauögingen und folgten,
wurden in mander Weiſe zum Prüfjtein diefer
Ruhe. Was vorauszufehen war, traf in vollem
Maße ein: wer immer mit der Verbindung
dieſes Paars befannt gemadt wurde, fiel in
ein jo grenzenlojes Erftaunen, daß nicht einmal
die Schule der guten Lebensart die äußerſte
Verblüffung hinderte, zum Ausdrud zu fommen.
Die erſte Erfahrung diejer Art machte Franz
zisfa an ihren jungen Hausgenoffinnen. Zwar
hatte fchon die bloße Angabe des Grundes ihrer
überrafchenden Mietlündigung die beiden Mäbd-
hen jehr in Erftaunen gefett, denn diefen Sieb—
zehnjährigen erihien Fräulein Fränzchen als
eine ſehr liebenswürdige, aber als eine ebenjo
fihere alte Jungfer ; Heiraten find aber in diefem
Alter auch ſehr interefjant, alfo wurde der
bräutlihe Zuftand der Hausgenoffin bald adop=
tiert und die Blondine wiederholte dringender
ihren Vorſchlag: „ih doch nun anders zu fri-
fieren!” ohne damit mehr Glück zu machen als
bisher. Syn dem Moment, wo die Mädchen aber
des zur Hochzeit eingetroffenen Bräutigams zus
erſt anfichtig wurden, was in Franziskas Bei:
fein geihah, boten diefe jeder Verftellung uns
fundigen Gefichter der Braut eine nur allzu
deutliche Illuſtration deſſen, was in verſchie—
denjter Form auf fie wartete.
In W. eingetroffen, wurde Robert, der bei
der Kürze der dazwiſchen liegenden Zeit feinen
Befreundeten und Verwandten feine Verlobungs-
‚ anzeige zugehen Tieß, die übliche Vermählungs-
494 A. Godin.
annonce ſich aber vorausgeſendet hatte, mit
einem Sturm von Fragen und Staunensäuße:
rungen empfangen, wo er fi) blicken ließ. Wie
geplant, ftellte er feine Frau nur in den me:
nigen Familien vor, mit benen er während
früherer Jahre und in der lebten Zeit in Ver:
fehr geftanden — teils jung verheiratete Kol:
legen, teilö Freunde feiner Eltern. Wo ſich
aber die Neuvermählten zeigen mochten, bei
jung und alt, vornehm und gering — überall
war es dasjelbe Erftaunen, derfelbe jpontane,
in der Aeußerung niebergezwungene, deshalb
nicht weniger offenfundige Protejt gegen ben
Kontraft der Erfcheinungen diejes Paares. No:
bert, hierauf durchaus gerüſtet, ignorierte dies
feineswegs vor fich ſelbſt, nahm es aber von
der humoriſtiſchen Seite und fühlte fich jo jicher
und innerlich befriedigt, daf ihn das wunder:
lihe Mienenfpiel fogar ergötzte.
Franziska hatte aber in fich die Erfahrung
zu machen, daß fein Weib, und ſei e3 das hoch:
herzigfte, freifte, klarſte Weſen, in ſolchem
Punkte unverwundbar ift. Stolz und Würde
liegen fie im Fegefeuer diefer eriten Begeg:
nungen die gelafjene Ruhe ihrer Haltung un:
getrübt bewahren, es wäre ihr unerträglich ge:
wejen, wenn Robert vorausgejegt hätte, daß
die Aufnahme, melde fie fand, ihr in irgend
einer Weife befremdend fei, aber ſie fonnte bei
allem Aufwand ihres Willens nicht verhindern,
daß es fie wie mit ſcharfem Stiche traf, jo oft
fie das Unmöglich! welches ſie ſelbſt ſich jo oft
vorgejagt, in fremden Augen aufzuden fah und
im Anfchluß hieran ftets von neuem den fchnellen
Uebergang zu einer Artigkeit erleben mußte,
der es an jeder Wärme fehlte.
Diefe erften Eindrüde wichen weit zurüd,
ala das eigentliche Leben der Gatten begann,
ein mit interefjanter Berufsarbeit für den Mann,
mit häuslichen Aufgaben und dem gewohnten
geistigen Meiterüben und = ftreben für die Frau
bis an den Nand gefülltes Leben. Noberts Zeit
hätte für Aufrechthalten gejellichaftlicher Be:
ziehungen nicht ausgereicht, wenn er zu ſolchen
auch mehr Neigung empfunden hätte. Seine
jeltenen Mußeſtunden gehörten feiner Frau zu,
der er in und außer dem Haufe jeine eigenite
Welt erſchloß und bei ihr das anregendfte, Frucht:
barſte VBerftändnis fand.
Ein Tag fam dennoch, wo Franzısfa das,
was ihr die erfte Frauenpein geweckt, noch ein:
mal, und zwar nicht wie Nadeljtiche, ſondern ala
ſcharfen Schmerz empfinden follte. Es war ber
Tag, an dem fie, bei Anlaß einer Durdhreife
der Eltern ihres Mannes, demjelben Ausprud
der Enttäufhung und ftaunenden Miffallens
im begrüßenden Auge feiner Mutter begegnete.
2.
Eines Morgens trat Robert zu einer Stunde,
in welcher ihn fein Beruf meiſt von Haufe ent:
fernt hielt, bei feiner Frau ein.
„Was iſt dir?” fagte fie mit dem erjten
Blid auf ihn. „Etwas Unangenehmes ?“
„Eigentlich das Gegenteil! nur momentan
ſtörend.“
Er breitete die Papiere, welche er in der
Hand trug, auf dem Tiſche vor ihr aus, ge—
ſtempelte Bogen, Briefſchaften in großem For—
mat. „Der Großonkel in C. iſt geſtorben und
hat ſein Hab und Gut mir zugedacht. Unſere
Verhältniſſe verbeſſern ſich weſentlich und für
mich ſehr unerwartet, da eigentlich mein Vater
der Nächſtberechtigte wäre, wenn man über—
haupt von Berechtigung hier ſprechen könnte.
Der Notar, welchem die Teſtamentseröffnung
zufiel, macht mir Mitteilung, und die Sache
wäre ganz ſchön, wenn ſie nicht auch ihren
Haken hätte. Meine Anweſenheit wird nämlich |
verlangt, und zwar möglichſt raſch, es gibt da
einiges Kompliziertes in betreff von Immo— |
bilien — du wirft ja ſehen. Der Mann fchreibt
ganz flott, es fei notwendig, mid für einige
Wochen Aufenthalt einzurichten — als ob ich
nad Gefallen los fönnte, jeßt, in diefer Jahres:
zeit, wo in meinem ganzen Bezirk Neubauten im
Gange find — geradezu unmöglih, Urlaub zu
verlangen und zu erhalten!“
Franzisfa nahm die Papiere zur Hand und
durchlas fie aufmerkſam. „Diefe Schwierigfeit
iſt leicht zu löſen,“ fagte fie ruhig, „du ftellft
mir Vollmacht aus, ich reife ftatt deiner hin
und bleibe folange e8 nötig tft.”
„Du?“ rief Robert überrafht. „Sa, was
foll ich dann aber anfangen, wenn du fort bift?”
„Du wirft dich behelfen, als freier Jung:
gejelle leben! —“
„Das geht nicht,“ wendete er ein. „Ich
bitte dich, Franzi, du wirft mir doch nicht zu:
muten, mic außer dem Haufe herumzutreiben,
jet, wo alle meine Kräfte angeipannt find und
das bißchen Ruhezeit dazwiſchen jo not thut!“
Die Madonna mit den £ilien,
„Das war ja Scherz! natürlich forge ich
vor, daß du es daheim behaglich haft. Die
Guſte ift zuverläffig, ich darf ihr unbeforgt das
Hauswefen anvertrauen, bu folljt nichts zu ver:
mifjen haben.“
„Nichts vermiffen? und du? Die Spaten
auf dem Dache werden dich vermifien, Kinder
und prefthafte Weiber und deine Freiwilligen:
fchar von Schulmädchen und Bafallen — ſchau,
da jteht gleich einer wie aus der Erde gewach—
fen, der joll mir beiftehen wider deine Abtrünnig-
keitsgelüſte!“
Dieſe Worte galten Hans Kaiſer, deſſen
Klopfen er in ſeinem Eifer überhört hatte, und
der nun, haſtiger und behender als je, un—
erwartet vor ihm ſtand. Der Künſtler ſtreckte
ſeinen buſchigen Kopf weit vor und ſagte, die
geſcheiten Augen auf Franziska gerichtet: „Ab—
trünnig? wie ſo?“
Sie lachte, ein angenehmer Ausdruck be—
ſeelte ihre Züge. Die ſechs Jahre, welche ſeit
ihrer Verbindung mit Robert verfloſſen waren
— eine gefährliche Anzahl von Jahren für
Frauen, deren Jugend hinter ihnen liegt, —
hatten dies Geſicht verjüngt. Es war nicht nur
die Art von Verklärung, welche ein glücklich
erfülltes Herzensleben jedem Weibe verleiht,
alles an Franziska war für das Auge gefälliger
geworden. Das ſchmale, allzu längliche Geſicht
hatte ſich etwas gefüllt, Geſundheit und be—
friedigte Gemütsſtimmung der dunkeln Haut—
farbe mehr Wärme gegeben. Ihre hohe, ſtets
gut gebildete Geſtalt zeigte ſich durch geſchmack—
volle Kleidung und freiere Bewegungen weit
mehr zu ihrem Vorteil, und die feine Blonde
würde mit der jehigen Anordnung ihres Haares
nicht mehr unzufrieden gewejen fein. Franzisfa
gehörte auch heute noch zu den Häßlichen ihres
„Ihönen Gefchlechtes“, fie war aber nun inter:
ejlant häßlich.
Hans Kaiſer fchien jedenfalls diefer Meinung
zu fein, obgleich er, ſchon feines Metiers halber,
auf Schönheit zu jchwören pflegte. Während
ihm die Hausfrau den fchwebenden Streitpunft
auseinanderfegte, ſchaute er mwohlgefällig in ihr
Huges Geſicht.
„So wollen wir denn ein Konzil halten,
Ihloß fie und nahm die Papiere wieder zur
Hand. „Wenn durch Ueberlafjen der Ange:
legenheit an einen Geſchäftsmann Verluſte für
dich entjtehen fünnten, Robert, fo wäre es doch
eigenfinnig, meinen Vorſchlag zu verwerfen,
— — —— — — — — — — —
|
|
495
Der trauft Du mir nicht zu, dein Intereſſe praf-
tifch vertreten zu können?“
„Mindejtens jo praftifch ala ich,“ erwiderte
er mit einem halben Seufzer und hatte fich mit
diefem Zugeftändnis auf weitere Erwägung des
ihm erſt fo unfympathifchen Vorſchlages einge:
lafjen. Der freund ſprach auch in Franzisfas
Sinne und das Nefultat der Ermägungen
war, es jolle um nähere Auskunft gefchrieben
werden, und Franziska im entfprechenden Falle
reifen.
„Wenn fi dies bald macht, fünnte ich
mich Ihnen für ein Stüd Weges zum Reife:
marjchall anbieten,“ fagte Hans; „ich fahre
nämlich Anfang nächſter Woche nad) E., wohin
meine rau Schwefter mich citiert hat — eine
Art Familienkongreß, wiſſen Sie! leider fein
Erbonfel dazwiſchen, aber man hat ſich lange
nicht gejehen, da ließ ſich nicht gut nein fagen,
momentan hält mid) auch nichts, und wer weiß,
was ſich dort findet — allerlei Bildermotive
jedenfalls.“
„Nach E.?“ fagte Robert, und ein rafcher
Gedanke blitte ausdrudsvoll über fein ſchönes
Geſicht. „Und wie lange bleibt du wohl dort ?*
„Wer mag das wiſſen! fo lang’ es mir
gefällt.“
Als Franziska für ein paar Minuten das
Zimmer verlafien hatte, kam der in ihrem Mann
erwachte Gedanke rajch zu Tage. „Weißt du
was?“ fagte er heiter, „du fönnteft auch einmal
einen fünftlerischen Auftrag von mir überneh-
men, jo gut wie von jo und fo viel anderen.
In E. bift du ja meinem Heimatort ganz nahe,
ein Feiner Spaziergang führt dich hin — thu
mir den Gefallen und male mir eine Kopie der
Madonna mit den Lilien.“
„Welcher Madonna ?*
„Ic jagte dir einmal davon — ein Altar:
bild, dem meine Frau gleicht oder glich, damals,
als du fie jo wenig — anziehend fandeit. Weiß
ſchon, du bijt befehrt, es bedarf feiner fo aus:
drudsvollen Handbewegung! Das Bild hat für
Franzi und mich etwas zu bedeuten, es iſt
gleichjam der erfte Ning in unferer Kette, und
nachdem ich mit meiner Frau oft davon gejpro:
chen, möcht’ ich, daß fie es einmal zu Geficht
befäme. Willft du ein quter Knabe fein und mir
einige Ferientage aufopfern, jo fönnten wir fie
damit überrafhen, wenn fie von dieſer ver:
wünjchten Reife heim fommt. Ich fehe ſchon,
das bleibt uns nicht erſpart — wann ftünden
63
496
u. Gobdin.
die Schahfiguren jemals jo, wie man es gern | daheim in einer Meife vermigt, Die fogar noch
hätte! Alfo — topp?"
Hans fchlug ein, machte aber ein faures
Geficht dazu.
„Wird ein nettes Scheufälhen fein, deine
alte Dorfmuttergottes! na, wenn fie wirklich
der Hausfrau gleicht, oder diefe ihr, dann hat
wohl ſolch weltverborgener Pinfel einmal den
heiligen Geift verfpürt — fommt immerhin zu:
weilen vor. Haben follft du das Stüd — wann,
das verſprech' ich nicht zum voraus.“
* *
*
Franziska war abgereiſt. Wenn ſie auch
ihren Mann damit geneckt hatte, daß er eine
nur wochenlange Trennung ſo ſchwerfällig nahm,
ward ihr ſelbſt doch das Scheiden nichts weniger
als leicht. Die Luft ihres Hauſes erquickte ſie,
wie ein heiterer Morgen in der Natur erquickt.
Der Abſchied würde den ſeit Jahren ununter—
brochen Vereinten noch ſchwerer gefallen ſein,
hätte ſich in der Stunde des Scheidens voraus—
ſehen laſſen, daß es ſich um weſentlich längere
Dauer handelte als zuerſt in Ausſicht ſtand.
Gleich die erſten Briefe Franzisfas eröffneten
ihrem Manne den Einblid in fomplizierte Ver:
hältniffie. Der Wunfd des Tejtamentävoll-
jtreders, die entfcheidende Perfönlichkeit an Drt
und Stelle zu fehen, erwies ſich durchaus
berechtigt. Es galt, möglichſt raſch liegende
Gründe zu verwerten, die nach Anordnung des
Erblafjers parzelliert werden follten; hiermit
ftimmte Noberts eigener Wunſch überein, da er
freie Verfügung über ein Barvermögen der
Uebernahme entfernt gelegenen Landbeſitzes
vorzog. Hieraus ergab fid) aber die Notwendig:
feit mündlicher Erörterungen, Rückſprachen und
Unterfchriften.
Franzisfas Briefe Fangen heiter. Durch
Lehre und Beifpiel ihrer Mutter, dann ſpäter
neben dem nur feinen Screibtifch berüdfich-
tigenden Vater, auf perfönliches Eingreifen in
praftifhe Verhältniſſe hingewieſen, fehlte es
ihr weder an Klugheit noch an Energie für die
jetst übernommene Aufgabe. Verantwortlich,
wie fie fich fühlte, parte fie feine Mühe, die
ihr fremden, aber bald von ihr erfaßten Ange:
legenheiten genau fennen zu lernen, und die
Zeit verging ihr rafch, wie jedem, der wirklich
zu thun hat. Während fie, vollauf in Anſpruch
genommen, zu Heimweh gar feine Zeit fand,
fo oft auch ihr Herz auf Neifen war, wurde fie
über Roberts Vorausſicht hinausging. Das Haus
erichien ihm völlig verödet, namentlich Die fpä-
teren Abendftunden, mo er fih im Zufammen:
fein mit Franziska zu erholen und neu anzuregen
gewohnt war, wurden ihm je länger, deſto mehr
zum Ungemach. Er verfuhte auszugehen, mit
Bekannten zufammen zu fein, fam aber meiit
unbefriedigt nad Haufe. Nichts weniger als
ungefellig von Natur hatte er fih Doch während
feiner befriedigten Ehejahre jtets daheim wohler
befunden, als bei anderen. Die weiten Entfer:
nungen ber Großſtadt, die Abfpannung, welde
einer förperlich wie geiftig anftrengenden Berufs:
thätigfeit folgt, famen dazu. Alfo ſaß er doch
nod) am liebjten und häufigiten abends in feinem
leeren Haufe und tröftete fih über fo viel
trodene Stunden mit dem Allerweltsfprud:
daß endlich nicht ewig währt!
Eines Abends, als er eben im Begriffe
war, nad) interejlantem Tagewerf heim zu gehen,
überfam es ihn befonders jtarf, daß er zu Haufe
niemand fand, bei dem er feine angeregte Stim—
mung fonnte ausklingen lafjen. Eine plötliche
Unluft an den einfamen vier Wänden, welde
ihn erwarteten, ergriff ihn, er befann fich, was
er wohl mit diefem Abend anfangen Fönne,
wohin er etwa gehen möge? Da fam er an
einem Girfus vorüber, deſſen ſchöne Pferde und
ausgezeichnete Reitergejelljchaft er zuweilen hatte
rühmen hören, und entjchloß fich kurz, dort ein:
zutreten, Die Abendvorftellung war bereits im
Gang, als er fein Billet löſte und den ihm zu:
gewiefenen Platz im amphitheatralifch dispo—
nierten Zufchauerraum einnahm,
Die gewöhnlichen Neiterfünfte, hier mit
hervorragender Geſchicklichkeit und viel Geſchmack
der Anordnung vorgeführt, gingen unter pomp-
haften Titeln am zahlreich verfammelten Publi—
fum vorüber, das Noberts Aufmerkſamkeit zu:
weilen von den Daritellungen ablenkte. Es war
ihm nicht unintereffant, einmal wiederſolche leben:
dige Galerie der verjchiedenartigiten Köpfe zu
überbliden, wenn er auch ſchließlich zu der Be:
trahtung fam, wie wenig wirklich anziehende
Phyſiognomieen unter diefen Hunderten zu finden
waren. Am meiſten beſchäftigte fich nicht nur fein
Auge, fondern aud) fein Ohr mit zwei, auf der
Reihe vor ihm befindlichen Köpfchen, die einem
jungen Mädchen und einem etwa fünfjährigen
' Knaben zugehörten. Diefe beiden, offenbar Zu:
Eee — _ —
fammengehörigen gaben ſich der Schauluft mit
Die Madonna mit den Lilien,
fo naivem Genuffe hin, da ihr ftrahlendes Ber:
497
„Bleiben Sie auf Ihrem Plate, Fräulein, *
gnügen daran, ihr luſtiges Geflüfter darüber fagte Robert nahdrüdlih. „Sie fommen nicht
durch und wagen hr und des Kindes Leben.
Vertrauen Sie fih mir an, ich bringe Sie ſicher
Robert herzlich ergößte. Das Mädchen, eine
frifche Blondine mit dunfeln Schelmenaugen,
Ichien ihm faum achtzehnjährig; wenn fie den
Kopf zu dem bildhübfchen Buben neigte und,
während fie mit ihm plauberte und lachte, ihre |
Mangengrübchen zeigte, fam fie dem Beobachter
noch jünger vor. Sie war gefhmadvoll gekleidet;
das weiche, aus der Stirn zurüd gelämmte Haar
fiel in luftigem Gelod auf das ſchlanke Hälschen
nieder, deſſen häufige, zierlihe Bewegungen an
die eines Vogels erinnerten.
Nobert dachte an feine Frau, die ein freu:
diges Auge für jede Anmut befaß, und zeigte
ihr in Gedanken das reizende junge Menfchen:
paar, dem ein daneben jitendes Weib von un:
geheurer Dide zur Folie diente.
Die zweite Abteilung hatte ſchon begonnen,
dem verhangenen Teile des Cirkus bemerklich
machte; in demfelben Moment fah Robert eine |
leichte Rauchwolke aufjteigen. Ein Kniftern —
ein jeltjamer Geruch — eine Flamme — deren
Aufiprühen der Schrei aus hundert Kehlen
; bei dem nur allzu brennbaren Material des
folgte: „Es brennt!“
Die namenlofe Verwirrung, welche unvor: |
bereiteten Schredinifjen folgt, fobald es fih um
Maflen handelt, veränderte die eben nod fo
friedlich heitere Scene binnen wenigen Minuten
in ein wildes Chaos. Während an dem un:
mittelbar bedrohten Punkte Rauch und Flam—
men, immer ftärfer werdendes Gepraflel und
da3 Durceinanderjchreien der mit Waſſer—
eimern thätigen, die wachjende Gefahr fündeten,
drängte die Menge fopflos dem Ausgange zu,
einander hemmend, erjtidend, unter Angitrufen,
mit denen fich rafch genug die Jammerlaute
‚ türmte fih die Mafle der den Ausgang be:
Niedergeworfener mifchten.
Der Platz, welchen Robert inne hatte, war
ziemlih in der Mitte des Zufchauerraumes,
dem Ausgang alfo fern. Er juchte vergebens |
}
1}
die ihm Nächitbefindlihen zur Ruhe, zur Be:
fonnenheit zu mahnen — jeder ftrebte nur nad)
der Möglichkeit, von der Stelle, die er einnahm,
hinwegzuſtürzen. Auch das junge Mädchen mit
dem Kinde war im Begriff, diefem allgemeinen
Fluchtbeifpiel zu folgen, an allen Gliedern
zitternd, hatte fie den Knaben auf ihren Arm
gehoben und juchte ihren Nachbarn nachzubrin:
gen, als fich eine Hand auf ihre Schulter leate.
hinaus, wenn Sie Geduld haben wollen.“
Zweifelhaft blidte die Blondine in fein
ernftliches Geficht, ihre geängjtigten Augen be:
ruhigten fich nicht. Als Robert aber den na:
ben von ihrem Arm auf den feinen hob, was
fich der Kleine ohne Widerſtreben gefallen Lie,
und fie des fremden Mannes Nuhe gewahrte,
ſchien ihr ein plöliches Zutrauen zu fommen.
Ihre Hand fahte zwar nad) des Bübchens Nod,
als müſſe fie mit der ergriffenen Falte ihr
Eigentumsrecht behaupten, zugleich ließ fie ſich
aber halb willenlos, wie ein Menfch, der feinen
verfagenden Gliedern nadhgibt, auf die eben
verlaſſene Bank niederfallen. Schon war ed um
dieſe Gruppe her ziemlich leer geworden. Nur
als ſich plöglicd eine eigentümliche Unruhe in |
deſſen Klugheit fih Shon nach wenigen Minuten
wenige folgten dem Beifpiel des Abmwartens,
erwies, Zwar füllte ein faft erftidender, brenz-
liher Dampf den Raum und machte den Auf:
enthalt dort ſchwer erträglich; offenbar griff
aber das Feuer nicht in dem Maße um fich, als
feihten Holzgebäudes zu befürchten geweſen.
Die raſch und energifch betriebenen Löfchbe-
mühungen hatten Erfolg, und dämpften bald
die Flammen. Das Unheil lag dort, wo blinde
| Angjt fich felbft die höchſten Gefahren erfchaffen
hatte.
Sobald Robert feinen Schüßling fähig fah,
fich feiner Yeitung zu überlafjen, jeste er das
Kind neben fie, um eine Nefognoszierung zu
unternehmen, von der er mit der Zuverſicht
zurüdfehrte, jeßt die Führung der ihm Anver:
trauten wagen zu dürfen. Noch immer drängte,
lagernden, nur langjam vorrüdenden Flücht—
linge an jener Stelle. Robert, das junge
Mädchen an feinem rechten Arm führend, das
Kind auf dem Iinfen tragend, benußte eine
Brefche, Die, um die Flamme möglichjt zu ifo:
lieren, mit Merten in die Holzwand nächſt dem
Feuerherde geichlagen worden war, und brachte
feine Schutbefohlenen glüdlih ins Freie —
allerdings auch hier an einem beängjtigenden
Durdeinander von Menſchen, Waflerbehältern,
ſelbſt an befchädigten, ftöhnenden Pferden vor:
‚ über.
(Schluß folgt.)
Die Peterbbaube (6. 5001.
In Rübezahls Revier.
Von
Max Heinzel.
ID mit der Feder! Ich habe lange genug in
meiner Schreibzelle gefeflen und den Vogel
beneidet, der frei dahinfliegt über die lachenden
Gefilde und jehnfüchtig nah den dämmerigen
Bergen bingeblidt, die aus der Ferne ihre ge:
heimnisvolle Anziehungsfraft auf das alte frifche
Herz immer mächtiger und ummiderjtehlicher
geltend machten: jeßt Feine Zeile mehr, feinen
Buchſtaben. Mag die Tinte austrodnen, ver:
roften das jtählerne Arbeitäinftrument — ic)
halte es nicht mehr aus in der beflemmenden
Enge meiner vier Wände — hinaus treibt es
mich mit fieberhaftem Drange in die jchöne
Welt, fröhlihe Wanderlieder, wie ich fie einft
als jorgenlofer Burſch in die Lüfte geſchmettert,
umſummen meinen Kopf, und vor meiner Phan—
taſie gaukelt manch reizendes Bild, das die
große Farbenkünſtlerin Natur geſchaffen, aber
auch manch düſteres, wüſtes, chaotiſches, in das
|
fie alle Melancholie ihres raft: und ruhelofen
Geiftes hineingebannt zu haben fcheint, zieht an
ihr vorüber — „ins Niefengebirge* locken
taufend Stimmen, in das herrlihe Bergland
meiner Heimat, und ſchon pade ich meinen
Koffer, lege das Notwendigite und Unentbehr:
lichjte hinein und rüfte mich zum Abſchied.
Da taucht deine wunderlice Märchengeftalt
vor mir auf, Nübezahl, mit weißem Haar und
Bart, und es fällt mir ein, daß du ja wohl das
Wetter machſt auf den einfamen Höhen, die ich
erflimmen will, und daß du bereits von Dlims
Zeiten her dem neugierigen Menjchenvolf, wel:
ches in dein ſtolzes, prächtiges Gebiet eindringt,
gar ungnädiglich gefonnen — plößlih, wenn
einer von meinem Gejchlecht fein Auge begeiftert
in die Munde ſchweifen läßt, hüllft du den
goldigiten Sonnenschein in die dichteſten Nebel:
wolfen, daß der irrende Fuß dann über Mur:
Mag Beinzel. In Rübezahls Revier. 499
zeln und Steine ftolpert, oder bu ſchickſt ein eindrang, als wollte jie mir jtatt des Beherrſchers
wildes, tojendes Ungemitter in die Berge hin: | der Berge eine verheifungsvolle Antwort geben:
ein, in welches alle Pfeifen der Niefenorgel, die | ich nahm Stod und Hut, drüdte den Meinen
der Sturm jpielt, ſchrillend hineinklingen. noch einen zärtlihen Huf auf die Lippen und
eilte über das ftaubige Pflafter nad dem Bahn
hofe. Das Dampfroß fam eben herangebrauft,
geſchmückt mit hellglängenden Lindenzweigen,
die einer der beiden rußigen Gefellen, die ge:
wiſſermaßen als Etallmeifter und Stallknecht
bei ihm figurieren, an ſeinen Flanken ange—
bracht — ich ſprang in einen Wagen, nachdem
ich meine Fahrkarte erſtanden, und eroberte mir
angenehmerweiſe einen Eckplatz, von dem aus
id) bald eine überaus unterhaltſame Ausſicht ge:
wann, während um mic herum die Meinflajche
freifte und der Humor, der daheim vielleicht nur
felten einen echten und unverfälichten Gemüts:
ton gefunden, fih in feiner ganzen vollquellen:
den Urfprünglichleit manifeitierte.
In prächtiger Stimmung gelangte ich nad)
Hirſchberg, wo id den Schienenweg verließ und
auf Schuſters Nappen, der mich fchon weiblich
umbergetragen, in einen fühlen jchattigen Bier:
| garten einritt; eine blonde Sredenzjungfer
brachte mir einen jchäumenden Schoppen mit
milchweißer Haube, den ich — reine, erquidende
Gebirgsluft atmend — auf die ſchönſte Schöne
unter Gottes blauem Himmel leerte, auf die
Ich bitte dich, nimm Rüdfiht auf mich! | ewig jungfräuliche Natur. Ich fchlenderte fo:
Ich bin ein ſchwachnerviger, Iyrifher PBoet, ein | dann durch die Stadt, deren eine Strafe dem
Landsmann, der niemals deiner gefpottet, wie Leſer hier fichtbar wird, und empfand ein won:
die nüchternen Geldphilifter, die ſich
in deinem Hauberreih neben den
ſchwärmeriſchen Enthufiaften umher:
treiben, nein, der vielmehr zur Aus:
breitung deines Nuhmes mit einer
ganzen Anzahl fhmwungvoller Lieder
beigetragen und dir, wie ich meine,
einen fo reihen Tribut an ehrfürdhti:
gen Empfindungen geipendet, daß
du mir fchon auf einige Tage deine
erhabene Gunft verleihen und den
Dümonen, die in den fchauerlichen
Schlünden und Gründen haufen, eine
abjolute Enthaltſamkeit von ihren
teufliichen Anfchlägen gebieten Fannit.
* *
* Ter Bons i@. Som
Es war ein flarer, wundervoller
Morgen, die Sonne blidte fo freundlich durch | niges Behagen, daß ich dem holden Müßiggang
mein geöffnetes yenfter, in welches aus dem | jo unbehindert fröhnen fonnte. Sie hat nicht
gegenüberliegenden Garten ein feiner Duft her: | beiondere Neize, die Stadt, aber fie liegt wahr
Etrafe in Dirſchberg.
500
haft entzüdend und verdient in dieſer Beziehung
mit vollem Recht „die Perle Schleſiens“ ge:
nannt zu werden. In ihrer Umgebung befinden
fih der Kavalierberg, der Kreuzberg und der
Hausberg, von welchen die legteren einen ſehr
hübſchen Blid auf den Riefenfamm gewähren.
Nachher pilgerte ich gen Warmbrunn,. Das
*
Jolephinenhatie S. 5011.
Bad, das mit ſeinen Schwefelquellen ſchon vie—
len Tauſenden das verlorene Gut der Geſund—
heit, an dem ja unſer ganzes Glück hängt,
wiedergegeben, hat ſich gerade den anmutigſten
Teil des Hirſchberger Thales — an dem zu—
weilen ſehr reißenden Zacken — für ſeine An—
ſiedelung ausgeſucht.
Die Geſchichte des Ortes reicht weit hinauf.
— —
—
Mar Heinjʒel.
Schon im 12. Jahrhundert ſollen ſeine Quellen
bei einer Jagd des Herzogs Boleslaus von
Schweidnik und Jauer dadurd) entdeckt worden
jein, daß man einen Hirich aufipürte, der, einem
jehr vernünftigen Ynitinkfte folgend, in einem
jolhen „warmen Borne“ ala leivdendes Tier
ein Bad nahm. Der gegenwärtige Befiger iſt
der Graf von Schaffgotjch, dem
außerdem noch der Kynaft, von
dem ich gleich reden werbe, und
ein weit auögebehntes Terrain
im jchlefischen Niefen= und Ser:
gebirge gehört. Ich flanterte auf
dervom Schloßplatze ausgehenden
Promenade umher und ließ mid
jodann an einem laufchig gelege:
nen Platze nieder, der Hier eine
gar wunberföftliche
Schau eröffnet. Das
Hochgebirge mit fei-
ner überwältigenden
Großheit, Die nicht
viele Grade mehr
von der Großheit der
Alpen entfernt iſt,
breitete jih in ber
erwünfchtejten Be:
leuchtung vor mir
aus, fo daß ich einft:
weilen dem alten
Grimmbart Nübe:
zahl, der, unter und
geſagt, wirklich von
den verrückteſten
Launen beherrſcht
wird, meinen auf—
richtigſten Dank vo—
tierte.
Ich hätte noch
wer weiß wie lange
dafıten und träumen
wollen — aber ba
derfagenumfponnene
und vielbefungene
Kynaft no auf meinem Tagesprogramm jtand,
jo ſchwang ich mid) auf einen vollgepfropften Om:
nibus, der, vom Staub ummirbelt, nad) Herms—
dorf, das am Fuße des Berges wie ein lieblich
heiteres Idyll gelegen, „Eottelte“, wie mir
Schleſier in unferer Volksſprache jagen.
Nah kurzer Naft ging es dann hinan zur
Burg, die der Leer jet vor ſich erblidt (S. 499).
Sie hat jahrhundertelang bejtanden, ein truß:
bafter Bau, bis ein Wetterjtrahl mit feiner zer:
ftörenden Gewalt fte traf und in Trümmer legte.
Bon ihrem
Turm aus hat
man eine gan
reizende Aus—
fiht. Lange
ftand ih da
oben und
ſchaute hinun:
ter in den
Grund und
hinüber nad)
den Bergen,
wohin ein
Falf feine
Fittihe ae:
richtet, um ſich
in dem dich—
ten Grün der
Wälder zu
verlieren.
Mährend ich
jo den Blid
In Rübezsahls Revier.
Glbauelle (8. 50H.
501
ich nicht3 von ihr, fintemalen ihre Unthaten ja
ſchier jedem Badfifh, der mit der Mufitmappe
umberläuft, befannt find. — Nachdem ich dem
Kynaft Valet
gejagt, fuhr
id nad Pe—
tersdorf,
einem großen,
indujtriellfehr
thätigenDorfe
im Thale des
ZJaden, der
über Stein:
geröll, mutig
und frohlau:
nig, ein elaſti—
jcher Sohnder
Berge, dahin:
ſchäumt und
von da nad
Screiberhau,
deſſen Häufer
weit zeritreut
auf grünen
jaftigen Wie:
von Gipfel zu Gipfel fpannte, von Dorf zu | jenoderan bewaldeten Abhängen liegen, bis nad)
Stabt, wo die Pulfe des Lebens in ewiger Be:
wegung, wo ein raftlojes, durd die Gebirgs:
waſſer unter:
ſtütztes Schaf:
fen ſich gel:
tend madıt,
ihredte das
Echo, durd)
einen Schuß
aufgemwedt,
aus dem
Sclafe auf
und antwor:
tete mit don:
nerartigem
Geroll, wie
empört, um
fh dann in
einem leiſen
flüfternden
Saufen zu be:
ruhigen. Ich
dachte der
jehdeluftigen Ritterzeit und des grauſam fofetten
sräuleins Kunigunde, das einjt auf dieſem
Vurgneſte gehauft haben fol; aber erzählen will
Ter Artones und Wibfalbaute (8
Bas)
derSfofephinenhütte, einerdergroßartigjten Glas:
hütten meiner Heimatprovinz (S. 500), von wo
aus ich in ber
zeitigen Frühe
des nächſten
Morgens
meme Kop—
penwande—
rung zu uns
ternehmen be:
abjichtigte.
Ich forgte für
Nachtherberge
und machte
noch dem ge—
nannten Eta—
bliſſement,
das von dem
Grafen Leo—
pold Scaff:
gotſch gegrün⸗
det worden,
einen Beſuch.
Dasſelbe iſt ſeiner kunſtvollen Erzeugniſſe wegen
weit berühmt und verſendet ſie vorzugsweiſe
nach England und Amerila. Das Magazin mit
u
502
feinen reihen Schägen, unter denen ſich manches
Stück durd eine befondere Zierlichkeit und an-
mutende Färbung auszeichnet, die Glasfchleifer,
die marfigen Gejtalten, die fich geſchäftig vor
den glühenden Hochöfen hin und herbewegten,
die jprühenden Funken, der dröhnende Blafe:
balg: alles feſſelt die Aufmerkfamfeit in hohem
Grade. Dasbeigegebene Bild (S.500),aufdeilen '
oberem Teile die
rauchende Hütte
zu Sehen, gibt
einen Einblid in
diefe mitmand)er:
lei Gefahren für
die Gefundheit
verfnüpfte Thä—
tigkeit. Bald
fehnte ih mid)
heraus aus bie:
fen Räumen; ich
verlangte nad)
Luft, nad erfri-
jchender Beraluft,
und aufatmend,
als ob ich der
Hölle, oder min:
deſtens dem eg:
feuer entronnen
wäre, blidte id)
— — x —
WE
Mar Beinzel.
nächſt dem Zadenfalle mid zumandte..e. Huf
einem hübfchen Waldwege, der bequem, mie
eine Promenade angelegt it, gelangt man zu
demfelben, — der übrigens nicht dur) den Zacken
felber, wie man irrtümlid annimmt, fondern
durch einen feiner Nebenarme, das Zaderle, ge-
bildet wird — wo man ein Schaufpiel von er—
greifendem und mächtigem Eindrud genießt.
Das Wafler des
Falles, welcher
unbeſtritten der
ſchönſte im Rie—
ſengebirge, kommt
jäh aus dem
dunklen Walde
und gleitet dann
in mehreren Ab-
fägen über die
granitenen Wän-
de, auf denen
üppiges Moos
wuchert, und aus
deren Spalten
langfächeriges
Farnfraut her⸗
vor wächſt, hin—
unter, bis er in
einem tiefen Keſ⸗
fel ausraft. Auch
FE —
nach den duftigen, ein anderer, ent—
leicht hingehauch— fernterer Fall, der
ten Wolfen, die Hainfall(S.509)
ſich über den im: mag hier erwähnt
pojantenGipfeln, fein.
die das Nübezahl: Dein Weg
Ihe Zauberreich führte alsdann
begrenzen, ge: Aus dem Gidgrunde 16. 501, nad) der ſchleſi⸗
lagert. ſchen Baude, einer
* ſogenannten
=
Ich hatte einen häflichen Traum in der |
Naht. Es war finfter über der Erde, wie in
einer endlofen Höhle, und der Negen, vom
Sturme gepeiticht, raufchte vom Himmel nieder,
alö ob er alles rings umher erfäufen wolle;
aber als ich erwachte und angitvoll und beflom:
men zum Fenfter trat und das himmlische Ge:
ſtirn mir fo freundlicd entgegenlächeln jah, da
war mein Herz freudia, als ob es die rauhe
Hand des Schickſals noch niemals angerührt.
Ich rüſtete mich zur Fahrt nad) der Koppe und
begann meine Wanderung in dem frijchen,
tauigen, friedlichen Morgen damit, daß ich zu:
Winterbaude, die zu gaftliher Einkehr mintt.
Diefe Bauden find gemilfermaßen unſere
ſchleſiſchen Sennhütten im Hochgebirge, An:
fiedelungen, die von den Unbilden des rauhen,
wild daherbraufenden Wetters viel zu leiden
haben — namentlih im Winter. Zumeilen
find fie jo eingeichneit, daß ihre Bewohner
nur von der Hausthüre aus eine jtollenähnliche
Deffnung durd) die Schneemauer bahnen oder
nur durd den Dachaiebel ihren Ausgang
nehmen können. hr Verkehr mit den Leuten
im Thal behufs der Beihaffung von Lebens:
mitteln ift dann außerordentlich ſchwierig; da
In Rübezabls Revier. 503
aber die Erfahrung ihre Lehrmeifterin geworden, | langen, bangen Tage, wo's jo unwirtlich, ein:
ſo treffen jie bei Zeiten fhon Vorforge und | fam und grauenvoll auf den mit weißer Dede
verjehen fich mit allem Notwendigen für die | umhüllten Bergen, wenn fhon aud) die bildende
Hand der Natur eine Pracht entwidelt, die jte |; merbauden; folche, die der Vichwirtichaft wegen
in ein Märchen, in ein Feenreich verfeten | nur im Sommer bezogen und im Herbſt wieder
lönnte. Man untericheidet Winter: und Eom: | verlaffen werden, und joldhe, die auch im Winter
64
f 5 ol >
A400 SIE
—&
Marz Beinzel.
Das hohe Rad (©. son).
bewohnt bleiben und darum ſelbſtverſtändlich in
ihrer Bauart und Konſtruktion jolider und
dauerhafter veranlagt find. jeder Bauden—
befiter harıt mit Ungeduld der Sommerfonne
entgegen, die den Schnee jchmilzt und allgemad)
den jeltjam zufammengemwürfelten Schwarm der
Touriften auf den Rieſenkamm lodt. Wenn er
feine Naturftudien erſt wieder beginnt, da ift
Freude da oben. Es kommt mancher Notgrofchen
ein, es fehlt feinen Tag an Unterhaltung und
auch nicht an Komik und Humor. Man muß das
jehen, wie's in fo einer Baudenſtube hergeht,
wenn plötzlich eine verregnete Geſellſchaft, die
nebenbei noch der Sturm in feiner barbariichen
Weiſe zerfchüttelt und zerzauft, in fie einbricht
mit triefenden Schuhen und an den Körper ans
klatſchenden Kleidern. Wie da jo ein elegantes
Dämden, vielleicht die Tochter eines Millionärs,
zimperlich und verſchämt mit nadten Füßen am
Ofen hodt und wie der jteife Geheimrat, der
fonft eine reine Karikatur von Zugefnöpftheit,
ſich ſauertöpfiſch herbeilaffen muß, feinen Nod
auszuziehen und in bloßen Hemdärmeln, wie
ein ungeſchlachter Bauer, dazufiten. Das ift
dann fo eine Art von Komödie für die armen
Baubdeninfafien.
|
Von der fchlefiihen Baude aus fommt man
in das Gebiet des fogenannten Anicholzes, der
Swerafiefer, die als Strauchwerk am Boden
hinfriecht und bald einzelne Büſche, bald ganze
Waldungen in diefem Gebirge bildet. Der
Baudenmann ſammelt foralam ihr Holz, denn
er weiß, wie gut es feiner harzigen Beichaffen:
heit wegen in jeinem alten, getreuen Kachelofen
brennt, der Drechsler aber benübt es, um aller:
lei jaubere und zierlihe Schnigarbeiten, die das
Touriftenvolf gern als Andenten mit heim
nimmt, daraus zu fertigen. Die elaftifchen
und äußert biegfamen Zweige diefer Kiefer find
immer nad) einer Seite hin gerichtet, jo daß ein
Sudetenwanderer, der fih in ihrem Didicht
verirrte und veritüidte, wohl Mühe hat, aus
ihm ſich wieder herauszuwinden. Wo ihre
Herrichaft begonnen auf dem Gebirge, da wird
es einfam und einfamer. Nur das monotone
Zwitſchern der Schneelerhe oder den Ruf
einer Ningdrofjel hört man — denn faum ein
anderer Vogel verirrt fich in dieſe Negion.
Ich fuchte fodann Die Stelle auf, wo die
Elbe geboren wird. Die Quelle des Fluſſes
(©. 501), der allen Zauber, alle Wonnen, aber
auch all das Unheimliche, Schredliche und Grauen:
In Rübezahls Revier.
Zer Rielengrund IE. bfs).
volle der Natur hoh auf den Bergen fennen
lernt, iſt in ein fchlichtes, ſteinernes Baſſin ae:
faßt und läßt durchaus nicht ahnen, daß daraus
einfogroßer, majeftätiich dahinraufchender Strom
wird, der auf jeiner Neife nach dem Meere fo
viele ihm huldigende Städte grüßt. Non hier
aus wanderte ich nach der Elbfallbaude, die auf
dem beigegebenen Bilde von dem Krkonos (5.
501), von dem man weit ins Böhmer Yand hinein:
Schauen fann, fait verdedt wird, um den Elbfall
mit in die Sfizzenmappe meines Gedächtniſſes
aufzunehmen. Diefer, der wie der Zaden= und
andere Fälle bei heißem, trodenen Wetter erjt
durch Deffnung von Schleufen in Aktivität ver:
fest werden muß, ftürzt aus gewaltiger Höhe
in den Abgrund, als jage ihn die Sehnſucht, in
den „Sieben Gründen”, in den wilden Berg:
ichluchten, mit den Waſſern, die dort hinabkom—
men, fich zu vereinigen. Eine gute Strede tiefer
liegt der Elbarınd (5. 502), den ich aber nicht
berührte, mit feiner büfter romantischen Scenerie,
von der man jich, wenn man die in den Tert
eingefügte Illuſtration betrachtet, leicht einen
feinem Mefen nahe fommenden Begriff machen
kann. ch ftieg nach der Schneegrubenbaude
empor, einem behaglid eingerichteten Einkehr:
haufe, das von dem Grafen Schaffgotich, der
fih um das Niefengebirge durch feine edelher:
zige Opfermilligfeit die bedeutenditen Verdienfte
erworben, erbaut worden und das fich Scheinbar
an die Rübezahls: oder Teufelsfanzel, eine flache
Granitmaſſe, anlehnt, die eine überrajchende,
entzüdende Ausficht bietet (S. 507).
|
505
getauft worden,
find eine überaus
gewaltige und gi:
aantiihe Schöp—
fung der Natur.
Das Auge kann ſich
faum entichließen,
ruhig hinabzuſchau—
en in dieſe totenöde
Felſenwüſte, in de:
ren Grunde aber
doch das Geröll
nod von üppig
wuchernden Plan:
zen bededt iſt, troß:
dem der darin lie:
gende Schnee von
der Sonne Des
Sommers nur jelten geſchmolzen wird.
Die Feljen, grauſig zerflüftet und zerrijien,
fallen fteil in die furchtbare Tiefe — und id)
Fer Mittaahein 15, WON).
fann mir wohl denfen, welchen überwältigenden
Eindruck es maden muß, wenn der Wind die
Die Schneegruben, nach welchen die Baude | wogenden Nebel in diefe Abgründe hineinjagt
506
und dann über die jchroffen Nänder wieder da—
von treibt. Das Bild ©. 503 ftellt die „große
Schneegrube“ dar, die wilder und fchauerlicher,
als die „Heine“ und von ihr durd) einen ziem—
li ſchmalen Feljengrat, die „Gräte“, auf der
Mar Beinzel.
der verderbenbringende Schwindel ſich in den
Hinterhalt gelegt, getrennt wird.
Der Weg führt nun auf Das hohe Nav
(5. 504), einen riefigen, nah der Spite zu
gewölbten Steinhaufen, wo man rajtend nad)
Rübrzahls Luſtgatten E. 508),
Schlefien, nad) den „Sieben Gründen“ und nad)
Böhmen hineinblidt, eine Augenweide, wie fie
dem Gebirgswanderer faum anzichender geboten
werden kann.
Bald erreicht man die Große Sturmhaube
auf einem Wege, der früher zu den anſtrengend—
ſten und befchwerlichiten einer Roppenwanderung
gehörte und nunmehr durd die Thätigkeit des
Niefengebirgävereines, der in dieſer Hinficht gan;
Aufßerordentliches geleiitet, eine fajt alle Stra:
pazen ausichliegende Umgejtaltung erfahren.
Nachdem der Mannftein und die Mädelſteine
paſſiert find, fommt man zur Petersbaude (2.
498), einer auf böhmifcher Zeite gelegenen
NWinterbaude, die fid) eines lebhaften Beſuches
zu erfreuen hat und in der manche Flache feuri—
— ⸗
In Rübejahls Revier.
Säneegrubenbaube mit Rubezahla Manyel (2. 505),
gen Ungars zu neuer Kräftigung getrunfen wird.
Auch id nahın, ermüdet und erſchöpft, wie ic)
war, zu diefem Meine, für den ich fonit gerade
feine fonderlichen Sympathieen hege, meine Zu:
flucht und zog dann auf dem Abhange, der die
Mädelwieſe genannt wird, fürbak nad der
deren Zerflüftung, wie die Sage geht, von
einem Bligftrahl, der auf fie herabgefahren,
herrühren joll. In verhältnismäßig kurzer Zeit
gelangt man dann zum Rande des Großen Tei:
des (S. 508), wo fih ein Anblid bietet jo
grandios und erhaben, wie an den Schneegruben.
Epindler: Kryftall:
baude. klares
Von da m fi ET REEENE Waſſer,
wander⸗ 9 ae N RE in dem
te ic — —9 tein diſch
über die RL | —— lebt und
Kleine über dem
Sturm: ein ge:
haube heimnis:
nah dem volles
Mittag: Schwei⸗
ſtein (S. genliegt,
505), glänzt
der aus aus der
mehre: Tiefe der
ren hin Schlucht
terein⸗ herauf
ander und leiſe
aufge⸗ Schauer
ichte⸗
3 Ne
gruppen Zer Langegrund 1©. 509. Seele.
beiteht, Faſt noch
deren nördliche Front, von der Seite betrachtet,
faſt ein ernſtes menſchliches Geſicht ſcheint. Von
ihm aus begegnete meinem Blicke eine andere
intereſſante Felsgruppe, die Dreiſteine (S. 509),
wohl eine Verballhornung von „Druidenſteine“,
mächtiger ift der Eindrud, den man am Kleinen
Teihe (5. 508) empfängt, deſſen Felswände
Ichroffer und deſſen Abgründe tiefer. Er enthält
Forellen, aber auch um ihn her brütet eine laut:
lofe Einfamtfeit, und ein nordiſcher Hauch, ala
508
ob man in dem rauhen Norwegen ſich befände,
weht um feine Ufer.
Endlich, nahdem ich in jtiller Andacht die
Größe der Allihöpferin bewundert, feßte ic)
meinen Wanderjtab weiter nad) dem Koppen-
plan, einer mit Knieholz durchwachjenen Fläche,
und fehrte, feuchend und fchweißtriefend, mit
auf die Neige gegangenem Humor in die Rieſen—
baude ein, die, gottlob, [chon unter dem Koppen—
fegel liegt und in der zur Aufmunterung und
Anfriſchung luftiger Geſang und luftiges Lachen
ertönte,
Ich erwähne hier noch einige ſehr ſchöne
Punkte. In erfter Reihe den Riefengrund, in
den man unfern von der genannten Baude einen
Blid hineinwerfen kann, alsdann den weiter
entlegenen „Luftgarten Rübezahls“ (5. 506),
der eine große Fülle von Alpenkräutern aufweijt
und darum von den Botanifern mit Vorliebe
aufgefucht wird. Es dürfte hier der Ort fein,
wo aud einige Worte über die Gebirgäflora,
Der große Teich (6. son),
deren bisher noch nicht Erwähnung geſchehen,
aefagt werden können. Sie beginnt mit der
Knieholzregion, wo neben manneshohem Farn
das narziffenblütige Windröschen, oder Gebirgs—
Mar Heinzel.
hähnlein, das Alpenwindröshen oder Teufels:
bart, die Peſtwurz und die fleine Primel Hab-
michlieb heimifch find. Manche diefer lieblichen
Kinder der Mutter Natur haben ihr prangendes
— u
= =
Der Meine Teich (€. 507).
Blütengewand, mit welchem fie bald nach der
Schneefchmelze die Felfenfuppen und die Ab—
hänge jhmüden, jchon abgelegt, wenn das bunte
Volt aus den Städten auf das Gebirg jteigt,
und wieder andere, die feltenjten mitunter, ver:
bergen ſich in Schluchten und Felfenrigen und
werden mur von dem Kundigen, der fich Feine
Mühe verdriegen läßt, fie zu erlangen, auf:
gefunden.
Arzneipflanzen find im Gebirge äußerſt zahl:
reich, wie das isländifche Moos, die Engelwurz,
der jchwalbenwurzartige Enzian; fie werden
von den Kräuterfammlern, die in Krummhübel
und in anderen Orten der Umgegend wohnen,
fleißig eingefammelt. Die Yeute aus dem Volke,
die immer gern felbit „doktern“ und an ben
Arzt fich nur im äußerſten Notfalle wenden,
oder die Apotheken mit ihrem vielfeitigen Be:
darf bilden ihr Abſatzgebiet.
Der Wafjerreihtum des Niefengebirges und
der bei weitem ftärfere Tau, als man ihn im
flachen Lande beobachtet, begünstigen das Wachs—
In Rübezahls Revier. 509
tum und Gedeihen der Pflanzenin hohem Grade, mein Herz bebte — was ſoll ich mid) ſchämen,
namentlic in den Gehängen und Thälern, die | e3 zu fagen — vor Freude, daß es nun auf:
freilich einen fehr fur: wärts gehen follte zu
zen Lenz haben, etwa De dem lodenden Ziele,
vier Monate lang, auf Rs = das nad) rauher Müh—
den dann der unendlich) fal nur, wenn man
eben nicht mehr jung,
leihtfühtg und aus:
dauernd, erreicht wer:
den kann. Endlich
— endlich ſtand ich
auf ihrem Gipfel —
als eben die Sonne,
wie ein großer feuriger
Ball, mit ſeinem Wie—
derſcheine alles vergol⸗
dend, zur Rüſte ging.
Weit konnte man den
Blick in die Runde
ſchicken, vor dem ſich
ein Labyrinth von
Bergen, Thälern und
Ortſchaften ausbreitete
— bis die Beleuch—
tung langſam verglüh—
te, bis die ſchönen
Farben, an denen ſich
lange Winter folgt mit
ſeinem Froſt und ſeinen
furchtbaren Schnee:
ſtürmen.
Je nach der Höhe
des Gebirges ändert
ſich, ſo zu ſagen, ſein
pflanzlicher Charalter.
Sein Fuß gehört nod)
dem Pflanzengebiet
der Ebene an mit Eiche
und Kiefer, dann mit
1700 Fuß Höhe be:
ainnt die Negion der
Vorberge mit Tanne
und Fichte, worauf
man mit 3600 Fuß
in die Region des
Hochgebirges fih er-
hebt, wo das Knichol;
als verfümmerter Ber:
treter des Baummwud): 2 br 2 = i ee das Auge geweidet,
jes auftritt. — a een ihmwanden und nad)
Als dritten inter: und nach die Schleier
eſſanten Punkt führe ich nach dieſer Abſchweifung der Dämmerung des Berges Spitze umwoben
noch den Ziegenrüden (S. 511) an, von dem aus | und die Luft feucht zu werden anfing. —
der Wande— In dem präd):
rer, ber bie —— Bee tigen Koppen:
höchſt be: SET. Be; hauſe ſitzend
ſchwerliche
Vartie über
dieſen Kamm
nicht ſcheut,
in ein wild—
unter fidelen,
übermütig lu:
jtigen Men:
ihen — wäh:
rend die Glä—
phantaſtiſches ſer klangen
Schaffen der und ſchließlich
Natur — gar der Tanz
Weißwaſſer⸗ ſein rauſchen—
En ur des Getöſe be-
engrund u gann — ver:
Langegrund gaß ich bald
(©. 507) = Tir Zreifleine (€. 600. alle Müdigkeit
einen mächtig und beteiligte
fejlelnden und großartigen Einblid gewinnt.
Meine Raſt war beendet. „Hinauf zur
Koppe!“ (S.508) rief e8 ſehnſüchtig in mir und
mid nad) Kräften an dem gemütlichen Trink:
turnei, das eine Anzahl älterer Herren neben
mir eröffnet. Much die Harfenet fehlte nicht.
510 Mar einzel,
Einige böhmische Künjtlerinnen griffen mit bes | Nacht herangelommen, eine wunderbare, träume:
ihwingten Fingern in die Saiten und fangen riſch-ſüße Mondnacht — die weißen Nebel zogen,
von Liebe und Seligkeit. Indeſſen war die | feierlich ſich bewegend — wie Geſpenſter —
/
Tie Ehneeloppe iS. 309.
über die Berge hin, und das Waſſer murmelte Viel Schlafen fonnte ich nicht; die Aufregung
aus der Tiefe in geheimnisvollen, an das innerfte | war zu groß. Nerven und Blut fieberten.
Gemüt anklingenden Lauten. So fam der Morgen — ein Morgen voller
— — —
—————
In Rübezahls Revier 511
Der Ziegenrüden (S. 509),
Hoffnung — und ic erhob mid) vom Lager,
um der holden Himmelsfönigin, die ihre An:
funft bereits an den Bergen fignalifiert, meine
unterthänigite, von Staunen und Bewunderung
überfließende Huldigung darzubringen. Da
plöglih erjchien fie, von einem fchimmernden
Wolkentroſſe begleitet, Schön, daß fich nichts mit
ihr vergleichen konnte unter der blauen Wöl:
bung des Himmels und in den unermeßlichen
Weiten der Erde und lächelte, wie eine gnädig
gelaunte Majejtät, auf uns fröjtelnde Sterb:
liche nieder, denen der Morgenwind fcharf ins
Geſicht blies.
Es war ein Moment voll wunderbarer
Poeſie!
Ich hielt dem Berggeiſte eine preiſende
Rede. Er hatte mir keine Spur von Tücke und
Hinterliſt gezeigt, er hatte mich unbehelligt in
ſeinem herrlichen Gebiet herumſteigen laſſen,
mir keinen Genuß verkümmert, keine Freude ge—
ſchmälert. Ich deklamierte:
Du alter Zaubermeiſter —
Beherrſcher aller Geiſter
Im Eingeweid' der Berge —
Du haft mich, arm Gejwerge,
Behütet wunderbar.
Drum bring’ ich meinen Danf
In Verſen, im Geſang
Dir frohen Herzens dar.
So viel als Flüche wettern,
Wenn meine ird'ſchen Vettern —
Getäuſcht von dir, betrogen —
In feuchtem Nebelwogen
Nichts ſchauen weit und breit:
So vielmal ſei mit Schalle
Unter des Himmels Halle
Gelobt, gebenedeit.
Ich ſteckte mir ſodann einen Teufelsbart
auf den Hut und Glimmerſchiefer, mit duftigem
Veilchenmoos überzogen, in eine Schachtel ge—
packt, in die Taſche und ſtieg auf kürzerem und
leichterem Wege wieder ins Thal nieder, um —
meine mir ſelbſt bewilligten Ferien weiter aus—
zunützen.
65
Bern,
512
Enge
Oelſchlaͤger.
l Kirk.
Von
Herm. Oelſchläger.
mſummt von Bienen, ſonnenlichtdurchglüht,
JVerſandet bier, dort doldenüberblüht,
Debnt, wie des Meeres Fläche uferlos,
Bis Erd und Himmel ineinander fließen,
L Die Heide ſich mit Moor und Bruch und Wiefen
Zur ferne hin, erhaben, einfam, groß,
Wie alte Sagen weht's und alte Träume
Geheimnisvoll durd; Büfche und durch Bäume,
Raufcht's durch die Söhren, raufcht es um den See,
Auf deilen dunfler Fläche, weiß wie Schnee,
Seerofen mit balboffnen Kronen ſchimmern;
Die Bäche Ningen und die £üfte flimmtern,
Das Riedgras ſchwankt, das fchlanfe Schilfrohr bebt,
Die Kräuter duften, aus den Scollen hebt
Die £erche fchmetternd fich ins Blau. Durd; Strauch
Und Wald und $lur zieht wunderbar ein Bauch
Don Andacht, Träumerei, wenn weit und breit
Die ganze weltverlorne Einfamfeit
Dem Wanderer ins Untlig fchaut. Dermittert
Steh'n Blöde, uralt, hingeftreut die Slur,
Und heil’'ge Stille rings, die manchmal nur
Don fern der Dorfuhr Mittagsfchlag durchzittert,
Den Kätner mahnend, nun am Moor zu ruh'n
Don fchwerer Arbeit,
In ber Heide nun
Stand einft ein Baus. Es war nicht groß, nidıt Mein;
richt reich, nicht arm mocht’ fein Beſiger fein.
Behaglich war es, lag in tiefem His
Und von der lauten Welt fo abgejcieden,
So losgetrennt und jo veriledt,
Dafj es von felbit den Glauben mwedt,
Das Böfe wenigitens, der Haß, der Neid
Und was die Menichenherzen font mit £eid
Und Angſt beichwert, das fönne nimmermehr
Die endlos weite Heide ber
Wie ein Geſpenſt, umbläbt von gift'gen Nattern,
Bis bier zum Haufe feine Pfade finden
Und müffe unterwegs ins Nichts zerflattern,
Im Nichts verſchwinden.
Doch ſchien hier Liebe wohl zu wohnen, Glüd,
Das flets vom Lärm des Tages weit zuräd
Sur Stille fliehen foll, Zufriedenheit
Und andre Tugenden, die wir uns weit
Dom Markt gern träumen,
Strohgededt das Dadı,
Das altersbraun geworden allgemadı ;
Ein niedrer Giebel, mäßig zugeipigt,
Auf deflen Höh’, von plumper Band geichniht,
Als einz'ger Schmud zwei Pferdeföpfe prangen;
Ein Erdgeſchoß — fünf Seniter in der langen
Front feitwärts; unterm Giebel vorn am Baus
Auslug und Thor, fo hody, daf ein and aus
Die Diele bin bequem im Herbit die vollen
Und fchwerbeladnen Wagen rollen.
Ein Blumenbeet, das neben Kohl und Räben
Sich nicht zu ſtolz dänft, Ueberm Hofe drüben,
Dein ein uraltes, heil'ges E£indenpaar
Die Kronen firedt zum Himmel blau und Mar —
Un ihren Stamm lehnt Egg’ und Pflug empor
Der Knecht, der von der Urbeit kehrt im Moor —
Badlhaus und Schuppen, Und zulent ein Wald
Im Halbfreis binten, grün und hoch und alt,
er, wenn im Nulifeuer der verglühten,
Derbrannten Heide braune Rinde fpringt,
Wenn jitternd heiß die £uft in dumpfem Brüten
I Auf allem liegt, fein Hall, fein £faut erflingt,
Wenn fieberiich der Welt die Pulſe Mopfen —
Im Moos des Morgentaus Kyflallne Tropfen
Feſthält und über Menfchen, Tier und Kraut
| mit fühlem Hauch Erquidung niedertaur ;
N Der, wenn vom Oft die jcharfen Winde ftärmen,
Nls fefler Wall vermag ſich aufjutärmen,
Als Schu und Schirme berufen it zu dienen
Im Korbe dort dem zarten Dolf der Bienen,
Es ift ichon lange her, feit —*2 bren,
) Da wohnte auf dem fleinen Sof ein Mann,
| Der, wie er meinte, alle Gunft erfabren,
| Die man vom Himmel nur erfahren fanrı.
Gleich fern vom Mangel, wie vom Heberfluß
Bot ihn das £eben, was es bieten muß.
Wenn jeiner Kräfte froh und hoffnungspoll
Ein Menfchendalein fid entfalten ſoll.
Un jeden Tages Mühen oder Sorgen
Trat zuverfichtlich er mit jedem Morgen;
Er fchaffte bis zum Abend wie ein Knecht,
Sich felbit zu feiner Arbeit je zu ſchlecht
Und, da er alfo mit dem £eben rang,
Doll Stolz, daß er’s zu feinen Gunften zwang
Und daß zulett ihm alles qut gedich
In Seld und Wald, zu Haufe und beim Dieh.
Er war ein Jmfer. Nah dem Haufe land,
Im Garten und geſchützt vor Sonnenbrand,
bm Korb an Korb, Sein beſter Reichtum war
er fleii'gen Bienen ungezäblte Schar.
Voll Freude fah er, wenn mie eine Wolfe
Der Schwarm am Morgen binflog, feinem Doife
£ang in die weitgedebnte Beide nach,
Auf der mit heifem Dunft die Sonne lag,
Diel bunderttaufend Silberfädchen zogen
Don Balm zu Balm fich, wie von Elfenhand
Vetzgleich zur Nachtzeit zierlich ausgeipannt,
Und drüberhin mit farb gen Schwingen flogen
Die Salter durch die blaue Sommerluft,
Gleich lieblihen Gedanfen. Süßer Duft
Stieg aus dem rötlich weißen Blätenflor
Des faun bewegten Heidefrauts empor.
Still war's ringsum. Die Brille nur war laut
Und mandımal fchwirrte aus dem Heidefraut
Ein Dogel auf, daß zitternd bin und wieder
Die blauen Glöckchen ſchwankten, und jetzt brach,
Gelodt vom Duft, der auf den Büfdyen lag.
Der Schwarm der Bienen aus der £uft bernieder,
Brach wie ein Feind herunter anf die holden,
Die honigreichen, unbewehrten Dolden,
Brady in der Blütenfelche Heiligtum,
Flog auf, Kam wieder, faufte mit Gefumm
Die Heide bin, zum Plündern unverdroffen,
Bis er des Nekiars denn genug genoffen
Und nun, beladen dicht mit Blütenitanb,
Nach Haufe flog, zu bergen feinen Raub.
Wie freute fi Ian Kirk da flets aufs neu’!
Denn immer batte noch die Sonne treu
Sich ihm und hold bezeugt, fein Sroft, fein Regen
Endlofer Wochen ihn um Ernt' und Segen
Und feiner Bienen Fleiß gebradıt. Die Sonne,
Sie war's, die Jahr um Jahr ihm Tonn’ um Tonne
Mit gold’'nem Honig füllte — aus der Wabe
Floß reich ihm flets die balfamduft'ge Gabe.
Schon vier, fünf Jahre lang. Doch nicht genug!
Jan Kirf nahm felber Spaten, Karft und Pflug
Engel Kirk.
Und quälte ſich mit fchwielenreicher Hand
Am Moor herum und andrem fumpf'gen fand,
Drei Anechte balfen ihm ja wohl dabei,
Er aber ſchaffte mebr als alle drei.
Schwer war die Arbeit und das Jahr war heiß,
F hellen Strömen floß von ihm der Schweiß.
re grub, entwäflerte, er legte troden,
Bis endlich er mit eines Hinds Frohloden
Die $lamme fdyärte, bis der Rauch perwehte
Und in die Aſche er den Weizen fäte,
Far meine Kinder!” ſprach er dann und lachte
um Wald hinüber, wo ein Bubenpaar,
s faum noch recht geſchickt zum Kaufen war,
Um Band des Walds Sand auf Kaninchen machte.
Wie die —— —— durch den Ginſter frochen,
Dom Stein zerihunden und vom Dorn zerjtochen !
Der Dater ladıte: „Sind zwei wilde Rangen!
Gott fegne fie, ſſärk' ihnen Herz und Glieder!”
Dann ward er ernft und mit erbigten Wangen
Beugt' er aufs neue ſich zur Arbeit nieder.
„Uns Moor und Wildnis ſchaff' ich fruchtbar Land;
Sterb’ ich fo fällt es ihnen in die Band,
Den beiden Jungen — Brüdern, die fich lieben,
Die feft zuſammenſteh'n, ein $leifch, ein Blut —
Mir bat ſolch Glüd der Teufel bintertrieben —
Gott jegn’ euch, Kinder — dann iſt alles gut.”
Am Abend fat; Jan Kirf bei feinem Herde,
Dor fich den Holztiſch auf geflampfter Erde
Und drauf den fühlen Trunf, den er voll £ob
Und mwohlverdient zu feinen £ippen hob.
Auf andrer Banf die Knechte, mäd und ſtumm,
Indes die Schüffel fleifig ging herum.
em Berrn zur Seite, jung und ſchön an £eib,
Des Baufes Ehre, Eugel Kirf, fein Weib,
Schwäl war die £uft und hell die Sommernadht,
Die Beide lag im Schlummer, überdacht
Dom meiten Himmel, dran der Sterne Chor
Aus blauen Tiefen leuchtend flieg enıpor.
Im fernen Weiten zudt ein fables £icht
Am Stug oft auf und zeigt, Daß ſchwet und dicht
Geballt dort Wollen fteh'n, mit feuchten Schwingen
Dielleiht noch Kühlung diefer Nacht zu bringen.
Im Haus ward's dunfel. £eicht bewegt vom Zug,
Gläht eine Campe, doc faum hell genug.
Mehr als drei Schritte weit davon zu feh'n.
Da fchien das Hofthor Mnarreud ſich zu dreh'n,
Der Bund ſchlug an, ein Knecht gebot ihm Ruh’
Und ſchritt vom Kaufe träg dem Thore zu.
Bald kehrt er wieder: „Berr, ein fremder Mann!” —
„Wer iR's?” — „Seht felbt!” — da fam er fchon heran,
z7 Thür herein, unbeimlich, ohne Gruß,
Is folgte ihm das Unbeil auf dem Suf.
Berlumpt, zerriffen ſchien er bis zum Grund,
Ein Strolh, ein Straßenläufer, Dagabund,
Die $rau erichraf. Ein tödlicher Gedanke
Durchſchoß ihr Herz; — ibr war, der Boden ſchwanke
Ihr unterm Fuß: der Mann — es ift — doch nein!
Warum foll gleid; das Fürchterlichite fein?
Kangfam und fed doch Ichritt der fremde vor,
Ian Kirk fprang auf — die Campe hoch empor
Und felbit von Grauen feltfam jetit erfaft.
£ieh er das £icht voll fallen auf den Baft,
Daf der im Bellen plönlich ftand, und rief:
„Wer leid Ihr?” — „Ich? je nun, ich nehm’s nicht fchief —
Du fennjt mich nicht ?* — „Um Gottes willen! ſprich“ —
„Was denn? dein Bruder bin ich.” — Fürchtertlich!“ —
„Ein freundlicher Empfang!” —
Doll Haft ſtieß Jan —
Und er war fonft bei Gott ein flarfer Mann —
Die Campe auf den Tiſch, jonft lieh gewiß;
Dor Schred gelähmt er jet fie fallen. Bleich
Bis in die £ippen, franf, als ob ein Riß
Das Ser; ihm töte, einem Menfchen gleich,
Dem Tote auferſteh'n, die Fauſt gebalit,
So flarrt er auf die fchredliche Geftalr,
Die fid ihm Bruder nennt. Doc dann fi fallend,
Die Knechte furz mit ſummem Min? entlaflend,
Kehrt er zum Herd zurüf, wo ihm der Platz
Als Hausherren zuſteht nad uraltem Sap.
Dort fept er fi, fchiebt vor ſich hin das Cicht.
mit feiner Musfel zudend im Geficht,
Sieht auf den Mann, als ob’s rin Sremder wär’,
Und fragt dann falt: „Bell Kirk, wo fommit du her?”
513
Wo fam er ber? Das war nicht fchnell erzählt,
Und ob aufs Blut er feine Hörer quält,
Ihm iſt es gleich, Ausführlich, fredh im Ton,
Mit Klagen gegen alle Mit, voll Hohn
Erzählt und prahlt er noch mit feiner Schande,
Die ihm Begleit'rin war durch alle £ande —
Seit £ebenszeit, Denn nichts war fo verrucht,
Daß er’s nicht trieb, daß er es nicht verſucht
Don Kindesbeinen an. Sein £ebenstrieb
War nur das Böfe und das hatt’ er lieb,
Wie andere das Gute lieben. Mut
Zum Sſchlechten nur beflägelte fein Blut,
Wie dunflen Höhlen gifr'ge Dünft' entquellen,
So nie in ibm das Schlechte auf, die Wellen
Des Bluts vergiftend und den Kopf umnadhten>,
Daf er auf das, was Tugend heißt, veradytend
Nur mehr und höhniſch fah. Sein größter Ha
Traf feinen Bruder, den ohn' Unterlaß
Im Sleiß er ſah. Wie haft’ er diefen Fleiß!
Wie böhnt’ er fein! Wie anders, beffer weiß
Er jelbit zu leben! Wie ein Graf fo frei,
Verſchont von Kerrendienit und Sfaverei.
Saulenzend trieb er alfo bin, befannt
Als wuͤſter Menich zu Haufe und im £and,
Er fpielte (falid natärlich), Nuchte, tranf,
Und wie er 'mäblich tief und tiefer fanf,
Geſchah's einft, daß bei einem Fechgelag
Im Streit er einen andern niederitach.
Er fam ins Zuchthaus. „Gott fei Danf!“ fpracd nur
Jan Kirk, als er des Richters Spruch erfuhr,
„Ja, Bott fei Danf! Nun find wir feiner los,
Ihm half nichts mehr und Schand und Schimpf war grofj.”
Dod; blähte faum zum z3weitenmal der Slieder,
Kam auch Bell Kirf fchon aus dem Zuchthaus wieder
Und fchlediter als zuvor. Das wülte £eben
Begann aufs neu, nur toller, anzuheben.
Irrt’ er durdıs Baus, halbtrunfen und verftört,
So ward ringsum fein Cachen mehr gehört;
Angit, Unlaft und Verdruß beichlich fie alle,
Man wich ihm aus, im Hof, im Baus, im Stalle:
Ein fchwerer Traum ſchien alles zu umgieh'n
Und nichts gedieh mehr, wie es ſonſt gedich'n,
Dann ging er fort wohl, weithin über fand,
Nun barrte man daheim der neuen Schand’
In voller Angſt. Sie blieb nicht lange aus
Und endlich fam er jelbit zurück nadı Baus,
mit Swangspaf. ©, das fraf Jan Kirf am Ceben!
Ind wie auch Engel fo entienlic; litt,
Don Schimpf und Schmaxh im engiten Kreis umgeben,
Des £afters Bild vor ſich auf Schritt and Tritt,
Wie fie. die Liebliche, die Engelreine,
Un der fein Herz mit ganzer Inbrunft hing,
Die fonft barmhberzig war und mild, wie feine,
Sich fchen in ſich zufammenzog, da fing
Er an, das letzte Mittel zu bedenfen.
Und fammelte voll Haft aus allen Scränfen,
Was an erfpartem Geld er fand, um lot
Und Sorge lieber in den fünft'gen Tagen,
Als länger noch dies Jammerlos zu tragen.
Bell Kirf nabm alles und er ward nicht ror,
„Ja, nimm nur, nimm,“ fpracdh Jan und niemand fah,
Wie bitter weh tiefinnen ihm geichah,
Uls feines Bruders Band fe nadı dem Fleinen
Sparpfennig griff — er hätte fönnen weinen.
„Ja, nimm nur, nimm,“ ſprach Jan, „zieh übers Meer,
Srei will du fein — dort kannt du's nach Begehr.“
Und da Bell fortzjog. war's daheim ein Feſt
Und alles lebte auf. Wie wenn die Peſt,
Die wärgend — ein £and gehalten,
Daß £eben, Jugend, Reichtum nichts mehr galten,
Tod, Bunger, Greuel waren auf den Wegen —
Endlich verfhminder und ein neues Negen
Doll froher Hoffnung alle Kerzen ichwellt:
So war es hier. Wie eine neue Welt
£ag alles da vor den erflaunten Sınnen
Und nichts als Ftohſinn ließ der Tag gewinnen,
Es war ein anderes, war ein neues Weſen:
Man fang, man lachte, fühlte ſich geneſen
Don einem grauenvollen Alp befreit —
Mie flog die Arbeit und wie flog die Zeit!
Um meilten doc kam Engel das
Mie eine Schwalbe fliegt, fo og ihr Mut
Aufs neue hoch am Himmel bin. Gejtalt
Und Unich'n wuchlen ihr. Wie fi im Wald
Die Tanne, die fo lang verfümmert jtand,
u qui:
514
Gedrädft von andern und vom £icht verbannt,
Urplöglich hebt und fchlanf zur Höhe ſchießt.
Wenn voll der Sonnenzauber um fie flieht,
So war auch fie. Gefundheit, Jugend, Kraft,
Stolz, £iebr, volle, heiße Leidenſchaft
Umleuchteten das Weib. Blanäugig. blond,
Die Band fo Nein, fo weiß. wie nur der Mond
Hellfilbrig alänzt daß fie vom Stanını der Sriefen,
Das ward allein jchon durch die Hand bemwiefen),
So wallte fie dahin auf ihren Wegen;
An ihren Sohlen haftete der Segen,
Aus ihren Bänden ſchien das Glüd zu fließen,
Aus ibrem Blick ſich Wohlfein zu ergiefen,
Aus ihrem Munde Wohllant zu ertönen,
Ein Hauch von ihr den Swielpalt zu verföhnen —
So Schritt fie hin durch Haus und Hof und Beide,
Sich felbft zum Glüd, der Melt zur Nugenweide,
Bel Kirf? Der war verichollen, ganz und rein,
Dielleicht fchon tot. Dann war's für ihn ein Gläd,
Kaum dachte mebr ein Menſch an ihn zuräck;
Man war nur frob, von ihm befreit zu fein.
Nur mancdesmal noch mitten in der Nacht
Schrie Engel auf. Ihr Mann erfchridt, erwacht.
Sie ficbert, bebt, ihr Haar ijt wie gebäumt
In jähen Schreden. „Sprich, was if?” ruft Jan —
„Ad, wie man nur fo thöricht träumen fann,“
Entgegnet fie, „ich hab’ von Bell geträumt.” — —
Nun war er da, nicht tot und nicht verfchollen,
Nun war er wieder da, und wieder follen
Die Schredenstage neu beginnen? Nein,
Allmädht'ger Gott, es fann nicht möglid; fein!
Es fann nicht! darf nicht! rief’s in Engel wild,
Doch faß fie ſchweigend, wie verjteint, ein Bild
Der Angit und jab voll Spannung nur auf Jan,
Der, als jein Bruder fchwieg, nun fo begann:
„Du fommft — doch heißt dich niemand bier willfommen.
Diel Unheil bat du einit von uns genommen,
Als du von dannen zogſt. Zugleich mit dir
Ericheint andy das, jo fürcht' ich, wieder bier.
Derfemt, verftoßen, aller Melt ein Grauen,
Crittft du berein — warum foll ich dir trauen?
Jedoch du bift mein Bruder: Eine Brujt
Bat uns —— — noch bin ich mir's bewußt.
Voch fühl ich's tief, wie etwas in mir fpricht:
Dein Bruder ift's! — Ich wollt’, du wärſt es nicht.
Dod; bit du’s! Ob zun Segen oder Fluch,
Enticheide da! Ich aönn’ dir den Derjudy
Und fpreche: Sei willlommen, bleibe bier,
Bleib’! Auf wie lang — das fteht allein bei dir.“
Bell blieb. Und wie vom abgebrannten Moor
Rauchwolken fdywer und dumpfig zieh'n empor,
Die £uft mit widrigem Geruch erfüllend,
In totes Grau die weiten Cande hüllend,
So war Bell Kirf. Noch füllte faum die Scheibe
Des Monds ſich neu, fo fprady zu feinem Meibe
Jan jchon befümmert: „'s war 'ne Unglüdsnadt,
Die ihn zurüf in unfer Baus gebracht.*
Und feit der Nacht ergoß endlofer Regen
Dom Bimmel fich, der Heide Blätenfegen
Ertränfend. Heine Biene flog mehr aus,
Mie font im Sonnenlidyt mit muntern Schwingen
Sich auf der Flut zu wiegen und ins Daus
Suräd des Bonigs fühe fan zu bringen,
Unluſtig frochen fie in ibren Zellen
Und träg herum, verdriehliche Geiellen,
Und nahmen, flatt vom Strauch die Yieftarlabe,
Des £ebens Notdurft von der eianen Wabe.
Verdrießlich ſah am Auslug vor dem Baus
Jan Tag um Tag nach beffrem Wetter aus.
Dod Tag um Tag ergof die Regenflut
Sich unerfchöpflid und das war nicht gut,
Dieweil das Moor, das faum bebaute £and,
Nun auch ſchon wieder überflutet fand
And weil das Grau, das fchwer vom Kimmel hing,
Die Herzen auch lets drüdender umfing
Und weil auch fonft ſchon jeder freude bar
Das einjt fo frohe Haus geworden mar.
Daran war Bell ſchuld, der als Tagedieb
Im Hofe lag nnd feinem Menichen lieb.
Wich er dem Bruder aus, fo floh dagegen,
Don Baf erfällt, ibn Engel allerwegen.
Germ. Oelfchläger.
Sie grämte fi, im Innerſten verflört,
Schalt ihren Mann nachgiebig, ſchwach, beihört
Und hafte Bell fo heiß, fo wild, fo voll,
Wie man nur das Verbrechen haſſen foll.
Das war er ihr. Sie bielt ibn für den Mann,
Der, will er, auch zum Schlimmften fommen fann.
Sie hbafte Bell. Jhr ganzes Weſen mwallte
Seindielig auf, wo fie ihn fah; fie ballte
Im Grimm die Meine Band und mweinte dann
In ihrer Ohnmacht, daß den braven Jan
Ihr Haß nicht rährte: „Schi ihn fort, fogleih!” —
„Er it mein Bruder!” jprach der andre weich.
„Dein Bruder?” höhnte Engel. Fleiſch und But,
Enticheiden die? Nicht Bösfein oder qut?
Stammt Schlecht und Gut aus einem Quell? So ſcheide
Das Schlechte, eh das Ganze Schaden leide.
Das Böfe zeugt nur Böſes — ſchick ihn fort!” —
„Noch nicht, * ſprach Ian, „du weißt. er hat mein Wort.” —
„oc nicht?“ Und Engel drüdte fieberheiß
Uns Eerz die Kinder und fie weinte leis;
er nicht! Der Bimmel weiß, woher dies Bangen
Mir fommt die Tage und die ewig langen
Qualvollen Nächte her. Weit aus der Heide
Bör’ ich's oft feufzen mie in tiefem £eide
Und wie im Sturme bör’ ich Stimmen rauchen,
Die warnend mahnen. Muß ich da nicht laufchen ?
Und durd; den Regen hör’ ich leifes Weinen
Um dich, um mich, um unfre beiden Kleinen —
Das Magt. das ädızt, das flöhnt: gun , wir werben
Unglüdlich noch, wie niemand font auf Erden.”
Ben ſaß indeffen Iungernd bei den Knecditen.
Die mit ihm fpielten und beim Branntwein zechten.
Die Urbeit war ja Mein, feitdem das Moor
Im MWafler fand, wie niemals noch zuvor,
Und immer noch, faum einmal unterbrodyen,
Der Regen riefelnd niederfam jeit Wochen.
Und eine Beidefchenfe lag nicht weit,
XNlein, dürftig, fchmutig, Dort vertrieb die Feit
Auf feine Art ſich Bell, wenn Hof und Haus
Ihm ungemütlich ward, und dort binaus
£odft' er die Knedhte, denn er war wie Gift,
Das, wo es immer auf den Körper trifft,
Serftörend um ſich frift. Sie famen aern
Und hielten Bell bald höher als den Kerrn.
So ging die Wirtfchaft ſchlechter allgemac.
Die Bienen bradıten nichts und bald gebrach
Es audı im Stall an Sutter mehr und mehr,
Das Korn lag balb verfault fchon, naf und ſchwer
Im Selde draußen, Abgegrämt und ſſumm
Schlich Jan in feinem öden Hof herum.
Auch Enael fdywieg — was half ibr jedes Wort?
Einft ſprach fie nur das eine: „Schi ihn fort!“
Jept fagte fie auch das nicht mehr; denn franf
Tag einer ihrer Knaben. Speil’ und Eranf
Dericd;mähend lag er tagelang im Schlummer
Und fiechte bin — woran? man wußt' es nicht,
Doch war der Knabe jeht ihr ganzer Hummer,
So daf fie Tag’ und Nächte durd; beim Licht
An feinem Bett in dumpfem Brüten faf
Und alles andre, wie es ſchien, vergaf.
Nur einmal fam ibr Schwager Bell. Da fuhr
Sie wütend auf, voll Haß und Grimm, wie nur
Die £ömwenmutter ihre Jungen dedt.
Wenn fie der Unblic eines Feindes fchredt.
Sie wies ihn jähb hinaus, ſumm, ohne Wort,
Doch Blike in den Ungen. Bell ſchlich fort,
Schlich fchweigend fort, gedudt, doc tüdiich ſchoß
Der Rache Gier aus feinem Blid. Ste ſchloß
Die Tbüre hinter ihm, das Herz zum Springen
Doll banger Furcht.
Und wieder war's einmal,
Da kam — des Winters eif'ge Stürme gingen
Yun beulend fchon ums Baus und nadt und fahl
Stand binter ihm der Wald — da fam zum Plaudern
Dom nächiten Hof der Schäfer. Ohne Zaudern
Erzählt Jan Kirk, wie fchwer er fei betroffen
In Feld und Baus, getäufct in allem Hoffen.
„Und denft Euch,“ fchlof er, „aus Umerifa
If auch der Bell, mein Bruder, wieder da.” —
„Bell, Euer Bruder?” — „Ja.“ — „Der Thunichtgut ?" —
„Ja, eben der.” — „Dann feld auf Eurer But.” —
„Wie fo?" — „It er nun befier?” — „Um fein Baar.” —
„Dann feid doch Mug und nehmt die Dinge wahr
So, wie fie find.” — Der Schäfer war im fand
Gerähmt als einer, der gar viel verftand,
Diel wußte, mas ein andrer felbft im Traum
Nicht abnte, war ein „weiler Mann” und kaum
GBab’s zwifchen Erd und Himmel einen Pfiff,
Den er nicht löfte, nicht fofort begriff.
Und alfo fagt er, m es Menfchen gibt,
Die jeder haffen muß, die niemand liebt,
Weil ihnen von Geburt durch Ceufelsliſt
Das Unheil an den Fuß geheftet if:
„Es — mit ihnen, folgt auf Schritt und Tritt,
Es trifft fie felbft und trifft die andern mit,
Und treten fie auch in das jchönfte Haus,
Gleich bricht die Not an allen Eden aus.
Wo Reichtum war, da der Hunger bald,
Das Dieh fteht um, der Käfer frißt den Wald,
Die Heide dorrt, wenn fie nicht erjt ertrinft,
In Regenfluten famt dem Moor verfinkt,
Durds mg geh’'n Gram und Kummer. Wer gefund
Und friſch war, Mlagt mit fieberheifem Mund,
Und Zwietradht in in jede Brujt gefät,
Dem Unkraut gleich, das zwiſchen Weizen fleht.
Das ift ein £ ! Und es ender nicht,
Bevor man nicht den unbeilvollen Micht
Don Bals ſich ſchafft. Glaubt mir, ein folcher ift
Auch Bell. So jeht doc, wie zur felben Friſt
Des Himmels ganzer Segen Euch verläßt,
zn da er Euch Äh wieder jert ins Neit.
e felbit ein Eaugenichts, ein Dagabund —
Und gleich fonımt alles mit ihm auf den Bund,
Die Heide honigt nicht — zum erftenmal!
Der Roggen fault, fein einz’ger Sonnenftrahl
Fällt meht vom Himmel. Er verführt die Knechte,
Die mitverlumpen, Euer Kind — ich dächte,
Das fagt genug — wird franf, wird plötlidh fiech
Und fucht Ichon heimlich; nach der Himmelsftieg” —
Seht Engel an! Euch felbit — wie trüb’ und bleich!
Und darum, Nachbar, rat’ ich Euch nur gleich:
Schafft Wandel noch beizeiten! Jedenfalls
Schafft Euch Bell Kirk, fobald Ihr fönnt, vom Hals!” —
Jan bebte, doch er fprady: „Ich glaub’ es nicht,
Was Ihr da fagt, und fenne meine Pflicht.
Ja, Bell ift ſchlecht, doch wie in aller Welt
Soll, daß die Sonne fcheint, daß Regen fällt,
Daß die Gefunden franfen, Kranfe jterben,
Sein Wert fein? £aft die Thorheit! Sein Derderben
Sind feine £alter. Glaubt mir's!" — „Jedenfalls
Schafft Euch den Bell, ich rat’ Euch, bald vom Hals." —
„Dom Hals? Wohin? Dielleidyt auf offne Straße,
Daf er in Schinpf verfintt?” — „Glaubt nicht, ich fpaße,“
Sprady ernſt der Schäfer; „fort! laßt ihn verichwinden !
Wer ſucht nach Bell? Wer wird ihn wollen finden?” —
Und dabei fah der Mann jo wunderlich
Auf Jan, daß den ein Grauen überſchlich
Mn einem Morgen bald darauf war Bell
Wirklich verichwunden. Seine Eagerftell’
War leer, war unbenutt. Yioch in der Nadıt
Hatte, fo fchien es, er ſich fortgemadht.
Man muft' es —— Engel jauchzte faſt
Vor Jubel auf. daß fie von ihrem Gaſt
Endlich befreit war, und auch Jan fchien mehr
Erfreut, als aufgebracht. Nun war audı er
Der Sorge los, im Guten oder Böfen
Sich und fein Meib von diefen Bann zu löfen,
Zwei Tage fpäter macht' er fich zur fahrt
Sur naben Kreisitadt fertig, dort die Steuer
Selbft einzuzahlen, die der Aermſte heuer
Vom eignen Blut fi mahvoll abgeipart.
Das Pferd war angeichirrt, Jan fchritt zum Schranf,
Ihn öffnend, als er fdhreiend niederjanf.
Denn das Geheimfach, drin jeit Mond und Wochen
Den Scha er aufgelpart, fand er erbrochen
Von rober Hand, das Geld — kein Zweifel blieb —
Das Geld war fort und Bell nur war der Dieb,
Beraubt vom eignen Bruder! Schwarze Nacht
Schien wirbelnd fi Jan Kirf ums Haupt zu drehen.
So abgrundlofe Schlechtigfeit, erdacht
Dom Teufel jelber, ward noch nie geichen,
Ward nie geaknt vom guten Jan, Die Dand
Des eignen Bruders gegen ihn gewandt
Sur räuberifchen Ebat! War da zum Mord
Mehr nötig noch, als nur ein Schritt, ein Wort,
Ein Augenblick, der jüäh den Reſt der vollen,
Derbrecheriichen Kraft, die jtill noch ruht,
Beftialiich wachruft und den wahnfinnstollen,
Engel Kirt.
Derruchten Trieb fich fätt'gen läft in Blut?
Beranbt vom Bruder, * im haus, das Brot
Beraubt jein
für diefes Geld — ſchon fange her!
Geraubt das Geld, das nun in Sieberhaft
Der andere verfpielt, verjohlt, verpraßt!
Ein Schrei der t entrang fich In: die Stunde
Tilgt’ alle £ieb’ ihm aus und tief im Grunde,
vom für jede andre Qual und Pein,
Spürt er die Gier nach Vache nur, allein.
So fprang er auf und in den Hof hinaus,
Indes von —* Tammerruf das Haus
Und von der Kinder Feterfchrei ericholl.
Darn auf den Wagen — und das Pferd wie toll
Antreibend jagt im Wettlauf mit den Winden
Der Stadt er zu, gewiß, dort Bell zu finden,
Am nächſten Tag, todmüd', fam er zurück,
Das Geld war hin, gerettet nicht ein Städ,
mit Dirnen und erbärmlichen Gejellen
Dergeudet, weggeworfen, wie von Wellen
inweggeipält. In namenlofer Mut
richlug er Bell fat, Doch das heife Blut
er legtenmal befänft'gend, jchied er nur
uf immer fi; von ihm und that den Schwur,
Mit eigner fauft ihn vor Gericht zu fchleifen,
£ieß'‘ er noch einmal fid im Hof ergreifen
Jan Hirfs, Und Engel pries ihn, daß er ſich
Im Zorn beherricht: „denn Bell wird»ficherlich
Sid; hüten, ferner unſtes Hauſes Chor
Su nah'n; jeht, den" ich, hat er Schen davor,
och du fei nun getroft! Und drängt die Steuer,
Derfauf’ im Stall das Pferd! Niemals zu teuer
Erwirbt ein Menſch dem Haufe Ruh’ und Glück.
Die wohnen nur am fejtgebauten Herd,
Der alles Böje trobig von fid wehrt.
Und glaub’ mir's nur: jeht fommt auch uns zurüd
Des Biel Segen, der uns einit fo treu
Hlingt auch die Welt um uns und Sonnenichein
Bligt wieder golden uns ins Haus herein.“
Sie fiel ihm um den Hals und füßte Jan
Voll Inbrunft, Und dann gingen fie daran,
mit frifchem Mut und frifhem Gottvertrauen
Ihr Haus und Glüd aufs neue aufzubauen.
So ging der Winter langfam hin, in Plag'
Und unverdrofiner Mah für jeden Tag.
Dann nahm ein Wind mit lauem, milden Baudı
Das Eis vom Bad, den Schnee von Baum und Straudı,
Und wie am MWaldhang aus der ſchwarzen Erde
Mand gelber Keim jich fraftvoll Drängend hob
Und all des braunen Winterlaubes Schwerde
ge £ichte ftrebend auf die Seite ſchob.
o rik auch Engel fraftvoll aus dem Schoß *
Des Kummers und des Grams fidy wieder los.
3 e flarfer Geift, zum neuen Tag erwacht,
ob alles, was in dunfler Winternacht,
Ihn erjt beſchwert, zur Seite und dem Kicht
Wandt’ er fich zu in froher Zuverſicht.
Nicht Jan, der ernft und ſumm blieb. Wie ein Kummer
€ag es auf ihm und drüdt’ ihn ſelbſt im Schlummer.
Und immer ſah er, wo er Hand und ging,
Und ob er machte, ob ihn Schlaf a
Den Bruder vor fid;, fchredlich, hafentteilt
Und Rache drohend, Ueberall, durch geld
Und Haus, die magre Band geballt.
Derfolgt' ihn die entiegliche Geftalt,
Wie ein Geſpenſt. Nichts kann den Spuf ihm bannen,
Nichts treibt den dunflen Scyatten ihm von dannen,
Sein ewiger Begleiter wandelt dicht
Er neben ihm, im Dunkel und im €icht.
Doch einmal, als er fpät zur Dämmerzeit
Don: Fenſter in die dunfle Heide weit,
Die fill und friedlich lag, noch finnend fah,
Da glaubt’ er plöplich feinem Haufe nah
Den Bruder felbit, leibhaftig Bell zu fchen.
Wie Wölfe nächtlich um die Hürde fpäben,
So ſchien er drohend um den Hof zu fchleidhen,
Im Schub der Nacht. Ein Ingrinm ohnegleichen
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516
Erfafte Jan. Die $linte von der Wand |
Jäh reißend, rief er: „Wer da?" Da verfhwand
Der Schatten vor den Augen ihm, verichlungen |
Wie von der Erde. Yan, von Gran’'n bezwungen, |
Trat mit der Slinte ins Gemach zuräd: !
„Gottlob, ich träumte nur. Das war mein Glüd.”
Und wieder ruhte in dem dunklen Urm
Der Nadıt die müde Erbe. feucht und warm
Und weich fuhr durch die fahle nordſche Heide
Der ichmeichleriiche Mind des Südens. Sern
Aus tiefem Blau erglänzte Stern an Stern,
Aufbligend, wie ein Schmud auf famtnem Hleide,
Im Hof war alles fill. Jan hatte ſpät
Dın Weg zu einem Nachbarn erſ genommen
Und war von dort noch nicht surädfgelommen,
Die Kinder, nodı das furze Nachtgebet
Auf ihren frommen Cippen, ſchliefen. Ceiſe
Und friedlich ging manchmal ihr Atemzug
Wie £ebenshaud durchs Zimmer. Engel trug
Die Bibel ih heran gemohntermweife
Und las, fo träb das £icht der Campe quoll.
Aufs Buch gebeugt. andächr'ger Spannung voll
Die alten, oft geleienen Geſchichten |
Don weiland Konig Davids Chun und Didyten
Und feines Sohnes ſtolzem Kegiment,
Des Salomo, im Alten Teftament.
Und Engel las und nahm der Zeit nicht acht.
Da plötlidy tauchte aus der dunflen Nadıt
Am Fenſter draußen bleich das Angeficht
Bell Kirfs empor und an die Scheiben dicht
Sich prejiend fpäht er durch den trüben Raum,
mit Blifen, wie im dunflen Wald vom Baum
Ein wildes Tier nach feinem Opfer blidt,
Doc war's nur ein Moment. Dann ließ geſchidt,
Unhörbar er fich wieder an der Wand
Des Hauſes niedergleiten und verichwand.
Und Engel las. Beim Flackerſchein des Eichts
€£as fie noch immer. Engel, börft du nichts?
Fahrt doch die Tigermutter auf und lauict.
Wenn durch das Schilf der Nachtwind narker raufcht,
Und fprungbereit, mit aufgeredtem Ohr
Horcht fie, wenn dürr ein Zweig nur fnidt, empor,
Für ihre Jungen, bis des Morgenlichts
Strahl wach wird, lauſcht fie — Engel, warnt dich nichts ?
Don all den vielen Heil’gen und Propheten
In deinem dicken Buch — warnt feiner dich?
Will feiner jetzt als Schüher zu Dir treten
Und warnend dir die Schulter rühren? dich,
Di retten? ©. dann mwirf das Buch ins Seuer!
€s ift dein Tod! Schon naht dir ungeheuer
Dein Schidial! Auf, bevor es dich erreicht!
Bord, wie es draufen anf der Diele ſchleicht!
Hör auf, zu Seien! Schlief die Thür! Zu fpät!
Schon dreht die Angel ſich und vor dir fleht
Der böje Bell. Was nüht dir jent dein Schrei'n?
Bell Kirf ift da und du, du bil allein,
Und wie er heiler „Guten Ubend!” bot
Und dicht vor Engel ftand, da flammt‘ es rot
Und heif ihm übers mweife Antligg. „Spricd,
Was milljt du, Bell?” frug Engel fammelnd, — „Did, |
Did; will ich,” ziichte der. „Don Bof und Haus
Bat mich dein Mann in alle Welt hinaus
Geftoßen, wie mit Bunden weagetrieben —
Du haſſeſt mich und ich, Ich will dich lieben.
ch lieb’ dich lange ichon.” Und nun begann
in wildes Ringen zwiichen Weib und Mann,
Auf Tod und feben, Wie des Meeres MWogen
In ihren Kämpfen ſchreckensvoll ſich türmen,
Sid; eng umklammern und binabarsogen
Dom Strudel wieder zu erneuten Stürmen
Auftauchen, alfo rangen bier die zwei
mit Allgemalt. Ein Schredensruf. ein Schrei,
Ein wildes Keuchen, dumpt verbaltnes Stobnen
Erfüllt den Naum. Der Boden ſchien zu drohnen;
Denn tapfer rang Jans Meib und heidenhaft
$ür ihre Ehre. Aber ach die Kraft
War doch nur eines Weibes. Jammernd fchrie |
Um Hilfe Engel, zitternd brach ibr Hnie,
Ihr Arm erlahmte, den wie erjgegolien
Die Fauſt des frechen Burichen bielt umſchloſſen.
Ihr ſchwand der Sinn, wie einem, der ertrinkt
Und nun verflunmend in die Liefen finft.
Sein Obr umtauſcht's und Purpurmwellen fliehen
Ibm por den Ungen bin, die müd' ſich fchlichen. |
Herm. Oelſchlaͤger.
Dod wie jept Bell, dafj fie por Schmerz fib wand,
Ihr fdhönes Baupt mit unbarmberz'ger Hand
Un feinen reichen Föpfen rüdmwärts bog —
Da ſprang die Thür gewaltig auf, da flog
Auch Jan herein, da flog er in die Stube
Und donnerte: „Zurüd, verfluchter Bube!“
Und faßt' ibn hoch und warf mit einem Schlag
Bell auf den Boden, daß er ftöhnend lag.
Und fill ward's. Niemand ipradı und niemand frug.
Nur manchmal ging der Kinder — *
ar durchs Simmer, leife, wie ein bauch
es jungen £ebens, und jegt regte auch
Bell Kirk fich wieder und ein Zittern lief
Den Körper ihm binauf, als ob er fchlief’
Und Schweres träumte. Scheute ſich das £eben
In ibm, zurüdzufebren? War's ein Beben
Gebeimer, dunkler Angſt? War's Neue, Scham,
Was berjbeflemmend ihn jeht überfam ?
War ihm das £eben feiber nun verhaßt
Und fträubt' er fi, die unmwilllommme £aft
Aufs neu zu fragen, die nur neue Sünde
für ihn bedeutet? Hatte geiſterbaft
Sein Blick, indes er fchon mie hingerafft
Um Boden lag, fidh in die tiefften Gründe
Der Seele ihm gefehrt und fchredensHMar
Die Nacht gefeben, die dort heimisch war,
Aus der verbrecheriich und grauenvoll
Don Ynfang an fein Thun und Denfen quoll?
War jet der Tod nicht alles, was nodı gnädig
Der Limmel ihm gewähren fonnte? _
Stumm
Sah Ian auf ibn und jedes Mitleids ledig.
Da warf im heft'gen Krampf fih Bell herum
Und ſchlug die Augen langſam auf, im Kreis
Sie mühooll drebend, und dann fprac er leis:
„Ich will —”" „Du aber ſollſt nun nichts mehr wollen!”
Scrie Jan und ri ein Kiffen aus dem vollen
Bett nebenan, warf fib auf ibn und ſchloß
Den Mund ihm — ad, für immer. Kegungslos
Bielt er das Kiffen ſchwet auf Bell geprefit,
Minutenlang, die einer Ewigfeit
Gleichfamen. Seine hände hielten feſt
Und zudten nicht. Und als er mit der Zeit,
Im Antlitg heiß vom Drud und purpurrot,
Das Kiffen wieder hob, da war Bell tot... .
Die Mitternacht war lang ichon weit im Eand,
Das £icht der Campe längſt herabgebrannt.
Yan flarrte ſchweigend in die Nacht hinaus,
Denn feine Serle war voll Gram und Graus.
Und Engel ſaß am Tiſch. Gedankenſchwer
Das Baupt geftägt, jo fah fie vor fih ber
Dem Mond nad, der mit feinem Silberichritt
Durchs dunfle Fimmer hin am Boden glitt,
Den altersbraunen Schranf entlang, und jett
Traf er die gute Bibel, die zerfeht
Darunter lag. und jetzt, bel wie der Tag.
Strich leis er hin, dem Orte zu, wo Bell
Gar Mill und Aumm nodı auf der Erde lag.
Da fafte fie ein jäbes Graufen, Schnell
Erhob fie fih und trat zu Jan: „Wir haben
Zu thun — fei ſtark — wir müſſen Bell begraben.”
Auf einem Karren fuhren fie ihn fort,
Die Seide bin, an einen ſtillen Ort.
Das Gras war nodı nicht hoch, die fahrt ging leicht,
Die Nacht war hell, bald war der Plat erreicht.
Gar einfam lag er in der weiten Welt,
Don einem Dutzend Föbren nur umitellt.
Bier fam im ganzen Jabr fein Menich vorbei,
Nur dann und wann ſah man mit beiferm Schrei
Sid; Krähenfcharen in den Zweigen wiegen
Und wieder mit Gekraächz von dannen fliegen.
Bier gruben fie ein Eoch im dDürren Eand
Und Engel ſcharrte mit der eigen Hand
Die Schollen tief heraus, zu Bäupten fie
Aufbäufend. Das war Urbeit, wie noch nie.
Der trübe Mond ſchien Teis nur durchs Gezweig.
So jchafften fie im Dunfeln, ſumm und beide,
Sie aruben emfig. ratlos, und fodann
In feine Grube jenften fie den Mann,
Den toten Mann. Da lag nun Bell begraben
Und fonnte Sried' und Kub für lange haben,
Tent that er, eingefchlofien in vier Münde,
rlichts Böfes mehr und alles war am Ende,
Engel Kirf,
Der Morgen graute, als fie heimmärts fuhren,
Doc; niemand fah im Gras des Wagens Spuren.
Und niemand frug nah Bell, Er blieb verihollen —
Mer wird ihn fuchen? wer ihn finden wollen ?
Und als der heiße Semmer fam, da blühte
Die Heide reich wie nie, der Himmel glühte
In lichtem Blau und zitternd lag die £uft
Auf der unendlich bingeftredten Släche,
Die, grün von Gräfern wogend, fich in Duft
Und Sonne fern verlor, Des Lebens Bäche
Umraufchten jung und voll das ſchlichte Haus
Jan Kirks. Die Bienen flogen ein und aus
Und bargen, heintgefehrt, mit Mühe fait
Und Hot nur all dir reiche, fühle Lat,
Und fleigig fchaffte wiederum am Moor
Jan Kirf, wie fon, und wieder wie zuvor
Sprad; er bei jeden neuen Spatenftich:
„sür meine Kinder!” leife bin vor fich
Und lächelte glädfelig, wenn die Rangen
In Kinderluft ihn auf dem feld umfprangen ;
Und Engel pries, daß ſich des Himmels Segen
So fichtbarlich erweiſe allerwegen
Und daß fich feine Gunft in diefem Jahre
Un ihnen allen deutlich offenbare.
Im Jult brach zur Nachtzeit ungeheuer
Ein Wetter los. Der Himmel fand im feuer
Sahllofer Blige: Schwere Donner rollien
Die flurmgepeitichte Beide bin, als follten
Heut Erd und Himmel untergehn,. Die Nacht
War bang für Menſch und Tier, Mie eine Schlacht
Erdröhnt es in den Läften. Prafielnd gof
Die Regenflut hernieder und jetit ſchoß
Ein Seuerball vom Firmament und tauchte
In Gluten Haus und Hof, hell wie der Tag,
Die Augen blendend, dann ein Donnericdlag.
Daß alle Mauern bebten. Und ſchon rauchte
€s ziſchend auf, ſchon züngelten die $lammen
Juft an der mächtiaften der £inden auf —
Der Regen löfcht fie — doch am Morgen drauf
Brad bliggefällt der Baunı in fid; zuſammen.
Jan fpradh: „Der Himmel felbft bat ihn zerſchmeltert,
Da liegt der Riefe nun geſtürzt, entblättert.
Soweit ich weiß, hat er nicht feinesgleicdhen
Im Eand gehabt — ich ahn’ ein ſchimmes Zeichen.“
Und noch am felben Tag flog durch die Kunde
Der Höfe eine jdyanervolle Kunde.
Weit in der Beide draufien, wo im Sand
Ein Dutend Föhren fiehen, war die Hand
Wie eines Toten an den Tag gelommen
Und wies zum Himmel aus der nadıen Erbe,
. Ein Knecht, der bier am Morgen feine Pferde
Dorbeigeführt, der hatt’ es wahrgenommen.
Man jtrömt hinaus und fiebt hinweggeichwernmt
Den Sand vom Sturm der Macht, der ungehemmt
Das Grab durchwählt, das ohne Kreuz und Sarg
Wer weiß, wie fang ſchon, einen Toten barg.
Daß ein Derbrechen bier geichehn, war Har,
Der Tote felber macht' es offenbar
Und alle, wie fie um die Grube ſtehn,
Getrau'n fih, Gottes Singer hier zu ſehn.
Am Ende holt aus feinem flillen Baus
Den £eichnam emfig fchaufelnd man heraus
Und man erkennt Bell Kirf, denn wer im Eand,
Wer hätte nicht den Tangenichts gefannt?
Jan wird befragt, doch er erwidert nicht.
Am andern Tag geht felbit er vor Gericht,
Um, eh man andern nachforſcht, zu geſtehn,
Die dunfle That fei nur von ihm geichehn.
Yun famen ſchwere Zeiten. Im Gefängnis
Bielt man Jan Kirk und Engel mondelan
Wie graufam träg nahm, mit wieviel 33
Die Prozedur ſchwerfällig ihren Gang!
Doc hielten beide mutig aus und blieben
Bei ihrer erfien Rede, Weib wie Mann:
„Er bat uns felber in den Fluch getrieben,
Es ging nicht anders.” Und dann ipradı noch Jan:
Ich aber that's allein.“ Doch Engel, mild
Binlächelnd, fagte: „Ja, jedoch was ailt
Es auch, daß du's allein getban? Ich fand
Dabei und fah’s und —* nicht die Band,
Dem unglüdiel’gen Menichen beizuftehn,
rängnis
Dem nur fein Recht, fo dacht! ich, ift geſchehn.
So dent’ ich heute noch. Du haft uns beide,
Da jelbft der Himmel uns in ſolchem £eide
Kein Helfer war, aus unerbörter Not
Und Schimpf und Schmach befreit durch feinen Tod,
Mas wir ertrugen, niemand fann cs wiſſen.
Wer fieht ein Berz jerfoltert und zerriffen ?
Wer fieht die Bitternis, wenn jede Stunde
Erneurung bringt der tief verboranen Wunde?
Wer fieht die Qual? Und wenn für Eher’ und Haus
Kein Retter fommt, fo bricht fie endlich aus
Und fchreit zum Himmel: Lieber Tod und Sterben,
Als langſam fo noch länger hinverderben |
Drum ftand ich da und fonnt es ruhig fehn,
Da jenem nur fein Recht ja war geichehn.
Drum fchrie ich nicht und meinte nicht — und haben
Wir denn nicht beide heimlich ihn begraben ?*
So ward das finftre Urtel dann gefprochen,
So ward der Stab von Richterhand gebrochen.
And weil der mächtige Bott Sebaoth
Ein ftrenger Rächer ift und fein Gebot
Uns fundthut: Ang’ um Auge, Zahn um Zahn,
So ward für feinen Mord dem arnıen Jan
Das £eben abgejagt und Engel follte
Des Zeuge fein und dann für lebenslang
Ins —— wandern. Da war's Engel bang,
Sie ſchrie und klagte, zeterte und wollte,
Wie boffend fie von Unfang an gemeint,
mit ihrem Manne fterben, ihm vereint.
Dann fprady fie ibm mit ſtarken Morten zu
Und fprad» ibm Mut ein: „Alles endeit dus
Ja, in Minuten, während lange Jahre
Ich feufzend harren muß auf Tod und Bahre,
Ich joll dich jterben jehen, quter ar.
Dann blick“ auf mich nur, nur dein Meib ſieh an!
Denf alles defien, was wir ſchwer gelitten,
Wie wir uns liebten — trifft dich dann inmitten
So guten Denfens jäh der Tod, befreit
Bi du von allem Wehe diefer Zeit.“
Und wie die fchwere Stunde fam, da ſtand
mit totenbleichem A unperwandt
Den Blick auf Jan gerichtet, Engel. Nicts,
nichts fah fie von den Schreden des Gerichts,
nichts fah fie von der taufendföpf'gen Menge,
Die wie ein Meer in braufendem Gedränge
Beran ſich ſchob. Sie blidte nur auf Jan,
Gewiß, daß er aus ibrem flarfen Auge,
Wie er im eben ſchon jo oft getban,
In diefer Stunde Mut und Stärfung fauge.
Jetzt jahn fie ſich — zum leptenmate flog
Sein £iebesbli zu ihr, wie zu den Spiten
Des Bergs ein letter Sonnengrufi — dann bog
Er müd fein Haupt. Da brad auch ihre Kraft;
Don einer Ohnmacht diefem Ceid entrafft. ,
Sah fie nicht mehr das Schwert des henkers blitzen.
Und als fie tags darauf von ihren Kleinen
Den Ubfchied nahm, Sprach fie mit leifem Weinen
Den Segen über fie: „Uus franfem Eerzen
Segn’ ich euch, Kinder, in den tiefiten Schmerzen,
Die je ein Weib erlitt. Doch fromm und rein,
Was auch die Welt jeht von mir fpricht nnd alaubt,
JR diefe Hand. Sie leg’ ich euch auf's Haupt
Ind denft ihr einft des Daters, denft ihr mein,
So thut’s im Guten. Und nun geht.“
Sie gingen
Und weinten; dod; fie wußten nicht, warum.
Sie blickten fchen. Doc Engel legte Aumm
Jet ihre Hände in des Knechtes Schlingen,
Der fie im Waagen, mie ſich das gebührte,
Derdroff'inen Blides nun zum Zuchthaus führte.
* *
*
Gelaſſen wandelt ihren ew'gen Gang
Die Seit von Anfang an. Kein Ueberſchwang
Don “Menfcenfreuden oder Menichenleiden
Derlangfamt oder flügelt ihren Schritt.
Gelaflen wandelt fie vorbei an beiten
Und nimmt von beiden nach Gefallen mit.
Don ihrer hoben jungfräulichen Stirn
Strablt Falter Glanz, wie von der Alpen Firn
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Der ew'ge Schnee. Glück, Ciebe, Frohſinn, Luft
Rährt nie das Eiſenherz in ihrer Bruft.
Gefühllos wandelt fie, Der Schmerzensichrei
Des Unglücks hallı ihr ungehört vorbei.
Und ob der eine ihre Flucht beflaat,
Der andre ihren Sauderichritt — fie fragt
Nadı beiden Choren nit; fie fieht den Sand
Gleichgältig in dem Glaſe niederrinnen
Und rührt, dem Markt entrüdt, auf hohen Zinnen
Der Klode Hammer mit gelafj'ner Band.
Dem Glüf zum Hohn, dem fie zu rafch enteilt,
Dem Schmerz zum Trog. dem fie zu lang vermeilt,
Singt fie die uralt alte Melodie:
Ich ende alles — ich felbft ende nie.”
Und alfo hatte viermal fchon das Jahr
Im Kreislauf fich erneut und viermal war
Der Bienen Dolf zur Heide ausgeflogen
Und beimgefebrt. Und durch des Chores Bogen
War viermal fchon der Roggen eingebracht —
Don fremder Band, und viermal hatte ſchon
Sich jene unheilvolle Schrefensnacht
Gejährt, Wie rafch war doc; die Zeit entflohn!
Wie rafch, wie raſch!
Nur Engel fand das nicht.
Ein wenig bläffer war ihr ———
Als ſonſt. Das fam, weil fie die £uft entbehrte,
Die Blut und Herz ihr fonft fo fröhlich nährte,
Jest ſaß fie da und Magte ftill für fich,
Wie qualvoll —— ihr die Zeit verſtrich,
Da jeder Augenbli doch Jahr für Jahr
Mir Schmerz und Gram ibr reich gefättigt war.
Und weil das Juhr wie eine Emigfeit,
Scien auch die Qual verzehnfacht durch die Zeit,
Wie graufam war die Zeit, wie ichwer die Not!
für alle Menſchen war fie jchon wie tot
Dergeffen, wie ein ausgetretner $unfen,
Ein Tropfen Blut, vom Boden aufgetrunfen,
Die Arbeit that fie, wie fie fam. Doch wußte
Davon ihr Herz nichts. Ihre Hände flogen
Nur um die Pflicht, die fie erfüllen mußte,
Die Seele war wo anders, Bilder zogen
Trüb wechſelnd ihr vorbei in rafchem Slug.
Das höchſte Glüd, gemifcht mit tiefftem £eide:
Der arme Jan, das Baus, der Hof, die Beide —
Da batte fie zu denfen denn genug.
Und dann die Kinder, die — Gott fei's geflagt!
Voch nicht ein einz'gesmal nad; ihr gefragt.
Dod; nahm fies wie das andre. Aus dem £eben
War fie wie Jan; fie mußte fich ergeben,
Doch Jan lag fAumm, lag tot im Leichentuch,
Indes mit jedem Pulsſchlag fie den Fluch
Des Seins verlängerte! r das nicht mehr?
Nicht fchredlicher's? ft Sterben denn fo ſchwer? — —
Und plöglid kam's wohl auch, daß nadı der Weit
Ein beifer Durft fie überfiel, nach Ceben
Und Sreiheit Jung und fchön und fraftgefchwellt
Rann durch den Körper ihr ein leifes Beben,
Derlangen, Sehnfucht, Qual, nur noch einmal
Su fduaffen in der Sonne goldnem Strahl,
Den Hampf des £ebens mutroll zu erneuen,
Mit ihren Kindern fidh des Tags zu freuen
Uns wie die andern vielen Millionen
Sich frei zu regen und im Glüd zu wohnen.
Sie fdyraf zufammen. Wie die heiße, rafche
Glutflumme plötlic; lodert aus der Aſche
Und wie der Quell, feit Jahren fchon verlandet,
Plõtzlich nodı einmal aus der Tiefe brandet,
5o fam es über fie, Derzmweiflung. Schmerz,
Wunic, Hoffnung, Gier durdyichättelten ihr Herz
Und durch das Haupt, wie einem Steberfranfen,
Tobten ihr heiß die marternden Gedanken.
Doch ftritt fie's mannhaft durch und ganz zuleht,
Wenn fih ibr Münfchen endlich müd geieht,
Kam Ruhe wieder über fir, wie matt
Des Seers Wogen rubn und ipiegelalatt,
Die erit im Sturm getobt. Gelaffenheit
Erfüllte fie, und das, was ihr zur Zeit
Ergebung hieß. bis fie fogar vergaß —
So fhien’s, — das jie in Schmach und Schmeigen ſaß
Im fünften Jahr nun war's, da fam, als reiter
Hirt feiner Herde vorgeſetzt, ein neuer
Pallor zut Stadt, in deren Kirchenipiel
Bleichfalls das nahgelegene Zuchthaus fiel.
Ein junger Mann war Llemens Uriten, jung
Berm, Oelichläger.
Und ftarf im Glauben, voll Begeifterung
*sür fein erbabnes Umt, voll Schwärnterei,
Die feljenfet die Treue führt im Schilde,
Bereit zur Bilfe, angetban mit Milde
Und ftets gedenf, daß Gott die Lirbe fei.
Ein Garten war fein Herz, darin er gut
Die Menfchenliebe hielt in frommer But.
Dor allem pflegt’ er fie und im Gemwier
Des £ebens ward er niemals an ihr irr.
Sie achtet’ er wie eine Wunderblume,
Sum Heil dem, der fie pflegt, und Gott zum Ruhme,
Die fiegreich jede Menſchennot beftreitet,
Dom Himmel fommt und wieder zu ihm leitet.
Darum, wenn auch mit fdywerem Herzen nur
Sein junges Weib vom neuen Amt erfuhr,
folgt’ er doch freudig jenem Ruf. Die Stätte
War heilig ibm. Denn bier lag an der Kette
Das Unglüd, lag das Elend, das Derbredyen,
Der bittre Jammer und die blut'ge Rene,
Die jeden Tag das Herz zerfleiicht aufs neue,
Bier war ein Strom von Chränen zu beiprechen,
Bier waren, die zerbrochnen Herzens find,
Und die zerichlagenen Gemärs. Hier waren,
Die Schifbräch auf des £ebens Meer erfahren,
Abfeits gefchleudert jäb von Sturm und Wind.
Bier fonnte feine fchöne Munderblume,
Den Elenden zum Beil und Gott zum Ruhme,
Sich in verflodte Seelen fiegreich drängen,
Die £ippen öffnen und die Herzen fprengen:
Denn wie der Regen fommt zur dürren Seit,
Folgt auch der Not ſtets die Barmherziafeit.
Und als er fo zu Engel Kirf einit fam,
Zum erflenmal, da faßt' ihn tiefer Sram,
So jung, jo fchuldig und jo trogooll! Schmeigend
Hört! Engel auf fein Wort, die Stirn faum meigend,
„Doch Eures Manns Verbrechen feht Ihr Mar?” —
„Er that nur, was ihm Recht und Ehre war.“ —
„Als er gefrevelt wider die Natur?“ —
„Dafür war er fidh jelbit fein Richter nur.“
Und dennoch ließ den Paftor Engels Bild
Nicht los mehr. Er fanı oft. u mild
Sprach er ihr zu und wie die Sonn’ im März
Das Eis der Släffe löft, räbrt‘ es ihr Herz
Und löl’ es von der Eifesrinde, die
Es fübl umſchloſſen hielt, bis denn auch fie
Sich endlid; ihm ergab, ihm ganz vertrante,
Daß er in ihre tiefite Seele ſchaute.
Er war erflaunt, entiegt, beglädt, vernichtet!
Am Mord mitidyuldig war fie, war gerichtet,
Und doch wie — wie rein und ohne Fehle
Erichien ihm dieſes Weibes ſchlichte Seele.
Derdammt von: Richter, ſprach aus eigner Kraft
Sie frei ſich, ohne Baß und £eidenichaft.
Zeugin des Mords, falt, mit gelaffnem Blut,
Dar einem Kinde gleich fie weich und gut.
Und wie er all den Sammer dann vernahm,
Der einſt durd; Bell jäh Aber Engel fam
"Und über Jan und übers ganze Haus,
Wie fie Unmenſchliches durch ihn erduldet
Und wie er felbit den blutgen Schluß verichulder,
Ging er beträbt von ihr, in tiefem Graus,
Und weinte über fie, Doch eines land
Ihm feit im Herzen, hier mit Gotteshand
Aus Nerfernact und aus der Schande Ketten
Sür diefes Keben Engel Hirf zu retien!
Ja, ſprach er, Blut um Blut! In Gottes Namen!
Wie Joram ward geitraft famt feinem Samen
Für Bradermord, wie Abimelech fiel
$ür feine ungeheuerliche That,
So ward auch Jan gerichter, ihm das Fiel
Des Seins verfürzt durch Richterhand. So bat
Er jeines Bruders Blut, das von der Erde
Zum Himmel ſchrie, verföhnt, im fichern Hoffen,
Daf ikm dafür auch jenfeits Gnade werde.
Das walte Gott! Dann Nand der Bimmel offen
Der reu’gen Seele und fein Cerb hienieden
Sant müd’ der Erde zu und ihrem Ärieden.
Doch Engel, Engel hat man leben laffen
Fär mindre Schuld! Und fie — ich fann’s nicht fallen —
Soll jahrelang in Schimpf und Schande ftehn?
£anglam verfommen, langfam untergehn
Und jo vermodern? Bei dem Ungeficht
Des Bimmel, diefe Menichen ahnen nicht,
Wen fie da morden, wen fie da jeritören!
Doch ruf’ idy's laut und alle follen's hören
Ich fordre diefes Weib zuräd den Ceben,
Der König fann, der König muß vergeben,
Ihr ward für Meinre Schuld der größre Teil
Der Strafe zugemeſſen. Bligt das Beil,
So ift die Schuld gefühnt, das Haupt zu Füßen.
Doch fie foll endlos lange Jahre büfen?
© hätte man fie doch mit Jan a
Der Welt enträdt! Wär’ ihr der Codesſtreich
Erlöjung nidht, ihr Rettung nicht gewefen ?
Yun irrt fie ewig lange Jahre hin,
In Schmach, in Schande, mit verflörtem Sinn
Und ohne Hoffnung, jemals zu geneien.
Welch Elend, ohne Hoffnung und Dertrauen
EnDdlofe Jahre in die Dede jchauen,
Die fchweigend vor dem flumpfen Blid ſich dehnt
Wie nactbededte Wäſte. Ringsum gähnt
Das Grau'n. Die Zurien liegen vor der Schwelle,
Derzweiflung, Jammer lagern in der Selle,
Ungit und Geſpenſter bringt die finftre Nacht,
Der Schmad; Bewußtjein bringt der Tag zuräd,
Am Herzen reift mit fets erneuter Macht
Die Klage um das lang verlorne Glück —
Und unentrinnbar — nirgends zu entfliehen —
Alltäglich neu gejtraft — niemals verziehen —
Und unabfehbar diefer £eiden Drang,
Eın Jahr ums andre und auf lebenslang
Des Teufels Opfer und der Hölle Spiel?
Das iſt zu viel!
Und fo gelduh's, daß er zwei Jahre lang
Um Engel Kirf mit feinem ——— rang.
Der König wollte nicht. Denn Engel fi
Schuldig genug. Wie würde vogelfrei :
Und ſchutzlos die Geſellſchaft ſteh'n, wenn jeder,
Der tief verlegt dem oder jenem grollte,
Im eignen Redt tyrannifch walten wollte!
Wenn jeder feinem Haß nur folgen, weder
Dor Gott noch Menic fi jcheu n und wie ein Tier,
Das brüllend aus dem Käfig bricht, voll Gier
Un> Blutdurſt feinen Nächten überfallen
Und morden wollte! Kann das heiß’re Blut
Entihuld’gung fein? Und ift denn nicht vor allen
Der König da, des Bürgers Erben, Gut
Und Wohlfein vor verbrecherifchen Bänden
ge fhägen? Und half Engel, die jo rein! —
en Toten nicht begraben? Darum nein!
Wie ſie's verdient, jo mag fie nun auch enden,
Der Paſtor aber fette alles dran
Und wie einjt Jafob mit dem fremden Mann
Sn Hachtzeit bis zum Morgenrot gerungen
n ſchwerem Kampf und doc nicht ihn bezwungen,
Bis er dann rief: „Stark bijt du, ja! doch wenn!
ch laſſ' dich nicht, du fegnereft mich denn!” —
o rang er mit dem König und er lag
Dor Gott auf feinen Knieen manchen Tag
Und manche Nacht, auf daf er fein gedenfe
Und ihm in Bnaden diele Seele fchenfe.
Und endlid; ward's erfüllt. Am Königstag,
Da Gutes jeder En erwarten mag,
Kam ihm vom Throne der Befcyeid, daß gnädig
gr Seit der Fürſt auf Engel Kirk gefeh'n;
r fpreche fie fortan der Seffeln ledig.
alls Paſtor Arjten felbit dazu veriteh'n
ich wolle und ſich felbit dazu bequemen,
Fur Jahreslauf fie in fein Haus zu nehmen.
Bertehe fie die Probe gut, fo fei
Sie losgeiprochen und für immer frei.
Beitebt fie ſchlecht, dann — ſchloß das Gnadenſtück —
Kehrt in das Zuchthaus fie fotort zurück
So ſtand's gefchrieben. Engel in fein Baus!
Er las und las und las es Ba ule aus. ”
Sein herz fchraf auf, im Inneriten beflommen:
Wie hatten jie ihn gut beim Wort genommen!
Die Mordverdammte aus der Zuchthauszelle
Don ibm geleiter über jeine Schwelle,
Als Hausgejellin zu dem Hausgefind',
u feinem Weibe und zu feinem Kind.
ein Keim, dem Frieden Gottes nur geweiht,
War es für ſolchen duftern Gait bereit?
Und wenn der Schatten, der fie ganz umhbüllte,
Allmählich auch fein helles Baus erfüllte?
Und wenn fein Kind — doch durft' er denn die Blüte
mit diefem Kächeln voller Cieb' und Güte
Dem Weib vertrauen, das mit eigner Band
Das Unglädsgrab gefcharrt im Heidejand ?
Engel Kirf. 519
Klebt nicht ein Fluch an foldhen Händen? Sollen
Das Kind fie faſſen dürfen, nadı den vollen
Und derben Bäckchen greifen, zärtlich jtreicheln,
£iebfojend taten und voll Anbrunit fchmeicheln >
Sie jah den Mord. Sie lief den Mord gefcheh’n.
Mer jo Entiegliches mit angefeh'n,
Muß nicht fein Auge wie verzaubert fein?
Doll böfer Madıt? Nein, rief's in Arften, nein!
Und Seelenangft befiel den Braven. Wieder
Schritt er dann lang im Zimmer auf und nieder
Und fampfte nun mit ſich viel Stunden lang,
Wie mit dem König er der Jahre zwei
Gerungen, wie ein Jafob jchwer und bang
In jener Nadıt. Dann fprac er feit: „Es fei!
Heut bin auch ich dır, ſtarker Gott, begegnet
Und laff' dich nicht, bevor du mich gefegnet,
Noch morgen hol’ ich Engel Kirf. Willtommen
Ser fie bei mir und freundlich aufgenommen.”
frau Arſten freilich war voll Wideritreit,
Doch ftand das rechte Wort ihr jetzt bereit,
Sie jpradı: „Mo Blut gefloffen im da ſproßt
Dir feine Blume mehr als Uugentroft.
Da jteht ein Kreuz — fo war's in alten Tagen,
Das foll auch fie in Gottes Namen tragen.“
Er aber füfte ihr die Stirn: „Und follen
Der Schhmerjbeladnen wir und Kummervollen
Das fchwere Kreuz, wie es in alten Tagen
Bei Chriſten Sitte war, nicht helfen tragen ?”
Und Engel fam, Wie aus der dumpfen Nacht
Der Blindheit einer neu zum Cicht erwacht
Und, all der Slanzesfülle zugewendet,
In freud'gem Schreden ſebt und halb geblendet —
Wie einer, aufgerufen aus der Gruft
Des Todes, wieder wandelt in der £uft,
Die Sterne wieder fieht, für die feit Jahr
Und Tag fein Ange mäd’ geichlojfen war,
Und flaunend fühit, wie ihm die Sonne wieder
Erwärmung gieft in die erflarrten Glieder,
Wie, von der Frut des Lebens neu umrauicht,
Er ihrem Locken mit Entzüdfen lauicht
Und endlich ganz betäubt und unruhvoll
Zagt, ob er weilen oder fliehen foll:
So fand ſich Engel Kirf. Des Pajtors Knie
Umtlammernd küht fie feine Hand, Doch wie
Sie dann die ihre nad dem Kinde ſtreckt,
In holdem Drang, den Knaben mit den füßen,
— — £ippen liebevoll zu grüßen,
er, in der Mutter Kleider halb veritedt,
Grofäugig aur die Fremder ſchaut, da tritt
In heftiger Bemwesung zwiſchen beide
Stau Nriten, wie jur Wehr den Knaben mit
Den Bänden ſchügend. Web! In tiefem £eide
Bebt Engel Kirk zuräd. Ein großer Schmerz
Durchzuckt iht treues, vielgepruftes Herz.
Jit fie geächtet? Steht das Karn⸗-zeichen
Auf ihrer Stirn? Ein Schreden fondergleichen
Erfaßt fie. Fieber dann in Herfersnacht
Zuruck. begraben in dem tiefften Schacht,
Derienft in Schimpf, geichnürt in enge Bande,
Uls fo zu leben! In das Haus der Schande
Surf dann lieber noch, wo unbeieben
Die einen Sunder bei den andern ſſeben!
Surüf aus foldyer Sreibeit in die Zelle!
Dod, bebr ihr Fuß und kann nidıt von der Stelle,
Die Tage gingen jtill und friedlich hin
Im Pfarrbof, wo ein milder, beitrer Sinn,
Don Gottesfurcht und Frommigleit getragen,
Den Menſchen kalf in gut’ und bojen Tagen,
€s war im haus von jener belliafeit,
Die aus den herzen felten ſtrablt, die weit
Und nah das Kleinite trifft, to wie der Strahl
Der Sonne findet auch das engite Thal
Die von der Shwelle jede faune fchredt
Und die der Blume gleich die freude weckt.
Und Engel that wie alle Watend ging
Sie rin und aus. Ein milder Sinn umfing
Sie allaemacd. Sie mb den Nebelſchleier
Serfliegen, der ihr Herz bedruckt, und freier
Sah fie ins Weite. Wenn es kaum getagt,
Sprang fie zur Nıbeit auf, wie cine Magd
Tayhin zu ſchaffen. Danf empfing fie. Doch
Sie warb um boh'res, wa.b um Bejj'res noch,
Sie warb um £iebe und bisw. ilen ſchien
Ihr Herz auch die der andern nadyyuzich'n.
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Dann jubelte fie MU für fih und fchon
£itt auch frau Urften, daß ihr fleiner Sohn
Mit Engel durch den Garten ſtrich nach Beute
Im Hafelitraudie. Wie das Engel freute!
Noch hatte fie das Pfarrhaus nicht verlaffen !
Sie fürchtere die Stadt, den Marft, die Gajlen,
Durch die jie einft, vom Volke roh begafft,
Gezogen war, dem armen Jan zur Seite.
Ein trüber Zug! Ein trauriges Geleite!
Ein böjer Tag, der noch in nn und Baft
Ihr Herz erinnernd hielt, daß es verjagte!
Der Paitor fchalt. So ging fie denn und wagte
Sich einmal in die Stadt. Doch bald ſchon fam
Entſetzt zurüf ins Pfarrhaus fie gefloh'n,
Doll Todesangit und leichenblaf, voll Sram,
Dom Dolf erkannt, war fie mit Spott und Bohn
Empfangen worden: „Seht die Mörderin!
Stolziert fie nicht in Sreibeit frech dabin?
Dom Zuchthaus fommt fie! Sollte man es meinen?“
Ein Strafenjunge warf nach ihr mit Steinen
Und andre folgten. Wie ein Wetter brach
Es auf fie los. Sie floh und alle nad.
Dergebens fah fie fih nach Rettung um,
Die einen lachten, andre fchlofien ſumm
Die Chur vor ibr. So jagte fie entiegt
Die bäufer hin, ein Wild, das aufgehett
Und todesbang durchs Waldesdickicht bricht.
Die Steine flogen ihr ums Haupt, das dicht
Sie ſchützend mit dem Tuch verhällt, die Nlot,
Die Angſt lich ihr die Kraft, fonft lag fie tot
Jegt auf der Straße, von der blinden Wut
Des Pobels hingeopfert, die nad Blut
Und Rache ſchrie
Und tiefe Trauer zog
Durch Arſtens Herz und Kümmernis. Wie log
Der alte Spruch da wieder, daß die Stimme
Des Dolfs die Gottes fei, wo alles Schlimme
Und Rohe häflich aus dem Kerzen bradı
Der Choren und Einfältigen. Dann ſprach
Er: „Kommt! Sie follen uns nicht beugen
Und laut vor allen will ich Gott —
Hu feinem Knäblein neigt' er ſich hera
Ind hob es auf und küßt' es und dann gab
Er der erflaunten Engel auf den Urm
Das Kind; das ſchmiegte feine Händchen warm
Ihr um den Hals und lachte, — „Uber, Mann —!*
„Auch du kommſt mit und Engel geht voran.“
So traten alle feierlich heraus,
Die Srauen bang, bewegt von taujend Schmerzen,
Er feines Berren frob und ftarf im Herzen.
Wie ihrer barrend, unweit von dem Baus,
Stand nodı das Dolf, in Kotten dicht gefchart
Und böjen Willens voll. Und faum gewahrt
Der Pöbel Engel wieder, ging die Reih'n
Ein Murten bin und einer ſchwang den Stein
In feiner Hand mit Droh'n. frau Arten fchrie
Wild auf und jtürzte vor. Da ſtugten fie
Und fah'n nun e.ft, weld; ein feltfamer Zug
Da näher fam und daß des Paſtors Kind
Es war, das Engel auf den Armen trug.
Und wie es freundlich blidte! Wie im Wind
Ihm feine langen, goldnen £odfen flogen!
Wie, über Engel halb zurädgebogen,
Es mit dem Dater jet aufjaudızend fcherzte
Und dann die Dienerin frohlodend herzte!
Die £eute traten fchen zur Seite, Wer
Bätt' auch dem Paſtor Arften Gruß und Ehr’,
Wo immer er im Dolf erſchien, verſagt?
Wer ſich an ibn mit frechem Wort gewagt?
So ichritt er hin, das Haupt voll Ernit gehoben
Und voller Würde, wie durd; Sturmestoben
Ein ſtarker Mann. Gleich einem Fauber ging
€s von ihm aus, der jedermann umfing
Und aud; den Kediten bändigte. Das Weh'n
Göttlichen Geiſtes ſpürten fie, doc ohne
Es nur zu willen oder zu verftch'n.
Das eine nur begriffen fie: dem Bohne
Der Welt entrüdte Urften bier das Weib
Jan Kirfs und fchügend über ihren £eib
Bielt er in Segen fe:ne Priefterhand,
Da er fein Kind in ihre Arme legte
Dor aller Welt, And feit der Stunde fand
Sich feiner mehr, der fo viel Kedheit begte,
Der Aermiien je zu fpotten. Wie gefeit
Dor aller Unbill war fie feit der Seit
Germ. Oelfchläger.
Und wie die Slur aufs nene bläht und gränt,
Die feufzend unterm Schnee lag und beflommen.
So fchien der Fluch auf Engels Haupt aelähnt.
Durd; Arſtens flarfe Band von ihr genommen.
Und danfbar grüfite jeder Gerzensidylag
In ihr mit neuer Freude jeden Tag.
Und Segen war mit ihr, wie auf der Heide
Er einſtmals mit ibr war. Wie das GBeichmeide
In Eicht und Sonne bligt, fo ftrablre Gläck
Ihr Dafein aus und £uft und FDoblergeh'n.
Saft wie ein Wunder war es anzufeb’n:
Derdoppelt gab das Gute fie zurärf,
Das fie empfing. Gedeihen fhien gebannt
An alles Thun und Schaffen ihrer band.
Der Baum, der Strauch. der Stall, der Taubenidlas,
Das Stüdlein Seld, das nah am Pfarrbof lag,
Sie gaben Ernte, wie nodı nie. Die Bühne
War voll von Obſt, wie voll von Sand die Däne.
Der Keller war voll Frucht. Der Henne Schrei
Rief mahnend durdı das Hans bin, Ei um Ei
ir Korb zu fammeln. Wohl verwahrt in Karner
ubr frah am Tag der Knecht die Milch von dannen
gum Marft, und manches, was fie lang entbehrt,
eil es des £ebens Notdurft ihr verweigert,
Sah fih Frau Arſten unverieb'ns bejchert
Und fand ihr Haus zum Wohlftand facht gefleigert.
Sie nahm es ladyend hin, froh und geduldig,
Als fei der Bimmel ihr nidyts andres fchuldig
Der paftor nur ſprach demutvoll zu fich:
Wie fommt ein foldyer Segen über mich?
Und wider war es Sommer und es fehlte
Ein Tag nur noch an Engels Probejabr;
Im Garten fa Herr Arten ermit und quälte
Sid; und fein Berz. Seit vielen Wochen war
Ein böfer Geift ins £and ringsum gefahren
Und in der Saat, die er feit vielen Jabren
Gepflegt voll frommen Eifers früh und ſpät,
Schoß Unfraut, das die Holle jelbſt gefät.
In gifi'ger Blüte auf. Um Marfe zehrend,
Die Kraft ausjaugend, bis zum Tod verheerend
509 eine Krankheit durch das Volk. Kein Mort
m Guten oder Böen half, Er warnte
Umfonft. Das Hebel fraf ſich langſam fort
Durch alle Herzen. Linheilvoll umgarnte
Es Mann und Weib und Kind. Aruchtlos verlor
Sein zürnend Droben fidy, nur taubem @®br
—— Wie im Taumel, obne Sinn
Und Denten trieb das Volk am Abgrund him,
Hur nadı dem Irrlicht bafdıend, welches ſtrahlend
Don drüben lodte und in Golöglanz prablend.
Spielteufel hieß der böfe Geift, der fich
Ins and gefegt. Er hauſte fürchterlich,
ge Sparjamfeit, Genügen, $rohfinn fchlug
r graufam nieder; jene bolde Blüte
Des Friedens, die im redlidhen Gemüte
Dicht bei der £iebe wohnt, die riß er aus,
Warf auf die offne Straße fie und trug
Derfchwendung, Geldgier, Streit in jedes Baus.
Wie eine Tollbeit ging es durch das Eand,
Da war faum einer, weldyer widerjland
Der Chorheit aller und dem falſchen Schein,
Kaum einer, der des Dolfes Sinn aemein
Und roh fchalt, der wie Arten bang die Hände
Zum Simmel bob, das ichredenvolle Ende
oraus verfündend. Denn fie hörten nicht,
Und alſo mit vergrämtem Angeficht
Safı er und fann und Dachte all der Schmach
Und Not, die fommen mußte, fdymerslich nach
Und ob denn feine Rettung fei. Da fprang
Des Sartens Thüre auf und in dem Gang,
Der fühlungreic fich durch die Mitte 304,
Kam Engel aufgeregt daber. Sie flog
Mehr, als fie ging ; in heller Steudenglut
Stand ihr das Antlig. Hoc berauf gefaßt
Trug fie die Schürze, die von ſchwerer Caſt
Zu tchwanfen fcbien. So fam fie wohlgemut,
Schön, wie fie in der Deide war, daher:
„Was bringft du, Engel? Ei, du trägft ja fchwer!”
„Was ich da ee Ihr errater's nicht!
Goldfiiche find's, die mir ins Netz gegangen,
für Euern heinrich bab’ id fie artangen ”
Und wie fie fo glüdielig lachend Ipricht,
Hebt fie die Schwere Schürze hoch empor
Und fdsürtelt fie und sü telt fie am Ohr
Des Paſtors dicht vorbei. BZeuſilbrig Mingt
Und flirrt es drin. Herr Clemens Ärſten ipringt
Eıfchroden auf: „Um alles in der Welt,
Was bringt du?“ — „Einen ganzen Kaufen Bed.“ —
„Wem ift es?“ — „Euerm heinrich.“ — „Bit du toll?" —
„Entfernt nicht! Seht, die ganze Schürze voll,“
Und damit fpreitet fie die Schürze aus,
Ein Baufen blanfer Thaler blitt heraus,
Voch heller als die Sonne, Wehe! Sielt
Der Teufel felbit ins Pfarrhaus? „Und woher,”
Frtug Arften abnungsvoll und ſorgenſchwer
„Stammt dir das
Für mich nicht! ein! Was joll der Bettel hier
Fur mid? oc Euer Heinrich, dadıt ich mir,
Wenn der einft groß wird, wenn er als Student
Einft in der fremde draußen if, dann that
Ser Aushilf’ ihm ein folder Pfennig gut.
an weiß; ja, wie das geht. Lind darum nennt
Mich nicht leichtfertig, daß auch ich mein Heil
Derfucht wie viele. Ach, in banger Weil’
Erharrt’ ich die Entfcheidung und zu Gott
gieht‘ ich, daf er den guten Willen mir,
em Kind zuliebe, fegnen möge. Bier,
Tiehmt denn das Geld!”
Soll ich zu Schand und Spott,
Frug Arſten fih, im eignen Baufe werden ?
Dann wandt’ er fidh mir zärnenden Gebärden
a Engel: „Bör mich! Nur ein einzig Wort!
m Augenblick ſchaffſt du das Geld mir ——
aran Gas Blut der Armut flebt. Du bi
2. Schimpf mir worden! Soll des Teufels Ciſt
uch mir das Haus umgarnen? Soll fein Fluch
Auch meine Schwelle treffen? Dies mein Sprud:
Du lohnft mir fchlecht, was ich an dir gethan,
— mit dem Geld! Doch ſtehſt du damit an
nd 3Öögerft du, laut trogend oder ſumm —
Dein Probejahr, bedenf’, it morgen um.”
Und Engel wurde kreideweiß. Sie lief
Die Schürze mit den Ihalern finfen, Bief,
Was da Herr Arſten fagte, neue Schande
Und Elend, neues Zuchthaus und Gefängnis?
Und Schande bis zum Tod nun? Doll Bedrängnis,
Wie einer, der verfinfend nadı dem Lande
Um Rettung ſchreit, fchrie Engel auf. Im Blick
Die wilde Ungit des Todes fab fie groß,
Mit weiten Aug’ auf Urften, der ie Kos
In feinen Bänden bielt und ihr Geſchick
Jegt prüfend wägte. Kalter Codesichmweiß
Brad; aus der bleichen Stirn ihr, da doch heifi
Das Herz ibr Mopfre, wie vom Sturm gejagt,
Und weil der Mund ihr jet den Caut verfagt,
Und ihr die Bruft umſonſt nach Utem rang,
seit — hielt ſie minutenlang
Den Blick auf Urſten nur. Wie ſtreng erſchien
Er heut' ihr, der doch ſtets fo gern verzieh'n!
Dfel firenger noch, als jene Männer, die
Das Urteil einſt geſprochen über fie,
Erhabener und größer. Und jetzt ſank
Die Furcht ihr in die Kniee, daß fie fchwanf
Sich neigte, wie der Pappel ſchlanker Schaft
Im Wind ſich neigt. Doc plötzlich und bevor
Bleihfüht'ge Ohnmacht ihr die legte Hraft
Entyog, riß fie gewaltiam fich empor,
um Badhe eilend, der den Garten lan
id raufchend 350g. Auf wallten die Gewänder
Um ihren £eib. Dann auf die Brüde fprang
Sie flinf und weithin über das Geländer
Gebengt, ichwang fie die Schürze: „Sprecht ein Wort,
So rollt der Mammon mit den Wellen fort!”
„Das wäre nicht gering're Sünde,” fprach
Mild lächelnd Arſten. „Wirfit du's in den Bach,
It's fchlimmer noch, als wollte du's verſchwenden.
Wirt du das wollen? Geld ift hohes Gut,
Rechtlich erworben und in rechten Bänden,
Meil man der Wunder viele damit thut.“ —
„Was fang’ ich an?“ rief Engel, „habt Erbarmen!
Doch ja, jegt weiß ich's! Bier — fchenft es den Armen I* —
„Das Fönnte geh’n, das läßt fi; überlegen,” —
„Und ich?“ rief Engel, wieder rief verzagt. —
„Du bleibit bei uns, wie ich es jtets gefagt,
Und Gläck und Heil fei mit dir allerwegen.” — -- —
Um Morgen aber trieb es Engel fort,
Der Heide zu. Auf einem Bofe dort,
8?” — „Je nun, ich hab’ geſplelt.
Engel Kirf.
— — un _.
521
Der einem fernen Detter Jans gehörte,
War, jeit ihr eignes Haus Unheil zeritörte
Und blutbejledte Schuld, ihr Knabenpaar
ur Pflege bingegeben. Manches Jahr
r ihr in Seufzen um fie hingegangen.
* aber trieb ein maͤchtiges Derlangen
ie nach dem Hof. Nun war das Weh vorbet,
Die Schuld gefühnt, fie felber wieder frei,
un fonnte fie vor ihren Kindern fleh'n
Und ihnen offen in die Augen fch’n,
un durfte fie ihre Muttergläd genießen,
Die Nlievergeff'nen in die Arme fchließen.
Nun follten endlich wieder ihre Knaben,
Gleicd; andern Kindern, eine Mutter haben.
Jans Kinder! Ihre Kinder! Chränenheiß
Ward ihre Wange, daß ein foldyes Glück
Das £eben noch ihr bot. Seltfamermeif’
Erichraf fie * und bebte halb zurück.
Doch ſchritt fie tapfer fort.
Ob wohl die beiden
Dem Dater glihen? Wie des Baches Weiden
Sclanf waren fie indes heraufgeichoffen.
Gewiß, F — jegt zwei große Knaben
Scyon fein. Ob fie wohl noch, wie einft, im Graben
Am Wald Kaninchen jagten, unverdroffen
Und luftbefeelt? Jetzt meinte fie ihr Schrei'n
Ganz lant und neben fid; zu hören, wie
Dor Jahren fie's gehört. Da flel ihr ein
Jans Freude an den Knaben. Sie, ja fie
War glädlicher, als er. Ob er heut nur
Auf fie herabfah?
Eigen widerfuhr
€s ihr, wenn fie an ihre Kinder dachte
Und fi ein Bild der lang Entbehrten machte.
Wie fie ſich mähte, nie wollt’ es gelingen,
Aut feite finien in das Bild zu bringen.
Das fchwebte unflar hin, ſchwach, unbeftimmt,
Wie eine kandfchaft weit im Duft verihwinmt,
Wie jemand, der in weiter ferne geht,
Daß man umfonft nach feinen Zügen fpäht.
Und endlich ſank ein dichter Nebelflot
Berab und fchob fich ihrem Auge vor,
af fie wie blind war, bis denn ganz zuleht
Des Heinen Heinrid; Köpfchen ergögt
Und lachend ans dem Yiebelichleier blidte,
Ihr ſchalkhaft drohte und fie gräßend nidte.
Der fleine Heinrich! Ja. der war ibr lieb
Wie eignes Blut. Der hatte wie ein Dieb
Sich in ihr Herz gefloblen. Und wie war
Er fhön und hold! Gewiß, ihr Hnabenpaar
War nidıt jo fdrön! doch, fonnt' es anders fein?
Er war ein Paitorsfohn, da mußt" er fein
Und wie ein Prinz fein. So ein Bauernfind
Iſt grob und plump, wie alle Bauern find,
Was thut's? Wenn ihre Kinder an ihr hängen
Und wieder ſich zu ihrem Herzen drängen —
Schön oder nicht ichön — jeder Tropfen Blut
Auft: fie find dein! und dann ift alles gut,
Wer, armer — weiß, was dann gefcicht
Und ob die Engel dir nicht doch entfliebt,
Ob fte ſich nicht aus deinen Bändchen reift,
Um da zu bleiben, wohin Gott fie weift,
Bei ihren Söhnen! Kindehen, weine nicht!
Die Engel fann's nicht feh'n — ihr Herz zerbricht
Und zagt und Magt und weiß nicht, fummervoll,
Wen fie nun halten, wen fie laffen fol?
Yun ftanden fie vor ihr, fchen, trogig, fremd;
Ihr berz war tief im Innerſten bekleninit.
Kaum danften fie dem Gruße, Sagt doch, waren
Das Engels Kinder? In den wen'gen Jahren
So fehr vertaufcht in Seel! und Ungeficht ?
Der fedre dort, der ältre, glich er nicht
Dem fchuft'gen Bell? In allem, Zug für Zug!
War das nicht fchredlich? War das nicht genug?
Und jepo trat er frech, als wär's ein Spaß,
Beran an feine Mutter: „Weißt du was?
zu mag dich nicht.” — „Warum?“ — „Die £eute fagen
es Daters Bruder habeft du erichlagen
Und aus dem Fuchthaus feift du auch entfprungen.“ —
Da Rieß fie fchreiend den verruchten Jungen
Ins freche Antlig mit der Fauſt. Die Hand
Bob fie zur Süchtigung, dann aber wandt'
Sie raſcher noch ſich ab und floh, Die Nacht
522
zit auf der Beide fie dahin. Als fact
er Morgen kam nadı all dem Weh und Graus,
Stand fie erihöpft und mäd’ vor Arftens Baus
Und totenblaß. Man führte fie herein.
Der kleine Heinrich ftredte von den Kiffen
Ihr feine Händchen ber. Don Schmerz zerriffen,
Sant fie an feinem Bett aufs Knie. 2 wein’,
© ne nicht 1“ fpradı füß das Kind und rich
Die Wang’ ihr fact, „du gute Engel.“ — „Spridh,
Was tit gefchehen?“ frug der Paflor dann,
„Du machſt mir Angſt. Was trat an dich heran?”
Da aber beugte fie ſich demutvoll
Se Arten hin und ihre Ihräne quoll
ufs neu und leif’ fprach fie zu feinem Weibe:
„sragt mich nicht aus! Erlaubt nur, daf ich bleibe.”
= *
*
Und wieder war's nach dreißig langen Jahren.
Gar mancher Sturm war durd; die Welt gefahren,
Gar mandes Wetter hatt" in wildem Toben
Das Meer des £ebens wolfenwärts gehoben
Und wieder fallen laffen, auf und ab,
. Sieg die einen, andere ins Grab
nd In das Dunfel führend. Licht und Nacht,
Sie hatten wechjelnd ihre alte Macht
Der Menichen fterblichem Gefchlecht bezeugt,
Es oft erhöht und öfter noch gebeugt,
Die Berzen durdhgerüttelt bis zum Grunde
Und immer wieder Heilung jeder Munde
Gebradht und neues Hoffen, neues Regen
Und neuen fen; und neuen Blüterfegen.
Und fo war £uft und Ceid und Freud' und Bangen
Auch oft im Pfarrhaus ein: und ausgegangen,
Die freude, ers mit Danfbarkeit begrüßt,
Der Schmerz, durch jenen milden . verfüßt,
Daß auch jein Stachel unfern Herzen frommt
Und daß er, ıwie das Glüdf, von oben fommt,
Denn dies war Arjtens Glaube fett und Mar,
Der bielt ibn aufrecht. war fein Schild und war
Ihm wie ein Schwert, das er zeitlebenslang
Und fieugewiß in allen Tagen ſchwang.
Und diefer Blaube war es auch allein,
Der Kraft ihm gab, als er in ſchweter Feier
Dor Jahren ſchon, den Knaben an der Hand,
Um Sterbebette feines Weibes land,
Sie hatte nichts als Fiebe ihm gegeben,
Sie war das Sonnenlicht in feinem Leben,
Wur feines Dafeins allerhöchlter Preis,
An feinem £ebensbaum das ſchönſte Reis,
Nun welft‘ es bin, nun ward es ihm genommen.
Und als er weinend ftand und tief beflommen,
Sprad; fie zu ihm: „Es fällt mir ſchwer, zu geh'n,
Uns btieb noch viel gemeinfam zu befteh'n,
Wie follen denn wir beide, du auf Erden,
Im himmel ich. allein nun fertig werben ?
Dod; für den kleinen Heinrich laſſ td} dir
An meiner Statt die gute Engel hier.
Sie wird ihm Mutter, wie ich felber, fein.
Und fo lebt wohl, fo ſchlaf' ich friedvoll ein.”
Und was blieb Paflor Arſten wirflidy nun,
Als fich, fein Kind, fein ganzes Sein uud Chun,
Sein ganzes Haus in Engels treue Hände
Bu legen bis an ihrer Jahre Ende!
r fie auch nur des Haufes Dienerin,
Ging fie doch herrichend durd; dasfelbe hin,
Still waltend und beforgt, beratend, lehrend
Und das befcheidne But in Klugheit mebrend.
Jung Beinrid; wuchs, wie ** auf der Heide
Die ichlanfe Föhre, wie auf gräner Weide
Ein frärt'aes Füllen, flarf und munter. Gm
Beam ihm Engels unabläfj'ge Hut,
Der Knabe war ihr Stern, ihr Augenlicht.
Dar galt ihr £eben. Ihm ins Ungeficht,
Ins heile, jugendblühende zu fchauen,
Märchen erzählen, Zufunftsichlöffer bauen,
Worin fie ihn mit ftolzen Namen nennt —
Sum mindenten: Kerr Superintendent —
Das war ihr hödhites Glüf und fo verrann
In Scyerz und Ernſt die Zeit.
Jegt war zum Mann
Jung Heinrid; längft geworden; mwohlbeftallt
Herm. Oclidyläger.
Engel Kirk.
Als Paflor und gellebt von jung und alt
Wohnt’ er in einem Meinen Dorfe nah
Und war mit Kind und $rau, dem Großpapa
ER £iebe, der fein MWicgenfeit beging,
eut angelangt. Das war kin an Ding
für Engel Kirf. Das war ein Doppelfet,
Das einmal nur im Jahr fich feiern läßt:
Der Sobn als Gaft, Herr Arſten Jubilar.
Gleich Engel floß auch ihm ſchon wei das Baar
Die Schläfe hin; doch flattlich gleich dem Sohn
Trug er noch ungebeugt der Jahre Eaft,
Wie eine Leder auf dem £ibanon.
Und als beim Mahle Jubilar und Gaf
Und Schnur und Enfeifind gefeiert waren
Im bellumflung'nen Toaft, da goß vom Maren
Und feuerfräft'gen Wein, der aufgeipart
Schon Jahre ber im Keller lag. die Gläſer
Herr Arſten voll und rief in munt’rer Urt:
„Der Engel, meinem treuen Reichspermweier,
Weih ich dies Glas Ein frohes Alter gebe
Der Gimmel ihr und mir! Stoßt an, fie lebe!”
Und filbertönig Mangen durdıs Gemad;
Die Släjer, bis der Weiheſtimmung Fülle
Der Enteliohn mit ſchredlichem Gebrulle,
Dom Mittagsfchlaf erwarhend, unterbrach.
Und Engel lief hinzu. Großmätterlich
Und zärtlich. wie fie einft um Beinridy fich
Gemäht, liebfofte fie den derben Jungen,
Bis der, nun froh aeitimmt, fe aufgeiprungen,.
Den Eltern in die Urme lief. Da un
zer Arſten auf den Schoß. Ihn äberkam
er Rährung mächtiges Gefühl, als er
Im Kind bier ſich erneut fah, fortgeſponnen
e5 Eebens Faden, der ihm felber mehr
Und mehr zu Ende ging. In vollen Wonnen
Strich er des Kindes goldnes £odentaar
Und füßte ihm das blaue Uugenpaar
Und fegnet’ es aus feinem tiefiten Herzen:
„sit dod; ein feltiam Ding, fein eigen Blut
In andern jeb’n, es balten, füffen, herien,
Und alles, was wir ſelbſt an frohem Mut
Und Jugend einſt beſaßen, bier im linden
Aufbläh'n des neuen Weſens neu zu finden.”
Der Hnabe zappelte auf feinem Schoß.
So liek er ihn, doch wider Willen, los,
Und niemand fah es weiter, daß das Kind
Zur offnen Thür hinaus und wie der Wind
um Garten lief, wohin der Sonnenſchein
&s rief und Dogelfang und Blum’ und Stein.
Und längs dem Garten mälzte feine vollen
Flutwellen heut der Bach hoch aufgeichwollen
Don Kegengüffen, die der Sonmernadt
Gemitrierftürme reichlidb ihm gebracht
Und niemand fah's und fah dem Kınde nadı,
Indes beim Wein der greiie Paſlot ſprach
Don alten Zeiten und von Freud' und Eeid,
Das ewig wedysie, wie dent alten Kleid
Das neue folat und wie dem Tag die Nadıt,
Und wie er Engel audy ins Haus gebradht.
Er ſprach nicht oft davon; doch hatte beute
Die Zunge ibm dir Wein gelöft; er ſcheute
Sid; nicht, an die Dergangenheit zu rübren,
Und pries dann Gottes gnadentriches führen
Und wie ibm feine Gutthat felbt zum Segen
Geworden fei und wie ihm allerwegen
Die Engel felbft, feit fie im Huus gewohnt,
Es taufendfad; an Haus und Kind gelohnt,
Und Engel hatt’ es fill gehört. Das £ob,
Mit welchem Arten fie fo laut erhob,
Trieb ibr die Chränen ins Geficht. wie heil
Im £enz zur Tiefe niederraufcht der Quell,
Dom Strahl der Sonne frei gefüßt. Beſchämt
Sanf vor dem ward'gen Mann fie hin: „O nehmt
Mein £eben Euch zum Danfe. Denn genug
That ich Euch nimmer. Nichts als meine Pflicht
Erfüllt' ich, wie eın jeder thut, und tru
Mid; Euer Arm nidır an des Tages Eicht
Aus dunkler Nacht und aus der Nacht der Schande
Ins Eicht der Ehre, aus der Schmach der Bunde
In goldne Sreibeit? Drum feit Jabr und Tagen
JA mir, als bliebe mir noch was zu wagen
Für Euch, für mich. Ich dent! es nimmer aus,
Daß mich mein Gott von bier, aus dieem Baus
Wegführen fönnte, eh ich nod zum Schluß
Karl Vogt. Die Zoologiſche Station in Neapel.
Den Danf Eud; zeigte, den ich Pr. muf.
Den thu' ich Euch zulieb' noch. Sagt nicht Mein!
Was, weiß ich nicht, Es muß was Großes jein.
Dann jterb' ich gern’, dann bleibt mir Euer Segen
Und weiter ift am Sein mir nichts gelegen.“
Sie ſprach's und alle ſchwiegen ernft und till.
Da jcholl ein Schrei vom Garten grell und fchrill.
Der Kleine war's, der Enfel, der fo jchrie,
Dor Schred ſaß Arften wie gelähmt. Dod; fie,
Sie, Engel Kirk, die nie den Kopf verlor,
Fuhr wie vom Donner wachgeichredt enıpor,
Binaus zum Garten — wie ein Pfeil, vom Bogen
GSejchnellt, fam fie den Laubgang hergeilogen.
Dann durch die Wieſen — rajch, wie auf ein Da
Der Blit vom Himmel ſtürzt — hinab zum Badh.
Chat Bilfe not, fo war es bier. Und ja,
Ein wilder Schrei entrang ſich ihr. Schon fah
Das Kind fie treiben mitten in der Wogen
Surcchtbarem Schwall, fchon halb binabgezogen,
Dom weißen Seittagsfleidchen nur mebr faum
Recht auf der Flut getragen, deren Schaum
Die runden Bikederden voll Gier umipälte
Und in den aufgelöjten £oden wählte.
Ein Blick — ein Sprung — da hielt fie's fchon umfaßt
Und rang ſchon tropvoll um die teure Caſt
mit all den Wellen, die aufbraufend grollten,
Das fchöne Kind ihr neu entreißen wollten.
Sie gab’s nicht ber, fie fämpfte, froftdurdrichauert,
Hum Ufer hin fich, das hoch aufgemauert
Sich fteil erhob. Mit aufgeredter Hand
Bot fie es ber, bis glüdlich fein Gewand
Herr Heinrich faßte: „Gott jei Dant, es lebt!”
Ruft er und beugt zu Engel ſich. Die hebt
Und bäumt ſich kraftvoll aus der tüf'fchen Flut —
Umſonſt — fie gleitet aus. Der Wogen Wut
Empfängt fie neu — fie treibt zur Brüde hin —
Ihe Haupt ichlägt an den Pfoflen, daß der Sinn
Beräubt ihr Schwinder — Well! und Woge gießt
Sich über fie — ıbr treues Auge fließt
ür ewig ſich und aus dem Wellenreiche
"Sieht man das tapfre Weib nur mehr als Keiche.
„Das alfo war's, das war's, was du gewollt;
Das war das Grofe, das da noch gefollt,”
Sprach Arſten dumpf und fchlof die falte Hand,
Noch feucht vom Schaum der Wellen und vom Sand,
In jeine! „Sog id dich aus Nacht und Ketten,
Singſt du dabin, den Enfel mir zu reiten.
Kein Konig lohnt fo loniglich bienieden —
Sprich, treue Seele, biſt du nun zufrieden?”
Und ein Begräbnis war, wie nie das Land
Gejeh'n nodı hatte. Taujendlöpfig ftand
Kings am das frifche Grab des Volfes Menge,
Wie damals fie in flntendem Gedränge,
Jans Weib zu feh'n, das Hhochgericht umgeben,
Fluch und Derwünicung fpendend, das ihr Ceben
Derihont noch blieb. Heut rief im Trauerfleide
Ein ganzes Dolf, das aus der fernen beide
Berangejogen war, fein Hagend Wehe!
Und drängte weinend zu des Grabes Nähe.
Kerr Paflor Elemens Arſten aber ſprtach.
Ob audy das Herz ibm fait vor Kummer brach,
Mit fefter Stimme über fie den Segen:
„Kein Menic; fann fchöner ſich zur Ruhe legen,
Als du gethan. Nur Gott iſt obne Schle.
Er ridyiet uns. — fahr’ wohl, du reine Seele!”
Da füllte neuer Klage Caut die Luft,
Da ſcholl ein Weinen jchmerzlidh um die Gruft,
Da mühten alle ib, mit fronımen Händen
Den leiten Gruß der Toten zuzuſenden,
Die nun, in dunfle Nacht gehüllt, fo tief
Den Schlaf der Ewigkeit da unten fchlief.
Ein Blumenregen, hell und duftig, goß
So reich ſich bin, daß bald das Grab er ſchloß
Der Arme aber, dem fein Bärtdien eigen,
Wurf auf das Grab den Kranz von Sohrenzweigen.
ee ee
523
| Die Boologifde Station in Neapel.
Von
Karl Dogt.
ESchluß.)
ch betonte vorhin den internationalen Cha—
rakter der Anſtalt und glaube, auf denſelben
etwas näher eingehen zu ſollen. Dieſer Charat:
ter ergibt fi aus der Teilnahme an den Ein:
nahmen durch Beiträge, aus der Nationalität
der Arbeiter an der Station und derjenigen der
Angeftellten. Ein genaueres Eingehen auf dieje
Bunkte läßt und zugleich einen tieferen Blid in
das ökonomische Getriebe der Anjtalt werfen.
Die Einnahmequellen.
Sie ſetzen fih aus folgenden Elementen zus
ſammen.
Die Beſucher des Aquariums zahlen
ein Eintrittögeld von zwei Franken. Es werden
Familien: und Abonnementsbillette ausgegeben.
Dies ift der Beitrag der Fremden, welche
Neapel durdreifen. Er beträgt im hödjten
Fall 30000 Franken jährlih. Die internatio:
nalſte Einnahme, die fi) denfen läßt, denn die
einheimische Bevölkerung zeigt nur geringe Be:
teiligung an dem Beſuche.
Die Verleihung der Tifche bildet eine
zweite Einnahmequelle. Um diefen Ausprud
zu erflären, muß ic etwas weiter ausholen.
EinzelneRegierungen, nftitute, ja ſelbſt Private
fönnen für die Zahlung einer jährlihen Rate,
die einftweilen auf 2000 Franken (1600 ME.)
feftgejegt ift, aber wohl auf 2500 Franfen erhöht
werden muß, das Necht erwerben, einen ihnen
genehmen Forſcher auf die Station zu fenden.
Dort erhält er einen Platz mit Arbeitstiſch und
Aquarium und nach einem feftgeitellten Regle—
ment alles Material und alle Hilfsmittel, deren
er zu feinen Unterfuhungen benötigt. Er hat
nur feine optifchen Inſtrumente, Mikroſtop und
Zupen, fowie fein anatomifches Beſteck mitzu:
bringen, alles andere wird ihm mit größter Liz
beralität geliefert, bis zum Material für Zeich—
nungen. Er teilt dem Direktor und dem Chef
des Saboratoriums feine Wünſche hinfichtlich der
Tiere oder Pflanzen mit, die er zu unterfuchen
wünſcht — fie werben ihm fofort verfchafft, jo:
weit man über diefelben Herr ift. Wer freilich
die Cassiopeja borbonica, eine der ſchönſten
524
und größten Meduſen, welche den Golf beſuchen,
und nur diefe ftudieren wollte, müßte ſich etwa
bis zur Mitte Auguft gedulden, denn das Tier
erfcheint nur um diefe Zeit auf wenige Wochen
und läßt fich ſonſt das ganze Jahr hindurch nicht
bliden. Aber die Beamten fennen genau die
Erſcheinungszeiten ber einzelnen Tiere und
fönnen darüber jofort den Unerfahrenen be:
lehren. Freilich find manche Klagen von Solchen
laut geworben, welche meinten, man fünne ihnen
zu jeder Jahreszeit die von ihnen verlangten
Tiere auf einem filbernen Teller präfentieren.
Wie dem aud) jei, jo find bis jegt von fol:
genden Behörden und Inſtituten Tifche abon—
niert, über welche die Minifter, die Präfidenten
und Kommiſſionen ber betreffenden Inſtitute
disponieren,. Regierungen: Italien und Preußen
je vier Tifche, Rußland zwei, Baden, Bayern, |
Belgien, Hamburg mit Hefjen:Darmitadt, Hol:
land, Schweiz, Ungarn, Württemberg je ein
Tiſch, alfo im ganzen 18 Regierungstiſche.
Andere Inſtitute: Akademie in Berlin, Britifh
Afjociation, Univerfität Cambridge, Univerfität
Straßburg, Williams Kollege (Nordamerika)
je einen Tiſch, alfo fünf Univerfitätstifche. Im
' tionen auf etwa 38000 Franken anfchlagen. —
ganzen find 23 Tifche abonniert, wovon 10
dem Gebiete des Deutſchen Neiches, 13 den
außerdeutichen Ländern zufallen. Das Deutſche
Neichsgebiet trägt alfo nit ganz 44% der
Abonnements, die im ganzen etwa 41000
Franken abwerfen.
Eine nit unbedeutende Brutto-Einnahme:
quelle, die von ahrzu Jahr reichlicher fließt, wird
durch den Verſand von konfervierten Seetieren
hergeftellt. In diefer Beziehung hat die Sta:
tion, befonders durch die Bemühungen bes Kon:
fervators, Salvatore lo Bianco, faft ein Mono:
pol. Mit feltener Findigfeit hat diefer Mann
durch unabläffiges Probieren zahlreiche, der Natur
eines jeden Tieres angepafte Methoden gefun:
den, wodurch diefe, in fonfervierenden Flüffig-
feiten aufbewahrt, fich ganz fo darftellen, wie
fie im Leben fich zeigten. Die Weichheit, Durd):
fihtigfeit und Kontraftilität der meiften niederen
Organismen fcheinen einer lebensähnlichen Er:
haltung um fo größere Hinderniſſe entgegenzu:
ftellen, al3 auch die Farben Aufßerft zart und
vergänglich find. Wer die vollfommen erhal:
tenen und entfalteten Tiere, welche die Station
verjendet, mit den unförmlihen, durch ben
Weingeiſt zur völligen Unkenntlichkeit zufammen:
gezogenen Klumpen vergleicht, welche man in
Karl Vogt.
älteren Sammlungen befist, kann ermefien,
welche Dienste die Station auf diefe Weiſe dem
Anfchauungsunterrichte leiftet. Diefe Dienfte
werden auch allerorts fo ſehr anerfannt, daß der
Verſand ſich jedes Jahr fteigert und jetzt in
runder Summe etwa 17500 Franken brutto
abwirft, aber anderſeits aud Ausgaben von
nahezu gleicher Höhe verurfadht, jo daß von
einer wirklichen Neineinnahme für die Station
kaum gefprochen werden kann. Diefen Umftand
‚ zu erwähnen halte ich für geboten, weil viele der
' Meinung find, die Station made einen bedeu—
\ tenden Gewinn; der Gewinn ift allerdings ſehr
bedeutend, aber fommt der Wiffenfhaft im ganz
zen, nicht der Kaſſe der Station als folcher zu gut.
Anderweitige Subventionen. Hier
| fann man jährliche Bewilligungen, außerorbent-
| Tihe Schenkungen und Darleihen unterfheiden.
In allen ſteht Deutichland obenan. Das
Deutſche Reich bewilligte im Jahre 1883 einen
Zuſchuß von 36 900 Franken (30000 ME.), die
preußifche Regierung von 3683 Franken und da
diefe Zufchüffe alle Ausfiht haben, wenigſtens
teilweife bleibend auf die Budgets übertragen
zu werben, jo fann man die jährlichen Subven—
Der zoologifhe Jahresbericht, auf den wir noch
zurüdfommen werben, bedt bei weitem bie
Koften nicht. Für die Publikation diefes, jedem
arbeitenden und lehrenden Zoologen unentbehr:
lihen Hilfsmittels trugen im Jahre 1883 fol:
gende Geber bei. Die italienifhe Regierung
5000 Franken, die Berliner Afademie 2500
Franken, die ruffiiche Regierung und die Kelling:
huſenſche Stiftung in Hamburg je 1250 Franten,
die Gefellihaft Natura artis magistra in
Amsterdam 200 Franken.
Stellen wir die verfchiedenen Einnahme:
quellen aus Tiſchen, Aquariumäbilletten, Er:
port fonfervierter Seetiere und Subventionen
zufammen, jo beträgt die Bruttoeinnahme der
| Station in runder Summe im Jahre 1883
145000 Franfen (116000 Mf.).
| Hinfichtlich der Schenkungen zu beftimmten
Zweden überwiegt Deutfhland bedeutend ; das
Reich bewilligte zum Bau des Stationsgebäubes
100000 Franfen, während eine Subffription
englifher Naturforfcher, an deren Spige ſich
Darwin und Huxley ftellten, zu gleihem Ziele
25000 Franken ergab; die Akademie in Berlin
‚ fchentte 22500 Franken (18000 ME.), die
| preußifche Regierung 7500 Franken (6000 ME.)
Die Zoologiſche Station in Neapel.
zur Erjtellung des erften Dampfers, den die |
Station mit Aufwand von 10000 Franken aus:
rüftete.
Die verzinslihen Darleihen drüden wohl
ſchwer auf das Budget der Station, Fonnten
aber nicht umgangen werden. Außer dem Ka:
pital von 302 400 Franken, welches Brof. Dohrn
jelbjt in die Anftalt verwendete, dürfen wir
wohl noch folgende Gönner nennen: Herr
D. Beer, Kaufmann und deutfcher General:
fonful in Neapel mit 71000 Franfen, der ver:
jtorbene Profefjor Czermak in Leipzig mit
20600 Franfen, Dr. Fiedler in München mit
18000 Franfen, der verunglüdte Prof. Balfour
in Cambridge mit 11000 Franfen, Herr Werner
Siemens in Berlin mit 5000 Franfen. Herr
Markus Goldihmidt in Frankfurt a. M. lieh
anfangs den Betrag von 1875 Franken unter der
Bedingung, dab die Zinfen durch zeitweilige
Sendungen fonfervierter Seetiere an das Sen:
fenbergifhe Muſeum in Frankfurt ausgegliden
werben follten, jchenkte aber fpäter die Summe.
Das Balfourfche Darleihen wurde an die Erben
zurüderftattet.
Die Forfher und Beamten.
Um über die Benutzung der Station
durch Forſcher der verfhiedenen Natio-
nalitäten ins flare zu fommen, habe ich die
genau geführten Liſten der Verwaltung fonful:
tiert. Danad haben feit Eröffnung derfelben
im Jahre 1874, alſo feit zehn Yahren, dort ge-
arbeitet Deutſche111, Ftaliener5O, Engländer32,
Rufen 23, Holländer 17, Schweizer 14,
Belgier 7, Amerikaner 4, Defterreicher 4, Un:
garn 4, Spanier 1, Dänen 1, im ganzen 268,
im Durdfchnitte 28 Forfcher jährlich. Die
Deutſchen betragen 40 % , die übrigen Natio:
nalitäten 60% und von biefen letteren hat
Stalien das ftärffte Kontingent geliefert. In
dem Augenblide, wo ich diejes fchreibe, (an:
fangs Januar 1884), find 21 Tiſche beſetzt,
aber ein bedeutender Nachſchub aus Deutfchland
angemeldet — ſechs Deutſche, vier Engländer,
drei Italiener, zwei Ruſſen, zwei Spanier, je
ein Amerifaner, Holländer, Schweizer, Ungar
— bie Deutjchen betragen alfo nur 30 90 der
Gefamtzahl, ein Verhältnis, das fich jehr bald
zu ihren Gunften ändern wird.
Die Forſcher, welche die Station benußen,
find meiftens Profeſſoren, Privatdocenten, fel-
tener Stubenten, welche fpecielle Arbeitszwecke
525
verfolgen; doch haben die Schweiz, Baden und
Württemberg die Anficht bethätigt, daß auch
| Sole, welde fih nur eine allgemeine An:
ſchauung der Meeresfauna verjchaffen wollen,
die Station mit Nuten befuchen können.
Betrachten wir nun zulegt nod die Ver:
teilung der Beamten unter die verjchiedenen
Nationalitäten. Wir fönnen diefelben in zwei
Gruppen teilen: Niedere Angeftellte, welche
zum Betriebe der Station, zur Anfchaffung des
Materials, zur Führung der Schiffe und Boote
nötig find: Fiſcher, Matrofen, Majciniften,
Maurer und Schmiede, Nachtwächter, Yabora:
toriumädiener, Ausläufer — es find ihrer 24
im ganzen, alle Italiener.
Unter diefen niederen Angeitellten finden
fih mande typiſche Prachteremplare. Da ift
Aniello, der erite Matroſe, ein Rieſe an Körper:
fraft, der mich Hudepad durch die Brandung an
die Küjte von Ischia trug, für den Wind und
Metter feine Geheimniffe haben; Giovanni, der .
Fifcher, der die reichen Untiefen des Golfes, die
Seccas, wie feine Tafchen kennt und jofort weiß,
wohin er fi wenden muß, um diejes oder jenes
figende, friehende oder im Grunde wühlende
Tier zu erbeuten; da find die beiden Oberflächen:
fifcher Giro und Ciccillo, die mit den feinen
Negen die in den Strömungen treibenden Hoch—
feetiere erjagen. Salvatore lo Bianco, der
Konfervator, der die finnigen Methoden zur
Aufbewahrung der Seetiere größtenteils er:
funden hat, dirigiert nicht nur die Fiſcher
nad den auszubeutenden Gegenden, jondern
fommandiert auch noch eine Hilfsichar intelliz
genter Jungen, die mit der jchnellen Auf:
fafjung, welche den Südländern eigen tft, ſich
vollftändig in die Kenntnis der Tiere einge:
arbeitet haben. Guter Himmel! Wie mander
friſch Angelommene hat ſchon diefen Jungen
imponieren wollen dur) Nennung von Namen,
welche fie wahrlich beſſer wußten, als er!
Ueber diefer Gruppe italienischer Bedien—
jteten fteht der Generaljtab, deſſen Mitglieder
meift eine doppelte Aufgabe haben; einesteils
die Miffenfchaft durch felbftändige Arbeiten,
namentlid Monographieen für die von ber
Station herausgegebene Fauna und Flora des
Golfes von Neapel zu bereichern oder die Nedal:
tion des zoologiſchen Jahresberichtes, ſowie der
Mitteilungen zu bejorgen und endlich durch
| Uebernahme eines Departements der Verwal:
tung die Yaft des Direktors zu erleichtern.
526
Die Hälfte dieſer ftrebjamen, wie eine be:
freundete Familie zufammenwirfenden Genofjen-
ſchaft, deren Mitglieder ich gerne nenne, bejteht
aus Deutfchen. Diejer Nationalität gehören der
Direktor, Prof. Dohrn, der Chef des Yabora-
toriums und Erſatzmann des Direktors in defjen
Abweſenheit, Dr. Eifig, der zugleich die Ringel:
würmer bearbeitet, der Redakteur der Publi—
fationen Dr. Paul Mayer und deſſen Genoffe
Dr. Giesbrecht, die fich beide mit Kruftentieren
beſchäftigen, der Bibliothefar Dr. Brand, der
die niederften Tiere, Protogoen und Coelente:
raten jtudiert und der Sekretär und Rechnungs:
führer Linden an. Von den beiden Stalienern,
dem Konfervator Salvatore lo Bianco und
Dr. Andres, welcher eine prachtvolle Monogra-
phie der Actinien oder Sceanemonen zum Drud
fertiggejtellt hat, verläßt der leßtere die Station,
um eine Profeffur in Mailand anzutreten, wie
denn überhaupt die Station faft zum notwen—
digen Durhgangspunfte der heranwachſenden
italienischen Profefjoren der Zoologie geworden
it. Zwei Ruſſen, Dr. Ed. Meyer, der feinen
fpeciellen VBerwaltungszweig beforgt, aber eine
Monographie einer Gruppe von Ringelmürmern
bearbeitet und der Dberingenieur E. v. Veterfen,
früher Marinelieutenant und in allen technifchen
Dingen äußerjt Ffompetent. Ein Schweizer,
Dr. A. Lang, der neben der Oberaufſicht der
Fifcherei und des großen Aquariums Zeit ge:
funden hat, in auögezeichnetiter Meife eine
Gruppe der Plattwürmer, die Planarien, zu
bearbeiten, welche Arbeit foeben im Erjcheinen
beariffen ift. Ein Holländer, Dr. VBosmaer,
welcher die fo fchwierigen Schwämme bearbeitet.
Zieht man aus diefen Angaben ein allge:
meines Refultat, jo findet jih, daß der inter:
nationale Charakter der Anstalt, den gegebenen
Verhältnifien entiprechend, wohl gewahrt it.
Das Deutjche Reichsgebiet fteht in finanzieller
Bedeutung obenan, Italien folgt ihm in zweiter
Linie. Die Arbeitäleiftung verteilt fih in der
Weiſe, dab das Deutjche Neichägebiet die Hälfte |
der höheren Beamten, etwa 40 %, der Arbeiter
liefert. Wie könnte dies anders fein? Das
Deutſche Reich hat feine Küften, welche zur Er:
richtung einer größeren Station geeignet wären; |
das Material fönnte nicht in ausreichender |
Menge befchafft werden, die Fauna der Ditjee |
ift ebenfo arm an Typen, als der Schlid und
Sand der Nordfee. Und dennod werden gerade
in Deutichland die Studien, welche ſich auf die |
Karl Vogt.
Entwidelung und Organifation der Meertiere
beziehen, am eifrigiten betrieben! Mean fann
dreift behaupten, daß Deutjchland in den bezüg-
lihen Wiſſenſchaftszweigen wenigitens ebenſo—
viel arbeitet, ebenjoviel publiziert, als alle
übrigen civilifierten Länder zufammengenommen,
und daß der Wert und die Bedeutung Diejer
Arbeiten nicht Hinter den Leiftungen anderer
Länder zurüdteht. Die Station von Neapel iſt
aljo eine Notwendigkeit für die Entwidelung
der Wiſſenſchaft in Deutfchland geworden, und
daß diefe Wahrheit erfannt und infolge dieſer
Erkenntnis die Anftalt nach Kräften gefördert
worden ift und noch gefördert wird, gereicht den
Behörden gewiß zu hohem Ruhme. In alien
aber hat fih, wenn aud nur allmählich, die
Ueberzeugung Bahn gebrochen, da das Yand,
bie Provinz und die Stadt Neapel an der Sta:
tion ein Juwel befigen, das ihnen wefentlichen
Nuten bringt und einen mächtigen Jmpuls zu
jenem Aufſchwunge der Wifjenfchaften gegeben
hat, der fich jegt in dem klaſſiſchen Yande kund—
gibt. Wenn einige Staaten, wie Franfreich und
Defterreih gewiſſernaßen im Schmollwinfel
ftehen, fo hängt dies davon ab, daf in beiden
Staaten das erflufiv nationale und gouverne:-
mentale Syjtem die Ueberhand gewonnen hat
— ſchwerlich zum Vorteile der Studien jelbit.
Die Leijtungen.
Wenn im Laufe einer Zeit von zehn Jahren
etwa 250 Forſcher aus den meisten Rändern
Europas und aus Nordamerifa in der Station
fi zufammengefunden haben, um dort ihren ,
Studien obzuliegen, fo ift gewiß in erſter Linie
diefes Verhältnis als eine vorwiegende Förde:
rung der Wiffenfchaft zu betrachten. Gewiß
brachten viele diefer Forſcher noch mehr Kennt:
niffe und Erfahrungen in die Station hinein,
als fie derfelben entnahmen; aber ebenfo ficher ift
auch, daß die meijten mit frifcher Anregung
und mancherlei Bereiherung ihres Wiſſens—
ihates nach Haufe fehrten. So tjt denn die
' Station einerfeit3 ein Brennpunkt geworden,
in welchem die Lichtitrahlen der Wiſſenſchaft
aus den verjchiedenen Ländern fi ſammeln,
anderjeitö gewiffermaßen ein Leuchtturm, von
welchem aus fie nad) allen Seiten ſich verbreiten.
Es hat ſich ſchon verwirklicht, was Prof. Yeudart
in Leipzig mit prophetiihem Geiſte im Jahre
' 1371 vorausjagte, als er Dr. Dohrn zur Er:
munterung für die Ausführung feiner Pläne
Die Zoologiſche Station in Neapel.
ſchrieb: „Mit aroger Sachkenntnis und Umficht
haben Site fchon Einrichtungen getroffen und
einen Reichtum von Unterfuhungsmitteln in
Ausficht geftellt, der aus der „zoologijhen Sta:
tion“ in furzer Zeit eine „Hochſchule für Zoo:
logie“ machen wird. Schon fehe ich in Ge:
danfen unjere jungen Zoologen, wie weiland
die Mediziner nah dem benahbarten Salerno,
fo nach Neapel wallfahrten und mit den Hilfs:
mitteln Ihres nititutes die Schätze heben, die
das Meer uns Nelteren vorenthalten hat.“
Die Leiftungen werden in Deutjchland vor:
zugsweiſe nad) den Publikationen beurteilt. „Sei
Bücherwurm und wenn du did) auch damit be:
gnügft, aus zwölf Büchern das dreizehnte zu
machen oder Anderer Goldjtüde in kleine Münze
umzumechjeln, Profeſſor wirft du doch.“
Die Station veröffentlicht drei Serien von
Druckſchriften.
Zuerſt die „Mitteilungen aus der zoo—
lLogiſchen Station von Neapel“, Zeitſchrift
in zwangloſen Heften, die jährlich einen Band
bilden, mit Kupfern ausgeſtattet und für die—
jenigen Arbeiten beſtimmt ſind, welche nicht
einen monographiſchen Charakter tragen. Wenn
auch einzig aus den in Neapel gemachten Arbei—
ten zuſammengeſetzt, iſt das Journal doch weit
entfernt, ein Geſamtbild der Thätigkeit der
Station zu geben, da dem dort Arbeitenden
nicht, wie anderwärts, der Zwang auferlegt
wird, in dem Organe der Station zu veröffent:
lichen. Jeder ift frei, zu publizieren, was, wie
und wo er will.
Eodann die „Jauna und Flora des
GolfesvonNeapel“, ein aus Monographieen
zufammengejegtes Werk in Folio, mit zahlrei-
chen Tafeln. Jährlich ericheinen mehrere Mono:
graphieen von Pflanzen und Tieren des Golfes,
in Form und inhalt gleich ausgezeichnet. Viele
Tafeln gehören zu den fchönften, die jemals ge:
fertigt wurden.
Endlih der „Zoologijhe Jahresbe—
richt.“ Die bisher gelieferten Meberfichten die: |
fer Art zeichneten fih meist durch ihre Aehn—
Iichfeit mit dem „Hinfenden Boten“ aus; fie
früdten und humpelten mühfam, oft um drei
oder vier „jahre hinter den Leiftungen eines
Jahres drein und erfüllten den wejentlichiten
Zwed eines foldhen Berichtes, die arbeitenden
Foriher auf dem Laufenden zu erhalten, in
feiner Meife.
Es würde die Grenzen diejes Aufjates
527
überfchreiten, wenn ich auf diefe Publikationen
näher eingehen wollte. Sie erfchöpfen indefjen,
wie gejagt, die litterariiche Thätigfeit der an
der Station bejhäftigten Forfcher bei weitem
nicht. Es liegt mir eine Lifte von 20 größeren
oder Fleineren wiſſenſchaftlichen Mitteilungen
vor, welche allein im Laufe der letten ſechs
Monate des Jahres 1883 in verjchiedenen Dr:
ganen veröffentlicht wurden und alle auf in der
Station gemachten Arbeiten beruhen. Man darf
fühn behaupten, daß eö feine naturwifjenfchaft:
liche Fakultät irgend einer Univerfität gibt,
welche ſich in Beziehung auf Publikationen mit
der Station auch nur in entfernter Weife mejjen
fönnte.
Mag man aber aud den Mert diejer Ver:
öffentlichungen nod) jo hoch anfchlagen, fo jteht
er meines Erachtens doch zurüd hinter dem Ge-
winn, welchen die Forjcher felbit einheimjen in
dem Gebiete, welches erjt in neuerer Zeit eine
hohe Bedeutung gewonnen hat. ch meine die
mikroſkopiſche Technik, die Anfertigung von Prä-
paraten, welche einerfeits der Forſchung felbit
dienen, anderfeit3 die dauernden Belagsitüde
für die gewonnenen Refultate liefern. Durch
die unabläffigen Bemühungen der Angeftellten
wie der arbeitenden Forſcher ift die Station die
wahre Hochſchule für die mikroſkopiſche Technik
geworden, auf welcher jeder fich mit allen Me:
thoden derjelben auf das eingehendite vertraut
machen kann. Alle Berfahrungsarten für Här-
tung, Färbung, Zerlegung in Schnittferien und
dauernde Konfervierung der feinjten embryolo:
giihen und anatomischen, für mikroſkopiſche
Studien geeigneten Präparate find hier in
ſolcher Weiſe durdhgearbeitet, vervollfommnet
und dur neue Erfindungen ergänzt worden,
dag man bei einigermaßen gutem Willen als
vollendeter Techniker aus der Station hervor:
gehen muß. Das alles pflanzt ſich fort in wei:
tere Kreife und die Dienfte, welche die Station
durch diefe Ausbildung der Technik der Wiſſen—
ihaft geleiftet hat und noch leiſtet, laſſen ſich
nicht hoch genug anfchlagen, denn auf den ort:
ſchritten dieſer Technik beruht großenteils die
thatjähliche Grundlage, auf welcher die Wiffen:
ſchaft weiter baut.
Die Ausgaben.
Wenn man von einem Einnahmebudget von
nahezu 145 000 Franken (116000 Mark) jähr:
lic hört, über welches die Station disponiert,
67
528
jo follte man fajt glauben, man ſchwimme im
Ueberfluß. In der That ift auch diefe Meinung,
jo irrig fie aud) fein mag, vielfach verbreitet
draußen im Yande und gar mandem will es
nicht in den Kopf, daß die Anſtalt fo viel oder
nod mehr fojten jolle ala manche Fakultät. Bis
jegt aber haben die Rechnungen ſtets mit einem
mehr oder minder bedeutenden Deficit abge:
ihlojjen und wenn man ſich den ganzen Betrieb
vergegenmwärtigt, der nicht wohl reduziert wer:
den kann, jo begreift man leicht, daß es nod)
mancher Anftrengungen bebarf, daß weitere
Einnahmequellen geöffnet werden müfjen, um |
die Bilanz gleich zu jtellen, ohne daß die einzel:
nen Betriebszweige geichädigt werden. Ich gebe
hierzu einige Belege aus den Nechnungen von
1883 in runden Summen.
Die beiden größten Ausgabepojten fallen
einerſeits auf die Gehalte der Angeftellten
(46 500 Franken) und die Zinfen an die Gläu—
biger (30.000 Franken). Die einzelnen Gehalte
jind wahrlid nicht hoch; man möchte faſt jagen,
zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig, denn
wenn ber Direktor 5000 Franken, der Chef des
Generaljtabes und der ingenieur 4000 Fraufen
jährlich beziehen und hiernach die weiteren Be:
foldungen ſich abjtufen, jo fann man wahrlich
nicht behaupten, daß hier nicht haushälteriſch
zu Werke gegangen werde. Aber aus dem frü:
her Geſagten geht hervor, daß eine große Zahl
von Angejtellten höheren und niederen Ranges
nötig tft, um bie ganze Maſchine im Gange zu
erhalten, denn neben der wiljenfchaftlichen Thä—
tigkeit, welche von dem Laboratorium und den
Publikationen in Anjpruc genommen wird, er:
fordert der Unterhalt der Aquarien und Ma—
ſchinen, der Dampfichiffe und der Ruderboote,
fowie der Dienft im Haufe eine Menge von
Kräften, deren ganze Zeit in Anfpruch genom:
men wird. Ebenfo verjtehen ſich die aus ber
Verzinſung der aufgenommenen Kapitalien,
welde zu dem Bau und der Einrichtung des
Haufes, der Anfhaffung der Schiffe und ber
Apparate verwendet wurden, von ſelbſt. Ge:
ringere, aber doch ſchwer in das Gewicht fallende
Poſten erwachjen durch den Betrieb des Erports
von fonfervierten Seetieren (14 000 Franfen)
an welden die Station nur etwa 3000 Franken
jährlich verdient, durch die Bublifationen, welche
ein Deficit von 13 000 Franken brachten, durd)
die Koften des Laboratoriums (12000 Franken).
Die beiden eriteren Poften werden fi wohl
——— —— — — — — — — — — — — — — —— —— ———— — —
Karl Vogt. Die Zoologiſche Station in Neapel.
von Jahr zu Jahr verringern, befonders wenn
dringend verlangte Subventionen eingehen; die
Kosten des Zaboratoriums aber werden fich vor:
ausfichtlich bedeutend vergrößern Durch den An:
drang zahlreicher Arbeiter und die Schaffung
neuer Arbeitszweige. Die Generalfpejen, der
Anfauf folder Tiere, die von den Fijchern der
Station nicht befchafft werden können und ben-
noch zu Arbeiten verlangt werben, der Unterhalt
der Maſchinen, der Bibliothef und der Schiffe,
die Steuern, die Aufitellung der typifchen
Mufterfammlung, die Beforgung des Aquariums
für das Publikum, die Fılderei und die Her:
ftellung von Zeichnungen und Photographieen
benötigen fleinere Ausgabepoften, die fich aber
in folder Weife fjummieren, daß den in runder
Summe zu 145 000 Franken (116 000 Marf)
anzunehmenden Einnahmen 150000 Franken
(120 000 Marf) gegenüberftehen, fo daß alfo
die Station im Jahre 1883 mit einem Verluſte
von 4—5000 Franfen (3500 — 4000 Marf) ge:
arbeitet hat. Dazu fommt noch, daf notwendig
ein Nejervefonds für unvorhergefehene Fälle,
Abnutzung des Materials u. ſ. w. gefchaffen
werben muß.
Sole Opfer können auf längere Zeit hier
nicht gebracht werden. Will man alfo, daß bie
Station noch fernerhin ihre jegenäreihe Wirkung
entfalte, jo ift größere Teilnahme durch Abon:
nierung von Tiſchen, durd Subventionen zu
allgemeinen oder bejtimmten Zweden dringend
nötig.
Die Aufgaben der Zufunft.
Bis jetzt hat die Station hauptſächlich die
DOrganifation, die Entwidelung und das Leben
und Treiben der Seetiere untereinander fi)
zur Aufgabe gemacht. Daß mit diefen morpho:
logischen, embryologifchen und biologifchen For:
chungen einesteils die fyitematifche Bearbeitung
der einzelnen Gruppen, anderenteil3 die tete
Ausbildung der Technik Hand in Hand ging,
verfteht jich wohl von felbit. Sodann ift e3
ganz begreiflich, daß diefe Richtungen bie vor:
herrfchenden fein mußten. War ja doch feit
Darwins mächtigem Einfluffe, die ganze orga:
nische MWiffenfchaft auf diefe Ziele gerichtet. Daß
biefelben bei weitem noch nicht erreicht find,
beweifen die bahnbrechenden Unterjudhungen
Dohrns felbit, der durch Erforfhung der Ent:
widelung der nieberften Fiſche, Neunaugen,
Hate, Rochen die bisher landläufigen Vorſtel—
itizedby Google
Ar k
N — ——
Vor dem Gewitter,
lungen über den Urfprung der Wirbeltiere ge:
radezu auf den Kopf geftellt hat.
Aber wenn aud die Forfhungen in diefer
Richtung noch lange vorwalten werden, jo
fann doch die Wiſſenſchaft nicht dabei ſtehen
bleiben. Die Phyſiologie verlangt jtets drin:
gender die Ausdehnung ihrer Unterfuhungen
auf die anderen Tiere. Die Biologie dürftet
um fo mehr nad einem aröferen Arbeits:
feld, als die wichtigiten praftiichen Folgerungen
fih an die Löſung der ihr geitellten Fragen
fnüpfen, wie ich dies Schon oben andeutete,
Durch Erweiterung der Näumlichkeiten mittelit
Eritellung eines neuen Gebäudes, deſſen Koſten
ausschließlich Italien zu tragen geneigt jcheint,
nahdem Deutichland das Seinige zur erjten
Erridtung der Station gethan hat, werden die
Laboratorien für diefe neuen Forſchungszweige
eritellt werden müſſen; das Arbeitsfeld des
Golfes und eines großen Teiles des Mittel:
meeres wird intenfiver, mit Berüdfihtigung der
praftiihen Gejichtspunfte, bearbeitet werden
müfjen. Aber alle diefe neuen Studienzweige
bedürfen zu ihrer Betreibung ausgedehnter Hilfs:
mittel, die bedeutende Summen repräfentieren,
jei es für Anfhaffung derApparate, Inſtrumente,
Dampfer u. |. w., jei es zum Betriebe während
des Jahres.
Wir fünnen nur wünſchen, daß dieje Hilfs
mittel in ausreichender Weiſe gewährt werden.
Gelingt dies, fo wird die Station in Wahrheit
529
eine Univerſität für die marine Wiſſenſchaft
werden, auf welder der theoretiiche Unterricht
dur unmittelbare Bethätigung der einzelnen
erſetzt wird. Vielleicht kann es ja fpäter aud)
kommen, daß eine Art afademifchen Unterrichts
Platz greift, indem diejenigen Yorfcher, welche
ı Ipecielle Aufgaben gelöft Haben, durch Bor:
lefungen und Demonitrationen ihre Genojjen
in die gewonnenen Nefultate einweihen; allein
vorläufig überwiegen die praktiſchen Ziele, die
jelbjtthätige Forſchung, fei es in rein willen:
Ihaftlicher, jei es in nationalöfonomischer Hin:
ſicht. Wie jehr das Bedürfnis der Löſung folder
Aufgaben gefühlt und die Station als Mufter:
anjtalt angejehen wird, zeigt der Umſtand, daß
gerade in dem gegenwärtigen Augenblide die
bedeutenditen Forjcher Englands, mit Hurley
und Ray-Lankeſter an der Spige, zur Gründung
einer folhen Anſtalt in England aufrufen, daß
die franzöfifche Regierung vor Inſtallierung der
Station in Marjeille den dortigen Profefjor
Marion mit einer Miſſion zur Unterfuchung der
Einrihtung in Neapel betraute, und von über:
all, wo Stationen errihtet werden follen,
Schottland, Nordamerifa, Australien, Beirat
und felbft Mitwirkung verlangt wird. Dort
handelt es jih um Gründung, hier, in Neapel,
nur um weiteren Ausbau auf jchon vorhandenen
Grundlagen, die um fo folider find, als fie durch
harte und unabläffige Arbeit während einer
Neihe von Jahren geichaffen wurden.
Dor dem Gewitter
530
Otto Roquette,
Siebenſchläfer.
Novelle von Otto Roquetktte.
Schluß.)
er Abend war inzwiſchen heran—
gekommen, im Gartenſaale wurde
auf dem Flügel ein Tanzſtück
geipielt, und nad) vielen Vor:
ereitungen und Gelächter er:
fholl ein Duo von Frauen:
ftimmen. Hanno zog es vor, das Konzert im
Freien, auf einer Gartenbanf anzuhören —
oder auch zu überhören, denn vor feinem Sinne
lang noch immer eine andere Stimme, bin:
reißend, alles übertönend, die ihm das Herz
pohen und das Blut aufgeregter jtrömen
machte. Er hatte ſich ihr entziehen, einen
Augenblid zu fich jelbit fommen wollen; da
erblidte er eine Geftalt in der Thüre des
Gartenjaales, deren ſchöne Umriſſe ſich deutlic)
von dem erleuchteten SHintergrunde abhoben.
Sie beugte ſich hinaus, wie um nad) etwas zu
fpähen. Mit wenigen Schritten war er im
ihrer Nähe. „Schwärmer!“ ſagte fie Teile.
„Sie ſuchen die Einfamfeit? Wer ſich der guten
Stunde entzieht, kann mehr, kann alles ver:
lieren!” Aber mit diefen Worten war jie be:
reits in den Saal zurüdgefehrt, und trat zu
den Mufizierenden, welde während des über:
lauten Geſpräches der übrigen Gefellichaft ihre
Kehlen anjtrengten, um ſich vernehmlich zu
machen. Endlich fing man an zu tanzen, alt
und jung durdeinander, und Hanno bewies,
daß er es noch nicht verlernt hatte.
E3 war weit über Mitternacht, als er ſich
j —J auf dem Heimwege befand. Der Tanz
hatte ſeine Aufregung nur geſteigert, und wie
in einem Taumel von Glücksgefühl gab es für
ihn feine Vergangenheit, feine Kränfung und
Schuld, feine Vergeltungäluft mehr, nur den
Nachgenuß der legten Stunden und die Aus:
fiht auf neues Begegnen. Der alte Zauber
hatte ihm nicht nur von neuem ergriffen, er
war mächtiger geworden, die einjtige Yiebe zur
Leidenichaft erwahlen, deren Dämon ihn zu
beherrichen drohte. Und dabei empfand Hanno
doch nichts von Eiferfucht gegen Herrn von
Falfenberg, denn er jelbjt war ja der gegen ihn
Bevorzugte, der Hochbegünſtigte. Schon morgen,
und zwar in der frühe fchon, wollte er ihr Die
verfprochenen Bücher bringen, um fie nur fo
bald als möglih wiederzufehen. Er hatte
die Wahl aud) bereit3 getroffen, und freute fich,
daß Yeontinens jchöne Hände in feinen Büchern
blättern, ihre Augen darauf ruhen würden.
Die Familie Wolmar wartete am anderen
Morgen mit dem Frühftüd nicht auf den Gaft
in der Giebeljtube, ſondern ließ ihn in den
Tag hinein ſchlafen. Gudula hatte ihn heim:
fehren gehört, und zwar erft nad) zwei Uhr.
So war denn die zehnte Tagesjtunde ge:
fommen, als er jein Fenſter öffnete, mit Dem
Entichluß, fich wieder auf den Weg zu machen.
Daß die Schweftern ihn unter dem Nuß—
baum, wo fie bei ihrer Arbeit faßen, mit Lachen
empfingen, verjtimmte, ja, es verlegte ihm bei:
nahe. Und doc konnte er nicht umhin, eine
Raſt bei ihnen zu machen, denn von Frau
Theodore war ohne einen Fleinen Bericht über
die Gefellichaft nicht Toszufommen. Schon
meinte er, eö wäre genug, als der Vater er:
ichten, ihm freundlid die Hand zum guten
Morgen reichte und mit einer gemifjen Feier—
lichfett Pla nahm.
„Mein quter Sohn‘, begann der Konreftor,
„ich habe dir etwas zugedacht, was du in alter
freundlicher Weiſe aufnehmen wirft! Nicht als
dichteriiches Werk, fondern als Herzensange:
legenheit, welder ein der Poeſie entlehntes
Gewand verliehen wurde. Es follte ſchon zu
deinem Empfange bereit fein — du weißt ja
jelbjt, weshalb es ſich verjpätefe.‘ Mit diejen
Morten z0g er ein Manujfript aus der Bruft:
tafche, und fette die Brille auf.
„Ah!“ Au m Theodore und Gubula gleich—
zeitig, die erwartungsvollen Blide auf den Vater
gerichtet.
Hanno aber erſchrak. Er ſah einer Vorle—
fung entgegen, im Augenblid, da er fort wollte,
da Neine Erwartung auf ein Wiederſehen ge:
jpannt war, da jede Minute, die er verzögerte,
als ein Verluſt erfchten. Seine Augen mu:
iterten das Manuffript, welches ziemlich um:
fangreih ausjah, und ein emiter Mißmut
| — —
Siebenichläfer,
sollte ihn ergreifen. Sollte er der familie,
»elche Die Stunde einer ſolchen Mitteilung jo
ejtlih nahm, die Enttäufhung bereiten, daß
x augenblidlid nit dazu gejtimmt, daß er
ınders gebunden ſei, eine fremde Gefellichaft
rufſuchen wolle? Er bradte es nicht übers
erz, ja er wäre fogar zu jpät damit gelommen,
denn ſchon hatte der Konreftor fein Gedicht
„Auf unſres geliebten Hanno Wiederkehr‘ zu
lefen begonnen. So fuchte der Gefeierte und
doch tier Herabgejtimmte fid) zu fallen und zu
fügen, wenn es ihm aud nicht gelang, feine
Aufmerffarnteit an den Vortrag zu fefleln.
Der alte Herr aber hatte diesmal fein Beſtes
gethan, ſich reichlich und mit ganzem Gemüt
auszujprechen. Seine PVerfe galten diesmal
nicht nur dem frohen MWiederjehen, fondern
reihten alle Beziehungen, melde Hanno von
Sugend auf an die Familie fnüpften, anein:
ander ; fie gaben Hunde von der Herzlichfeit
diejes jchönen Verhältniffes, von der Tüchtig—
feit des Bejungenen, feinem Aufftreben und
Fortſchreiten, und näherten fi dann dem ge: |
genwärtigen Zeitpunkt, da — durch eine ala—
demiſche Berufung ein vielverheißendes Ziel
vor Augen ftand. Das alles war jehr hübſch
ausgedrüdt, mit poetijchen Bildern und Wen:
dungen durchflochten und Fam innerlih warm
aus dem Herzen.
Der junge Mann ſaß in ftummem Hin:
brüten dabei, feine Gedanfen jchweiften weit
ab, er hörte bald gar nichts mehr. Dann er:
faßte ihn eine Ungebulb, die falt zur Ver:
zweiflung ftieg. Er hätte aufipringen und
davonlaufen mögen. Der alte Herr aber las
und lad, und fo viel Blätter er ummendete,
fo viel ſchienen unten nachzuwachſen, es wollte
fein Ende nehmen. Denn nachdem nun die
Verſe die Bedeutung einer akademischen Wirk:
ſamkeit für den Lehrenden, für die Jünger, für
die Nachwelt, für die ganze Menfchheit dar:
gelegt hatten, famen fie mit einem — |
vollen Uebergang auf jenen Morgen, da der |
Alte ausgegangen war, um für feinen Zögling |
einen poetijchen Begrüßungsftrauß zu jammeln, |
ohne zu wiſſen, wie nahe ihm berjelbe bereits
gewejen. Das nächtlidhe Gemitter, die Flucht |
in die Höhle, wurde nicht vergefjen, und au
poetifhen Bildern (durch Naht zum Licht) |
herangezogen.
Hanno fühlte ſich wie ein Gefeflelter, der
den Kampf gegen feine Ketten aufgegeben hat,
um erdrüdt und ftumpf alles über jich ergehen
zu laſſen. Da fielen ein paar Worte des Alten
in feine Seele, mahnend wie Glodenton, feine
befiere Negung wieder erwedend. Er fam zum
Bewuhtiein deſſen, was ihm diefe Stunde
fiebevoll hatte bereiten follen. Er fah Theo: |
531
dorend Augen feucht und gerötet (denn troß
ihres praktischen Verftandes wurde fie leicht zu
Thränen gerührt), er glaubte zu erfennen, daß
Gudula feine Berftreutbeit beobachtet hatte. Er
hörte jet ernitlich zu, und ein Gefühl feiner
Unmürdigfeit, zugleich mit tiefer Neue, machte
fih in im geltend. In einer ganz anderen
inneren Bewegung, als ihn am Anfang der
Vorlefung ergriffen, nahm er den Nusgang
derjelben auf, und als der alte Herr zu Ende
gelommen, jprang Hanno auf, um ihn mit
aufrichtigem Dank in die Arme zu jchließen.
Er empfing das Manujfript, welches ihm als
Geſchenk zugedacht war, Theodore aber erklärte,
es müſſe erjt eine Abjchrift für die „Werke“
genommen werben. .
Zu einem Vormittagsbefuh auf dem Gute
war es zu ſpät, und Hanno ſprach nicht von
feiner Abſicht. Er beſchloß, die Bücher nad):
mittags, oder morgen abzugeben. Nachmittags
aber forderte der Konreftor ihn zu einem Spa:
| ziergange auf, und Hanno ergab ſich darein,
um in wiſſenſchaftlichen und gelehrten Ge:
ſprächen doch einige Ablenkung der aufrühre:
rischen Gedanken zu finden. Als fie heimfehrten
fanden fie Thaflilo wieder fröhlid) bei den
Frauen.
Das Geſpräch fam nun aud) auf die geftrige
Gejellihaft, und Frau von Ellerſtedt fonnte
dabei nicht unerwähnt bleiben.
„Ich habe ihr Bücher verſprochen,“ fagte
Hanno, „und werde fie ihr wohl morgen
bringen.‘
„Du Fannt dir die Mühe ſparen,“ entgeg-
nete Thaſſilo, „denn die wird doch nicht darın
leſen! Ueberdies will fie morgen fort.‘
„ort? Wohin? rief Hanno, und erfchraf
über die Haft und den Ausdruck feiner Frage.
Thaffilo wußte es nicht, wie er berichtete.
Er hatte fie ſelbſt noch nicht gefehen, nur von
Tante Aoelgunde bei Tifche vernommen, daß
Frau von Ellerftedt auf ein paar Tage ver:
reifen werde, vermutlich auf einige Landbe—
figungen, dahin und dorthin.
So mußte der von leidenſchaftlicher Un—
ruhe immer wieder Berüdte ein ungewifjes Zu:
warten vor ſich — ſehen, das ſeiner
Stimmung nur noch mehr zu ſchaffen machte.
Sie ſollte noch durch einen Zug verwirrend
durchkreuzt werden.
Als er tags darauf wiederum von einem
Spaziergang zurückkehrte, den er diesmal allein
angetreten hatte, fand er auch wiederum Thaf:
filo zum Beſuch vor. Und zwar befand fich
der junge Gaft allein mit Gudula, indem er
dad Garn für ihre Stiderei hielt, welches fie
abwidelte, feiner Unterhaltung mit Lächeln zu:
hören.
532
Hanno beobachtete es vom Fenſter aus und
fühlte ſich plöglih unangenehm dadurd über:
raſcht. Ein ganz fremdes Gefühl durchzudte
ihn plötzlich. Es war Eiferſucht. Morauf er
gegenüber Herrn von Falkenberg in Zeontinens
Nähe noch gar nicht verfallen war, das erariff
Im jegt, mit einem Erſchrecken. Eiferfucht!
ar es denn möglich? Er jchlug ſich vor die
Stirn, als ob er ſich für feine Narrheit jelbft
ftrafen wollte. Eiferfucht! Gegen wen? Gegen
feinen Schüler, einen faum dem Knabenalter
entwachjenen Jüngling! Es war ja ganz thö:
richt, wie er ſich felbit fagte.
Und doch mißftimmte, ja ärgerte es ihn,
dat Thaffilo am nächſten, und am folgenden,
und am dritten Tage wieder erjchien, und von
den Frauen gern ar wurde. Vor allem
hätte er fi der Freundichaft widerfeßen mögen,
welche zwiſchen ihm und Gudula zu wachen
ſchien. Es verftand ſich für ihn von jelbit,
dat er da aufmerfen mußte, und fo blieb er
gejellig bei der Familie, und wurde von ihr
willtommen geheißen. Er empfand, daß ihm
Gudula innerlih nicht um einen Gedanten
ferner gerüdt war, ſelbſt in der leidenjchaft:
lichen Aufregung, die durch eine vermwirrende
Anziehungstraft in ihm angefacht wurde. Es
famen ihm Stunden ernfter Selbitbetradhtung,
die ihn in fein inneres wie in einen Abgrund
bliden liefen, und aus welchem er mit Be:
ſchämung und Selbitanflage fich zu dem Ent:
ſchluſſe rettete, Leontine nicht wiederzufehen.
Und zu anderer Stunde wußte er doc ganz
genau, daß fie nun ſchon fünf Tage abweſend
war, und er wurde ungeduldig, zu erfahren,
wann fie endlich zurüdfehren werde?
Da rief eines Nahmittags Theodore: „Es
halten zwei Reiter vor unjrer Thüre, der eine
fein. Richtig! Der andere fcheint ein Reit:
fneht. Site bringen fogar nod ein drittes
Roß mit. Gleich darauf ftürmte Thaffilo in
Hannos Zimmer. „Du mußt mit uns!” rief
er. Ah Hoffe, du thujt es. Sie wollen die
84 ſehen, du weißt ja, unſre Siebenſchläfer—
öhle —“
„Wer will fie ſehen?“ fragte Hanno.
„Nun, Frau von Ellerſtedt und Falken—
berg! Beide ſind niemals dort geweſen, und
ich nur in jener einen Nacht, ſo daß ich mir
nicht zutraue, ſie richtig zu führen. Bitte, über:
nimm die Führung! Da wir alle zu Pferde
find, habe ich auch für dich eines mitgebracht.
Ich weiß, daß du reiten fannft. Bitte, befinne
dich nicht zu lange, denn die beiden anderen
konmen gleich hinter mir her!‘
Hanno befann ſich in der That nicht lange,
fondern rüſtete fich ſchnell, während Thaſſilo
Otto Roquette.
auf einige Augenblide bei der Familie vor:
ſprach. Die beiden jungen Männer fprangen
in die Sättel, in dem Augenblid, da Leontine
und Herr von Falkenberg bereit3 die Straße
heraufgetrabt kamen. Während die beiden
Paare einander begrüßten, ftanden Theodore
und Herr Bolmar betradhtend am Fenſter, Gu:
dula hielt fich mehr im Hintergrunde. „Sie
ift wunderſchön!“ ſagte der alte Herr. „Wirk:
lich bezaubernd!“
„sa wohl!” bejtätigte Theodore. „So
wunderſchön iſt Noß und Weib, fo wunder:
fhön der junge Leib‘ — wie es in dem be:
fannten Liede —* — und dennoch kenn' ich dich!
Du biſt die Here Lorelei!“
Gudula verließ das Zimmer, die berittene
Geſellſchaft aber fette fih in Bewegung.
Auf dem ſchlechten Straßenpflafter konnte
der Ritt nur langſam Dee dafür unterhielt
man ſich über gewöhnliche Dinge mit Ange:
regtheit und verjtand -über ein Nichts zu lachen.
Aber einmal aus der Stadt heraus, lie man
die Pferde traben, um den Schritt erſt gegen
den jteiler fich hebenden Waldweg hin zu hem—
men. Da dieſer Weg ſich zwiſchen Felſen—
wänden und Abgrund hinauf zog und nur für
| einen Reiter
ı Hanno fi) an die Spite des Zuges, bis zum
enügenden Naum bot, fette
Eingang in die Schlucht. Die Pferde wurden
in einiger Entfernung, wo es eine freiere Wald—
lichtung gab, unter der Obhut des Neitfnechtes
—
ie Geſellſchaft begab ſich durch den engen
Felſengang in die Höhle, welche ſich augen—
blicklich, bei günſtigem Stande der Nachmit—
tagsſonne, die durch den engen Felſenſpalt
drang, und einen Wechſel von Licht, Dämmerung
und Finſternis hervorbrachte, bejonders vor:
von beiden wird wohl unſer kleiner Freund |
teilhaft zeigte. Hanno deutete auf einen zweiten
Felſengang hin, der jeitwärts, wo die Dämme:
rung begann, aufjteigend zu einer kleineren
Höhle führte. Dieje öffnete fich freier, und
führte ohne Beichwerlichkeit, zumal bei offenem
Tageslicht, wieder in die Hauptjchlucht hinunter.
Thajfilo verlangte dringend den Gang zu thun
und auch Herr von Falkenberg wünfhe dieſe
Felſenbildungen im ganzen kennen zu lernen.
Allein Leontine wollte ſich unter keiner Be—
dingung dazu verſtehen. Die Dunkelheit be—
drücke ſie ſchon dermaßen, ſagte ſie, daß ſie ſich
nach dem Walde hinaus ſehne. Sie bat Herrn
von Falkenberg, den Weg ohne ſie zu machen,
fie werde ihn draußen erwarten, und inzwiſchen
unter der Obhut des Herm Profeſſors bleiben.
Nach vergeblichen Bitten und einiger Zögerung
verſtand ſich Herr von Falfenberg dazu und
ließ, fih von Hanno bis hart an die finftere
Felſenpforte leiten, durch die in der Entfernung
Siebenfcläfer.
doch Schon ein Lichtjtrahl fihtbar wurde. Thaf:
filo ftieg vorauf, die Tritte der beiden Klet—
terer verhallten in der Entfernung. Hanno war
mit Zeontinen allein, fein Herz pochte lauter
in freudiger Erregung.
„Es iſt Zeit, daß wir uns allein ſprechen!“
+ ann fie. „Wie haben Sie — ge:
ebt?“
„Ich habe Sie entbehrt! ſchmerzlich ent—
behrt!“ rief er. „Ich bin glücklich, Sie wieder
in meiner Nähe zu wiſſen! Warum mußten
Sie ſo lange entfernt ſein?“
„Geſchäfte, lieber Freund! Leidige Ge—
ſchäfte! Ich hätte eher Ihnen Vorwürfe zu
machen, daß Sie mir die Bücher nicht brachten!
Ach hatte Sie beſtimmt erwartet. Doch, feine
Vorwürfe! ch wünſche Frieden zwifchen uns.
Hanno! Freund! Soll Frieden, dauernder
Frieden zwiſchen uns fein?“
„Für immer! Für alle Emigfeit!” rief er.
„Darauf geben Sie mir Ihr Wort?
„Ich gebe es! Nehmen Sie es als einen
chwur!“
Er fühlte Leontinens Hand auf ſeiner
Schulter, ihr Antlitz näherte ſich dem ſeinigen,
ſchon fühlte er den warmen Hauch ihres Atems,
und im Rauſch der Freude wollte er die Ge—
liebte umſchlingen.
Da machte 19 ein tiefer Seufzer in der
Nähe vernehmlich, destid mit dem gepreßten
Sammerrufe: „Ach Gott! Ach Gott im Himmel!“
Leontine fuhr entjegt zurüd, und eilte dem
Ausgang der Höhle zu.
„Wer ift da!” rief Hanno, nicht minder
betroffen, indem er einige Schritte in das
Dunfel hinein that.
„Es geht zu Ende mit mir!” ſeufzte die
Stimme. „Wer wird mir nod helfen?“
Leontine aber, von der feiniten Regung
erfaßt, rief felbit die Hilfe ihres Degleiters an,
und als dieſer ihr nicht ſogleich folgte, ver:
ftärfte fie ihren Huf nad) den anderen Beglei:
tern, und lief, von Angſt getrieben, allein durch
die Schlucht.
Hanno tajtete weiter und fand einen Men:
ſchen am Boden liegen. „Was fehlt Ihnen?“
fragte er, fich niederbeugend. „Was treiben Sie,
und wie fommen Sie hierher?“
„Ich, auter Herr!” jtammelte der andere;
„Sie fennen mich nicht mehr, aber ich erfenne
Sie an der Stimme. Ich habe fchon ein paar:
mal gerufen, aber man hat es nicht gehört.
Seht, da Sie allein waren —“
„So ertlären Sie dod nur, wer Sie find!"
rief Hanno, unangenehm berührt, daß fein Ge:
ſpräch mit Yeontine einen Zeugen gehabt hatte.
„ech, anädiger Herr, ich bin ja einer von
den Stebenidläfern, wie Sie uns nannten!
533
Wenn id) nur erjt hier heraus wäre! Der
Hunger und der Froft find zu arg!“
Thaffilo ftürmte herein, mit der Frage, was
hier vorgehe. Er und Falkenberg hatten den
Hilferuf Leontinens gehört, und waren eiligit
herabgefommen. „Ste fagte, die Höhle jtede
voll von Gefindel, fo fuhr Thaſſilo fort, „und
war nicht zu bewegen, länger zu vermeilen.
Falkenberg wollte ſelbſt nachforichen, ihre Furcht
erftreuen, aber es half nichts, jie verlangte zu
More zu fteigen und um jeden Preis hinweg:
zufommen. Sie find ſchon auf dem Wege.
Hanno empfand das — ziemlich hart,
allein ſein Gewiſſen rief ihn doch zu männlichen
Pflichten auf. „Hier iſt ein Unglücklicher, dem
wir helfen müſſen!“ ſagte er. „Er ſcheint krank.
Greif‘ mit an, wir tragen ihn aus dieſem
Höhlendunft in die Sonne.“
Thaſſilo fahte an, und gemeinjam trugen
die jungen Männer den Kranfen, freilich unter
ängitlihem Stöhnen und Wimmern desielben,
ins freie, wo fie ihn auf einer von der Sonne
erwärmten Stelle, an die Felswand gelehnt,
niederließen.
„Aber ift denn das nit — ? Freilich, das
ift ja die ‚zweite Klarinette‘ aus der Muſi—
kantengeſellſchaft!“ rief Thaſſilo.
Der Kranke nickte. „Ja, gnädiger Herr,
ich bin es. Mit meinem kranken Fuße konnte
ich das Wandern ſchon lange kaum noch er—
zwingen, aber mit dem Zurüdbleiben ging es
aud) nicht. Und jetzt, da unten in der Stadt
ward es fo ſchlimm mit mir, daß ich den
Kameraden nicht folgen fonnte. Sie liefen
mic im Wirtshaufe und wollten mich auf der
Nüdreife abholen. Als mir aber mein Zehr—
geld ausgegangen, warf mic) der Wirt auf die
Straße. — konnt' ich nichts und bet:
teln auch nicht. Da jchleppte ich mich hinaus
und wollte die Höhle wiederfinden, zum letzten
Obdach, und müßt‘ g darin jterben. Und id)
Dix drei Tage und Nächte darin gelegen und
eine Nahrung gehabt, und meinte, nun wär's
zu Ende, da wachte ich wieder auf —“
So weit hatte der Unglüdlihe mit großer
Anftrengung geiprodhen, als Thaſſilo ihn mit
lautem Nusruf des Mitleids unterbrad. „Sechs—
unddreißig Stunden nichts genoffen! er ftirbt
vor nel
„Bir müfjen ihm zu helfen ſuchen!“ ent:
gegnete Hanno. „Sit der Reitknecht noch da?‘
‚Nein! Den beiden anderen ſchon gefolgt!"
„So gilt es den Verjuch, ob wir den Kranken
auf eins unfrer Pferde bringen.‘
Der Verſuch jcheiterte, man mußte den
Mann wieder am Boden ausjtreden.
„Ich fprenge nad) der Stadt!‘ rief Thaſſilo;
„hole Nahrungsmittel, einen Wagen —“
534
„Der kann hier nicht herauf! unterbrad)
ihn Hanno. „Eine Tragbahre mit zwei Män:
nern aus dem Hofpitale! Melde die Sadıe
zuerjt in unferem Haufe! Theodore foll etwas
Stärfendes ſchicken —“
„Ja! Ja!“ rief Thaſſilo, ſich aufs Pferd
ſchwingend, und jagte den Waldweg hinunter.
Hanno aber ſetzte ſich auf einen Stein, in
die Nähe der beklagenswerten zweiten Klari—
nette, welche mit geſchloſſenen Augen daſaß,
aber von den warmen Sonnenſtrahlen ſchon
ein wenig mehr belebt jchien. Ein Gejpräd)
fand nicht weiter ftatt, da der Kranke fichtlic)
zu angegriffen war.
Hanno hatte inzwifchen Zeit, dem nachzu—
denken, was er in ber erlebt hatte. Bei:
nahe zürnte er dem Unglüdlihen durch den
ihm der erjehnte Augenblid verkürzt, die
Bringerin feines Glüdes in die Flucht getrieben
worden war. Wann würde ein foldher Augen:
blid wiederfommen? Und was dann? Was
follte überhaupt aus alledem werden? Diefe
Frage trat zum erftenmal in ihm auf, und fand
ihn bei reichlicher Muße, fie in der Einfamfeit
zu durchdenten. Denn es vergingen Stunden,
und fchon begann es abendlicher ım Walde zu
dämmern. Vergeblid richtete er die Blide den
Weg hinunter nad) der erwarteten Hilfe. Sein
Pferd freilich ftand bereit, ihn fort zu tragen,
und jtampfte ungeduldig den Boden, doch mie
hätte er über fid gewinnen mögen, den Lei:
denden zu verlajjen! Zuweilen ſchien es ihm,
als atme derfelbe nicht mehr, und Sorge und
Ungeduld fteigerten ſich auch ihm bei der tiefer
ſich ausbreitenden Dämmerung.
Endlih famen die Träger, zugleih mit
einem erfahrenen Wärter aus dem Hofpitale.
Der Patient wurde durch Stärfungsmittel neu
belebt und behutfam fortgetragen. Hanno folgte,
das Pferd am Zügel führend, und fand unten
am Ausgange des Waldes den Konreftor, der
ihn erwartete.
„Nun, mein Sohn!“ jo begrüßte ihn Herr
Volmar: „Du haft Samariterdienfte geleiftet,
darfit aber deinen Schützling jetzt getroft jenen
Leuten überlaffen. Er wird in das ſtädtiſche
Krankenhaus aufgenommen, id) habe das bereits
beforat. Jetzt * mußt du erfahren, warum
die Hilfe ſo lange gezögert hat. Wir haben im
Hauſe auch einen Verunglückten, nämlich deinen
jungen Freund Thaſſilo. Er iſt mit dem Pferde
geftürzt, hart vor unferer Thüre, und liegt in
deinem Zimmer, ſogar auf deinem Yager. Bleibe
ruhig, ich bitte dich! Verletzt hat er fich aller:
dings, wenn auch nicht gefährlich, aber der Arzt
verbietet die Ueberführung nad) dem Gute, da
er ihn unter den Augen behalten müſſe. Theo:
dore ift um ihn bejhäftigt und verforgt ihn
Otto Rognette.
Siebenicläfer.
beitens. Siehſt du, darum liefen wir did)
warten, da uns die Hilfe für den auf unfrer
Schwelle liegenden die dringendere ſchien. Er
jelbjt freilih trieb uns am meiften an, das
andere nicht zu vergeſſen. Much ijt bereits ein
Bote nah) dem Gute gefchidt worden. Was
in der Eile geſchehen konnte, ift geſchehen.“
So war es in der That. Als Hanno in
fein Zimmer trat, rief Thaſſilo troß heftiger
Schmerzen ihm zuerft die Frage nah der
„zweiten Klarinette” entgegen, und fchien ſich
ſelbſt erleichtert zu fühlen, als er erfuhr, daß
fie lebe und wohl geborgen fei.
Bald darauf erihien Herr von Hoberg, in
der Abficht, den jungen Mann mitzunehmen,
mußte jich aber in den Ausspruch des Arztes
fügen, der feinen Ortswechſel duldete. So
fonnte er nur feinen Danf ausjprehen und
—* Gegendienſt ſeines Hauſes zur Verfügung
tellen.
Hanno und Theodore, die ganz mütterlich
um den Verwundeten waltete, teilten fih in
die Pilege bei Tag und Nadıt.
Schon am anderen Morgen eridhien mit
Thafjilos Reifekoffer ein ganzer Wagen voll
auter Stärfungsmittel vom Lande, die denn
nicht bloß für die Bedürfniffe des Kranken
berechnet waren, und nachmittags nr Fräu⸗
lein Adelgunde vor. Sie war in ihrer Art
teilnehmend und wacker, wenn auch nicht ängſt—
lich oder empfindſam; ſie ſaß an Thaſſilos
Lager, wollte einige Worte des Tadels über
das übereilte und ganz verrückte Reiten, welches
ihn zur Niederlage gebracht, nicht unterdrücken,
und gab zu verſtehen, daß er bei ſeiner Unge—
ſchicklichkeit noch gut genug davon gekommen,
und von Glück ſagen könne, von ſo vortreff—
lichen Menſchen aufgenommen worden zu ſein.
Und nachdem ſie ſo ihr pädagogiſches Bedürf—
nis befriedigt hatte, zeigte ſie ſich als eine
gute und ſorgliche Perſon. Mit Frau Theo—
dore ſchien ſie ſich gleich zu verſtehen, und
ebenſo waren Herr Volmar und Gudula, bei
welchen fie einige Zeit verweilte, ſehr geneigt,
gutes von der etwas rauh gefaßten Dame zu
denten. Die Fühlung zu einander ſchien gegen:
feitia, denn Fräulein Adelgunde blieb länger,
als fie fich vorgelegt hatte. Als fie fich ver:
abjchtedete, lehnte fie die Begleitung des Haus:
herren bis zu ihrem Wagen ab, da fie dem
Herrn Profeſſor allein noch etwas zu jagen habe.
In der Gartenthüre blieb fie ftehen und
begann zu Hanno: „Es wird Sie vor anderen
interefjteren, und fo follen Sie es zuerit willen,
um vielleicht danach zu handeln. Wir haben
geitern Abend eine Verlobung im Haufe gehabt.
rau von Ellerftedt und Herr von Falkenberg
wollen ein Paar werden.‘
—*
=
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w. 2
in
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» £
Eu |
—
536
Hanno fah fie erftarrt an. Aber die Ge-
walt des Schlages fand ihn gefaßter und jtärfer,
als er es fich jelbjt zugetraut hätte. Was er
aber hervorbradhte, waren nur die Worte: „Und
wußte Leontine zur Stunde ſchon von dem
Unglüdsfall, welder Thaſſilo betroffen?“
Fräulein Adelgunde wendete ihm einen
Blid zu, der das volle Verftändnis deffen aus:
ſprach, was die frage bedeutete. „Sa! Yeontine
mußte es! entgegnete fie. „Und wenn ihr
Stieffohn aeftern den Hals gebrochen hätte,
und Sie, Herr Profeſſor dazu, Frau von Eller:
ftedt würde nichts danach gefragt, ſondern ſich
anz munter mit Herrn von Falkenberg ver—
obt haben! Laſſen Sie es ſich nicht mehr als
nötig zu Herzen gehen!“ Fräulein Adelgunde
beſtieg den Wagen und fuhr davon.
Hanno aber fühlte, daß er eine Stunde der
Einſamkeit brauchte. Er ſchritt durch den
Baumgarten, an deſſen letzter Umzäunung,
gegen die Felder und Wieſen zu, wo er einen
Platz wußte, entlegen genug, um ihm ſtörungs—
lofe Muße zu gewähren. Er befand fidy nicht
fowohl in einer jchmerzlihen Aufregung des
Gemütes, als vielmehr von neuer Erfahrung |
und Erfenntnis aufgejtachelt, gegen die fein |
männliches Ehrgefühl ſich vergeblid wehrte.
Die Niederlage, welche fein Stolz erlitten,
befchäftigte nicht mehr fein Herz, nur nod) feine |
Gedanken, Er glaubte das Fünftlihe Spiel, |
mit dem eine Erzgauflerin ihn bethört hatte, zu |
durchſchauen, indem er fid) die $ egeamungen,
die er mit ihr gehabt, vergegenwärtigte. Daß
ihr feine Nückehr lei geweſen, daß fie
eine Ausſprache von ſeiner Seite gefürchtet,
nahm er als wahrjheinlid an, und jo auch
ihren Plan bei dem erjten Wiederjehen, wenn
es denn doc) nicht zu vermeiden war, behutjam
zu tajten, ob fie durch ihre Zauberfünfte die
alte Anziehung erneuern, das Vergangene ver:
gefien machen könne. Daß fie längjt für Herm
von Falkenberg entſchieden geweien, daran |
zweifelte er niht. Es galt eben nur, einen |
vielleicht gefährlichen Gegner in Schranfen zu
halten, und es gelang ihr jo gut, daß fie ſich
über feine Ungefährlichkeit ſogar luftig machen,
durch ein unterhaltendes Spiel den anderen fo:
gar ein wenig zur Eiferſucht reizen, und zu
einem raſcheren Vorgehen veranlaljen Eonnte.
Daß der von ihr einjt Uufgegebene ein erniter
Charakter jei, und ein gegebenes Wort halten
“werde, davon mochte fie überzeugt fein, und
darum wollte fie eine Verfiherung, daß künftig
Frieden zwiſchen ihnen fein follte. Er hatte
das Wort gleich einem Schwur ausgeſprochen.
Sie jah ſich am gewünfchten Ziele, wußte ſich
efichert, und kümmerte ſich in ihrer Herzloftg:
feit niht um das, was jie ſonſt angerichtet
Otto Roquette.
haben konnte. So ſah er jest das ganze Spiel
an, und war mit jener Annahme vielleicht
nicht weit von der Mahrheit entfernt. Aber
wenn er auch nichts als Abſcheu und Verach—
tung gegen das jeelenlofe, kalt berechnende
Weib fühlte, jo wendete fih nun der ganze
Strom leidenschaftlihen Unmuts gegen feine
eigne Thorheit, um ihn in höhniſchen, bittern
und zomigen Selbſtanklagen zu durdfluten.
Sein Denken und Empfinden zum zweitenmal
an fie verloren zu haben, mochte er fid nicht
verzeihen, er fühlte ſich erniedrigt vor fich ſelbſt,
jest erft im Innerſten gedemütigt. Es be:
durfte feines ganzen Troßes gegen dieſe Ne:
gungen, um fich nur einigermaßen zu fammeln
und nicht unter dem Drud dieſer Stimmung
vor den Hausgenoſſen zu ericheinen.
Die Verlobung der ſchönen Frau wurde in
den nädjten Tagen im Haufe des Konreftors
befannt. Herr von Falkenberg felbjt war es,
der die gedrudte Anzeige nebſt einigen an:
jtändig freundlichen Worten an Thaffilo jen:
dete. Diefer reichte das Blatt, nachdem er es
gelejen, Schweigend an Hanno, welder Faſſung
genug bejaß, zu entgegnen, daß er dergleichen
abe fommen fehen. Etwas lebhafter nahm
' Frau Theodore die Nachricht auf, doch unter:
drüdte fie längere Gefprädhe darüber, um
den Kranken, als den Nädhjtbeteiligten, zu
ſchonen.
Gleichwohl befand ſich Thaſſilo bereits auf
dem beſten Wege zur Geneſung, da ſeine Ver—
letzung ſich als weniger bedenklich herausſtellte,
als es den Anſchein gehabt hatte. Er war
guten Mutes, las viel, empfing die Beſuche der
Familienglieder und erkundigte ſich jeden Tag
nach dem Ergehen ſeines Leidensgenoſſen, der
„zweiten Klarinette“.
Hanno war inzwifchen feines inneren Ningens
wohl Herr geworden, aber wie ein Bann lag
eö immer nod, bis zur förperlichen Mattigfeit,
über ihm. Der Verlehr, ja das Geſpräch mit
Gudula bedrüdte ihn, er kam ſich ihr gegen:
über jo niedrig, jo unmürdig vor, er juchte ſie
wohl aar zu vermeiden. Häufig Ir er
jenen Platz im Baumgarten, um zu lejen, zu
ichreiben, vor allem allein zu fein.
Hier befand er 1d eines Tages, ein Bud),
in welchem er nicht las, in der Hand, und
blidte über das grüne Thal nach dem Berg:
rücden hinüber, ohne darum die Yandichaft fon:
derlih zu betradhten. Da vernahm er leichte
Tritte in der Nähe, wendete ſich und erfannte
Gudula, welche auf ihn zu gegangen kam. Cr
ſprang fast erichredt auf, als ob er ſich auf
etwas ertappt fühlte, fie aber, indem fie die
Stufen des erhöhten Ausfichtsplaßes betrat,
rief ihm entgegen: „Verzeih', wenn ich dich
Siebenfchläfer.
ftöre! Hätteft du wohl ein Vierteljtündchen Zeit
zu einem Geſpräch mit mir?“ 3
„Gewiß, Gudula!“ entgegnete er in etwas
banger Erwartung.
Sie nahm Play und begann ſelbſt mit
einiger Befangenheit: „Hanno, ich glaube, du
weißt, daß ich eö immer gut mit dir gemeint
abe!”
b „Ja, Gudula, ich weiß es!“
„Nun dann,” fuhr fie fort, „wirft bu den
Nat, den ich dir gebe, nidht verfennen. Hanno
— reife ab! E3 wäre am beten für did) und
— aud für uns. Tritt deine Neife nad) Ita—
lien an, jobald als möglich! Für deine Stim:
mung, für deine jetzige Yage iſt eine Verände—
rung des Ortes, find ablentende neue Eindrüde
durchaus nötig.“
Er ſchlug, innerlich betroffen, die Augen
nieder und ſchwieg eine Weile, Dann begann
er: „Du jcheinft damit etwas jagen zu wollen,
was mich tief demütigt. it meine Stimmung
im Haufe jo übel empfunden worden?“
„Ih alaube nicht, Hanno! Man mußte
dich befchäftigt und ließ dich gewähren, man
beobachtete dich faum. Ich aber, die ich dich
beſſer fenne, als die anderen, fonnte mir wohl
denfen, um was es ſich handelte. Warum,
lieber Hanno, follen wir beide Geheimnifje vor
einander haben? Leontine iſt —“
„Gudula, ich bitte dich!” unterbradh er fie
heftig. „Sprich diefen Namen nicht mehr aus!
Du weißt nicht, wie tief du mich beſchämſt!“
„Das liegt nur in deinem Gefühl,” ent:
gegnete fie, „und ift durch feine Notwendig:
eit geboten. Ich habe gerade die Abficht, von
Leontinen mit dir zu jprechen und dir etwas
u befennen, ein Geheimnis, das id) mit einer
Sir von Schuldgefühl in mir getragen habe.
Ich habe dir etwas verhehlt, feit lange, und
das bedrüdt mich; denn zwiſchen Freunden,
wie mir, it es ein ag, AA
„Ein Unreht? Du, Gudula —? rief er
in nicht geringer Spannung.
„Ih muß weit ausholen,” fuhr fie fort,
„wenn ich dir alles ſagen foll. Ich war ein
Hleines Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren,
und für mein Alter noch fehr ein Kind. Die
Yeontine wurde damals von jedermann eine
große Schönheit genannt, und ich ſchwärmte
auch für fie, und freute mich immer, ihr au be:
gegnen. a, meine Schwärmerei wuchs, als
jie mich einmal freundlich bei der Hand nahm,
mich nad) allen in unferm Haufe fragte, end:
ih audy nach dir, und ich ihr befonders von
dir allerlei erzählen mußte. Ich that es, find:
lich aralos und freute mi, daß jie fo gern
von dir hörte. Denn von nun an rief fie mich
faſt täglih auf meinem Schulwege an, war
537
zärtlich gegen mid) und nahm mir mit höchiter
Aufmerkſamkeit von den Lippen, was ich hi
über dich mitteilen fonnte. Nun, du darfit
überzeugt fein, daß es jehr harmlofe Mitteilungen
waren! Einmal aber — Hanno, nun fommt
mein Geheimnis! ch kann es nicht länger ver:
fchweigen. Einmal wurde ih abends noch fort:
geſchickt, es war nach der Apothele, da der
Vater ſchnell etwas nötig hatte, umd als ich
an den Kleinen Garten des Hauptmanns fomme,
erblide ich zwei junge Leute, die fih umjchlungen
Bon und küſſen. Ich erjchraf ſehr, ala ich
eontine und * erkannte.“
Mit einem Ausruf der Ueberraſchung, des
Widerwillens und der Scham wendete ——
ſich ab, als wollte er ſein Geſicht vor Gudula
verbergen.
Das junge Mädchen aber fuhr fort: „Ja,
Hr erfchraf, aber e3 war bald vorüber. Denn
ih konnte mir nun Zeontinens Fragen erklären,
und dachte mir, daß ihr beide ja wohl zus
fammengehörtet, denn ich vernahm ja nun öfter,
wie ihr auf Bällen miteinander tanztet, eud)
in Gejellichaft jahet, und jo meinte ich, wenn
das eine erlaubt jet, werde eö das andre wohl
auch. Noch war ich findlich genug, nicht weiter
daran zu denken. Erſt —— du abgereiſt
warſt, und längere Zeit darüber vergangen,
fam mir, bei der Nachricht von Leontinens
Verlobung mit Herrn von Ellerjtedt, die Er:
innerung an jenen Anblid wieder. ch erfchraf
jest Schon mehr, zumal ich ein Jahr älter ge:
worden war. Zugleich aber tauchten beun:
ruhigende Gerüchte auf. Leontine follte ein
älteres Verlöonis gebrochen haben. Andre wollten
Zeugen einer gleichen Situation gewefen fein, wie
ich jte gefehen, aber niemand wußte auf eine
bejtimmte Verlönlichkeit hinzumeifen. So war
ic allein die Wifjende, ängjtigte mich im ftillen,
dak nodı andere dich erfannt haben möchten,
und mußte auch meine Teilnahme verbergen,
denn ich dachte mir, daf ihre Untreue dich tief
jchmerzen würde.‘
„DO, Gudula!“ rief Hanno. „Es ift ab:
iheulih, daß du, ein harmlofes Kind, diefer
elenden Thorheit Zeuge fein mußteſt!“
„Und doch —“ nahm Gudula wieder das
Mort: „Und doch war es vielleicht befjer, daß
nicht andere, jondern ich allein dich erfannt
hatte. Es wäre viel Gerede darum gemwejen
und würde dem Vater und Theodoren gegen:
über Unangenehmes für dic) daraus erwachſen
fein. Und nun, lieber Hanno, bin ich froh,
daß ich mir mein Geheimnis vom Herzen her:
untergeiprodhen habe! Ich dachte nicht, daß ich
e3 jemals über die Lippen bringen würde, ob:
gleich es mich dir zn bedrüdte, und wer
weiß, ob ich es gekonnt hätte, wenn ich nicht
538
einer Art von Notwendigkeit gewichen wäre.
Die verdüfterte Gemütölage, welche dir das
Miederfehen und der erneute Verkehr mit Leon:
tinen gebracht hat, brach endlid) mein Wider:
jtreben und bewog mid) zum Belenntnis.’
„Nun aber genug davon, teure Gudula!“
fagte Hanno. „Das weitere foll nicht zwiſchen
uns beiden verhandelt werden!‘
„Es wäre dody gut und würde dich be:
ruhigen!” entgegnete e. „Hier kann gar nicht
davon die Nede fein, daß ich mid) in dein Ge—
heimnis drängen wolle, den eriten Teil des:
jelben fannte ich feit lange, den Verfolg in der
legten Zeit haft du mir zwar nidt erzählt,
aber ich habe ihn erraten, da ich eben den An:
fang wußte. Zwar, daß es fo, gerade fo
fommen würde, dachte ich nicht, obgleich — es
denkbar war. Und, glaube mir, daf ich es im
ganzen dod) beruhigt abgewartet habe! Denn
ich kannte Dich zu gut, um anzunehmen, daß
Leontine did; noch einmal dauernd feſſeln könne.
Denn, wie mir ıhr Charakter inzwiſchen deut:
lid) geworden war, mußte, ja, ed mußte ein
Ende nehmen!”
„Ein Ende, ja!” ſagte Hanno, „aber nicht
durd; meinen gejunden Verſtand, ſondern mit
einer Niederlage meiner Thorheit!“
„Du nimmit die Selbtanklage zu quäleriſch!“
entgegnete Gudula. „Daß Yeontine durd ihre
Schönheit, durch ihr Weſen anzieht und fejlelt,
ift eigentlich ſelbſtverſtändlich. Selbſt unfer guter
Pater iſt hingeriffen von ihrem Anblid, und es
würde mic) gar nicht wundern, wenn vor feiner
Phantafie bereits ein Gedicht ſchwebte, etwa
‚Die Schöne Amazone‘ betitelt. Und ſelbſt unsre
Schweſter Theodore, die ſonſt Frauenfehlern
gegenüber nicht nachſichtig iſt, kann wenigitens
das Denken über dies pfychologiiche Nätfel nicht
los werden.‘
„Gudula!“ rief Hanno plößlih, indem er
des jungen Mädchens Hand ergriff. „Wirft
du mir glauben, wenn id) dir verjichere, daß
ich während meiner Verirrung di), dich den:
noch im Herzen getragen habe?
Sie entzog ihm leife ihre Hand, und Die
Augen rein und offen zu ihm gewendet, jagte
fie: „Sa, ich glaube es! Ich weiß, daß du mir
gut bil. Und id — du mußt es doch auch
willen! Ich wäre dir gut geblieben, jelbit wenn
Leontine dir ihre Hand gereicht hätte! Freilich,
das Unglüf mußte dann groß werden — aber
das war ja unmöglich!‘
Er fühlte ſich ergriffen von ihrer Aufrichtig:
feit, ihrem jungfräulich reinen Wefen und ein
Seufzer drang über feine Lippen. „Wie ſchuld—
bewußt ich mic) gerade vor dir fühle,“ ſagte
er, „vor dir, Gudula — ich wollte, ich könnte
es dir ganz ausſprechen! Denn, wenn ic) aud)
— — —— — — ——
— — —— — — —— — — —
Otto Roquette.
an dic) dachte, eine verächtliche Leidenſchaft hat
mid) dir doc treulos gemacht —“
„Treulos?“ unterbrad) jie ihn in munteren:
Tone. „Nun machſt du mich beinahe lachen
über dein Schuldgefühl! Du haft mir nicht ver-
ſprochen, immer an mid) zu denfen und hattejt
feine Verpflichtung dazu! Wenn du in deine
gelehrten Arbeiten dich vergräbit, und dich mit
Leidenſchaft an römische Inſchriften verlierft,
wirft du did) dann auch treulos gegen mich er:
flären? Bon folden Spitzfindigkeiten darf nicht
die Nede fein! Kurzum — ich rate dir, mache
= auf den Weg nad) dem jchönen Lande der
gelehrten Inſchriften und fonftigen —
mittel! Deine Abreiſe wird nicht auffallen. Die
Zeit, die du uns zugedacht hatteft, iſt herum—
gegangen, die Bequemlichkeit zur Arbeit durch
Thaſſilos Krankheit abgebrochen. Er felbft ift
bei uns gut aufgehoben. Der Vater wird
deinen Entſchluß ganz natürlich finden; Theo:
dore, die, jo Flug fie fonft ift, Diesmal von der
Urjache deines Trübfinns doch nichts gemerkt
hat, kann aud) über deine Abreife feinen Ver:
dacht ſchöpfen. Alfo reife! Und wenn du
wiederfommft — nicht wahr? — bift du wieder
der Alte!“
Hanno Sprang auf. „Gudula!“ rief er, „Du
gibjt mir Freude, Selbitvertrauen, Ruhe des
Herzens wieder! Deine Güte hat alle Schatten
aus meinem Gemüte wieder verſcheucht. Na,
du haft recht, ih muß und ich will fort, und
als ein geſunder Menſch wiederkehren!“ Er
kniete plöhlich vor ihr nieder, ergriff ihre Hände
und küßte ſie. „Und dann — dann, Gudula?“
Dr er fort, indem er fie mit glüdlichen Augen
anjah: „Was foll dann mit uns beiden ge:
ſchehen ?
Sie erhob ſich ſchnell, und trat von ihm
zurück. „Nicht weiter, Hanno!“ entgegnete ſie
mit ruhigem Ernſt. „Der Vorſatz, in dem ich
dich hier aufſuchte, geht nur bis zu deiner Ab—
reiſe. Ueberlege ſie jetzt und komme bald zum
Entſchluß! Ich verlaſſe dich in dem Vertrauen,
daß du meine Abſicht ehrſt, und — dich nun
recht vernünftig beträgſt!“ Sie nickte ihm freund—
lich zu und ſchritt hinweg. Er ſah ihr nach, bis
die anmutige Geſtalt zwiſchen den Bäumen
verſchwunden war, dann atmete er tief auf,
wie im Gefühl innerſter Befreiung.
Und wie es wohl geſchieht, daß ein Wort,
eine Bezeichnung, die in einem beſtimmten
Kreiſe, —* im Ernſt oder Scherz, geläufig
geworden iſt, uns einfällt, um in anderer Be—
ziehung eine gewiſſe Bedeutung zu gewinnen,
ſo boten ſich ihm die vielgenannten Sieben—
ſchläfer plötzlich zum Gleichnis für ſeine eigene
Lage dar. „Ja!“ ſagte er zu ſich ſelbſt, „auch
ich habe geſchlafen, bin in wüſtem, verwirrendem
Siebenichläfer,
Traume gewandelt, u in halbem Bewußt:
fein meines bejjeren Selbjt zwiichen Kae
und Erwaden ringen, bis ein Morgenruf mi
au neuem Bewußtiein wedte! Dank dir, holde
Mahnerin! Du bleibit meinem Dafein ver:
bunden, einzig, wandellos, ewig —!“
Schon einige Stunden darauf, am Abend,
fand er die Familie auf feinen Reifeplan vor:
bereitet. Der Konreftor wollte fich eher wun—
dern, daß Hanno fo lange bei ihm ausgehalten;
Iheodore bedauerte, daß er nicht noch ein paar
Tage zugeben wollte, hatte aber fonjt nichts
einzumenden, zumal er verſprach, aus Italien
wieder bei den Seinen einzutreffen und nod)
einige Zeit mit ihnen zu verleben. Die Ab:
reife wurde auf übermorgen feitgefegt. Gudula
war heitrer, als man Te ſeit lange gejehen,
und ließ fih von der älteren Schweiter aus:
ichelten, daß fie über den Abſchied fo ver:
gnügt fei.
Als fih Hanno von feinem jungen freunde
verabichiedete, jtand er zugleid mit Gudula
vor feinem Yager. „Es ift recht dumm, u
TIhaffilo, „daß ich dich nicht nad) Italien be:
Beer fann, was ich im jtillen eigentlich ge:
offt hatte! Da ich aber doch einmal wieder
ein horizontales Dafein zu führen habe, fo tft
mir’s lieber, ich liege e3 hier ab, als draußen
auf dem Gute — obgleich auch da jett die Luft
rein ift. Tante Adelgunde war heute nad):
mittag da, mit der Nachricht, daß Frau von
Ellerſtedt bereits weg ift, zu Verwandten Falken: |
bergs, bei welchen auch die Hochzeit fein fol.
Hoffentlich werde ich nicht eingeladen, denn id) |
müßte ja doch danken! Inzwiſchen bleibe
ich hier, bis du zurückkehrſt — ich habe das |
mit Vater Wolmar bereits abgemadht — und
laſſe mid) durch Fräulein Gudula in der Botanik |
unterrichten. Sie hat es mir verſprochen.“
Gudula bejtätigte es lächelnd, und als Hanno
fie betrachtete, mußte er innerlich laden, daß
er jemals einer Negung von Eiferfucht hatte
Raum geben fönnen. —
Etwa vierzehn Tage nah Hannos Abreife
war Thaſſilo wieder auf den Beinen und im |
Garten, zwar nod an einem Stode gehend,
aber doc mit der Ausficht auf baldige völlige
Herftellung. Als der Konrektor ihn eines Tages
vor feiner Bücherfammlung fand, nad) einer
Stelle im Homer blätternd, machte er ihm den
Vorichlag, fich täglich eine oder paar Stunden
gemeinfam mit ihm zu befchäftigen. „Es wäre
hübſch,“ meinte der Alte, „wenn wir es mit
einer Tragödie des Sophokles ariechiic ver:
ſuchten, oder unjern lieben Homer vormähmen!“ |
Thaſſilo war gleich einverftanden, zumal er auf
eine Nusfüllung feiner Tagesftunden bereits zu |
denfen hatte.
539
So ſaßen fie eines Morgens über dem
Sopholles, als Frau Theodore die Studien
unterbrach, mit der Nachricht, er; ein junger
Menſch den Hausherrn zu ſprechen wünſche.
Er wurde in das Arbeitszimmer ggeiajien,
und Thafjilo begrüßte ihn mit dem Willfom:
mensruf: „Die zweite Klarinette!” Er ging auf
ihn zu und reichte ihm die Hand: „Sie find
wieder wohl auf!” rief er, „und ſchon weiter
als ich, der ih nodh am Stode nachhinke!“
Die zweite Klarinette, oder vielmehr Peter
Muhl, wie fi) ihr Name herausftellte, ſprach
ein tiefes Bedauern aus, daß der junge Herr
um ihretwillen ſelbſt einen Unfall erlitten,
und wußte dem Konrektor zu danken für das
Unterfommen und die guiege, die er an ihn
hatte wenden lafjen. „Bin ich jet wieder ganz
efund,” fuhr er mit feinem böhmischen Accent
ort, „und gefünder als früher und fann ar:
beiten.”
Peter Muhl, ein junger Burſche von etwa
dreiundzwanzig Jahren, ſah in der That jetzt
viel rüftiger aus, als in feiner früheren Ver:
fafjung als Siebenſchläfer.
Bun denn,“ begann der Konrektor, „fo
wirt du wehl deine ehemaligen Genoſſen auf:
juchen, um mit ihnen, Klarinette blajend, weiter
zu wandern? Ich kann mir denken, daß es um
das Reiſegeld ſchlecht genug bejtellt iſt.“
„Rein, gnädiger Ser entgegnete Peter
Muhl. „Ich will nicht mehr blafen und wan:
dern, möchte lieber einen Dienft haben in der
Nähe, wenn Sie mir verfijaffen wollten. Ich
fann dienen in Haus und Hof, und graben
und alles thun im Garten. Ich bin vom Lande
und hab’ von — gedient, bis ich das Blaſen
erlernte. Und ich that es nur, um mir bei der
Muſik zur —— und zu Hochzeiten noch
etwas zu erwerben. Denn ich habe früh keine
Eltern mehr gehabt und mußte ſelber zuſeh'n.
So hab' ich daneben immer bei der Muſik ge—
ſpielt, bis die anderen kamen und mich über—
redeten, mit zu wandern. Aber ich hätte
es doch nicht mit ihnen ausgehalten. Jetzt
möcht' ich wieder arbeiten, wie ich es gewohnt
war. Sie haben Haus und Hof und ſo großen
Garten, wenn ich — wenn ich könnte vei
Ihnen —“
„Hm!“ machte Herr Volmar und ſchien zu
überlegen, indem er die Geſtalt Peter Muhls
aufmerkſam prüfte. Frau Theodore aber, welche
während der Verhandlung vorſichtig im Zimmer
geblieben war, erichraf bei dem Gedanfen, daß
der Vater einen Bagabunden in Dienft nehmen
fünnte. Der Poſten, zu welchem derjelbe ſich
angeboten hatte, war nämlid wirklich frei,
man hatte ſich vergeblid) nad} einer zwedmäßigen
Beſetzung umgejehen, und jich inzwifchen etwas
540
— behelfen müſſen. „Dieſer Burſche hat
ſicherlich Wind davon bekommen,“ dachte Theo—
dore, „und ſucht ſich hier einzuſchleichen.“ Sie
unterzog daher die Geſtalt des Erſatzmanns
einer nicht minder aufmerkſamen Prüfung, und
mit nicht ſo wohlwollender Geſinnung, als der
Konrektor ihm entgegenzubringen ſchien.
„Hm!“ fuhr der Hausherr fort. „Das ginge
doch nicht jo unbedingt. Eine kurze Probezeit
müßteft du immer erjt bejtehen. Etwa eine
Mode.”
„ech, Lieber Vater —!“ wollte Theodore
einwenden, wurde aber von einem ernit be:
ſchwichtigenden Blide zurüdgemiefen.
„Etwa eine Woche, fage ich!“ nahm der
Konrektor feine Nede auf. „Das jchließt nicht
aus, daß, wenn du dic) übermorgen oder jchon
morgen übel beträgit, oder dic) unbraudbar
zeigſt, ich dich fofort wieder wegſchicke. Du
haft jedenfalls auf der Wanderfchaft noch ſchlim—
mere Dinge gelernt als das Blafen in eurem
Quintett, welches an fi jchon etwas jehr Be:
denfliches iſt. Du darfit daher in deiner Probe:
zeit die Klarinette nicht berühren, und von
diefer Enthaltfamfeit wird dein fünftiger Dienft
bei mir mit abhängen.“
Peter zog fein Inſtrument haftig aus der
Nodtafche, wollte eö dem Hausherrn über:
reihen und in Verwahrung geben, mit der Ver:
ag daß er der Kunit auch wohl ganz ent:
agen könne.
„Keineswegs! entgegnete der alte Herr.
„Du wirft das verführerifche Werkzeug in deiner
Nähe behalten, und deine Entjagungsfähigfeit
daran prüfen. Merfe wohl! Höre ich did in
deiner Kammer Klarinette blafen, fo wird Dies
ein Zeichen fein, daß du wieder hinaus willft
und noch desjelbigen Tages wirft du entlafjen.
Und fo wollen wir es einmal verfuchen, mein
Sohn! Am übrigen wird meine Tochter dir
deine Beichäfttqung anweiſen.“
Der für feine Probezeit Geworbene machte
ein jehr beglüdtes Gefiht und wollte dem
Haushern die Hand küſſen. Frau Theodore
aber, welche wohl wußte, daß es feinen Wider:
ſpruch gab, wenn der Vater einmal feinen
Willen fund gethan, ſeufzte und beſchloß, ein
wachlames Auge auf Peter Muhl zu haben. —
Daß nun die Briefe aus Ntalten, und zwar
in jeder Woche einige, Jämtlid an Gudula ae:
richtet waren, wunderte bald feinen mehr im
Haufe, ja man jchien ſich mehr und mehr dar:
über zu freuen, zumal Gudula in jehr heitrer
und alüdlicher Stimmung war. Dieſe teilte
fih allen mit, und fo verflofjen ihnen die
Sommertage rafch und ungetrübt.
Da machte Thaffilo Beobahtungen an dem
alten Herrn, die ıhn mit einiger Beforanis er:
Otto Roqueite.
füllten. Der Konreftor fing an bei der arie:
chiſchen Lektüre die Adverbia zu verwechieln,
falich zu überfegen, er war zumeilen fo zer:
itreut, daß der Jüngere ihn fortwährend hätte
verbeffern müffen. Diejer ließ es zwar auf
ji beruhen, fonnte aber nicht umhin, jeine
Beobachtung den Töchtern mitzuteilen. Aber
beide waren ohne Bejorgnis und ftimmten in
ihrer Annahme überein, ald Gudula lächelnd
ſagte: „Ich denke, die Urfahe wird eine neue
Dichtung fein, über deren Ausführung der
Vater noch nicht entjchieden iſt.“
Sp war es in der That. Aber nicht ein
Gedicht ging dem Konrektor im Kopfe herum,
fondern ihrer drei auf einmal, und Diejes
Uebermaß von poetischen Stoffen machte der
Geftaltungsfraft des waderen Boeten arg zu
Ihaffen. Peter Muhl hatte ihm nämlich im
Garten die herzbrechende Geſchichte feiner Hin:
derjahre, ſowie das Unerfreulihe feiner mufi:
kaliſchen Wanderschaft ausführlich erzählt. Diefer
Bericht erfchien Herrn Volmar zu einer Dichtert:
hen Bearbeitung ganz geeignet, zumal Dabei
an Perſönliches und Häusliches anzufnüpfen
war, wie er dergleichen liebte. Das Gedicht
fonnte den Titel führen: „Der gerettete Yand-
ſtreicher“, oder „Das Aſyl im Bürgerhaufe‘,
und der Stoff ericdien ausgiebig genug, um
viel zu jagen. Nun aber war vorher ſchon
ein Stoff jo ziemlich) herangediehen, welcher
ſich auf Thafjilos Niederlage bezog, und als
„Des Jünglings Genefung” viel Ynziehendes
und rührend Darftellbares hatte. Beanjpruchten
diefe beiden Themata aber bereits die aleiche
innere Teilnahme, fo trat ein dritter Stoff,
fogar mit noch älteren Ansprüchen hervor, und
drängte zeitweife die beiden jüngeren etwas
rüdjichtslos beifeite. Herr VBolmar hatte näm—
[ih in jenem Begrüßungsgediht an Hanno
die Siebenichläfernadht nur nebenfähhlich behan:
delt, und für eine bejondere Bearbeitung zu:
rüdgelegt. Dieſe letztere follte nun mit feinem
Waldgange beginnen, die merkwürdige Erjchei:
nung des Jünglings im Eingang der Yeljen:
ichlucht Schildern, dann das Gefpräd mit ihm
und die Löſung der märhenhaften Scene durd)
den Begrüßungsruf Hannos. „Die neuen
Siebenſchläfer““ boten zahlreihe, höchſt an:
regende Momente und gewannen an manchen
Tagen den Vorrang vor den beiden anderen
Stoffen. Vielleicht fonnten fie auch alle drei
in eine Beziehung zu einander gebracht und zu
einem anfprechenden Ganzen vereinigt werden.
Nod aber lebten diefe drei Stoffe getrennt
voneinander, und bejtritten einander die Stun:
den zu ihrer Entfaltung. Hier hieß es nid:
„Leicht bei einander wohnen die Gedanten,
doch hart im Raume ftoßen fih die Sachen“
— ——— — —
Sicbenfchläfer.
— nein, die Gedanfen wohnten nicht jo leicht
bei einander, fondern als ganz böje Nachbarn,
denn jeder pochte gewiljermaßen auf jein eignes
Hausrecht. Sprad „Des Jünglings Genefung“
janft und verjöhnlich, jo fuhren „Die neuen
Siebenſchläfer““ in geſchloſſener Gruppe drein,
um ihn zu überfchreien, Dann nahm 6 „Der
gerettete Landſtreicher“ wohl des erjteren an,
und hoffte mit ihm Hand in Hand das Feld
zu behalten, fonderte ſich doc aber wieder ab,
denn er wünſchte, wie Homunfulus, ſelbſt zu
„entſtehen“. Der Kampf diefer drei Elemente
machte die innere Werfitatt des quten alten
Poeten jehr geräufchvoll und aufrühreriich, To
da Herr Volmar von feinen Spaziergängen
nur verworrener heimfehrte, und aud) in der
Familie feine Zerjtreutheit nur Schwer bemeiftern
fonnte. Aber er hoffte dennod des Uebermaßes
Herr zu werden und das Dreiblatt nad) und
nad) herauszugeftalten.
Beichäftiat, wie er, waren aud) die übrigen
im Haufe. Gudula ſchrieb Briefe — lange, aus-
führliche Briefe, denn fie hatte Hanno die
größte Ausführlichleit veriprochen, So konnte
ie als Neueftes auch die Aufnahme des Sieben:
ichläfers Peter Muhl in das Haus mitteilen.
Ferner, dab Thaſſilo bereits weite MWande:
rungen anftelle, um zu botanifieren; daß Frau
von Hoberg aus dem Bade zurüdgefehrt jei,
in leidlichem Befinden, und ihnen einen Beſuch
gemacht habe, Tante Adelgunde jogar öfter bei
ihnen vorſpreche, und dab man fich in Thaſ—
jilos ferneren Aufenthalt bei ihnen denn ohne
zu erzählen, woran der Empfänger der Briefe
teilnahm, aljo durften fie lang werden.
Frau Theodore aber wachte über “Peter
—
—
Muhl, anfangs mit ernſter Sorge, dann mit
ruhigerer Beobachtung. Denn die erſte Woche
verging und die zweite, die dritte, ein Monat
und mehr, und Peter blies weder Klarinette
noch zeigte er andere hervorragende Untugenden.
Er verjtand tüchtig zu arbeiten, hielt Hof und
Garten in Ordnung und erwies fi) als an:
jtelligen und leidlichen Burſchen. Er war jo:
gar ein Taufendfünftler, fchnitt Blumenftäbe,
verjtand jih auf Maufefallen und hatte ein
Gejhid, den Maulwurf abzufangen. Schon
mehrere der Schwarzen Gartendurhwühler waren
von ihm ertappt und erlegt worden. Er fonnte
aud VBogelbauer machen, und beflagte, da |
541
den Gebilden feiner Phantafie; nur der jüngjte
Hausgenojje fing an gegen Ende des September
das Winterfemeiter zu erfehnen, um als wirt:
liher Student die Univerfität zu beziehen.
Da fam ein klarer Herbjtmorgen, der einen
Freudenſturm im Haufe erwachen ließ. Dies:
mal erſchien der Heimfehrende nicht überrafchend,
jondern hatte jeine Ankunft gemeldet. Und
als Hanno unter den Familiengliedern diesmal
auch Gudula jubelnd in die Arme ſchloß, und
fie es errötend gejchehen ließ, fand niemand
etwas Auffallendes darin. Nun ging es in
der erften Stunde an das Erzählen. Hannos
Beſuch jollte diesmal doh nur kurz fein, da
er für feine neue Stellung bereits begehrt
wurde. Daß Thaſſilo an derfelben Univerfität
jeine Studien beginnen follte, verjtand ſich für
alle Teile von ſelbſt. Und nad) wieder einer
Stunde, da Hanno und Gudula ſich allein
geiprochen hatten, trat ein glüdjeliges Paar vor
den Vater, der feine Kınder gerührt in die
Arme ſchloß. Es wunderte fi auch darüber
niemand, aber die Stimmung aller war feit:
ih und gehoben.
Nachmittags aber, da man fröhlid unter
dem Nußbaume beifammenfaß, erichollen plöß:
lid) Töne, welche erjchütternd durd) alle Nerven
fuhren.
„O heilige Romantik!” fchrie Thaſſilo. „Es
find die Unfren! Die Siebenſchläfer!“ Er fprang
aus dem Garten auf die Straße.
Ya, fie waren es! Ihre Nomantif war auf
| R | der Sommerreife nur noch verwilderter, haar:
viel Umftände gefügt habe. Es gab ja jo viel |
dergleichen für den Hausbedarf abgelehnt wurde. |
Um fo jchneller war er bei der Hand, wenn
ihm von Iheodore oder Gudula etiwas aufge:
tragen ward.
sa, ſie waren alle befchäftigt: Theodore
jet Schon mit der ferneren Politur Peters;
Gudula mit Briefichreiben; der Konreftor mit
iträubender geworden. Die Frechheit der erften,
jet einzigen Klarinette, ging ins maßlofe!
Das erſte Waldhorn mußte feine Studien bei
dem Grauenhaften und Erjchütternden gemacht
haben, die Bofaune jchien ſich auf das Weltgericht
vorzubereiten. Nur von dem zweiten Wald:
horn war, wie vordem, nichts Sonderliches zu
jagen, als daß es, wie die übrigen, immer
falſch einſetzte.
Als Peter Muhl im Garten dieſe Klänge
vernahm, ließ er einen faſt ergriffenen Maul—
wurf fahren und eilte fort, nicht um nach ſeiner
Klarinette zu greifen, und ſich anzuſchließen,
ſondern um die einſtigen Genoſſen vor der
Hausthür mit lebhafter Rede zur Ruhe zu
verweiſen. Sie hörten wirklich auf, an
über feine Begegnung und die Eröffnungen,
welche er ihnen über feine dienftliche Stellung,
jeine Wandlung und fein Glück machte. Das
zweite Waldhorn hörte ihm mit aufgerifjenen
Augen an und hätte Luft gehabt, mit ihm zu
a Pi und wer weiß, ob dos erſte nicht ähn:
liche Neigungen fühlte, wenn nur der Gedanke
an Arbeit und an einen Dienjtheren nicht ſtö—
rend gewejen wäre. Die Klarinette aber lachte
542
verächtlih, und die Bojaune ſprach wegwerfend
über Peter Muhls Abtrünnigfeit.
Während dies draußen vorging, fagte Hanno
zu den Seinen: „Ob, ich bin jo glücklich, daß
ich alles un mich her glüdlidh wifjen möchte,
wär's aud) nur auf eine Stunde! Ich bewirte
meine Siebenjchläfer! Sie waren auf eine Nacht
meine Gefährten, fie follen etwas von meinem |
Feſte ſpüren!“
„Ja doch!“ entgegnete Theodore. „Du wirſt
uns doch auch einen Teil an der Bewirtung
önnen, zumal ih die Schlüſſel zur Speife: |
ammer führe!” Sie fchritt hinaus und Hanno
begab ſich zu den Mufifanten. Seine Ein:
ladung zu einem Imbiß wirkte überrafchend
und bedeutend, und wurde nicht abgelehnt. Und
als in den Hof dann ein Tiſch und vier Stühle
—5* wurde, Brot, Fleiſch und das gute
etränf erſchienen, welchem man lebhaft zu:
ſprechen durfte, da fchienen ſelbſt die Klarinette
und die Bofaune — und dachten nicht mehr
ſchlecht von Peter Muhl.
ſchläfer waren voll Dankes und nahmen es
nicht übel, daß man ſich das Ständchen verbat,
mit welchem ſie ihrem Abſchied eine größere
Feierlichkeit geben wollten. Die einſtige zweite
Klarinette ſah ſie mit Genugthuung wandern
und ſegnete das beſſere Los, das ihr zuteil
geworden.
Drei Siebenfchläfer blieben zurüd, jeder
beglüdt in eine ſonnige, felige Zukunft blidend,
und erfüllt vom Genuß des jchönen Tages, der
fie mit den übrigen Hausgenofjen vereinte. Das
Herz des alten Konreftors quoll über von freu:
diger Rührung.
Die vier Sieben: |
!
|
|
Denn hatte er in der lebten
Zeit, unterftügt durch Theodorens Winke, aud) |
wohl vermutet, daß Gudula und Hanno fid) für
das Leben gefunden, fo war die Gewißheit doc)
nun im tiefften Herzen beglüdend. Freilid milch:
ten fich in diefes Glüd auch einige Heine Be: |
forgniffe. Hanno behauptete, es jei nicht nötig,
lange mit der Hochzeit zu zögern.
doc ein Hochzeitsgedicht nötig, und wenn nicht
nötig, fo war es ihm Bedürfnis, denn fein
Gemüt hatte joviel zu fagen und auszufpreden.
Leider aber waren weder „Der gerettete Land—
ſtreicher““, noch „Die neuen Siebenſchläfer“, noch
Da war |
|
aud „Des Jünglings Geneſung“ fchon zuftande |
gefommen, obwohl keineswegs aufgegeben, und
es drängte ſich ein viertes dazu, welches ge:
radezu das erite zu fein beanjprucdte. Der
aute alte Poet jchüttelte gedankenvoll den Kopf.
hm Fam zum Bewußtjein, daß, wenn ein
Dichter ſich beitrebt, auch nur das Nächſtliegende
feiner menschlichen Umgebungen und Verhält:
niffe zu bearbeiten, es eine Unmöglichkeit it,
diefe Fülle poetiihen Stoffes zu bewältigen.
Ein Projeß aus der Petersburger Gefellichaft.
Fin Prozeh
aus der Petersburger Geſellſchaft.
—.
icht nur ein Bild von dem Leben und Trei-
ben des einzelnen gibt dem aufmerffamen
Beobachter in den Gerichtsfälen die gegen be-
jtimmte Berfonen erhobene Anklage; jehr Häufig
find diefe Perfonen nur die Nepräfentanten eines
ganzen, fich weit erftredenden Syſtems, find in
ihnen nur die fymptomatiihen Erjheinungen
der Korruption und Demoralifation der joge:
nannten Gejellichaft verkörpert. Der auf ber
Anklagebanf ſitzende Verbrecher ift nur ein
ichlauer Intrigant, der ſich die geheimen Schäden
der Gefellfchaft zu nutze gemacht und aus den—
felben die möglichiten Vorteile für fi heraus:
zufchlagen gefucht hat. Daß ein derartiges Unter:
tauchen in den Sumpf aber fein reinliches Ge—
ſchäft fein kann, liegt auf der Hand, und ebenso,
daß der Charakter deſſen, der ſich damit abgibt,
ein unlauterer fein muß; und da fann es denn
nicht ausbleiben, daß, wenn berartige Gift:
pflanzen allzu üppig wuchern und ſich gar zu
breit machen, die Organe der öffentlichen Orb:
nung Hand anlegen müfjen, um diejelben aus:
zurotten. Nirgends aber ift der Boden für folche
Aftergewächfe ein jo günftiger, als in der ruf:
fiihen, namentlid aber in der Peteröburger
Geſellſchaft. In feinem Lande ift gerade die
fogenannte gute, höhere Gejellihaft vom Ber:
brechen jo durchfeucht als in Rußland; die fort:
währenden Wühlereien des Nihilismus, der ſich
bis in die höchſten Kreiſe erftredt und der mit
brutalem Cynismus das Evangelium des Ber:
brechens predigt, hat feinen forrumpierenden
' Einfluß auf alle Schichten der Bevölkerung nicht
verfehlt. Durch ihn ift das Gefühl für Necht
und Sitte, die Zauterfeit der Gefinnung, Die
Integrität des Wandels volljtändig verloren
gegangen; ftatt deſſen hat fich eine für andere
Nationen faum fahbare Yarheit in der Auffaj:
jung der moralifchen und fittlihen Pflichten breit
gemacht, welche, faum noch übertüncht mit dem
Firnis äußerer Ehrbarkeit, am innerften Marke
der Geſellſchaft zehrt.
So nur war es auch möglich, daß vor dem
Petersburger Gericht in diefen Tagen ein Prozeß
verhandelt werden fonnte, der einjcharfes Schlag:
‚ licht auf die Sittenverfonmnis der dortigen ge:
Ein Peozeß aus der Petersburger Gefellichaft.
ſellſchaftlichen Kreife wirft, obwohl in demſelben
nur einzelne Daten zur Sprache gebracht wur:
den, während das meijte hinter den Coulifien
blieb, die dasfelbe jedoch immerhin nicht dicht
genug verdedten, um nicht manchen Seitenblid
dahinter zu gejtatten: wir jprechen von dem
Prozep gegen die „Schwarze Bande“, welder
weit über Petersburg, ja weit über die rufjiichen
Grenzen hinaus in der ganzen civilifierten Welt
ein berechtigtes Aufjehen erregt.
Auf der Anklagebank fehen wir um zwei
geriebene Gauner Namens Viktor Dubezki und
Alexei Sarudny fih Perfönlichkeiten aus ver:
jchiedenen hochgeachteten Geſellſchaftskreiſen
gruppieren, wie den erblichen Ehrenbürger Ra—
butowski, die Offiziere a. D. Kotowitſch und
Kornilow, letzterer der Sohn des Helden von
Sebaſtopol, welcher einſt ſogar zum Vizegou—
verneur für die baltiſchen Provinzen auserſehen
war; daneben den Bauer Graesnow. Alle dieſe
Perſonen waren durch die beiden erſtgenannten
Gauner, die Häupter der „Schwarzen Bande“,
derart umgarnt, daß ihnen nichts übrig blieb,
als den Anordnungen derſelben ſtrikte Folge zu
leiſten. Erſt Opfer der beiden Hochſtapler, wur—
den ſie mit der Zeit deren gefügige Werkzeuge!
Als die Geſchädigten in dem gegenwärtigen
Prozeſſe treten freilich nur zwei Perſonen auf:
ein junger Edelmann, Korwin-Krukowski, und
die Frau eines Kaufmanns erſter Gilde, Iwa—
nowna; gleichwohl illuſtrieren ſchon dieſe beiden
Fälle, abgeſehen von dem, was gelegentlich der
Prozeßverhandlungen noch zur Sprache kam,
die Thätigkeit der „Schwarzen Bande“ in ge—
nügender Weiſe. Der junge Edelmann Korwin—
Krukowski wurde nämlich von den Gaunern da—
durch gekirrt, daß dieſelben ihr Schweigen von
ihm für den Preis von 5000 Rubeln darüber
erfauften, daß er gelegentlich eines in feiner
Wohnung arrangierten Spieldens angeblid)
„das Glüd korrigiert” hatte. Frau Iwanowna
dagegen, die hübjche Frau eines reihen Kauf:
manns, wurde von den Gaunern in eine Liebes:
intrigue verwidelt, aus der zu entfommen, ihr
nur durch Schwere Opfer möglich fein follte. Der
Angeklagte Graesnom wußte fich derfelben näm—
lich als feuriger Liebhaber zu nähern und ihr
Herz zu gewinnen. Nachdem er die Frau, die
jo thöricht geweſen, fich für eine Witwe aus:
zugeben, gehörig umgarnt, verleitet er diejelbe
zu einem Stelldichein in feiner Wohnung und
hier wird nun die Kalle geſchloſſen: Dubezki
543
und nod) eine dritte, unermittelt gebliebene Ber:
ion, überrafhen das Paar bei feinem Nendez-
vous, geben der bejtürzten Frau zu erkennen,
daß fie volljtändig darüber orientiert find, wer
fie jet, und zwingen fie unter der Drohung, ihrem
Manne Mitteilung von ihrer Verirrung machen
zu wollen, einen Mechjel auf eine gewiſſe Ticho:
mirowa auszuftellen. Aber in dieſen beiden
Fällen hatten die Gauner die Nechnung ohne
den Wirt gemacht. Frau Iwanowna machte
jih, kaum den Händen der Spiehgefellen ent:
vonnen, bald flar, daß fie hier in eine Yage ge:
raten fei, welche doch über furz oder lang dazu
führen müſſe, ihrem Manne ein Bekenntnis ihrer
Verirrung abzulegen; kurz entſchloſſen that fie
daher diefen Schritt fogleih und madte der
Polizei Mitteilung von ihrem Erlebnis. Korwin—
Krufowsti dagegen entſchloß ſich erſt, nachdem
er infolge der eingegangenen Wechfelverbindlich:
feiten feine Stellung verloren, die Hilfe der
Behörden gegen die unverfhämt drängenden
Gauner in Anfpruch zu nehmen, und fo wurden
diefe endlich von dem ftrafenden Arme der Ge:
rechtigfeit erlangt.
Was wir fonjt noch aus den Verhandlungen
über das Treiben der „Schwarzen Bande“ und
namentlich über das Leben der beiden Führer
derjelben erfahren, reiht ſich den beiden zur
Anklage geitellten Fällen würdig an.
Für das Naffinement Dubezfis jpricht, daß
derjelbe im fahre 1872 für den General Lanskoi
einen von einem Rechtsanwalt bereits in allen
Inſtanzen verlorenen Erbſchaftsprozeß dadurch)
gewinnt, daß er eine alte Urfunde des Zaren
Joann Grosni ausfindig macht. Dieſer Pro:
zeß, durch melden Dubezli dem General
79000 Rubel gewinnt, bringt ihm 15000 Nu:
bel ein. Bald darauf aber wird Dubezfi aus
Petersburg ausgewiefen und begibt fich nad)
Nizza, wo er einen jungen Rufen Rajchetom
fennen lernt und im Spiel um 15000 Rubel
betrügt, worüber ihm letzterer Wechſel ausitellen
muß. Später fommt Dubezfi nad Berlin und
vet dort durch einen Fußfall vor dem Kaiſer
Wilhelm bei einem Spaziergange des letzteren
defjen Herz zu rühren, jo daß ſich, nach Angabe
eines Zeugen, die deutſche Botſchaft für die
Rückkehr Dubezkis nach Petersburg verwendet,
und ihm infolgedeſſen dieſelbe auch wirklich ge—
ſtattet wird. In Petersburg ſucht Dubezki als—
bald den jungen Raſchetow, deſſen Bruder eine
geachtete Stellung im dortigen Appellhofe ein—
ug
Bermann Sriedrichs.
544
nimmt, wieder auf und bedrängt denjelben mit |
den in Nizza auögeitellten Wechjeln derart,
daß Raſchetow fich eine Kugel durch den Kopf
ſchießt.
Aber der Gauner weiß auch den Zufall
wohl auszubeuten. So iſt er eines Tags auf
der Straße ganz zufällig Zeuge des Geſprächs
zweier ihm völlig unbekannter Damen, aus
dem er erfährt, daß eine derſelben ein Verhält—
nis mit einem bekannten Herrn hat. Sofort |
heftet er fih an die Ferſen der Unbekannten,
fundichaftet Namen und Wohnung derjelben |
aus und ftattet ihr einen Bejuch ab, um fi
ihr als Mitwiffer ihres Geheimniffes vorzu:
jtellen und Schließlich gegen einen Wechfel von |
1000 Rubel fein Schweigen erfaufen zu lajjen.
Zugleich weiß der raffinierte Hochitapler die Dame
derart von dem Mohlmwollen feiner Gefinnung
zu überzeugen, daß dieſe ihm die Briefe ihres |
Geliebten zur Vernichtung überläßt. Aber Du:
bezti wird doch dies fojtbare Material nicht fo |
ohne weiteres verjchwinden laſſen! Zunädjit |
begibt er jich daher zu dem Liebhaber und läßt
fih von diefem noch einmal 1000 Rubel für
fein Stillſchweigen zahlen.
Außerdem treiben Die Genoſſen der „Schwar:
zen Bande” ihr Wefen als Heiratsvermittler.
Ein Stubenmädchen Dubezkis heiratet 3. B. |
einen Oberften, und einem anderen Stuben: |
mädchen, der bereits erwähnten Zeugin Ticho—
mirowa, wird fogar ein General zugefagt. a,
der Angellagte Alerei Sarudny verichmäht es
fogar nicht, gelegentlih den Polizeifpion zu
machen. Die Hauptthätigfeit der Bande be:
jteht aber in Erpreflungen, namentlid) beim |
Kartenfpiel, und das Geſchäft florierte, das be: |
weifen die Wechſel, die im Befise der Ange:
flagten gefunden wurden und die eine Höhe von
20000 Rubeln erreichen. |
Aber auch nicht ohne einen aufregenden
Zwifchenfall follte diefer an ſich jchon jo fen:
jationelle Brozeh verlaufen. Während der Ver:
teidigungsrede Dubezkis auf das ſcharfe Plai-
doyer des Profurators Sablin ertönte plötzlich
im Zufchauerraum ein Schuß, der einen unge: |
heuren Tumult im Publitum hervorrief. Den |
Schuß hatte die Tochter Dubezkis, eine Frau |
Kunizin, auf fich abgefeuert, ſich jedoch dabei
nur leicht an der Hand verlett. Kaum hört
jedoch Dubezki den Namen feiner Tochter nen-
nen, als er in eine furchtbare Aufregung gerät,
eine neben ihm ftehende gefüllte Waſſerflaſche
Die junge Pompejianerin.
erareift und ich mit derfelben derart auf den
Kopf ſchlägt, daß fie zeriplittert und er blut-
überftrömt zu Boden finft. Erſt nad längerer
Unterbredung und nachdem Dubezfi aus dem
Saale geihafft, konnte die Verhandlung zu
Ende geführt werden.
Das Urteil lautete gegen Dubezfi und
Graesnow auf zweijährige Zudthausjtrafe,
gegen Sarudny auf fiebenmonatlihe Arbeits:
hausftrafe und gegen die übrigen Angeklagten
auf Deportation nad) Sibirien.
Ob mit der vorläufigen Unſchädlichmachung
diefer Verbrecher die Nachforſchungen über ihre
Thätigfeit ihr Ende erreiht haben werden ?
Obwohl die „Schwarze Bande”, wie aus der
obigen Darjtellung hervorgeht, nody eine weit
ausgebreitete „Praxis“ hatte, fteht dies doch zu
‚ erwarten, da die Petersburger „Gefellihaft “
allen Grund hat, zu wünfchen, daß der darüber
gebreitete Schleier nicht allzufehr gelüftet werde.
O. B.
Die junge Pompejianerin.
Auf den CLeichen-Gips Abguß im Muſeum zu Pompeji.
Don
Dermann Sriedrichs.
Du fiegft ans Eicht; die Aſche, holdes Kind
Die did; begrub, die Aſche wehrt im Wind,
Un deine Bahre tritt die Melt und flaunt,
Bald mehr, bald minder ernft, wie fie gelaunt.
Mir bit du eine Sterbende erichienen.
Die Menge gafft — ich lej’ in deinen Mienen:
Noch ftarbit du nicht; doch wiljend, was dir droht,
Sieht ftill gefaßt entgegen du dem Lob
Und ſchmiegſt im Fall den jeelenvollen Ceib
Der Erde an. © rede, fühes Weib!
Don jenem Schredenstage gib mir Kunde,
Er dic; ereilt die finft're Todesflunde,
Du ſchweigſt — und doch dein ganzes Weſen fpricht:
Gch’, freund, du redeft meine Sprache nicht.
Die Götter rüften zur Gigantenfdrlacht!
Die Nacht bricht an, die ew’ge Todesnacht!
Vergebens firäubt und mwindet fich das Eeben....
Geb’, Taf mich fill ins große Nichts entſchweben.
Eleonore.
545
Sleonore.
Roman von Auguſt Beer.
(Fortiegung.)
re] eber Dräfows blafjes, von der
(| Stubenluft gebleichtes Antlit
flog eine feltene Purpurglut.
Er hatte durchaus feine Eile,
zu antworten, da er zu einer
— Entjhuldigung oder Rechtferti—
Na
gung wenig vorbereitet war. Unruhig Hin: und
herſchreitend, ließ ihm Herbig aud) feine Zeit
dazu, indem er fortfuhr:
„But denn, wenn du nur wirklich der
Knopf auf Fortunas Haube biſt und reichlich
geerbt haft — das andere ift Nebenfache. Ich
fragte aud) nicht aus dem Grunde, weil id) nad)
den Umjtänden bejonders neugierig wäre. Das
Nähere geht mich nichts an, und im Grunde iſt
mir all das höchſt gleichgültig. Ich forjchte nur,
um dir Öelegenheit zu geben, dich über die Lage
mir gegenüber auszusprechen, wenn du Luft
dazu hattejt. Dann find wir darüber hinaus
und können zu MWichtigerem — für mid) nämlid)
— übergehen.“
„So ſetze dich wenigftens! Ich habe bir
allerdings einiges mitzuteilen,” bat jetzt Dräſow
dringend, ernit und gefaßt.
Der Ausdrud feiner Züge war dabei von
jo bedeutfamem Ernſt, daß Herbig nicht umhin
fonnte, feine Bitte zu gewähren, und, wenn
auch widerwillig, ihm gegenüber auf dem Sofa
lat zu nehmen. Zwar nahm er eine der von
Dräſow angebotenen Cigarren an, legte fie je-
doc) bald beifeite, um fich eine aus feiner eige-
nen Dofe hervorzuholen und anzubrennen.
Dann lehnte er fi zurüd, bat Dräſow zu be:
ginnen, und diefer fing mit feiner etwas ſchwa—
hen, wijpernden Stimme an, folgendes mitzu:
teilen:
„Es ift dir wohl nicht unbekannt, daß ich
mit Steuber einmal ziemlich befreundet war.
Die Unähnlichkeit zwischen ihm und mir fonnte
nicht größer fein. Ich weiß noch heute nicht,
was ihn, den geledten, jtußerhaften Weltmann
und Streber an mir jo anzog, daß er mir fein
i
——— ——— — — — — — — —— — ——— —— — —
Vertrauen ſchenkte. Dies dauerte noch fort, als
er ſich in der früheren Welfenhauptſtadt an der
Leine, wo er eine Zeitlang auf den Gerichten
praktizierte, ſterblich in ein liebenswürdiges und
gebildetes Mädchen verliebte, das dort in den
beſten Häuſern verkehrte und als Muſiklehrerin
wirkte. Sie ſtammte aus einer ſehr achtbaren
Beamtenfamilie, ſah ſich jedoch nach dem Tode
ihres Vaters mit der Mutter auf eine kleine
Penſion angewieſen, ſo daß ſie keinen Augen—
blick zögerte, ihr Talent zu verwerten und durch
Klavierunterricht zu erwerben, was ſie mit
der Mutter bedurfte. Gefördert durch die Be—
kanntenkreiſe ihres Vaters in der Stadt, ſetzte
ſie dieſen Erwerb auch nach dem Tode ihrer
Mutter fort. — Steuber hatte das ſchöne,
überall gern geſehene Mädchen zufällig in Ge—
ſellſchaft kennen gelernt und faßte eine heftige
Neigung zu ihr. Er fette alles daran — und
e3 jcheint ihn einige Mühe gefojtet zu haben —
ihre Liebe zu gewinnen. Vielleicht jchmeichelte
es feiner Eitelfeit, — denn ob er überhaupt
eines wärmeren Gefühls fähig tft, ijt mir jchon
früher zweifelhaft gewejen. Vielleiht auch —
doc) ich will ihm nicht zu nahe treten und gerne
annehmen, daß die perfünlichen Vorzüge Pau:
linens ihn allein beitachen. Sie jtand nämlich
in dem Rufe einer hoffnungsvollen Erbin. Ein
Großonkel von ihr lebte finderlos und hoch—
betagt in der Butjahdinger Marſch. Jedenfalls
aber mußte Steuber nachträglich in Erfahrung
gebracht haben, daß die Erbichaft nicht jo be:
deutend jei, ala er erwartet und vorausgejett
hatte; denn eines Tages vertraute er mir un:
verfehens brieflih an, daß fein Ehrgeiz und
feine Zebensluft dennoch in Kollifion mit feiner
Liebe geraten werde, wobei er den Stoßſeufzer
einfließen lie, daß in feinem Beruf mit einer
reicheren Frau eine ganz andere Carriere mög:
lich wäre. Erſt jpäter erfuhr ich, dat Paulinens
Großonkel teſtamentariſch über fein Vermögen
verfügt, verfchiedene Vermächtniſſe an wohl:
Auguft
546
thätige Stiftungen eingejegt und feiner Groß:
nichte nur einen verhältnismäßig befcheidenen,
wenn auch für ihre Bedürfnifje voll genügen:
den Anteil zugemwiefen habe. — Auf jenes
Schreiben Steubers hatte ich jedoch fofort die
Antwort folgen laſſen, daß er verpflichtet ſei,
Treue zu halten, fein Glück als gemwifjenhafter
Mann zu fuchen, und dies auch ficher finden
werde,“
Hier lieg Dräſow eine Paufe eintreten, um
etwas aufzuatmen und die auögegangene Gi:
garre wieder anzuzünden, Wäre er ein fcharfer
Beobachter geweſen, hätte er bemerken müſſen,
daß Herbig ein ſehr unaufmerffamer Zuhörer
war und jet mit einem Ausdrud an die Dede
fah, der genügend darthat, daß fich feine Ge—
danken mit ganz anderen Dingen bejchäftigten.
Doch ſetzte Dräſows Gutmütigfeit volle Teil:
nahme an feinem Bericht voraus, den er, die
rauchende Cigarre immer wieder aus dem
Munde nehmend, aljo fortſetzte:
„Seitdem würdigte mich unfer edler Steuber
feines Briefs mehr. ch fette indes voraus,
meine Mahnung habe gewirkt. Es ſchien aud)
fo. Damals nun hatte ich viel Pech; notge:
drungen zog ich mich noch mehr zurüd, um in
nach Berlin zurüdgefehrt ſei. Doc) jah ich ihn
nie, und er ſelbſt juchte mid) nicht auf. Da er:
hielt ich eines Tags eine anonyme Einladung in
ein befanntes Hotel unter den Linden, und weil
ich dich dorten traf, fonnte ich mir nicht anders
denen, als fie fei von dir ausgegangen. Deine
Aeußerungen jedoch belehrten mich eines Befjern. |
Du erinnerft dich wohl noch des Abends, wo
du mir im Hotel von einer ſchönen Unbefannten
am Oſtſeeſtrand fhmwärmerifch eine wunderliche,
doch Feineswegs inhaltsreihe Geſchichte er:
zählteft? He?“
Herbig wandte den Kopf her, fprach jedoch
nichts, fondern ſah den Freund nur zerjtreut
und abmeiend an.
„Entjinnft du dich noch,“ fuhr diefer fort,
„der jungen Dame, die jenes Abends und noch—
mals am Tage deiner Abreife an uns vorüber |
fam? indem fie das Hotel verließ, hatte fie
mir ein Paket überreichen lafjen, wie du dich er:
innern wirft. Nicht? Weil dein Hopf ganz mit
deiner Oſtſeebekanntſchaft angefüllt war, hatteft |
du die junge Fremde abends vorher für einen |
Kandelaber angefehen.”
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der Arbeit die Mifere des Lebens zu vergeffen. |
Einmal hörte ich wohl, dat Steuber als Aſſeſſor
Boder.
„Ah, richtig! Der Kandelaber!* bemerkte
jest Herbig, vor ſich hinnidend.
„Diejelbe junge Dame — die übrigens mit
einem Kandelaber jo viel Nehnlichkeit hatte, als
id) mit einer forinthifchen Säule oder mit Der
Statue des Sophofles — diefelbe junge Dame
hatte mir jene Cinladung ins Hotel zufommen
laſſen, wie jet das Paket, das id nach deiner
Abreife auf Umwegen durd die Stadt nach
Haufe trug, da ich es erjt 6 Uhr abends öffnen
durfte. Mein Herz pochte — wie Krupps Eifen-
hammer. Denn auf dem Heimmeg war ich Durch
einen Vorfall und durch flüchtige Neben jehr be:
unruhigt worden. Und dann die Neugierde, Die
Spannung, die Erwartung! Du wirft es auch
natürlich finden, denn dich ſelbſt judte es ſchon
damals, hinter das Geheimnis zu fommen. Nun
ſaß ich allein auf meinem ärmlidhen Stübdhen ;
das Paket lag vor mir auf dem wadeligen Tifch.
Gewiſſenhaft erwartete ich die beftimmte Stunde.
Endlich, endlich fchlug es 6 Uhr abends. Aber
noch immer machte ich mich nicht an die Löſung.
Ich zündete erft mit Bedacht meine Lampe an.
Dann jah ich noch eine Weile auf die Siegel des
Pakets, indem ich mich Vermutungen über den
Inhalt desjelben überließ. Nun aber brach ich
die Siegel auf, um hinter das Geheimnis des
Mädchens aus der Fremde zu fommen, wie Du
fie nannteft. Mit bebender Hand hatte id das
Paket geöffnet. Mehrere zufammengefaltete
Papiere lagen darin, Ich war jett auf den In—
halt jo weit gefaßt, daß id) in der That Manu:
jfripte, Iyrifche Gedichte oder ſonſtige belletrifti-
che Produkte erwartete. Doch nein, eö waren
feine Verſe, das jah ich fofort, fondern Akten—
ſtücke, Abjchriften gerichtlicher Dofumente, wie
e3 ſchien ein beglaubigtes, förmliches Tejtament.
Erichroden fuhr ich beim Anblid desjelben
zurüd, Ber mir war dergleichen in die unrechten
Hände geraten. Mir konnten Verfchreibungen,
notarielle Urkunden über Bermädtniffe nur aus
unliebjamem Verſehen zufallen — jo mußte ic)
glauben. Ein Mifverjtändnis hatte die Zu:
jendung an mich verichuldet, ein Irrtum den
Zufall veranlagt, der mir feinen Einblid in
fremde Alten gejtattete. So begann ich fie
wieder einzupaden, ſah jedoh auf dem Um—
ichlag deutlich meine genaue Adreſſe. Indes
hatte ſich auch ein Brief in dem Paket gefunden,
der an mich gerichtet war und diejelben fejten
und entjchlojjenen Züge auf der Aufichrift zeigte,
| wie jenes anonyme Einladungsichreiben.*
—
Eleonore,
„Diefes Schreiben nun,” fügte Dräſow
feiner Erläuterung hinzu, indem er aus einem
Schubfach jeines Sekretärs einige Bapiere nahm,
vor ſich hinlegte und eines davon entfaltete —
„diejes Schreiben, welches ich hier im Original
habe, lautet, wenn du die Geduld Haben mwillit,
es anzuhören, folgendermaßen:
Sehr geehrter Herr Doktor Dräſow!
Wollen Sie mir zu gute halten, wenn ich,
obihon Ihnen perjönlich unbekannt, auf Grund
beiliegender Dofumente, Sie brieflich behellige,
nachdem e3 mir geftern nicht ſchicklich geichienen,
Sie der Gefellihaft eines Freundes zu ent:
reigen. Ich ftehe allein, ohne nahe Verwandte
in der Welt, die zu verlaffen ich im Begriffe
bin, da es ſich der Mühe des Lebens nicht weiter
lohnt. Ich bin die verratene Braut des Aſſeſſors
Steuber, Ihres Freundes, wenn Sie ihn diefer
Ehre noch würdig halten. Nach langem Sträu-
ben — ein Wefen flößte mir bei aller Neigung
Argwohn ein — nad) langem Widerftreben ver:
lobte ich mich ihm dennoch. Alle Welt war
gegen dieſe Verbindung, zum Teil aus politischen,
zum Teil aus anderen Gründen; und fo war id)
gegen alle Welt. Aus den Kreifen entfernter
Verwandtihaft und der Bekannten meiner El—
tern Scholl es: Du wirft einst veuig zurüdtehren,
Pauline! — Das werde id) nicht, war meine
Antwort. Und ich werde es nicht. — Mein
Verlobter hatte mir damals zugefhworen, treu
auszuharren ; er wäre ſonſt ja wert, aufgefnüpft
zu werben, beteuerte er. Geſtern abend ward er
daran erinnert, und er zitterte. Er foll noch
tiefer erfchüttert, fein Hochzeitstag mein Todes:
tag werden. Nicht weil ich den faljchen, ſchlechten
Mann nod liebe. Ich verabſcheue, haſſe, nein,
ich verachte ihn! Doch drüdt mic) die Laſt des
Dajeins, Das Leben hat feinen Zwed mehr für
mich, wohl aber der Tod, der feine ſchwarzen
Schatten in feine fonnigen Tage werfen wird.
Wo er ſich hinwendet, wo er weilt, am eignen
Herd, im Richterftuhl, im Salon, beim Feſtjubel,
auf der Reife, in der Stille des Waldes, auf
Bergeshöhe, im Gewühl der Hauptftadt und in
Ichhlaflojer Nacht wird dem Schauernden mein
Geiſt gegenübertreten, daß er von nun an ruhe:
[08 durd) das Leben fliehe. Und nun nur noch
ein Wort von ihm, dann feines mehr. In einem
vertraulihen Augenblick hat er mir einen Blid
in das Schreiben eines edlen Mannes geftattet,
Es war hr Brief, Herr Doktor, in welden Sie
547
fih an feine Ehre, an fein Gewiſſen wenden,
ihn beihwören, Treue zu halten. Bon da an
feimte ein Entichluß in mir für den gegebenen
Fall, Als ich in den Beſitz meiner Erbichaft ge:
langte, wandte ich mid) an einen zuverläffigen
Freund meines feligen Vaters, dem ich ver:
trauen fonnte, den ich von meinem unabänder:
lihen Borjat und deſſen Notwendigkeit zu über:
zeugen vermochte. Im Befite eines Notariats
war er zugleich der rechte Mann für meinen
Auftrag. Es galt meinen legten Willen aufzu:
jegen. Man fchreibt mir Stolz zu. Doch befite
ich nicht fo viel Eitelfeit, es verfchafft mir feine
Genugthuung, im Grabe als öffentliche Wohl:
thäterin gepriefen zu werden. Ich will mic)
nicht denen anreihen, die im Leben die Dürftig-
feit abweifen, um im Tode von fettgemälteten
Verwaltern ihrer Stiftung gefegnet zu werden.
Die Welt foll mich vergeflen, und Sie, Herr
Doktor, jhulden mir feinen Dank. Ich folge
nur dem Drange meines Herzens und einem
Gebote der Pflicht, wenn ich durch meinen letzten
Willen dazu beitrage, einem Mann ber dee,
einem reblichen Gelehrten, einem gemwiffenhaften
Schriftiteller den Weg in feinem erhabenen Be:
ruf durch unfere rauhe Zeit zu ebnen. Ihm iſt
nicht geitattet, den Erwerb als feinen Lebens—
zwed zu verfolgen. Er kann nicht fremde Hände
für fi und die Seinigen arbeiten laſſen. Was
er verfäumt, bleibt verfäumt ; was er nicht fchafft,
bleibt ungefchaffen. — Und bin ich die einzige
Deutſche, die folder Verpflichtung nachkommt,
um fo jchlimmer für die Nation, um jo weniger
lohnt es ſich für mich, noch zu leben. Mein
Tejtament — es ift nicht anzugreifen, genügt
ftreng der geſetzlichen Form; ich bin großjährig,
imftande über mein Vermögen frei zu verfügen;
feine Verwandtichaft fteht mir fo nahe, um An:
jprüche erheben zu dürfen. Mein Tejtament
aljo jest Sie, Herr Dr. Dräfow, zum Erben
meiner Hinterlaflenichaft ein, wie Ihnen die
beiliegenden Papiere befunden. Es find Ab:
ichriften der bei den Gerichten meiner Vater:
ftadt niebergelegten Driginaldofumente. Ihnen,
Herr Doktor, der Sie fich einer Unbelannten an:
genommen, vererbt diefe Unbefannte — mit
Ausnahme einiger Heinen Legate — ihr ge:
famtes bares Vermögen für den Fall, daf fie
unverheiratet vor Ihnen fterben follte. Dieſer
in Ausficht genommene Fall tritt nun heute be:
ftimmt ein. TQTrauern Sie nicht deswegen.
Seien Sie glüdlih, wählen Sie fih Ihre Gattin
548 Auguſt Beder.
nah den Eingebungen Ihres braven Herzens. | lichjten, ins Hotel zu eilen, um vorerjt hier
Gedenken Sie dabei dann und wann meiner, | nadhzufragen, ob die junge Dame noch nicht von
ohne daß mein Andenfen einen Schatten in hr | ihrer Ausfahrt zurüdgefehrt fei. Dort erhielt
Glück werfen, Ihre Ruhe ftören darf. Mir ge: | ich denn aud) auf meine Erfundigung die Aus:
währt das Sterben Befriedigung, feinen | funft, die Dame fei noch nicht zurüdgefommen,
Schmerz, ihnen feinen Vorwurf. Leben Sie | habe übrigens ihre Rechnung berichtigt und ihr
aljo wohl und genehmigen Sie den Ausdrud | Zimmer aud für die fommende Naht — ein
aufrichtiger Hochachtung, mit der ich zeichne ungewöhnlicher Fall — bereits vorausbezablt.
Ihre ergebenite Pauline Brofpolt. „Während ich noch mit dem verhängnispollen
„Mit derfelben fejten Hand,” ſetzte Dräfomw | Brief in der Taſche an der Portierloge ftand,
ernft hinzu, „war dem Schreiben noch ein Poft: | trat ein Polizeibote ein, um den Wirt oder Ober:
ſtriptum beigefügt, diefes Inhalts: ‚Das bare | Fellner aufzufordern, fofort nad dem Obduftions:
Geld in meinen Koffern reicht hin, die Leichen: | hauſe zu kommen. Es handle fich um die Wieder:
koſten zu deden‘ und weitere Andeutungen ent: erlennung einer im Engelbecken gefundenen
hielt das Schreiben nicht.“ Leiche, bei welcher man eine in der Börſe ver—
wahrte, freilich vom Waſſer gänzlich durchweichte,
immerhin noch leſerliche quittierte Rehhnung des
Hotels entdeckt habe. Mir brachen beinahe die
Beine. Mir zitterten alle Glieder. Kaum ver—
mochte ich der Aufforderung des Oberkellners,
ihn zu begleiten, nachzukommen. Wir fuhren
dahin, wurden vor die Leiche geführt. Beim
erſten Blick erkannten wir ſie. Mehrere Augen—
zeugen hatten von der Königinbrücke aus be—
merkt, wie ſie ihren Entſchluß ausführte. Man
hatte ſofort um Hilfe gerufen, konnte jedoch die
Arme nur als Leiche wieder an den Strand
heben. Auf ihre Effekten wurde gerichtlich Be—
„Und weiter?“ ſchlag gelegt. Da jedoch alle Koffer mit meiner
„Wie mir zu Mute war,“ fuhr dann auch Adreſſe von ihrer Hand verſehen waren und die
Dräſow in ſeinem Berichte fort, „läßt ſich nicht Aufſchlüſſe, welche ich zu geben vermochte, mit
|
|
3
„So lautete der Brief,“ ſchloß Dräſow tief
aufjeufzend feinen Vortrag und faltete das
Schreiben wieder zufammen, indem er es auf
den Tiſch und die Hand darauf legte. „So wie
ich dir Wort für Wort aus dem Driginal vor:
geleſen habe. Du magjt dich ſelbſt überzeugen.“
Herbig winkte ftumm mit einer Wendung
bes Kopfes ab, fragte aber nad) einer etwas
drüdenden Pauſe:
bejhreiben. ch fuhr empor, warf nochmals | fonjtigen Erhebungen übereinftimmten, wurden
einen Blid auf die feiten, entjchloffenen Schrift: | fie mir bald ausgeliefert. Ihre Leiche wurde,
züge des Briefs, welche den Vorfat der jungen | foweit es anging, nach ihren tejtamentarifchen
Dame, in den Tod zu gehen, ausipradhen, je: | Verfügungen begraben; ich ftand allein an ihrem
doch durch feinen Strich, oder fonftige Spur ein | offenen Grabe und legte einen Immortellen—
Zaubern, ein Straudeln, ein Beben und Zittern | franz auf den Hügel, der fi über demſelben er=
ihrer Hand verrieten. Ohne auch nur einen | hob. Ein anderer Kranz umgibt ihr Bild hier
Blick in die übrigen Papiere zu werfen, fchob | oben. Nun fieht fie mich aus demjelben jo ernjt
ich tief erjchüttert und am ganzen Leibe fchau: | und fragend an. Warum wollte fie niht mehr
dernd die Kopieen der Urkunden zufammen und | leben! So jung, fo feinfinnig, fo hold! — Das
hinweg in ein Fach meines Bultes, um mit aller | ift meine Geſchichte.“
Haft davon zu eilen und mir Kunde zu ver: Als Drafom damit ſchloß, ftand Herbig
Ihaffen, ob ſie ihren entjeglichen Entihluß aus: | haltig vom Sofa auf und ging wieder unruhig
geführt habe. Ich bildete mir ein, ihren Vorſatz in der Stube auf und ab.
vereiteln, die Verzweifelte tröjten und wieder „Und damit war's aus?“ frug er.
ins Leben zurüdführen zu fönnen. Allein „Nein,“ lautete die Antwort. „Noch nicht
centnerfhwer lag mir die nachmittags in der | ganz, obwohl id) in der Stimmung war, nichts
Stadt vernommene Andeutung auf dem Gemüt | weiteres zu erwarten. Aber man juchte mic) auf
und in den Beinen. Wie gelähmt fchleppte ih | und fand mich. Das Tejtament umzuſtoßen oder
mich durch die Straßen. Wohin mich zuerft | ungültig zu erflären, wurden feine Berjuche ge:
wenden? Ohne Zweifel war es am zweddien: | madt — wenigitens ijt mir nichts davon zu
Eleonore,
Ohren gelommen. Es wurde mir denn aud)
alles — für meine Wünſche mehr ald genug —
endlid) von dem Notar ausgeliefert, der ſich im
Mit einem
Schlag war id ein wohlhabender unabhängiger
voraus bezahlt gemacht hatte.
Mann. Hier die Dokumente, aus welchen du
dich jelbit überzeugen kannſt. Mehr habe ich
nicht zu berichten.“
„Laß, laß!“ ermwiderte Herbig, noch hin:
und herwandelnd. „Ich glaube dir, ohne Ein-
jicht zu nehmen und wünſche dir Glüd. Merk:
würdig! Springt mein Kandelaber ins Waſſer!
Dan erlebt jonderbare Dinge. Ja,“ fuhr er
fort und warf, für einen Augenblid innehaltend,
einen Blid nad) dem Bildnis empor. „Ich er:
innere mich des Mädchens aus der Fremde —
hübſch, jchlanf, eleganter Wuchs, und vornehme
Haltung. So blidt fie mid auch aus dem Im—
mortellenfranze an. Immortellen! wachſen fie
nicht auch bei uns, auf Triften, am Rand ber
Heide? Nicht wahr? Ya, es ift diefelbe Blume,”
feste er nachſinnlich hinzu, indem er fein un:
ruhiges Wandeln im Zimmer aufs neue be:
gann, „zit jener Heine, dide, glatzköpfige Myn-
heer nicht weiter hervor getreten?“
„Nein. Er ftand in feiner näheren Be:
ziehung zu dem Fall.“
„sn Amjterdam war es, wo ich einmal im
Rathaus durd ein Bildwerf A. Quellins tief ;
gerührt wurde,“ fuhr Herbig fort. „Eine Ka:
!
}
|
tyatide, ein jchönes junges Weib, entblöft bis
zur Hüfte, trägt da den Balkon und verhüllt fich
weinend mit den Händen die Augen, als ob fie
549
„Bott bewahre. Er ift jetzt Nichter, trinkt
gut, ißt aut, läßt ſich's ſchmecken, brilliert in
der Geſellſchaft und jtrebt mit guter Ausficht
weiter, wie ich höre. Ob er aber dennoch nicht
inögeheim von Gemwifjensbifien gequält wird?!“
„Nicht fo viel!” ermwiderte Herbig, den
Daumen auf die Spibe feines Goldfingers
jegend. „Nicht nagelögroß. Gewiſſensbiſſe
haben nur fein organifierte Naturen, Gemüts—
menfchen. Ihrer Ferſe heftet ſich nur zu leicht
ein Erinnyenheer reuiger Empfindungen und
böfer Erinnerungen an; den anderen, ben
Glüdlichen, denen der Kampf ums Dajein feine
Bellemmungen madıt, nie — oder nur dann,
wenn ſie ſich in der Falle fehen. Bei den meiſten
Verbrechern regt ſich das Gewiſſen erft mit der
Gewißheit der Sühne, mit der Todesangit.
Was nun diefe arme, verratene Pauline Brof:
holt betrifft, fo fonnte fie dem Treulofen feinen
größeren Dienft leijten, als zu fterben. Ihm ift
damit der quälende Alp ein für allemal vom
Herzen gewälzt. Wäre fie am Leben geblieben,
ja, dann hätte ihn doch fortwährende Furcht
und Angjt vor ihrer Erfcheinung, vor einer plötz—
lihen Begegnung geplagt und gejagt. Den
Geiſt einer Toten fürchtet er nicht.“
„Vielleicht ftellt fich doch noch die Neue ein, *
meinte Dräfom, trüb vor ſich hinblidend.
„Keine Spur davon, verlaß dich darauf!“
verficherte Herbig. „Ich habe ihn nie unbefan:
gener und zuverfichtlicher gejehen, ala an der
Seite feiner Gattin in Nom.”
nicht bloß unter der Wucht ihrer Laft, fondern
mehr noch ob ihrer allen Bliden ausgeſtellten,
verlegenden, unwürdigen Bofition leide. Selten
hat eine leblofe Figur einen fo ergreifenden Ein:
drud auf mic ausgeübt. Und dennod) war es
mir damals noch nicht jo nahe geleat, wie viele
jolder Karyatiden unter uns leben und feufzen
— im Haufe, im Kabinett, im Salon. Beim
erjten Blick — ich entfinne mich wohl — rief
mir die Erfcheinung diefes Mädchens aus der
Fremde auch die Erinnerung an A. Quellins
Karyatide dunkel vor die Seele. Und nun hat
fie ausgelitten. Gewiß ein edles, entſchloſſenes,
wenn auch überfpanntes Weſen. Ihr Tod hat
feinen Zweck verfehlt. Sie hätte fih jagen müf:
jen, daß fie jterbend ihre Abficht, Mache oder |
Vergeltung an Steuber, am wenigiten erreicht.
Oder haft du vernommen, daß er tiefjinnig ge:
worden ſei?“
„Du fchriebjt doch, fie jei ein Bläßhuhn!“
„Iſt fie auch, — ein Bläßhuhn, das goldene
Eier legt und darum ihm lieb und wert. Die
Verlafjene mag modern.“
„Der Mol! Und ich,“ ftöhnte Dräſow,
„ih fie nun warm und joll mid) freuen, daß
ich fein Proletarier, fein armer Schluder mehr
bin, Neih bin ich nicht, allein die Intereſſen
des Kapitals der Geopferten fihern mir doch
eine anftändige Eriftenz und gewähren die nötige
Unterlage zu gedeihlicher Thätigkeit. Soll ich,
darf ich mich hierüber freuen?”
Herbig zudte die Schultern.
„Du meinft wohl, ftatt ind Waſſer zu
fpringen, hätte fie dir in die Arme hüpfen
jollen!” jprad er. „So flug war die Arme
nicht. indes, fommen wir nun einmal auf
meine Angelegenheiten; ihretiwegen eilte ich über
die Alpen zurüd. Du haft dich doc nach dem
Geheimrat Wantrup erkundigt?“
550
„Beheimrat Wantrup? Nein. Warum ?*
„Mein Gott!“ rief Herbig ungeduldig und
heftig mit dem Fuße jtampfend. „Ich ſchrieb
es dir doch, bat dic) darum. Ihm muß ich mein
Teuerjtes erjt abgewinnen!”
„sa jo!“ verjegte Dräfow. „Aber, wie
hätte ich Zeit dafür gewonnen, da dein Schreiben
vorhin erſt anlangte. Uebrigens, nicht wahr,
Herbig, dein Teuerftes heit — Jenny?!“
„Bilt du beſeſſen? Eleonore heißt fie.“
„Richtig, Eleonore. Doc deuchte mir, fie
heiße Jenny Norbhafe, *
„Menſch, wie fommit du auf den Namen?“
fragte Herbig, ſich jo haftig nach ihm umkehrend,
daß Dräſow etwas betroffen zurückwich.
„Da kommt mir — wie, weiß ich nicht —
ein beſchriebenes Kärtchen von einer gewiſſen
Jenny Nordhaſe in die Hand,“ erläuterte er,
ſich faſſend. „Ich las mich hinein, da du ein—
tratſt. Es ſchwebt etwas ſeltſam Anziehendes,
etwas Erfriſchendes, Einnehmendes, Zutrau—
liches um dieſe Jenny.“
„Und da küßteſt du ſie.“
|
|
„Ihren Namen. Nur ihren Namen! Weißt |
du, der Zauber, der Neiz, die Fascination, die
Bezauberung.”
„Du bift ein Heimtüder, Dräſow!“ fagte
Herbig, ihn ins Auge fallend. „Eher Fonnte
ih mir einen Elefanten auf dem Schlappſeil
denken, als dich auf ſolchen Anmwandlungen.
Allein, ich jehe, du bit gefährlich, entflammbar
wie ein Strohdach. Das Billet — gib es ein-
mal her — muß unter die Gedenfblätter und
Photographieen geraten fein und war nicht für
dich beſtimmt. Das fonnte dir ſchon die Auf:
ſchrift ‚2. ©. beweiſen.“
Dräjow, deſſen Wangen ohnehin die Stu:
benfarbe trugen, wurden hier leichenfahl. Ein
Gefühl, wie er eö nie empfunden hatte, flößte
ihm Wermut ein und das Herz zudte, als habe
das „grüngeäugte Scheufal” einen Biß hinein
gethan.
„Mir deuchte,“ fing er dann zögernd an,
„Dies 2. G. bedeute licet gaudere ober
gestire — es ijt erlaubt, ſich über mic) luſtig
zu machen.“
„Jenny verfteht fein Latein,“ ermwiberte
Herbig hierauf. „Du mußt es anders deuten.”
„But denn,“ erwiderte Dräfom ſich abwen—
dend, „jo mag es ‚lieber Geliebter, lieber Ga:
lan, Gatte‘ oder ‚Gemahl‘ heißen, oder meinet:
wegen, wie eö wolle, da es für dich beftimmt iſt.“
Auguft Beder,
„Nein, nicht für mid, alter Wiedehopf!“
erklärte jegt Herbig, der mit einiger Verwun—
derung das Gebahren des Gelehrten verfolgte.
„Der Zufall führte es mir in die Hand, ein
glükliher Zufall! Es ift an ihre Schweiter
Gretchen gerichtet; Jenny entipricht dem liebens-
würdigen Eindrud diefer Zeilen, und — Eleo:
nore wohnte bei den Schweitern.“
„Ei jo!“ meinte Dräfow aufleuchtend. „Iſt
fie hübſch?“
„Wie? Eleonore hübſch!?“ flammte Her:
big auf.
„Cleonore!! Es Handelt fih um Jenny.
Nun — iſt ſie's?“
„Ich glaube ja.“
„Was hat fie denn für Augen? Blaue?“
„a, ja, jtellenweife. Der Zufall lieg mich
den Zopf finden.“
„O du Glüdspilz! Wie fieht er denn aus?“
„er?“
„Frag' wer! Der Zopf! Fit er ſchwarz
oder blond, goldblond, rehblond, nuß: oder fa=
ſtanienbraun?“
„Grün und blau iſt er, oder wie du willſt!“
verjegte Herbig geärgert. „Stürme ih von
Rom bei jolhem Wetter über die Alpen hierher,
um dir Auskunft über die Farbe des Zopfes
von Jenny Nordhafe zu geben?! Nein! ch
fam, von dir zu hören, was du von meiner
Eleonore zu befunden haft. Meiner Eleonore,
ſage ih. Laß dir im Vertrauen fagen: id habe
fie in Thüringen wiedergefunden. Sie ift eines
Geheimrats Wantrup Gattin — wenigitens
jebt no) und dem Namen nad. Exiſtiert ein
ſolcher in der Neichshauptitadt? Oder wo fonft
in der Welt? Sprid!”
„Ich weiß nur von einem Wantrup,“ ant=
wortete Dräſow mit nachdenklichem Zögern.
„Aber der iſt nicht Geheimrat, fondern quies—
cierter Gymnaſialdirektor aus einer Landſtadt
und Schwiegervater des — —“
„Laß alle ‚jondern‘ und ‚aber‘!” fiel Herbig
ungeduldig ein. „Damit förderft du nichts.
Ich vergeude nur meine Zeit. Wenn du nichts
von einem Geheimrat Wantrup weißt, fo
werde ich anderweitig erfahren, wo er jtedt.
Denn erfahren muß ich es, heute noch, — ver:
laß did) darauf! Finde ich Eleonoren — und
dazu jollteit du, als Freund, behilflich fein —
ift fie nur einmal mein, ganz mein eigen, dann
werde ic) auch dir bei deines Herzens Mädchen
zur Seite jtehen, Allein, erft muß fie gefunden
—
Eleorore. 551
und gewonnen fein, Dräfovius, das fiehjt du ihütteln, während er ihm durch feine Haft das
wohl ein.” Wort abſchnitt. „Ya, mir ift — auf Wieder:
„Aber, Jenny —“ ſehen Dräſow! — mir ift, als müßte ic) heute
„Mach' feine Einwürfe, ſprich nicht von | Eleonoren dort treffen!“
Schwierigkeiten!” fuhr Herbig mit ungejtümer „Das ift nicht unmöglich!” verjegte Drä—
Bewegung fort, ohne den Freund zu Wort ſow mit ungewohnten Ernſt und fait bejtürgter
fommen zu laflen. „Kein Hindernis jchredt Nachdenklichkeit, indem er den ftürmijch be:
mich, fein Wivderftand hält mich ab. Nichts be: | wegten Freund bis zur Haustreppe geleitete,
irrt mich. Unlösbar ift diefer Knoten nicht. | über welche diefer unverweilt hinunter eilte.
Und muß es fein, zerhaut man ihn! Fortem | „Das ift feineswegs unmöglich!“ wiederholte
Fortuna adjuvat!“ | der Zurüdgebliebene nachdenklich für ſich, als
„Allein —“ er in feine Gelehrtenzelle mit dem Bewußtjein
„Beſorge nichts. Auffehen wird vermieden. | zurüdfehrte, daß alle Vorjtellungen vergeblic)
Fürchte nicht, daß ich Klugheit und Vorficht | geweſen wären. „Gar nicht unmöglich!“ fügte
aufer acht laſſen werde!” verficherte Herbig | er nochmals befümmert, mit bedenklichem Kopf:
mit demjelben leidenjchaftlihen Ungejtüm, der: | niden hinzu.
ſelben Raſtloſigkeit auf: und niederichreitend. Und dabei gewannen feine Züge einen Aus:
„Mit dem größten Zartfinn wird die Sade | drud, als fei ihm ein Licht aufgegangen, das
angegriffen, Senfation vermieden, allein der | einen grellen Schein auf die Leidenſchaft des
Konflikt gelöft — fo oder jo! Hilf mir nun den | Freundes und einen unheilfündenden Schimmer
Pelz wieder umhängen, wenn du fo gut fein | auf den Weg warf, den derfelbe einzufchlagen
willſt.“ im Begriff ſtand.
„Wie? Du willſt ſchon fort?“ fiel hier
Dräſow ein, dem Freunde zuvorkommend, der
ſich nach ſeinem Mantel umſah.
„Sch kann nicht länger weilen. Mein Kut—
cher wartet unten — bei dem Wetter die
ganze Zeit über! Es ſcheint zwar einiger Still:
jtand eingetreten zu jein — man fieht nur nod)
wenige Floden. Doc einerlei. Ich habe vor
Nacht noch einige Beſuche und Einkäufe zu
machen. Morgen fomme ich wieder. Diejen
Abend werde ich bei Geheimrat Betting ver:
bringen. Du fennit meine Verehrung für — —
fo, ich danke dir!“ unterbrach fich Herbig ſelbſt,
nachdem er wieder in den Pelz geſchlüpft war,
und fuhr dann gelaſſener, jedoch nod immer
mit Ton und Ausdrud entſchiedenſter Ent:
ichlofienheit fort. „Du kennſt meine Verehrung
für den trefflihen alten Herm, den ich wie |
einen Vater fchäge und ehre. Wie freue ich
mich, ihn einmal in feinem neuen Heim begrüßen
zu dürfen! Habe mich aud) fofort nad) meiner
Ankunft angefündigt und erwarte nun feine
Einladung. Bon ihm und feiner trefflichen
Gattin erwarte ich zuverfichtlich Auskunft über
Eleonore, Rat und Beiftand. Während der
Badefaifon an der Oſtſee fann ihnen eine Er: | wetteiferten nicht, mie in anderen Soireen,
fcheinung wie Gleonore Wantrup nicht ent: | allzulange Schlepproben an Eleganz und Far:
gangen fein!“ fügte Herbig hinzu, indem er | benpradt. Jedermann wußte, daß man hier
nad) jeinem Hute und gleichzeitig nad) der Hand | durch ſolche Neußerlichkeiten feinen Eindrud
des Freundes griff, um fie zum Abichied zu | machte, niemand bejtach, niemandes Neid erregte,
70
4.
Jene Märznacht war nicht weniger ſtür—
miſch, als es der Tag geweſen war. Wie
Irrlichter huſchten die Wagenlaternen dahin
und ſpiegelten ſich in trüben, von Schnee und
Regen gebildeten Straßentümpeln draußen am
Tiergarten. Durch die leeren, doch bereits in
jungem Safte ſchwellenden Zweige und Aeſte
der Baumkronen ſauſten die Sturmgeiſter des
kommenden Lenzes und unten trabten die
Droſchkengäule und raſſelten die Räder durch
ein Wagen und Pferde beſpritzendes Chaos.
So ſchlimm das Wetter, ſo uneinladend die
Nacht und ſo entlegen die Wohnung des Ge—
heimrats Betting für die Bewohner der inneren
Stadt war, hatte ſich dennoch ein Geſellſchafts—
frei eingefunden, der alle für den Zwed des
Abends geöffneten Näume des gaftlihen Haufes
füllte. Es war ein ſehr gewählter Zirkel, fein
alänzender, wenigitens nicht, was man gewöhn:
lih darunter verjteht. Bligende Uniformen,
leuchtende Orden u. dergl. fehlten ganz. Auch
552
und bequemte ſich der vornehmen Einfachheit in
Kleidung und Haltung an, welde die feinſten
Geſellſchaftskreiſe überall auszeichnet oder doch
auszeichnen follte. Deffnete die Geheimrätin
Betting ihr Haus, fo fonnte fie füglich anderen
Salons überlafjen, die es nötiger hatten, durch
prunfvolle äußerlihe Zuthaten glänzen zu
wollen.
Als Bruno Herbig vorfuhr, gedachte er
lebhaft jenes vergeblihen Beſuchs im vergange:
nen Herbft. Indem er ausftieg, befchleunigte
er feine Echritte, um unterm Regenſchirm —
es jchneite und regnete noch immer bei unange:
nchmem „Scladerwetter” — an dem Bor:
gärtchen vorüber das Haus zu erreichen. Kein
Rofenflor umduftete jetzt dasfelbe. Die Stämm—
den waren entweder in die Erde gelegt oder
mit Stroh umwidelt. Allein, dem Worüber:
wandelnden war dabei jest ſeltſam zu Mut:
als lägen die Kronen der Roſenſtämmchen alle
in feiner Bruft verwahrt und jtrebten da einem
neuen Blütenfommer entgegen. Die Einbildung
verurjachte ihm Fein durchaus angenehmes und
mwonniges Gefühl, da aud die Dornen und
Stacheln ſich ſchmerzhaft geltend machten. Dod)
fuchte er die wunderlich gemifchte Empfindung
zu bemeijtern und fih ganz den Hoffnungen
hinzugeben, welche er von dem Abend heate.
Er lebte in der That der Zuverficht, day mit
dem Eintritt in dieſes Haus fein Schidjal zur ge:
wünfchten Entfcheidung gelange. Bon ihm, dem
edlen, liebenswürdigen alten Herrn, der fich
feinem danfbaren Schüler ſtets als väterlicher
Freund bewiefen, durfte er aud) in einer ebenfo
peinlihen, als zarten Herzensangelegenheit
jene Förderung erwarten, die der Geheimrat
jedem aufrihtigen und ſchönen Streben ange:
deihen ließ.
Mit all dem Vertrauen, das fein verehr:
ter Lehrer heifchen fonnte, wollte er ihm bei
guter Gelegenheit fein Geheimnis mitteilen,
jein ganzes Herz eröffnen, und er glaubte gewiß |
jein zu dürfen, daß ihm Nat und Beiftand ge: |
währt wurde.
Mit jolhen Gefinnungen, Hoffnungen und
zuverjichtlichen Erwartungen war er gelommen,
ins Haus eingetreten und hatte draußen jeinen
Mantel abgelegt. Jetzt überfiel ihn eine felt:
fame Bellommenheit, die ihm font fremd war.
Im Begriff, fich in die Salons zu begeben, kam
eine fonderbare Unruhe über ihn, deren Urjache
oder Grund er fi) nicht zu erflären vermochte.
Li
Auguft Beder.
Er hatte das Vorgefühl von etwas Unermwar:
tetem, eines erjchütternden Erlebniffes, einer
verhängnisvollen Begegnung. Es auf feine Vor:
ausjegung von Eleonorens Anweſenheit deuten
zu wollen, ging nicht wohl an; fein freudiges
Verlangen nad ihrem Anblid lief; ſolche Aus:
legung feiner SHerzenäbangigfeit von unver:
muteter oder doch unbefannter Tüde des Schid:
ſals nicht Leicht zu. Indes durfte er feiner
Schwäche nachgeben; es galt, gefaßt zu fein.
Sich) zufammennehmend, trat er denn nun
mit der gewohnten guten Haltung in den vorderen
Gefellfchaftsraum, wo Gruppen von meiftens
älteren Herren in gelafienem Geplauder — über
wiſſenſchaftliche Fragen, wie es ſchien — umher:
ſtanden. Nur einige wenige Damen waren mit
in die Unterhaltung gezogen. Das Ganze bot
einen jo nüchternen, friedlichen und gewohnten
Anblid, daß es aud) auf ihn beruhigend wirkte,
obwohl er von den Anmwefenden niemand Fannte
und niemand dem Eintretenden bejondere Auf:
merkjamfeit fchenfte. s
Während Herbig ſich nad) dem Hausheren
umſah und zu diefem Behuf, da er ihn unter
den Umbherftehenden nicht erfannte, mit wieder:
erlangter vollfommener Faſſung fich der offenen
Flügelthüre näherte, welche nad) einem belebten
Saale führte, glaubte er jedoch zu bemerken,
daß ihn eine der Damen freundlich lächelnd an:
jah und ihm, da er ihr den Blid nochmals zu:
wandte, mit der Vertraulichkeit einer Bekannten
leicht zunidte. Mit einer Verbeugung fam er
ihr um einige Schritte entgegen, als er in ihr
diefelbe Dame erkannte, welche er bei jeiner
Durchreiſe im letztverfloſſenen Herbit abends mit
Steubers Braut und Schwägerin in einem der
Modemagazine der Hauptftadt getroffen hatte.
Sofort erinnerte er ſich, daß fie fich Damals jelbit
als eine Bertraute der Herrin des Hauſes, in
welchem er ſich jetzt befand, zu erkennen ge:
geben hatte und nad) ihrem eigenen Geſtändnis
mit derjelben an der See gewelen war.
„Sie find es in der That, Herr Doktor?“
fragte fie in ihrer verbindlichen Weife. „Wir
dachten Sie — Gott weiß, wie weit, nach dem
Aequator hin.”
„Vorgeſtern war ich ihm auch wirklich noch
um zehn oder elf Grad näher, als heute,“ war
feine Antwort. „Sch komme aus Italien, un:
mittelbar von Nom.“
„30 kurz vor dem Dfterfeite Tonnten Sie
St. Petersdom den Nüden kehren?“
Eleonore.
„Ich habe alles im Stich gelafien, meine
Gnädige, und mit Freuden,” fagte er.
„Das fommt überraſchend!“ ſprach fie mit
einigem Nahdrud, indem fie ein wenig den Kopf
wendete und über die Schulter fah. „Weiß es
unfer lieber Geheimrat?“
„Er war fo gütig,“ erwiderte Herbig, „auf
die Anzeige meiner Ankunft hin fofort eine Ein:
ladung ins Hotel zu ſenden.“
„So! Aber Eleonore hatnoch feine Ahnung!”
verjegte die Dame.
Eleonore? Herbig ftugte. Wie fiel ihr ge:
rade jeßt und in diefem Zufammenhang der
Name ein! Und dabei fah ihn die Dame mit
einem Blide an, daß ihm alles Blut zu Kopf
ſchoß. Was wußte fie von feinen Beziehungen
zu Eleonoren, daß fie ihrer in dieſem Augen:
blide und in jo andeutungsvoller — wenn nicht
anzügliher — Weiſe erwähnen fonnte! War
feine Liebe zu der jchönen Frau bereits ein
öffentliches Geheimnis, — lag das fühe My-
jterium feines Herzens ſchon auf jedermanns
Lippen? — Bevor er feine Verwirrung wieder
bemeiftert und fich aus feiner Betroffenheit er-
hoben hatte, fuhr indes Fräulein Lenz — dies
war ihr Name, wie er fich jet wieder entfann —
völlig unbefangen fort:
„Bir erfuhren nachträglich, daß Sie einige
Tage jpäter wieder nad) Misdroy zurüdgefehrt
jeien, wohl um den Dank für die Nettung des
Schirmes zu holen!“ Und Fräulein Lenz lä:
chelte ihn jchalfhaft an. „Leider waren wir
ihon abgereift, aus unferem gewohnten Kreije
nur Kommerzienrat Brink zurüdgeblieben, der
denn auch Gelegenheit zu Ihrer näheren Be:
kanntſchaft hatte.”
„Kommerzienrat Brink?“ wiederholte Her:
= „Wohl ein Irrtum. Ich entfinne mic)
nicht.“
„Gewiß erinnern Sie fich feiner noch, wenn
Sie nur wollen,“ meinte Fräulein Lenz. „Seine
Perſönlichkeit vergißt fich fo leicht nicht. Wußte
er und doc) mitzuteilen, wie jehr Sie ſich da:
mals für die Domänenrätin von Frey interej:
ſierten.“
„Sie ſehen mich ſehr erſtaunt, mein Fräu—
lein. Nie flößte mir eine Domänenrätin In—
tereſſe ein.“
„Allein, Sie waren doch nachträglich noch
in Misdroy?“
„Nicht zu leugnen.“
„Und erkundigten ſich lebhaft nach der Do—
553
mänenrätin — einer etwas langen, ja allzu—
langen Frau in blauer Seide.“
Jetzt entſann er ſich des Auftrittes und
ſeiner beſchämenden Enttäuſchung am Strande.
Doch zog er Schweigen vor, was umſo leichter
fiel, als Fräulein Lenz ihre Aufklärungen mit
einiger Lebhaftigkeit fortſetzte:
„Und ebenſo muß Ihnen ein kleiner, runder,
munterer, ſehr zuvorfommenber und galanter
Herr aufgefallen fein.“
„Rotwangig, glatzköpfig?“ frug Herbig
jeßt. „Ein rundes, altes, zierlihes Männchen?“
„Daöjelbe, da3 Ihnen in der Düne vor die
Füße follerte und Ihnen ſpäter Auskunft gab
über die lange Domänenrätin, der fie dann
ſchleunigſt nachſetzten.“
„Bitte, meine Gnädige, laſſen wir die
Domänenrätin als Mißverſtändnis beruhen,“
meinte jetzt Herbig. „Was aber jenes runde,
muntere Männchen anbelangt, fo erinnere ich
mich allerdings feiner noch. O, fehr gut!“
Herbig fonnte dies mit Necht verfichern, da er
den Kleinen für den Gatten der Geliebten, Ge:
heimrat Wantrup, anjah und fegte nicht ohne
Schärfe hinzu, daß er den Scherz, den fich jener
erlaubt, nicht vergeflen habe, worauf Fräulein
Lenz, die ihn nicht ohne Abjicht aufhielt, Frie—
den zu halten bat.
„Ach, Herr Doktor, laſſen Sie mir mein
altes, gutes, harmloſes Kommerzienrätchen un:
geihoren!“ jagte fie halb im Scherz.
„sh ſpreche, geitatten Sie mir die Be:
richtigung, von dem kleinen Glatzkopf . . .“
„Alſo von dem Kommerzienrat Brink!“ be—
merkte Fräulein Lenz. „Gut, daß wir ihn nicht
hier haben. Eleonore und id) waren der Mei:
nung, Sie ftänden mit ihm auf dem freund:
lichjten Fuß. Sie wird ſehr erjtaunt fein, wenn
ih ihr das Gegenteil berichte,” fügte die
Dame hinzu, indem fie einen Blid durch die
offene Thüre in den Nebenfaal warf.
Dem jungen Gelehrten Teuchtete umfomehr
ein, dab er fich in einem Irrtum befunden,
wenn er den fleinen Glatzkopf von Misdroy,
der mit fo viel muſikaliſchem Gefchid fein Ta:
fchentuch anzumenden wußte, für den Gemahl
Eleonorens gehalten hatte. Wichtiger erjchien
ihm jedoch, daß die Andeutungen, welche ihm
Fräulein Lenz gab, auf Eleonorens Gegenwart
ſchließen ließen. Sofort mußte er fich hiervon
überzeugen.
„Und Eleonore — die Frau Geheim—
554
zur verbejlerte er ſich raſch, „befindet ſich
hier?“
„Natürlich,“ erwiderte die Dame etwas
verwundert. „Wie fünnen Sie daran zweifeln
oder anders vorausfegen, Kerr Doktor! Ich
würde Sie auch ſchon — indes,“ unterbrad) fie
jih, „hier fommt der Hausherr ſelbſt!“
Während ſich nun Fräulein Lenz zurüdzog
und in den nächſten Saal begab, wohl um ihre
Neuigkeit am rechten Orte anzubringen, ftand
Herbig tief erregt von der Gemißheit, ſich unter
einem Dach mit der geliebten Frau zu befinden.
Schmerzlih empfand er den Zwang, der ihm
verbot, rüdhaltslos feiner Liebe zu folgen und
in ihre Arme zu eilen. Diefem Taumel von
Luft und Leid ward er indes nunmehr dur
einen alten Herrn entriffen, welcher ihm zwi:
chen den Gruppen der anderen Gäſte hin, mit |
vorgeftredten Händen und leuchtenden Augen
entgegeneilte.
Sofort erfannte Herbig in demjelben, ob:
wohl er ihn viele Jahre nicht mehr gejehen,
feinen verehrten Lehrer, zu deſſen Füßen er
einft alö begeijterter Hörer gefejlen. Geheim—
rat Betting war eine ſchlanke, hagere Gejtalt
mit fchneeweißen Haaren, vom Alter bereits
etwas gebeugt, dennoch ein jtattlicher, anſchei—
nend noch rüftiger und ein jchöner Greis, der
ganz der Vorftellung entſprach, die man jich
nad) dem Hufe feines edlen Charakters und
jeines nicht minder edlen Strebens von ihm
machte. Herbig ſtand tief ergriffen, während
die Gruppen beifeite weichend, etwas Raum
gaben.
„Wen ſeh' ih! Wen ſeh' ich?“ rief ihm
der ehrwürdige Herr des Haufes entgegen.
„Men darf ich begrüßen?“ Und damit fahte er
Herbigs Rechte mit beiden Händen. „Will:
fommen, mein lieber Doktor! Gottwillfommen
im Vaterlande und in meinem Haufe!“
Sofort machte er ihn dann mit den um:
ftehenden Herren befannt, indem er mit fo herz:
licher Freude von feinem lieben jungen Freunde
iprad, daß den nahezu Nührung anwandelte.
Mehrere der Anwejenden, wohlbefannte Namen,
wechjelten verbindlihe Worte mit dem aus
Nom heimfehrenden Königsberger Privatdocen:
ten, bis der Geheimrat ihn wieder bei der |
Hand ergriff und vorwärts zog nad den tiefer
im Hausinnern gelegenen Sälen.
„Kommen Sie, fommen Sie, mein lieber
Freund, nun einmal zu meiner Frau. Sie
Auguſt Beder.
müſſen vor allem jegt der Herrin meiner Burg
vorgejtellt werben!” ſprach der alte Herr dabei
mit glüdlichem Eifer. „Eleonore weiß noch
nicht im mindejten, wen ich ihr bringe. Sie
foll überrafcht werden, und es wird fie über:
rafchen; denn Sie dürfen überzeugt fein, daß
nr von meinem treuen Herbig jchon erzählt
abe.“
Eleonore? Hieß des ehrwürdigen Mannes
Gattin Eleonore? Hei und falt ging ed dem
Saite durch die Glieder. Ein Schauer wehte
fein Herz an, ein Wirbel faßte feine Seele, und
für einen Moment war ihm, als klappe ihm
die Kehle zu, daß der Atem ausging.
Dann wunderte er fi) ſelbſt, daß er einer
herzbeflemmenden Befürchtung erlegen war.
Warum follte die Geheimrätin Betting nicht
auch Eleonore heißen, wie die Geheimrätin
Mantrup! Der Name war beliebt und nicht
ungewöhnlih. Und nad allem war die Anz:
nahme nicht ausgeſchloſſen, hatte ſogar die
Mahrjcheinlichkeit für ſich, daß der greife Haus:
hetr mit feinen legten Worten zwijchen feiner
Frau und Eleonoren unterjchieden haben wollte,
daß lettere vielleicht eine Verwandte des Hau:
jes oder eine vertraute Freundin desfelben war.
Wenn nun Herbig mit ſolchen Erwägungen
feine Befürdtungen beſchwichtigte, jo ſchlug
doch fein Herz in banger, geipannter Erwar—
tung, als er nun dem Geheimrat durch bie
offenen Flügelthüren in den eigentlichen Gejell:
Ichaftsfaal folgte, in deifen von gewürzhaftem
Rofenaroma durhduftetem Naum die Frau des
Haufes inmitten ihrer Gäſte ſaß.
„Kollege Betting, Betting! Haben Sie
ſchon gehört, gelefen?“ rief hier ein befannter
Gelehrter den Hausherrn an und fahte ihn
daber mit beiden Händen an den Ecultern.
„Site find dennoch entdedt! Darwin felbjt ſoll
fich faum faſſen Fönnen vor Staunen!”
Diefe, dem alten Herm zugeflüfterten
Morte, welde Herbig eben noch zu veritehen
‚ vermochte, hatten die Wirkung, daß Geheimrat
' Betting, wie von einem elektriſchen Schlage ge:
troffen, des jungen Freundes Hände losließ
und mit einer haftigen Bitte um Entfchuldigung,
fich mit dem Nüden abjeits in eine Ede ftellte,
um ſich in einen eifrigen Diskurs über eine
ganz neu auftauchende, alle jeitherigen Welt:
anfhauungen über den Haufen mwerfende Ent:
deckung einzulafien.
Herbig, an der Stelle verharrend, wo ihn
Eleonore,
jein ehrwürdiger Führer ftehen gelajjen hatte,
fonnte von der leidenfchaftlih geführten Ver:
handlung der beiden nur einzelne Worte auf:
jchnappen. Immerhin vermochte er aus den:
jelben zu jchliegen, daß es fih um eine, wenn
fie fich bejtätigte, großartige Entdedung han:
delte, die ein unbekannter Late, ein ſchwäbiſcher
Advofat über Organismen in Meteorjteinen ge:
macht hatte, Und nun wollte ein anerfannter
Fachgelehrter den mikroſtopiſchen Nachweis lie:
fern, während unabhängig davon ein anderer
die philojophiihe Begründung der neuen Theo:
rie übernommen hatte: m Anfang war der
Organismus!
Hierüber verhandelten nun die beiden alten
Gelehrten, ganz verloren in ihr Thema, mit
lebhaften Gebärden, fechtenden Händen und
heftigen Kopfbewegungen. Es blitte und wet:
terte nur fo durch ihre Rede von Protoplasmen,
Molekülen, biologiihen Einheiten, Aggregat:
zuftand, Urmaterie, Weltjtoff, Dunftnebel,
Kompleren, Eozoon, Yaurentiangneis, Affinität
und chaotiſchem Welttanz. Und Geheimrat
Betting hatte jowohl feiner Frau, als feines
jungen Freundesundfonjtiger Hauswirtspflichten
völlig vergejien.
Indem Herbig um fich her blidte, fand er
fih in der Nähe der Flügelthüre des Saales,
in welchem fich zumeift Damen befanden, denen
bereitö jeine Erjcheinung auffiel. Sein Auf:
treten hier fonnteihn jelbjt nicht mit Genugthu—
ung erfüllen. Doc harrte er noch eine Weile in
jeiner jeltjamen Yage aus, ftetö erwartend, fein
ehrwürdiger Freund werde ſich des Verlafjenen
wieder erinnern und annehmen. Mittlerweile
galt es, ſich die nötige Unbefangenheit zu be:
wahren, den Gleichmut nicht zu verlieren, und
mit faltblütiger Geiftesgegenmwart ſah er bald
nad) der Wanddeforation, bald prüfend und
mufternd über den Kranz von Damen hin, um
ſich zu orientieren.
Aber der Augenblid fam, wo all feine zur
Schau getragene Unbefangenheit mit der be:
jonnenen, gemütsruhigen Miene und erfünitel:
ten Faſſung dahinſchwand, wo fein Schauen,
Sinnen und Denken von einem Gegenitand fo
ſehr in Anfprud) genommen ward, daß er die
beiden gelehrten Alten und alles andere darüber
vergaß.
empfangäbereit auf der Ottomane? Das jchöne
Wer ſaß dort inmitten der Damen |
hohe Weib in der grauen Seidenrobe, mit dem |
edlen Profil, die Stirn etwas geſenkt, das
555
bleiche Antlig unverwandt zu der plaudernden
Nachbarin gewendet?
Er hatte fie wiedergefunden, Eleonore,
jeine immerwährende Sehnjucht, feine einzige
Liebe. Dort ſaß fie, unter den Brauen hervor:
blidend, wie ein verſchüchtertes, innerlich ſich
aufbäumendes Mädchen. Obwohl jie nicht her:
ſah, mochte fie ihm doch ſchon bemerkt haben.
Es entging ihm nicht, wie ihr mit einem Im—
mortellenjträußchen gejhmüdter Bujen wogte
und zwiichen den gejenkten Brauen eine auf:
jteigende Blutwolke gewitterhaft weilte. Sie
icheint aufmerffjam und tief bewegt auf das zu
hören, was die lebhafte Nachbarin berichtet.
Wie heit wohl der fragliche Gedanke, der eine
neue Molke über die” fchöne Stirn jagt?
Spriht man ihr von etwas, das fie verlett,
das fie drüdt? Allein, ihre Nachbarin lächelt
häufig zwiſchen ihre Mitteilungen hinein und
ſieht ſo munter und vergnügt aus, daß diejelben
nur Heiteres, nichts Erichütterndes enthalten
fönnen.
„O nein!“
Die Ergriffenheit Eleonorens hatte aljo
anderen Grund. Sie wußte, daß er ihr gegen:
über an der Flügelthüre jtand. Schaute fie
auch nicht her, ſchien doch ihre Aufmerkjamteit
von nichts anderem in Anſpruch genommen. Er
jelbjt vermochte den Blid nicht mehr von ihr
abzuwenden. Seine Augen verfchlangen die
teure Gejtalt. Er lechjte nad) einem Blid von
ihr. Aber ftarr, unverwandt war diejer auf die
Lippen der geſchwätzigen Nachbarin geheftet,
von deren Geplauder fie vielleicht fein Wort
verſtand.
Viel länger vermochte er in dieſer Lage
nicht auszuharren. Warum gab ſie kein Zeichen
des Erkennens, warum kehrte ſie ſo andauernd
die Augen von ihm ab? Ihr Geſicht trug ein
unbeſtimmtes, geheimnisvolles, außerordentliches
Gepräge, das er noch nie an ihr wahrgenommen
hatte. Sie war ungewöhnlich blaß, ſchien ge—
litten zu haben oder noch zu leiden. War ihr
Mann in der Nähe, erlag ſie ſeinetwegen drücken—
den Befürchtungen? Herbig ſah ſich raſch im
Saale um und entdeckte niemand, den er dafür
anſehen oder danach fragen konnte. Nun glaubte
er, ſich ihr nähern zu müſſen, mochte daraus
entſtehen, was da wolle. Dennoch verharrte er
zaudernd an der Stelle, als ſich bereits aller
Augen nach ihm richteten, nur die ihrigen nicht.
Während ein ihm unbegreiflicher Einfluß
556
noch lähmend auf feinen Entſchluß wirkte, brach
fi endlich der ehrwürdige Hausherr, noch glü:
hend von dem VBernommenen und den daran ge:
fnüpften Erörterungen, Bahn durch die Gruppe,
welche fich mittlerweile zwifchen ihn und feinen
Schützling eingefchoben hatte. Herbigs Hand
wieder ergreifend, bat er taufendmal um Ent:
ſchuldigung; allein eine außerordentliche, wid:
tige Neuigfeit auf dem Gebiete der Weltfunde
habe ihn abgezogen und nehme feine Gedanken
faſt ausſchließlich in Anſpruch.
„Nun aber kommen Sie, kommen Sie,
teuerſter Freund, zu meiner lieben Frau.“
Damit führte er ihn durch die Mitte des
Saals zu Eleonoren.
In ſolchen Augenblicken wird der Menſch,
der nicht bloß äußerlich lebt, inne, was er zu
leiſten, zu ertragen und zu erleiden imſtande iſt.
Sein Himmel ſtürzt ein, eine Welt voll Glück
und blühender Hoffnungen bricht in ihm zu—
fammen, knickt und zerichellt alles an Glauben,
Vertrauen und Liebe in ihm, — und die Hal:
tung und Miene foll und darf nichts davon ver:
raten; er muß aufrecht ftehen, und fein Zuden
eines Gefichtsmusfels darf vor fo vielen for:
ichenden Augen anzeigen, wie ihm zu Mute,
was in ihm vorgeht. Auch der Ungeübte erlangt
dann oft wie durd) ein Wunder rajch die nötige
äußere Faſſung; Eisfälte legt fih um das
Herz, das in heißen Gluten jchmelzen und ver:
gehen will.
Zwei Menſchen ftanden ſich jetzt da an:
fcheinend ruhig gegenüber, — Herbig totenblaf,
doch äußerlich gefaßt, — Eleonore zwar bleich,
doch gleihfam unberührt, gleihmütig, mie andern
Fremden gegenüber. Als ihr Mann mit auf:
leuchtender, freudiger Miene feinen Gaſt vor:
führte, wandte jie ruhig dem Verleugneten das
ſchöne Antlig zu und hörte jheinbar unerregt
und fühl den Worten ihres greifen Gemahls zu.
„Hier, meine Eleonore, der treuefte und
liebite junge Freund deines alten Gatten. Dok—
tor Herbig! Es wird dir angenehm fein, die
Befanntichaft endlih zu machen, nachdem du
längjt von mir weißt, wie fehr er deiner Adhtung
wert ift. Sch ſtelle ihn unter deine Fittiche,
meine Liebe!“
Nachdem er jeinen Schützling noch rafch ver:
jchiedenen der anmefenden Damen vorgeitellt
hatte, entfernte fich der greife Gelehrte jchleu:
nigft, um den Kollegen aufzufuchen und vollends
die Frage zu erläutern, zu erörtern, zu erwägen,
Auguft Beder.
infofern und wie weit man ber neuen, fo folgen=
reihen Aufſtellung in der Wifjenfchaft Geneigt-
heit, Glauben oder Zweifel entgegenzubringen
habe. Und bald befanden fich die beiden alten
Herren wieder mitten im neuen Meltgetriebe,
halfen drehen und wirbeln, zerftören und or:
gantjieren, und ſahen und hörten dabei nichts
mehr von ihrer Umgebung.
Indeſſen jtanden fich der Gaft und die Frau
des Haufes inmitten eines Schwarmes von alten
und jungen Damen nod) immer wie Erjtgefannte
gegenüber. Wie die Augen aller ihrer Freun:
dinnen, waren auch ihre Augen dabei auf den
jungen Königsberger Docenten gerichtet, der eben
auf der Nüdreife aus Italien begriffen war.
Kein Zuden in ihrem ſchönen Antlite verriet,
daß ihr der Mann überhaupt ſchon befannt ſei
| oder wie nahe er ihrem Herzen ftehe. Ihre
Miene war falt, ja jtarr, ihre Haltung ſeltſam
jteif und ſpröde.
„Es ift ſehr freundlih von Ihnen, Herr
Doktor,” fagte fie in einem ihrem angenommenen
froftigen Weſen entiprechenden, wie gefroren
flingenden Ton, „da Sie uns die Ehre jchenfen.
Eind Sie ſchon längere Zeit aus Rom zurüd?”
„Bor einigen Stunden erſt angefommen,
gnädige Frau,“ antwortete er in derjelben Ton:
art, indem er fich verneigte.
Mit derjelben fühlen Ruhe und Gelafjen:
heit, wie die Begegnung überhaupt, nahm fie
auch feine Antwort hin. Kein Zeichen des Er:
fennens gab ſich fund.
„Werden Sie längere Zeit hier verweilen,
Herr Doftor?*
„se nach Umftänden, gnädige rau,“ er:
| widerte er. „Nach Umftänden. Am liebften —“
Er ftodte und gab dem bitteren Gedanken, der
ſich ihm auf die Lippen drängte, einen anderen,
minder fcharfen Ausdrud. „Am liebften würde
' ich fofort wieder dahin gehen, wenn es die Ver:
| hältnifje erlaubten. Indes, man fchiet fich in
das Unabänderliche, ohne unnüge Worte dar:
| über zu verlieren. “
Unter ihren fi) aufrollenden Brauen blitte
es auf. Aber fie unterdrüdte die Negung, be:
| zwang | fich völlig.
„Das tft das einzige, was uns zufommt!*
verfehte fie dann. „Es hat mid) gefreut, Sie
fennen gelernt zu haben,“ fuhr fie hierauf etwas
zögernd fort, fette aber rafcher hinzu: „Ich
' hoffe, Sie werden uns wieder beehren!*“ Und
| damit machte fie eine unzweideutige Bewegung,
Eleonore.
daß fie die Vorftellung und daran gefnüpfte
Unterredung beendigt zu fehen wünſche.
So, in den banaljten, abgedroſchenſten
Gejellihaftsphrajen hatte ſich das Geſpräch
ihrer eriten Wiederbegegnung bewegt.
Es hätte des legten Winks nicht einmal be:
durft, — Herbig würde jelbjt abgebrochen haben
und zog fic) ohne weitere Erwiderung, ummillig,
erbittert, mit Eisfälte im Bli und Todesgrimm
im Herzen zurüd.
5.
Herbig war zurüdgetreten mit der Empfin:
dung, als fei ihm das Blut in den Adern ge:
ronnen. Solden Ausgang follte feine hohe
Liebe nehmen! Diefe Erklärung fand jenes
Verſchweigen und Verheimlichen, als er glüd:
heifchend in ſchönen Herbittagen nad ihren
Lippen ftrebte! Hintergangen hatte fie ihn und
ihren Gemahl in zwiefahem Verrat! Eleonore
war nicht eines ihm fremden, aleichgültigen
Mannes Gattin, wie fie ihn glauben lieh, ſon—
dern die feines edeln, verehrten Lehrers, des
Mannes, den er unter allen Menſchen am
meijten ſchätzte.
Eine wilde Zerfnirihung nahm Beſitz von
ihm. Efel, jchal erfchien ihm das Treiben um:
her, jein eignes Leben, Lieben und Streben ein
wüſter Garten voll verworfenen Unfrauts. Ent:
jest, betäubt von der gemachten Erfahrung fand
er fürs erjte feinen Anhaltspunkt im Chaos
wirrer Gedanken und auf dem ſchwankenden
Boden feines Bewußtſeins.
Sah er von ferne nach ihr hin — und er
vermochte auch jet nichts anderes, — jo ſaß
fie nad) wie vor dorten, till die Freundin an:
hörend inmitten einer redfeligen Schar. Auch
jest verriet fein Zug ihres ſchönen Antlites eine
wärmere oder tiefere Bewegung. Allein in fein
Inneres zog dabei eine jchredliche Leere ein, als
jei da alles ausgebrannt, verfohlt, Aſche. Dann
fochte eö wieder in ihm auf wie ein brodelnder
Vulkan, daß er hätte aufjchreien mögen vor
Ingrimm und wilden Schmerz über ungeheuern
Verrat, über heuchlerifche Aralift und kalte Ver:
worfenheit.
Solche Stürme durdtobten ihn, während
er mit der Verpflichtung, ihre Gewalt zu zäh:
men, nod im Salon weilte. Und während fich
dabei der Aufruhr feiner Gefühle notgedrungen
557
etwas legte, nahm eine ſtumpfe Bitterfeit, eine
träge, zähe Entrüftung fein Empfinden ein.
Wie ein nagendes Gemwiffen in den verjtörten
Menſchenſinn, wie eine gierige Natte in den ver:
gifteten Köder, nagte er fi in feinen Groll
hinein und verbohrte ſich in denfelben. Der
Maßſtab zur ruhigeren und richtigeren Beurteis
lung der Dinge war ihm verloren gegangen.
Obwohl er hätte einfehen müſſen, daß Eleonore
unter den bewandten Umftänden faum anders
handeln konnte, ihre Haltung unter den Augen
ihrer Gäfte der Sachlage entſprechend war,
wenn die heimlichen Störungen ihres Herzens
unter der Oberfläche verborgen bleiben jollten,
hier wenigjtens nicht hervorbrechen durften:
fühlte er ſich dennoch auch nachträglich aufs
tiefite verlegt von der zur Schau getragenen
unempfindliden Nuhe und dem falten Gleich—
mut, mit welchem fie ihm begegnet war. Denn
die fühle Aufnahme, die er bei der Hausfrau
gefunden, mußte nach der Aufmerfjamfeit, mit
welcher der Geheimrat ihn empfangen hatte,
auch den Gäften aufgefallen fein. Unter diejen
Umftänden gewann geflifjentlihe Sprödigkeit
den Anftrich einer abfichtlichen Beleidigung.
Während er bei ſich erwog, ob und wie er
ihr entgelten folle, ob er noch länger weilen
dürfe oder befler that, die Einſamkeit zu ſuchen,
um fein widriges Geſchick in feiner ganzen
Schwere und Tüde zu betrachten; während er
bedachte, ob nicht ein raſcher Entichluß ihn am
leichtejten den Qualen enthob, unter welchen er
litt: jah er fi allmählih von Herren und
Frauen umgeben, denen feine Perjönlichkeit
Teilnahme einflößte und die ihn mit ausdauern:
dem Bemühen in die allgemeine Konverfation
zu ziehen fuchten.
Allein er verhielt ſich ablehnend, einfilbig,
kurz, gab verfehrte oder zerftreute Antworten,
oder erwiderte herb und abſtoßend. Seine Be-
merkungen famen aus einem vergällten Gemüt.
Und was man als Originalität hinnahm, war
der Ausfluß verftörter Laune und eines umſchat—
teten Geiftes. Gefährlich war er auf naiv auf:
dringlihe Fragen, und um folche zurüdzumeifen,
ichredte er auch vor anfcheinend albernen Ent-
gegnungen nicht zurüd, indem er fi im troden:
jten Ton den Schein teilnahmlofer Thorheit gab.
Daß er damit anftieß, war nicht verrwunderlich,
fümmerte ihn jedoch wenig.
Bejonders gab ſich eine Feine unterjeßte,
lebhafte Brünette Mühe, ihn zum Reden zu
558 Auguſt Beder.
bringen, Seine Zurüdhaltung deuchte ihr Be:
fangenheit, feine Schweigjamfeit Verſchüchte-
rung, jo daß er nur zum Auftauen gebradht |
werden müßte.
„Ach, Herr Doktor, Sie fommen aus Rom?” |
fragte fie. „Was macht denn der borgheſiſche
Fechter?“
„Kann nicht dienen, gnädige Frau. Ich
habe mit Leuten diejes Schlags feinen Umgang
gepflogen. “
„ber den Apoll von Belvedere haben Sie
doch beſucht?“
„Entfinne mid nicht.
geitellt worden.“
„Eind Sie denn nie im Batifan gewejen?“
„Man hat mich nicht eingeladen. *
So haben Sie auch den Laokoon nicht ge:
ſehen?“
„Leider nicht; er muß zur Zeit verreiſt ge:
wejen fein.“
Die funftfinnige Dame jah den gelehrten
Nömer mit fo bedenklichen Bliden an, daß Fräu—
fein Zenz fich hell auflachend zu ihm wandte.
„Nehmen Sie fih in acht, Herr Doktor,
daß Sie nicht in den Ruf barbarifcher Unbil:
dung fommen,“ fagte fie. „indes fommen Sie,
folgen Sie mir zum Buffet. Sie haben ja nod)
gar nichts genofjen. Ihre Lebensgeiſter bedürfen
der Anregung, und id) werde für etwas Er:
quidendes Sorge tragen.“
Willenlos ließ er ſich bejtimmen, ſich zum
wohlverforgten Erfriſchungstiſch führen zu laſſen,
und durd ihren Beiftand war er bald mit dem
Nötigen verfehen. Ein faftiges Stüd Indian
jtillte den mit dem Eſſen fommenden Appetit,
einige Gläfer Rheinwein hoben fein Gemüt aus
der Bedrüdung und gewährten den gewöhnlichen
augenblidlihen Troſt. Allein mit innerem
Schauer dachte Herbig an die erite Mieder:
begeanung mit dem greifen Freunde, dem Herrn
des Haufes.
„Und was fagen Sie zu den ſocialen Er:
icheinungen in unfererReihshauptftadt ?* fragte
ihn am Büffett eine aus den Nheinlanden jtam:
mende Dame mit etwas tiefer und rauber
Stimme, grauem Haar und Fräftigen Zügen,
in denen ſich Charafter, Feitigkeit und Anftand |
ausprägten.
„Gar nichts, meine Gnädige,“ war Herbigs
Antwort.
Sit mir nicht vor:
„Das iſt zu wenig!” erwiberte fie in einen
Ton, als jei fie gewohnt, rüdhaltslos die Nüd:
fichten zu beanfpruchen, die man einer Frau von
ihrem Alter und Anſehen ſchuldete.
„sch begreife niht, Frau Geheimrätin,“
verjegte jegt Herbig, „wie man fih darüber
wundern mag, wenn von wilden Bäumen Holz:
äpfel fommen oder Konfequenzen der im Nu
wechjelnden Weltanfchauungen für die Praris
gezogen werden. Sonſt gab es Ritter des
Geiftes, jagt ein erniter Mann, heute Nitter
des Blödfinns, deſſen Ausgeburten fich ala
Glaubensartifel aufdrängen. Das iſt der Geiſt
der Welt. Scief iſt alles, meint Timon von
Athen.“
„Sie find ein Peffimift,“ äußerte die Ma:
trone.
„Ich wäre für den Peſſimismus vollfom-
men reif, wenn fich nicht fo viel eitle Narren
dazu befennten, jchreibt Gutzkow an einen
Freund. “
„Wenn Sie wollen, fetten wir uns mit
unferer Beute an jenen leeren Tiſch,“ meinte
jest die alte Frau gemütlich, wie eine Rhein:
' länderin. „Wir fönnen da eſſen und plaudern.
Kommen Sie!”
Und Herbig folgte ihr.
Dort ſaß leider bereits ein Herr, bei deſſen
Anblid die alte Geheimrätin brummte, als finde
fie diefe Geſellſchaft ſo unwillkommen, als ent:
behrlih. Der Herr Profeflor, wie er genannt
wurde, hatte denn auch jchon ein ſeltſames Aus:
fehen: große Augen bei vorjpringender Naſe
und ſtark zurüdweichendem Kinn. Dies gab
feiner Erſcheinung etwas Auffälliges, Geier:
artiges, Geſpenſtiſches. Fortwährend muffelte
er und plauberte dabei nach rechts und links,
indem er, da viele feine Nähe flohen oder aus:
wichen, die Zeute beim Knopf zu paden pflegte.
Gewöhnlich ftellte er feine Säge in Frageform
auf und beantwortete fie dann jelbjt mit einem
jeufzenden „D ja!” öfter noch mit einem kla—
genden „O nein!” wobei er wie ein Blutfinf
piepte. Als fanatisher Anhänger der Viviſek—
tion hatte er ein Buch zu deren Verteidigung
geichrieben und ſcheuchte in Geſellſchaft mit einer
Schilderung feiner „schönen Verſuche“ die Leute
' weit hinweg aus dem Gehörkreis feiner glüd:
licherweije Schwachen, klagenden Stimme.
(Schluß folgt.)
Sriedrich von Bellwald. Ceben und Treiben in Meriko 559
Seben und Treiben in Mexiko.
Von
Friedrid von Hellwald.
ge: Ich führe Dich weithin an einen fernen,
öden Strand! Endlos vor dir flutet tief-
blaue See wie ein Dpal in ſchimmernder Pracht.
Senkrecht ſendet die Sonne ihre fengenden
Strahlen auf deinen Scheitel nieder, denn längjt
ihon haft den MWendefreis du überjchritten.
Nadter, heißer, dürrer Sand nur bildet den
troftlos flachen Küftenfaum; Fein Baum, fein
Straub, fein Gras ſprießt auf dem ungaftlichen
Boden, nur hie und da hebt ein jtachlicher
Kugelkaktus fein häßlich grünes Haupt empor.
Böje Seuchen, dem Fremden verderblid, wüten
hier und in dem niedrigen Gemäuer dort, welches
E ji) dir alö des Landes erjte Hafenjtadt ankün—
: digt. Flieh' die gefahrdrohende Stätte und
> zieh" ins Land hinein, deß' ſchneeverhüllte Kegel:
berge hoch hinan ragen in den Haren Aether.
Du ſteigſt bergan. Gleich einem Traum:
geſicht ift dir der dürre Küſtenſtrich entſchwun—
den, des Meeres Wogenſchall, die Stadt und
ihre Schiffe auf der Reede. Waldesgrün, dicht
und dunkel, umfängt dich, ſchützt dich gegen die
Glut der Sonne, labt dich mit würzigem Dufte;
milde feuchte Nebel hängen an den vielge—
ſtaltigen Blättern und
in jäh eingeſchnittenen
Schluchten brauft tief
unter dir kas⸗
fadenreid der
reißende
Waldbach.
Mit den fein—
gefiederten
Farn wechſeln
die mannig—
fachſten For—
men der Pal—⸗
men, und auf
den ſeltſam—
ften Gewäch—
fen niften Vö—
gel noch feltfamerer Art. Da,
wo das Maldgebiet bebauten
71
560
Boden Plat macht, gewahrt das entzüdte Auge
ein neues Bild.
Größer und dräuender find fie geworden,
die Bergriefen, die auf die tropische Landſchaft
herabſchauen und ihr einen eigentümlichen Cha:
rafter verleihen; inmitten prangender Fluren
ftehen ausgedehnte Gehöfte und eingerahmt im
Schmucke landihaftlihen Reizes kleine Städte
von erfchredlich regelvechter Monotonie und jelt:
fam Elingenden Namen; dann trifft das Auge
- er na n.2r J
er
- EEE ENH en %
5 El
—
Friedrich von Hellwald.
auf grüne Laubwälder herrlicher Eichen und
Ulmen, deren befreundete Form heimatlic) an:
mutet und grüßt, ein allmählicher Uebergang von
der Alten zurNeuen Welt. Hier darf der Menſch
frei atmen, hier entfteigen dem Boden feine
gefährlihen Miasmen, feine Wechfelfieber ent:
fräften das Leben des Pflanzers, feine erjchlaf:
fende Hige hemmt die freie Thätigfeit. Weich
und mild weht die Luft das ganze Jahr hin:
dur), bei Tag lind dur die Meeresbrife,
Die Ba auf ber „Playa" in Merite t (E. 562).
nachts durch erfriichenden Gebirgswind gefühlt.
— Da, mo auf den höchſten Päſſen der Berge
Scheitel endlich du erflommen, trittit du ein in
ein neues, fremdes Land. "Der Wald bleibt
allmählih zurüd, die Vegetation ändert ſich.
Graswuchs, furz und fein, ſtrauchartige Stevien
bezeichnen den Charakter der Landſchaft, welche
zum Tafellande geworden. Hier, mehr denn
2000 m über dem Meere weißt du faum, be:
findeft du dich unter den Tropen oder unter
dem Himmel Neapels. Nirgends mehr mahnt
die Natur an den Typus des Tropifchen, wären
nicht die Maße und die Größe der Pflanzen:
formen. Dornige Mimofen, Yucca und haupt:
fählich der Mais find hier die vorherrichenden
Gewächſe. Nadelhölzer ziehen fich zum Teil nad)
Oſten hin, gegen Weiten aber find die Berg—
züge öde und fahl. Die große weite Ebene
bedrüdt den Neifenden durch die Monotonie
ihres Ausfehens und ift jeit Jahrhunderten der
Sit einer hart bedrängten Bevölferung gewejen.
Die Gegenden im eigentlichen Inneren des
Landes bieten Scenerieen, den füdeuropätfchen
ähnlich. Eine Maſſe von Städten, Dörfern und
Leben und Treiben in Merifo
Zandgütern, von Dliven=, Feigen-, Kirfchen-,
Mepfel:, Quitten- und anderen Bäumen um:
geben, Alleen von Bappeln und Eichen, Frucht:
und Gemüfegärten aller Art würden dich ver:
geilen laſſen, daß du fern auf fremder Erde
wandelt, wenn nicht die Bflanzungen der gave,
die Gartenzäune von Kaftus daran erinnerten.
Wir befinden uns, der Leſer hat es längjt
erraten, im Reihe Montezumas, in Merito.
Mühſam feucht heute das Dampfroß auf dem
Scienenftrang, welder von Vera Cruz durd)
die gejegnete Tierra templada, über Cordoba
und Orizaba etwas nördlich von den berühmten
Gumbres und am Fuße
des weithin fichtbaren
Feuerberges von Orizaba
zur Waſſerſcheide der öſt—
lichen Kordillere ſich em—
porwindet und über die
weiten Hochebenen hin—
weg nad) der Hauptſtadt
Mexiko eilt, Nicht nur
in Merifo, jondern in
allen Städten auf dem
Tafellande find die Bor: |
ſtädte unanfehnlih und |
ſchmutzig, von der ärm: |
iten Klaſſe bewohnt; |
Schutt und Kehricht, |
tieriſche Ueberreſte und
Bautrümmer findet man
an den
Eingängen
der Städte
aufge:
häuft, im
der Nähe
elender
Hütten,
den Woh:
nungen
(umpiaer
Proleta—
vier ober — wit VRR
halbuad: * —
ter India—
ner. Der
Kern der
Stadt ae
ſtaltet ſich
freilich
ganz an—
rchſietturproben aus Merito S. 662).
562
ders,
den Eindrud eines alten Aztefenplages, fon:
dern weit eher den einer, wenn auch fpanischen,
jo dody vollfommen modernen, jehr hübjchen
und auch im Verhältnifje reinlihen Stadt.
Die Straßen find mit breiten Bürgerfteigen be:
legt und in ganzen qut gepflaftert, und bejonders
die „Plaza“ mit der wundervollen Kathedrale
—
*
Mexiko macht heutzutage nicht mehr
Friedrich von Hellwald.
(S. 560), vor der ein Springbrunnen plätſchert
und Bäume wie Blütenbüfche angepflanzt find,
gewährt einen gar hübſchen und freundliden
Anblid. Die meiften Städte haben gerade und
breite Straßen, die fih, wie in den Vereinigten
Staaten, rechtwinklig jchneiden. Die Häufer
der Fleineren find der Mehrzahl nach einftödig,
die der größeren haben zwei, drei und mehr
Korribor eines meritaniſchen Haufe.
Stodwerfe; der Baujtil ift der ſpaniſche, und
insbefondere der Zopfitil des fiebzehnten Jahr—
hunderts, doch fehlt es in Mexiko aud nicht an
Häufernmoderner Bauweiſe (S. 561). Dieinnere
Bauart und Einteilung der Häuſer iſt meiſtens
ſehr hübſch und bequem. Die Stiege iſt beinahe
immer ausnehmend ſteil und führt in den breiten
Gang, der den Hofraum umgibt, und auf welchen
alle Thüren münden.
hübſch aeflochtenen Matten belegt, mit baum:
artigen Pflanzen und Blumen geſchmückt, Bänfe
find daſelbſt angebracht. Europäische Bewohner
pflegen dort wohl aud Hängematten aufzu:
ichlagen, wie auf unferer Abbildung eines ſolchen
Er ift gewöhnlich mit |
Korridors zu erfehen. Von dort gelangt man
in das Gejellfchaftszimmer, das in reihen Häu—
jern ſtets mit Teppichen belegt ift und prunf:
volle, mit Seidenftoffen überzogene Möbel ent:
hält. Vergoldungen find fehr beliebt, vergoldete
Tische, Käftchen und Spiegelrahmen gehören
zum ausgejuchtejten Zurus. Die Schlaf: und
Wohnzimmer der Familie entbehren dagegen
oft gar jehr der Nettigfeit und Neinlichkeit, auch
begnügt man ſich für viele Menfchen mit wenig
Zimmern. Die Mutter und fünf bis jechs
Töchter Schlafen in einem Eleinen Gemach. Das
Speifezimmer ift neben der Küche angebradt
und mittels einer Deffnung in der Mauer und
£cben und Treiben in Merifo.
einer Vorrichtung werden Speifen und Teller
fördert. Manche Küche ift mit impofanten Bad:
öfen ausgeftattet, in welchen die jo beliebten
563
‚ Herde und in den landesüblihen Wirtshäufern
durch unfichtbare Hände herein und hinaus be: („Fonda“) in Eleineren Orten jteht diefer ge:
wöhnlih im Gajtzimmer felbit; ihn umjtehen
noch gewöhnlicher einige oft recht jaubere, aber
„Tortillas“ bereitet werden, ein aus geriebenem | leider zumeist. jehr ſchmutzige Frauenzimmer.
Mais verfertigtes Badwerk in der Form einer
dünnen Scheibe, tellergroß, weich und geſchmack—
los.
Sonſt bedient man ſich meiſt offener
Läßt danad) das Innere mexikaniſcher Häufer
mancherlei zu wünſchen übrig, jo nehmen fi
dafür die Hofräumlichkeiten defto anmutiger
——
Der Badolen im meritaniſchen Daufe
aus, wie unſere Anſicht des Hofes im Hauſe
des verſtorbenen Präſidenten Juarez (S. 564),
des erbitterten Gegners Kaiſer Maximilians,
zeigt. Bei weitläufigen Gebäuden findet ſich
mitunter noch ein zweiter hinterer Hof, in wel—
chem nicht ſelten eine Ciſterne oder ein Waſſer—
behälter angebracht ift (S. 565).
In diefen Häufern führen die Merifaner,
fofern es fih um die beiferen, von Europäern
abftammenden Klaſſen handelt, ein fehr inniges |
”amilienleben ; das Verhältnis zwiichen Eltern |
und Kindern, ſowie auch zwifchen Geſchwiſtern
ift geradezu ein zärtliches zu nennen. In Merifo
herricht die fonderbare Sitte, daß die Mädchen
|
|
|
bei ihrer Verheiratung nicht in das Haus ihres
Mannes ziehen, fondern daß fehr oft der Mann
ein Hausgenofje der familie feiner Frau wird.
Co bildet fih ein großer Kreis um das Eltern:
paar; Töchter, Schwiegerföhne, Enkel, Schwäger
und Schwägerinnen, Vettern und Baſen be:
wohnen oft ein verhältnismäßig fleines Haus,
leben von der Großmut des Familienober—
hauptes und zollen ihm auch viel Ehrfurcht.
Selten treten fie aus diefem Kreife, oder dann
doch nur in einen aanz ähnlichen; die Ideen
bleiben äußerſt eng, das Intereſſe dreht fich
beinahe ausſchließlich um die Creignifie des
Familienlebens. Worin man aber den Frauen
564
Mexikos im großen und allgemeinen unendlich
unrecht thut, ift in Bezug auf ihre Moralität.
Schon das Bollwerk der Verwandten, das ge:
wöhnlich eine junge rau umgibt, jet fie we—
niger den Gefahren aus; doch find fie beinahe
überall auch zurüdhaltend und vorzüglich der
Anmaßung der Fremden gegenüber ftreng und
beinahe prüde. Die Chen find innig und
glüdlih; überall fieht man die Eheleute mit:
Friedrich von Hellwald.
einander; der aufmerkſame Gatte überhäuft
ſeine Frau mit Geſchenken, was als Beweis
von Liebe ſehr hoch gehalten wird. Vor der
Ehe iſt jungen Leuten unter keinerlei Um—
ſtänden eine freie Begegnung miteinander ge—
ſtattet; ſie können ſich höchſtens von ihren Bal—
fonen aus oder auf dem Paſeo, dem öffentlichen
Spaziergange, gegenfeitiganfehen. Selbjtredend
gilt dies nur von den höheren Klaſſen der
Dof im Oauſe des Präfidenten Juarıy (8. 502).
Kreolen. Von den Meſtizen und den niederen
Voltsihichten find dagegen ziemlich lodere Sitten
zu melden. Entführungen find bei ihnen an der
Tagesordnung.
Ueber die Schönheit merifanifcher Frauen
läßt fich viel ftreiten; im ganzen genießen fie
diefen Auf und verdienen ihn auch jedenfalls
wegen der Pracht ihrer Haare und Zähne, des
tiefen Glanzes ihrer großen, Schwarzen Augen,
der wunderbaren Kleinheit ihrer Hände und Füße.
Die Jugendblüte dauert aber nur furze Zeit
und im reiferen Alter werden die Merifanerinnen
meiſtens jehr ftark; auch zeiat fi dann oft ein
dunkler Flaum auf der Oberlippe und mand)e
Dame erfreut fih eines ziemlich jtattlichen
Schnurrbärthens. In der Toilette liebt es die
wohlhabendere Klafje, einen Lurus zur Schau
zu tragen, der in den meiſten Fällen in finnlofe
‘Brahlerei ausartet. Was aber die Damen jehr
geihmadvoll tragen, und was ihnen ganz vor:
trefflich jteht, das find die fogenannten „Rebo—
308”, die Mantille der Spanierinnen, und ob
jie num aus ſchwerer Seide oder Spigen, oder
aus gewöhnlichen , felbitverfertigtem Baum:
wollenzeug gewoben ijt, die jungen und älteren
Damen willen fie jo geichidt und dabei immer
ein wenig fofett umzumwerfen, daß es eine Luſt
und Freude ift. Sonſt greift freilich die fran:
zöſiſche Mode immer mehr um fih. Der Mexi—
faner der unteren Klaſſen trägt die „Serape*,
‘
|
|
j
£eben und Treiben in Merifo,
mn
diefe in ganz Mit: —
tel: und Südame⸗
Dede, um fih da:
mit gegen Kälte
und rauhe Luft zu
ihügen. Aus den
höheren Ständen iſt
dieſes Kleidungs⸗
ſtück aber faſt gänz:
lich verbannt. Dieſe
tragen dagegen noch
immer ihre koſt—
baren Reitanzüge.
Die Herren erjchei:
nen auf dem Paſeo
meift zu Pferde und
jind da immer im
Nationalfoftüm,
während fie zu
Haufe oder zu Fuß
auf der Straße
gleichfalls die ge:
wöhnliche franzöft:
ſche Kleidung tra:
gen. Der große
lichte „Sombrero“, der Hut mit fteifer, breiter
Krempe, welcher die Schultern überragt, mit
Goldſchnüren verziert, die dunfle Jade mit den
vielen Heinen Silberfnöpfen, die reih in Gold
und Silber gejtidten „Zapateros”, welde, über
das gewöhnliche Beinkleid gezogen, von unten
nur über das Knie reichen und mit einem Gurte
um den Leib gehalten werden, find ſehr Heid:
jam, und ebenfo geſchmückt wie der Neiter tjt
auch fein Kleines gedrungenes Pferd. Der
Sattel ift reich in Gold oder Silber gejtict,
der große Sattelfnopf und die Nüdlehne find
mit Silber bejchlagen, ebenjo verziert find
Mundſtück und Kopfzeug; die Zügel beſtehen
aus einer bunten ſeidenen Schnur, die mon:
itröfen großen Radſporen, die übrigens gefähr:
licher und graufamer ausfehen, als fie wirklich
jind, dürfen nur aus Silber fein.
Scharenweiſe reiten die Merifaner jo durd)
die Gaſſen zu ihren Morgenpromenaben und
diefes Neiten hat für uns etwas Geheimnis:
volles, denn der Tritt der Werde ift beinahe
lautlos, da die Hufe gewöhnlich nicht bejchlagen
find. Ihr beliebteftes Ziel iſt der ſchon er:
wähnte „Bajeo”, eine fchattige Promenade, die
——i
— —
rita gebräudlihe — —
— — — — —
rer
!
—F
2
Waflerbehälter im Kinteren Hofe bed Haules (8, Son).
«
die Plaza und die „Alameda”, der öffentliche
Garten, zu ihren charakteriſtiſchten Zügen gehört.
In Mexiko iſt der Paſeo de Bucareli eine lange
Allee, die aus vier Reihen häßlicher, verfrüp:
pelter, pappelartiger Bäume bejteht , von beiden
Seiten find Fuß: und Neitwege angelegt, der
Weg ſelbſt ift nicht zum beften erhalten. Noch
weniger glänzend tjt der Paſeo in Morelta, der
Hauptitadt des Bundesſtaates Michoacan, welche
zu Ehren des hier geborenen Patrioten Joſe
Alonſo Morelos ihren früheren Namen Balla:
dolid mit dem gegenwärtigen vertaufchte. Ein
jchlichtes Denkmal zur Erinnerung an diefen
heldenhaften Prieſter und Vorfämpfer der frei:
beit Shmüdt den Paſeo (5.567), der ſich auf einen
einfachen Baumgang reduziert. Morelia ift eine
kleine Landſtadt, deren größte Sehenswürdigkeit
vielleicht die 1788 erbaute, 5 km lange Waſſer—
leitung ift, welche auf mafjiven Steinbögen
dahinzieht (3.566). Die Einwohnerſchaft über:
jteigt wohl faum 30—35 000. Gerade an jol:
chen Plägen kann man beifer als in der Metropole
Thun und Treiben fennen lernen. Das ganze
Leben der Merifaner trägt den Stempel eines
dolce far niente; nie ſieht man ſie gefchäftig durch
in feiner Stadt fehlt und wie die Kathedrale, die Straßen eilen, mie tft ihre Zeit in Anſpruch
566
Friedrich von Hellwald,
genommen. Sie jtehen früh auf, die Damen | und nieder gehen, um es trodnen zu laſſen.
gehen tief verjchleiert in die Kirche, die Herren
begihnen ihre Morgenpromenade. Nah dem
Spaziergang zieht fi alles in die Käufer
zurüd; gewöhnlich wird dann ein Bad genom:
men, dann fieht man oft die Merifanerinnen
mit aufgelöftem reihem Haar, das mantelartig
ihre Schultern umwallt und beinahe bis zu den
Füßen reicht, auf den Terrafien der Häufer auf
Mit der Vollendung der Toilette vergeht lang=
jam die Zeit; find Kinder im Haufe, jo wird
ihrem Spiele zugejehen, doch auch dieje find
janft und ruhig wie die Eltern; fein Lärmen,
fein Streiten ift vernehmbar. Die kleinen Weſen
ſcheinen fehr früh reif, entwideln ſich jehr ſchnell
und find meijtens äußerft zart, weshalb die
Kinderjterblichkeit eine ungemein ftarfe ift. Bei
Die Waflerleitung von Morelia (©, 566).
dem jungen Heiratsalter der Mutter ift der
Kinderfegen in der Negel fehr groß. Von den
fehr zärtlihen Müttern werden die Kinder meiſt
jelbft genährt und vom früheften Alter an wie
die Puppen behandelt. Schon des Morgens
fann man fie zierlich gekleidet nad) der Ala-
meda tragen fehen, abends nimmt man fie mit
auf die Paſeofahrt. Wenn fie heranwachſen,
befuchen fie während mehrerer Stunden des
Tages Schulen, Wohlhabendere auch Penfto:
nate, deren es freilich in den fleineren Städten
nur wenige gibt.
Aber bei aller Gelehrigleit, Folgſamkeit und
Gutartigkeit fehlt e8 ihnen fhon in der jugend
an einer gewilen Offenheit, einem wahrhaft find:
lichen, rüdhaltlofen Wefen. Die ntelligenz er:
wacht jehr früh und erreicht ſchnell eine gewiſſe,
oft jtaunenswerte Höhe, aber dann bleibt fie
ftehen. Um die Mittagözeit wird in jedem Haufe
ein zweites Frühſtück eingenommen, bei welchem
die Tortillas und fchwarze Bohnen, fogenannte
„Frijoles“, zwei beliebte Nationalfpeijen, injedem
Haufe, ob arm oder reich, die Hauptrolle fpielen.
Auch Ragout von Truthähnen mit „Chile“,
einer Art Spanischer Pfeffer, und Tomaten be:
reitet, ift gleichfalls eine Lieblingsipeife. Mit
Maismehl gemischt und in Maisblätter gewickelt,
in Dunst gekocht, bildet dieſes Nagout die befte
£eben und Treiben in Merifo.
567
Speife des Landes, die „Tamales”, wenigftens | gibt es fein eigentliches Mittagsmahl; man läßt
für unferen Gaumen, weldem die mit großer
Menge Schweinefett hantierende Kochweiſe Mexi—
kos im allgemeinen wenig zufagt. Die Nad)-
mittagäftunden vergehen in Empfang und ber
Ermwiderung von Bejuhen; geiſtige Beichäftigung
ift fo gut wie unbefannt, bejonders bei den
Damen, welche außer dem Gebetbuch faum ein
anderes Buch kennen. In fehr vielen Häufern
fich eine Schofolade oder eine Speife bereiten,
lebt überhaupt äußerſt mäßig. Das National:
getränf, das aud) auf dem Tijche der Neichen
nicht fehlt, ift „Pulque“, welches aus dem ge:
gohrenen Safte der Magueypflanze, der ameri—
fanifchen Agave gewonnen wird. Werden Gäſte
erwartet, jo tritt an Stelle der gewöhnlichen
Einfachheit große Ueppigkeit und die Neihe der
Moreloh’ Tentmal IS. 5651,
Speifen nimmt dann fein Ende. Nach der Paſeo—
jtunde begibt man ſich ins Theater, wenn eines
in der Stadt vorhanden ift; ſonſt ruft Die Abend:
glode die Familien ins Haus, die ledigen Männer
nad) den Kaffeehäufern, um Schofolade zu neh:
men, die, jtark mit Zimt verfegt, ſehr gut ift und
viel getrunken wird. Auch der Handwerker iſt
daran gewöhnt und zumal die Frauen entjagen
ungern diefem Genuß. Die Gefchäfte des Tages
werden nun beſchloſſen; gewöhnlich bleibt die
Familie der bejleren Stände beifammen, nur
wer über Tag gearbeitet hat, geht aufden Markt,
nach den Bortales, um zu hören und mitzuteilen.
Gern fommen auch einige vertraute Freunde in
1)
|
einer befannten Familie zufammen ; man fpricht,
raucht, mufiziert und tanzt. Unter den gejelligen
Talenten der Merifanerinnen fteht ihre Freude
und ihr Talent zur Mufif obenan; fie fpielen oft
jehr hübſch Klavier und befigen auch wohlflingende
Stimmen. Bei einer ſolchen anfpruchslofen
Abendvereinigung, einer fogenannten „Tertulla“
fiquriert weder Thee und Badwerf, noch gar die
Weinflafcheoderdie Punſchbowle. Höchſtens reicht
man ein feines Glas ſüßen Weines, „Sangria“
(Wafler, Wein und Zuder) oder Limonade.
Die Männer trennen fi häufig von den
rauen, um entweder eine Partie „Malılla“
oder „Treſillo“ zu jpielen, oder gewöhnlid) eine
12
Stiedrih van Hoffs.
Warnung.
Markt in Morelia.
fleine Bank aufzulegen. Die galanten jungen
Herren verlaflen die Damen nicht, die Unter:
haltung ift leicht, Wit: und Wortipiele jagen
ſich, leicht entzündliche Naturen flammen auf
und alühen, aber der äußere Anjtand wird nie
verlegt. Hier, in folchen Kreifen von Bekannten
tanzt man gerne noch die fpanifchen Tänze,
welche ftet5 von Gejang begleitet find und
durch die Mimik erſt ihre rechte Bedeutung
befommen.
Auf dem Lande überjteigt die Zahl der
Meitizen weitaus die der Kreolen. Pächter und
Heine Gutsbefiger, jowie die vielen zertreut
“
mwohnenden Hirten und Bauern find beinahe
durchweg Meftizen. ihre Frauen kann man
auf den bejcheidenen Märkten der Landſtädte
treffen, wie ein Teil eines folhen in Morelia in
obigem Bilde zu ſehen. Auch die Klafje der
Handwerker in Dörfern und Städten zählt eine
Menge folder Mifchlinge, deren Ehrgeiz es
gern den Weißen gleihthun oder diefe über:
flügeln möchte. Außerdem beichäftigen fich viele
mit dem Handel, der ſich früher ausſchließlich im
Betrieb der Weißen befand, und es ift auch gar
fein Zweifel, daß die Zukunft des Landes in
den Händen diefer Meftizen Liegt.
«3 Warnung &»
Von
Friedrich von Hoffs.
Da Niegt den blumigen Hang hinab
Ein Falter, feht fi und ruht.
Soll ich ihn fangen? Meidideldum!
Hafen mir unter den Hut?
Falter entflendht,
Leidt geſcheucht,
Kind,
Hüte dich, fall’ nidzt!
Da ſteht im See eine Lilie weh,
Die wankt und winket mir zn.
Soll ich mich büchen? Heidideldum!
Pflüc’ ich fie, hat fie wohl Anh’!
Ufer if jäh,
Tief der Ser!
Rind,
Hüte dich, fall’ nicht!
a3 Bur Zeitgeſchichte. >
wuofaik.
Fr Berlin bat fi eine allſeits will»
= kommen gebeikene Agitation gegen
das unfelige Mlavierfpielen geltend ger
macht, weldye die Bearbeitung ber „ Draht-
fommode” ober des „Saltenjpindbes* auf
gewiſſe Tagesftunden zu beichränten trach ⸗
tet. Wer wünjdhte biefer Bewegung nicht
Grfolg? Es aibt wohl faum einen Men»
ſchen, den nicht Die herrichende Slavierpeft
ju den undriftliäften Wünſchen verleitet
hätte. Unſer Mitarbeiter Stinde empfiehlt
Awangsüberliedelung bed Slavierpaufers
in ein befonderes Mufilftabtviertel.
Zu ben mancherlei Saden, welde
von den Dieyerd und Baededers mit dem
aue jeichnenden Sternen verichen werben,
tritt num auch die — — Mitternadhte-
fonne. Zweimal wöchentlich fahrende
„Zouriftenshiffe* befördern diejenigen,
welche das Naturwunder geniehen wollen,
von Trondhjem nah bem Norblap. Die
Hin» und Riüdfahrt inkl. der „Borjiels
lung“ nimmt 8 Zage in Anjprud)
Die Einwanderung Deuticher in Ame-
rita zeigt eine beträdtiihe Gteigerung
während des Mpriis. An genannten
‘Monat hat ih die Yahl gegenüber bem-
felben Monat des Vorjahrs um 2833 Per«
\onen vermehrt,
Ein nicht geringes volfäwirtihnftlichen
Interefle erregt die Etatiftil liber die Ita»
lienifchen Sparkaffeninftitute, welche
dere Minifier für Aderbau, Andbuftrie und
Handel ſoeben publiziert, Danach betrug
am #1. Dezember 1883 bie Summe ber
gemachten Epareinlagen; 1147695109
Yire gegen 157205040 Pire im Jahre
1869 und 348 121099 Lire Im Jahre
1879. Im nanyen befikt Italien jeht
283 Sparfafien, ber Zuwacht ber (ritt«
lagen zeigt ſich am bebeutenbjten bei den
Poſſſparlaſſen
Yu den wenigen Dingen, die man
bisher nicht zu zählen unternommen hatte,
nehörten aud die Haare, obgleih ihre
Menge vielfach Iprihwörtlih angewendet
wurde. in engliider Aryl, Dr. Willon,
der offenbar an Patientenmangel leidet,
bat die ihm hierdurch gebotenen Mube
ftunden dazu benußt, das Problem zu
löfen, und fiche ba! er fand 127,920 Haate
durchſchnitilich pro gebörig behaartem Kopf
— gewiß weit weniger ald viele dachten
Das 6Mmjährige Nattenfängerfeft
wirb am 26. Juni in Hameln feſtlich be»
gangen werben.
An Amerila wird unſer genialer
Staatsmann Bismard vielfah zu Ne
Hamen von fyabrifaten gebraucht. Sofann
man fefen, welche Uchnlichleit ber ©er
waltige mit Spaufdbins Leim oder mit
Sojodont bat; aber immer finde man
dabei doch warme Anerkennung, die mit
dem uns an fidh wenig ſympathiſchen
Gebaren verlöhnt.
Syür viele ift es ein harict Schlag
geweſen. dab die Hamburger Scewarte
ihre Wetterprognofen einitellte, doch fünnen
wir ihmen zum Troſt mitteilen, daß in
anderer Form bie fteis tilllommenen Nadı»
richten wieder aufleben werben.
Expedition und Aofonialmefen.
GO des raffiihen Marinereflorts
“SL, haben das Projelt einer neuen Nord»
polerpedition ausgearbeitet, nad dem
das Vorbringen nur langfam erfolgen und
durd zum erricdhtende Stationen ftets eine
Nüdtehr möglih gemacht werden fol.
Die vielbeſprochtne Anfievelung der
iyirma Lüderig an der Angra Bequena-
ucht gab Beranlaffung zur Betrachtung
des deutſchen Handels nah Wetafrita,
wobel ſich heraueſſellie, daß wohl ſchon
jet dee deutſche Handel auf Guinea dem
englifchen überlenen ift, 1883 fuhren von
Hamburg 13 regelmäßige Dampfer 25mal
nah Gübmefiafrifa, und pwar machten
4 deutiche Dampfer 10, 9 engliſche Dampfer
15 Reifen. An jedem Fall hat das deutſche
Slapital in Weitafrita die beiten Hofe
nungen auf lohnenden Erfolg
Thealer.
Sarah Bernhard, die große framd
2 ſiſche Schauipielerin und noch arbere
NUetlameheldin, die wegen ihrer Mager»
teit fprihwörtlih geworden if, lernt jeht
das PVieblings-Anitrument Friedricht Des
Großen — die Flöte blajen. Man er
zählt fih nun, daß fle 9 bei ihren Stu ⸗
dien ſeſibinde, damit fie nicht durch bie
Gewalt ihres eigenen Atems in eines der
Flotenlöcher hineingeweht werde und auf
Nimmerwiederiehen in dem hohlen Innern
ded Inftruments verſchwinde
wunfih,
Sypgäbrend am 25. bi 26. Mai in
—Weimar das Yubiläumsfeit des
Allgemeinen dentichen Muſikvereins
begangen wurbe, bereitet man in Bonn
das 2bjährigne Etiftungstelt des Mänuer-
nefangvereind vor, bei dem ein großer
Gelangwettitreit veranftaltet werden ſoll.
An Stelle rer. Hillers iſt Hof
tapellmeifter YBliliner von Dresden unler
den günftigften Bedingungen zum fädti-
ſchen Kabellmeiſter und Xeiter des Sons
jervatoriums in ſöln ernannt worden.
Aunſt.
Son fetter Belt find verſchiedene Dent ⸗
5 male enthillit worden, joam 21. Mai
ein Luther-Ztandbild in Walhington, am
11. Mai in Pavla ein Denkmal Gari
baldis, am 2. Aunl ein Denkmal für ven
General Dufour in Genf.
Der Maler von Stetten hatle im
diesjährigen Salon in Paris ein Bil
ausgeftellt und war bafir mit einer Me»
daille ausgezeichnet worben. Herr E. About,
der Redakteur des XIX. Siecle und aud
bei und als Autor woblbefannt, polemi-
flert dagegen in einer Weije, die es jdiver
madt, zu Sagen, ob feine Beidränftheit
oder feine Gemeinheit größer ij, Er fann
ſich nicht erflären, „dak die Deutjchen nicht
in Frankreich den Empfang finden, den
man den ftörenden Hunden bereitel*. Gr
hat von dem Bild nicht gejproden, „weil
Dre Name deb Aünſtlers auf 100 Schritte
nad Deutfchtum riet‘, Ob Here About
„laubt, mit folden Nlüpeleien feinem
Vaterland einen Dienft zu erweiſen und der
Alademie Ehre zu maden, der er angehört?
570
Wormfer Bürger erlaffen einen Auf»
ruf zu Beiträgen für die Reitauration des
Bormfer Doms, weld herrliches Dent-
mal deutjcher Baufunft leider dem Berfall
entgegengeht.
Entdedungen.
afteur, der bekannte frangöfliche Ge»
fchrte, behauptet, das Mittel gefunden
u haben, um der Hundtwut vorzubeugen,
* er ſtellt ſogar ein allmähliches Gr»
löfchen der Stranfheit in Ausſicht. Wird bei
einem von einem tollen Hund gebijjenen
Menſchen die Pafteurihe Impfung arıges
wendet, bevor die Yundbsmwut ausgebroden
ift, jo fann er gerettet werben.
wilitärifdes.
m 1. Juni trat das neuformierte
& Ballondetachement der deutichen
Armec, deijen Aufgabe in der Bornahıne
von Berjuden mit dem Ballon captif
bejteht, zufammen. Außer einem Haupt»
mann, der als Boritcher ber Berſuchs-
ftation fungiert, gehören zu dem Detade-
ment 1 Premierlieutenant als Mitglied
und führer des Detachements, 2 Selonde ·
lieutenants, 1 Luftichiffer als techniſcher
Beirat, 4 Unteroffijiere, 35 Mann In—
fanterie.
In Amerika ift der Vorſchlag zur
Erbauung ſchildtrötenartiger Banzer-
fchiffe gemacht worden. Nach dem Pro⸗
jet des Seren Glart follen die Panzer:
wände bes er foweit unter die Waſſer ⸗
linie reichen, daß eine ſenkrechte Bent
unterbleiben fann. Das feindliche Geſcho
trifft felbft bei beftigem Rollen des Fahr⸗
jeugs auf eine ſtart abgeſchwächte Fläche,
von der es abgleitet. Die runden Geidhüh-
türme würden durch einen nur bie eigent-
lie Geſchühlammer dedenden birmen»
fürmigen Raum erfeht, der mit der Spite,
aus dem die Seihükmündung hervor«
ragt, tel nad dem Feind gerichtet Äft
und von deilen jhrägen Wandungen bie
feindlien Kugeln abprallen.
Bertehrsweſen.
= ie een von Nübesheim
3 auf den Niederwald iſt am 30. Mai
eröffnet worden.
Am 14. Mai wurde der Iehte Dauer»
ring des Arlbergtunnels vollendet.
Die fi) mebrende Zahl der Bich-
eliften wird nicht ohne Genugthuung
hören, daß bei einem Wettlampf, der in
San Franzieko zwiſchen Bicyelijten und
Reitern ausgefochten wurde, die erjieren
einen voljtändigen Sieg davontrugen,
Sechs Tage lang Fämpite man um bie
Gntiheidung. Endlich fand es ſich, daß
das abwerhjelnd von einem Herru und
einer Dame gelenfte Bichele 1073 Meilen
— hatte; 18, Meile mehr als
as jchnellfte Pferd.
Ausflelungen und Aongreffe.
om 28. Juni bis 2. Juli findet die
Do) erite Sommerobftansitellung des
Vereins zur Peförderung des Gartenbaucs
in den preußiſchen Staaten in Berlin ftatt.
In Amfterdam, wo mebenbei gejagt
für das Jahr 1885 eine Weltausftellung
geplant wird, halten bie vereinigten nieder»
ländifchen landwirtſchaftlichen Vereine vom
7. bis 9, September eine internationale
Tandwirtichaftliche Ausitellung ab.
Eine BWeltausftellung wird fir das
Jahr 1889 in Paris geplant.
An New Orleans nimmt am 31. Der
ember vieles Jahres eine internationale
eltansitellung, die mit einer inter
nationalen Baummollausjiellung vere
— — — — — — —— EEE
—— —— ——— — — — —
Zur Zeitgeſchichte.
bunden ift, ihren Anfang. Sie dauert bis
31. Mai 1885,
Am 25. Mai fand die Eröffnung der
argentinifchen Musftellung in Bremen,
am 27. Mai die ber internationalen
Glektrieitätsausftellung in Turin flat.
Fine internationale —
ftellung wurde am 8. Mai in Eouth«
Kenfington eröffnet, Am 17. desi. Monats
nahm eine internationale Gartenbau«-
ausftellung in Peteröburg ihren Anfang,
der am 20, die Fröffnung einer ebenjolden
in Paris folgte.
Hundätage und Kongreſſe find un-
jertrennlig! Wir nahen uns mehr und
mehr jenen und all — beginnen dieſe
Fulx den 10. bis 16. Auguſt it ein inter-
nationaler Aerztekongreſt in Slopen-
bagen angejagt.
Anglüdsfäle.
=:0% aller Sicherheitsvorrichtungen ift
abermals ein Theater den Flammen
Ps Opfer gefallen: das Stadttheater
nu Wien. Glüdliherweiie brad der Brand
am Tag aus, jo daß Menſchenleben nicht
u beklagen find. Die, wie befannt, nicht
ondertich projperierende ge wird nit
mehr zu neuem Dafein eritehen, da die
Genehmigung zum Wiederaufbau auf der
jetzigen Stelle verweigert wurde, Außer dein
Stabttheater-Brand ift nod von anderen
Bränden zu melden: fo vernichtete am
28. Mai eine freueröbrunft in Baum.
Benh 105 Batitein» und 150 Strohhäufer,
fo daß ein Berluft von 1,400,000 Fr.
veruriadht wurde. Ein Brand in Bhila-
delphia wurde dadurch veranlaft, das
der Bliß in die Atlantic Petroleumraffinerie
einſchlug und das brennende Del von
12 Bajlins fi über die Strafen ergoh.
gs betrug der Schaden 500,000 Dollar.
räßlichere frolgenhatte ein ®rairicbrand,
der durch die fFunfen einer Yolomotive im
ſudweſtlichen Kanſas veranlakt wurde.
Dei einem Brandunglüd in Neuftabt
bei Koburg find 7 Männer verjhüttet
worden, wovon 5 fofort tot blieben,
Am 25. Mai ift der Moskauer Er-
prefizug in der Nähe von Boloboje ent»
gleift und find dabei mehrere Menfchen
ums Leben gelommen. Die Schuld trifft
einen Babnmwärter, der, um feinen ſtollegen
zu ſchädigen, auf der Strede ein Hindernis
anbrachte, an dem der Zug zu Grunde ging.
Berdreden.
Sy dem Prozeß genen Kraszewski und
& Hentſch ift das Endurteil geſprochen
worden. Der erſtere wurde zu 3 Jahren
6 Monaten Feſtungthaft, der Ichtere zu
9 Jahren Zuchthaus verurteilt, Arasgewsti
verbilfit feine Strafe in Magdeburg, Hentſch
in Halle,
Dem Mörder des Deteltiv Blöch
Hermann Stellmader, wurde der Prozeß
gemacht. Er räumte bei der Vernehmung
ohne weiteres ein, die furdtbare That be»
gangen zu haben, vermeinte hingegen mit
aller Entſchiedenheit die Veteiligung an
dem Gifertiben Raubmord, Stellmader
ift zum Tode durd den Strang verurteilt
worben.
In London wurde abermals rin
Dynamit ⸗Attentat verübt, das aber glüd«
licherwelſe ohne jchwere Folgen blieb. Der
Berſuch der Attentäter, das Nelfondentmal
in Die Luft zu fprengen, mißlang gänzlich.
Als ein jeden Menidienfreund tief
betrübendes Beiden muß es betrachtet
werden, dak 1833 in Berlin gegen 651
Slinder Anklagen wegen afbarer
Handlungen bei der Kriminalpolizei ein«
negangen find, Bon biefen 651 waren
585 erit 6-12 Yabre alt! Die Anllagen
lauteten außer auf Bettelei auf Diebftabl,
Se
’ iftung, ö hs
Örperverleung = —
Totenſchau.
ring Auguft Yanaz dv. Liechtenſtein
I im 75. Jahr im Mat zu Wien.
Prinz Leopold v. Sahfen-Stoburg
+21. Mai zu Wien.
Adıtermann, Theodor Wilhelm, der
Neftor der deutſchen Künftler in Mom,
+ daf. im Alter von 84 Jahren. Fr wurde
15. Auguft 1799 als armer Schreiners ſohn
in Münfter geboren und erhielt erft vom
33. Jahre ab feine Ausbildung als Bild»
vor) Seine Lehrer waren Schadow und
aud).
Sire Bartle Frere, der befannte
englijhe Staatsmann, welder mit bem
Sultan von Sanfibar den Ber sur
Aufhebung des Stlavenhandels abihlor
und bis furz nad Benconsfields Sturz
Gouverneur und oberiter Befehlshaber der
Hapfolonie war, + 29. Mai zu London.
Benjamin, B., einer der berühmteiten
englifhen Rechtegelehrten, + im 73. Lebens»
jahr zu Paris,
— v. eg Prof. Dr. ©,
eltions · Vorſtand des hud iſchen
Amts in Berlin, + daf. nr *
SBraſſin, Louis, der befannte Klavier ·
virtuos und Komponiſt, + 47 Jahre alt
im Mai zu Peteräburg.
Goita, Sir Michael, Komponiſt feit
1852 in London, + zu Priabton.
Gocppert, . Medizinalret, der
Direktor des Breslauer botaniſchen Bartene,
+ im Mai, 84 Jahre alt.
Groß, Samuel, einerder bebeutenbiten
Yerzte und Ghirurgen der Bereininten
Staaten, +6. Mai zu Philadelphia. Im
gleichen Monat flarb auch der berühmte
amerifanifche Chirurg Dr. Willard Barfer
zu New Port.
Graf d’Hanfeville, Mitglied des Er»
nats und der Akademie, + gu Paris. Gr
ift der Verfaſſer der Broidyüre „yranfreic
und Preußen vor Furopa”, in der er gegen
die Handlungen der deutſchen Sieger in
Paris proteitierte,
Johnſon, Alvin I, befannter ame»
ritanlicher Berleger, * zu New Yorl. John
fon ift der Verleger der großen Encpflor
pädie, die feinen Namen gr
Hold, Georg Friedrich, befannte
voltewirtſchaftliche Ecriftiteller, + im
Alter von 75 Jahren zu Münden.
Landini, einer der aefeiertiten fo«
mifer Italiens, + im Mai zu Livorno.
Maria Anna, Wie jerinand L.,
Kaifer von Deiterreich, + 81 Jahre alt am
4. Mai in Prag. Die Berftorbene war
eine Tochter Vittor Emanuel L, Abnigs
von Sardinien.
Midhat Paſcha und Mahnud Damet
Paſcha ftarben zu Zaif.
v. Nothmaler, General der Infan⸗
terie 3. D., +20, Mai zu Erfurt, 70 Jahre
alt. Mit Rothmaler ftarb der Iekte preußi«
ſche General, der von der Pike auf ger
dient bat.
Schödler, Pb. Dr, der befannte
Verfafier det „Buch der Natur“, geb. 1813,
+ zu Maini.
Strondberg, Dr. H. ®., befann!
durch jeine großen Eiſenba nbauten, + ben
31. Mai m 2erlin.
Thöl, Dr. Heinrih, Gch. Juflizrat,
Profefior der Mechte in Göttingen, + dal.
16. Mat im 77. Yebensjahre.
Smetana, cjehiicher Nomponift, der
fih durch eine Oper auch in Deutſchland
befannt gemacht bat, + in Prag.
Prati, Giovanni, ausgezeichneter ital.
Dichter, geb. 27, Januar 1815 zu Das
eindo, + in Rom.
Eleftrifche Yreuigfeiten.
Slektriſche Neuigkeiten.
Eivilingenieur Lehel.
Die große Leichtigkeit, mit der fich
die Gleftrieität in fait alle anderen
Formen der Naturerfcheinungen ums
wandeln läßt, macht diejelbe ganz außer»
ordentlich für praftifche Unmendung ger
eignet, denn eih elettrijcher Strom braudt
nur dur getrennte Kohlenipigen ges
fendet zu werben, um Licht zu erzeugen;
er braudt nur durch Drähte gefendet zu
werden, um Wärme bervorjubringen; um
einen Gifenftab jpiralfürmig herumgeführt,
erzeugt er Magnetismus; in die Nähe eines
anderen Stromes oder eines Magneten ge
bracht, bringt er diejen in Bewegung oder
tommt felbft in Bewegung; durch eine zur
fammengejchte ylüffigteit gefendet, zerlegt er fie in ihre Beftandteile.
Gewöhnlich wendet man zur —— von Gluͤhlicht pri«
märe galvanijdye Battericen von möglich gm Spannung mit
tonftantem Strome und geringem inneren Widerftande an, wozu
fi) am beften die fonenannten Bunjen-Flemente mit zwei Säuren
(das ift: Thonzelle mit (pofitiven) Kohlenpol mit Salpeterfäure-
et (negativen), Zintpol mit verdünnter Schwefel ·
ure) eignen. .
Ein jolde Bunjens@lement bat mit. frifcher Füllung eine
Epannung von ca. 1,75 Woltaeinheiten (Wolts) und es iſt be
hufs Erzielung der zu einer in An»
wendung gebrachten Yampengröße er»
orderlichen Epannung nötig, fo viele
lemente hintereinander (das iſt:
Stoblenpol des erften Elementes mit
dem Zinkpole des zweiten Elementes,
Koblenpol des zweiten mit dem Zink ·
pole des dritten zc.) zu verbinden, bis
man die Gejamtipannung der tohlen«
fafer in der Lampe erreicht hat.
Die gewöhnlichen Glühlampen
beftehen aus einer hohlen Glaskugel,
in welder eine auf eigentümlide
Weife dargeftellte verfohlte Faſer in
Form eines Bügels, mit zwei ein
mlndenden Platindrähten metalliidh
verbunden, eingefhmolzen iſt. Um
das Verbrennen ber Faſer möglichäl
zu verhindern, wird die Kugel luftleer
gemadt. Läßl man dur die Hohlen-
faler einen entipredhend ftarfen galvaniſchen (eleftrifchen) Strom
Big. 2.
— Unfer Hausgarten. 571
trägt beiläufig ein Drittel der aufgewandten Stromquantitäten,
— So ift man 3. BD. mit einem Taſchendoppelaccumulator von
dier Bolt *) Spannung in der Lage, eine Glühlambe, wie die fol-
enden Figuren (1.3.4) zeigen, in Nadel, Blume, Broche xc. ger
Fakt, dur 100 Minuten bei Benükung eines Drüders (Ston«
taltor), der unter ben Slleidern unfidtbar getragen wird — in
brifantefte Wirkung zu verjehen, jo dak man nah Belieben
durch Bewegen eines Fingers die Yampe bloß eine Sckunde oder
eine Minute oder auch länger ununterbrochen leuchten lafjen kann,
wie ſolches die Figur 2, welde den Accumulator in Berbin«
| dung mit einer die Glühlampe tragenden Bruftnabel und Fig. 1,
‚ ben Hccumulator
treifen, fo wirb felbe zuerſt rot glühen, dann weiß glühen, wobei |
ein weißes, rubiges Licht ausgeitrahlt wird,
Die durchſchnittliche Brenndauer der Glühlampen beträgt
gegen 800 Etunden.
Un Stelle der Bunfen-Flemente, die
der Eäurebämpfe wegen in möglichft freien
Räumen oder in Polalen mit gutem Luft
durchzuge untergebracht jein müffen, treten
diefes Umſtandes wegen gegenwärtig ſo⸗
genannte Uccumulatoren, die als Grfin«
dung neuerer Zeit noch vieler Abänderun-
gen und Werbeflerungen fähig find.
Zweck der Accumulatoren ift: auf
möglichft geringem Raume beliebig große
Quantitäten eleftriihen Stromes anzu«
lammeln, welden Strom man nad einiger
Zeit bei Bedarf an anderer Stelle ver ·
wertet, zu welchem Zwede der Accumus
lator zu laden ift, d. b. es ift nötig, den
Strom von mehreren fräftipen primären
Elementen burd; eine entipredhende Anzahl
Stunden auf die im Accumulator befind«
fidhen pofitiven und negativen Platten
$ einwirken zu laffen, wodurd in demfelben
diemifche Spannung fozufanen erwedt wird, welche Ichtere ſodann
beim Einſchalten einer Glühlampe oder anderer Apparate, die
dern eleftrifhen Stromdurchfluß Widerftand entgegenfehen, in
eleftrifhe Spannung verwandelt oder umgejcht wird.
St der im Accumulator vorhandene Strom verbraudt, fo
fan man die Prozedur des „Ladens“ beliebig oft wiederholen,
hat daher jederzeit eine Eleftricitättquelle zur Verfügung.
Big. 3.
Der aus Äccumulatoren erzielbare wirkliche Rutzeffelt ber |
theater zu Prag
in der Weftentajche geliefert wurbe.
veritedt, veran ⸗ Eine weitere
ſchaulichen. Anwendung der
Biel Effelt macht Accumulatoren für
eine Ballerine, der Equipagenbeleudye
ren Ehmud kleine tung jliggiert fyig.3,
Glühlämpden indem ſechs einfache
Accumulatoren, in
trägt, die durch den
einen Ktaſten mon ⸗
vorhin erwähnten
Accumulator in tiert, unter ben
Betrieb gefeht find, Kurhbot geſtellt
wie foldes vom werden, von wo
Berfafier für die aus die Leitungen
Austattung ber ſowohl zu ben bei»
pereite „Ripp- Bin. &. den großen Seiten»
Rippe“ am tal laternen, als auch
deutihen Landes» ju einer an der
Epihe der Deichjel oder aud zwei an dem Pferdegefdhirre anzu
bringenden Laternen, reip. in den inneren Wagenraum neführt
werden, jo dak man nad Belieben entweder einzelne Lampen
allein oder mehrere gleichzeitig erglühen laſſen fan, wenn man
| einen dem Bedarfe entiprechenden Umfhalter benübt.
Für größere Beleudtungsanlagen find naturgemäß
eröhere Accumulatoren notwendig, die man entweder mit
Glementen oder mit einer Dynamo »eleftriichen Lichtmaſchine
ladet. Die Anihaffung einer jolden Donamomajhine und
Accumulatoren ift für Befiker von — fehr rationell,
da erflere während bes Tages durch Straftübertragung leicht
in Betrieb gefeßt werden fan, wodurd alle vorhandenen
Aecumulatoren geladen werben, die fodann nah dem Stillitande
der Dampfmafchine oder auch blok nad erfolgtem Ausſchalten
während ber Nacht zur Speijung aller im Hauſe befindlichen
Glühlampen dienen. Hat man Wafjerkraft zur Verfügung, fo
find die Koften zum Betriebe der Dynamomafdine faft belanglos,
Aus dem Gefagten ift zu eriehen, daß dort, wo die Accumu-
fatoren bald nad ihrer Ladung zur Benutzung fommen und
insbejondere, wo bie Ladung mit unbebeutenden Koften zu be-
werfitelligen ift, weil die aufgeipeiderte Arbeitsmenge ſonſt
überhaupt nuhlos verloren wäre, die Mecumulatoren eine große
Zukunft für ji haben.
*) „Bolt* bezeichnet die in ber Praxis für eleftriihe Meflungen
angenommene Einheit ber een u, .
Unfer Sausgarten.
Ton O. Hüllig.
Die Erdbeeren.
In Frankreich fol, wie wir im vorigen Jahre in der
Landwiriſchaftlichen Poft* fchrieben, der Erdbeerbau feine größte
Ausdehnung im Departement Finiäterre in der Nähe von Plou—⸗
naftel bei Vreft haben. Die ganze Meeresfüfte, die Einbuchtungen
an der Reede bei Breit und das Flußufer bis 600 m landein⸗
mwärts ift durch Heden und niedrige Mauern in Meine Felder
von 50 qm abgeteilt und beinahe ausihlieklih der Anzudt von
Grbbeeren gewidmet. E5 werben bier nur Barietäten der Fragaria
chiloönsis gebaut. Die Ernte bauert von ungefähr dem 20. Mai
bis in Die zweite Hälfte des Juli, und werden von hieraus
wirklich mg Mafien verjendet, befonders durch Vermittlung
von Breit, denn es joll keine Stadt auf dem Erdboden geben,
in ber fo viele Grdbeeren verzehrt, konjerviert und verſchict
werben, ala in Breit. Während der Grntezeit ißt bier alles Erd»
beeren, und bod neben noch viele Früchte auf dem Felde vers
loren, weil ed an Händen zum Pflüden fehlt. Nach dem Bericht
des Concours regional im Journal „Sciefice pour tous*
waren 1875 bei Plougaftel 200 ha mit Erbbeerpflanzgen bebaut,
572
und wurden in jedem Jahre 2 Millionen Kilo reife Früchte
nah Paris geihidt. Außerdem wurden nad näberliegenden
Städten wie Breit, Morlaiz, Yorient, Quimper, Nantes u. a,
gegen 114 Mil. Hilo veriendet, jo dak der Geſamtverſandt
wenigjtens 31, Mill. Kilo erreichte, Wenn nun aud die Früchte
en der bier erzielten
Maſſen fabelhaft billig ver⸗
fauft werben, nämlich für
20 Gentimes, d. h. 16 Pen»
nig für das ſtilogramm, ſo
ergibt das doch einen Er»
trag von 700000 Frank,
und wenn
die Betriche«
foften mit
einem Drits
tel abgerech ·
net werben,
fo ergibt ſich
immerhin
noch ein
Reinertra
von mehr ala 41, Mil, Frank allein für
nad) auswärts verfaufte Erdbeeren. Bon 1876
an joll der Anbau von Erdbeeren nod größere
Ausdehnung gewonnen haben. i
In Deu = betreibt das Elbthal pwiſchen
Dreiden und Meißen den bedeutenditen Erdbeer⸗
bau. Nach offiziellen Mitteilungen gingen im
Jahre 1879 allein von der Station Kötſchenbroda
der LeipzigeDresdener Eiſenbahn, 10 km von
Dresden, 48000 Kilo Erbberren in 1500 Sen»
dungen meift nad Berlin. Fin anderer Mittelpunft des Erdbeer ⸗
baues ift befanntlich bei Hamburg (Vierlanden).
Mit dem Vorjtchenden wollten wir nur andeuten, daß recht
viele Menſchen mit dem Anbau von Erdbeeren ſich beſchäftigen,
weil derielbe ſich aut bezahlt macht, wenn er richtig betrieben
wird, Daß in aber nicht überall der
Fall, weshalb wir glauben, aud)
bierin der Tiebenswürbdigen Leſerin
einige Ratichläge erteilen zu follen,
die viefleiht umfomehr ſich ihrer
Beachtung erfreuen werben, als man
in der Regel im AUuguft, aljo binnen
turzem, die Erdbeeren von neuem zu
—— pflegt.
er gewöhnliche Fehler bei der
Kultur diefer beliebten Frucht iſt
nämli der, daß die Pflanzen zu
lange auf ihrem Plabe jtehen bleiben,
und daß Neupflanzungen, wenn jie
ausgeführt werden, oft wieder den»
felben Plah einnehmen, auf dem die
alten ſchon jajeelang geſtanden. Und
doch jaugt die Erdbeerpflanze wie faum eine andere den Boden
volljtändig aus, aud wenn er jährlich gebüngt wird. Deshalb
follte fie nie länger ald vier Jahre auf ihrem Plahe ftehen
bleiben, auch erft nad frübeflens ſechs Jahren wieder auf den⸗
felben zurüdtehren, Man teile deshalb fein Land für bie Erd-
beerentultur von einiger Ausdehnung in 10 Ab«
teilungen, von denen jährlich eine abneräumt,
rigoft, reichlich gedüngt und ſecht Jahre hindurch
mit Gemüfe bebaut wird. Auch ſollte man
Erdbeeren in ber Regel nicht unter größere
Bäume pflanzen, denn fie gedeihen nur in freier
und, mit Ausnahme der Mittagsftunden, fonnis
ger Lage und auf
tiefgrundigem, alſo
rigoltem Boden, den
man aus Lehm, Sarıd
und genügendem
Dünger zuſammen⸗
(chen oder guigebüng«
tem Ichmigen Sand»
boden wählen follte;
berjelbe .. mäßig
feucht fein, in feinem Falle aber an
ftehender Näſſe leiden; wo ſolche vor«
banden, muß ſie dur Drainierung
oder offene Gräben entfernt werben,
Unter den Erdbeeren unterjdheidet
man die Gartenerdbbeere von der
Monatserdbbeere. Lehtere iſt
wahrſcheinlich eine Abart der botar
niſchen Spezies unſerer Walderdbeere
(Fragaria vesca L.) und wird leicht durch Teilung alter Pilan-
jen, aud durch Anbau ihre Samens vermehrt, den man durch
Die. 1.
«Bölhte) von 1882.
Dr. Wilhelm Reubert
Big. 5. Teutonia Goſchte
bon 1883,
Dia. 2. Garteninipeltor Hoff
(@öläte) von 1883.
Big. 4. GErbbeer-firinoline,
Big. 6. Charvbdis (Wölchte)
don 1882,
Unfer Hausgarten.
Abreiben netrodneter Beeren erhält und der möglihft bald nad
der Reife (denn er verliert leicht feine Keimfähigkeit) in Schalen
unter Glas auögejäet wird; er leimt bald, und werben die jungen
Pflänghen auf ein gefchütt liegendes Bert mit qutem leichtem
Bo verftopft, nah Anbruch des Winterd mit Zannenreifig
o. dgl. bededt und im Früh;
jahr im ſechs Reihen auf
breiten Beet
einem 1,3 m
angepflanzt, tüchtig ange
goflen und dann bis nabe
an den Herbſt ſiets feucht
gehalten.
Sie tragen bei ⸗
ai den
ganzen
Sommer
indurch
reife Früch ⸗
te mit ſtar ·
tem Aroma
und feins«
fm 6%
—**
enn die Pflan im Auguſt in Zöpfe gejeht
werben, kn Ki diefe De
warmen Mijtbeet, im Weintreibhaufe oder im
Doppelfenfter des warmen Zimmers leicht früb
ur Reife bringen. Rantende Sorten aud der
onatserdbeere fönnen wie die folgenden durch
Ausläufer vermehrt, nicht rankende als Ein—
fafjung der Wege im Gemüfegarten verwendet
—
ie Gartenerdbeere mit en verſchie ·
denfarbigen Früchten ift durch natürliche oder ee 5
tung mehrerer Arten Fragaria elatior, virginiana, chiloensts
Ehrh. u. a.) entjtanden, jo da man ihre Abftammung nur
felten noch erfennen kann. Anpflanzungen werben meift mit Aue
läufern älterer Pflanzen gemacht, die man deshalb, jomweit man
fie ju verwenden gedentt, beim Rei«
nigen und Auspuben der Beete ftehen
läßt, damit fie fich vorher ſtart bes
mwurzjeln. Man ven = aud Xeile
älterer noch fruchtbarer Pflanzen, weil
fie gewöhnlich früher ala die Ausläufer
tragen. Bei beiden Arten ber Ber«
mehrung ifl aber darauf zu adıten,
daß nicht Pflanzen mit nur männs
lien Blüten zur Berwendung fom+
men, die fich befonder& dann viel
vorfinden, wenn die Pflanzen zu
lange auf ibrem Plate geitanden
haben; gewöhnlich find durch fie die
weiblichen Pflanzen ftart verdrängt
worden, fie ſelbſt aber ganz und gar
unfrucdhtbar,
Nach der Ernte, im KAuguft, ftehe oder grabe man Aus
Läufer oder Die äuferften Zeile alter Pflanzen aus, ſchneide die
größten Blätter ganz ab, vertürze die Wurzeln und fchlage im
rauben Klima des Nordens und Oftens oder in hoher Lage dieie
Big. 3, Rönig Mibert von Sachfen
Goſchte von 1879.
Keinen Pflanzen dicht zufammen auf einem geſchühlen Plaß ein,
dede fie im Winter mit Laub und Zannenreifig
und pflanze fie im Frühjahr, im ‚mäßigen oder
milden Slima aber im Auguft gleih nad dem
Ubftehen in 40-50 em Entfernung, vier Reihen
auf ein 1,3 m breites Beet, das vorher flarf
gebingt und tief
gegraben war. Die
Pilanzgen werben
fo tief nefcht, daß
nur die Spihen der
erjblätter oben
chibar bleiben,
weil fie ſich fonft
emporheben und
verirodnen; dann
giefe man ftarf,
oft und durch⸗
dringend, zuweilen mit Dungwajjer
oder Miſtjauche, ftet# aber mit dar»
auf folgendem reinem Waſſer, bede
die Beete pwiſchen den Pflanzen nach
Eintritt des Froſtes mit Laub und
Reifig, oder beffer mit kurzem Dün«
ger, welcher Iehtere im Frühjahr bei
dem dann nötigen Reinigen und
Auflodern der Beete mit unters
gehadt wird, halte fie dann ftets von Unkraut, die Pflanzen
aber von Ausläufern rein, joweit man bieje nicht zur Ber
Big. 7. Alex. dv. Humboldt
Goſchte von 1R81,
Wa Barber. Trachten der Zeit. 573
mehrung braudt, durch welche fie aber jehr geſchwächt werden.
— Zur Zeit der Fruchtreife folte man das Gießen einftellen,
weil durch die dabei aufipringende Erde die Fruchte beihmukt
werben; dagegen follte man die Bodenfeuchtigkeit durch Auflenen
von Gerberlohe, Hädjel, Stroh, grober Coatsaſche oder am der
Meerestüfte durch Scegras oder Tang zurüdbalten und gleich
zeitig die Früchte gegen den Schmuß ſchüten. Lehteren Yrwed
erreicht man auch dadurch einigermaßen, daß man die Pflanzen
mit ihren eigenen Ranken zufammenbinde. Auch bat man
eigens zu rn a Zwed eingerichtete Drabigeftelle, die Erdbeer ⸗
Krinolinen, mit denen man, wie Figura zeigt, die Pflanzen
umgibt. Dieje Krinolinen (Fig. 4) ſind bei Kunft- und Handeit ·
gärtner Heren ©. Bölchle sen. in Köthen (Anhalt) vorrätig.
Die ſchlimmſten Feinde der Erdbeeren find die Schneden;
man vertilgt fie einigermaßen durch Weizentleie, die zwiſchen bie
Planzen gar Schalen mit
ftreut (wird;
die Scneden
frefien auch dieſe
ern, wäljzen
aber dabei
n ihr fo feit,
daß ſie ſich nicht
Vier, bie zum
Rande glei
dem Erdboden
verjenft, iſt jehr
empfoblen wor«
den ; bie
Schnecken wer
wieder verkrie⸗
den können,
den vom Bier
angezogen, ſau ·
werhalb man fen davon und
Mer bei Tage : erjaufen *
aufſuchen und Von N
töten fanı. dig. 8. Bomel ıMöftteı rößften und
Auch das Auf⸗ von Inst höniten Erd⸗
ftelten kleiner beerſorten geben
wir einige Abbildungen; fie ſtammen aus der Gärtnerei des
dergenannten Seren Goſchle, dem nahezu rinzigen Züdter neuer
und anerlannt guter Sorten in Deutidhland; bei ihm find aud)
jahlreiche andere Sorten, aud von Monatserbberren, vorrätig.
Schließlich möchten wir noch auf ein einfaches Verführen
hinweiſen, durch welches man die Erbbeeren des freien Yandes
zu früher Meife bringt, Wan jhütt die zu ſolchem Zwede ans
gelegten Beete dutch eine Yaubdede vor den Finfrieren, umnibt
= im Januar mit einem wenigitens 50 cm breiten und cben
o tiefen Graben, den man mach Art eines Miftbeets mit vorher
erwärmten Pferbemiit, mit Geflüigelmift, ausgefodtem Hopfen
und anderem wärmegebendem Dlaterial aussült und rund um
die Miftbertfäjten aufichichtet, die auf die Werte mit den Pflanzen
geſtellt und mit Fenſtern verichen wurden, vachdem man bie
Ptanzen mit 250 R, warmem Waſſer tüchtig durchgegoſſen hatte.
Das Ganze wird dann wie ein Treibbeet behandelt und bie
Früchte werden wenigſtens zwei Monate früher reifen als ohne
dieſe künſtliche Erwärmung
Trachten der Beit.
Von Da Barber.
Allerlei Neuigkeiten aus der Haifon.
Mehr ale zu jeder anderen Zeit iſt Die Mode jekt, da die
elegante Welt auf die Manterfhait nad all den wundermirkenden
Orten it, die den Vergnügungsbedüritigen Vergnügen, den
Kranlen Geneſung beingen follen, als eine internationafe anju-
jeben. Man trägt Altes, findet jede, ſelbſt Die grellſte Farben:
miſchung ſchon, erſcheint heut en polonnaise, morgen quite
engliab, tags darauf in gefaltetem Nod als normanniiche Biuerin,
um fid) wieder einen Tag ſpäter als Pariſer Eldgante zu mer
tamorphojieren.
Die enpliihen und franzöjichen Moden find keineswegs wie
ehedem Ausichlan nebend. Die deutſche, namentlich die berliner
Modelonfeltion bat fich Seit dem leiten Jobrjehmt einen Welt
ruf erworben, Berlin, das Anno 1560 faum 4 große Geſchäfte
hatte, in denen Kleider und Mäntel fabrijiert wurden, weiſt heute
ca. 50 Firmen erſten Nanges auf, die gegen 50000 Arbeiter und
Arbeiterinnen beihäftinen und ihre Erjeugniſſe nach aller Herren
Länder verjenden, Die berliner Moverrjeugnilie find nicht So fein
flilifiert wie die wiener, dafür aber enorm billig, Tolid gearbeitet
und ohne jede Ueberladung
Bei meinem letzten Aufenthalt in Berlin hatte ich Gelegen⸗
* das erſt furze Zeit zuvor eröffnete Warenhaus der Firma
. Liffauer (Marfgrafenitrage) in Augenschein zu nehmen, das
feiner Ausdehnung und Reichaltigkeit mad) an die großen eng«
lifchen Ware houses erinnert.
Die Modedame kann da fragen: „Herz was begehrſt Du?“
ohne einen Wunſch unbeftiediat zu lafien. Die Parterre-Lotali»
täten zeigen die foftbarften Seivengeiwebe, in denen die feit mehr
als 30 Jahren bejtehende Firma Anerkanntes leiflet ; im erften Stod
findet man allerhand leichtere Nouvcautes, |Mulle, Battift-, Boile-
und Grenadinc-&erwebe, die fpeciell in Berlin fo vielen Anklang
—— angefangenen Roben, die, nach neueſten Modellen zuge
dnitten und zuſammengefaßlt, von jeder einigermaßen im Nähen
neübten Dame felbft gefertint werden lönnen und mit Bejat,
Spiten, Stidereien zu dem verhältnismäßigenorm billigen Preis von
15 Mark verlauft werden. — Der überrajhend ſchnelle Abfah,
Fia ?. iq u
Babekoſtame
den dieſe Roben gefunden, beweiſt, daß die Berlinerinnen praktiſch
und arbeitfam find und gern mit Hand anlegen, um nicht, wie
jo oft feitens der Ehemänner beffagt, als „teure” Frau gelten
zu milfien, —
Es it zu bewundern, daft dieſe annefangenen Roben nidit
auc in anderen Städten Fingana gefunden; hier ſehe ich fie in
fo reizenden Eremplaren, daß ich micht verichlen will, meine
freundlichen Lejerinnen, auf deren Yippen ich Icon die Frage
leje: „Wie und woraus find denn diee berliner Wunderkleider
aefertiat, die uns von den Launen, IUnptinktlichleiten und last
not lenat der jeht enorm hohen Rechnungen unſtet Modiften
unabhängig machen wollen,“ eine Heine Stizze dberfelben zu ent«
werfen.
Da 3. B. rin. 1, eine aus poll de chevre, dem jeht ſehr
beliebten, weil ſehr praftiichen Stoff gefertigte Nobe, deren Nod
auf jeder Falte ſuſenmäßig anſteigende Samtbänder aufgeheftet
bat; die Tunigue it mit Samt tajcdhenartig drapiert, das
Arrangement auf einem jebem Seide beigegebenen Bilde vorge»
jeichnet, fo daß, felbit wenn die bereits qelenten Falten ausein«
ander genommen werden müſſen, die Drapierung leicht wieder
ju orditen ilt.
Fig 2 zeigt eim ſehr vpraftiiches Reiſekoſſum aus eeru
farbenem Alpala; der ſehr effettwolle Aueputz ift durch ſchmale
Hammgarnbörtdhen gebilder, die die Taille vorn als bereits
fertiger Lah garnieren, leitiwärts den Nod, indem fie einen nad
Jitized by Google
Jda Barber.
574
unten zu fich ausbreitenben
Zeil deden, der redhts und
lints von — * an ·
einander — ehten Galons
begrenzt itt. Das Vorder ·
blatt ift leicht gepufft, die
Nüdjeite gefaltet.
Qu den überaus leicht
berfiellbaren Koſtümen
zählt die in fin. 3 ab»
gebildete Robe. Der Rod
int bereits fächerartig plif-
fiert, innen auf ſchmalen
Gummifbnürden aufge
näht, damit die nad
underten zählenden Falt ·
nidt ausitrablen,
Zaille und Aermel aus
alattem Stoff werden mit
leidyter Stiderei umrandet,
die Tunique, kurz dra-
piert, endet nad Hinten
in langen Ehärpenenden.
Nus dem Chaos der ale
Nouveautd empfohlenen
Stoffe, die ich in den durch
einen Aufzug (der wohl
täglid hunderte von Ma-
fen benüßt wird) leicht
erreichbaren oberen lagen
- jehe, will id; verjuchen,
einige Gewebe, deren mit
Einfachheit gepaarte Ele
ganz ihnen ein mehr ala
epbemeres Dajein fichert,
—— Von dauern⸗
em Wert ſcheinen bei⸗
ſpielsweiſe die mit reigen«
den Streublümden oder
rüdtemuftern durditid-
ten ojtindifchen Baftftoffe,
die mit blauen und roten Flachſtigerelen gededten Battift und
gJephyt · Gewebe, die durchſichtigen Seiden.Örenadines, die Chan:
geant-Satins und leinwandartig gewebten Woljtoffe zu fein;
nächſt diefen der engliſche mit im Areugftich geſticien Würfeln
durchichte Eröpe, der leichte wollene Grenadine und last not
least, der neue Fancy-Mobair, der wie Seide ſchillert, zur ein
fadhften, wie eleganteiten Toilette verwendbar iſt und von ben
Damen mit wahrem Fnthufiadmus gelauft wird, Gleich beliebt ift
ein wie Wolle ausjchender Seidenſtoff, Kaſchmirienne genannt, der
Big. 4
Fichus Viltoria.
Trachten der Zeit.
Big. 2. Bin. 1.
Neue Roben,
in der Syerbittoilette zu befter Geltung kommen jol. Man ver
wendet ihn ſchon jet zu den auf roja Grund vorrätigen Bieur-
Sare Koftümen, die für Land» und Badeaufenthalt viel in Ver⸗
wendung jind,
Ganz reizend ausgeführt find die aus Epiken und ange
fnüpften Ghenilfeborbüren vorrätigen Yihus Viltoria (Fig 4);
statt des Mermels haben fie eine breite, oben ſtark eingelnauite
Spitze, das Zaillenteil ijt vorn blufig arrangiert, und unten
mit Schleife abgegrenzt. Das Fichu Untoinette (Fig. 5) wird
aus farbigem, grell vom Stleide abflehenden Surrab gefertigt,
mit bunten Blumen burdjtidt und mit Spiken umrandet; es fteitt
eine wohl elegante, doch auffallende Tracht dar, die {&werlidh
in weiteren Streifen Verbreitung finden wird.
An Seebadeorten trägt man zumeift aus rehleberartig aus ·
fehenden Wouftoff gefertigte Stoftüme, die waflerbicht imprägniert,
allen Unbilden der Witterung Widerfiand leiften. Gine mehr als
praftijch fein wollende Dame lich fi jüngft ſogar ihr Babdeloftüm
aus waſſerdichtem Stoff fertigen ; befragt, weshalb fie denn überhaupt
Seebäder nehme, wenn fie durd ihre Badefleivung die Einwirkung
des Waflers auf die Haut bindere, entgegnete fie naiv: „Man
muß do die Mode mitmachen.“ — Die neuen Badekoſtüme find
enttoeder aus leichtem Coton· Woll« oder Baftitofle gefertigt, wie
das in Fig. 6 abaebildete Modell mit farbigem Rever& auf der
Bluſe begrenzt, oder fie zeigen (Fig. 7) eine vieredig audger
Ichnittene TFaltenbiufe, die mit lichteren Wollborten oder Stide»
reien unrandet it. Man tränt rote, blaue, geſtreifte, auch
farrierte Badeanzüge, jogar ſolche mit figurbildenden Einlagen
aus Gummi; jo einfah das nur aus Beinkleid und Bluſe bes
ftehende Koftüm ift, will es doch elegant und modern gefertint
fein, Das Haus X. Modern in Wien (dem auch unjere Mobelle
Fig. 6 und 7 entnommen find) madıt in dieſer Beziehung feinem
Namen Ehre. Es fabriziert jo jlilvoll gearbeitete Badeanzlige, daß
felbit Iehtere den zeitber beliebten bathing-dresses, deren cin
engliſches Haus im Jahre 1883 ca. 15 000 Etüd nach Deutſchland
importierte, vorgezogen werben.
Faſt ſcheint es, ala ob die diesjährige Sommermode den
ſonſt zu dieſer Zeit alljährlich fi geltend machenden ercentriiden
Hutformen ganz und gar abbold je. Dan ſieht durchweg jo
ſolide Façont mit einfahem Aufpuh, daß nad diejer Richung
bin fiher ein Fortichritt in Modeſachen zu verzeichnen iſt —
Start in Aufnahme find Die edigen Stapottehüte mit breiter Rafie
Fig 8), die, wie unfer Modell zeigt, oben mit breitem gerifften
Ottomanband und fyebertuff, innen auf dem Bügel mit Blumen
garniert find.
Die ftark geichtweiften, das Geſicht befcbattenden Hüte (Fig. 3)
‘ werben neneruingh vorn mit Band, hinten mit Federn garniert,
Chemiſche Spielerei.
die mehr feitwärts geſchweiften dagegen ( 10) ınit vollem
er en au dem fi) Libellen und Schmetterlinge, Leucht .
täfer und andere “und Sehäfühler wiegen.
RAleine Wirjenblümdpen oder lieder, Bergiimeinnicht, Relten,
Primeln fiebt man diadbemartig gebunden, oft die ganze Froni
der Heinen ütchen einnehmen (Fig. 11), eb
Anſchein, als ob der ganze Hut mit Blumen gededt jei; |
Facons Meiden Jung mie Alt vortrefflid; die jüngiten Frauen
tragen derartige Rapottehütdhen und finden, dat fie ihrer natürlichen
cm wegen allen anderen on jrien.
Jene feine Demartationslinie, die ehedem pflidt« und ziel
bewußt von Allen,
die ſich gut kleiden
wollten, aufrecht
wurde,
br ins Schwan ⸗
ten geraten zu fein.
Alt und Jung trägt
ch rmen,
gleiche chen.
Alles if modern
für Alle und doch
follte man, um
nicht bald zu jur
gendlid bald zu alt
nelleidet zu fein,
aud in Modeſachen
des Dichterivorteß:
„Eines ſchidt ſich
nit für Ale,”
nicht vergeflen.
Giemifes
Rhyſthaliſches.
Senſitive
Flamme Daß
aud eine Flamme
ide ne mufilas
tif füht fein
fan, er folgen»
des xperiment,
Laßt man aus einer
fchmalen Gasbren⸗
nerröbre unter
Drud Gas aus
itrömen, fo daß
die Flamme nad
dem Anzünden eine
Höhe von 40 cm
erreicht, jo verkürzt
wenn man
het ſchrille
erlönen läßt. bi
ſchnell auf bie
äl x*
erreicht aber, ſo⸗
bald ver Ton auf-
bört, wieder ibre
lodentöne wirfen
ähnlid und beſon ·
derd die Töne der
Quinteeiner Beige,
wobei die Flamme
vlöpglid zu einem
Heinen unrubigen
Büjcel zufammenfintt. Weit empfindlicher noch ift eine Flamme
von 50—55 cm Höhe, jedes Meine Geräuſch wird durd bie
— angezeigt. Singt man den Vokal O, jo gerät fie ins
wanfen, beftiner nach dem Bofal I und beim S-Yaut bildet
fie einen wirt bewegten Feuerflumpen, Dagegen wird die Flamme
dur den Vofal U nicht irritiert. ,
Silhouetten. Man zeichne varher bie Figuren im
Umrifien auf feines Papier (am beften japanefiihes Papier),
k B. einen Jäger mit Gewehr, löje dann etwas falpeterfaures
felormd und reines Stärfemehl heißem Waſſer auf und
überfahre mit einem feinen Pinſel die Umriſße der Zeichnung mit
der Miihung. Iſt dies geſchehen, jo lafie man gut trodnen
und berühre irgend eine Stelle des Umriſſes mit einem alimmen«
den Holzipan oder brennender Cigarre. An der berübrten
Etelle bildet ſich ein Meiner Funken, der feinen durd den
nanzen Umriß der Zeichnung nimmi und diefe aus
fig. 9.
Bene Hulformen,
Big. 8.
Pig. 10.
575
unterhalb des Papiers, da wo bie Gewehrmündung des Jägers
Hiegt, eine Meine Menge Snallquedjilber lebt, e& wird jo zu«
glei das Schiehen dei Nügers nk iger
Fin ‚bübiches ge Beiſplel, daß die Verbrennung
von Metallen auf übnliche — wie bei organiſchen Nörpern,
nämlih durch Aufnahme atmoſphäriſchen Sauerſtoffs vor fid
bt, zeigt das Zinf. n verichaffe ſich aus einer Metallpreherei
Shkfkäne, t diefe zu einem loderen Bündel zuſammen
und hält diefes mittels einer Zange in eine Weingeift- oder Gas ·
fampe. Unter Bildung einer großen grünlicen Flamme ent
zünden fi die Zinljpäne, wobei unzählige Floden von weißem
BinforybdenRaum
en das
gperünent ans
fteilt, erfüllen.
Ueberfät-
tigte Zöfung
eines Salzes
Dan fülle einen
feinen Kolben zu
zwei Drittel mit
trgftalliftertem un»
terſchwefligſauren
BEI ne e fhn
auf ein bad
und bringe das
und laſſe ihn ruhig
ohne ihn weiter an«
— ——
abun 1
ſaure —
Sie
[3 3 tr
telt man A den
Kolben, oder wirft
man ein Stüdden
Saly in den«
fhlange It
man in der Lage,
von einer Braune
tohlenteerdeftillas
tionsanftalt jene
ihwarge M
erhalten,
der Deftillation des
Teers auf leichte
Orle und Beband«
lung mit Natron«
* ee —
elfäure e bt, fo
I man biefe mit
rauchender
terfäure, waſche das
auf der ylüfiigkeit
ſchwimmende Harz
aus und trodne
dasfelbe. Gin dar
ausgefertigterstegel
brennt mit leuchtender Flamme und vergrößert fich um fein Sofa
Volumen, Diefe Art von Pharaofhlange hat vor der er ber
ſchriebenen den Vorteil, feine ungefunde Gafe auszufto M.
‚Fine fdwere Kopfarbeit.
In der Finteitung zu Lehner: „Gorvenihe Chronit* (Ham ·
burg 1590) fteht gebrudt: Dieweil aber Schreiben ein fehr be=
ſchwerliche und rt 4 Kopfarbeit it, und nocd viel ſchwetet
antommt, wenn's mit Unluſt und Verdruß geſchieht, auch viel
Zeit und Weil' dazu gehöret, che man ein Buch ſchreiben und
verfertigen lann, jo hat Gott der Welt, uns und unferen Nach ⸗
tommen zum Beſten, die bobe, edle und in aller Welt rubme
wiirdige Aunſt der Iruderei in Teutſchland in ber erhbiſchöf ⸗
lichen und churjürſtlichen Etadt Mainz dur den edfen Ritter
Fig. 11.
em Papier | Johann von Guttenberg neoffenbaret und herfürgebradht anno
töft. Noch effettvoller wird der bübiche Verſuch, wenn man ° Gbrifti 1440, als Friedrich III. zum Saifertyum fommen. F,
-.
73
576
a. Bm
—
nn
2
>
Die viele
(Dreifilbig.)
Die gr Eilbe bietet dir die lehten beiden;
Dem Ganzen (einer Oper) lauſcheſt du mit Freuden!
(Zweifilbig.)
e meiner Silben
Kommet jährig in die zweite,
Wenn die er
3 Bum Kopf:Berdrecdhen. 2»
Hilbenräffel.
(Zweifilbig.)
Die erſte Silbe iſt niemals bier —
Die zweite jagt es des Dichters bir:
Das Ganze jedod ift eine Stadt,
ifene und Stahlwerle hat.
reuet fih das Ganze — ja es
ft die ganze Welt voll Freude.
DVerfehräffel.
. Bin ein gewaltiges Tier und aud ein uralter Wohnfik;
Schent mir ein b und du fhauft oft mir ins Antli
° Staunend bewunderit du es in F verheerenden
Setze ein Zeichen nur um: Sie
. Nimmft du dem Ganjen,
mein freund, von feinen
dreimal drei Zeichen
Erſtes Drittel hinmwen, bleibt
nur ein Achtel yurüd.
. Zeile in ungleiche Hälften
Namen des mächtigen Gottes
Unferer Ahnen, mein
Freund: Siehe, ein Strom
und ein Mob.
Zwiſchen zwei Zeilen der
Welt, als Grenzpuntt, bin
ich aelegen,
Lies mich riichwwärte: bu nennt
einen altheidnifhen Gott.
. Ausgeftattet mit Größe im
orthographiichen Sinne
Bin ich ein mächtiger Strom,
ohne fie — Konjunktion.
. Patriotiiches Feuer durch»
glühte den edlen Fmpörer ,
Noch ein Wörtlein: bu nennit
Sdwabens erhabenften
Eohn.
„ Ueber der erften raget die
zweite ala mächtige Waffe
Bei dem Ganzen, das wild
febt in der tropiſchen Welt.
. Bilde aus ſpaniſchem Titel
und beutihem Laut der
Empfindung
Eines herrlichen Stroms Na»
wien, mein ratender Freund
ſtannit du jeneh Gebirge und
diefen Zitanen verwandeln
eihen verſehend, mein
% reund, in ein beliebtes
ericht ?
ft, 8,8,
inein,
irtung ;
e, ein heiliges Buch!
welche bebeuten:
aa BELIZE TEE IT IT ALITTEZETTEITITENLTEERZIEEES STE E20 U 51. UN ER SS EL NETIEELETTENLLLE ———
DER TTERTIISTT UOTE
Ve
BELIEET TEE TIL ETTETITSITTEEET PET TI ESS PrrTTEre
arg ggu ne ee
Anenun
nn rernree a n rrirerernrriin—
€? Fi
mean
BAG IEEE 15 173 BES LTTETITTESLEPTTEZITTTE TEST TTS TSZEISZZETIZETTZEE
Benn man die Zahlen der obigen Figur bur die entiprehenden
Buchſtaben erfegt, To erhält man 14 vieritellige Wörter, mit einem
gemeinfamen Gudbuchſtaben. Die Anfangsebuchſtaben dieſer 14 Wörter
nennen unlern Leſern einen guten Belannten, 1) Ein Gefäß; 2) ein
mufifalifhed Inftrument; 3) ein Dogel; 4 eine Kompeftion; 5) ein
Planet; 6) einer ber Götter in Wagners „Rheingolb*; 7) eine Quelle
ber alteſten Geſchichte und ber evitden Tihtung; Rein Rammermäb-
den; 9) ein Baum; 10) eine mädtige Herrierin; 11) ein Bafendbamm ;
12) ein Dogel; 19) ein großer Bin; 14) ein Vogel.
ARE TO TTi men gaTT men
nod jenem fräftigen Seil an.
‚1,1,1,10,0,0, r,r, 8, t, u,u
Aus obigen 38 Buchflaben follen 8 Wörter
1. Einen Wodentag; 2.
Nahrungsmittel ; 3. Eine FFrauengeftalt aus der griechifchen Muytbr;
4. Einen befannten frangöfiihen Schriftjteller; 5. Fin Hin
5. Emie, 6. Ejie, 7. Suſe, Umme, 9. Meu,
An Stelle der Noten find Buchftaben zu feken.
Budflabenräffel.
a, a, a, a, a, b, b. b, b. b, e, e, c,d,d,e, f,
z.
gebildet werden,
in allgemein::
Infett; 6. Ein Befährt; 7. Einen
—— ;8. Einen Fluß ia
olen,
Die Anfangs, fowie die End»
buchſtaben von oben nad unten
nelejen ergeben die Anfänge
zweier belichter Welodieen cus
wei Opern von Rich. Wagner.
ie heißen die Texte dazu? —
Dätfel.
Du findeft es auf allen Feldern,
Die Lenz mit friihem Grün ger
ſchmückt,
Du mer 8 in allen Wäldern,
Wo did des Bögleins Lied enie
züdt.
Auf Libyent heitem Wüſten ſande
Gilt es dahin in ſchnellem Flug
Und in ber Sonne glüh'ndem
Brande
Zieht's oft in vieler Brüder Zug.
Zu britt if eines Mannes
amen,
Der weit in — Landen
nat,
Und der aus vieler Titel Rahmen
Verheigend dir entgegen wintt
——— Mn Heſt 10,
ß 1. Rufe
Fan 5 deile «Sur,
10. Eprer,
äng' ein —— ches nichts
iehe, zur Halbinſei wird's in der Ruſſen Bereich. 11. Gfien. Das Königreich heißt Preußen.
Was mag es fein? Das Rätjel.
Aapfefrätfet: 1. wer äft: Eris, 2. frei? der: Eider. 3. edle
Dame: Leda, 4. einem Mal: Emma, 5. fich an bas: Hand,
6. Edenhall Am Morgen: Yamm.
Sildenrätfel: Ehret die Frauen, fie flechten und weben — |
Himmliice Rofen ins irdijche Leben. !
Skataufgade: Im Stat liegt: Teeff-Bube und Treff |
Mittelhand bat: Coeur · Bube, Treffeönig, Dame, Neun, Ast
und Sieben, Pinue-Bchn, Foeur-Dame und Neun, Garreau A.
interhand hat: Karreau-Bube, Pique-Dame, Neun, Abt und
ieben, Coecur · Jehn, König, At und Sieben, Garreau«/Jchn.
Eriter Stich: Torband Pigue-Bube, Mittelhand Coeur ⸗ Bube.
Hinterhand Garreau-Bube. Zweiter Stih: B. Garreau«
Eieben, M. Garreau-Ah, O. Garreau-fchn. Dritter Eid:
Klüglich verbinde die Grasflur mit lieblich rauſchendem Wafjer
Durch den ſchnarrenden Laut: fich' ein gefeierter Nam’.
12,
M. IrffeSieben, H. GorumZieben, BV. Treff ⸗Jehn. Det
Spieler bat num Reit und die Gegner haben im Ganjen nur
21 Pointe.
MBätfel: Leinwand, Einwand, Ginband.
Mebus: Der Bermeffene büßt das vermeſſene Wort mit [hmerem
Gericht, dann Iernt er auch wohl noch weife zu werben im Alter.
Zuchſtabenrebus: Bitte zum Thee pwiſchen 7 und 8.
Schad. — f, von Pröpper, FZeitgemäßes aus Küdje und Baus. 577
Schachaufgabe Ur. 7
von I. Mindwik (Redakteur der Deutſchen Schadhzeitung)
in Zeiprig.
(Shwarz.)
ABCDEFG
— 7
Weiß zieht an und feht in vier Zügen matt.
Föfung von Ar. 6
1. 7 6 — es:
2. Dal — a5! beliebig.
8. Lb5 — d3, e2, AT matt.
Auf 1. Kf5 — gt: folgt 2. Dar — fü: nebft 3, LbB
— 02 matt; auf 1, Tf6 — 17T oder f8, 2. Te6b — ed ic
Fingelaufene Söfungen.
Die Loſung der Aufgabe I. in Typen ift folgende:
1.811 —g2 Kfb —es: RR Ld5 —e4
2. DhI— bi matt. 2. Se8 — d6 matt.
22200000 Sf3 — ha: } ARE ET TEE Ld5 —e6:
23. Te4— e5 matt. 2. Tes — fi matt.
Auf andere Züge folgt 2. Se8 — 46 oder 2. 892 — e3 matt.
Ridhtig gelöft von W. Dams in Nepelen, W. ron in
Deed, 5. Strömer in Stettin, V. Eholdt In Plauen, F. Paufner
in Nürnberg, Sofie Schett in Unterwaltersdorf, W. Pravne in
Emidow, ja Banıjo in Dornbirn, E. Auhl in Gotha,
5. Bolke in Pote dam.
Die —— Nr. 5 geftattet Rebenldſungen durch 1. Las
— es, beliebig, 2. Lei — h#, beliebig, 3, Td6 — c6 matt,
und durch 1. TA6 — g6,h6 ıc, Geldjt von W. tron in Perd,
W. Dams in Hevelen, K. W. Winfler in Reubrig, @. Auhl
in Gotba, H. Bolte in a in Budweis,
G. 2. Feldmann in Franffurt a. J ja Banefd in Dorm-
birn, Hermann Etrömer in Stettin, Üchrer Winfauer in Dorn-
bim, Dr. &. Graf Earntheim in Innebrud, Gmanuel Merinsty
in Wien, P. Etzold in Plauen, F. Paufner in Nürnberg, R. Hoc)
in Et. Petersburg, R. Etähli in Langenthal, Gofle Schett in
Unterwalter&dorf, A. Fehrmann in Hongen, I. Brik in Bubda-
peit, ©. Winfauer in Dornbim, 9. ©. in Feleghhaja.
Nr. 5 wurde ferner gelöft von F. Paufner in Nürnberg,
2. 2. im Leipzig. 5 R
Die Aufgabe Ar. 3 wurde ferner gelöſt von W, Aron in
Beed. W. Pravne in Emihow, Franj Schreiber in Gorig,
. Etrömer in Stettin.
Briefwechfel.
5. $. in Uinterwaltersdorf. Don Ihren 5 Aufgaben
verwenden wir die beiden u mit Kd8, Kd5 (1. Tea)
und Kes, Kh5 (1. Tas). Die Löfungen geben Sie ju un
vollftändig an.
a. ?. in HBöngen. Die Vöfungen und fonftigen, unſere
Schachrubril betreffenden Mitteilungen find mit Aufihriftt.Schad*
an bie Rebaltion von „Bom Fels zum Meer* einzuliefern.
Beifgemäßes aus Küche und Haus.
Bon $. von Pröpper.
Nuguft.
Italienifhe Suppe mit Würjihen. Man babe
etwas Wildbretfarce und bereite daraus fleine Würftdyen, indem
man fie, mittel& eines dünnen Wurfthörndens, in die dünnften
Hammelsdärme füllt, je nah 3m den Darm zweimal umbrebt
und fo die Wiürfthen abteilt, fie aber vorläufig aneinander lä
und fie, 12—18, in eine mit Butter beftrihene flade Panne
Icgt. Dann gebe man in 21 ftarke Bouillon 3 Eßloffel Tomaten ·
pürce und 100 g in Waller gelochte und danach in 3 cm lange
Stüdden geichnittene Maltaroni; übergiehe kurz vor dem Ans
richten die Würftdhen mit fochender Bouillon, laffe fie auffloßen,
auf einem Sieb raſch abtropien, jerteile fie ebenfalls ſehr raid
und lege fie in die Suppentertine, giche die Bouillon mit den
Maccaront darüber und ferviere gericbenen Parmeſanläſe dazır.
Wollte man bie Wurſichen nicht ſelbſt bereiten, jo fann man
beim Mebger von der ganz dünnen Pratwurft (Sauciächen)
nehmen, fie, wie oben angegeben, abloden und ganz wie bei
den Fareewürſtchen verfahren, nimmt dann aber flatt der
— Reis und flatt Bouillon eine recht fräftige braune
udjuppe.
Wildbretfarce Man bade 125 g Wildbret mit ebenio«
viel Nierenfett oder Butter fein, thue 90 g in Milch eingeweichtes
und feft ausgebrüdtes Weißbrot ohne Ktruſte, ein Ei, ein @igelb,
jehr fein gehadte Peterfilie, Salz, weißen Pfeffer und Mustatnuß
aran und arbeite die Maſſe gehörig untereinander.
Tomatenpüree Dan zerbriide einige recht reife Tomaten
— ohne etwas davon zu entfernen, da gerade der Saft (das
Wafler), welches nad einigen Rezepten ausgebrüdt werben joll,
die pifante Säure enthält — dämpfe fie mit etwas Sellerie,
Zwiebel, Peterfilie, Salz und Pfeffer, bis das Wafler gan ein»
gedämpft ift und gebe die Pürce dann durch ein feines Sieb,
Hirſch auf altdeutihe Art (aus Klofterküde,
16. Jahrhundert). Dan koche einen jhönen Giridhyiemer in
ut gefaljenem Wafler ab (nicht zu gar) und röfte ihm hierauf
Über einem Rofte, auf beiden Seiten ſchön braun, lege ihn auf
eine erwärmte Schüffel und beftreue ihn ſtark mit Zuder, Zimt,
Gewürznellen und Mustatblüte, Sorintben und abgejogenen
Mandeln, Dann vergolde man jhöne Yimtflengel und Muskat
nüffe in der Art wie man Nüfle für den Weihnahtsbaum ver»
goldet, beftede den Jiemer damit und lafie nadfolgende Sauce
oder aud nur Idhanniebeer · Gelee dazu reichen.
Sauce, Man bringe 1, 1 Rotwein mit einem Stüddyen
imt, 6 Gewürjnelfen und 90 g Zuder zu feuer, Lafie es kochen,
ziehe es mit einem knappen G&löffel voll, mit ein wenig Waſſer
verflopftem Kartoffelmebl ab und gebe ed durd ein Sieb.
giebt man dad Süße nit, fo lege man den abgefodhten
und wohl abgetropften Ziemer auf eine Schüffel, welche das Feuer
erträgt und beſtreiche ihn mit Butter, vermiſche ein paar Hand»
voll geriebenes Shwarzjbrot mit Salz und Ingwer oder Gewürz.
nelten, beitreue den Ziemer damit, lege noch kleine Floͤdchen
Butter darauf und lafje ihn in dem Kalt (Röhre) oben ſchon
gelb werden, beftede ihm mit an Silberipiehhen (Wtelets) oder
auch an zierlichen Holjipiehchen befeftigten Peterfilienfträuichen,
garniere ihm mit gebämpiten Kartöffelchen und ferviere eine braune
Zwiebelſauce (Sauce Robert) dazu.
Gedämpfte Kartöffelben. Man flehe aus groken,
eihälten, rohen Kartoffeln mit einem Ausftecher walnußgroße
Rartöffelden aus, überbrübe fie mit lochendem Waſſer, lafſe fie
jugededt, 10 Minuten lang darin auf dem Tiſch fichen und
niehe das Waller ab; überbrübe fie nodimals und wenn fie auch
darin wieder 10 Minuten lang geftanden haben und das Waller
abargofien it, fo trodne man fie mit einem Tuche ab, laſſe für
40 Sartöffelden 75 g Yutter mit Salz fehr beik werben, thue
die Kartöffelhen hinein, ſchwenle fie recht um und faffe fie, zuerit
zugebedt, recht heiß werden, dann aber, ohne Dedel und indem
man fie oft umſchwentt, langſam weid bämpfen, weldes eine
bis anderthalb Stunden lang andauern fann; fie müflen gan
bleiben, hochgelb und inwendig ganz weich fein und find auch
ſehr qut zu Beefſteals und dergleichen.
Braune Bwiebeljauce (Sauce Robert). Man röfle
4 Eßlöffel fein gehadte Ywicbeln mit 4 Eflöffeln Mehl in
125 g Butter faftanienbraun, rühre es mit 3, 1 Fleiſchbrühe und
4 Ehlöffeln Eifig an, wire mit 4 Gemwürznelten, 6 Pfchier-
förnern, einem Vorbeerblatt und 2 Gitronmideiben und koche es
eine Biertelftunde, gebe «8 durch ein Gaarfieb und füge noch
2 EHlöffel Senf hinzu.
Aprilojen-Torte Dan Ihneide 20-30 Wprilofen
entzwei, nehme die lerne heraus, Mopie fie auf und fhäle und
— u ı —
578 Photographierter Big. — Neue Mufifalien, — Dom Büchertifch.
ftohe die inneren Sterne wie Mandeln, ſchneide die Schale einer
halben Gittone fein und loche aDes zufammen in 250 g geläuterten
Zucker, bis die Apritofen weich find, worauf man das Ganze
zum Ertalten auf eine Schüffel tut. Nun belege man eine
Zortenform mit 2 Mefjerrüden did ausgerolitem Blätterteig oder
mürbem Zeig, fülle die Aprifofen hinein und beftreue fe mit
125 g gröblid geftoßenen Mandeln, die mit einem geriebenen
mürben Weißbröthen, 60 g geſtoßenen Zuder und einem Thee ·
töffel geitoßenen Zimt vermiſcht worden, lege noch etwas friſche
Butter in kleinen Brödchen darauf und bade die Torte in nicht
au heißem Dfen.
Ungarijde A a Hrn Man thue Yu kg Mehl
auf das Badbreit und fuete es mit 8 Gidottern, einer Mefier-
ipige Salz und Yuder und chwas Mil zu einem feſten Zeig,
den man dann mit dem Stodlöffel fo lange ſchlägt, bis er ſich
vom Badbreit und Löffel löft, wonad man ihn zu Meinen
Ringen, etwa wie ein Armeing formt, die man in lochendes
nn gibt und wenn fie in die Höhe tommen, mit dem Koch ⸗
töffeljtiel herausnimmt und zum Wbtrodnen auf ein Tiſchtuch
tegt. Hierauf bejtreiht man ein Badbleh mit Butter, legt die
Ringe darauf, beſtreicht fie mit Butter, — fie mit fein ger
ftoßenem Zuder und thut fie in einen mäßig heißen Ofen, jo
ba fie mehr trodnen als baden, aber ſchön braun und roſch
dipröde) werben; ziehe die Bretzeln num zu je 10 oder 20 Etüd
aufein Band und fnüpie & jujammen, und wenn ber ungariide
Jäger dann auf die Jagd gebt, jo hängt er diefe, bei ben
Zagern bejonders beliebten Wrepeln an den Modinopf oder
auf die Jagdtaſche. Uebrigens auch zum Thee ſehr angenehm
und dabei haltbar. — Aus Sjegedin.
‚Shaum-Bowle Man gebe in eine weite und tiefe
Zerrine Rg Zuder, prefje den Saft von 2 Gitronen und von
2 Apjelfinen darauf, giehe das nötige Ciswafler darauf, um ben
Zuder zu ſchmelzen und verrühre es mit einem filbernen Löffel;
fiige dann eine Flaſche Borbeaug oder Burgunder hinzu und
hierauf, nad und nah und immmerfort in die Hunde ruhrend,
eıne halbe Flaſche feinjten Rum und danach 15 kg ſchönes,
Mares, durchſichtiges, in Stüde jerihlagenes Eis und laſſe es
10 Dlinuten lang ziehen. Fülle die Zerrine nun vollends mit
feinitem bayriicem Bier, ſchlage dieſe Miſchung mit einem Löffel
zu Schaum und ferviere ſofort und jeher kalt.
»Phofographierter Blitz.
„Beihwindigteit ift feine Hexerei“ fagte der Photograph
Robert Hänfel in Reichenberg — da hatte er einen Blik
photographiert. Am 6. Juli bei einem beftigen Gewitter ftelte
Hanjel feinen Apparat auf — in [päter Abendjtunde bei wollen
dunflem Himmel. Bon zehn Platten waren nur drei (die neben«
ftehenden) brauchdar. Der Gejihtswinfel betrug, nad ben Bes
tehnungen, welde er am darauffolgenden Tage anftellte, circa
1700 m Dorizontweite. Wie empfindlich die Silberbromplatten
geweſen jein ale: ergibt ſich aus der Schnelligleit einer Blitz⸗
erieinung, diejelde beträgt nad Wheatftone weniger ala den
Miltionitel Zeil einer Sekunde. Aber au im anderer Weife ift
das Ergebnis interefjant. Die Bilder, welche Hänjel von dem Blit
erzielte, find ganz dazu angethan, die landläufige Meinung, der
Blihſtrahl fahre im Yidzad zur Erde nieder, zu zerjtören. Biel
eher hat er nad dem photographiichen Konterfei das Ausſehen
eines Flußlaufs auf der Landlarte. Zu beadten ift aud bie |
Beräftelung des Etrahls, welche bei der Annäherung an den
Groboben eintritt.
Neue MWufikafien.
Es if zur Seit das Streben der Verleger, auf litterarifdhem
wie auf mufifalifchelitterariihen Gebiete dem Publitum Gutes
in würdiger Ausjlattung zu billigem Preije zu bieten, und was
Poeſie und dahm Einſchlägiges anlangt, fo leiften Die Gollection
Eprinann und ähnlibe Unternehmungen geradezu Gritaunliches,
Fr gr auf muitaliihem Gebiete die Dolfsausgabe von Breit-
Topf & Härtel und die Edition Peters ſich durch ihre trefflichen
Ausgaben bei unerhört billigem Preife wahrhaft bervorthun.
Die oben angebeuteie Tendenz verfolgt aud der „Verlag ber
wWinfitaliichen „Univerjal-Bibliothel‘ in Leipzig (R. Schmidt).
Dieje Univerjal-Bibliothet iſt bis dahin in 156 Nummern er
ihienen und ijt beftimmt, „die Luft und Liebe zu Mufif und
Gefang im Haufe zu pflegen“ Als ob Geſang nit Mufif
wäre! Seltjam berübrt's den Musiker ftets, wenn von „Mufif
und Gelang“ die Rede if. Doc lafien wir das! Storrelt aus-
nedrüdt bringt alſo diefe Vibliothet Werte für Grlang und für
Pianoforte und im meiltenteils quier Auswahl. Es find Bad,
Händel, Rameau, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Weber,
\ Mendelsfohn, Gherubini, Scarlatti, Bocherini, Pergolefe, rief),
\ Hummel, Chopin, Areuber, Mehul u. f. w. vertreten, aber frri«
\ N auch Thella — mit ihrem fadenſcheini Gebr
\ der Jungfrau und Lefebure-Weln mut feinen EyiedofenRüdben
„Les cloches du monastöre*, Jede Nummer foftet nur 20 $f.
Wenn die Berlagshandlung forgt, daß die Auswahl alles wirf-
lich Verwerfliche beifeite Läht und daß das Gute und Ehöne, imenn
es einer —— bedarf, nur in einer echt künſtleriſchen auf.
tritt, jo wird fi diefe Muſikaliſche Univerfal-Bibliothef* eimr
geachtete Stellung erwerben können, Die Bearbeitung von Haybmz
„Gott erhalte Franz den Staifer* hätten wir allerdings anders
eroünjcht, als fie hier geboten ift. Solche dide Bah-Tremoios
hreibt man heutzutage nicht mehr.
Einen übrraus wohlthuenden Ginbrud maden die jüngft bei
—F Kiftner in Leipzig erſchienenen neueren Werke von Etepban
eller, Ein Ungar, der in Paris lebt und urbeutib kom
poniert und ein Mann von neunundſechzig Jahren, welcher mit
jugendlicher Friſche für die Jugend ſchreibi, der ift fürwahr eine
ulide Erſcheinung, und wir maden Lehrer und Dernienbe
aufs nachdrüdlichſte — am auf des genannten do niften
Zwanzig Präludien für Pianoforte Op. 150 Heft I a 2 m.
gef Ua 3m. Aufzeihnungen eined Ginfamen. Bir
lavierftüde Op. 158. Pr. 2,50 M. Zweite Eonatine für
Bianoforte als Vorſtudie zu den Eonaten der Meifter Op. 147.
Pr. 3 M. — Geift, Gemüt und die Finger, fie alle finden idrr
Rechnung dabei. Möge der trefilihe Meifter Stephan Heller uns
bald Aehnliches wieder beſcheeren.
Dom Wücherkiſch.
Maskaoͤlnikow, Roman von F. M Doflojemstij, aus
dem Bulle überfegt von Wilhelm Hendel. Leipzig, W. Frie⸗
drich. Doftojewsfij, der vor nicht langer Zeit verftarb, ift einer
der bervorragendflen unter den modernen ruffiichen Echriftitellern.
Das „Magazin für die Pitteratur des In» und Auslandes bradite
vor längerer Zeit eine interefiante ag Se Gharalterifit des
Dichters aus Feder W. Hendels. Derſelbe Autor bat den
vorliegenden Roman Doftojewstys übertragen, ben wir als eine
erfreuliche Ausnahme unter dem Wuſt aus dem Ruffiien über
fehter Erzählungen begrüßen, die meiftend von folden Interpreten
verbentjcht werden, bie fein ruſſiſch verfichen. Das Bud it —
wie der Weberfeker in feiner Vorrede treffend bemerft — cin fi
wejentlicher Beitrag zur Beurteilung und Erklärung der in Ru
land ftattgefundenen Freigniffe neuer Zeit, obwohl es bereits vor
anderthalb Jahrzehnten gefhrichen wurde. Die Lehren, melde
den Zitelhelden zum Verbrecher machen, die unfinnigen Theo»
rieen und verfchrobenen Begriffe über Moral und Menſchentechte.
welche ihn ins Verderben bringen, find mit —— Abweichungen
diefelben, aus denen die Geroen bes Nihiliemus hervorgingen
Die Ueberjehung * ſich ftreng an den ruſſiſchen Text und lieh
fa dabei doch jehr Leicht und fließend. Selten begegnen uns
ufficismen — nichts ungewöhnliches gerade bei ſolchen Ueber»
jehern, welche in Rußland gelebt haben und mit der Eprade
vertraut find, Nur einen Punft muß id tabelnd bemerien.
Herr Hendel hat die orthographiide Marotte, das Pronomen in
der Anrede Hein druden zu lafien. Das gebt wohl in anderen
Epraden, aber im Deutſchen entitehen durch ®leichidreibung von
Sie und fie, Ahr und ihr zahlloje Mikverftändniffe, die man erit
durd Meflerion in einer unwilllommenen Paufe der Deltre ber
feitigen muß. M. v. W. — Der Kampf nm bie an
—— Plaudereien von Heinrich Teweles. Xeipzig,
Neimer, 1884. Die Heinen Aufſätze, welche zuerſt im Feuilleton
der
Prager „Botemia“ erihienen, bilden in ihrer Geſamthen eine
ſehr anziehende Yeltüre. Der Plauderton ift glüdlich eingehalten,
ohne dak ſich der Verfaſſer dadurd je zu jener blumenreiden
Flachhein hätte verleiten laſſen, welde beutzutage von Feu leis ·
niften fo häufig als Geiſt verkauft wird. Die anmutige Form
ift bei Teweles nie ohne ernften Anhalt, und biefer lektere darf
auf allgemeine Beachtung Anipruh machen. Bon dem veridie
denften Seiten wird der Sah beleudtet, daß die Sprache eines
Bolfes die mweientlichfte und hauptſächlichſie Bedingung feiner
nationalen @rifteng ift, daß die Größe einer Nation nur in ber
Sprache ihren Ausbrud finden fann, daß ein Volt niemals dem
Untergang feiner Sprache überlebt hat. Indem der Verf. dies
durch gludlich De Beiſpiele aus der Geſchichte beweill,
beitimmt er zugleich feinen Standpunkt — der Tageeftage.
weiche der hanviniftiſche Eifer des Gjedhentums in Böhmen
eraufbeihworen bat. Wir erfennen, daß es fi bier um einen
—* ernſten Kampf handelt, deſſen Fanatismus eben in dem
Objekte jelbft, der Nationaliprade, feine Erflürung findet. Wir
Deutihe werben dem Berf. freudig beiftimmen fönnen, wenn er
gegenüber dem ſanguiniſchen Beſtreben ber **8* ihre Sproche
u heben und zu fördern, beſonders daranf dringt, daß teir die
| Dhiege, Reinhaltung und Veredelung unierer Sprache ala eine
Dom Büchertifch.
heilige Pflicht betrachten jollen. Gewiß wäre in unjerer Geſchichte
mandjes befier getommen, hätten wir an unferer Eprade ſiets
nit dem ng zäben Stolz wie andere Volker feitgebalten,
und der Gifer, mit dem ein Deutjch+Deiterreicher für dieſes Ziel
eintritt, wird gewiß fm Deutichen Reich auf Sympathie rechnen
dürfen, Daß mande Einzelheiten gewagt oder unrichtig find,
braucht um fo weniger verihwiegen zu werben, al& das !er«
dienſt des intereifanten Büdleins dadurd nicht beeinträchtigt
wird. F. — Prinz Friedr Narl
im Morgenlande. Nah ihren
Tagebüchern und Handjeichnun⸗
gen von feinen Reiſebegleitern
Prof. Dr. H. Brugſch und Major
von Garnier. ranffurt a. O,,
Trowihſch & Sohn. 1884. Fol.
Ein Prachtwert erflen Ranges
ift e3, von weldem uns durch
die Gefülligfeit der Berlagshand-
lung die Aubhangebogen der erjten
Licherung vorliegen! und zwar,
wir jagen dies mit gutem Nor»
bedacht, ein Prachtwert nad jeder
Richtung hin. Der Text bat
feinen Geringeren zum Berfafier
als Profefior Brugſch, den bes
rühmten Hegyptologen, der durch
fünfundziwanzigjäbrigen Aufent«
halt mit dem Morgenlande ver
traut it, wie faum ein anderer
und, fo viel wir willen, dies ;
mal zuerſt in feinem Leben bein
Poden flrena nelebrier Forſchung
verläßt, um feine Grfahrung und
feine Feder der Schilderung jener
Neileeindrude zu weihen, welche
er als Begleiter des ruhmgelrons
ten Prinzen Friedrich Marl von
579
Preugen auf deilen jüngster Orientfahrt gewonnen und in
Tagebüdern forglam befeitiat hat. Gein Gejährte, Major von
Garnier, jeit lange in den Mukeflunden, welche der altive Heeres
dienft ihm gönnt, der Hlunft gewidmet, hat mit genialem Stifte
die wichtigiten Reifemomente (tgebalten und — last not least
— Altmeifter Brend'amour hat jeine Skizzen im Holzſchnine
wiedergegeben mit jener Vollendung, die wir an ibm gewohnt
find. So fommt eben, nad den vorliegenden Proben zu urteilen,
ein Werk zuftande, welchem bie
im Bordergrunde jtebende ritter-
liche Geftalt des Prinzen an und
für fi dauernden Wert verleihen
wird, das aber auch voraud«
fihtlih als Aunſſwert der Gunſt
des Büchermarktes ſicher fein darf.
Wie dem Profpelt zu entnehmen,
ift dasjelbe auf zehn Lieferungen
zu 61, Bogen berednet, welde
alle noch im Laufe diejes Jahres
ericheinen werden, und enthält es
zwölf Vollbilder nebit 50 in bei
Tert gedrudten IMluftrationen, H.
— Boll edten Humors, der auch
volle Töne der Schwermut findet,
find zwei Bücher, die in glei
diem Verlage (Dresden, Heint
Minden) erihienen, die Erit-
lingewerfe jiveler hochbegabten
Dichter find. „Silentium pro
Paul v. Portheim* nleidh»
jeitig auch das lehle Buch bes
Dichters, der in fo jungen
Jakren vom Leben ſchied — ent-
bält neben den übermätigften
Moemen, twie fie auf dem Boden
der Stneipe wild gebeiben, um
im Slommersbude dann ein un»
ar
Robbildung von Photographieen, melde Robert Häntel in Reichenberg bei einem Wemitter Berftellte.
ſterbliches Leben zu führen, neben prächtigen Jech · und Wander:
liedern eine Reihe von Gedichten, die, innig und feufch, eine weh-
mütige Empfindung voll und ganz wiedergeben, Sie haben
bleibenden Wert und werden den Namen des Dichters, über
den fo früh das große Eilentium gefommen, nidt vergefien
laſſen. — Weltzufriedenheit ift der zu des zweiten Buches:
„Die Geſchichte des waderen Leonhard Jobefam" don
Theodor Loewe. Der Held ift ein Schuiter, der weniger erlebt,
als jonft jeine rk pilenen ; aber er ift nicht nur
fein Alltageſchuſter, er it aud fein Alltägsemenſch; er verſleht
au beobachten, er lebt mit den Augen, und jo bringt jeder Tan
Neues und Gigemartigee. Das untericheidet ibn von Auerbachs
vhilofophierenden Bauern: feine Weisheit ift die naive Unmittels
barfeit der Betrachtung der Dinge. Schmerz und Not gehen an
ihm vorüber: fein Gerz bleibt allumfaſſend, fein tüchtiger Vebens«
mut, feine Weltfreude geben ihm nicht verloren. Es if ein
wohrbaft erquidender, erfreuender Humor, der über diefem
Buche auögebreitet ift; die Sprache ift edel bei aller Einfachheit,
die ganze ählung unvergleichlich zart und feinfinnig, wir
möchten den „Vobefam* nicht weit von Gottfried Hellers wunder
famen Eefdropfer Geſchichten enreihen. R. — Die unter dem Titel
„Saga‘* vereinigten Erzählungen I. Eidherihs gemahnen
durh Stoff und Behandlung an Sdyfiels „Elkehardb*: ein
ihwermwienender Vergleich, der fiher unterblieben wäre, wenn
uns nicht die friſche Erzählungstunft, das getreue Zeitkoforit,
die alles durchwehende warme Empfindung das Bud lieb und
wert adıt hätte. Wir aratulieren dem noch vielveripredhen-
den Autor zu diefem glüdlichen Wurf, dem Berleger (Nd Bonj
& Go., Stuttgart) zu einem ſolchen Buche, dem Vejerpublitum
zu den noch bevorfiehenden genußreichen Stunden.
(Google
—
2 Der [uftige ©efellfchafter. 2»
(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtommen!)
Wie es geht.
Gertrud: „Wer hätte das gebadıt, daß die einfl fo viel uns
chwärmte Marie dein alten bäklichen, unliebenswürdigen Stanzleis
efretär die Hand reichen würde ?*
lie: „Gern hat fie ſich ber nit dazu entjchlofien ; aber
was blieb der 2Bjährinen übrig? Ihren erften Liebhaber hatte
fie zum beften; der, mit dem fie am bejten meinte, verlieh fie am
erfien; da mußte fie ſchließlich den eriten beiten nehmen.”
s
Berliniſch.
Ob feuriger Brünetten härmt
Sich dieſer oder jener, A
Für „fühle Blonden* einzig ſchwärmt
Der richt'ge Spreeathener.
v
Im Vheaterdurean.
Direlior (zur Sängerin): „Dem Publlkum find Eile ja un
weiielhaft fehr ympathiſch, meine Liebe, aber ber Recenjent une
Irre ochenblattes ſpricht Ihnen jede mufitalifdhe Begabung ab.“
Sängerin: „Da bat er von feinem Etandpunft ganz redht,
Herr Direttor ; denn er bat in der That aller Bemühungen uns
geachtet fein Gehör bei mir gefunden, *
5
Gut motiviert.
„Herr, was ſchneiden Sie für Befidhter?*
„Das ift mein Geſchäft; ich bin Solzicpneider. *
»
Xus der Böhterfhufe.
Lehrerin: „Wie heißt ‚täufhen, betrügen‘ auf frangöfiich?*
Mariehen: „Tromper.*“
Ychrerin: „Out, Und wie lautet das davon abgeleitete
Subftantiv; jemand, der täufht und beirünt?“
Darlehen: „Zrompeter.*
v
Bewãhrtes Mittel.
Des Mannes Macht iſt nur Legende;
Bei der Ohnmacht der Frau hat fie ein Enbe.
Xus der Kinderflube.
„Die Auſtern haben body alle einen Bart, Dama?*
„Ja, mein Kind,”
„kafien fie ſich auch rafieren ?*
*
Beim Wort genommen.
Ein durch ſein dünkelhaftes Weſen befannter Schriftftefler
beftellt ih im Gafe ein Glas Waſſer; nachdem er eine ganze
Weile vergeblich newartet, wiederholt er feine Beltellung.
„Nehmen Sie's nur nicht übel, Herr Doftor!" entschuldigt
ſich der von den Gäjten inftrwierte Aellner, „es Hit mir aber gan
unmögli, Abren Wunfd ju erfüllen. Eie jelbit haben ja geſtern
abend am Stammtiſch ausdrücklich erklärt: Mir fann keiner
das Wafjer reidhen,*
»robat.
„Können Sie mir nicht eim Mittel angeben, um meger zu
werben ?*
‚Gehen Ze heute abend in das Wirtibaus zum goldeuen
Yen und lafien Sie ſſch mit dem dort verlehrenden Dr, Gallig
in eine Distufjion ein, dann haben Sıe gleih Ahr
Bett weg.”
Verſchieden beurteilt.
‚Nicht wahr? die mufilalif-dellamatorifhen Vorträge auf
kr Eur Soirce beim Geheimrat X... waren dod ganz ent
udend f*
e „Die Verpflegung Tick aber jehr viel au wünfden übrig.“
Ich fonnte mid wirklid) gar nicht fatt hören.“
„Und ih babe mid thätſächlich nicht fatt effen fonnm.*
*
Im Berliner Budikerkelſſer.
— „Menigenefind, wie red'ft du denn? Du bifl ja
janz beifer.”
Epillefe: „Das lfommt davon, daß id heute vormittag je
wählt habe, *
Tübbele; „Haft du dir denn im Wahllofal jo erfältet ?*
Epiliefe: „Das jerade nid, aber id habe do Müllern
meine Stimme jejeben,
”
Shemannsfeufzer.
Dem Atlas fhenkt viel Sympatbien
Die Modedame leider:
Yur Schule trägt der Badfiih ihn,
Die junge Frau — jum Schneider.
®
Xus der Sdule.
Lehrer: „Wann find die Flüſſe am gefährlichften ?*
Karlden: „Wenn man fie in den Gliedern hat, jagt Papa.”
*
En gros.
„Wieviel haben Sie während Ihres Aufenthalts in England
wohl gebraudıt ?*
„ira fünf Geniner.“
„Wie veriiche ih das?“
„Genau gerechnet 493 Pfund.“
>
Dun das Album einer jungen Fran.
Etell, was did an Heiz beglüdt,
iemals in den Schatten;
Wenn die Mofe jelbit ſich ſchmüdt,
Schmüdt fie aud den Gatten.
*
Eben deswegen.
Prachwolles Wetter heute!”
Sie ſcherzen. Es gieht ja wie mit Fimern.*
„ben deswegen. Ih bin Eheaterdireftor.*
*
In der Künſtlerkneipe.
„Nun wie haft du den heutigen Zap verbradt ?*
„Ach babe mich auf die Yeinwand geworfen.“
‚Tu baft alfo ſteißig an deinem Porträt gearbeitet ?*
„Ad was! Geſchlafen habe ih, um das in der legten Nacht
Rerjäumte nadyzubolen.”
‚Und das nennit du ‚dich auf die Peinwand werfen‘ ?
„Allerdings. Oder glaudſt bu, mein Bettlafen wäre Leine
Yrinwand ?"
C 3
Scerzfrage.
Weshalb find füdtige junge Aerzte als Ehemänner ſeht
begchrt t
Artwort: Weil man annimmt, daß fie ihre Krau
bebandeln werden, ——
Der geflirnte Simmel im Monat Auguſt. — Schmiedeeijernes Hausgerät.
Der geflirnfe Simmel im Monat Auguſt.“)
Bon den Planeten it in dieſem Monate Benus als Mor-
genftern zu jeben. Sie erreiht am 21. ihren größlen Glanz.
Auch Mars ijt am Abendbhimmel fidtbar und Saturn geht
Zurz vor Mitternadht auf, Am 7, tritt der Bollmond, am
14, das lehte Biertel, am 20. der Neumond und am 28.
das erſte Viertel ein. Am 1. ftcht der Mond in der Erb»
ferne, am 16. in der Erbnäbe. i
In den Nächten um den 8, bis 12. Auguſt wirb man eine
größere Anzahl von Sternjhnuppen wahrnehmen, bie ihren
Ausgangspunft aus dem Sternbilbe des Perjeus nehmen und
welde man beshalb „Perjeiden" nennt. Das Sternbild bes
Perjeus fteht um Mitternacht dieſer Tage hoch am öjtlidhen
immel. Im Süden des Himmels firablt der Helle Stern
Yomelhaut, während in N der helle etwas rötliche Arkturus
eben im Begriff if unterzugchen. Nah dem —
prangt das Sternbild der Leier mit der funfelnden Wega.
Schmiedeeifernes Hausgerät.
Bon 3. Tulhmer. :
Man it in gewilfem Sinne beredhtigt, unferer Zeit wieder
den Beinamen der „eifernen” zu geben, wenn man beobadltet,
wie dasjenige Material, welches nur bei den Niefenaufgaben der
Technik feine mäßig bezahlten Dienfte Teilen, neuerdings wieder
durch funftvolle Arbeit der Menſchenhand veredelt, feine Rolle in
dem Shmud unferer Wohnungen angewieſen erhält, Schmiede
eiſerne Veuchter, Hafietten, Garberobebalter, Lampenfüße und an«
dered hat mit der neueren funftgewerblichen Bewegung wieder
feinen Einzug in unjere Salons gehalten; es iſt willlommen ges
eiken worben als neue Element, das durch die charalteri«
iſchen Formen und die Zartheit feines Ornamentes eine Ab«
wechſelung in die Holz⸗, Etud« und Brongeformen unserer Zimmer»
ausflattung bradte.
Mehr als wünfdenewert war namentlich uns Deutichen die
Verwendung des Metalle zu unſern Hausmöbeln verloren ges
nangen. Fur Bettitellen fand das Schmiederifen von jeher reich
liche Anwendung in England und in Italim. Sein geringes
Volumen bei großer Tragfähigkeit machſe es gerade zum Gerüft
eines Möbels jehr braudpbar, bei dem Luftigkeit und Reinlichteit
die höchſte Anforderung find, Während wir eijerne Bettftellen
ne
y N
— —
Echmiebreiferne Kaffette geſchloſſen· Don Hans Mayer in Münden,
fat nur ala Motbehel für Dienftboten, für Kaſernen und
ſtranlenhãuſer beftimmen, wird mit denfelbem in den genannten
Yindern ein großer, allerdings nicht immer vom feinsten Ge—
ihmad getragener Luxus getrieben; man überzieht die fihtbaren
Zeile mit Mejlingblech, bildet aus Meſſingröhren hohe verihnöre
telte Auffähe auf dem Kopf» unb Fußende, und ſchmüdt auch
*) Huf viele Anfragen teilen wir hierdurch mit, daß bie Stern
farte, welche dem eriten Hefte beigearben war. aub für neueintretende
Abonnenten oder Cole, benen das Blatt abbanden gelommen ift,
gegen Ginfenbung von 30 Piennig in Briefmarken durch bie Verlags
handlung biefer Zeitihrift Ju beziehen if
581
wohl die Pfoften mit Glas oder Porzellanfnöpfen Der Katalog
der weltberühmten Ausjtattungsfirma Mapple u. Go. in Yondon
weiſt Stüde zum Preife von über 400 M. für das leere Geftell
auf. Aber weit auzgebehnter und, wie wir leid) hinzufehen
wollen, weit mehr durch die Hunft verihönt waren die Metalle
— des griechifchen und römiſchen Altertums. Hier war eb
ejonders die Bronze, die zu den meiflen derjenigen Zwecke ber«
wendet wurde, zu melden wir bei Tiſchen und Stühlen das Holz
anwenden, Dem mannigfaltigiien Gebraud dienten diefe leichten,
zjierlichen, felbft bei fchlichtejter Behandlung immer mit unnadı=
abmlicyer Grazie profilieren Geräte, die in allen Altertums-
mufeen, in geradezu erbrüdender Menge aber im National»
mujeum in Neapel vertreten find: Da jehen wir Seſſel, Stühle,
Sofas, große und Meine Tiſche Samovars, Dofen, Eimer —
am herrlichſten aber die zu vielfältigiten Zweden benutlen Drei«
fühe und die Yaınpenträger, bie in zierliher Pflanzeniorm aus
einem breiteiligen Fuße aufſchießenden Kandelaber. Dan kann
annehmen, dab in der immerwährenden Umgebung diejer dünnen
und zierlihen Möbel — neben denen ja auch derbere Stüde aus
Holz und jelbit aus Stein eriftierten — das * des Menſchen
des Altertums ſich weit mehr als das unſtige mitt dieſet Mager ⸗
feit der Formen vertraut gemacht hatte,
Denn gerade darin liegt die Schwirrigleit, welder die Ein«
führung des Schmiedeeijens bei uns jo oft begegnet: Wir find
gewöhnt, unfer Hausgerät derber, förperlicyer zu jehen. Als Der
Kaserhacn,
Shmiebreiferne Raflette gebffuet), Don Han Mayer in Münden.
mittelung Für dieje Schwierigkeit, welche eifernen Möbeln Immer
entgegenfteben wird, bietet jih nur eines: das Clement der
farbe. Und dies finden wir auch beim Gijen früher immer
angewendet. Man kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß
zur Zeit der Gotik und Frührenaifjance, dı man das Eiſen noch
bäufiger zu Dausgerät verarbeitete, fein Stüd eriftierte, das nicht
einen Meberzug von lebhafter Farbe gehabt hätte, Wenn diejelbe
bei unfern Mufeumsjtüden jo häufig fehlt, jo find wohl aus.
nabmslos die Reiniger und Neitauratoren dafür verantwortlid)
zu madıen.
Und fliliftiich fordert das Eiſen diefen Ueberzug unbedingt;
wir wollen dabei von der praftiihen Forderung einer ſchühenden
Dede genen den Roft gang abicher, da man dieje neuerdings durch
chemiſche Prozeſſe ebenfalls erreicht hat. Allein erftens iſt das
Material an ſich ohne jeden Reis. Man kann vom Zinn, vom
Dei, ſelbſt vom Nidel jagen, dah fie in gepußtem Zuitand einen
nur ihnen einentümlichen reizvollen Glanz baben. Beim Eiſen
trifft Died nicht zu, aud fein Moft ift nicht wie bei der Bronze
eine Beredelung, jondern eine Berunreinigung,
Aber wir wollen gegen lehteren auch feinen ſchwarzen, etwa
durch vergoldete Einzelheiten gchobenen Ueberjug: denn — und dies
ift der zweite Grund, der für bunte Bemalung des Eiſens ſpricht
— der an ſich Schon Lörperlofe Charakter diefer Ranlen, Stangen
und Bänder wird durch Die Schwarze Farbe fait bis zur Unfihtbar«
teit geſteigert. Gerade weil das Fifen dein Auge jo wenig Fläche
bietet, möchten wir dieje Flache fo lebhaft geſärbt ſehen wie mög»
id. Das Yinnoberrot, Orybgrün, Bergblau, Weih und Hell«
gelb, das wir bei guterhaltenen gotiſchen Kirdengeräien von
Gifen fehen, und auf weldem das Bold zur glängenditen Wir«
582 Schmiedeeiiernes Bausgerät.
fung kommt — alle diefe lebhaften Farben ſollten wir getroft
wieder anwenden. Auch wer ſonſt feine Sympaibieen für bie “r
teren bat, wird fie angenehm und wohltguend finden, wenn fie
ihm in zarten, fchmalen Linien, auf den dünnen Schnörfeln bes
ſchmiedeelſernen ãtes begegnen.
Wit bezweifeln nicht, daß eine ſolche eng reden Behandlung
des Eiſens demjelben nod weit jhneller die Vorliebe des Publi»
fums erobern würde, als es biöher geſchehen iſt. Freilich mäfır
noch eines dazu lommen, um ju verhindern, dab die lehterr ft
nicht im ihr Gegenteil verwandelt. Das Gijengerät muß bant-
Lich fein, Wir vergefien bei unferm Tradten nadı Stilrihtigfn:
in neuefter Zeit nur zu gern, daß ein ſchönes Gerät nad altem
Mufter, weldjes wir in die moderne Haushaltung einführen, vor
allem braudbar fein fol! Wenn mir nun der Aunmſt ſchmied einm
Shmieberiferner Rronleuchter für eleltriiched Pit. Don Hans Mayer in Münden.
Petroleumlampenfuh, einen Handleuditer, eine Feuerzange ber»
ſtellt, an deren jpigen Ranken id mir das Handgelenk verleke,
fo wird das ftilvofle Gerät ſehr bafd feine Zelle einem glatten,
ſchmudloſen Rivalen abtreten und auf das Bortbrett wandern.
Zu verihiedenitem Gebraud werden heutzutage in allen
Städten Deutihlands ſchmledeeiſerne Möbel verfertiat, oft in ge:
fälliger Kombination des Eiſens mit blanfem Rotkupfer:; wir
nennen von den befannteiten Mleiitern nur E. Buls und P. Marcus
in Berlin, Miendorpf in Bremen, Sarıy, Sipf, Germann und
Hammeran in Frankfurt, Kölbl in Münden, Gillar und Milde in
Wien. Am beiten eignen ſich dieſe Arbeiten aber zu Beleudtungb-
förpern , da die Dünne des Materials nur geringe Schatten, und
damit ſchwachen Lichtverluft erzeugt. Ein befonderes Zufunftd-
acbiet man fih dem ſchmiedeeiſernen Hausgeräte n in ber
elektrischen Beleuchtung eröfftten, Die be, welche aus bet
Werfitatt von Hand Mayer in Minden hervorgegangen.
und die wir neben anderen Arbeiten desſelben Meiiters (S. 591)
heute mitteilen, läht hierin das Beite erhoffen.
Verantwortl. Herausgeber: W. Spemann in Stuttgart. Redalteur: Hof eph K ürf Gner ebenda.
Nachdruck, auch im Gingelnen, wird firafrehtlic verfolgt. — Neberjehungsreht vorbehalten.
Drud von Gebrüder Aröner in Stuttgart.
Mm
Don Interlaken zum Großen St. Bernhard.
Bon
d. Herzfelder.
Be 3
Nicht als ob wir von Interlaken
fofort mit beiden Beinen in
das italifche Gefilde hineinzu-
a
EV
fpringen gedachten. Wußten wir doch, welche
Berge und Thäler zwifchen uns und unfer Ziel
gefhoben waren! Aber aus den umbüfterten
verregneten Schweizer Bergen baldmöglichft in
das fonnige Land der Eitronen zu flüchten, war
der ſehnliche Wunfch, der uns früh vom Lager
SR ‚ach Stalien!“ Tautete die |
* BEN Loſung in der fünften Morgen: |
AN | ftunde des 18. Auguft 1881.
trieb. Aufgegeben ward der frühere Plan, über
die Grimfel oder Gemmi ins Wallis einzubre: |
hen, vielmehr der zeitlich Fürzefte Schienenweg
nah Martigny gewählt, um von da zum Großen
St. Bernhard hinaufzumallen.
Als ung die Bödelibahn in zehn Minuten
in Därligen abgejett hatte und mir das nafje
Ded des Dampfichiffs betraten, jah es um und
über und verwünſcht grämlich und greulich aus,
In langen Tüchern Hingen die Wetterwolfen
bis in den Thuner See herein, deſſen Wellen
in mißfarbigem Grau ans Ufer fchlugen, der
Mind pfiff unheimlich über das Waſſer und
hinter ung, in Interlaken, brodelte ein ſchwarzer
unheilvoller Hexenkeſſel. Vor und aber, weit
gegen Weiten, leuchtete es hoffnungsvoll auf,
lichte Streifen fäumten das aufbämmernde
Flachland, leicht und Iuftig flatterte dort das
Gewölk auseinander, das Thermometer unjerer
Stimmung ftieg bereits über den Gefrierpunft.
Und als nun Pafjagiere, Kiften und Kaften
eingeladen waren und das Boot in die dunfle
Flut Hinausdampfte, da ward von Minute zu
Minute der Himmel freundlicher, der Mind
Den Thuner See teilt eine leihte Krüm-
mung in zwei Beden. Der obere Teil, ſchmäler
und ernfter, wird von den fahlen Ralligenftöden
im Norden und füblic von den wald: und wei:
‚ dereihen Hängen des Morgenberghorns um:
faßt; um die felfige „Nafe”, an den „Kalten
Kindbetten“ vorüber, eilt das Schiff in die
günftiger, und die malerifchen Geſtade, frifch: |
' Kaufladen an Kaufladen, Schenke an Schente
Klarheit der Morgenbeleuchtung vor den Bliden. |
gewafchen und fauber gebürftet, lagen in aller
So heitere Fahrt hatten wir nicht erwartet.
untere Seelammer hinaus, die, weit ausgerun—
det und gegen Weſten flad) ausbuchtend, rechts
und linf3 an vorfpringenden Hügeln eine Fülle
anmutigfter Veduten zeigt. Zuerft am linfen
Ufer Spiez mit der vieltürmigen Burg bes
Herrn von Erlah, dem modernen Schloßbau
des Hotels, dem grauen Kirchlein daneben und
den hochwipfligen Bäumen dazwiſchen, ein
wahres Kabinettsſtück idylliſcher Landſchafts—
malerei, dann am rechten Ufer die zierlichen
Penſionshäuſer von Gunten, darüber der hohe
Rebenhügel mit dem Dörfchen Sigriswyl,
Oberhofen und das romantiſche Feudalſchloß
der Grafen von Bourtal&s, der preußiſch-roya⸗—
liſtiſchen Granden von Neufchatel, und endlich
weiter gegen Thun Villen und Sclöffer, aus
reihen Gärten ſchauend, vor allem Schloß Scha—
dau, im englifch-gotifchen Stile übervoll orna-
mentiert, von einem prunfvollen Park um:
ihlofjen! Die Pyramide des Niefen und die
blauende Kette des Stodhorns traten hervor,
ala wir in Scherzligen landeten, von wo uns
der Dampfwagen in kurzer Zeit nad) Bern ent-
führte.
Den dreiftündigen Aufenthalt allda nüßten
wir ergiebig aus. Durd die Straßen diefer
Stadt zu flanieren, hat mir immer ein gemwilles
Behagen bereitet. Die mäßig hohen Häufer,
aus grauem Sandftein folid aufgeführt, ruhen
auf maffiven Bögen, unter deren offenen Hallen
ftößt und ein rühriges Volt hin und her haftet;
die Fenfterausladungen find balfonartig ver:
74
584
3. Bersfelder,
gittert und auf den roten Polſtern über dem | „Burgerlärm“, fein Haupt unter das Beil le:
Geſimſe fitt jung und alt, auf die Straße |
gaffend; nirgends fehlen die grünen Jalouſie—
Läden, und mächtige Thorflügel führen in ebenfo
mächtige Flurräume. Maffige Türme mit
hochgejprengten Durchläſſen teilen die Straßen
ab, an Märkten und Plätzen raufchen alter:
tümliche, figurenreiche Brunnen, und allerorten,
wo es nur anzubringen war, prangt in Erz,
Stein oder Holz als Scilvhalter oder Eden:
jteher das befannte Wahrzeichen von Bern, der
Bär, Freund „Mutz“, wie die Berner ihren
Liebling heißen. Das ift das alte Bern, auf
einer Felſenbank hoch über der Aare angelegt,
jeine Phyfiognomie fonfervativbehäbig, altväte:
riſch-derb wie feine Bewohner, aber auch ebenfo
pfahlbürgerlih, progig und abgejchlofjen wie
diefe. Heller und ſchmucker präfentiert ſich die
Neuftadt. Das Bundespalais, Mufeum, Ber:
ner Hof u. ſ. w., wirkliche Prachtzeugniſſe der
modernen Kunft, deuten darauf hin, daß hier
ber Negierungsfig eines freien regjamen Volkes
jich befindet und daß die patricifche Häuferburg
der inneren Stadt ein ſteinerner Anachronismus
it. Um Mittelalter und 19. Jahrhundert legt
ſich hier aber gleichfreundlich ein Kranz der ge-
fälligften Promenaden.
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Als wir jo am Erdgeſchoß der Häufer unter |
den fühlen „Lauben“ dahinfchritten, erinnerte |
ich mich daran, welch ein hoffärtiges Geſchlecht
dereinjt in diefen Räumen gewaltet, welch ein
volfsbedrüdendes Negiment die bevorrecdhteten |
Batricier geführt. Noch im vorigen Säfulum |
haben die regierenden Zweihundert, die fid |
Monfeigneurs betiteln liegen, den Kaufleuten
und Gemwerbetreibenden, wenn fie Waren oder
Werkzeuge trugen, den Durchgang durch diefe
Arkaden unterjagt, auf daß die weitbaufchenden
Neifröde ihrer Frauen und Töchter nicht be:
läftigt würden. Wie die Geburtsariftofratie, die
ausſchließliche Befigerin des Weinzehnten, die
Landſchaften Waadt und Freiburg bedrüdte, iſt
fattfam befannt. Auch innerhalb der Ping:
mauern der Stabt ift viel unſchuldiges Blut
gefloſſen, jedes freiheitliche Gelüfte der Bürger:
ſchaft wurde mit Tortur und Henfersblod ge:
ahndet, und wenn auch Die Gerechtigfeitägafie
heute noch befteht, die Junkergaſſe in der Nähe
gen, weil er es verjucht hatte, Die Macht der
hochmütigen Bevorredhteten zu Dämmen. Ein
Fragment aus Leifings Jugendzeit liegt noch
vor, nad) welchem der große Geiitesapojtel den
Opfertod Henzis in einer Tragödie verherrlichen
wollte.
Wir fchlenderten die Straßen auf und ab,
wobei wir und weiblich darüber erzürnten, daß
die Stabt ſich augenfällig immer mehr „fran:
zöftert“, und wendeten uns dann zum Müniter,
diefem Meifterbau der Spätgotif, von Matthes
Heinz aus Straßburg im Jahre 1421 begonnen.
Leider haben fie dem Turme eine Notfappe auf:
gejeht, wie das aud an anderen Orten der all,
wo es zur Vollendung an religiöfer Wärme
oder am Gelde fehlte. Das Hauptportal mit
den reihen Sfulpturen und fteinernen Blumen:
ranken des Meifters Nikolaus Künz war von
Engländerinnen belagert, die mit Najenzwidern
und Zeichenheften bewaffnet waren, wir zogen
uns deshalb auf die Münfterterrafje zurüd,
wohl eines der anheimelndften Buenretiros
der Schweiz. Wie erquidlich ift die Raſt unter
ihren fchattigen Baumfronen, zumal wenn, wie
heute, der Ausblid auf die Oberlandsberge ge:
aönnt ift! Ohne den Bärenzwinger aufzufuchen,
in weldem aus dem Stabtfädel eine Familie von
Atta Trolle Geſchlecht unterhalten wird, fehrten
wir zum Bahnhof zurüd, um dem Genfer See
zuzujteuern.
Bon Freiburg an find wir mitten im fran-
zöſiſchen Sprachgebiete, aus dem wir eine lange
Zeit nicht mehr herausfommen follen, und aud)
im Wagen vernimmt man fein deutjches Wort
mehr. Ueber die jühe, von Sandſteinflözen
eingerammte Glaneſchlucht fett der Zug, an
hochanfteigenden Wäldern fliegt er vorüber,
Wieſen und Getreidefelder wechjeln mit welligen
Hügeln und eingefchnittenen Thälern, die Berge
des Simmenthals treten hervor und verſchwin—
den, und jene mächtigen, zerfägten Felſenrücken,
die links in weiter Ferne dunfeln, es find bie
eriten Grüße des Savoyer Landes. Auf ein:
jamem Hügel liegt das Städtchen Romont; mit
jeinen Mauertürmen, der jchwerfälligen Burg,
den alterögrauen, hodjtrebenden Anfigen erin:
|
belehrt und, daß die hochmögenden Herren die |
Gerechtigkeit jehr junkermäßig traftierten. Anno
1749, dem Geburtsjahre Goethes, mußte der
edle Samuel Henzt, der Führer im fogenannten
|
nert es an bie fräftigen Holzichnitte aus Geb.
Münſters „Kosmographey“. leid ihm aus
dem Mittelalter in die Neuzeit hereingebannt,
erfcheint in der fruchtbaren Tiefe, die bis zum
Jura reicht, das ſchwarze finftere Städtchen
Don Interlafen zum Großen St. Bernhard.
Rue, und fpäter, an der Bahntrace felbit, das
Felſenſchloß Dron:le:Chatel. Wir aber ſchauen
mehr nad Süden aus, wo aus ſchweren Nebel:
maſſen, die immer nod) herummogen , bald die
Eisfuppe des Montblanc, bald die leuchtende
Dent du Midi herausfpäht.
585
Der eingelullte See, Gebirg und Thal
AU in ein einzig lebend Eins verflieht,
Darinnen jedes Lüften, Blatt und Strahl
‘ Anteil am Dafein hat und mitgenießt,
Nun eilt der Zug abwärts, wir find in |
Cherbres und fönnen faum erwarten, bis wir
aus dem langen Tunnel von Corvallaz heraus:
treten. Cin Pfiff ertönt, es wird Licht, män-
niglich jtürzt an die Fenſter,
züden fejjelt uns alle.
Ufer des Genfer Sees! Da liegt er zu unferen
Füßen, achtzehn Stunden weit in halbmond:
förmiger Krümmung ausgejtredt, blauſchim—
|
lautlojes Ent: |
Aus der Naht des |
Bergihlundes plößlich heraus an die fonnigen .|
1
mernd im Mittagslicht, der unfterblihe Lacus |
lemanus. Nur die ſüdweſtliche Spite, von
Nyon bis Genf ftromähnlid verlaufend, der
„Kleine See“, iftunferen Bliden entzogen; vor
uns aber am nördlichen Ufer ruhen an Reben:
bügeln, Rajtanienhainen und Objftgeländen die
zahllojen Villen, Yandfise, Dörfer und Städte,
alle anmutig und heiter wie ber fommerliche
Glanz des Waſſers,
favoyische Geſtade unmirtlih und düſter auf:
jteigt, von ernjten Höhen ummauert. Welche
unvergänglichen Namen find doch an diefen See
gelettet! Calvin und Serveto, Voltaire und
Nouffeau, Matthiffon und Bonftetten, Julie
Bondeli und Frau von Stail, Gibbon und
Byron und jener Dichterjüngling Shelley, „ein
Atheift, der heiß nach Gott gerungen“.
viele weltichmerzlichen Thränen find jener neuen
Heloife geflofjen, die der Genfer Vhilofoph in
die Gefilde von Clarens gezaubert! Wie viele
auten und ſchlechten Verſe haben dieſe Ufer
hervorgelodt, von Friederife Brun bis zu Luiſe
von Plönnies:
„Die Sonne fintt. Ein purpurfarbner Duft
Schwimmt um Savoyens dunfle Tannenhügel,
Der Alpenfchnee erglüht in hoher Luft,
Geneva malt fich in der Fluten Spiegel.“
Diefe Verſe Matthiffons hat wohl jeder
Gymnafiaft einmal recitiert, und mande aſch—
lodige Tochter Albions lieft heute noch beim
jummenden Theefefiel die Strophe Childe Ha:
ralds:
„Himmel und Erd' iſt ſtill, doch ſchlafend nicht,
Nur atemlos wie tiefſte Wonn' und Dual,
Wenn allzuvoll das Herz nicht ſeufzt und ſpricht.
Himmel und Erde ift ftil — der Sterne Zahl,
Wie |
Was ſchaffend all erzeugt a? ——— all um:
Vom hocgelegenen Laufanne führt die
Bahn, dem öftlihen Horn des Halbmonds zu,
immer am See in derjelben Richtung zurüd,
bie fie von Cherbres her genommen, nur daß fie
jeßt tief unten das Ufer entlang zieht, während
über ihr die Berner Linie läuft. Dieſe zauber:
hafte Fahrt zu fchildern, ift unnötig, wenn man
nur die Namen Vevey, Clarend, Montreur,
Glion, Chillon nennt. Die heiße Luft flim:
merte über dem See, den der Mittagswind,
bier le r&bat genannt, in leichten Wellen fräu:
felte. Ein wunderſames Farbenfpiel zeigte der
\ fanft gehobene Spiegel: in der Ferne dunfel:
während gegenüber das |
blau wie Italiens Himmel, fpielte die Flut in
lihhtgrünen Schäumen ans Ufer, während in
der Mitte weißgraue Striemen über das Waſſer
zogen; am füdlihen Rande aber, hart an die
dunfeln Wälder, die über das Felſengemäuer
herabflimmen, legte ſich der See in ſtahlſchwarzer
Glätte an wie ein metallener Schild. Einjam
' war eöüberden Wogen, nur von Evian herrührte
I
ein lateinifches Segel feine feltfamen Flügel.
In Chillon ftiegen viele Reifende aus, um
den Kerker Bonnivards, berühmt durch Byrons
Gedicht, zu befuhen. Das Schloß mit den
vielen Ecktürmchen und den fürdhterlichen Ver:
liegen unter dem Seefpiegel bildet ein Seiten:
ſtück zur Pfalz im Nhein, doch wirkt diefe viel
mädjtiger, da fie mitten aus dem Strom her:
auswächſt, während Chillond Mauern gar zu
nahe dem Strande aufragen und die Brüde,
die hinüberführt, das Inſelbild beeinträchtigt.
Wir durften nicht verweilen, weiter flogen wir,
‚ unter dem Nighi Vaudois hinweg; in Ville:
; neuve,
wo die jchweren dunfelblauen Trauben
über die Mäuerchen der Vignen herauöhingen,
fagten wir dem einzigen See lebemwohl.
Wir fuhren nun im Thal der Rhone auf:
“ wärts, das, anfänglich eine breite fchilfbewachfene
‚ Niederung, bald das Gepräge eines großartigen
' hält.
Gebirgöfpaltes annimmt und weit hinauf be:
Vorüber ziehen die Weinberge von
Morne, die auf dem Bergiturze von 1584
fröhlich gedeihen, die [hmwarzen Marmormauern
von Aigle und die Schlucht, die zu den Ormont:
thälern aufwärts zieht; Ber mit den jtattlichen
Salinenbauten bleibt links liegen, nahe an das
586
Geleife tritt jet die trübe wildſchäumende
Nhone, die ih einft von ihrer Gletfchermwiege
am Galonftod bis zum Eintritt in den See
begleitet, und zwifchen der Dent de Morcles
und ber Dent du Midi, den hohen beeiften
Bergpfoften, hindurch brauft der Zug in den
Tunnel hinein, an defjen Ausgang St. Mau:
tice, das alte befejtigte Städtchen, liegt. Die
düftere Abtei, nad) der Sage fhon im vierten
Jahrhundert gegründet und noch jetzt von Au:
quftinerchorherren bewohnt, war einft der Schau:
plaß einer fürftlihen Greuelthat. Die Söhne
Shlodwigs, des Merowingers, bradhen, von ihrer
Mutter verhegt, in das heilige Aiyl, das den
vertriebenen Burgunderfönig barg, und unter
ihren Händen verblutete der wehrlofe Greis,
ihr eigener Oheim.
In St. Maurice verliegen wir die Wagen
der „Suisse oceidentale“ und ftiegen in ben
Schnedenzug der Simplonbahn, die vorläufig
nur bis Brieg geht. Dort wird fie wohl aud)
iteden bleiben, wenn der geplante Montblanc:
tunnel das Gimplonprojeft aus dem Felde
ſchlagen follte.
Als wir weiter fuhren, war aud) das letzte
Wölkchen verflogen. Im Thalhintergrunde
|
|
tauchte ein breiter, hochüberfirnter Bergfceitel |
auf, ed war der Mont Velan, der eigentliche
Gipfel des Großen St. Bernhard, dem wir |
morgen noch näher treten wollen. Vor Vernayaz |
bligt e8 hell zwifchen den Felsſpalten auf, bie
Piſſevache, der Waflerfall der Sallenche, donnert
mehr als 200 Fuß Hoch über die fchroffe Wand
herunter. Auch aus dem Wagenfenfter gejehen,
bietet fie ein prächtiges Schaufpiel. Es find
ſechs Jahre verflogen, feit ich den fchmalen
Ziegenfteg hinauffletterte und über dem lauten
ı hinaus gegen die Brüde, unter der die wilde
| Dranfe der Rhone zueilt, und blidten in die
Waſſerſchwalle ftand.
Kaum hatten wir VBernayaz im Nüden, da
that fich drüben an den Felſen ein anderes Na:
Abendglanz überftrömte. Schon in tiefe Schatten
turwunder auf, die Gorge du Trient, jener
enggemundene ftromdurchraufchte Bergriß, ber
in feiner ſchauerlichen Lage die Taminafchlucht
weit überholt. Nur den klaffenden Spalt des
Schludteingangs durften wir aus ber Ferne
betrachten, wollten wir noch rechtzeitig ans Ziel
gelangen, und fo legten wir uns mit Stiller
Hefignation in die Kiffen zurüd, bis der alte
Turm La Battiaz vom rebenbewachſenen Berg:
fegel grüßte. Wir landen in Martigny.
„Martigny:la:ville*, das Octodurum ber
Nömer, das Goethe noch im jahre 1779 mit |
I. Gerzfelder.
jeinem deutjchen Namen Martinach bezeichnete,
iſt ein altes verblichenes Neft. Zwar nimmt ſich
die breite Hauptitraße, mit modernen Gajthöfen
und dem verweſten Glanze etliher patricifcher
Häufer prahlend, etwas behäbiger aus, feine
winfeligen Nebengaffen aber find bettelhaft,
eng und dumpfig, wahre Funbdjtätten für das
Skizzenbuch motivehafhender Maler. Ueberall
unverpugte Wände, fenterlofe Deffnungen, je
nach Bedürfnis quer und frumm in die ver-
ſchwärzte Mauer gebrohen, Balfons mit ver—
roftetem Gitterwerf, Thüren, die nicht Schließen,
Läden, die nicht Happen, und als Staffage
finftere verfommene Menden, oftmals fieber-
franf und blaß — das iſt annähernd das Bild
jener Stabt, die vor Jahrhunderten fogar der
Herrſcherſitz mächtiger Biihöfe war. Nur der
Promenadeplaß, von befjer erhaltenen Bauten
umgeben, mit Platanenalleen bejegt, macht den
Eindrud des Eivilifierten. Dort fteht feit eini-
gen Jahren auf ſchmalem Piedeſtal eine ſeltſame
weibliche Büſte. Wild wogen ihr die Haare um
die hohe Stirne, das Geſicht kehrt fich ung ftreng
und troßig zu, über die gehärteten Züge jcheint
e3 wie der Rauſch einer vergeiftigten Mänade
zu fliegen. Keine gemeine Künftlerhand hat fie
geichaffen, fie ift das MWerf Courbets, des Helden
der Kommune, der in heroftratiihem Eifer die
VBendomefäule zerftörte. Libert4 nannte er fie
und foll fie der Stadt geſchenkt haben, aber die
quten verpfafften Bürger wußten wahrjheinlich
nicht, was mit der Freiheit zu machen fei, und
jo ift jet furz und bündig darunter zu leſen:
Helvetia. Ob fie ein Seitenftüd oder nur eine
Kopie jener Freiheitsbüfte ift, die Courbet der
Stadt Vevey ſchenkte, Tonnte ich nicht erfahren.
Wir wanderten wieder zurüd, zur Stadt
herrlihe Thalweitung hinaus, bie ber letzte
getaucht, hof im Süden die hochgetürmte Wand
mit dem Zeigefinger auf, die fie Pierre a voir
nennen, aus dem weftlihen Thaljpalte äugelten
die Aiguilles rouges hervor, gegenüber traten
die Schneehäupter des Berner Oberlandes her=
aus, hier an ihrem füdlichen Abhang fo gedrückt
und befcheiden, dak man fie faum wieder er:
fennen fonnte, und weit hinauf zerfloffen in
weichem Duft die Höhenzüge um Sion und
Leuf. Wie gerne wären wir noch weiter ge—
wandelt, hätte uns nicht die einfallende Däm—
Don Interlafen zum Großen St. Bernhard,
merung und ber fnurrende Magen an die Nüd:
fchr gemahnt.
Bei Tiſche ſchien die Gefellfhaft, die meiſt
aus Engländern beſtand, ein willkommenes
Stillſchweigen bewahren zu wollen, als unſer
Unſtern noch eine alte knöcherige Miß herein—
führte, die ſofort alle Hoffnungen auf ein ruhiges
Zuſammenſein zerſtörte. Sie ſprach oder viel:
mehr belferte unnachläſſig fort, und dabei ziſchte
fie die Worte fo nachdrucksvoll heftig durch die
Zahnlüden heraus, daß die Gegenüberfigenden
wie Belagerte erichienen, die ein Bombarbement
auszuhalten haben. Verſtändnisvoll wadelte
dabei ihre große Blondenhaube hin und her,
und die vielen maffiven Ringe an ihren Fingern
Happerten auf Tifch und Teller den Takt dazu.
Keiner wagte fie anders als mit dem befannten
langgebehnten „Yes“ zu unterbredhen oder
vielmehr zu accompagnieren, und diefes geiſt—
lãhmende Wörtchen wurde vom britifchen Chorus
fo mechaniſch und fanonmäßig gehandhabt, daß
uns ſchließlich der fühe Pudding jauer im Munde
wurde. Wir leerten unfere Flafhe Wallifer
Landweins und eilten auf unfer Zimmer, das
nötige Handgepäd für eine einwöchentliche Fu:
wanderung herzurichten.
Des anderen Tages in früher Morgendäm-
merung führte uns unfere Straße dem Großen
St. Bernhard zu. Wenn wir die Reiſehand—
bücher nachſchlugen, fo fanden wir zwar überall
die Hinweifung auf gefchichtlihe Erinnerungen,
die ſich an diefen Hochalpenweg fnüpfen, aber
alle wollen uns glauben machen, daß er weniger |
ſchön ala berühmt fei und daß er vor den übri-
gen Bergpäfjen nad Italien weit zurüditehe.
Berlepſch, der den Mund immer etwas voll
nimmt, redet fogar von Langeweile und Ent:
nüchterung. Nun, wir fennen die meijten
Schweizer Uebergänge nah dem Süden, be:
fonders Gotthard, Simplon und Bernina, aber
noch find wir nicht fo blafiert, daß und gerade
nur das Schönfte gefiele und daß wir uns den
frifhen Genuß neuer Bergfcenen durch ängjt:
fihe Vergleihung mit früher gefehenen ver:
kümmern liegen; auch find wir nicht Neulinge
genug, um der Gejhmadsrihtung roteinge:
bundener Bücher unfer Urteil ohne weiteres
auszuliefern.
Deſſen waren wir jedenfalls ficher, ala wir |
von Martigny auszogen, daß wir eine Straße
wandern würden, deren Marfjteine zugleich die |
Gedenffteine einer zweitaufendjährigen Geſchichte
587
| find, und daß uns bis zum Hofpiz Hinauf die
| gewaltigen Schatten von Völkern und Heer:
| führern zur Seite gingen. Denn was ift nicht
' alles über diefen Felfenpaß herüber und hinüber
geflommen! Römer und Longobarden, Franken
| und Burgunder, Ungarn und Sarazenen, Deiter:
' reicher und Franzofen, Klerifer und Laien, rö—
miſche Päpfte, deutſche Kaifer und zulett noch,
in fünftägigem Gemwaltmarfche, das Heer des
' großen Konfuls, des forfiihen Imperators!
An den Zug Hannibal zu denken, verbot mir
mein biftorifches Gewifjen. Denn wenn id) mir
auch nicht anmaße, in das Gezänke der Gelehr:
ten einzugreifen, die in Fleinlicher Zerfajerung
|
|
des Polybius und Livius bald für den Großen,
bald für den Kleinen St. Bernhard, bald für
den Mont Cenis und bald wieder für den Mont
Genèvre als Uebergangspunft des punifchen
Heeres ftreiten, fo ſcheint mir doch nach allem,
was ih als Dilettant von den Akten dieſes
Prozefjes kenne, die Anficht des Abbe Ducis,
daß Hannibal über den Großen St. Bernhard in
das Noftathal Hinabaeftiegen fei, die faben:
iheinigfte und unhaltbarjte zu fein. Er hätte
| ja, von Gallien heraus, um den Genfer See
ziehen müſſen, und davon zu berichten, hätte der
umfichtige Polybius gewiß nicht verfäumt. Ver:
zichten wir alfo auf den großen Karthager! Es
bleibt uns doch noch genug. Vor allem die
waffenklirrenden Kohorten der Römer! Schon
' hundert jahre vor Chriftus fannten die Kultur:
‚ träger der Alten Welt diefen Wolkenſteg, und
nachdem im Jahre 26 v. Chr. das heutige Nofta,
| die Augusta Praetoria Salassorum, ihren
| Heeren einen fejten Stützpunkt gab, da führte
‚ über den denfwürdigen Paß jahrhundertelang
die römifche Militärs und Handeläftraße in die
norböftliche Schweiz nad) der großen Soldaten:
folonie Augusta Rauracorum (dem derma—
ligen Fleden Bafel:Augjt), die 2. Munatius
Plancus im Jahre 27 v. Chr. gegründet hatte.
Den Felfengrat des Bernharbbergs be:
feftigte der Ditgotenfönig Theodorich, den die
Sage als Dieterih von Bern (Verona) ver:
herrlicht, über ihn ftürmten die Longobarden,
um ſich an der Felſenfeſte Bard die Schädel
‚ einzurennen, zogen die Heere Karla des Großen,
er jelbit in den fahren 773, 787 und 801, das
legte Malum Weihnachten im ftrengjten Winter:
froſt und nad) ihm jeine weibiſchen Nachfolger
Karl der Kahle und Karl der Dide.
Wohl erwuchs der Straße des heil. Bern:
588
hard ein gefährlicher Rivale im Mont Cenis,
feit um das Yahr 700 das Klofter Novaleje bei
Sufa gebaut ward, die Franken auf diefem
Berge ihre fejten „laufen“ errichteten und,
von Ludwig dem Frommen geftiftet, ein Hofpiz
jich dort erhob; doch weit über das Mittelalter
hinaus wimmelten allfort die Pfade des Bern:
hardspafjes von Bilgern und Kaufleuten, Fürjten
und ihren Kriegern. Kaifer Arnulf beſetzte
ihn im Jahre 894, die Eleinen fchligäugigen
Ungarn jagten auf ihren Naubzügen über ihn
hinweg, und nad) der Vernichtung der Araber
durd Karl Martell nifteten ſich ſarazeniſche
Horden, aus der fchönen Provence heraus:
geworfen und zerfprengt, in den walliſiſchen
Bergen ein und plünderten die wehrlofen Wanz
derer, bis endlich ihren Näubereien der Garaus
gemacht wurde. Noch heute geht man in den
Seitenthälern des Wallis den Spuren farazeni-
ſcher Niederlaffungen mit Erfolg nad, und im
Saasthale mahnen die Namen Almagel und |
ı meilenweit Hlaftertiefer Schnee Berg und Thäler
ı füllte, peitfchte der Wille diefes einen eine
Allalin und am Simplon der Namen Algaby
an die Sprade der Araber.
Burgundifhe Fürjten von Nubolf dem
Großen an, führten ihre Neifigen über den
Pak; ihnen folgten die Mannen der deutichen
Kaifer, ala Konrads des Zweiten, Friedrich Rot:
bartö und zulett noch Sigismunds; die Fähn—
fein ihrer Vaſallen flatterten auf den ungaft:
|
|
’
lihen Bergwegen, jo 3. B. im jahre 1163 |
des Hilfsheers Bertholds von Zähringen. Wie
früher ſchon die Päpfte Stephan IV. und
Gregor IV., jo mußte fih aud Leo IX. be-
quemen, über den Großen St. Bernhard in das
barbarifche Deutichland hinabzufteigen.
Zahllofe Scharen von Rompilgern, voran
die Frommen aus Angelſachſen und Island,
durdjitreiften fhon vor dem Jahre 1000 die
wüfte Gebirgsöde, um an den Märtyrerftätten
der heiligen Stabt zu beten, Laien jeden Standes
betraten fie, die zu Rom Dispenfe und Indul—
genzen um teures Geld erfauften, und Geiſt—
liche, darunter hohe Mürbenträger der Kirche,
wanderten durch die Schrednifje der Alpenmelt,
um in Rom Befisitreitigfeiten zu regeln, Ab:
läffe zu erbitten und wohl aud mit obligater
Biederkeit zu intrigieren.
Die Saumtiere der Kaufherren brachten
aus dem Welfchland herüber Weihrauh und
Gewürze, Arzneiftoffe und glutige Weine,
manchmal auch allerlei Curiofa, 3. B. Affen, ja
einmal fogar einen Elefanten; der Norden da:
I. Berzfelder.
gegen fandte feine Getreide, Vieh, Fiſche, Honig
u.f. mw. Die Hauptzollftätte war zu Aoſta.
Nicht alle, die da hin und wieder zogen,
famen heilen Zeibes davon, viele überfchüttete
die Lawine, Roß und Neiter jtürzten im die
grundlofen Klüfte, und im verräterifchen Schnee
erftidte mancher norbifhe Barbar. Die Ge:
retteten wifjen aber in den Stinerarien, die und
noch erhalten find, nicht genug zu erzählen von
ben Gefahren, denen fie entronnen, von den Un:
bilden des Wetters, denen fie beinahe erlagen;
ein heißes Danfgebet ſchließt alle Berichte.
Solchen Bedrängnifien des inzwiſchen ver-
fallenen Weges trotzte in der Neuzeit noch jener
Einzige, der nicht lang vorher aus dem Sande
der afrifanifhen Wüſte zurüdgefehrt war. Bo:
napartes Zug über den Großen St. Bernhard,
von der Liebebienerei napoleonifcher Legenden:
ichreiber übermäßig ausgefchmüdt, bleibt immer:
hin ein kühngewagtes, ruhmvolles Unternehmen.
In der Zeit vom 17. bis 21. Mai 1800, als
Armee von 30000 Mann von Martigny bis
Aoſta; über Fels und Eis hinweg, an graufigen
Abgründen vorüber, trieb er Mann und Roß
mit allen Hilfämitteln, die ein fharffinniger und
rückſichtsloſer Geift zu erfinnen vermag; auf
Kufen und in hohlen Bäumen wurden die Ge—
ſchützrohre hinaufgefchleift, und ihn kümmerte
es nicht, wenn da und dort erfchöpfte Krieger
nieberfanfen, dem ficheren Tod verfallen. Noch
Monate fpäter war ein Engländer, den ber
Führer Couttet zum Hofpiz geleitete, über bie
Menge von Gebeinen erjtaunt, die rechts und
links vom Alpenwege bleihten. Schon am
2. Juli 30g der Konful in Mailand ein, am
14. pflüdte er auf dem Schladtfeld von Mas
vengo ein neues Nuhmesblatt, mit Defairs
Blut beträufelt. —
Doch allzuviel der gefhichtlihen Seiten:
iprünge! Bleiben wir hübſch auf der Laub:
ftraße, die jet breit und gediegen an ben
Bergrändern des Val d’Entremont hinanzieht!
Miderlegt doch fhon, nachdem wir Martignys ı
le:Bourg und die Nebenhügel hinter uns haben, \
an denen der „Coquempey” und „La Marque” \
reift, der Eintritt in diefes Engthal all bie
Bedenken und Kritteleien unferer Reiſebücher!
Wir finden freilich feine tannendunkle Felſen—
fluft wie an der Via mala, feine ſchwindligen
Bergkehren wie über der Saltinefchlucht der
Don Interlafen zum Großen St. Bernhard,
589
Simplonſtraße, aber mit fedem Pinfel hat aud | weg von unferem Thale, über eine 2000 Fuß
mer Natur frifche, originelle Gedanken hinge:
worfen, und ein erhebendes Bild um das andere
entrollt fich, jo oft wir mit der tief unten
braufenden Dranje um eine neue Thalbiegung
!ommen. Während zur Nechten die Höhen mehr
zurückweichen und an den Staffeln der Vorberge
armfelige Weiler mit braunen, eng aneinander:
aerücdten Holzhütten fleben, zieht linfs über dem
Wildbach eine lange araue Felſenmauer fort,
ichroff ausgezadt, von trodenen Runſen durch—
iurcht, vom Wetter verwaſchen; und weit an
ihren jteinernen Rippen hinauf jteigen bie
Aeckerchen der armen Thalbewohner, mühſam
gepflegt und durch Mäuerchen geſtützt wie
unſere Weinberge am Rhein und Main. Immer
ernſter und härter wird der Charakter der Land—
ſchaft, und doch tritt noch die Edelkaſtanie hart
an das Bett des Gletſcherwaſſers, ihre ſchmalen
dunkeln Blätter glänzen im Sonnenlicht und
durch das wirre Laubwerk ſchimmern die helleren
ſtacheligen Früchte. Auch ihr ſteter Begleiter,
der Walnußbaum, breitet ſeinen Schatten über
den kümmerlichen Raſen, der zwiſchen zerbröckel—
tem Geſtein ein zweifelhaftes Daſein führt.
Auch die Dörfer, durch die wir kommen,
ſchauen gar dürftig aus, menſchenleer iſt die
Straße in dieſer frühen Morgenſtunde, nur ein
I}
I
1
I
hohe Felſenwand herabzüngelt, feine Eismaſſen
jo ergiebig in das Val de Bagne abgeladen,
daß der ungeheure Firnmall das Bergwafler
jenes Thales mit einemmal einſchloß und zu
einem drohenden See aufitaute. Noch am
13. Juni führte der Ingenieur Vernetz einen
Stollen durd) das Eis, um die Flut abzuleiten,
aber umfonft! Drei Tage fpäter zerfradhte
plöglic die fürchterlihe Gletfchermauer, und in
ungebändigtem Schwalle ftürzten die Waſſer
über das Bagnethal, von da famt den Erd—
ihlipfen, die allwärts entitanden, über bie
Hochwand, vor der wir eben halten, und wälzten
jich verheerend in das Bett der Nhone. Bis
auf den nadten Steingrund warb Erdreich und
Aderfrume weggewafhen, das Mattland gründ-
(ih fortgefhmwenmt und an 500 Häufer und
Städel trug das empörte Element in die Nie:
derung hinab. Ein vorfpringender Felsrüden
rettete Bovernier vor der Zertrümmerung ; der
Riß ſchließt ſich nie wieder, und alljährlid)
‚zittern die Bewohner diefer TIhäler vor den
beladenes Wägelchen, mit einem Maulefel be:
fpannt, trottet lanafam vor uns her. Hinter
Bovernier ſchließt jich das Thal enger zufam:
men, dunfle Föhren füllen die Schlucht, unge-
heuerliche Felsblöde verbarrifadieren den Fluß,
der zornig über die Barrieren fett, und wie wir
durch die Galerie de la Monnate ziehen, einen
200 Fuß langen Feljentunnel, ähnlich dem
Urner Loch, da donnert das gehetzte Waſſer fo
verzweifelt an die Wandung, daß man glauben
möchte, es werde fie jeden Augenblid zer:
ſchmettern.
Beim Austritt bleiben wir betroffen ſtehen:
ihre Firſte ergreift.
wir willen jebt, moher die vielen Felsquadern |
durch das Thal gefchleudert wurden, denn drü:
den durd die bemaldete Bergwand des linken
Ufers geht von oben bis zur Tiefe ein weiter,
breitflaffender Riß, geſchwärztes Steingerölle
zieht durch den offenen Schlund bis in den Fluß
und jpärlich wachen über den Trümmern früp:
peliae Yatfchen. Der 16. Juni 1818 ift der
Geburtstag diejes entjeglichen Spaltes. Schon
mehrere Jahre vorher hatte der unförmliche
Gietrozaleticher, der am Mont Pleureur, weit
1
I
Yaunen bes jchredlichen Gietrozgletſchers, mie
ihre Vorahnen feit dem Jahre 1595 zitterten,
in welchem er eine gleiche Tragödie aufführte.
Aber nicht Eis und Waſſer allein haben fie
zu fcheuen, grauenhaft auch wütet das Feuer,
wenn es mitten in der Erftarrung des Winters
Vor mehreren Jahren
brannte in einer Novembernacht das hochgelegene
Dörfhen Bernay im Bal de Bagne nieder. Waſſer
hatten die armen Leute genug, aber nur in der
unzerbrechlihen Form des Eiſes, an Löfchen
oder Hilfe von außen war nicht zu denken, und
jo mußten fie mit gebundenen Händen zufehen,
wie das Feuer von Hütte zu Hütte fprang.
Nur die zwei unterften Häuschen retteten fie
dadurch, daß fie diefelben mit mühlam ausge:
ſtochenen Erdſchollen über und über bevedten.
Und nun denfe man, die winterlihe Berein:
jamung diefer Dörfer ift fo groß, daß erft
Wochen naher das Schweizer Land von dem
Brandunglüde Kunde erhielt und feine milden
Haben Spenden fonnte.
Solde düfteren Hiftorien ftimmten zu dem
einfamen Wege, der uns nah Sembrander
bradte an der Mündung des Bagnethals, aus
dem das Wildwaſſer herabtoit, das mit dem
vom Großen St. Bernhard kommenden Bade
die Dranfe bildet. Die erbärmlihen Häufer
des Dorfes Ichnen ſich recht maleriſch an die
tized by Good
590 3. Berzfelder.
vorgefhobenen Hügelchen; von der einen Kuppe | eisüberftrömte Hochgeftalt des Mont Velan
haut eine Burgruine mit geſchwärzten Mauern,
die einjt Kaifer Siegmund den Luremburger be:
herbergt haben ſollen.
Den hochragenden Mont Catogne zur Red:
Raftorte, an welchem das dunfle Ferret:Thal
einmündet. Nadt und grau, wie die Felfen
umher, ftarren uns die Käufer an, meift ftei: |
nerne Blodhütten von abfchredender Dede, nadt
und grau grüßen die Refte des Schloffes Chate-
lard von der Höhe, und auf dem fleinen Markt:
das Gras aus den Riten des verfommenen
Granitpflaſters. Dürftiger mag es hier nicht
ausgefehen haben, als die Sarazenen noch das
Raubneft innehatten und (792) den ehrmür:
digen Abt Majolus von Clugny wegzufangen
ſich erlaubten. In ein Gefängnis glaubten wir
auch einzutreten, als wir im Gaſthofe die engen
dunfeln Steintreppen hinauftappten und in ein
ftodfinfteres Gelaß geführt wurden. Doch eiligit
licht hereinbrah waren wir überraſcht, einen
jauberen Speifefaal vorzufinden, defien Wände,
wie überall an diefer Straße, mit Bildern aus
Napoleons Geſchichte geziert waren. Der Wein
war vortrefflich und ergöglich die Unterhaltung,
die ein Franzoſe mit der Wirtin führte. Er
hatte erjt lange um einen Maulejel zum Ritte
vor und auf, in ihren weichen, feingezogenen
Linien, in der leisgeſchwungenen majeftätifchen
Form ihrer Glieder der Jungfrau gleichend,
ſichtbar vom Scheitel bis zum Fuße, bis in die
ten, fommen wir nad) Orfieres, unferem erjten
Tiefe ihrer fhneegefüllten Schründe, ihrer un:
verjieglichen Firnfammern.
So überrafht den Wanderer, der durch das
Nikolaithal gen Zermatt pilgert, der einjame
Riefenobelisf des Matterhorns. Doc; während
dieſes bald wieder verſchwindet, behielten wir
ı bis zum Hofpiz hinan den mweißfchimmernden
plage, an dem das Hotel des Alpes liegt, fchießt |
Berg, den zuerit der Prior des St. Bernhard:
kloſters, Herr Murith, beftiegen, als treuen
Gefährten und neben ihm die ſchwarzen, ſchwer—
faltigen Felfenrippen des Grand Combin, die
Aiguilles de Valſorey, jäh abfallende Schrofen,
nur in den oberjten Ninnen mit dünnem Schnee
bejprenfelt. Und je weiter wir aufwärts ftiegen,
dejto eifriger lugten auf allen Seiten jpite
beſchneite Felsnadeln über die Bergkuppen. Zur
Rechten mag es wohl der Mont Dolent geweſen
wurden die Läden geöffnet, und ala das Tages: |
jein, defjen weißer Kamm uns begleitete, hinter
uns glaubten wir die Spiten der Dent du Midi
zu erfennen.
Doc) fefjelten ung hinter Drfieres nicht die
‚ Höhen allein; auch das Thal, das fich hier wie
tier immer nod) nicht erfcheinen wollte. Zu ei: |
ner Mißlaune trug offenbar das unverftänblide
Patois bei, in dem die gute Frau mit ficht-
lihem Behagen ercellierte. Diejes romanische
Franzöſiſch ift ein Gemengſel feltifcher, römischer
und italienifher Laute, in welche fih fogar
deutihe Sprachfragmente verloren haben; eine
befondere Eigentümlichleit dieſes Thales ijt,
daß feine Bewohner das d ausgeftopen haben
und auch das ] meiftens ignorieren, jo daß 3.8.
un mulet (ein Maulejel) in ihrem Munde
o muhet lautet.
Mir liegen den Fremden fortwettern und
wanderten in heiterjter Laune weiter; in reinfter
Bläue jpannte fid der Himmel aus, und als
wir vom Fußpfade, der über einen gewölbten
Hügel geführt, wieder zur Strafe einbogen, da
ward und auf einmal ein überwältigender, un: |
vergehliher Anblid. Wie aus einer Verfenfung
urplößlich herausgehoben, wuchs die prachtvolle,
ein Fächer auseinanderlegt, bot uns ein präch—
tiges Schaufpiel. War doch hier auf weiten
| Fruchtfeldern, die von hochgeſchwungenen Hügeln
in das Val Ferret gefeilfcht und fchüttete jet
feine Ungeduld aus, als das gemietete Grau: |
herab bis an die tiefgebettete Dranfe reichten,
der Erntefegen des Jahres noch zu erbliden.
Schnitter banden gerade die Garben der dunfel:
gebräunten Gerjte, die ein bayerischer Bräuer
faum verfieden würde, andere lagen zur Mit:
tagsrajt unter breitäftigen Edelfajtänien, die als
die letzten auf diejer Seite in dichten Gruppen
zufammenftehen.
Dann ward das Thal wieder enger, in
dunkler Schludt kochte das Bergmwaffer, und
bald klomm die Straße in vielen Serpentinen
die Höhen hinan. An der Kapelle St. Laurent
vorbei ftiegen wir zu dem weitläufigen Dorfe
Liddes empor, das mit feinen finfteren kaſtell—
artigen Häufern an grünen Bergwieſen hängt,
den letten in diefem Thalgrunde. Mancher
meiner Leſer kennt die Bauart der romanischen
Dörfer Graubündens, dieſe plumpen, chief:
hängenden Häufer, jchwerfällig wie Nitter:
burgen, mit tiefen Gucklöchern, zerſchliſſenen
‚ Läden und weitgähnenden Thorbogen, aber
diefe fteinernen Trödelbuden erſcheinen nod)
Don Interlafen zum Großen St. Bernhard.
nobel und wohlfonferviert gegenüber der Armut
und Nadtheit jolher Wallifer Trümmerhaufen.
Als ich auf das traurige Liddes zurüdihaute,
den verlotterten Häuferflumpen, in den bie
Phantafie nur Schmuggler und Räuber ver:
jegen möchte, auf die zerfplitterten Steinplatten
feiner Dächer, über die ein mitleidiger Sonnen:
itrahl fpielte, da war mir's, al müßte id) mit
Fauft ausrufen: „Der Menfchheit ganzer Jam:
mer faßt mich an.“
Durch die erniten Berglehnen ging es nod)
eine Stunde aufwärts, bis wir die Kapelle
Nötre Dame de Lorette begrüßten und das
Proz. Ein plumpes Bergwirtshaus ſteht am
legte WalliferDorf erreichten, Bourg St. Pierre,
auch St. Pierre Mont Jour genannt. Diefelben |
elenden Häufer, aus klotzigen Blöden roh auf:
gerichtet, mit winzigen erblindeten Fenfterchen
über den weiten Eingängen, alles hübfch verfallen
und verflommen! Ueber den loderen Stein:
dächern wächjt uraltes verfilztes Moos, deſſen
leriſch ergänzt.
Das ftattlichjte Gebäude im Neſte iſt das
Wirtshaus, Dejeuner de Napoleon ift die
hochklingende Firma des Hotels. Hier foll der
fleine Konful gefrühftüdt haben, und natürlich
hatten wir die Ehre, in demſelben Zimmer, in
dem er bewirtet warb, unfer Mittagamahl ein:
zunehmen. Viel Ehre und wenig Vergnügen!
Denn den niedlichen Hammelärippchen folgten
591
bisweilen ein eisfalter Gletfcherbach herabjauft.
Bald war alles Leben ringäherum eingefchlafen,
fein Baum, faum ein magerer Grashalm zu
fehen, nur Stein und zerrifjenes Erdreich, und
auf der Höhe die Eismände und Schneelorridore
des Mont Gourboijfiere. Das Defile de
Charreire nennt man die Schludht, in deren
dunklem Spalte die Dranfe unmutig ſich auf:
bäumt. Die büftre Hoheit weltverlorener Ein:
jamfeit ruht auf diefem Landſchaftsbilde. Da-
bei wird die Straße immer ſchmäler und ſchlech—
ter, bis fie ſich zulegt in ein wüſtes, fanft an:
jteigendes Trümmerfeld verliert, den Plan de
Eingange, die befannte Gantine de Proz, die
aud im Winter, von Schneewädhtern ummauert,
die Pilger des Großen St. Bernhard gajtlich
aufnimmt. Am 20. Dezember 1879, als der
Wirt Moret, der dort einfam hauft, auf einem
Geſchäftsgange abweſend war, plünderten ita-
roftbrauner Ton das melandolifche Bild künſt-
lieniſche Schmuggler das Gehöfte und brannten
e3 nieder, und als der Arme zurüdfehrte, fand
er mitten in der graufen Winteröde die rauchen:
den Reite feines Heims. Wohlthätige Beiträge
aus der Schweiz haben es ihm ermöglicht, dieje
vielbeſuchte Zufludhtsftätte wieder aufzubauen.
Wagen und Maultiere ftanden vor dem Haufe,
als wir vorbeizogen, ein ftruppiger Hund jagte
‚ in den Steinen umher, fonjt weit und breit
Speifen jo alt und zäh, daß fie unbedingt von |
jenem Frühftüd des Chefs der armee d'Italie
übrig geblieben fein mußten, und das Badwerf,
grabenes verfteinertes Produkt altrömifcher
Kunftpaufen, die zwifchen jedes Gericht einge:
ſchoben wurden. Sie ließen mir Zeit, eine Karte
Kirhe St. Peterd mit dem verwitterten Turm,
fowie den römischen Meilenftein zu betrachten,
der, in die Kirchhofsmauer eingeſetzt, noch deut:
lich die Zahl XXIII erkennen läßt, und end:
lih nod das Fremdenbuch zu ftubieren, auf
deſſen letztem Blatte fich der Münchener Pan:
deftijt Brinz über die Artifel des Herrn Ludw.
Leuß in der Allgemeinen Zeitung mofiert.
Halbjatt brachen wir auf, noch über vier Stun:
den waren bis zum Hofpiz zurüdzulegen, aber
rüftig und luftig nahmen wir den Weg unter die
Füße. Zuerft durd einen anfehnlichen Lärchen—
wald, dann die Feljenbänder entlang, über die
alles ftill und leer.
Hier beginnt der Saumpfad, der zuerſt freu;
und quer über die Steinbroden hinwegführt,
zwiſchen denen dürftige Grasbüfchel, mit ganz
das als Deflert paradierte, jchien ein auäge: |
Hleinen Gentianen und GSoldanellen durdjtidt,
daran gemahnen, daß hier nicht alle Vegetation
Küche zu fein. Modern erfchienen nur die langen |
erjtit jei; dünne Wafleräderchen durchfegen dei
' unmirtlihen Boden und die ftolze Dranfe plät-
ſchert als ein armjeliges Bächlein herab. Bis
nah Haufe zu ſchreiben, gegenüber die ehrwürdige |
an den Nand dieſer Einöde geht zur Linken ein
Gletſcher nieder, rechts ſchließt ein Fahler, rauher
Feljenwall die Welt ab. Hier hinein führt der
Weg und Hlettert zwischen finjteren Felfenbarrie-
renaufmwärts. Es war das Defile de Marengo,
in das wir bald eintraten, eine beängjtigende,
langgefrümmte Steinfluft, die den Bach und
| Pfad wie in einem engen Verließe einfperrt.
Die raftlofe Natur ſcheint hier der ewigen Arbeit
fatt geworden, die Starre des Todes liegt auf
ihr. Selbft das Waffer in diefem Kerkerſpalte
verrät faum einen Pulsſchlag.
Beim Austritt ward es uns leichter ums
Herz, war doch das Thal, das fidh fteil hinan-
75
592
windet, offener und breiter geworden! Freund:
licher freilich nit! Graue Steine und wieder
Steine, dazwiſchen verfümmerte Rafenflede,
und als einzig leuchtender Punkt der Schnee:
rüden des Mont Velan! Aber nicht nur die
Natur hat hier ihre troftlofen Steinmajjen aus-
gefät, auch an Steinbauten, von Menſchenhand
aufgeführt, fommen wir vorüber. Weit zur
Rechten taucht im Grunde ein langes, fchmales,
vohgemauertes Haus auf, fleine Fenfterlufen
werden ſichtbar, La Pierre wird es genannt,
eine Meierei des Hofpizes, wenn man funft:
loſen Viehftällen einen folhen Namen beilegen
darf. Und weiter oben, nahe am Wege, treffen
wir auf zwei Fleinere Hütten, kaum von den
dunfeln Felſen zu unterfheiden, L'Hopital hat
fie das Volf getauft, die eine ein Behälter für
aufgefundene Gebeine, die andere im Sommer
zum Zufluchtsort für verirrtes Vieh beftimmt,
im Winter das Afyl verlorener Wanderer und
zugleih Wächterhaus der menſchenfreundlichen
Mönde, die hier acht Monate lang Kerzen und
Holz, Wein und Speifen niederlegen.
Hinter L'Hopital ftanden zwei Schieblarren
am Wege, mit großen Päden beladen, die in
ganz neue Rupfen eingenäht waren; und als
wir weiter gingen, fanden mir jenfeitö des
Pads auf dem ſchwachen Grafe des Bachufers
zwei Burfche, die auf dem Bauche liegend im
Sonnenlihte fchliefen. Die roten Binden um
den Leib fennzeichneten fie ala Staliener. Es
waren, wie mir fpäter erflärt wurde, Schmugg:
ler, und jene Bäde waren Kontrebande, die fie
über die Grenze zu ſchwärzen hatten. Das
waren die erften Menfchen, die uns feit Bourg
St. Pierre begegneten; dann zog ein Knabe
mit einem Maultier am Zaum fingend vor uns
vorüber, und von der Höhe famen uns drei
dunkle Geftalten entgegen, die wir bald als
Chorherren vom Hoſpiz erfannten. Ihr Gewand
ähnelt der Ordenstracht der Benediktiner.
Schon von weitem grüßten fie uns auf das
herzlichite, blieben dann ftehen und unterhielten
ſich mit uns in heiterer, ungezmwungener Weife.
Es waren fehr junge Leute, rotbadig und von
Geſundheit ftrogend; der Gedanke ftieg in mir
auf, wie bald der Froſthauch auch diefe Rofen
fniden werde. Sie erzählten uns, daß fie zur
Meierei gingen, um dort wirtfchaftlihe Ange:
legenheiten zu ordnen, daß jie aber nicht ben
geraden Weg genommen, fondern, um ihre
Beine in Hebung zu erhalten, über eine ſchroffe
\
3. Herzfelder.
Bergkuppe herabgeflettert wären, bie jie uns
zeigten. Mit mweltmännifher Höflichkeit ver:
abjchiedeten fie fich dann, duckmäuſeriſche Ascetit
war in diefen frifchen jugendlihen Zügen nidt
zu leſen.
Es that uns faft leid, allein weiter ziehen
zu müfjen, denn in erfchredender Einförmigteit
eröffnete fich jett die Grande Combe, jenes
Hochthal von ſchauriger Abgejtorbenheit, das
im Munde der Leute mit Recht das Totenthal
heißt. Welcher Schreden mag dem einjamen
Wanderer das Herz zufammenfhnüren, menn
ihn bier der rafende Winterfturm übermannt,
der durch diefe Wildnis fegt, wenn ihm überm
Haupte das jchneeige Leihentuh im ſchweren
Falten zufammenfchlägt! An folhen Weg mag
Dante gedacht haben, ala er (im 3. Gefang ber
Hölle) die Worte ſchrieb:
Per me si va nella cittä dolente,
Per me si va nell’ eterno dolore,
Per me si va tra la perduta gente.
(Durch mid) geht's in die Stabt voll Pein und
arm,
Dur mic; geht’ ein zum Schmerz, der nimmer
ſchwindet,
Durch mich geht's unter der Verlornen Schwarm.)
Doch bedürfte dieſer Friedhof der Natur
keiner ſolchen Aufſchrift, die ſchlichten Kreuze
am Wege belehren uns, an welcher Stätte des
Schreckens wir uns befinden. Eines darunter
erinnert an den Opfertod des Paters Francois
Cart, den im Jahre 1825 die Lawine begrub,
ein anderes wieder iſt drei Brüdern und einem
Knechte errichtet, die an die Rettung von Men—
ſchenleben ihr eigenes Leben ſetzten.
Immer ſteiler ging der Pfad über das
felſige Bett ausgeſtorbener Gletſcher, bis nach
langem Aufklimmen ein hartes ſolides Pflaſter
die Hoffnung erweckte, daß wir dem Ziele nahe
ſeien. Es war drei Uhr vorüber, die Sonne
brannte auf dem nackten Steine, uns ſelbſt
brannten die Sohlen. Noch einige Windungen
durch Felscouliſſen — hurra! Ein hohes Kreuz
winkt von oben, ein graues Dach ragt über die
Klippen, noch einige Schritte tapfer vorwärts —
wir ſtehen am Hoſpiz des Großen St. Bernhard!
Die Steintreppen auf der Rückſeite des Hauſes
ſtiegen wir hinauf; im kühlen, gewölbten Kloſter—
gange zogen wir die Glocke, ein Marronier
(Knecht) kam herbei, der uns zu einem kleinen
Vorplatz führte und uns etwas zu verziehen bat.
Kaum ftudierten wir auf der großen ſchwarzen
— — — — — —— —
Don Interlafen zum Großen St. Bernhard,
Marmortafel die ſtolze Inſchrift, in der die Re:
publit Wallis ihren Retter Napoleon feierte, da
erſchien ein junger Chorherr, bewillfommte uns
auf das freundlichite und geleitete uns jelbit
durch den breiten Korridor bes oberen Geſchoſſes
auf unfer Zimmer. E3 war ein jehr geräumt:
ges, einfenfteriges, holzgetäfeltes Gemach; zwei
feine Himmelbetten mit Teppichen davor, Waſch—
tifche, Schränke und Stühle bildeten das Mo:
biliar. Die Bilder Napoleons III. und Euge:
niens hingen an der Wand, und nur ein kleines
Kruzifie dazwiſchen bewies, daß wir nicht in |
einem Gafthofe eingefehrt waren. Unfer Mönd)
jtellte uns frei, ob wir den Wein auf das Zim—
mer gebradht haben oder ihn im Speifefaale trin-
fen wollten, deutete noch an, daß dort auch für
andermeitige Labung geforgt fei, und belehrte
uns, dab um jehs Uhr das Diner ferviert
werde, wobei er mit feinem Lächeln bebauerte,
daß wir heute, weil es Freitag fei, nur Faſten—
ipeifen erhalten würden. Kein Oberfellner
fonnte gemwandter, Fein Gaftfreund herzlicher
ſich benehmen.
Wir ruhten uns etwas aus, machten Toi:
lette und gingen dann in den Speifefaal hinab.
Die dunfelbraun gebeizten Holzwände geben dem
mäßig großen Saale ein trauliches, familiäres
Gepräge, während die lange, in rechtem Mintel
aufgejtellte Tafel, von ſchweren Stühlen be:
593
war, fo mundete der Wein doch vortrefflich, und
Butter und Käfe verrieten, daß fie im Hoc:
gebirg ihre Heimat hatten. Ein Landpfarrer
mit etlihen Schönen, die jehr laut waren und
fih aufs Iuftigfte unterhielten, halfen uns in
BVertilgung der Vorräte. Ab und zu fam ber
freundliche Chorherr, der uns empfangen hatte,
um als Haushofmeifter du jour nad dem
Rechten zu fehen. Später fanden fi noch einige
Bäjte ein, Männer und Frauen aus dem Rhone—
thale.
Es litt uns aber nicht lange im Zimmer;
' das Verlangen auf dieſer hiſtoriſchen Stätte,
dem höchjtgelegenen bewohnten Orte Europas
| zügigen Gang gelangten wir ins Freie.
legt, mehr an ein Hotel erinnert. Die übrige
Ausftattung iſt gediegen, aber einfah: ein
Schrein, der allerlei Andenken dankbarer Gäfte,
Umſchau zu halten, trieb uns hinaus,
Durd) den in Kreuzform angelegten wind:
Da
jtanden wir denn auf der Paßhöhe des Großen
St. Bernhard (nahe an 8000 Fuß); zwifchen
fterilen, hie und da mit Gras ſchwach angeflogenen
Felſenhöhen eingejattelt, nah Süden fanft ge:
neigt, ift fie ſelbſt eine unfruchtbare, trauervolle
Dedung, abgejchnitten von der Welt, unzugäng—
lich den Verſchönerungskünſten der Kultur, ohne
Ausblid in die Tiefe, vom flüchtigen Sommer
nur ftundenmeife befucht, do neun Monate
lang von den froftigen Armen des Winters um:
fangen, die rechte Bühne für die MWerfe der
Entjagung und bes jchweigenden DOpfermuts.
Der kleine farblofe See, der ſüdlich diefe Stein:
' wüfte abgrenzt, trägt feinen Nahen, und doch
namentlich Photographieen und Medaillen, auch
weibliche Arbeiten, aufbewahrt, ein Seitentiſch
mit Mufifalien und Fremdenbüchern beladen,
ein elegantes Pianino, das der Prinz von Wales
geftiftet, das ift alles. Die Bilder an den Wän-: |
den, meijtens in ſchweren Goldrahmen und eben:
falls Geſchenke treulicher Anhänger, behandeln
zwar vornehmlich heilige und biblifche Gegen:
jtände, fonft würde aber nichts an einen Hlöjter: |
lichen Aufenthalt gemahnen, wenn nicht die
offenen Flafchen, mit dunklem Stalienerweine
gefüllt, daneben die gefchliffenen Fläfchchen mit
allerlei Ziqueuren, die Teller mit Brot, Butter
und Käfe, was alles A discretion der fremden
auf der Tafel jteht, von jener anerfennenswerten
Kloftergaftlichkeit Zeugnis gäben, die nur um
Gotteslohn arm und reih, Gläubige und Ketzer
bemirtet.
Wir machten uns ohne Ziererei an die Ar:
beit, und wenn aud) das Brot etwas altbaden
ift es ung, als müfje jeden Augenblid Charon
auf dem Totenjchifflein and Ufer rudern, uns
in das Neid) der Schatten überzuführen. „m
Winter fchreiten die Wanderer, die von Ftalien
fommen, über die hoch mit Schnee belajtete
Fläche des Sees hinweg; aber auch zur Som:
merszeit überzieht in den Morgenftunden dünnes
Eis jeinen Spiegel. Wo er endigt, endigt hier
gleihfam die Welt, denn jo jäh ftürzt jenfeits
der teile Hang ab, daß man über ihn hinweg
nur in leere Luft ſchaut und das Thal nur ahnt,
das und abmwärtö in die hejperifchen Gefilde
\ bringt. Die guten Franzofen, die es mit dem
geographiihen Wiſſen oft jo leicht nehmen,
haben auch hier in der Vergötterung ihres Heros
einen fühnen Sprung über die Wahrheit hinweg
gemadt. So öffnet ſich auf dem befannten Bild
Davids, das Bonaparte auf der St. Bernhards:
höhe hoch zu Roß theatralifch darftellt, die
italienische Niederung mit ahnungsvollem Hin:
blick auf die Wunder der füdlichen Welt. So
594
3. Serzfelder.
bringt in einem Werke aus jener Zeit(Le Mont | aus groben Quadern aufgeführtes, aber nüchtern
Joux, discours historique ete. an VII
der Profoß Ludler an der Pforte des Hofpizes
folgende oratorifche Leiftung an die verfammel:
ten Soldaten zumwege: „Von hier aus ſeht ihr
den Genfer See (!) und feine reizenden Ufer.
Dort liegt der Stein Neptuns, den fein Bruder
Penninus von diefem Hofpiz herabrollte, einen |
Dpferaltar ins Thal zu fenden ꝛc.“ Und Alfred |
de Muflets Vater, Viktor de Muffet, der den
Zug Bonapartes mitgemadt, erzählt in feinem
Bude: Voyage en Suisse et en Italie, fait
avec l’armee de reserve, an IX, daß fie auf
der Höhe des Bernhard ein Feſt gefeiert, weil
fie nad) den Zeugnifjen von Schriftftellern ver-
meinten, mit wenigen Schritten mitten in bie
Herrlichkeit Italiens hineinhüpfen zu können,
und baf fie jehr verbußt geweſen feien, ala fie
ein alter Mönch belehrte, der Weg hinab führe
durch diefelbe Bergwilde, als fie heraufgefommen
feien.
Auf diefer einfamen Höhe ward einft ein
feltiicher Gott verehrt, Penninus nannten ihn
zur Ausfüllung ihres Pantheons zwangen, jo
ward hier bald unter den Fittichen ihrer Adler
dem „Jupiter maximusoptimusPoeninus“
ein Altar errichtet. Freilih fuhr der Wetter:
ftrahl des Chriftentums auch in dieſe heilige
Stätte, der gewaltige Donnerer jank zu einem
Höllendämon herab, deſſen Teufelsfünfte nach
dem Glauben des Landvolfs ſich noch heute in
greulihen Gemwittern manifeftieren, aber lange
Zeit hindurch hat das hriftliche Wolf noch an
dem Namen fejtgehalten, unter dem die Römer
diejen Gebirgäftod fannten: Mons Jovis, Su:
piteröberg, Mont Joux hieß er, bis im Jahre
972 der Arhidiafonus Bernhard de Menthon
aus Aoſta heraufitieg und das kleine Hoſpiz,
das die Mauren eingeäfchert hatten, wieder
größer aus dem Schutt erhob. Die Kirche gab |
ihm den Heiligenfhein, dem Berge gab das
danfbare Volk feinen Namen. Doch jetzt noch
heißen die gewaltigen Höhenzüge zwiſchen Mont:
blanc und Monte Rofa in Erinnerung an den
' fundigen feftgeftellt wurde,
alten Gott die penninifchen Alpen.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts ward
übertündhtes Haus überragt es, breijtödig, im
fafernenartiger Gliederung wie ein Feitungsbauı
die natürlichen Felfenbollwerfe, in deren Ver—
ſchanzung es eingebettet liegt; gegen den An:
prall der Stürme, die Wucht der Fröfte, den
Drud der Schneemaffen hat e3 zu fänpfen, und
wenn der Winter feine hohe Vortreppe unter
dem Schnee begräbt, fchreiten die Bewohner
darüber hinweg in die hochgelegenen Eingänge.
Hinter diefem Haufe, nur durd den Saumpfad
getrennt, der von Norden heraufführt, liegt
auf dem weſtlichen Abhang ein zweites, etwas
Heineres, hochauffteigendes Haus, gleichfam das
Vorwerk der Hauptcitadelle, St. Louis ift es
benannt; in gewöhnlichen Zeiten als Herberge
der Frauen und als Vorratsfammer benütt,
ward es wejentlich zu dem Zwecke erbaut, den
Chorherren und ihren Knechten ala Zufluchtsort
zu dienen, wenn mitten in der Strenge des
Winters eine Feuersbrunft ihren Mohnfit zer:
jtören ſollte. Zur Seite des Hofpizes gegen
ı Nordoft fteht noch ein fleiner Steinbau, eine
die Nömer, und wie fie nicht nur Länder und |
Völker anneftierten, fondern aud) frembe Götter |
Art von Schuppen, vor demfelben ſchaut uns
ein büfteres Häuschen an, einer alten Felskapelle
gleihend, das ift Die — Morgue.
Wo wir unfere Schritte hinwandten, lagen
die Hunde des Klofters in der Sonne oder
mebelten faul und jchläfrig um uns herum.
Gelbgefledt, ſchmal gebaut und bei weitem nicht
jo derbknochig und robuft, wie wir fie aus aller:
lei Sluftrationen fennen oder wie unfere Bern-
hardiner erjcheinen, gleichen ſie keineswegs dem
Ideale, das man fich von den berühmten Hunden
zu machen pflegt, ihre entzündeten Augen gaben
ihnen fogar den Anftrih des Krankhaften und
Schwächlichen. Die urfprüngliche Raſſe ift be-
kanntlich ausgeftorben, die dermaligen Hunde
entjtammen einer Neufundländer Nachzucht, und
wer weiß, mie lange auch diefe dem totbringen:
den Klima troßen wird. Daß fie aus der Leon:
berger Zucht hier angefiedelt wurden, wie man
vielfach glaubt, iſt ganz unrichtig, die fogenannte
Leonberger Hunde repräfentieren eine untaug-
liche Baftardraffe, wie das erft im vorigen Jahre
auf der Hunbeausftellung zu Cleve von Sad):
Noch waren wenige Leute am Plate, zer:
das dermalige Hauptgebäude aufgeführt. Man | Iumpte Bettler Tagen an den Treppen, einige
denke ſich feinen prächtigen Klofterbau mit zopft:
gen Drnamenten, mit mädtigen Geitenflügeln |
und weiten Hofräumen! Ein langes jchmales,
alte Frauen mit fehr defekter Gewandung
ihlurften auf dem Grafe herum, das fpärlid)
zwiſchen den Steinplatten wuchert, ſavoyardiſche
Don Interlafen zum Großen St. Bernhard. 595
Maultiertreiber gejellten fi zu ihnen, und wir | dem Simplon, das Napoleon 1. jtiftete, teils
hatten Muße, uns hin und her wandelnd des | auf Eleineren Kuratien und Klöftern in den be:
herrlichen Tages zu freuen und die hohen Berg: | nahbarten Thälern. Der Superior ruht im
pfoften zu betrachten, die das büftere Bild feier: | alten Klöfterlein zu Martigny von den Müh—
[ich umftehen, die Pointe de Dronaz, die Chena: | jeligfeiten des Bergdienftes aus. Meift junge
lette, den Mont Mort und vor ung im Südweft | fräftige Männer finden Aufnahme in den ehr:
über dem Col de Fenötre den fpigigen Pain de | würdigen Orden. Mit ftahlharter Gefundheit,
Suere, der fi) eine faltige Gletfcherfchärpe um | opfermwillig und hilfäbereit treten fie ein, aber
die Feljenbruft geworfen hat. oft ſchon nach wenigen Jahren welkt ihre Kraft
Almählih entwidelte fih ein rührigeres | dahin, der eifige Mind dorrt alle Lebenskraft
Treiben um uns her, Pferde und Saumtiere, | in den Adern aus, länger als 10 bis 12
mit Fäſſern, Holzbündeln und allerlei Säden | Jahre erträgt es feiner auf diefem Boden, defjen
beladen, hielten vor dem Haufe, vom Noftathale | magere Erdfrume jahraus, jahrein fo hartge:
jtiegen Zandleute herauf, auf Maulefeln kamen | froren ift, daß nicht einmal ein Grab geſchaufelt
die „befleren Stände“ von der Nordfeite her, | wird, in das man ihn betten könnte. Wer nicht
darunter ein Ehepaar, mit dem wir am frühen | in ftillem Dulden dort abwarten kann, bis der
Morgen in Martigny gefrühftücdt hatten. Es | Tod an fein Herz greift, und viele warten es
waren Spanier, recht ungezwungene, gebildete | ruhig ab, der wird, natürlih nur dann, wenn
Menfhen, mit denen wir gern Unterhaltung | ihn Schwäde oder Krankheit überwältigt, auf
pflogen. Bald mifchten wir uns in eine Gruppe | den milderen Simplon oder in eine freie Klofter:
von Bürgersleuten aus dem Wallis, fremde | Furatie verfegt. Meift kranken fie auch dort; fo:
Geiftliche traten zu uns, die ſämtlich im Cortege lange fie aber hier oben ihre Pflicht erfüllen,
aufgeräumter Frauenzimmer erſchienen. Mo | thun fie es mit jener offenen Heiterkeit, jener
wir uns hinfehrten, fahen wir frohe Gefichter, | ungetrübten Opferfreude, die fih Jahrhunderte
hörten wir muntere Geſpräche. Selbjt eine | hindurch) auf dieje Kämpen im Dienfte der Menſch—
Gruppe von Engländern, die am See beifam: | heit unveränderlich vererbt hat. Nicht nur die
menjaßen, ſchien von der allgemeinen Heiterkeit | tobenden Winterftürme, die qualvollen Märjche
angeitedt. durd Eis und Schnee reiben fie auf, wenn fie
Nah fünf Uhr ward es unbehaglich fühl, | Signalftangen pflanzen, Drahtfeile aufjpannen,
das Seelein fhien fi zu verdüftern, und über | an denen fih die Wanderer über Klippen und
das Schneedach des Mont Velan hinter uns | Ciswände hinüberhelfen follen, wenn fie Anechte
jammelten fi die Nebel. Wir fchlüpften in | und Hunde auf der Suche nad) Verirrten be:
unfere Ueberröde und fanden doch faum Schuß | gleiten — die lange, lange Dauer der Winter:
vor dem Frofte, der von Minute zu Minute | fälte, die durch die didjten Mauern ihren Eis:
ihärfer auf uns eindrang. Auf zehn heitere | haud) jendet, die ewige Trübe der Nebel unter:
Tage im Jahre rechnet man hier oben; der | gräbt allein ſchon aud) die Fräftigfte Konftitution.
heutige war einer dieſer auserwählten zehn, | Monatelang werden Tag und Nacht die Zimmer
und doch ſchon um diefe Stunde ſolche angreis | durchheizt, und nicht bloß im Hauptgebäude,
fende Kälte! Jetzt begriffen wir's, daß Aleran: | auch im Haufe St. Louis brennen allfort die
der v. Humboldt die mittlere Temperatur diefes | Scheiter in den Zufluchtsräumen, in denen fie,
Paſſes der norbfibiriichen gleichftellt, daß noch | wenn fie jemals drüben vor dem Feuer flüchten
feiner der Brüder den Ablauf der fünfzehn | müßten, ohne folhe Vorficht rettungslos erfrie:
Jahre, die er hier auszuhalten gelobt, jemals | ren würden.
hier erlebt hat, Helles Geläute rief uns ab, dod war es
Eine Kongregation von Auguſtinerchorherren | nicht das fchauerliche Hilfsglödlein, das an neb:
iſt's, die der heilige Bernhard gegründet, vierzig | ligen Tagen, im Schneefturm oder im Grauen
|
an der Zahl. Ernite, ftrenge Regeln hat er für | der Nacht die Knechte ziehen, um den Pilger an
fie aufgeftellt, aber durch die harte Rinde des | die gaftlihe Schwelle zu rufen, die friedliche
Gejeges bricht die warme Menfchenliebe, die ihn | Ehglode lud uns zum Diner. Bald war die
leitete. Nur 12 bis 15 Mönche haufen hier im | lange Tafel vollbejegt, etwa 45 Gäfte waren
Hofpiz, von etwa fieben Knechten unterjtüßt, | es, bunt zufammengemwürfelt, Amerifaner und
die übrigen leben teild im Tochterhofpiz auf | Engländer mit ihren Familien, das jpanifche
596
Ehepaar, italienifhe Gejchäftsleute, die Land—
geiftlichen aus der Schweiz mit ihren Freundin:
nen, und zuleßt einige junge Leute und mun—
tere Bürgersmäbchen aus den ſavoyiſchen Thä—
lern. In der eben gezeichneten Rangabjtufung |
faßen fie um den Tiſch, wir zwei Deutjche oben= |
an, zwiſchen uns der gaftliche Bater. Die übrt:
gen Chorherren fpeifen im Refektorium.
Das Menu war ein jehr eigentümliches,
eine Reihe von Mehlipeijen, Mußen und Breien,
dazwiſchen Stodfifch; Dmeletten und Maccaroni, |
Kompotte und Käſe famen in rafcher Folge, |
mehrere der Gerichte waren mir nach Ausfehen |
und Zufammenjegung völlig fremd. Unfer Pater
machte den liebenswürdigiten Wirt, unterhielt
fi) in lebhafter Galanterie mit den englijchen
Damen, die franzöfih vradebrechen konnten,
jhenfte den Gäſten in feiner Nähe jelbjt den
Wein ein und gab ab und zu den Dienern heim:
liche Winfe. Kaum war eine Flaſche geleert,
und alles becherte mit Luft, jo jtand wieder der
Erfah auf dem Tifche. Ueber die ganze Tafel |
flog fein aufmerfjamer Blid und öfters wußte |
er den etwas unbeholfenen Marroniers beizu:
fpringen. Dabei war er voll Munterfeit, die
fich bald über die ganze Gejellihaft verbreitete,
und das laute Gelächter, das oft am unteren
Tiſche ausbrah, war ihm fichtlih ganz will:
1)
|
fommen. Am lauteften war der eine Kaufmann |
aus Stalien, der hier überhaupt zu Haufe zu
fein fchien. Weber vor noch nad Tiſche wurde
gebetet, nur einige befreuzten ſich andädtig.
Als die Mahlzeit zu Ende war verbeugte
fih unfer Wirt und verließ das Zimmer. Er
hatte noch Gäſte zu empfangen, die in ber
Dämmerung angelangt waren. Im Saale aber
wurden die Stühle in einer dreifachen Halb:
runde um das Klavier herumgeitellt und das
liebe Publikum laufchte dem Spiele einer blond:
lodigen Britin. Walzer von Strauß in diejem
weltfremden Klojter! Es wunderte mid fait,
daß nicht noch ein Tänzchen unternommen oder
ein Kantus angeftimmt wurde. Man fühlt jih
eben hier fo frei und fiher wie in einem Fa—
milienfreife. Gafthofähnlich find alle Fremden:
zimmer numeriert, auch die übrigen Räume
tragen Aufichriften, als Salle a manger,
Refectoire, Bibliothöque, Elise.
Wir beide zogen uns frühzeitig zurüd, denn
wir fühlten uns allmählich doc ermüdet. Als
3. Berzfelder.
fen, ſahen wir in die offenen Schlafjäle hinein,
in denen das geringere Bolf untergebracht wird.
Hohe, faubere Räume mit fehr joliden Bett:
jtellen, ganz annehmliche Raftorte für die armen
Werkleute, Maurer und Kaftanienbrater aus
den piemontefischen Bergen, deren Dürftigkeit
auch im Winter nicht zuläßt, den weiteren, aber
jihereren Ummeg über den Simplon oder gar die
' Bahnfahrt über den Mont Cenis zu benügen!
Ueber 200 Gäjte vermag das Hojpiz zu be-
herbergen; in dieſer Nacht Hatten, wie ih an:
deren Tags erfuhr, ungefähr 80 Perſonen jeine
Gaftfreundfchaft in Anjpruch genommen, und
einige Tage vorher, an Mariä Himmelfahrt,
gar über 600 Andächtige hier genächtet, die
ı natürlich meiſtens auf Strohfhütten in den
Hausfluren lagerten.
Draußen war es bitter Falt, ein heftiger
Mind jagte die mächtigen Wolfen über uns
weg, wir fuchten unfer Zager auf, um unter
dem Schuße des heiligen Bernhard den Schlaf
des Gerechten zu jchlafen.
Falbes Zwieliht dämmerte durch das Zim—
mer, als wir nad unruhigem, von der Kälte
unlieb geftörtem Sclummer erwadten, leije
Hopfte es an das Fenſter, und ehe wir uns
recht befannen, daß das der Regen jei, der ſei—
nen Morgenbejuch anfündige, rollte es dumpf
und ſchwer über unjeren Häuptern — wahrhaftig,
ein rechtichaffenes Gewitter erlaubte jih im
diefen Bergen zu rumoren. Raſch waren wir in
den Kleidern und eilten hinunter. War aud)
der urjprüngliche Plan zerftört, in der Frühe
die Chenalette zu beiteigen, die prächtige Blicke
auf den Montblanc gewährt, jo entjchädigte
ı uns der Gedanke, auf diefer Höhe das Schau—
ipiel eines gefunden Gewitters zu erleben.
Vom Zugmwinde gepadt, ſchlug die Thüre dröh—
nend hinter uns zu, als wir hinaustraten.
Es war ein gewaltiges, betäubendes Ständ—
hen, das da dem Hofpiz gebracht wurde, aber
die erhoffte Augenmweide follte ung nicht werben;
der feuchte, graugetujchte Vorhang, den Negen
und Nebel ausgehängt, wollte nicht hinaufrollen,
und nur ſchwach zudte e8 hie und da vom Mont
Mort herüber aus der verjchlofjenen Bühne.
Fünf Uhr war es. Während wir dann im
Speijejaal den Kaffee nahmen — es war eine
richtige ſächſiſche Cihorienbrühe — und id an
manden Poeten gedachte, der hier ſchon ge—
wir durch den fchmachbeleudteten Thorweg \ fefien, an Matthiffon, Rudolf Töpffer, den
ſchritten, um noch einen Blid ins Freie zu wer: ı Verfaſſer der Genfer Novellen, an Franz von
Don Interlafen zum Großen St. Bernhard,
Gaudy, der hier oben Veilhen gefunden haben
wollte, ließ das Wolfengetöfe nah, auch ber
Regen war erfhöpft und nur weiße Nebel:
wogen trieben noch vor den Fenftern herum.
Andere Töne drangen jet in den matt:
erleudhteten Saal, Drgelflang und Chorgejang,
|
|
|
|
die Frühmefje hatte begonnen; auch wir gingen |
in die Kirche, die innerhalb der Mauern des
Haupthaufes ſich befindet, wohl die höchſtgelegene
in Europa. Das Gotteshaus war ſchon be-
trächtlich angefüllt, auf beiden Seiten fnieten
Frauen in den Bänfen, im Mittelgange ftanden
die Männer, und bejcheiden im Hintergrunde
hielten fich die englifhen Damen, zu denen jetzt
)
auch die Spanierin trat. Die Kirche ift nicht
fehr groß, das Chor faum kleiner als das
leichtvergoldetem Schnitzwerk geziert, tragen
die Dede, der Schmud der Altäre fcheint un:
gefünftelter, ald man ihn jonjt in Klöftern
findet, reich ormamentierte Stühle nehmen die
Chorherren auf, die in ihren weißen Gemwändern,
597
ften wohl tragen fo viel mit ſich über die Berge,
um der frommen Stiftung gedenken zu können;
leider zeigt aber die Sammelbüchſe, daß auch
die vermögenderen, bie in Hotels flott zu leben
wiſſen, fi hier oftmals mit mwohljtilifterten
Dankesſprüchen im Fremdenbuche losfaufen.
Drei Tage lang muß jeder Gaſt, wes Landes,
Standes oder Glaubens er fei, umſonſt beher:
bergt und verföftigt werden, Kranfe bleiben
ſelbſtverſtändlich bis fie genejen find. Da iſt es
denn erflärlih, daß die eigenen Beſitzungen der
Kongregation und der von Napoleon I. ge:
gründete Fonds nicht ausreichen, daß alljährlid)
an die Mildthätigfeit der Schweiz, Frankreichs
und Staliend appelliert werden muß und die
' Bilanz dem Pater Nechenmeiiter oft Heike
Hauptſchiff, ſchwarze und rote Säulen, mit |
vom Kerzenlicht beleuchtet, eben einen Choral |
anftimmten. Es waren frifche, jugendfräftige
Stimmen darunter, und über uns wäre wohl
auch eine feierlichere Stimmung gefommen, wenn
ſich nicht der Organift an der Orgel gar fo welt:
lich aufgeführt und in tändelnden Opernreminis:
cenzen die Würde der Handlung erjtidt hätte.
An der Wand zur Linfen des Eingangs be:
trachteten wir das marmorne Neliefbild, das
hier Napoleon I. feinem Freunde Dejair über
feinem Grabe errichten ließ. In nahezu Hafji-
cher Einfalt, nur ſchwach an die Steifheit jener
falſchen antififierenden Richtung erinnernd, die
damals (1806) den galliihen Kunſtſtil be-
herrichte, Hat Moitte den Helden von Marengo
dargeftellt, wie er fterbend vom Pferde finft
und zwei Krieger trauernd ihn empfangen.
Gleich neben dieſem Denkmal iſt der Opferftod
befeftigt, in den aud wir unferen flingenden
Dank rollen ließen.
Während in anderen Klöjtern das Geld unter
Teller oder Tijchtuch gelegt oder einem Bruder |
in die Hand gebrüdt wird, gilt hier ala unver:
brüchliches Geſetz, daß die freiwilligen Gaben
für die unentgeltliche Verpflegung nur dort ein:
geworfen werden bürfen, damit die waderen
Mönde ja nit erfahren, welcher Gaft und wie
reichlich oder färglid er gefpendet. Nur die
Marroniers nehmen ein Trinkgeld. Ueber20000
Pilger find jährlich zu verpflegen, und die wenig:
Schweißtropfen koſtet.
Kein leichtes Werk it die Bewirtſchaftung
diefer großartigen MWohlthätigfeitsanftalt. So:
lange der Weg gangbar ift, ſchleppen Saumtiere,
meiſt von der Sübjeite her, Wein, Früchte,
Mehl, Del und alle die vielen Bedürfnifje
herauf, die ein ſolches Gaſthaus in der Dede
fordert, und auf Maulejeln wird zur guten
Fahreszeit 6 bis 8 Stunden weit aus dem Val
Ferret das Holz heraufgeführt, deſſen natürlic)
eine unermehlihe Fülle in Nauc aufgeht.
Wie langjam und mühevoll ſich ſolche
Transporte abwideln, hat der Bau vom Jahre
1822 gezeigt. Damals wurde dem Haupt:
gebäude der dritte Stod aufgeſetzt; zwei Jahre
bedurfte e8, um Baumaterialien, Steine, Sand
und Holz hinaufzufchaffen, drei weitere Jahre
verjchlang die Bauführung felbit.
Die Einheimfung und Aufipeicherung der
MWintervorräte, die Bewirtung der Fremden,
der Empfang von Gönnern und Bevorzugten,
die Obhut über Meiereien, Waldung und Vieh:
weide, die Nedhnungsführung und Finanz:
gebarung — all das liegt in den Händen der
wenigen Chorherren, und jo begreift es ji),
daß den edeln Menjchenfreunden die bejjere, jo
furz zugemefjene Saifon auch nicht in vergnüg:
lihem Ausruhen, fondern in andauernder Ar:
| beit dahinſchwindet. Dabei find fie meift ge:
lehrte Herren, die namentlich naturwiflenichaft:
liche Studien pflegen.
Eine meteorologifche Anftalt ift hier errichtet,
Pflanzen und Steine werben gejammelt und
geordnet, und das Mufeum, das den Fremden
offen jteht, zeigt außerdem noch in feinen
Votiertafeln, Münzen und Bildftüden aus
598
römifcher Zeit, welche Altertümer der font un:
fruchtbare Boden birgt.
Nah) dem Gottesdienfte und der Beſichti—
gung der Sammlungen verabfchiebeten ſich
unfere Spanier, obwohl wir fie vor dem Wetter
warnten, dad noch einen Regenguß verſprach.
Sie wollten den Weg nah Martigny zurüd,
den fie heraufgefommen. Während die Geſell—
ihaft im Saale frühftüdte, führte uns beide
der aufmerkſame Pater an die Morgue, ſchloß
den fonft verſchloſſenen Laden auf und ließ uns
durch das Quergitter in die fchauerliche Toten:
fammer jehen. Der Anblid, der fi) uns dar—
bot, war nicht fo grufelig, als wir befürdhteten.
Auf den Dielen lagen keineswegs Schädel und
Knochen in greulicher Verwirrung herum, wie
das nah der Schilderung mander Reifebücher
und noch nad) der Darftellung von Michel und
Leutz der Fall fein foll; die Tenne war vielmehr
blank gefegt und nur aus dem Winkel fchim-
merte ein Haufen zufammengefehrter Gebeine.
An den Wänden aber, hart an den falten Stein
gelehnt, ſaßen im Halbfreife, Leben prahlend,
die Unfeligen, die hier der Tod fern von ber
Heimat dahingerafft; in verblaßte und ver:
ſchliſſene Kleider gehült, einige bloß in weiße
Laken gemwidelt, hatten fie das eingefunfene
Auge nad außen, nad) uns, gerichtet; deutlich
waren bie Geſichtszüge noch zu erkennen, die
eingetrodnete Haut lag dunfelbraun, bei einigen
citronengelb über den Knochen, und wäre nicht
die ängftigende Unbeweglichkeit geweſen, in ber
fie feierlich zufammenfaßen, man wäre fajt ver:
jucht worden, die ftillen Menſchen wachzurufen.
Mumienhafte Verfchrumpfung zeigte feine der
Leihen, wenn fie auch recht klein ausfahen,
denn ad! die dünne kalte Luft, die hier die
Lebenden tötet, bewahrt den Toten auf viele
Jahre dies lügenhafte Bild des Lebens. Die
ganze Einbalfamierungskunft befteht hier in der
Zulafjung der falten Luft. Schon lange Zeit
harren fie aus, ob nicht ein Freund, ein Ver:
wanbdter füme, das jhredlihe MWiederfehen zu
feiern, und feinem finft fobald die trügerifche
Maske vom Gefihte. Dem einen Toten hatte
man ein unbefleivetes Gerippe in den Schoß
gelegt, dieſes mwißige Spiel mit dem Tode
fonnte ich nicht ertragen, ich mußte mich abwenden.
Seit vier Jahren war diefe Totenftätte von
neuen Bewohnern verfchont geblieben, doch
glaube man nicht, daß die Gefahren des Win:
J. Serzfelder. Don Jnterlafen gun Großen St. Bernhard.
ters ſich verringert hätten, auch nicht, daß es
nur bie armen Teufel feien, die fich zu ſchlim—
mer Zeit über diefe Einöden wagen. Als der
gefürdhtete Regen fturmartig wieder losbrach,
durchblätterte ich die Fremdenbücdher, da fand
ih denn unter ſchlechten Verfen und lahmen
Witzen jo manchen Beleg dafür, daß dem Ueber:
mute, Zeichtfinn und tollem Sport nod) in neu:
fter Zeit mancher Tourift zum Opfer gefallen
wäre, hätte ihn nicht die Wachſamkeit der Mar:
ronierd und ihrer Herren gerettet. Um nur
ein Beifpiel anzuführen, hat vor mehreren
Jahren ein adeliger Offizier aus Preußen im
November, als viele Klafter Hoch der Schnee
Klüfte und Abgründe überbrüdte, ohne Führer
mit feiner Frau den Weg nad) dem Hofpiz ge:
ſucht; im Schnee mußte er die erfchöpfte Frau
liegen laſſen, er felbft tappte halb blind und ver:
zweifelnd in der Irre umher, bis endlich die Hunde
in ber Hütte L'Hopital unruhig wurden und bie
Knete fih aufmachten, dieihn fanden. Ihn jelbit
ſchleppte man fofort zum Hofpiz, auf einer Trag:
bahre wurde fpäter die ohnmädtige Dame von
Mönchen abgeholt. Drei Tage vermweilten fie im
Klofter, bis der Weg nad) Süden offen mwurbe.
Als Wind und Negen ſich gelegt hatten
und die Luft wieder Far und heiter ward,
dachten wir an den Aufbruch. Es war acht Uhr.
Wir ftanden reifefertig unter dem Thor, da
famen die Spanier wieder zurüd. Das Un:
wetter hatte fie in der Grande Combe über:
fallen und wieder heraufgetrieben. So furz ber
Regen war, fo ausgiebig hatte er fie bedacht,
namentlid) die Frau troff von Waſſer und fror
zum Erbarmen,
Wir nahmen zum zmweitenmal Abjchieb von
ihnen und zogen von bannen, zwiſchen bem
trüben Seelein und dem Plan de Jupiter hin,
auf dem wir vergebens nad) den Trümmern bes
alten Heidenaltars fpähten.
Das Herz war uns voll, diefe wenigen
Stunden im „Hofpital der Armen Chrifti“,
wie das Hofpiz auch genannt wird, hatte uns
des Dentwürdigen fo viel gebradt. Keinen
Dank frigelten wir in das Fremdenbuch, er
bleibt uns im Herzen eingefchrieben.
Am füdlihen Rande des Sees fteht eine
Steinfäule, es iſt der Grenzſtock zwiſchen ber
Schweiz und Piemont. In den Nebel hinein,
der von unten wieder mädhtig heraufquoll, rief
ih aus voller Bruft: Eviva Italia!
er Dberöfterreihifhe Seen.
Vor
Anton von Rutlhner.
Non Iſchl an den St. Wolfgangfee.
E: iſt ficher nicht angenehm, wenn jemand
einen Bart beiucht, deſſen von Ernitallhellen
Gewäſſern belebte grüne Matten und deſſen
miüchtige Baumgruppen ihn zur Bewunderung
hinreißen, er bereits vor fih Die nicht minder
reizvolle Fortſetzung erbiidt, auf dem Wege
nach ihr jedoch plöglicd eine Schranke gewahr
wird, neben welcher eine Tafel ankündigt, daß
in dieſen Teil des Parts der Eintritt nicht ges
N wir N L 1 I:
BER ——— stattet iſt.
ER? > —— In eine Ähnliche Lage hat der Verfaſſer
ſeine freundlichen Leſerinnen und Leſer geſetzt,
als er, um nicht in den landläuſigen Fehler zu
verfallen und Gegenden zum Salzkammergut
zu zählen, welche geographiſch dazu nicht ge—
hören, feine Schilderungen aus dem Salzkammergut im Oktoberheft 1853 „Vom Fels zum Meer“
auf die dem Salzkammergut benachbarten und an malerischer Schönheit ebenfo reichen Land—
ichaften am St. Wolfgang:, Mond: und Atterfee nicht ausgedehnt hat.
Er freut fih, nachdem denfelben durch die Bezeichnung „Oberöſterreichiſche Seen“ die geo-
araphiich richtige Stellung angewiefen ift, die Schranfe bejeitigen und fich als Führer in diefe
früher von ihm als referviert erklärten Teile des herrlihen Naturparkes Oberöfterreich anbieten
u Dürfen,
Jetzt hindert auch nichts mehr, als Ausgangspunkt für unfere Ceentour den dazu vorzüglich
geeigneten Hauptort des inneren Salzlammergutes Iſchl zu wählen, wozu uns nebenbei die
Rückſicht beftimmt, dadurd dem unveraleichlichen Iſchl erſt vollfommen gerecht werden zu fünnen.
76
Kailerlihe Cottage in Iſchl (E. 601).
600
Die Berhältnifie haben bei unferer ermähn-
ten Beichreibung des Salzlammergutes ganz
anders gelegen als heute. Damals bildete Iſchl
einen beiläufig in der Mitte des zu ſchildernden
Gebietes be:
findlichen
Punkt. Wir
hatten jchon
viel Zeit zum
Beſuch der
nördlichen
Hälfte ver—
wendet und
eine nicht kür-⸗
zere Zeit er:
heiſchte die
füdlihe Hälf:
te. So war es
unthunlich, zu
lange in Iſchl
zu verweilen.
Heute da—
gegen treten wir unferen Ausflug aus ihm an,
ob etwas früher oder fpäter, ijt gleichgültig, und
deshalb fünnen wir uns eingehender mit ihm
beſchäftigen.
Je näher man Iſchl kennt, deſto lieber ge—
Trinthalle in Iſchl «©, son),
Anton von Ruthner,
und in der Tiefe gedacht. Diefe köſtliche Lage,
aber auch die dadurch erzeugte friſche und
elajtiihe Luft bildet einen der Faktoren, und
nicht den Eleinften, welche Iſchl beliebt machen.
Ein anderer
liegt in der
von unsgleich⸗
falls kurz an
gedeuteten
Bauart des
Marktes.
Durd) die zu—
meiſt breiten
Gafien mit
niedrigen
Häufern und
freundlichen
Gärten ober
Barfanlagen
dazwiſchen iſt
für die Be—
wohner der
Städte, beſonders für die ein Hauptfontingent
der Sommergäfte jtellenden Wiener, der denkbar
angenehmite Gegenfaß gegeben zu ihrem in den
engen und dumpfen Straßen mit den leider
von Jahr zu Jahr Faftellartiger werdenden Neu:
winntman bauten, in
e3. m der heigen
unferen Jahreszeit
Skizzen Staub,
aus dem Gluthitze
Salzkam⸗ und nichts
mergut weniger
wurde ſei⸗ als lieb—
ner präch⸗ liche Düfte
tigen Lage erzeugen⸗
an der den ge:
Vereini⸗ wöhnlichen
gung meh⸗ Wohnorte.
rerer Thä: Dabei
ler und des ſind die
dadurch Iſchler
gegönnten Häuſer in
Ausblickes Viarrtirche und Poft in MAI S. 000). den beleb:
auf die jid) teren Gaſ⸗
über den: jen faft
jelben aufbauenden gewaltigen Gebirge, und
wurde ebenfo der ringsum von ben nächſten
Höhen, den Ausläufern des Hochgebirges, bis
an den Markt herabreichenden jchattigen Wäl—
der und der faftigen Wieſen auf der Höhe
ausnahmslos nett, viele im Villenſtil gebaut,
und auch an wirklich jtattlihen Bauten iſt
fein Mangel. Als folde nennen wir: die große
katholiſche Pfarrkirche (ij. oben), ein Bauwerk des
vorigen Jahrhunderts, deren inneres in den
Oberöfterreichifche Seen. 601
eu _
Krenyplag in DIT.
legten Jahren von dem Tiroler Künftler
Mader in ausgezeichneter Meije al fresco ge:
malt worden tft, und in deren von einem älteren
Kirchenbau ftehengebliebenem Turme fih ein
Nömerftein, worauf vier Figuren im Bruftbilde
und eine Inschrift erfichtlich find, eingemauert be:
findet; das Badhaus mit der Trinkhalle (S. 600),
das Theater auf dem Kreuzplatz (ſ. oben), die pro:
teftantifche Kirche, ein neuerbauter großer, leider
in feiner äußeren Erfcheinung wenig anjprechen:
der und auch in der inneren Einteilung nicht be:
lobter Kurſalon (S. 603) inmitten eines Kur—
gartens, das Hotel zur Bolt (S. 600), unmittel:
bar an der Brüde das Hotel Elifabeth und von
ihm flußabwärts das Pfannhaus (S. 604.)
In Barkanlagen treffen wir im Marfte Mo:
numente zum Andenfen an Erzherzog Rudolph,
Bruder des Kaifers Franz I., und an Doktor
Mierer an, welche fih um das Emporblühen
Iſchls weſentliche Verdienste erworben haben.
Das fünftlerifch wertvollfte Monument aber
ijt der in jüngfter Zeit zur Erinnerung an die
größten Gönner Iſchls, die Eltern des Kaifers
Franz Joſeph, Erzherzog Franz Karl und Erz:
herzogin Sophie, an der günftiaften Stelle im
ganzen Markte, auf dem am Ende der Wierer:
und Pfarrgafje, nur wenig Schritte von der
Brüde und vom Beginn der Eſplanade gele:
genen Plate vor dem Hotel Elifabeth errichtete
gotiſche, von zierlichen Blumenbeeten umgebene
Franz:-Harl:Brunnen.
Daß die Häufer des Marktes und der mit
ihm verbundenen Ortſchaften nicht bloß in der
Thalfohle, fondern zum Teil auch auf den Ab-
hängen darüber und den Steilufern der Traun
und Iſchl Stehen, verhilft Jichl zu mandem
pittoresfen Punkt in feinem MWeichbilde. Aus
den erhöht ftehenden Gebäuden aber lenkt am
meiften das in feiner Lage unterhalb der Kirche
des Ralvarienberges den Markt förmlich beherr-
chende Aftienhotel (S. 604) die Aufmerkfam:
feit auf fich.
Vorzugsweiſe haben fich die Willen auf den
Höhen angefiedelt. Aus ihrer Zahl heben wir
vor allem die auf dem Abhang unter dem Jainzen
in einem ausgedehnten Park liegende gefchmad:
volle Kaijervilla (S. 602) mit ihrer reizenden
Cottage hervor (S. 599). Die Villa Sidingen
auf einer Anhöhe auf dem rechten Traunufer iſt
ein älterer, einfach edler Bau.
Einen dritten Faltor, welchem Iſchl feine
Beliebtheit verdankt, würden wir außer acht
laffen, wollten wir nicht aud) den Komfort des
fafhionabeln Badeortes betonen.
Es foll nicht behauptet werden, daß fich die
Iſchler diefen gebotenen Komfort nicht ausrei-
chend bezahlen laſſen. Allein Preife, welche
manchen befcheidenen Alpenreifenden verjtimmen,
verftimmen nicht die hier weilende Geburts: und
Geldariftofratie und manche nicht zu ihnen ge:
hörige Berfonen, die den Grundfag haben, auf
Neifen nicht zu fparen, und es gilt eben wieder
einmal das
„Eines ſchickt fich nicht für alle“,
e— ——— nm” Te
!
ZEN
Er uns
“>, R PD >
— ER —— wi
Unſicht von Yihl, vom Park der Railerbilla aus (5. 802).
Oberöfterreichifche Seen.
Jedoch alles in allem bleibt Iſchl ein bes
rüdender Sommeraufenthalt, deſſen Neize jeden
Beſucher gefangen nehmen.
Es hat eigentlidy gar nicht raſch Carriere
gemacht. Obgleich fi der Sit des Gerichtes
des Salzkammergutes bis zum Brande im Jahre
1715 des heute als Ruine unterhalb des Kater:
gebirges trauernden Schlojjes Alt: Mildenftein
in dieſem nur eine Stunde von Iſchl ent:
603
Auch wir haben uns diesmal wieder mit
Vergnügen in und um Iſchl bewegt. Gelüftete
es uns, das Getriebe der Städter zu beobadıten,
fo find wir die Ejplanade (©. 606) auf und ab
geichlendert, gegen die Sonnenhite haben wir im
ſchattigen Zaufener Walde, der ſich bis nach dem
alten Laufen (S. 605) traunaufwärts erjtredt,
Schub geſucht und gefunden. Aber auch unfere
teilweiſe ſchon in der Schilderung des Salzkam—
fernten mergutes
Schloſſe, genannten
und dann entfernte⸗
bis 1770 ren Lieb—
im Markte lingspunkte
ſelbſt be— in der Um—
funden und gebung: die
— 5 des
als etten=
der Haupt: bachs (S.
ort des 607) und
Salzkam⸗ feine poeti⸗
mergutes, ſche Wild⸗
nis, er
rü er das j 8) ens op:
Iſchlland TER > Rt pelblid und
hieß, ge: —— EN F — — — die nahe
golten hat, ee —— Dachſtein⸗
iſt es trotz ausſicht mit
ſeines dem ro⸗
Salzberges mantiſchen
und ſeiner Hohen⸗
Salzpfan- zollern=
ne doch bis Waſſerfall
in den An⸗ (S. 607),
fang der Ahorn und
zwanziger Lindau und
ahre un— die Ruine
Ba Yahr: Rurlalon in Iſchl (6. wi), Nilden:
hunderts ſtein haben
ein ſtiller, auf die Salzerzeugung als Haupt—
erwerbszweig angewieſener Markt geblieben.
Dann haben es die Bemühungen einzelner,
wir haben daraus bereits des Doktors von
Wierer gedacht, und die Errichtung eines Sol—
bades aus ſeiner Verborgenheit gezogen, die
Paſſionen der neueſten Zeit aber raſch gefördert.
Jedoch trotz des zuletzt rieſigen Aufſchwunges
kann es nicht ein Emporkömmling ohne eigenes
Verdienſt genannt werden. Denn daß die Neu—
zeit ihre Protekticn gerade ihm in erſter Linie
angebeihen lief und läßt, verdankt es doch nur
ſich ſelbſt, das heißt feiner herrlichen Natur.
wir neuerlich befucht. — Stets? haben uns die
landfchaftlihen Schönheiten Iſchls von neuem be:
geiftert und der Abſchied von ihm würde uns aud)
noch jetzt recht fchwer werden, wenn wir nicht
wüßten, daß uns ftatt der verlorenen nicht went:
ger preiswürdige Naturgenüfle erwarten. Und
fo verlafjen wir denn bei guter Stimmung Iſchl.
Unfere Nichtung iſt eine weſtliche, denn es
gilt zunächſt dem St. Wolfgangjee.
Zwei Wege führen durch das ziemlich breite
grüne Thal der Jichl an ihn. Auf der Poſt—
ſtraße nad) Salzburg erreicht man das an feinem
| jüdöftlihen Ende liegende Strobl. Sie läuft
604
mehrmals an der hellen Iſchl hin, einem fehr
furzlebigen Flüßchen, weil ja erft der Abfluß
Piannhaus in Ih! (6. an).
des Waſſers aus dem See den Namen cl
führt und, wie wir wiſſen, die Iſchl ſchon im
Meichbilde des Marktes Iſchl in die Traun
mündet. Von Strobl fährt das Dampfſchiff in
einer Viertelftunde nah St. Wolfgang, dem
größten und intereffanteften Orte unſeres Sees.
Die andere Straße trennt ſich etwa eine halbe
Stunde außerhalb Iſchls von der Poſtſtraße und
zieht fich nördlicher als diefe an den füdlichen
Ausläufern des vom Schafberg nad Oſten
zwijchen den Weißenbächen im Norden und der
Iſchl im Süden ftreihenden Gebirgszuges, wo:
von uns die Ziemit, der Leonsberg der General:
ftaböfarte (1743 m), wieder vom Salzfammer:
gut her bekannt ift, unmittelbar nad) St. Wolf:
ang.
: Auf beiden Straßen erſchließt fih mehr
und mehr der Anblid der formenreichen Ge:
birge auf der Sübfeite und aller Einzelheiten
des nahen Schafbergs.
St. Wolfgang nimmt den Naum am un:
terften Ende des Schafbergmafjiwes ein und
gewährt an den gegen den See offenen Punkten,
vornehmlich auf dem erhöht liegenden Kalvarien—
berge einen vortrefflihen Ueberblid des Sees,
welchen letzteren wir nun in das Auge fallen
wollen.
Der St. Wolfgang: oder Aberfee ijt von
Nordweiten nad) Südoften orientiert. Seine
Länge wird mit 11 km, die Breite mit 2 km,
Anton von Nuthner,
die Tiefe mit 113 m angegeben. Sein mäd:
tigiter Zufluß, der aus dem füblihen Ge—
birge ihm zueilende Zinfenbah, hat
jedod) etwa in der Hälfte der Längen—
linie eine Halbinfel von folder Größe
angeſchwemmt, daß der dadurch verengte
Waflerfpiegel hier nur mehr einem
breiten Fluſſe gleicht und die oben an—
geführte Breite bloß auf den links und
rechts von diefer Einfchnürung ſich aus—
breitenden jüböftlihen unteren und
nordweſtlichen oberen Seeſpiegel be—
zogen werden kann.
Die Nordſeite wird ganz vom
Schafberg (1780 m) überragt. Er
ſenkt fih in Fels und Wald zum See
herab, am ſanfteſten in den ſüdöſtlichen
Teilen gegen den Markt St. Wolfgang,
am fteilften im Südweften, wo er mit der
Falkenſteinwand in den See abftürzt.
Am öftlichen Ufer fällt nördlich bei
Strobl das Bürgel, einer jener abge:
rundeten Felskegel, auf, wie folde als wahre
Seeriegel am Ausflug mander Seen, z. B. am
Königs: und Kochelfee in Bayern, am Wocheiner⸗
Atsienhotel in Icht S anıı,
fee in Krain vorfommen. Die Kirche und
Häufer des ihm benachbarten Strobl nehmen
ſich freundlich aus,
N
- — a TIONIZeU BY RIOOTTE
— — — — — — 7
—* — — — — — —
— — —
m — —
|
Oberöfterreichiiche Scen,
Den Hauptihmud des Sees bildet deſſen
füdlihe Umrandung. Dort türmen ſich über
niedrigeren Vorhöhen in freier Gliederung die
markierten Geſtalten einer Anzahl Hocipigen
aus jener Gebirgsgruppe, mweldhe den Raum
einnimmt zwilchen dem Salzahthal vom Ein:
fluß der Lammer in die Salzach bei Golling bis
zur Stadt Salzburg im Weſten und dem Traun:
thal von der Mündung des Goſaubaches in den
Hallftätter See bis
Iſchl im Diften,
dann zwijchen der
von der Stadt
Salzburg am Fu:
ſchel- und Wolf:
gangjee vorbei nad)
Iſchl führenden
Straße im Norden
und dem Gofau:
bah von feiner
Mündung bis hin:
auf in das Thal
Gojau, der aus
diefem über den
Pag Gſchütt nad)
Rußbach Führen:
den Strafe, dem
Laufe des Ruf:
baches bis zu fei-
nem Einfluß in die
Sammer und dem
letzteren Fluſſe bis
zu feiner Mündung
L
605
ihres weitaus größten Teiles im Herzogtum
Salzburg, zu fein, und er wird bei ihrer fpäteren
Erwähnung aud nur ihn gebrauchen.
Aus diefer Gruppe treten num ſüdlich vom
Wolfgangfee vor allem hervor: der zu oberft fich
in ein feines Horn zufpigende Sparber (1499 m),
die mafjivere Pledwand (1538 m), und bie
wegenihrer Wandbildungen unerjteiglichicheinen:
den Berge der Rettenfogel (1778m) und Rinn—
fogel (1821 m).
In St. Wolfgang
und feiner nächſten
Umgebung, aber
auch ſonſt nirgends
am See, erblidt
man außer dieſen
Nedengeftalten
noh den Kulmi—
nationäpunft der
Gruppe, das
Gamsfeld, welches
dräuend mit feinem
folofialen nörd—
lichen Felsabiturze
in der Wilden Kam⸗
mer zwijchen den
zwei Riefenpfeilern
Sparber und Pleck—
wand in fernem
Hintergrunde em—
poriteigt.
Auf der Weit:
feite des Sees end:
in die Salzach im lih ziehen vom
Süden. Be, Zmwölferhorn mäßig
Aeltere Geo: Sol Konten Bahia hohe Bergrüden
graphen haben dieſe hinter St. Gilgen,
Gruppe die des welches gegenüber
Hochzinken genannt, in nicht zutreffender Weiſe,
weil nicht der 1762 m hohe Hochzinken, ſon—
dern das Gamsfeld (2024 m) der fulminie-
rende Gipfel in ihr iſt. Noch unglüdlicher find
neuere Geographen mit der Bezeichnung Iſchler
Gebirge. Denn mindeftens fünf Sechsteile
aller Erhebungen der Gruppe gehören dem
Yande Salzburg an, und welche Beziehung zum
Fluß oder Markt Iſchl läßt fih 3. B. vom
Gaisberg bei Salzburg oder vom Schlenfen
und Schmidenftein bei Hallein auffinden?
Dem Berfafler jheint vielmehr Nordöftliche |
Zalzburger Kaltalpen der zwedmäßigite Name
für die Gruppe, und zwar wegen der Lage |
Strobl das norbweitlihe Ende des Sees beſetzt
hält (5. 610), von St. Wolfgang aber wegen
der nächſten Vorſprünge des Nordufers nicht
fichtbar ıft, zu der weitlichen Verlängerung des
Zuges des Schafbergs, und an fie fchließt ſich
wieder diefer Berg jelbit an.
Der Wolfgangfee fann zu den oberöfterrei:
hifchen, aber nod) richtiger könnte er zu den
Salzburger Seen gerechnet werden. Die Lan:
desgrenze zwiſchen Oberöſterreich und Salzburg
iſt nämlich von dem ſüdlichen Gebirge etwa auf
dem halben Wege zwiſchen Iſchl und Strobl an
das Flüßchen Iſchl herabgelangt. Von da geht
fie den Yauf deöfelben aufwärts bis zu feinem
— “
ized by GOOS)
606 Anton von Ruthner.
Ausflug aus dem Wolfgangſee, durchſchneidet
dann diefen leßteren in nordweitlicher Richtung
bis zu dem gegenüber der Mündung des Zinfen:
baches und weftlih von St. Wolfgang gele:
genen Vorsprung des nördlichen Ufers, von mo
fie fi auf dem Schafbergftode nördlich, hierauf
in einer weiten Ausbiegung gegen Dften, dann
aber wieder nordwärts hält, um bei Weißen—
bad) das füdliche Ufer des Atterfees zu gewin—
nen. So gehört bloß der Heine norböftliche |
Winkel des Sees bei St. Wolfgang mit dieſem
zu Oberöfterreih, der ganze übrige See zum
Herzogtum Salzburg, in deſſen Gebiet aud) die
Spibe des Schafbergs fällt.
Wir werden von den landſchaftlichen Neizen
bes St. Wolfgangfees fpäter zu fprehen kom: |
men und fehen uns zunähft im Marlte St.
Wolfgang um (S. 608).
See und Markt haben ihren Namen nad) dein
heil. Wolfgang, Biſchof von Regensburg, erhal: |
ten, welcher im 10. Jahrhundert
als Einfiedler durch fünf Jahre auf
dem nahen Falfenftein (S. 610)
und an der Stelle, wo gegenmwär:
tig der Markt fteht, gelebt hat.
Der Heine Markt von 526 Ein:
wohnern gruppiert fich mit feinen
meijtenteil3 alten Häufern um
einen Hügel auf unebenem, gegen
den See geneigten Terrain. Dort,
wo der See und die Bergipigen
darüber in die Wohnungen herein-
ſchauen, auf der Beranda bes
Hotel Grömer und des etwas
höherund auswärts an der Iſchler ’
Straße im Schweizerftil erbauten —*
neuen Hotels (Peterbräu?), in
dem ſtattlichen Pfarrhofe und dem
Schloſſe läßt ſich gut ſein; in den alten Häuſern
in den engen abſchüſſigen Gaſſen ohne den Aus—
blick auf Berg und See möchten wir nicht wohnen.
Den Pfarrhof und die Pfarrkirche hat das
Stift Mondſee erbaut, welches die Pfarre und
das Dominium ſeit uralten Zeiten beſeſſen hat.
Im Pfarrhof hat ſich Kaiſer Leopold J. vor
gerade 200 Jahren (im Jahre 1683), während
der Belagerung Wiens durch die Türken bis
zur Befreiung desſelben durch Karl von Loth—
ringen und Johann Sobieski aufgehalten. Die
Pfarrkirche, einſt Probſtei- und vielbeſuchte
Wallfahrtskirche, ſtellt ſich in ihrer heutigen
Erſcheinung als ein Bau aus dem 15. Jahr—
hundert dar. Gewährt fie als folder In—
terefje, jo nimmt ihr großer Flügelaltar unfere
volle Bewunderung in Anfprud).
Derfelbe bildet ein ftehendes Oblong von
etwa 40 Fuß oder über 12 m Höhe. Ueber
dem mit doppelten Flügeln und darauf mit
altdeutfchen Gemälden auf Goldgrund ver-
jehenen Mitteljchrein, in welchem wir die figu—
2
SER
>
wi ae
4 Giplanabe im
Rs (6. 603).
’
Hapelle auf bem Iraumquai.
ralen Darjtellungen erbliden, ſteigt der pracht—
volle gotische Aufbau empor. Auch die Altar:
ftaffel iſt reich geſchmückt, alles, Figuren,
Gemälde, Ornamentif, gleich ausgezeichnet.
Als Zeit der Vollendung des Altars gilt
das fahr 1481, als der Künſtler desfelben der
berühmte Michael Pacher aus Brauned (Bru:
neden) in Tirol. Die Gemälde fchreibt man
dem Wohlgemuth zu.
Oberöjterreich erfreut ſich noch eines zweiten
‚ vielgepriefenen Flügelaltars, Ddesjenigen zu
Käfermarkt in dem im Norden der Donau ge:
legenen Teile des Landes, dem fogenannten
| Mühlviertel.
‚ Oberöflerreichifche Seen. 607
umb mein bye ſollen pey
diffen waſſer frellih fein.
Anno den 1515 jar ift das
werk volpracht gott fey ge—
lobt." Ein Sprucdband be:
zeihnet dann noch Meifter
Lienhart Rannacher, Stadt:
brunnenmeifter aus Paſſau,
al3 den Künstler. Das Kunft:
werf zeigt, obgleich es in ber
Hauptform ber Nenaifjance
angehört, doch in den Details
noch viel von der zur Zeit
feines Entjtehens zu Ende
gehenden Gotik.
Der Beſuch der Kapelle
Pollad Plan am Retteubah
bei Iſchl (5, quak
Kunſtlenner haben ſchon
oft den Vergleich zwiſchen
dieſen zwei in ihrer Art bedeutendſten Kunſtwerken
des Landes gezogen, und derſelbe fällt immer zum
Vorteil des St. Wolfganger Altares aus. Dabei
wird nicht in Abrede geſtellt, daß der Käfermarkter
Altar in den oruamentalen Teilen reichhaltiger und
in den Hauptdimenſionen ausgedehnter iſt, dafür
die Konzeption und Durchführung der Details beim
Wolfganger weit vorgezogen und beſonders hoch—
gehalten, daß ſich bei ihm eine organiſche Ent—
wickelung des Grundriſſes mit dem Aufriſſe bis
zur letzten Spitze hinauf kundgibt.
Im Innern der Kirche bemerken wir noch die
Kapelle des heil. Wolfgang mit ſeinem Bußſtein,
ein angeblich von ihm herſtammendes Paſtorale und
andere mit ihm in Verbindung gebrachte Gegen—
ſtände, auch ſind ein Evangelienbuch aus dem
12. Jahrhundert und ſchöne Kelche vorhanden.
Ein gleichfalls namhaftes Kunſtwerk iſt der vor
der Kirche nahe ihrem Haupteingang unter einer
eigenen, von vier Säulen getragenen Bedachung
ſtehende, aus Blei gegoſſene Brunnen (S. 608).
Der auf hohem Sockel ſich erhebende Schaft, an wel—
chem die ziemlich flache, kreisrunde Schale von fünf
Fuß zwei Zoll Durchmeſſer befeſtigt iſt, ſetzt ſich aus
der Mitte der Schale nach oben fort, und hier ſpru—
delt das Waſſer aus vier Löwenköpfen in die Schale.
Zu oberſt trägt er die Statue des heil. Wolfgang.
Sockel und Schaft ſind mit Figuren, Ornamenten
und Wappen geziert, die Schale aber enthält auf
der Außenſeite Ornamente, Spruchbänder, Wappen
und um den Außenrand die Inſchrift: „Ich pin zu
den eren ſannkt wolfgang gemacht abt wolfgang
haberl zu manſee hat mich petracht zu nutz und zu
framen den armen pilgrumb dye nit haben gelt
Anton von Nuthner,
und Einfiedelet Salzfammer:
des heil. Wolf: gutes, in Ober:
gang auf dem — ſteyermark, im
Falkenſtein em— 3" A Salzburgifchen,
pfiehlt jich we * EEE ; vorzüglich über
ak. Et. Wolfgang am Wolfgangier (6. 606). —
len Landſchafts⸗ Kalkalpen, und
bilder und prächtigen Ausſicht, die man dabei
genießt.
Von St. Wolfgang wird der Schafberg (S.
609) am häufigſten beſtiegen. Man erreicht
das auf der Spitze erbaute Hotel Grömer auf
guten Wegen in drei Stunden.
Der Berg wird der öſterreichiſche Rigi ge—
nannt, und die Ausſicht von ihm gewährt unbe—
ſtreitbar einen hohen Genuß, weil ſie ungemein
maleriſch iſt. Den Hauptreiz verleiht ihr die
Sichtbarkeit von mehr als einem Dutzend Seen,
und auch denjenigen, der nicht für entſcheidend
hält, wie viel Seen, von denen ja ohnehin die
entfernteren ſelbſt unter günſtigen Verhältniſſen
bloß als leuchtende Flächen zur Ausſichtswarte
heraufſchimmern, er geſehen hat, wird der Blick
auf die um den Fuß des Berges ſich ausbrei—
tenden großen Seen, den St. Wolfgang-,
Mond: und Atterſee, entzücken.
Außerdem reicht die Ausſicht außeror dent—
lich weit über das flache Land von Oberöſterreich
hinein nach Niederöſterreich und Bayern und
erſtreckt ſich über zahlreiche Gebirge in Oeſter—
reich, hier am vollſtändigſten über die des
in den öſtlichen Teilen von Bayern. Dafür iſt
dem Berge infolge ſeiner Lage am Nordrand
der Alpen eine bedeutendere Gletſcherſchau ver—
ſagt. Nur der nahe Dachſtein tritt imponierend
als Vertreter der Firnwelt auf und nebſt ihm
erzielt noch das Eisfeld des Ewigen Schnee—
berges bei Werfen eine nachhaltige Wirkung.
Dagegen vermögen die wenigen ſichtbaren Glet—
ſcher aus den Hohen Tauern um Gaſtein als zu
entfernt nicht einen größeren Eindruck hervor—
zubringen.
Danach iſt der Ruf des Schafbergs als eine
vorzügliche Ausſichtswarte ein wohlverdienter,
daß er aber als eine einzige, unerreichte geprieſen
wird und die Thatſache, daß kaum ein zweiter
Berg in den öſterreichiſchen Alpen ſo oft be—
ſtiegen wird als er, finden ihre Erklärung, und
zwar die letztere dadurch, daß er in der Nähe
des vielbefuchten ich! liegt, daß man auf ihn
leicht, ja jelbit ohne eigene Anftrengung reitend
oder im Tragjeljel gelangen kann, und daf auf
der Spitze, und zwar jchon feit einer Reihe von
Jahren, ein gutes Gafthaus bejteht (S. 609),
das übertriebene Lob jedoch dadurch, daß die
|
©beröfterreichifche Seen. 609
Befucher, namentlich diejenigen von Iſchl aus, | welchem bloß die drei Orte Strobl, St. Wolf:
zum großen Teil noch nieauf einem hohen Berge | gang und St. Gilgen liegen, zu einfam iſt.
geitanden haben und ihre Reife auf den Schafberg Sind wir am Heinen Leuchtturm (S. 610)
für eine heroifche Leiſtung, und was fie aufihm | nächſt St. Wolfgang vorbei, jo breitet ſich der
gejehen haben, fiir das Unerreichbarite halten. | nordweftlihe Teil des Seebedens vor ung
Unjer Schaf:
berg kann übri:
gend auch die
Freunde von
Höhlenwande:
rungen zufrie—
denftellen , weil
mehrere Höhlen
in jenem Maj:
fiv eingetieft
find. Als die
großartigite
darunter, allein
auch als ſchwer
zugänglid), wird
das nur eine
halbe Stunde
füblich vom Gip⸗
felliegende, erit
in der neueiten
Zeit genauer
durchforſchte
Wetterloch mit
reichen Stalak—
titenbildungen
und domartigen
Näumen be:
zeichnet.
Jetzt aber be:
fteigen wir das
Dampfſchiff zur
Fahrt über den
Eee bis an jein
nordweſtliches
Ende bei St.
Gilgen(S. 610)
Die verſchiede—
nen Motive um
den See, vor—
nehmlich die kühnen Spitzen des Gebirges über
dem ſüdlichen Ufer und die Buchten der Nordſeite,
aus. An der
Felswand des
Falkenſtein er—
freut das ſieben—
bis achtfache
Echo. Dann
blickt das Hoch—
— zeitsklreuz vom
— nördlichen Ufer
in Die Flut her:
ab. Es ſoll zur
Erinnerung
daran errichtet
worden ſein,
daß bier eine
auf dem gefror-
nen See tan:
zende Hochzeits⸗
gejellihaft im
Anblick der
Spielleute,
welche am Ufer
an ficherer
Stelle, dort, wo
jebt das Kreuz
ſteht, ſaßen, ver:
ſunken iſt.
— —
— T er er ‘
DaF ten ÄT A N TEEN
ei =:
Shafbergfipige mit bem Golel römer (S. 608). Ultea Bafitaud auf dem Sähafberg.
Das nächſte Denkmal, eine Heine Kapelle auf
einem rings vom Waſſer umfpülten Felsgrunde,
gruppieren fich zu immer neuen, immer über: | wieder nahe dem Nordufer, das Ochſenkreuz (S.
rafchenderen Bildern, und diefer Wechjel der | 610), verewigt ein wenig tragijches Ereignis!
Scenerie, der Umstand, daß doch ftet3 ein oder | Ein Metzger foll auf der Strafe am füdlihen
das andere Objekt am Ufer uns befchäftiat, und | Seeufer einen Ochfen getrieben haben, diejer
wohl auch die kurze Dauer der Fahrt lafien das | fcheu geworden und in den See gejprungen, der
Gefühl nicht aufflommen, daß unfer See, an , Metger ihm nachgeſprungen fein, und, um ihn
Anton von Ruthner.
zurüdzuhalten, ihn
am Schweife ge:
faßt haben. Das
Yyurüdhalten ge: =
lang aber nicht,
vielmehr ſchwamm
der Ochſe, durch feinen Hintermann vollends
in Schrecken gejeßt, und dieſen, der fih, um
nicht unterzugehen, nur um jo mehr am
Schweife fefthielt, nad) fi ziehend über den
See der ganzen Breite
— nach, bis beide an der
Stelle des Od:
— 5“ ſenkreuzes
mwohlbehalten,
wenn aud er:
mübet, wieder
feften Grund
unter ſich fühl:
ten. — Schon
hat fi, aber:
mals auf dem
nördlichen fer,
die reizende
Bucht des Fürber:
ges, welde dem
Dampficiff als
Winterhafen dient,
vor uns aufaethan,
find wir an den Ge—
bäuden des Bräu—
hauſes Lueg am
ſüdlichen Strande
vorbeigekommen
und nun treffen wir
nach einer Fahrt von 36 Minuten in St. Gil—
gen ein.
Der unbedeutende Ort intereſſiert uns einzig
und allein wegen ſeiner reizvollen Lage am
See und ſeines vorzüglichen Blickes auf den
Srurhtturm
am Moltgangiee
(8, us,
Chhlentreus.
Landungeplag am MWolfgangter.
Oberöfterreichifche Seen.
Et. Gilgen (6. 604).
weitlihen Teil bei:
jelben. Wir ver
lafien ihn auch fo-
gleih und fteigen
auf der Salzbur:
ger Poititrage,
welde von Strobl am füdlihen Ufer und
nachdem fie an der Halbinfel des Zinkenbachs
vorbei ift, fortan hart am Geſtade hierher ge:
langt, den Scheiderücken zmifchen dem St.
MWolfganger und Fuſchelſee hinan. Es ift
und nämlich befannt geworden, daß fich dort
oben ein Landſchaftsgemälde erſchließt, fo herr:
lid, wie wir deren sans phrase ſelbſt in un-
feren herrlihen Alpen nur wenige zu finden
wüßten.
Da ſehen wir denn uns zu Füßen am Weit:
ande des Sees auf grünem Grunde die Häufer
von St. Gilgen um die Kirche, deren ſchlanker
Turm hod) emporragt, gelagert. Bon dort nad)
Oſten überbliden wir den reizenden lichtgrünen
See feiner ganzen Länge nad) mit allen feinen
Landzungen und Buchten. Das Maffiv des Schaf:
bergs, dejjen Spite mit dem Hotel fi nicht
länger verbirgt, thront im Norden über ihm.
Ueber dem öftlihen Ende aber, an welchem der
freundliche Kegel des Bürgels und die Kirche
und Ortichaft Strobl im Sonnenlicht glänzen,
dann über dem daran fich reihenden Thale
der Iſchl gruppiert fich in vorteilhaftefter Meife
das Iſchler Gebirge bis weit die Traun abwärts
| und vervollitändigt mit den auf der Südſeite
des Tees über den Vorhöhen, und hie und da
durch Schluchten unterbroden, in den fühnften
Normen himmelanftrebenden Hochſpitzen den
maleriſchen Rahmen des entzüdenden Bildes.
Wir verfennen es nicht, daß man bei Beur:
teilung von Seen und überhaupt von Natur:
ichönheiten nicht dem oder jenem oder der oder
jener wie dem Schüler einer Klaſſe aegenüber
N
Sriedrich von Weeh. Das rote Kreuz in Deutfchland.
611
feinen Mitfhülern den erften, zweiten u. f. m. | willigen zu ben amtlichen Organen der Ver:
Platz anmweifen fann. Selbit vorausgeſetzt, daß
der Beurteilende die verglichenen Objekte voll:
fommen fennt, fie insbeſondere bei jeder Be:
leuchtung gejehen hat, baher ganz unbeeinflußt
von dem Eindrude ift, welchen er hier bei gün—
ftiger Witterung, dort bei ungünftiger empfan:
gen hat, bleibt das Urteil immer ein jubjektives,
weil eben jeder fich ſelbſt und in feiner Art den
Begriff des Schönen gebildet hat.
Nur unter diefer Nejerve des fubjektiven
Eindruds erflärt der Verfaſſer, daß ihm ber
Wolfgangfee unter den größeren Seen Ober:
öfterreih®, jene des Salzkammergutes inbe-
griffen, an landichaftliher Schönheit mit dem
Traunfee obenan fteht. Zwar fehlen dem Wolf:
gangjee die Orofartigfeit des Traunfees und
bie nicht leicht anderswo wieder anzutreffenden
Gegenjäge im Charakter der Ufer desfelben, an
nicht etwa Fleinlicher, fondern hoheitsvoller An:
mut und an überrafchenden Gebirgsformen ba:
gegen fommt er dem Traunfee mindeftens gleich.
Das rofe Kreuz in Deutfhland.
Bon
Friedrid von Weed.
—
Ye dem blutgedüngten Schlachtfelde von Sol:
ferino ift eine mächtige und fruchtbare An:
regung auögegangen, Das verjühnende Werk
der Menjchenliebe, das in unfern Tagen dem
Mänrer mordenden Kriege zur Seite geht,
wird unter der Flagge des roten Kreuzes im
weißen Felde ausgeübt. Dies ift das Symbol,
welches gleichzeitig an die Religion der Liebe
‘ und an die Nationalität des edeln Menfchen:
freundes erinnert, deſſen raftlofem Eifer die
Neutralifierung der Berwundeten und Kranken
— eine der höchſten Errungenschaften unferes
Sahrhunderts — zu verdanfen iſt.
Die Löfung der Aufgaben, welche durch die
Vorfchriften der Genfer Konvention den Sa:
nitätsbehörben der Armeen geftellt find, erheifcht
eine ſolche Aufbietung von Kräften, daß die
regelmäßigen amtlihen Organe nicht ausreichen,
fondern fich durch Hinzuziehung von Freiwilligen
verftärfen müfjen. Das Verhältnis diefer Frei:
wunbeten: und Krankenpflege darf aber Fein
willfürliches fein, fondern muß feſten Normen
unterliegen, wenn nicht die ſchlimmſten Ver:
wirrungen entftehen follen.
Für das Deutfhe Reich hat Se. Majeftät
ber Kaiſer und König am 10. Januar 1878 eine
Kriegs:Sanitätsordnung erlaffen, welde vie
Aufgaben der amtlichen wie der freimilligen
Krankenpflege im Felde feitftellt. Für das könig—
lich bayerische Heer ift eine in allen wefentlichen
Punkten diefer Verordnung entſprechende Ver—
fügung am 10, Februar 1879 ergangen.
Durh die Kriegs-Sanitätsordnung von
1878 ift vermutlich für einen längeren Zeitraum
die Grundlage fejtgejtellt, auf welcher fich, im
engften Zufammenhange mit der amtlichen
Krankenpflege und in ftrengjter Unterordnung
unter diejelbe, die freiwillige Krankenpflege zu
bethätigen hat.
Es war daher eine durch die Natur ber
Verhältniffe vorgefchriebene Aufgabe der zu den
| Zweden der freiwilligen Kranfenpflege ver:
bündeten deutfchen Vereine vom roten Kreuz,
| eine ſyſtematiſche Anleitung für das Wirken
diefer Vereine im Kriege wie für deren vorbe-
reitende Thätigfeit im Frieden ausarbeiten zu
laſſen.
Ihre Majeſtät die deutſche Kaiſerin und
Königin von Preußen, die erhabene Protektorin
der humanitären Beſtrebungen, die unter dem
Zeichen des roten Kreuzes gepflegt werden,
hat zur Förderung einer ſolchen Arbeit einen
Preis ausgeſetzt, und von drei durch das Central—
fomitee der genannten Vereine bezeichnete Preis:
richtern, zu denen der Verfaſſer diefer Zeilen zu
gehören die Ehre hatte, wurde einftimmig die
Arbeit des königlich ſächſiſchen Regierungsrates
Friedrih von Criegern als des Preiſes
würdig erflärt.
Dieſem vortrefflihen Werke!) folgen wir
hier bei dem Verſuche, in der durch den Charafter
diefer Monatsjchrift vorgefchriebenen Kürze ein
Bild der Funktionen und Zuftändigfeiten der
Drgane der freiwilligen Kranfenpflege zu ent:
werfen.
*) Das rote Kreuz in Deutfchland, Handbuch
der freiwilligen Krankenpflege für die Kriegs: und
vorbereitende Friedenäthätigfeit von Friedrich
von Griegern. Gefrönte Preisichrift. Leipzig,
Verlag von Veit u. Comp. 1883. XIV u. 282
Seiten.
77°
: 612 Sriedrich von Weech
Die freiwillige Krankenpflege hat feine felb:
ftändige Stellung. Sie ift dem ftaatlichen Orga—
nismus eingefügt und wird von ftaatlihen Be—
hörden geleitet. Sie hat lediglich an der Er-
füllung der Aufgaben, welche der amtlichen
Krankenpflege geitellt find, mitzumirfen.
Es ift daher unerläßlich, fich mit den gel:
tenden ftaatlihen Vorjchriften über die Kranken:
pflege im Kriege befannt zu machen. Den ge:
famten Sanitätsdienit auf dem Kriegsſchauplatze
leitet der Chef des Feldfanitätswefens. Ihm
unterftehen ein Armeegeneralarzt bei jedem
Armeeoberfommando, ein Corpsgeneralarzt (mit
fonfultierenden Chirurgen) bei jedem General:
fommando, ein Divifionsarzt bei jeder Divifion,
ein Etappengeneralarzt bei jeder Etappe und
eine ber Zahl der Armeecorps entiprechende
Anzahl von Feldlazarettdireftoren.
Auf dem Schladhtfelde erhalten die Ver:
wundeten bie erjte Hilfe durch die Truppenärzte
und die denjelben unterftellten Zazarettgehilfen
auf den Truppenverbandplägen. Dorthin wer:
den fie durch Hilfskranfenträger verbracht, welche,
den Truppen entnommen, durch eine rote Arm:
binde fenntlich find und nicht unter dem Schuße
der Genfer Konvention stehen.
Die nächſte Organifation bilden die Sa:
nitätöbetachements, deren jedes mobile Armee:
corps drei, jede Nefervedivifion eines befitt. |
Sie errichten einen Hauptverbandaplak und
laffen dorthin dur die ihnen zugehörigen |
Kranfenträger die Verwundeten verbringen.
Non da werden diefe nad) den Feldlazaretten
geſchafft. Jedes Armeecorps hat zwölf Feld:
lazarette für je 200 Verwundete und Krane.
Diefe etablieren fih womöglich in Gebäuden,
eventuell in Zelten und Baraden. Hier werden
durch die Kranfentransportfommiffion vier Kate:
gorieen gebildet: Leichtfranfe und Schwerkrante,
Leichtverwundete und Echwerverwundete.
Wer von diefen transportiert werden fann,
wird in Fahrzeugen, welche mit der erforder:
lihen Strohſchüttung verfehen fein müfjen, zur
nächſten Eifenbahnftation verbradt. Damit ge:
langen diefelben in den Bereich der Etappen:
injpeftionen. In diefem werden bie Leichtkranken
und Leichtverwundeten in den Leichtkranfen:
fammelftellen vereinigt und, ſoweit ihre rafche
Heilung zu erwarten jteht, biß zur Genefung
und Wiederentlaffung zu ihrem Truppenteil, in
den Etappenlazaretten untergebradt. Jene,
bei denen eine raſche Wiederherſtellung nicht in
Ausfiht jteht, werden in Kranfenzügen der Hei:
mat zugeführt.
Im Rayon der Etappen befinden fich ferner
die jtehenden Kriegslazarette, welche in ber
Regel bejtimmt find, die Mblöfung und ben
Erſatz der Feldlazarette zu bemwirfen und nur
ausnahmsmeife auh unmittelbar Kranke und
Verwundete aufnehmen dürfen.
Um die Anhäufung von Kranfen und Ber:
wundeten zu vermeiden und für Die neuen Zu:
gänge immer Platz offen zu Halten, ift ein forg-
fältig organijiertes Evakuationsſyſtem einge:
richtet. Die Schwerverwundeten und Scmer:
franfen, welche nur liegend transportiert werben
fünnen, werden in Lazarettzügen befördert,
welde eine gejchlofjene Formation mit einem
etat3mäßigen jtändigen Perfonal und Material
bilden und im Inlande aus dazu geeigneten
Wagen zujammengeftellt werden, die ſchon im
Frieden dazu vorbereitet find. Wenn fie für
den Bedarf nicht ausreichen, können Hilfe:
lazarettzüge gebildet werden, in denen Lage:
rungsvorrichtungen improvifiert werden. Diefe
beiden Kategorieen werden auch unter ber Bezeich:
nung Sanitätszüge zufammengefaßt. In ſolchen
Zügen dürfen Leichtverwundete und Peichtfranfe
nicht transportiert werden. Für diefe, Die fich,
wenn auch mit Unterftügung, in ben Wagen be:
geben und in fißender Stellung fahren fünnen,
werden aus gewöhnlichen Perfonenwagen Kran:
fenzüge zufammengeftellt. Um die Anftrengun:
' gen der Fahrt zu vermindern, werden für Diefe
| Züge Uebernachtungsſtationen eingerichtet.
In der Heimat, d. h. im Bereiche der Be:
ſatzungsarmee und der jtellvertretenden General:
fommandos, bildet der Chef der Medizinal-
abteilung im Kriegäminifterium die Spite des
amtlichen Sanitätädienftes, bei den ftellvertre:
tenden Generalfommanbos aber ber ftellvertre:
tende Generalarzt. Die vom Kriegsſchauplatz
fommenden Verwundeten und Kranfen werden
| in die Nefervelazarette verbracht, deren Errid:
| tung von den jtellvertretenden Kommanbobehör-
den angeordnet und in denen ein Chefarzt die
' Pflege der Verwundeten leitet. Wo ſich mehrere
Lazarette befinden, find Nefervelazarettdirektoren
beftellt. Diefe leiten den Transport vom Bahn:
hof nad) den Refervelazaretten, die Verteilung
der Verwundeten und Kranken unter diefe, deren
Entlaffung entweder als geheilt oder als dienſt⸗
unbrauchbar oder zu weiterer Behandlung in
Bereinslazarette ober Privatpflege.
Das rote Kreuz in Dentichland. 613
Zur Ergänzung der für den Sanitätsdienft | Deren Angehörige treten indes alsbald abfolut
im Felde erforderlichen Gegenftände, fomweit die: ! unter militäriihes Kommando und unter die
felben nicht im Feindesland durch Requifition | Herrfchaft der Disciplinarftrafordnung für das
oder Ankauf befhafft werben fönnen, beftehen | Heer und verlieren fomit den Charakter frei:
Lazarettrefervedepotö. Jeder Etappeninfpektion | williger Helfer. Ebenfalld nur ausnahmsweiſe
ift ein folches zugewiefen. Jedes derfelben be: | fanıı bei den Feldlazaretten durch die Etappen:
figt zwanzig mit Train befpannte Fahrzeuge. | infpektionen die Mitwirfung von freiwilligen
Die Füllung der Lazarettrefervedepots erfolgt | Kranfenpflegern und Pflegerinnen geftattet
von den fog. Sammelftationen aus den dafelbft | werden. Diefes Perfonal unterfteht vollftändig
errichteten immobilen Güterbepots, bezichungs: | dem Chefarzt, von dem es jederzeit wieder ent-
weiſe deren eriter Seftion, die fpeciell zur Auf laſſen werben fann.
nahme und Bereitftellung der für den Sanitäts- Beim BVorhandenfein eines dringenden Be:
dienft erforderlichen Gegenftände beftimmt ift, | bürfnifjes fann endlich der Generalinfpefteur des
während die übrigen Seftionen derjelben Vor: | Etappen: und Eifenbahnwefens unter Vorbehalt
räte aller Art für die Armee und alle Heeres: | des Widerrufes die Errichtung einzelner Ver:
einrichtungen bereit zu halten haben. ‚ einälazarette auf dem Kriegsſchauplatze zulafjen.
Sehen wir nun, inmieweit bie freiwillige | Aus der, wenn auch nur ausnahmsweiſen, Ein:
Kranfenpflege berufen ift, an der Erfüllung der | fügung von freiwilligen Transportfolonnen in
Aufgaben mitzuwirken, welche dem amtlichen | die Sanitätödetachements folgt, daß ſolche Ko:
Sanitätödienfte gejtellt find. Die freiwillige | lonnen, allerdings auch nur ausnahmsweise,
Krankenpflege wird in der Kriegsfanitätsord: | au zum Transport von Verwundeten und
nung nirgends ausbrüdlich definiert, indes er: | Kranken aus den Feldlazaretten nad) den Eifen-
gibt fi) aus einer Reihe von Beftimmungen, | bahnen verwendet werden fünnen.
daß unter diefem Namen verftanden wird : eines: | Wie ſchon erwähnt, beginnt erft im Rayon
teild die Gejamtheit der Hilfsleiftungen an | der Etappeninfpeftion die regelmäßige Mit:
Material ꝛc., welche der Militärkrantenpflege | wirkung der freiwilligen Krankenpflege und zwar
durch Privatwohlthätigfeit zu teil wird, andern: | unter Zeitung des CEtappengeneralarztes mit
teild und vorzugämeife die Gefamtheit der Ber: | Hilfe des Delegierten bei der Etappeninfpektion.
fonen, welche, ohne Mitglieder des Heeres zu | Zum Dienste bei den Leichtfranfenfammelitellen
fein, an der Verwundeten: und Krankenpflege | und den Erquidungs: und Verbandftationen
im Kriege mitwirken, und zwar ſowohl Mitglie: | fowie in den Etappenlazaretten foll das Berfonal
der von Vereinen und Genoſſenſchaften ala aud) | der freimilligen Kranfenpflege herangezogen, die
Privatperfonen. \ Erfrifhungsftationen können felbft vollftändig
Diefe Gejamtheit wird, nad den Beftim: | von Organen ber freiwilligen Krankenpflege über:
mungen ber Kriegsfanitätsordnung, dem amt: | nommen und durch Delegierte des Faiferlichen
lichen Sanitätödienfte gegenüber allein vertreten | Kommiſſars geleitet werben.
dur den faiferlihen Kommiffar und Militär: In erheblicherem Maße ermeitert ſich das
infpefteur der freiwilligen Krankenpflege. Er | Feld der Thätigfeit der freimilligen Kranken:
wird vom Kaifer ernannt und bevollmädtigt, | pflege bei der Evafuation aus dem Bereiche der
die Gefchäfte durch von ihm zu ernennende De: | Etappeninfpektion nad) den Refervelazaretten.
legierte ausüben zu laſſen. Die Etappeninfpektionen teilen den einzelnen
Bei der Feldarmee fommt die freimillige | Transportlommiffionen Begleitperfonal aus der
Krankenpflege in der Regel nicht zur Verwen- | freiwilligen Krankenpflege zu, welche diefe nad)
dung. Sie hat ihre Thätigfeit zu entfalten im | Bedürfnis verwenden. Bei den Lazarettzügen
Rücken der Feldarmee, im Bereiche der Etappen: | wird dies nur ausnahmsweiſe der Fall fein,
infpeftionen und der ftellvertretenden Kom: | öfter wohl bei den Hilfälazarettzügen, während
manbobehörben in ber Heimat. bei den Kranfenzügen in ber Regel das Begleit:
Ausnahmsmweife fann bei den Sanitäts- | perfonal aus der den Transportlommiffionen
detachements der Anjchluß einer für die Ber: | zur Verfügung geftellten freiwilligen Begleit-
wundeten beftimmten Transportfolonne an die kolonne zu ftellen ift.
Armee im Bereiche der fechtenden Truppen von Auf Antrag des Faiferlihen Kommifjars
den Armeeoberfommandos geftattet werden. | fann der Generalinfpefteur des Etappen: und
614
Eiſenbahnweſens der freiwilligen Krankenpflege
geftatten, Zazarettzüge aus eigenen Mitteln zu
errihten und unter eigener Verwaltung und
Zeitung in den Dienft zu ftellen. Da ein folcher
Zug aus 41 Wagen zu beftehen hat, jo werben
ſich die Koften für Einrichtung und Betrieb fo
hoch ftellen, daß die freiwillige Krankenpflege
faum in die Zage fommen wird, von diejer Er:
mädtigung Gebrauch zu machen. Eher wird fie
veranlaßt fein, nah Bedarf Hilfslazarettzüge
einzurichten.
Im Herrſchaftsgebiete der ftellvertretenden
Generalfommandos bei der Bejaßungsarmee
wird bie freiwillige Krankenpflege auf Anord:
nung ber Nefervelazarettdireftoren bei dem
Transport der VBerwundeten und Kranken vom
Bahnhofe nah den Refervelazaretten ſich be:
teiligen fönnen, Für dieſe hat fie ausgebildete
Kranfenpfleger und Kranfenpflegerinnen bereit
zu Stellen und fann in denfelben einzelne Zweige
der Lazarettverwaltung, insbejondere der Wirt:
haft übernehmen. Selbjtändig kann fie Ver:
einslazarette (von mindeftens zwanzig Betten)
und Nefonvalescentenftationen errichten. Privat:
pjlegeanftalten dürfen nur folde Perſonen eröff:
nen, welche durch eine Beicheinigung des Vor:
jtandes eines vom Staate anerfannten Pflege:
vereines nachweiſen, daß fie für Die ordnungs—
mäßige Pflege der Aufzunehmenden (die indes
auf Nefonvalescenten beihränft find) voll:
jtändige Gewähr bieten.
Eine der wichtigſten Aufgaben der freiwil:
ligen Krantenpflege befteht in der Sammlung
und Zuführung der freiwilligen Gaben für die
Kranfenpflege und zwar ſowohl der Lazarett:
bedürfnifje als der Erquidungsgegenftände. Se
nad Ländern, Provinzen, Bezirken werben durch
den Ffaiferlihen Kommifjar im Einvernehmen
mit den jtellvertretenden Generalkommandos,
womöglich an oder in der Nähe von Etappen:
anfangsorten in Lazaretten der Militärverwal-
tung Annahmeftellen errichtet, von wo die ge:
fammelten Gaben an die ftaatlichen Güterdepots
gejchidt werben follen, Auch bei der Füllung
der Lazarettreſervedepots und noch in höherem
Make bei der Errichtung von Vereinsdepots
findet die freiwillige Krankenpflege Gelegenheit,
eine reihe Wirkſamkeit zu entfalten. Schließlich
hat fie noch die Aufgabe, Nachrichten über die
in den Zazaretten befindlichen Vermundeten und
Kranken an deren Angehörige zu vermitteln, fi
zu diefem Behufe in den Lazaretten, in denen
Stiedrich von Weech.
ihre Angehörigen thätig find, hilfreich zu er
weifen, als auch Nachweiſebureaus zu errichten.
Der faiferlihe Kommifjar und Militärinfpel:
teur der freiwilligen Krankenpflege, der, wie
ſchon erwähnt, die leitende Spite der freiwilligen
Krankenpflege ift und den Verkehr der einzelnen
Organe derſelben mit den Staatöbehörben und
der Armee zu vermitteln hat, bedient fih hierzu
jeiner Delegierten. Diefe wählt er vorzugsmeife
aus ſolchen Genofjenihaften und Vereinen,
welche jhon im Frieden den Zwecken der Kranken:
pflege fih gewidmet haben und berechtigt find,
dem faiferlihen Kommiffar Perſonen in Vor—
ſchlag zu bringen, mwelde fie zur Uebernahme
der Funktion von Delegierten für geeignet hal:
ten. Solche Delegierte werden auf Grund der
Beftunmungen der Kriegsfanitätsordnung jo:
wohl auf dem Kriegsfhauplage ala im Bereiche
der jtellvertretenden Kommandobehörden beftellt.
Alle Angehörigen der freiwilligen Kranken:
pflege, welchen die Ausübung einer Thätigfeit
auf dem Kriegsſchauplatze geftattet wird, müjjen
uniformiert fein. Durch eine befondere Verord⸗
nung ift vor einiger Zeit Schnitt und Farbe
diefer Uniform fejtgeftellt worden.
Eine jo umfangreihe und wichtige Thätig-
feit, wie fie den Organen der freiwilligen Kran:
fenpflege durch die Kriegsfanitätäorbnung ein:
geräumt ift, verlangt unfraglich ſchon im Frieden
eine wohlorganifierte Vorbereitung. Und diefe
wird am folgerihtigften von mehr oder weniger
eng und feſt gejchlofjenen Körperſchaften er-
wartet werden dürfen. Bezüglih der Dele-
gierten, die der Eaiferliche Kommiſſar und Mi—
litärinfpefteur ernennt, verweiſt ihn die Kriegs—
fanität3ordnung ausdrüdlic auf jene Vereine
und Körperfchaften, die ſchon in Friedenszeiten
fi) mit Krankenpflege befchäftigen. Das find
aljo die Zohanniter und Maltefer und bie
bayerifhen Georgiritter, die Diafoniffinnen und
barmherzigen Schweitern und die Vereine vom
roten Kreuz. Die Nitterorden werden wohl nur
Delegierte und bezahltes Pflegeperfonal ftellen
fönnen, die Frauenorden und die Vereine vom
roten Kreuz aber find in der Lage, eine große
Menge von freiwilligen Kranfenpflegern und
Pflegerinnen im meitejten Sinne des Wortes
im Inland wie auf dem Kriegsfchauplage zu
verwenden, aljo neben Delegierten und Depot:
verwalten, pflegenden Schweitern und Kranfen:
mwärtern auch mohlorganifierte und vollftändig
ausgebildete Transportlolonnen. Die Bereine
— —
Das rote Kreuz in Dentfchland.
vom roten Kreuz, an deren Spite ein in Berlin
tagendes Gentralfomitee fteht, in welchem Ber:
treter aller mit der Krankenpflege im Kriege ſich
befafjenden Vereine (nicht aber der Orden) Sit
und Stimme haben, find fo geartet, daß in
ihnen der Wille, für den Krieg ſchon im Frieden
vorbereitend thätig zu fein, ſich mit den hierzu
nötigen Mitteln vereinigt. Die große Zahl der
Frauenvereine bejchäftigt ſich vorzugsweiſe mit
der Ausbildung von Krankenmwärterinnen, wäh:
rend die Männervereine insbefondere den Unter:
richt für Anlegung erfter Verbände und für den
Transport von Werwundeten und Kranken,
ſowie die für ein auf dem Kriegsfchauplag in
Thätigfeit tretendes Corps unumgänglich) nötige
militärifhe Schulung ins Auge faffen. In das
Berliner Centralfomitee, das urfprünglid nur
aus Delegierten der Männervereine beftand,
find neuerdings auch Vertreter der oberften
Spite der Frauenvereine eingetreten, und aud)
die Kriegervereine, zunächſt Norddeutfchlands,
haben ihre Abgeordneten in dies Gentralfomitee
entfandt. In einigen deutfchen Ländern hat ſich
für Frauen: und Männervereine auch ſchon in
den engeren heimifchen Bezirfen eine organifche
Verbindung ergeben und fegensreich bewährt,
welche für die Männervereine und den vater:
ländifhen Frauenverein in Preußen erſt noch
im Entjtehen begriffen ift.
Die Vereine vom roten Kreuz haben in den
großen Kriegen ber lebten Jahrzehnte, neben
den Ritter: und Frauenorden und vielfad) Hand
in Hand mit diefen, eine nicht hoch genug anzu:
ſchlagende Wirkſamkeit entfaltet. Eingeengt
durch veraltete Reglements, mißtrauiſch be—
trachtet von Kommandobehörden und Aerzten
haben ihre Angehörigen im Kriege von 1870— 71
eine Thätigfeit entwidelt, weldye weit über den
Nahmen hinausging, der dur die amtlichen |
Vorfchriften der freimilligen Krankenpflege vor:
gezeihnet war. Die Vereine hatten indefjen
einen ihre Bethätigung auf dem Kriegsſchau—
plag weſentlich beeinträchtigenden ſchwachen
Punkt in der ganz ungenügenden Organifation
der Kolonnen, die fie zum Behufe des Verwun—
detentrandportö in großer Zahl entfandten. Es
war darunter viel unbrauchbares Perfonal, fo:
gar Leute höchſt zweifelhaften Charakters, und
auh wo Wille und Gefinnung tadellos war,
fehlte es vielfach am Können, vor allem an dem
ſtrammen Gehorfam, der im Kriege die Be:
dingung jedes Erfolges it.
615
Das wird in Zukunft anders fein. Wie
ihon erwähnt, iſt eine geſchloſſene Drganijation
durch die neue Kriegsfanitätsordnung zur Vor:
ausfegung der Wirkſamkeit der Organe der frei:
willigen Krankenpflege gemacht.
Ueber die auch heute noch fehr eng gezogenen
Grenzen für die freiwillige Krankenpflege herricht
unter den Vereinen vom roten Kreuz einige Un:
zufriedenheit. Indes jehen doch — ganz abge:
jehen davon, daß nad) Erlaf der neuen Kriegs:
janitätsordnung diefe nunmehr als ein auf ge:
raume Zeit wirffames Gefet zu betrachten ift —
diejenigen Vereinsangehörigen, die den Krieg
aus eigener Anſchauung fennen, einerfeits mit
Unbefangenheit den großen Fortjchritt, welchen
die neuen Verfügungen gegenüber den früher
geltenden Beftimmungen bezeichnen und ander:
jeit3 geben fie fich, geftügt auf die in der Praris
gemachten Erfahrungen, der beftimmten Erwar:
tung bin, daß die Unzulänglichleit der jtaat:
lihen Sanitätsanftalten, die ſich bisher noch in
jedem Kriege ergeben hat und aud) in Zufunft
jich ergeben wird, einfach aus dem Grunde, weil
feine Armee der Welt eine fo große Zahl von
Aerzten und Kranfenpflegern u. ſ. f. mit fi
\ führen kann, als man ihrer bedarf, wenn große
blutige Schlachten raſch hintereinander ge:
ſchlagen werden, daß diefe Unzulänglichfeit wie
ae
ehedem auch fünftighin dazu führen wird, eine
der Schranken, welche die Neglements gegenüber
dem Wirken der freiwilligen Krankenpflege auf:
gerichtet haben, nad) der anderen zu bejeitigen,
und die Hilfe, wenn fie in brauchbarer Weife
geboten wird, auch da von Organen der frei:
‚ willigen Kranfenpflege anzunehmen, wo fie reg:
lementsmäßig nur von ftaatlihen Organen ge:
leiftet werden follte.
Daß fie fi fähig machen, zunächſt ordnungs⸗
mäßig, im Fall der Not aber aud) über die vor:
gefchriebenen Grenzen hinaus, nad) Form und
Inhalt wohlgeordnet in das gewaltige Gefüge
einzugreifen, wie es im Kriege auf all den
mannigfaltigen hier in Betracht kommenden
Gebieten in die Erfcheinung tritt, das muß die
gar nicht ernft genug aufzufafiende Aufgabe der
Vereine vom roten Kreuz fhon im Frieden fein.
Das preisgefrönte Werk des Herrn von Crie—
gern bietet hierfür, in feinen Rüdbliden auf die
Vergangenheit, in feiner Darlegung deſſen, mas
heute Geſetz ift, und in den Erwägungen über die
Friebensthätigfeit der Vereine vom roten Kreuz
die zuverläffigite und ſachkundigſte Anleitung.
78
616
4, Sobin.
Die Madonna mit den Silien.
Srzählung von X. Godin.
Schluß.)
as Mädchen an feinem Arm zit:
terte und ſchauderte während der
A paar hundert Schritte, die durch
den Rüdwärtsanbau des Cirkus
in das Freie führten, und ala
* Luft den Brandgeruch, die verhältnis—
mäßige Stille, draußen den Lärm des aufgereg—
ten Durcheinander ablöfte, fchluchzte fie einmal
auf, wie ein erfchrodenes Kind.
„Wohin führt Zhr Weg, Fräulein?“ frug
Robert, nahdem fie aus dem Menfchengebränge,
das bereit3 den ganzen Pla ummogte, in eine
ruhige Straße gelangt waren.
„Wir wohnen in der Sophienftraße, das
ift noch weit,“ fagte fie. „Aber bitte, fommen
Sie mit bis an unfer Haus, meine Füße tragen
mich faum. Fritzchen fol aber jetzt laufen!“
„Laflen Sie mir das Kind, e3 ift ja leicht
wie eine Feder. Selbftverftändlich, daß ich Sie
nah Haufe bringe. Warum zittern Sie aber
noh? In der Gefahr zeigten Sie fi doch
tapfer — fogar tapferer ala die Meiſten!“
Eine leichte Bewegung des Armes, der in
dem feinen lag, ließ Robert zugleich mit feiner
Begleiterin den Schritt anhalten. Zu feinem
Erftaunen Fang ein filberhelles Lachen auf.
„Das ift wahr!“ rief des Mädchens klare
Stimme. „D, wie fie rannten! Haben Sie ge:
fehen, wie meine dide Nachbarin auf die Bank
ftieg, erft mit einem Fuß, dann mit bem anderen,
die beiden Arme in die Luft hob, mit aufge:
fperrtem Munde und folhen Augen!“
Auch Nobert mußte lachen, als das beweg—
lichfte Mienenfpiel eine treue Kopie ber fomi:
hen Figur zeigte.
„Ich dachte nit, daß Sie Zeit fanden,
dergleihen Beobadhtungen zu machen,“ ſcherzte
er im Meitergehen. „m erften Moment fahen
Sie aud nicht wenig erihroden aus und waren
auf dem Sprung davonzulaufen. Und doch ein
Auge für Komik?”
„O, dergleichen würde mir in meinem legten
Stündchen nicht entgehen,“ ſagte fie leichthin
und begann eine drollige Schilderung ber
Scenen, welche fi während der paar Minuten
von Noberts Abweſenheit vor ihr abgefpielt.
Er ſah ergögt auf die lebhaften Züge nieder,
die ſich unterdem hellen Nachthimmel fein abzeich⸗
neten. Erſt jegt, während ihres forglojen Ge
plauders fam er dazu, des Mädchens Gefidt,
das er den Abend hindurch meift im Profil ge
fehen, genauer zu betrachten. Alles an ihr war
weich, ſchmiegſam und zugleih von pifantem
Ausdruck. Die dunfeln, niht großen, ſchön ge:
ſchlitzten Mugen funfelten ſchalkhaft unter einer
ſchmalen, jchneeweißen Stirn und wurben burd)
ftarfe, gleichfalls dunfle Brauen, die fich kaum
mwölbten, jondern ala ein, beinahe zufammen:
ftoßender Strich himogen, ganz eigentümlich
beſchattet. Das feine Näschen, der feine Kinder:
mund und das lichtblonde Gelod ftanden hierzu
in einem Kontraft, der durch den zarten Teint
noch gehoben wurde. Neugierig hörte ihr
Führer dem Plaudern zu, das ihm feinerlei
Aufſchluß über Stand und Bildungsgrad des
Mädchens gab; troß einer leifen Färbung ſüd—
deutichen Accentes, ſprach fie fehr korrekt, mit
leicht fliegendem Ausdrud; was fie ſprach war
voll Munterkeit, ſogar voll Mutterwig und
verriet einen raſchen Geiſt. Um ſo mehr wunderte
er ſich über einzelne Plattheiten, die zwar nur
im WVorübereilen, dennod einen Mangel an
feinem Gefchmad zeigten, der zu der ganzen Cr:
ſcheinung im Widerſpruch jtand. Cs blich
reichlich Zeit, diefe Betrahtungen anzuſtellen,
denn ber zurüdzulegende Weg nahm eine gule
Stunde in Anfprud. Von irgend Perfönlicen
fam nichts zur Sprade als die Aeuferung: daß
— — in
Die Madonna mit den £ilien.
der kleine Fritz, deilen Kopf bald in tiefem
Schlaf auf Roberts Schulter lag, nicht ein
Bruder des jungen Mädchens fei, fonbern ihrer
vermwitweten Schweiter zugehörte, bei der fie lebe.
Am Haufe angelangt, welches die Blondine
als ihr Ziel bezeichnete, ud fie Robert ein, mit
ihr einzutreten und fich bei der Schweſter vom
Wege auszuruhen. Er lehnte dies mit dem
Bemerken ab, daf es bereits ſehr fpät fei, reichte
ihr das fchlafende Kind, nachdem fie den Schlüfjel
hervorgezogen und die Hausthüre aufgeiperrt
hatte und empfahl fih. Eine Heine weiche Hand
drüdte die einige mit dem Worte: „Auf Wieder:
fehen und taufend Dank!“
Dann verſchwand die zierliche Gejtalt im
Haufe und Nobert trat feinen Heimmeg an.
Die Nacht war lau und Schön, er jchlenderte be:
haglıd dahin, das kleine Abenteuer hatte ihn
angenehm berührt und während feine Gedanken
ſich noch damit beichäftigten, machte ihm defjen
Mitteilung an feine Frau fhon im voraus
Vergnügen. Wirklich fehte er fih, troßdem
ſchon elf Uhr vorüber war, als er fein Haus er:
reichte, noch an den Schreibtiich und entwarf
eine muntere Schilderung feiner Erretterrolle,
wobei ihm einfiel, daß Franzisfa ihn fchelten
würde, gar nicht nah) dem Namen jeiner Be:
gleiterin gefragt zu haben. Er lächelte ſelbſt
bei diefer Bemerkung, und das fleine Erlebnis
ſchien ihm um fo hübſcher, eben weil es fi an
feinen Namen fnüpfte, wie ein Blümchen am
Wege einzeln ftehen bleiben würbe.
Am nähften Morgen, als Robert bei feinem
Frühſtücke ſaß, kam das Dienſtmädchen herein
und ſagte:
„Hier iſt ein Ding, was ich im Aufſchlag
Ihres Rockärmels gefunden habe, Herr Bau—
meiſter! es fiel heraus, während ich den Rock
ausklopfte.“
Verwundert betrachtete Robert den kleinen
Gegenſtand. Es war eine italieniſche Moſaik
in Rautenform, einen Vogel im Neſte auf
blauem Grunde darſtellend. Im erſten Moment
begriff er nicht, auf welche Weiſe dies in ſeinen
Aermel geraten ſein könnte; im nächſten fiel
ihm ein, daß er im Verlaufe des Abends am
Halſe des vor ihm ſitzenden Fräuleins ein
rautenförmiges Medaillon geſehen hatte, das
ſie an ſchwarzem Samtbande trug. Natürlich
war ſeine Aufmerlſamkeit durch nichts an dies
Schmuckſtück gefeſſelt worden, deſſen Exiſtenz
nur als zur ganzen Erſcheinung gehörig in
617
feinem Gedächtnis geblieben und ihm wahr:
fcheinlich durd} feine ungewöhnliche Form über:
haupt bemerflih geworden. Daß fi bie
Mofaik unterwegs aus der Faſſung gelöft haben
mußte und an ihm hängen geblieben war, lag
nahe, und er nahm fich vor, den Fund, welchen
deſſen Eigentümerin vielleicht ungern vermißte
ihr noch denfelben Morgen zuzufenden.
Da fiel ihm ein, daß er ja weder eine
Adreſſe, no die Nummer des Haufes zu be:
zeichnen wußte, in welchem die junge Dame
wohnte. Es war alfo nötig, die Bejorgung
perfönlich zu übernehmen, wenn er richtiger Be:
ftellung ficher fein wollte.
Zunächſt fehlte es ihm hierzu an Zeit; das
Fräulein mußte ihren Verluſt ſchon für diefen,
vielleicht noch für den folgenden Tag verfchmerzen.
Doch ftedte er für den Fall, daß er gegen abend
zeitig genug frei fein würde, die Moſaik zu fich,
als er nad) den Bureauarbeiten, die feinen
Morgen füllten, nahmittags zur Bauftätte
ging. E3 wurde wirklich für heute zu fpät; am
nächſten Abende fand ſich aber Zeit; er benußte
die Pferdebahn, um die von feiner Wohnung aus
ziemlich beträchtliche Entfernung abzufürzen,
und lächelte bei Erwartung dieſes zweiten
Teiles feines Abenteuers in ſich hineir.
Ein anderer würde eö wohl ſchwierig ge:
funden haben, überhaupt das nur bei abend ge:
fehene Haus wiederzuerfennen; der Architekt
war zu fehr gewöhnt, jede kleine bauliche Eigen:
tümlichfeit auch ganz abfichtslos zu bemerken,
als daß er. nicht auf den erften Blid die bogen-
förmige Hausthüre richtig refognosziert hätte.
Nun galt es auch die rechte Thüre innerhalb zu
finden. Robert entfann fih, daß feine Beglei:
terin zu einem erleuchteten Fenſter des zweiten
Stockwerkes aufgefhaut hatte, und folgte diefem
Wink. Der Anblid Frischens, den er in dieſer
Etage auf dem Flur fpielend fand, erfparte ihm
die Wahl zwiſchen der Klingel zur Rechten oder
Linken. Das Kind fah ihn zwar etwas zweifel:
haft an, rannte aber bei der frage nad) der
Tante auf die nur angelehnte Abſchlußthüre
zur Linken zu, und hinein. Robert folgte und
hatte nicht einmal nötig zu flopfen, denn ber
demfchrillen Ruf: „Tante Flory, Tante Flory!“
öffnete fich eine Zimmerthüre und feine junge
Freundin vom Cirfusabend trat heraus. Ahr
feines Geſichtchen färbte ſich lebhaft, als fie
Roberts anfihtig wurde, fie fam mit auäge:
ftredter Hand auf ihn zu:
618
„Das iſt ſchön!“ fagte fie, und ſah be:
friedigt aus wie ein Kind, das befommt, mo:
nah ed im Augenblick die Hand ausjtredt.
„Ich hatte auf Ihren Beſuch gehofft, daß Sie
heute ſchon kommen, ift jehr lieb und ſchön!“
Ste war ihm mit einladender Bewegung
nah dem Zimmer vorausgegangen, und bort
fam er aud zu Worte, indem er das Bruchſtück
ihres Schmudes hervorzog und ihr übergab.
Ihre Freude, das vermißte Eigentum fo uner:
wartet wiederzufinden ſprach fih auf das An:
mutigfte aus, und fie dankte mit einer Wärme,
als wären ihr Diamanten und Perlen zurüd:
gebracht. Inzwiſchen nahm der Gaft auf ihre
Einladung Platz und frug, ob der gejtrige
Schreck ihrer Nachtruhe nicht übel befommen fei.
Während ein munteres Geſpräch fich entfpann,
ließ Robert feine Augen dann und wann durch
das Zimmer ſchweifen. Es war mit einer ge:
willen Eleganz eingerichtet, wenigfteng fiel eine
jolde im erften Moment in die Augen; trotzdem
jedes Gerät zierlid und in feiner Art geihmad: |
voll war, blieb ein unruhiger Eindrud zurüd: |
Effekt ohne Harmonie. Durch die offene Thür
des anftopenden Zimmers bemerkte er einen
großen, mit buntfarbigen Stoffen oder Gewän—
dern bededten Tiſch, an dem fich eine Frau zu
ihaffen machte, welche dieſer den Rüden zu:
fehrte. Der Heine Salon, in welchem Robert
jaß, war ſtark mit Blumenduft durchzogen, ber
von mehreren Sträußen ausging, welche, mehr
oder weniger frifch, auf Tiſch und Konfole ftan:
den. Ueber dem Pfeilerfpiegel hingen zwei
große, mit Bandſchleifen geihmüdte Kränze.
Es ward dem Baumeifter hier raſch behag:
lich, ala hätte er wer weiß wie oft ſchon in
diefem mit weichen Kiffen ausgefütterten Korb:
ftuhl geſeſſen und fi mit feinem Vis-a-vis
unterhalten. Nichts Bequemeres, als das Ge:
fpräch diefes Mädchens, deffen naive Zutrau:
lichkeit den anderen ganz heimifch ftimmte. Sie
hatte ein Talent, vom Hundertiten ins Taufendjte
zu fommen, mit irgend einer leifen Pendel:
ſchwingung geſchickt von einem Gegenftand auf
den anderen hinüberzuleiten, che das erfte
Thema erjchöpft war, ein Talent, welches No:
bert nie in gleicher Weiſe angetroffen und das
ihn in amufantem Geplauder die Zeit vergeflen
ließ. Erft als die Frau aus dem Nebenzimmer
mit einer brennenden Lampe eintrat und von
Fräulein Flory als ihre Schwefter, Frau Rath
mann, bezeichnet wurde, befann ſich der Gaft,
|
|
|
|
|
|
N. Sobdin.
daß er über eine Stunde Hier geſeſſen haben
mußte. Nahdem er, um ber Hausfrau vorge
jtellt werden zu fünnen, feinen Namen genannt,
blidte er fragend auf Flory.
„Ich heiße: die Schütz,“ ſagte fie lächeln,
„und hoffe, daß mein Name Ihnen bekannter
ift, als mein Gefiht e8 war, Herr Baumeiſter!
Sie find offenbar fein Freund Des Theaters, oder
ſchwören einzig zum Hoftheater, ſonſt würde ıd
nicht nötig gehabt haben, mid Ihnen zu nennen.”
Robert war wirklich ein fo jeltener Gaft der
Theater, daß er fih, trog Florys zuverfiät
licher Vorausfegung, auch jegt einen Moment
zu befinnen hatte, um fih an den Namen der
gefeierten Soubrette einer vielbefuchten Vor:
jtabtbühne zu erinnern. Er verbeugte fid:
„sh verſuche nicht mein Barbarentum zu
entfchuldigen. Arbeit [chafft den Künften gegen:
über nur da feinen Notjtand, wo Die Kunſt ins
Fach ſchlägt. Leider hatte ich mich feit Jahren
des Theaterbefuchs ziemlich zu entwöhnen.“
— — — — — — — — —
„Nun werden Sie mich aber doch ſpielen
ſehen?“ ſagte Flory in dem koſenden Ton, der
ſoviel mehr zu ihren weichen Lippen als zu dem
Schalk in ihren Augen ſtimmte. „Sie ver:
iprechen mir das?“
Etwas zögernd ſchlug er in das ausge:
itredte Händchen. „Meine Zeit ift fehr be
ihränft —“
„Sie fommen! Und wenn ic Sie im Parkett
entdede, will ich alles aufbieten, einen Ketzer
zu befehren. “
Als Robert von diefem Beſuch nach Haufe
fam, fand er einen Brief Franziskas, der ihn
jehr erfreute. Er brachte die Mitteilung, dab,
wenn gemifje, ganz wahrſcheinliche Konjunk—
turen einträten, ihrer Nüdfehr im Laufe ber
nächſten Woche nichts mehr im Wege jtände.
Sehr befriedigt durch diefe Nachricht, antwortete
Robert auf der Stelle, ohne in feinem Briefe
des heutigen Ganges zu erwähnen, ber me:
mentan al3 ganz Flüchtiges, Zufälliges zurüd:
trat, während der Inhalt von Franzisfas Mit:
teilungen eingehende Antwort und Meinungs:
äußerungen veranlaßte.
Am nächſten Tage, ald er mittags nach
Haufe fam, fand er ein zierlich befriteltes
Couvert vor, das eine Parkettkarte für die im
X: Theater heute Abend ftattfindende Vorftellung
der „Brille“ und zwei Zeilen von Flory Schüt
einſchloß, die liebenswürdig baten, ihm die Titel:
rolle voripielen zu dürfen.
Die Madonna mit den £ilien.
Die Ausfiht, feine liebe Hausfrau bald |
wieder daheim zu haben, Hatte feine Stimmung |
fo gehoben, daß er ſich ganz aufgelegt fühlte, |
fich einmal in befonderer Weiſe unterhalten zu
lafjen. Der Abend fand ihn demgemäß auf dem
ihm angebotenen Site. Das gefüllte, baulich
vecht hübſche Haus, die von Beginn an fehr |
belebte Stimmung de3 Publikums verfegten
ihn fogleich in einen fefttäglichen Humor und er
folgte der Aufführung des Stüdes, defjen Stoff
er weder als Novelleninhalt, noch in ber ge:
ſchickten Bearbeitung fannte, mit wirflihem In:
terefie. Bis jetzt hatte er nie eine Berfönlichkeit |
auf der Bühne erfcheinen jehen, die ihm außer
derjelben zuvor begegnet war. Es ſchien ihm,
ala fpiele Flory Schüß in diefer Rolle fich felbit;
jeder neue Ton, den fie anfchlug, mußte eine, |
ihm noch nicht fichtbar gewordene Seite ihres |
Naturell3 fein. Sie ſah als Fadette reizend |
aus und es glüdte ihr ganz wunderbar, die
Natur zu fopieren und dabei natürlich zu blei-
ben. Wie ſchwierig dies fei, welches Talent,
welche Routine fich dadurch verriet, wußte No:
bert nicht zu beurteilen; der laute Beifall, wel—
cher die junge Künftlerin auözeichnete, fand bei
ihm aber ein lebendiges Echo. Syn der Scene |
des Tanzes mit dem eigenen Schatten war fie
entzüdend, und dem neuen Zufchauer entaing
e3 nicht, daß er felbft längſt von der Schau:
ipielerin bemerft worden war, die gerade in
diefer reizvollen Scene ihre Augen wiederholt
nah dem Plate richtete, den er als ihr Gaft
einnahm. |
Das luftige Bild tanzte diefe Nacht in No: |
bertö Träumen. Er hatte fi vorgenommen, mit |
einer Zeile für die Zufendung der Eintritts:
farte zu danfen, und damit einen Strid) unter |
die zufällig entitandene Beziehung zu machen,
doch Fam er nicht dazu. Am zweiten Tage fagte
er ſich, daß die gewöhnliche Artigfeit ihm ge:
biete, diefen Dank nicht länger hinauszufchieben
und ein Wort über den Eindrud daran zu
nüpfen, den der Künftlerin Spiel ihm gemacht.
Hieraus ward ein volljtändiger Brief, den ab:
zuſchicken ihm nun wunderlich erfchten. Während
er noch ſchwankte, ob er nicht beſſer thue, all das
mündlich zu äußern, brachte ihm die Stabtpoft
eine neue Karte für die Aufführung des heuti-
gen Abends: „Ajchenbrödel”. Diesmal lag feine |
Zeile bei, der Umſchlag des Billets trug nur
drei Frage⸗ und ein Ausrufungszeichen.
Robert lachte, beſchloß der Einladung in |
| artiger Form abzulehnen.
619
das Theater zu folgen und am nächſten Tage
zugleich mit Danf und Kritik weitere Güte in
Gegen abend befam
er wieder Nachricht von Franziska, welde die
Ausficht, fie bald hier zu fehen, nicht nur auf:
hob, fondern ihre Heimkehr fogar noch auf Wo—
hen hinausfhob, wenn der Zwed ihrer Ab:
weſenheit nicht in Frage gejtellt werben jollte.
Berjtimmt durch Dies Unerwartete, verlor Nobert
alle Luft an feinem projeftierten Abendvergnü-
gen, blieb daheim und vergrub fih an feinem
Schreibtiſch in Koftenanfchlägen und Berichten.
Der nächte Nachmittag fand ihn auf dem
Wege in die Sophienſtraße. Er hatte die
' Theaterzettel an der Ede ftudiert und fich über:
zeugt, dab Flory Schü heute nicht fpielte.
Auch traf er fie zu Haufe. Mit einer ſchmollen—
den Miene empfangen, die ihr reizend ftand
und viel mehr ausbrüdte, als ihre fämtlichen
lähelnden Grübchen, fah er ſich aufgenommen
wie einen alten Freund und ſaß in der nächſten
Minute ſehr häuslich eingerichtet im Korbſtuhl,
Flory gegenüber.
„Uebrigens kenne ich Sie ſchon lange,“
ſagte die junge Schönheit ganz unvermittelt aus
einem Geſpräch über Allgemeines heraus; „ich
bin Ihnen öfters im Park begegnet. Sie haben
da freilich niemals von mir Notiz genommen,
ſondern ſich eifrigſt mit einer älteren Dame
unterhalten, die Sie führten. Wahrſcheinlich
Ihre Schweſter?“
„Meine Frau,” ſagte Robert lächelnd.
„Ihre Frau?“
Er fühlte ſehr ſcharf und beftimmt heraus,
daß nicht Ueberrafhung, ihn als verheirateten
Mann zu erkennen, den Ton biftierte, womit
Flory die zwei Worte fprah. Es war derfelbe
Ton, den er feit jahren nun ſchon fo oft zu
hören befommen, der ihn ftet3 jehr unbefümmert
ließ. Diesmal ärgerte ihn der Accent.
„Meine Frau,“ fagte er in dritter Wieder:
holung des Wortes, „die gegenwärtig abwefend
ift, hoffentlich aber nicht allzulange mehr aus:
bleibt. Sobald fie zurüd fein wird, werde ich
ihr den Genuß verfchaffen, Sie jpielen zu fehen,
Fräulein Schütz.“
Des Mädchens Augen blisten ihn einen
Moment an. Ein mutmilliger Zug wetter:
leuchtete über ihr Gefiht hin, dann fagte fie
mit leichter Verbeugung in gravitätifchem Ton:
„Wird mir eine große Ehre fein!“
620
3.
Un einem windigem, naffaltem September:
abend hielt eine Drofchle vor dem von Haags
bewohnten Haufe. Franziska ftieg aus, warf
einen unruhigen Blick auf die bunfeln Fenfter
der erften Etage, und Elingelte dann, während
der Kutfcher bei ftrömendem Negen den Koffer
herabhob und vor die verfchloffene Hausthüre
ftellte. Es war zwifchen neun und zehn Uhr,
eine Zeit, zu der regelmäßig abgeſchloſſen wurbe,
deshalb konnte diefer Unmftand die Heimfehrende
nicht in Verwunderung fegen. Als aber eine
ganze Meile verging, ohne daß geöffnet wurde,
zog fie mit einiger Aufregung an einem zweiten
Knopfe, defien Glode den Hausmirt anging.
Nun wurde aufgethan. Die Hausfrau erjchien
mit einem Handlämpchen und fchien fehr ver:
wundert, als fie Franziska erblidte. Ihre Ver:
fiherung, daß fie fein Wort gehört, die Frau
Baumeifter würde erwartet, betätigte Franzis:
fa3 jchon auf dem Bahnhof gefaßte Vermutung,
daß ihre Anmeldefarte verloren oder verfpätet
fein mußte. Diefe Ueberzeugung mar, ber
großen Täufchung gegenüber, ihren Mann nicht
auf dem Bahnhof zu finden, ja beruhigend,
denn fie hob die erſte Beforgnis auf. Sie frug
die Hausmirtin, ob Haag anmefend fei, —
möglicherweife hielt eine Dienfttour ihn für ein
paar Tage fern und er hatte deshalb die Karte,
welde ihre rafchere Ankunft meldete, noch nicht
erhalten. Doch erfuhr fie: der Herr Baumeifter
fei nicht fortgeweſen.
Dben rührte fi nichts. Die Hausfrau
folgte zu Franzisfas Verwunderung und leuch:
|
|
|
|
A. Gobdin.
Wohnzimmer auf dem Sofatifch bereitjtehente
Lampe angezündet und die rau mit einem
Danfesworte gehen lafien. Das Unbehagen,
welches von einer nicht erfüllten Erwartung un:
zertrennlich ift, übte einen faft peinlichen Drud
auf fie. Während des geftrigen Tages, während
der langen Fahrt Hatte fie fih in dem frohen
Gedanken gewiegt, welche liebe Ueberraſchung
für Nobert ihre Botſchaft gemejen fei, der ihre
Ankunft rafch folgte. Sich nun nah fo Tanger
Abwesenheit unbegrüßt und einfam in ihrem
Daheim zu finden, beengte ihr das Herz; fie
fonnte die Stimmung zu naher Freude nicht
mehr in fi aufbringen, obgleich fie fich fagte,
daß es fich ja nur um furzen Aufſchub handle,
daß ihr Dann in jeder nächſten Viertelftunde
erfcheinen könne, — ſicher nad) Haufe fommen
müſſe, und bann wirklich ein volles, freudiges
Ueberrafchen ihr Teil fei. Sie ward aber den
jeltfamen Drud nicht los, mwelder alles Froh—
gefühl ausgelöſcht hatte. Auf einmal trat die
Kürze und Seltenheit der Briefe, melde fie in
ben legten vierzehn Tagen von ihrem Mann
erhalten, in veränderter Beleuchtung vor ihren
Sinn. Gie hatte fi fein farges Schreiben
damit erflärt, daß er wahrſcheinlich von Arbeit
überbürbet fei, wie fie dies zeitweife mit ihm
durchzumachen hatte. In folchen Zeiten, wo er
oft bis zur Atemlofigfeit in Anfpruch genommen
war, hatte fie, aud neben ihm lebend, manch—
mal für eine ganze Reihe von Tagen auf feine
Geſellſchaft zu verzichten.
tete ihr, was fi als nicht überflüfftg erwies, -
denn bie Flurlampe der von Haags bewohnten |
Etage brannte nicht. Franziska flingelte um: |
fonft; ehe fie es zum zweitenmal that, erbot
fih die Wirtin mit ihrem Hauptfchlüffel zu
öffnen: „es würde wohl niemand drinnen fein.“
Erftaunt fagte Franziska: „Guſte nicht da?
Um biefe Zeit?”
Die Frau fagte entjhuldigend: „Sie wird
I
l
|
|
Der flüchtige Ton feiner kurzen Mitteilun:
gen mochte auch eine Empfindlichkeit über das
immer neue VBerzögern ihrer Heimfehr verraten;
der Gemißheit froh, nun bald die laftende Tren—
nung beendet zu willen, hatte Franzisfa biefe
legte Zeit in jo eifriger Thätigfeit verlebt, daß
ihr feine Zeit blieb, fich verzärtelter Sehnfucht
hinzugeben. hr warmes, ehrliches Herz ſchlug
feinem beiten Glüd nun um fo freudiger ent:
gegen, — mo war e3 aber jett? Befrembet
dachte fie dem eben Gehörten nad. Robert
bei ihrer Schwefter fein. Gnädige Frau müflen |
dem Mädchen das nicht übel nehmen! Der Herr
Baumeifter gehen fleißig ins Theater und efjen
abends nicht daheim, hat mir die Guſte gefagt,
da hat fie nichts zu thun und geht mandmal
ihre verheiratete Schwefter beſuchen. Ganz in
der Nähe, ich werde fie gleich rufen.“
Franziska antwortete nichts; während diefer
' noch wieberjehen.
Erläuterung war fie eingetreten, hatte bie im
„ging fleigig ins Theater“. Das lag doch fo
gar nicht in feinen Gewohnheiten, — alfo fehlte
es ihm wenigftens nicht an freier Zeit. Out,
daß er für feine einfamen Abende eine zufagende
Unterhaltung gefunden, aber doch fonderbar,
daß feiner feiner Briefe diefer neuen Liebhaberet
erwähnt. Was lag aber hieran! Er war ge:
fund, war hier und fie würden einander heute
un —
Die Madonna mit den £ilien.
Während fi Franzisfa dies wiederholte,
ging fie in fteigender Unruhe auf und nieder,
ohne nad ihrer fonftigen Weife ihr umher:
liegendes Handgepäd gleich zu befeitigen, ohne
baran zu denfen, daß ſie nach langer Fahrt mit
dem Kurierzug fi einer Erfrifhung bebürftig
gefühlt hatte. Das Mädchen erſchien auch nicht,
mußte ſich alfo doch weiter entfernt haben, ala
die MWirtin gemeint. Es flug zehn. Dieje
in ihrem Haushalt eingerifiene Unordnung, das
Marten und gefpannte Aufhorchen verjegten
Franzisfa in eine gereizte Stimmung, die ihrem
Naturell ferne lag und ihr ftörend zum Bewußt⸗
fein fam. Gewöhnt ſich zu beherrfhen, unzu—
frieden mit der unangenehmen Erregung, welche
in ihr Platz ergriffen, nahm fie die Lampe auf,
trug fie zu ihres Mannes Schreibtifch und zwang
fih, einige Notizen, die fie unterwegs kaum
lejerlih in ihr Täfelchen eingezeichnet, auf ein
Blatt zu übertragen. Dies geſchehen, blieb fie
fiten, tief in Gedanfen, die nun wieder freund:
lich wurden. Sie blidte um fi; endlich Daheim
zu fein, war ihr ein reizvolles Bemußtfein, jedes
Gerät ſah fie traulih an. Während ihr Auge
jo den Schreibtifch ftreifte, vor dem fie ſaß, be:
merfte fie unter dem Briefitein eine Korrefpon:
denzfarte, und ftredte die Hand danach aus,
um zu Schauen, ob das am Ende doch ihre eigene
fei, welche nad) Roberts Ausgang angelommen
und von Gufte dorthin gelegt worden wäre,
Dies war nicht der Fall, eine gejchäftliche Notiz
von fremder Hand füllte die Schriftfeite. Zu:
gleich mit der Poſtkarte hatte Franziska aber
ein glattes Vifitenfärtchen hervorgezogen, deſſen
Aufjhrift fie verwunderte: Flory Schü —
diefer Name war ihr befannt, fie hatte die be:
liebte Schaufpielerin einmal auf der Bühne
gejehen, im Frühjahr, als fie einen auswärtigen
Beſuch in das Vorftadttheater begleitete, welches
fie fonft nicht zu befuchen pflegte. Wie fam
diefe Karte hierher, zwifchen ihres Mannes Ge-
Ihäftspapiere? Mährend fie das Kärtchen fort:
legte, fiel e3 auf die Kehrfeite. Franziska jah
diefe eng bejchrieben, und las:
„Ich habe heute nur im Einakter zu thun.
Erwarte mich nachher an der Heinen Thüre, du
verfäumft nichts, das andere Luftfpiel ift lang:
mweilig. Zu Haufe werde ich dir allerlei zeigen.
Wie fam das hierher? mar Framiskas
Gedanke auch jetzt noch. Daß dieſe Zeilen an
Robert gerichtet ſein könnten, lag ihr ganz ferne.
621
Plötzlich durchfuhr ſie aber ſolche Möglichkeit,
ja Gewißheit mit ſo ſchneidender Schärfe, daß
ſie die Augen ſchloß, wie vor dem unerträglichen
Blenden eines Blitzes. Jhre Arme ſanken ſchlaff
an ihr nieder.
Das Geräuſch, auf welches ſie eine Stunde
lang angeſpannt gelauſcht hatte, auf das ſie
nun zu lauſchen vergeſſen, riß ſie aus tiefem
Brüten. Draußen wurde ein Schlüſſel um—
gedreht, im nächſten Moment öffnete ſich die
Wohnzimmerthüre und Robert erſchien auf der
Schwelle. Als er ſeine Frau erblickte, rief er
in freudigſter Ueberraſchung: „Franziska!“
Sie machte eine Bewegung ihm entgegen,
blieb aber ſogleich wieder ſtehen und ſtützte ihre
Linke gegen den Schreibtiſch, während ihr Mann
heiter ſagte:
„Du biſt alſo deinem Dogma, niemals zu
überraſchen, auch einmal untreu geworden!“
„Ih hatte mich angemeldet,“ ſagte Fran:
ziska tonlos und wich mit leifem Widerſtand
dem Arm zurüd, der fie umſchloß.
„Was ift dir, Franzi? Gewiß haft du dich
recht übermübet, jetzt jehe ich erjt, wie blaß du
biſt!“
Es ward ihr kalt im Herz bei dem alten
vertrauten Herzenston, ihre Augen erhoben ſich
nicht. Sie ſtreckte die Hand nach dem be—
ſchriebenen Kärtchen aus, warf einen Blick
darauf, und frug, indem ſie es emporhob, mit
ſo gewaltſamer Ruhe, daß ihr Ton kalt klang:
„Iſt dies an dich gerichtet?”
Nobert wechſelte die Farbe und fah feine
Frau ftarr an. °
„Sa!“ fagte er frappiert.
Beide Hände aufeinander gepreßt, atmete
Franzista tief.
„Erlläre mir —“ fagte fie dann, die ftillen
| Augen auf ihren Dann geheftet.
Robert antwortete nicht gleih. Er ging
mit verfchränkten Armen ein paarmal hin und
wieder, blieb dann vor feiner Frau ftehen, nahm
ihr das Kärtchen aus der Hand, burdlas es
und ließ es fallen.
„Erklären?“ fagte er mit gefalteter Stirn.
„Das Elingt, ald gäbe es nad) deiner Meinung
etwas zu rechtfertigen.“
„Was geht dich diefes Mädchen an?“ frug
fie in fehr ruhigem Ton. „Diefe Fremde, die
fi Herausnimmt, did ‚Du‘ zu nennen, von ber
ich nicht einmal weiß, daß ihre Exiſtenz dir be:
fannt iſt.“
622
„Da liegts!“ rief er unmutig. „Den
Fehler muß ich mir allerdings von dir verzeihen
laſſen. Was fich da rein zufällig angefponnen
ı treu geworben ift, Robert, ich weiß, daß ich bir
nächſten Briefe zur Sprache — ich verfchob erſt
— unterließ es dann, weil Nachgeholtes fich fo |
bat, fam nur ebenfo zufällig nicht gleich im
leicht zu überflüffiger Wichtigkeit aufbaufht —
furz, es wollte nicht in die Feder, ich zog vor,
dir felbft zu erzählen. Uebrigens ſprach ich dir
doch davon — es ift das Mädchen vom Cirkus.“
Er lachte ein wenig gezwungen, als fie
nichtö erwiderte, und dann: „Wie es zuging,
daß ich mit der amüjanten Eleinen Here auf
ganz vertrauten Fuß geriet, ließe fich ſchwer
erläutern. Es überfam mid eben einmal wie
längft vergefjener Studentenübermut!
Dusen, was du fo ernjthaft zu nehmen fcheinft,
fpendiert fie jedem, mit dem fie etlichemale
zufammengetroffen — furz, es gab und gibt
zwifchen ihr und mir durchaus nichts — ein
Verkehr für müßige Stunden —“
tobesernft. „Sechs Wochen — und ich finde
dich nicht mehr.”
„Du findeft mich, wie du mich verließeft,“
rief er nachdrücklich. „Nimm nur um Gottes
willen nicht tragifch, was entftanden ift, wie eine
Seifenblafe und ebenfo leicht zerrinnt. Sechs
Wochen, ſagſt du — wären ihrer mehr geweſen,
fo hätte einer, der gerne im Rate der Weifen
fitst, ſich längſt darauf befonnen, daß er aus
A. Sobdin.
meiner Treue zu zweifeln, dann bin ich e8, der
zu vergeben hat, und Schweres!”
Ich glaube, daß mir dein Herz nicht un-
mehr gelte, als äußerer Reiz einer anderen. Um
unfer ſchönes Glüd ift es aber doch gethan.
Sieh, ih hätte von Anfang darauf vorbereitet
fein fönnen, daß ein Tag fommen würde, mo
deine Augen von mir fortgelodt würden. Nie
' babe ich vergefjen, in welchem Licht ich allen
hr
neben dir erjhien — allen — fogar deiner
Mutter —“
„Die längjt deine wärmfte Freundin ift — “
unterbrad Robert.
„Weil fie dich, wider ihr Erwarten, zu:
frieden bleiben fah. Robert! ich habe damals
unter diefem unverholenen Zweifel eines jeben,
der dir nahe ftand, insgeheim bittere Dual er:
litten, aber fie währte nur kurz. Zuverficht auf
dich riß jeden Keim von Furcht aus, und weil
ich ruhig und glüdjelig fein durfte, warb id
„Bilt du es, der fpricht!* fagte Franziska
auch fähig, dich zu beglüden. Das ift num zu
Ende, — deine Augen ſuchten, dein Ohr hörte
willig, was ich dir nimmer bieten fann, mas
‚ dir zeigen mußte, woran du darbſt. Dies ift
heller Neugier einmal Wege der Thorheit ging.” |
Franzisfa trat dicht vor ihn hin und erfaßte
feine beiden Hände. „Robert,“ fagte fie traurig,
„du haft dich weit von dir felbit entfernt. Daß
du jemals in die Fertigkeit fallen follteft, dich
zu belügen, hätte ih nie für möglich gehalten.
Dies Mädchen muß dir weit näher ftehen, als
du weißt, fonft würdeſt du nicht von ihr ge:
ichwiegen haben. Ich muß dich fragen und du
follft mir antworten aus deinem tiefften Ge:
wiflen: Gab es feinen Moment, wo fi ihr
gegenüber Stärferes in dir regte?“
Eine jchnelle Nöte ftieg Robert bis in die
Stirn. Er zog die Brauen zufammen und ant-
wortete nicht.
„Ih mußte es wohl,“ fagte Franzisfa
Ichmerzlih und ließ feine Hände los. „Wir
find lange Zeit glücklich gewefen, das ift nun
vorbei. *
„Was wäre vorbei?“ rief er in ftarfem |
„Franziska, wenn es dir möglich ift, an
Ton.
erlebt und bleibt ftehen, audy wenn es war.
Ich glaube dir, daß du mir nichts verheimlichen
wollteſt, — daß du, der Offene, in diefem Falle
aber zu fchmeigen vorgezogen haft, bemweift mir
mindeſtens beine Beforgnis, mich fchonen zu
müſſen. Menfchen, die in folder Weiſe gefchont
werden, haben aber viel, viel eingebüßt! Meine
Zuverficht ift hin, — ohne fie kann id) dir nichts
geben, was dich für das Neizende entſchädigte,
das vielleicht fein Mann zu entbehren vermag.“
„Du verfennft mih —“ fagte Robert gereizt.
„Gewiß nicht,“ entgegnete fie ftill. „Sonft
hätteft du mich fchwerlich hier gefunden. Ehe
du nad Haufe kamſt, dachte ich fehr ernſtlich
daran, ſchweigend fortzugehen und dir nie wieder
zu begegnen. Es war ein feiger Gedanke, troß:
dem mwürbe ich ihm nachgegeben haben, dächte
ich nicht groß von bir.“
„Du haft daran gedacht, von mir zu gehen
— du — Franzisfa?” stieß er heftig hervor.
Ehe er weiter fprechen konnte, trat das eben
heimgefehrte Dienftmäbchen mit zerfnirfchter
Miene ein. Während fie ihre Entſchuldigungen
vorbrachte, wendete Robert ſich um und ging in
fein Zimmer. Was er hatte jagen wollen, war
durchriſſen wie eine gefprungene Saite, er fühlte
aber inftinktiv, daß die Unterbrechung zur red):
Die Madonna mit den £ilien,
ten Zeit gelommen, daß er im Begriffe geweſen,
ih zu Worten hinreißen zu laflen, die befler
ungeſprochen blieben. Franzisfas fühler Em—
pfang, ihr Verhör, die Art, wie fie feine Ant- |
wort aufgenommen, ihre legten Worte befonders, |
verlegten ihn tief. Was hatte er denn gethan,
um ſolches Abenden zu verdienen? Er warf
jih in dem dunfeln Zimmer auf einen Stuhl
und fuchte fich zufammenzunehmen. Daß feine
Syrau betroffen fein mußte,"ihn mit einer Per:
fon auf Du und Du zu finden, deren Be-
ziehungen zu ihm er ihr verjchwiegen hatte,
war begreiflih; daß fie aber dabei beharrte,
hierauf ſchweres Gewicht zu legen, nachdem er
ihr das Ueberraſchende erläutert, begriff er nicht
und nahm es ihr jehr übel. Er hatte ihr die
623
| Mann, legte das Päckchen, welches die Nejul:
tate ihrer Neife einſchloß, auf feinen Schreib:
tijch und frug, ob er heute noch etwas darüber
zu hören wünfche, was er verneinte. Dann bot
fie ihm freundlich die Hand zur guten Nacht,
| da fie wirklich reifemüde ſei und jchlafen gehen
muntere Epifode feines Strohmwitwerlebens in |
ihrem ganzen Verlauf zu erzählen gedacht, daß
ein Zufall diefelbe ihr unvorbereitet und des—
halb in ganz anderem Lichte vor die Augen
führte, hätte jo nicht auf fie wirken dürfen.
Das fah ihr nicht gleich! Bei diefem Gedanken
madte er Halt. Ein wenig Ruhe und dies
Mipverftändnis Hob ſich auf, mußte ſich auf:
heben!
Robert hielt fich für einen guten Menschen:
fenner und war es aud), foweit Nachdenken und
Beobachtung hierzu reif machen. Hier ließ ihn
aber feine Menjchenfenntnis im Stid, wie e8 |
meift geht, wo Gemütsfaiten ftarfberührt werden.
E3 gibt manden Punkt, worin die Frau den
Mann nur halb verfteht, und gleiches gilt im
umgekehrten Falle. Kein Mann begreift ganz
den Seelenzuftand einer Frau, die ihm eine
Wunde entblößt hat, welche fie vor ihm, fogar
vor ſich ſelbſt ängftlich verborgen gehalten, die
fie geheilt glaubte und plöglich, bei rauher Be—
rührung der empfindlichen Stelle, als unheilbar
erfennt. Die meiſten bliden überdies auf einen
Ausbruch mweibliher Erregung, felbjt bei der
Frau, die fie hoch Halten, nicht viel anders
zurüd, ald auf den Sturm im Glaſe Wafler.
Während Robert fi mit Erfolg auf einen ge:
lafjenen Ton ftimmte, erwartete er eigentlich
bereit3, daß Franzisfa ihn auffuchen würde.
Es gefhah nicht; als er in das Wohnzimmer
hinüberging, traf er feine Frau beim Deffnen
ihres Kofferd. Das Mädchen ging ab und zu,
ein unberührtes Nachtmahl abzuräumen, das fie
ungeheißen gebracht, und fonft durch allerlei
Dienfteifer ihren Fehler gut zu machen. Fran—
zisla richtete einige ruhige Worte an ihren
nn
möchte.
Er fah ihr betroffen nah. Nun hielt er es
nicht mehr für einen günftigen Zufall, daß er
verhindert worden war, fich voll auszuſprechen.
Er empfand, daß der Augenblid oft ungleich
mehr bedeutet, ala die Stunde.
* *
*
Schwüle Tage und Wochen folgten. Aeußer:
(ich ſchien nichts im Leben der Gatten verändert,
aber es war ein Nebeneinander, fein Miteinander
mehr. Für Alltagsnaturen würde die Unver:
änderlichfeit gemeinfamen Lebens wohl genügt
haben, fie auf diefem Wege auch innerlich, wenn
gleich langſam, einander wieder nahe zu führen.
Es gibt ihrer viele, denen es eine wirkliche
Hilfe ift, Schrittchen für Schrittchen vorwärts
zu fommen, da ja das ganze Leben aus einzelnen
Momenten beiteht. Dieje beiden, gemöhnt, ganz
nad) der Wahrheit zu leben, rüdten ſchweigend
immer meiter voneinander ab. Franziskas un:
veränderliche Ruhe, bisher in den Augen ihres
Mannes ihre ſchönſte Eigenfchaft, verdroß ihn
jest. Sie hatte ein Zurüdfommen auf das Ge-
ſpräch des erften Abends fichtlich vermieden,
was ihn noch mehr verlegte und die Lippen ver:
ſchloß. Dahin die ſchöne, leuchtende Wärme,
welche fonft jede Stunde des Zufammenfeins
erfüllt hatte. In Franziskas Art und Weiſe
lag nichts von Verzichtleiftung oder gar von
Märtyrertum, fie ging ihre ftillen Wege wie
fonft, war voll Aufmerkſamkeit für ihren Dann
wie für jeden, der in ihren Kreis trat, im Ge-
jpräche ftet? anregend und angeregt. Nur war
der feelenvoll verflärte Ausdrud, den fie durch
das Glück gewonnen, von ihr gemichen, wie in
Robert das ſchön befriedigte Yebenägefühl, mad:
fendem Unmut gemwichen war. Er jah in den
ruhigen Augen Franzisfas nur Kälte, das
drängte die ihm natürliche Herzlichkeit zurüd.
Die Veränderung des ihm eigenjten Tones be:
itärfte aber in Franziska die Neberzeugung, ihn
in dem Sinne verloren zu haben, der beiden ala
der höchſte Sinn gemeinfamen Lebens galt.
Statt dejjen ſchien jegt das Wort zu gelten,
welches Robert geſprochen, als er um jeine
79
624
U. Sobin,
Frau warb: von jogenannten guten Ehen, wo welchem ihm ber längft beabjichtigte, ſtets ver-
ſich die Menfchen ineinander ſchickten, jeder ein: | ſchobene Beſuch, den er Flory als Abfchiebs-
zelne aber arm bleibt und allein. Sie fühlte
fih fehr verarmt und zu betteln vermochte fie
nicht. Tiefite weiblihe Scheu drängte ihr Leid
in Berborgenheit zurüd, während fie nie ftärker
empfunden hatte, was Robert ihr war, was fie
ihm bisher geweſen. Es geht aber mit der
Liebe zuweilen wie mit großem liegenden Beſitz,
der fich nicht zu jeder Zeit verwerten läßt.
Keine leifefte Spur von Mißtrauen mifchte ſich
in ihre fchweren Gedanken. Robert fand wieder:
holt, zwifhen dem in feiner Abmwefenheit von
Haufe Einlaufenden, Briefhen Ylorys, ohne
zu wiſſen, ob diefelben feiner Frau zu Geficht
gekommen waren, und ohne ihr diefelben zeigen |
zu mögen. Der Inhalt diefer Zettel: jcherzhaft
flingende Vorwürfe über fein mwochenlanges
‘ Ausbleiben, Lockungen ins Theater, in ihr
Haus, bot volle Beftätigung deſſen, was er
Franziska über die Art diefes Verkehrs gefagt.
Er wollte aber nichts betätigen. Nach feiner
Ueberzeugung mußte feine Frau von felbft in
fich gehen, mußte einfehen, daß und wie fehr
fie fih durch ihr Zurüdziehen an ihm und fi
verfündigte.
Im Laufe der Tage wurde feine Verftim:
mung zum Groll. Die tiefe Störung des
inneren Gleihmutes wirkte auf feine Arbeits:
[uft, feine ganze Eriftenz zurüd. Zufällig
blieben die Gatten gerade in dieſer Zeit ganz
aufeinander angewiefen, da von den wenigen,
mit denen fie freundfchaftlichen Verkehr pflegten,
die eine Familie abwejend, die andere durch
Krankheit heimgefuht war. Robert vermißte
befonders den Hausfreund, deſſen immer gute
Laune und bequemes Wefen ihn jet als dritten
unfhätbar gemadt haben würden. Er hatte
während der Abmwefenheit Franzisfas einmal an
Hans gefchrieben, um anzufragen, wie e3 mit |
der beftellten Kopie ftände und über fein Stroh: |
witwerleben zu beiten. Wie gewöhnlich war
aber von dem fchreibfaulen Künftler feine Zeile
Antwort gefommen, und er felbft blieb meit
über Erwarten aus.
Eine Unluft an der Gegenwart, ein Un:
behagen betreff3 der Zufunft, die Robert nie
gekannt, ergriff ihn mehr und mehr. Die ge:
fährlihe Empfindung einer Lüde, welhe für
Aufwudhern fremder Saat fo ergiebigen Boden
darbietet, wedte ihm das Bedürfnis nad) irgend
welcher Erfriihung, und jo fam ein Tag, an
beſuch zugedacht, im Licht einer erwünfchten
Zerftreuung erſchien. Zwar hatte er zur Zeit
feines häufigen Verkehrs mit ihr wiederholt
vorausverfündigt, daß er plöglih aus ihrer
Bildfläche verſchwunden fein würde, fobald viel
Arbeit oder die Heimkehr feiner Frau über feine
Beit verfügten; er 1 dann aber jevesmal deut⸗
lich, daß ihm diefe Verfündigung nicht geglaubt
wurde. Der gute Humor, womit das fchöne,
verwöhnte Mädchen nun troßdem fein Aus:
bleiben hingenommen, die Unermüblichkeit der
freundlichen Lebenszeichen, die fie ihm zugehen
ließ, ftimmten ihn jehr zu ihren Gunften. Trotz⸗
dem zögerte er noch, dachte aber oft und öfter
an biefen Gang und befam große Luft, zuvor
einmal wieder das Vorftabttheater zu befuchen.
Es war Sonntag. Robert faß in feinem
Bureau und durchlas eben einen Zettel feiner
Frau, den ein Dienftmann ihm überbracht, und
welder ihm fagte, daß fie heute möglicherweije
nicht zur Mittagäzeit zurüd fein würde, er alfo
nicht mit dem Eſſen auf fie warten möge. Ob—
gleich dies zum erftenmal vorfam, fonnte e3
Robert nicht befonders auffallen; feine Frau
war zu einer franfen Freundin gegangen, bie
entlegen wohnte, und es lag nahe, daß ihre
Anmefenheit dort heute irgendwie nötig ober
nützlich ſei. Gleichgültig legte er den Zettel
fort und dachte daran, den ohnedies freien
Sonntag nun zu feinem Befud in der Sophien-
ftraße zu verwenden, wozu er fich gleich zu
rüften begann, Das pikante Gefihtchen warb
auf einmal fehr lebendig in feiner Erinnerung ;
er meinte ihr riefelndes Lachen ſchon zu hören,
die reizenden Wangengrübchen vor fich zu fehen.
Mährend er noch beihäftigt war, ſich umzu—
Heiden, hörte er auf dem Gange draußen ein
Poltern, und das Anflopfen eines Fremden an
der Bureauthüre.
„Gleich!“ rief er, „nur herein!“ und trat
aus feinem Zimmer in dad Bureau zurüd, mo
er einen Padträger mit einer ziemlich großen
Kifte vorfand.
Es bedurfte nicht erjt eines Blides auf ben
Abfendungsort des Frachtbriefes, die Form ber
Bilderfifte genügte, ihn zu orientieren. Als ber
Mann fich entfernt hatte, blieb Robert mit fin:
jterem Geficht vor der Sendung feines Freundes
Hans ftehen; ein bitterer Zug legte fih um
feinen Mund. Was follte ihm jet diefe Er:
Die Madonna mit den Eilien.
füllung eines Wunſches, der in eine Zeit zurüd:
wies, die nicht mehr war? Sein nädjiter Ge:
danfe hieß ihn den Bureaubiener rufen, um bie
Kifte uneröffnet nach dem Bodenraum fchaffen
zu laffen; da befann er fi, daß der Mann
heute nicht im Haufe fei. Er warf nod) einen
Blid auf das Holzgehäufe, nahm dann feinen
Hut, ging und ſchloß wider Gewohnheit Hinter |
ſich ab. Noch war er aber nicht bis zur Treppe
gelommen, als er umkehrte, wieder aufichloß,
und das Käftchen mit dem Hanbmerfäzeug her:
beiholte. Er wollte doch jehen, was Hans ge:
malt. Bald waren die Schrauben los, und der
Blendrahmen auf einen der Zeichentifche in
gutes Licht geftellt.
Robert jtand mit untergefchlagenen Armen
vor dem Bilde. Im dunfelblauen Mantel, ein
weißes Schleiertuc über dem Kopfe, blidte das
ſchmale, dunfle Madonnenantlig mit ruhigen
Augen auf ihn Hin, Lilienzweige in den Händen.
Ja, es war das Bild feiner Kindheitätage,
mit den ftrengen, faſt fteifen Linien, dem tief
gedunfelten Farbenton, — nur die Aehnlichkeit |
mit Franziska, welche ihm eine zugleich lebhafte
und unbeftimmte Erinnerung vorgefpiegelt,
fehlte ganz und gar. Dennoch war ihm ran:
ziska diefem Bilde gegenüber fo nahe, fo gegen:
wärtig! Taufend Erinnerungen drangen zugleich)
auf ihn ein, — feine Kinderzeit, feine Mutter,
alles Gute, Liebe, Reine, das ſich an die heimat-
lihe Madonna für ihn fnüpfte, hatten ja feine
Gedanken zugleich mit den Lilien, die ihr Wahr:
zeichen gemwejen, in die Hände feines MWeibes
übertragen, von dem Augenblide an, wo fie
ihm zum erftenmal begegnete. Heiß überflutete
ihn das Gefühl, ihre Liebe fo wenig entbehren
zu können, als den eigenen Atemzug, und es
ging ihm wie ein Schnitt durch das Herz, dak
ihm dieje Liebe entzogen fei. Der Groll in ihm
ſchmolz hinweg, fo ganz und gar, daß er ſich
nicht einmal mehr darauf befinnen fonnte; nur |
das Entbehren blieb, und der Entſchluß, die
unfihtbare Mauer niederzureißen, fein Gut mit
feſtem Arm zu faffen und zu halten.
Nicht lange und er war auf dem Mege,
den er fich heute vorgenommen; es verlangte
ihn danach, auch den oberflächlichſten Zufammen:
hang mit jeder anderen zu löfen, ehe er Fran—
zi8fa wieberfah. Florys vor einer Stunde nod)
jo frifh aufgetauchtes Bild war ihm nun ver:
ſchwunden wie in eine Theaterverfenfung und
es erſchien ihm kaum begreiflih, daß er diefen
625
\ Weg fo oft zurüdgelegt hatte. Als er in das
wohlbekannte Zimmer trat, fprang ihm das
Flitterhafte in defjen Aufputz plöglid neu in
die Augen, wie am Tage feines erften Bejuches.
Er behielt aber nicht lange Zeit fid) umzufehen;
bei dem erften Ton der Stimme, die nad) ihr
frug, ftürzte Flory herein und fiel ihm mit
einem Freudenſchrei um den Hals.
Robert machte fi) los und fah betroffen
des Mädchens Augen voller Thränen jtehen.
Ihr reizendes Gefiht hob ſich zu ihm auf wie
das eines bittenden Kindes, und fie atmete raſch
in einem Ton, den er wohl auf der Bühne, aber
| nie fich gegenüber von ihr gehört: „Böfer, Lie:
ber, warum haft du mir das angethan! Noch
ein Tag und ich wäre vor Sehnfucht frank ge:
worden oder — zu dir gefommen. “
Seine Pulſe ſchlugen fchneller.
„Ih fagte Ihnen voraus, daß ich früher
oder fpäter mwegbleiben würde, liebe Flory!
ı Nun ift’s an der Zeit — geben Sie mir eine
Patſchhand und fagen wir Ade!*
Der alte Nedton fam etwas gezwungen zu
Tage und fand fein Eho. Flory ergriff feine
' Hand und fagte mit großen, feuchten Augen:
| „Sie? — Ihnen? aber was hab’ id dir denn
gethan ?“
„Nur Liebes und Gutes, Kind! und hoffent:
lic) fagen Sie das au von mir. Wir haben
manche fröhlihe Stunde miteinander verlebt,
es gibt wahrlich, feinen Grund, daß ‚Seufzer
und Thränen dahinter nachfämen.‘ Ade! und
vergeffen Sie nit ganz den alten Gejellen,
fleine Fadette!“
Er war hinaus. Der Abjhluß mit diefer,
von ihm ftets jo leicht genommenen Epifode
hatte ſich nun doch nicht ganz fo geftaltet, als
er vorausgeſetzt. Nie war ihm der Gedanke
gefommen, daß Flory ihn anders betrachte,
als wie einen Zufallsgaft, an dem fie ihre
' Augen probierte, über den fie allerdings ein
ı Ne zu werfen verfudt, defjen Gewebe aber fo
| Iuftig geweſen, daß er überzeugt blieb, es mit
der leifeften Bewegung zerreißen zu fönnen.
Er wußte genau, daß auch die eben erlebte
| Anmwandlung von Zärtlichfeit nur eine Laune
|
|
|
|
war, und doch hatte er fi einen Moment davon
berühren laffen, hatte zum erjtenmal gefehen,
was er fi ftet3 verleugnet — bie Gefahr!
Wenn diefe jungen Augen ihn früher fchon fo
feuht und bittend angeblidt, wenn fie ihm
noch in der Stimmung des heutigen Morgens
626
begegnet wären, wo er, jeinem Geliebteſten ab:
gewendet, nach) etwas Erfreuendem dürjtete —
wer weiß! Mie jehr hatte Franzisfas drängende
Frage in der fchlimmen Stunde des Wieder:
jehens ihn beleidigt! und nun befannte er fich,
daß fie ein Necht gehabt, zu fragen, ihn auf
fein Gewiſſen zu fragen, ob fih dem Mädchen
gegenüber nie Stärferes in ihm geregt, ala Luft
an erquidlichem Zeitvertreib ?
Die fhöne, gehobene Stimmung, womit er
fein Haus verlaffen, war erſchüttert, er hatte
einen bittern Geſchmack auf der Zunge, un:
erbittlich deutlich trat e3 vor ihn hin, daß ber
Sprung, mit dem er aus bem feitgezogenen
Kreife feines Lebens in eine bunte Welt des
Scheines hinübergejegt war, die ihn gar nichts
anging, dem reifen Manne überhaupt nicht zu
Gefihte geitanden, und daß der Hauptreiz, der
ihn dort fejtgehalten, eine Schwäche war, die
er ftet3 weit von fich gewiefen: gejchmeichelte
Eitelkeit.
In wiberftreitendem Empfinden ging er
den Weg zurüd, den er fo in fich beruhigt an:
getreten.
Franziska Fam um die Dämmerzeit ange:
griffen nach Haufe. In der Familie, mit welcher
fie den Tag verlebt, war der Tod eingefehrt
und hatte Menjchen, die fidh teuer waren, von:
einander geſchieden. Das weiße, ftille Geſicht
der Frau, welcher fie die lete Liebe erwiejen,
ging neben ihr her wie ein ftummer Zeuge aller
Gedanken, mit denen fie ihr Haus betrat. Sie
ſehnte fich tief nach ihres Mannes Augen, feiner
Stimme, fehnte ſich, ihren Kopf an feine Schulter
zu ftügen und ohne Worte von ihm verjtanden
zu fein. Sich mit ihm auszufprechen, was man
fo nennt, trug fie tieffte Scheu. Was hätten
fie einander wohl fagen können, das durch
Worte überfegbar geweſen wäre? Es gab nur
eines: Herz an Herz jchlagen zu laffen. Und
er liebte fie nicht mehr.
Still legte fie ab, ging in ihres Mannes
Zimmer und, als fie ihn dort nicht fand, in
das anftogende Bureau. Es war noch eben hell
genug, bie einzelnen Gegenſtände zu unterfchei-
den; fo fiel ihr auf den erften Blid das noch
aufgejtellte Bild in die Augen. Sie glaubte zu
träumen — zwei Schritte und fie jtand vor diefem
Bilde, das fie nie gefehen, das fie aber kannte
wie ihre eigene Seele. Ein Namenlojes durd:
fchauerte fie — die Madonna mit den Lilien
hier in ihres Mannes Zimmer, fie jebt hier zu
Friedrich Knauer
finden, ließ ihr Herz erzittern. Da rafchelte etwas
unter ihren Füßen, fie büdte fih und hob ein
Briefblättchen auf. War das für fie? gab es
Aufſchluß? Sie eilte zum Fenfter, erfannte
beim legten Tagesihein Hans Kaiſers Schrift
und las, von heißer Erregung getrieben, die
wenigen Zeilen:
„Ich habe Dir den Willen gethan, Alter,
gern that ich's aber nit. Wie Du je darauf
verfallen bift, Deine rau mit diefer bronze-
farbigen Muttergottes zu vergleichen, tft mir
ein Nätfel. Als Entfhädigung für mein Freund-
ſchaftsſtück bitte ih mir aus, Frau Franziska
nad meiner Heimfunft porträtieren zu dürfen,
mit oder ohne Lilienftengel, wie es ihr genehm
fein wird,
Was Deine Heine Schaufpielerin betrifft,
jo hat Dein Beriht mich amüfiert; ich kenne
die allerliebfte Wetterhere, die für Strohwitwer
im allgemeinen fein fehr heilfames Rezept gegen
häusliche Einfamfeit fein dürfte. Für Dich
gibt’3 da feine Gefahr, Du Haft ja eine Schu:
heilige, beneidenswerter Glückspilz! Wenn Dir
einmal eine Franzisfa-Doublette aufftoßen follte,
jo melde mir das ohne Zeitverluft! H. 8.”
Franzisfas Augen wurden feucht. Wie ein
Strom raufchte ihr die alte, fo jammervoll ent:
| behrte Zuverficht in das Herz und füllte eö bis
an den Rand. Da ließ ein leifes Geräuſch
fie aufihauen ; auf der Schwelle ftand ihr
Mann und jah fie an.
„Vergib!“
Das Wort flog wie ein Jubellaut über ihre
Lippen. Herz an Herz empfanden die Gatten
nur eines: Sie hatten ſich wieder!
Loſe Blätter aus meiner Wandermappe
Bon
Friedrich Ananer.
I dem echten Tourijten, der ohne jeden
Nebenzwed die herrliche Natur durchwandert
und mit dem mir die genußreiche Freude an den
mannigfaltigen Naturfcenerieen teilen, haben wir
das Verftändnis für die finnreichen Details, die
unfcheinbaren und doch oft fo vielfagenden Ein:
zelheiten bes Naturlebens voraus. Wir wandern:
den Naturforscher gleichen da mehr dem Künſt⸗
coſe Blätter aus meiner Wandermappe, 627
Epirtendbe Giähörmden
(er, den oft ein einziger Baum, ein
wunderlich aeforntes Felsſtück jtun:
den, tagelang aefefielt hält. Es ae:
schicht uns deshalb auch nicht Leicht,
wie dem Tourtiten, daß uns eine
Gegend ganz unbefriediat läßt. Ber:
mag der Totaleindrud irgend einer
Yandichaft nicht unfer Intereſſe zu
erregen, fo bietet ſich doch allerorts
Anlaß zu interejlanten Cinzelbeob:
adıtungen, und ſolche Cinblide in
das ſinnige Getriebe der Natur hat
A! | An noch niemand ohne Befriedigung ge:
IRER rt than, Was ſich jo auf meinen zchn:
rer 6 { jährigen Wanderungen durch natur:
beanadete Yänder in Wald und Feld,
628
in Fleinen Epifoden und Naturbildern vor mei:
nen Augen abgejpielt, das will ich hier, foweit
es auch für den nichtfachmännifchen Leſer von
Intereſſe fein dürfte, wieder erzählen, und es joll
mir genügen, wenn die nachfolgenden ſchmuck—
lofen Schilderungen auch nur vermödten, dem
Leſer manche liebe Stunde, verlebt in freier
Ihöner Natur, wieder wachzurufen.
1. Eine Wald: dylle.
Im Juli war's. Die Miefen ftanden in
vollem Blütenfhmud und allerorts machten
ſich Ampfer:, Melden, Dolden: und Schoten:
gewächſe und Difteln breit. Much die Waldflora
ſtand in prächtigſtem Farbenkleide da; Gloden:
blumen, die weigrötlichen Blüten der Engelmurz,
die gemeine Waldrebe, der großblumige gelbe
Fingerhut, der blutrote Storchſchnabel, Widen,
verjchiedene Fingerhutarten — wer zählt fie
alle — ſchmückten üppig wuchernd den Wald:
boden oder rankten an den Blumen und Sträu:
chern fich fort; angenehm bufteten aus jedem
Winkel am MWaldrande die finnigen Cyflamen:
blüten. Glühend brannten die Sonnenftrahlen
durch die Luft und müde nad mehrjtündigem
Nandern warf ich mid) auf einer Waldwieje im
Schatten einer Tanne hin. Um mic ftand einer
der herrlichen Nadelholzwälder mit prächtigen
Baumgejtalten, wie fie in unferem deutjchen
Walde immer feltener und feltener werden. Gibt
es auch etwas Schöneres, als einen hoch in die
Luft ragenden Nadelholzitamm? Wo, wie in
unferen zufammenhängenden Waldungen, meh:
rere Nadelholzarten nebeneinander fich finden,
bietet es eine wirkliche Augenweide, all die wech—
jelnden Nuancen des Blattgrüns und die ver:
ſchiedenen Baumtradhten zu betrachten. Hier das
zartefte Hellgrün der faum erft entfalteten Blät—
ter, dort das tiefdunfle Grün alter Blätter, zwi:
ſchendurch alle Schattierungen vom hellen zum
immer gejättigteren, dunfleren Grün. Und die
verſchiedenen Umriffe und Formen der einzelnen
Bäume! Mit regelmäßigftem Nitwuchs, ein herr:
liches Vorbild unferer gotischen Baukunſt, fich
allmählich nach oben verjüngend, jteht die Fichte
als elegante Schöne neben der Edeltanne, die
ariftofratifch vornehm in ihrem hängenden Ge:
zweige eine ftolze Lälfigkeit zur Schau trägt,
während wieder bei der Kiefer mit ihren büfchelig
gruppierten Blättern, die alle aus einem Bunfte |
den. Auf mich machte das ganze Treiben den
hervortreten, fi der ganze Baum um einen
Sriedrich Knauer,
haben wir, wie im Leben, den fühnen felbftver:
trauenden Streber, den vornehmen Blafierten
und den genügſam anfpruchlos Inſichgekehrten.
.. . Nichts ftörte meine Träumereien. Nur ab
und zu ließen fich die Aſtſchläge eines Spechtes
vernehmen oder rief der Kudud feinen traulichen
Nuf aus der Ferne herüber. Da vernehme ic)
plöglid) ein Knaden eines abgebrochenen Zwei:
ges und, wie ich lautlos Umfchau halte, fehe ich
über mir aus dem Geäjte das Köpfchen eines
Eihhörndens ſcheu und neugierig hervorlugen.
Das muntere Treiben diefer liebenswürdigſten
Bewohner unjerer Wälder hat von jeher mein
und wohl aller Tierfreunde Intereſſe erregt,
und mo immer fi mir die Gelegenheit bot,
ihrem pofjierlihen Gaufelfpiel beobachtend zu
folgen, ließ ich mich die verlorene Zeit nicht
reuen. Diesmal jollte meine Ausdauer ganz be:
ſonders belohnt werden. Schon nad) einer furzen
Vierteljtunde hörte ich dasfelbe Anattern und
Knaden von mehrfacher Seite, und bald fah ich
eine ganze Familie von Eichhörnchen über mir
im Gezweige verfammelt. Sie waren jedenfalls
auf Nahrungsſuche fort geweſen und nun nach
ihrem Heim zurüdgefehrt. ch zählte elf Stück;
eineödavon bedeutend größer, gewiß die Mutter,
jechs ſchon herangewachſene unge, vier viel:
leicht drei Wochen alte Tierchen. Es hatte jich
da ohne Frage die erite Brut mit den lebten
Hedlingen zufammengefunden. Bon den ſechs
älteren waren zwei ſchwarz gefärbt, die anderen
hatten das befannte rötlihe Sommerkleid. Nach
ihrer Ankunft hielten fie ſich einige Zeit in der
Nähe ihres Neftes, das fih mit Hilfe meines
Feldftechers als ein geräumiges Kugelneft mit
flachfegeligem Dache entpuppte, defjen Eingangs:
öffmung unten lag. Die Unterlage des Baues
ſchien ein verlafjenes Krähenneft zu fein; die
Außenwandung war von durcheinander gezoge:
nem, gröberem und feinerem Reiſig gebildet.
Das Net mußte noch eine andere Deffnung ha—
ben, denn ab und zu fchlüpfte eines der Jungen
bei der Eingangäöffnung hinein und fam oben
fnapp am Stamme (dad Neft ftand zwischen
zwei Gabeläften und dem Baunftamme) wieder
zum Borfchein. Nah und nad) wurde die Ge:
jellichaft lebendiger. Die Mutter ſchien an dem
Treiben ihrer Jungen vielen Gefallen zu finden
und machte ihnen die tolljten Sprünge vor, die
von den fleinen Turnern fofort nachgeahmt wur:
Mittelpunkt fonzentrieren zu wollen jcheint. Da | Eindrud einer regelrechten Unterrihtsübung,
£ofe Blätter aus meiner Wandermappe.
denn die einzelnen Uebungen wurden nicht durch:
einander, jondern nad) und nad) vorgeführt und
eingeübt. Den Anfang machten Kopfüberdrehun:
gen an einem Afte, etwa wie wir fie beim Tur:
nen an der Melle vornehmen. Es bot einen
poſſierlichen Anblid, die Jungen in dem Be:
itreben zu ſehen, es der Alten an Schnelligkeit |
der Nabbewegungen gleihzuthun. Dann ging
e3 ans Springen von Zweig zu Zweig, und in
dem Verfuche, einander zu überbieten, Tollerte
629
| wiederholt eines der ganz jungen Tierchen auf
einen tieferen Zweig hinab, in welchem Falle
die Mutter ftets, wohl mehr aus Mutmwillen als
aus Sorge, in jähem Sprunge binterherjagte.
Ab und zu fchlüpfte eines der Jungen in das
Neft und holte aus diefem etwas Eßbares her:
vor, an dem es in der befannten netten Stellung
mummelte, dabei aber wenig Nuhe hatte, denn
jeden Augenblid fam eines der Geſchwiſter ver:
langend heran und mußte ſich die Geftörte be:
Manberndbe Ameilen
ſtändig wenden und drehen, wobei fie ein ärger:
liches Murren hören ließ. Meine Anweſenheit
jtörte die Geſellſchaft durchaus nicht. In ihren
Turnübungen waren ſie immer weiter vom obern
Geäſte herab und ihrem Neſte weggekommen, fo
daß uch fie immer befier zu Geftcht befam und
meines Fernrohres nicht mehr bedurfte. Hier
begann die Alte neue Turnerei, indem fie in
jühem abe von einem Aſte des einen Baumes
auf den ziemlich entfernten des Nachbarbaumes
hinüberfpranga, die älteren ungen fofort, Die
Füngſten erjt nach einigem Zögern binterher;
befonders eines der Ichmarzen Jungen zeichnete
ich bei all den Uebunaen durch Geſchiclichkeit
|
und Wagehalſigkeit aus. Als auch dieſe Nufgabe
durchgeübt war, nahm das Weibchen einen An—
lauf nach dem Hauptſtamme des Nachbarbaumes
hin und lief dieſen, oft ſich mutwillig überpur—
zelnd, entlang auf und ab, die Jungen zu im—
mer ſtürmeriſchem Kletterrennen ermutigend,
wobei wiederholt ein paar Junge über die Alte
hinwegvoltigierten. Je beſſer die Jungen es
trafen, deſto toller und übermütiger wurden die
Gauklereien der Mutter. Den Schluß all dieſer
Uebungen bildete dann ein Wettlaufen auf der
Waldwieſe von dem Fuße des einen Baumes zu
dem des anderen. In größeren und kleineren
Sätzen ging's dahin und zurück, und oft rannten
3a
N
630
die ſchon wieder Umfehrenden den erjt Anlan:
genden in die Arme. Bei all dem Umbherjagen
wurde aber auch Labung nicht vergejien, bald
hier eine Knofpe, ein junger Trieb gefnidt, dort
ein Tannenzapfen nach Kernen unterſucht oder
wohl gar eine aufgefundene Nuß mit größtem
Behagen zerfnadt. Wer weiß, wie lange ich nod)
dem frohen Treiben diefer liebenswürdigen Tier:
chen unverbrofjen gefolgt wäre, hätte mir nicht
ein in der Nähe gefallener Schuß die ganze Ge:
jellichaft ins Gezweige verjagt. So oft ich aud)
jpäter noch Eichhörnchen nachging und einzelne
ihr Iuftiges Spiel treiben jah, eine ganze Ya:
milie bei folcher Unterrichtöftunde zu belaufchen,
glüdte mir nicht mehr.
2, Auswanderer.
Es ift nicht des Menſchen Los allein, dem
Drang der Verhältniffe weihend, vom „Liebjten,
das er hat”, jcheiden, fein Heim verlafjen zu
müffen und ferner Fremde zuzuwandern. Aud)
die Tiere überlommt zuweilen die zwingende Not:
wendigfeit, von der Heimat zu laſſen und anderen
Ländern zuzueilen. Ich willnicht der vielen Wan—
derfahrten unferer Zugvögel gedenken; die fehren
ja wieder; auch nicht der zeitweiligen Züge der
Fledermäufe, der abenteuerlichen, fagenumipon:
nenen Zemmingfahrten, der periodischen Hin- und
Herzüge der Wildefel, der Bifons, der Renntiere,
der Male und Robben, der plöglichen Wande:
Ymamber fübafrifanischen Antilopen, der Wan-
derheufchrede,”tT Ruubzüge gewiſſer tropiſcher
Ameiſen, der jahrlten Brautzüge ber Landkrab⸗
ben, Seeſchildkrͤten AR; je. In all dieſen
Fällen, wenn ic) von Wald: nn tefenbränden,
Ueber hwenmungen, Seuchen grwüftungen
durch Erdbeben abfehe, ift der eingegtene Nah:
rungsmangel oder der Wunſch, für die inftige
Brut pafjende Wohnpläße aufzufuchen, die Tñeb⸗
feder der Auswanderung, und ſie alle kehren regel:
mäßig oder doch beim Eintritt der früheren Ber:
hältnifje wieder nad) ihrer Heimat zurüd. Es
gibt aber auch andere Umstände, die den Tieren
ihr Heim verleiden können, läjtige Nachbarn,
wiederholter Ueberfall ihrer Behaufung, Beun:
ruhigung durch Lärm u. a. m. Solch läjtiger
Beeinfluffung weichen viele Tiere, räumen ihre
Siedelung mit Sad und Pad und gehen daran,
an günftigerer Stelle eine neue Niederlafjung zu
begründen. Diefer Fall trifft oft bei Ameifen: |
folonieen ein, und einen ſolchen habe ich erft ganz
fürzlich wieder zu beobachten Gelegenheit gehabt. | bald fürzerem Suchen fand ich jedoch den Zug
Srledrid; Hauer. £ofe Blätter aus meiner Wandermappe,
An einem der heißen Maitage diefes Jahres
war ich in unfern Wienerwald hinausgewandert,
und zwar von vornherein mit der Abficht, einmal
dem Treiben der Ameifen im Freien zuzufehen
und bannaus dereinen und anderen Nieberlafjung
Heine Geſellſchaften ſamt Puppen und Eiern ge:
fangen mitzunehmen. Ich hatte mehrere Baue
im Holzenagender Ameijen und einige Kolonieen
kleiner roter Nafenameifen mit Muße durchjucht
und aus jedem Baue einige hundert Gefangene
gemacht, als ich auf einer verjtedten Waldlichtung
auf einen etwa vor einem Tage begonnenen ganz
niederen Hügel unferer roten Waldameiſe ſtieß.
Ueber den in den Erdboden gegrabenen Gängen
waren die aus der Erde heraufgeholten Erd:
frümdhen und etwa eine Handhoch Nadeln, Eleine
Zweige, Halmwerk und Harzbrödchen zufammen:
getragen. Die Inwohner fand ich in voller Ar:
beit, zugleich aber, was mirfofort auffiel, bewegte
fi) ein Zug hin und her wandernder Ameijen
ſeitwärts nad) dem Walde hin. Sowohl die Teil:
nehmer des Zuges als die beim Baue Beichäf:
tigten waren durchaus Arbeiterinngn, Männchen
und Weibchen waren nicht zu finden; aud fanden
fi) bei Unterfuchung des Baues feine Eier oder
Puppen. Die mitdem Zuge Ankommenden ſpran—
gen fofort in die Arbeit ein, während andere die
Arbeit fein liegen und fortzogen. Ich
Treiben eine lange Stunde zu, als plößlich in
dem Zuge infofern eine Aenderung eingetreten
war, daß feine Arbeiter mehr anfamen, wohl
aber immer mehr wegwanderten, bis nad) einer
weiteren halben Stunde der Zug aufhörte, und
da, wo früher mehrere taufend gearbeitet hatten,
faum hundert mehr langjam ihrer Arbeit nach:
gingen. Nachdem ich in einer nahegelegenen
Reftauration einen Imbiß genommen, fehrte ich
nad) etwa zwei Stunden wieder zu dem Baue
zurüd und fand alles beim nur daß ab und
zeinige Arbeiter in der‘
Zuges eintiikt. Sald f 4%
und endlich war wiedif „yon Ur:
beiterinnen im Julaufe,
Zufchleppen von Baufto
Treiben noch eine Weile zu, dann aber machte
ich den Berfuch, der mir ſchon öfter geglüdt war,
den Zug nad) feinem Urfprunge zu verfolgen.
Dies war diesmal nicht ganz leicht, da der Zug
ſchon etwa zwanzig Schritte vom Baue weg nad)
einem Abhange Hin ſich verlor und wiederholt
unter Gejtrüpp hindurchzog. Nach bald längerem,
he
ir gingen. Ich ſaft |
\
G. Emil Bartkel.
immer wieder und gelangte endlid) an den Wald:
vand und längs diefem nad) einem Hügel, an
dejlen Fuße ein erfichtlicy erjt vor furzem zer:
ftörter Ameifenbau lag. Hier fand ich alles in
Aufregung; Arbeiter, Männchen, Weibchen wog: |
ten durcheinander; da und dort wurde eine Puppe,
ein Ei in Sicherheit gebracht; aber es wurden |
feine Anftalten zum Wiederaufbau getroffen, was
ja ſonſt nad) jeder Zerjtörung eines Baues jofort
geichieht. Ich fand bald den Grund hierfür,
indem ich bei genauerer Unterfudung wahrnahm,
daß der Bau jhon zu wiederholten Malen zer:
ftört worden jein mußte. Nun wurde mir Har,
daß die Ameifen im Begriffe jtanden, den Bau
aufzulajjen und auszuwandern und daß der von
mir zuerit aufgefundene Bau das neue Heim der
Ameijenfolonie ſei. Daf dem wirklich jo, fonnte
ich noch an demfelben Tage erfahren; denn als
ich am Heimmwege nad) etwa vier Stunden beide
Baue nochmals auffuchte, fand ich die Ameifen
In einer Sturmnacht.
631
zum großen Teile ſchon überfiedelt, und ſtieß, als
ich dem Zuge nachging, etiwa in der Mitte des:
jelben auf Arbeiterinnen, die mit Puppen oder
Eiern belaftet waren; andere Arbeiterinnen
ichleppten Baumaterialien vom alten Baue mit.
Die neue Anfiedelung war von der alten in ge:
vader Linie über 300 Schritte entfernt; da aber
der divefte Weg über jumpfiges Terrain führte,
mußten die Nuswanderer in weitem Bogen um:
gehen.
Ich juchte acht Tage jpäter beide Baue
nochmals auf, fand den alten ganz verlafien, den
neuen gewiß dreimal höher geworden. Was ein
ſolches auswanderndes Bölfchen bewegt und
ob ihnen die Trennung von ihrer Geburtsftätte
nahegeht, das entzieht ſich wohl unferer Beob-
ahtung; die Härten und Mühen folder Aus:
wanderung aber bleiben ihnen ebenjowenig er:
jpart, wie dem Europamüden, der in der Neuen
Welt fein Seil fucht.
In einer Sturmnadt.
Von
6. Emil Barthel.
Der Himmel grau, fein Sternlein mehr
Erglänzt vom ganzen Sternenheer,
Nur Wolkenſchichten jagen
Und braulend fährt der Sturm daher,
Die Erde bebt, es wogt das Meer
Die Glocken halfen dumpf und fchwe:
Und Menfichenberzen jagen.
Kerr Gott, in deine Hand gelegt
Set jedes Schiff. das Menſchen trägt
Auf fturnmbewegten Wellen!
Und jedes Berz, das haſtig ichlägt,
And wie ein Schiff. vom Sturm bewegt,
Auf Eebenswogen falten träat: —
D fa cs nicht zerjchellen !
632
Gauptmann Zernin.
Der Hohentwiel
Bon
Haupfmann Bernin.
„Wer die Geſchichte feines Vaterlandes in kurzen
Umriſſen kennen lernen will, der vertiefe ſich in die
Bergangenheit einer ſolchen Feſte, deren Sallen oder |
Trümmer die Zeugen großer Freignifie gewejen find.“ |
Goetbe.
D* Neifende, welcher von Nordoften fommend
auf der Schwarzwaldbahn das gejegnete
badische Land von Dffenburg an quer durd):
ichnitten, die Höhen des Maldgebirgs bei
St. Georgen überftiegen und hinter Villingen :
das wiefenreiche Thal der hier noch fehr jung:
fräulihen Donau fchnellen Flugs durchmefien
hat, wird am fernen Horizont durch einen felt: |
famen Anblid überrafcht. Weftlich von dem aud)
kriegsgeſchichtlich bekannten Städtchen Engen
mit feiner großen und fchönen Pfarrfirche treten
nacheinander mehrere Bergfegel fchroff hervor. |
Da erſcheint zuerjt die Spite von Hohenhöfen
und weiter füblih Hohenftoffeln; die Bahn
biegt dann ganz nahe um die fcharfgejchnittene
Ede von Hohenfrähen und hält endlich bei
der Station Singen am Fuß der gewaltigiten
diefer Bergkuppen, des Hohentwiel. Wie
jchon der Name andeutet, find diefe Bergſpitzen
ſämtlich von nicht geringer Höhe, fie erweifen
fih mit noch vier weiteren Bergen als frei:
ftehende Bafaltfelfen ohne Verbindung mit an:
deren Bergrüden und fallen darum ganz be:
jonders in das Auge.
Wie fommt e8 — jo fragt man fi beim
Anblid diefer ſeltſam geftalteten Bergriefen —,
daß diefe zadigen Felsungeheuer fo unvermittelt
in flahem Lande auftreten, welche Naturfraft
hat jie gefchaffen, und wie lange ftreden fie
wohl ſchon ihre bemooften Häupter jo fühn zum
Himmel empor?
Eine bejtimmte Antwort auf ſolche Fragen
wird uns niemand geben, felbjt der gelehrtejte
Geologe hat hierüber wohl nur Vermutungen.
Ohne Zweifel bilden jene hohen, vulfanifchen
Bergfegel, die mitten aus dem Bodenſatze alter
Flut auffteigen, Denfjteine einer ſtürmiſchen
Vorgeſchichte unferer alten Mutter Erde. In der
Niederung, die einst gleich dem jetzigen Beden
l
1}
|
des Bodenſees von der wogenden Flut über-
ſtrömt war, ragen dieje fchroffen und malerifchen
Bergipigen empor; ihre bafaltiihen Maffen
‚ müfjen ſich wohl glühend durch die Spalten der
Erdrinde den Weg über den Mafferjpiegel ge-
bahnt haben. Für Fiſche und Wafjermöwen mag
es ein denfwürdiger Tag geweſen fein, als es
in den Tiefen fo braufte und zijchte und Die
Erdoberfläche eine neue Gejtalt annahm. „Aber
das ift Schon lange her," jagt J. V. von Scheffel
im erjten Kapitel feines „Ekkehard“ und fährt
dann fort: „Es ift Gras gewachſen über die
Leiden derer, die bei jener Ummälzung mitleid-
[08 vernichtet wurden; nur die Berge ftehen
noch immer ohne Zufammenhang mit ihren
Nachbarn, einfam und troßig wie alle, die mit
feurigem Kern im Herzen die Schranfen des Vor—
handenen durchbrechen, und ihr Geftein Elingt,
als ſäße noch ein Gedächtnis an die fröhliche
Jugendzeit drin, da fie zuerſt der Pracht der
Schöpfung entgegengejubelt. “
Sobald man bei Singen die Bahn verlafjen
hat, wendet man ſich direft zu dem Ort und
durchwandert feine breiten Hauptitraßen. Man
überjchreitet dann den Schienenweg und das
rafchjtrömende Flüfchen Nah, folgt hierauf
einem durch Wiefen ſich ſchlängelnden Fußpfade
und trifft nun auf einen guten Fahrweg, der
in fanfter Steigung bergan führt. Faſt greif-
bar ftredt uns der Hohentwiel feinen breiten
Felſenrücken entgegen, in einer halben, höch—
jtens dreiviertel Stunden fcheint er eriteigbar,
allein bald verlangjamt, durch die zunehmende
Steigung des Wegs, des Wandererd Schritt,
und es dauert wohl über eine Stunde, bis er
die Bergipige erreicht. Der Hohentwiel hat die
nicht unbedeutende Höhe von 684 mı, erreicht
alfo die beiden größten Spigen des Taunus:
gebirges: den großen Feldberg (880 m) und Alt:
fönig (798 m) nicht ganz, dagegen überragt erin
nicht geringem Maße den höchſten Punkt der
Bergitraße: Melibotus (512 m), den Felsberg
| im Odenwald (495 m), den Trifels in der
Der Hohentwiel.
Der Dobentwiel.
Nheinpfalz (462 m), den Königſtein an der
Elbe (355 m) u. a. m. Nach einer Wanderung
von etwa 25 Minuten erreicht man den Hof
oder die Meieret bei der alten Linde, wo ein |
ſchwäbiſcher Schultheig der Hohentwiel bildet
mit feiner Umgebung eine württembergiſche
Enclave - die Trümmer der alten Feſte hütet.
Nun hört der Fahrweg auf, ein jteiler und
recht jteiniger Fußweg führt weiter auf die
Höhe. Der Weg wird immer unbequemer, jo
dak auf demjelben ſchon unzählige Schweif;:
tropfen vergoſſen fein mögen; endlich gelangt
man an das erite in den Fels gehauene Thor,
überfchreitet die ehemalige Zuabrüde und ift
auf der eriten Bergterraffe angelangt. Ueber:
rafcht blidt man um ſich und erfreut ſich an der
ebenfo weiten wie ſchönen Ausſicht, die ſich in
fo ausgedehnten Umkreiſe jelten in Deutichland
wiederfinden mag. Der Dichter des „Efkchard“
jagt von ihr: „.... Ueber dem glänzenden Boden:
fee grüßt der Säntis aus blauer ‚Ferne fo an-
mutig und groß herüber wie vor viel hundert
‚jahren, und es tft immer noch ein vergnüglich
633
©. Dulohwuht
D Handı md Rof'mihlm
Rah Merian,
Geſchäft, ins jchwellende Gras gelagert, cine
Umſchau zu halten über das weite Yand,“
In der Ihat wird hier eine Nundichau ae:
boten, die einen feltenen Reiz hat. Fächerartig
ausgebreitet liegt die ganze Niederung vor
unjern Augen, nur einzelne Anhöhen — fo be:
jonders der jeltfam ageitaltete Felsblock des
Hohenfrähen jteigen aus derjelben empor
und heben fich ſcharf vom Horizont ab. Südlich
Ihimmert die lange Silberfläche des Bodenfees
zu uns herüber, und hinter ihr hebt der breite,
durd) eine Kluft in zwei Zaden geteilte Gebirgs—
rüden des Säntis jein leider öfters durch Nebel
verhülltes jchneebededtes Haupt hoch in Die
Wolfen. Bet flarer Yuft muß der Standpunft
auf dem Hohentwiel eine überaus weite, male:
riſche Ausfidyt gewähren, die Tiroler und die
Schweizer Alpen jelbft bis zum Montblanc
jollen dem bloßen Auge erreichbar hier entgegen
treten, während die lachenden Ufer des Boden:
jees mit ihren verfchtedenen Gebietern — Baden,
Württemberg, Bayern, Defterreih, Schweiz
ſich deutlich unterſcheiden laſſen. Man gedenlt
634 Hauptmann Zernin.
auf diefer Höhe gern des Eichendorffichen Schönen | maleriſch, dann wieder jeltiam verwirrt. Die
Liedes: Burg, die hier einjt geftanden hat, muß von
„Wem Gott will rechte Gunft erweijen, ſehr bedeutender Ausdehnung geweſen jein.
Den ſchickt er in die weite Welt, Schon die Bergkuppe des Hohentwiel, welche
Dem will er ſeine Wunder weiſen weſentlich umfangreicher iſt als manche andere,
In Berg und Thal und Wald und Feld!“ wie z. B. jene, auf denen die alte Burg von
Die nächte Umgebung auf der Höhe zeigt Baden-Baden, oder der Trifels und die Maden-—
dem Wanderer ein großartiges Chaos von | burg in der Pfalz, die Starfenburg, Schloß
Trümmerhaufen. Da liegen fie, die gewaltigen | Auerbach und Burg Franfenftein an der Berg-
Reſte von Felsbauten, auf: und übereinander, | jtraße, die Ebernburg an der Nahe, Nheinfels
wie fie eine rohe Gewalt gejchichtet hat, oft | am Rhein u. a, m. geftanden haben, zeigt uns
* — ee
— —
*
Der Hohentwiel.
durch die Reſte der ausgedehnten Ringbauten, trägt, wenn er forſchend überdenkt, was ſeit den
daß hier einſt eine beſonders ſtattliche Fürſten- Tagen der Vorzeit über dieſe Felſenburg er:
wohnung geſtanden haben muß. Und wie mannig- gangen, auf deren Trümmern heute ſein Fuß
faltig und denkwürdig waren ihre Schiefale! ruht. Suchen wir nun die hauptſächlichſten
Eine Geſchichte von mehr als 1009 Jahren redet , Daten feitzuitellen, die fih an der Hand kun—
an dieſer Stätte zu uns; große, jtolze und wie: | diger Führer an dieſe redenden Zeugen der
der traurige Tage waren es, welche die Inſaſſen großen Vergangenheit knüpfen laſſen Y). Freilich
diefer Burg erlebt haben, bis der jtattliche Bau | —
endlich in einen ſolchen Trümmerhaufen ver:
wandelt wurde und alle menjchlicden Bewohner
ihm den Nüden kehrten.
Ebenſo groß wie der Genuß des Natur:
freundes auf diefer Stelle ıft der Gewinn, den |
der Freund vaterländiiher Gefchichte Davon: |
'Y Wir folgen in den vorftehenden Angaben
hauptſächlich dent fchon älteren, aber durchaus tüch—
tigen Werke: „Geſchichte Hohentwiels, der unbe:
zwungenen Feſte im dreißigjährigen Kriege. Ein
Veitrag zur Gefchichte desjelben, aus urkundlichen
Quellen dargeftellt von O. F. H. Schönhuth. Mit
einer Anftcht. Freiburg t. Br., 1836."
Weiter haben wir benutzt die vortreffliche und
iii WM m me u
Der Hohentwiel,
werden wir faum mehr als eine ſchmuckloſe
Aneinanderreihung von Creignifjen bieten kön—
nen, wie fie in der Folge von vielen Jahr—
hunderten über das Haupt des Hohentwiel und
jeine Glieder vorüberzogen. Auch er war einit,
wie es im Bollslied heift, eine „Itolze und
fühne“ Burg, — jebt find ihre Mauern „zer:
fallen und der Wind ftreicht durch die Hallen,
Wolfen ziehen drüber hin!“
Ueber den Urjprung der Felfenburg Hohen:
twiel ift ein dichter Schleier gezogen, den feines
Forſchers Hand bis heute zu lüften vermocht
hat. Gemichtige Anhaltspuntte fprechen jedoch
dafür, daß der Hohentwiel von den Römern
zuerſt befeftigt wurde, fo namentlicd der Name
duellnm oder duellium, den der Berg fchon
in den frühejten Urkunden trägt, ſowie die nahe
Zage des Hohentwiel am Rhein und Bodenſee,
an welchem die Nömer in den erften Zeiten ihres
Uebertritts nah Germanien Niederlaflungen
gründeten. Es wird angenommen, daf die Er:
bauung des Kaftells auf dem Hohentwiel etwa
im jahre 258 n. Chr. unter Kaifer Marimin
erfolgte; andere halten fie erit 100 Jahre jpäter
unter Valentinian für mwahrfcheinlih. In den
alles verheerenden Stürmen der Völkerwande—
rung blieb ficher die Felfenburg nicht verfchont,
ſpäter wurde fie wohleinem alemannischen Großen
als Wohnfit übergeben oder bildete den Aufent:
halt der Saugrafen des Hegaus unter den Ka—
rolingern. Um jene Zeit joll auf dem Berge
Twiel ein Klofter errichtet worden fein. Im
Jahre 890, als Schwaben noch nicht in ein Herzog:
tum verwandelt worden war und feine Ein-
fünfte zur königlichen Kammer gezogen wurden,
famen die fogenannten Kammerboten ins Land,
Erchanger und Berchtold, welche auf dem
Hohentwiel ihren Si nahmen. Im Jahre 915
hielt Die Burg ihre erfte Belagerung aus: Kaijer
" Konrad lagerte ſich vor diefelbe, doch mußte er
unverrichteter Sache abziehen, weil Herzog Hein:
nid) von Sachſen in Franken eingefallen war.
Damals muß der Hohentwiel ſchon eine feſte
Burg gemwejen fein, denn fie war zum Aufent:
haltsort der mächtigjten Gemwalthaber Ale:
Zuttlingen, herausgegeben von dem K. ftatiftiich-
topographiichen Bureau, mit Tabellen, Anfichten und
einem Plan von Hohentwiel. Stuttgart, 1879.”
Endlih haben wir in einigen Punkten aud)
die „Weichichte von Hohentwiel von E. von Martens
(Stuttgart, 1857)" zu Nate gezogen.
635
manntens gewählt und vergeblich belagert wor:
den. Ohne Zweifel fam Twiel nad) dem Ende
der Kammerboten an den neuerwählten Herzog
Burkhard von Schwaben als Neichölehen und
blieb in dejjen Familie. Burkhard II. vermählte
fih mit Hadwig, der geiftreichen Tochter des
Herzogs Heinrich von Bayern, einer Nichte des
Königs Dito, „eine ſehr ſchöne, aber gar ftrenge
Frau“, wie Ekfehard berichtet !). Die Ehe war
nur von fehr kurzer Dauer, der ſchon bejahrte
Herzog ftarb und hinterließ der Witwe ein
reiches Erbe neben dem Herzogtum. Frau
Hadwig — diefe von Scheffel jo charakteriſtiſch
gezeichnete hohe Frau — ſoll 994 aus ihrer
jtetS regen Lebenäthätigkeit abberufen worden
fein, doch iſt diefe Zeitangabe nicht verbürgt.
Nach ihrem Tode fiel der Hohentwiel an König
Heinrich II., den Nachfolger Dttos III. Im
Fahre 1079 befand ſich die Burg im Beſitz von
Rudolf von Schwaben, deflen Gemahlin Adel:
heid hier ihre letten Tage in Kummer und
Armut verlebte, während Rudolf im Norden
Deutfchlandse um die Königsfrone Fämpfte.
Sein Schwiegerfohn, Markgraf Berthold von
Zähringen, folgte ihm im Befis; zu jener Zeit
wurde der Hohentwiel — vielleiht zum erſten—
mal — erobert. Als nämlich nah Rudolfs
Tode im Jahre 1080 der Kampf des Kaiſers
Heinrih IV. und der Anhänger Nudolfs am
Bodenfee noch fortdauerte und Berthold von
Zähringen den Feind feines Schwiegervaters,
den Abt Ulrich von St. Gallen, mit Krieg über:
309, rächte fich letzterer dadurch, daf er feiner:
jeits die Güter Bertholds verheerte und auf
diefen Zuge die Bergfeftung wenn aud nicht
mit Gemalt, fo doch durd Verrat ihrer Be:
wohner nahm; er gab fie aber bald wieder zu-
rüd, Im Jahre 1094 wurde Hohentwiel mit
dem ſchwäbiſchen Herzogtum eine Befitung der
hohenftaufiihen Maifer, doc traten auch Nitter
„von Twiel“ auf, die aber wahrſcheinlich nur
Vehensträger der Burg waren; jpäter erfchienen
) Nicht der „Eklehard“ von J. V. von Scheffel
iſt hier gemeint, ſondern der wackere Geſchichts—
ſchreiber Eklehard IV., Mönch von St. Gallen, der
2 \ offenbar dem deutihen Dichter als Vorbild feines
völlig zuverläffige „Beichreibung des Oberamts
unübertrofjenen fulturgeicichtlichen neuen Wertes
gedient hat. Sein Hauptwerk ift die Fortjegung
des von dem Mönche Ratzart begonnenen Werts:
de casibus monasterii St. Galli (über die Schidjale
des St. Galler Klofters). Ekkehard fol zu Mainz
nad der Mitte des 11. Jahrhunderts geftorben
jein, ob 990 oder in welchem Jahr, ift unbelannt,
636 Baup'mann Zernin,
in Urkunden die Herren „von Klingen, genannt
von Twiel“ und jodann die Herren „Edeln von
Klingenberg“ als neue Befiger; wahrſcheinlich
verlieh diefen nah dem Erlöſchen des Haufes
der Hohenftaufen Rudolf von Habsburg die Feite
wegen der Verdienfte, die fi fein Kanzler Hein:
rich von Klingenberg um ihn erworben hatte.
Die Ritterburg wurde nun ſtark befeitigt, denn
fie hatte mandhe Stürme auszuhalten. Im Jahre
1464, al3 fünf Brüder von Klingenberg auf
Hohentwiel jagen, die mit dem St. Georgen:
bunde in offene Fehde geraten waren, wurde
die Feſtung wiederum, jedoch vergeblich, belagert,
ein Jahr jpäter folgte die Beilegung des Streits.
Die Klingenberger famen in der Folge von ihrem
Wohlitand zurüd und überliegen durch Vertrag
vom jahre 1522 den Hohentwiel an Herzog
Ulrich von Württemberg, unter deſſen Herrichaft
die Felfenburg befonders für Württemberg eine
hohe Bedeutung gewann. Vom Hohentwiel
aus begann der Herzog im Jahre 1525 mit
30 Fähnlein Fußvolk und 200 Neitern, zuſam—
men 6200 Mann, den Zug zur Eroberung jet:
nes Landes, den er jedoch unterbrechen mußte,
weil er von den jchweizeriichen Hilfstruppen
verlafjen wurde. Er kehrte jegt und ſpäter mehr:
mals noch auf jeine Bergfeitung zurüd, die er
dann ganz verlieh, um an den Hof des Landgrafen
Philipp von Heſſen zu gehen, worauf er endlich)
1534 wieder in den Befit feines Ahnenlandes ge-
langte. Defterreich machte nun verſchiedene Ver:
fuche, um wieder Herr von Hohentwiel zu wer:
den, doch fcheiterten alle feine Bemühungen, und
durch den Paſſauer Vertrag (6. Auguft 1552)
fam die Feſte unbejtritten an Württembera,
deſſen Fürften fie fortan in großen Ehren hiel:
ten. Herzog Chriftoph ließ diefelbe nicht allein
verjtärfen, fondern auch verfhönern und unter
anderem die „Fürftlihe Burg“ dort aufführen,
welcher Hauptbau zufolge der noch in Stein
fihtbaren Zahl im Jahre 1554 vollendet wurde;
auch das fogenannte „Rondel“, unftreitig das
ihönjte Bauwerk der Feſte, wurde wohl zu ſei—
ner Zeit aufgeführt. So fonnte jegt der Hohen:
twiel nicht bloß als feiter Punkt, ſondern aud)
als fürftliche Nefidenz ſich eines ftattlichen Aus:
jehens rühmen; derfelbe erreichte gegen Ende des
16, Jahrhunderts den Gipfelpunft feines Ruhms
in der Schönheit feiner Erſcheinung ).
) Etwa aus jener Zeit ftammt die Aufnahme
unferes eriten Bildes, das wir nah Merian, topo-
graphia Sueviae (1643), bier wiedergeben, Wir
In den nächiten Jahrzehnten ging auf dem
Hohentwiel nichts von Bedeutung vor. Da fam
der breißigjährige Krieg, der die glänzendſte
Kriegsepoche der Bergfeitung jehen fjollte, und
zwar unter ihrem mutvollen Verteidiger, dem
mwürttembergiihen Major Konrad Wieder:
hold. Derjelbe war ein wahrer Heros, welcher
der Felſenburg unvergänglichen Ruhm verleihen
follte. Herzog Eberhard III. ernannte dieſen
tapferen Krieger, einen geborenen Hejjen, der
fih früh ſchon der ngenieurfunft gewidmet
hatte, 1634 zum Kommandanten von Hohen:
twiel, nachdem derfelbe jchon zwei ‘jahre vorher
auf der Feſtung verweilt und damals die nahen
Burgen Hohenkrähen und Mägdeberg dem Feinde
entrifjen hatte. Die Kaiferlichen brüteten Mache,
und im Juli 1635 309 Oberft Vitzthum mit
einer anfehnlihen Truppenmadht heran, um
Hohentwiel zu belagern. Dazu brach eine bös:
artige Peitkranfheit unter der Beſatzung aus.
Doch der tapfere Wiederhold verlor den Mut
nicht und der faiferliche Oberſt jah fih im Fe:
bruar 1636 genötigt, das Feld zu räumen, nach:
dem er ein halbes ‚Jahr „umſonſt um die Dame
entnehmen einem Reijebericht des Herzogs Friedrich
von Württemberg folgende Einzelheiten, um eine
anſchauliche Beichreibung zu geben, wie es gegen
Ende des 16. Jahrhunderts auf der ftattlichen
Fefte ausfah: „... Diß Fürftiih, ja Königlich
Hauf ligt im Hegow, nit weit vom Bobdenfee, in
einer luftigen und an Wein und Horn Frudtbaren
Iandtögelegenheit, ift vber die maßen Beft, es ift
fih zu verwundern, wie der fehr harte Felß, ledig
vnd allein, in jo vbergroßer Höhe, im Feld auf:
fteigt, da fo nahe darbei fein einiger Berg, der jhme
möchte fchaden bringen, alfo das er weder mit Stei:
gen, Schieen oder Bndergraben, durchaus nicht fan
gemwältigt werden, auff demjelbigen iſt das Schloß,
nicht nur mit vielen ſchönen Fürftlihen Zimmern,
und nothwendigen Gemachen, wie auch guten Ci:
fternen und Schöpfbrunnen, deigleihen mit Keller
vnd Stallungen, fondern aud mit Pafteyen (Ba:
fteien), Wählen (Wällen) vnd ftarfen Wehren, zum
vberfluß verjehen, welches jedoch ohne Noth geachtet
werben möchte, angejehen, das von Natur diejer
Platz dermaffen beueftiget, das ſich darob zu ver:
wundern. Wann auch fchon weder Wähl, Bollwerd,
noch Paftegen, fondern nuhr allein die Thor vnd
Falldruden, dahin gebaumet weren, würde es vor
eines mächtigen Feindes gemalt woll ficher fein,
daher auch ettlich nicht vnbillich fagen, das ſich eines
ſolchen Haufes (da es auff den Vngariſchen Grengen
gelegen) die gange Ehriftenheit zuerfreuwen hatten.
Beneben wird an dilem Berg erbaumet, Korn,
auch trefflih quter Roter und Weiffer Wein, wel:
ches der Weich Doctor vom Willkom woll erfahren.
Nicht weniger ift bei diejer VBeftung, an gutem Baum
vnd Brennholz, gar fein mangel...”
Der Hohentwiel.
gebuhlt“, wie es in dem „Lobſpruch der weit:
berühmten Veſtung Hohentwiel” des Jeitgenofjen
M. Matthäus Ejenwein heißt. Im Jahre 1637
|
mußte Herzog Eberhard in bebrängter Lage jih |
der Forderung Defterreihs fügen und in die |
Abtretung des Hohentwiels an das letztere wil-
ligen; doh nun war es MWiederhold, der die
Ausführung des Plans vereitelte. Er ſchloß
eigenmächtig mit Herzog Bernhard von Sadjen:
Meimar einen Vertrag ab, wonach Sahjen und |
Miürttemberger die Feſte gemeinjchaftlich befigen |
und Kommandant und Bejagung in die Dienjte
diejes Herzogs treten ſollten. Im Auguſt 1639
erſchien nun der faiferliche Feldmarſchall Huyn
| den, fo daß Wiederhold nach wie vor die Feind:
von Gelern mit einer neuen Truppenmad)t vor
der Feltung und unternahm die Belagerung.
Diefelbe begann am 6. Auguſt mit einer Bes |
ſchießung; Verfuche, die Burg durch Minen zu
jprengen, reihten ſich an, doch ein großer Erfolg
wurde nicht erreicht. Allerdings gelang es dem
Gegner, in den Vorhof der Feſte einzubringen,
der nur mit Paliſſaden befejtigt war, allein dann |
wurde er wieder zurüdgetrieben. Am 8. No:
vember wurde die Belagerung aufgehoben, doch
blieb ein Teil der Kaiferlihen noch einige Zeit
zurüd; nachdem fie im ganzen 1500 Mann,
Wiederhold jedoh nur 10 Mann eingebüßt
hatte, verfchwanden die Kaiferlihen. Im Sep:
tember 11640 trat ein neuer Feind auf: Don
|
Enriquez mit 7000 öfterreidhischen und fpani=
ihen Truppen, allein auch defjen Anftrengungen
bliebenvergeblidh. Der Weimaraner Oberſt Roja
kam zum Entſatz herbei, Wiederhold machte kräf:
tige Ausfälle, und fo fam es, daß die VBelage:
tungötruppen bald auf die geringe Zahl von |
700 Mann zufammenfchmolzen. Im Juli 1641
war es nun der furbayerifche Oberft Neumarf,
welcher vor der Feſte erſchien; ihm folgte im
1
I
!
Dftober Graf von Sparre mit faiferlichen und
bayerischen Truppen; letzterer hatte hoch und
teuer verfprocdhen, den Hohentwiel in drei Mo-
naten zu nehmen. Er eröffnete ein bedeutendes |
Geſchützfeuer, jo daß nach dem Bericht eines |
Zeitgenofjen das Feuer „etlihe Meilen weit |
gejehen“ wurde. Allein auch diesmal nahm die
Belagerung feinen glüdlichen Fortgang, und ala
zu Neujahr 1642 die aus den Bejagungen vom
Elfaß herbeigeeilten ſchwediſchen Truppen die
Kaiferlihen überfielen und Wiederhold gleich:
zeitig einen Ausfall unternahm, eroberte er jo:
gar das ganze Sparreſche Lager. Bis zu Ende
des „jahres blieb nun der tapfere Kommandant
|
637
unangefohten, der inzwifchen viele glüdliche
Streifzüge unternommen und unter anderem
auch Ueberlingen erobert hatte. Auch noch im
Jahre 1644 wagten bayerische Truppen einen
Zug gegen Hohentwiel — er blieb gleichfalls
erfolglos.
Miederhold, welcher jchon lange über:
zeugt war, daß ein allgemeiner Friede ein hoch—
wichtiges Bedürfnis fer und demnächſt fommen
müſſe, hatte erklärt, feine Feſtung gegen die
völlige Befreiung Württemberg von Oeſterreich
übergeben zu wollen; der Vertrag war zwar am
21. Mai 1644 abgejchloflen, doch feine Bedin:
gungen nicht von den Kaijerlichen gehalten wor:
jeligfeiten im Bereich feines Platzes fortſetzte und
im Sanuar 1645 unter anderem die Mainau
überrumpelte. Im folgenden Jahre nahm er
die Inſel Reichenau, indem er über den zugefro:
renen Rhein ging, ſowie die Stadt Sulz. End:
[ich wurde der Friede in Münfter und Osnabrüd
abgeſchloſſen und der Hohentwiel darin Würt:
temberg zugejprochen. Am 10. Juli 1650 über:
gab der tapfere Degen dem Herzog feine Feltung,
die er vor fo vielen Anfechtungen bewahrt hatte;
er ſehnte fih nun nah Ruhe und endete fein
thatenreiches Leben am 13. Juni 1667 zu Kir):
heim unter Ted, noch nicht 70 Jahre alt. Ein
treffliher Kriegsmann, ein tüchtiger und braver
Degen hatte ausgeatmet!
Unter Wiederhold hatte fich das „innere der
Feſtung nicht unweſentlich verändert. Er baute
dafelbft eine Kirche, deren Grunditeinlegung
mitten im Rriegsgetümmel der Belagerung von
1639 erfolgte und deren Bau in wenigen jahren
vollendet war. Die Orgel dazu mußte das er:
oberte Ueberlingen jpenden. Sm Jahre 1645
wurde das Gotteshaus eingeweiht; es hat we—
jentlich dazu beigetragen, die kriegsgewohnten
Leute MWiederholds durch innere Erbauung vor
Roheit und Sittenlofigkeit zu bewahren. Ferner
ließ er das neue Gajthaus errichten, in welchem
fich die Kanzlei ſowie feine Rüſtkammer befanden,
worin er manches großen Helden Waffen auf:
bewahrte, die er jelbjt erbeutet hatte oder zum
Geſchenk erhielt; endlich erbaute er ein Zeug:
und Kugelhaus, das mit Waffen und Munition
ſtets reich gefüllt war; auch das neue Portal,
über welhem Wiederholds Wappen mit furzer
und doch vielfagender Inſchrift angebradht wor:
den, war ihm zu verdanken. Diefe Inſchrift
verdient näher gefannt zu fein, ſie lautet:
638 BHanptmann Zernin.
Durch Gottes Gnad und Helden Trew
Dis Vöfte Hauf hier ftehet New,
Der Feind hats zwar fünfmal geſchreckht
Doch Hat der Herr zum Schuß erwedht,
Den Wiederhold der fünffzehn Jahr
Daſſelb befhügt in Feindts gefahr. 166. ').
Die Geſchichte Hohentwiels ſchweigt feit
1650 mehrere Jahrzehnte lang. Während des
ſpaniſchen Erbfolgekriegs wagten kurbayeriſche
Truppen 1703 einen Angriff auf die Feſtung,
allein ſie mußten ſich unverrichteter Dinge zu—
rückziehen.
Herzog Karl Alexander von Württem—
berg ließ nach dem Jahre 1734 noch manche
Neubauten im unteren Teile der Bergfeſtung
nach den Vorſchlägen von Georg Bernhard
Bilfinger ausführen; ſie brachten den letzten
Zuwachs der Burg, welche ſiets noch militä-
riſchen Wert beſaß. Später verſchwand der
leßstere immer mehr, und gegen die Mitte des
18. Jahrhunderts verlor fie ganz ihre Bedeu:
tung und wurde unter dem Herzog Karl haupt:
ſächlich zur Feithaltung wichtiger Staatögefan:
gener benußt. Unter denfelben find bejonders |
aufzuführen: der preußiſche Werbeoffizier von
Knobelsdorf, der württembergifche Oberit
Rieger und der Landſchaftskonſulent Johann
Jakob Moſer. Der erſtgenannte betrat die
Feſtung in ſeinen Jugendjahren, um ſie als
Mann mit grauen Haaren zu verlaſſen, Rieger
war vier ‚jahre lang dort Gefangener, und Mofer
fam aus heute noch nicht genau ermittelten
Gründen nad Hohentwiel, um fünf Jahre
ſtrengſte Einzelhaft zu erdulden.
Wenn aud die Bergfeftung an ihrer ein:
jtinen militärischen Bedeutung ſtarke Einbuße
erlitten hatte, jo wurde fie doch fortwährend in
gutem Ausrüftungszuftande gehalten. Mit
Munitton und Proviant war fie für eine jahre:
I
ſprechend: 25 Kanonen nebjt anderen Geſchützen
hatten auf der Feſtung ihre Pläge ).
') Einer intereffanten Befchreibung der haupt:
ſächlichſten Armierungsſtücke, die ſich noch gegen
Ende des 18. Jahrhunderts auf Hohentwiel be
fanden und die ein altes Buch über Büchfenmei fterei
enthält („Sründlicher Unterricht der Büchfenmeifterei,
Reißbuch von Johannes Siglin, angefangen zu
Hohentwiel den 1. Auguſti anno 1728,” dandfchrift
in Querfolio, mit jchönen Federzeihnungen) ift
folgender Heiner Auszug entnommen:
Ein Vierundzwanzigpfünder, genannt „der Bär”,
mit folgendem Sprud):
Ih alter Beer
thu brummen jehr,
mit meiner Pfeiff
Ich alls umtehr.
und dem württembergiihen Wappen mit der Um—
ſchrift: 17 E.L. H. Z. W. 29.
Eine ganze Hartaune*), ſchießt 48 Pfund. Bild:
ein Hahn mit dem Spruch:
Wann id Hahn kräh vf Hohentwiel,
Mac ich dem Feind der Unruh Vier.
Wann mein gefchrey thut erichallen,
Thun viel derjelben zu Boden fallen.
Unten dad württembergifche Wappen mit der
Aufichrift: E. Z. H. Z. W.
Unter dem Wappen: Fortitudo Vigilantia.
Eine Viertels-Kartaune, Bild oben: Simfon,
wie er mit dem Löwen ringt. Sprud):
Wie Simfon den Lewen bezwang,
Alfo ic meine Feind empfang,
Vf Hohentwiel hin horche ich,
Und meine Feind von weitem fich (feh’).
Unten das fächfiihe Wappen mit der Ueber—
Ihrift: Churfürft Johann Friederich der 1. diefes
‚ Nahmens, ältefte grofmütige und Standhaftefte
lange Belagerung verfehen, da Mehl und
Fleiſch maſſenhaft vorrätig waren und die vier
Pulvertürme „Tiger“, „Löwe“, „Panther“
und „Drache“ Pulver in ſchwerer Menge ent:
hielten. Die Geſchützausrüſtung war dement: |
’) Beide Denffteine — Infchrift und Wappen -
find der heutigen Zeit zum größten Teil erhalten.
Sie bilden mit den noch vorhandenen Ueberreiten
des Schlofjes mit der Jahreszahl 1554 und dem
in der Negiftratur des Kriegsminifteriums zu Stutt:
gart befindlichen alten Fremdenbuch, das Einzeich—
nungen von 1652 —1799 enthält, die aeichichtlich
wertvolliten Ueberbleibfel der einft fo großen und
mächtigen Felſenburg.
Hertzog zu Sachſen.
Ein einfaches Falkonet (auch Falkaune, oder
Falke genannt, ältere Geſchützart) mit dem Bilde
eines Fuchſes und dem Spruch:
Das Füchslein man mic, nennen thut,
Nehr mid) mit meiner Feinden Blut.
Wann ich derfelben thu ein erfchleichen,
Muß der Haar laffen fan, nit weichen.
Ein Schild mit der Schrift: Churfürft Friedrich
der III, Hertzog zu Sachſen, unten das ſächſ. Wappen.
Ein Stüd, ſchießt 18 Pfund. Bild: ein Meer:
ungeheuer mit einem Hörnlein im Mund. Spruch:
Wenn ich blaß mit diefem Horn,
So thut es meinem Feind Yorn.
Unten den Neichsadler mit der Auffchrift: Con-
silio et industria. Unter dem Adler: Oppilabit os.
*) Die Kartaune war die Geſchütgatiung bet 16. und 17,
Jahrhunderts, fie entftand aus der Bombarde und hatte ein
längeres Rohr; die größeren Kartaunen wurden auch Daubt«
büchſen oder Meten genannt, Es gab ganze, halbe und viertel
Kartaunen, Nah dem alten Bude: „Theoria et praxis
Artillerine, Nürnberg, 1683* war „eine gantze Garthaune, im
Wall es gut, fo eine Kugel von 48 Pfund Eifen jhichet, 19 Eat,
oder Augeln lang, wiegt am Rohre 69 Gentner, BO Pfund, auf
1 und Stugel 160 Pfund Metal, den Gentner zu 110 Pfund
gerecdnet* u, j. w
Der Hohentwiel,
Noh gegen Ende des 18. Jahrhunderts
follen dieſe 25 Kanonen mit noch anderen
fleineren Geſchützen auf dem Hohentwiel auf:
geftellt gewejen jein, darunter verfchiedene
Mörfer von bedeutender und geringerer Größe,
und Böller,
Es fam die franzöfifhe Revolution und mit
ihr die lange Zeit der deutſch-franzöſiſchen Kriege.
Im Dftober 1796 zogen Franzoſen und Defter:
reicher am Fuß des Hohentwiel vorüber, jedoch
ohne etwas gegen die Feſtung zu unternehmen.
Im folgenden jahre wurde Oberft von Bil:
finger deren Kommandant, der 1799 den
Oberftlieutenant von Wolff als Beirat erhielt;
beide Männer waren wohl wiljenihaftlid ge:
bildete Offiziere, allein fie hatten nicht die er:
forderlihe Charakterfeitigfeit und Thatkraft,
um den ihnen bevorjtehenden Ereigniffen ge:
wachſen zu fein. Als das Kriegsjahr 1800 be:
gonnen hatte, beitand die Beſatzung der Feitung
nur aus 106 Mann, größtenteils Invaliden;
die Geſchütze beliefen fih auf die Zahl 27, doch
follen davon nur zwei ganz brauchbar gemwefen
fein. Am 1. Mai drängte das franzöfiiche Corps
Tecourbe, welches den rechten Flügel ber
Nheinarmee bildete, die Defterreiher von Schaf:
haufen und Stein her am Hohentwiel vorüber,
und gegen Mittag erichien General Bandamme
mit feiner Divifion von 10665 Mann vor der
Bergfejtung. Die erjte Aufforderung zur Ueber:
gabe wurde von dem Kommandanten würdig
beantwortet, leider war der Ueberbringer diefer
Antwort der Oberftlieutenant Wolff felbit. Im
Pfarrhaufe zu Singen foll nun bei einem reich:
lihen Mahle General Vandamme den letzt—
genannten zu überreden veritanden und ihm
eine Stunde Bedenfzeit gegeben haben; feine
Drohung, im Weigerungsfalle zur Belagerung
zu fchreiten, Fonnte um jo weniger ernft gemeint
fein, al3 er bereits Befehl erhalten hatte, tags
darauf feinen Marfch fortzufegen. Der Kriegs—
rat auf Hohentwiel hielt, da der größte Teil
der Bejagung unzuverläffig oder unfähig zu
einer fräftigen Verteidigung ſchien, einen ernft:
lichen Widerftand für unausführbar und ent:
ſchloß fi zu einer ehrenvollen Kapitulation.
So wurde die Bergfeitung den Frangojen über:
geben und jchon am 2. Mai von denfelben be:
ſetzt. Bilfinger und Wolff wurden dafür am
27. Mai zu Dinkelsbühl vom Kriegägericht zum
Tode verurteilt, jedoch zur Kaſſation und Ein:
fperrung, bezw. nternierung begnadigt; der
— — — — — — —— — — — — — —
639
erſtere kam nad) Aſperg, ber letztere blieb jedoch le:
benslänglich im Feitungsarreit. Die yranzofen,
welche verſprochen hatten, den Hohentwiel im
gleichen Zuftande fpäter an Württemberg zurüd:
zugeben, hielten fi) keineswegs an biefe Zu:
fage, fie befchloffen die gänzliche Zerftörung der
Feltung. Am 10. Dftober begann das Ein-
reißungswerk, die Grundmauern der herrlichen
Burg ftürzten unter der Kraft des Pulvers, der
eigenen Beute der Feltung, fie brachen zuſammen,
nachdem fie jahrhundertelang dem Sturm der
Zeit getroßt hatten, und am 1. März 1801 war
das Merk vollendet: der Hohentwiel nur noch
ein Trümmerhaufe. Ein Verſuch, den eriten
franzöfifhen Konful zu beftimmen, das Werk
der Zerftörung nicht fortzufegen, war abſchläglich
beichieden worden, Marjchall Berthier hatte er:
widert, daß auf Bandammes Verwendung für
die Feltung „aus höheren Rüdfihten“ feine
Rüdfiht genommen werden fünne. So mußte
denn die ſchöne Burg fallen, fie wurde in Schutt
und Trümmer verwandelt, fein einziges Bau:
werk derfelben blieb verſchont. — —
Die acht Jahrzehnte des laufenden Jahr—
hunderts haben auf dem Hohentwiel feine wejent-
(ihen Veränderungen hervorgebradt. In der
erften Zeit gefchah faſt gar nichts zur Erhaltung
der Ruinen und Gewölbe, die Reſte der Bau:
lichkeiten blieben dem Berfalle überlafjen. Im
Jahre 1847 entwarf der Generallieutenant von
Prittwitz, der Feitungsbaudireftor der dama—
ligen Bundesfeftung Ulm, einen Plan zur Wie-
derherftellung der Bergfeftung, doch fam er nicht
zur Ausführung ; wie uns der Sohn des ge:
nannten Generals, Herr Oberft von Prittmig,
Kommandeur des großherzoglich heſſiſchen Feld—
artilferieregiment3 Nr. 25 in Darmitabt, mit:
teilte, befindet fich jener Entwurf in den Aften
des Königlih mürttembergifchen Kriegsmini—
jtertumsd zu Stuttgart. Daß, wie E. von
Martens in feiner „Geſchichte vom Hohen:
twiel* annimmt, die Bergfeftung in Gemein:
Ihaft mit ihren benachbarten Bergen in ein
gewaltige Bollwerk Südweſtdeutſchlands ver:
wandelt werden würde (er jagt vom Hohent:
wiel: „Seine Wiedergeburt bleibt einer fpäteren
Zeit vorbehalten”), iſt wohl faum anzunehmen,
da für die Sicherung jener Gegend im Weften
Straßburg mit dem füblihen Flanfenpoften
Neu:Breifah und im Dften das gewaltige Ulm
wohl genügen dürfte. Somit wird es dem
Hohentwiel wohl ergehen mwie fo manden
81
640
anderen von den Franzoſen zeritörten Burgen:
fie find und bleiben wüſte Trümmerhaufen,
ftumme Anfläger des Vandalismus einer Nation,
die doch den Fortſchritt und die Civilifation
auf ihr Panier gefchrieben hatte! —
So ifter aljo — wie ein Blick aufdie heutige
Geſtalt des Hohentwiel in dem nebenftehenden
Bilde erfehen läßt — nur eine große Ruine ge:
blieben, allein jelbft in diefem Gewande ift der
Hohentwiel auch in der Nähe betrachtet immer
noch ein Punkt von unerfchöpflicher Schönheit.
Dr. von Paulus ſchildert ihn in der ©. 635
angeführten „Befchreibung ꝛc.“ mie folgt:
„Seine dicht mit Waldbäumen jeder Art be:
ſtockte fteil-amphitheatralijche Nordfeite ift be:
fonder8 am Abend wunderbar ſchön, wenn die
unterfinfende Sonne die voll übereinander empor
ih wölbenden Laubbaummipfel vergoldet und
Falken und Habichte darüber langfam ſchweben.
Dann die Felfenpflangen, unverwüftlih und
unermüblih aus allen Geſteinsfugen fih drän-
gend, dazwischen die ftärfjten einzelnen Bäume,
meift Linden, Ahorne, Ulmen und Eſchen, die |
frampfhaft in die Riten ihre Wurzeln hinein: | riefe, der Zeuge großer Begebenheiten, die ge—
drehen, mit ihnen die Felſen umklammern und | waltige Burgruine, durh Sage und Geſchichte
als prächtige Stämme hinaufitreben. In den | für alle Zeiten reich geſchmückt.
Hermann Difmann. In der Heimat.
ihattigen Falten des riefigen Berges Fried
uralter Epheu und fhmüdt oft die Trümmer
daß fie edeln Grabmälern gleihen,; Mauer
pfeffer: und Steinbredharten blühen lebhaft aud
aus der kleinſten Höhlung, goldgelbes Habicht:
fraut ſchimmert weithin, allüberall wieder bei
bläulihe Grün der duftenden Wehrmutpflanz:
und um die höchften, noch nie von eines Menſchen
Fuß betretenen Klippen ſchwankt, wie ein Laub
das vom Windhauch ſich tragen läßt, Der Alpen
falter Apollo, jo recht das dburchgeiftigte Bil:
von der fonnigen Lichtheit diefer Yeljennatur.‘
Und an diefen Blid in der Nähe möge nos
ein Hinblid in die ftolze Fernfiht nach Bodenſe
und Alpenfuppen fih anſchließen, mie ihn de
Didter J. V. von Sceffel jo ſchön ſchildert:
„auf die fteilaufgefchoflenen Felsgipfel dei
Hegaus in einfamer Schöne, . . . den blau im
Miederjchein blauen Himmels mit geboppeltu
Buchtung zu uns ſich herbiegenden Bodenfee, ..
bie fernen riefigen, wie ein Hauch im Mbenbroi
verfchwindenden Schneeberge . . .“
Das tft der Hohentiviel, der mächtige Berg:
An der Beimat.
Don
Dermann Didmann
Seid gefegnet, fchöne Sluren!
Ceuchtend ſtrahlt mir das Gefild'
Meiner Jugend goldne Spuren
Mie ein holdes Märcenbild.
Seit ich treulos dich gemieden,
hab' id} ſchwet den Wahn gebäßt;
De nur gibft dem Herzen Srieden —
Teure Heimat, fel gegräft! —
|
|
|
|
|
Draußen hab’ ich nie gefunden,
Was der Knabe hier verlief
Sreundestroft in trüben Stunden,
Treuer £iebe Puradies.
Folgen wollt‘ ich meinem Sterne, —
Und zur Wildnis, falt und wüſt
Ward bein Eden, goldne Serne —
Teure Heimat, fel gegräßt! —
Mlüde legt der Pilger nieder
Seinen Stab, da weh'n ans Ohr
Bell die Klänge alter Kieder,
Heben freudig mich empor.
Heilige Stätte! — meiner feiden
Bittern Keld; haft du verfüßt;
Werde nie mehr von dir ſcheiden —
Teure Selmat, fel gegrößt! —
Eleonore, 641
Ssleonore
Roman von Xuguf Beer.
(Schluß.)
— ——
„Wirklich, gnädige Frau?“
eh | der Herr Profeffor eben einen „Im der That hätte ich auf das Gegenteil
|| Unglüdlichen, der ohne Ahnung geſchloſſen, viel verborgenen Sinn darin gefun:
4) der Gefahr ihr unverfehens ver: | den,“ fuhr die alte Dame fort. „Allein, ic)
fiel, am Anopfe gefaßt hatte | bin bereit, Sie aufzugeben, wenn Sie burdaus
Tu 1 ünftig traf es ſich infofern, als
und wie ein Tintenfifch feine | fein wollen, was Sie jcheinen.”
Beute hielt. So vermodte die Matrone un: „Thun Sie das noch nicht, Frau Geheim:
befümmert mit Herbig zu plaudern, und fie | rätin,“ mahnte er, „jo wenig Sie Macbeth be-
achtete auch nicht weiter darauf, daß fich allmäh- | urteilen dürfen auf feine Ausfprüche nach der
(ich ein anfehnlicher Zuhörerkreis abfichtlich oder | legten Begegnung mit den Heren hin, die ihm
zufällig um ihren Platz jammelte. den ganzen Trug der drei Baubermweiber auf:
„Und erklären Sie mir nur das eine,” deckten. Genügt doch ein Weib ſchon, verberb:
fing fie plößlich nad einigen gleichgültigen | liche Täufchungen zu bereiten.”
Neden an, „wie kommt's, daß Sie, der mir als „Halt! Laſſen Sie mir die Weiber in Frie:
geiftfprühender, liebenswürdiger, weltmänniſch den, fonft friegen Sie e8 mit mir zu thun!“
gebildeter junger Mann gefchilvert worden ift, | warnte die alte Dame. „Die Frauenfeele ijt
fih hier in der morofen Sonderlingsrolle ge: | wie ein gutes Buch, an welchem ein galliger
fallen. Sie jteht Ihnen gar nicht.” | Kritifer im einzelnen hundert Ausftellungen zu
„Das thut mir leid.” | madhen haben mag; allein dad Werl an ſich
„Leid oder nicht leid. Sie müffen einer | fol er mir gelten laſſen —“
alten Frau ſchon erlauben, aufrichtig zu fein. „Meinen Sie denn, daf heute noch,“ mifchte
Löſen Sie mir das Nätfel.” | fi hier der Profefjor mit dem Geierprofil un:
„Nunmohl! Ich geſtehe zu,“ verſetzte Herbig, | verjehens ein, „daß heute noch ein Buch ge:
„daß ich abfalle, wie Macbeth im vierten Akt.” | ihätt, die Zufendung eined Buchs ala Ehre
„Wie meinen Sie dad nun wieder?“ angejehen wird? O nein! Heute wird ein Faß
„Nach dem letzten Hexentrug liebt Macbeth, | Bier, ein Korb Wein oder Eier, eine Mettwurit,
wie ein Verrücter, gemeine Nedensarten. Sollte | ein Schinten oder Käfe als mwürdige Ehren:
dad Ihrem Scharfjinn entgangen fein, Frau | und Huldigungsgabe von großen Männern be:
Geheimrätin?“ trachtet.“
„Es iſt mir bis jetzt nicht aufgefallen,“ er— „Das iſt in der Ordnung,“ bemerkte Herbig.
klärte ſie. „Doch glaube ich, Sie haben recht. „Ein Buch läßt ſich nicht verzehren.“
Allein, wie paßt das auf Sie? Welche An— „Jedenfalls iſt es oft ungenießbar, wie
wendung wollen Sie der Reminiscenz geben?” unſere jetzige Litteratur überhaupt,“ äußerte die
Herbig zögerte mit der Antwort. Dann | alte Dame, fi Herbig zumendend, der, ihren
ſprach er: Blick verjtehend und dem Geier zuvorfommend,
„Das ift mein Geheimnis. Uebrigens | fofort einfiel:
mußte ich nicht, daß ich mich hier anders, thö- „Für abgeftumpfte Gaumen, verzeihen Sie,
richter ala fonjt gebe und äußere.” gnädige Frau, oder für folde, denen der Ge:
„Sie handeln thöricht, indem Sie fih un: ſchmack für geiftigen Genuß überhaupt fehlt, ja!
zeitig einer Gemütsverftimmung überlaffen; | Da befriedigt nur noch der verfifizierte Wein:
aber Thorheit fpricht nicht aus Ihren Fauftifchen | fchmwelg, Bierſchlauch, Katenjammer, — daneben
Aeußerungen.“ kaliforniſcher und ruſſiſcher Fuſel, ſtandinaviſche
642
Heringe, Pariſer Rattenragouts. So ift nun
die von unferer neidifchen Kritif genährte Mode,
und die Mode geht ftets dem Echten aus dem
Mege. An Gutem fehlt es nicht in unferer
Ihönenkitteratur; wahre Perlen der Erzählungs-
funft liegen in unfheinbarfter Hülle vergraben.
Namen nenne ih nicht; allein, erft heute
Nachmittag fand ich in einem Grofchenbänd-
hen ein wahres Kabinettſtück anfchaulicher
Seelenkunde: ‚Im Banne der Sinne!‘ wie es
fein Ruſſe, Engländer oder Franzoſe fchreiben
fönnte. Man muß derlei nur zu finden willen,
und dazu gehört ebenfo Gejhmad, als guter
Wille, den man bei uns nicht mehr voraus:
jegen barf.“
„Oho!“ fiel hier die Geheimrätin lebhaft
ein, während der Herr mit ber Geierphyfiognomie
haftig und darum unficher nad) irgend welchem
Knopfe an Herbigs Geſellſchaftsrock taftete.
„Geben Sie nur zu, daß noch mande andere
Urfahe, auch eigene Schuld mitwirft. Bor
allem die Koterieen, die aud) das beſte totfchwei-
gen, das nicht aus ihrem Kreis hervorgegangen,
die gegenfeitigen Ruhmesaſſekuranzen, die das
öffentliche Urteil verwirrende Marktſchreierei —“
„Reklame macht nur, wer fie nötig hat,“
ihaltete Herbig ein, während die alte Dame
fortfuhr:
„Die Gedenhaftigfeit, mit welcher einer
dem Publikum nichts Befleres mehr vorzuführen
weiß, als quartalmweije fein eignes Porträt; die
Ungeniertheit, mit der ein anderer Fro's Cber |
als Pegasus reitet; der Aufwand von Kraft,
mit welcher ein britter offene Thüren durd)
Sturmbalfen einrennt, ein vierter Kruppſche
Kanonen nah Spaten richtet, ein fünfter mit
Vogelnegen Bären nachſtellt; vor allem das
Vordrängen fchlehten Wuftes auf dem Bücher:
markt. AU dies hat der Teilnahme an unferer
Litteratur Eintrag gethan, in einer Zeit, an die
wichtigere Aufgaben herantraten.“
Letzteres gebe ich nicht zu,“ erwiderte
Herbig, indem er die taftende Hand bes Pro-
feflors von feinem Rodfragen abftreifte. „Erſte
Pflicht einer Kulturnation, wenn fie auf den
Namen Anfprud erhebt, bleibt der Anteil an
der Litteratur. Unfer Volk jedoch richtet fich
nad) den oberen Luftftrömungen. Heute gilt ftatt |
Litteratur Litteraturgefhichte. Nicht die Dich:
tung, eine ſchlechte banale Analyfe derjelben
lernt man fennen. Innerliche Hohlheit und Un—
bildung ift die natürliche Folge. Altkluge Kin:
Auguft Beder.
der, auf den Bierbänfen verfimpelnde Fünglin
und Männer, ins Modemagazin verlorene eit
Weiber. Vor allem bedürfen wir wieder e
geiftigen Genuffes fähiges Publikum.“
„Daran fehlt es doc) nicht jo ganz,“ wart
die alte Geheimrätin etwas erregt ein. „Dent:
Sie an ben Erfolg unferer archaiftifchen €:
zähler.“
„Ad, das ſchlimmſte Kreuz !* entgegnet
Herbig. „Vom Weſen des hiftorifchen Roman
feine Ahnung. Welcher Ungefhmad, von Werte
der fchöpferifchen Phantafie zu beanfpruden
daß fie unterrichten, ftatt zu bilden. Das ii
die eitle Hohlheit, die ſchon fo viel Schledtes
Unfünftlerifches gehoben und getragen hat un
das beſte unbeadhtet ließ: diefe Kreife madın
die litterarifhe Mode, da ift das affektier:
Miffen, das Liebäugeln mit dem Frembländ:
hen, dad Nafenrümpfen über das fchlicht Gr
ſunde heimiſch.“
„Und was ſind das für Kreiſe?“ fragte die
alte Geheimrätin, den Kopf aufrichtend.
„Da hält man jede gelehrte Schrulle, jeden
wiſſenſchaftlichen Aberwitz ſchon reif zur poeti:
ſchen Verwertung und Verherrlichung. Was
ward nicht ſchon alles litterarifch in Schwung
gebracht durch unfere Profefjorentöchter un
Frauen!“
„Dazu gehöre auch ih!“ rief jeßt die Ge
heimrätin mit flammenden Augen. „Vergeſſen
Sie das nicht, Sie Giftmichel!*
„Aber, Sie werden zugeben, meine Gnü-
dige ...“
„Nichts gebe ich zu!“
„Daß Frauen fo wenig Urteil haben, als
Verlaß auf fie ift, daß fie nur Angeeignetes
nachſprechen. Die ſchlimmſten find, die fich für
die Hlügften halten. Sie, Frau Geheimrätin,
bilden ftets eine Ausnahme,“
„I danke für die Ausnahme, leifte Ver:
zicht!“ verfeßte fie, indem fie fich fichtlich gereist
erhob.
„So fiege ih, wie neulich bei Pharfalus
Cäſar!“ fagte Herbig mehr für fih. Allein die
alte Dame hatte ed dennoch vernommen und
fehrte fich nochmals her.
„Meulih? Warum jagen Sie neulid, und
was ift das mit dem Sieg?”
„Nun, unſere archaiſtiſchen Erzähler thun,
als feien fie vorgeftern dabei geweſen. Und
Cäfar ftegte dadurch, dag —“
„Daß feine Soldaten den eitlen Junlern,
Eleonore,
die für ihre Nafen fürdhteten, ftet® nad dem
Gefichte ftießen, — das wiſſen wir aud). Uebri—
gens echt römiſch.“
„Verzeihung, Frau Geheimrätin, es waren
deutſche Hilfstruppen, Landsleute vom Rhein,
die ſo rückſichtslos zuſtießen.“
„Meinetwegen!“ Und damit wandte ſich
die lebhafte Matrone zu ihrer Umgebung, um
auch hier zu verſichern und zu beteuern, daß
dieſer Doktor Herbig der reine „Giftmichel“ ſei.
Sofort ergriff der Mann mit dem Vogel—
geſicht die Gelegenheit, ſich auf Herbig zu ſtürzen
und an ihn zu heften.
„A propos abgeſchnittene Naſen,“ brach
er los. „Glauben Sie denn, das Tier habe
ähnliche Schmerzempfindungen, wie der Menſch?
O nein!“
„D ja!“
„D nein!” piepte ber Mann nochmals mit
dem fanfteften Gimpelton.
„Damit aber, Herr Profeſſor, ſprechen Sie
der marternden Viviſektion den praftiihen Wert
für die Mebizin ab — den Biehdoftor aus:
genommen,“ fagte Herbig. „Sch gebe aud in
der That zu, daß die Organifation des Menjchen
ihn empfindlicher macht, ala das entwickeltſte Tier.
Eine Spinne, die Sie an den Beinen faſſen,
läßt dieſe getroſt in Ihrer Hand zurück und
andere nachwachſen. Ein Fuchs oder Wolf in
der Falle nagt ſich das gefangene Bein ab, um
loszukommen, und macht ſich auf dreien davon.
Machen Sie einmal den Verſuch, ob Sie davon—
kämen. Sicher gingen Sie zu Grunde.“
„D nein!”
„So nagen Sie fi) einmal das Bein ab,“
mahnte Herbig. „Ein bekannter englifcher
Schriftſteller erzählte vor etwa vierzig Jahren,
daß er auch einmal Naturforfcher, das heißt
jehr graufam geworben, indem er Eidechſen den
Schwanz abriß und in den Stumpf einen Ein:
‚ Schnitt machte. Nach kurzem kamen fie doppelt:
geihmwänzt, mit einem förmlichen Frad, zum
Vorſchein. Machen Sie einmal an fi die
Probe, Herr Profeffor, ob Sie dadurch von
Natur aus falonfähig werben.”
Ein halb unterbrüdtes, dann aber dennoch
losbrechendes Gelächter eriholl aus der Gruppe
hinter ihnen, die aus älteren Herren und Damen
beftand, während fich die blühende Jugend in
der Ferne hielt. Indes ließ fich der Profeſſor
mit dem Vogelkopf durch die Heiterkeit der Um:
gebung weder ftören, noch abhalten.
643
„Glauben Sie denn, * begann er dem Königs—
berger Privatdocenten gegenüber, „daß eine
| folde zwedentfprehende Anpaffung, Entwide:
| Tung und Veränderung beim Menfchen ganz un:
möglid wäre? D nein! Was wir an der Venus
Kallipygos bewundern und elegante Damen
durh den Modefünftler für den Schein her:
ftellen Tafien, haben die Hußmwannameiber, nad
Le Baillants Bericht, in Hochentwideltem Maße
von der Natur, durch Vererbung. Auf ber
Wanderung ftellen fi die feinen Kinder dar:
auf, wie auf ein Rutjchenfofferbrett; die eben:
falls zwedentfprechend verlängerten Brüfte wer:
den ihnen über die Schultern hin in den Mund
geſteckt, und fort geht es über die füdafrifani-
ſchen Steppen. Sie meinen vielleiht, es fehe
unfhön aus? D nein! Was zweckmäßig, iſt
auch Schön, und die Hußmwannafrauen mit ihren
fleinen Händen und Füßen find wahre Grazien.
Sie haben zwar gewöhnlich nichts an, als eine
Heine Müte auf dem Kopfe, und Sie mögen
wohl vorausfegen, das Heide nicht gut. O nein!
Sehr gut leidet es, fehr fein wiſſen fich dieſe
ſchwarzbraunen Damen zu benehmen und es
find vortrefflihe Hausfrauen. Aber iſt das
alles? D nein!“
„seht geben Sie einmal dieſe Exkurſe
durch die ſüdafrikaniſchen Steppen auf,“ mifchte
fih die Geheimrätin mit dem grauen Haar
wieder ein, deren Gutmütigfeit wie gemöhnlic)
über ihren Aerger auf Herbig rafch triumphiert
hatte. „Herr Doktor Herbig wird alle dieje
Beobachtungen ſelbſt machen, da er, wie man
hört, eine große Entbedungsreife durch den
heißen Erbteil plant.”
„Sie werben nicht viel Neues mehr zu ent:
deden finden. D nein!” flötete der mit dem
Vogelkopf wie ein Dompfaff, indes ſich der Zu—
hörerfreis inniger anſchloß.
„D ja,” erwiberte Herbig, „wenn ich über:
haupt dahin gehe. Bis jett habe ich noch feine
rechte Luft, mich von einem Krofobil germalmen,
von einem Löwen zerreißen zu laffen, von einem
fannibalifchen Monbuttu geſpießt, gekocht, gefot-
ten, gebraten und aufgefreffen zu werben, — und
dann, wenn ich's berichte, bei feinem Menfchen
Glauben zu finden, von jebem gelehrten Dfen-
hoder angezweifelt und befrittelt zu werden.“
Ein herzliches Gelächter fchlug wieder in
der Gruppe auf. Ihm felbft war es nicht luſtig
dabei zu Sinne. Drängte die Unterhaltung
fein Leid auch für Augenblide in den Hinter:
644
grund, jo füllte e8 dann wieder um fo fchmerz:
licher die Bruft, und ftrömte es zurüd, erſchien
ihm alles öde. Er hatte nicht überjehen, wie
Eleonore zuweilen jheu und flüchtig herüber
blidte, gleihfam verwundert und betroffen über
die heitere Unterhaltung, die hier geführt
wurde. Und, großer Gott, wie war es ihm zu
Mut! Zu einer zufammenhängenden Unter:
redung, in welde man ihn jeitens einiger äl-
teren gelehrten Herren zu ziehen bemüht war,
fühlte er fih in feiner Weiſe aufgelegt, zu.
einem ernjten Gedanken: und Meinungsaus:
taufch jetzt nicht fähig.
Unter irgend einem Vorwand trat er von
ber Gruppe zurüd und ſchritt weiter. Dort be:
fand fich der greife Hausherr noch immer in
eifrigfter Erörterung der neueſten wiflenfchaft:
lihen Streitfrage. Die alten Herren, zu denen
ſich noch ein dritter und vierter gejellt, hatten
unterbes wenigftens auf Fauteuils und Sefjeln
Pla genommen, die ihnen vorforglich hinge:
ı um feinen Preis Sie beläftigen, aufhalten ode
ihoben worden waren. Allein die Verhandlung |
nahm mit derſelben Lebhaftigfeit ununter:
brochenen Fortgang; alles, was nicht mit der-
jelben zufammenhing, fümmerte die in ihr
Thema Verlorenen nicht.
Nah der entgegengejegten Richtung hin
weilte die Frau des Haufes noch ruhig an
ihrem Plage. Einfilbig, nur dann und warn
mit einem etwas erzwungenen Lächeln auf den
Lippen führte fie jest die Unterhaltung. Ein
junger, etwas ftußerhafter Gelehrter, der eben
an der Lehne des Sites ftand, auf welchem bie
ihöne Frau inmitten ihrer Gäfte Pla ge:
nommen hatte, gab fich alle erdenfliche Mühe,
das Gefpräd in lebhafteren Gang und glätteres
Geleis zu bringen. Allein fühl und kalt nahın
fie feine Bemühungen auf. Jetzt antwortete fie |
ihm in ihrer ruhigen, leidenſchaftsloſen Weiſe
mit dem tiefen Herzklang ihrer Stimme, die
auch jet ergreifend aus der Ferne an des Ge-
liebten Ohr ſchlug, mit dem fanften Blid ihrer
Augen, die feine Seele berüdt und verftridt
hatten, wie ber Schlangenblid fein Opfer
feffelt, — fie jelber ſcheinbar unbemegt.
„Wiffen Sie aud, worüber fih die dort,
der Geheimrat und die anderen ftreiten? Ueber
PVolitif? O nein! Ueber Chonbdrite und Orga:
niömen in den Meteoriten.”
Und damit fühlte fih Herbig, faum ent:
ronnen, wieder am Knopf gefaßt.
*
Auguſt Becker.
jo weit, daß der Organismus als Grund un
Urſache der Dinge erfannt wird.”
„Sie meinen wohl, da8 wäre ein jr
ihritt? D nein! Ich hoffe, Sie denfen nidı '
veaftionär.”
„Bor einigen Stunden würde ich es ı.
eine hoffnungsvolle Erkenntnis begrüßt haben.’
bemerkte Herbig. „Jetzt it mir alles gl
' gültig — tote Materie, Chaos, leeres Nicht
Und während er ſprach, heftete er feinen Be
auf das ſchöne, immer nod geliebte Weib u
ließ ihn durchbohrend auf ihr ruhen.
Eleonore bog eben das Haupt etwas zum!
um dem jungen Manne, der hinter ihrem Stul
ftand, zu antworten, worauf derfelbe Haftig be
jeite wich, indem er lebhaft genug, dah *)
Herbig noch verſtehen oder wenigftens aus jene!
Haltung und Bewegung erraten konnte, W
Aeußerung that: |
„D, gnädige Frau, ih möchte wirflid mi
ftören. Nehmen Sie keinerlei Rückſicht "|
mic.“ |
Damit war er ganz beijeite getreten, us:
die ſchöne Frau, die fih nunmehr von ihre!
„Nun,“ erwiberte er, „jo wären wir benn |
' Plate erhob und ihren Wirtinpflichten au)
in den Nebenräumen nahlommen zu mole
ſchien, vorüberzulafjen. Da und dort nod auf
gehalten, verließ fie endlich aud) den Saal.
Inzwiſchen hatte der Profefjor mit u
Bogelphyfiognomie den ergriffenen Knopf &
Herbigs Gefellfhaftsrod bereits in bebenklic“
Weiſe gedreht.
„Seinen Fanatismus für die Wifjenfhait
| in Ehren,“ erörterte er eben, „aber, wenn mar
nur der Forfchung leben will, heiratet man de
noch fo fpät? O nein! Am wenigjten heiratl
man ala hinwelfender Greis ein junges, ſchönes
blühendes Weib, deffen Großvater man fein
könnte. D nein! Nicht daß ich Unrat wittere,
oder daß man ihr aud nur im minbejten ji
nahe treten dürfte, o nein! Es ift ein Glüch
daß fie ein fo pflichttreues, fühles und ge
(afjenes Gemüt hat. Allein, wenn man eine 10
junge liebenswürdige Frau hat, darf man fit
nicht ala Ballaft anfehen, o nein! Man da
nicht merken laffen, daß fie einem mandmal
zur Zaft wird, o nein! Richtig ift ja, er ſieht
noch immer gut aus, ſcheinbar voll Rüſtigkeit,
‚ fein Verftand ift nicht geſchwächt, o nein! for
dern ſpitzt fich immer mehr zu. Aber fein Gefühl
ift ftumpf. Das ift aber noch nicht alles, o nein!
Eleonore,
Herbig hatte nachgerabe dieſes Anflöten und
Piepen fo fatt, daß er entſchloſſen war, lieber
den Rodfnopf am Stiel zu lajjen, ala nod)
länger biefem gimpelhaften „D nein!” gegen:
über ftandzuhalten. Zudem zog es ihn fort
nach ber Flügelthüre hin, hinter welcher Eleo:
norens unvergleichliche Geſtalt vor jeinen Augen
verſchwunden war. Mit einer furzen, fchneiden:
den Entjhuldigung und plöglihem Rud riß er
ſich los, fehrte dem Geierfopf den Rüden und
durchſchritt langſam den nächſten Saal, in wel:
chem fich zumeift junges Volk umhertrieb, das
neugierig nad) dem erniten jtattlichen Fremden
emporblidte. Dann trat er in einen anderen,
dahinter gelegenen Raum, der ebenfalls zur
Aufnahme der Gäfte bejtimmt war. Allein aud)
hier fand er weder, was er ſuchte, Einfamfeit
und Ruhe, noh — mie er mit einem Blid
überſah — fie, die erhaffen zu müfjen vermeinte,
die er fliehen follte und deren Anblid er den:
nod) hmerzlich vermißte. Ohne fi) von einem
Biel leiten zu laffen, aufs Geratewohl war er
von da dur eine der drei Flügelthüren in
einen bämmernden, nur von einer Hängelampe
ſchwacherleuchteten Raum gelangt, der dem
Treiben der Abendgejellichaft völlig entrüdt
ſchien. Es war ein fhlihtes, enges Gemad), in
welhem ein einfaches Sofa ftand. Er nahm
darauf Pla und ließ den Kopf fummervoll auf
die Hand ſinken.
Auh Fräulein Lenz, die Freundin der
Hausfrau und deren forgjame Helferin und
Stellvertreterin in den Obliegenheiten diejes
Feſtabends, hatte Eleonoren nicht aus den
Augen gelaffen und erfah die Gelegenheit, wo
fie abfommen fonnte, um derfelben unauffällig
und möglichjt unbemerkt zu folgen, während die
ſchöne Frau die belebten Gemächer durchſchritt
und, wo fie aufgehalten wurde, mit verbind:
lichem Wort und freundlicher Entfhuldigung
fi losmachte, um ihren Weg dur das Haus
unbeirrt zurüdlegen zu können. Einmal aus
dem Bereich der geladenen Geſellſchaft, fchritt
Eleonore rafcher durch die leeren Räume, in den
Flur hinaus, die mit Teppichen belegte, durd)
Wandlampen beleuchtete Treppe hinan und den
oberen Korridor entlang, als jei etwas Beſon—
deres zu beforgen.
Mit der Ueberzeugung, den Bliden ihrer
Gäfte jegt entrücdt, unbeobachtet und allein zu
fein, beugte ſich plößlich der ſtolze Naden und
das ſchöne Antlih der Dahinfchreitenden vorn:
645
| über, ihre Hände legten fi) vor die Augen und
\
drüdten fo heftig gegen die edle Stine, als
fönnten fie all die Qual, all die leivvollen Ge-
danken, die ſich in derjelben kreuzten, zurüdr
drängen und bannen. In demfelben Momente
glaubte fie jedoch Tritte Hinter fih zu hören,
ein leifes Geräuſch, ala ob ihr jemand nad):
ſchleichend folge. Beftürzt ſah fie fih Hajtig
um. Kaum hatte fie die Freundin erfannt, jo
ergriff fie deren Arın und zog fie jtürmifch vor:
wärts in ein entlegenes, jtilles Stübchen, in
welhem nur ein Sclafdivan, eine jchmale
Spindel und zwei Stühle zu fehen waren. Es
war ein Edzimmer unter dem vom Nachtſturm
umfauften Giebel. Der von großen Floden
durchſtöberte Märzregen ſchlug prafjelnd an die
Scheiben eines der beiden Fleinen Feniter.
Hier warf ſich Eleonore auf den Divan, 308
die Freundin zu fich nieder, ſchlang beide Arme
um deren Hals und preßte ihr Haupt heftig an
deren Bruft. Eleonorens Bufen wogte ftür:
mich, ihre Pulſe pochten, als wollten fie die
Adern fprengen; allein, fein Klagelaut fam von
ihren Lippen, feine Thräne trat in ihre Augen,
als fie jet wieder den Kopf erhob, und zu der
Erfchrodenen ſprach, indem fie diejelbe mit bei:
den Händen hinwegdrängte:
„So, Lina, jest geh’ auch du!”
Aber Fräulein Lenz war feineswegs ge:
fonnen, dem ausgeſprochenen Wunſche nachzu—
kommen.
„Auch ih?“ fragte ſie, „Lore, warum?”
„Gönne mir nur zehn Minuten Allein—
ſeins!“ bat ſie mit bebender Stimme. „Nur
zehn, nur ſechs, nur fünf Minuten.“
„Lore! Großer Gott, was iſt dir?“ forſchte
dringlich die beſorgte Freundin. „Biſt du
krank? Oder was fehlt dir ſonſt?“
„Geh', ich bitte dich! Nach ſechs Minuten
magſt du wiederkommen. Jetzt aber, Lina, ich
beſchwöre dich, laß mich einige Augenblicke
allein!“
Nach einem forſchenden, beſorgten Blick im
Zimmer umher und nach der Aufgeregten, fand
es Fräulein Lenz für gut, jetzt derſelben —
ſehr gegen den eigenen Willen — zu willfahren
und das Stübchen zu verlaſſen. Sie ging oder
that doch draußen, als ob ſie weiter gehe, trat
jedoch, von Sorge und Angſt gepeinigt, unhörbar
dicht an die Thüre heran und neigte ihr Ohr
behutſam zum Schlüſſelloch.
Der Anteil, welchen Eleonore an Herbigs
646 Auguſt Beder.
PVerfönlichkeit nahm, war der Freundin jchon |
bei der erften Begegnung am Seeftrande nicht
entgangen. Allein, fie hatte feine Ahnung da-
von, wie tief und warm diefe Teilnahme war.
Erſt die Erfhütterung, mit welcher Eleonore
am heutigen Abend die Nachricht von Herbigs
Anweſenheit aufnahm und die Haltung, bie fie
gegen ihn beobachtete, hatte die Aufmerkſamkeit
der Freundin erregt und deren Beforgnis ge: |
wedt, als die junge, blühende, allgemein ge:
ihägte, verehrte und umſchwärmte Frau bes
Haufes ihr Weſen gleihfam in einen Eismantel
hüllte, um die innere Erregung vor ihren
Gäften zu verbergen und andauernd in dieſer
iheinbaren Erftarrung verharrte.
Belümmert um die Freundin horchte alfo
Fräulein Lenz oben an der Thüre des vom
nähtlihen Märzſturm umfauften Edjtübchens.
Anfänglich blieb alles ftill, fie vernahm wenig: |
ſtens nicht3 weiter, al3 die Naturjtimmen ber |
Wetternacht. Nun aber glaubte fie drinnen |
ſprechen zu hören, ſchluchzen, ftöhnen, Hagen,
leis und beflommen.
weinen, jammern:
„D, mein Gott, mein Gott, wenn bu bift —
ein milder Geift, ein barmherziger Gott, fo er:
barme dich meiner!”
Dann trat wieder tiefe, beängjtigende Stille
ein. Fräulein Lenz hielt e8 nicht länger vor ber
Thüre aus,
„Lore, mad’ auf! Mad’ auf, Lore! Ich
bitte, beſchwöre dich, mach’ auf oder ich rufe |
den trügerifchen Gebilden der Poeten ihre er:
nad Hilfe, deinen Arzt, deinen Mann!”
Leiſe fnarrte ein Schlüffel im Schloß, die
Thüre öffnete fih, Fräulein Lenz jchlüpfte
durh die Spalte hinein und umfing bie
Freundin.
„Willft du etwas?“ fragte diefe anfcheinend
gefaßt.
„Alfo das ift dein Gethfemane! Was
quält dich, Lore?”
Eleonorens Herz fahte jegt ein ſchmerz—
hafter, fürchterlicher Krampf, der fich endlich in
einem Tchränenftrom löjte. Ihr Haupt ber
guten Lenz auf die Schulter legend, meinte fie
bitterlich.
„Weine nur, meine Liebe,“ ſprach die Ge:
treue, „Ich weiß, wie wohl die Thränen thun,
weine dih aus. Und dann eröffne mir bein
Herz. Bertraue dich mir an. Haft du mich nicht
vertrauenswürdig gefunden? Nun denn. Mas
lajtet fo fehr auf dir? Komm, fee did und
ſprich!“
Und auf dem alten ſchlichten Divan ge—
wann Eleonore allmählich ſo viel Sammlung,
um ihr Herz vor der Freundin auszuſchütten.
Sie berichtete furz, nur andeutungsmeife, in
abgebrochenen Sägen die Gefchichte ihrer jungen
Liebe, erwähnte der erften Begegnung unter
den Eichen bei Katlenburg, ihres innigen, hoff:
nungsvollen Gedenkens jener Stunde die langen
Jahre hindurch, ihrer ftillen Entfagung und der
Einihläferung ihres Herzens, da fie fih ent:
ihloß, die Hand bes edlen Mannes anzu-
nehmen, dem ihr Vater in Freundſchaft ver-
pflihtet war. Und nun, da fie fih bezwungen
hatte, die Sehnſucht befhwichtigt, das Leid ver:
wunben, das bethörte Herz beruhigt und einge-
lullt, deſſen Gefühl erjtidt und eingedämmt
war hinter den Schranken der Pfliht, da trat
er ihr wieder entgegen, ber einzige, den fie je
geliebt, mit der ungebändigten Leidenschaft einer
itarfen Mannesjeele — an ber See und im
Thüringer Wald.
„Auch in Thüringen?” fragte bie Freundin
Schweigend verhüllte Eleonore ihr Haupt
an der Bruft der Vertrauten, um ihr frampf:
haftes Schluchzen unhörbar zu machen und zu
erſticken. Als fie fich wieder fomeit gefaßt hatte,
um Worte zu finden, klagte fie:
„Und nun fol ich nicht hHadern mit meinem
unfeligen Gefhid, mit ber graufamen Fügung
des Zufalls, jener Vorfehung, die nur no in
fünftelte und langweilige Rolle fpielt!“
„Klage die Poeſie nit an,” mahnte Die
Freundin beſchwichtigend. „Sie gründet im
Chaos der Welt ein Reich voll Harmonie und
Gerechtigkeit, indem fie die Dinge richtet, wie
fie fein follten. Nimm nicht teil an der Miß—
achtung des “deals, die das Erbteil und Merk:
mal ruchlofer Zeiten ift. Nur feine Verzweif:
lung, Lore!“
„Und was foll ich anders, als verzweifeln
in dieſer Not?!” entgegnete Eleonore in herz:
zerreigendem Ton. „Kann ich meine Liebe ober
| muß ich meine Pflicht verleugnen? Soll ich im
Verrat beharren, meinen Mann Hintergehen,
der mir fo innig vertraut, oder ihm mit meinem
Eingeftändnis den Frieden und bie Freude
jeines Alters rauben?“
„Das will Herbig?”
„Darf ih mid von dem edlen Manne
trennen, dem ich mich freiwillig angelobt habe?“
Eleonore.
fuhr Eleonore, die Frage überhörend, fort.
„Und darf ih auch nur ftille Wünfche für die
Zukunft begen, wo er nicht mehr fein wird?“
fügte fie mit erlöfchender Stimme hinzu.
„Hoffe alles von der Zeit, meine Lore,“
- tröftete die Freundin.
„Daß hieße auf feinen Tod warten, nein!“
flüfterte Eleonore mit leifem Weinen, „er ſoll
nicht ſterben!“
„Faſſe dich, meine Liebe, in Geduld!”
„Geduld!“ wiederholte Eleonore jchmerz:
lich. „Du weißt nicht, was das heißt.”
„Biſt du deffen jo gewiß, Lore?“ fing jet
Fräulein Lenz an. „Meinft du, wir alte Jung-
fern üben fie nicht?! Ad ja — man läßt uns
mit verbriegliher Miene beifeite ftehen oder |
Lächelnd durch die Welt gehen und fragt nicht,
wie uns zu Mute, Bewahren wir und den
heiteren Schein, fo ſchenkt uns jeder fein
Vertrauen, feiner feine Liebe, ſetzt nicht einmal
voraus, dab wir anders als in Freundſchaft
empfinden fünnen. Nun wohl! Man muß fein
Herz bezwingen, entfagen können! Es ift ſchwer,
allein es geht. Sei ftarf, meine Lore! Meine
edle, willenäfräftige Lore, raffe dich auf. Ueber:
laß did) nicht der Schwäche! Sei ſtark. Und
auch er ſoll nicht verfinfen, er, ein Mann! hr
könnt wenigſtens äußerlih ruhig und gelafjen
nebeneinander gehen. Thue, was deine Pflicht
gebietet und der Tag von dir fordert. Hier,
meine Liebe, magft du dich ausweinen — ich
verjtehe deinen Schmerz — dann bemeijtere
ihn!“
Allein weder wollte Troft verfangen, nod)
milderten Thränen den Kummer. Nur die
Notwendigkeit vermochte es über die Betrübte,
der Aufforderung der treuen Freundin nachzu—
fommen und das entlegene Edjtübchen zu ver:
lafjen, um wieder, da es feinen anderen Ausweg
gab, zu den Pflihten der Frau des Haufes
zurüdzufehren, als Fräulein Lenz nochmals
drängte:
„Nun fomm, Eleonore, ehe man ung ver:
mißt und fucht. Nicht länger darfſt du dich
deinem Leid Hingeben. Du warft ja font ftar:
fen Willens, fei e8 wieder! Ihr könnt und
müßt euch drein ergeben und ftandhaft mit der
euch auferlegten Laft euch begegnen. Nicht
länger darfſt du dich deinen Gäſten entziehen.
Es muß fein!“
|
|
647
6.
Es muß fein! Das harte Wort birgt einen
| Segen in ſich. Es iſt gut daß die zwingende
Notwendigkeit unſeren Willen beſtimmt, daß
kein anderer Ausweg bleibt, als der unumgäng—
liche, fein anderes Mittel hilft, als das uner:
läßlihe, infofern nicht Verzweiflung unfere
Schritte leitet.
War auch Eleonorens Entſchluß gefaßt, fo
blieb doch ihr Leid ungebrochen. Es gibt einen
Gram, den fein Erguß vor anderen erleichtert,
weil er feine Quellen in fich felbft findet. Kein
Sammer, feine Klage bringt Abhilfe.
Man braudt nicht an höhere Abfichten zu
glauben oder einen unabänderlihen und uner:
gründlihen Willen vorauszufehen, um zu ber
Einfiht zu gelangen, daß uns unfer Schidjal
nit in die Hand gelegt, unſer Lebenslos nicht
jo geworfen und gezogen werden könne, wie
wir es wünfchen. Es ift die einfachite Lebens:
weisheit, uns in die Schidung zu fügen, die
Enttäufchung zu verwinden, das Auferlegte als
unabweislihe Bürde — fnirfchend oder er:
gebungsvoll — zu tragen. Eine fehr nüchterne
und armjelige Philofophie; allein, unfer Men:
ſchenlos läßt uns feine Mahl, — wir müffen
fie und zu eigen machen, wenn wir erträglich
zum Endziel unferer Pilgerfahrt gelangen
wollen.
Mit folhen oder ähnlichen Ausführungen
geleitete Fräulein Lenz die junge Frau des
Haufes durch den Gang und über die Treppe
| zurüd, nad den unteren Räumen, wo ſich die
|
geladene Abendgefellihaft einftweilen ohne
Mittelpunkt, wie nad) neuerer MWeltanfchauung
das Meltgetriebe, nad) den Naturgefeben der
Schwer: und Anziehungsfraft bewegte. Weniger
die Zureben ber Freundin, als die unabweisliche
NRüdfiht gegen ihre Gäfte und der Ruf ihres
Haufes hatten es über fie vermocht, die nötige
Faſſung mit Hilfe einer Heinen Dofis Mor:
phium, die fie unbemerkt eingenommen hatte,
zurüd zu gewinnen, Allein ihre Feſtigkeit follte
zuvor noch auf eine ſchwere und erjchütternde
Probe gejtellt werben.
Arm in Arm waren die Freundinnen die
Treppe herunter in den Flur gelangt, Eleonore
nunmehr aufgerichtet in ihrer gewohnten Hal:
tung. Sie empfand ben Seelenfchmerz nicht
mehr in der heftigen Weife wie vorher. Ihre
Beklommenheit hatte fih gemindert. Nun
traten fie in einen, dem Treiben der Abend:
82
648
gejellihaft etwas entrüdten Raum, um durch
diefen nad) den belebten Salons zurüdzufehren.
Das Gemach war nur matt von einer Hänge:
lampe beleuchtet und anfcheinend leer. Nur auf
zelner Mann, den Kopf tief auf die Hand ge:
jtüßt, in Träumereien verloren oder über Ge:
danken brütend, welden er in dem einfamen
Raum, den nur dann und wann ein Gewirr |
der Stimmen erreichte, ungejtört nahhängen |
fonnte.
Als nun die Thüre von außen fich öffnete
ichrad der Einfame merklich zufammen und er:
Auguſt Becker.
aufklärende Worte mit Ihnen getauſcht. Allein
— — bliden Sie nicht fo kalt, fo troſtlos und
verzweifelnd; jehen Sie mich nicht fo anklagend
‚ und vorwurfövoll an.“
der in die Ede gerüdten Caufeufe ſaß ein ein:
hob fi, aus feinen Träumereien gewedt, haftig |
beim Eintritt der beiden Damen, die vor feiner |
Erjheinung unwillfürlih inne hielten. Aud er
hatte nur einen Schritt vorwärts gemacht und
jtand unverjehens vor Eleonoren. "
Einen Augenblid glaubte er zu erjtiden
und der Eindrud diefer unverhofften, plöglichen
Begegnung benehme ihm den Atem. Alles
Blut war ihm mit folder Gewalt zum Herzen
geftrömt, daß eine fajt tödliche Bläfje fein Ge-
ficht überzog. Dabei frampfte ein tiefes Weh
fein Herz bei dem Gedanken zufammen, daß bie
Zeit noch nicht gar weit hinter ihm liege, wo
ein ſolches Zufammentreffen ganz andere, freu:
digere Gefühle hervorgerufen hätte. Er jchien
fein Wort finden zu fönnen und auch ihr fehlte
„Weder Anklage noch Vorwurf fam auf
meine Lippen, gnädige Frau,” mar feine Ant—
wort,
„Aber mehr als diefes liegt in Ihrer
Miene, Ihrer Haltung,“ begann fie wieder.
„Mehr als ich verdiene, von Ihnen verdiene,
Bruno. Nachdem es das Schikfal nun einmal
ı jo unfelig gefügt ... .*
und leichte Schritte über die Schwelle famen, |
„Das Schickſal?“ fiel er kurz, fat ſchnei—
dend ein.
„Die Tüde des Zufalld, wenn Sie wollen, *
fuhr fie fort, mühfam nad Atem ringend.
„Das unfelige Gefchid, das uns in unheilvoller
; Stunde wieber zufammengeführt. Wollen Sie
mich deshalb richten, verdammen, Herbig?
Bruno, fönnen Sie das?“
Sie ſah ihn dabei mit einem durchdringen—
‚ ben, unter den geſenkten Brauen hervorſchießen—
der Mut, zu ſprechen, jo daß Fräulein Lenz, um
der peinlihen Situation ein Ende zu bereiten,
eine Entſchuldigung hervorbradhte, daß man ihn
aus fühen Träumen gejchredt habe.
„Er war nicht fü, mein gnädiges Fräu—
lein,“ gab er zur Antwort. „Ich träumte einen
ſchweren, quälenden Traum.“
„Dann bedaure ich,“ fagte jene, der Freun—
din zuflüfternd, ſich jtarf und aufrecht zu er:
halten bei diefer Gelegenheit, ihm ein ver:
jühnendes, aufrichtendes Wort zu Jagen, —
worauf fie wie ein Schatten von der Seite
Eleonorens hinweg durch das Zimmer hufchte
und hinter der Flügelthüre verſchwand.
Eine peinlihe Stille trat ein, als jett die
beiden fi allein gegenüberftanden. Stumm
verharrte er noch, als fie ihn flehend anjah,
bis fie jelbft das quälende Schweigen brad).
„Bruno,“ begann fie mit dem rührenden
Herzklang der Stimme, die ihn fonft fo tief er: |
oriffen hatte. „Herr Doktor Herbig,” ver:
beſſerte fie fih raſch, „ich hätte gerne einige
den Blid an, der ihn verwirrte. Er fenfte
unter dem Eindrud desfelben das Haupt, hob
e3 aber fofort wieder und rang mit einem leiden—
ihaftlihen Wort, das fi auf feine Lippen
drängen wollte. Allein fie mahnte mit ftummer
Bitte und erhobener Hand, es nicht auszu-
iprechen. Dann erſt brachte fie mit gebämpfter,
aber tiefbewegter Stimme hervor:
„Richt aufbraufen, Bruno! Halten Sie
ein! Ich beihwöre Sie, faſſen Sie fih. Seien
' Sie nicht fo heftig, Herbig. Erfchweren Sie
mir die Dual dieſes Augenblids nicht noch mehr.
Sammeln Sie Ihre Kraft, zu ertragen, was
wir nicht ändern fünnen. Wir fönnen, fo lange
Sie noch hier weilen, ruhig nebeneinander
gehen.“
„Slauben Sie wirflih, Frau Geheim-
rätin?“ frug er mit vor Unwillen bebenber
Stimme.
„Wir müffen, wir fönnen uns gewöhnen,
uns falt und gelaffen zu begegnen.”
„Rein, gnädige Frau, das fönnen wir
nicht!” erwiderte er in demfelben ergreifenden
Flüfterton, wie fie, aber mit erjchütterndem
Nahdrud, „Mindeftens der eine Teil von uns
beiden vermag das nicht.”
Sie ward noch bleicher, als fie bereits war,
indem Sie den Kopf aufmwarf, wobei ihr Geficht
einen Ausdrud annahm, der ihr, wie ſich Herbig
noch oft zu entfinnen Muße fand, eine auf:
Eleonorr,
fallende Nehnlichfeit mit dem zümenden Apollo
von Belvedere verlieh. Unter den gerollten
Brauen blitte die Entrüftung hervor, während
auf den gefräufelten Lippen der Unmwillen
wohnte. Allein, er hielt ihren Blid aus, bis
fie jelbjt die Augen ſenkte und in ſchmerzlichem
Brüten des weiteren harrte.
„Nennen Sie e8 Schwäche oder wie Sie
wollen, Frau Geheimrätin,“ fuhr er fort.
„5% fann einen Berrat an dem edlen Manne,
den ich zu ſchätzen, zu verehren nur zu ſehr Ur:
ſache habe, unwiſſentlich mir zu jchulden fom:
men lafjen, aber ich kann ihn nicht wiffentlich |
fortjegen. — Verſtehen Ste mich übrigens nicht
falſch, ich bitte,“ fügte er bei, als eine Be:
wegung des Unwillens durch ihre Geftalt |
zudte, — „id fann nicht wunſchlos neben
Ihnen weilen, nicht gleihmütig neben dem |
Weibe ftehen, das ich geliebt, wie noch feines
geliebt worden und — das mich getäufct.
Das geht über meine Kraft.”
Noch ftand fie wie erftarrt. Nun aber hob
fie das ſchöne Haupt und fah ihn finfteren
Blides an, defjen harter Ausdrud jedoch all:
mählich hinwegſchmolz.
„Inwiefern hätte ich Sie getäuſcht, Her—
big?” fragte fie dann äußerlich gelaſſen.
Er zauderte, begann aber hierauf dennod: |
„Habe ich die Ehre, mit Frau Geheim:
|
rätin Wantrup zu jprehen? Nein. Dennoch
jagten Sie mir damals, Wantrup fei Ihr Name.
Auch der war falſch.“
„Nein, Herbig,” erwiderte fie mit ihrer
janften Stimme. „Es ift mein Familienname,
Nora Wantrup. Und fon damit verriet ich
Ihnen damals mehr als ich follte, als ich durfte.
Es war der Wille meines Mannes, daß ich unter
diefem Namen mir für die wenigen Tage die ge-
ſuchte Zurüdgezogenheit und Einfamfeit wahre
und die Erholung fichere, da mir Ruhe not that
nad) den gefelligen Strapazen an der See. Da
famen Sie, Herbig. Ich habe Sie nicht be:
trogen, nicht hintergangen, nicht getäufcht, —
nit Sie, Bruno, nicht Sie! Von Jhnen habe
ih die Vorwürfe und Anklagen nicht verdient,
Bruno, die ich gegen mich ſelbſt erhebe, — von
Ihnen nicht. Und foll ich mich nun ihm rüd:
haltölos anvertrauen, dem ich mid) angelobt?
Soll id) ihm mein Herz ganz eröffnen, ihm mit:
teilen, was in und mit mir vorgegangen; foll
ih auf die alten Tage, auf das ehrwürdige
gebeugte Haupt noch ungeahnten Kummer la: |
649
den? Habe ich die Verpflichtung, fein Zutrauen
zu töten, Verftörung zu bringen in biejes eble
Leben, da3 auch Ihnen teuer ift? Herbig, ver:
langen Sie dies? — So foll es geſchehen.
Sprechen Sie alfo, habe ich die Verpflichtung?“
Er ſchwieg.
„Raten Sie mir!” fuhr fie dringend fort.
„Rur ein Wort.“
„sh Tann Ihnen weder raten,” verſetzte
er dann, während von den Gejellihaftsräumen
her jih Schritte und Stimmen näherten, „noch
vermag ich Ihrem Wunſch zu entiprechen, hier
ruhig neben Ihnen zu wandeln, Frau Geheim:
rätin Betting. Doc gelobe ich, für den Reſt
diejes Abends jene Faſſung und Gelafjenheit
zu heucheln, die jedem Aufjehen vorbeugt. Und
dann fort von hier mit dem Bemwußtjein meiner
Schuld, — fort!”
„So jei ed denn, wie Sie wünſchen, Herr
Doktor,” ſprach Eleonore, ſich zu ihrer ganzen
Höhe aufrichtend, indem fie mit einem Niden
des Hauptes fich von ihm ab zu der zurüdfehren:
den Freundin wandte, die mit mehreren Damen
und Herren unter lautem Geplauder langſam
daher fam, um denfelben auch diefes Kabinett
des fchönen und geräumigen Haufes zu zeigen.
Einer der Herren nahm den Königäberger
Docenten, der übrige Teil der Gejellihaft die
ihöne junge Frau des Haufes in Beſchlag und
begab ſich mit derjelben in den großen Saal
zurüd, fo daß fie vor Herbigs Bliden verſchwun—
den war, bevor er eigentlich zur Befinnung ge:
fommen. Eine Weile unterhielt er fid) mit dem
Herrn, der ein Fachgenoſſe war. Als er dann
wieder zu dem Mittelpunft des gejelligen Trei—
bens zurüdfehrte, entging ihm nicht, daß Eleonore
etwas unbefangener den Pflichten der MWirtin
nahfam und den Verbindlichfeiten, welche ihr
der Abend auflegte, mit der ihr eigenen liebens-
würdigen Hoheit gerecht zu werben fich bemühte,
während ihr greifer Gemahl nod) auf derjelben
Stelle, im engeren Kreis, unverbrofjen mit Mor:
ten, Händen und Gründen feine Anficht gegen
die Beweiskraft der angeführten Thatfachen ver:
foht und die neuen Aufftelungen über das
Weſen der zur Erde fallenden Chondrite lebhaft
beftritt. Seiner Wirtöpflichten fonnte ſich der
alte gelehrte Herr dabei weder erinnern nod)
annehmen. Es bedurfte deſſen auch nicht.
Die Unterhaltung und Erholung der Gäfte
nahm ihren ungeftörten Fortgang und Verlauf.
Es hatten fich durch Wahl und Zufall größere
650
Gruppen gebildet, und bei der größten bewegte
fih dad Gefpräh in feltfamen Wandlungen,
bald fprunghaft, bald durch unvermerfliche
Mebergänge je nad dem Geſchick der einzelnen
Führer der Konverfation. Ein junger Mann,
der einen Schnurrbart trug und denfelben beim
Sprechen nad) dem Vorbilde des Reichsfanzlers
etwad nervös zu zupfen pflegte, hatte über
einen vielbefprochenen politifhen Vorgang eini-
ges Nähere berichtet und verfuchte nun feine
Hechel an einem befannten Luſtſpieldichter.
Der, berichtete er, habe feine einaftige Poſſe
dem Wiener Ringtheater eingefandt, furz bevor
dasfelbe mit hunderten von Menfchenleben und
allem zu Grunde ging. Als die Nadricht hier:
von Entjeßen durch gang Europa verbreitete,
hatte er nichts Eiligeres zu thun, ala auf bie
Rückgabe feines Einakters zu dringen. Der
Direktor, alle Beteiligten wollten fi ob ihres
Ruins die Haare ausreißen, ganz Wien ver:
zweifeln vor fhauderndem Entſetzen; da lief
Depeihe um Depefhe von dem Poffendichter
ein, man möge ihm jchleunigft das Manuffript
feines Einakterd einhändigen, wenn man eine
Klage um Schadenerfaß vermeiden wolle.
Daraus nahm jemand Anlaf zu der oft ge:
machten Bemerkung, daß durch ein großes Un-
glüd, das viele vernichtet, unfer Mitgefühl
weniger in Anfprud genommen werde, als
wenn ein-einzelnes Menjchenleben zu Grunde
gehe. Sofort war eine gutmütige Dame an die
junge Fremde erinnert, die man im vergangenen
Herbjt aus dem Engelbeden gezogen, worauf
der junge Mann mit dem Schnurrbarte die
Aeußerung fallen ließ, daß die Geſchichte mit
jenem Doktor Dräſow zufammenhänge, deſſen
in der äjthetifhen Monatsſchrift abgedrudtes
Eſſay über den „Homunculus“ unddie „Mütter“
im Fauft Aufjehen erregt habe.
„Ah ja, Doktor Dräſow!“ erinnerte ſich
jeßt die Geheimrätin mit dem ergrauten Haar.
„Er ſchleppte fih lange mit der Mifere unferes
deutſchen Privatdocententums3 herum. Man
ann fich ja denken: feinen Gehalt, feine Hörer.”
„Iſt denn die romantische Geſchichte wahr?“
fragte die Heine unterjegte, lebhafte Brünette,
fih vorbeugend. „Man jpriht ja von einer
nicht unbedeutenden Erbichaft, die ihm eine un-
befannte Schöne hinterlaffen haben fol. Sid
in folden unpraftifchen, jchlotterigen, hypo—
chondriſchen Pedanten zu verlieben! Eigener
Geſchmack.“
|
ar ——— — — —— — — —— — — —— — — — — — —
Auguſt Beder.
Herbig wollte eben für ſeinen Freund ein—
treten, ala ihm eine der jüngeren Damen mit
der Aeußerung zuvorkam:
„Berliebt? Im Gegenteil. Sie mar in
einen ganz anderen verliebt, — ich weiß es aus
guter Duelle. Weil der fie fiten ließ, ging fie
ins Waſſer. Sie wiſſen doch, wo das Engel:
beden liegt? Niht?! Nahe bei Bethanien am
Kanal, dicht vor der Michaeläfirhe, dem ſchön—
jten kirchlichen Gebäude hier.“
„Aber erlauben Sie mir, die Michaelsfirde
der ſchönſte Kirchenbau !* fiel hier ein graubärti:
ger Herr mit rotem, cholerifhem Gefichte ein.
„Da muß ich doch entſchieden widerſprechen.“
„Aber darum handelt ſich es ja nicht, Herr
Oberbaurat,“ mahnte die grauhaarige Geheim:
rätin, „fondern um das arme verzweifelte Mäb:
chen. Man fagte damals, fie fei in dem Moment
in das Engelbeden gefprungen, wo ihr Unge:
treuer ſich in der Kirche innen mit einer anderen
trauen ließ.“
„Steuber!” flüfterte hier Fräulein Lenz
Eleonoren zu, jo daß es Herbig, der noch immer
in feiner Zurüdhaltung verharrte, vernehmen
fonnte,
„Wollte fich jede ertränfen, die fiten ge:
laſſen wurde!” meinte eine etwas hagere, mittel:
alterlihe Dame hinter ihrem Fächer, den langen
Hals redend.
„Es ift doch eine große Gemiffenlofigkeit
feinerfeits,” bemerkte die alte Geheimrätin mit
ihrer etwas rauhen Stimme.
„Heutzutage nennt man das Charakter:
ftärfe !” äußerte ein ernfter Herr, mit den fehr
abhängigen Schultern zudend. „Der Gemifjen:
loſe bleibt im Kampf ums Dafein Sieger.”
„Wären wir wirklich fo weit, jo wäre es
ſchrecklich!“ erwiderte die Matrone und fächelte
fich Luft zu.
„Wollen Sie bejtreiten, daß ein zartes,
reges Gewiſſen eine peinliche, ja böſe Mitgabe
fürs Leben ſei?“ fragte der Herr mit den ab:
hängigen Schultern. „Wir Juriften müſſen
täglih dem Gewiſſen ein Schnippchen fchlagen.
Nicht umfonft Hagt Hamlet: ‚So macht Ge:
wiſſen Feige aus uns allen.‘“
„Dennod bleibt es ein fanftes Ruhekiſſen,
mie ſchon die Kinderfibel jagt, — nicht wahr,
Herr Aſſeſſor?“ wandte fih die Matrone an
den jugendlichen Herrn mit dem Schnurrbart.
„Beraltet! Eine Sage der Vorzeit!“ ant-
‚ wortete der, die Haare unter der Nafe zupfend.
Eleonore.
„Glauben Sie doch ja nicht, gnädige Frau,“
fiel ber Herr mit den abhängigen Schultern
wieder ein, „daß dem Schurken ein gelungener
Gaunerſtreich nicht ebenfoviel freudige Genug:
thuung bereitet, wie dem Edlen eine menfchen:
freundlihe That. Das Gewiſſen regt ſich zu:
meift erft, wenn die Strafe anrüdt. ch weiß
nicht, wer der Treuloſe war; doch bin ich über:
zeugt, daß er fich den Genuß bes Lebens nicht
minder munben läßt, ala vorher.”
„Beier! beſſer!“ meinte Fräulein Lenz,
mit dem Kopfe nidend, um ihre Behauptung zu
betätigen. „Allein, was fagen Sie zu ber
Sade, Herr Doktor Herbig?”
Aus feinem Brüten auffchredend, äußerte
der Angerufene etwas verwirrt, daf dem Ge:
rücht eine Thatfache zu Grund liege, was Fräu—
lein Lenz ebenfalla wußte. An die Begegnung
in jenem Modemagazin mochte er fie nicht er:
innern, fich ebenfowenig ala Eingeweihten vor:
führen, da fonjt an neugierigen Fragen und Er:
fundigungen fein Ende abzufehen war. Um
feine Meinung befragt, befchränfte er fich auf
die Yeußerung, daß er den Entſchluß des armen
Mädchens für einen fehr übereilten halte.
„Das ift gut fagen, wenn man nicht in dem
Fall ift,“ Tief fich die alte Geheimrätin wieder
vernehmen. „Wer vermag fich vorzuftellen,
was dem legten Schritt voranging und was fie
zu bemjelben trieb!”
„Ich erlaubte mir,“ entgegnete Herbig,
„meine unmaßgebliche, ganz individuelle Anficht
von der Sache auäzufpreden, ftehe auch nicht
an, offen zu befennen, daß mich in ſolchem —
Aufjehen erregendem — Gewaltſchritt die Dften-
tation nicht angenehm berührt.”
„Ditentation, wo man das Leben hin=
wirft 21”
„Auch da. Man jtirbt in Stille oder ftirbt
auch nicht, gnädige Frau. Die wahren Mär:
tyrerinnen find die Ausharrenden.“
„Die alten Jungfern!“ bemerkte die eb:
hafte Matrone etwas rüdfichtslos, ſah fich dann
ei doch ſtutzig um, ob fie nicht damit verlegt
habe.
„a,“ fiel Herbig raſch ein, „ja, wenn Sie
wollen. Glauben Sie mir, daß unter dieſem
Stande mehr Opfermut und Charafterftärfe zu
finden, als wir ahnen, und daß wir fie eher
ahten und bewundern, als belächeln dürften |“
„Wären wir bo) auch ledig geblieben, liebe
Betting, um einen fo begeifterten Anwalt zu
651
finden!” wandte ſich hier die Matrone flüchtig
an die junge Frau des Haufes, die, zumeift von
einer flüfternden Nachbarin in Anſpruch genom:
men, dennoch auf das allgemeine Geſpräch fo
aufmerffam adhtete, daß ihr kaum ein Wort ent:
ging. Indes richtete die alte Dame mit dem
ihr eigenen Freimut wieder an Herbig die her:
ausforbdernde Frage: „Und wenn nun das Leben
völlig unleidlih wird — und Sie werden zu:
geben müſſen, daß der Fall eintreten fann —,
wie dann?”
„Dann noch lange fein jenfationeller Sprung
ind Dunkle. Eine Frauenleihe gehört nicht auf
den öffentlichen Martt. Man kann ohne Auf:
fehen aus dem Leben gehen, wenn feine Buͤrde
wirklich allzu läftig wird.”
„Sie lieben das Auffehen nicht, Herr Dok—
tor?“ fragte die Matrone jetzt mit durchflingen:
ber Ironie, welche jedoch Herbig zu überhören
vorzog, indem er verficherte, daß ihm allerdings
jede Marftichreierei und Ditentation in den Tod
zuwider fei. Die geiftreiche alte Frau hätte er:
widern fönnen, daß er nicht eitel fei, weil er bie
Hleinlihen Mittel zur Anerkennung fcheue, daß
fih aber feine Selbſtſucht und Eigenliebe in
Stolz Fleide, dem fich etwas Uebermut beimifche.
Doc unterdrüdte fie diefe Bemerkungen, als er
fortfuhr:
„sch Tiebe die Ruhe, wie ein Bifchof, hafje
den Affeft —“
„Das ift mir neu!” fonnte die Matrone
nicht unterlaffen einzufchalten, während er un:
befümmert darum feinen Sat alfo vollendete:
„Wie jede Schauftellung und mag nicht
leiden, wenn man mit einem Sprinaftod über
einen Öraben jet, den man ohne Anftrengung
überfchreiten fann.*
„Iſt auch völlig wider die Natur. Denn
fein Tier ftirbt unter Nandal, o nein!“ flötete
es hier dazwifchen, und der Profefjor mit dem
Vogelgeſicht ftedte zu nicht geringem Schreden
feinen Schnabel herein. „Die Kate, aud) fonft
ein Mufter von Sittſamkeit, macht, wenn jte
fterben will, feine Sprünge, heult und miaut
nicht. O nein! Sondern verfriecht ſich in den
verborgenften Winfel und verendet im ftillen.
So meinen Sie es doch, Herr Doktor Herbig?“
„D ja! ch laſſe mir den Beweis aus dem
Tierleben gefallen, obwohl da auch das Gegen:
teil vorfommen mag.“
„D nein!”
„Gut denn,“ erwiderte Herbig. „In allen
652
ſolchen Fällen halte ich es mit Lord Byron gegen
Maſter Roscoe.“
„Und wie hielt es der poetiſche Lord mit
dieſem Gentleman?“ fragte die Matrone.
„Verſtatten Sie mir, ein wenig auszuholen.
Zur Zeit des ruſſiſchen Feldzugs, anno 1812,
brachten die Londoner Blätter einen rührenden
Bericht über einen Unfall in der Wyl, wo bei |
einer Kahnfahrt ein Dugend Menschen ertranten.
«Mr. Roscoe, ein beleibter Mann, der vermittelit
eines Boothafens und einer Nalgabel heraus:
gefifcht worden war, that ſehr verzweifelt, als
er hörte, daß feine Frau mit zu Grunde ge-
gangen jet. Aniefällig bat er jeden feiner Retter,
er möge ihn wieder ins Waſſer werfen. Und |
dies wurde allgemein als ein rührender Zug
von Gefühl aufgenommen.”
„sh dächte doch, das wäre es auch!” Tief
ih jet die unterfegte Brünette und mit ihr
noch manche der Frauen und Herren im Kreife
vernehmen.
„Lord Byron dachte anders,” entgegnete
Herbig. „Denn er fchreibt: ſeltſame Menfchen
in und außerhalb der Wyl! Als ob diefer dide
Mr. Roscoe ſich nicht felbft ins Waſſer hätte
jtürzen fönnen, wenn er e8 wollte! — Die
Bitte, ihn hinein zu ſtürzen,“ fünte Herbig hinzu,
indem er fid) an den Geierfopf wandte, „ift doch
dasjelbe, ald wolle ich Ihnen fagen: Lieber
Herr Brofefjor, ſchneiden Sie mir doch gefälligft
den Kopf ab! — da ich weiß, daß Sie e8 unter:
lafjen würden.”
„Wer fagt Ihnen denn das? D nein!”
flötete der Mann in fo wehmütigem und in fo
entfchiedenem Gimpelton, daß allgemeine Heiter:
feit entjtand, in die nur vielleicht Eleonore nicht
einftimmte.
Indes machte ſich die Lachluſt jo laut und
beharrlich geltend, daß es auch die Aufmerkſam—
feit der gelehrten Alten erregte und, da fie
ohnehin zu vorläufigem Schluß in der Streit:
frage über die „Organismen in den Meteoriten“
gefommen waren, ihr Konklave vollends fprengte
und auflöfte. Ueber den Grund der allgemeinen
Heiterkeit unterrichtet, lachten fie nunmehr felbit
herzlich mit. Damit war aber auch der Anſtoß
zu anderer Bildung der Geſellſchaftsgruppen
und zu weiterer Unterhaltung gegeben. Man
fpielte, man mufizierte, man fang. Nur Eleo:
nore felbit, fonjt gerne bereit, ihre Gäjte durch
ihren feelenvollen Vortrag zu erfreuen, entzog
fih heute diefer Aufgabe und konnte ſich erit
Auguſt Beder.
auf die Bitte ihres Mannes hin entſchließen,
eine fchlichte, rührende Volfsweife zu beginnen.
„Es waren zwei Königäfinder,
Die hatten einander fo lieb!
Sie fonnten zufammen nicht fommen,
Das Waffer war viel zu tief.“
Sie fang es im plattdeutfhen Driginal, und
ihre weiche Altftimme Hang in Herbigs Bruſt
hinein mit einem Ausdrud, ſehnſuchterweckend,
wie in der Sage der Ton meerverfunfener
Glocken. Allein jchon nad der erſten Strophe
brach fie plöglih und unmwiderruflih ab, indem
‚ fie fich mit Indispoſition entfhuldigte, worauf
einer der jüngeren Herrn, ein aufftrebender und
erfolgreicher Komponift, ihre Stelle am Biano
einnahm und die Gefellichaft dur den Vortrag
eines neuejten Opus entſchädigte.
„Meine arme Leonore,“ ſprach der greife
Hausherr gelegentlich und gleichſam entſchuldi—
gend zu Herbig, „leidet ſeit vorigem Herbſt an
Schlafloſigkeit, die ihr Gemüt affiziert. Nerven—
ſchwäche, Atonie, melancholiſche Anwandlungen
ſind die natürlichen Folgen und wollen den an—
gewandten Mitteln nicht weichen. Die Seebäder
haben ihr nicht gut gethan, die Meerluft fie an=
gegriffen, und auch einige Tage tiefiter Ruhe
und Zurüdgezogenheit im Thüringer Wald ver:
mochten das Uebel nicht zu heben. Doch macht
es fich hoffentlih no, und für den Sommer
werden wir, wenn ich's erlebe, einen ganz ab—
gelegenen, ruhigen Winfel auffuchen. Sehen
Sie, lieber Freund, feit jenen Tagen an der
| See und in Thüringen find die fleinen unfchein=
baren Immortellen ihre Lieblingsblumen. —
| Aber, was nun Sie jelbjt anbelangt, lieber
' Doktor, jo höre ich ja, daß Sie Ihren Plan,
das Innere Afrifas der Miffenfchaft vollends
zu erfchließen, noch keineswegs völlig aufgegeben
haben. Es wäre mir lieb, Sie blieben uns er-
halten. Bejtehen Sie jedoch auf Ihrem Projekt
oder fommen Sie darauf zurüd, jo bitte ih, mich
zeitlich zu verjtändigen. Was ih ala Privat:
mann und durch meinen geringen Einfluß für
Sie vermag, fteht Ihnen zu Gebot. Berfügen
Sie über mid.”
„Wie gütig Sie find, Herr Geheimrat!”
ſprach Herbig bewegt. „ch werde nicht ver:
fäumen, feinerzeit Ihr unverdientes Mohlmwollen
in Anſpruch zu nehmen. Für heute jedoch) ge-
ftatten Sie mir, mic) empfehlen zu dürfen!”
„Wie! Sie wollen uns jchon verlaflen?“
fragte der alte Mann jichtlich unangenehm über:
Eleonore.
rafcht. „Nein, nein! Das geht nit an. Sie
müſſen mir meine junge Frau noch unterhalten
und aufmuntern helfen. Kommen Sie, — Sie
follen Eleonore erſt fennen lernen, — fommen
Eie!*
„Bitte, Herr Geheimrat,“ erwiderte Herbig
bereit3 mit dem Hute in der Hand und fic)
jträubend, „die Aufgabe wäre ſchön, die Ehre
unſchãtzbar. Allein —“
„Was denn? Was denn?“ fiel der alte
Herr ein, als der junge zauderte und ſtockte.
„Sind Sie wirklich unzufrieden oder habe ich
davon läuten hören? Hat es an Ihrem Em:
pfang gefehlt? Ach, die unliebfame Laune wäre |
dur ihr Befinden entſchuldigt. Und daß ich |
Sie nur flüchtig vorführen fonnte — die große
Neuigkeit! Denken Sie: Umfturz unferer ganzen
Weltanfhauung — im Anfang der Organismus
als Urgrund aller Dinge! — Ad, daß man
nicht überall fein fann. Aber, follten Sie nod)
jo gerechte Veranlafjung haben, zu zürmen:
fommen Sie jet, lafjen Sie Ihre Verſtimmung,
reden Sie nur mit meiner Frau, und Sie wer:
den ſich aud) verftändigen.“
Und wieder ftand er ihr gegenüber, diesmal
zum Abjchied. Flüchtig verſchlang fein Blid die
herrliche Erfcheinung des geliebten Weibes und
ſenkte ſich dann, wie zerknirſcht.
„Sie wollen uns in der That bereits ver—
laſſen, Herr Doktor?” fragte fie, nah Atem
ringend, während ihr Gemahl ſchon wieder von |
anderen in Anfpruch genommen ward. „Hat
der Abend Ihnen jo unangenehme Eindrüde
hinterlajjen, daß Sie als der erſte aufbrechen?
Das würde mir leid thun.”
„Man lernt dergleichen überwinden und
fih beſcheiden, gnädige Frau, — bejorgen
Sie nichts. Die Welt iſt weit,“ fügte er hinzu,
„ich werde lange wandern dürfen, um das Ende
zu erreichen.“
„Sie können ruhig bleiben, Herbig,“ ſprach
fie mit dem Ausdrud feltfam ergebungsvoller
Gelaſſenheit und Faſſung. „Es gibt einen an:
deren Ausweg, der vielleicht auch Ihre Zuftim:
mung findet, Herr Doktor. Indes, haben Sie
fein freundliches Wort für mich?“
„Es tjt leer und öd in mir,“ ſagte er. „Ich
fühle mich erſchöpft.“
„Wenn Sie nicht allzu müde find,“ ſprach
fie leife und ſah ihn mit dem fchüchternen
Mädchenblick an, wie einft — in fchöner, hoff:
nungsvoller Jugendzeit, „jo laſſen Sie uns
653
noch eine Weile plaudern. Ich weiß ja, daß
Sie jehr gegen Ihren Willen nochmals mit mir
zufammengetroffen find, obwohl wir uns viel:
leicht nie wiederjehen werden. Wollen Sie
mir nicht jagen, was Sie fo unfreundlich, fo
hart macht ?* E
„Wenn Sie es alfo wifjen,“ entgegnete er,
„dab ich es gern vermieden hätte, jo erraten
Sie wohl aud) den Grund. Was fann Sie
meine Verftimmung fümmern, und was mid),
daß Sie mir zümen!“
„IH zürne nicht. Aber glauben Sie mir,
| ich leide mindeftens nicht weniger als Sie!“
lang es von ihren Lippen fo leife, daß er die
Worte mehr verjtand, als vernahm. „Dennoch,
wenn Sie mir auc) heftiger grollten, nicht mit
haferfüllter Seele follen Sie fich von mir trennen.
' Nein, Herbig, wir dürfen fo nicht ſcheiden,“ bat
fie fanft. „Ich ſage nicht: wollen Sie mir ver:
zeihen. Abbitte habe ich hier nicht zu leijten.
Aber jeht, wo wir uns wohl zum lettenmal
jehen, hege ich die Neberzeugung, daß Sie bei
fälterer Weberlegung nicht bloß alles vergeben
werden, was Sie ald meine Schuld erfennen,
jondern daß Sie aud) einfehen werden, wie ich
nur fehlte, weil ich liebte. Ihnen, Herbig, ver:
\ gebe ich jedes böſe Wort; iſt doch feine Duelle
diefelbe. Und in diefer ſchweren Stunde lebe
| ih der Zuverficht: in der weiten Melt, die
ı Ihrer Thatkraft offen liegt, werden Sie zu:
weilen meiner freundlicher gedenfen. Und nun,
Bruno, reihen Sie mir zum Abfchied nochmals
die Hand!“
Ueberwältigt von dem flehentlichen Blid
und Wort legte er jeine Rechte in die ihrige.
Einen flüchtigen Augenblid nur ruhten dieſe
‘ Hände, die die Natur für einander geſchaffen
zu haben ſchien, ineinander. Dann neigte fie
das Haupt, daß es Zeit fei.
Und er ging hinaus in die finftere März:
nacht, ohne ſich nach feinem Wagen umzufehen.
| Auf weiten, dunfeln Ummegen jtrebte er nad)
ı der Stadt zurüd. Weber ihm brauften die Lüfte
| durch leere Baummipfel. Doch jtürmte es wil:
der in ihm, als in der Natur.
n
|
j
|
|
\
r
i
-
i.
ALS Dräfow den Freund anderen Tags im
| Hotel bejuchte, fand er ihn verändert, blaß, mit
ſchwarzen Augenrändern.
654
„Run, wie iſt ed ergangen auf der Soirée?“
„Schief fteht alles. ‚Von Liebe nichts in
all den ſüßen Schuften und lauter Höflichkeit‘.
Frage nicht weiter; fei ug, Dräfovius! und
fümmere dich nit um ben Weltſturz. Es ift
gefährlih, am Rand zu ftehen und in den Ab:
grund zu bliden. *
„So fteht es, meinft du. Aber du fügjt
wieder — verzeihe, lieber Herbig, meiner Offen:
heit — eine Thorheit an die andere. Gejtern
war bir feine Leiter hoch genug; heute liegſt
bu mit unverfehrten Oliedern auf der Nafe und
macht nicht einmal den Verfuch, dich aufzurid):
ten. Warum denn ftets himmelhoch jauchzen,
zum Tode betrübt, da es doch eine goldne Mittel:
ftraße gibt. Schon Marc Aurel rät, Herr feiner
felbft und guten Muts zu bleiben in guten mie
in böfen Tagen. Leiden ſchaden nichts, fondern
bilden den Charakter. Aber auf Leidenſchaften
beruhen die Krankheiten des Körpers und ber
Seele.”
Und fo weiter. Allein Herbig war nicht in
ber Laune, dergleichen ruhig anzuhören.
„Hör’ einer diefe Pofaune der Philifter!“
rief er. „Verſchone mich doch mit deinen Ge:
meinplägen. Du haft gut philofophieren.
Warum predigteft du deine Weisheit nicht dem
Mädchen aus der Fremde vor ihrem Sprung
ins Waffer! Sie hätte dich noch im legten Mo:
ment enterbt. Etwa nit? Beitimmt. Du
magft e3 gut meinen, würbeft mir aber einen
ganz entjchiedenen Gefallen thun, mich mit
deinen verftändigen Neben zu verfchonen. Sprich
aljo nichts von meinen Angelegenheiten mehr,
fondern von den deinen, — erlaube mir indes,
nichts davon zu hören.“
Der Stubengelehrte maß den Freund hier:
bei mit einem pebantifhen Blid. Die Ber:
heerung und Verftörung, melde eine einzige
Nacht innerlih und äußerlich an dem Freunde
angerichtet hatte, entging ihm nicht. Betrübt
weilten feine Augen auf Herbigs angenommener
äußerer Starrheit, die nur als ſchlechter Ded:
mantel der inneren Ruhlofigfeit, Zerrüttung und
Berriffenheit diente. Gern wäre Dräſow wieder
auf Jennys Zopf zurückgekommen; doch wagte
er es jetzt nicht und hielt auch befjer feinen
Mund, indem er ſich auf das Hören befchränfte,
da Herbig fih in wunderlichen, grillenhaften
Heußerungen mit merklich erzwungener Ruhe
erging. Habe Dräfom noch einige Gebulb, wolle
er ihm zu einer Profefiur in Nyangmwe oder zur
|
’
|
Auguft Becker.
Würde eines rector magnificus Udschi-
dschiensis verhelfen und in feinen Etat ben
ganzen Fıld: und Hippopotamosfang im Zulua
einstellen.
Hierauf entſchuldigte er ſich plötzlich mit
einer Vifite, die er zu machen habe, und Drä:
ſow fchied mit munderlihen Gedanken und Bor:
ftellungen über das, was dem Freunde in ber
Abendgeſellſchaft widerfahren fein mochte.
In der That ging Herbig aud) daran, einen
Beſuch zu machen. Bei allem Schulpbemußtfein,
Selbitvorwürfen und Gemwiffensregungen, fehnte
er fih im Zmiefpalt feiner Gefühle, wie noch
nie, nach dem beraufchenden Anblid der gelieb-
ten Frau, deren ebenfo reizende ala hoheitvolle
Erſcheinung noch die Augenweide feiner wirren
Träume geweſen war, Obwohl fie geftern ſchon
wehmütig ernften Abfchied für immer von ihm
genommen hatte, machte es die Sophiftif des
Herzens doch feinem geheimen Wunſche begreif-
ih, daß ihm damit die Verpflichtung einer
Dankoifite um fo weniger erlaffen fei, als er
feine Zeit mehr gefunden hatte, fih auch förm-
lich von dem Hausherren zu verabjdieden.
Nach einer halben Stunde befand fich fein
Wagen fhon außerhalb des Pradtthores auf
dem Wege nad) der Wohnung des Geheimrats
Betting. Er fand den alten Herrn gerade in
feiner Arbeitäftube und wieder diefelbe warme
und herzlihe Aufnahme, Mit Begeifterung
und eingehendem Eifer machte ber greife Ge:
lehrte den jungen Kollegen mit den neueften
Entdedungen und Erweiterungen ber natur-
wiſſenſchaftlichen Disciplinen befannt, während
deſſen Augen vergeblid an der Thüre hingen,
als könnten fie mit durchbohrender Kraft hin—
durch und in alle Räume des Haufes dringen,
um nach der zu fuchen, deren Anblid zu meiden
er jett die meifte Urſache gehabt hätte.
Nur beiläufig ließ indes der Geheimerat
mit einfließen, daß fi feine Frau nah dem
geftrigen Abend etwas angegriffen fühle und
darin ihre Entſchuldigung finde, vielleicht aber
dennoch erjcheine, wenn fie höre, wer da fei.
Nachdem er die Klingel gezogen, gab er dem:
ericheinenden Diener den Auftrag an feine Gat-
tin, obwohl Herbig fich jede Störung derjelben
verbat, verlor ich hierauf wieder völlig in ab—
ſtruſe wiſſenſchaftliche Erörterungen, indem er
es für ſelbſtverſtändlich hielt, daß Eleonore ſich
zum Empfang des Gaſtes aufraffen werde.
Doch fehrte nach einiger Zeit der Diener mit
Sermann Jäger. Die Eiche.
lich feinen Forfchungen zuliebe fih den India—
nern fo eng angeichloffen, jo fand er mit der
|
|
671
wald) bei Bremen, wo vielleicht die größte An:
zahl der ältejten Eichen vorkommt, hat man
Zeit immer mehr Gefallen an der Natürlich: | angeblih an einem gefällten Stamme über
feit ihres Empfindens, der reinen Herzens:
güte und zuthunlicher Freundfchaft, mit der man |
ihm von allen Seiten begegnete. Die Trennung
von den Gaftfreunden nach Ablauf des Urlaubs
wurde ihm deshalb nicht leicht. Schwerer noch
Laftete der Abjchied auf den einfachen Menjchen,
welche mit dem neugemwonnenen Freunde den |
einzigen Weißen fheiden ſahen, dem fie über:
haupt je ihr volles Vertrauen entgegengebradht
hatten.
Side.
Bon
Die
| Hermann Däger.
a3 haft du alles erlebt, herrliche, erhabene
Eiche! Einft — vielleiht vor taufend
Jahren, ein ſchlankes Bäumden, im Schutze
von Buſchholz aufgewachſen, überragt jet dein
Stamm wie eine Felfenfäule den umgebenden
Wald. Vielleicht lagerten die Krieger Karls
des Großen oder die um ihre Freiheit fämpfen:
den Sachſen jchon in deinem Schatten; oder
Bonifacius, der Apoftel der Deutfchen, errichtete
unter deinen Zweigen den chriftlihen Altar.
Neue Gejchledhter von Bäumen wuchſen um
dich her auf und vergingen. Und abermals ent:
ftand ein neuer Wald umher und auch diefer
verging, um nochmals jungem Aufwuchs Platz
zu maden. Und jedesmal, wenn es um dich
her licht wurde, haft du dich ein halbes Jahr—
hundert gefonnt, gedehnt und gejtredt, und
nur Farnkraut, Brombeeren und Waldkräuter
durften unter deinem Schirme Platz behalten.
Wenn du aber vom umgebenden Wald beengt
wurdeſt, dann ftredteft du dich aufwärts, denn
Licht und Freiheit ift dein Lebenselement. Wer
deine Aeſte anfieht, kann deine Geſchichte daraus
lejen. Man erkennt deutlih die Jahre des
Drudes und die Jahre der Freiheit.
Wenn wir an das hohe Alter der größten
Eichen denken, jo dürfen wir aber nicht zu weit
greifen. Eichen, welche über taufend Jahre alt
geworden find, mag es wohl wenige gegeben
haben. Im Hasbruh (dem fogenannten Ur:
1100 Yahresringe gezählt, wobei der faule
Kern nicht mitgerechnet werden fonnte. Dabei
ift aber zu bedenken, daß auf fräftigem Boden
zuweilen zwei Holzringe in einem jahre ent:
itehen, wie ein.mir befannter zu einer Tiſch—
platte verarbeiteter Querdurchſchnitt aus den
Forſten der Unterelbe mit faſt 2 em jtarfen
Jahresringen anzeigt. Diefer Baum hatte in
54 Jahren auf dem guten Boden des Aue:
waldes einen Durchmeiler von über 1 m er:
reiht. Geheimrat Profeſſor Dr. Göppert in
Breslau ſchätzte die feiner Zeit berühmte Eiche
von Pleiſchwitz in Schlefien, mit einem Stamm:
umfange von 41 Fuß (preußiih) und Aeſten
von 14— 16 Fuß Umfang nad den Jahres:
vingen auf nur 700-800 Jahre. Die mehr
als taufendjährigen Eichen gehören daher der
Dihtung an. Sehr alte Eichen jterben von
oben ab, werden häufig hohl, wachſen aber noch
wohl ein Jahrhundert fort und nehmen an
Stärke zu. In der noch) friſch grünenden „hob:
len Eiche” (Holle Ed) im Hasbrud Hafft von
oben nach unten ein breiter Spalt, wie eine
Felsihludt, und im Innern haben acht ‘Per:
ſonen reihlih Pla; ſogar eine Kuh war ein:
mal hineingeraten.
Die Eiche ift jedenfalls der hervorragendite,
eigenartigite Baum des mitteleuropäiſchen Wal:
des, obſchon er an Stärke durch die Linde über:
troffen, von der Ulme erreicht wird. Eine jolche
arofartige Gejtalt gibt es weiter nit. Der
mächtige, meijt niedrige Stamm tjt mit feinen
Budeln und Vertiefungen einem Felſen zu ver:
gleihen; und fo mächtige Aeſte trägt fein an:
derer Baum der Länder gemäßigter Zonen. Es
gibt Eichenäfte von 4—5 m Umfang, aljo von
der Stärke eines der ftärkiten Baumfjtämme,
und felbjt die geringeren können liegend für
itarfe Stämme gelten. Strebt aud die Eiche
im jugendlichen Alter mit den Aeſten aufwärts,
jo nehmen diefe doch mit zunehmender Stärfe
und Länge, aljo Schwere, eine wagerechte, ſelbſt
abmwärtsftehende Richtung ein. Wunderbar ab:
wechjelnd, ja wunderlidh find die Krümmungen
der Aeſte, befonders der Nebenäfte. Bald fnie-
artig aufwärts und gekrümmt, wie ein Widder:
horn, bald vorwärts, bald nad} unten oder jogar
rüdwärts gefrümmt, dann wieder ftellenweife ge:
rıdeaus, baut ich eine Krone auf, deren Gerüſte
85
672
wie verfchlungen und vielfach gekreuzt ericheint,
und die an jeltfam wechſelnder Form nicht
ihresgleihen hat. Fragen wir nad) den Ur:
fahen dieſer eigenartigen, faſt launenhaften
Mannigfaltigfeit, jo gibt uns die Gefchichte des
Baumes Aufichlug. Die Abweichungen von der
geraden Berlängerungslinie der Aeſte beruhen
auf Störungen im Wachstum, teils furzen durch
Beihädigung der Jahrestriebe, teils durch Jahr:
zehnte, ja vielleicht ein Jahrhundert beitchende
Hemmungen durch umaebenden Wald. Die
Eiche braucht Freiheit und Licht, und wo fie in
der Verlängerung der Aeſte gehemmt wird,
wendet fie ſich jeitwärts, wo fte Licht und Luft
findet, ſelbſt in ihre eigene lichte Krone zurüd,
Aber noch größere Wirkungen haben, wie im
Menfchenleben, die Heinen Leiden des großen
Baums. Nur zu oft tötet der Maifroft die
jungen Triebe, oder Maifäfer, Hirſchkäfer u.a. m.
frefien die zarten Blätter, und der junge Trieb
ift in beiden Fällen verloren. Da fommen nun
die — Nebenaugen zur Geltung, treiben
aus und erſetzen die Spitze. Dieſe Seitentriebe
ſetzen aber den Aſt nicht in gerader Richtung
fort, ſondern bilden oft Kniee. So entſtehen jene
nur dieſem einheimiſchen Baume eigenen Krüm—
mungen. Es muß hier aber bemerkt werden,
daß die mächtigen wagerechten und ſeltſam knor—
rigen Aeſte hauptſächlich an der Sommer: oder
Stieleiche (QCuercus peduneulata), der Eiche
des Tieflandes, feltener an den Bergeichen,
nämlicd) der Trauben: oder Wintereiche (Q. ses-
siliflora) und der in Unteröfterreih in den
Eüdalpen und vereinzelt am Südabhange des
Schwarzwaldes am Kaiferftuhl und Odenwald
vorfommende Schwarzeiche mit weichbehaarten
Blättern (Q. pubescens), welche mehr auf:
wärtsgerichtete, weniger gefrümmte Hefte haben.
Der Grund davon mag, abaejehen von der
Artenaewohnheit, fein, daß Froſt- und Mat:
füferfchaden im Bergwalde jeltener find, und
daß diefe Eichen häufiger gemeinschaftlich und
mehr aufwärts wachlen.
Eine befondere Eigentümlichkeit ift das Ab:
fterben der Aitipigen an alten Bäumen, und
die Maler verfäumen nie, folche auf ihren Bil
dern anzubringen. Ich geitehe, dafs ich fie lieber
nicht ſehen würde, aber fie find als Charafter:
feunzeihen des Baumes im Walde immerhin
von einigem Wert: nur dürfen es nicht jo viele
fein, wie an einer Eiche in dem unter meiner
Aufſicht ftehenden Park von Wilhelmsthal, wo
Berniann Jäger.
Die Eiche,
eine 5’ m im Umfang Haltende Eiche nır
noch einen grünen Aſt zu unterft am Stamm
hat, und fo in ihrer Nadtheit fast jchauerli
ausficht. ch habe den Baum mit wilden Ri:
bezogen, welcher bereits über 50 Fuß bu
hinaufgeflettert ift.
Herrlich ift die Belaubung der Eiche. T
Blätter find kräftig durh Haltung und Gröte
weich durch ihre Schönen budtigen Formen. V
die Blätter einer Roſe ftehen fie um den Zwei
und jeder bildet einen Strauß. Da nur vi
fleinen aus Nebenfnofpen entitehenden Zwei
furz find und dicht ftehen, jo jet fich das Enz
der ganzen Aeſte aus unzähligen Blätterbüfcc:
zufammen, von denen die einen weit vorfteh«
und hell beleuchtet find, die anderen tief ır
Schatten zurüdtreten. Daher fommen jene ben.
lichen Lichtwirfungen, melde die Eiche nur ın“
wenigen Bäumen teilt. Vereint mit der Ü
gruppierung, indem jeder Aſt gleichfam eine
Baum für jich bildet, entjtehen durch die‘
Blättermafjen und Smeigbüfchel jene von dir
Malern jo geihägten „Ausladungen“”.
; Blätter der verſchiedenen fchon genannten Eide:
einen Art harakteriftiih gefunden zu habe: |
arten weichen in der Form wenig voneinan.
ab, und wenn man gewille Blätter ala de—
alaubt, jo findet man am nächſten, Der andere
‚ Art angehörenden Baum dieſelben Blattformer.
Nur die Zerr: oder Ziereihe (Quercus Cerris',
welche im Gebiete des alten Deutjchlands ni:
in Unteröfterreih und Mähren, ferner in der
Südalpen und wieder in der weltlichen Schmeii
vorfommt, weicht mit ihren gefägten, ſpitzigen
Blättern von den übrigen Eichen ab; noch meht
aber durch die Früchte, deren „Näpjchen“ mie
Bucheckern mit Stacheln befegt find. Auch di
Größe der Blätter ift nicht maßgebend un
wechielt je nah Standorten und Jahreswitte
rung. Im allgemeinen fommen an Bergeichen
größere, an den Spiten breitere Blätter als
an den Stieleihen vor. Nur der Stiel bilde:
ein unterfcheidendes Merkmal: der Stiel der
Traubeneihe und Schwarzeiche ift einige Cent
meter lana, derjenige der Stieleihe ſehr fun,
oft faum vorhanden. Die Blätter der zweiten
Triebe, welche jedoch meift nur an jungen Bäu:
men und Stodausichlag vorfommen, find. viel
größer als die normalen, auch in ber Form
abweichend. Reizend ſieht die Eiche aus, wenn
die jungen Blätter teilweiſe von Maitäfern ab’
aefrelien waren, wo dann die nachwachſenden
—
De
DZ
674
im helliten Grün prangen, während die unver:
fehrten ſchon dunkel grünen. Im Entfalten find
die Blätter mehrere Tage braunrot, dann bronze:
farbig, und fie bilden zu dem lichten Mai:
grün der umgebenden Gehölze einen reizenden
Kontraſt.
Um hier zugleich weitere Kennzeichen feſtzu—
ſtellen, bemerke ich, daß die Blüten und Früchte
der Stieleichen an langen Stielen abwärts
ſtehen, die langen großen, faſt cylindriſchen
Früchte (Eicheln) faſt immer zu zweien einander
gegenüberſtehen, während bei der Trauben- oder
Wintereiche die Blüten und Früchte faſt un—
geſtielt büſchelweiſe an den Zweigen ſitzen und
die kleineren Früchte zuckerhutförmig und ſcharf
geſpitzt ſind.
Intereſſant iſt das Keimen der Eiche. Die
im Laub verſteckte Eichel bohrt ihre Pfahlwurzel
in den Boden und hat bereits eine Länge von
10cm und darüber, während die frei über dem
Boden gehaltene Eichel noch geſchloſſen it.
Dann teilt fie jih in zwei dide Samenlappen
(Keimblätter), und nun treibt in kurzer Zeit ein
fingerlanger Zweig hervor mit zwar fleinen,
aber volllommenen Blättern. Wenn man die
Anfänge einer folhen Pfahlwurzel fieht, be:
greift man, welchen Halt fie einjt dem mäd):
tigen Baum zu geben vermag. Da die Eiche
ihre ſchweren Samen nicht außerhalb des Um:
freifes ihrer Krone verfenden kann, jo müfjen
Tiere die Verbreiter werben.
‚ Baum, unter welchem fie opferten.
An der Spite |
der Pflanzer jteht der „Eichenförſter“, nämlich |
der Häher (Eichelhäher, Nußhäher), welcher
die Eicheln als Vorrat verftedt, aber oft nicht
wieder findet; ferner thun es Mäufe, befonders
Hafelmäufe, Eihhörnden (Eichkätzchen) u.a. m.
Ein Baum wie die Eiche beherrſcht einen
weiten Platz und behält, obſchon oft eingeengt
durch andere Waldbäume, jchlieglih die Ober:
hand. Wo Eichen noch Wälder bilden, wie in
den Donauländern, jeltener in Deutſchland,
füllen andere Waldbäume, meiſt als Unterhols,
die weiten Zwijchenräume aus. Wir haben
daher feinen Eihenwald im Sinne des Buchen-,
Erlen: und Nadelwaldes, fondern nur zerftreute
Eichen im Mifchwalde. Wird das Zwiſchenholz
befeitigt und der Boden mit Rafen begrünt, wie
es in großen Parken und Tiergärten gejchehen
ift, dann haben wir Eichenhaine, welche die
Dichter befungen haben, ohne recht zu willen,
was eigentlih ein Hain iſt. Wo wir Eichen
im Nadelwalde finden, war früher fiher nur
Bermann Jäger.
Eichenwald. Die Stämme find Dann auänahms:
weile ſehr hoch, gerade und oft 6O Fuß hoch
ohne Aeſte, weil jolhe im umgebenden Nabel:
holze nicht auftommen fonnten. Unſere meijten
großen Eichen ftehen auf Rafengrund und an
Waldrändern. Traubeneihen fommen im Ge:
birge häufiger in faft reinen MWaldbeftänden
vor, aber jelten in jtarfen Bäumen, weil man
fie nicht alt werden läßt. Noch weniger als
Wald erjcheinen die Eihenfhälwälder, wie fie
befonders in Weftdeutichland zur Geminnung
von Gerberlohe verbreitet fd und dort ganje
Gebirgszüge und die Vorberge der höheren Ge:
birge bededten. Es ift niedriges Buſchholz, an
deſſen Rande in tiefen Bergen hie und da ein:
zelne Samenbäume ftehen bleiben.
Eine fo mädtige Erfcheinung wie die Eiche
mußte zu allen Zeiten die Aufmerffamfeit der
Menſchen auf fich ziehen, Bewunderung erregen
und an das Göttliche mahnen. In der That
finden wir den Eichenfultus bei allen vorchriit:
lichen Bölfern Mitteleuropas, ſogar bei den
Griechen und Römern. Die Eihe war Zeus,
dem Beherricher des Himmels, geweiht, und
die Priefter des Tempels von Dodona weis:
fagten aus dem Raufchen der Eiche. Germanen,
Kelten und Slaven war die Eihe ein heiliger
Hierbei
jpielte die auf Eichen wachjende heilige Miſtel,
jene feltfame immergrüne Schmarogerpflangze,
eine große Nolle. Die Oper „Norma“ “führt
uns eine ſolche Opferfcene mit der Miftel vor.
Bei den germanischen Völkern war die Eiche
‚ dem Thor oder Donar (Modan, Odin) geweiht.
— — — —— — —
Die Prieſter erhielten von den Römern den
Namen Druiden, ſoviel wie Eichenbewohner,
weil ſie in heiligen Eichenhainen wohnten. Noch
jetzt erinnern Ortsnamen an heilige Eichen und
von einigen Eichen ſind noch die alten Namen
bekannt. So die Wyhe-Eiche bei Imbach an
der Wupper, die Bils-Eiche bei Kitzingen, die
„heiligen Eichen“ bei Grünheim in Sachſen,
bei Mückeburg, Labiau, Heiligenbeil, Wehlau
in Preußen u.a. m. Der Eichenhain in ber
Stubbenig (Stubbenfammer) auf der Inſel
Nügen, jebt Buchenwald, war der Herba ge:
weiht. Bekanntlich legte Bonifacius der Heiden:
befehrer jelbit Hand an die Donar-Eiche bei
Hofgeismar in Heſſen, als er fie fällen lieb.
Bei den Slaven war die Eiche der Baum ihres
Gottes Perun oder Perkunos. Dem Gotte
Prino oder Prove, bei welchem einft die Wen:
Die Eiche,
ben ſchworen, war eine Eiche bei Altenburg
geweiht, um welche taufend Götzenbilder ge:
ftanden haben follen.
Nah der Einführung des Chriftentums
wurde aus dem Eichenfultus Aberglauben.
Wodan wurde von den chriftlihen Prieſtern
zum Teufel geftempelt, und fein Baum verfiel
den finjteren Mächten. Im geheimen dauerte
der Eichenfultus noch lange fort, wie uns Joſeph
Viktor Scheffel in feinem „Ekkehard“ nad hi:
ftorifchen Quellen anziehend erzählt, indem er
ein folches nächtliches Feft auf dem Berg Hohen:
frähen durd die beiden Hirtenkinder Audifar
und Hadamut belauſchen läßt. Mit der Auf:
zählung der an die Eiche gefnüpften Aber:
glauben und Volksgebräuche fünnte man viele
Seiten füllen, Auch Volksgebräuche blieben an
der Eiche haften und find heute noch nicht ver:
ſchwunden. Das ſog. Scharholz, ein Eichen:
flog, der neben dem Herde eingemauert wird,
‚it noch überall in Bauernhäufern zu finden,
wo wendische Stämme wohnen, befonders in
der Lauſitz. Iſt er verkohlt, fo wird er zu Staub
zermalmt und als Schugmittel gegen Hexerei
aufbewahrt, wohl auch unter das Saatkorn ge:
mijcht, damit es gebeihe.
Es iſt auch nicht Zufall, daß die Eiche ein
Feſt-, Familien- und Erinnerungsbaum ge:
worden ift. Man pflanzte Eichen zur Erinne:
rung an ein wichtiges Ereignis. Im Schloß:
park zu Altenburg ftehen die zwei Vrinzeneichen
„Ernſt“ und „Albert“, welche 1455 zum An:
denfen an den ſächſiſchen Prinzenraub gepflanzt
wurden. So gibt es viele Eichen bei Städten
und Dörfern, ſowie in fürjtlichen Gärten, welche
an ein wichtiges Ereignis anknüpfen. Noch
1871 wurden hunderte von „Friedenseichen“
in Deutfchland gepflanzt. Auch als Ehrenzeichen
wird von uns Deutfchen, wohl nad) römischer
Ueberlieferung, der Eichenkranz als Bürger:
frone für den Mann des Volkes gewählt. In
den meijten Fällen wird jedoch Silber den wirf:
lihen Eichenblättern vorgezogen.
Die Eiche hat mit Recht von jeher als
675
Wir lieben es, von „deutſchen Eichen“ zu
ſprechen, und feit Klopftod und den „Barden“
haben fich zahlreiche Dichter der Eiche als edel:
jtes und alleinig deutjches Volksſymbol bemäch—
tigt. In Wahrheit haben wir nicht mehr Necht
dazu als andere Volksſtämme, in deren Ländern
Eichen wachſen. Wir brauchen uns auch nicht
einzubilden, daß mir bejonders mit großen
Eichen bevorzugt wären. In den Donauländern
und den Tiergärten und Parken Englands gibt
es mehr große Eichen als bei uns, und aud) in
Frankreich gibt es noch bedeutende Reſte ein:
ftiger Eichenwälder.
Dies führt uns auf die Größenverhältnifje
des merfwürdigen Baumes. Die alte Eiche auf
dem Ledeburshofe in Weftfalen hatte 41 Fuß
Umfang; bei Behmel an der Lahn in Helen
ftand noch in diefem Jahrhundert eine Eiche
von 45 Fuß Umfang; die Eiche bei Dodersbach
in Holjtein hat fogar 46 Fuß Umfang. Im
vorigen Jahrhundert gab es noch Eichen von
75—90 Fuß Umfang. Die Eiche zu Damony
in England hatte fogar 68 Fuß Durchmeſſer (?),
aljo 200 Fuß Umfang, und war zu Cromwells
Zeit eine Schenfe darin. Die Durchfchnitts-
ftärfe der jetigen ältejten Eichen beträgt etwa
3—4 m. Die Höhe des Baumes iſt im Ver:
hältnis zum Stamm und der Krone gering,
reicht felten an 30 m. Der aftlofe Stamm tft
meift niedrig, oft jo breit wie hoch, und es fällt
feine Stärke aus diefem Grunde um jo mehr auf.
Die Eiche iſt über ganz Deutſchland ver:
breitet und war vor Einführung der Foritkultur
der Hauptwaldbaum. Vereinzelt finden wir fie
überall. In Weitfalen, hie und da aud in
Hannover, fteht bei jedem Hofe wenigftens eine
Eiche. Auch in Oberbayern, namentlich in dem
Strich füdlih von Augsburg Müncen:Pafjau,
wo es viele „Einöden“ (einzelne Höfe) gibt,
fieht man um die Höfe häufig auf den Triften
alte Eichen. In Buschhölzern iſt fie überall,
objchon meijt vereinzelt, zu finden. Die wahre
Heimat der mächtigen Stieleichen it das Tief:
land mit tiefem nie trodenen Boden. In den
Sinnbild der Kraft und Dauer gegolten, und | Auewäldern der Flüffe, befonders Norddeutſch—
wenn man einen Kraftmenſchen bezeichnen will, | lands, 3. B. in den Elbforften von Wittenberg
da kommt im Vergleiche die Eiche gleih nah | bis nahe vor Hamburg und den angrenzenden
dem Felſen. Die Nedensart: „Ein Mann wie Wieſen — einft ebenfalls Wald —; an der
aus Eichenholz geichnitt”, hat eine tiefe Be: |
deutung, wenn aud) damit der Gedanke an eine | gegen Magdeburg ; im Spreewald und anderen
nicht liebenswürdige Derbheit und Hartnädig: | Niederungen der Niederlaufig; endlich an den
feit verfnüpft iſt.
|
untern Thüringer Saale und Elſter von Leipzig
mehr trodenen Rändern der Buchenmwälder
676 Osfar Jufinus.
Preußens finden wir die fhönften Eichen. Sel: | jedem weichen, melandoliihen Ausdruck; fie iſt
tener find fie in den Auen des Nheins und der
Donau, Die Winter: oder Traubeneichen be-
wohnen niedrige Bergzüge und VBorberge höherer
Gebirge. In den Alpen fteigt die Eiche nicht
hoch, bleibt hinter der Buche und dem Ahorn
zurüd.
Mar Schasler jagt von der Eiche: „Der
männliche redenhafte Charakter der Eiche ſpricht
ſich aud) in der ganzen Phyfiognomie des Bau:
mes aus. Sie ilt in ihrer Geftaltung fern von |
vol erniter Würde in der Ruhe, voll erhabener,
oft in das Furchtbare fteigender Kraft in der
Bewegung. Die Eiche flüftert nicht, wenn ein
lanfter Zephyr durd das Laub des Maldes
jtreift, fie heult nicht, wenn der Sturm ihre
Zweige rüttelt, fondern ‚ver Eichenmwald brau:
jet‘, wie Schiller mit feinem Naturinftinkt fagt.
Denn braufend ift die zomige Stimme der
Königin der Wälder, wenn fie ſich zum Kampfe
mit ihrem Widerjadher, dem Sturme, rüftet.”
Fine glüklihe Kur. |
Sumoreske von Oskar Juffinus. |
8 herricht heute eine recht heitere Stimmung
an unferem Stammtifche: der eine von und
macht den Genoſſen die offizielle Mitteilung, daß
er fich mit Fräulein Adele B. verlobt und — mein
Freund hat nicht mehr viel Zeit zu verlieren und
feine Braut vielleicht noch weniger — in einigen
Wochen feine Hochzeit feiern werde. In der allge:
meinen freudigen Bewequng fehlt mir aber doch
Klubs eine fo harmonifche Folie abgibt. Der if
heute einruhiger Punkt, im allgemeinen Yärmein |
beredtes Schweigen. Nachdem ich lange vergeb:
lich darüber gejonnen, was mir eigentlich fehlt,
wird es mir plößlich Har: unſer treuer Freund
Tobias.
Ja, wo iſt er denn, der ftille alte Herr, der
zu den tumultuarifchen Berfammlungen unferes
nicht einer von jenen, deren Gegenwart und be:
engt, deren Schweigen wir als Hochmut, Miß—
achtung, Blafiertheit auslegen müſſen, bei deren
Anblid uns das Wort auf der Zunge eritarrt
und deſſen übelwollenden Blid wir felbit, wenn
wir ihm ausweichen, auf uns gerichtet fühlen.
Nein, Tobias’ gutmütiges chrenfeftes Geſicht an-
aufehen, belebt den Unterhaltungsflug: ſein
Lächeln bedeutet Eingehen und Zufriedenheit, |
feiner Augen helles Blitzen Wohlwollen und Ein:
verftändnis mit allem, was die junge Welt
Lustiges, Uebermütiges anftellt und wenn erden
Abend hindurch unter uns gefeflen und mit fer
nen lebhaften Bliden jedem Nedner teilnahm
b
Eine glüdliche Kur.
voll gefolgt ift, da trennen wir uns mit dem
Eindrud, als hätte er uns feinerfeits prächtig
unterhalten.
Er war unfer aller Freund und Liebling :
zwanzig Redeluſtige ſchätzen die ftillen Eigen-
fchaften eines ihrer Genofjen doppelt. — Als
ich nach feinem Verbleiben fragte, war alles
erftaunt, ihm nicht Schon längſt vermißt zu haben.
Ja wo bleibt er denn? Einmal nad) dem
andern Mal ſehen wir nad) der Thür, da fommen
Kellner, Stammgäfte, fremde Herren und Da:
men: Tobias fehlt beharrlich.
Endlich einigt man fih, mit Hilfe eines
Naczüglers, daß er ſich ſchon vierzehn Tage
nicht am Tiſche habe bliden laſſen und zwar ge:
nau jeit der Hochzeit feiner Nichte, von der er
ſchon einige Wochen vorher zwar wenige, aber
inhaltreihe Worte gefprochen hatte: wahrſchein—
lic) jei dem alten Herrn das langatmige Diner,
das jpäte Schlafengehen nicht befommen. Als
Arzt erbot ich mich fofort dazu, Tobias am
nächſten Tage in feiner Wohnung aufzufuchen.
Als ich in derjelben anlangte, fand ich ihn
zu meiner Freude nicht zu Haus. Ich hatte eben
in einigen Zeilen meiner Genugthuung Aus:
drud gegeben, die ih dem Mädchen zurüdlaffen
wollte, als fein Fräulein Schweiter ihr von
weißen Papierchen ummwideltes graues Haupt
durch die Spalte ihrer Thür ftedte, und mid)
erfpähend, freundlich bat, in des Bruders Zim:
mer fie zu erwarten,
So trat ich denn in diefes Schmudfäjtchen
pedantischer Aunggefellenherrlichkeit: wie hier
alles auf jeinem abgezirkelten Plätzchen liegt,
fteht und hängt! Diefelbe braungelbe Arabesken—
malerei an den Wänden und der Yaubfranz ae:
nau im Gentrum der Dede mit den Umrankungen
und den Seitenftreifen; diejelben ſchneeweißen
Dielen, von denen man hätte fpeifen können;
diefelben mit Häfelei überzogenen Sofakiſſen,
vielleicht einige Häfeleien mehr als vor zehn
Jahren, wo ic) das legte Mal hier war. Ebenjo
wie damals geht der Pendel zwijchen den Ala:
bajterfäulen der altmodischen Standuhr mit Gran:
dezza hin und her, und ebenſo wie damals hält
der grüne Papagei im Mefjingbauer feinen Kopf
zur Seite und fieht den Eindringling prüfend
an, Ebenfo noch glänzt der Spiegelrahmen des
Spiegels, ebenfo die Politur des Mahagoni:
pultes und die Goldbuchitaben auf den Bücher:
rüden. Nurein Stoß Bapiere zeugte nebit dem
frijch gebrauchten Schreibzeug und Gänfefedern,
677
daß hier noch vor kurzem ein lebendiges, willen:
begabtes Weſen gewaltet hat. Als Arzt glaubte
ich ein wenig Indiskretion auf mein Beruf3:
gewifjen nehmen zu fönnen: ich hebe den Ser:
pentinbriefbeichwerer auf und fehe von zitternder
Hand eineganzeAnzahl Skripturen, Ausftreichuns
gen, Radierungen, Barenthejen, Kopieen, Ha:
fen, Mühlen, Nummern; als ic} eben das ſchwer
leferlihe Manuſkript entziffern will, höre ich
Schritte und Fräulein Tobias erfcheint in grande
toilette.
Die alte zierlihe Dame ift fehr bejorgt um
Bruder Ulrih. Daß ich ihn um dieje Zeit, mo
er ſonſt behaglich beim Frühſtück zu figen und
mit ihr zu plaudern gepflegt, nicht zu Haufe
treffe, jpreche eben für jeine Krankheit: er fliche
alle Menſchen, feine eigene Häuslichkeit, ſogar
feine treue Schwefter. Auf den einſamſten Pfaden
des Tiergarten wandere er hinaus, mit auf dem
Rüden gekreuzten Armen vor fi) hin jprechend,
fo daß bereits die Kinder ihm nachzulaufen an:
fingen.
„Hm, Hm! und der Zuſtand datiert jeit der
Hochzeit der Nichte?“
„Seit damals, Herr Doktor, nachdem ich
einige Moden vor derjelben eine andere auf:
fallende Gemütsveränderung an dem Bruder
wahrgenommen habe. Bom Tage der Einladung,
die er mit einem falligraphiichen Danffchreiben
beantwortete, zeigte er eine jonderbare Erregt:
heit. Er ſchloß ſich ganze VBormittage vorher in
jein Zimmer ab: ich hörte ihn ftundenfang um:
hergehen, jtehen bleiben, dann wieder fchneller
Ichreiten: ich hörte ihn bald leife murmeln, bald
laut mit fich jelbft reden, bald wie ein Schau:
jpieler deflamieren. Wenn ich dann ängſtlich an:
flopfte oder ihn bat, fich mir zu zeigen, da öff:
nete er, nachdem er jeinen Schrank verſchloſſen,
die Thüre, lachte aus vollem Halje, jtreichelte
mir die Wangen und fagte: ‚Mein Eleines neu:
gieriges Tüchterchen, davon verſtehſt du heute
noch nichtö!* Ich bin nämlich 69 und er jchon
71 Fahre. Seine Ungeduld und gute Stimmung
wuchs von Tage zu Tage, bis —“
„Wie ging es ihm denn bei der Hochzeit
ſelbſt?“
„Nicht gut, Herr Doktor, ſoweit ich ihn von
meinem Site beobachten fonnte. Er hat nichts
angerührt von all den ſchönen Gerichten und felbit
die Ertraweine blieben ungefojtet. Seinen Nach—
barn gab er verkehrte Antworten und wohl zehn:
mal ftand er auf, ein Meſſer in der Hand, was
678
mir das Blut erjtarren machte, fiel aber, da an
allen Eden und Enden Tijchredner wie die Pilze
aufiproßten, wieder in feinen Stuhl zurüd.
Mas er eigentlich gewollt, hat er mir nicht ge:
fagt, nur das weiß ich, daß ich nach Aufhebung
der Tafel ihn ganz zerfnirfcht, mit geſenktem
Kopfe vor feinem Glaje fand, und daß er mir
willenlos nad Garderobe und Droſchke folate.
Seitdem diefer troftlofe Zuftand: er ißt nichts,
trinkt nichts, fpricht nod) weniger als nichts und
weicht allen Menjchen aus. Herr Doktor, ich
fürchte das Schlimmite.“
Ich beruhigte die gute Frau, ohne jelbit Be:
ruhigung zu empfinden. Doch war es mir, als
ob meine indisfrete Entdedung mir Aufſchluß
geben follte. Ich bat um ein Glas Waſſer und
hob, jowie ich allein war, wieder den Briefbe:
jchwerer empor. Was las ich da:
„Hocgeehrtes Brautpaar!
Hochzeitsgeſellſchaft!“
„Hochgeehrte Hochzeitsgeſellſchaft! Hochwür—
diges Brautpaar!“
„Halten Sie es nicht für eine Ueberhebung
— wollen Sie es mir nicht als eine Ueberhebung
deuten — ich hoffe, daß Sie mich ſoweit kennen,
um es nicht falſch zu deuten — wenn ich in mei—
ner Eigenſchaft als Onkel und Freund — daß
ich ſo zu ſagen als ein Naheſtehender — das
Wort ergreife —“
Bei dieſem ergriffenen Worte hörte ich Fräu—
lein Tobias auf dem Gange; ich ſchob eilig alles
wieder unter den Briefbejchwerer. Es war ge:
nügend ’ ich überfah die ganze Eadjlage.
„Ich danke Ihnen, liebes Fräulein”, jagte
id und das Glas Waſſer zitterte in meinen vor
Freude bebenden Händen; nachdem ichin meinem
medizinischen Erfahrungsihag gekramt, glaube
ich Ihnen für die Gefundheit Ihres Herrn Bru—
ders beſte Ausfichten geben zu fönnen : in vier:
zehn Tagen tft er wieder hergeftellt.*
„Wie,“ fiel die Dame freudig ein, „jo wollen
Sie ihn in die Kur nehmen?“
„O nein, ich heile ihn, wie ein Magnetifeur,
aus der Entfernung. Er braucht nicht zumir zu
fommen, ic) nicht zu ihm. Ich bitte Sie fogar,
daß Sie meinen Befuch, der ihn ängſtlich machen
fönnte, ihm verfchweigen. Apropos, was jagen
Sie zu dem neuejten Brautpaar? Der letzte aus
unferer Tafelrunde hat nun auch daran glauben
müſſen!“
Von hier aus entführte mich eine Droſchke
in die Wohnung der zukünftigen Schwiegereltern
Hochwürdige
Os kar Juſtinus.
unſeres jungen, alten Bräutigams, der, wie er
geſtern erzählt hatte, alle Morgen um elf Uhr
mit ſeiner Braut tändeln fomme. Ich gratulierte
und wurde freundlich empfangen.
„Ja,“ fuhr ich fort, als aud) der Herr Papa
binzugetreten war, „wir betrachten una nämlich
ſozuſagen, als die natürlichen Vormunde diefes
unferes Abtrünnigen. Wir haben Ihren Herm
Bräutigam an unferem Stammtisch großwachſen
jehen, wir haben ihn als einen der pünftlichiten,
zuverläffigiten Bejucher unferer Kneipe ins Her:
geſchloſſen — “
Der Bräutigam war offenbar von der Be-
tonung diejer feiner Vorzüge, welde in den
Augen der Seinigen ihm vielleicht jehr zum
Nachteil geteichten, nicht jehr angenehm berührt,
er wurde unruhig, gab mir verichiedene Winfe;
er hätte am liebjten unfere ganze Biertiſch-Ka—
meraderei deöavouiert — er zeigte, daß er im
beariffe ftand, ein Pantoffelheld zu werden.
„Sie meinen,” fuhr ich, etwas ſchadenfroh
über die guten Ausfichten unferes Kollegen fort,
„dab diefe Mitteilungen nicht wichtig genug
wären, um meinen Befuch zu motivieren: nein, ich
hatte auch in der That noch eine zweite Abficht
mit demjelben verbunden. Ich wiederhole Ihnen
alfo vor allem, mein Fräulein, daß Sie erjt mit
den Sahren darüber ins flare fommen werden,
wie viel feiner Herzens: und Verftandesbildung
Ihr zufünftiger Gatte dem Stammtijche ver:
danft, welche alüdlihe Stunden, Abende, Mor—
gen er im Kranze feiner treuen Freunde durch:
gefoftet. Ihnen zuliebe geben wir unſere
alten Rechte, unfere Prätenfionen auf. Dafür
aber —
Der Bräutigam ſah mich mit einem flehent—
lichen Blicke an.
„Dafür aber verlangen wir — und ich hoffe,
daß Sie unfere Unverfrorenheit nur für den
Ausdrud der purſten Freundichaft halten — mit
zur Hochzeit geladen zu werden.“
Der Bräutigam ward leichenblaf, das Fräu—
lein Braut hatte fih am Buffett zu Schaffen ge-
madt, der Herr Schwiegervater, der ftandhal-
ten mußte, lächelte vor Verlegenheit und that
ſchließlich, als hätte ich mir einen Scherz erlaubt.
Endlich befreite ich fie aus ihrer peinlichen
Situation,
„Befürchten Sienicht, daß der ganze Stamm
tisch zu diefem Ihrem Ehrentage geladen zu wer:
den den Anſpruch macht; eö handelt fih nur um
eine würdige Repräfentation und für diejen
Eine glädliche Kur, 679
Zweck empfehle ih Ihnen unſeren Alteröpräfi-
denten, Herm Partifulier Ulrich Tobias.“
Das Hang nun ſchon anders, die Herrichaften
waren aud ſchon bereit, aber da begann mein
heldenmütiger Freund wieder:
„Sa, glauben Sie denn, Doftor, daß der
alte Herr fommen wird, er ift ja auch, wie ich
hörte, krank.“
„Eben darum,“ platte ich heraus.
„Eben darum? Sehr verbunden — was
fehlt ihm denn eigentlich?“
„Nun, fo erfahren Sie denn alles, und ich
bin überzeugt, daß Sie fich nicht einen Augen:
blid ıweigern werden, mid in meiner Heilmethode
zu unterjtügen. Herr Tobias leidet an einem
zurüdgetretenen —“
„Schnupfen?“
„Nein.“
„Scharlach?“
„Nein.“
„Nun an was denn?“
„An einem zurüdgetretenen Toaft! Sie
zweifeln? Verlaſſen Sie fih darauf — ich habe
. ganz unzweibeutige Beweije. Denlen Sie fi
in die Lage diefes Mannes. Das erfte Mal in
feinem Leben dringt die Verpflichtung an ihn
heran, zu reden, feine einzige Nichte tritt in den
Stand der Ehe — fein Herz gebietet ihm, ein:
mal aus fi herauszutreten; er frägt einen
Freund nad) dem anderen, fie bejtätigen ihm alle,
daß ihm gar nichts anderes übrig bleibe, ala —
reden. Nun geht er mit fi zu Rate, arbeitet,
fit, verwirft, verbefjert — und wie er fieht,
daß alles gut war, lernt er feine deutfche Arbeit
vorwärts, rüdwärts, bis er fie auswendig fann,
bis aufs lette Partifelhen; dann lernt er die
Aktion, die Gefte vor dem Spiegel. Die Hebung,
die Senkung, den Schlußeffelt: endlich beherricht
er jeinen Stoff.
„Der Tag naht.
„Innerlich erfüllt von feiner Aufgabe, im
angenehmen VBorgefühl der hervorzubringenden
Weberrafhung und doch bebenden Herzens bei
dem Gedanken, fein Gedächtnis werde ihn im
legten Moment verlafien, fit er bei Tifch und
repetiert ftill vor fi hin. Erachtet nicht feiner
Nahbarinnen rechts und links, nicht der fervieren:
den Kellner, fein Thema hält er ficher, er hält
es warm, jetzt ſchweigt die Mufil, der Moment
it gefommen, er gibt fich einen Rud und erhebt
fih. Aber in diefem Augenblide iſt auch eine
andere Berjon aufgeftanden und hat in kurzen
——— — —— ——— —— —— — — — — — — — — —
bündigen Worten das Hoch auf das Brautpaar
ausgebracht. Wütend ſetzt er ſich nieder, hell
tönt der Jubel in ſein umdüſtertes Gemüt.
Aber, im Grunde genommen, hat jener ihm auch
ſein Thema eskamotiert, ſeine privaten Ge—
danken waren es doch nicht und er kann ſie noch
ausſprechen. Er kämpft, wird wieder ſchlüſſig,
ſteht auf, aber da beginnt gerade die Muſik; er
verfolgt die aufgeſpielte Quadrille, das iſt nun
der fünfte Teil, jetzt kommt das Finale; eben
will er ſich erheben, da tritt eine Maske herein,
hält eine Polterabendrede und es iſt wieder vor—
bei. Ein drittes Mal und eine Stimme erhebt
einen Tiſchgeſang.
„So geht es fort; er bemerkt, wie man die
ſchlechteſten Reden bejubelt, er zieht ſich in ſich
zurück, er verbittert; doch dringt ſeine gute Na—
tur immer wieder durch; was er ſagen will, hat
doch noch keiner ſo geſagt, wie er; er wartet, er
beobachtet, er harrt wie der Jäger auf dem An—
jtande, und wie nun enblid fein Moment ge:
fommen — da ertönt ein Tuſch, alles erhebt ſich
froh von der ermüdenden langen Mahlzeit, er
mit ihnen, aber die Wunde im Herzen und —
den Toaft in der Kehle.
„Und dieſe Nachwirkung. Die Blume, mit
Sorge und Pflege, mit Kopfzerbrehen, mit
Furcht und Hoffnung fo herrlich gediehen, zer:
blättert zu jehen, ehe fich eines empfindenden
Menſchen Herz an ihr erfreut. Der Toaft iſt
nad innen gejchlagen: hier ftehen feine Wort:
bilder unverlöjhlih und mit flammender bren:
nender Schrift. Die Reue verzehrt ihn, warum
hat er nicht laut an fein Glas geſchlagen, warum
nicht feine Konkurrenten überbrüllt, oder ſich auf
einen Stuhl gejtellt, wie hätte fich feine Nichte
gefreut, wie hätte er felbit geglänzt! Immer
verbitterter, immer verſchloſſener wird er. Nie:
mand habe ihn aufgefordert, niemand nad ihm
gefragt. Jeder ſchätze ihn gering, er fei ein un:
nüßes, läftiges Inventar, je eher deſto bejjer
müſſe er fich hinwegheben aus dem Kreife der
Fröhlichen, Lebenden.
„Das iſt die Krankheitsgeſchichte unferes
Freundes,“ ſchloß ih, „in ihrer unerbittlichen
Logik, es ift nicht anders zu helfen, als wenn
wir ihm Gelegenheit geben, den verjchludten
Toaſt — von fi zu geben und wenn Sie jet
noch zögern fünnen, ihm diefe Gelegenheit zu ge:
währen, jo habe id das Meinige gethan!*
Das war überzeugend,
Denjelben Tag trafen zwei Einladungäfarten
Sb
680
mit der eigenhändigen Anfchrift der Eltern bei
Herrn und Fräulein Tobias ein, ihnen auf dem
Fuße folgte der Bruder der Braut, um die
Schwanfenden zur Annahme zu gewinnen. Wie
der junge Mann endlich ſchüchtern mit der Bitte
heraustam, ala Freund des Bräutigams doch den
eriten Toaft auf das Brautpaar zu übernehmen,
daleuchteten Die Augen Tobias’ auf, erfagtezu.
Das Hochzeitsmahl begann; ehe das Nagout
fin aus feinen Muſcheln gefhält war, klang ein
Glas und eine Stimme ertönte.
„Hochgeehrtes Brautpaar!
Hochwürdige Hochzeitsgeſellſchaft!“
Andachtsvoll lauſchte die Menge. Kein
Menſch hatte jemals von dem ſchweigſamen
Herrn ſo viel Worte hintereinander reden hören
und nun dieſer Fluß, dieſe Eleganz, dieſe kühnen
Wendungen. Man überhörte vollſtändig, daß
der Redner die Braut immer Helene nannte,
während ſie doch Adele hieß, daß er von ſeinen
Onkelgefühlen ſprach, während er mit dem Che:
paar doch nicht entfernt verwandt war, daß er
von der auönehmenden Jugend des Chepaares
redete, daß überhaupt alle Anfpielungen auf die
Verhältniffe desfelben nicht entfernt zupaßten.
Man achtete deſſen nicht und wie ed zu Ende
ging und das Orchefter mit einem Tuſch einfiel,
Serdinand Apenarius.
Natur,
da wollte der jubelnicht enden und jeder bränat
fih an ihn heran, um einen herzlichen Hänte
drud von ihm zu erwifchen und ihn zu bealüt |
wünfchen; er jtrahlte und war mindeftens fo ce
feiert, ald das Brautpaar jelbit.
Noch in fpäter Abendjtunde erfchien er ea
unjerem Stammtisch, Tuftig und ausgelafien, der
verjüngte Alte. Beim erſten Blid ſah ih, me
glüflih meine Kur ausgejchlagen war; ihm
war gründlich geholfen, ob aber auch uns?
Seitdem Herr Tobias zu dem Bemwußtiar
feiner rhetorifchen Potenz gelangt, ſeitdem «
das beraufhende Glüd des Ruhmes gefortet,
mit einem Worte, feitvem er Blut geledt, ging
feine private oder öffentliche Gelegenheit ver-
über, wo er nicht wie eine Feder von feinem
Plage aufgejchnellt wäre und eine halbe Stun
die Aufmerffamfeit der Tiſchgenoſſen jchonungs
loferweife in Anfpruc; genommen hätte. Wenn
mich alſo meine Herren Kollegen Aerzte über
die Anwendbarkeit diefer Kur aufs Gemifler
fragen, jo möchte ich fagen: Wenn der Patient
fräftig genug ift, da8 Leiden zu überwinden, fo
laßt ihn lieber bei feinem zurüdgetretenen Toafte,
zu leicht bildet fich fonft aus dem kleineren Uebel
die Toastitis furibunda und dieje ift befannt:
lid — ganz unheilbar.
— NMatur
Don
Serdinand Avenarius.
ab heut vor mir des Weges gehn
Eine Dame mit ihrem Knäblein gefeh'n,
Hocyelegant, das Bürfchlein zumal
Wie gefchnitten aus dem Modejournal.
Madame hielt grade £eftion,
Dozierte vom feinen Unflandston,
Und fagte, nicht Schritt und Tritt allein,
Auch Wort und Blick mäfj' gemeflen fein:
Er folle fich endlich ein wenig genieren,
Zum Beifpiel nicht jo mit den Urmen fachieren —
Man mäffe ja ſonſt glauben, daß er
So ein bergelaufener Junge wär,
Man mäffe ſich fonft ja ordentlich ſchaͤmen,
Ihn jemals wieder mitzunehmen!
Dass Bärfchlein — fünf Jahr mocht's, denk ich, zählen —
That auch die Sache gewaltig quälen:
Es trippelte fittfam und fill fürbaß
Und dachte betrübt an dies und das,
Serfnidt fchier von dem Herzelcid
Ob feiner tiefen Derworfenbeit.
Und als des Wegs eine Pfüge fan,
Die endlich fein Auge in Anſpruch nahm,
Wandt’s, eingeben? der £ehren fich
Zur Mutter und fragte befcheidentlid; :
„Darf ich mich 'mal in die Pfüte legen?“
Da dacht’ ich: dem treiben fie deine Spur
richt aus, du luft’ge Mama Yatur,
Trot aller Cadier: und Derfleifterung::
Du wirft ein Menſch — Glädauf, mein Junyt
a3 Bur Beifgefldichte. 2»
«
Mofaik.
DD“ Rattenfängerfeft in Hameln,
weldes am 30, Juni flattfand, hat
einen ungemein prädtigen Effeki gemacht,
30 000 Perfonen nahmen daran teil, Bes
fonders wird die Pradt der Aoflime ne
rühmt. Bei dem Diner erfolgte die Bes
fanntmadung, daß der Dichter Wolff und
ber Komponijt Neßler zu Ehrenmitgliebern
ernannt worden ſeien.
Zu den neulich mitgeteilten Daten über
die Poftfparfaffen in Atalien fönnen wir
—— weitere Mitteilungen über die Boft«
parkafien in Oefterreich machen. Nach
den Angaben der diterreihiichen Korre-
fponden; mwurben im eriten Betriebsjahr
1820755 Ginlagen mit 8176389 Qulden
geleiftet, von deren 1649255. Einlagen
weniger al3 5 Gulden betrugen, Nah
Abrechnung der Rüdzahlungen betrug das
Guthaben der Einlagen am Schluß des
eriien Geihäftsjahres 5230838 Gulden.
Antereffant ift es, zu ſehen, aus welden
Rreiien ih die Eparer zuſammenſehen.
Es waren davon 179987 Studenten und
Schüler, 42410 Rinder, 40299 Handwerter,
24437 Dienftboten, 21649 Privatleute,
24911 Beamte, 8500 Gelehrte, Proſeſſoren
und Künſtler.
Die Sammlungen detgenialen Münd-
ner Rünftlers Gebon, der im vorigen
Dezeinber einer heimtüdiichen Krankheit
zum Opfer fiel, find für mehr als
200000 Mark verfauft worden.
Zu der Reichsfechtſchule für Lahr ift
num eine Bettelafademie in Prenzlau
ins Leben gerufen worden, welde aus
ihren Grirägniffen arme Waifentinder
unterftügen wid. Die Mitglieder heißen
Studenten, von denen 20 eine burd einen
„Doktor“ geleitete Klaſſe, 5 ſoſcher Klaſſen
eine Fatultãte mit einem „Profefjor* an
der Spike bilden. 10 Profeljoren bilden
den Vorſtand der „Afabemifhen Körper
ihaft“ und führen den Solleftivtitel
„Aademifcher Senat‘. Mit 50 Pf. jähr«
lien Beitrag kann man Student werden,
eine Mitglicds-(Legitimationd-)Harte er-
halten und in die Diitgliederlifte (Dratrifel)
eingetragen werben,
Expeditionen.
Sgirorbeuftjöld beabjihtint eine Erbes
75 dition nad dem Sübpol zu unter
nehmen, die eliva 200000 Pd. Sterl.
foften wird. England fol bejonders zur
Aufbringung ded Geldes herangezogen
werben.
Erfindungen.
3er Erfinder des neuen, fogenannten
Deltametalld, A. Did in London,
madıt den Vorſchlag, an Stelle des raſch
duchfrefienen Stahla, für den Schiffsbau
jein Metall zu verwenden. Gr bat aud
ein Schiff aus Deltametall herftellen und
im ryflallpalaft zur Ausſtellung bringen
lafjen. Verſuche, die mit dem Deltametall
in Bezug auf feine Widerſtandsfähigkeit
gegenüber den zerftörenden Ginflüffen des
Waſſers angeflellt wurben, haben jehr be«
friedigende Rejultate ergeben.
Entdbeiungen.
er — der Wiener Sternwarte,
Balifa, ift der glüdlide Entdeder
eined neuen Planeten, der dieNummer 237
und den Namen Göleftine erhalten hat.
wilden der Eifenbahnftation Ciam ⸗
pino und der albaneſiſchen Gebirgsftadt
Marino iſt eine ausgedehnte römiſche
Billa entdedt worden, die einer Familie
Namens Majalle gehört hat, Dan fand
in dem Bau außer ſchönen Mojailfuh-
böden, Marmortäfelungen, aud einen
Trometheustorjo, eine gefliigelte Biltoria,
Bruchſtüde einer Vaſe mit Figuren, einen
Faun mit Schlaud, einen großen Aber,
eine Apollojtatue, einen Marſhas, einen
Serfules mit dem Lörvenfell Über dem
Arm, die Hand eines Disluswerfers u.v. a.
Gefundheitspflege.
gen unbeimliher Gaf ift in Furopa
aufgetreten: bie Cholera. Während
man in Berlin den geiftvollen Entdeder
des Cholerabacillus feierte, hatte die nun
in ihrem innerfien Weſen erfannte Strant-
heit wieder einmal in Toulon den euro.
päifchen Boden betreten. Nah dem erflen
Todesfall Hatte man nod beruhigende
oe dann aber fleigerte ih bald die
Zabl der Zodeöfäle, und nun wurden
Radregein aller Art getroffen, den un»
heimlichen Gaft zu befämpfen. Frankreich
iſt nicht ſchuldlos, dak der eingeichleppte
Reim auf feinem Boden fo qut gedieh
Zoulon bat bygieiniihe Yuftände, welche
die erfle Autorität Frankreichs, udel,
felbft deplorable nennt. Und auf einem
franzöfiichen Mititärtransportdampfer, der
„Sarthe*, ift die Stranfheit eingefchleppt
worben, ber ebenfo wie die meisten anderen
derartigen franzöfiihen Schiffe an ln»
fauberfeit nichts zu wünfhen übrig laffen
foll, Zeit dem lehten Jahrhundert Hatte
Frankreich vier Gholeraepidemieen durch⸗
jumachen, im ge 1832, bei der allein
in Paris 18406 Perſonen ftarben, 1849
mit 16165 Xodesjälen in Paris, 1853
mit 9219 ZTobesfällen ebenda, 1865 f
mit 13000 Todes fällen ebenda.
In Frankreich ift eine andere Art von
Zrunffjucht aufgetreten, die id — altohol«
haltigen Riech uud Schönheitswäflern
zuwendet. Bejonders find es Frauen
und Mädchen, welche das Eau de Cologne
innerlid; anwenden,
Daß der Deutjche, der Gewohnheit
einer Urväter treu, es noch immer liebt,
eine oft trodene Achle fräftig zu befeuchten,
ft nun eben fein Gcheimmie, daß aber,
wie wir einer Statiftit entnehmen, jähr-
lich 10000 Menſchen am Delirium in
Deulfland zu Grunde gehen, muß doch
ernftlih erihreden. Die Bunahme der
Trunlſucht fäht ih auch an der Zunahme
der Schenken fonftatieren, deren Jahl von
13869 — 1877 in Preußen um 67 Pro in
Medlenburg um 95 Pros., in den kleinen
Bundesftaaten um 109 Proy., in Sachſen-⸗
Weimar um 126 Proz, flieg. In Berlin
fommen auf 1123000 Ginwohner 11169
Schenlen!
Saudet und Verkehr.
P" Härten Raucher find nad neuen
3 flatiftifchen Angaben die Türken und
Holländer, Die Schweizer folgen dann, fie
verbrauden pro Kopf 2,8 kg, während in
682
Deulſchland auf den Kopf nut 1,4 Ra und in
Frankrrich 1,3 kg auf den Stopf kommen.
Im näditen Jahr wird die Pile'ö-
Beat» Eiſenbahn in Betrieb genommen
werden, die zu den merfwürbigiten Eiſen ·
bahnbauwerlen gehört. Sie liegt 2000 Fuß
höher als die Lima, und Oroyabahn in
Peru und fteigt auf mehr als 12000 Fuß
über dem Dieer. Die ganze Strede jeht
fi) aus komplizierten Kurven und Graben
(bis 316 Fuß auf die Meile) zufammen,
und fein Etilt von mehr ala 300 Fuß
jeigt eine gerade Ridytung.
Die fürzefte Fahrt, in der bisher ein
Dampfer von Wew Work Europa er-
reichte, hat vor lurzem der Dampfer Aınerila
vom Wationalinjtitut erg Gr
braudte von New Hort bis Queenätown
6 Tage, 14 Stunden und 18 Minuten.
Welche außerorbentlihe Ausdehnung
das Eiſeubahnweſen in Deutichland ger
nommen bat, werben folgende Zahlen am
beften illuftrieren, 1882 betrug die Ger
famtlänge aller deutſchen normaljpurigen
Bahngeleife 23340 km (der Aequator bes
trägt 40000 km). An diejer gewaltigen
Etrede, die mit 11000 Xolomotiven,
20000 Perjonen- und 226000 Güterwagen
befahren wird, lienen 5415 Bahnhöfe. Den
Dienft verjehen 290000 Beamte und Ar-
beiter. Die Benützung ftellte ſich auf
1 223 600 000 Perjonenfahrten und Guter ·
transporte von 3365 Millionen. Die
Lolomotiven legten einen Wen von 312
Millionen Kilometer zurüd, Wie ed mit
der Sicherheit de Gilenbahnvertehrs be»
ftellt ift, erhellen folgende Zahlen: auf
51, Millionen Reljende fommt 1 Todes-
fall ‚auf 24, Millionen eine Berlehung,
d. i. auf 1 Million von Perfonen durch ·
fahrene Kilometer 0,00 Zötungen, 0,01
Berlekung.
Unfer vieljreibendes und vieldruden ·
des Jahrhundert braucht Bapierquantitä-
ten von geradezu verblüffenden Mengen.
(#8 werden von 3985 Papierfabrilen im
Jahre 952 Milllonen kg Papier erzeugt,
von denen 476 Millionen zur Serftelung
von Drudfahen dienen und zwar zur
lung von Journalen 300 ‘Mill. kg.
as ift pro Tag 822000 kg.
Ausfiefungen.
9 Geihmadlofigfeit, welche in Kngpen
ud«
dur die Veranjtaltung einer
Jebung Ichöner Frauen begangen wurde,
findet in Polen Nahahmung. Frauen
aller Stände und Nationalitäten können
ur Ausftellung gelangen und ihre Aub⸗
eller ſollen mit Gelpbelohnungen, Des
daillen und Ehrendiplomen ausgezeichnet
werben.
Berlin erhält im nächſten Jahr einen
Anziehungspunft mehr; eine japanifche
Ausftellung im Öpgieineausflelungs«
Gebäude, die am 1. Mai eröffnet wird.
Das Innere des Gebäudes fol zum Zwede
der Auöftellung in ein japanefiihes Dorf
umgewandelt werben, in weldem fid) in
maturgemäßer Weife die Gebräude und
Sitten der Japanejen entwideln werben.
Das induftrielle Geben der Japanejen ſoll
auf dem großen freien Plabe, wo feiner-
zeit das Gafteinpanorama fland, zur Dar ·
ftellung fommen. Auch ein japanefijhes
Theater wirb errichtet werben.
Im Hamburger ns then Garten
zu Ende Juli eine Ifiihausftellung
att, bei der ſowohl Franggeräte aus alter
und neuer Zeit, Schiffsmodelle von Grön«
landfahrern und hamburgiſchen ſtriegs ·
ſchiffen, Zieraten aus Walfiſchlnochen. wie
bildliche Darflellungen aus dem Walfiſch ·
fängerleben zur Ausſtellung gelangen.
Zur Zeitgejchichte,
Hongrefie.
9» achte allgemeine Hongrek ebange-
liſcher Chriſten aus allen Bändern
findet vom 30. Auguſt bis 7. September
in Ropenbagen ftatt.
Ein Anthropologentongrek findet
vom 4. bis 7. Auguft in Breslau ftatt.
Binglüdsfäle,
Bi einer Erplofion im ber Pulver ⸗
fabrit Pontremoli wurden breikig
—— getötet und dreihig ſchwer ver
wundet.
Berdreden.
une fol, wie man aus Paris
SI ihreibt, jeht aud per Quftballon von
den Feniern mit Dynamit und dergleichen
bedroht werden. Wir halten die Nadıridt
für eine Ente.
Die Morbaffaire Heilbronner in
Stuttgart hat jeht inſoweit ihren Abſchluß
nefunden, als der eine der Räuber, ber
Anarchiſt Kumiti, vor kurzem von dem
Schwurgericht in Stuttgart zu lebend
länglihem Zuchthaus verurteilt wurde.
In Lübel hat fih ein Dr. Jenner,
der ſich vor dem Schwurgeridhte zu ver-
antworten hatte, kurz vor der Berkündi«
gung des Urteils im Schmwurgeridisjaale
ſelbſi das Leben genommen.
In der Neuen Welt fommen immer
noch Berbreden vor, die bei und glüd-
licherweiſe einfach zu den Unmöglidpkeiten
zählen. ine Räuberbande hat einige
Stunden von Sanjas-Gity die Echienen
einer Gifenbahnätrede gelodert, um da⸗
dur den Zug zum Sturz zu bringen und
ihn dann zu berauben. Aber nur dad
erftere gelang ihnen: drei Wagen und bie
Lotomotive Nücpten den fteilen Damm
herab, während die übrigen Wagen fid)
losfuppelten und unverjehrt blieben. Die
Menge der in den letzteren ſich befindlichen
Paflagiere hielt die Bande vom Naube
felbjt ab. Die Infaflen der herabgefallenen
Wagen find großenteils umgelommen.
Totenſchau.
Aexauder, Prinz von Oranien, ftarb
A 21. Juni im Haag, erſt 38 Jahre alt.
Amthor, Ed. Dr. phil., Yeiter ber
Geraer Handeldalademie, aud als Schhrift«
ſteller befannt, ftarb am 4. Juli,
v. Branbid, der Ichte hannoverſche
Kriegsminifter, ftarb 13, Juni auf feinem
Schloſſe Ridlingen.
Gornid, Gyrus, der Erfinder ber
Mähmafhine, geb. 1809 zu Rodbridge
Gounty. Ba., ftarb Mitte Mai zu Chicago.
Er machte feine Erfindung 1831.
Droyfen, Johann Guftav, der aus ·
gezeichnete Gelehrte, Profefjor an der nie
verfität Berlin, ftarb 19. Juni daſelbſt.
(ir war geboren 1808 in Treptow, bat
in Berlin ftudiert, dann am Grünen
Klofter unterridytet und feit 1833 an ber
Univerfität dociert. Bon 1840—51 war er
BProfeflor in Kiel, dann in Jena, lehrte
aber 1859 nad Berlin zurüd. Sein Haupt»
wert ift die ‚Geſchichte der preußiſchen
Politit*. Andere berühmte Schriften von
ihm find „Das Yeben bes Feldmarſchalls
Grafen Yort v. Wartenburg“, „Beldhichte
des Srellenismus*, „Vorlefungen über bie
Geſchichte der Freihtitstriege?, Ueberſetzun ·
gen bed Aeſchylos und Ariſtophanes und
vieles andere mehr.
Battinelli, Baetano, einer der beiten
italleniſchen Schaujpieler, ftarb Ende Juni
zu Rom,
uner, Prof. Dr. Auguit v., aus⸗
gezeichneter Ainderarzt, Benründer bes
nach ihm benannten Finderhojpitals in
—— farb 11. Juni im 73, Lebene ·
ahre.
Hellwald, Ferdinand von, Scrift ·
ſteller, der ſich namentlich auf dem Gebiete
der niederländiſchen Litteratur dervort ·
gelhan und eine vortreffliche Geſchichte des
bolländifhen Theaters — bat, ſtard
23. Juni zu Glarens, Beritorbene,
ein Bruder Friedrichs von Hellwald war
feit 1874 Sektelät des Malteier-Drbens
in —* ervrin
ermann, Erbprinmj zur Lippe, flarb
20. Juni, geb. 4. Juli 1829.
eöheim, Unton Baron, durch
feine Dialeltvitungen in weiteren Sreijen
befannt, verjhied am 6. Juli in Baden.
Node, Friedrich, ordentliher Pro»
fefior der Mineralogie in Marburg, ftarb
daſelbſt 17. Juni. Früher Docent in
Heidelberg und Freiburg i. ®.
Kolisko, Dr. Eugen, Primararzt
und Profefior an der Wiener Univerfität,
ftarb am 7. Juli im Alter von 73 Jahren.
Lehweß, Adelbert, Geh. Sanitäts-
rat, audgezeicdhneter Arzt, jtarb im Jumi zu
Berlin. Er war ed, den 1579 die Deutidhe
Botſchaft nah Botilanla jur Erforſchung
der Beitepidemie fanbte.
Lipinski, der belaumte polniſche
Genremaler, der unter anderem das prriß»
gefrönte Bild „Wochenmarkt in Siratau*
geinalt hat, ftarb 28, uni zu Srafau.
Munch, Andreas, norwegiſcher Dieter
und Gelehrter, ftarb 27. Juni in dem Dorfe
BVedböd am Sund. Derftorbene er ·
reichte ein Alter von 74 Jahren.
v. Bhilipsborn, Rihard, Generals
poftdireltor und birelter Borgänger Dr.
Stephans, ift nah lurzem Aranimlagrr
im Alter von 66 Jahren verfiorben. Bes
teitö 1870 war er nad glüdliher Leitung
feines Refiorts und eingreifender Mas»
regeln — wir erinnern nur an die Ein»
führung des einheillihen Briefportos
innerhalb Deutfhlands — aus dieſer
Stellung ausgeſchieden, um die Eentral«
bodenfreditanjlalt zu leiten.
Mabde, Wilhelm, befannter Rew
Norter Buchhändler und Verleger, farb
im Alter von 34 Jahren.
Meder, Guido, Ditarbeiter der
FKreuzzeitung und Agrarier vom reiniten
Waſſer (mehr unter dem Namen Guido
Buched bekannt) ift am 5. Juli im Alter
von 43 Jahren aus dem Leben geihieden.
Renaud, WUdilles, ausgezeichneter
Reötelehrer, ftarb im Juni zu Heidelberg.
Richter, Ludwig, der ausgezeichnete
Muftrator, flarb 19, Juni zu Dresden.
Ein kurzer Nadruf findet fih an anderer
Stelle dleſes Blattes, begleitet von einer
Nahbildung von Pohles trefflichem Porträt
in der Nationalgalerie.
ofen, Baron Andreas, befannt ala
Verfafler der, Memoiren eines Delabriften,
eb. 1500 zu Ejthland, ftarb im Juni auf
Finem Landguie Wilnina (Chatow).
v. Scheve, der Präfident des nroß«
ogl. medienburgiid-ftreligihen Land ·
gerichts, ftarb Ende Juni zu Siffingen.
Schmalner, Buchdrudereibeiiker,
bochverdient um Erforſchung und Er ⸗
haltung der wendiſchen Eprade und
Litteratur, ftarb im Jumi zu Bauben.
Specbacher, Katharina, die Todter
des berühmten tiroler Yanbesverleidigers
und Genoffen Andreas Hofers und Ka
fpingers, ftarb 24. Juni zu Innebrud.
Töoröct be Szenbrö, Graf Nikolaus,
ein namhafter Sportsman, flarb 71 Jahre
alt zu Wien. Er war der Gatte der be»
tannten Schaufpielerin Johanna Busta.
Zwenganer, Anton, befannter Kand«
Ihaftsmaler, feit 1869 Konſervatot der
Pinafothel zu Münden, ſtarb Ende Juni
zu Münden im Alter von 74 Jahren.
©. Büttig. Unfer Gausgarten.
Anſer
Sausgarten.
©. KHüttig.
Hyacinthen, Tulpen und
Blumenzwiebeln im
Binter.
Im Juli oder früher fehlt
wohl feinem Blumentliebhaber
ein neueh —— von ſog.
bolländiichen Blumenzwiebeln;
dies follte benupt werden, um
fobald wie möglich die zum
Winterflor gewünfchten Ziwie-
bein zu verſchreiben und zwar
von einem zuverläffigen Haufe,
wo ınan fiherift, gute, jehler-
freie Ware zu erhalten, ftarle
Zwiebeln, die man fofort nad)
ihrer Anfunft auspadt und
während eiwa einer
Woche an einem trode«
nen, ſchaltigen Ort
ausgebreitet liegen läßt.
Dann werben fie in
Töpfe oder dergl. 2
pflanzt — je früher biea
peihicht, defto früher
fönnen fie angetrieben
werben, beflo früher
werden fie blühen. —
Bor dem Ein-
dflangen wer;
den fie, na»
mentlih Hyacinthenzwiebeln, von etwa an
hängenden Moder durch Abwiſchen mit einem
weichen Lappen gereinigt, ſchadhafte Stellen
werben ausgefähnitten und mit Hofjfohlenpulver
betreut,
Bon Hyacinthen pilanzt man gewöhnlich
eine Zwlebel, von Fleineren auch zwei oder
brei, in einen 8-10 cm weiten unglafierten
Topf — von anderen mehr eleganten als jroed»
mäßigen Gefäſſen fehen wir bei unferer „Rul«
turammeilung" ab — mit guter fandbiger, mit
verroltetem Huhdung gemifchter Gartenerde,
der eine Schicht Heiner Topfſcherben zu leichte
rem Abfluß des Gießwaſſers unterzufegen iR,
Man füllt den Topf mit feuchter Erde jo wett,
daß, wenn die Zwiebel leicht aufgefcht wird,
ihr Hals die Höhe des Topfrandes erreicht;
man gibt ihr eine Unterlage von reinem
Sand, drüdt fie nicht feft und umgibt fie
jo weit mit (Erbe, daß ihr Hals freiſteht.
Ungefähr ebenio behandelt man auch bie
Ywiebeln von Tulpen, Tazetten u. f. w.
Nadı dem Einpflangen werden bie Töpfe
mitden Zwiebeln
im Garten 60 em tief vergraben
und mil Erde bededt oder aud im
dunflen Seller aufgeftellt oder in
einer Kifle mit Sageſpahnen um-
geben und bededt, — Das eigent-
liche Treiben beginnt nad ungefähr
zwei Monaten, nabdem man fid
von ber erfolgten Bildung zabl«
treiber Wurzeln überzeugt bat;
mon flülpt den Zopf um, nimmt
die Zwiebel mit dem Wurzelballen
heraus, entfernt die obere Erde,
legt fie auf die Scherbenſchicht und
feht die Zwiebel fanft wieder ein,
fo daß fie höher alö zuvor zu Liegen
fommt; wenige Tage fpäter, nad
dem fie wieder angewadien, kann
man die Zwiebel mit einer bünnen
Suanoldjungfräftigangiehen. Man
fellt den Zopf dann im warmen
Raume (Fimmer oder Gewachthaus)
*
Tin. ı, Ständer für Hyayiniben.
Grocus
Dig. 2
Pig- 3. Gefhllte grobe Jonquillen.
| wanzes Jahr in Zöpfen gehalten
auf einen Unterfak und verdunkelt die um ben
ſchaft zu —— mit einer Papierhäte, Mähernb bet U
tums muß reichlich werden, ſtets aber mit bie 25°
erwärmten Waller. nad dem das Gie
nad und nad auf, die Zwiebeln werben im ins freie
pflanzt und fönnen nah 3—4 Jahren von neuem zum Trei
enubt werben.
on Hyacinthenſorten ifl Romaine bie
Hleinfte; man jet immer drei Zwiebel in einen Zopf; icje
folgen Homerus, Gellert, Henri le Grand, L’ami du co
und La Jolie blanche.
Für ——
giä er (bie blauen fol«
en befjer jein als an»
dere) mit MWafler find
folgende Gorien bie
beiten: Ginfade rote:
Duchesse de Rich-
mond, La dame du
Lac, Robert Steiger
und Princesse Char-
lotte. Einfache blaue:
Baron van Thuyk,
Prinz Albert, Grand
Lilas, Oharl, Dickens
und Regulus. Ginfade
weiße: Grand Vainqgueur, Montblanc,
Kronprinzessin, Themistokles, Anna
Paulowna und Grandeur en mervellle,
Einfache gelbe: Anna Carolina, Heroine
und König von Holland, Weiter noch:
Lord Wellington. Die Zwiebel foll dit auf, aber nicht im
Wafler fihen; am beiten ıft Wegenmwafier, und muß das ver»
dunſtele Wafler fiets durch vorher erwärmtes erjeht werben. Aud,
die Hyacintben auf Wafler in Bläfern müflen zur Wurzelbildung
Big. 4.
Leueojum vernum,
‚T), von denen
juerft die Duc van Thol. drei Stüd Zwiebeln
in einem Topf von 10 cm oberer Weite, und
zwar ſchon im November angetrieben werben
fönnen; nad ihr kommen Tour ne sol und
andere frühe Sorten, die fpäter eingepflanzt
und nad) und nad angetrieben werben, Bon
Crocus (Fig. 2) werben gewöhnlich fünf Zinie-
bein in einen Topf gejekt; fie dürfen aber nicht
im warmen Raume angetrieben werden ; Jwildjen
den Doppelfenftern des Wohnzimmers oder im
Kalthauſe gedeihen fie gut, wenn fie vorher
im Dunklen genügend Wurzeln gebildet habeıt.
Aehnlich wie die Hyacinthen werben au
Tazetten behandelt; auch fie Können auf
Waſſer getrieben werden. Die frübefte Sorte
in die gelbblühende Marfeiller Tayettr,
ihre folgt ber
weiße Grand Monargue; auf
Grand Primo, weiß und wohl
riediend, und der gelbe Grand
Soleil d’or find quie Zreibforten,
Mit den Zazetten find die wohl“
riedenden Jongquillen und Rar-
siffen nahe verwandt, aber erſtere
dürfen nur ſehr langſam, erſt im
falten hellen, dann im mäßig war«
men hellen Raume angetrieben wer⸗
den. Dan bat joldhe mit einfa hen
unb anbere mit gefllllien Blüten und
find namentlich bie lehteren (Fig. 3)
ſehr ſchön, wenn aud die einfachen
dem Zreibgärtner weniger Wider:
ftand eninegenfehen. Roc ſchwieriget
find Die Rarziffen; fie müffen ein
und dann jo langſam wie bie
Jonquillen angetrieben werden.
Die Meerjwiebeln, Bcilla
684
amoena, bifolia, sibirica, rivalis und peruviana erden zu
vier in einen Topf 3 cm tief gepflanzt und erit Ende Februar
warm geftellt; die beiden fchgenannten Arten Laffen ih aud) auf
Waller treiben.
Aud die Shwertlilien werden früh in Töpfe gepflanzt
und bürfen, nachdem fie neue Wurzeln gebildet, nur nad und
nad) in eine höhere Temperatur gebradt werden; namentlich
gilt dies von der in Dejterreidy einheimischen niedrigen Art mit
nur einblumigem Schaft; aber die Blüte, befonders einer neuen
BVarietät, einer Kreuzung pwiſchen Pumila und Olbiensis (aus
Dlbiarauf Sardinien) ift ſehr jhön (Fig. 5). Ihre Farben find jehr
manniafaltig und find namentlid Reinweiß und Goldgelb viel
vertreten. Die Schnee⸗
Die gewoͤhn · alödden
lihen Zreib« (Galanthus
forten find nivalis), die
Irisxiphio- März
ides, die eng · alödden
ſche (Leucojum
Edwertlilie, vernum,
persica un) Fig. 4), und
reticulata, die Tram
die nehför- benbyar
mige.. Dan ciniben
pflanzt drei s (Muscarl
Zwie beln in , moschatum
einen Xopf und comos-
von 10 cm um var.
oberer Weite monstruo-
und ſtellt im Rum) werben
Dezember wie die Cro-
zuerſt Reti- cus, und bie
culata, im Schad:
Januar die brettblus
andern Ar · me (Fritil-
ten ans Fen · laria male-
fler deb agris mit
MWohnzim« den „Stiebihe
mersoder ins eiern“) wird
BR, fpäter —* * a
nd tempes ‚es. Amaryllis vittata. ji cyan«
rierte, nicht Bee = = delt.
warmeHaus. Die re
ſache beim Treiben der bisher nenannten Ziwiebelarten if das
recht frühe Einpflanzen in Töpfe und das mehrwöchenlliche Aufs
bewahren im fühlen und dunklen Raume, damit fi genügend
Wurzeln bilden, che das vorzeitige Wahstum angeregt werben barf.
DieMaiblume(Convallaria majalls, Fig. 8) erfährt beim
Treiben eine andere Behandlung. Man gräbt Ende Oftober die
Pflanzen von den Anzuchtbeeten aus, trennt die diden abgerundeten
Blütenfeime von den ſchlanken Blattfeimen, jeht letere wieber
in rigoltes, friih und reihlid mit KAompoſt gebüngtet, nicht
trodeneh Land, nimmt erfleren die Heinen Rebenaugen und feht
Fig. 7. Zulpe,
fig. 8. Conrallaris majalir,
fie in Schalen mit leichter jmtipr Erde dicht zuſammen, To daß
fie mit ihren Spitzen gleichmäßig 2 em über der Erde ſiehen,
gleßt fie an, bededt fie mit Moos, ftellt fie in einen dunklen
Raum mit B—8300 R. Wärme, hält fie durch Begießen mit
warmem Waſſer ftets feucht und pflanzt fie bei beyinnender Blüte
in geeignete Gefühe. Die erjten Heime werben aber bei bieler
Echnelltreiberei feine Blätter entwideln und ftellt man, um ſolche
u erhalten, gleichzeitig genügend viele Blattleiime warm, Bei
päterem Antreiben werden aud mit den Blüten die Blätter
erſcheinen.
Ida Barber.
Schließlich noch einige Worte über das Treiben des Ritter»
flerns oder der Datobslilie (Amaryllis, Hippeastrum
u. |. w.), von deren zahlreichen Arten die „Ihönftgeformte“ (For-
mosissima L.) am leichteſten Blüten gibt. Dan legt nämlie
die ausgewachſene und abgetrodnete Zwiebel von Weihnadyten
ab an einen recht warmen Ort auf Moos, pflanzt fie im ben
Topf jobald die Anoſpe ſich zeigt und ftellt fie bie zum Auf-
blühen hell und warm. Nah dem Abblühen, das ih ım fühlen
Raum bedeutend verzögert, flellt man fie in einen mäßig warmen
Raum und pflanzt fie im Mai fret in ein mit Haide-, Dungerde
und Zorfabfall eingerichteles Beet.
Eine beionders ſchöne Art ift Amaryllis vittata L’Herit,
die „nebänderte* (fig 6), mit A,robusta A, Dietr. die Stammmart
herrlicher —— Sie entwidelt auf einem 60 cm hoben
Schaft zahlreiche weike, mit drei roten Streifen burdgogene
Blüten, die im Frühlahr, durch geeinnete Behandlung auch früber
eriheinen, Man pflanzt die Zwiebel im September aus dem
Freien in den Topf, ftellt fie troden im Warmen, wenn fie
blühen foll, vom Januar an fehr warm auf und giekt, ſobald
der Trieb ſich zeigt, jo oft die Oberflähe der Erbe troden wird
Ein reiches Sortiment Blumengwie dela
haben die Firmen Haage & Schmidt umd
%. €. Heinemann in rt ur Berfügung.
fig. 9. u. 10. Girusfiide Boien.
Tradten der Beit.
Bon Ida Warber.
Heues aus der Saiſon.
Dame Mode hat ed gleih all jenen erholungs» ober jer-
fireuungsbedürftigen Schönen, die feit Woden in Sturorten und
Billeggiaturen Aufenthalt genommen, für gut befunden, den
Bantıfreis der Stadt zu verlaflen und da Gercle zu halten, mo
die elegante Welt jetzt heimiſch tft. Der oft erhobenen Klage, dab
es ihr an neuen Ndeen mangele, kann dort nit Raum gegeben
werden. Man ficht in den belebteren Babeorten ein Trachten⸗
und Wölfergemiih, eine Unmenge eigenartiger jyormen, ab»
ftehender Farben, origineller und bod dabei geihmadvoller
Koftüme, dat man ihren Ideenreichtum vielmehr bewundern mödıte,
Die Babefreiheit geftattet, wie befannt, eine bunte, oft fogar
faleidoflopartig erieinende Roflümierung. „Grlaubt ift, mas
gefällt“ it das Lolungewort. :
Aunge ſchöne Frauen, die durchaus nicht geneigt find, ihre
Bei unter den Scheffel (heute müßte man ag eine andere
deladiiche Einheit nennen) zu ftellen, machen vom jener Freihen
antgiebigiten Gebrauch.
Man den rote und purpurbfaue Stleider von Allas · und Coton ·
ſtoff, die an ſich ſchon auffalend genug wären, mit bunten Plein«
muftern durdftreut, mit türfiichen Bordüren abgepakt oder gar
mit ſchomſchen breiten Eeidenfhärpen gejiert. Makarte Farben
pracht eint fih dem Reichtum toitbariler weißer Epigen , die in
wahrhaft verſchwenderiſcher Fülle all den grelfarbigen Kleſdern
aufgarniert find. 1 .
Des eintönigen Gran in Grau müde, hat dic Mode bietmal
den bunten Farbſtellungen den erften Rang angewieſen. —
Brünetten tragen gern Gelb in allen
möglihen IT onarien, Olondinen Dlau.
vom dunfeliten Andigo bis zum lich⸗
teten Azur fehattierend.
Au jene Mitteliarben. wir Melbr
nrau, Braun, Violett, Ztaubarau,
Bordeau, Stahlblau, find außer dturs;
allenfalls ſchenlen ihnen ältere Da+
men, die auf eine jolide Tracht ans
Big. 2.
gewieſen find, noch Beadtung, die Jugend macht von dem ihr
u Ir wenngleich oft angetafleten Botrechte Gebrauch, gleich
icblichen Kindern Floras in voller fFarbenpradt zu
erſcheinen.
Wem Mutter Natur ein hübſches ANrvchen, einen
elaftifhern Gang und aud das dem Temperament inne -·
wohnende Sprübfeuer des Geiſtes gegeben, mag ſich,
ohne gerade auffallend zu erideinen, die berrichende
Mode zu nutze machen; entſchieden unſchön würde jel-
bige aber in all den Fällen wirken, wo eine weile
Beſchränkung acboten, alles Auffallende verboten if.
— Unendlich viele Mobedamen find in dem Vorurteil
befangen, alles, was neu if, müfle nachgeahmt werden.
Mehr ald auf einem anderen Gebiete gilt in Modefachen
das Wort: „In der Beſchränkung Liegt die freiheit!“
Die in grofen Garreaus gehaltene, damenbrettartin
emuflerte Robe, bie die hohe, manere Figut trefflich
teidet, läßt die Meine, zum Gmbonpoint neigende
neradezu lacherlich ericheinen ; dasfelbe gili von den grok«
geblümten, damaffierten und im Zapifieriegenre aehalr
tenen Stoffen. Ghangeants, matlabgetönte Wolljtofte,
mit feinen Pleins durchflidte Gewebe, die allenfalle,
um ber berridenden Diode gerecht zu werden, mit bun«
ten Schleifen oder Spitzen gepuht kin tönnen, find für
feine (Figuren verwendbar,
Weihe broihierte Stleider erfreuen ih namentlich
bei den in Sommerfriſchen weilenden Damen fteigender
Beliebtheit. Wer auf nrößere Eleganz Wert legt, er
änzt den weiiten durchſichtigen Uederwurf durch ein
Freier Unterlleid, eine farbige Schärpengarnitur, zu
der dann die den Hut gamnierende Blume ober Feder
paflen mu.
Tas Reueſte in diefem Genre find 5 Meter weite,
durdiwen in AriihGuipüre geftidte Nöde, die wie bie
Bauernröde gefaltet, doch an der rechten Seite derart
nerafit find, als ob fie da in dem Stoffbauſch eine Art
Greichen aſchchen bildeten; dazu runde, gleichfalls durch ·
weg gneflidte Taille, mit handbreitem Gurt abſchließend,
halblange Aermel, die, oben kugelförmig eingeleht, mit einer
Spihenruſche umrandet find,
Trachten der Zeit.
x \ Jene mit diverfen
\
685
Ein — — zwiſchen dem drapierten Ueber ·
wurf und dem glatten Bauerntock, der jeht als
Uniform aller Modedamen zur Geltung kommen
fol, ift der in ber Se 1 ſtigierte jehr Meidfame
Jupon gree. Unjer Modell it aus damoisfarbe-
nem Hafimir gefertigt, vorn gefaltet, zu beiden
Seiten der Pliffees mit ſchwarzen Samtrofetten
aepuht; der in Art der griechiſchen Eunifa gefertigte
Ueberwurf ift mit 6 dbaumenbreiten Samtbändern
bejeßt, da, wo er an den Hinterblättern aufſchlägt.
mit Faille gefüttert; die Rückſſeile flieht wie ein
fächerartig nelegtes dreiediges Tuh aus, ift aber
mit dem gelrauften Borderrod in einem geſchnitten.
Dazu runde Blufentaille, wie ber Rod vorn gefaltet
und mit Rofetten garniert, — Na hinten zu ger
puffte Röde find wenig beliebt; man ift endlich zu
der Eiuſicht gelommen, daß das unnatürliche Ge-
bauſch abgeſchmadt, denn ſchön zu nennen iſt.
Auch die Taillen ſollen, wie es ſcheint, einer gründ»
lichen Reform unterworfen werben, Die zwölf-
und ſechzehnteiligen Fiſchbeinmieder weichen den
ſich ohne jede Beihilfe von Stahl und Walfiſch
gräten gut anſchmiegenden runden Leibchen, die
durchweg in Qualfchfalten gelegt, oben mit vier
facher Ruſche, unten mit Gurt und Banb«
maſche abgegrenzt werben.
Duhenden Knöpfen ge ·
ſchloſſenen Taillen, Die oft eine wahre Geduld
\ probe vorausfehten, weichen allgemach den jehr
praftiihen „Zweilnöpfern". So zum Beilpiel
das tebte legere Jädchen, daß auf ber
| Bruft dur ziori goldene Doppelmöpfe, am
Taillenſchluß durd zwei von innen befeftigte
aehalten ift, Die obere Anopfgarnitur erfekt
die Broſche, bie gefätige Kane des Etoffes
1 jede Schleife oder Brufigarnitur.
’ An fühlen Tagen treten die Umbänge und
| Paletots wieder in ihr altverbrieftes Recht.
— Die neueren Paletotformen (zumeiſt aus
/ Kwarzem Faille oder ſchwerem Rips gefertigt)
/ nd, wie Fig. 2, vorn mit Shawlenden geſchnit ⸗
ten, hinten pliffiert, reich mit äheniuefranfen
oder Spiken garniert.
Zu eleganter Beſuchttoilette, die halb
fommer-, halb herbſtlich aus Samt und
Spiten gefertigt ift, empfehlen ſich die fangen
Kalades aus Eamt, die (Fig. 3) vom ausein ·
ander geben, um das mit Be narnierte leid ſehen zu
laſſen; auf der Taille ſieht man
aft nur bie vorderen Geiten«
Dig. 0.
Big. 8. dig. ?.
teile, da die Bruft mit breit gelegten Spitzen drapiert iii; Aermel
aus durchſichtigem Stoff, edige Tafhengarnitur mit breiten Spihen.
686
Negenmäntel wird man in biefem Jahre zumeift anliegend
mit gefaltetem angelehten Rod tragen; fie werben aus Water
proof und geblümten oder Tricotſtoff gefertigt, in ber Art ber an»
liegenden Jadens gejchnitten, die Müdenteile mit langen, bis
um Saum reidenden Fradſchößen, benen ringdherum, bie
gur umbillend, ein plijfierter Rod, der vorm zu fmöpfen ift,
untericht wird.
Die neuen Hutmodele zeigen hohe Köpfe, breite, feitwärts
aufgeſchlagene Krempen, reichen Federſchmud. Recht apart find
die aus degradierten Pfaufedern gefertigten Phantafie-Nigreites,
die freisförmig um die Meinen Tyedergeitede garniert werden.
Morgen- und Theaterhäubchen fieht man viel mit ſchmalften
Bandihlüpfen, die nah Hunderten zählen, garniert. Fig. 4
veranſchaulicht die jeht jehr beliebte syorm Benetia, die jogar
von ganz dee Frauen petragen wird; ältere Damen bevor«
t
jugen mehr die hinten mit fächerartig gelegten Schleiertüchern
endenben Goiffuren.
Wenn ſchon die englijche Mode, die leider bis oben hinan
jugefnöpft ohne Fragen zu tragen, allgemein angenommen wor»
den, macht ſich doch bei all denjenigen Damen, bie fi auf das,
was fleidet, verfteben, der Wunjd geltend, die weißen, das
Mleid offen erſcheinen Lafjenden Lingerieen nicht zu entbehren.
Ich will verſuchen, eine Serie reisender Spitzen ⸗Fichus und
»Jabots, die ich dieſer Tage bei F. Bollarth (Wien) ſah, zu flig«
sieren. Da beipielaweife ein aus echtem Tüll gefertigtes Jabot
Louis Quinze, das wie ein breiediges Tuch geidnitten, mit
der breiten Seite an ber hochſtehenden Halsrüfche feftigt wird;
breite Point-Wiguille garniert das Tulltuch ringäherum; am
Zaillenfhluß ift die Spihe übereinander geihlungen und wie
oben am Hals mit einer Blume befeftigt. ig. 5 ſtellt einen
breiten Spikenfragen dar, deſſen oberer Zeil aus einer aufwärts
und einer abwärts gefehten Spike beiteht, unter der Ichteren ein
fingerbreiter Einfah, dem eine plilfierte Bajadereſpitze angeſeht if;
das Jabot befteht aus gleichartigen, terrafienartig —
Spitzen, zwiihen deren Falten Phantafieblumen angebradt find.
Gine reizende Stompofition ift der in Fig. 6 fkiszierte Hald«
ftreif der den in Weiß felten zur eltung tommenden Offiziersfragen
darflellt. Sranen und Jabot find aus einem geſchnitten; bem
ungefähr 1, Meter breiten, dicht gefalteten weißen Batiftftreif,
der den Aragen bildet, iſt da, wo die Plifiees ausfallen, eine
breite Balencienne angefeht, die in dieſem Arrangement ebenfo
trefflich Meidet, wie einfad und elegant ausfiebt. SKompfizierter
tft Die in Fig. 7 Äfiggierte gewundene Schleife, die eine Ber-
bindung von Spiten, Cröpe lisse und Spihenftoff barftellen
und neuerdings wieder mehr ald die Weſtenfichus und gezogenen
Lahzteile getragen werben.
Es gibt konfervativ gefinnte Damen, die Jahr ein Jahr
aus nidhts von neuen Kleiderformen, auffallenben Stoffen xc.
wiſſen wollen; auf ihre Spiben und MWeihftidereien legen fie
aber einen bejonderen Wert; an dem ſchmalen weißen Streif,
der den Halsausjhnitt, den Wermel umgibt, foll man, wie fie
meinen, wenn auch nicht die Modedame, dod die Dame comme
il faut erfennen. — In der That müßte diefen Weihwaren,
die mehr noch wegen ihrer Kleidſamleit und buftigen Friſche als
ihrem Werte nad die Xoilette heben, eine größere Beachtung
geſchenkt werben, als bies feitens der — derjenigen, die
elegant aufzutreten meinen, geſchieht. — Wer ſich auf Spitzen ⸗
technit und ſtilgerecht außgeführte Stidereien verfteht, weiß,
jenen oft unbeadhteten Aula enftänden ein poetifcher Zauber inne
wohnt, der ſelbſt die einfachjte Toilette vornehm erjheinen läßt.
Beitgemäßes aus Küche und Haus.
Von 8. von Vröpper.
September.
Yralienifhe Wahtelpafteihen. Man gebe etwa
achtzehn ſehr rein gepuhte Wadhteln, mit einer in bünne Scheiben
aelchnittenen Zwiebel, Salz, ein wenig Pfeffer, zehn Wachholder-
beeren und Is kg Butter in eine Kaſſerole und laſſe fie zugededt,
eine halbe Stunde langiam dämpfen, während man einige Eß
Löffel guten Rotwein daran gieht, dann thue man alles zufam»
men in einen großen Mörfer und ftoße es fehr fein; vermiſche
nun einen Teller voll Polenta mit Us k friiher Butter, zwei
Eiern, zwei Gidottern umd drei Ehlöffeln geriebenem Parmejarı-
täſe und rühre e8 eine halbe Stunde; befireihe Heine Paiteten«
förmchen mit zerlaffener Butter, gebe in jedes einen Eßlöffel von
der Polenta, dann ebenjoviel von der Fleiſchmaſſe und wieder
£, von Pröpper. Feltgemäßes aus Küche und Baus,
einen Loffel Polenta und bade die Paftethen bei g:linden Fam
eine halbe Stunde, jtürze jedes auf ein friſches Treigenbi
drüde einige Tropfen Gitronenjaft darauf und fervir ges
Die Freigenblätter oder, in deren Ermangelung T ä
werden vor dem Gebraude eine Weile in friſches Wafler er
und bernad nut abgetrodnet.
Zur Polenta nehme man groblörniges Maismehl =>
rühre davon, mit einem großen Rübrlöffel, jo viel in
etwas gejalzenes Waſſer daß fih ein loderer Brei bilde, vr
das Maismebhl gebt im Hohen ſeht auf, brennt aud leicht a
weshalb man eB beftändig kräftig rühren muß und fein zu Karls
—— aben darf, und fo rührt man fort, etwa eine Sumd-
tunde lang, bis die Polenta fo did und feit ift, daß man nıh
mehr rühren kann und I fie jeht auf eine Schüſſel
Wil man die Polenta, Nationalgericht der Ytaliener, Has
gs des Volles und ein Lieblingegericht yriedrids dr
roßen, als felbftändige Schüffel geben, fo beftreue man Kr
unmittelbar nad dem Stürzen, biht mit geriebenem Varrariet
täſe, übergieße fie mit brauner Butter und ſerviere fofort, m:
Belieben nody mit einer Beilage, Stinfen, Wurft oder des!
Friedrich der Große liebte fie beionders mit gebratenem ul.
. Dafenpaftete, die nidt gebaden wird. Dian mv
einen {Hönen, jungen, geipidten Haſen in Butter recht jaftig vr
nicht zu gar und fchneide, wenn er erfaltet ift, das Fleiſ d
iemers im fingerdide, fchiefe Scheiben; nehme dann Ink ar
ratenes ſtalbfleiſch, das Fleiſch von den Hafenichlegeln, 17%
in Waſſer angelochte, dann in Yutter gebämpjte Zwicheln, at
Sardellen, einen halben Eßlöffel gewürztes Salz, die Abſchane
von 60g getrodneten und in Rotwein und Wafler recht ws
getochten Trüffeln, hade alles zufammen und ftoße e# dexzd
mit 125g recht friſcher Butter recht fein, ſtreiche es durd «ir
Sieb, gebe davon zwei Ouerfinger hoch in die Pafteten-Terws
und brüde es möglihft feft ein, darüber Iege man von den
——— dicht aneinander und Scheibchen von ben or
ochten Trüffeln und mwechäle fo mit den Sagen ab, bis bie Tr
rine gefüllt, oben mit Farce geſchloſſen und alles gut eingerräf!
und die Pajtete nun ganz fertig ift.
Gebratener Hedht. Man ziehe einem fhönen grad
cht die Haut ab, fpide ihn über den Rüden bin *
ed und ftede den Schweif in den Rachen, fo daß er mm
Ring bildet, beftrewe ihn mit fein geftohenem und gefiebtem Bet
brot, laſſe in einer Bratlafierofe reiylih Butter heiß werden wi
tege den Fiſch mit ein paar Gitronenfheiben anf den Baus
hinein, begiehe ihn fteikig mit der Butter, thue zuletzt jaut
Rahm und reichlidh Kapern daran und richte ihm, mit fein
Sauce umgeben, an.
DOftindifher Reit. Dan koche 1z3x gut gewajſchenen
beiten Rarolinareis in reihlih Waller weih, doc jo, dak ?"
Körner ganz bleiben, gieße ihn dann auf einen Geiher und taft
ihn falt werden; doche unterdefien I,k Quder mit einem ftarter
1,1 Wafler, bis er Füden zieht, gebe ihn, wenn er eimas a‘
faltet ift, unter den Reis und danach ein Glas Arak oder Rum,
vermiſche es gut und menge zuleht eingemadhten Ingwer, i*
großen Würfeln geichnitten, hinein und richte in einer Shalt
an, Der Neis darf nicht zu fteif. fondern ſoll mehr mudc
fein, und wenn man Ingwer nicht liebt, jo kann man
deſſen Succade oder eingemadte Dielone nehmen, aud bie Schal⸗
noch mit eingemachten Aprikoſen garnieren, aber das eigentüm ·
lie dieſes Nationalgerichtes geht dann doch verloren.
‚ Quitten»Baijers. Man foce einige Quitten in Waftt
weich, ſchale fie und reibe das Blei auf einem Reibeilen ad,
wiege 375 g davon und thue es in eine Schüffel; fiebe dann 1, k
feinen Quder, ſchlage ſechs Eiweiz zu Schnee umd gebe mir
einen Ehlöffel Schnee und einen Ehlöffel Juder an das Quitten
marf, rühre dies eine Weile, gebe dann wieder einen Ehlöfft
von jedem hinein und fahre fo fort, bis Zuder und Schnee auf“
gebraudt find; füge nun noch die abgeriebene Schale und det
Saft einer Fitrone hinzu, fehe Meine Häufchen auf weißes Pa
pier und trodne fie langfam im einem fehr fühlen Dim
(Röhre), der offen ſtehen muß, denn die Baifers müfen hat
fein, aber weiß bleiben, — Sehr fein.
Schwarzbrottorte Man röfte 125g Schwarjbrot und
ftoße es fein, —8 «8 mit etwas rotem Wein am und laſſe #
ein wenig antrodnen; rühre dann zwölf Eidotter mit 33
fein geriebenem Zuder eine halbe Stunde und füge U, k fein
eriebene, nicht abgejonene Mandeln, etwas abgeriebene Eitronen»
ale. etwas zu Würfeldhen gejchnittene Succade, fein geftobenet
Zimt und Gewürznelten, das Wrot, einen kleinen Guk Are
und zulekt den Schnee von zwölf Eiweiß hinzu, bade die Tori?
etwa eine Stunde lang und ftreiche, wenn fie erfaltet ift, folgen"
den Guß darüber: Dan rübre 125g geliebten Zuder mit einem
Giweiß recht lange und dann 30g fein geriebene Schololade
etwas Gitronenfaft und auch etwas Araf daran. — Schr gu!
und fräftia.
Man koche nd Ghotolade und 158
Wein-Shololade.
Zuder mit einer halben Flaſche gutem weißen Wein, verktapft
jrvei Eidotter mit etwas Wein und gebe fie an die Schofoladt,
auirle dieje bis zum jervieren und laſſe fingerlange und finger
dide geröftete Weißbrotſchnitten, als Scheiterhäufchen geordnet,
dazu reihen, — Bejonders an falten Herbfi- und Winter
tagen, ſehr angenehm.
Praktifhe Hausgeräte.
Neue Plätt» oder Bügelpfanne (Syflen Steffens).
Der voritehend felzzierte neue Apparat ermöglicht es zu jeder Zeit,
wenn Feuer im Kochherde tft, alfo ohne befondere Syelzuorrich-
tung, gleichzeitig vier Plätteifen in ganz kurzer iu — eliva
10 bis 15 Minuten — plättrecht zu erwärmen: dieſelbe wird in
die Herdplatte eingehängt und erſetzt den wwejentlid teureren
—— en, der eine beſondere erung, ſowie Abzugsröhren
edingt; die hierzu gehörigen Plätteifen find, wie beim ſchwedi ⸗
ſchen Plättofen, ohne Stähle oder Bolzen, und fünf folder Eiſen
nenügen, um zwei Plätterinnen unausgejeht befhäftigt zu erhalten.
Die neue Plättpfanne ift ein wirklich nühlicher Apparat, wie das
Cohnſche Magazin in Berlin bereits deren mehrere bier mit
Reue Plätt- oder Dügelpfante.
Erfolg eingeführt bat, fie erſpart die Koſten des — 52
und die nicht minder koſibare Zeit, iſt in der — auber
und wenig umftändlih und der Preis von 6 Dark ermöglicht
deren Beſchaffung aud Meineren Haushaltungen. Der Apparat
it ca. 2355 mm hoch und bedarf für den Herd eines Raumes
von ca. 240 mm, Die Plätteifen werden in jeder gewünſchten
Anzahl geliefert und haben eine Yänge von ca. 155 mm, eine
Breite von ca. 100 mm, eine Stärke von ca. 52 mm und ein
Gewicht von ca. 2,75 kg; der daran befindliche Holzgriff macht
die Handhabung zu einer bequemen. Der Preis eines ſolchen
Eifens ftelt ih auf 4 Marl, jedoch fünnen auch ſchwerere und
größere Eiſen zur Plättpfanne benuhl werden,
Schinfenbeutel und Trleiihneh. Cine fleine Bor
richtung aus Gaje gefertigt, welche man in der Speilefammer,
oder außen an dem Fenſſer, oder
wo es ſonſt paßt, aufhängt, um
dem Inhalt Yuft zuzuführen und
denjelben vor Fliegen zc. zu
ſchüthen. — Der außen befind»
liche verzinnte eiferne Hafen dient
— Anbängen des Beutels, der
nnen befindliche zum Anhängen
des Schintens oder dergleichen.
Unfere Skijje zeigt nun das
rleiichne mit einem hängenden
Iellereinfak verfehen, auf mel
em der Teller mit der Fleiſch⸗
ineife ſich befindet; die eritere
Nusführung ohne Tellereinjah
foftet 3 Marl, die Ichtere 5 Mar.
Die ganze Vorrichiung nimmt
geringen Naum ein, hat eine
öbe von ca. 42 cın und einen
urchmeſſer von ca, 38 cm; fie
erfeht einen Meinen Fliegen ⸗
ſchrank, ift beauem zuſammen ⸗
zulegen und aufzubewahren und
in ber a figerlid)
von großem Nuben.
Schintenbeutel und Fleiſchnet fin. yaieiniihe Schaukel—
adewanne, Die Schau
— elſin » Badewanne iſt im Fuß ⸗
peftell mit eiſernen Schienen verſehen und hat eine ſchaukelattige
Anordnung nad Arı des Schaufeljtubls; fie dient in gleicher Weile
Praftifche Gausgeräte, — Der Photorevolver.
687
fir Erwachſene wie für Alnder, ebenio für ſchwache und franfe
Perſonen, und ber Aufjih, den man mit rg dh und
niedrig ftellen Tann, ermöglicht es, ohne jegliche förperlihe An«
ftrengung ji in bie Wanne bineinzulehen und diefelbe in g
Weiſe ohne Umftände zu verlaflen. Man rubt in der Schaufelfik-
Badewanne bequem wie in einem Seſſel, Rüden und Oberförper
finden in natürlicher Lage an der Nüdlehne ihren Stüßpunft,
und dad Emporbeben oder Aufftühen des Körpers dur die
Aerme fommt in Wegfall, vielmehr ftühen allein die Yüße den
Badenden beim Ein» und Husfleigen. Der Badende verliert
niemals die Gewalt Über feinen Rörper und fann feine Dage
ftets, wie er es wünfdt, ändern, ſowie durch Borneigen bei
Dberförpers die Schautelfih- Badewanne fo flellen, bak «ER
ohne Hilfe aus derfelben, wie von einem Stuhl, erhebt. Die
Konftruftion des Aufſthes verhindert jegliches Ueberſprihen des
Waſſers auch beim Schaufeln, während dieſe Manipulation
anderjeit® die Rörperteile nad Belieben des Badenden befpillt.
Hände und Arme bleiben bei Benubung biefer — ——
wanne vollſtändig frei, und man fann, wenn erforderlich, wäh ⸗
rend des Badens die Körperteile nach ärſtlicher Unorbnung
waſchen, beſprigen u. ſ. w. Der Berbraud an Waller if ein
ungewöhnlich geringer.
Diefer nühlihe Apparat hat am Auffik eine Höhe von ca.
50 cm, an der Nüdichne gemeſſen von ca. 75 om und eine
Breite von ca, 47 cm, Borrätig tft die hygieiniſche Schaufel»
ſij · Badewanne (ebenfo wie die anderen erwähnten Neuheiten)
im Magazin bes tönigl. Hoflicferanten E. Cohn in Berlin SW,
Veipzigeritraße 88, und fofter dajelbit 25 Marl, Die Ber-
padungstoften beiragen 3 Marf.
Der »Xhoforevolver.
Unſern Leſern find fiherlih die faunenäwerten neueren Grs
rungenichaften der Photographie nidt unbefannt geblieben. Eie
wiſſen, das es mit Hülſe der jogenannten Trodenplatten gelang,
galoppierende Pferde, in voller Fahrt beariffene Schnellzuge, ja
den Flug der fo neihwinden Taube photographilih zu firteren,
und daß man hofft, aud bie unenblid; rajchen Flünelbewegungen
der Injelten auf demſelben Wene in ihre Beitandterle gerlegen zu
fönnen. Sie wiſſen aud, daß zu diefen Aufnahmen unter günftigen
Umftänden ber unfaßbar geringe Yellraum von Us Sekunden
genügt, und daß Diefes Aukerft raſche Arbeiten des Sonnenlichts
aud unbedingt erforderlich ift, weil die Aufnahmen fonft uns
deutlich würden,
Legt doch beifpieläweije ein Jagdzug mit 75 Ailometer ſtünd ·
tier Fahrt in ber Schunde 21 Dieter zurüd, jo dab er fid in
der oben erwähnten Grponierungszeit um ctwa 21, Gentimeter
fertbewegt!
Zu diefen Augenblidsaufnabmen dienen neben befonders
gebauten, ſich fonit aber von den gewöhnlichen Aukerlih kaum
unterjcheidenden pbotographiiden Apparaten, jogenannte photo»
nraphiiche Gewehre, mit benen man nah bem auizunchmenben
Gegenitande, 3.8, einem Bogel, zielt, Diele Gewehre nehmen
indelien viel Naum ein und find ſchwer unterzubringen, abge
fehen davon, daß der Zräger Gefahr läuft, von übereifrigen
selohütern, Denen Falbots ſunſt ein Bud mit fieben Siegeln
geblieben, wegen nıdıt vorhandenen Jagdſcheins gepfändet zu
werben,
Air ziehen aus diejen Gründen den neuerfundenen Pho—
torevolver von &, Emjalbert in Paris vor. Der Lauf
dieſes fh Aukerlih von einem Revolver fauın unteridelbenben
Apvarales enthält ein winziges Objeltiv, weldes fih nad Be»
licben verriden lükt, in dem eriten Ringe liegt die flamera,
und es iſt in dem zwetlen Ringe eine Anzahl Frodenplatten von
vier Gentimeter Flaͤcheninhalt untergebradit, welde nacheinander
vor das Objeftiv treten, wenn man den Driider unten in Thätig»
feit verieht. Der Hahn oben hinter der Plattenlammet dient zur
Feſiſtellung des Ninges während der Aufnahme.
Die Bilder find allerdings wegen des geringen Imfanges
an ſich faum verwendbar. (Fa ift indelien ein Leichtes, diefelben
zu Haufe mit Muße jelbft zu vergrößern oder von einem Photos
srapben vergrößern zu laſſen.
Es leuchtet ein, daß ein folder, bequem in dee Taſche zu
tragender Apparat Militärs im Tyelde, Reiſenden und Touriften,
Beitungsberichteritahtern, Sünitlern, die Be eine hübſche Ecene
oder eine Landſchaft ſeſtzuhalien wünſchen, höchſt ſchatbare
Dienfte leiten kann
Nur ihut man wohl, beim Zielen nad) Menjden, den Pho-
torewoluer mit einem Tuch zu bebeden und ibn baburd einem
feinen Fernrohr ähnlich zu machen. Sonſt denten die Leutchen
es teachte ihnen ein Räuber, wenn nidt nad dem Leben, jo
doch nad dem Geldbeutel. und man jeht fib Unannehinlichkeiten
aller Art ous Go, m
87
| by Google
688
Zweiſilbig.
Gib nur erſt die erfte der Silben —
Die lehte an Macht wirkt du werden:
Das Ganze kann dir verleiden
Den jhönften led auf der Erden,
a3 Bum Kopf:-Berdrecden. 2»
Silbenräffel.
au, d, dl, du,e,e,e,er,er,en, fü, fr, ge. au, br,
in, in, it, ma, rd, rt, rch, s, t, te, wi, wo, we, nn.
Aus den obigen Buͤchſtaben und Buchftabenzufammenftellan
laſſen fih 12 Wörter bilden, weldye eine befannte Stebe aus
oethe ergeben.
Sabprintb: Preis: Mäffel.
Bei den jüngiten Ausgrabungen auf klaſſiſchem Boden ift aud das Fundament eines Labyrinths aufgefunden worden, das
in der Relonftruftton eines unjerer eriten Ardäologen etwa nachfolgenden Grundriß zeigt.
Bis gelang es feinem Grlchrten,
1
den Weg durch die verihlungenen Gänge zu finden, und wenn die Wanderungen nidt bloß auf Ts Papier ausgeführt worden
wären, würden die Herren zweifellos einem erſchredlichen Hungertode verfallen fein.
Wir unterbreiten nun unferen rätjelgrübten
Veſern den Grundriß, und um ihnen die Mühe zu verfügen, ſtellen wir auf die Löfung des Rätſels nachſolgend verzjeihpnete Prefie
He Bedingung müffen wir es aber maden, daß der verehrlide Herr Löfer die drei von moderner Hand mit Rebuffen gejierier
enen Felder in richtiger Neihenfolge nadeinander durchſchreite.
Imnnmie
— — 5
=
J
*
Das Labyrinth -Preis ⸗· Ratſel wird nochmals auf dem Umſchlage des erſten Heftes zum Abdruck gebracht werden, damit ?#
den Löſern möglich wird, die Lößung in das Labyrinth einzuzeihnen, um es dann ohne Schaden für das Heft herauszunchmen
und an uns einzufenden. Das Refultat der Verlooſung wird im dritten Heft befannt gegeben. — Alle Ginfenbungen, die bis zum
1. November eingehen, finden Berüdjichtinung.
Preife: 1. Preis: alle, Hellas und Rom (Prahtwerf, M. 70); 2. Preis: Alein und Thomé, Die Erde und ibr
organiſches Leben (2 Bde, M. 33); 3. Preis: Falle, Ilujteierte Koſtilmgeſchichte der Kulturvölter (M. 28); 4. Preis: A. v. d. Elbe,
Seliandfänger (M. 7); 5. Preis: 5 Bände der Collection Epemann nah Wahl; 6. Preis: 3 Wände desgl., ebenfalls nah Wahl.
Rätſel. Auflöſungen zu Heft 11, 5. 576.
Du muht, willſt du mein Wort erſchau'n, Sifbenräffel:: Dortmund, Nachtlager, Mailand. — Berfeh-
Did rätſet: 1. Ur, Uhr; 2. Orkan, Noran; 3. Schachtel, Adtel;
4. Donar; 5, Sur, Zeus; 6, Dder, oder; 7. Schill, Schillet;
8. Nashorn; 9. Donau; 10. Atlas, Salat; 11, Taurien,
12. Auerbach. — Bebus: Macht geht vor Recht. — Stern
arithmogryph: Vaſe, Oboe, Möwe, Fuge, Erde, Loge, Eapr.
Joe, Ulme, Mode, Mole, Ente, Elbe, Rabe: Vom Fels zum
Mer, — Biofinfhlüffefräffel:
zur Himmelshöh” den
erheben ;
Und ſtellſt du feine Zeihen um, o Menſch, dann iſt's das
Erdenleben,
Derfebräffel.
1. Meine Gewäſſer verbinden zwei vielbefahrene Meere;
Gibſt bu für „Fi“ mir ein „M”, führ ich befonderen Saft.
2. Schreibt du mit .r“ mid, fo rag ich empor in tlirfifchen Yanden; |
Schreibt du mid aber mit „n*, rag ich im deutichen Gebiet. |
Wandle das „o* in ein „e* im Namen des großen SHellenen:; |
Ziehe, ein deutfcher Poet, ber in der Freinde veritarb,
. Dres Zeichen nur zählt das Lied voll hoher Veneiiterung ;
Noch ein Zeichen, es raufht als germaniſchet Strom,
. ib dem Sohne der Alpen, dem Tuftinen Vaſallen der Drave
Noch ein Zeichen, er wird in der Oftwelt —— Etrom,
Labe dich froh an den Ickten, dod nie neniehe das Ganze,
Möoͤchleſt fonft werden, mein Eohn, was die erite Deiagt.
Ya aethikEmeg era tems
Pudfkadenrätfel: Freitag, Brod, Baucit, Baljac, Floh, Feb,
Ada, Bug: „Treulih gelihret jiehet dahin“ (aus Lohengrin),
„O du mein holder Abendftern" (aus Tannhäuſer). — Mälfel:
<traub.
[= u 2
=
Shah. — Dr. Karl Ruß. Naturanftalten In der Häuslichfeit.
Schadanfgabe Ar. 8
von Fr. Dnbbe in Roſtock.
(Sdwarz.)
Weiß.)
Weiß zieht an und feht in vier Zügen matt.
Scahaufgabe in Typen. II.
Bon D. Iesperfen in Hiortlumd,
Weiß. Kh4. Täl, g5. Lhl, h8. Sf6, f8, Be5, g3.
Schwarz. Ked. Ld4. SoT. Be4, f5, h2.
Weiß zieht an und feht in zwei Zügen matt.
5chachparlie Air. 3.
(Faltbeer-Gambit.)
, Diefe Partie, welche ſich namentlih durch den überaus
glänzenden und unerwartet rapiden Schluß ausjeihnet, wurbe
zu Breslau in der erften Hälfte der Goer Jahte von Meifter
Anderfien genen einen feiner talentvolliten Schachſchüler, den
jetzigen Proſeſſor Rofanes gejpielt.
I. Roſanes. wnoiye Ünheefjen
Weiß. chwarj.
1.0o27- ei eT—eb
2.12 — fi drT—d5
3. et — d3: e5 — 44
4. L/1-b: + ceT — c6
5.d5 — ch: Sb8B — 06:
6. 8b1 — cd Sg8 — 6
7. Dali — e2l LIsS — c5
8. 803 — e4: Rochiert.
9. Lb5 — 06 b7T—c6:
10, d2 — d3 Ti8— es
11.Le1— d2?2) Sf6 — et:
12. d3 — o4: Le8- fs
13.04 — 05 Dds-— be
14. Rodiert 9) Lc5 — 44
15.02 — oc Tas — b8
16. b2 — b3 Te8 — ds!
17.85g1 — f3 5 Dbe — b3:!
18, a2 — b3: Tbs — b3:
19. Ld?2 — el Ldi—e3+
20. beliebig. Tb3 — b1 matt
Grläuterungen: !) Vorzuſiehen war 42 —d4. 23 In
Betracht fam Los — f5. 9 Die RMochade ſcheint alles ficher-
zuftellen, man beachte aber die Schnelligkeit, Eleganz und große
Feinbeit, mit weldger der Rachſiehende den Gegner überwältigt.
Sifuxe von Wr. 7.
1. Les — 44 e4 8
2. La4 — 02 16 — e4:
3. Te3 — c3: beliebig
4.12 — e3:, Te3 — f3: matt.
ss ze esse
689
Dafuranfalten in der Häuslichkeil.
Dr. Karl Auf.
3. Stubenvögel, Allgemeines.
Viel weiter verbreitet und viel tiefer ins Bollsleben ge-
drungen, als man anzunehmen pflegt, ift die Liebhaberei für die
Stubenvögel im allgemeinen. Wie jollte es auch anders jein —
worin lönnte der Großftädter zwiſchen den ftarren Mauern einen
Erſatz für die Naturgenüffe, welche er entbehren muß, anmuten ⸗
der und befriedigender finden, ala im NYubelliede feines hodh«
begabten Lieblings, als in dem jyamilienbilde, weldyes ein Pärden
geitderter Gäjte vor feinen Bliden entfaltet?! Nicht minder
wertvoll zeiat fi) der Vogel ala Stubengenofje für den Sand»
ee denn eimerjeits ift ein folder als Hausfreund und
Genoſſe aud für den allerärmiten Dann zugänglih und ander«
jeits hält ber Vogel in Gejang, — und Bewegung auch in
der rauhen Jahreszeit gewiſſermaßen ein Stücchen te ar feft,
welches er feinem Pfleger um jo wohlthuender entgegenbringt, je
eifiger es draußen ftürmt und ſchneit. Darin alſo ijt die Nei«
gung für die uns umgebende gefiederte Welt tief begründet.
Es iſt förmlich rührend, zu jchauen, mit welder innigen
Liebe der einſache Handwerter feinen Fink, feine Meiſe oder feinen
Zeiſig verpflegt, mit weldyer Aufopferung dieſer feinen koitipieligen,
edeln Serbtierfrefier, einen Sänger eriten Ranges, Nachtigall,
Sprofier, warjplältden u. a, hält, mit weicher fait krampf ⸗
haften Sorgjamfeit jener feine feiniten Harzer Kanarien über«
wadht, mit der einer den Lieder pfeifenden ‚gelernten‘ Gimpel be=
wabrt, der andere ein Pärchen kleine Pradtfinten zu züchten fucht,
der dritte eine ganze Vogelftube mit allerlei tropiſchem Gefieder
unterhält, der vierte einen ſprachbegabten Papagei eingewöhnt
und dann abridtet u. J. w.
Selbftverftändfih muß ich in diefen Anleitungen die ganze
— 7 aller folder Neigungen berücſichtigen und aljo dem
mannigfaltigen Geihmad auf diejem weiten Gebiet nad allen
Seiten bin Rechnung tragen, und von diefem Gefihtöpunlte aus
bitte ich zunächſt die folgenden Natichläge fir die Behandlung
und Pflege der Stubenvögel im allgemeinen beadten zu wollen.
Bor allem follte jeder, der irgend einen gefiederten Gaſt an-
uſchaffen wünfdt, Pepe prüfen, welde Art aus der wahr ⸗
haft unermehlichen zu Gebote ftehenden Mannigfaltigfeit der eins
heimiſchen und fremdländifdgen Stubenvögel fi für feine Wer
hältniffe eignet, bjl. feinen Anforderungen entipridt. Am u
diefem Ziel zu gelangen, gibt es aber nur einen Weg, das iſt
das Streben nad möglichit gründlicher Kenntnis der in Betracht
tommenden Bögel. Die lektere ift au nod von einem anderen
Gefihtspunft aus erforderlih, nämlich dem, dak wir einerjeit#
nur dann die rechte fyreude an dem Vogel haben fönnen, wenn
wir ihn in feinem ganzen Weſen, nad allen jeinen Eigentümlich«
feiten und Zeitungen bin fennen, und anderjeits, daß wir nur
dann die Ausfiht haben, ihn für die Dauer am Leben und ge
fund zu erhalten, wenn wir von allen feinen Bedürfniſſen unter
richtet find und diejelben nicht allein mit Sorgfalt, jondern auch
durchaus naturgemäg zu befriedigen vermögen.
Beim Cinfauf eines Vogels haben wir aber nächſidem not«
wendigerweile darauf zu adten, daß er vor allem geiund und
tebenstäbig in unferen Befih gelange und jur Beurteilung feines
Zuftandes müflen wir ihn daher auf folgende Geſundheits—
jeihen prüfen. Er muß feine natürliche Lebhaftigleit und wenn
möglid ein glatt und ſchmud anliegendes, keinesfalls aber am
Unterleib beihmuhtes Gefieder, klare und lebhafte, nicht trübe
oder matte Augen, nicht ſchmutzige oder verllebte Nafenlöher und
feinen ſpitz bervorftchenden Bruftfnoden haben; er darf beim
Stilfiken nicht furgatmig fein. Abgeſtoßenes Gefieder, fehlender
Schwan; und beihmußte Federn an verihiebenen Nörperteilen
find freilich die leidigen Zugaben, welche die Gefangenidait fait
allen fürzlih eingeführten oder vom gem: fen Vögeln
gebracht bat; wenn dabei aber alle Gejundheitslennzeihen im
übrigen vorhanden find, jo dürfen bie erjteren nicht als gefahr»
ia 7 angejehen werben.
ine Hauptbedingung für das —— aller Stuben ·
vögel liegt in der zwedmäßigen Einrichtung ihrer Wohnungen.
Wenn man auf den Ausſtellungen oder in den Berlaufsläden
' der Nadler die vielem finnlos eingeridteten, ja teilweile jogar
tierquälerifchen runden polierten, mit unzähligen Schnörfeleien,
GErferdien, Türmchen u. dgl. ausgeftatteten, wohl gar in funft«
voller Yaubjägearbeit bergeftellten Käfige fieht und den fyabri«
fanten Vorwürfe madıt, jo haben fie den wohlbegründeten Gin»
wand, dak das Publikum diefelben durchaus im folder Weile
haben will und alle anderen, zwedmäßigeren ungelauft läßt.
Im neuerer Zeit ift es zwar ſchon etwas befler geworden, denn
wir haben in den meiften großen Etädten Häfigfabrifen, welche
690
rmlid darin wetteifern, zivedentiprechende Bogelbauer ur
ham ; aber das Beſſere auf diefem Gebiet vermag nur be
ordentlih langjam ur Geltung zu gelangen, weil einerfeits nur
zu vielfach das Verständnis fehlt und weil anberfeits leider nur
au oft das Hubſche dem Zaugliden vorgejogen wird,
Fin auter Bogelkäfign, gleicviel für melde Bemohner-
ſchaft, muß vor allem folgenden Anforderungen entipreden. Gr
biete genügenden Raum, jo daß die Vögel fih ausreichend bes
wegen fönnen, Bei allem Heineren Gefieder ift dies unſchwer
zu erreichen, bei großen Vögeln, bejonders Papageien, ift es aber
faum möglid und man muß daher in anderer Weile, auf die
id weiterhin zurüdtommen werde, Abhilfe icaffen. Sodann
halte man an dem Grundſahz feit, daf jeder Vogelläfig eine mög-
lichſt anſprechende Korn haben muk, wohlverjlanden aber, ohne
daß er baburd an feiner bequemen Einrichtung Abbruch erleidet.
Man wähle ſiets einen Häfig, welder mehr lang als tief und
hoch und oben fanft gewdlbt oder auch vieredig ift. Ausbuch-
tungen, welde zur Yierde dienen, von den BWögeln aber nicht
benußt werben fönnen, fondern nur Raum rauben, follte ein
guter Käfig niemals haben, ebenſowenig Schnörteleien und andere
derartige Überflüffige Verzierungen. Echmud ift immerhin wills
fommen, feinenfalls aber darf er auf Koften ber praftifchen
Prauchbarfeit angebradt fein, Man zieht meiftens Stäfige vor,
welche ganz von Metall find, dod in gewiffen Faullen zeigen ſich
auch Holzlafige als vorteilhaft, immer jollte jedoch wenigſtens
die Schublade aus Binkbled gefertigt fein. Der Eodel jet flets
möglidit hoc, ‚damit der Vogel lein Futter hinauswerfen und die
Stube verunreinigen fann. Die Schublade muß leicht ein» und
ausjhiebbar fein und eine herabfallende Slappe haben, welde
die Oeffnung verſchließt, wenn fie zum Reinigen herausgenommen
wird. Die Erferdien oder fonjtigen Räume, in denen die Futter»
und Wafjergefäße ftehen, dürfen keinenfalls dunfel, fondern müffen
recht Hell und audy für die ſcheueſten Vögel leicht auffindbar fein,
Je nach Geihmad darf man ein rundes, maſchiges oder gitter-
artiges Dradigefiecht wählen, doch ſoll dasjelbe ſtets jo eng jein,
baf der Vogel nicht den Kopf hindurchzwängen fann, und das
erftere muß auch ſtets gut verzinnt werden, damit er nicht mit
den Arallen irgendwo hängen bleibe. Zum Anſtrich ſoll man
nur Yadfarben nehmen, welche jo feit und glatt antrodnen, daß
die Vögel nichts davon abnagen fünnen. Dunkle Farben find
vorzuziehen, weil fie die Bögel beffer für das Auge hervortreten
lafjen. Die Eikftangen jollen von weichem leichtem Holz, nicht
aber von Hohe, Hollunderzweigen oder dergleichen angefertigt fein,
weil in den fehteren ſich nur zu leicht Milben einniften ; fie bür«
fen nicht zu dünn fein, fondern der Vogelfuß muß fie eben nur
umſaſſen fönnen, und am beften bringt man für jeden Aäfig
didere und bünnere zunleih aus friihgeihnittenen Zweigen von
Shitbäumen, Birken, Buchen u, a. an, welde von Zeit zu Zeit,
je öfter deſto beffer erneuert werden. Man lege die Sitzſtangen
nicht übereinander ein, damit die unteren nicht von den oberen
herab verunreinigt werden lönnen; aud müſſen jie lets zwei bis
drei Finger breit von der Häfigwand entfernt bfeiben, weil ſich
ſonſt die Vögel die Ehwänze zerftoßen. Jeder Häfig fei fo eins
gerichtet, dab er leicht und vollftänbig gereinigt werben fann,
Die frutters oder Zrinfgefäße feien immer nur aus Porzellan
oder Glas.
Nächſidem bat der Vogelfreund mit möglichſter Eorafalt alle
Einflüſſe zu vermeiden, welde für die Erhaltung und das Wohl»
edeiben * Pfleglinge verderbenbringend werden lönnen; als
olche find zu nennen: Zugluft, plötzliche und ſtarke Wärme ⸗
ſchwanktungen, Naßlälte, verdorbene, mit Dunſt oder Qualm er ⸗
füllte Luft und Unreinlichteit. Wenn ein wertvoller Vogel, ein
iprechender Papagei oder dergleichen, troß der jorgfamften Pilene
dennoch erfranft und zu Grunde acht, obne dak man eine Urfache
aufzufinden weiß, jo liegt diefelbe vieleicht trohdem recht nahe,
darin nämlih, daß fein Häfig an einer Stelle ftebt, wo die bei
jedem Oeffnen der Thür aus dem külteren Rebenzimmer berein«
trömende Luft ihn trifft ; ja es ann ihm ſchon Starken Schnupfen,
alt» und Lungenentzündung bringen, wenn die Verforgerin im
inter aus einem ungeheizten Raum fommend raſch herantritt,
jo daß in der gleihmäßkig warmen Stubenluft plöglidy eifige Hälte
aus ihren Kleidern ihm entgegenwebt. Des Morgens beim Rein-
machen der Zimmer droht allen Bögeln, namentlich den zarteren
Prachtfinken und Papageien, feiniten Aanarien u. a. Gefahr, ohne
daß die liebevollen Pflegerinnen nur daran denken. Durch dad
Aufrühren des Staubes, das Wilden und Waſchen und das plöh-
liche Srfinen der Fenſter werden Naßlälte, Zugluft und Wärme ;
ihmwankungen hervorgebracht, welche ſchon den Menſchen Under
bagen, Schauer, Erkältung, Schnupfen u. f. w. bringen und er
flärlicherweile auf die Tropenvögel erft recht verberblid einwirken.
Vor dem allmorgentlihen Reinigen und Yüften der Zimmer jollte
man daher alle Sing. und Echmudvögel ftets in eine andere
Stube bringen, oder wenn ihre Käfige dies nicht neitatten, die
—* wenigſtens während deſſen mit dichten Deden ſorgfältig
chutzen.
Berlin, Freund & Jeckel, 1884.
Neue Bücher.
Im übrigen hat bie Erfahrung längſt ergeben, daß feh «-
unfere Stubenvögel keinetwens beſo n ders hinfällig find: ben Im
famer Pflege erhalten fih die einen zierlihen Pradıtfinten vor
Afrika, Afien und Auftralien zehn Jahre und weit darüber vi.
aus und gleicherweile die einzelnen Sänger vortrefflich im Kine
mande Papageien erreichen befanntlich ein Haunenswert bots
Alter und jelbft von den ala äußerft zart und weihlih ame
fehenen Bogelgattungen bat es fih im Ichlerer Zeit eram.,
daß fie bei verftändbnisvoller Pflege gar nicht fo leicht fierben.
mus nur überhaupt gefund und Ichbensfäbig zu uns pr
angt find.
Es ift jelbitwerftändfich, daß ih nach Diefer allgemeinen Ui"
fiht nun nähere Anleitungen für die Pflege der Angböria
aller einzelnen Vogelgruppen geben werde, und beiläufig ja =
der Hinweis geitattet, dak ich in denfelben auf die Darftellungs
in meinem Handbuch für Vogellichhaber” I. (frembländis
Vögel), II. teinheimiiche Bögel) und in dem größermn
„Die frembländifhen Stubenvögel“ IV. (Lehrbuch der Etuter
vogel · Pflege, ⸗Abrichtung und · Zucht), welche beide im Greusisn
Verlag in Magdeburg erihienen find, Fuße. Wer ſich alio us
näber über all dergleichen unterrichten will, fei auf bieje Base
bingewieien.
Mene Wücher.
Dichtungen und Balladen von Ernft v. Wildendrul
Unter diefem nicht ganz glüt
lich gewählten Titel (find Balladen etwa Feine Dichtungen"
hat der rajch berühmt gewordene Dramatifer abermals eine wır»
volle Gabe geboten. Die Heine Sammlung enthält ein jhmung
voDes und geihidt aufgebautes „mufitaliibes Drama: „Dam“
in der Löwengrube* und 12 Balladen, die nicht ale gleihwertu
' find, unter denen aber einige Perlen für die geringere Wirtur
der Übrigen entihädigen; wir nennen an erfier Stelle „Tr
Tochter des Inta“, eine Ballade, die in fünf Abteilungen em
erjchütternde Tragödie an uns vorüberzichen läßt, und das iv
reit# früher (in „Nord und Süd“) veröffentlichte Herenlied
Kürze, Araft und dramatiſche Bewegtheit machen Diefe beide
Stüde zu einer wertvollen Bereicherung unferer Balladenlitteratur
Einzelnes von den anderen Dichtungen wäre befier fortgebliehe
und bat nur als Buchfülljel Berechtigung.
Ausgewählte Gedichte von Wolfgang Kirhbadı. Leim
W. Friedrih, 1883. Hirhbadh, der geljte und phantaitewel‘
Verfafler von „Salvator Nofa* und der „Ninber des Reid
zeigt in diefer Samınlung auch als Lyriter feine Urwüchſigten
‚ und ein fühneb Wandeln auf unbetretenen Bahnen. Er ift feine
von denen, welche ftels von neuem ihre jelbitzufriebenen Liedchen
von Frühling und Liebe trällern oder ſich in das Mastenfofur
verichollener Yeiten vermunmen; er ift ein moderner Menjh tu
beiten inne des MWorts, in weldem ein mächtiger, gänmbt
Idtengehalt nad Form und Geftaltung ringt.
Dies Bud) ver
langt denfoillige Yeier; aber ihre Mühe wird belohnt, tmden
ihnen eine grokartige und eigenartige Auffaſſung von Natur und
Leben teils in feierlihen Humnen, teils in nediſchem Humor em"
gegentritt. „Götter und Geftalten" und „Der neue Hiob* fin?
wobl die bedeutendften Abjchnitte des Buches; in den „Saturse
zeigt Slirchbadh aud, dak er das Zeug zum GFpigrammatiter i1
fi hat. Den Schluß bildet eine größere Dichtung „Die feligen
Faune“, ein reijend phantafievolles Märchen, nicht ohme Jatirilät
Epiten und Tücken.
Nordifche Melodien. Gedichte von Rilolai Baumbas.
St. Petersburg, Fridfon, 1883, In diefen Rordiſchen Melo
dien“ fteilt ji uns N. Baumbad als cin recht beadptenamerter
Syrifer hin. Sie find von Empfindung und Wärme, edel_st
halten in der Form und ein reiches, tüdhtiges Innenleben ein
barend. Man fan ed nur mit Sympatbie begrüßen, dab au‘
fo weit entfernt vom eigentlichen „Deutiden Dicytermald” di
Pflege deutiher Dichtung in würdigen Händen liegt. Das Bud
iſt auch äußerlich ke ausgejtattet.
Sdllehlich möchten wir auf ein Meines belehrendes Seit
aufmerffam machen, welches Blumenliebhaber nicht ohne Nuke"
' durdleien werten: „Mitteilungen ded Riubé für Pflanzen
zucht im Zimmer.“ Wien 18584, Im Selbfiverlage des Alubt;
(Zefretär des Aube: Hugo Nörbe. 1. Be. Nolowratring! ©
Dasjelbe gibt auf zwei Yidhtorudtafeln die Bilder von einem
beizbaren Blumentiip mit Glastaften, einen Vvermehrungelagen
u. a., ſowie einige beherſigenswerte Andeutungen über die
handlung der belicbteften Yimmerblumen und Pflanzen.
würden mit großem Intereſſe jahlreihe Fortiegungen
„Mitteilungen“ in die Hand nehmen,
Be
geir
ſolchet
Pr Der [uftige Sefellfchafter 88
(Freiwillige und unfreiwillige Mitarbeiter willtommen!)
Xus der 5chule.
—* (in der Geographieftunde): „Und wenn Sie nun
von Mainz den Rhein binunterfahren, da fehen Eie was, was
fo zwiichen den bewaldeten Bergen hoch hervorragt (meint das
neue Deutmal auf dem Niederwald), was ift dad?“
Schüler: „Das Binger Loch.“ (Allgemeines Hallo!)
“
Finem Dichter ins Album.
Schaff', Dichter, deine Werke, wenn die Stimme,
Die innre, dich gewaltig dazu treibt;
O5 fie dem Hinz, ob fie dem Kunz gefallen —
Was kümmeri's dich? Lab! dünken es dich gleich;
Woltit du nad jedem neu geſchriebnen Bude,
Um Beifall beitelnd, Stimmen fammeln gehn
Und jeden fragen: „Macht' ich's dir auch recht ?*
Zu neuem Schaffen blieb’ dir ja nicht Zeit! —
s
Huf motiviert.
Student (zu einem Fremden): „Wenn es Sie intereifiert,
eine Menfur mitanzufchen, bin ih gern bereit, Sie zu führen.
Es wird heute in einem Wirtshaufe, faum eine Halbe Stunde
vor der Stadt, geichlagen.*
Fremder: „IH danke, ich bin Metger!*
2
Stoffeufzer im Februar.
Donnerwetter! Die ganze Zeit war milde Witterung, jo
daß id) denfe, der Winter ift vorbei. And faum habe id) den
Ueberzicher verfeht, jo wird's wieder falt.
*
„Einſam bin ich nicht alleine.“
Neiſender: „Schaffner, ic möchte allein jein!*
Schaffner; „Bitte, fleigen Eie nur bier ein.“
Reifender: „Da fiht ja ſchon ein Herr drinnen?“
Schaffner: „Ja, der will auch allein fein.“
>
Grafuliere !
wei ältere gerne begenneten ih einft in Zepfik auf
* Promenade, begrüßten einander und begannen folgende Unter
altung:
Baden?” fragte der Eine.
„ZTrinken!* jagte der Andere,
„Militär?"
„Magnat!*
So — fo!*
RER
„König!“
„Ay — fo: gratulier'!”
„Adien —!”
„Unterthänigiter Diener!”
Giner der ſehr einfach getleideten Herren war der Slönig
—— Wilhelm IH. von Preußen, der andere, ein reicher
eundherr aus Defterreih. Beide hatten die Gewohnheit, ſich
ſehr kurz zu fallen. S
Unter And!
Welches Tier kann am meiften Kälte ertragen?”
„Der Floh! Denn er läuft im Winter bei der größten
Kälte im Hemde herum.“
Xu!
A: „Was ift die neueite Konferve?"
B.: „Ein gemadter Dann,” (Titel einer neuen Jacobjon-
ſchen Pofie.)
Ubi bene ibi patria.
Auf der Grenze zweier Dorfgemeinden ward der Leichnam
eines Handiverfäburichen nefunden, und zwar lag derſelbe jo,
dak die Beine auf dem Gebiete der einen, der Kopf auf dem
Gebiete der anderen Gemeinde lag. Beide Gemeinden weigerten
fi, den Peichnam aufzuheben, bezüglich zu beerdigen. Wad)
längerem Wortwedhiel jagte der Gemeindevorjiand der Gemeinde,
auf deren Gebiete der Kopf Tag, zu feinem Gegner: „Den Leid
nam habt ihr zu begraben; denn ‚Ubi bene ibi patria‘ wo
die Beene find, da iſt das Vaterland,“
5
Beifgemäße Fiebesbezeugung.
Un alle Anſchlagſsſänlen möcht ich's lleben,
Der Rohrpojt zur Befördrung geben.
In alle Telephone möcht ich's Jingen,
Ya durd Ballonpojt weiter bringen,
Die Phonographen ſollten's wiederholen
Bon Aria bi zu den Polen.
Durch Nebelbörner möcht ich es verbreiten,
Dein ift mein Herz zu allen Zeiten.
s
Allerlei infäle.
Es ift unmöglid, den geh vieler Leute anders zu er»
weitern, als daß man fie auf einen Berg ſchidt.
Mancher fühlt fi) auf hohem Berggipfel über feine Mit
menfchen erhaben und bedenkt nicht, daß cr auf dem Rüden eines
Eſels dahin gelangt ift.
Es gibt Leute, welde did um Auftlärung bitten, nur um
dic belehren zu fönnen,
Grofe Sperren verſprechen ojt und hinterher erfährft du, daß
fie ſich nur verſprochen haben.
Man trifft Leute, denen die Fähigkeit, ſich kurz zu faflen,
durch zu langes Schreiben verloren gegangen if,
Die Eitelkeit nimmt, fowie die Augenihwäde, in der Regel
mit den Nahren zu.
Wer dem Eitlen den Star ftidht, muß fih darauf gefaßt
machen, nicht als Operateur, jondern als Dlörder ausgerufen zu
werden,
Viele Menſchen wiſſen nicht, was fie wollen, und wenn fie
ed wühten, wollten fie es nicht.
Eine eigentümlidie Täuichung ift darin gelegen, dab man
unter den Fehlern feines Mimenſchen im der Regel die eigenen
für die fremden hält.
Das verhängnisvole Telephon.
Herr P. hat in einer Meinen Provinzialftabt ein Danufalturs
warengeihäft. Wor einiger Zeit reift er nad Berlin, um fein
Lager zu vervollftändigen.
Nachden in einem bedeutenden Engrosgeſchäft groke Finfäufe
gemacht, wird er von dem Ghef ber Firma eingeladen, bei ihm
u mittag zu fpeifen. Gere P. nimmt danfend an. Rach Tiſche
ſuen der Hausherr feinen Gaſt durch die eleganten Wohnräume
und zeigt ihm auch das Telephon, weldes die Privatwohnung
mit den Lagerräumen verbindet.
Herr P. hat noch nie ein ſolches Inſtrument geichen, der
Gebraͤuch wird ihm erlärt und nun kann er ber Berjudung
nicht widerftchen, dasjelbe prattiſch zu probieren. Er tritt daher
heran und ruft: „Eind die Waren für Herm P. ſchon verpadt
und erpebiert ?*
Sofort erfolgt die Antwort zurüd: „Nein, wir müflen und
nod näher ertundigen, er ſoll ein fauler Hunde fein!*
Landezübliches Tableau!
s
Mifitärifhe Wangfrage.
Unteroffizier: „Schulze, was ift ein Gefreiter?*
Schulze: „Der höhere Grad von Gemeinbeit.*
692
Salon: WNagie.
Bon Alexander. ')
Eine überraſchende Erjheinung. Nimm ein unge
fähr vier Fuß langes Band von einem Zoll Breite, oder ftatt
deſſen einen Papieritreifen von gleicher Lange und Breite, füge
aledann die äußerften Ende zufammen, jo daß du badurd einen
großen Ring erbältft, beobadte aber dabei, dak du unbemerkt
dem Bande in ſich eine einmalige, aljo halbe Umdrehung gibft,
ehe du die Enden zufammenfilgit. Ie länger das Band ift, um
fo weniger wird dieſe Umdrehung bemerfbar fein, fyrage nun,
wie viel Ringe entjtehen würden, wenn bu vermittelft der Schere
das Band der Länge nach wieder zerteilft, und man wird allge-
mein der Anficht fein, dab alsdann aus bem einen, zwei Ringe
entiteben, was jedod falſch iſt, da du auf diefe Weife nur zu
einem großen Ringe gelangt.
Wird das Band, ehe es zufammengefügt wird, vollftän-
dig, nicht halb, umgebreht, dann in erwähnter Weiſe zer
ſchnitlen, fo erhält man zwei Bang die ineinander hängen.
Vermehren des Geldes in einem Hute Cs erfor
dert immer einige Uebung, einen Thaler oder jonftiges Geldftüd
in der Hand fo zu verbergen, daß es fcheint, als ob die Hand
leer jei. Zur oberflädhlidyen Kenntnis jei bier nur erwähnt, daß
dies in der Weiſe erreicht wird, daß man auf dem Jeige ⸗ und
Mittelfinger, von dem Daumen gehalten das Gefdftiid ruhen
läßt, und dasjelbe im Augenblide der Bewegung zur anderen
Hand, in die innere Fläche der Hand gegen den Ballen des
Daumen? feildrüdt. Dem jüngeren Dilettanten, der noch nicht
im Befibe einer joldhen Fertigkeit jein wird, wollen wir zur
Ausführung des nacdfolgenden Aunftftüdes ein anderes Mittel
an die Hand geben, um den Mangel — Fertigleit in etwas
zu eriehen. Gin Mark oder Zweimarkitüd wird am Rande
mit einem Meinen Loche verjehen, durch welches ein ftarker ſchwarj ·
feidener Faden gezogen und an dem Gelditüde befeftigt wird.
An diefem Faden wird 4-5 cm von dem Rande dei Gelbitüdes
eine Schlinge gemacht, welche dazu dient, über den Zeigefinger
geihoben zu werden, fo daß das Gelpftüd in der Hand hängt
und jeden Augenblid zwiſchen dem Zeigefinger und Daumen
gezeigt werden fann. Alsdann nimmt man in die linke Hand
eine Anzahl, je ng je befier, 3. B. Zweimarlſtüden, erfaht
dann einen Hut in der Weife, daß die mit Geld nefüllte Hand
fih innerhalb des Hutes, der Daumen auferhalb über ber
Krempe desjelben ſich befindet. Man kann auf dieſe Welle das
innere deb Hutes zeigen, ohne das unter der Hand befindliche
Geld bemerkbar werden zu laſſen. Aledann hält man den Hut
herunter und macht mit der rechten Hand eine Bemwequng in der
Luft, als ob man ein Geldjtüd auffinge, zeigt die an dem Faden
befindliche Münze und gibt fidh den Anfhein, als ob man die.
felbe in den Hut werfe, während man zugleich den Rüden der
and zu den Zufchauern wendet, um das Oeldfiüd au verdeden.
Im felben Augenblide läht man aber eines ber unter der linfen
and gehaltenen Geldſtüce, weldes man bereitd mit dem einen
—— von den übrigen abgeſondert hat, in den Hut fallen,
was deutlich vernommen wird, namentlich wenn ſich erſt einige
Geldftüde in dem ver befinden. Mehriah wird dies Kunftitüd
dadurch noch achoben, dak der Ausiührende unter der Weſte
eine Art Rejort, ein länglich flacher Kaſten von Blech oder dergl.,
verborgen bat, welder geitattet, fletd nur einzelne Thaler une
bemerkt in die Hand fallen zu laflen, jo dab man alſo fihtbar«
lich ab und zu ein Geldftüd in den Hut kann fallen lafien, wo⸗
durd die Täuſchung Sehr erhöht wird. Viel fommt auf bie Art
und Weife der Ausführung an, doch muß es jedem überlaflen
bleiben, die richtigen Geſtikulationen und Weifen felbit ausfindig
ju machen, da der Raum nicht neftattet, hier detailliert darauf
einzugehen. Will man dem Aunſtſtüd noch die Nebenabwecht ⸗
lung geben, jo verihaffe man ſich nod die Meſſerklinge eines
Iajhenmefiers, welde in eine ſcharfe Nadel endet; nun gebe
man an, erit ein Loch in den Hut jchneiden zu müffen, um die
2) Bol, paz. 469 diefes Bandes,
Salon: Magie. — Aus der Technik.
Geldftüde auch von unten durchpaſſſeren zu laſſen, führt ze
diefem Zwed ein Taſchenmeſſer in den Hut. während man zuales
unbemerft von außen die oben erwähnte Sllinge mit ber Nam
in den Hut geftedt hat und diefe von innen bin und ber bemest
Desgleichen fann man nachher die Hälfte eines Durbichmittener
Thalers ebenfalls mit einer Nadel verjehen, von außen on ben
Hut fehfteden, und thun, als ob derſelbe nicht vollſtändig durs.
nedrungen fe. Das weitere wird jeder Dilettant ſchon aus
findig machen.
Aus der Technik.
Berfahren zur Uebertragung bon farbigen ober
ihwargenZeihnungen aufeineebene oder belirbis
getrümmte Fläde von Henry Abbott & W.CG. Gar
riffon. Die Zeihnung wird vertieft auf eime Blatter ven
Metall, am beiten Kupfer, eingraviert unb Dann mit rare fa
lange beftreut, bis ale Bertiefungen volllommen mit berielde
ausgefüllt find. Nachdem Hierauf die nicht vertichten Strlen
farberein gemacht worben, wird die Platte mit Flüffigem Htolobiam
libergofjen. Zur gleihmäßigen Verteilung des Hodiums mei
die Platte bis zum XTrodnen deöfelben durch eine entiprhme
Borrihtung in horizontale Richtung gedreht werben. Wisdam
wird das 9 gebildete Häutchen von der Platte nelöft, indem
man bieje einige Minuten horizontal unter Waſſer taudt. Run
mehr iſt die Zeichnung feit auf das Kollodiumhã utchen übertragen
und bat man nur nod nötig, dieſes auf die betreffende lebe
tragungsflädhe mittels eines wafierhellen Mebftoffes, als Gelatine,
Zuderlöfung oder dergl., aufzufleben, Das Kollobium entfernt
man jebt leicht durch in Alkohol gelöften Actber. Die dann auf
der Flaäche nachhaftende Deut fann man durch lleberpiniela
von jFirnis oder lad nod dauernd feftlegen. AR die Yeidmung
auf Porzellan oder Glas übertragen worden, jo bat nod ca
Ginbrennen der Farben zu geſchehen, in welchem alle cin vor
bheriges Entfernen des Kollodiums nicht erforderlich ift, Da ih
dieſcs beim Brennen von felbit verflüchtigt. Das bier dargefielte
Verfahren erſcheint fo einfadh und leiht außführbar, dab man
faft geneigt ift, an das Ei ded Holumbus zu erinnern.
Borridtung zur Tontinuierliden Abfüblung
von fFlüffignkeiten. Der Direltor der ftädtifchen Wafier
onjtalten zu Düfjeldorf, Her Friedrich 38 bat cınen
Apparat konftruiert, welcher, in beliebiger Größe berftellbar, zur
Abkühlung jeder vorlommenden Flüſſigkeit ohne Anwendung von
Eis verwendet werden kann. R
Die Einridtung diejes Apparates ift folgende: Ein Behälter
(A), am beten von chlindriſcher Form, erhält in entipredender
Entfernung von unten einen vielfach durchlochten Boden (1, anf
welchen fauber gereinigte Scherben, Steine oder hnliche Gegen⸗
ftände derart gefüllt werden, dak ſowohl Yuft ala aus je
Flüſſiglelt zwiicdhen denfelben freien Durchgang finden fünnen.
Unterhalb dieſer Bodens find in die Wandung des Behälters
arobe Luftöffnungen m, a, angebradt und direft unter dem Wo
den befindet fich ein Raum zur Aufnahme der abgefühlten Flüffig
feit, welche von bier durd ein Rohr abgeleitet werden fann.
Oberhalb und zur Seite des Behälters ift mit demſelber
eine Pulfions- oder Aipirationsvorridiung (P) (ein einfader
Ventilator genügt) in Berbindung gebracht, mittels deiien ein
tontinuierlicher Zuftftrom, wir
durch die Quftitriche angegeben.
dutch den ganzen Behälter cr»
zeugt wird. Durd das ſeh
neihloffene obere Ende de
Vebälters gebt ein Roht mit
niehlannenartig durdbohrtem
Ende, durd; welches die adyu
füblende Flüffigfeit eingela
wird.
Sobald dies geſchieht und
zuglei die Wentilationzvor-
richtung ſaugend in van gr
feht wird, fidert die Fluͤſſiglent
langiam und fein verteilt durd)
die Ywildenräume der Ful ·
lung nad unten und begeanrt
dabei drm von unten mad
oben ftrömenden kalten Luft
u. wodurch eine erbeblidr
one beiwirft werdes
muß.
Drer geihilderte Apparat ift durdaus einfach und jedenfaDd
ohne große Noften zu beihaffen, fo daß bderielbe vorausfidtid
Neue Mufifalien, — Der geftirnte Bimmel im September. — Cudwig Richter f.
überall da, wo @is nicht leicht zu beſchaffen und zu bewahren
iſt, ſowohl in größeren Geidhäftsetabliffements als aud in klei ⸗
neren Hauswiriſchaften als nütliches Gerät willtommen geheiken
werben wird,
Berfahren, Eifenbabnrädervon Papier herju—⸗
ftellen. Seit einigen Jahren verfuht man, Eiſenbahnräder aus
Papier geiertigt anzuwenden, wie es den Anfchein bat, auch mit
autem Grfolg. Nur hat fid bisher das Berfahren, derartige
Räder berzuitellen, nod als jo ſchwierig ergeben, daß die dafür
verwendeten Koften die mit dem Gebraud derjelben verbundenen
Vorteile faft ganz wieder aufhoben. Mit Freuden wird daher
ein von Here Brudmann in Berlin vorgefhlagenes Ber
fahren, joldye Mäder leicht und billig herzuftellen, begrüßt en.
Diejes Berfahren wird mie folgt dargeflellt: Eine Rolle
Papier ohne Ende (W) dreht fi um eine in dem Geſtell 8 ber
findlide Welle (w), wobei das hg abgewidelt wird. Damit
dieſes Abwideln mit einer gewi Spannung geſchieht, ift bie
Welle w mit einer einfadyen Bremsvorrichtung verfehen, die hier
aus einem um die Wellen w und w’ geſchlungenen und durd
ein Gewicht beſchwerten Niemen beſteht. Der fih abwidelnde
apierfireifen paffiert zunächft die Veitrolle L, über welchem ein
Behälter mit einem in Waſſer nicht lösbaren SMebftoff angebracht
ift. Ein Boritenbündel überträgt den aus dem Behälter fidern»
den Klebſtoff gleichmaßig auf den Papierftreifen. Das freie Ende
Diefes wird in die Welle x derart eingelafien, dab die Welle aus
dem ſich über der-
jelben aufwideln»
den Papierblod
Leicht wieder gelöft
werden lanıı. Die
Aufwidelung ger
ſchieht, fobald Die
Wellexin Drehung
verjeht wird. Yur
Herbeiführung des
erforderlichen
boben Grades von
Haltbarkeit und
Zãhigleit des fo
entitehenden Nad⸗
blodes dient jeht
nod folgende Vor ·
richtung. Cine by:
drauliihe Prefie, deren Kraftäußerung je nah dem Wachen
des Nadblodes reguliert werden dann, drüdt ihren Stempel nad
unten. Die Fortlekung diejes Stempels bildet eine Babel (G),
in welcher fich ein metallenes Rad R dreht und zugleich unmittels
bar auf die Peripherie des fih aufwidelnden Radblodes brüdt.
Hierdurch werden die einzelnen Schläge des Papierftreifens feſt
aneinander gepreßt. Außerdem ift das Rad R in feiner Peris
pherie mit feilenartigen Erhöhungen und Vertiefungen veriehen, bie
auf dad noch feuchte Papier übertragen werden und bewirken,
daß die einzelnen Schichten des Papierblodes unverrüdbar mit
einander verbunden werben.
Hat das fo aufgewidelte Papierrad den erforberlihen Um⸗
fang gewonnen, fo wird dasſelbe von der Welle x gelöft und
langfam getroditet. Da die Papierftreifen zufolge ihres Feuchtig ·
feitögehaltes nady der Peripherie zu ftärker ausgedehnt wurden
als nad dem Genteum zu, jo müflen fidh biefelben aud nad
dem Troanen dort jtärfer zujammenziehen, wodurd eine bie
Speftigfeit des ganzen Blodes noch vermehrende Spannung bes
wirft wirb.
Natürlich ift das Rad jekt noch nicht fertig, vielmehr wird
dasfelbe erft auf der Drehbant in die für den Gebrauch notwen ·
digen Formen abgedreht. j ,
Das bier dargeftellte Verfahren erfheint jebenfalls praltiſch
und leicht ausführbar; ob aber die fo gewonnenen Räder nun
aud wirklich ihren Zwed erfüllen, darüber lann erft nad lanp«
jährigen, eingehenden Berfuchen ein maßgebendes Urteil ab-
gegeben werben. ;
VEREINTEN
Dene Mufikalien.
Bor uns liegen zwei im Litolffihen Verlage erichienene
Lieder von Milton Wellings: „Hoffe nur’ und „Auf dem
Strome*. Beide find für eine Eingitimme mit Pianoforte-
begleitung geichrieben und wenden ſich an jene größere Publikum,
weiches zunãchſt einer ganz leichten, fih völlig unterorbnenden
Stavierbepleitung bedarf und eine leicht fahbare Melodie liebt,
ohne fih daran zu ſtoßen, wenn auch mande triviale Wenduns
693
wir ihnen dennoch, daß fie aud bier ihr Publikum finden
werben. Die deutjche Ueberiekung von Otto Wolters ift ſehr
gelungen. — Xotal verſchieden von dieſen ſoeben beſprochenen
Yiederu find die ebenfalls als Movitäten vor uns liegenden
Sechs Lieder für eine Singitimme und Pianoforte von Karl
Neinede, Op. 178 (Hamburg, bei Rahter) und „Der Schwur‘‘
(Berlin, bei Ries & Erler) von demſelben Homponiften. Griteres
gift enthält die Lieder „lage und Zrofi* aus „Des Knaben
unberhorn*, „Wegewart* von Julius Wolff, Nachtgeſang?
von Goeibe, „Wenn ich dich ſeh' fo lieb und bolb* von Friedrich
Bodenftedt, „Weihnachten“ von Theodor Storm, „Jasmin und
Flieder“ von Bodenftedt. Alle Lieder wenden ſich, ihrem ganzen
Weien nad, an ein total anderes Publikum als die vorher ber
iprodpenen von Wellings, die Begleitung ift, wenn auch nicht
bominierend und ſchwer, fo doch jehr wejentlih, und am ben
Sänger wie an den Begleiter werden Anſprüche gemadt, wie
fie Robert Franz, Franz Schubert, Robert Schumann u. a.
machen. „Der Shwur* (aus den Spielmannsliedern von Robert
Baumb ) ift ein Repertoirelied der fyrau Ehud»Prohasta und
dürfte "bald ein ebenfoviel gejungenes Lied fein wie desjelben
Komponiften allbetannte Lieder „Abendreih'n", „Der Schelm”,
„Mailied“, „Klein Anna Kathrin“ u. a. Gleichzeitig maden
wir auf das Piederheit Op. 69 von Heinrih Hofmann aufs
mertjam, welches bei Breitlopf & Härtel in Leipzig erſchienen It
und mit Recht Freunde finden wird.
Der geflirnfe Himmel im Sepfember.*)
Was die Eichtbarfeit der Planeten in diefem Monat anber
fangt, jo ift Mertur nahe bei der Eonne und alfo nicht wahr:
zunehmen. Benus bleibt Morgenitern und erreicht am 21. ihre
aröfte wejtlihe Ausweihung von der Sonne, Mars dagegen
nähert ſich derjelben langiam. Jupiter ift nur in den Fruh
ftunden zu jchen und Saturn geht erſt gegen 10 Uhr abends
auf. Am 5. ift Vollmond, am 12. erftes Viertel, am
19. Neumond, am 27. lehtes Viertel. In der @rpnäbe
flieht der Mond am 10, in der Erdferne am 25, Bon Stern»
bildern find in dieſem Monat gegen Mitternacht im Süden ber
Waflermann, die File und ein Zeil des Waljijches zu fehen,
nabe dem Sceitelpuntte fteht die Andromeda und unter dem
Pol der große Bär.
Fudwig Richter 7-
Es gibt Menſchen, deren Tod uns mit demſelben Gefühl
erfüllt, mit dem wir einem Freunde bei feinem Scheiden bie
and zum fehlen Lebewohl drüden,. Wir wiſſen, “ wir trof
räumlicher Entfernung innerlid vereint bleiben, daß wir mit
einander fortleben. — Gin Kunſtler, deſſen Werte fid ein blei«
bendes Dentmal in den Herzen feiner Zeitgenofien errichtet,
ftirbt nie; was beftattet wird, ift nur bie äußere Gülle des
Genius; der Geift und jeine genialen Echöpfungen find uns
fterblih. Yu diefen auserlefenen Geiftern gehört auch Ludwig
Richter, der am 19. Juni nad einem thatenreihen, durdaus
harmoniſchen Leben der Natur feinen Tribut entrichten mußte,
Am 28. Ecptember 1803 zu Dresden geboren, wurbe ber
talentierte Knabe gar früh ſchon von feinem Vater in die Kupfer
ftehtunft eingeführt, am der er Geihymad fand und fi bejonders
an Chodowiedi heranbildete. Die in den zwanziger Jahren unter»
nommenen Reilen durch Ftankreich und alien erweiterten
feinen Gefichtöfreis und warfen ihn der Yandidaftämalerei in
die Arme. Manchen Wechſel der zeitgenöffiichen ſunſtſtrömungen
bat der bejonders durch fiebenswürdige Genremalerei befannt
gewordene Nünftler durchleben müflen, nie iſt er aber feinen
Idealen untreu geworden. Seine Werle zeihnen ſich weniger
durch Großartigfeit, ala durd tiefe Empfindung, Tiebenswürbige
Phantafie und berjerquidenden Humor aus, Sein Hauptgebiet
war die Alluftration und mit (yug und Net bürfen wir Deutiche
ihn den MWiedererweder der in unjeren Tagen zu fo herrlicher
Blüte nedichenen Holzichneibelunft nennen. Gr verftand es wie
fein Zweiter, den editen Vollston in feinen zahlreihen Bildern
und Bildchen zu treffen, das Slleinleben im Haus und ber
Kinderſtube zu Nhildern. die Volkslieder und Märchen zu inter
pretieren und zu beleben. Diejer Kunſt verdankt Richter feine
große Boltstümlichfeit, durch fie wird er jeinem Bolfe unver
geßlich fein.
gen und oft dageweiene Phrofen mit unterlaufen. Die Lieber |
foffen in England in Auflagen von vielen Tauſenden erihienen
fein, und wenn wir auch bezweifeln, dal dielelben in Deutich-
land einen Ähnlichen Erfolg haben werden, fo Pprognojtizieren
*, Uuf viele Unfragen teilen wir Bierburd mit, daß bie Stern:
farte, welde dem erften Öefte beigegeben war, aud für meueintretende
Ubonnenten oder Golde, denen bad Blatt abbanden gelommen if,
gegen Giniendung von 30 Piennig in Briefmarken burd bie Verlage
handlung bieler Zeitſchrift zu brateben iR.
— —
EEE —
— — — — —
nee
=,
Sudwig Rider.
Nah dem Gemälde von L. Pohle.
——
Verantwortl. Herausgeber: W. Spemann in Stuttgart. Redakteur: Joſeph Kürf Hner ebenda.
Nahdrud, aud im Einzelnen, wird ſtrafrechtlich verfolgt. — Ueberſehungsrecht vorbehalten.
Drud von Gebrüder Hröner in Stuttgart.
en
Weltpofl. — Inferaten.Unhang zu „Dom Fels zum Meer’. III. Jahrgang, Heft 12.
“ Weltpoft.
ee Die
Nachſtehend Schluß der Löferlifte a ollecdhon 7 \DEIARM
Preisaufgabe in Heft 7:
5. Et. inM.,)Y.9.inG,, O.D.inW,,
5 — 9 se — R., a. . — Preis des gedundenen Bandes DI. 1., franko per Foft M. 1. 25.
tauß nd, 91.939. in}, D. 8.
im ®., Zrau R. Sb. * 8,3. 8. 5 brachte inzwiſchen — neue Bände:
HEMER Linz,’ er. Band 65. —— Der Dampf. Gine Darflellung des Zeitaltets der Dampf⸗
m A,I. Rind in M., 9. air se
'£ N ee . 86. E. Diethoff, Unter ber harten —— Kulturbiftorifches Jeligemãlſde.
2. in Ep, 8. € Ed. in D., F. A. F Mit einer Einleitung von Dos Rt — DOM
in®, 3X in Warn v8. in . m. T. G. Smolletd Werte. Gere 5 ieies Abenteuer, Fahrten und
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bald und hinterläßt wenig Aſche von ganz hellbräunlicher Farbe. — Verfälſchte Seide (die
leicht fpedig wird und bridyt) brennt langjam fort, namentlich glimmen die „Schußſäden“
Hi weiter (wenn jehr mit Farbſtoff erjchwert) und hinterläft eine dunkelbraune Aſche, die fich im
H Gegenſatz zur echten Seide nicht Fränfelt, ſondern krümmt.
Zerdrückt man die Ajche der echten Seide, fo zerftänbt fie, die ber verfälfchten nicht.
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und liefere ih einzelne Roben und ganze Stüde zollfrei ins Haus, ohne Zoll
berehnung. [844]
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Königl. Hoflieferant.
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Inferaten:Unhang zu „Dom fels zum Meer”.
Pr — * kritiſche Ausgabe 20
Dates Dirbietang,
hervorragender Germaniften
herausgegeben von
Iofeph Rürſchner.
Berlag von
W@. Spemann, Berlin u. Stuttgart.
Die neneften Bänbe enthalten:
Br. 38. Klopftods Hermann
ſchlachtund 33 Bardenweſen bes
18. Jahrhunderts.
Bo. * abeldichter, Satiriter
und .. u arphilofophen des 18,
Yahrbunderts.
Inhalt der Bände 1-37:
1u.6. Orimmelshbaufens „Sim.
pieins —— mus“. (Werte
Dr.) 2. Goethes, Fauſt“. (Merte
re 3) 3. Schillers „Räuber und
Fiesto“. (Merfe3. Bd.) 4. Kortums
„Jobjiade*. 6. Leffings „Lieder,
Den, gerimte Gabeln, ugenddramen*.
(Werke 1. B.) Wielands „Dbes
ten x.” (Werte. 2. ve 9. Örim-
melehbaujens „‚Simplicianifde
Säriften‘. Bd. 11. Günther Ge
dichte. Bd. 8, 10 u. 12%. Etürmer
und Dränger. Br. 1-8. Enthalten
Klinger, Leifewig, Lenz, Wagner,
Maler Müller, 2 Schu art.
Bd. 18. Grypbius erfe. ®DBb. 14.
Lejlings Augendfreunde Bd. 15.
Moiherojhs Geſichte Philanders
von Gittewald. Bd. 16. Goethes
Dramen. Bd. 1, (Der Merle 6. Band.)
Bd. 17, Lellings Jugenddramen
u, dramatiſche Meifterwerte. Bp.2.
18. Schillers „Kabale und Liebe*
und „Don Rarlos* (in 3 Ausgaben).
(Der Werte 4. Bd.) 19. Simon Dad
und jeine freunde, Job. Röling.
20, Goethes Gedichte. Bd. 1. (Der
Werte 1. Bd.) Bd. 21. Ziglers Aiia-
—— [a Der Schleſ. Schule 2. Br.)
22. $ Alemaniſche Ge—
Sy Fra PR J Hebels Schahtkäſtlein
— a — Br.
effings dramat. Nachlaß
er — Meiſterwerle. (Werte 2 Bd.)
Br. Die Gegner ber *
Din Sthule. 2 Bd. Bd. 27.
Goethes Raturwifienib. Schriften. 1Bd.
Br. 28, Albertinus Qucifers Aönig«
reich und Gerlengejaidt. Hreab. von R.
Frhr.v. Lilienfron.(Erfter Reubrud!)
DD. 29. Abraham a6. Clara „Judas
—— Hrtgb. v. F. Pobertag.
3031. Bürgers Gedichte. Hrönb.
= Sauer. Bp. 32. Goetheß bu
bite 2. Bd. (Der Werte 1. Bo.)
Bd. 33. oh. R3*8 Gottſched
und die Schweizer 3. J. Bod mer und
43.9. Breitinger. Dregb. von rt
Grüger. Bd. 34/95. Klopfiods Me
fias. (Der Werte 1. und 2. Bd.) Hregb.
von R. Hamel. Bd. 36. Se An
Kleine Schriften zur Philofopbie
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(Der Werfel. Bd.) Hrögb.v.P.Nerrlid.
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III. Jahrgang. Heft 12.
Die Allgemeine Zeitung
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nad Berber. — Ein Nahmwort zum Kraljewäti-Proceh, — Die nädfte Präfidenten-
wahl in den Bereinigien Staaten. — Die ungarischen Wahlen und die Nationalitäten.
Int Morgenland, Von 2. Steub. (VI) — bnifje aus dem dritten Band bes
Urfundenbudes der Stadt Strafburg. Bon G Kaufmann. — franz Grillparzer.
Don R. M. Werner. (V. Schlußartitel) — Die Ayeres Urgeſchichte Bon G. ©.
Gornil. — Mündener Kunft. Don Fr. Pet. — Die Berträge Ruflands 2 Deutſch ·
land von 1656 bis 1808. — Die S —— * Sicilien. Bon I. Walther. —
Ländernamen. Bon R. Meinpaul, (IV. Sqlußartikel.) — Eiebenbürgen. — Gin
Beitrag — Quarantãne· Frage. Bon Dr. G. Wild, — Noch einmal die Etrusfer-
Trage. Bon ©. Meyer — Quer durch Ghryfe. (III. Schlußartitel) — Der bay-
Nun Bauernfrieg. — Kieperts neue Karte der aflatifhen Provinzen des türfifchen
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Die Handelt und Gewerbelammer für Oberbayern über das Stempelfteuergeich.
Der auswärtige Handel Defterreih-Ungarns im erften Quartal 1884. — ———
ſchaftlicher Bricf aus Rußland. — Das ® ältniß der großen und fleinen Landwirth-
ſchaft zu ben Oetreidezöllen. — Die Ediweiz und bie lateiniſche Münzconvention,
Deutſcher Reihstan. — Zur ——— Streitfrage. — Eorialreform und
——— F — ch — Ruſſiſche Belenntnifie. — Oftaſien als Wirtbihaftt-
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Qulcaniamus und Gebirgsbilbung. Von J. Walther. — Die Ausflelung von Meii-
fonierd Gemälden. — Ans Morgenland. Bon 8. Eteub. (VI. Bank). — — onie
Daudets neuefter Roman, tanz Xaver v. Haindl. (Mefrolo; alb«
verwäftung und olzverjchror ung. Bon F. 2 Etzel. — Die Klänge der ber Genre
malerei. Bon R. Muther. — Die Zuflände im Wiener Hofburgtheater. — Münchener
Kunft, Bon Fr. Pedt, — Rapoleons I. Jugendjahre nad den neueften archivalijchen
Forſchungen. (1.) — Die beifiige Yandesausftellung kunſtgewerblicher Alterthlimer.
Der nor feine wife ——
orf und feine wi a utung, — us 0 a ufer
in Tirol. — 5* ahrräberidht. der Handele- und Erenkianne
für Oberbayern pro 1883,
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und Oefterreih. — Der engliid: —* chriftenwechſel in der äghptiſchen Frage
— Das franzöſtſche Necrutirung
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_.
F. W. in St, F: €. in J.,
O. M. in G. O. W. in W. RR St, in
H. H., F. H. im ſt. W. I. in B. B.
in L, LEeſeverein in A., Amtst. M. in
ed. E, H. in D. bei M, Schuldit. 9.
in A, Direltor G. in A., rn, Y. B.
in 6, D. W. in B. C. W. 6. in®,
G.Y% in O H in Tb. bi W. S. W.
4. B. in B. Es if doch ctwas
gewagt zu ſagen
„Wenn im Maienglanze
Die Rebe voll Trauben hängt.”
Leider tft das nidt das einzig Schlechte
an Ihrem Gedicht, fondern relativ immer
noch das Beite.
pr. B. Wir haben jo viele Ges
Dichte zur Verfügung, da& Sie faum hoffen
dürfen, Yufnahme zu finden, Was wir
aber aufnehmen, honorieren wir auch.
€. M. in St. Ebenſo Fortſetzung
ſehr erwunſcht
D. B. Ihr Lied iſt eines der uns
gelenteſten, was uns je vorgefommen,
Wenn Abre Beliebte, die Sie einft frevent»
Lich lieber geftorben als in anderem Befik
willen wollten, durch Verſe zu retten
wäre, Sie würden fie nicht gerettet ha»
ben. Und id weiß nicht einmal, ob es
für ein chrbares Mädchen nicht befler iſt,
tot, als die Battin eines folgen Rene
fchmierer& zu fein.
W. 8. in$. Die tröftlihe BVer-
figerung, daß es Ihnen nicht um Honorar
zu tbun iſt und daß Fels zum Meer in
Ihren Belanntenfreilen gewinnen würde,
wenn wir den Gedichten Ihret „Lieben
Battın“ Aufnahme gewährten, erweicht unfer
Herz doch nicht ſo weit, Sie um die fraglichen
Poe ſiteen zu bitten
Georg in 3. Das Dichſerheim er:
ſcheint in Etrichen bei Dresden und wird
von Heinze redigiert. Nach der Verſchmel ⸗
zung mit Edſſteins Dichterhalle iſt es Die
einſige Zenſchrift ihres Gentes von wirf«
lichtt Bedeutung. Der Herausgeber ſendet
Ahnen gavık auf Wunſch einige Nm,
Aufl. ridtin. Dant, dag Sie uns keine
Gedichte ſandten
SB. in Bad Soden. Die bezuglichen
Peitimmungen find durd viele Jahrgänge
des Armee⸗Verordnungeblattes zerftreut;
eine ausjugamweile YJulammenftellung ent«
halt, Firde, Talchentalender für Das Heer.“
Vielleibt gemünt Ihnen das Nachſtehende:
Die bei der Verabſchiedung erteilte Ausficht
auf Anitelung im Givtidienit gewährt
Ahnen das Recht, ſich bei Behörden zu bes
werben, doch find Diele nicht verpilichtet,
Eie unter allen Umftänden zur gewünſchten
Erle zujulafien, Ausſchlichlich durch
verabfhiedete Offiziere werben 132 oft»
amtsvoriteheritelen bejekt; Bedingungen
find körperliche und geiſtige Hültinfeit,
Stellung einer ftaution von 00— #100 M.
und das nadı einjübriger Probedienitieiftung
beftandene Gramen. Anträge find an das
Strienemimiiterium, Departement für das
Anvalidenmejern, a richten Außerdem
finden Offiziere Anftelunn im Strafan«
ſtalie · Telegranben«, Gijenbahn», Garni»
fonwerwaltungde und Sommunaldienit,
Anträge find besw. an das Mlinifierium
des Innern, das Reicht poſtamt, Abteilung
fur das Telegrabhenweſen, die betteffende
Grienbabndirettion, Rorpsinteidantur, ober
den hetreff Magiſtrat, miemalg aber an
das Ariegsministerinn, zu richten
Abonnent in Ehlingen. Wihe viel
zu alt
Echukmarle,
Erfrischend, wohlschmeckend, kühlend.
Man serstosse einen Bonbon ın einem Glase, piesse Wasser zu und augen-
blicklich ist unter Umrühren ein Glas Brause-Limmade fertig.
‚ mit
Citronen-, Erdbeer-, Himbeer-, Johannisbeer-, Kirschen- u. Orangen-Geschmack,
sowie einer Sorte, geeignet durch Aufgiessen von Wasser und Wein zur
Herstellung eines Glases
Champagner-Imitation.
Die Brause-Limonade-Bonbons (patent. In den meisten Staaten) bewähren
sich vorzüglich bei allen Erfrischungsbedürfnissen und sind daber
sowohl im Sommer als im Winter, ganz besonders auf Reisen, Landpartien,
Jagden, Manövern, sowie Bällen, Concerten, Theater etc. zu empfehlen. Auf
die bequemste und schnellste Art — in einem Glase Wasser — geben
sie ein höchst angenehmes und kühlendes, dabei sanitäres Getränk.
Schachteln à 10 Bonbons 1 Mk. — Pfg.
dto. a 5 2 U =: % (937)
Kistchen mit 06 = 5 .. 00...
"ür Export ausser deutschen mit engl., rpan.. bolländ., italienisch.,
schwed,, ruas., arab., indisch,, chines,, französ. etc, Etiketten.
Ferner Brause-Bonbons mit medicamentösem Inhalte nach ärztlicher
Vorschrift mit genauer Angabe der im Bonbon enthaltenen Dosis des
Arzneimittels, (Eisen, Chinin, Pepsin, Magnesium sulphuricum, Kalicum
bromatum, Lithium carbonicum, Natrium salicilicum, Cofföinum) nur
in Apotheken erhältlich,
Gebr. Stollwerck, Köln.
Die Brause-Limonade-Bonbons sind In fart allen Niederlagen
Stollwerckscher Chokoladen und Bonbons vorräthig, oder werden auf Ver-
langen von denselben verschrieben.
Enthaarungsmittel,
Vrofeſſor Böttger'd Depilatorium in Pulverform von
G. C. Brüning, ranffurta.M. Anerkannt beſtes Enthaatungs ·
| mittel, giftfrei, ganz unſchädlich, greift die zartefte Haut nicht
an und it bekbalb Damen aanz bejonders zu empfehlen
wer (5 ift das einzige Mittel, welches ärztlich empfohlen
wird. ug (1222)
Originafdofe & ME. 2., der babei au verivendende Pinfel DIE. —. 25.
Zu haben in allen größeren Parfümerie- und Drognenbandiungen,
fowie bei dem Erfinder G. E. Brüning, Frankfurt a. Wi.
Frankfurt a. M.
General - Agent
der [900]
„Coventry Club“,
Sicherhbelts- u,
„Balvo' Bi-
nnd Tricycle.
Ersatzth. u. Zu-
behör. — Neue
Prosp. gratis.
Heinr. Kleyer,
Fabrikant der
„Herold“,
Frankfurt.
»- und Srädr, A
Velocipede für —
CA
3) Erwachsene
NL und Kinder.
Velocip.-Roh-
theile.
— ——
Meltpof. — Inferaten-Unhang zu „Dont Fels zum leer’.
% Weltpoft. 4%
aron v. B.inE. Der Zujak bet
doppelttohlenfauren Natrons zumktafiee, um
denfelben jtärfer zu machen, richtet ji jehr
nad der Beſchaffenhen des zur Bereitung
desfelben verwendeten Waflers, je nachdem
dieſes mehr oder weniger Kalfverbindungen
enthält. Für gewöhnlides Brunnenmwalier
enügt auf ein Lot Kaffee eine Mefjer«
pie voll doppelt fohlenjaures Natron.
Das doppelt Lohlenjaure Natron kann als
Zuſatz zu ſchwarzem Kaffee nicht als ver«
bauung&beförderndes Minel angeleben
werden, da lekterer jelbit ein ſolches iſt.
Wird aber Mil in Staffee getrunken, jo
ift dieſer dadurch viel ſchwerer verdaulich,
weil die Gerbſäure des Kaffees in den
Yöjungen eimweisartiger Körber ſchwer 1d5+
liche Riederſchläge erzeugt und jomit aud)
in der Mil; ein Zufak von 0,5 g dop⸗
pelt kohlenfaures Natron auf eine Taſſe
Kaffee dürfte dann von Nuten fein. Das
doppelt fohlenfaure Natron ijt fein Kon ⸗
fervierungämittel für Milch, es müßte
denn vielleicht in e> reichlichem Maße
ugeſetzi werden, daß es jur Neutralijation
ämtlicher Butterfäure, welche gebildet
werden könnte, austeiche; dadurch würde
aber auch die Milch ſelbſt ungenießbar
werben, Dagegen eigriet es ſich in Lleinen
Mengen als verdauungsbeförberndes Mittel
beim Genuffe von Milch. Yu dieſem
Ywede ftellt man ſich ein Pulver bar,
welches aus 60 Teilen Dlilchyuder, 60 Teilen
Arrowroost und 1 Teile doppelt fohlen-
faures Natron zufammengelekt if und
vermifcht davon 40 g = 3 Ehlöitel, ger
ftriden voll, unter fortwährendem me
rühren mit 1 Liter lochender Milch
4. $. in®. Der Drang macht noch
nicht den Dichter in dem Fall auch nicht
die Dichterin. Wenn Sie fingen
D ich hab’ mid, oft aefraget,
Ob ich ſchon was Ew'get schuf,
fo UDnnen wir Ahnen nur eine verneinende
Antwort geben. Das Vorgelegte bat we»
nigitens abfotut feinen Anfpruc auf Dauer.
8, J 3. in 4. Dant für den durch
Sie bewirlten Juwachs von vier Abon
nenten. Bilder, die bereits in anderen
Seitungen gebracht find, können mir nicht
aufnehmen. Die Hipäfiguren ftreicht man
am beiten an, wenn fie durch Berraucen
bäßklidy getvorden find, natürlich mit aller
Vorfiht. Auch können Sie diejelben fir
niſſen und dann mit Pronzeftaub behan«
deln. Beides Überläit man am beiten
einem Fachmann.
8. in 4. Die Uhren von F. 4.
Köhler in Berlin jind fehr zu empfehlen.
.3.in$. Wenn Eie öfters Em⸗
pfehfungsbriefe zu Finiendungen ſchreiben,
pie den zu Ihren Gedichten an uns, fo
werden die wenig Glüd damit haben
Ele ſchreiben u. a.: „An dem Munde
Ihres fo weit verbreiteten Blattes, wird
das Motiv des Gedichtt vielleicht feine
Wirkung alde Warnung nidt ver.
fehlen.“ wi
. ». in St. Die Einbanddeden
find *. mmergleich geblieben und
tragen fortlaufende Dandnummern. Leider
haben aber auch Unbeſugte Deden in den
Handel gebradht, die natürlich) mit unferen
Driginaldeden nicht lbereinftimmen,
$. 8. (Eine mit Glüdsgütern Ges
feqnete.) Zeile ganz Ihren Standpunkt
Gine Rüdfihtnahme perjönliher Natur
bat bier newaltet, die nicht hätte walten
ollen. —
.B. in T5. In dem Fall iſt
direte Zufendung am ratjamflen, nur
müßten Sie in dem Fall mit dem Abon«
nementöbetrag auch das Porto für 6 reip,
12 Seite einjenden.
III. Jahrgang, Beft 12.
& Weltpoft. @
Echte Manila-
Cigarren, wir 8 nicht Pd a a eh us
— Bis en er mild. | gei dem Verleger an, ob er Ahnen midık
ein ramponiertes € far geben will.
Aercurius. Die Quelle des Eitats
ift uns nicht ——— —
. 54. in £-. a chien
nur 2 Eoakänin RR bereits
jur Ausgabe gelangt. Die Erjdeinungb-
weile läht ih nidyt Ändern.
Dr. 8. in Hdg. Die meiflen unferer
Lofer find eben anderer Meinung und wir
müflen tradıten, allen gerecht zu werben.
100 Cortado M. 10, —
Paul Zemke, Stettin.
Importgeschäft. [1327]
Wir verjenden
arg. Einſendung
bes Betrages ober
Nadnahme:
Doppel- IR. in WB. leder die Eymptome
Feldſtecher von Tabakvergiftungen entnehmen wir aus
„Johnitons Chemie des täglihen Lebenb“
(Berlag von G. Krabbe, Etuitgart)
folgendes: „Die Hrankheitseriheinungen
betreffen gewöhnlid; zuerft bas He *
Bewegungen ſchneller, unregelmäßig, aus ·
jehend werden,;... e& treten unfichere,
jitternde Bewegungen aud der Augen ein,
fowie Aengitlichkeit, Aniälle von Schwindel,
Verſtimmiheit, Unaufgelegtjein zu ener-
giſchem Denten, weinerlide Stimmung,
bie oit durch unbedeutende Beranlaffungen,
namentlih durch Mufit zu förmlichen
Weinträmpfen gefteigert wird." Alingen
und Braujen in den Obren, Abftumpfung
bes Geſchmads, Schitörungen, die
mit Kopfſchmerz, Schwindel und Schlaf
lofigleit verbunden find, führt Berfaffer
weiter an. Prüfen Sie Ihren Zuiland
nad) diejen Angaben und wenden Sie fidh
bald an einen tüdtigen Arzt.
a. 5. in Wien. Das eingegablte
Attientapital der Deilerr.»IIngar. Bant
beträgt allerdings nidt 39000000 A.
jondern 90000000 fl. Auf unferer flatie
Ntifhen Beilage zum Oftoberheit 1883 if
aber eine bedeutend höhere Biifer, nämlich
390000000 fl., angegeben, und bieje ex»
Härt ſich folgendermaßen:
Ztatutenmäß. Notentontngt. 200 000 000f,
Onpothelardarlehen nebjt an»
nelauften Biandbriefen c. 100000000 „
Gingezahltes Altienlapital 90000000 „
390.000 000 fi.
Allerdings hätte ed eines ſtommentars h
für Theater» und
Neifegebraud,
mit Sonnenblen«
den, ſcharf und
rein zeigend, ınit
u feſtem Etuis zum
Umbängen #15.
Reife:
Fernrohre
3—4 Meilen klar
jeigend, mit 6 Oläfern, elegant in Metall
gearbeitet, „M 9. [1309]
odelmaler 8 Sajulb,
Optiſches Inftitut
NANugsburg
Flotho & Kaiser, Cöln
(921)
Importeure
Griechischer Weine.
Versandt in Flaschen u. Fässern.
Preis - Courant franco.
Lebkuchen
aus der Fabrik von
Heinrich SS Häberlein,
Kal. Bayr, Hojlieferant, [1274]
yNürnbern.%
Sortimentätifthen a5, 85. 1OM.,
Verpadung u. Porto inbegrifien,
gegen Nadın. od. Borberzahlung.
Mürnberger
biejer Ziffer auf unjerer Tabelle beburft,
der wegen Naummangels fortgeblieben
Wenn Sie übrigens berüdjidtigen, daß
die Deiterr.»lingar. Bant die einzige Noten»
bank für die Öjterr.»ungar. Monardle ift
— der Umlauf ihrer Noten betrug 1881
nad dem Status vom 31, Dezember
30T A. —, während In Deutfche
land 17 Woterbanten eriftieren und die
Schweiz jogar 36 Emiffionsbanten befigt,
werden Zie uns beipflidten, dab »ie
DeſtertUngar. Bank eine weit bomie
nierendere Stellung in Defterreih«Ungarn
einnimmt, als durd blohe Aufführung
des eingejahlten Altienfapitald vom
90000 000 fl. angedeutet werden könnte,
Deren Georg M. Cs kommt bei
arten», wie auch bei vielen anderen
Aufig vor, daß einzeln gehaltene
Bwohlausgebildete, bartidalige
ein diejelben find, weil nicht
nit zum Ausbrüten tage
enogenenſche Entwide
bei den böberen F
Bögeln nicht vorto
Yungen- und Halskranke (Schwind»
füchtiae) werden auf die Brochüre
„Ucber Heilwirlung und Anwen
dung d. Pllanze Homeriang“ aufs
mertjamgemadht, melde über die, wäh»
vend der Dauer v, 9 Monaten ringe»
bolten, ärsilih und amtlich fonita»
tirten fenjationen. Sheilerfolge erichö«
bfende Daritellungen entbält, Gegen
Einſendung von 10 Pf. Porto zu be
jieben durch Die centrale Vertrieb
ftelle daätetijch « bygienifk, Gryeugnt
3. Kirchhöfer, Trieit. [11
gebalte
Dr. k
Weltpoft. — Inieraten-liinbana gu ‚„‚Dom Fels zum leer”,
“ Weltpoft. ¶
zen Abonnent. Die Ne e, ob
das Nehwild eine Galle (d. allen ·
biafe) beſſhe oder nicht, at in 93
treifen ſchon oft erörtert worden. — Das
Rehwild und überhaupt die ganze Gruppe
birichartiger Wieberfäuer . t thatjädlidı
feine Gallenblafe. ne ſolche fehlt
aber aud) ſonſt no& gar a. ESäuge:
tiesen, 3, B. dem Pferd, dem Eſel, dem
Elefant, dem Samel, bem Lama, der
‘Maus, —* amſter u. . w., während
Rind, haf, Schwein, Hund, alle
fteifchtre en Raubtiere und tiberhaup!
die weitaus —— Säugetiere mit einer
—— nd. Die Gründe
Bun — chieden heiten zu
rtern, Adel unjer Gebiet ; übri«
— ſcheiden die Leder aus derjenigen
Säugeliere, welche feine Gallenblaſe be+
fiten, eine der Galle ähnliche Flüffigkeit
aus, welde bei der Verdauung der Nah -
rungsftoffe mitwirft.
A. in® Mir haben keine be.
ſtimmte endeng, fondern ſtehen objeltiv
den Dingen — Ein joldyer Kalender
riftiert vorläufig nicht.
A. in A.-P. Ihre Einfenbungen
ſollen a gelegentlich benüht werben
. Neber der genannten Lyriler
bat feine Vorzüge, eine motiviertere Aus ·
einanderieung wäre bier nit gan; am
Plah. Eine Auflage von 1852 hat wenig
Wert, wird aber gern vom Berleger gegen
Nabzahlung für eine neue Auflage ein»
getauscht.
.: A. Hier ift das Rezept der
üpfeli nenmarmelabde. Man jdäle
von zwölf ſchönen, faitreihen Apielfinen
die gelbe Scale mit einem ſcharfen Meſſer ⸗
chen jo dünn ab, daß nichts weißes an
der gelben Scale bleibe, fondern die Meinen
Augen nur durdfchnitten find, und lege
dieje Schale zwdlf Stunden lang in faltes
Brunnenwafier, dem man ein wenig Galj
jugefeßt bat. Die geidyälten Apfelfinen
und noch eine ungeidälte ſchneide man in
der Mitte durch, jchabe mit einem Thee ·
töffel Mark umd Saft in eine Porzellan-
ſchale und lafje Krone und alles Faſerige
jorgfältig yurüd. Die Schalen gebe man,
wenn fie die gehörige Zeit in dem ger
lalyenen Waſſer gelegen haben, in lochendes
Wofler, koche fie faſt weich, ſchneide fie zu
aarfeinen Streifen und füge jie zu der
pielfinenmafle, nebft fein gefiebtem Raf«
finabezguder (375 Gramm Yuder auf ein
halbes Kilo der Mafje), vermiſche mit
einem filbernen Löffel alles wohl in der
Ginmachtafferofle, ſehe dieje über Kohlen»
feuer (am beften von Kol a und
laſſe unter jortwährendem janften Aufs
rühren und Bewegen die Mafie zum Kochen
fommen und wenigftens zwanzig Minuten
fang fort flohen, Die Marmelade muß
flar und did und die Streifdhen Schale
dürfen nicht zerrüihrt fein, und man gieht
hie dann fogleih in eine Schale und füllt
fie hernach erft in die Gläfer, Licht man
das Bitterfüße, jo kann man der ange
aebenen Mafle nod; Schale, Saft und
Mark von zwei bitteren Orangen zuſchen,
ge befonder& bei Herren fehr beliebt
#4, — In England if Diele vortrefilice
larmelade beſonderr zum Thee beliebt,
man fie auf offene, mit friiher Butter
ht befirihene Welkprotichnitten fireicht
3...an in Idar. Der 1, Januar
ont an jebem Orte um Mitternadt
1. Dezember nad Ortszeit. Der von
n erwähnte Datumsunterfchieb zweier
bei einander liegender Orte findet
ih ftatt; genauere# kann bierilber an
Stelle nicht geneben werben, vielleicht
fpäter in einem befondern Artikel,
30]. ie Heidelbera, 1%)
Bade- Apparaten - Fabrik,
Bade ’ 6 — 1880 — 1881
empfichlt als Specialität
d. Reuefte u. Praktiicfte
in ®Batent- Zimmer
Donde: ——
24 verſchied Nummern.
zur: Univ. -Batent-
Badeöfen. Eylinder-
Yadeöfen, init u. ohne
Simmerbeizu * Bat.
irculatſons · Bade ·
öfen, mit denen perma ·
nent ebada werd. fann,
ohne das Feuer loſchen zu
J müſſen. Regulirung des
Badewaſſers auf r
gewünſcht. Wärmegrad.
Schneliſte Heigung. Et ·
piofon ausgeſchloſſen.
Badewannen in allen
Größen, Façons und
J Ausjtattungen. Sit.
badewannen. Geruchloſe
Zimmer · Cloſets.
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A ———
5 Bereinigle Smnilätsopparaten-Fabeiken 3
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(€. Hagel) [1187]
tdefderg, erfin C.
ie as | ech 13. ;
Nollftüßle,
Saßrftüßle,
LIEZEERTESEETEETTIERTETTETETTERTTITEETTELEITEEEETTTTETTTTTTTETEITITTTT
3 Aubßeftüßle, Bragftüble,
= jowie alle Apparate zur Gefundheitd- u.
E Arantenpflege in anerlanntır Güte.
Proipette gratis.
Größtes Spejinlgefhäft
für
Hanitätsartikel.
“ hingen Holländer-käse,
nr und form wie * eizertäfe,
60 Piennig, feinfte hüringer
ze eibutter ä 120 Piennig, Poftcoli
5—10 Pd. verjendet unter Nachnahme.
FERNER SE EEESEEIOBTERIGENIDL:7o0 LELZITEITTETT
ALT ITITITTETTTITETTT
11168) Die Dur Gtingen-Greuf jen.
III. Jahrgang, Beft 12.
w Weltpoft.
nen — ws Ex
er —— 75 £ il
ezeichnet, aber ohne [oc win
n €. (laflen Sie das „erfte
Pa angeblichen Ben auch Ihr vr
. (die Einleitu
jun — jet Fi fd Bo. *
491), Mohr (Sterntarte oral)
9. in P.,_A. 30. in 29. (Ele
agen von den Eträubern, da jie im
Diai ins Blaue grünen, nun Sie ſcheinen
* 5 m u ins Blaue zu ei
n (freunde
liche —* öl wi ben we
B viel davon),
R ig F. de und
Er ration. Ihlafen den Schlummer bei
Gerechten im Papierforb), A. ®. in &
A. P.in A. (auf Ihre Bemertung
dit aufnehmen oder Papierlorb“ Lafien
.% na ein 2 m. antworten),
"ae „int, 4
> (Ihr 84 fer er gebadıt und
nit ohne Humor, wenn aud für uns
nicht geeignet), 38. $. (vorläufig noch
kein Talent zu entbeden), £. Sb. in 38.,
a. ». £. in A. (Ro. 1 in der Wert»
—— * en “i uns =
erne in
n ?., 6.» 8 in ⸗ 7
— (das —— iſt ſchon in ben
— der Zeit berührt worden, aber
unfere Damen find ——
* in 4 2 S.\ n1, N in
(mir find * Material ei ft berieben).
®. Sch. in ., 9. in $t.,
in B., * R AP RB ii
54. in &., Dr. 8. in $., 4 m.
n®., 6. ꝛa M.
* in D.
7 J. in 28. (Ahr Brief war viel amu⸗
ſanter, ald Ihre Gedichte, Sie ſollten
Märden jhreiben), O. P. in PD. (Sie
beginnen Ihren Brief „Ein Philoſoph bin
Ih nicht und ebenjowenig ein Dichter“,
von lekterem „Nichtjein* bat und Ahr
Gedicht den ſchlagendſten Beweis gegeben
Grfieres wünjden wir Ihnen aber zu jein,
um mit Würbe ben Echmerz der Ableh⸗
nung und —* Epott ———
tragen), Alter Abonnent In
N 5 ur 755 — ar
:
Be: = Fir 9 * £. "8.
in in 8
Eu dem BER, dad Sie mir
übers r hängen! u . 1,
3. 8. in MM. 9.
Be ga Eh ?.
£ 4 Be dern, St deli Ko
an h E
in
m. bu ’
a in ». ai Eie das —
ii nur aud an den andern Ort, bei
uns fann es fo lang es will „ans Benfte
piden*, es wird doch nicht eingelaffen, Ö
noch fange nit Rügae
R Dantend acceptiert — Einſen ·
ungen von in
I 14 ae 3
(einige Ihrer Scherze wollen * gerne
abdruden, für daß weiter in Ausfiht Or.
u. haben wir aber feine Derwendung),
MM,P.W.in6., B. 4
(den Scherz nem zum Drud be
frde, =. in &. (gelegentlich).
‚8. in Eb. Wenden Sie ih an
den Buchhändler Aug. Schulz & Go. in
Leipsig. Auch der Redacteur db. BI. würbe
mit Ihnen in Gbange treten
Weltpoft. — Inferaten.Ankang zu ‚Dom $els zum Meer”,
w Weltpoft. &
Dr. A. 38. in$. Mit beftlem Dant
verffeitißen mir nadıftehend Ihre Yur
ur: Dito Seifert, Privatbocent in
ürgburg veröffentlicht in der Berl. Min.
Wochenſchrift Wr. 36 u. 37 dei Jahres
1883 feine weiteren Beobachtungen über
I Wirkung des Ghinolins bei Diph-
eitis und gibt dort an, daß durch öftere
infelungen von 5progentigen Ghinolin«
lölungen in gleihen Zeilen Altohol und
Waſſer eine Erleichterung der fubjeltiven
Beſchwerden, inöbejondere der beim
Ehlingen folge, Rejultate, die aud id
in meiner Icktmonatliden Praris voll
tommen, befonders aber bei fatarrha«-
liſcher Raden- und Helkentıkn
dung beftätigen fann; der © ift
kr ftarl, aber nit unangenehm. 1172
T er Kern über Brennen.
2 werga.S. Beften Dant
für die Notiz nnd, des unangench«
men finnentitellenden Drudfehlers in bem
Urtilel: „Im Revier des Brodens” unjeres
Eeptemberheft eb. Zur Orientierung für
andere —— Leſer geben wir an bie
fer Stelle folgende Auflläru . Das gröfte
Waſſerbeden des Harzes (6. 659) heit
Dverteih, nicht Oderteich, der Abfluß des ·
Iben in füdlicher Richtung nad Lauter»
a (5. 659 und 666) wird Dber de
nannt. Die Oder ift ein Bergfirom im
Gebiete des nörblichen Harzes. Wir bes
richtigen bei diejer Gelegenheit no einen
anderen Drudfehler auf ©. 663, wo die
bübjhe Meine Zeichnung bie „Bein
genannte Br Buuterhen, nicht
— ellen ſoll
in A. 1) Sie wollen freund«
na dr Ti e —— te abwarten,
dann werden Sie in ber Reihe „Nature
anftalten in der uslicpkeit“ von Dr. Rarl
Rus, in den Abjchnitten über das Aqua-
rium, alle Ihre Fragen ſachgemäß und
ausführlich beantwortet finden. für heute
daher nur folgendes, grünen Algen»
welder fi an den Ölasplatten
Ihres Aquarium, inöbefondere an ber
Sonnenjeite bildet, follten Sie durchaus
nicht als eine Plage anſehen, denn einer
feit$ trägt er viel dazu bei, daß fid das
Waſſer im beiten uftande erhält und
anderjeitö dient er für Fiſche und andere
Ziere als wertvolle Nahrung. Im übrigen
ift er unſchwer fortzubringen, wenn Sie
nämlih das Aquarium mit "großen und
Heinen Schneden zahlreich bevöltern. Dieſe
raſen den Algenanfak ſicherlich ab und
Lie brauden dann nur vermittelft einer
entipredhenden Bürfte hin und wieder nach ·
upußen. Ich laſſe die Algen aber, wenig«
hens an der Sonmenfeite, immer gern
gr 2) Auch Brunnenwafjer fünnen
Sie bei Beachtung der nötigen gg
jur Aquarium Füllung benuben.
größte Fehler, welden man in ber Regel
begeht, liegt in dem häufigen Waſſerwechſel.
Wenn das Aauarium ausreichenden Pflan«
zenwuchs enthält und regt viele Schneden,
welche allen Unrat verzehren, jo braudt
man in Jahr und Tag kein frifches Waſſer
ju geben, 3) Wenn Sie ben Molchen
welche übrigens doch nur für kurzge Zeit
ins Aquarium gehören, entſprechende Ver»
ftede bieten, jo eu! fie ſämtlich unfhwer
ans Futter: lieg ne Meblwürmer
und geihabtes *8* ie (Dr. 8. R.)
Jeanne Eglife. Sie haben über all
der unfrudtbaren Philoſophie vergefien,
Ihrem Mätjel die Wſung beizufügen. —
Dame Infognita zu meinen Fügen fann
mid nun freilich nicht reizen, aber wenn
das Wefen, dab fi dahinter verbirgt, jo
häßlid ift, wie Sie — win id es
anfak,
mir wohl gefallen la
\
\
zum Sammeln n. zweckmässi
gepresstoer Pflanzen und
ſucht ift heilbar.
!Einfache praktische Hausmittel von
vorzüglicher Wirkung, obne zu —
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Jahrgang, Beft 12.
% Weltpoft. 4&
. MM. in Sf. Der betr. Berfafler
ba zu Myeriben aufgehört. "
3.M.incKb. Nur langfam, es kommt
Alles. Der Eiherz if nit neu, daher
für uns => wohl berwenbbar.
®. 4. in 4. Her Gbuardb
Fläber in ——— (Beipziger Sir. 14)
2 bereit, Ihnen das beit. Buch zu ver⸗
8. 4. in ®. Gegen Shuppen-
bildung wird u. der in der Apothefe
um König von sm in Debenburg
— —*8 empfohlen.
8.8. in 33. Sie jagen, Ihre Ge-
dichte jeien feine eilfertigen Reimereien.
Und wenn Sie zu dem Früblingelied auch
noch bejonders lange Zeit gebraudt haben,
fo thun Sie mir aufridtig leid, bennm
etwas Trivialeres ald bie Zufammen-
ftellung der Reime Luft-Duft, blau-Au,
grün · blühn, jang-Sllang, kann man fi
doch in einem Frühlingslied night wohl
denfen. Drigineller ift das abſchließen de
Alles fro
Bleibt nur fol
aber jhön oder poetiih um alles in ber
Welt nicht. Wir ändern mit Bezug auf
Sie „bleibt nicht jo!*
3. 4. in. Sie folgen, weil Sie
augenblidlih bei der Kavallerie ftehen,
müßten Sie aud den Pegafus reiten fönnen,
Aber mit nichten, Sie find bei biejem
edlen Tier nicht einmal als Stall knecht
| zu gebrauden.
.5. in 8. Gin Bud, akt ber
&emie c gewinjchter Ausführlidfeit be⸗
banbelnd, dürfte wohl nicht eriftieren; bei
dem heutigen Standpunft Der rbene
chemie ift es nicht mehr möglid, famtlihe
gem in ihrer Darftellungsweije und
nwendung mit all den bamit verfnüpften
Nebenumftänden in einem Werte zujanmen«
uftellen, Als Fachwerte für parbendemie
empfehle Ihnen: Gentele, I. ®., Lehr ⸗
buch ber Fardenfabritation x. Braune
chweig 1880 Irre a” (Ladenpreis
.12.) Bolley, ®., € Kopp u
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ftoffe. 4 Zle. Braunidiweig 1870/1880,
Mit Abbildungen. (Babenpeeis mM. 17.)
Mierzinsly, &t., Die Erd-, Minerals
und Ladfarben. Weimar 1881. (Vabenr
er * vor Dr..3.&. Audling-
€.»
2. e pi RR NG
— Die in der Schwan ⸗
— vortommenden Perjönlicteiten
nd wie alle Marimilien Schmidihen
iguren nad dem Neben gezeichnet und
in Berdtesgaden teilweife leicht zu er«
fragen. Die Namen find natürlich fingiert
bis auf den alten „Weyerzist”, den der
Autor aus der Vergeffenbeit gejogm und
der künftig wohl öfters mit Ehren im
Berchtesgadener Lande genannt werben
dürfte.
. 5. in Gooperfiowu. Nur ſeht
weniges in der Erzählung gehört der Wirt«
lihteit an. Die Belanntibaft mit ‚einer
Dame und eine flüchtige Mitteilung über
ine Oeſchicd aus zweiter Hand regten den
. an, feine Sraft im Ausjpinnen
‘ zu verjuden.
. in 99. Danf für bie Mitte»
fung, dak Württemberg nicht, wie &. 41
angegeben, 1841, fondern Ihon 1824 bie
erite Dampfmalsine eibielt. Sie trieb
das Dampiihift „Wilhelm“, weldes am
11, Nov. genannten Yahres feine erite
Probefahrt madte und am 1. Dez. feine
regelmäßigen Fahrten begann.
.& in 8. Das ift ein Irrtum
Könige, der, fo viel wir wiljen, in ſpäleren
Auflagen werbeflert n urbe.
Weltpoft. — Inſeraten · Anhang zu „Dom Sels zum Meer‘,
Weltpoft. t&
A in RK. Hier das Gewünſchie.
Falſche Schildtrdien · Suppe. (Mock Turt-
le Soup). Man nehme einen abgebrübten
Salbölopf (mit der Haut) und beine ihn
111. Jahrgang, Beft 12.
“ WBeltpoft. BR
a Su: io db ire.
Eie à⸗ ie De IE:
fteller ir fig mit Il; der Rätjelauf«
geber hat ihm eigenmädtig das eine ba»
ZIEGLER & GROSS -
1 Probe-Kiste
aud, weldyes am beiten gebt, wenn man
der untern Länge nah einen Einſchnin
madt und das Fleiſch dit an ben Rinn«
baden, der Schnauze und über der Stirne
abiöft, hierauf ein wenig wäfjert, mit
faltem Wafler und etwas Salz zu Feuer
bringt eine halbe Stunde kochen läht und
wieber in faltes Waller legt, das Fleiſch
dann in drei Gentimeter große, vieredige
Stüde ſchneldet und in Fleiſchbruhe voll
ends wei fodt. Nun röfte man einen
Ehloffel Diehl in 125 g Butter jhön braun
und gieße nebſt ein 1, Liter Rotwein, h
viel Fleiſchbrühe Hinzu, daß die Brühe
gebunden aber nicht did ift, fie muB eine
bie zwei Stunden langjam foden und
forgfältig abgefettet werden, wird dann
dur‘ ein Sieb gegoffen, mit I1,—1, Liter
Madeira und einer Mejieripige Cayenne»
piehfer gewürzt und nebjt @ierflöächen und
Farcentloechen zu den Kalbslopfſtildchen
geiban.
Gierflöshen. Man rühre ſechs hart»
gelochte Eidotter mit drei rohen Gibottern,
ein wenig Butter, Salz und Musfatnuß
u einer glatten Mafje, forme mit ber
Dans, die man öfters mit Mehl beftaubt,
Tieine runde löschen und koche fie vier
Diinuten in Fleiſchbrühe
Farcetiltöshen. Man nehme 250 8
geſchabies, rohes Halbfleiih, 25 g in Milch
geweichtes und außgebrüdtee Meihbrot
ohne Strufte, 25 g Butter und ein Gi,
ftoße es zujammen im Mörfer und ftreidye
es dur ein Sieb, würze mit Salz, Pfeffer
und Muskalnuß und forme es in löschen,
indem man einen Eheelöffel mit der Maſſe
reichlich füllt und dieſelbe mit einem feuchten
Meier, nad der Mitte zu in die Höhe
pist, dabei recht glatt ſtreicht, dann vor»
ln heraußjchiebt, daß ed wie ein großer
Mandeltern ausfteht und fie zehn Minuten
in Fleiſchbrlihe kocht.
Dehſenſchweif · Suppe (Ox Tail Soup).
Man wajhe den Ochſenſchweif, ſchneide
ihn gliebweife durh und thue die Stüde
nebft einer halben Möhre, halbem Scherie,
Porren und anderthalb Ywiebel, alled in
Stüde geihnitten, Thymian, Yorbeerblatt,
einem Sträuschen Pelerfilie, und [eds
Pfefferlörnern, in eine Kaſſerole, deren
Boden mit ein wenig Bulter beſtrichen
worden, gieke 14 Liter Wafler darüber
und lafſe fie auf lebhaften Feuer jhön
braun braten, während dem man die
Stafierole bisweilen ſchüttell. Dann rübre
man 60 g Mehl hinein, fülle eb mit
14, Liter Wafler auf, gebe einen Thee ⸗
töffel Salz dazu und rilhre noch fo lange,
bis ed kodht; jehe nun die Kaſſerole zur
Seite und nehme Schaum und Feit pünft«
lich ab, füge einen halben Zheelöffel Fleiſch ⸗
ertraft binzu und lafle es, unter wieber-
boltem Abihäumen und Abfetten gelinde
tohen, bis die Schweifſtüde fo weich find,
daß das Fleiſch ſich leicht von den Knochen
föft, lege fie in bie Suppen»Zerrine, niehe
die forgfältig abgefettete Suppe durch ein
Sieb darüber und aebe in Butter geröflete
Weipbrotichnitten hinein, Wenn man,
eine DViertelftunde vor dem Anrichten, ein
Glas weiken Wein oder einen Guß Ma—
deira und eſwas Gahennepfeffer zu ber
Suppe gibt, jo gewinnt fie fehr, doch iſt
v. P
es nicht gerade nötig Wv. P.
Av. M. in G. Gedichte gänzlich
unbraubbar. Die einzelnen Punkte bes
deulen Buchſtaben, die auß ver geringeren
oder Öjteren Wiederlehr jener gefunden
werden müſſen.
mit 12 Flaſchen in
verſchied. vortreffl.
E Sorten. — Stifte w. SO
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von we De — nm
a Re 5 zung r
jeden —— Würjelfpielen völlig
ausreichend: eine betailliertere Bel ung
würde ben Rahmen bed Brieflaftens übers
fhreiten. — Wenn Sie uns Ihre Pofl-
adrefie ſchreiben, werben wir Ihnen aus ·
führliche Anleitung brieflich zugehen laſſen.
». g, in $. ir erhalten nod
folgende Antwort. Das gewöhnliche Bolt
zählt: Sonntag, Montag, Dienftag, Mitt-
woch, Donnerjlag, tag Samt und
wieder Sonntag. Es betrachtet Sonntag
als abjhliekenden und einleitenden Tag
der Mode. Wird alfo doppelt gezählt.
Man barf nur die Probe bei Schultindern
maden und bie Tage auffagen laſſen.
Heitabfchnitt 14 eg grilndet auf ges
naueres Fingeben in Beftimmung der Zeit
im gefdäftlichen Verkehr und als fte
des Mondmonates, mas die Dandleute
felbjt ſeht gut wiffen.
Harzer in F. Wurde ſchon früher
berichtigt.
— C. in A. Verjeihen Sie,
wir wollen uns beſſern.
&. A. in Die erfle Ihrer Auf-
gaben wollen wir gerne acceptieren.
Karl Keiling. Ihr erfied Manu“
jfeipt hat ums nicht fehr imponiert, aber
itreben Sie nur fort auf bem Pfab ber
Scähriftftellerei. Sie find ja erſt 18 Jahre
alt, da erträgt die Stonititution nod eine
Weile die Hungerlur,
3. &. in B. Die Verjpätung der
Auflelung der Hefte liegt nie am Ber«
lage und müffen Sie fich deshalb an Ihren
Bermittler wenden.
@. £. in 6. Das hängt ganz von
Sen ab. 4. Ir 6
„P B. in Sh. Ihre Gedichte ver-
blüffen durch ihre wunderbare Untlarheit.
Ginmal trägt ihre Beliebte ein rote® Band
im Haar und da wünfden Sie in Ihrem
offenbar „Annberüdendem* Schmerje:
Arägft Du dod um Dein Herje
Ein rotes Band für mid.
Denn wieder heißt ed mit Rüdficht darauf,
daß ein Jüngling den ganzen Tag den
Spuren feiner Geliebten nachgeht,
Folgt daraus, daß er nur hier Richts
t
t.
Wenn Sie dod mit dem gleien Effelt
den Epuren Ihrer eigenen Schönen folgen
— int
A. ind. Meigela und Schaf
fäfleın Mi ihon erſchienen, Göh er
uffifreundin. Mätfel nicht ver⸗
wenbbar. Der Urjprung des Wortes Römer
(für Zrinkgefähe), der fid bis ins 17. Ser
hundert zurüd verfolgen läßt, ift nicht be
tannt. Das betr. Reiterftüd fann von
einer Dame jehr wohl ausgeführt werben.
Auf Handbihriftenbeurteilung verftehen wir
uns leider nit. —
y. B. in BY. Gelegentlich Die
Maſſe det Stoffes ift eben zu groß
Abonnent in Weißkirden. Gott«
hans „Portif* (Breslau, Trewendt).
Abonnent in ®. Das geht aus
Raumrüdfihten nit.
. Preikalferehe. Mit den Senntniffen
eines Terzianers oder Selundaners lommen
Sie volftändig aus,
4. in BB. Diefelde Geſchichte paifierle
in meiner Gegmwart einem beriihmten
Bildhauer, der burd die auf dem Waſſer
ihwimmenden Bitronenfcheiben verleitet
mwurbe, zu glauben, es handle fih um
Limonade.
Weltpoft. — Inſeraten · Anhang zu Vom $els zum Meer”, III. Jahrgang, Beft 12,
% Weltpoft. {6
Adonnenutind. Ihre Idee, den Arieger
mit einer —* don dei Tier.
reichs zu vergleihen, wird Ihnen wenig
Spmpathieen erwerben, Das gilt übrigens
a. ganz im allgemeinen von dem erflen
erh:
RNützlich und ſchön wie das Roß, fei
der Krieger im Arme deb Tyriedene.
Sie Gludlichet, daß Sie nur ſchoͤne? Roffe
Iennen, Ihnen ift offenbar der Anblick
sroßfäbtiiher Droſchlengäule bis heute
eripart geblieben.
Dr. 3. in £. Sie haben Ihrer Be-
rehnung entweder eine uünrichtige Formel
au Orunde gelegt, oder einen Rechenſehler
gemadt. Die goldene Zahl von 1970 ift 14,
und biejer entſpricht für die Jahre 1900
bis 2199, wie aus jeder Oſtervollmond⸗
tabelle zu erjehen ift, der 32. März als
Dftervollmond. Diefer Tag ift im
Jahre 1970 ein Sonntag, Dftern fällt
daher auf den folgenden Gonntag,
alfo auf den 29. — Nach der Gaußſchen
ormel ergeben ſich für das betr.
gende Zahlen: Biererreft 2, Siebener«
veft 3, Neungehnerreft 19, are 1,
ge Siebenerrefl 6. Die ten
(N)
3. Die einfachſte Methode, Gegen«
ftände, befonderß polierte Eiſen · und Stahl»
objelte zu vernideln, befteht im fog. An«
fieden. Nah Fr. Stolba wirb zu einer
verbünnten (5—10%,) Auflöfung von che ·
miſch reinem Ghlorzink fo viel Nidelfulfur
zu t, bis die Flüſſigleit ſtark grün
ärbt ericheint.
Ichlägt
dem Objekte fein Oxyd ober anhaftet,
in Form einer glängenden blanfen Schicht
nieder, Erſcheint der Begenftand überall
vernidelt, jo wird er mit Waſſer, worin
etwas Kreide ſuspendiert ift, abgeipült und
orofältig abgetrodnet. Das Anjehen der
o vernidelten Gegenstände ijt ein RR ge ·
Alliges, namentlich bei polierten Objellen,
wo die Nicelſchicht mit einem Stich ins
Gelbliche eriheint. — Als Bezugkquelle
für die bei der Vernidelung nötigen Che ·
mitalien empfehlen wir die Chemiſche
abrit auf Atien (vormals Sdyering)”,
erlin, Tyennftraße. (M)
. in 8. Prüderiel
. 6 9. 5 Zu allem lyriſchen
Mupfeligen auch noch zweierlei Kitteraturs
ge ſchichte, daß ift denn Doch zu viel verlangt.
Unus ex multis. Bom neuen Jahre
ang fol Ihr Wunſch dur entfpredhende
Genberung der Bejeichnung erfüllt werden.
in 9. Ihr Gedicht iſt durch⸗
Fr. Mm.
u sa Eine Höffige Anfr
u. ‚in®. te nfrage
an die Direftio® der tal. arinye u Berlin
wird fidher zum Ziele führen. In betre
Yhrer andern Trage verweilen wir au
Raufer, „Meerihaums« und Bernflein«
mwarenfabrifation* (Wien 1870).
. $. in 9a. Fig. 7 auf 6.68 fleut
Holyhäufer in Chicago, fFig. 3 auf S. 69
das Uniondepot in tanjas Gity dar, Nur
ein Irrtum im der Signierung der Holj«
—* verurfadhte diefes unliebſame Vet ·
ben.
(ud FroßAnn in 38. Glaurens
monde Pe Sie ir be durd
ein Antiquar, eiwa Scheible bier, Die
Firma Wallroih egifliert noch
= Corallin =
ein mit" patentirten Maldiıen behan-
beiter, ameritanifher PrlangenfaferRoff
bon underwüßliher Dauer, ift leiter,
elaßifder u. dabei bifliger, als die bid-
her angewandten Gorjeteinlagen, wie
Fiſchbein, Hornfläbe, Etahl xc.
Für Nichtbrechen der Corallin-
|
Einlagen wird unbedingte Garantie in
der Weise gelristel, dass der Wfache
Betrag desKaufpreisesanstandslasver-
qütel wird, wenn diese Einlagen währ-
‚Ora nn» nDiagen
brauchen beim Wafchen nidt an
bem Gorlet entfernt zu werden.
DW” Das Corallin-Corset
bt ih megen jeiner großen Schmiegs
—8 dem Körper befonderd ſchön ar
und trägt zw einer bortheilhaften
Figur anferorbentli biel bei,
$ iehen durch alle größeren Gors
ſel · Geſchafte. wo man ausdridlic:
„Dr. Warner’s Corallin-Corset*
verlangen wolle.
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Einsendung von M. 5.50 franzo zu Diensten,
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Preisliste pro 1884 franco.
Deutsches Produ
® Weltpoft. {&
. &. in 4. Ihre Wünfde ſollen in
Betracht gezogen werden, der eine babon
läßt fi fidher erfüllen,
- #. in 38. Zur Bertreibung diefer
tä = Müden lann man eine befjondere
Urt Räuderlergen verwenden, deren Raub
ben Zieren widerw iſt. As Schut-
mittel finden wir am fiderften, auf den
vier Bettpfoflen Stäbe zu fligen, bie
oben durch Querleiften verbunden find
und das dadurch entfichende Geftell mit
feiner Gage zu begiehen. An der vorbern
Selte läßt man die durch irgend etwas
an ihren Enden belaftete Baze lofe Herab-
pängen, um in dad Bett gelangen zu
nen. Rur muß man fi hüten, daß
dabei die Tiere in den geihüßten Raum
bringen, da fie fih dur bie Beichrän-
u noch unerträglider gebärben als
ont.
3. 8. An Dr. Rlein in Köln be-
fördert.
A. %. ing. Das Gewünfhte ge-
ſchieht ja — und wird in *
ige auch weiter geſchehen. Das B.ſche
epilatorium erhalten Sie bei jedem beffern
Friſeur, eine bef. Mor. ift uns nicht befannt
£ in 8. Diefe pätung liegt in
dem Bezug durch die Poft begründet.
5 in A. Das liche ih nicht
gut ausführen, weil die Beteiligung für
derartiges zu gering fein würde.
Wi . Bon bi
liegt BEER ber Fe —
&:. £. in St. it die Gewinnung
der jiwei Abonnenten jagen wir dem ver»
ehrten Herrn Kollegen beften Dant,
A. in & Dante für freundl
Anerbieten, wir haben genug. Stemtarte
beforgt. ne derartige frang. Zeitung
* 6.100 Die Umgeflaltung Apres
. &. 100. mgeitaltung
Namens können Gie nur mit behörbl
Genehmigung vornehmen. Wegen der
— Fragen wenden Sie fih an einen
rt,
$. ®. in. Schön if das freilich
nicht, 3 bezieht fih natürlich
auf die Hüte und nicht auf Die Maler,
die. diefe en.
3. A. in FÆ. Borläuftg nicht.
F gt: in 8. Ihr Bunte iſt
logiſch, aber im allgemeinen machen ſich
die Männer aus ſolchen Sachen nichts
A. 6 v. A. auf 5qcht. 31. Loſungen
richtig. Silbenrätfel leider nicht ver
wendbar.
—— — „Ein feſte Burg ıc.*
ie Aufloſung des Rebus,
. a. in A. Sie haben ja leider fo
reht mit Abrer Ieremiade über den
Modeteufel. Doc feien wir ehrlich! Die
Frau iſt's nit allein, die ihm bul«
digt, au wir Männer tragen einen
großen Zeil der Schuld. In dem einen
Buntt jebod follten die Familienpäter
einig fein oder werden: in der Erzie
bung des beranwadjenden Gr
Ihlehts. Daß die Heinen 4—Sjährigen
Mädhen als Parifer Mobedamen en
miniature —— wie Aeffchen ji
mit ihren Glaçgées und Sonnenſchirmen
— und auf dieſe Weiſe anftatt in
njahheit und Natürlichkeit aus purer
Puppentänbelei der Mütter in der flo
fetterie und Gefallſucht großgejogen werden
— das joll und darf nit fein. Fangen
Sie daher getroft an, in Abrem Streife
für einen „Berein gegen Modenartheit“
Propaganda zu mahen. Doch geheim,
lieber freund, das rate ih Ihnen, jonft
t Ihnen bermaleinfi eine andere
enfeier bevor, als fie dem ſeeligen
Frauenlob“ zu teil geiworben,
war
3
Weltpoft. — Inferaten-UUnhang zu ‚Dom $els zum Meer. III. Jahrgang, Beft 12.
% Weltpoft. {&
4. mM. 12. Wenden Sie ji einmal
an Dr, Dar Budyer in Münden: er wer
vieleicht einen Nat, oder hat ein Leſer
Yult nah Nfrita zu geben und einen
Diener mitzunehmen ? Frageſteller wünſcht
einen ſolchen Bolten zu begleiten
85. 6. in A. Dant für Ihre Dlit-
teilung. Aendern läßt fib nun freilich
jebt nichts mehr an der Sadıe.
>. in Ed. Vielleicht dient Ihren
Zweden W, ©, Brills Hollandsche
Spraakleer,
€. W. in. Wir empfehlen Ihnen
ſeht W. Schröters Unterrichts« und Er-
jiehungsanstalt für geiftig zurücgebliebene
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über die foeben der jehr injtrultive zweite
Bericht erſchien
A.B. in3 Wenn Fleiß voraus»
gelebt werben darf — ja!
8. 5. in St. £. Genen den Nadı+
drud amerifanijder Mittel können wir
leider nichts thun.
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und durchaus unſchädlich erklärt.
Örcgenlongestionen, dasjenige Mittel er
Schwindelanfälle,
Unreines Blut,
Appetitlosigkeit,
Verstopfung,
Blähungen, Leber-
& Gallenleiden,
Hämorrhoiden,
liberhbaupt gegen Vers
Dauungs- und Untere
leibeſtörungen haben
ſich die Rich. Brandt-
ſchen Schweizer-
pillen in unzäbligen
Fallen bewährt und als
wieſen, welches die vor«
jüglichiten Eigenſchaften
in fich vereinigt. Dieb
find denn aud die
Gründe, auf welden
der MWeltruf der Rich,
Brandt'ihen Schweizer«
pillen ſich baſiri. Der
billige Preis von M. 1
pro Doſe maden dies
felben Jedermann ie
aänglid, doch achte man
darauf, die ädıten Rich.
Brandt'ichen Schweiger ⸗
pillen zu erhalten, welche auf der Doſe ein Etquett, wie obige Abbildung zeigt,
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gart: Apotbefer Reihlen
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die alleinige Annoncen-Aunahme. 1967)
SC 000 ai CÜeunautern
Kennt ihr das Aanberwäldden nicht
Mit feinen rerſchlungnen Gehängen,
An welchem jtreitend am Fuft und Fidt
Viel tanfend Bäume id drängen?
Hier Tenket ein mächtiger alter Raum
Die Jeſte kraftlos hinunter,
Dort ſchießt ein junger empor durd den Raum
Und breitet die Wipfel munter,
Ahr konnt ihn, den Wald der Fitteratur —
Ahr kennt audı das Zäumchen, das itolze,
Ganz wenige Jahresringe nur
Erſcheinen an jeinem Holze:
Doch jtieß' es am Himmel au, wenn es könnt,
Schaut keh ih von feiner Höh’ um
Und feiert, was jonſt nur den Greifen vergönnt,
Schon heute — cin Iubilöum.
© fünfzigtaniendüer Abonnent,
Faß Dir ein Smollis bringen:
Das joll, fo weit man Dich nennt und kennt,
„Vom Fels zum Meer‘ erklingen,
Und das ift weit! — Dei Neih und Arm,
Am Sonterrain und in der Manjarde,
Im Schloffe und anf einfamer Farm
Grägt man ten feine Kokarde.
„Derr Briefträger, geben Sie endlich her!“
Auft bier Herr Schulze am Feniter,
Er lechzt nach dem neneften „Vom Fels zum Aleer“,
- Au bannen der Fangweil’ Gefpeniter;
Eine Frau, auf der Nafe das Augenglas,
Tritt ihm anf der Treppe entgegen —
Ihr machen zumeist die Novellen Spuß —
Sie gibt ihm &rinkgeld und Segen.
Herr Müller ftndiert bier emſiglich,
Was er feiner Gattin verehre,
3 wette, er enticheidet ſich
Anleht für „Vom Hels zum Meere“ —
Iwei Knaben leſen es zumal,
Wenn fie zur Schule laufen;
Gemeiner fa gut wie General —
Sie müſſen es alle kaufen.
er Bageitolz leiend unverwandt
Aſt anf nnd nieder geicritten,
Dabei ift der eben gekommene Band
Noch gar nicht mal aufgeſchnitten;
Das Fräulein — wenn auch nicht mehr ganz jung —
; Rann ihn kaum vor Sehnſucht erwarten,
— 70 m — — — ——— me.
Er bringt ihr Fehre und Aufklärung
Für Rüde und Yimmergarten.
Awei Damen aus der Haute rolée —
Der Aimer hält am Schlage —
Entnehmen joeben, wie id jeh,
Was eridienen vom eriten Tage:
Die Bilder werden in dem $alon
In Ankunft paradieren,
Und auch vom Terte kann man — au fond —
Noch manches profitieren,
Bier nicht ein Schneiderlein vom Rod
Den Wilhomm dem lieben Aunden,
Dort wird gar in den dritten Stod
Der Bansfreund emporgenunden,
dier endlich blidt der Millionär
Süß Ihmanzelnd noch vom vor’gen,
Als mit dem nenen Befte „Fels zum Meer“
Eintritt fein trenes Mohrden.
KRurzum, wo der liebe Gajt erſcheint
Giebt es Bewegung und Erabel,
Und wo man gähnt nnd wo man meint,
Erregt er Intereſſe und Inbel:
So eile nun fürder, im Siegeslanf
Wie eine Hodhflut braujend,
Und fteige, mein mutiger Freund, slüdanft
‚ Bald in die
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Aaubilãums-Preisaufgabe.
Bo il der Sünder?
Um an der Freude über unſern ſchönen Erfolg auch uniere freundliche Leſer teilnehmen zu latjen, ſhreiben wir biermit ein?
Aubiläums-Preisauigabge aus, Die darin bejtcht, in obigem Bild den armen Sünder zu erlennen, dem das Zcdmunjeln des Zeufels
eilt. Leder Abonnent fanrı an der Yölung dieier Preisaufgabe teilnehmen und wer rt zu dieſem Amer jeden Heft eim blauer
Zettel beineneben. Nur Yöiungen, welche auf die Niitieite dieſes Yettelz neihrieben And und vorn die Quittung dee Buchhandlung
tragen, bei der die Zeitichriit abonniert wurde, können bei der Preieverteilung berüdjichttat werden. Die Sendungen jind portofrei an
die „Redaftion von Vom Fels zum Meer, Stuttgart” zu richten und muſſen bis zum Lk, April in deren Händen jein,. In dem nädıiten
nad) diefem Termin erſcheinenden Het wird das Resultat der Verlofung, welde zwiſchen den Giniendern flattfindet, befannt gegeben.
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